Uberrima Fides: Treu und Glauben und vorvertragliche Aufklärungspflichten im englischen Recht [1 ed.] 9783428512331, 9783428112333

In der europäischen Rechtswissenschaft wird in dem Grundsatz von Treu und Glauben die den verschiedenen Rechtsordnungen

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German Pages 252 Year 2004

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Uberrima Fides: Treu und Glauben und vorvertragliche Aufklärungspflichten im englischen Recht [1 ed.]
 9783428512331, 9783428112333

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Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte Band 46

Uberrima Fides Treu und Glauben und vorvertragliche Aufklärungspflichten im englischen Recht

Von

Nicole Schneider

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Nicole Schneider · Uberrima Fides

Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte Herausgegeben von Prof. Dr. Reiner Schulze, Münster Prof. Dr. Elmar Wadle, Saarbrücken Prof. Dr. Reinhard Zimmermann, Hamburg

Band 46

Uberrima Fides Treu und Glauben und vorvertragliche Aufklärungspflichten im englischen Recht

Von

Nicole Schneider

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Regensburg hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-3365 ISBN 3-428-11233-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2002/2003 von der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg als Dissertation angenommen. Mein ganz besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Zimmermann LL.D., der diese Arbeit angeregt und betreut und mich während der gesamten Studienzeit fachlich und persönlich gefördert hat. Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Henrich danke ich für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Zu Dank verpflichtet bin ich ferner der Universität Regensburg für die Gewährung eines Promotionsstipendiums. Ich danke allen Freunden, die mich während der Erstellung der Arbeit unterstützt haben. Herzlich danke ich Stefan Vogenauer, M. Jur. für die anregenden und aufmunternden Gespräche sowie für seine Bereitschaft, die Arbeit Korrektur zu lesen. Peter danke ich für seine bewundernswerte Geduld und für Vieles mehr. Ohne die jahrelange Unterstützung meiner Eltern wäre dies alles nicht möglich gewesen, ihnen ist die Arbeit deshalb gewidmet. München, im Juni 2003

Nicole Schneider

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Treu und Glauben und vorvertragliche Aufklärungspflichten im europäischen Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Treu und Glauben als Ableitungsbasis für vorvertragliche Aufklärungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Treu und Glauben und vorvertragliche Aufklärungspflichten im common law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Treu und Glauben – ein unüberwindbarer Gegensatz zwischen kontinentalem Recht und common law? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Uberrima Fides – Funktionsäquivalent für Treu und Glauben . . . . . . . 5. Rechtsvergleichende Untersuchungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vorvertragliche Aufklärungspflichten im englischen Recht . . . . . . . . . . . . 1. Misrepresentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verträge uberrimae fidei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fiduciary relationships. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Weiterer Gang der Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Entwicklung des Prinzips der uberrima fides im Versicherungsvertragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Integration des Seeversicherungsrechts als Teil der lex mercatoria ins englische Recht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die lex mercatoria und ihr Grundprinzip der bona fides . . . . . . . . . . . 2. Lord Mansfields Verdienst bei der Schaffung eines modernen Seeversicherungsrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Internationalität des Seeversicherungsrechts und intellektuelle Verbindungen zum Kontinent . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Entwicklung der Aufklärungspflichten im Versicherungsvertragsrecht des 18. Jahrhunderts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtslage in England vor Carter v Boehm . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Carter v Boehm. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vorvertragliche Aufklärungspflichten im internationalen Versicherungsrecht seit dem 18. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Entwicklung im englischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verschuldensunabhängige Anzeigepflicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Fraudulent concealment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Aufklärungspflichten in der versicherungsrechtlichen Literatur . . . . . a) Park . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Marshall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 13 13 16 22 23 25 26 27 29 31 32 33 33 34 38 41 44 44 46

53 57 58 60 63 63 66

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Inhaltsverzeichnis 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Prinzip der uberrima fides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausweitung der Aufklärungspflicht im 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . a) Lindenau v Desborough. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bates v Hewitt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Endgültiger Durchbruch der weiten Offenbarungspflicht . . . . . . . . d) Uberrima Fides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Uberrima fides im Versicherungsrecht heute. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Umfang der Pflicht für den Versicherungsnehmer: die Grundregel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Test of Materiality . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Subjektiver Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Umstände, die nicht offenbart werden müssen . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Einzelheiten zu den Umständen, die offenbart werden müssen . . . f) Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Dauer der Offenbarungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Gegenseitigkeit des Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . j) Kritik an der geltenden Regel von uberrima fides . . . . . . . . . . . . . . k) Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . l) Statements of Insurance Practice 1977 and 1986 . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vorvertragliche Aufklärungspflichten im deutschen Versicherungsrecht . 1. Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers gemäß §§ 16 ff. VVG. . . . 2. Rechtsfolgen der Anzeigepflichtverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Innerer Geltungsgrund der vorvertraglichen Anzeigepflicht. . . . . . . . . . . . 1. Technische Grundlagen des Versicherungsgeschäfts . . . . . . . . . . . . . . . 2. Traditionelle Begründung der Anzeigepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aleatorischer Charakter des Versicherungsvertrags . . . . . . . . . . . . . b) Geschichtliche Bedeutung von Treu und Glauben für den Versicherungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Treu und Glauben im geltenden deutschen Versicherungsrecht . . . . . . VI. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

C. Entwicklung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten im allgemeinen Vertragsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Grundsatz von caveat emptor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Entwicklung des Grundsatzes von caveat emptor . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Begrenzung von caveat emptor durch die Herausbildung von implied terms. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begrenzung von caveat emptor durch fraud . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Fraud-Begriff in Equity und common law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fraud in Form der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten a) Mellish v Motteux . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Baglehole v Walters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68 69 69 69 71 75 77 78 80 81 83 83 86 87 89 89 92 93 96 96 97 97 100 101 101 102 102 104 105 109 111 111 112 115 119 119 122 123 124

Inhaltsverzeichnis

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c) Horsfall v Thomas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Hill v Gray. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Smith v Hughes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Konstellationen, die keine Aufklärung erfordern . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Erkennbare Mängel (patent defects) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeine Marktverhältnisse und wechselnde Marktlagen . . . . . . c) Werterhöhende Eigenschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorvertragliche Aufklärungspflichten und fraud in der Wissenschaft a) Powell, Colebrooke und Comyn. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Chitty . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Story, Commentaries on Equity Jurisprudence . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Addison, A Treatise on the Law of Contracts . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Leake, The Elements of the Law of Contracts . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Von fraud zu uberrima fides. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die divergierende Entwicklung von fraud in Equity und common law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entstehung der Ausnahmegruppe der Verträge uberrimae fidei . . . . . a) Zur Bedeutung von Anson und Pollock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Pollocks Konzeption der vorvertraglichen Aufklärungspflichten. . c) Ansons Konzeption der vorvertraglichen Aufklärungspflichten. . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rezeption von Ansons und Pollocks Theorie der Verträge uberrimae fidei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Davies v London and Provincial Marine Insurance Company . . . . b) Leake. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Chitty . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Monographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Spencer Bower. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125 126 128 130 131 131 133 136 137 138 141 143 145 146 148

D. Entwicklung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten bei weiteren Vertragstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Sale of Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Defects of Title . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Defects of Quality . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorvertragliche Aufklärungspflichten bei Sugden . . . . . . . . . . . . . . b) Aufklärungspflichten in der Rechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aufklärungspflichten über Sachmängel in der Literatur seit Pollock und Anson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Aufklärungspflichten über Sachmängel beim Grundstückskauf heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Short time lease . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

148 154 154 158 163 166 167 167 169 171 172 175 177 177 177 179 180 181 184 186 187 188

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Inhaltsverzeichnis II. Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklung der Aufklärungspflichten durch die Rechtsprechung . . . a) Pulsford v Richards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Jennings v Broughton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) New Brunswick and Canada Railway and Land Company v Muggeridge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Central Railway Co of Venezuela v Kisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Vorvertragliche Aufklärungspflichten als Gebot von Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Von Treu und Glauben zu uberrima fides . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die heutige gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Suretyship und Guarantee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entwicklung der Aufklärungspflichten durch die Rechtsprechung . . . a) Hamilton v Watson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Railton v Mathews . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) North British Insurance Company v Lloyd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Whythes v Labouchere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Lee v Jones . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Fraud durch die Verletzung von Aufklärungspflichten . . . . . . . . . . 2. Aufklärungspflichten nach der Verengung des fraud-Begriffs . . . . . . . a) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) London General Omnibus Co Ltd v Holloway . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Suretyship – ein Vertrag uberrimae fidei? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einzelheiten der Offenbarungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

E. Uberrima Fides – Anknüpfungspunkt für wiederzuentdeckende europäische Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Uberrima fides heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verlust des übergeordneten Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Das Verhältnis von uberrima fides zu bona fides. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Vorvertragliche Aufklärungspflichten auf der Grundlage von Treu und Glauben – common core des europäischen Privatrechts? . . . . . . . . . . . . . .

189 190 191 193 194 196 197 199 202 204 205 205 206 208 209 210 213 213 214 214 216 220 222 224 224 229 233 233

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Personen- und Sachwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

A. Einleitung I. Treu und Glauben und vorvertragliche Aufklärungspflichten im europäischen Privatrecht 1. Treu und Glauben als Ableitungsbasis für vorvertragliche Aufklärungspflichten Es ist eine alte juristische und moralische Frage, ob Parteien, die über einen Vertrag verhandeln, einander Aufklärung über solche Umstände schulden, die für die Entscheidung über den Vertragsschluß bedeutsam sind. Ist die besser unterrichtete Partei verpflichtet, ihr Wissen mit ihrem Kontrahenten zu teilen, oder darf sie ihren Wissensvorsprung zum Abschluß eines vorteilhaften Vertrages nutzen? Daß keine allgemeine Aufklärungspflicht über sämtliche Umstände, die für die Entschließung der anderen Partei von Bedeutung sein können, bestehen kann, folgt schon aus den regelmäßig widerstreitenden Interessen der Vertragsparteien. Es ist einer Partei allenfalls in begrenztem Umfang zumutbar, ihren eigenen Informationsvorsprung, für dessen Erlangung sie erhebliche Kosten aufgewandt haben kann, preiszugeben. Grundsätzlich ist es Sache jedes Vertragspartners, sich selbst über die für seine Vertragsentscheidung relevanten Tatsachen zu informieren. Doch sind seine Möglichkeiten, die erforderlichen Informationen selbst zu erlangen, nicht selten begrenzt, so daß es einer Aufklärung durch die andere Partei bedarf, um die Voraussetzung für eine informierte, verantwortliche und somit freie Entscheidung zu schaffen. Die Frage nach dem Bestehen vorvertraglicher Aufklärungspflichten bildet einen Ausschnitt aus dem Problemkreis, inwieweit die Vertragsparteien zur Kooperation und Rücksichtnahme auf die Interessen des jeweils anderen verpflichtet sind. Lösungen werden nicht mehr nur auf der Ebene des nationalen Vertragsrechts gesucht. Vor dem Hintergrund der immer weiter voranschreitenden wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Integration in Europa hat sich in der Rechtswissenschaft ein Perspektivenwechsel vollzogen, und man sucht nach europäischen Antworten.1 Im Hinblick auf die 1 Zur Europäisierung des Privatrechts siehe Zimmermann, Europa und das Römische Recht, AcP 202 (2002), 243 ff.; Whittaker/Zimmermann, Surveying the Legal Landscape, S. 8 ff.

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A. Einleitung

mögliche Schaffung eines europäischen Vertragsgesetzbuches2 steht die Rechtswissenschaft vor der Aufgabe, einen gemeinsamen europäischen Kernbestand („common core“) des Vertragsrechts herauszuarbeiten.3 Dies erfordert zunächst eine Bestandsaufnahme der historischen und aktuellen Gemeinsamkeiten der europäischen Rechtsordnungen unter Einschluß des common law. Denn nur ein Fundament, das in der Tradition der beteiligten europäischen Rechtsordnungen verankert ist, ist für ein europäisches Privatrecht wirklich tragfähig. Andernfalls bleibt eine Vereinheitlichung oberflächlich und wird keine Akzeptanz finden. Der Aufgabe, den „common core“ der europäischen Rechtsordnungen zu formulieren, widmet sich die Rechtsvergleichung intensiv seit Beginn der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts. Das Interesse konzentriert sich dabei nicht mehr nur auf die rein technischen Fragen wie zum Beispiel das Zustandekommen von Verträgen, sondern ins Zentrum rückt die Suche nach den verbindenden grundlegenden Wertungen und Prinzipien. Vor allem in den letzten Jahren hat die Frage, ob ein übergeordneter Grundsatz von Treu und Glauben zum „common core“ des europäischen Privatrechts gehört, in der Rechtsvergleichung erhebliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen.4 In einem übergeordneten Grundsatz von Treu und Glauben liegt nach verbreiteter Ansicht der Schlüssel zur Lösung der Frage, inwieweit die Vertragsparteien einander zu Kooperation und gegenseitiger Rücksichtnahme 2 Die baldige Erarbeitung eines europäischen Vertragsgesetzbuches befürworten z. B. Tilmann, Eine EG-Kodifikation des wirtschaftsnahen Zivilrechts, JZ 1991, 1023 ff. und Lando, Is codification needed in Europe, (1993) European Review of Private Law 157 ff. Nach Zimmermann, (1996) 112 LQR 576 ff. ist es noch zu früh für eine Kodifizierung. 3 Whittaker/Zimmermann, Surveying the Legal Landscape, S. 12. 4 Inzwischen gibt es eine reiche rechtsvergleichende Literatur. Vgl. insbesondere Zimmermann/Whittaker (Hrsg.), Good Faith in European Contract Law; Beatson/ Friedman (Hrsg.), Good Faith and Fault in Contract Law; Brownsword/Hird/Howells, Good Faith in Contract: Concept and Context; Hesselink, Good Faith; Kötz, Towards a European Civil Code: The Duty of Good Faith; Ranieri, Bonne Foi et exercice du droit dans la tradition du civil law, RIDC 1998, 1055 ff.; Schlechtriem, Good Faith in German Law and in International Uniform Laws; Sonnenberger, Treu und Glauben – ein supranationaler Grundsatz?; Teubner, Legal Irritants: Good Faith in British Law or How Unifying the Law Ends up in New Divergencies, (1998) 61 MLR 11 ff.; Stapleton, Good Faith in Private Law, (1999) 52 Current Legal Problems 1 ff. Siehe auch folgende Aufsatzsammlungen: La bonne foi (Journées louisianaises), (1992) 43 Travaux de l’Association Henri Capitant; Rabello, Aequitas and Equity: Equity in Civil Law and Mixed Jurisdictions. Auch in Schottland ist das Thema inzwischen auf großes Interesse gestoßen; vgl. insbesondere Forte, Good Faith in Contract and Property. Einen Anstoß für diese Literaturexplosion hat sicherlich der Erlaß der EU-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen gegeben; zu deren Umsetzung in England vgl. Beatson, The Incorporation of the EC Directive on Unfair Consumer Contracts into English Law, ZEuP 6 (1998), 957 ff.

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verpflichtet sind. Nach Ansicht der Verfasser der Principles of European Contract Law, die nach Art der Restatements im US-amerikanischen Recht gemeinsame europäische Regeln des Vertragsrechts formuliert haben, gehört die Pflicht der Vertragsparteien, „[to] act in accordance with good faith and fair dealing“ zum Kernbestand des europäischen Vertragsrechts.5 Trifft das tatsächlich zu? Jedenfalls für die kontinentalen Rechtsordnungen ist dies zu bejahen. Sie stehen in der Tradition des römischen Rechts, für das die bona fides zu den wichtigsten Antriebskräften für die Ausbildung des Vertragsrechts zählte.6 Die bona fides prägte später auch die Entwicklung des Gemeinen Rechts und hat in Form eines allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben Aufnahme in fast alle europäischen Kodifikationen gefunden.7 Treu und Glauben bestimmt nicht nur die Verhaltensgebote während der Vertragserfüllung, sondern bildet auch den Maßstab für vorvertragliche Verhaltenspflichten.8 Der Grundsatz von Treu und Glauben ist daher in den kontinentalen Rechtsordnungen die Ableitungsbasis für vorvertragliche Informationspflichten.9 So kann sich im deutschen Recht eine Partei wegen arglistiger Täuschung vom Vertrag lösen, wenn die andere Partei sie durch das Vorspiegeln falscher oder das Verschweigen wahrer Tatsachen zu einem Irrtum veranlaßt hat, sofern über diese Tatsachen eine Aufklärungspflicht bestand. Nach der in der Rechtsprechung gängigen Formel besteht eine Aufklärungspflicht dann, wenn der Verhandlungspartner die Aufklärung nach Treu und Glauben und der Verkehrsauffassung redlicherweise erwarten darf.10 Arglistig ist die Täuschung, wenn sie zu dem Zweck vorgenommen wird, den 5 Art. 1:201 PECL; Lando/Beale, Principles of European Contract Law; zu diesen Principles siehe Zimmermann, JZ 1995, 477 ff.; Drobnig, Ein Vertragsrecht für Europa, S. 1141, 1149 ff. 6 Zimmermann, Europa und das Römische Recht, AcP 202 (2002), 243, 271 f.; Whittaker/Zimmermann, Surveying the legal landscape, S. 16 ff.; Schermaier, Bona Fides in Roman contract law, S. 63 ff. 7 Whittaker/Zimmermann, Surveying the legal landscape, S. 18 ff.; zur bona fides im Gemeinen Recht siehe Gordley, Good Faith in contract law in the medieval ius commune, S. 93 ff.; Lando/Beale, Principles of European Contract Law, S. 116: „The principle of good faith and fair dealing is recognised or at least appears to be acted on as a guideline for contractual behaviour in all EC-countries.“ Vgl. § 242 BGB, § 2 ZGB (Schweiz), Art. 1134 Code Civil (Frankreich, Belgien, Luxemburg), Art. 1258 Codigo Civil (Spanien), Art. 1375 und 1175 Codice Civile (Italien), Art. 288 ZGB (Griechenland), Art. 762, 334 und 437 Codigo Civil (Portugal), Art. 6:2, 6:248 NBW (Niederlande), Art. 863 II ABGB (Österreich). Vgl. Sandrock, JZ 1996, 9 ff.; Basedow, (1998) 18 Legal Studies 137 ff. 8 Fleischer, S. 979. 9 Fleischer, S. 982 f. 10 Gernhuber, Handbuch des Schuldrechts, § 8 II 7; Palandt/Heinrichs, § 123 Rn. 5; BGH NJW 1989, 764.

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Willen des Getäuschten zu beeinflussen oder wenn zumindest das Bewußtsein vorhanden ist, daß er dadurch beeinflußt werden könnte. Bei Fahrlässigkeit besteht ein Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo, der sich auf Vertragsaufhebung richten kann.11 Ganz ähnlich dem deutschen Recht ist die Regelung der arglistigen Täuschung in den UNIDROIT-Prinzipien, deren Art. 3.8 lautet: „A party may avoid the contract when it has been led to conclude the contract by the other party’s fraudulent representation, including language or practices, or fraudulent non-disclosure of circumstances which, according to reasonable standards of fair dealing, the latter party should have disclosed.“12 Maßgebliche Ableitungsbasis für das Bestehen einer Aufklärungspflicht im Rahmen der Regelung der arglistigen Täuschung sind die Grundsätze von Treu und Glauben und des redlichen Geschäftsverkehrs auch in den Principles of European Contract Law, deren Art. 4:107 lautet: „(1) A party may avoid a contract when it has been led to conclude it by the other party’s fraudulent representation, whether by words or conduct, or fraudulent non-disclosure of any information which in accordance with good faith and fair dealing it should have disclosed.“ Bei der Frage, ob Treu und Glauben und der redliche Geschäftsverkehr die Offenbarung eines Umstandes verlangen, ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die andere Partei die Information vernünftigerweise selbst in Erfahrung bringen konnte. 2. Treu und Glauben und vorvertragliche Aufklärungspflichten im common law Ganz anders stellt sich jedoch die Situation offenbar im englischen common law dar. Es gilt als einer der fundamentalen Unterschiede zwischen dem kontinentaleuropäischen Recht und dem common law, daß dort kein übergeordneter Grundsatz von Treu und Glauben anerkannt wird.13 Dieser Unterschied wirkt sich gerade auch auf die Anerkennung vorvertraglicher Aufklärungspflichten aus. Während im kontinentalen Recht Treu und Glauben den Maßstab für das Verhalten bei Vertragsverhandlungen bildet und als Ableitungsbasis für vorvertragliche Informationspflichten anerkannt ist, 11

Larenz, Allgemeiner Teil, § 20 IV. Die UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts sind abgedruckt in Bonell, An International Restatement of Contract Law. Hierzu Bonell, Das Unidroit-Projekt für die Ausarbeitung von Regeln für Internationale Handelsverträge, (1992) 56 RabelsZ, 274 ff. 13 Lando/Beale, Principles of European Contract Law, S. xxiii. Zimmermann/ Whittaker, Surveying the Legal Landscape, S. 12 ff.; Zimmermann, Roman Law, Contemporary Law, European Law: The Civilian Tradition Today, S. 169 ff., Kötz, Towards a European Civil Code: The Duty of Good Faith, S. 245 ff. 12

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erkennt das common law keine „duty to negotiate in good faith“14 und folglich auch keine allgemeine Regel über vorvertragliche Aufklärungspflichten (duties of disclosure) an. Die traditionelle, vom „robusten Individualismus des 19. Jahrhunderts“15 geprägte Auffassung geht dahin, daß jede Partei selbst für die Beschaffung der Informationen verantwortlich ist, die sie als für ihre Entscheidung wesentlich ansieht. Sie darf nicht erwarten, daß ihr Verhandlungspartner von sich aus solche Informationen preisgibt.16 Diese Haltung wird mit dem Begriff von caveat emptor umschrieben. Beispielhaft hierfür ist folgendes dictum aus dem Urteil Banque Financière v Westgate Insurance Co.: „The general principle that there is no obligation to speak within the context of negotiations for an ordinary commercial contract . . . is one of the foundations of our law of contract, and must have been the basis of many decisions over the years. There are countless cases in which one party to a contract has in the course of negotiations failed to disclose a fact known to him which the other party would have regarded as highly material, if it had been revealed. However, ordinarily in the absence of misrepresentation, our law leaves that other party entirely without a remedy.“17

Grundsätzlich gewährt das common law nur dann einen Rechtsbehelf, wenn eine Vertragspartei durch eine Handlung der anderen Partei getäuscht wurde, also im Fall einer sogenannten misrepresentation. Reines Schweigen erfüllt nicht die Voraussetzung einer rechtlich relevanten Täuschung. Zwar werden „in einigen verstreut umherliegenden Fallgruppen“18 Ausnahmen zu der Regel, daß keine Pflicht zum Reden besteht, anerkannt; die Vorstellung, daß diesen Ausnahmen ein allgemeines Prinzip zugrunde liegt, scheint dem englischen Recht jedoch fremd zu sein. Eine anerkannte Ausnahmegruppe bilden die Verträge uberrimae fidei (contracts of the utmost good faith). Für diese Verträge soll die Pflicht bestehen, den Vertragspartner bei Vertragsschluß über alle vertragswesentlichen Umstände ungefragt zu informieren. In den letzten Jahren hat sich in der Wissenschaft eine lebhafte Diskussion darüber entwickelt, ob man an der traditionellen Ablehnung eines allgemeinen, übergeordneten Grundsatzes von good faith auch in Zukunft festhalten sollte. Die Diskussion hat durch den Prozeß der europäischen Rechtsvereinheitlichung zahlreiche Anregungen erfahren.19 So mag das verstärkte Interesse an good faith mitausgelöst worden sein durch die Umset14

So ausdrücklich Walford v Miles [1992] 2 AC 128, 138. Atiyah, Introduction to the Law of Contract, S. 247. 16 Zweigert/Kötz, S. 423. 17 Banque Financière v Westgate Insurance Co. [1989] 2 All E.R. 952, 1010. 18 Kötz/Flessner, Europäisches Vertragsrecht, S. 310. 19 „More recently the prevailing legal wind has been from continental Europe and the European Community (,EC‘). It is from there, perhaps, that a doctrine of 15

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zung der EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen20 in die Unfair Terms in Consumer Contracts Regulation 1994, wonach Klauseln in englischen Verbraucherverträgen nun einem Erfordernis von good faith genügen müssen. Dadurch wurden englische Juristen gezwungen, sich mit diesem Begriff auseinanderzusetzen und ihn mit Inhalt zu füllen. Dies führte dazu, daß nun auch für Bereiche, in denen die Geltung des Grundsatzes von good faith nicht durch das europäische Recht vorgegeben ist, diskutiert wird, ob die Anerkennung eines übergeordneten Grundsatzes von Treu und Glauben im englischen Recht wünschenswert ist.21 Das Spektrum der vertretenen Ansichten reicht von strikter Ablehnung eines solchen Grundsatzes aus systemimmanenten Gründen bis zur Forderung nach der offenen Anerkennung eines ausdrücklichen Prinzips von good faith in Vertragsbeziehungen. Die Ablehnung eines allgemeinen Grundsatzes von good faith läßt sich schon mit dem im englischen Recht verbreiteten Mißtrauen gegenüber zu weit formulierten allgemeinen Prinzipien erklären. Traditionell schreitet man vorsichtig von Fall zu Fall voran und vermeidet es, umfassende Prinzipien zu formulieren.22 Der Grundsatz von Treu und Glauben gilt als ein zu schwammiges Prinzip, um klare Leitlinien für die Lösung von Vertragsstreitigkeiten vorzugeben.23 Statt dessen würden durch diesen Grundsatz das komplexe Zusammenspiel von Rechtslehre, Fallrecht und Gesetzgebung, das außerhalb der realistischen Reichweite spontaner menschlicher Erwägungen liege, ausgehebelt und juristisch wohlbegründete Entscheidungen durch eine reine Billigkeitsrechtsprechung ersetzt.24 good faith will cross the Channel to England. Indeed, it is from Europe that to some extent it has crossed already,“ Clarke, (1993) 23 HKLJ 318, 320 ff. 20 EG-Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993, ABl EG Nr. L 95 vom 21.4.1993, S. 29. 21 Zur Diskussion über die Rolle von good faith im englischen Recht siehe z. B. Carter/Furmston, Good Faith and Fairness in the Negotiation of Contracts, (1994) 8 Journal of Contract Law, 1 ff.; Lord Staughton, Good Faith and Fairness in Commercial Contract Law, (1994) 7 Journal of Contract Law 193 ff. 22 Steyn, A Hair-Shirt Philosophy, S. 1; Kötz, Towards a European Civil Code: The Duty of Good Faith, S. 246; Bridge, (1984) 9 Canadian Business Law Journal 412, 413; Goode, Commercial Law, S. 100; van Erp, S. 117, 122. 23 Nicholas, S. 180 f.: „. . . plainly the formulation in terms of good faith and fair dealing poses as many questions as it answers“; Waddams, S. 253: „. . . this formulation clearly has the merit of flexibility, but it provides little guidance for the disposition of an actual dispute“, das common law bevorzuge handhabbare und rechtssichere Regeln. 24 „. . . good faith is an invitation to judges to abandon the duty of legally reasoned decisions and to produce an unanalytical incantation of personal values“, Bridge, (1984) 9 Canadian Business Law Journal 412, 413; „. . . there is a strongly argued case against the introduction of a general principle of good faith into Eng-

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Das Vertragsrecht des common law ist hauptsächlich auf die Bedürfnisse des Handels zugeschnitten und deshalb traditionell besonders dem Verkehrsschutz verpflichtet. Das englische Recht ist nach wie vor die bedeutendste Rechtsordnung für den internationalen Handel.25 Nach einer in England weitverbreiteten Ansicht ist der Handel aber vor allem an der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit des Ergebnisses bei der Lösung von Vertragsstreitigkeiten interessiert, denn Geschäftsleute müßten wissen, wo sie stehen.26 Der Vorhersehbarkeit des Ergebnisses eines Rechtsstreits wird deshalb der Vorzug gegenüber Gerechtigkeit in jedem Einzelfall gegeben.27 Teilweise wird die Anerkennung eines übergreifenden Grundsatzes von Treu und Glauben schlicht für überflüssig gehalten, weil angemessene Ergebnisse sich bereits durch die vorhandenen Rechtsinstitute erzielen ließen.28 Beispielhaft für diese Haltung ist folgendes dictum von Bingham, LJ: „English law has, characteristically, committed itself to no such overriding principle but has developed piecemeal solutions in response to demonstrated problems of unfairness.“29 Es gibt aber auch Stimmen, die die Anerkennung eines übergeordneten Grundsatzes von Treu und Glauben für wünschenswert halten, weil er die Rationalität der Rechtsfindung im Vertragsrecht erhöhen würde.30

lish law. The fear is that reasoned analysis would fall victim to idiosyncratic and inconsistent decisionmaking“, Hooley, (1990) 49 Cambridge LJ 515, 517. 25 Kötz, Towards a European Civil Code: The Duty of Good Faith, S. 256 f.; Lord Goff, Opening Address, (1992) 5 Journal of Contract Law 2 berichtet aus seiner Praxis am Commercial Court, daß in fast allen Prozessen mindestens eine der Parteien nicht in England ansässig war. 26 Steyn, (1997) 113 LQR 433; Adams/Brownsword, S. 184 ff.; Beatson, (1997) 56 CLJ 291, 305. 27 Goode, The Concept of Good Faith in English Law, S. 7; das englische Recht toleriere „a certain moral insensitivity in the interest of economic efficiency“, Nicholas, S. 187; ein Beispiel aus der Rechtsprechung bietet Bell v Lever Bros. Ltd [1932] AC 161, 229: „Nevertheless it is of greater importance that well established principles of contract should be maintained than that a particular hardship should be redressed; and I see no way of giving relief to the plaintiffs in the present circumstances except by confiding to the Courts loose powers of introducing into contracts terms which would serve only to introduce doubt and confusion where certainty is essential.“ 28 Sogenannte „pragmatic thesis“ Cohen, S. 32; Steyn, (1997) 113 LQR 442. Ausführlich zu den „piecemeal solutions“: Whittaker/Zimmermann, Surveying the Legal Landscape, S. 45 ff.; Powell, (1956) 9 CLP 16, 23 ff. 29 Interfoto Picture Library Ltd v Stiletto Visual Programmes Ltd [1988] 1 All E.R. 348. 30 Brownsword, (1994) 7 JCL 197, 208, 243; Adams/Brownsword, S. 198 ff.; 211, 253 f.; Lücke, S. 181 ff.; Collins, The Law of Contract, S. 187 ff.

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Die Diskussion um die Anerkennung eines „overriding principle of good faith“ spiegelt sich wider in der Frage, ob das englische Recht eine allgemeine vorvertragliche Aufklärungspflicht anerkennen sollte. Vertragliche und vorvertragliche Aufklärungspflichten stoßen auf ein wachsendes wissenschaftliches Interesse. Einschlägig ist noch immer vor allem Spencer Bowers mehr als 700 Seiten umfassende Monographie „The law relating to actionable non-disclosure“ aus dem Jahr 1915,31 die 1990 in einer von Turner und Sutton überarbeiteten Fassung in zweiter Auflage erschien. Alle Lehrbücher zum Vertragsrecht widmen den Aufklärungspflichten einen eigenen Abschnitt. Erwähnenswert ist die Abhandlung „Contractual Nondisclosure. An Applied Study in Modern Contract Theory“ von Duggan/Bryan/Hanks, außerdem setzen sich einige Aufsätze32 und rechtsvergleichende Arbeiten mit vorvertraglichen Aufklärungspflichten auseinander.33 Die Vertreter der sogenannten repugnancy-These sind der Auffassung, daß eine Pflicht, sich innerhalb oder bei der Anbahnung einer Vertragsbeziehung entsprechend den Geboten von good faith zu verhalten, dem natürlichen Interessengegensatz der Vertragsparteien widerspreche.34 Die Ablehnung vorvertraglicher Aufklärungspflichten soll der individualistischen Grundhaltung des englischen Vertragsrechts entsprechen, die es als legitim ansieht, daß das Verhalten bei Vertragsverhandlungen auf eigennützige Interessenverfolgung ausgerichtet ist und die Eigenverantwortlichkeit betont.35 Vertragsfreiheit und Vertragsverbindlichkeit gelten als die Fixsterne des englischen Vertragsrechts; die Parteien hätten die Freiheit, ihre Vertrags31 So wurde dieses Werk in der wichtigsten Entscheidung zum Bereich der vorvertraglichen Aufklärungspflichten der letzen Jahre zitiert: Banque Keyser Ullmann SA v Skandia Insurance Co Ltd [1990] 1 QB 665, 774. 32 Zu nennen sind insbesondere Finn, Good Faith and Nondisclosure, in Essays on Tort, S. 150 ff.; Bridge, (1984) 9 Canadian Business Law Journal 412 ff.; Waddams, Pre-contractual Duties of Disclosure, in: Cane/Stapleton, Essays for Patrick Atiyah, S. 237 ff. 33 Siehe hierzu die Nachweise unter I. 5. 34 „. . . the concept of a duty to carry on negotiations in good faith is inherently repugnant to the adversarial position of the parties when involved in negotiations. Each party to the negotiations is entitled to pursue his (or her) own interest, so long as he avoids making misrepresentations. A duty to negotiate in good faith is as unworkable in practice as it is inherently inconsistent with the position of the negotiating parties . . .“, Walford v Miles [1992] 2 AC 128, 138 per Lord Ackner; vgl. S. A. Smith, (1994) CLP 8 ff. 35 „. . . a contract tradition with its strong emphasis upon the legitimacy of selfinterest as the governing motive“, Lücke, S. 66; Finn, Good Faith and Nondisclosure, S. 150, 159 spricht von self-responsibility und self-reliance; Treitel, An Outline of the Law of Contract, S. 161; Kötz, Towards a European Civil Code: The Duty of Good Faith, S. 255.

I. Vorvertragliche Aufklärungspflichten im europäischen Privatrecht

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partner auszuwählen und sich über den Vertragsinhalt zu verständigen, würden aber an dem einmal geschlossenen Vertrag unerbittlich festgehalten.36 Gegen eine allgemeine vorvertragliche Aufklärungspflicht werden hauptsächlich Argumente der Rechtssicherheit ins Feld geführt. Unsicherheit soll dadurch entstehen, daß sich die Grenzen einer solchen Aufklärungspflicht nicht klar bestimmen ließen.37 Als wichtigstes Argument gegen eine vorvertragliche Aufklärungspflicht wird die Transaktionssicherheit genannt, deshalb soll die Gültigkeit von Verträgen nicht in größerem zeitlichen Abstand in Frage gestellt werden können.38 Mit diesen Argumenten wurde erst in neuerer Zeit der Anerkennung einer allgemeinen vorvertraglichen Aufklärungspflicht durch die Queen’s Bench Division eine ausdrückliche Absage erteilt: „The law cannot police the fairness of every commercial contract by reference to moral principles. It frequently appears with hindsight, as in this case, that one contracting party had knowledge of facts, which, if communicated to the other party would have protected him from loss. However, subject to well recognised exceptions, the law does not and should not undertake the reopenening of commercial transactions in order to adjust such losses.“39

Gegen eine Informationspflicht werden auch ökonomische Argumente vorgebracht. In einer Wettbewerbsgesellschaft müssen Anreize erhalten bleiben, die es lohnend erscheinen lassen, sich Informationen über wertsteigernde Eigenschaften, Nutzungsmöglichkeiten und Absatzchancen von Gütern und Leistungen zu verschaffen. Der Anreiz zur Informationsbeschaffung ginge verloren, wenn man einen Informationsvorsprung nicht in gewinnbringende Geschäfte umsetzen dürfte, sondern bei den Vertragsverhandlungen preisgeben müßte.40 Überlegene Kenntnis beruht oft auf einer kostspieligen Informationssuche und stellt folglich ein Wirtschaftsgut dar, dessen Preisgabe die Rechtsordnung nicht ohne weiteres verlangen darf.41 36

Adams/Brownsword, S. 184. Treitel, The Law of Contract, S. 362; Atiyah, An Introduction to the Law of Contract, S. 248; McKendrick, S. 194. In English Private Law, Band II, Rn. 8.189 führt Treitel dies sogar als einziges Argument gegen eine vorvertragliche Aufklärungspflicht an: „The rule is based on the difficulty of specifying which of the many facts known to each party and affecting the bargain would need to be disclosed.“ 38 „Finality of transactions is probably the strongest argument in favour of the existing law“, Waddams, S. 252; Kötz, Towards a European Civil Code: The Duty of Good Faith, S. 246. 39 Banque Keyser Ullmann SA v Skandia Insurance Co Ltd [1990] 1 QB 665, 802. 40 Große Aufmerksamkeit hat der Aufsatz „Mistake, Disclosure, Information, and The Law of Contracts“ von Kronman, (1978) 7 JLS 1, 15 ff. erlangt. 41 Strittig ist, ob der Erwerber sein Wissen auch dann für sich behalten können soll, wenn er es nur zufällig erlangt hat, dagegen Kronman, (1978) 7 JLS 1, 15 ff.; 37

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3. Treu und Glauben – ein unüberwindbarer Gegensatz zwischen kontinentalem Recht und common law? Zwischen den kontinentalen Rechtsordnungen und dem common law scheint damit in der Frage nach einem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben und einer daraus abgeleiteten vorvertraglichen Aufklärungspflicht ein unüberwindbarer Gegensatz zu bestehen. Damit entspräche Art. 4:107 der Principles of European Contract Law, wonach eine Partei sich vom Vertrag lösen kann, wenn sie durch das Verschweigen eines Umstandes, dessen Offenbarung „good faith and fair dealing“ geboten hätten, zum Vertragsschluß veranlaßt wurde, nicht dem common core der europäischen Rechtsordnungen unter Einschluß des common law. Vielmehr wäre diese Regel Ausdruck eines Mehrheitsentscheids, der dem common law einen Fremdkörper aufzwingt. Dieser scheinbar so tiefgreifende Unterschied bot Anlaß für die erste Studie des „Common Core of European Private Law“ Projekts,42 deren Ergebnisse in dem Sammelband „Good Faith in European Contract Law“43 veröffentlicht wurden. Im Zentrum der Studie stehen dreißig typische Fallkonstellationen, die von Juristen aus vierzehn westeuropäischen Rechtsordnungen jeweils nach ihrem nationalen Recht gelöst wurden. Dabei war in elf Fällen das Ergebnis überall dasselbe, in neun Fällen kamen nur jeweils eine oder zwei Rechtsordnungen zu einem anderen Ergebnis als alle anderen und in den restlichen Fällen bestanden erhebliche Unterschiede zwischen den Lösungen.44 Anders als der oben aufgezeigte Gegensatz von kontinentalen Rechtsordnungen und common law erwarten läßt, war es keineswegs immer das common law, das in Ermangelung eines übergeordneten Grundsatzes von Treu und Glauben zu einem abweichenden Ergebnis gelangt wäre. Insgesamt hat die Studie gezeigt, daß das common law über Mechanismen verfügt, mit denen es auch ohne die Anerkennung eines übergeordneten Grundsatzes von Treu und Glauben zu mit den kontinentalen Rechtsordnungen vergleichbaren Ergebnissen gelangt. Verbleibende Unterschiede der Ergebnisse in den Rechtsordnungen haben ihren Grund nicht unbedingt Anson-Beatson, Law of Contracts, S. 257; Atiyah, An Introduction to the Law of Contract, S. 247; Beatson, (1997) 56 Cambridge Law Journal, 291, 304. Dafür Legrand, (1986) 6 Oxford Journal of Legal Studies 322, 345. 42 Sie geht zurück auf das Jahr 1994; zu ihrer Genese vgl. Whittaker/Zimmermann, Surveying the legal landscape, S. 57 ff. Zu diesem Projekt vgl. Bussani/Mattei, The Common Core Approach to European Private Law, (1997/98) 3 Columbia Journal of European Law 339 ff. und die Beiträge zu Bussani/Mattei (Hrsg.), Making European Law: Essays on the „Common Core“ Project. 43 Zimmermann/Whittaker (Hrsg.). 44 Für eine ausführliche Analyse siehe Whittaker/Zimmermann, Coming to terms with good faith.

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in der Anerkennung oder Nichtanerkennung eines solchen Grundsatzes, andernfalls wäre nicht zu erklären, daß die Bruchlinie nicht immer oder auch nur in der Regel entlang der common law/civil law Grenze verläuft. Nur in einem Fall war es tatsächlich das common law, das als einzige Rechtsordnung eine andere Lösung als alle kontinentalen Rechtsordnungen vertrat.45 Dieser Fall betraf den Fragenkreis der vorvertraglichen Aufklärungspflichten. Ein Kunsthändler hatte von einem Privatmann ein Bild erworben, bei dem es sich, wie er sofort erkannte, um einen echten Degas handelte. Der Verkäufer wußte nur, daß das Bild alt ist, jedoch nicht, wer der Künstler und wie wertvoll es deshalb war. Der Kunsthändler behielt seine Expertise für sich und erwarb das Bild erheblich unter Wert. Anders als in den anderen Rechtsordnungen kann sich der Verkäufer im englischen Recht nicht von dem ungünstigen Geschäft lösen.46 Für den Bereich der vorvertraglichen Aufklärungspflichten scheint sich also in der Tat ein tiefer Graben zwischen dem Kontinent und England aufzutun. Daß das common law in einer bestimmten Konstellation zu einem abweichenden Ergebnis gelangt, muß aber nicht zwangsläufig bedeuten, daß die Ursache dafür in der generellen Ablehnung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht liegt, ebensowenig wie sich in den anderen Fällen die abweichenden Ergebnisse schlicht mit der Geltung oder Nichtgeltung eines übergeordneten Grundsatzes von Treu und Glauben erklären ließen. Was sich für den allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben gezeigt hat, bestätigt sich möglicherweise auch für den Problemkreis der vorvertraglichen Aufklärungspflichten. Obwohl das englische Recht keine allgemeine auf Treu und Glauben basierende vorvertragliche Aufklärungspflicht anerkennt, ist es vorstellbar, daß es über Funktionsäquivalente verfügt, mit denen sich vergleichbare Ergebnisse erzielen lassen. 4. Uberrima Fides – Funktionsäquivalent für Treu und Glauben Als ein denkbares Funktionsäquivalent, mit dem möglicherweise dieselben Wertentscheidungen verwirklicht werden wie durch eine auf Treu und Glauben gründende vorvertragliche Aufklärungspflicht, bieten sich die Ver45

Zimmermann/Whittaker, S. 208 ff. Zur Lösung des Falles im englischen Recht siehe Zimmermann/Whittaker, S. 226 ff.; auf die Frage, ob der Käufer den Verkäufer über werterhöhende Eigenschaften des Kaufgegenstandes informieren muß, wird noch zurückzukommen sein. Die Fallkonstellation war so gewählt, daß der Verkäufer erkennbar auf die Expertise des Käufers vertraut hat. Wäre dies nicht der Fall gewesen, ist fraglich, ob tatsächlich alle Rechtsordnungen eine Aufklärungspflicht bejaht hätten. Auch im englischen Recht wäre es denkbar, bei Vorliegen eines besonderen Vertrauens über die Annahme einer sog. fiduciary relationship eine Aufklärungspflicht anzuerkennen. 46

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träge uberrimae fidei an. Diese bilden eine Ausnahme zu der Regel, daß im englischen Recht keine vorvertraglichen Aufklärungspflichten bestehen. Schon wegen des Begriffs uberrima fides drängt sich die Frage nach dem Verhältnis zu Treu und Glauben auf. Uberrima fides bedeutet „höchster guter Glaube“, im römischen Recht war dieser Ausdruck jedoch nicht gebräuchlich.47 Allein die Bezeichnung legt nahe, daß über die Kategorie der Verträge uberrimae fidei Wertungen in das englische Recht einfließen, die etwa im deutschen Recht qua Treu und Glauben verwirklicht werden. Dem kontinentalen Recht ist diese Kategorie völlig fremd, auch das läßt eine Untersuchung reizvoll erscheinen. Reichen die Anforderungen, die uberrima fides an das Verhalten der Vertragspartner stellt, tatsächlich weiter als die der bona fides, wie die Verwendung des Superlativs vermuten läßt? Was läßt sich aus der Kategorie der Verträge uberrimae fidei für die Bedeutung von Treu und Glauben im allgemeinen Vertragsrecht ableiten? Bedeutet die Geltung von uberrima fides für einige Vertragstypen, daß auf die übrigen Verträge bona fides anzuwenden ist? Nach Ansicht Powells ist das Gegenteil der Fall.48 Der Superlativ uberrima fides sei lediglich eine Hyperbel und meine nichts anderes als good faith. Die Tatsache, daß diese Gruppe von Verträgen als etwas Besonderes angesehen werde, belege, daß für andere Verträge gerade kein übergeordneter Grundsatz von good faith gelte. Spencer Bower und ihm folgend Turner/Sutton in der Neuauflage sind der Ansicht, der Begriff uberrima fides sei unglücklich gewählt, weil er einen unterschiedlichen Grad von good faith impliziere, tatsächlich sei der Unterschied nicht gradueller, sondern grundsätzlicher Art.49 Während good faith in gewöhnlichen Verträgen verlange, daß die Parteien keine irreführenden Angaben machen (duty of veracity), verlange uberrima fides die umfassende Offenlegung aller vertragswesentlichen Umstände (duty of candour). Hinzu kommt, daß das englische Recht nicht schon immer eine so strenge Haltung gegenüber einem allgemeinen Grundsatz von good faith50 und vorvertraglichen Aufklärungspflichten eingenommen hat wie heute. In jüngster Zeit haben einige Autoren darauf aufmerksam gemacht, daß bis in 47 „Uberrima“ ist der Superlativ von „uber“ = reichlich, reich, reichhaltig, siehe Stowasser, Der Kleine Stowasser: Lateinisch-deutsches Schulwörterbuch, 2. Auflage 1987. Überprüft wurden auf den Ausdruck „uberrima fides“ die Digesten (mit CDROM) ohne Ergebnis. Es ist jedoch nicht ungewöhnlich, daß sich in der englischen Rechtssprache lateinische Ausdrücke finden, die kein Vorbild in den römischen Quellen haben: „We do have our own Latin – and you can be sure that it bears no relationship to what the Romans would have used in the good old days . . .“, Goode, The Concept of „Good Faith“ in English Law, S. 8. 48 Powell, (1956) 9 CLP 16, 25. 49 Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 6.02. 50 O’Connor, S. 39; Goode, The Concept of Good Faith in English Law, S. 3.

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das 19. Jahrhundert die Gebote von Treu und Glauben über den Nichtigkeits- bzw. Anfechtungsgrund „fraud“ verwirklicht wurden, der damals einen weiteren Anwendungsbereich hatte als heute. Im geltenden Recht kann sich eine Partei nur dann wegen fraud von einem Vertrag lösen, wenn die andere Partei sie vorsätzlich über das Vorliegen einer Tatsache getäuscht hat. Voraussetzung ist eine unrichtige Aussage, das Verschweigen einer Tatsache erfüllt den Tatbestand nicht. Früher schien dagegen ein weiteres Verständnis von fraud zu herrschen, das einer Partei erlaubte, sich von einem Vertrag zu lösen, wenn die andere Partei gegen die Gebote von Treu und Glauben verstoßen hatte.51 Ein solcher Verstoß gegen Treu und Glauben konnte gleichermaßen in dem Verschweigen von Umständen wie in dem Behaupten falscher Tatsachen liegen.52 Barry Nicholas hat darauf hingewiesen, daß sich im späten 18. Jahrhundert Anzeichen dafür finden, daß der Ansatz, vorvertragliche Aufklärungspflichten aus einem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben abzuleiten, auch im englischen Recht hätte Fuß fassen können.53 Zum Beleg führt er unter anderem die Entscheidung von Lord Mansfield in Carter v Boehm an, in der es heißt: „Good faith forbids either party by concealing what he privately knows, to draw the other into a bargain, from his ignorance of that fact, and his believing the contrary.“54 Interessanterweise ist Carter v Boehm die Entscheidung, auf die heute das Prinzip von uberrima fides zurückgeführt wird. Dies weist auf einen unmittelbaren Zusammenhang von uberrima fides mit bona fides hin. Die Untersuchung der Entwicklungsgeschichte der Verträge uberrimae fidei läßt damit einen Beitrag zur Klärung der Frage erwarten, ob good faith auch unter Einschluß des common law zum common core der europäischen Rechtsordnungen gehört. 5. Rechtsvergleichende Untersuchungen Vorvertragliche Aufklärungspflichten stoßen in jüngerer Zeit als eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben zunehmend auf das Interesse der Rechtsvergleichung. Bereits im Jahre 1964 publizierten Edith Kessler und Friedrich Fine einen Aufsatz mit dem Titel „Culpa in contrahendo, Bargaining in Good Faith, and Freedom of Contract: A Comparative 51 Harrison, Rn. 3.03, fraud hatte nicht schon immer die Konnotation der Unehrlichkeit. 52 Whittaker/Zimmermann, Surveying the Legal Landscape, S. 43, zum Beleg ziehen sie Chitty, A Treatise on the Laws on Commerce and Manufacturers and the Contracts relating thereto, vol. III, A Treatise on Commercial Law von 1824 heran; Waddams, S. 238. 53 Nicholas, S. 168. 54 (1766) 3 Burr 1905, 1910; 97 ER 1162, 1164.

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A. Einleitung

Study“,55 in dem sie aufzeigen, mit welchen Mitteln das common law, dem eine der culpa in contrahendo vergleichbare Haftungsgrundlage fehlt, in vielen Konstellationen trotzdem zu ähnlichen praktischen Ergebnissen gelangt. Die Länderberichte des XIII. Kongresses der „International Academy of Comparative Law“ in Montréal zum Thema „Precontractual Liability“ setzen sich unter anderem mit vorvertraglichen Informationspflichten auseinander.56 Es sind eine Reihe vergleichender Abhandlungen erschienen, in denen die Position des englischen Rechts vor allem derjenigen des französischen Rechts, wo besonders weitreichende Aufklärungspflichten anerkannt sind, gegenübergestellt wird.57 Einen Vergleich der Behandlung vorvertraglicher Informationspflichten im englischen und deutschen Recht bietet Georg Müller.58 Die jüngst erschienene Habilitationsschrift von Holger Fleischer zu vorvertraglichen Informationspflichten enthält einen ausführlichen rechtsvergleichenden Teil mit zahlreichen Länderberichten. Den Verträgen uberrimae fidei widmen diese Arbeiten jedoch nur vergleichsweise kleine Abschnitte. Eine historisch vergleichende Untersuchung der Verträge uberrimae fidei ist nicht bekannt. Uberrima fides wird hauptsächlich als Spezialität des Versicherungsrechts wahrgenommen und hat als solche nicht die Aufmerksamkeit der Rechtsvergleichung auf dem Gebiet des allgemeinen Vertragsrechts auf sich gezogen.

II. Vorvertragliche Aufklärungspflichten im englischen Recht Im englischen Recht existiert keine der culpa in contrahendo vergleichbare Haftungsgrundlage.59 Es gibt verschiedene Rechtsinstitute, mit denen sich Informationsprobleme bewältigen lassen, diese bilden jedoch kein in sich geschlossenes System. Das Hauptinstrument zum Schutz der Willensfreiheit, das viele der Sachverhaltskonstellationen erfaßt, die im deutschen 55

(1964) 77 Harvard Law Review 401 ff. Länderbericht des XIII. Kongresses der International Academy of Comparative Law in Montreal: Hondius (Hrsg.), Precontractual Liability, Reports to the XIIIth Congress, International Academy of Comparative Law, Montreal, Canada, 18–24 August 1990, 1991. 57 Nicholas, The Pre-contractual Obligation to Disclose Information: The English Report; Ghestin, The Pre-contractual Obligation to Disclose Information: The French Report, beide Aufsätze sind erschienen in Harris/Talon (Hrsg.), Contract Law Today, Anglo-French Comparisons; Legrand, (1986) 6 Oxford Journal of Legal Studies 322 ff.; idem, (1991) 19 Canadian Business Law Journal 318 ff.; van Erp, The Formation of Contracts; siehe auch Kötz/Flessner, Europäisches Vertragsrecht, S. 310 ff.; Zweigert/Kötz, S. 422. 58 Müller, Vorvertragliche und vertragliche Informationspflichten nach englischem und deutschem Recht, 1994. 59 Kessler/Fine, (1964) 77 Harvard Law Review 401. 56

II. Vorvertragliche Aufklärungspflichten im englischen Recht

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Recht mit der culpa in contrahendo gelöst werden, ist die misrepresentation.60 Weitere Rechtsfiguren, die sich zur Reaktion auf informationelles Ungleichgewicht eignen, sind der Irrtum (mistake), die deliktische Fahrlässigkeitshaftung (negligence) und die kaufrechtliche Gewährleistung. 1. Misrepresentation Voraussetzung der misrepresentation ist eine unzutreffende Erklärung über gegenwärtige oder zukünftige Tatsachen. Nicht erfaßt werden verkehrsübliche Anpreisungen (mere puffs),61 bloße Meinungsäußerungen62 und Zukunftsprognosen.63 Strittig ist, ob eine unzutreffende Aussage zur Rechtslage eine misrepresentation darstellt.64 Weiter muß die Erklärung eindeutig sein und sich auf einen wesentlichen Umstand beziehen, es sei denn, die Falschangabe erfolgte vorsätzlich. Die Wesentlichkeit kann vertraglich vereinbart werden.65 Schließlich muß der Getäuschte im Vertrauen auf die Richtigkeit der Aussage, auf die er auch vertrauen durfte, den Vertrag geschlossen haben. Eine falsche Angabe löst somit keine Rechtsfolgen aus, wenn der Vertragspartner sie gar nicht zur Kenntnis genommen hat, wenn er die Wahrheit kannte, wenn er den Vertrag auch in Kenntnis der wahren Tatsachen geschlossen hätte oder wenn er sich auf seine eigenen Informationen verlassen hat.66 Ob der Getäuschte auf die unzutreffende Angabe seines Vertragspartners vertrauen durfte, obwohl er selbst die Möglichkeit gehabt hätte, die Wahrheit herauszufinden, wird unterschiedlich beantwortet, je nachdem ob der Täuschende vorsätzlich oder fahrlässig handelte. Wenn man von dem Getäuschten vernünftigerweise erwarten konnte, daß er sich der ihm zur Verfügung stehenden Informationsmittel bedient, um zu überprüfen, ob die Angabe zutrifft, und er dies unterläßt, dann kann er wegen einer falschen Angabe, die nicht vorsätzlich erfolgte, keine Rechte aus misrepresentation ableiten.67 Die Rechtsfolgen der misrepresentation sind abhängig vom subjektiven Tatbestand. Es wird unterschieden zwischen unverschuldeter (innocent), fahrlässiger (negligent) und vorsätzlicher (fraudulent) Täuschung. Das 60

Müller, S. 20. Dimmock v Hallett (1866) LR 2 Ch App 21. 62 Anderson v Pacific & Fire Marine Insurance (1872) LR 7 CP 65; Bisset v Wilkinson [1927] AC 177. 63 Treitel, The Law of Contract, S. 306 f. 64 Treitel, The Law of Contract, S. 307 ff.; Spencer Bower/Turner, The Law relating to actionable misrepresentation, Rn. 36–42. 65 Treitel, The Law of Contract, S. 311. 66 Treitel, The Law of Contract, S. 312 f. 67 Treitel, The Law of Contract, S. 313 f., Smith v Eric S Bush [1990] 1 AC 831. 61

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A. Einleitung

Recht, sich vom Vertrag durch einseitige Gestaltungserklärung zu lösen (rescission), besteht grundsätzlich für jede Form der misrepresentation.68 Schadensersatzansprüche werden als deliktische Ansprüche qualifiziert.69 Sie bestehen im Fall einer fraudulent misrepresentation unter den Voraussetzungen des tort of deceit. Für fahrlässig unrichtige Erklärungen bestehen konkurrierende Schadensersatzansprüche aus dem tort of negligence und Section 2 (1) Misrepresentation Act 1967.70 Als Hauptproblem für die Bewältigung vorvertraglicher Informationspflichten mit Hilfe des Tatbestands der misrepresentation stellt sich das Tatbestandsmerkmal der aktiven Täuschungshandlung. Bloßes Schweigen erfüllt die Tatbestandsvoraussetzungen nicht. Das Rechtsinstitut der misrepresentation schützt daher nicht die Willensfreiheit einer Partei, der nur eine Information vorenthalten wurde, solange ihr nicht gleichzeitig eine unzutreffende Information übermittelt wurde. Diese scharfe Trennung zwischen Tun und Unterlassen macht es schwierig, Fälle zu erfassen, in denen das stillschweigende Ausnutzen eines Informationsvorsprungs unbillig erscheint. Grundsätzlich darf jede Partei bei Vertragsverhandlungen schweigen, nur wenn sie sich zum Reden entschließt, ist sie verpflichtet, die Wahrheit zu sagen.71 Eine Pflicht zur spontanen Offenbarung vertragswesentlicher Informationen besteht nur in einigen eng umgrenzten Ausnahmetatbeständen. Wenn sich ein Fall keiner anerkannten Ausnahme unterordnen läßt, kann sich eine Vertragspartei nicht darauf berufen, daß die andere Partei den Umstand hätte offenbaren müssen, selbst wenn die vertragliche Fairneß dies verlangt hätte. Die Regel, nach der Schweigen den Tatbestand der misrepresentation nicht erfüllt, wird dadurch abgemildert, daß eine „representation of fact“ auch konkludent erfolgen kann. Die Rechtsprechung verfährt bei der Annahme einer konkludenten Erklärung sehr großzügig.72 Nach der Formulierung von Lord Campbell kann bereits „a nod or a word or a wink or a 68 Ausführlich hierzu: Müller, S. 34 ff.; Treitel, The Law of Contract, S. 342 ff. In Fällen, in denen die Vertragsauflösung als Rechtsfolge der misrepresentation unangemessen ist, kann das Gericht unter den Voraussetzungen von Section 2 (2) Misrepresentation Act 1967 statt dessen auch Schadensersatz zusprechen, vgl. hierzu Müller, S. 38 ff. 69 Ausführlich zu den Schadensersatzansprüchen für misrepresentation siehe Treitel, The Law of Contract, S. 317 ff.; Müller, S. 41 ff. 70 Mittlerweile hat sich die Auffassung durchgesetzt, daß auch die Ansprüche aus Section 2 (1) Misrepresentation Act 1967 deliktischer Natur sind, vgl. Treitel, The Law of Contract, S. 334 ff. m. w. N. 71 In den Worten von Harrison, Rn. 2.20: normalerweise bestehe nur eine „duty of accuracy“ im Gegensatz zu einer „duty of candour“. 72 Nicholas, S. 171 nennt „extensive interpretation of what constitutes a representation“ als einen Weg der „mitigations of caveat emptor“.

II. Vorvertragliche Aufklärungspflichten im englischen Recht

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shake of the head or a smile“, das einen unzutreffenden Eindruck erwecken soll, genügen.73 So entspricht die Vornahme einer Handlung, um einen Mangel der Kaufsache zu verbergen, der konkludenten Aussage, daß der Mangel nicht existiert, z. B. das Übermalen des Hausschwamms in dem zum Verkauf stehenden Haus. Als misrepresentation werden außerdem Halbwahrheiten (pregnant halftruths) angesehen. Dies sind Aussagen, die wörtlich genommen zwar nicht falsch, jedoch unvollständig und deshalb in ihrer Gesamtaussage irreführend sind.74 So liegt eine misrepresentation vor, wenn der Anwalt eines Grundstücksverkäufers auf die Frage des Käufers nach etwaigen Grundstücksbelastungen antwortet, daß ihm keine bekannt seien, dabei aber nicht erwähnt, daß er sie gar nicht kennen kann, weil er die betreffenden Unterlagen nicht eingesehen hat.75 Eine weitere Fallgruppe, in der Schweigen wie eine misrepresentation behandelt wird, betrifft Korrekturpflichten.76 Eine Partei, die während der Vertragsverhandlungen bestimmte Erklärungen abgegeben hat, die sich vor Abschluß des Vertrages als unrichtig erweisen, sei es weil sich die Tatsachen nachträglich geändert haben oder weil die Partei die Unrichtigkeit erst später erkannt hat, muß diese ungefragt richtigstellen. Tut sie dies nicht, wird sie ebenso behandelt, als hätte sie über diese Tatsache aktiv getäuscht.77 So mußte der Verkäufer einer Arztpraxis, deren Wert mit 2000 Pfund angesetzt worden war, den Käufer darauf hinweisen, daß sie diesen Wert vor Abschluß des Vertrages wegen einer langwierigen Krankheit des Inhabers fast vollständig eingebüßt hatte.78 Mit diesen Fallgruppen können einige der Konstellationen erfaßt werden, die im deutschen Recht als unzulässiges Schweigen behandelt würden. 2. Verträge uberrimae fidei In den Lehrbüchern zum Vertragsrecht werden die Verträge uberrimae fidei, oder contracts of the utmost good faith, meist nur sehr knapp innerhalb des Kapitels zur misrepresentation als eine der Ausnahmen behandelt, in denen eine Vertragspartei aus dem Schweigen der anderen Partei ein Anfechtungsrecht ableiten kann. Meist beschränken sich die Autoren auf den 73

Walters v Morgan (1861) 3 De GF & J 718; 45 ER 1056. Harrison, Rn. 5.21 ff. 75 Notts v Patent Brick and Tile Co v Butler (1886) 16 QBD 778. 76 Cheshire/Fifoot/Furmston, S. 279 f. 77 Treitel, The Law of Contract, S. 364 f.; With v O’Flanagan [1936] Ch 575; Davies v London and Provincial Marine Insurance Co (1878) 8 Ch D 469, 475; Traill v Baring (1864) 4 DJ & S 318. 78 With v O’Flanagan [1936] Ch 575. 74

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A. Einleitung

Hinweis, daß es eine Gruppe von Verträgen gibt, die Verträge uberrimae fidei genannt werden, in denen aus der Natur des Vertrages folgt, daß ein Vertragspartner dem anderen ungefragt alle vertragswesentlichen Umstände offenbaren muß.79 Das Bestehen einer Aufklärungspflicht bestimmt sich allein nach dem Vertragstyp. Die Rigorosität, mit der Aufklärungspflichten abgelehnt werden, wenn ein Fall nicht einer der anerkannten Ausnahmen untergeordnet werden kann, läßt erwarten, daß diese Ausnahmen klar und eindeutig definiert sind. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Sobald man den Versuch unternimmt herauszufinden, welche Verträge die Gruppe der Verträge uberrimae fidei bilden und in welchem genauen Umfang Aufklärungspflichten aus dieser Zuordnung folgen, stellt man fest, daß die Kategorie überraschend unpräzise ist.80 Als meist verbreiteter und wichtigster Vertrag uberrimae fidei wird immer der Versicherungsvertrag genannt. Für diesen bedeutet das Prinzip uberrima fides vor allem, daß der Versicherungsnehmer dem Versicherer alle gefahrerheblichen Umstände ungefragt offenbaren muß. Unterläßt er dies, so kann sich der Versicherer vom Vertrag lösen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Versicherungsnehmer die Gefahrerheblichkeit des fraglichen Umstandes überhaupt erkannt hat. Zwar werden die Verträge uberrimae fidei einhellig als Gruppe von Verträgen bezeichnet, dennoch lassen es einige Autoren bei der Erwähnung des Versicherungsvertrages bewenden.81 Tatsächlich scheint für keinen weiteren Vertragstyp unstreitig zu sein, ob er uberrima fides erfordert oder nicht. Als charakteristisch für diese Verträge wird immer wieder angeführt, daß nur eine Partei die für den Vertragsschluß und für das Vertragsverhältnis wesentlichen Fakten kennt und sie deshalb dem Verhandlungspartner offenbaren muß. Für welche Verträge dies gilt, ist jedoch unklar. Deshalb verzichten zum Beispiel Cheshire/Fifoot/Furmston von vornherein auf den Versuch, die Gruppe der Verträge uberrimae fidei und den Umfang der Aufklärungspflicht zu beschreiben, da es nicht praktikabel sei, eine genaue Liste dieser Verträge aufzustellen und man auch nicht sagen könne, daß das Ausmaß der Aufklärungspflicht in jedem Fall gleich sei.82 Auch bei Chitty erfolgt der Hinweis, daß der Umfang der Aufklärungspflicht je nach Vertragstyp variiert.83 Außer dem Versicherungsvertrag werden immer wieder folgende Verträge in diesem Zusammenhang genannt.84 Zu den Verträgen uberrimae fidei werden sogenannte „family arrangements“ gezählt; dies sind bestimmte fami79

Vgl. Treitel, The Law of Contract, S. 366; Cartwright, S. 91 f. Waddams, S. 243. 81 Z. B. Atiyah, Introduction to the Law of Contract, S. 254; Cartwright, S. 91; Smith, The Law of Contract, S. 144 f. 82 Cheshire/Fifoot/Furmston, S. 309. 83 Chitty/Beale on Contracts I, Rn. 6–135. 80

II. Vorvertragliche Aufklärungspflichten im englischen Recht

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lienrechtliche Verträge, in denen Streitfragen über das Familienvermögen geregelt werden. Für die Bürgschaft (suretyship) ist unklar, ob es sich tatsächlich um einen Vertrag uberrimae fidei handelt, oder ob die dort bestehenden Aufklärungspflichten den durch uberrima fides ausgelösten Aufklärungspflichten nur vergleichbar sind. Weitere Fälle, die in diesem Zusammenhang diskutiert werden, sind der Grundstückskauf und der Erwerb von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft. Schon eine oberflächliche Betrachtung der Fälle zeigt, daß der Anwendungsbereich von uberrima fides ein weites Spektrum unterschiedlichster Verträge erfaßt und ein etwa zugrundeliegendes Prinzip ziemlich ungewiß ist.85 In der Literatur findet keine Diskussion darüber statt, ob uberrima fides von Bedeutung für übergeordnete Prinzipien und Wertungen des Vertragsrechts ist. 3. Fiduciary relationships Neben den Verträgen uberrimae fidei bilden die sogenannten fiduciary relationships die bedeutendste Ausnahme zu der Regel, daß keine vorvertraglichen Aufklärungspflichten anerkannt werden. In fiduciary relationships folgen vorvertragliche Aufklärungspflichten aus dem besonderen Treueverhältnis zwischen den Parteien.86 Solche besonderen Treuepflichten bestehen z. B. zwischen Treuhänder und Begünstigtem, Vormund und Mündel, Eltern und Kind, Anwalt und Mandant, principal und agent.87 Der Begriff der fiduciary relationship ist selbst nicht eindeutig definiert. Diese Rechtsverhältnisse weisen die Gemeinsamkeit auf, daß sich die Parteien nicht wie bei gewöhnlichen Austauschverträgen „at arm’s length“ gegenüberstehen, sondern daß zwischen ihnen ein besonderes Näheverhältnis besteht, aufgrund dessen die eine Partei die rechtliche Möglichkeit hat, auf die Interessen der anderen Partei einzuwirken, und zur Wahrung ihrer Interessen verpflichtet ist.88 Wenn die Beteiligten einen Vertrag miteinander schließen, so sind sie wegen des besonderen Nähe- oder Vertrauensverhältnisses verpflichtet, einander alle wesentlichen Umstände des betreffenden Geschäfts mitzuteilen.89 Wenn also beispielsweise ein Anwalt von seinem Mandanten einen 84 Vgl. Treitel, The Law of Contract, S. 366 f.; Chitty/Beale on Contracts I, Rn. 6–135 ff.; Eggers/Foss, S. 19 ff. 85 Waddams, S. 243. 86 Fleischer, S. 838 ff.; Müller, S. 105 ff.; sehr ausführlich Spencer Bower/Turner/Sutton Teil IV. 87 Treitel, The Law of Contract, S. 370. 88 Whittaker/Zimmermann, Surveying the Legal Landscape, S. 46 f.; Beatson, (1997) 56 Cambridge Law Journal 291, 305; ausführlich Duggan/Bryan/Hanks, S. 51 ff., 175 ff.

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A. Einleitung

Gegenstand erwirbt, so darf er sein überlegenes Wissen über dessen Marktwert nicht ausnutzen, sondern muß seine Informationen dem Mandanten weitergeben. Diese Aufklärungspflichten richten sich damit vor allem gegen die Gefahren, die aus einem Interessenkonflikt erwachsen.

III. Weiterer Gang der Untersuchung Uberrima fides ist im Rahmen des Versicherungsvertragsrechts entstanden, und heute ist die Versicherung der einzige Vertragstyp, für den die Anwendung des Prinzips der uberrima fides unstreitig ist. Im zweiten Kapitel wird deshalb die Entwicklung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten und des Prinzips der uberrima fides im Versicherungsvertragsrecht dargestellt. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Analyse der Entscheidung Lord Mansfields in dem Fall Carter v Boehm. Im dritten Kapitel soll die Entwicklung vorvertraglicher Aufklärungspflichten im allgemeinen Vertragsrecht und ihr Verhältnis zu dem Grundsatz von caveat emptor untersucht werden. Im Zentrum wird dabei die Analyse der Rechtsprechung und Literatur des 19. Jahrhunderts stehen. Die Entwicklung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten für einzelne Vertragstypen, die heute zu den Verträgen uberrimae fidei gezählt werden oder in deren Nähe gerückt werden, wird schließlich im vierten Kapitel dargestellt. Im einzelnen werden dies der Erwerb von Rechten an einem Grundstück, der Erwerb von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft und die Bürgschaft sein. Nicht behandelt werden die sogenannten family arrangements, da diese wegen der familienrechtlichen Besonderheiten nur wenig Rückschlüsse auf das allgemeine Vertragsrecht zulassen. Im fünften Kapitel schließlich soll die Frage beantwortet werden, ob die Positionen des englischen und kontinentalen Rechts für den Bereich der aus Treu und Glauben abgeleiteten vorvertraglichen Aufklärungspflichten wirklich unversöhnlich sind oder ob nicht den Verträgen uberrimae fidei ein Prinzip zugrunde liegt, das eine Verbindung zu den kontinentalen Rechtsordnungen herstellt.

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Spencer Bower/Turner Sutton, Rn. 16.01.

B. Die Entwicklung des Prinzips der uberrima fides im Versicherungsvertragsrecht Die Geschichte des Prinzips der uberrima fides beginnt im englischen Seeversicherungsrecht und wird auf die Entscheidung Carter v Boehm1 von Lord Mansfield aus dem Jahr 1766 zurückgeführt. Diese Entscheidung gilt als Meilenstein des Seeversicherungsrechts.2 Außerdem behandelt sie erstmals vorvertragliche Aufklärungspflichten im allgemeinen Vertragsrecht. Der Seeversicherungsvertrag galt zu dieser Zeit als einer der wichtigsten Vertragstypen und war Schrittmacher für die Entwicklung des allgemeinen Vertragsrechts.3

I. Die Integration des Seeversicherungsrechts als Teil der lex mercatoria ins englische Recht Um die für diese Untersuchung so zentrale Entscheidung besser einordnen zu können, soll zunächst ihr Hintergrund genauer ausgeleuchtet werden. Carter v Boehm ist eine der bekanntesten Entscheidungen Lord Mansfields, der wohl bedeutendsten Richterpersönlichkeit Englands in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. William Murray, Lord Mansfield (1705– 1793) war von 1756–1788 Chief Justice of King’s Bench.4 Lord Mansfield war Schotte, lebte aber seit seinem 14. Lebensjahr in England. Während seiner Studienzeit in Oxford hatte er u. a. auch römisches Recht studiert. Er gilt als der Begründer des englischen Handelsrechts, ein Ruf der sich schon auf ein dictum seines Zeitgenossen Justice Buller zurückführen läßt.5 In der Bewertung seiner herausragenden Verdienste herrscht sowohl unter seinen 1

(1766) 3 Burr 1905; 97 ER 1162. Eggers/Foss, Rn. 1.02. 3 Fleischer, S. 67 mit Hinweis auf Horwitz, The Transformation of American Law (1780–1860), S. 264. 4 Zu seiner Vita und seiner Bedeutung siehe insbesondere: Fifoot, Lord Mansfield; Heward, Lord Mansfield; Oldham, The Mansfield Manuscripts and the Growth of English Law in the Eighteenth Century; Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 120 ff.; Teeven, S. 126 ff.; Zimmermann, ZEuP 1 (1993), 4, 34 ff.; Coquillette, S. 282 ff., mit weiteren Nachweisen zu Leben und Wirken. Siehe auch jüngst: Schmied, Lord Mansfield – Person und Werk – Sein Einfluß auf das englische Recht im achtzehnten Jahrhundert. 5 Lickbarrow v Mason (1782) 2 TR 63, 73; 100 ER 35, 40: „. . . I should be very sorry to find myself under a necessity of differing from any case on this subject 2

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

Zeitgenossen6 als auch heute Einigkeit.7 So wird er als „18th century champion of commercial law“8 und seine Amtszeit als Goldenes Zeitalter des Handelsrechts9 bezeichnet. Diese Bedeutung hat er nicht in erster Linie deshalb erlangt, weil er ein besonders origineller10 Denker war, sondern weil er es verstand, aus dem vorhandenen Schatz der gesamteuropäischen Rechtstradition zu schöpfen und diesen für das englische Recht fruchtbar zu machen.11 Viele der Prinzipien, die in dieser Zeit vom common law aufgenommen wurden, entstammen der lex mercatoria in ihrer Überlieferung durch die kontinentale Rechtswissenschaft.12 Lord Mansfields Leistung lag vor allem in der Rationalisierung der bis dahin wenig strukturierten Rechtsmasse und der Formulierung von Prinzipien und Regeln, die ein kohärentes System formten, das heute noch fortwirkt.13 1. Die lex mercatoria und ihr Grundprinzip der bona fides Ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Entstehung eines modernen Handelsrechts war die Integration der lex mercatoria, in England law merchant genannt, in das common law.14 Die lex mercatoria war eine der Hauptquellen, aus denen Lord Mansfield schöpfte. Sie hatte sich seit dem Mittelalter in Europa als ein besonderes Recht der Kaufleute herausgebildet.15 Seit etwa dem 12. Jahrhundert erlebten in Europa sowohl auf dem which has been decided by Lord Mansfield, who may be truly said to be the founder of the commercial law of this country.“ 6 Außer Justice Buller, siehe z. B. Park, A System of the Law of Marine Insurances, Preface. 7 Ausführlich zu den Bewertungen des Werks von Lord Mansfield in der Literatur: Coquillette, S. 285 ff. 8 Eggers/Foss, S. 1. 9 Holmes, (1978) 39 U. Pitt. L. Rev. 381, 426. 10 Rodgers, S. 161. 11 Zimmermann, ZEuP 1 (1993), 4, 35. 12 Rodgers, S. 161. 13 „The few obscure precedents at law and equity were transfigured by Mansfield’s deft mixture of natural law, continental codes, equity, and the lex mercatoria into a coherent body of law that is still viable today“, Holmes, (1978) 39 U. Pitt. L. Rev. 381, 426. 14 Nach Baker, The Law Merchant and the Common Law Before 1700, S. 340 ff., vollzog sich die Integration des law merchant in das common law weniger abrupt als lange Zeit angenommen. 15 Zum folgenden vergleiche insbesondere Berman, S. 527 ff.; Meyer, Bona Fides und Lex Mercatoria in der europäischen Rechtstradition; Mitchell, Essay on the Early History of the Law Merchant; Pohlmann, Quellen des Handelsrechts, S. 801 ff.; Burdick, Contributions of the Law Merchant to the Common Law; Scrutton, General Survey of the History of the Law Merchant; zur Entwicklung des inter-

I. Die Integration des Seeversicherungsrechts ins englische Recht

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Kontinent als auch in England die Wirtschaft und der Handel eine Blütezeit, die zur Entwicklung eines besonderen Kaufmannsstands führte, der intensiven See- und Fernhandel betrieb. Ein großer Teil des Handels hatte damals einen „kosmopolitischen, transnationalen Charakter“.16 So wurden regelmäßig große internationale Messen und Märkte in zahlreichen Städten, vor allem in den Hafenstädten, in ganz Europa abgehalten. Zu den bedeutenden Handelszentren gehörte neben Florenz, Venedig, Brügge und Barcelona auch London.17 In England waren die Bedingungen für die Entwicklung des Binnen- und Außenhandels besonders günstig, da schon in der Magna Charta der Grundsatz der Handelsfreiheit festgelegt war.18 Aus den Regeln der lex mercatoria gingen viele Grundbegriffe und -institute hervor, die bis heute das internationale Handelsrecht prägen.19 Eines dieser Rechtsinstitute ist der Versicherungsvertrag, der in seiner modernen Form wahrscheinlich Ende des 13. oder zu Beginn des 14. Jahrhunderts in den oberitalienischen Stadtstaaten aus der Notwendigkeit heraus entstand, die hohen Risiken, die insbesondere mit dem Seetransport verbunden waren, auf mehrere Schultern zu verteilen.20 Daher betraf die Versicherung zunächst nur Transportrisiken, üblicherweise die Risiken des Seetransports.21 Mit der Blüte des See- und Fernhandels ging eine schnelle Verbreitung des Versicherungswesens einher. Viele Handelsunternehmen der oberitalienischen Städte hatten Handelsniederlassungen in den führenden Handelszentren Europas gegründet und verbreiteten so ihre Praxis, ihre Unternehmungen zu versichern, nach Spanien und schließlich nach Nordeuropa. Auch in England wurde das Seeversicherungswesen von italienischen Kaufleuten noch vor dem 16. Jahrhundert eingeführt.22 Diese Kaufleute, die ursprünglich als päpstliche Steuereintreiber ins Land gekommen waren, vernationalen Handelsrechts siehe auch Blaurock, Übernationales Recht des Internationalen Handels, ZEuP 1 (1993), 247, 249 ff. 16 Berman, S. 539. 17 Pohlmann, S. 804. 18 Pohlmann, S. 814; zur Entwicklung des Handelsrechts im 13. und 14. Jahrhundert siehe auch Güterbock, Zur Geschichte des Handelsrechts in England, ZHR 4 (1861), 13 ff. 19 Neben der Seeversicherung etwa der Bodmereikredit, Patent- und Warenrechte, neue Formen der Kreditsicherung und neue Handelsdokumente wie Wechsel und Schuldschein. Einen Überblick bieten Berman, S. 550 ff. und Coing, Europäisches Privatrecht, Band I, 1985, S. 519 ff. 20 Heute allgemein so anerkannt, Van Niekerk, S. 6; Berman, S. 560. Zwar kannte auch das römische Recht schon Rechtsinstitute, mit denen sich die Risiken des Seetransports abwälzen ließen; die Versicherung in ihrer modernen Form, in der das Risiko auf kaufmännischer Grundlage entgeltlich übernommen wird, war dem römischen Recht jedoch unbekannt, vgl. Van Niekerk, S. 3 ff., Hammacher, S. 8, 10 ff. m. w. N. 21 Holdsworth, Band VIII, S. 276.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

traten gleichzeitig auch die großen norditalienischen Handelshäuser und bestimmten fast den gesamten Gütertransport.23 Die Handelsbräuche im Zusammenhang mit Versicherungen hatten somit ebenso wie andere Gepflogenheiten des internationalen Handels, besonders im Bereich des Seehandels, einen international einheitlichen Charakter.24 In dieser seit dem 12. Jahrhundert herrschenden Wirtschaftsblüte entwikkelte sich ein spezifisches internationales Sonderrecht der Kaufleute als ein vom Kirchen-, Guts-, Stadt- und Königsrecht verschiedenes Recht,25 das dadurch gekennzeichnet ist, daß seine Entwicklung weitgehend den Kaufleuten selbst überlassen blieb.26 Im wesentlichen basierte dieses Recht auf den ungeschriebenen internationalen Handelsbräuchen, dem Gewohnheitsrecht der Messen und Märkte sowie den Seehandelsgepflogenheiten, die zum Teil im Laufe der Zeit in Statuten niedergelegt oder durch sie ergänzt wurden.27 Zu dieser Rechtsmasse gehörten bald schon die internationalen Bräuche des Versicherungswesens.28 Trotz regionaler Unterschiede im Detail folgte das auf diese Weise entstandene Handelsrecht im wesentlichen überall denselben Grundregeln.29

22 Darüber besteht Konsens, siehe nur Raynes, A History of British Insurance, S. 22 ff.; Vance, (1908) 8 Columbia Law Review 1, 11; Park, A System of the Law of Marine Insurances, S. xxxvii. Dafür spricht u. a., daß die ersten bekannten Policen in England auf italienisch abgefaßt waren und ihnen lediglich eine englische Übersetzung beigefügt wurde, so Raynes, A History of British Insurance, S. 26. Auch die Form der Policen in England im 16. Jahrhundert ist der in Italien zur gleichen Zeit gebräuchlichen Form sehr ähnlich, so Holdsworth, Band VIII, S. 284. 23 Marshall, A Treatise on the Law of Marine Insurances, S. 11. Diese Kaufleute wurden „Lombards“ genannt. Ihre wirtschaftlichen Aktivitäten waren so bedeutend, daß die Lombard Street, das Zentrum der Banken in London, nach ihnen benannt wurde. 24 Vance, (1908) 8 Columbia Law Review 1, 9. 25 Berman, S. 538; Mitchell, S. 22. Das law merchant wurde in einer Charta von Heinrich VIII als ein „distinct body of substantive law“ anerkannt, siehe Burdick, S. 39. 26 Mitchell, S. 10; Pohlmann, S. 801; Berman, S. 537. 27 Gelegentlich wurden die von Kaufleuten entwickelten Regeln des Seerechts gesammelt und verbreitet. Ein Beispiel bilden die „Rollen“ oder „Gesetze“ von Oléron, eine Sammlung von Seeurteilen des Gerichts von Oléron, einer Insel vor der französischen Atlantikküste, etwa aus dem Jahr 1150, die von den Hafenstädten am Atlantik und an der Nordsee anerkannt wurden. Den Rollen von Oléron ähnlich waren die Gesetze von Wisby, die um 1350 eingeführt wurden und in den Ostseeländern Anerkennung fanden. Im Mittelmeerraum war der Consolato del Mare maßgeblich. Dieser enthielt eine Sammlung des vom Konsulargericht von Barcelona angewandten Seegewohnheitsrechts. Siehe hierzu Berman, S. 537. 28 Vance, (1908) 8 Columbia Law Review 1, 9. 29 Mitchell, S. 9; Berman, S. 540.

I. Die Integration des Seeversicherungsrechts ins englische Recht

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Dieses Recht zeichnete sich vor allem dadurch aus, daß es flexibel auf die sich verändernden praktischen Bedürfnisse des Handels reagieren konnte, denn die Kaufleute schufen sich selbst das Recht, das ihren Anforderungen entsprach.30 Im Hinblick auf die Verfahren zur Streitschlichtung wurde den Bedürfnissen der Kaufleute durch besondere lokale Handelsgerichte31 Rechnung getragen, die sich aus Kaufleuten zusammensetzten, denen die Handelsbräuche vertraut waren. Die Gerichte entschieden in einem summarischen, beschleunigten und weitgehend informellen Verfahren, denn die auf der Durchreise befindlichen Kaufleute waren vor allem an einer schnellen Streitentscheidung interessiert.32 Doch nicht nur in prozessualer Hinsicht erforderte der mittelalterliche Handel eine verkehrsgerechte Rechtsanwendung, die sich an tatsächlichen Gegebenheiten und nicht an juristischen Feinheiten oder Formalismen orientierte. Zum zentralen Grundprinzip der lex mercatoria wurde daher die bona fides.33 Sie gewährleistete Handelsfreundlichkeit dadurch, daß nicht gemäß juristischer Spitzfindigkeiten34 zu entscheiden war, wie dies bei den ordentlichen Gerichten die Regel war, sondern ex aequo et bono.35 Auf dem Prinzip der bona fides beruhte auch die Flexibilität des Handelsrechts, die es erlaubte, durch einfache und klare Regeln zu einer schnellen Geschäftsabwicklung zu gelangen, und die ein Abweichen vom strengen Recht ermöglichte, sofern die Billigkeit dies gebot.36 Von Bedeutung ist aber nicht nur diese verfahrensbezogene Seite der bona fides oder aequitas37, sondern die bona fides charakterisiert vor allem auch den Geist38 der lex 30

Mitchell, S. 12. In England waren dies die „piepowder courts“ und „Courts of the Staple“, Holdsworth, Band I, S. 535 ff. Näher zu den Handelsgerichten siehe Holdsworth, The Development of the Law Merchant and its Courts, S. 289; Piergiovanni, S. 11 ff.; Mitchell, S. 39 ff.; Berman, S. 546 ff.; zum Prozeßrecht zur Zeit der lex mercatoria, unter besonderer Berücksichtigung von England, siehe Nörr, S. 195 ff. 32 Burdick, S. 36; Scrutton, S. 12. 33 „Das wichtigste, nahezu europäisch ausstrahlende und hinter allen partikularrechtlichen Formungen stehende Grundprinzip . . . war jenes . . . der aequitas mercatoria“, Pohlmann, S. 813; grundlegend hierzu Meyer, Bona Fides und lex mercatoria in der europäischen Rechtstradition. Zur aequitas mercatoria siehe Endemann, ZHR 5 (1862), 333, 362 ff.; besonders deutlich wird die spezifische Bedeutung der bona fides für den Handel in den Darstellungen der italienischen Handelsrechtswissenschaft herausgearbeitet, vgl. Casaregis, Discursus legales de commercio et de avariis, 144 No 10: „Bona fides est primum mobile ac spiritus vivicans commercii“, zitiert nach Meyer, S. 62. 34 Zu den „apices juris“ siehe Endemann, ZHR 5 (1862), 333, 363 und Meyer, S. 63. 35 Berman, S. 548; Mitchell, S. 14–17, 20. 36 Meyer, S. 62. 37 Endemann, ZHR 5 (1862), 333, 365 verwendet beide Begriffe synonym. 31

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

mercatoria. Die Redlichkeit des Handelsstandes und seiner Gebräuche wurden stets besonders hervorgehoben. Die bona fides steht für die Idee des gegenseitigen Vertrauens und der Fairneß zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft der Kaufleute.39 Die Verbindung der lex mercatoria mit dem Prinzip der bona fides ist eine im Mittelalter verwurzelte gesamteuropäische Rechtstradition, die England ebenso erfaßte wie den Kontinent.40 Beispielhaft dafür, daß auch in England das Prinzip der bona fides als Charakteristikum des law merchant verstanden wurde, ist ein dictum von Justice Buller: „The law merchant is a system of equity, founded on the rules of equity, and governed in all its parts by plain justice and good faith“.41 2. Lord Mansfields Verdienst bei der Schaffung eines modernen Seeversicherungsrechts Vor Lord Mansfields Amtszeit als Chief Justice waren die Regeln des law merchant in England nur unsystematisch und vereinzelt angewandt worden.42 Zwar hatte es für einige Rechtsgebiete schon Lord Holt unternommen, die lex mercatoria in das englische Recht zu integrieren, doch erst Lord Mansfield sollte diesen Prozeß vollenden.43 Im Bereich des Versicherungsrechts führte er die Integration fast im Alleingang durch.44 Als Leitentscheidung für die Aufnahme des law merchant in das common law gilt Pillans and Rose v Van Mierop and Hopkins;45 für das Seerecht hatte Lord Mansfield die allgemeine Bedeutung des law merchant für alle Nationen bereits in Luke v Lyde46 betont. Doch obwohl die lex mercatoria von nun an als Bestandteil des nationalen Rechts galt, ging ihr internationaler Charakter dabei nicht verloren, denn sie wurde weiterhin als Teil des universellen ius gentium verstanden: „. . . the maritime law is not the law of a particular country, but the general law of nations“.47 Trotz der Inkorporation der lex mercatoria in das nationale Recht riß die intellektuelle Verbindung zum Kontinent nicht ab. So stellte Lord Mansfield in Triquet v Bath 38

Endemann, ZHR 5 (1862), 333, 366. Meyer, S. 62. 40 Meyer, S. 69. 41 Master v Miller (1791) 4 TR 320, 342; 100 ER 1042, 1054. Mitchell, S. 16 führt die equity als eines der drei Charakteristika des law merchant an neben der Universalität und dem gewohnheitsrechtlichen Charakter. 42 Z. B. Holdsworth, The Development of the Law Merchant and its Courts, S. 331. 43 Holdsworth, The Development of the Law Merchant and its Courts, S. 331. 44 Eggers/Foss, Rn. 4.05. 45 (1765) 3 Burr 1663; 97 ER 1035. 46 (1759) 2 Burr 882; 97 ER 614. 47 Luke v Lyde (1759) 2 Burr 882, 887; 97 ER 614, 617. 39

I. Die Integration des Seeversicherungsrechts ins englische Recht

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fest: „The law of nations, in its full extent [is] part of the law of England, . . . and [is] to be collected from the practice of different nations, and the authority of writers.“48 Man ging weiter davon aus, daß dieses Recht überall gleich ist, weil es sich aus den Geboten der Vernunft und den praktischen Bedürfnissen des Handels ableitet: „The mercantile law, in this respect is the same all over the world. For, from the same premises, the sound conclusions of reason and justice must universally be the same.“49 Zu Lord Mansfields Zeit wäre es vor Gericht ein überzeugendes Argument für die Anwendung einer Regel gewesen, daß diese in allen anderen Ländern befolgt wird.50 Erst im 19. Jahrhundert folgte die Phase, in der die Regeln der lex mercatoria nach ihrer Integration in das nationale Recht schließlich ihren international einheitlichen Charakter verloren.51 Lord Mansfields Hauptverdienst ist wohl, daß es ihm gelang, allgemeine Prinzipien des Handelsrechts zu formulieren und aus diesen ein rationales System zu formen.52 Daß sich zuvor im Handelsrecht keine generellen Prinzipien entwickelt hatten, lag unter anderem an der Rolle der Jury und daran, wie das law merchant im Prozeß behandelt wurde. Denn vor Lord Mansfields Amtszeit waren die Regeln des law merchant wie Tatsachen zu beweisen53 und die Entscheidung über die Existenz einer bestimmten Regel blieb der Jury überlassen, ohne daß sie dabei juristisch angeleitet wurde. Es war daher kaum möglich, die Regel von den Fakten zu trennen.54 Lord Mansfield änderte diese Praxis und machte im Gerichtssaal55 detaillierte 48

(1764) 3 Burr 1478, 1481; 97 ER 936, 938. Pelly v Governor and Company of the Royal-Exchange Assurance (1757) 1 Burr 341, 347; 97 ER 342, 346. 50 Scrutton, S. 15. Er fährt fort: „. . . at the present time English Courts are not alarmed by the fact that the law they administer differs from the law of other countries.“ 51 Meyer, S. 70; In England wurde aber bis in das 19. Jahrhundert hinein die Internationalität dieses Rechts anerkannt; noch im Jahr 1889 vertrat Lord Blackburn diese Auffassung: „. . . but the general rules of the law merchant are the same in all countries“, M’Lean v Clydesdale Bank (1889) 9 App Cas 105. 52 Scrutton, S. 13; Zimmermann, ZEuP 1 (1993), 4, 34; Justice Buller zollte der Leistung Lord Mansfields bei der Weiterentwicklung des Handelsrechts folgendermaßen Tribut: „Before that period [Lord Mansfields Amtszeit als Chief Justice] we find in Courts of Law all the evidence in mercantile cases was thrown together; they were left generally to the jury, and they pronounced no established principle. From that time we all know the great study has been to find some certain general principle, not only to rule the particular case under consideration, but to serve as a guide for the future. Most of us have heard those principles stated, reasoned upon, enlarged, and explained till we have been lost in admiration at the strength and stretch of the human understanding. . .“, Lickbarrow v Mason (1782) 2 TR 63, 73; 100 ER 35, 40. 53 Senior, (1921) 37 LQR 323, 327; Burdick, S. 44. 54 Scrutton, S. 13. 49

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

Ausführungen zu den Rechtsprinzipien, die die Jury dann nur noch auf den Fall anwenden mußte. Auf diese Weise entstanden „leading cases“, aus denen sich Regeln herausfiltern ließen, die in zukünftigen Fällen tatsächlich als Leitlinie dienen konnten und die sich als allgemeine Rechtsgrundsätze in das Gesamtsystem des common law einfügten. Zu den wichtigsten Verdiensten Lord Mansfields zählt die Schaffung eines kohärenten Systems des Seeversicherungsrechts, das die Grundlage für die Kodifizierung im Marine Insurance Act 1906 bildete.56 So soll die Ernennung Lord Mansfields zum Chief Justice im Jahr 1756 gar den Beginn des modernen Versicherungsrechts als Teil des common law markieren.57 Zwar gibt es erste gerichtliche Zeugnisse von Versicherungspolicen bereits im 16. Jahrhundert.58 Bis zum Jahr 1756 wurden jedoch überhaupt nur sechzig versicherungsrechtliche Entscheidungen berichtet,59 unter denen sich keine findet, die ein bedeutendes Prinzip aufstellt oder zu Recht „leading case“ genannt werden kann.60 Erst während Lord Mansfields Amtszeit kam es zu einem enormen Zuwachs an Gerichtsentscheidungen zum Versicherungsrecht – er selbst hatte den Vorsitz über circa 100 solcher Verfahren.61 Dies lag zum einen daran, daß die Versicherungsbranche im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts im Zuge des dramatischen Umbruchs der sozia55 Früher gab es keine Erklärung zu den Rechtsfragen im Gerichtssaal; wenn schwierige Fragen auftraten, so wurden diese privat im Richterzimmer diskutiert, Park, A System of the Law of Marine Insurances, S. xliii. 56 Holdsworth, Band XII, S. 536; Oldham, S. 450; Marshall, A Treatise on the Law of Insurance, S. 27: „in [insurance] more perhaps than upon any other subject, he displayed the powers of his great and comprehensive mind.“ 57 Vance, (1908) 8 Columbia Law Review 1, 16. Zuvor gab es weder sehr allgemeine, noch sehr klare Regeln, vgl. Eggers/Foss, Rn. 4.08. Zum Stand des Versicherungsrechts vor Lord Mansfields Amtszeit siehe Vance, (1908) 8 Columbia Law Review 1, 16. 58 Court of Admiralty, Broke v Maynard (1547) R.G. Masden, Hrsg., Select Pleas in the Court of Admiralty, 2 Bände, Publications of the Seldon Society, vol. 11 (London: B. Quaritch for the Seldon Society, 1894, 1897) 2:47–49; Ridolphe v. Nunez, ibid. 52–53 (1562); Emerson v. DeSallanova, ibid. 46. 59 Park, A System of the Law of Marine Insurances, S. xlii-xliii, „most of which were such loose notes, mostly of trials at Nisi Prius, containing a short opinion of a single judge, and very often no opinion at all . . . [so that] . . . as there have been but few positive regulations upon insurances, the principles, on which they were founded, could never have been widely diffused, nor very generally known“. Zur Rückständigkeit des englischen Versicherungsrechts im 16. und 17. Jahrhundert allgemein vgl. Holdsworth, Band VIII, S. 290, der die Gründe dafür erklärt; vgl. hierzu auch Oldham, S. 452 ff.; Park, A System of the Law of Marine Insurances, S. xlii ff. Vor der Regierungszeit Elisabeths war der Versicherungsvertrag noch nicht weit verbreitet, jedenfalls war kein höheres Gericht mit Fragen des Versicherungsrechts befaßt, Park, A System of the Law of Marine Insurances, S. xxxviii. 60 Vance, (1908) 8 Columbia Law Review 1, 16. 61 Rodgers, S. 163.

I. Die Integration des Seeversicherungsrechts ins englische Recht

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len und wirtschaftlichen Verhältnisse, der Verbesserung der Transportsysteme und ständigen Expansion der Märkte62 stark an wirtschaftlicher Bedeutung gewonnen hatte. So stieg zum Beispiel Lloyd’s in dieser Zeit von seinen Anfängen als Kaffeehaus zu einer bedeutenden Versicherungsgesellschaft auf.63 Ein weiterer Grund waren die von Lord Mansfield durchgeführten Reformen zur Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung.64 So schaffte er die Notwendigkeit ab, jeden Versicherer gesondert zu verklagen (sogenannte Consolidation Rule). Lord Mansfield beschleunigte die Prozesse, indem er anordnete, daß in allen Verfahren innerhalb der ersten vier Tage der der Verhandlung folgenden Sitzungsperiode des Gerichts die Schlußanträge gestellt werden müssen. 3. Internationalität des Seeversicherungsrechts und intellektuelle Verbindungen zum Kontinent Die Verbindung zur kontinentalen Rechtsentwicklung war im Bereich des Seeversicherungsrechts schon allein deshalb besonders eng, weil der Seeversicherungsmarkt international war. Auch nachdem sich in England ein vollständiges Regelwerk des Seeversicherungsrechts herausgebildet hatte,65 wurde das englische Versicherungsrecht weiterhin als Teil einer gesamteuropäischen Entwicklung gesehen. Dies wird anschaulich durch die Literatur belegt. Die wichtigsten literarischen Quellen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts zum Seeversicherungsrecht sind Parks „A System of the Law of Marine Insurances“66 und Marshalls „A Treatise on the Law of Insurance“.67 So berichtet Park in der Einleitung von seinem ursprünglichen Plan, ein Kapitel dem Versicherungsrecht anderer europäischer Staaten zu widmen.68 Davon habe er jedoch Abstand genommen, weil das Versicherungsrecht auf den 62

Zimmermann, ZEuP 1 (1993), 4, 44. Eggers/Foss, Rn. 4.09; zu den Anfängen von Lloyd’s und der berühmten Lloyd’s Policy siehe Vance, Handbook of the Law of Insurance, S. 10; näher zur Entwicklung des Versicherungswesens in England im 18. Jahrhundert Raynes, A History of British Insurance, speziell zur Geschichte von Lloyd’s: Kapitel V. Foundation of Chartered Companies and Lloyd’s, S. 93 ff. 64 Oldham, S. 454 f.; Holdsworth, Band VIII, S. 292 f. Zu den Unzulänglichkeiten des Prozeßrechts vor Mansfields Reformen siehe Park, A System of the Law of Marine Insurances, S. xliii ff. 65 „The learning relating to these [marine] insurances hath of late years been greatly improved by a series of judicial decisions; which have now established the law in such a variety of cases, that . . . they would form a very complete title in a code of commercial jurisprudence“, Blackstone, Commentaries on the Laws of England, 2. Buch, S. 405. 66 1. Auflage 1787, näher zu Park und seinem Werk siehe unten II. 5. a). 67 1. Auflage 1802, näher zu diesem Werk unten II. 5. b). 68 Park, A System of the Law of Marine Insurances, S. xii. 63

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

großartigen Prinzipien der natürlichen Gerechtigkeit beruhe und nicht auf regionalen Regelwerken. Da das Recht folglich in allen Ländern im wesentlichen dasselbe sein müsse, habe er sich darauf beschränkt, jeweils einen kurzen Hinweis auf Abweichungen des englischen Rechts vom Recht anderer Staaten zu geben. Auch Marshall geht davon aus, daß das Seeversicherungsrecht im wesentlichen überall gleich ist: „If it be asked where the law of insurance is to be found; the answer is, in the marine law, and in the customs of merchants, which may be collected, 1. From the ordinances of different commercial states; 2. From the treatises of learned authors on the subject of insurance; 3. From judicial decisions in this country and in others, professing to follow the general marine law and the law of merchants.“69

Als ausländische Werke, die Aufschluß über das Versicherungsrecht geben, nennt Marshall „Le Guidon de la mer“,70 die Schriften von Cleirac, Valin, Pothier, Émerigon,71 Roccus, Loccenius, Casaregis, Van Bynkershoek, Santerna und Magens.72 Lord Mansfield gewann seine Kenntnis über die lex mercatoria und das Seeversicherungsrecht vor allem aus ausländischen Quellen.73 Er war ein ausgezeichneter Kenner des kontinentalen Rechtsdenkens und verfügte über eine sehr umfangreiche Bibliothek, die die Werke kontinentaler aber auch englischer Autoren und die Seegesetze des Kontinents enthielt.74 Viele der zentralen Prinzipien der lex mercatoria waren in den in der Praxis weitverbreiteten Handbüchern festgehalten, wie z. B. dem Guidon de la mer.75 Wenn sich zu einer Frage noch keine Regel etabliert hatte, konnten die theoretischen Werke zum ius gentium Anregungen geben, insbesondere die Schriften der bedeutenden Naturrechtslehrer. Gab es weder eine gefestigte 69

Marshall, A Treatise on the Law of Insurance, S. 17. Der Guidon de la Mer ist eine Abhandlung über die Versicherung, Bodmerei und Havarie, die in Rouen im Jahr 1561 als Handbuch für Kaufleute verfaßt wurde. Der Autor ist nicht bekannt. Vgl. Rodgers, S. 167. 71 Zu Émerigon, Traité des Assurances, 1. Auflage 1783, schreibt Marshall, A Treatise on the Law of Insurance, S. 21: „. . . unites great learning with great practical knowledge. It abounds, however in those nice distinctions and metaphysical refinements, in which most of the foreign jurists seem to pride themselves. But he had some apology for this in a country where, according to his own account . . . the generality of men paid little regard to their contracts, if, by a quirk or a subtility, they could evade the performance of them.“ Noch im Jahr 1908 schreibt Vance über Émerigon: „. . . is still read with respect and admiration by all students of the subject, and cited as authority in the courts of all civilized countries“, (1908) 8 Columbia Law Review 1. 72 Marshall, A Treatise on the Law of Insurance, S. 20 f. 73 Ausführlich Rodgers, S. 161 ff.; Vance, (1908) 8 Columbia Law Review 1, 17. 74 Einen Auszug aus dem Katalog von Mansfields Bibliothek enthält Rodgers, S. 171. 75 Rodgers, S. 167. 70

I. Die Integration des Seeversicherungsrechts ins englische Recht

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Praxis noch Einigkeit im Schrifttum, so war Lord Mansfield in der Lage, aus den verschiedenen Ansichten selbst ein überzeugendes Rechtsprinzip zu konstruieren. Häufig zitierte er seine Quellen, so z. B. in Luke v Lyde76 Roccus „De Navibus et Naulo, item de Assecurationibus Notabilia“, die lex Rhodia, den Consolato del Mar, die Gesetze von Oléron und Wisby und die Ordonnance von Louis XIV, noch öfter allerdings zeigt sich, daß er sich inspirieren ließ, ohne seine Quelle offenzulegen.77 Über die geltenden Handelsbräuche informierte sich Lord Mansfield gewissermaßen direkt an der Quelle, denn eine seiner berühmtesten Neuerungen war die Berufung von Kaufleuten und Versicherern in die Jury,78 um sicherzustellen, daß die Gepflogenheiten der Branche bei der Entscheidung Beachtung finden. Er unterstützte die Kaufleute in ihrem Wunsch nach gerichtlicher Anerkennung ihrer Regeln und Bräuche.79 Rechtspolitisch ging es Lord Mansfield bei der Integration der lex mercatoria einerseits darum, die Bedürfnisse des Handelsverkehrs nach Rechtssicherheit, Voraussehbarkeit und Verständlichkeit zu erfüllen.80 So betont er: „[i]n all mercantile transactions the great object should be certainty.“81 Vor allem aber sollten die Rechtsregeln frei von technischen Spitzfindigkeiten und an den Geboten von Treu und Glauben orientiert sein.82 In Pawson v Watson heißt es: „But as, by the law of merchants, all dealings must be fair and honest, fraud infects and vitiates every mercantile contract.“83 Dies entspricht dem die lex mercatoria in ganz Europa beherrschenden Grundprinzip der bona fides. Die Epoche Lord Mansfields ist die Zeit des Höhepunkts der Bedeutung von good faith im englischen Vertragsrecht.84 Hieran zeigt sich in besonderem Maße die intellektuelle Verankerung in der gemeineuropäischen Tradition, in der die bona fides immer eine zentrale Rolle gespielt hat. 76

(1759) 2 Burr 883, 889; 97 ER 617. Marshall, A Treatise on the Law of Insurance, S. 16. 78 Holmes, (1978) 39 U. Pitt. L. Rev. 381, 426. Es wird berichtet, daß er diese Kaufleute auch privat traf und mit ihnen speiste, um möglichst viel über geltende Handelsbräuche zu erfahren, Vance, (1908) 8 Columbia Law Review 1, 17; Rodgers, S. 162 ff.; Fifoot, S. 105 ff. 79 Burdick, S. 45. 80 Zimmermann, ZEuP 1 (1993) 4, 34. 81 Vallejo v Wheeler (1774) 1 Cowp 143, 153; 98 ER 1012, 1017; „. . . for the sake of that, which perhaps is more important than doing right: to bring all questions upon mercantile transactions to a certainty.“ Hankey v Jones (1778) 2 Cowp 745, 750; 98 ER 1339, 1342. 82 Hamilton v Mendes (1761) 2 Burr 1198, 1214; 97 ER 787, 795; Oldham, S. 242. 83 (1778) 2 Cowp 785, 788; 98 ER 1361, 1362. 84 Lücke, S. 157. 77

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

II. Die Entwicklung der Aufklärungspflichten im Versicherungsvertragsrecht des 18. Jahrhunderts 1. Die Rechtslage in England vor Carter v Boehm Wie das Versicherungsrecht insgesamt waren auch die vorvertraglichen Informationspflichten im englischen Versicherungsrecht vor der Ägide Lord Mansfields kaum entwickelt. Sie bestanden in sehr beschränktem Umfang und waren Gegenstand von nur wenigen Entscheidungen. Aufschluß über das im 17. Jahrhundert geltende Recht geben die Darstellungen von Gerard Malynes und Charles Molloy zur lex mercatoria. Der in Belgien geborene englische Kaufmann Gerard Malynes (1586–1641) verfaßte mit seinem Werk „Consuetudo vel Lex Mercatoria or The Ancient Law Merchant“85 die erste bedeutende Gesamtdarstellung zur lex mercatoria in England.86 Malynes schrieb als Kaufmann für Kaufleute. Sein Werk genoß aber auch unter Juristen großes Ansehen und wurde beispielsweise von Lord Mansfield und Joseph Story als maßgebliche Autorität anerkannt. Dem Seeversicherungsrecht widmet Malynes fünf kurze Kapitel. Aufklärungspflichten werden darin nur ganz knapp unter dem Stichwort „fraudulent assurances“ behandelt. Aufklärungspflichten, deren Verletzung für den Versicherer zur Leistungsfreiheit führte, waren auf zwei Situationen beschränkt. Zum einen entfiel der Versicherungsschutz, wenn der Versicherte vor Abschluß der Police wußte, daß das zu versichernde Schiff bereits untergegangen war. Zum anderen waren die Voraussetzungen von fraud erfüllt, wenn der Versicherungsnehmer ein morsches Schiff versicherte, das er dann in der Absicht versenkte, dafür die Versicherungsprämie zu kassieren.87 Charles Molloy (1646–1690) war der erste englische Jurist, der ein Buch zum law merchant schrieb.88 Sein Werk „De iure maritimo et navali or a treatise of affairs maritime and of commerce“ 89 baut auf dem Werk von Gerard Malynes auf.90 Es ist das erste Buch, das den Blick auf die praktischen und inhaltlichen Aspekte des law merchant richtete, denn es war als Hilfsmittel für den praktisch tätigen Juristen konzipiert und wurde zu einem der populärsten Bücher zum Handelsrecht, das je erschienen ist.91 In Kapitel VII, das die Versicherungspolicen behandelt, schildert Molloy als 85

1. Auflage 1622. Näher zu Malynes, seinem Werk und seiner Bedeutung vgl. Holdsworth, Band V, S. 131; Coquillette, S. 133 ff. 87 Malynes, S. 149. 88 Coquillette, S. 142, Malynes war Kaufmann, nicht Jurist. 89 1. Auflage, London 1676; benutzt wurde die 8. Auflage, London 1744. 90 Mansfield zitierte Malynes sogar „as transcribed by Molloy“, Coquillette, S. 146. 86

II. Die Entwicklung der Aufklärungspflichten im 18. Jahrhundert

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Nichtigkeitsgründe für eine Versicherung dieselben Verhaltensweisen des Versicherungsnehmers wie Malynes. Diese stellen für Molloy ein „mere fraud“ dar.92 Außerdem berichtet Molloy von einem Fall, in dem jemand sein Schiff versichern ließ, nachdem er erfahren hatte, daß es ungewiß war, ob es noch existiert, ohne jedoch dem Versicherer davon Mitteilung zu machen. Der Court of Chancery entschied, daß der Versicherer wegen des arglistigen (fraudulent) Verhaltens des Versicherungsnehmers nicht zur Leistung verpflichtet war.93 Die Darstellungen von Malynes und Molloy belegen, daß schon vor der Entscheidung Carter v Boehm im Versicherungsrecht in gewissem Umfang vorvertragliche Aufklärungspflichten auf der Basis von Treu und Glauben anerkannt wurden. Dies illustriert auch die Entscheidung DeCosta v Scandret94 aus dem Jahr 1723. Der Fall betraf einen Kaufmann, der davon Kenntnis erhalten hatte, daß ein Schiff, das genauso aussah wie sein Schiff, gekapert worden war. Ohne sicher zu sein, daß es sich um sein Schiff handelte, ließ er sein Schiff hastig versichern, machte jedoch dem Versicherer über diese Nachricht keine Mitteilung. Lord Chancellor Macclesfield entschied, daß die Police nichtig war, weil der Versicherte entgegen den Geboten der Fairneß gehandelt hatte: „The insured has not dealt fairly with the insurers in this case; he ought to have disclosed to them what intelligence he had of the ship’s being in danger, and which might induce him, at least to fear that it was lost, though he had no certain account of it; for if this had been discovered, it is impossible to think, that the insurers would have insured the ship at so small a premium as they have done but either would not have insured at all, or would have insisted on a larger premium, so that the concealment of this intelligence is a fraud.“95

In dem Verschweigen der Nachricht erkannte das Gericht einen Verstoß gegen die vorvertragliche Fairneß, der die Voraussetzungen von fraud erfüllte. Ein weiterer Fall, der Informationspflichten im Versicherungsrecht zum Gegenstand hatte, ist Seaman v Fonereau96 aus dem Jahr 1743. Hier hatte der Versicherungsnehmer vor Abschluß der Versicherung die Nachricht er91 Von 1676 bis 1788 erschien es in zehn Auflagen. Lord Mansfield zitierte die fünfte Auflage in Luke v Lyde (1759) 2 Burr 882, 887; 97 ER 614, 617 und in Pillans v Mierop (1765) 3 Burr 1663; 97 ER 1035, 1041. 92 Molloy, S. 289, dabei beruft er sich auf Locinius lib. 2 cap. 5 § 9, 10. Außerdem zitiert er Arthur Stockden’s Case, Mich 26 Car.2 in B.R. Dies ist ein Fall von klassischem Versicherungsbetrug, wie auch The Mayflower, von dem Molloy auf S. 290 f. berichtet. 93 Molloy, S. 289, (1723) 2 P Wms 170; 24 ER 686. 94 (1723) 2 P Wms 170; 24 ER 686. 95 ibid. 96 (1743) 2 Strange 1183; 93 ER 1115.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

halten, daß das zu versichernde Schiff ein Leck hatte und sich in stürmischer See befand. Dies teilte er dem Versicherer nicht mit. Es wurde entschieden, daß der Versicherer deshalb nicht zur Leistung verpflichtet war, denn weil die Versicherung ein „contract upon chance“ sei, müsse jede Partei alle Umstände kennen. Diese Fälle zeigen, daß man zwar in gewissem Umfang schon vor der Entscheidung Carter v Boehm vorvertragliche Offenbarungspflichten für den Versicherungsvertrag anerkannte, aber weit von entfernt war, Aufklärung über alle vertragswesentlichen Umstände zu fordern. In bezug auf vorvertragliche Informationspflichten herrschte ein Minimalstandard,97 der den praktischen Bedürfnissen des Versicherungsverkehrs zunächst genügte. Denn zu dieser Zeit war der Versicherer meist in der Hafenstadt ansässig, von der aus der Versicherungsnehmer seine Geschäfte betrieb. Er war also in der Lage, sich selbst über die Risiken des Geschäfts zu informieren, indem er das zu versichernde Schiff und die Fracht in Augenschein nahm und konnte die Prämie entsprechend seiner eigenen Risikoeinschätzung kalkulieren.98 Dazu kam, daß die Versicherungsmärkte zunächst von kleinen Gruppen von Kaufleuten betrieben wurden und Versicherer und Versicherungsnehmer einander persönlich kannten, was die Wahrscheinlichkeit von Übervorteilungen begrenzte.99 Für das englische Recht wurden die grundlegenden Prinzipien für Aufklärungspflichten im Versicherungsrecht erstmals in Carter v Boehm niedergelegt. Dieser Fall sollte sehr lange die maßgebliche Leitentscheidung für alle Fragen der vorvertraglichen Aufklärung im Versicherungsrecht bleiben. 2. Carter v Boehm100 Carter v Boehm wird für ganz konträre Aussagen in Anspruch genommen. Einerseits steht der Fall für das Prinzip der uberrima fides, also dafür, daß nur für bestimmte Vertragstypen vorvertragliche Aufklärung gefordert wird, während eine für alle Verträge geltende, aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleitete Aufklärungspflicht abgelehnt wird. Andererseits wird der Fall aber auch als „Lord Mansfield’s great good faith case“ bezeichnet.101 Dieser Widerspruch läßt sich nur durch eine ausführliche Analyse der Entscheidung auflösen. Folgender Sachverhalt liegt ihr zugrunde. Der Kläger Carter hatte für seinen Bruder, den Gouverneur von Fort Marl97

Holmes, (1978) 39 U. Pitt. L. Rev. 381, 411. Hammacher, S. 119. 99 Van Niekerk, S. 497, Fn. 185. 100 (1766) 3 Burr 1905; 97 ER 1162. 101 Harrison, Rn. 4.29. 98

II. Die Entwicklung der Aufklärungspflichten im 18. Jahrhundert

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borough auf der Insel Sumatra, bei dem Beklagten Boehm in London eine Versicherung abgeschlossen gegen das Risiko, daß das Fort innerhalb eines Jahres von einem europäischen Angreifer zerstört oder erobert werden könnte. Tatsächlich wurde das Fort binnen Jahresfrist von französischen Truppen eingenommen. Der Versicherer verweigerte die Zahlung der Versicherungssumme mit der Begründung, daß die Versicherungspolice nichtig sei, weil Carter bei Abschluß der Versicherung Tatsachen verschwiegen habe, deren Kenntnis ihn von der Übernahme des Risikos abgehalten hätte. Denn erstens habe es sich bei dem Fort nicht um eine militärische Anlage, sondern um eine Handelsniederlassung gehandelt, die zwar gegen Überfälle von Eingeborenen geschützt, aber nicht darauf ausgerichtet war, Angriffen einer europäischen Armee standzuhalten. Zweitens sei er nicht darüber informiert worden, daß der Gouverneur in einem Brief seine Furcht vor der Möglichkeit eines bevorstehenden Angriffs durch holländische oder französische Truppen geschildert habe. Zur Entscheidung stand damit die Frage, ob Carter den Versicherer über den Zustand des Forts und die Möglichkeit eines Angriffs durch europäische Truppen hätte aufklären müssen. Die meistzitierte Passage der Entscheidung, die noch heute immer wieder herangezogen wird, um die besonderen Aufklärungspflichten, die im Versicherungsvertragsrecht gelten, zu begründen, ist folgende: „Insurance is a contract upon speculation. The special facts, upon which the contingent chance is to be computed, lie most commonly in the knowledge of the insured only: the under-writer trusts to his representation, and proceeds upon confidence that he does not keep back any circumstance in his knowledge, to mislead the under-writer into a belief that the circumstance does not exist, and to induce him to estimate the risque, as if it did not exist. The keeping back such circumstance is a fraud, and therefore the policy is void. Although the suppression should happen through mistake, without any fraudulent intention; yet still the under-writer is deceived, and the policy is void; because the risque run is really different from the risque understood and intended to be run, at the time of the agreement.“102

Schon aus diesem kurzen Abschnitt läßt sich ablesen, daß Lord Mansfield zwei Aufklärungspflichten statuiert hat, die voneinander zu unterscheiden sind. An anderer Stelle der Entscheidung heißt es hierzu: „The question therefore must always be ,whether there was, under all the circumstances at the time the policy was under-written, a fair representation; or a concealment; fraudulent if designed; or, though not designed, varying materially the object of the policy, and changing the risque understood to be run.‘“103

Danach ist ein Versicherungsvertrag zum einen nichtig, wenn die Voraussetzungen von fraud vorliegen. Dies ist der Fall, wenn der Versicherungsneh102 103

(1766) 3 Burr 1905, 1909; 97 ER 1162, 1164. (1766) 3 Burr 1905, 1911; 97 ER 1162, 1165.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

mer bewußt Umstände verschweigt in der Absicht, den Versicherer zu täuschen und zu einer falschen Risikoeinschätzung zu veranlassen. Zum anderen ist der Versicherungsvertrag wegen des Verschweigens eines Umstandes selbst dann nichtig, wenn die Voraussetzungen von fraud nicht vorliegen, weil der Versicherungsnehmer einen Umstand nur versehentlich und ohne jede Täuschungsabsicht (not designed) verschwiegen hat, sofern es sich um einen Umstand handelt, der sich ganz maßgeblich auf das übernommene Risiko auswirkt. Diese von den Voraussetzungen von fraud unabhängige Anzeigepflicht ist eine Besonderheit des Versicherungsrechts und eng begrenzt auf solche Umstände, die das übernommene Risiko definieren. Der Nichtigkeitsgrund des fraud oder „fraudulent concealment“ dagegen, der gegeben ist, wenn eine Partei bewußt Umstände verschweigt, um die andere Partei zu täuschen, gilt nicht nur für die Versicherung sondern für alle Verträge: „The governing principle is applicable to all contracts and dealings. Good faith forbids either party by concealing what he privately knows, to draw the other into a bargain, from his ignorance of that fact, and his believing the contrary. But either party may be innocently silent, as to grounds open to both, to exercise their judgment upon. Aliud est celare; aliud, tacere; neque enim id est celare quicquid reticeas; sed cum quod tuscias, id ignorare emolumenti tui causa velis eos, quorum intersit id scire. This definition of concealment, restrained to the efficient motives and precise subject of any contract, will generally hold to make it void, in favour of the party misled by his ignorance of the thing concealed.“104

Die lateinische Definition von concealment stammt aus Ciceros berühmtem Schulfall des alexandrinischen Getreidehändlers, der mit einer Schiffsladung Getreide nach Rhodos gesegelt war, wo eine Hungersnot herrschte. Er verkaufte dort sein Getreide zu einem sehr hohen Preis, ohne zu offenbaren, daß das Ende der Hungersnot unmittelbar bevorstand, weil sich weitere Schiffe voller Getreide auf den Weg nach Rhodos gemacht hatten.105 Lord Mansfield hat hier eine für alle Verträge geltende, auf dem Grundsatz von Treu und Glauben basierende vorvertragliche Aufklärungspflicht statuiert, deren Verletzung den Tatbestand des fraud erfüllt. Ein wesentliches rechtspolitisches Ziel Lord Mansfields war die vertragliche Fairneß. Ein fairer Vertrag kann aber nur das Ergebnis fairer Verhandlungen sein. Die Fairneß oder good faith ist in Carter v Boehm das entscheidende Moment. Voraussetzung für den Abschluß eines gerechten Vertrages ist ein ausgeglichenes Kräfteverhältnis der Parteien. Auch in bezug auf die Informationen über den Vertrag muß zwischen den Parteien ein Gleichgewicht bestehen. Daraus kann die Pflicht erwachsen, mit dem Vertragspartner Informationen zu teilen. Hier zeigt sich der Einfluß der lex mercatoria mit ihrem Grundprinzip von der bona fides und des Naturrechts. Nach Grotius 104 105

(1766) 3 Burr 1905, 1910; 97 ER 1162, 1164, Betonung hinzugefügt. Cicero, De Officiis, III, 12 ff. Zu diesem Fall vgl. unten 3. Kapitel II. 3. b).

II. Die Entwicklung der Aufklärungspflichten im 18. Jahrhundert

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Lehre von der Vertragsgerechtigkeit und Pufendorfs Lehre vom naturrechtlichen Vertrag ist gleicher Wissensstand der Kontrahenten Voraussetzung für den Abschluß eines gerechten Vertrages.106 Lord Mansfield betont mehrfach, der Zweck vorvertraglicher Aufklärungspflichten sei, „to encourage good faith.“107 Die Bedeutung der Entscheidung für das allgemeine Vertragsrecht liegt darin, daß Lord Mansfield sorgfältig herausgearbeitet hat, wann good faith gebietet, daß der eine Verhandlungspartner dem anderen von sich aus Informationen preisgeben muß,108 nämlich dann, wenn sie diesem nicht zugänglich sind, aber seinen Entschluß zum Vertrag beeinflussen. Good faith verbietet, bewußt vertragswesentliche Informationen zurückzuhalten, um die andere Partei zu der Fehlvorstellung zu verleiten, daß das, was nicht erwähnt wird, auch nicht existiert, und um sie durch diese Irreführung zum Vertragsschluß zu veranlassen. Ein solchermaßen bewußtes Zurückhalten von Informationen ist ein „fraudulent concealment“, und der Vertrag ist wegen eines Verstoßes gegen die Gebote von Treu und Glauben nichtig.109 Treu und Glauben verlangt dagegen keine Aufklärung, wenn beide Seiten gleichermaßen die Möglichkeit haben sich zu informieren, denn schon dann ist das notwendige Kräftegleichgewicht gegeben. Gefordert ist nicht Informationsgleichheit, sondern gleicher Informationszugang. Lord Mansfield umschreibt dies mit den Worten „either party may be innocently silent, as to grounds open to both, to exercise their judgment upon.“110 Wenn die Vertragspartner solchermaßen gleichgestellt sind, liegt es an jedem selbst, von diesen Möglichkeiten Gebrauch zu machen. Dabei darf jede Partei Vorteile ausnutzen, die ihr die eigenen intellektuellen Fähigkeiten einräumen: „Men argue differently, from natural phenomena, and political appearances: they have different capacities, different degrees of knowledge, and different intelligence. But the means of information and judging are open to both: each professes to act from his own skill and sagacity; and therefore neither needs to communicate to the other. The reason of the rule which obliges parties to disclose, is to prevent fraud, and to encourage good faith. It is adapted to such facts as vary the nature of the contract; which one privately knows and the other is ignorant of and has no reason to suspect.“111

106 Grotius, De iure belli ac pacis, 2. Buch, 12. Kapitel, VIII, IX; Pufendorf, De iure naturae et gentium, 5. Buch, 3. Kapitel, § 2. 107 Z. B. (1766) 3 Burr 1905, 1911 und 1918; 97 ER, 1162, 1165 und 1169. 108 Holmes, (1978) 39 U. Pitt. L. Rev. 381, 384. 109 Forte, Insurance, S. 347. 110 (1766) 3 Burr 1905, 1910; 97 ER 1162, 1164. 111 (1766) 3 Burr 1905, 1911; 97 ER 1162, 1165.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

Die vorvertragliche Aufklärungspflicht erstreckt sich nur auf solche Umstände, die den Vertrag in seinem Wesen betreffen, in den Worten Lord Mansfields: „restrained to the precise subject matter of the contract“112. Die Pflicht ist also auf Umstände begrenzt, die in Anlehnung an Grotius und Pothier später oft als intrinsisch113 bezeichnet wurden. Im Gegensatz dazu betrifft im heutigen englischen Versicherungsrecht die Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers auch extrinsische Umstände.114 Auf den Versicherungsvertrag angewendet bedeuten diese Grundsätze, daß weder nach der für alle Verträge geltenden vorvertraglichen Aufklärungspflicht noch nach der speziellen verschuldensunabhängigen versicherungsrechtlichen Aufklärungspflicht solche Tatsachen offenbart werden müssen, die dem Versicherer bekannt sind, die er kennen müßte, für deren Bestehen er das Risiko übernommen oder auf deren Mitteilung er verzichtet hat.115 Ferner müssen solche Tatsachen nicht mitgeteilt werden, die das Risiko verringern. Über Umstände, über die sich nur Mutmaßungen anstellen lassen oder die allgemeiner Ungewißheit unterliegen, wie Naturgefahren, die Schwierigkeit der Reise, bedingt durch die Jahreszeit, die Wahrscheinlichkeit von Unwettern, Wirbelstürmen oder Erdbeben, braucht der Versicherer nicht informiert zu werden. Außerdem wird dem Versicherer unterstellt, daß ihm alle politischen Ereignisse bekannt sind, die Gefahren auslösen können, wie beispielsweise Kriege. Der Grund, warum diese Umstände nicht offenbart werden müssen, ist, daß beide Vertragsparteien gleichermaßen in der Lage sind, sie in Erfahrung zu bringen. Dieser Fall ist beispielhaft für die Art, wie Lord Mansfield seine Entscheidungen begründete. Er stellte Regeln und Prinzipien auf, die über den einzelnen Fall weit hinausreichende Bedeutung hatten und als Leitlinien für zukünftige Entscheidungen dienen konnten. Der konkrete Fall hätte zu seiner Entscheidung keine so allgemeine Formulierung verlangt. Dennoch beschreibt Lord Mansfield zunächst in beinahe lehrbuchhafter Weise eine spezielle, von den Voraussetzungen von fraud unabhängige versicherungsrechtliche Aufklärungspflicht sowie eine allgemeine vorvertragliche Aufklärungspflicht, die auf alle Verträge anwendbar ist, bevor er diese abstrakt auf Versicherungsverträge überträgt, um schließlich diese Regeln auf den zur Entscheidung stehenden Fall anzuwenden. Zur Überraschung all jener, die den Fall nur als Leitentscheidung für die heute sehr weit gefaßte vor112

(1766) 3 Burr 1905, 1910; 97 ER 1162, 1164. Im Gegensatz zu den extrinsischen Umständen, über die normalerweise keine Aufklärung geschuldet wird. Zu Grotius siehe Fleischer, S. 47 ff. Diese Terminologie wurde v. a. von Story ins common law eingeführt, siehe Story, Commentaries on Equity Jurisprudence as administered in England and America, § 210. 114 London General Omnibus Company, Ltd. v Holloway [1912] 2 KB 72, 85. 115 (1766) 3 Burr 1905, 1910; 97 ER 1162, 1164 f. 113

II. Die Entwicklung der Aufklärungspflichten im 18. Jahrhundert

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vertragliche Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers kennen und wohl erwarten würden, daß hier eine Pflicht des Versicherungsnehmers zur Information bestanden hatte, unterlag der Versicherer in beiden Punkten. Der Versicherungsnehmer mußte den Versicherer nicht ungefragt darüber informieren, daß das Fort nur eine Handelsniederlassung war, die nicht gegen Angriffe von ausländischen Truppen gerüstet war, weil der Zustand und die Beschaffenheit des Forts und seine Stärke unter den Personen, die mit dem Handel im Fernen Osten vertraut waren, allgemein bekannt gewesen sei und nicht vor jemandem, der es unternommen hätte sich zu informieren, hätte verborgen bleiben können.116 Der Versicherer habe aber die Versicherung unterzeichnet, ohne über das Fort Fragen zu stellen, und damit das Risiko seiner Beschaffenheit auf sich genommen. Es handelte sich nicht um eine Tatsache, die ausschließlich dem Versicherungsnehmer bekannt war, folglich mußte er sie dem Versicherer auch nicht ungefragt offenbaren.117 Auch über die Möglichkeit eines bevorstehenden Angriffs durch europäische Truppen brauchte der Versicherer nicht aufgeklärt zu werden, denn dabei handelte es sich um eine Vermutung des Gouverneurs über den allgemeinen Verlauf des Krieges zwischen den europäischen Staaten. Umstände, die Gegenstand allgemeiner Spekulation sind, brauchen nicht offenbart zu werden. Über die Wahrscheinlichkeit eines solchen Angriffs hätte sich der Versicherer in London sogar einfacher informieren können als der Gouverneur im fernen Sumatra. Außerdem gehe schon allein aus der Tatsache, daß der Gouverneur überhaupt eine Versicherung abschloß, hervor, daß er zumindest entfernt mit der Möglichkeit eines Angriffs rechnete. Lord Mansfield war sogar der Ansicht, daß die Regel, deren Sinn es sei, fraud zu verhindern und good faith zu bestärken, in ihr Gegenteil, nämlich ein Instrument von fraud gekehrt würde, wenn der Versicherer mit seinen Einwendungen gehört würde und sich damit auf unbillige Weise seiner Haftung entziehen könnte.118 Welche Ansicht hat nun einer genaueren Untersuchung dessen, was Lord Mansfield in Carter v Boehm tatsächlich gesagt hat, standgehalten: Steht die Entscheidung für uberrima fides oder für bona fides? Anders gefragt: Hat Lord Mansfield eine besondere Aufklärungspflicht für Versicherungsverträge postuliert oder eine allgemeine, aus dem Grundsatz von good faith abgeleitete Aufklärungspflicht für alle Verträge? Die Antwort muß wohl lauten, daß beide Seiten Recht haben. Die Bedeutung der Entscheidung für das allgemeine Vertragsrecht liegt darin, daß sie alle Kriterien für eine aus 116 117 118

(1766) 3 Burr 1905, 1913; 97 ER 1162, 1166. (1766) 3 Burr 1905, 1915; 97 ER 1162, 1167. (1766) 3 Burr 1905, 1918; 97 ER 1162, 1169.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

den Grundsätzen von Treu und Glauben abgeleitete vorvertragliche Aufklärungspflicht enthält, die auf alle Verträge anwendbar ist. Hat eine Vertragspartei überlegenen Zugang zu den vertragswesentlichen Informationen, so gebietet Treu und Glauben, daß sie diese der anderen Partei offenbart. Unterläßt sie dies in der Absicht, den Vertragspartner dadurch zum Vertragsschluß zu veranlassen, begeht sie ein fraud. Die Aufklärungspflicht im Versicherungsvertragsrecht ist insofern nicht mehr als ein Anwendungsbeispiel der für alle Verträge geltenden Regel. Außerdem hat Lord Mansfield in dieser Entscheidung eine spezielle, von den Voraussetzungen von fraud unabhängige Aufklärungspflicht statuiert, die nur für die Versicherung gilt. Diese verschuldensunabhängige Anzeigepflicht ist eng begrenzt und betrifft nur Tatsachen, die für das Risiko so zentral sind, daß sie das tatsächlich übernommene Risiko zu einem anderen als das im Vertrag umschriebene machen: „. . . a concealment . . . varying materially the object of the policy, and changing the risque understood to be run“.119 Das Verschweigen von solchen Umständen führt unabhängig vom inneren Tatbestand in der Person des Versicherten zur Nichtigkeit des Versicherungsvertrages. Beide Aufklärungspflichten erstrecken sich nur auf solche Umstände, die ausschließlich der einen Partei bekannt sind. Nur wenn eine Partei bei Aufwendung aller ihr möglichen Anstrengungen eine Tatsache nicht selbst in Erfahrung bringen kann, löst Treu und Glauben eine Aufklärungspflicht für die informierte Partei aus. Dabei wird dem nicht informierten Vertragspartner einiges abverlangt, wie Carter v Boehm zeigt, denn die fraglichen Informationen dürften nicht ohne weiteres für den Versicherer erhältlich gewesen sein.120 Da Carter v Boehm heute vor allem als versicherungsrechtliche Entscheidung eingeordnet wird, soll in diesem Kapitel ausschließlich ihre Wirkung auf die weitere Entwicklung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten im Versicherungsrecht dargestellt werden, bevor im nächsten Kapitel ihre Bedeutung für das allgemeine Vertragsrecht untersucht wird. Es stellt sich die Frage, ob Lord Mansfield mit den in Carter v Boehm formulierten vorvertraglichen Aufklärungspflichten eine englische Eigenart begründet hat oder ob die Entscheidung nicht vielmehr die intellektuelle Verbundenheit mit dem kontinentalen Rechtsdenken illustriert. Nach Eggers/Foss wurde das Versicherungsrecht einschließlich der „duty of the utmost good faith“ aus dem law merchant übernommen.121 Im folgenden soll untersucht werden, inwieweit Lord Mansfields Entscheidung auf dem internationalen Rechtsdenken und den Handelsbräuchen des zeitgenössischen Versicherungsrechts aufbaut. 119 120 121

(1766) 3 Burr 1905, 1911; 97 ER 1162, 1165. Hasson, (1969) 32 MLR 615, 617. Eggers/Foss, Rn. 4.12.

II. Die Entwicklung der Aufklärungspflichten im 18. Jahrhundert

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3. Vorvertragliche Aufklärungspflichten im internationalen Versicherungsrecht seit dem 18. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklung in Deutschland Im 18. Jahrhundert vollzog sich sowohl auf dem Kontinent als auch in England ein Wandel in der Seeversicherungspraxis, der zu einem steigenden Informationsbedarf für den Versicherer führte.122 Mit der zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung der Versicherungsbranche und der internationalen Ausdehnung der Versicherungsmärkte hatte sich die Situation bei Abschluß einer Police etwa ab der Mitte des 18. Jahrhunderts verändert. Die Zahl der Abschlüsse mit ausländischen Versicherungsunternehmen hatte stark zugenommen. Der Versicherer, der Versicherungsnehmer und das Schiff waren nun oft nicht mehr im selbem Hafen, ja nicht einmal im gleichen Land ansässig. Dadurch war der Versicherer nicht mehr wie bisher in der Lage, sich alle zur Risikoeinschätzung notwendigen Informationen selbst zu beschaffen, geschweige denn, das Schiff in Augenschein zu nehmen. Folglich wurde die Information durch den Versicherungsnehmer wichtiger für die Risikokalkulation. Die tatsächlichen Gegebenheiten in dieser Zeit, insbesondere die unverläßlichen und langsamen Kommunikationsmittel machten es für den Versicherungsnehmer sehr einfach, den Versicherer zu betrügen.123 Die Position des Versicherers war damals viel gefährlicher als heute. Besonders die Praxis, eine Unternehmung erst dann zu versichern, wenn sie bereits begonnen hatte oder gar schon vorbei war (die Nachrichtenwege waren so langsam, daß man oft erst lange nachdem ein Schiff angekommen war, von seiner Ankunft erfuhr) in Verbindung mit der Klausel „lost or not lost“124 machte die Versicherung zu einem sehr waghalsigen Geschäft.125 Daher zielte zu Beginn das gesamte Versicherungsvertragsrecht darauf, betrügerisches Verhalten der Vertragsparteien zu verhindern und Rechtsmittel zu gewähren, für den Fall, daß es dennoch dazu kam.126 Viele der Regelungen des Versicherungsvertragsrechts lassen sich daher als spezielle Ausformung dieses Ziels verstehen. Dem durch die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse gestiegenen Informationsbedürfnis der Versicherer wurde durch eine Ausdehnung der 122

Zum folgenden siehe Hammacher, S. 120 ff. Clarke, Rn. 23–1A; van Niekerk, S. 187. 124 Die Klausel bedeutete, daß die Versicherung auch dann gültig sein sollte, wenn das Schiff zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses schon untergegangen war, Harnett, (1950) 15 Law and Contemporary Problems 391, 398; Holmes, (1978) 39 U. Pitt. L. Rev. 381, 433. 125 „. . . made underwriting something of a blind leap of faith“, Holmes, (1978) 39 U. Pitt. L. Rev. 381, 433; „. . . the contract was pretty much of a blind leap for the insurer“, Harnett, (1950) 15 Law and Contemporary Problems, 391, 398. 126 Van Niekerk, S. 187, 993 ff. 123

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vorvertraglichen Informationspflichten Rechnung getragen. In der älteren Versicherungsgesetzgebung auf dem Kontinent gab es noch keine abstrakt formulierte Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers.127 Beim Ausfüllen der gesetzlich vorgeschriebenen Policenformulare128 mußten jedoch bestimmte Angaben gemacht werden.129 Diese Anzeigepflichten hatten sich zunächst als Handelsbrauch entwickelt und waren später von der kontinentalen Seeversicherungsgesetzgebung übernommen worden. In erster Linie dienten sie dem Zweck, das versicherte Risiko zu beschreiben, also den Vertragsgegenstand festzulegen.130 Im Vordergrund standen deshalb Umstände, die die zu versichernde Unternehmung konkretisierten, außerdem gab es schon früh eine Anzeigepflicht für solche Umstände, die eine erhöhte Gefährlichkeit begründeten.131 Insbesondere folgende Tatsachen mußten in den Policen aufgelistet werden: die Identität der Partei, Name und Identität des zu versichernden Schiffs, die Art der Fracht, die Reise selbst, insbesondere der Ladeplatz, der Ort, an dem das Risiko beginnt, ob das Schiff noch im Hafen liegt oder bereits abgelegt hat, gegebenenfalls die Zeit des Ablegens sowie das Reiseziel.132 Es gab eine Vielzahl solcher Anzeigepflichten, sie waren aber nicht als allgemeines Prinzip formuliert, sondern kasuistisch geregelt.133 Erst später begann sich ein abstrakt formulierter Generaltatbestand herauszubilden.134 Die Anzeigepflichten betrafen sämtlich Umstände, die sich unmittelbar auf das zu versichernde Risiko auswirken.135 Der Umfang dieser Anzeigepflichten war damit eng begrenzt. Dies wurde durch die Obliegenheit des Versicherers, sich soweit wie möglich selbst über das Risiko zu informieren, ausgeglichen.136 Mit der Kasuistik 127

Hammacher, S. 118 ff., m. w. N. Ursprünglich konnten Versicherungen formlos geschlossen werden. Mit der Zeit waren bestimmte Formulare gebräuchlich geworden, die schließlich von den Gesetzgebern auf dem Kontinent verbindlich vorgeschrieben wurden, Holdsworth, Band VIII, S. 279; Van Niekerk, S. 494. 129 Ausführlich hierzu Hammacher, S. 118; Van Niekerk, S. 494 ff. 130 Van Niekerk, S. 494, Hammacher, S. 122. 131 Darüber hinaus kannten das spanische und niederländische Versicherungsrecht des 16. Jahrhunderts schon eine Anzeigepflicht in der Police hinsichtlich einiger besonderer Gefahrenquellen, Hammacher, S. 119. 132 Van Niekerk, S. 499 ff. für das römisch-holländische Recht; dieser Position folgte man z. B. im „Vergleich Hamburger Assecuratoren“ von 1697, wo die Vorschrift zu den Anzeigepflichten den Einschub „gleich es in Holland gebräuchlich ist“ enthält, Hammacher, S. 121 mit Nachweisen. In Hamburg waren die Versicherungsurkunden unter dem Einfluß des Rechts von Antwerpen zunächst auf niederländisch verfaßt, Koch, S. 301. 133 Siehe hierzu van Niekerk, S. 496 f. m. w. N. 134 Hammacher, S. 122; Van Niekerk, S. 521. 135 Van Niekerk, S. 496. 136 Van Niekerk, S. 496 f.: „it seems the insured’s duty to disclose certain information was balanced by a duty, of at least equivalent practical proportion and 128

II. Die Entwicklung der Aufklärungspflichten im 18. Jahrhundert

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der Anzeigetatbestände korrespondierte eine Kasuistik der Rechtsfolgen; die häufigste war die Nichtigkeit des Versicherungsvertrages.137 Diese gesetzlichen Anzeigepflichten bestanden neben und zusätzlich zu der allgemeinen Pflicht der Parteien, sich nicht arglistig zu verhalten.138 Zwar gab es noch keine einheitlich verwendete Terminologie, es scheint aber, daß Arglist in diesem Zusammenhang gleichbedeutend war mit einem Verstoß gegen Treu und Glauben.139 Daß der Versicherungsvertrag den Geboten von Treu und Glauben unterliegt, folgte für das kontinentale Recht schon allein aus der Tatsache, daß es sich um einen Konsensualvertrag handelte.140 Ein solcher Verstoß gegen Treu und Glauben, der die Nichtigkeit des Versicherungsvertrages zur Folge hatte, konnte darin begründet sein, daß der Versicherungsnehmer bei Vertragsschluß bestimmte Umstände verschwieg in der Absicht, den Versicherer über ihr Vorliegen zu täuschen, selbst wenn es sich um Umstände handelte, deren Anzeige in der Police nicht vorgeschrieben war. Zwar ist der Bereich möglicher Überschneidungen groß, denn ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht verletzte oft zugleich die Gebote von Treu und Glauben, dies war aber nicht notwendig der Fall.141 Es scheint, als wurden die speziellen Anzeigepflichten eingeführt, um den Schutz des Versicherers, den er bei einer Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben genoß, zu erweitern142 auf die Fälle, in denen das Verschweigen eines Umstandes nicht vorwerfbar war, der Umstand sich aber dennoch so gravierend auf das versicherte Risiko auswirkte, daß es dem Versicherer nicht zuzumuten war, an diesem Vertrag festgehalten zu werden. Erst allmählich bildeten sich abstrakt formulierte Generaltatbestände für die Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers heraus. Die ersten Anzeichen dafür gab es schon in Tit. IV Art. 12 der Hamburger Assecuranz-Ordnung weight, on the insurer to obtain other information himself“, mit Hinweis auf Bynkershoek und Stracca, De assecurationibus XX, 2, nach dessen Ansicht dem Versicherer unterstellt werden konnte, daß er das Risiko untersucht habe, und er sich deshalb nicht darauf berufen konnte, daß er es versäumt habe, gründliche Nachforschungen anzustellen. 137 Van Niekerk, S. 521; Hammacher, S. 125 m. w. N. 138 Zum folgenden van Niekerk, S. 498, 994. 139 Van Niekerk, S. 994; für das römisch-holländische Recht nennt Van Niekerk, S. 994, Fn. 2 z. B. die folgenden Begriffe, die wohl alle synonym gebraucht wurden: fraude, bedroch, dolus, dolus malus, fraus, argelist, abuysen, misusance, schelmerye, und list; hier finden sich die sprachlichen Entsprechungen für das englische fraud und die deutsche Arglist. 140 Der Versicherungsvertrag wurde als Konsensualvertrag klassifiziert und war als solcher ein Vertrag bonae fidei, wie im übrigen alle anderen Verträge auch, denn die Unterscheidung des römischen Rechts zwischen Verträgen stricti iuris und solchen bonae fidei war schon lange aufgegeben worden, Van Niekerk, S. 186 f. 141 Van Niekerk, S. 498. 142 Van Niekerk, S. 498.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

von 1731, wo für den Fall, daß die Versicherung erst abgeschlossen wurde, nachdem das Schiff oder die Ladung den Hafen bereits verlassen hatte, vorgesehen war, daß der Versicherungsnehmer gehalten sei, „seine von dem Schiffe habende Nachricht dem Assecuradeur getreulich zu eröffnen, und in der Police anzuzeigen, ob und wie lange das Schiff von dem Orte, wo es seine Ladung eingenommen, bereits abgegangen, oder ob noch daselbst, oder an welchem Orte sonst, es liege.“143 Die Hamburger Assecuranz-Ordnung von 1731 ist die erste gesetzliche Regelung des Hamburger Versicherungsrechts. Sie geht auf einen Entwurf des gelehrten Juristen und Kaufmanns Hermann Langenbeck zurück und erlangte im gesamten Ostseeraum gewohnheitsrechtliche Geltung.144 Die Seeversicherungspraxis einschließlich des niederländischen Versicherungsrechts und der dazugehörigen typisierten Policen waren erst zum Ende des 16. Jahrhunderts von niederländischen Kaufleuten nach Hamburg gebracht worden, wo Versicherungsurkunden unter Einfluß des Rechts von Antwerpen zunächst auf holländisch verfaßt waren.145 In Preußen wurde das Seeversicherungswesen erstmals im Jahr 1727 auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Das „Königlich Preußische See=Recht“ regelte das Seeversicherungsrecht in 34 Artikeln jedoch nur sehr lückenhaft.146 Die „Assekuranz und Haverey=Ordnung für sämtliche Königlich Preußische Staaten“ aus dem Jahr 1766 enthielt in § 89 bereits einen Generaltatbestand der Anzeigepflicht: „Da der Versicherungs=Vertrag auf beiden Seiten eine besondere Redlichkeit, Aufrichtigkeit und Treue voraussetzt und erfordert: so lieget es dem Versicherten ob, dem Versicherer die wahre Beschaffenheit, Umstände, Eigenschaften des Schiffes und Gutes offenherzig anzuzeigen, ihm die davon habenden Nachrichten unverholen mitzutheilen, auch nichts davon gefährlicher Weise zu verschweigen.“147

Das Preußische Allgemeine Landrecht enthält die erste gesetzliche Gesamtregelung des Versicherungsrechts. In ALR II 8 § 2026 ist ein Generaltatbestand für die Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers geregelt: „Verschweigt der Versicherte Umstände, welche nach dem vernünftigen Ermessen der Sachkundigen, auf den Entschluß des Versicherers, sich in den Vertrag einzulassen, hätten Einfluß haben können: so ist die Assekuranz unverbindlich und die Prämie verfallen.“ Die nachgeschobenen §§ 2030–2063 enthielten eine kasuistische Aufzählung aller Umstände, welche der Gesetzgeber für gefahrerheblich erachtete. 143 144 145 146 147

Zitiert nach Hammacher, S. 122. Hammacher, S. 58 ff.; Koch, S. 301. Hammacher, S. 56 ff.; Koch, S. 301. Hammacher, S. 63 f. Zitiert nach Hammacher, S. 122.

II. Die Entwicklung der Aufklärungspflichten im 18. Jahrhundert

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Äußerungen zu den Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers fanden sich bald auch in der versicherungsrechtlichen Literatur. So enthält Magens Abhandlung zum Versicherungsvertrag eine umfassende Liste von Umständen, die der Versicherungsnehmer in der Police angeben mußte.148 Die meisten dienten der genauen Beschreibung des Risikos, z. B. die Angabe der versicherten Sache, des Ladehafens, des Reiseziels, der Zeit, wann das Risiko beginnen und wann es enden sollte, sowie der von der Versicherung erfaßten Gefahren. Außerdem mußte der Versicherungsnehmer alle Nachrichten offenbaren, die er bis zum Abschluß der Versicherung von der zu versichernden Unternehmung erhalten hatte. In diesem Zusammenhang verweist Magens auf die Hamburger Assecuranz-Ordnung von 1731, die die erste Generalklausel zur vorvertraglichen Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers enthielt, und die „keur“ von Amsterdam aus dem Jahre 1744, die ausführlich regelte, welche Umstände der Versicherungsnehmer in der Police erwähnen mußte.149 Im Versicherungsrecht des Kontinents wurde also unterschieden zwischen der allgemeinen Vertragspflicht der Parteien, sich entsprechend den Geboten von Treu und Glauben zu verhalten, die verlangten, dem Vertragspartner nicht in Täuschungsabsicht vertragswesentliche Informationen vorzuenthalten, und der für den Versicherungsnehmer zusätzlich geltenden besonderen Anzeigepflicht, deren Verletzung keine Arglist voraussetzte. 4. Die Entwicklung im englischen Recht Der Einfluß des kontinentalen Rechtsdenkens läßt sich an Carter v Boehm und den in diesem Abschnitt zu behandelnden nachfolgenden Entscheidungen Lord Mansfields zu den Aufklärungspflichten im Versicherungsrecht deutlich ablesen. Zur Erinnerung: In Carter v Boehm hatte Lord Mansfield zum einen eine für alle Verträge geltende, aus den Grundsätzen von Treu und Glauben abgeleitete vorvertragliche Aufklärungspflicht, deren Verletzung den Tatbestand des fraud erfüllte, und zum anderen eine von den Voraussetzungen von fraud unabhängige, speziell für den Versicherungsvertrag geltende Anzeigepflicht formuliert.

148 Magens Essay on Insurance, Band II, S. 3 aus dem Jahr 1755, zitiert nach van Niekerk, S. 524. 149 Zu den Regeln der „keur“ von Amsterdam aus dem Jahr 1744 ausführlich van Niekerk, S. 512.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

a) Verschuldensunabhängige Anzeigepflicht Die verschuldensunabhängige vorvertragliche Anzeigepflicht war nach der Formulierung in Carter v Boehm eng begrenzt. Sie erstreckte sich nur auf solche Umstände, die – in den Worten Lord Mansfields- „var[y] materially the object of the policy, and chang[e] the risque understood to be run“,150 die also die zu versichernde Unternehmung konkretisierten oder sich ganz maßgeblich auf das übernommene Risiko auswirkten. Wenn der Versicherungsnehmer einen dieser Umstände verschwieg, war der Versicherungsvertrag nichtig, unabhängig davon, ob die Voraussetzungen von fraud erfüllt waren. Es war damit nicht erforderlich, daß der Versicherungsnehmer in der Absicht schwieg, den Versicherer zu einer Fehlvorstellung zu veranlassen; es genügte, daß er diese Umstände versehentlich nicht erwähnte. Hier haben die Anzeigepflichten des kontinentalen Versicherungsrechts ihren Niederschlag gefunden. Auch diese waren vom Umfang eng begrenzt auf Umstände, die das Risiko definieren. Während in den meisten Versicherungsgesetzen des Kontinents eine Vielzahl von Anzeigepflichten kasuistisch geregelt war, gab es in England keine entsprechenden Gesetze. Lord Mansfield konnte daher, noch bevor sich dies in der kontinentalen Versicherungsgesetzgebung überall durchsetzte, in einer Art Generalklausel formulieren, welche Umstände der Versicherungsnehmer anzeigen muß. Dabei ließ er sich vom kontinentalen Recht beeinflussen. So besaß er zum Beispiel Magens Werk zum Versicherungsrecht, das die vorvertragliche Anzeigepflicht behandelt und auf einschlägige Gesetzgebungswerke hinweist, wie die Hamburger Assecuranz-Ordnung, die bereits einen abstrakten Generaltatbestand der Anzeigepflicht enthielt.151 Wie eng das Verständnis der verschuldensunabhängigen Anzeigepflicht war, läßt sich aus der geringen Zahl der Fälle ersehen, in denen der Versicherer mit der Berufung auf eine Verletzung dieser Pflicht vor Lord Mansfield Erfolg hatte. Die Umstände, die der Versicherte in jedem Fall offenbaren mußte, betrafen vor allem die Beschreibung der versicherten Seereise und die Frage, ob sich das Schiff noch im Hafen befand oder bereits ausgelaufen war. Da eine Vielzahl von Versicherungen erst abgeschlossen wurde, nachdem das zu versichernde Schiff seine Reise bereits angetreten hatte, war der Zeitpunkt, wann das Schiff aus dem Hafen ausgelaufen war, von zentraler Bedeutung für die Risikoeinschätzung.152 Denn daraus ergab sich, wie lange das Schiff schon unterwegs war und wie hoch folglich die Wahrscheinlichkeit war, daß es überhaupt ankommen würde. 150 151 152

Carter v Boehm (1766) 3 Burr 1905, 1911; 97 ER 1162, 1165. Rodgers, S. 171. Shirley v Wilkinson (1781) 3 Doug 42; 99 ER 529.

II. Die Entwicklung der Aufklärungspflichten im 18. Jahrhundert

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Die Prämie wurde entsprechend kalkuliert. Deshalb konnte sich in dem Fall Ratcliffe and Another v Shoolbred153 der Versicherer vor Lord Mansfield erfolgreich auf die Nichtigkeit des Versicherungsvertrages berufen, weil der Versicherungsnehmer verschwiegen hatte, daß das zu versichernde Schiff bereits ausgelaufen war. Lord Mansfield entschied: „The insured is bound to represent to the underwriter all the material circumstances of the ship and voyage. If he do not, though by accident only, or neglect, the underwriters are not liable: a fortiori, if he suppress or misrepresent from fraud.“154 Hier wird nochmals deutlich, daß zwischen zwei Tatbeständen der Aufklärungspflichtverletzung unterschieden wurde. Bei Umständen, die die zu versichernde Reise und das Schiff betrafen, trat die Rechtsfolge der Nichtigkeit schon dann ein, wenn sie nur aus Nachlässigkeit oder aus Versehen verschwiegen wurden. Daneben galt das allgemeine Verbot, Umstände „from fraud“ zu verschweigen, also in der Absicht, den Vertragspartner zu täuschen. Daß das Verschweigen des Zeitpunkts, zu dem das versicherte Schiff den Hafen verlassen hatte, auch dann zur Nichtigkeit des Versicherungsvertrages führte, wenn die Voraussetzungen von fraud nicht vorlagen, wurde in Fillis v Brutton155 nochmals bestätigt. Nach den Angaben des Brokers sollte das Schiff am 24. des Monats auslaufen, tatsächlich war es schon am 23. ausgelaufen. Lord Mansfield erklärte: „In all insurances it is essential to the contract, that the insured should represent the true state of the ship, to the best of his knowledge. On that information the underwriters engage.“ In Shirley v Wilkinson156 entging der Versicherer seiner Haftung deshalb, weil der Versicherungsnehmer ihm nicht von einem Brief berichtet hatte, in dem sich der Kapitän des Schiffs zum voraussichtlichen Zeitpunkt des Auslaufens aus dem Hafen geäußert hatte. Der Versicherungsnehmer hatte den Brief nur deshalb verschwiegen, weil er glaubte, daß die Einschätzung des Kapitäns nicht realistisch sei, also ohne jede Absicht, den Versicherer über das Risiko zu täuschen. Lord Mansfield entschied, daß der Versicherungsnehmer den Brief trotzdem hätte offenbaren müssen, weil er Auskunft über den Reisebeginn geben konnte, von dem die Prämie abhing. Obwohl kein fraud vorlag, war die Versicherung wegen des Verschweigens des Briefs nichtig. Marshall leitet aus dieser Entscheidung den Rat ab, daß der Versicherungsnehmer dem Versicherer besser alles, was er über die zu versichernde Unternehmung weiß, mitteilen und sich nicht auf sein eigenes Ur153 (1780), die Entscheidung wird nur von Park, A System of the Law of Marine Insurances, S. 202 berichtet. 154 ibid. 155 (1782) die Entscheidung wird von Park, A System of the Law of Marine Insurances, S. 204 berichtet. 156 (1781) 3 Doug 42; 99 ER 529.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

teil darüber verlassen sollte, ob diese Tatsachen wesentlich (material) sind oder nicht.157 Denn selbst dann, wenn er eine Tatsache, die tatsächlich wesentlich war, ohne jede Täuschungsabsicht nur deshalb verschwieg, weil er sie für unwesentlich hielt, verlor er den Versicherungsschutz. b) Fraudulent concealment Auch der Tatbestand des fraudulent concealment wurde nicht leicht angenommen. Es ist kein Fall bekannt, in dem der Einwand des fraudulent concealment vor Lord Mansfield Erfolg hatte,158 denn die vorvertragliche Aufklärungspflicht auf der Basis von Treu und Glauben hatte enge Grenzen. Der Versicherungsnehmer mußte dem Versicherer ausschließlich solche Tatsachen ungefragt offenbaren, die nur er allein kannte und kennen konnte. Über Tatsachen, die der Versicherer unter Ausnutzung aller ihm zur Verfügung stehenden Informationsquellen selbst hätte herausfinden können, durfte der Versicherungsnehmer schweigen. Im Gegensatz zum heutigen Recht wurde dem Versicherer eine weitreichende Obliegenheit auferlegt, sich selbst zu informieren. Dies zeigt schon die Entscheidung Carter v Boehm, denn es dürfte für einen in London ansässigen Versicherer zu dieser Zeit nicht gerade einfach gewesen sein, Informationen darüber zu erlangen, wie gut ein Fort auf Sumatra gegen ausländische Angreifer gesichert war.159 Die Hauptverantwortung für die Beschaffung der wesentlichen Informationen traf den Versicherer. Auch hierin entspricht die von Lord Mansfield gewählte Lösung der Rechtslage auf dem Kontinent. So läßt sich Van Bynkershoeks Schriften entnehmen, daß die vorvertragliche Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers eng begrenzt war und den Versicherer eine Obliegenheit zur Selbstinformation traf.160 Marshall nennt als weiteres Beispiel für diese Obliegenheit, daß der Versicherer sich selbst darüber informieren mußte, daß das zu versichernde Schiff ausländischer Herkunft war und deshalb ohne Konvoi segeln durfte.161 Daß grundsätzlich nur der Tatbestand des fraudulent concealment die Nichtigkeit des Versicherungsvertrages nach sich zog, wird von der Entscheidung Mayne v Walter162 bestätigt, die nach Ansicht Hassons ihrer Be157

Marshall, A Treatise on the Law of Insurance, S. 351. Hasson, (1984) 47 MLR 505, 508; Park, The Duty of Disclosure in Insurance Contract Law, S. 26. 159 Hasson, (1969) 32 MLR 615, 617. 160 Van Niekerk, S. 497, Fn. 185 verweist zutreffenderweise auf Van Bynkershoek, Observationes tumultuariae, obs. 1290 und Quaestiones juris privati, IV 6; Lord Mansfield besaß Van Bynkershoek, Opera, Bände II–VI siehe Rodgers, S. 171. 161 Long v Bolton 2 Pul & Bos 209, zitiert bei Marshall, A Treatise on the Law of Insurance, S. 354. 158

II. Die Entwicklung der Aufklärungspflichten im 18. Jahrhundert

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deutung nach gleich nach Carter v Boehm einzuordnen ist.163 In diesem Fall war die versicherte Schiffsladung von den französischen Behörden beschlagnahmt worden, weil ein englischer Kargador164 an Bord war. Hintergrund war eine französische Verordnung, die es verbot, einen Kargador an Bord zu nehmen, der einer Nation angehört, die mit Frankreich verfeindet ist. Weder dem Versicherer noch dem Versicherungsnehmer war diese Verordnung bekannt. Lord Mansfield entschied, daß in diesem Fall, in dem keine der Parteien die Verordnung kannte, der Versicherer das Risiko eines Schadenseintritts tragen müsse: „If both parties were ignorant of it [the ordinance], the underwriter must run all risks: and if the defendant [the underwriter] knew of such an edict it was his duty to enquire, if such a supercargo was on board. It must be a fraudulent concealment of circumstances, that will vitiate a policy.“165

Dies galt so fort bis ins frühe 19. Jahrhundert. Im Jahr 1817 war in Friere v Woodhouse166 darüber zu entscheiden, ob ein Versicherungsvertrag wegen „undue concealment“ nichtig war, weil der Versicherungsnehmer den Versicherer vor Vertragsschluß nicht darauf hingewiesen hatte, daß ein Schiff, das gleichzeitig mit dem versicherten Schiff losgesegelt war, bereits am Zielhafen angekommen war. Justice Burrough entschied zugunsten des Versicherungsnehmers: „What is exclusively known to the assured ought to be communicated; but what the underwriter, by fair inquiry and due diligence, may learn from the ordinary sources of information need not be disclosed.“167 Hier war die Informationsquelle, deren Kenntnis beim Versicherer vorausgesetzt wurde, die Lloyd’s-Liste, der sich hätte entnehmen lassen, welche Schiffe zeitgleich auf derselben Strecke unterwegs waren und welche Schiffe bereits angekommen waren. Alle Informationen, die aus der Lloyd’s-Liste hervorgingen, brauchten nicht offenbart zu werden.168 Insbesondere konnte sich ein Versicherer nicht darauf berufen, daß er die Gepflogenheiten der Branche, auf die sich die Versicherung bezog, nicht kenne.169 Auf Handelsbräuche mußte der Versicherer nicht hingewiesen 162

Mayne v Walter (1782) 3 Doug 79; 99 ER 548. Hasson, (1969) 32 MLR, 615, 617. 164 Ein Kargador ist der Begleiter einer Schiffsladung, der den Transport der Ladung bis zur Übergabe an den Empfänger zu überwachen hat. 165 Das Zitat ist von Parks Bericht des Falls übernommen, Park, A System of the Law of Marine Insurances, S. 221. Supercargo bedeutet Kargador. 166 (1817) Holt 572; 171 ER 345. 167 (1817) Holt 572, 573; 171 ER 345. 168 Zur Lloyd’s-Liste siehe Vance, Handbook of the Law of Insurance, S. 10. Mackintosh and Dwyer v Marshall (1843) 11 M & W 116; 152 ER 739 und Foley v Tabor (1861) 2 F & F 663; 175 ER 1231 bestätigen, daß die Kenntnis des Inhalts der Lloyd’s-Liste beim Versicherer unterstellt wurde. 169 Salvador v Hopkins (1765) 3 Burr 1707; 97 ER 1057. 163

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

werden, denn es wurde unterstellt, daß er alle Handelsbräuche eines Gewerbes, für das er als Versicherer tätig war, kannte, selbst wenn diese Bräuche noch nicht lange bestehen sollten.170 Kannte er sie nicht, so lag es an ihm, sich zu informieren. Um die Kenntnis eines Handelsbrauchs ging es auch in Planché v Fletcher.171 Das versicherte Schiff war für Ostende klariert worden; tatsächlich sollte es nie dorthin fahren, sondern direkt von London aus einen Hafen in Frankreich anlaufen. Der Versicherer berief sich auf den Tatbestand des fraud, denn er hätte darüber informiert werden müssen, daß das Schiff nicht nach Ostende fahren sollte. Der Versicherungsnehmer jedoch konnte beweisen, daß alle Schiffe, die mit Frachtgut britischer Herkunft nach Frankreich fuhren, für Ostende klariert wurden, obwohl sie alle direkt ohne Halt in Ostende Frankreich ansteuerten. Diese Tatsache war auch allgemein unter den in diesem Handelszweig tätigen Personen bekannt. Der Grund für diese Praxis war wohl, daß man Leuchtturmsteuern sparte und daß Waren aus Belgien in Frankreich geringeren Zöllen unterlagen als Waren aus Großbritannien. Lord Mansfield entschied gegen den Versicherer: „. . . I think there was no fraud on them . . . What had been practised in this case was proved to be the constant course of the trade, and notoriously so to every body.“172 Die auf Treu und Glauben basierende Aufklärungspflicht war außerdem dadurch begrenzt, daß ohne große Umstände ein Verzicht des Versicherers auf bestimmte Informationen angenommen wurde. In Court v Martineau173 hätte der Versicherer allein durch die Höhe der Prämie, die der Versicherungsnehmer zu zahlen bereit war, gewarnt sein müssen, daß der Versicherungsnehmer ernsthaft befürchtete, das versicherte Schiff werde nicht sicher ankommen. Wenn der Versicherer hätte wissen wollen, aufgrund welcher Information der Versicherungsnehmer diese Befürchtung hegte, hätte er nachfragen müssen. Indem er keine Fragen stellte, obwohl sie sich ihm hätten aufdrängen müssen, verzichtete er konkludent auf die Information. Hier lag kein concealment vor, denn „it was owing to himself that he did not receive the information which he now complains was withheld from him.“174

170 171 172 173 174

field.

Noble v Kennoway (1780) 2 Dougl 510; 99 ER 326. (1779) 1 Dougl 251; 99 ER 164. Planché v Fletcher (1779) 1 Dougl 251, 253; 99 ER 164, 165. (1782) 3 Dougl 161; 99 ER 591. Court v Martineau (1782) 3 Dougl. 161, 163; 99 ER 591, 592 per Lord Mans-

II. Die Entwicklung der Aufklärungspflichten im 18. Jahrhundert

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5. Aufklärungspflichten in der versicherungsrechtlichen Literatur a) Park Die wohl wichtigste literarische Quelle zum englischen Versicherungsrecht des 18. Jahrhunderts ist James Allen Parks Werk „A System of the Law of Marine Insurances“. Es erschien zuerst 1787 und erlebte bis 1842 acht Auflagen. Park war bei dieser Veröffentlichung von Lord Mansfield unterstützt worden.175 Dieses Buch war das Standardwerk für mindestens zwei Generationen176 und wurde häufig in Gerichtsentscheidungen zitiert.177 Park unternahm es als erster Autor, das Seeversicherungsrecht in eine systematische Ordnung zu bringen und die Entscheidungen auf die ihnen zugrundeliegenden Prinzipien zurückzuführen.178 Außerdem verfolgte Park mit seinem Werk den Anspruch, eine vollständige Sammlung des bisherigen Fallmaterials zu bieten und berichtete viele Fälle, die nicht anderweitig veröffentlicht waren.179 Parks Werk bestätigt die Annahme, daß man gegen Ende des 18. Jahrhunderts von der Geltung eines allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben ausging, der die Vertragsbeziehungen bestimmte und unter Umständen gebot, dem Vertragspartner gewisse Informationen zu offenbaren. Schon aus dem Stichwortverzeichnis und den Kapitelüberschriften läßt sich ablesen, daß nach Parks Auffassung das Verschweigen von Umständen bei Vertragsverhandlungen den Tatbestand von fraud erfüllen kann. Im Stichwortverzeichnis finden sich die einschlägigen Stellen zu vorvertraglichen Aufklärungspflichten unter dem Eintrag „void policy“ unter dem Untereintrag „undue concealment“ und dem Verweis auf die Einträge unter „fraud“. Für Park folgt die Pflicht, den Vertragspartner über bestimmte Umstände aufzuklären, aus dem Gebot der vertraglichen Fairneß, dem alle Verträge unterliegen: 175

Simpson, (1981) 48 Univ. Chi. L. Rev. 632, 660. Raynes, A History of British Insurance, S. 209. Marshall kommentiert das Werk 1809 wie folgt: „To Mr. Justice Park, the profession of the law and the commercial world are much indebted for his System of the law of insurances. This work, however, is too well known and too highly appreciated, to require any comment“, Marshall, A Treatise on the Law of Insurance, S. 22. 177 Z. B. Barclay v Cousins (1802) 2 East 545, 549; 102 ER 480. 178 Park selbst schreibt im Vorwort zur ersten Auflage: „No book that I have met with in the English language, has ever yet attempted to form this branch of jurisprudence into a systematic arrangement, or to reduce the cases to any fixed or settled principles“, Park, A System of the Law of Marine Insurances, Preface. 179 „I believe I have not omitted a single case that has ever appeared in print upon the subject,“ Park, A System of the Law of Marine Insurances, Einleitung, S. 15. 176

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„In every contract between man and man, openness and sincerity are indispensably necessary to give it it’s due operation; because, fraud and cunning once introduced, suspicion soon follows, and all confidence and good faith are at an end. No contract can be good unless it be equal; that is neither side must have an advantage by any means, of which the other is not aware.“180

Park beschreibt drei Arten von fraud, die sich auf die Gültigkeit von Versicherungsverträgen auswirken. Zwei der genannten Erscheinungsarten von fraud betreffen Falschangaben; hier interessiert die zweite Gruppe, das Verschweigen von Umständen: „. . . the suppression of any circumstances, which the insured knows to exist; and which, if known to the underwriter, might prevent him from undertaking the risk at all, or if he did, might entitle him to demand a larger premium“.181 Der Versicherungsvertrag ist nur ein Anwendungsbeispiel dieser für alle Verträge geltenden vorvertraglichen Aufklärungspflicht: „Concealment of circumstances vitiates all contracts, upon the principles of natural law.“182 Darüber hinaus gelten für den Versicherungsvertrag besondere Aufklärungspflichten, die von den Voraussetzungen von fraud unabhängig sind: „This being admitted of contracts in general, it holds with double force in those of insurance; because the underwriter computes his risk entirely from the account given by the person insured, and therefore it is absolutely necessary to the justice and validity of the contract, that this account be exact and complete. Accordingly, the learned judges of our courts of law, feeling that the very essence of insurance consists in a rigid attention to the purest good faith, and the strictest integrity, have constantly held, that it is vacated and annuled by any the least shadow of fraud or undue concealment.“183

Park erklärt die weiterreichenden Aufklärungspflichten im Versicherungsvertragsrecht damit, daß der Grundsatz von Treu und Glauben für die Versicherung von besonderer Bedeutung ist, weil der Versicherer in viel stärkerem Maße als bei anderen Verträgen auf die Information durch den Vertragspartner angewiesen ist. Fast alle Informationen, die der Versicherer über das Risiko hat, stammen vom Versicherungsnehmer. Der Versicherer muß sich auf dessen Angaben verlassen, um das Risiko abschätzen zu können. Schon Lord Mansfield hatte zur Begründung der Aufklärungspflicht in Carter v Boehm angeführt, daß bei Abschluß eines Versicherungsvertrages meist allein der Versicherungsnehmer die Tatsachen kenne, die das Risiko begründen und sich daher der Versicherer auf dessen Angaben verlasse.184 Park bringt diese besondere Bedeutung von Treu und Glauben auch mit 180

Park, A System of the Law of Marine Insurances, S. 194. Park, A System of the Law of Marine Insurances, S. 195. 182 Park, A System of the Law of Marine Insurances, S. 199, so auch Hodgson v Richardson (1764) 1 Black W 463; 96 ER 268 per Yates. 183 Park, A System of the Law of Marine Insurances, S. 195. 184 Carter v Boehm (1766) 3 Burr 1905, 1909; 97 ER 1162, 1164. 181

II. Die Entwicklung der Aufklärungspflichten im 18. Jahrhundert

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sprachlichen Mitteln zum Ausdruck: es bedürfe einer „rigid attention to the purest good faith and strictest integrity“, er kommt jedoch ohne den Ausdruck uberrima fides aus. Die Grenze zwischen der für alle Verträge geltenden Aufklärungspflicht, deren Verletzung den Tatbestand des fraud erfüllte, und der besonderen verschuldensunabhängigen Aufklärungspflicht für den Versicherungsvertrag wird jedoch verwischt. Zwar trägt das Kapitel, das den gesamten Bereich der Offenbarungspflichten im Versicherungsrecht behandelt, die Überschrift „of fraud in policies“. Es scheint aber dennoch, als gelte nach Parks Auffassung die verschuldensunabhängige Aufklärungspflicht im Versicherungsrecht für alle wesentlichen Umstände und nicht nur für solche, die in den Worten von Lord Mansfield in der Entscheidung Carter v Boehm: „var[y] materially the object of the policy and chang[e] the risk understood to be run.“185 Park stellt seinen näheren Ausführungen zum Verschweigen von Umständen folgendes voran: „The underwriter must therefore rely upon [the insured] for all necessary information; and must trust to him that he will conceal nothing, so as to make him form a wrong estimate. If a mistake happen, without any fraudulent intention, still the contract is annulled, because the risk is not the same, which the underwriter intended.“186

Aus den Entscheidungen Ratcliffe v Shoolbred und Fillis v Brutton, in denen jeweils der Versicherungsvertrag für nichtig erklärt wurde, ohne daß die Voraussetzungen von fraud erfüllt waren, weil der Versicherungsnehmer mit dem Zeitpunkt, wann das Schiff den Hafen verlassen hatte, einen Umstand verschwiegen hatte, der das übernommene Risiko definierte,187 leitet Park folgende sehr weit reichende Regel ab: „one of the contracting parties is bound to conceal nothing from the other.“188 Die Begrenzung der verschuldensunabhängigen Aufklärungspflicht auf die Umstände, die das Risiko in seinem Wesen betreffen, ist damit jedenfalls in der Formulierung entfallen. Diese vom Grundsatz schon sehr umfassende Aufklärungspflicht ist im Ergebnis dennoch eng begrenzt, weil den Versicherer eine weitreichende Obliegenheit zur Selbstinformation trifft: „But although the rule is laid down thus generally, . . ., yet it is by no means so general, as not to admit of an exception . . . There are many matters, as to which the insured may be innocently silent.“189 Zur Beschreibung der Ausnahmen lehnt sich Park eng 185

Carter v Boehm (1766) 3 Burr 1905, 1909; 97 ER 1162, 1164. Park, A System of the Law of Marine Insurances, S. 199. 187 Ratcliffe v Shoolbred und Fillis v Brutton, zitiert nach, Park, A System of the Law of Marine Insurances, S. 202 ff. 188 Park, A System of the Law of Marine Insurances, S. 204. 189 Park, A System of the Law of Marine Insurances, S. 204. 186

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an die Formulierungen von Lord Mansfield in Carter v Boehm an. Der Versicherungsnehmer braucht nicht zu offenbaren, was der Versicherer weiß, was er wissen sollte und was das Risiko verringert; ferner Tatsachen, die die allgemeine politische Lage betreffen. Um die Ausnahmen weiter zu illustrieren, gibt Park auf zwölf Seiten die Entscheidung Carter v Boehm vollständig wieder. Obwohl Park also im Grundsatz schon eine sehr weitgehende Aufklärungspflicht formuliert, ist diese im Ergebnis auch in seiner Darstellung begrenzt, weil er einen weitreichenden Ausnahmebereich von Umständen, über die man schweigen darf, anerkennt. b) Marshall Ein weiteres Standardwerk zum Versicherungsrecht ist Marshalls „A Treatise on the Law of Insurance“, das 1802 erstmals erschien. Das Kapitel, in dem Marshall die vorvertraglichen Aufklärungspflichten behandelt, trägt den Titel „Of concealment“. Concealment wird dort folgendermaßen definiert: „Concealment or suppressio veri, is nearly allied to misrepresentation, or allegatio falsi, and consists in the fraudulent suppression of any fact or circumstance material to the risk . . . This, like every other fraud, avoids the contract ab initio upon principles of natural law.“190 Das Verschweigen von Umständen ist demnach auch für Marshall eine Erscheinungsform von fraud. Auch hier findet sich zur Rechtfertigung der vorvertraglichen Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers das bekannte Argumentationsmuster: Weil üblicherweise nur der Versicherungsnehmer die risikorelevanten Tatsachen kenne, müsse sich der Versicherer auf dessen Information verlassen, um das Risiko kalkulieren zu können. Der Versicherer gehe den Vertrag ein in dem Vertrauen darauf, daß der Versicherungsnehmer, dem alle Umstände im Zusammenhang mit der Reise bekannt sind, fair mit ihm verhandelt und ihm keine Information, deren Kenntnis für ihn wesentlich ist, vorenthalten hat.191 Obwohl zunächst für Marshall „fraudulent suppression“ noch ein Bestandteil der Definition von concealment gewesen ist, läßt er das Erfordernis von fraud im folgenden fallen, und erklärt, daß auch eine Nichtoffenbarung, die nur die Folge eines Versehens, von Fahrlässigkeit, Unaufmerksamkeit oder Irrtum ist, ebenso wie fraud zur Nichtigkeit des Vertrages führt. Fraud spielt also für Marshall keine eigenständige, den Tatbestand begrenzende Rolle mehr, wenn es um die Nichtoffenbarung von risikorelevanten Umständen geht. Er unterscheidet für den Versicherungsvertrag nicht mehr zwischen der für alle Verträge geltenden vorvertraglichen Aufklärungspflicht, deren Verletzung fraud darstellt, und 190

Marshall, A Treatise on the Law of Insurance, S. 347, Hervorhebung im Ori-

ginal. 191

Marshall, A Treatise on the Law of Insurance, S. 347.

II. Die Entwicklung der Aufklärungspflichten im 18. Jahrhundert

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der speziellen, von den Voraussetzungen von fraud unabhängigen Aufklärungspflicht, die sich nur auf die Tatsachen erstreckt, die das Wesen des Risikos ausmachen, sondern nach seiner Darstellung unterliegen im Versicherungsvertragsrecht alle wesentlichen Umstände der von fraud unabhängigen Aufklärungspflicht. Marshall formuliert bereits eine sehr weitreichende Offenbarungspflicht: „It therefore behoves the insured, from motives of common prudence, to inform himself of every fact and circumstance which may throw the smallest light on the nature and perils of the proposed adventure; and he is bound by principles of moral honesty to disclose to the insurer all such circumstances with the most unreserved candour and frankness.“192

Anders als noch bei Lord Mansfield wird damit die Verantwortung für die Beschaffung der Informationen über das zu versichernde Risiko vom Versicherer auf den Versicherungsnehmer verlagert. Diese umfassende Offenbarungspflicht erfährt jedoch eine Einschränkung in zweierlei Hinsicht. Zum einen brauchen nur solche Umstände offenbart zu werden, die für das Risiko wesentlich (material) sind, wobei aber das Kriterium der Wesentlichkeit selbst so weit definiert ist, daß es zu keiner wirklichen Begrenzung der Aufklärungspflicht führt: „Every fact and circumstance which can possibly influence the mind of the insurer in determining whether he will underwrite the policy at all, or at what premium he will underwrite it, is material.“193 Von der Formulierung ist das Kriterium der Wesentlichkeit jedenfalls nicht begrenzt auf solche Umstände, die den Kern des Risikos betreffen. Es ist aber nicht zu erkennen, ob Marshall mit dieser Formulierung tatsächlich inhaltlich eine weiterreichende Offenbarungspflicht aufstellen wollte, als sie von der Rechtsprechung anerkannt war. Denn er nennt dafür, wann Schweigen, das die Voraussetzungen von fraud nicht erfüllt, zur Nichtigkeit des Vertrages führt, nur die bekannten Beispiele, die sämtlich den Kern des Risikos betrafen: den Zeitpunkt des Reiseantritts,194 die Art der versicherten Unternehmung und ob diese besonders gefährlich ist.195 Das Verschweigen dieser Umstände hatte auch schon bei Lord Mansfield, ohne daß die Voraussetzungen von fraud vorliegen mußten, zur Nichtigkeit des Versicherungsvertrages geführt.196

192

Marshall, A Treatise on the Law of Insurance, S. 348. Marshall, A Treatise on the Law of Insurance, S. 348. 194 Marshall, A Treatise on the Law of Insurance, S. 350. Hierzu zitiert er McAndrews v Bell, Esp Rep 373. 195 Marshall, A Treatise on the Law of Insurance, S. 351, hierfür beruft er sich ganz selbstverständlich auf Émerigon; das illustriert die intellektuelle Verbindung zum Versicherungsrecht auf dem Kontinent. 196 Marshall, A Treatise on the Law of Insurance, S. 348 f., vgl. Fillis v Brutton und Ratcliffe v Shoolbred (o. Fn. 187). 193

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Wirkungsvoll begrenzt wird die oben formulierte weite Offenbarungspflicht durch die Anerkennung eines großen Ausnahmebereichs von Umständen, über die der Versicherer nicht informiert zu werden braucht. Marshall folgt den Kriterien, die Lord Mansfield in Carter v Boehm aufgestellt hat;197 diese Entscheidung gibt auch er sehr ausführlich wieder. Auch nach Ansicht Marshalls muß der Versicherer insbesondere nicht über solche Umstände informiert werden, die er kennt oder die er selbst in Erfahrung bringen kann. Diese Begrenzung der Offenbarungspflicht wirkt sich für den Versicherungsnehmer entlastend und für den Versicherer belastend aus. Denn wie die Beispiele zeigen, wird dem Versicherer zugemutet, sich alle relevanten Informationen, soweit ihm das irgend möglich ist, selbst zu beschaffen. Obwohl Marshall im Grundsatz mit den von Lord Mansfield formulierten Ausnahmeregeln einverstanden ist, kritisiert er dennoch das Ergebnis in der Entscheidung Carter v Boehm, weil es nicht von den in der Entscheidung abstrakt aufgestellten Prinzipien getragen sei, da man fairerweise gerade nicht davon hätte ausgehen können, daß dem Versicherer die wesentlichen Tatsachen bekannt gewesen seien oder daß er sie hätte herausfinden können. Die Gerechtigkeit hätte verlangt, daß der Versicherungsnehmer sie mitteilt. 6. Zwischenergebnis Die intellektuellen Verbindungen zum Kontinent waren im Bereich des Seeversicherungsrechts besonders eng. Das Seeversicherungsrecht in England wurde als Teil der international einheitlichen lex mercatoria begriffen, und die kontinentale Literatur war eine wichtige Rechtsquelle. Lord Mansfield begründete in Carter v Boehm kein dem kontinentalen Recht fremdes Prinzip, vielmehr stand die Anerkennung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten im englischen Versicherungsvertragsrecht im Einklang mit der Rechtsentwicklung auf dem Kontinent. Dies läßt sich bis in die Formulierung der Aufklärungspflicht verfolgen. Im englischen Recht unterlagen ebenso wie auf dem Kontinent alle Verträge, und damit auch der Versicherungsvertrag, dem Grundsatz von Treu und Glauben. Dieser verbot, daß eine Partei vertragswesentliche Umstände bewußt verschwieg, um die andere Partei zu täuschen. Ein solches Schweigen erfüllte den Tatbestand von fraud und hatte die Nichtigkeit des Vertrages zur Folge. Zusätzlich galt in England wie auch auf dem Kontinent für den Versicherungsvertrag eine spezielle Anzeigepflicht, deren Verletzung auch ohne Vorliegen von fraud zur Nichtigkeit des Versicherungsvertrages führte. Der Grund für diese Anzeigepflicht lag darin, daß der Versicherungsvertrag dem Grundsatz von Treu und Glauben in besonderem Maße unterworfen ist, weil der Versiche197

Marshall, A Treatise on the Law of Insurance, S. 353.

III. Das Prinzip der uberrima fides

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rer stärker als bei anderen Verträgen auf die Information des Vertragspartners, die er oft nicht überprüfen kann, angewiesen ist und ein sehr hohes Risiko im Vertrauen auf die Information des Versicherungsnehmers eingeht. Dies fand Ausdruck in verschiedenen Wendungen, wie z. B. in der Preußischen Assekuranzordnung in den Worten „besondere Redlichkeit, Aufrichtigkeit und Treue“ oder im englischen Recht „rigid attention to the purest good faith“. Der Ausdruck uberrima fides war dagegen noch nicht gebräuchlich. Diese spezielle, verschuldensunabhängige Anzeigepflicht wurde ursprünglich eng ausgelegt und erstreckte sich nur auf solche Umstände, die den Kern des Risikos betrafen, wie z. B. der Beginn der versicherten Reise oder der Ladehafen. Obwohl die von den Voraussetzungen von fraud unabhängige Anzeigepflicht in der Formulierung von Park und Marshall schon sehr weit reichte, war sie im Ergebnis immer noch eng begrenzt, da den Versicherer eine Obliegenheit zur Selbstinformation traf. Denn über alle Umstände, die der Versicherer „by fair inquiry and due diligence“ selbst herausfinden konnte, durfte der Versicherungsnehmer schweigen.

III. Das Prinzip der uberrima fides 1. Ausweitung der Aufklärungspflicht im 19. Jahrhundert Die eng begrenzte versicherungsrechtliche Anzeigepflicht, die Lord Mansfield im 18. Jahrhundert etabliert hatte, erfuhr im 19. Jahrhundert eine Ausdehnung,198 die schließlich zu der weiten Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers, wie sie heute mit dem Begriff uberrima fides in Verbindung gebracht wird, geführt hat. a) Lindenau v Desborough Lindenau v Desborough199 wird oft zitiert als der Fall, der den Wandel der Gerichte in ihrer Haltung zu der Offenbarungspflicht des Versicherungsnehmers eingeläutet hat.200 Dies ist die erste wichtige Entscheidung im Bereich der Aufklärungspflichten, die keine Seeversicherung, sondern eine Lebensversicherung zum Gegenstand hatte. Es ist erstaunlich, daß aus diesem Fall, dem sehr spezielle Tatsachen zugrunde liegen, überhaupt ein 198 Park, The Duty of Disclosure in Insurance Contract Law, S. 27; „Unfortunately, developments in the nineteenth century began to undercut the simple and entirely rational body of principle, whose outline we have traced“, Hasson, (1969) 32 MLR 615, 618. 199 (1828) 8 B&C 586; 108 ER 1160. 200 Park, The Duty of Disclosure in Insurance Contract Law, S. 27; Achampong, (1987) 36 ICLQ 329, 331.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

allgemeingültiges Prinzip abgeleitet wurde.201 Der Fürst von Sachsen Gotha hatte über den in Deutschland ansässigen Agenten einer englischen Versicherungsgesellschaft eine Lebensversicherung abgeschlossen. Nach dem Tod des Fürsten machte die Versicherungsgesellschaft geltend, daß der Vertrag nichtig sei, weil die Ärzte des Fürsten in Deutschland auf dem Fragebogen, auf dem sie zum Gesundheitszustand des Fürsten Auskunft erteilt hatten, zwar die Sprachschwierigkeiten des Fürsten angegeben hatten, nicht aber die Einschränkung seiner mentalen Fähigkeiten. Beides war wahrscheinlich durch einen Hirntumor verursacht, an dem der Fürst nur ein Jahr nach Abschluß der Versicherung starb. Der Tumor wurde erst nach seinem Tod diagnostiziert. Die Ärzte gaben an, daß sie nicht davon ausgegangen waren, daß die mentalen Schwierigkeiten des Fürsten Einfluß auf seine Lebenserwartung haben würden, sie waren nicht als Symptome eines Tumors erkannt worden. Justice Bayley nahm die Gelegenheit wahr, sich umfassend zu vorvertraglichen Aufklärungspflichten im Versicherungsrecht zu äußern: „I think that in all cases of insurance, whether on ships, houses or lives, the underwriter should be informed of every material circumstance within the knowledge of the assured; and that the proper question is, whether any particular circumstance was in fact material? and not whether the party believed it to be so. The contrary doctrine would lead to frequent suppression of information, and it would often be extremely difficult to shew that the party neglecting to give the information thought it material. But if it be held that all material facts must be disclosed, it will be the interest of the assured to make a full and fair disclosure of all the information within their reach. . . . the concealment of a material fact, although not fraudulent, is sufficient to vitiate a policy on a ship. On these grounds and authorities I am of opinion that the proper question for the jury was not whether the party believed the information withheld to be material, but whether it was in fact material.“202

In den bisherigen Entscheidungen zu vorvertraglichen Aufklärungspflichten des Versicherungsnehmers hatte nur das Verschweigen von Tatsachen, die den Kern des versicherten Risikos betrafen, ohne Rücksicht auf den inneren Tatbestand seitens des Versicherungsnehmers zur Nichtigkeit des Versicherungsvertrages geführt. Der Kreis dieser Tatsachen war enger gezogen als jener der Umstände, die hier als „material“ bezeichnet werden. Das Verschweigen von Umständen, die nicht den Kern des versicherungsrechtlichen Risikos betrafen, hatte dagegen nur unter den Voraussetzungen des fraudulent concealment die Nichtigkeit des Vertrages zur Folge. Dies war dann der Fall, wenn der Versicherungsnehmer den Umstand in der Absicht verschwiegen hatte, den Versicherer damit zu einer falschen Einschätzung des 201 Hasson, (1969) 32 MLR 615, 618, 621 spricht vom „freakish character“ dieser Entscheidung. 202 (1828) 8 B&C 586, 592; 108 ER 1160, 1162.

III. Das Prinzip der uberrima fides

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Risikos zu veranlassen. Auf das Vorliegen dieser Voraussetzungen konnte sich ein Versicherer allerdings kaum erfolgreich berufen. Über die Unterscheidung dieser beiden Aufklärungspflichten und die engen Voraussetzungen der speziellen verschuldensunabhängigen Aufklärungspflicht des Versicherungsrechts setzte sich der Richter Bayley hinweg. Es galt nun für alle Umstände, die sich als wesentlich herausstellten, die verschuldensunabhängige Anzeigepflicht ohne Begrenzung auf solche Umstände, die den Kern des übernommenen Risikos ausmachten. Dabei mußte der Versicherungsnehmer nicht einmal erkannt haben, daß der Umstand wesentlich war. Die einzige verbliebende Voraussetzung für die Nichtigkeit des Versicherungsvertrages wegen des Verschweigens eines Umstandes war nun, daß dieser Umstand dem Versicherungsnehmer bekannt und objektiv wesentlich war. Auf die subjektive Einschätzung der Wesentlichkeit durch den Versicherungsnehmer und seine Absicht kam es nicht an. Lindenau v Desborough wurde damit erklärt, daß es sich um die Lebensversicherung eines Ausländers handelte, was die Richter mehrfach betonten.203 Die Angaben der Ärzte in Deutschland waren damit die einzige Informationsquelle über seinen Gesundheitszustand. Zu dieser Zeit war es kaum denkbar, den Versicherungsnehmer anreisen zu lassen, damit er durch unabhängige Gutachter untersucht werden konnte. Für diese besondere Konstellation ist die Entscheidung gerechtfertigt. Die Besonderheit, daß sich der Versicherer nicht selbst informieren konnte, wurde jedoch in der Folge bei der Anwendung der Entscheidung nicht berücksichtigt. Lindenau v Desborough steht für die umfassende Pflicht des Versicherungsnehmers, alle objektiv wesentlichen Tatsachen zu offenbaren, ohne die Einschränkung, daß der Versicherer nicht über Umstände informiert werden muß, über die er sich selbst unterrichten kann. b) Bates v Hewitt Die bedeutendste Entscheidung im 19. Jahrhundert zur Frage vorvertraglicher Aufklärungspflichten im Versicherungsvertragsrecht ist Bates v Hewitt.204 Hier manifestiert sich die Abkehr von den Prinzipien, die im 18. Jahrhundert entwickelt wurden.205 Die Begrenzung der Aufklärungspflicht auf solche Umstände, über die sich der Versicherer nicht selbst informieren kann, wurde endgültig aufgegeben. 203 Hasson, (1969) 32 MLR 615, 619; Park, The Duty of Disclosure in Insurance Contract Law, S. 27. 204 (1867) LR 2 QB 595. 205 Hasson, (1969) 32 MLR 615, 619; Park, The Duty of Disclosure in Insurance Contract Law, S. 28.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

Der Entscheidung, deren Gegenstand ein Seeversicherungsvertrag ist, liegt folgender Sachverhalt zugrunde. Der Kläger hatte beim Beklagten 1864 eine Versicherung für das Schiff Georgia abgeschlossen. Die Georgia war 1863 und 1864 während des amerikanischen Sezessionskrieges206 für die Konföderierten Staaten von Amerika, dem Bund der elf Südstaaten, die sich von der Union losgesagt hatten, als Kreuzer im Einsatz gewesen. Danach wurde sie in Liverpool abgewrackt, bevor sie schließlich der Kläger bei einer öffentlichen Auktion erwarb und zu einem Handelsschiff umrüstete. Als sie in Liverpool lag, zog die Georgia ein beachtliches öffentliches Interesse auf sich, sowohl in der Londoner Presse als auch im Unterhaus. Während der Reise, die beim Beklagten versichert war, wurde die Georgia von einer Fregatte der USA aufgebracht, weil sie ein ehemaliges Kriegsschiff der Konföderierten war. Der beklagte Versicherer weigerte sich, die Versicherungssumme zu bezahlen, weil der Vertrag nichtig sei, da der Kläger ihm bei Abschluß des Vertrages nicht mitgeteilt habe, daß es sich bei dem versicherten Handelsschiff Georgia um den ehemaligen Kreuzer Georgia handele. Die Jury entschied, daß diese Tatsache wesentlich war, weil die Georgia als ehemaliger Kreuzer der Konföderierten der Gefahr ausgesetzt war, von den USA beschlagnahmt zu werden, und der Versicherer die Versicherung deshalb nicht oder zu anderen Konditionen abgeschlossen hätte. Außerdem entschied sie, daß der Versicherer, obwohl ihm die Identität des Schiffes im Moment des Vertragsschlusses nicht präsent war, eine Fülle von Möglichkeiten hatte, das Schiff zu identifizieren, ausgehend von seinem früheren Wissen in Verbindung mit den vom Kläger übermittelten Informationen. Denn im Laufe der schriftlichen Verhandlungen über die Prämie hatte der beklagte Versicherer dem Kläger sogar von seiner Annahme geschrieben, daß es sich bei dem Schiff Georgia um den bekannten Kreuzer handele. Im Prozeß sagte der Versicherer aus, daß er die Geschichte der Georgia kenne; ihm sei aber nicht bewußt gewesen, daß es sich um dieselbe Georgia handelte. Die Briefe des Klägers habe er nicht aufmerksam gelesen. Die Richter beriefen sich zur Lösung des Falles auf die Entscheidung Carter v Boehm: „It is of the greatest importance to abide by the cardinal rules which have prevailed on this subject since the judgment delivered by Lord Mansfield in the case of Carter v. Boehm“;207 „[s]o far as I know, the judgment of Lord Mansfield has never been qualified or questioned . . . That judgment rests on a sound principle, and has always been considered as laying down the true rules which govern the law of insurance.“208 Nach 206 1861–1865, Amerikanischer Bürgerkrieg zwischen elf aus der Union ausgetretenen Südstaaten und den in der Union verbliebenen Nordstaaten der USA. 207 (1867) LR 2 QB 595, 608 per Mellor. 208 (1867) LR 2 QB 595, 610 per Mellor.

III. Das Prinzip der uberrima fides

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diesen Ausführungen überrascht es, daß die Klage abgewiesen wurde. Cockburn, CJ, erkärte: „No proposition of insurance law can be better established than this, viz. that the party proposing the insurance is bound to communicate to the insurer all matters which will enable him to determine the extent of the risk against which he undertakes to guarantee the assured . . . And it is also well established law, that it is immaterial whether the omission to communicate a material fact arises from intention, or indifference, or a mistake, or from it not being present to the mind of the assured that the fact was one which it was material to make known.“209

Diese Formulierung der Aufklärungspflicht geht weit über das hinaus, was Lord Mansfield von dem Versicherungsnehmer verlangte. Sie entspricht der Regel, die in Lindenau v Desborough aufgestellt wurde, wonach der Versicherungsnehmer alle Umstände offenbaren muß, die einen Einfluß auf die Einschätzung des Risikos haben können. Der Bereich der Umstände, über die der Versicherungsnehmer schweigen darf, wurde drastisch verengt. Denn nach Ansicht der Richter brauchen nur solche Tatsachen nicht offenbart zu werden, die beiden Parteien bekannt sind oder zum Allgemeinwissen (public notoriety) gehören. Abgesehen davon müsse der Versicherungsnehmer dem Versicherer alles mitteilen, was notwendig und wichtig ist, um ihm die Risikoeinschätzung zu ermöglichen.210 Der einzig zulässige Einwand sei, daß der Versicherer zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses aktuelle Kenntnis von einem Umstand hatte.211 Nicht ausreichend sei, daß ihm Dokumente übermittelt wurden, aus denen er mittels gründlicher Überlegungen und durch eine Gedächtnisanstrengung hätte ableiten können, daß er ein gefährliches Risiko übernimmt.212 Die relevante Information muß sich unmittelbar den Mitteilungen des Versicherungsnehmers entnehmen lassen. Der Aufklärungspflicht ist nicht genüge getan, wenn der Versicherer auf zusätzliche Informationen zurückgreifen muß, um eine Tatsache in Erfahrung zu bringen.213 Es genügt also nicht mehr, daß der Versicherer gleichen Informationszugang hat, sondern er muß tatsächlich den gleichen Informationsstand wie der Versicherungsnehmer haben: „the person proposing the insurance should take care that the underwriter is as well informed as he himself is of all those circumstances which would increase the risk which he offers to the underwriter . . . the parties were not upon equal terms; they had not an equal amount of knowledge“.214 Zwar hätte der Versicherer herausfinden 209

(1867) LR 2 QB 595, 604 f., 607. (1867) LR 2 QB 595, 605 per Cockburn. 211 (1867) LR 2 QB 595, 605 per Cockburn. 212 (1867) LR 2 QB 595, 610 per Mellor. 213 (1867) LR 2 QB 595, 605 f., „something extrinsic to the communication itself“ genügt danach nicht. 210

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

können, daß es sich bei der Georgia um den Kreuzer handelte, er war aber nicht verpflichtet, Nachforschungen anzustellen. Alle drei Richter bemühten sich, ihre Entscheidung so darzustellen, als stünde sie in Einklang mit den bisherigen Präzedenzfällen. Sie beriefen sich auf Carter v Boehm, obwohl dort das Gegenteil dessen entschieden wurde, was die Entscheidung angeblich belegen sollte. Die Entscheidung Friere v Woodhouse, in der es ausdrücklich hieß, „what the underwriter, by fair inquiry and due diligence, may learn from the ordinary sources of information need not be disclosed“,215 wurde darauf reduziert, daß der Versicherungsnehmer Umstände nicht mitteilen müsse, die sich der Lloyd’s-Liste entnehmen lassen. Geradezu absurd ist es, daß Justice Shee das Vorbringen des Klägeranwalts, wonach keine Aufklärungspflicht bestehen sollte, wenn der Versicherer die Möglichkeit hatte, den relevanten Umstand selbst in Erfahrung zu bringen, mit dem Argument ablehnte, daß der Anwalt dafür keinen Präzedenzfall genannt habe;216 die einschlägige Leitentscheidung ist Carter v Boehm. Die Richter begründen diese weitgehenden Offenbarungspflichten damit, daß „the full and perfect good faith which there ought to be in contracts of marine insurance“ untergraben würde, erlaubte man dem Versicherungsnehmer eine Spekulation darüber, was der Versicherer weiß: „to enable a person proposing an insurance to speculate upon the maximum or minimum of information he is bound to communicate would be introducing a most dangerous principle into the law of insurance.“217 In Bates v Hewitt wird besonders augenfällig, wie sehr sich die Rechtsprechung von den von Lord Mansfield im 18. Jahrhundert aufgestellten Prinzipien entfernte. Wie weit die Richter in ihren Voten von den Regeln, die Lord Mansfield in Carter v Boehm aufgestellt hatte, tatsächlich abwichen, obwohl sie vorgaben, nichts anderes zu tun, als eben diese Regeln anzuwenden, zeigt schon ein kurzer Vergleich der Fakten der beiden Fälle: Viel schwieriger, als zu erkennen, daß es sich bei der Georgia um das ehemalige Kriegsschiff handelte, mußte es für den Versicherer in Carter v Boehm gewesen sein, von London aus in Erfahrung zu bringen, wie ein Fort im fernen Sumatra beschaffen sein mochte. Es ist kaum vorstellbar, daß in Bates v Hewitt der Versicherer auch vor einem Gericht Lord Mansfields 214

(1867) LR 2 QB 595, 611 per Shee, Hervorhebung hinzugefügt. (1817) Holt 572, 573; 171 ER 345. 216 (1867) LR 2 QB 595, 611 per Shee. 217 (1867) LR 2 QB 595, 608 per Mellor. „If we were to sanction such a course, especially in these days, when parties frequently forget the old rules of mercantile faith and honour which used to distinguish this country from any other, we should be lending ourselves to innovations of a dangerous and monstrous character, which I think we ought not to“, (1867) LR 2 QB 595, 607 per Cockburn. 215

III. Das Prinzip der uberrima fides

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gewonnen hätte. Denn die Tatsache, daß die Georgia das ehemalige Kriegsschiff war, war kein Umstand, der ausschließlich vom Versicherungsnehmer in Erfahrung zu bringen war, und der Versicherer hätte aufgrund der ihm vorliegenden Informationen auch darauf aufmerksam werden müssen. Die Obliegenheit des Versicherers, sich Informationen, die er selbst in Erfahrung bringen kann, auch tatsächlich selbst zu beschaffen, existierte damit nicht mehr. Hasson weist darauf hin, daß die weite Offenbarungspflicht, die in Lindenau v Desborough und Bates v Hewitt vertreten wurde, wenngleich sie Ende des 19. Jahrhunderts die dominierende Auffassung war, nur auf wenige Leitentscheidungen gestützt war.218 Zumindest für den Bereich der Lebensversicherung setzte sich die weite Offenbarungspflicht nicht immer durch, und es wurde daran festgehalten, daß grundsätzlich nur ein fraudulent concealment zur Nichtigkeit des Versicherungsvertrages führt: „In policies of insurance on life, an erroneous statement respecting the life insured, or mere silence respecting a material fact, in the absence of any fraudulent intention, does not avoid the policy . . .“219 Der Konflikt zwischen der engen und der weiten Offenbarungspflicht wurde dann aber endgültig durch die Entscheidung Joel v Law Union and Crown Insurance220 im Sinne letzterer gelöst.221 c) Endgültiger Durchbruch der weiten Offenbarungspflicht Gegenstand der Entscheidung Joel v Law Union and Crown Insurance war eine Lebensversicherung. Die Versicherungsnehmerin hatte vor Abschluß der Versicherung mit Hilfe eines von der Versicherungsgesellschaft beauftragten Arztes ein Formblatt mit Fragen zu ihrem Gesundheitszustand und ihrer Krankengeschichte ausgefüllt. Die darin enthaltene Frage, ob sie jemals an einer Störung ihres Geisteszustandes gelitten habe, hatte sie verneint. Außerdem hatte sie bei der Frage nach den Ärzten, die sie konsultiert 218 Hasson, (1969) 32 MLR 615, 620. Als Beispiel nennt er London Assurance v Mansel (1879) 11 Ch D 363, wo sich Sir George Jessel MR auf drei recht fragwürdige Präzedenzfälle berief: Dalglish v Jarvie (1850) 2 Mac & G 231; 42 ER 89, ein Fall, der keinen Versicherungsvertrag, sondern eine injunction zum Gegenstand hatte, Moens v Heyworth (1842) 10 M & W 147; 152 ER 418, eine Entscheidung, die ebenfalls nicht zu einem Versicherungsvertrag erging, und schließlich Lindenau v Desborough. 219 Hambrough v Mutual Life Insurance Co of N.Y. (1895) 72 LT 140, 141 per Lopes LJ. Ähnlich schon Lord Campbell CJ in Wheelton v Hardisty (1852) 2 El & Bl 232, 273; 120 ER 86, 102: „In the present case the plaintiffs were neither guilty of misrepresentation nor of fraudulent concealment.“ 220 [1908] 2 KB 868 (CA). 221 Hasson, (1969) 32 MLR 615, 621.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

hatte, und dem Grund, warum sie sie aufgesucht hatte, den Arzt nicht genannt, der sie wegen eines nach einer Influenza erlittenen Nervenzusammenbruchs behandelt hatte. Tatsächlich litt sie an einer akuten Manie, was sie jedoch bei Abschluß der Versicherung nicht wußte. Nach ihrem Selbstmord verweigerte die Versicherung die Leistung unter anderem deshalb, weil die Versicherte nicht von sich aus erwähnt hatte, daß sie bei einem gewissen Dr. Scott wegen eines Nervenzusammenbruchs in Behandlung gewesen war. Die Richter stellten klar, daß die Versicherung jedenfalls nicht schon deshalb nichtig war, weil die Versicherte nicht darauf hingewiesen hatte, daß sie manisch war, da sie dies selbst nicht gewußt hatte: „The duty is a duty to disclose, and you cannot disclose what you do not know.“222 In der Entscheidung wurde die Geltung der weiten Offenbarungspflicht, wie sie in Bates v Hewitt formuliert worden war, auch für Lebensversicherungen bestätigt: „That duty, no doubt, must be performed, but it does not suffice that the applicant should bona fide have perfomed it to the best of his understanding. There is the further duty that he should do it to the extent that a reasonable man would have done it . . . If a reasonable man would have recognized that it was material to disclose the knowledge in question, it is no excuse that you did not recognize it to be so.“223

Die Versicherungsnehmerin hätte darauf hinweisen müssen, daß sie wegen eines Nervenzusammenbruchs in Behandlung war, obwohl sie die Bedeutung dieses Umstandes für ihre Lebenserwartung nicht erkannt hatte. Denn sie wußte nicht, daß sie tatsächlich nicht nur einen einfachen Nervenzusammenbruch erlitten hatte, sondern an einer manischen Depression erkrankt war. Mit Joel v Law Union and Crown Insurance war die Entwicklung der Aufklärungspflichten im Versicherungsvertragsrecht im wesentlichen abgeschlossen. Der Versicherungsnehmer muß dem Versicherer alle vertragswesentlichen Umstände offenbaren, die ihm bekannt sind. Es kommt nur darauf an, daß ein Umstand tatsächlich wesentlich ist. Ob der individuelle Versicherungsnehmer die Wesentlichkeit erkannt hat, ist ohne Belang, solange sie ein „reasonable man“ hätte erkennen können. Selbst wenn der Versicherungsnehmer ohne Täuschungsabsicht und nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt hat, verliert er den Versicherungsschutz, wenn sich herausstellt, daß er einen vertragswesentlichen Umstand nicht mitgeteilt hat. Das Verschuldenserfordernis ist gänzlich entfallen. Außerdem ist die Obliegenheit des Versicherers zur Selbstinformation vollständig fortgefallen. Es wird nicht mehr mit fraud und good faith argumentiert, relevant ist einzig, ob 222 223

[1908] 2 KB 868, 884 per Fletcher Moulton LJ. [1908] 2 KB 868, 884 per Fletcher Moulton LJ.

III. Das Prinzip der uberrima fides

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der verschwiegene Umstand tatsächlich wesentlich ist. Dieses weite Verständnis der Aufklärungspflicht entspricht weitgehend der heutigen Praxis.224 In den folgenden Jahren wurde die Regel gefestigt und verfeinert. d) Uberrima Fides Als Bezeichnung für diese Regel hatte sich mittlerweile der Ausdruck uberrima fides etabliert, den die Richter in Joel v Law Union and Crown Insurance225 ganz selbstverständlich verwandten. Dieser Ausdruck hat kein Vorbild in den römischen Rechtsquellen und auch nicht im kontinentalen Recht. Die Bedeutung von Treu und Glauben wurde im Versicherungsrecht seit jeher besonders betont. Es scheint, als hätte sich uberrima fides als ein Ausdrucksmittel für diese Betonung durchgesetzt, das zunächst synonym gebraucht wurde zu anderen Steigerungen von good faith wie beispielsweise „utmost good faith“, „perfect good faith“, „the most perfect good faith“ oder „besondre Treue, Redlichkeit und Aufrichtigkeit“ und „höchstes Maß von Treu und Glauben“ im kontinentalen Recht. In einer Gerichtsentscheidung wurde uberrima fides erstmals im Jahr 1798 zur Bezeichnung für einen Versicherungsvertrag gebraucht.226 In diesem Fall ging es jedoch nicht um Aufklärungspflichten, sondern um die Auslegung eines Versicherungsvertrages. Eine Auswertung der English Reports hat ergeben, daß der Ausdruck insgesamt in nur wenigen Entscheidungen vorkam.227 Uberrima fides wurde nicht ausschließlich für Versicherungen, sondern auch in anderen Konstellationen verwendet, in denen bestimmte Pflichten zu vollständigen und der Wahrheit entsprechenden Angaben bestanden: im Patentrecht,228 in Strafverfahren und Unterlassungsklagen im Zusammenhang mit Patenten und Urheberrechten229 sowie bei Vergleichen einer Gruppe von Gläubigern mit dem Schuldner zur Abwendung des Konkurses.230 224 Der Test der Wesentlichkeit hat sich zu Lasten des Versicherungsnehmers gewandelt, heute kommt es auf die Einschätzung eines „reasonable insurers“ an. Dazu siehe unten III. 2. b). 225 [1908] 2 KB 868, 878 per Vaughan Williams LJ; 883 per Fletcher Moulton LJ. 226 Wolff v Horncastle (1798) 1 Bos & Pul 316, 322; 126 ER 924, 928 per Buller J. 227 Die CD-ROM Recherche ergab 26 Entscheidungen, in denen der Ausdruck in den Reports vorkommt. Manchmal findet er sich jedoch nicht in den berichteten Entscheidungen, sondern nur in den Anmerkungen der Herausgeber, die zum Teil erheblich jüngeren Datums als die kommentierte Entscheidung sind. 228 In Re Clark’s Patent (1870) 7 Moore NS 255; 17 ER 97; In Re Pitman’s Patent (1871) 8 Moore NS 293; 17 ER 322. 229 Dalglish v Jarvie (1850) 2 Hall and Twells 437; 47 ER 1754. 230 Britten v Hughes (1829) 5 Bing 460; 130 ER 1139.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

Etwa seit den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts, als der Court of Exchequer und der Court of Queen’s Bench einen Streit über die subjektiven Voraussetzungen der misrepresentation ausfochten,231 setzte sich uberrima fides vor allem als Ausdruck für die besonderen Wahrheitspflichten im Versicherungsvertragsrecht durch. Die Aussage, daß der Versicherungsvertrag ein Vertrag uberrimae fidei ist, stand dafür, daß für die Anfechtbarkeit des Versicherungsvertrages anders als bei anderen Verträgen genügte, daß eine unrichtige Angabe unverschuldet gemacht (innocent misrepresentation) oder ein Umstand unverschuldet nicht offenbart worden war (innocent non-disclosure). Dadurch daß man den Versicherungsvertrag als Vertrag uberrimae fidei bezeichnete, sollte betont werden, daß er anderen Regeln als gewöhnliche Verträge unterliegt und daß diese Wahrheitspflichten eine Spezialität des Versicherungsrechts sind. Der Ausdruck diente der Abgrenzung zu anderen Verträgen und wurde vor allem gebraucht, um gegen eine Übertragung der weitreichenden verschuldensunabhängigen Wahrheitspflichten des Versicherungsvertragsrechts auf andere Verträge zu argumentieren. Folgende Ausführungen von Lord Abinger stehen für die Position, die letztlich unterlegen ist: „But a policy of insurance is a contract, and is to be governed by the same principles as govern other contracts. When it is said to be a contract uberrimae fidei, this only means that the good faith, which is the basis of all contracts, is more especially required in that species of contract, in which one of the parties is necessarily less acquainted with the details of the subject of the contract than the other.“232

2. Uberrima fides im Versicherungsrecht heute Es ist heute völlig unstreitig, daß uberrima fides das grundlegende Prinzip des Versicherungsvertrages ist.233 Das bedeutet, daß der Versicherungsnehmer dem Versicherer alle gefahrerheblichen Umstände ungefragt offenbaren muß. Dies wird einhellig damit begründet, daß nur der Versicherungsnehmer diese Umstände kennt und deshalb der Versicherer auf die Information durch den Versicherungsnehmer angewiesen ist.234 So heißt es in Rozanes v Bowen:235 231

Zu diesem Streit siehe unten C. III. 1. Cornfoot v Fowke (1840) 6 M & W 358; 151 ER 450. 233 MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-1; Ivamy, General Principles of Insurance Law, S. 136; Ivamy, Dictionary of Insurance Law, S. 153; 25 Halsbury’s Laws, § 5. 234 Greenhill v Federal Insurance Co Ltd [1927] 1 KB 65, 76; „Contracts of Insurance at once present themselves as logically and most obviously fit for the imposition of a duty of disclosure upon those negotiating them“, Spencer Bower/Turner/ Sutton, Rn. 6.01; „The duty of disclosure is justified on the basis of the assumption 232

III. Das Prinzip der uberrima fides

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„It has been for centuries in England the law in connection with insurance of all sorts, . . . that, as the underwriter knows nothing, and the man who comes to him to ask him to insure knows everything, it is the duty of the assured, the man who desires to have a policy, to make a full disclosure to the underwriters without being asked of all the material circumstances, because the underwriter knows nothing and the assured knows everything. That is expressed by saying that it is a contract of the utmost good faith – uberrima fides.“

Als Begründer dieser Regel wird Lord Mansfield in Anspruch genommen. Stereotyp wird dazu folgende Passage aus dem Urteil Carter v Boehm zitiert: „Insurance is a contract upon speculation. The special facts upon which the contingent chance is to be computed lie most commonly in the knowledge of the insured only; the underwriter trusts to his representations and proceeds upon confidence that he does not keep back any circumstance in his knowledge to mislead the underwriter into the belief that the circumstance does not exist.“236

Die dieser Passage folgenden Ausführungen, aus denen sich zum einen ergibt, daß vorvertragliche Aufklärungspflichten als Gebot des Prinzips von good faith für alle Verträge galten, und zum anderen, daß für Lord Mansfield die spezielle verschuldensunabhängige Offenbarungspflicht des Versicherungsnehmers enge Grenzen hatte, werden dabei ignoriert.237 Entgegen der früher vereinzelt vertretenen Ansicht, daß die aus uberrima fides folgende Aufklärungspflicht auf einem implied term des Versicherungsvertrages basiere,238 ist die Rechtsprechung heute darüber einig, daß es sich um eine außervertragliche gesetzliche Rechtspflicht handelt.239 that the insured has the advantage of information“, Clarke, Rn. 23-1A; „the reason for this principle of insurance law [uberrima fides] is that contracts of insurance are founded on facts which are nearly always in the exclusive knowledge of one party (usually the assured) and, unless this knowledge is shared, the risk insured against may be different from that intended to be covered by the party in ignorance“, Chitty/Eggers on Contracts, Band II, Rn. 41-026. 235 (1928) 32 LlL Rep 98, 102. 236 Carter v Boehm (1766) 3 Burr 1905, 1909; 97 ER 1162, 1164. Diese Stelle wird beispielsweise zitiert bei Clarke, Rn. 23-1A; Chitty/Eggers on Contracts, Band II, Rn. 41-026; MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-1 und in der bedeutendsten Entscheidung zu uberrima fides aus jüngster Zeit: Banque Keyser SA v Skandia (UK) Ins. [1990] 1 QB 665, 770. 237 Hasson, (1969) 32 MLR 615, 616; nur Spencer Bower/Turner/Sutton sprechen diese Passagen an, allerdings in Form einer Warnung: Diese Äußerungen seien, „unless duly qualified“, dahingehend mißverständlich, daß Versicherungsverträge sich in bezug auf Aufklärungspflichten prinzipiell nicht von anderen Vertragstypen unterscheiden würden. Wie oben gezeigt, entsprach jedoch genau dies Lord Mansfields Ansicht. 238 Moens v Heyworth (1842) 10 M & W 147; 152 ER 418. 239 March Cabaret Club and Casino Ltd v London Assurance [1975] 1 Lloyd’s Rep 169, 175; Banque Keyser Ullmann SA v Skandia (UK) Ins. [1990] 1 QB 665,

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

Das Prinzip von uberrima fides ist mittlerweile gesetzlich verankert in Section 17 des Marine Insurance Act 1906. Dort heißt es: „A contract of marine insurance is a contract based upon the utmost good faith, and, if the utmost good faith be not observed by either party, the contract may be avoided by the other party.“ Es ist anerkannt, daß dies für Versicherungsverträge jeder Art gilt, obwohl der Umfang der Regel und ihre Anwendung nicht für alle Versicherungstypen identisch ist. Denn im Marine Insurance Act 1906 sind lediglich für die Seeversicherung in einem Gesetz die Prinzipien ausdrücklich niedergelegt, die bis dahin für alle Versicherungstypen bereits im common law galten.240 Auch neue Versicherungsarten, die 1906 unbekannt oder zumindest ungewöhnlich waren, wurden explizit in den Anwendungsbereich der Regel miteinbezogen.241 a) Umfang der Pflicht für den Versicherungsnehmer: die Grundregel Das Prinzip von uberrima fides bedeutet für den Versicherungsnehmer, daß er alle Umstände, die für die Einschätzung des Risikos durch den Versicherer wesentlich sind, ungefragt offenbaren muß, soweit er sie selbst kennt und der Versicherer sie nicht kennt und dem Versicherer ihre Kenntnis auch nicht unterstellt wird. Die Verletzung dieser Pflicht berechtigt den Versicherer, sich vom Vertrag zu lösen, wenn er nachweisen kann, daß ihn das Verschweigen des Umstands veranlaßt hat, den Vertrag zu den fraglichen Konditionen zu schließen.242 Für die Seeversicherung wurde dies ausdrücklich in Section 18 (1) des Marine Insurance Act 1906 geregelt: 778–780; Bank of Nova Scotia v Hellenic Mutual Ltd [1990] 1 QB 818, 888; MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-4; Matthews, Uberrima Fides in Modern Insurance Law, S. 39 ff. schlägt als Rechtsgrund für die Aufklärungspflicht eine fiduciary relationship zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer vor, ablehnend: Clarke, Rn. 23-1A, Fn. 8. 240 „This statutory provision has codified, in relation to marine insurance, a principle of universal application to all types of insurance contracts“, 25 Halsbury’s Laws, § 349; Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 6.03; Lindenau v. Desborough (1828) 8 B&C 586, 592; 108 ER 1160, 1162; Jones v Provincial Insurance Co. (1857) 3 CBNS 65, 86; 140 ER 662, 670 f.; London Assurance v Mansel (1879) 11 ChD 363, 367; Brownlie v Campbell (1880) 5 App Cas 925, 954; Seaton v Heath [1899] 1 QB 782; Joel v Law Union [1908] 2 KB 863, 876; Rozanes v Bowen (1928) 32 Ll LR 98, 100; Banque Keyser Ullmann SA v Skandia (UK) Insurance Co Ltd [1991] 2 AC 249 sub nom Banque Financière de la Cité SA v Westgate Insurance Co Ltd [1990] 2 All ER 947; MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-3; Eggers/Foss, Rn. 6.05 ff. 241 Z. B. Becker v Marshall (1922) 12 Ll LR 413 und Glicksman v Lancashire and General Insurance Co, Ltd [1927] AC 139 für die Einbruchsversicherung; Jester-Barnes v Licences and General Insurance Co, Ltd (1934) 49 Ll LR 23 1 für die Kfz-Versicherung.

III. Das Prinzip der uberrima fides

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„18 (1) Subject to the provisions of this section, the assured must disclose to the insurer, before the contract is concluded, every material circumstance which is known to the assured, and the assured is deemed to know every circumstance which, in the ordinary course of business, ought to be known by him. If the assured fails to make such disclosure, the insurer may avoid the contract.“

Der Versicherungsnehmer muß nur solche Umstände offenbaren, die er kennt oder deren Kenntnis von Rechts wegen vermutet wird.243 Wenn die Versicherung für einen Gewerbebetrieb abgeschlossen wird, besteht die gesetzliche Vermutung, daß der Versicherungsnehmer alle Umstände kennt, von denen erwartet werden kann, daß er von ihnen im normalen Geschäftsverlauf Kenntnis genommen hat.244 Verbraucher müssen jedoch nur solche Umstände offenbaren, von denen sie tatsächlich Kenntnis haben.245 b) Test of Materiality Der Test, der üblicherweise angewendet wird, um zu entscheiden, ob ein Umstand wesentlich (material) ist, ist folgender: Würde die Nichtoffenbarung des Umstandes einen umsichtigen (prudent) Versicherer beeinflussen bei seiner Entscheidung, ob er das Risiko übernimmt, und wenn ja, zu welcher Prämie?246 Für die Seeversicherung ist dies gesetzlich geregelt in Section 18 (2) des Marine Insurance Act 1906. Dort heißt es: „Every circumstance is material which would influence the judgment of a prudent insurer in fixing the premium, or determining whether he will take the risk.“ Dieser Test wurde für andere Versicherungsarten übernommen.247 Die Beurtei242 Clarke, Rn. 23-1C; MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-5; Pan Atlantic Insurance Co Ltd v Pine Top Insurance Co Ltd [1995] 1 AC 501, 549–550. 243 Joel v Law Union and Crown Insurance [1908] 863, 884 per Fletcher Moulton L. J.: „The duty is a duty to disclose, and you cannot disclose what you do not know. The obligation to disclose, therefore, depends upon the knowledge you possess.“ 244 Näher dazu, welche Kenntnis bei Abschluß einer Versicherung im Rahmen eines Gewerbes unterstellt wird: MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-10. 245 MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-9; Economides v Commercial Union Assurance Co. plc [1997] 3 All ER 635. 246 Glicksman v Lancashire and General Insurance Co, Ltd [1927] AC 139, 143; Ivamy, General Principles of Insurance Law, S. 143; MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-32; ausführlich zum „prudent insurer“ siehe Clarke, Rn. 23-6. 247 25 Halsbury’s Laws, § 351; Glicksman v Lancashire and General Assurance Co Ltd [1927] AC 139, 143; Zurich General Accident and Liability Insurance Co Ltd v Morrison [1942] 1 All ER 529; March Cabaret Club and Casino Ltd v London Assurance [1975] 1 Lloyd’s Rep 169; Section 151(9)(b) des Road Traffic Act 1988: „In this section ,material‘ means of such a nature as to influence the judgment of a prudent insurer in determining whether he will take the risk, and, if so, at what premium and on what conditions“; für „all risks insurance“: Lambert v Cooperative Insurance Society Ltd [1975] 2 Lloyd’s Rep 485; für Feuerversicherun-

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

lung, ob ein Umstand wesentlich ist, hat also vom Standpunkt eines objektiv umsichtigen Versicherers zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu erfolgen (prudent248 insurer). Die Einschätzung des konkreten Versicherers ist irrelevant.249 Es ist nicht erforderlich, daß die Übernahme des Risikos tatsächlich verweigert worden oder die Prämie höher ausgefallen wäre, hätte der Versicherer von dem Umstand Kenntnis gehabt.250 Es genügt, daß ein umsichtiger Versicherer von dem Umstand hätte Kenntnis nehmen wollen, um ihn in seine Erwägungen miteinzubeziehen.251 Ob ein Umstand wesentlich ist, ist eine Tatsachenfrage, die Beweislast hierfür trägt der Versicherer. Zulässig ist es, den Nachweis der Wesentlichkeit durch die allgemeine Versicherungspraxis zu erbringen.252 Es besteht eine Vermutung für die Wesentlichkeit eines Umstandes, nach dem ausdrücklich gefragt wurde,253 jedoch wird umgekehrt nicht vermutet, daß ein Umstand unwesentlich ist, nach dem nicht ausdrücklich gefragt wurde.254

gen: Marene Knitting Mills Pty Ltd v Greater Pacific General Insurance Ltd [1976] 2 Lloyd’s Rep 631, 642; Reynolds and Anderson v Phoenix Assurance Co Ltd [1978] 2 Lloyd’s Rep 440, 461; für Berufshaftpflicht: Johns v Kelly [1986] 1 Lloyd’s Rep 468; für Rückversicherungen: Pan Atlantic Insurance Co Ltd v Pine Top Insurance Co Ltd [1992] 1 Lloyd’s Rep 101, 103 und, in der Folgeinstanz, [1993] Lloyd’s Rep 496. 248 Synonym zu „prudent“ wird manchmal „reasonable“ gebraucht (Ivamy, General Principles of Insurance Law, S. 144; Clarke, Rn. 23-6) oder die Kombination „reasonably prudent insurer“. 249 Ivamy, General Principles of Insurance Law, S. 145; Zurich General Accident and Liability Insurance Co Ltd v Morrison [1942] 2 KB 53, 60. 250 Pan Atlantic Insurance Co Ltd v Pine Top Insurance Co Ltd [1992] 1 Lloyd’s Rep 10; St. Paul Fire & Marine Insurance Co (UK) Ltd. v McConnell Dowell Constructors Ltd [1996] 1 All ER 96. 251 Es genügt, wenn der Versicherer gesagt hätte: „Yes, I must think about this and I am glad you told me“, Glasgow Assurance Corpn Ltd v William Symondson & Co (1911) 16 Com Cas 109, 119; Ivamy, General Principles of Insurance Law, S. 145. 252 Clarke, Rn. 23-6B2; Chitty/Eggers on Contracts, Band II, Rn. 41-027; Ionides v Pender (1874) LR 9 QB 531, 535; Roselodge v Castle [1966] 2 Lloyd’s Rep 113. 253 Anderson v Fitzgerald (1853) 4 HLC 484, 503; London Assurance v Mansel (1879) 11 ChD 363; Glicksman v Lancashire and General Insurance Co. Ltd [1925] 2 KB 593, 608, bestätigt in der Folgeinstanz [1927] AC 139, 144; Kumar v Life Insurance Corpn of India [1974] 1 Lloyd’s Rep 147. 254 Wainwright v Bland (1836) 1 M & W 32; 150 ER 334; Glicksman v Lancashire and General Insurance Co Ltd [1925] 2 KB 593, 608, bestätigt [1927] AC 139, 144; March Cabaret Club v London Assurance [1975] 1 Lloyd’s Rep 169.

III. Das Prinzip der uberrima fides

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c) Subjektiver Tatbestand Keinerlei Rolle spielt die Einschätzung der Wesentlichkeit durch den Versicherungsnehmer, und zwar weder die subjektive Einschätzung des konkreten Versicherungsnehmers255 noch die objektivierte Einschätzung eines „reasonable“ Versicherungsnehmers in der gleichen Situation.256 Die entscheidende Frage ist allein, ob der Umstand wesentlich ist, und nicht, ob ihn der Versicherungsnehmer als wesentlich erkannt hat.257 Es entlastet den Versicherungsnehmer daher nicht, wenn er ohne Nachlässigkeit davon ausging, daß der fragliche Umstand für eine umfassende Bewertung des Risikos keine Rolle spiele. Schon in Bates v Hewitt heißt es: „. . . it is immaterial whether the omission to communicate a material fact arises from . . . it not being present to the mind of the assured that the fact was one which it was material to make known.“258 Dies wird damit begründet, daß andernfalls der Unterdrückung von Informationen Vorschub geleistet würde, da es schwierig sei zu beweisen, daß die Partei den verschwiegenen Umstand für wesentlich hielt.259 Die einzig maßgebliche Frage für die Wirksamkeit des Versicherungsvertrages ist damit: War die Tatsache wesentlich, und war sie dem Versicherungsnehmer im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bekannt? Der Umfang der Offenbarungspflicht hängt allein vom vorhandenen Wissen ab, nicht von der Einschätzung der Wesentlichkeit dieses Wissens. d) Umstände, die nicht offenbart werden müssen Es gibt eine Reihe von Tatsachen, die nicht offenbart zu werden brauchen. Diese sind heute im Marine Insurance Act 1906 niedergelegt und gelten, wie die übrigen dort geregelten Fragen der Offenbarungspflicht auch, für alle anderen Versicherungstypen. Section 18 (3) lautet: „In the absence of inquiry the following circumstances need not be disclosed, namely:

255 Bates v Hewitt (1867) LR 2 QB 595, 607; Joel v Law Union and Crown Insurance [1908] 2 KB 868, 884; Godfrey v Britannic Insurance [1963] 2 Lloyd’s Rep 515, 529; Roselodge v Castle [1966] 2 Lloyd’s Rep 113; Ivamy, General Principles of Insurance Law, S. 146. 256 Lambert v Co-Operative Insurance Society Ltd [1975] 2 Lloyd’s Rep 485. 257 „The obligation to disclose, therefore necessarily depends upon the knowledge you possess . . . your opinion of the materiality of that knowledge is of no moment“, Joel v Law Union and Crown Insurance [1908] 2 KB 868, 884 per Fletcher Moulton LJ; Re Yager and Guardian Assurance Co (1913) 108 LT 38, 44. 258 (1867) LR 2 QB 595, 607. 259 Lindenau v. Desborough (1828) 8 B & C 586, 592; 108 ER 1160, 1162; MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-35.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

(a) any circumstance which diminishes the risk; (b) any circumstance which is known or presumed to be known to the insurer. The insurer is presumed to know matters of common notoriety or knowledge, and matters which an insurer in the ordinary course of his business, as such, ought to know; (c) any circumstance as to which information is waived by the insurer; (d) any circumstance which it is superfluous to disclose by reason of any express or implied warranty.“

Diese Ausnahmetatbestände lassen sich schon auf Carter v Boehm zurückführen. Daß Umstände, die das Risiko verringern, nicht offenbart zu werden brauchen, ist selbstverständlich. Vor allem in der Fallgruppe (b) zeigt sich aber, daß die Ausnahmen zur Offenbarungspflicht heute viel enger verstanden werden als zu Lord Mansfields Zeit. Daß der Versicherer nicht über solche Tatsachen informiert werden muß, die ihm bereits bekannt sind, versteht sich von selbst. Denn in diesem Fall ist eine Irreführung des Versicherers durch das Schweigen undenkbar.260 Außerdem muß der Versicherungsnehmer dem Versicherer keine Tatsachen mitteilen, deren Kenntnis diesem unterstellt wird. Dies betrifft vor allem Wissen, das ein Versicherer aus seiner normalen kommerziellen Tätigkeit im Versicherungsgeschäft üblicherweise erwirbt.261 Auch diese Ausnahme läßt sich auf Lord Mansfield zurückführen: „Every under-writer is presumed to be acquainted with the practice of the trade he insures, and that whether it is established, or not. If he does not know it he ought to inform himself.“262 Zu diesen Tatsachen zählen Handelsbräuche263 sowie alle Informationen, die sich der Lloyd’s-Liste entnehmen lassen.264 Außerdem wird unterstellt, daß allgemein bekannte Tatsachen auch dem Versicherer bekannt sind. Sogar in Bates v Hewitt heißt es: „. . . when a fact is one of public notoriety, as of war . . . the party proposing the insurance is not bound to communicate what he is fully warranted in assuming the underwriter already knows.“265 Diese Ausnahme wird heute sehr eng interpretiert.266 Denn anders als noch im 18. Jahrhundert, wo Tatsachen, die der Versicherer „by fair inquiry and due 260

MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-67. Stewart v Bell (1821) 5 B & Ald 238; 106 ER 1179 (Be- und Entlademodalitäten); Da Costa v Edmunds (1815) 4 Camp 142; 171 ER 46 (Transport an Deck üblich); The Monacre [1992] 2 Lloyd’s Rep 501 (Wahrscheinlichkeit von Einbrüchen auf Schiffen)) Ivamy, General Principles of Insurance Law, S. 156. 262 Noble v Kennoway (1780) 2 Doug KB 510, 512; 99 ER 326, 327. 263 Colinvaux’s Law of Insurance, Rn. 5-08; Vallance v Dewar (1808) 1 Camp 503, 508; 170 ER 1036, 1038; British Marine v Gaunt [1921] 2 AC 41, 59–62. 264 Friere v Woodhouse (1817) Holt 572; 171 ER 345; Foley v Tabor (1861) 2 F & F 663; 175 ER 1231. 265 Bates v Hewitt (1867) LR 2 QB 595, 605. 261

III. Das Prinzip der uberrima fides

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diligence“267 herausfinden konnte, nicht offenbart werden mußten, ist der Versicherer heute in keiner Weise zu Nachforschungen verpflichtet.268 Was dem Versicherer aus seiner Tätigkeit als Versicherer bekannt sein muß, wird heute ebenfalls eng aufgefaßt: „The cases, however, do not appear to expect the insurer to know very much at all as to his business. It is clear from the decisions that the insurer need not make any enquiries and the overall burden rests firmly on the insured to make the fullest of disclosures. He cannot afford to leave anything to chance.“269 Eine Offenbarungspflicht besteht außerdem dann nicht, wenn der Versicherer auf die Information verzichtet hat.270 Ein solcher Verzicht muß nicht ausdrücklich erfolgen, sondern kann aus den Gesamtumständen des Vertragsschlusses gefolgert werden. Ein Verzicht ist jedoch nicht vorschnell anzunehmen, weil sonst die Offenbarungspflicht unterlaufen würde.271 Allein die Tatsache, daß nach einem bestimmten Umstand nicht gefragt wurde, bedeutet noch nicht den Verzicht auf diese Information. Der Test ist folgender: Wenn der Versicherer durch die Beschreibung des Risikos durch den Versicherungsnehmer Informationen erhält, die einen normal vorsichtigen Versicherer veranlassen würden, weitere Erkundigungen einzuholen, und der Versicherer dies unterläßt, dann wird unterstellt, daß er auf die Offenlegung der Umstände, die er durch die Erkundigung in Erfahrung gebracht hätte, verzichtet hat, vorausgesetzt, die Erkundigung hätte keinen großen Aufwand erfordert.272 Keine Offenbarungspflicht besteht ferner, wenn das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines bestimmten Umstands schon vertraglich zugesichert ist. Hier ist der Versicherer durch die Vereinbarung ausreichend geschützt.273

266 Dies gilt für die Entscheidung Bates v Hewitt und das heutige Recht, MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-69. 267 (1817) Holt 572; 171 ER 345. 268 Bates v Hewitt (1867) LR 2 QB 595; London General Insurance Co Ltd v General Mutual Marine Underwriters Association Ltd [1921] 1 KB 104. 269 Hodgin, Disclosure in English Insurance Law, S. 58. 270 Ausführlich zum Verzicht auf die Offenbarung: Clarke, Rn. 23-12 f. 271 MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-78; Greenhill v Federal Insurance Co Ltd [1927] 1 KB 65, 85; Ivamy, General Principles of Insurance Law, S. 157, m. w. N. 272 MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-78; Greenhill v Federal Insurance Co [1927] 1 KB 65, 89; Container Transport International Inc. v Oceanus Mutual Underwriting Assoc. (Bermuda) Ltd [1984] 1 Lloyd’s Rep 476, 497, 511, 529; ausführlich dazu, wann der Versicherer aufgerufen wäre, weitere Erkundigungen einzuholen: MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-79 ff. 273 MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-77.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

e) Einzelheiten zu den Umständen, die offenbart werden müssen Ob eine Tatsache wesentlich (material) ist, hängt von den Umständen des konkreten Falls ab. Eine Tatsache, die für einen Versicherungstyp für wesentlich erachtet wird, ist nicht notwendig auch für einen anderen Versicherungstyp wesentlich.274 Den unterschiedlichen Anforderungen der verschiedenen Versicherungsarten wird dadurch Rechnung getragen, daß sich die Frage, welche Umstände wesentlich sind, nach dem versicherten Interesse richtet.275 Alle Umstände, die keinen Einfluß auf das Risiko haben, können nicht wesentlich sein.276 Im allgemeinen gelten solche Umstände als wesentlich, aus denen hervorgeht, daß der versicherte Gegenstand wegen seiner Natur, Beschaffenheit, Benutzer oder seiner Umgebung einer höheren Gefahr als der üblichen ausgesetzt ist.277 Außerdem werden alle Umstände für wesentlich gehalten, die darauf schließen lassen, daß der Versicherungsnehmer nicht nur aus gewöhnlicher Vorsicht (prudence) handelt, sondern ein darüber hinausgehendes Ziel verfolgt. So muß bei einer Sachversicherung darauf hingewiesen werden, wenn die Sache bei weitem überversichert ist, weil der bei Schadenseintritt entstehende Profit ein Spekulationsrisiko darstellt.278 Wesentlich sind ferner alle Tatsachen, aus denen sich ergibt, daß die zu erwartende Haftung des Versicherers größer ist, als normalerweise anzunehmen wäre, die also ein ungewöhnlich hohes Risiko begründen, das vom Wortlaut des Versicherungsvertrages noch umfaßt ist.279 Außerdem sind solche Umstände wesentlich, die sich auf den sogenannten „moral hazard“ des Antragstellers beziehen.280 Dazu zählt, daß der Antragsteller in der Vergangenheit schon Schäden durch die Gefahr, gegen die er sich nun versichern will, erlitten hat,281 daß andere Versicherungsunternehmen seinen Antrag auf Abschluß 274

Ivamy, General Principles of Insurance Law, S. 147. 25 Halsbury’s Laws, § 351 m. w. N. 276 Ivamy, General Principles of Insurance Law, S. 153 m. w. N.; 25 Halsbury’s Laws, § 351; Morrison v Muspratt (1827) 4 Bing 60, 63; 130 ER 690. 277 Bufe v Turner (1815) 6 Taunt 338; Ivamy, General Principles of Insurance Law, S. 149 mit zahlreichen Beispielen aus der Rechtsprechung. 278 Ivamy, General Principles of Insurance Law, S. 150; Hoff Trading Co v Union Insurance Society of Canton Ltd (1929) 34 LlL Rep 81; Ionides v Pender (1874) LR 9 QB 531; Arnould’s Law of Marine Insurance and Average, Rn. 643. 279 Ivamy, General Principles of Insurance Law, S. 151, Fn. 4; Haase v Evans (1934) 48 LlL Rep 131. 280 Ivamy, General Principles of Insurance Law, S. 151; Locker and Woolf Ltd v Western Australian Insurance Co Ltd [1936] 1 KB 408; Roselodge Ltd (formerly Rose Diamond Products Ltd) v Castle [1966] 2 Lloyd’s Rep 113, 132; ausführlich zu moral hazard: Eggers/Foss, Rn. 15.24-15.43. 281 Ivamy, General Principles of Insurance Law, S. 151 m. w. N.; MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-48. 275

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oder Erneuerung einer Versicherung abgelehnt haben282 sowie gewisse Vorstrafen, die im Zusammenhang mit dem versicherten Risiko stehen.283 Schließlich sind all jene Fakten wesentlich, die der Versicherer für den Versicherungsnehmer erkennbar für wesentlich hält, was beispielsweise in der Frage nach einer bestimmten Tatsache zum Ausdruck kommt.284 f) Anwendungsbeispiele Die nach wie vor bedeutendste Versicherungssparte für das englische Recht ist die Seeversicherung.285 Beispiele für Umstände, die im Rahmen einer Seeversicherung für wesentlich gehalten werden, sind: die Vorgeschichte und der Zustand des zu versichernden Schiffs,286 die Nationalität des Schiffs, sofern von ihr eine erhöhte Gefahr der Aufbringung ausgeht,287 der Ladehafen,288 gefährliche Anlaufhäfen,289 eine Überversicherung sowohl hinsichtlich der Fracht als auch hinsichtlich des Schiffs selbst,290 außerdem der Zeitpunkt, zu dem das Schiff ausgelaufen ist und von wann die letzte Nachricht vom Schiff stammt.291 Keine Offenbarungspflicht besteht gewöhnlich über die Fracht, es sei denn, es handelte sich um unübliche und besonders gefährliche Güter.292 282 Glicksman v Lancashire and General Assurance Co [1925] 2 KB 593; bestätigt [1927] AC 139; Locker and Woolf Ltd v Western Australian Insurance Co Ltd [1936] 1 KB 408; Re Yager and Guardian Assurance Co (1912) 108 LT 38. 283 Nicht offenbart werden müssen solche Vorstrafen, die „spent“ sind, Rehabilitation of Offenders Act 1974, ausführlich hierzu und zu den Vorstrafen, die offenbart werden müssen: MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-53 ff.; Reynold’s v Phoenix Assurance Co Ltd [1978] 2 Lloyd’s Rep 440; Inversiones Manria SA v Sphere Drake Insurance Co plc; The Dora [1989] 1 Lloyd’s Rep 69, 80. 284 Ivamy, General Principles of Insurance Law, S. 153. 285 Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 6.07, ausführlich zur Offenbarungspflicht speziell für die Seeversicherung: Arnould’s Law of Marine Insurance and Average, Kapitel 19 „Non-Disclosure“; Bennett, The Law of Marine Insurance, Kapitel 3 „The Duty of Utmost Good Faith“. 286 Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 6.08; Proudfoot v Montefiore (1867) LR 2 QB 511. 287 Arnould’s Law of Marine Insurance and Average, Rn. 651 mit Beispielen u. w. N. 288 Arnould’s Law of Marine Insurance and Average, Rn. 656. 289 Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 6.10. 290 Ionides v Pender (1874) LR 9 QB 531. 291 Arnould’s Law of Marine Insurance and Average, Rn. 647, diese Frage hat durch die Entwicklung moderner Kommunikationsmittel und die Einrichtung eines effizienten Nachrichtenservices bei Lloyd’s, wo man die exakte Position des Schiffes erfragen kann, viel von ihrer früheren Bedeutung verloren. 292 Arnould’s Law of Marine Insurance and Average, Rn. 654.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

Bei Lebens- und Krankenversicherungen müssen all jene Umstände offenbart werden, die sich auf den Gesundheitszustand und die Lebenserwartung des Versicherten auswirken können.293 Dazu gehören bestehende oder frühere Krankheiten, wenn sie erheblichen Einfluß auf die Lebenserwartung haben können,294 sowie besondere Lebensgewohnheiten.295 Außerdem muß der Antragsteller mitteilen, daß andere Versicherungen entsprechende Anträge bereits abgelehnt haben.296 Der Umfang der Offenbarungspflicht, die aus dem Prinzip der uberrima fides folgt, wurde in den Entscheidungen allerdings kaum relevant, weil diesen Versicherungsverträgen immer ein umfassender Fragenkatalog zugrunde liegt, dessen wahrheitsgemäße und vollständige Beantwortung ausdrücklich zur „basis of the contract“ gemacht wird, so daß meist nur über die Auslegung des Vertrages und darüber, ob der Versicherungsnehmer dieser vertraglich vereinbarten Pflicht nachgekommen ist, gestritten wird, nicht aber über die gesetzliche Pflicht von uberrima fides.297 Bei einer Feuerversicherung298 sind wesentliche Umstände der Zustand und die tatsächliche Nutzung des versicherten Gebäudes,299 vorangegangenes Verhalten des Versicherungsnehmers, das Zweifel an seiner Verläßlichkeit weckt,300 und ob der Versicherungsnehmer schon früher Schäden durch Feuer erlitten hat, für die eine Versicherung aufgekommen ist.301 Bei KfzVersicherungen302 besteht beispielsweise eine Offenbarungspflicht für frühere Unfälle,303 Verkehrsdelikte304 und darüber, daß andere Versicherungsgesellschaften es abgelehnt haben, die Versicherung abzuschließen.305

293 Ausführlich hierzu Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 6.12 f.; Ivamy, Personal Accident, Life and Other Insurances, S. 75–89. 294 Maynard v Rhode (1824) 5 Dow & Ry KB 266; 171 ER 1231; Morrison v Muspratt (1827) 4 Bing 60; 130 ER 690; Lindenau v. Desborough (1828) 8 B & C 586; 108 ER 1160; Duckett v Williams (1834) 2 C & M 348; 149 ER 794; Joel v Law Union and Crown Insurance Co [1908] 2 KB 863. 295 Thomson v Weems (1884) 9 App Cas 671; MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-45. Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 6.13. 296 London Assurance v Mansel (1879) 11 ChD 363. 297 Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 6.12. 298 Ausführlich Ivamy, Fire and Motor Insurance, S. 47–57; Ivamy, General Principles of Insurance Law, S. 159 f. 299 Hair v Prudential Assurance Co Ltd [1983] 2 Lloyd’s Rep 667, 672. 300 Lambert v Co-operative Insurance Society, Ltd [1975] 2 Lloyd’s Rep 485; Woolcott v Sun Alliance and London Insurance Ltd [1978] 1 All ER 1253. 301 Condogionis v Guardian Assurance Co Ltd [1921] 2 AC 125; Arterial Caravans Ltd v Yorkshire Insurance Co Ltd [1973] 1 Lloyd’s Rep 631. 302 Ausführlich hierzu Ivamy, General Principles of Insurance Law, S. 163 ff.; Ivamy, Fire and Motor Insurance, S. 193–214. 303 Dent v Blackmore (1927) 29 LlL Rep 9.

III. Das Prinzip der uberrima fides

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g) Dauer der Offenbarungspflicht Da der Zweck der Offenbarungspflicht ist, dem Versicherer die Entscheidung zu ermöglichen, ob und zu welchen Konditionen er den Versicherungsvertrag abschließen will, entsteht die Offenbarungspflicht immer dann, wenn der Versicherer eine solche Entscheidung treffen muß: bei Abschluß einer neuen Versicherung, bei einer Verlängerung und bei einer Vertragsänderung.306 Dagegen besteht nach überwiegender Ansicht keine Pflicht, während der Vertragslaufzeit auf eine Gefahrerhöhung hinzuweisen.307 Die Offenbarungspflicht besteht fort, bis der Vertrag zustande gekommen ist. Das bedeutet, daß der Versicherungsnehmer den Versicherer auf Umstände, die sich zwischen Antragstellung und dessen Annahme durch den Versicherer verändert haben, hinweisen muß.308 h) Gegenseitigkeit des Prinzips Es heißt, die Pflicht zu uberrima fides treffe den Versicherer gleichermaßen wie den Versicherungsnehmer.309 Dies ist nur schwer nachvollziehbar, denn die Begründung für die besonderen vorvertraglichen Aufklärungspflichten des Versicherungsnehmers – seine exklusive Kenntnis der risikorelevanten Umstände – läßt sich nicht auf eine Aufklärungspflicht des Versicherers übertragen. Wie das Prinzip von uberrima fides selbst wird auch der Grundsatz seiner Gegenseitigkeit auf die Entscheidung Carter v Boehm zurückgeführt. Lord Mansfield führte dort aus, daß ein Versicherungsvertrag auch dann nichtig sei, wenn der Versicherer bei Vertragsschluß nicht offenbart, daß das Schiff die Reise bereits sicher beendet hat.310 Dieses Beispiel diente später zur Begründung der gegenseitigen Geltung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten im Versicherungsrecht. So schreibt Park in seinem Werk 304 General Accident, Fire and Life Assurance Corpn Ltd v Shuttleworth (1938) 60 LlL Rep 301. 305 Dent v Blackmore (1927) 29 LlL Rep 9. 306 Clarke, Rn. 23-4; Chitty/Eggers on Contracts, Band II, Rn. 41-029, Fn. 17; Pim v Reid (1843) 6 M & G 1, 25 134 ER 784; Re Wilson and Scottish [1920] 2 Ch 28; March Cabaret Club and Casino, Ltd v London Assurance Ltd [1975] 1 Lloyd’s Rep 169; Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 6.15. 307 Clarke, Rn. 23-4. 308 British Equitable v GW Railway (1869) 20 LT 422; Locker v Law Union [1928] 1 KB 554; Hadenfayre v British National Insurance Soc. [1984] 2 Lloyd’s Rep 393, 398. 309 Statt aller MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-83. 310 Carter v Boehm (1766) 3 Burr 1905, 1909; 97 ER 1162, 1164.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

„A System of the Law of Marine Insurance“, daß beide Parteien des Versicherungsvertrages gleichermaßen zur vorvertraglichen Aufklärung verpflichtet seien. Denn wenn der Versicherer dem Versicherungsnehmer verschweige, daß das Schiff bereits sicher angekommen ist, sei der Versicherungsvertrag gleichermaßen nichtig, wie wenn der Versicherungsnehmer den Untergang des Schiffes bei Abschluß der Versicherung verschweigt. Park beruft sich für diese Aussage neben englischen Gerichtsentscheidungen unter anderem auf Grotius und Pufendorf.311 Sowohl nach Grotius als auch nach Pufendorf ist ein Versicherungsvertrag bei Verschweigen der genannten Umstände nichtig. Die Nichtigkeit ist für sie jedoch nicht in der Verletzung einer gegenseitigen Aufklärungspflicht, sondern darin begründet, daß das Wesensmerkmal des Versicherungsvertrages nicht erfüllt ist: die Ungewißheit des Gefahreintritts. Das Verbot, einen Versicherungsvertrag abzuschließen, ohne darauf hinzuweisen, daß sich das versicherte Risiko bereits verwirklicht hat, bzw. nicht mehr verwirklichen kann, ist nichts weiter als ein Verbot, einander bei Vertragsschluß zu betrügen. Dennoch wurde die Nichtigkeit des Versicherungsvertrages in den genannten Konstellationen, in denen es an der Ungewißheit des Gefahreintritts mangelte, im englischen Recht mit der Verletzung einer Aufklärungspflicht begründet, und es hieß fortan, daß die Offenbarungspflicht im Versicherungsvertragsrecht beide Parteien gleichermaßen treffe. Als sich der Ausdruck uberrima fides für die spezielle verschuldensunabhängige Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers durchsetzte, wurde damit auch die Offenbarungspflicht des Versicherers bezeichnet. Tatsächlich galt für den Versicherer jedoch keine verschuldensunabhängige Anzeigepflicht, sondern nur das Verbot, den Versicherungsnehmer über das Vorliegen eines Risikos zu täuschen. Die Anforderungen an den Versicherer bei Vertragsschluß gingen damit nicht über die allgemeinen Vertragspflichten hinaus und wären somit treffender mit „good faith“ als mit „uberrima fides“ zu beschreiben. Praktisch relevant wurde meist nur die Offenbarungspflicht des Versicherungsnehmers. In Banque Keyser Ullmann SA v Skandia (UK) Insurance Co Ltd,312 (in zweiter Instanz unter dem Namen La Banque Financière v Westgate Insurance313) kam es jedoch entscheidend auf die Pflicht des Versicherers an. Diese Entscheidung hat große Bedeutung erlangt, nicht nur für die Offenbarungspflichten im Versicherungsrecht, sondern darüber hinaus für das allgemeine Vertrags- und Deliktsrecht, weil sie sich grundlegend 311 Park, A System of the Law of Marine Insurances, S. 195 beruft sich auf Grotius, De iure belli ac pacis, 2. Buch, 12. Kapitel, § 23 und Pufendorf, De iure naturae et gentium, 5. Buch, 9. Kapitel, § 8. 312 [1990] 1 QB 665. 313 [1990] 1 QB 665; bestätigt mit etwas anderer Begründung: [1991] 2 AC 249.

III. Das Prinzip der uberrima fides

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mit den Ansprüchen eines unzulänglich informierten Vertragspartners unter allen denkbaren Anspruchsgrundlagen auseinandersetzt.314 Dem Fall liegt ein komplexer Sachverhalt zugrunde, der die betrügerischen Machenschaften einer von einem spanischen Geschäftsmann namens Ballestero beherrschten Unternehmensgruppe betrifft. Die klagenden Banken hatten dieser Unternehmensgruppe für die Erstellung einer Touristenanlage Darlehen in erheblicher Höhe gewährt, die durch Kreditversicherungen abgesichert werden sollten. Mit der Vermittlung der Kreditversicherungsverträge betraut war ein gewisser Lee, leitender Angestellter eines angesehenen Maklerbüros. Die Kredite sollten erst ausbezahlt werden, wenn die gesamte Darlehenssumme abgesichert war. Lee gelang es jedoch nur, für einen Teil des Ausfallrisikos bei der beklagten Versicherungsgesellschaft, vertreten durch den Angestellten Dungate, eine Versicherung abzuschließen. Diese sah einen ausdrücklichen Haftungsausschluß bei betrügerischen Machenschaften des Darlehensnehmers vor. Um die Banken zur Auszahlung der Darlehen zu bewegen, obwohl nur ein Teil des Ausfallrisikos gesichert war, vereinbarte Lee mit Dungate eine auf zwei Wochen begrenzte Vollversicherung und legte den Banken zur Vorspiegelung eines zeitlich unbegrenzten Versicherungsschutzes gefälschte Versicherungspolicen vor. Von diesen Fälschungen erlangte Dungate zufällig Kenntnis, er informierte darüber jedoch weder seinen noch Lees Arbeitgeber, noch die Banken. Die Banken gewährten Ballestero in der Folge weitere Darlehen, nachdem Lee ihnen erneut gefälschte Versicherungsscheine vorgelegt hatte. Nachdem sich Ballestero mit dem Geld abgesetzt hatte, verklagten die Banken die Versicherung auf Schadensersatz. Weil wegen der Betrugsklausel keine Ansprüche aus der Versicherung bestanden, stützten sie die Klage darauf, daß die Versicherung es unterlassen habe, sie über Lees Fälschungen zu unterrichten, obwohl ihr Angestellter Dungate davon wußte. Indem die Versicherung die Banken nicht über die Betrügereien des Lee informierte, verletzte sie die aus dem Prinzip von uberrima fides folgende Anzeigepflicht, der der Versicherer ebenso unterliegt wie der Versicherungsnehmer. Schwierigkeiten bereitete hier der „test of materiality“, da die Kriterien, die für die Offenbarungspflicht des Versicherungsnehmers gelten, nicht ohne Modifikation auf die Pflicht des Versicherers übertragen werden können. Der test of materiality wurde folgendermaßen definiert: „. . . the duty falling upon the insurer must at least extend to disclosing all facts known to him which are material either to the nature of the risk sought to be covered or the recoverability of a claim under the policy which a prudent insured would take into account in deciding whether or not to place the risk for which he seeks cover with that insurer.“315 314 Für eine Analyse dieses Falls unter dem Gesichtspunkt der deliktischen Haftung siehe Fleischer, S. 858 ff.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

Die in diesem Fall postulierte Aufklärungspflicht des Versicherers hat wenig mit der verschuldensunabhängigen Anzeigepflicht gemein, der der Versicherungsnehmer unterliegt, denn sie geht nicht über die Pflicht hinaus, sich bei Vertragsschluß nicht treuwidrig zu verhalten. Wenn es im englischen Recht heißt, auch der Versicherer unterliege dem Gebot der uberrima fides, so wird damit kein weiterreichender Pflichtenkatalog bezeichnet, als der, der sich etwa im deutschen Recht aus der Geltung von Treu und Glauben ergäbe. i) Rechtsfolgen Während in Banque Keyser Ullmann SA v Skandia (UK) Insurance Co Ltd in dem Schweigen des Versicherers von allen Instanzen ohne Schwierigkeit ein Verstoß gegen die Anzeigepflicht erkannt wurde, erwiesen sich die Rechtsfolgen, die an diese Pflichtverletzung zu knüpfen sind, als problematisch und strittig. Bis dahin war anerkannt, daß der verletzten Partei ein Anfechtungsrecht (right to rescind) zusteht. Die Anfechtung führt zur ex tunc Nichtigkeit des Versicherungsvertrages. Sofern der Versicherungsnehmer die Offenbarungspflicht nicht schuldhaft verletzt hat, kann er die Rückzahlung seiner Prämien verlangen.316 Dem Versicherer bietet ein Anfechtungsrecht zweifellos ausreichend Schutz, wenn der Versicherungsnehmer seine Aufklärungspflicht verletzt, denn er ist dann nicht zur Leistung aus dem Versicherungsvertrag verpflichtet. Verletzt jedoch der Versicherer die Anzeigepflicht, so ist dem Versicherungsnehmer mit einem Anfechtungsrecht schlecht gedient, jedenfalls dann, wenn sich das versicherte Risiko bereits verwirklicht hat. Denn die Anfechtung führt zur ex tunc-Nichtigkeit, und der Versicherungsnehmer erhält die geleisteten Prämien zurück, aber mangels wirksamen Vertrages muß der Versicherer für den entstandenen Schaden nicht einstehen. Der Versicherungsnehmer steht damit genauso, als hätte er sich gar nicht versichert. Effektiven Rechtsschutz kann in dieser Situation nur ein Schadensersatzanspruch gegen den Versicherer bieten. Diese Auffassung vertrat in erster Instanz der Richter Steyn und gewährte unter Berufung auf den Grundsatz „ubi ius ibi remedium“ einen Schadensersatzanspruch gegen den Versicherer.317 Vor dem Court of Appeal hatte dieser Schadensersatzanspruch jedoch keinen Bestand, denn das Gericht war nicht bereit, die anerkannten Rechtsfolgen auszudehnen. Da es sich bei der Verletzung der Aufklärungspflicht weder um eine Vertragsverletzung, noch um ein Delikt, noch um die Verletzung einer sogenannten fiduciary duty handelte, noch ein Schadensersatzanspruch durch ein Gesetz angeord315 316 317

[1990] 1 QB 665, 772. MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-27. [1990] 1 QB 665, 705.

III. Das Prinzip der uberrima fides

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net war, gab es keine Rechtsgrundlage für einen Schadensersatzanspruch,318 und die einzig mögliche Rechtsfolge blieb die Anfechtung. j) Kritik an der geltenden Regel von uberrima fides Das Prinzip von uberrima fides ist seit langem nicht nur wegen der Unangemessenheit des Rechtsbehelfs der Anfechtung für den Fall, daß der Versicherer die Pflicht verletzt, in die Kritik geraten, sondern vor allem deshalb, weil die Aufklärungspflicht für den Versicherungsnehmer zu unbilligen Härten führen kann.319 Der Versicherer hat alle Vorteile auf seiner Seite.320 So schreibt Merkin in einer Entscheidungsanmerkung unter der Überschrift „Uberrimae Fidei Strikes Again“ polemisierend: „There are certain statements used by lawyers which, in addition to presenting a fact, presume a conclusion and justify it as well. One such statement is ,Contracts of insurance are contracts uberrimae fidei.‘ A plaintiff who hears a judge utter these words is best advised to ask for the costs bill and go home. . .“.321 Einer der Hauptkritikpunkte ist, daß der Beurteilungshorizont des Versicherungsnehmers für die Frage, ob er alle wesentlichen Umstände offenbart hat, nicht berücksichtigt wird, da sich die Wesentlichkeit nach dem „prudent insurer test“ bestimmt. Einige Umstände, die wegen dieses Tests schon für wesentlich erachtet wurden, würden von einem vernünftigen Antragsteller als nichts weiter als nutzlose Information angesehen werden.322 So besteht selbst für einen Versicherungsnehmer, der bei Antragstellung seine Angaben mit größter Sorgfalt und nach bestem Wissen und Gewissen gemacht hat, die Gefahr, im Schadensfall feststellen zu müssen, daß er keinen wirksamen Versicherungsschutz genießt, da er einen Umstand, den ein erfahrener Versicherer als wesentlich erachten würde, nicht erwähnt hat, nur weil er nicht erkannt hat, daß der Umstand wesentlich ist und deshalb anzuzeigen wäre.323 Dadurch, daß der Beweis der Wesentlichkeit durch die Be318 [1990] 1 QB 665, 776. Eine eingehende Analyse der Urteile aller Instanzen in diesem Rechtsstreit bietet Park, S. 185–210. Er kritisiert die Ablehnung eines Schadensersatzanspruchs durch den Court of Appeal, ibid., S. 209 f. 319 Harnett, (1950) 15 Law and Contemporary Problems 391 ff. spricht sich für die völlige Abschaffung von uberrima fides und die Behandlung aller Informationsprobleme des Versicherungsvertrags mit den Instrumenten des allgemeinen Vertragsrechts aus. „The doctrine of ,good faith‘ in English and Canadian insurance law has, in my view, been a disaster“, Hasson, (1987/88) 13 Canadian Business Law Journal 93, 120. 320 „. . . insurance law as it at present stands is heavily loaded in favour of the insurer“, Merkin, (1976) 39 MLR 478, 479. 321 (1976) 39 MLR 478. 322 Merkin, (1976) 39 MLR 478, 479.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

fragung von Vertretern der Versicherungsbranche erbracht werden kann, ist es dem Versicherungsnehmer praktisch unmöglich, den Gegenbeweis zu führen.324 In MacGillivray on Insurance Law heißt es daher, daß die Bezeichnung uberrima fides in gewisser Weise irreführend sei: „The maxim uberrima fides is therefore to an extent misleading, since an assured might believe in all honesty that he was complying with the duty of good faith, and yet fail to discharge the duty of disclosure.“325 Schon allein die Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Versicherungsnehmer berechtigt den Versicherer zur Anfechtung des Versicherungsvertrages. Der Versicherungsnehmer kann sich nie darauf verlassen, daß er wirklich Versicherungsschutz genießt. Dabei kann der Verlust des Versicherungsschutzes zu der Pflichtverletzung völlig außer Verhältnis stehen, denn anders als in den meisten anderen Rechtsordnungen gibt es im englischen Recht kein Korrektiv, um diese Härte abzumildern, wie etwa eine kausale Verknüpfung zwischen dem eingetretenen Schaden und dem verschwiegenen Umstand, ein Verschuldenserfordernis oder eine proportionale Anpassung der Versicherungssumme.326 Einige der Kritiker des heutigen Verständnisses von uberrima fides, die der Meinung sind, daß uberrima fides der Fairneß zuwiderläuft, berufen sich darauf, daß dieses auf einer Fehlinterpretation der Entscheidung Carter v Boehm beruhe.327 Wie oben ausgeführt, wurden in dieser Entscheidung und in der Folgezeit Aufklärungspflichten des Versicherungsnehmers in einem viel engeren Umfang als heute akzeptiert. Es wurde daher vorgeschlagen, den Umfang der Aufklärungspflicht wieder auf die von Lord Mansfield formulierten Prinzipien zurückzuführen. Nach Hassons Interpretation der Entscheidung Carter v Boehm würde dies bedeuten, daß der Versicherer den Versicherungsvertrag nur dann anfechten könnte, wenn dem Versicherungsnehmer ein „fraudulent concealment“ vorzuwerfen wäre, wenn er also einen Umstand in der Absicht, den Versicherungsnehmer über das Risiko zu täuschen, verschwiegen hätte. Dabei übergeht Hasson jedoch, daß Lord Mansfield in Carter v Boehm neben dieser verschuldensabhängigen Aufklärungspflicht eine spezielle Anzeigepflicht für den Versicherungsnehmer sta323

MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-93. Hasson, (1969) 32 MLR 615, 636. 325 MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-34. 326 Bennett, (1998) Lloyd’s Maritime and Commercial Law Quarterly 165, 172. Einen Überblick über „limited sanctions“ bietet Rudden, S. 45 ff. Eine schwächere Rechtsstellung des Versicherungsnehmers in Großbritannien im Vergleich zu den Rechtsordnungen des Kontinents sieht auch Beckmann, ZEuP 7 (1999), 809, 820. 327 Hasson, (1969) 32 MLR 615 ff., idem, (1984) 47 MLR 505 ff.; idem, (1987/ 88) 13 Canadian Business Law Journal 93; ihm folgend: Achampong, (1987) 36 ICLQ 329 ff.; Hodgin, Disclosure in English Insurance Law, S. 57. 324

III. Das Prinzip der uberrima fides

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tuierte, deren Verletzung verschuldensunabhängig zur Nichtigkeit des Versicherungsvertrages führte. Nach Ansicht von Park sollte die Anzeigepflicht auf solche Umstände begrenzt werden, die mit dem versicherten Risiko in engem Zusammenhang stehen.328 Diese Begrenzung der verschuldensunabhängigen Anzeigepflicht entspräche einer Rückbesinnung auf die Prinzipien, die Lord Mansfield in Carter v Boehm formuliert hat, und auf die Praxis der Gerichte im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Andere weisen darauf hin, daß der Versicherer des weitreichenden Schutzes, den ihm das Prinzip von uberrima fides gewährt, gar nicht mehr bedürfe, weil sich die Verhältnisse grundlegend verändert hätten.329 Im 19. Jahrhundert galt das Versicherungswesen, insbesondere die Seeversicherung, als ein sehr gefährliches Geschäft.330 Es war üblich, eine Versicherung erst dann abzuschließen, wenn das Schiff bereits den Hafen verlassen hatte, oft sogar mit der Klausel „lost or not lost“. Der Versicherer war vollkommen im Dunkel über den Zustand und die Position des Schiffs. Die Kommunikations- und Transportmittel waren zu beschränkt, als daß der Versicherer selbst hätte Nachforschungen anstellen können. Heute dagegen informieren moderne Kommunikationsmittel und der effiziente Nachrichtendienst von Lloyd’s den Versicherer über jede Bewegung des versicherten Schiffs.331 Wenn ihm die Versicherung eines Schiffs angetragen wird, kann er sofort dessen Position abfragen. Früher enthielten die Policen nur eine knappe Beschreibung des Risikos mit wenigen vertraglichen Zusicherungen. Die detaillierten Antragsformulare kamen erst viel später auf. All dies machte den Versicherungsvertrag für den Versicherer zu einem „blind leap of faith“.332 Heute dagegen muß der Versicherungsnehmer einen umfangreichen Fragenkatalog beantworten, und die Versicherer beauftragen Experten, um zu versichernde Gebäude zu prüfen, sowie Ärzte, die Versicherungsnehmer untersuchen, die eine Kranken- oder Lebensversicherung abschließen wollen. Der Versicherer kann beim Versicherungsnehmer telefonische Auskünfte einholen, und ihm stehen wissenschaftliche Daten und Berechnungsmethoden zur Verfügung, die ihm bei der Bewertung des Risikos helfen.333 Kurz gesagt: der Versicherer sei heute in der Position, ebenso viel über das Risiko zu wissen wie der Versicherungsnehmer. Dagegen wurde eingewandt, daß es trotz allem immer noch genügend gefahrerhebliche Informationen gebe, auf die der Versicherer keinen Zugriff habe.334 Um der verbes328

Park, The Duty of Disclosure in Insurance Contract Law, S. 32. Clarke, Rn. 23-1A. 330 Hierzu Harnett, (1950) 15 Law and Contemporary Problems 391, 398 f.; MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-95. 331 Arnould’s Law of Marine Insurance and Average, Rn. 647. 332 Holmes, (1978) 39 U. Pitt. L. Rev. 381, 433. 333 MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-95. 329

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

serten Situation des Versicherers Rechnung zu tragen, wurde vorgeschlagen, daß er wenigstens verpflichtet sein sollte, die Daten, die in seinem Unternehmen vorhanden sind, zu prüfen; dies ist durch die elektronische Datenverwaltung wesentlich einfacher geworden.335 k) Reform Der Reformbedarf wurde erkannt, die Reformbemühungen verliefen jedoch im Sand.336 1957 erschien ein Bericht des Law Reform Committee.337 Als wesentliche Änderung wurde vorgeschlagen, daß nur solche Umstände der Offenbarungspflicht unterliegen sollen, die ein vernünftiger Versicherungsnehmer als gefahrerheblich (material) erkannt hätte, und daß sich der Versicherer dann nicht auf die Nichtoffenbarung berufen können soll, wenn der Versicherungsnehmer seine Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht hat. In eine ähnliche Richtung gingen die Vorschläge der Law Commission,338 wonach ebenfalls nur für solche Umstände eine Offenbarungspflicht bestehen sollte, die ein vernünftiger Versicherungsnehmer offenbart hätte. l) Statements of Insurance Practice 1977 and 1986 Die Versicherungsbranche hat sich eine freiwillige Selbstbeschränkung auferlegt, um die Härten abzumildern, die aus dem Prinzips von uberrima fides folgen können. Nach den Statements of Insurance Practice 1977, die 1986 überarbeitet wurden, soll ein Versicherer die Haftung nicht wegen der Nichtoffenbarung eines Umstands ablehnen, dessen Offenbarung von einem Versicherungsnehmer vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte. Außerdem sollen die Antragsformulare deutlich auf das Bestehen der Offenbarungspflicht und die Rechtsfolgen ihrer Verletzung hinweisen.339 Zwar wer334

Clarke, Rn. 23-9B2; Harrison, Rn. 4.03. „Just as a man’s legs have been extended by modern means of transport, his memory has been extended by the computer. Now that vast amounts of information can be summoned at the touch of a keypad on a desk, perhaps it is time to reconsider in England the rule settled many years ago in the United States that ,an insurance company is charged with knowledge of what appears in his own records‘“, Clarke, Rn. 23-9B2. 336 Zu den Reformvorschlägen siehe Eggers/Foss, Rn. 5.18–5.20; Park, The Duty of Disclosure in Insurance Contract Law, Kapitel 9. 337 Law Reform Committee Report, Conditions and Exceptions in Insurance Policies, Cmnd. 62, (1957). 338 Law Commission Report, Non-Disclosure and Breach of Warranty, Cmnd. 8064, (1980). 339 Eggers/Foss, Rn. 5.22; die Regeln des General Insurance Practice Statement, die alle Versicherungstypen außer Lebensversicherungen, die ein Verbraucher mit 335

IV. Vorvertragliche Aufklärungspflichten im deutschen Versicherungsrecht

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den damit einige Härten des Prinzips von uberrima fides gemildert, aber die Statements können eine gesetzliche Regelung nicht ersetzen, da sie nicht rechtsverbindlich sind und nur Versicherungen betreffen, die ein Verbraucher abgeschlossen hat, der im Vereinigten Königreich seinen Wohnsitz hat.340

IV. Vorvertragliche Aufklärungspflichten im deutschen Versicherungsrecht 1. Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers gemäß §§ 16 ff. VVG Im deutschen Recht ist die vorvertragliche Anzeigepflicht im Versicherungsrecht gesetzlich in den §§ 16 ff. VVG geregelt. Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) ist im Jahr 1910 als erste reichsgesetzliche Regelung des Binnenversicherungsrechts in Kraft getreten. Das Seeversicherungsrecht war bereits durch das ADHGB kodifiziert worden.341 Ebenso wie im englischen Recht hat der Versicherungsnehmer gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 VVG bei Vertragsschluß dem Versicherer alle ihm bekannten Umstände anzuzeigen, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind. Dogmatisch wird die Bestimmung über die Verletzung der Anzeigepflicht als eine spezielle Ausformung der culpa in contrahendo angesehen, die abschließend regelt, welche Informationen der Versicherungsnehmer dem Versicherer im Stadium der Vertragsanbahnung übermitteln muß.342 Nach dem Gesetzeswortlaut sind solche Gefahrumstände erheblich, die geeignet sind, auf den Entschluß des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, einen Einfluß auszuüben, § 16 Abs. 1 S. 2 VVG. Auch insofern entspricht die Regelung der Rechtslage in England. Da der Zweck der Anzeigepflicht ist, dem Versicherer eine sachgerechte Risikoprüfung zu ermöglichen,343 sind von ihr alle objektiven und subjektiven Umstände erfaßt, die für die Risikobeurteilung von Bedeutung sein können.344 Wann Wohnsitz im Vereinigten Königreich abgeschlossen hat, zum Gegenstand haben, und des Long-Term Insurance Practice Statement, die vor allem Lebensversicherungen betreffen, wurden von der British Insurance Association und Lloyd’s herausgegeben und ihren Mitgliedern zur Annahme empfohlen. 340 Eggers/Foss, Rn. 5.21 ff. m. w. N.; MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17100; ausführlich zur Selbstkontrolle Park, The Duty of Disclosure in Insurance Contract Law, Kapitel 10. 341 Zur Kodifikationsgeschichte siehe Koch. 342 Bruck/Möller, § 16 VVG Anm. 5; Hofmann, Privatversicherungsrecht, S. 83; Martin, Sachversicherungsrecht, N II Rn. 1; a. A. z. B. Röhr, S. 22 ff., 37 ff., der in den §§ 16 VVG ff. eine spezielle Regelung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sieht. 343 Römer/Langheid-Langheid, §§ 16, 17 VVG Rn. 1.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

das Merkmal der Erheblichkeit erfüllt ist, ist Gegenstand einer reichhaltigen Kasuistik und hängt von den Besonderheiten der einzelnen Versicherungsarten ab.345 Dem Versicherer hilft die Erheblichkeitsvermutung des § 16 Abs. 1 S. 3 VVG, wonach ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, im Zweifel als erheblich gilt. Auch diese Vermutung hat eine Entsprechung im englischen Recht. Die Erheblichkeitsvermutung findet eine für den Versicherer nachteilige Ergänzung in § 18 Abs. 2 VVG, denn wenn der Versicherungsnehmer die Gefahrumstände an Hand schriftlicher, vom Versicherer gestellter Fragen anzuzeigen hat, kann der Versicherer wegen unterbliebener Anzeige eines Umstandes, nach welchem nicht ausdrücklich gefragt worden ist, nur im Fall arglistigen Verschweigens zurücktreten. Insofern unterscheidet sich die Rechtslage in England, wo ein schriftlicher Fragenkatalog auf die Anzeigepflicht keinen Einfluß hat und nicht vermutet wird, daß der Versicherer auf die Offenbarung eines Umstands, nach dem er nicht ausdrücklich gefragt hat, verzichtet hat. Die vorvertragliche Anzeigepflicht ist ebenso wie in England durch die in der Person des Versicherungsnehmers vorausgesetzten subjektiven Tatbestandsmerkmale begrenzt. Anzeigepflichtig sind nur die dem Versicherungsnehmer bekannten Umstände. Dabei genügt die Kenntnis der Gefahrumstände, auf die Kenntnis der Gefahrerheblichkeit kommt es dagegen nach herrschender Meinung nicht an, weil der Laie oft nicht erkennen kann, ob ein Umstand für die Entscheidung des Versicherers erheblich ist oder nicht und ein Abstellen auf seine Erkenntnismöglichkeit dem Rechtsinstitut der vorvertraglichen Anzeigepflicht jede sichere Grundlage nähme.346 Insoweit unterscheidet sich das deutsche nicht vom englischen Recht. Die Pflicht des Versicherungsnehmers bei Abschluß eines Versicherungsvertrages geht damit weiter als im allgemeinen Zivilrecht, wo Voraussetzung für eine Aufklärungspflichtverletzung im Rahmen der arglistigen Täuschung ist, daß der an sich Informationspflichtige die Bedeutung des fraglichen Umstandes für die Willensbildung seines Vertragspartners erkannt hat,347 und für eine Haftung aus culpa in contrahendo, daß diese zumindest erkennbar war.348 Auf 344 Prölls/Martin-Prölls, §§ 16, 17 VVG Rn. 2; Römer/Langheid-Langheid, §§ 16, 17 VVG Rn. 11; BK-Voit, § 16 VVG Rn. 12 ff., jeweils mit Beispielen aus der Rechtsprechung. 345 Übersichten für einzelne Versicherungszweige bei Römer/Langheid-Langheid, §§ 16, 17 VVG Rn. 12 ff.; Prölls/Martin-Prölls, §§ 16, 17 VVG Rn. 7 ff. 346 Römer/Langheid-Langheid, §§ 16, 17 VVG Rn. 19; BK/Voit, § 16 VVG Rn. 46; nach a. A. wird verlangt, daß die Gefahrerheblichkeit für den Versicherungsnehmer erkennbar war, Röhr, S. 151, oder sogar, daß er sie tatsächlich erkannt hat, Bruck/Möller, § 16 VVG Anm. 34. 347 Fleischer, S. 334. 348 Fleischer, S. 454 ff.

IV. Vorvertragliche Aufklärungspflichten im deutschen Versicherungsrecht

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präsentes Wissen kommt es nicht an, es genügt, daß sich der Versicherungsnehmer bei gehöriger Gedächtnisanstrengung des Umstandes bewußt werden kann.349 Der tatsächlichen Kenntnis steht es gleich, wenn sich der Versicherungsnehmer der Kenntnis arglistig entzieht, § 16 Abs. 2 S. 2 VVG, wenn er also von einer Kenntniserlangung absichtlich Abstand nimmt, obwohl ihm die Möglichkeit sicherer Kenntnisnahme vor Augen steht.350 In zeitlicher Hinsicht erstreckt sich die Anzeigepflicht bis zum Zustandekommen des Vertrages. Das bedeutet, daß der Versicherungsnehmer auch Umstände, von denen er erst nach Antragstellung erfährt, dem Versicherer mitteilen muß, solange ihm dessen Annahmeerklärung noch nicht zugegangen ist.351 Eine Tatbestandsvoraussetzung der Anzeigepflicht, die in der Person des Versicherers liegt, ist dessen fehlende Kenntnis von dem fraglichen Umstand.352 Schwierigkeiten der Wissenszurechnung ergeben sich aus der arbeitsteiligen Organisation der Versicherungsunternehmen, insbesondere in den Fällen, in denen nicht der zuständige Sachbearbeiter über die Kenntnis verfügt, die Information aber im Organisationsbereich des Versicherers vorhanden ist.353 Der Kenntnis steht die Speicherung der Daten im Computer gleich, soweit Anlaß besteht, die Daten abzurufen.354 Eines der strittigsten Einzelprobleme im Rahmen der §§ 16 ff. VVG ist die vom BGH entwickelte Nachfrageobliegenheit des Versicherers. Wenn die Angaben des Versicherungsnehmers im Hinblick auf gefahrerhebliche Umstände Andeutungen enthalten und der Versicherer bei erkennbar falschen, unvollständigen oder widersprüchlichen Angaben des Versicherungsnehmers, die zur vollständigen und richtigen Einschätzung des Risikos nicht ausreichen können, von Rückfragen absieht, dann verletzt er seine Nachfrageobliegenheit und kann aus der unzulänglichen Anzeige des Versicherungsnehmers kein Rücktrittsrecht nach § 16 Abs. 2 VVG und kein Anfechtungsrecht ableiten.355

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Bruck/Möller, § 16 VVG Anm. 32; Röhr, S. 152 m. w. N. Bruck/Möller, § 16 VVG Anm. 33; BK/Voit, § 16 Rn. 57; Röhr, S. 155. 351 Hofmann, Privatversicherungsrecht, S. 82; BGH VersR 1980, 667; zu den Details BK/Voit, § 16 VVG Rn. 39 ff. Dies gilt auch in Ansehung von Umständen, die als Gefahrerhöhung anzusehen sind, dann greift daneben § 29 a VVG ein, Bruck/ Möller, § 29 a VVG Anm. 6; Römer/Langheid-Langheid, § 29 a VVG Rn. 2. 352 Entgegen dem Wortlaut des Gesetzes in § 16 Abs. 3 VVG entfällt nicht nur das Rücktrittsrecht des Versicherers, sondern es fehlt bereits an der objektiven Tatbestandsvoraussetzung der Obliegenheit, Bruck/Möller, § 16 Anm. 36. 353 Ausführlich hierzu Prölls/Martin-Prölls, § 20 VVG Rn. 5 ff.; Römer/Langheid-Langheid, §§ 16, 17 VVG Rn. 23 ff., § 20 VVG Rn. 2 ff. 354 Prölls/Martin-Prölls, § 20 VVG Rn. 4. 350

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

2. Rechtsfolgen der Anzeigepflichtverletzung Verletzt der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht, so hat der Versicherer grundsätzlich die Wahl zwischen zwei Rechtsbehelfen, die nebeneinander geltend gemacht werden können: Rücktritt vom Vertrag gemäß §§ 16 Abs. 2, 20 VVG oder Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 BGB. Der Rücktritt ist gemäß § 16 Abs. 3 VVG ausgeschlossen, wenn die Anzeige ohne Verschulden des Versicherungsnehmers unterblieben ist,356 wobei für das Verschulden einfache Fahrlässigkeit genügt.357 Gemäß § 22 VVG bleiben die Rechte wegen arglistiger Täuschung durch das Versicherungsvertragsrecht unberührt. Als Täuschungshandlung kommt das Vorspiegeln falscher und das Verschweigen wahrer Tatsachen in Betracht. Die erforderliche Aufklärungspflicht ergibt sich in der Regel aus der Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers.358 Arglist ist gegeben, wenn der Versicherungsnehmer auf den Entschluß des Versicherers mindestens bedingt vorsätzlich Einfluß nehmen wollte.359 Er muß daher in dem Bewußtsein gehandelt haben, daß der Versicherer, wenn er die Wahrheit erfährt, den Antrag möglicherweise überhaupt nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde.360 Weiter muß die Täuschung für den Entschluß des Versicherers, den Vertrag abzuschließen, kausal gewesen sein. Insoweit wird von der Rechtsprechung ein Anscheinsbeweis zugelassen, daß bei bestimmten typischen Sachverhalten nach der Erfahrung des Lebens der Versicherer in Kenntnis des wahren Sachverhalts den Versicherungsvertrag gar nicht oder zu anderen Bedingungen abgeschlossen hätte.361 Eine Irrtumsanfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB ist dagegen durch die §§ 16 ff. VVG ausgeschlossen, wie der Umkehrschluß aus § 22 VVG ergibt, weil dadurch der im VVG für den Versicherungsnehmer vorgesehene Schutz unterlaufen würde. Denn zum einen wäre für eine Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB anders als nach § 16 Abs. 3 VVG nicht das Verschulden des Versicherungsnehmers Voraussetzung und zum anderen müßte der Versicherer im Fall einer Anfechtung, die zur ex tunc-Nichtigkeit des Vertrages führt, nicht wie beim Rücktritt gemäß § 21 VVG für einen inzwischen ein355 BGH VersR 1995, 80; siehe Römer/Langheid-Langheid, §§ 16, 17 VVG Rn. 35 m. w. N.; BK/Voit, § 16 VVG Rn. 90 ff.; Holzhauser, Versicherungsvertragsrecht, Rn. 124; Schimikowski, Versicherungsvertragsrecht, Rn. 191. 356 Der Versicherer kann dann aber unter den Voraussetzungen des § 41 VVG eine höhere Prämie verlangen oder das Versicherungsverhältnis kündigen. 357 Römer/Langheid-Langheid, §§ 16, 17 Rn. 36. 358 Bruck/Möller, § 22 VVG Anm. 11. 359 Prölls/Martin-Prölls, § 22 VVG Rn. 4 mit vielen Nachweisen. 360 BGH VersR 1964, 1189; Schimikowski, Versicherungsvertragsrecht, Rn. 198. 361 Hofmann, Privatversicherungsrecht, S. 84.

V. Innerer Geltungsgrund der vorvertraglichen Anzeigepflicht

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getretenen Versicherungsfall trotz seiner Rücktrittserklärung einstehen, wenn der gefahrerhebliche Umstand, hinsichtlich dessen der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht verletzt hat, für den Eintritt des Versicherungsfalles nicht kausal gewesen ist. In diesen beiden Schutzvorkehrungen zugunsten des Versicherungsnehmers besteht ein wesentlicher Unterschied zum englischen Recht, wo jede Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers unabhängig von seinem Verschulden und ohne daß es auf einen kausalen Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem Schadenseintritt ankäme, ein Anfechtungsrecht des Versicherers begründet. Durch die Rücktrittsvoraussetzung einer schuldhaften Anzeigepflichtverletzung und den Kausalitätsgegenbeweis des § 21 VVG wirkt sich die Anzeigepflicht im deutschen Recht weniger hart für den Versicherungsnehmer aus, obwohl er vom Grundsatz ebenso wie im englischen Recht dem Versicherer von sich aus alle gefahrerheblichen Umstände offenbaren muß. Im deutschen Recht ist der Versicherungsnehmer im Gegensatz zum englischen Recht davor geschützt, seinen Versicherungsschutz zu verlieren, obwohl er alles getan hat, was man vernünftigerweise von ihm erwarten konnte. Die Ähnlichkeit die Frage auf, ob Vertrag uberrimae sich auch bei den angeführt werden.

in Formulierung und Umfang der Anzeigepflicht wirft der Versicherungsvertrag auch im deutschen Recht ein fidei ist. Parallelen in beiden Rechtsordnungen finden Gründen, die für die Rechtfertigung der Anzeigepflicht

V. Innerer Geltungsgrund der vorvertraglichen Anzeigepflicht 1. Technische Grundlagen des Versicherungsgeschäfts Heute wird die Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers häufig mit den informationsökonomischen Besonderheiten des Versicherungsvertrages erklärt.362 Schon in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über den Versicherungsvertrag aus dem Jahr 1907 hieß es, daß die Kenntnis der Art und Größe der Gefahr die Voraussetzung dafür sei, daß der Versicherer das Versicherungsgeschäft sachgemäß betreiben könne.363 Ohne eine sorgfältige Klassifizierung der angebotenen Risiken in verschiedene Gefahrenklassen mit unterschiedlicher Prämienstruktur sei das Versicherungsgeschäft regelmäßig nicht denkbar. Eine sachgemäße Risikoauswahl und -bewertung sei wiederum nur möglich, wenn dem Versicherer alle Gefahrumstände bekannt 362 363

Fleischer, S. 507; Röhr, S. 52 f. S. 33.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

seien.364 Aus versicherungstechnischen Gründen muß der Versicherer genaueste Kenntnis von der Beschaffenheit der individuellen gefahrerheblichen Umstände haben, andernfalls kann er die Einordnung eines von ihm zu tragenden Risikos in eine Gefahrengruppe nicht vornehmen.365 Die Begründung der Anzeigepflichten mit den versicherungstechnischen Besonderheiten findet sich auch im englischen Recht. MacGillivray on Insurance Law sieht darin die überzeugendste Rechtfertigung für die Aufklärungspflichten des Versicherungsnehmers und will diese Argumentation sogar der Entscheidung Carter v Boehm entnehmen.366 2. Traditionelle Begründung der Anzeigepflicht Zwei Begründungsmuster für die Anzeigepflicht, die bis heute fortwirken und oft gleichzeitig angeführt werden, bildeten sich schon im 17. und 18. Jahrhundert heraus:367 Zum einen werden die Anzeigepflichten aus dem aleatorischen Charakter des Versicherungsvertrages abgeleitet, zum anderen aus dem Grundsatz von Treu und Glauben, dessen Bedeutung für den Versicherungsvertrag wegen seiner Natur traditionell stärker betont wurde als bei anderen Verträgen.368 a) Aleatorischer Charakter des Versicherungsvertrags Auf eine lange Tradition blickt die Rechtfertigung der Anzeigepflichten mit dem aleatorischen Charakter des Versicherungsvertrages,369 die schon von Grotius, Pufendorf und Carter v Boehm bekannt ist. Ähnlich wie bei Spiel und Wette machten die Parteien das wirtschaftliche Ergebnis des Ver364

Römer/Langheid-Langheid, §§ 16, 17 VVG Rn. 1. Bruck/Möller, § 16 VVG Anm. 4; BK/Voit, § 16 VVG Rn. 1; zu den technischen Grundlagen des Versicherungsgeschäfts: Röhr, S. 52 f. mit ausführlichen Nachweisen. 366 MacGillivray on Insurance Law, Rn. 17-94: „The most satisfactory rationale is probably that offered by Lord Mansfield in his classic judgment in Carter v. Boehm, which may be summarised thus: The assured requests the insurer to run the risk of paying a large sum in the event of loss in return for a premium which is, in comparison, very small. The viability of the insurer’s business depends upon an accurate computation of the contingency of loss and the risk undertaken, and therefore the assured cannot in all fairness and good sense expect the insurer to perform his side of the bargain if he is deprived of the information he needs to estimate the risk, of which he is ignorant and the insured is not.“ 367 Röhr, S. 49. 368 Van Niekerk, S. 187 mit Beispielen aus der römisch-holländischen Versicherungsrechtsliteratur in Fn. 54. 369 Voigt/Seebohm, Das deutsche Seeversicherungs-Recht, S. 181; Lewis, Das deutsche Seerecht, 2.316. 365

V. Innerer Geltungsgrund der vorvertraglichen Anzeigepflicht

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trages, ob nämlich der eine oder der andere Teil einen Vorteil aus dem Vertrag ziehe, vom zufälligen Eintritt bestimmter Umstände abhängig. Bei einem solchen Vertrag dürfe die Ungewißheit der Parteien über den Eintritt des vertragserheblichen Umstandes nicht unterschiedlich sein. Grotius und Pufendorf definieren den Versicherungsvertrag als einen Vertrag zur Abwendung von Gefahren. Prototyp für diese Vertragsart ist die Seeversicherung. Diese ist nichtig, wenn entweder der Versicherer weiß, daß das Schiff bereits sicher angekommen ist, oder der Versicherungsnehmer weiß, daß das Schiff untergegangen ist. Dies folgt aus der Natur des Versicherungsvertrages, zu dessen Wesen die Ungewißheit des Schadenseintritts gehört.370 Auch Pothier ordnet die Versicherung bei den aleatorischen Verträgen ein und betont gleichzeitig die Geltung von Treu und Glauben für den Versicherungsvertrag: „La bonne foi qui doit régner dans le contrat d’assurance, de même que dans les autres, oblige chacun des contractants de ne rien dissimuler à l’autre, de ce qu’il sait sur les choses qui font la matière du contrat, car cette dissimulation est un dol.“371 Aufzuklären ist insbesondere über alle Umstände, die zu einer Erhöhung oder Reduzierung des Risikos führen. Der Gedanke vom aleatorischen Charakter der Seeversicherung wurde immer wieder aufgegriffen, so befanden sich z. B. im Allgemeinen Preußischen Landrecht und im österreichischen Recht die Vorschriften zum Versicherungsvertrag im Abschnitt zu den aleatorischen Verträgen.372 Einen Hinweis auf den aleatorischen Charakter des Versicherungsvertrages gibt es auch in Carter v Boehm, wo es heißt: „Insurance is a contract upon speculation“ und wo von der „contingent chance“ die Rede ist,373 sowie in Seaman v Fonereau, wo der Versicherungsvertrag als ein „contract upon chance“ bezeichnet wurde.374 Gegen die Einordnung des Versicherungsvertrages bei den aleatorischen Verträgen ist folgendes einzuwenden. Im Unterschied zu Spiel und Wette macht der Versicherungsnehmer keinen Gewinn, sondern erhält nur Kompensation für das versicherte Interesse, und für den Versicherer verliert der Vertrag seinen aleatorischen Charakter im planmäßigen Großbetrieb.375 Denn die Risikokalkulation des Versicherers basiert auf statistischen Mas370 Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II, Kapitel 12, § 23; Pufendorf, De iure naturae et gentium, 5. Buch, 9. Kapitel, § 8. 371 Pothier, Traité des contrats aléatoires, no. 194. 372 Im ALR im 11. Titel des I. Teils Abschnitt 6 unter der Überschrift „Von den gewagten Geschäften und ungewissen Erwartungen“; hierzu und zu den verschiedenen Kodifikationsschritten in Österreich siehe Koch, S. 304, 308 ff. 373 (1766) 3 Burr 1905, 1909; 97 ER 1162, 1164. 374 (1743) 2 Strange 1183; 93 ER 1115. 375 Röhr, S. 49 f.

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senbeobachtungen über die Häufigkeit und die Art und Weise des Eintretens bestimmter Ereignisse.376 Somit kennt er die Wahrscheinlichkeit, mit der ähnliche Ereignisse in der Zukunft geschehen. Dadurch daß viele Einzelrisiken in Gefahrengemeinschaften eines Großbetriebes zusammenfaßt sind, hängt die Frage, ob der Versicherer aus den abgeschlossenen Versicherungen einen Vorteil hat, nicht vom Zufall ab, sondern ist nach versicherungsmathematischen Grundsätzen berechenbar. b) Geschichtliche Bedeutung von Treu und Glauben für den Versicherungsvertrag Eine weitere traditionelle Deutung sieht den inneren Geltungsgrund für die vorvertragliche Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers in dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer.377 Schon nach Ansicht Grotius bestand zwischen den Parteien des Versicherungsvertrages ein besonderes Vertrauensverhältnis, aus dem gegenseitige Treuepflichten resultieren.378 Regelmäßig verfügt allein der Versicherungsnehmer über die Kenntnis der für den Abschluß der Versicherung wesentlichen Gefahrenlage. Insbesondere im Bereich der Seeversicherung mußte sich der Versicherer bis in die Moderne zur Einschätzung seines Risikos, das im Vergleich zur Prämie sehr hoch sein konnte, auf die Angaben des Versicherungsnehmers verlassen und hatte selbst keine Möglichkeit, diese Angaben zu überprüfen. Der Versicherer mußte dem Versicherungsnehmer in einer Weise vertrauen, die über das Maß des Vertrauens, das sich Vertragspartner bei gewöhnlichen Austauschverträgen entgegenbringen müssen, hinausging. Zu seinem Schutz setzten sich sowohl auf dem Kontinent als auch in England spezielle verschuldensunabhängige Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers durch. Die Verletzung dieser Anzeigepflichten, die zur Nichtigkeit bzw. Anfechtbarkeit des Versicherungsvertrages führte, setzte keine Täuschungsabsicht des Schweigenden voraus. Damit ging diese Anzeigepflicht über das hinaus, was Treu und Glauben im allgemeinen Vertragsrecht von den Parteien forderte, nämlich dem Vertragspartner keine vertragswesentlichen Umstände zu verschweigen, in der Absicht, ihn über ihr Vorliegen zu täuschen. Im englischen Recht wurde die Tatsache, daß das Versicherungsrecht vom Versicherungsnehmer in bezug auf vorvertragliche Aufklärung mehr ver376

Röhr, S. 53. Heiss, Treu und Glauben im Versicherungsvertragsrecht, S. 20 f.; Grauer, Treu und Glauben im Versicherungsverkehr, Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 13 (1913), 290, 292. 378 Dies geht aus einem Rechtsgutachten Grotius hervor, siehe van Niekerk, S. 1002. 377

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langte als der Grundsatz von Treu und Glauben im allgemeinen Vertragsrecht, mit dem Ausdruck „uberrima fides“ und „utmost good faith“ oder „most perfect good faith“ bezeichnet. Beispiele, in denen zum Ausdruck kommt, daß der Versicherungsvertrag in stärkerem Maße dem Grundsatz von Treu und Glauben unterliegt als andere Verträge, finden sich auch in der Gesetzgebung in Deutschland. So heißt es in § 89 der Preußischen Assecuranz-Ordnung, daß der Versicherungsvertrag eine „besondere Redlichkeit, Aufrichtigkeit und Treue“ voraussetzt. § 2024 im 13. Abschnitt des 8. Titels im II. Teil des ALR lautet: „Bey Schließung des Versicherungsvertrages sind beyde Theile zu besondrer Treue, Redlichkeit und Aufrichtigkeit verpflichtet.“ Noch heute heißt es in den Allgemeinen Deutschen Seeversicherungsbedingungen: „Alle Beteiligten haben Treu und Glauben in höchstem Maße zu betätigen.“379 3. Treu und Glauben im geltenden deutschen Versicherungsrecht Die besondere Bedeutung des Grundsatzes von Treu und Glauben wird auch für das geltende Recht von der Rechtsprechung betont. Nach einer schon vom Reichsgericht entwickelten und vom BGH fortgeführten Spruchpraxis ist es „. . . anerkanntes Recht, daß das Versicherungsverhältnis in besonderem Maße von Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte beherrscht wird.“380 Von Anfang an sind „. . . Gesetze, Bedingungen, Policen und Rechtslehre nicht müde geworden, mit fast phantastischem Aufwand an Ausdrucksmitteln den Gedanken der Assekuranztreue zu verkünden, aus dem man ursprünglich alle die Pflichten zu gegenseitiger Rücksichtnahme, . . . die Anzeige-, . . . Pflichten usw. ableitete, und in dem man heute . . . diese inzwischen besonders bestimmten Pflichten betrachtet und behandelt.“381 Es finden sich unter anderem folgende Umschreibungen: Der Versicherungsvertrag sei ein Vertrag, „der in ganz besonderem Maße von dem Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht wird“,382 der „in besonders hohem Maße auf Treue und Redlichkeit der Beteiligten“,383 „in eminentem Sinn auf der bona fides beruh[e]“,384 „ganz besonders auf den Grundsätzen der guten Treue, und zwar beider 379

§ 13 ADS. „Das ergibt sich aus der für das Versicherungsverhältnis in besonderem Maße notwendigen Wahrung von Treu und Glauben, auf die der erkennende Senat schon oft hingewiesen hat“, RGZ 150, 147, 150; RGZ 124, 343, 345; RGZ 146, 221, 224; RGZ 148, 298, 301; BGH VersR 1985, 943; VersR 1989, 842, VersR 1991, 1129. 381 Ritter/Abraham, Das Recht der Seeversicherung, § 13 Anm. 3. 382 RGZ 19, 216, 227; RG JW 1909, 199; RG LZ 1910, 695. 383 RGZ 16, 121, 122. 384 RGZ 3, 21, 23. 380

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

Kontrahenten, beruht“,385 der „noch mehr als jeder andere Vertrag von der bona fides beherrscht wird“, „ein contractus uberrimae fidei, un contrat sui generis essentiellement de bonne foi“386 sei, nach dessen Natur „die Kontrahenten sich gegenseitig ganz besondere Treue und Aufrichtigkeit schulden“.387 Die Reihe ließe sich fortsetzen. Diese starke Betonung von Treu und Glauben soll der Tatsache Rechnung tragen, daß beide Parteien des Versicherungsvertrages stärker als bei anderen Vertragstypen auf die Unterstützung durch die jeweils andere Partei angewiesen seien, weil sie ihr in der einen oder anderen Hinsicht typischerweise unterlegen seien.388 Der Versicherungsnehmer verfüge regelmäßig über die exklusive Kenntnis der für den Vertragsschluß wesentlichen Gefahrenlage. Dieses Argument des strukturellen Informationsvorsprungs ist aus dem englischen Recht vertraut und wurde von Spencer Bower in die griffige Formel gefaßt: „One party must know, and the other must confide.“389 Umgekehrt sei der Versicherer dem Versicherungsnehmer durch seine umfangreichen Erfahrungen, seine Geschäftskunde und die Beherrschung der Versicherungstechnik in vielem voraus.390 Dieses Argument vermag indes nicht zu überzeugen, denn diese Tatsache trifft auch auf viele andere Geschäftszweige zu, in denen sich ein Verbraucher und ein professioneller Anbieter, wie beispielsweise eine Bank, gegenüberstehen. Die besondere Bedeutung von Treu und Glauben für das Versicherungsverhältnis läßt sich nur damit erklären, daß der Versicherer in höherem Maße als bei anderen Verträgen auf die Information durch den Versicherungsnehmer vertrauen muß, weil dieser allein über die vertragsrelevanten Informationen verfügt. Diese Betonung von Treu und Glauben wurde immer wieder kritisiert. So schreibt Schneider mit Blick auf das deutsche Versicherungsrecht schon im Jahr 1911: „Schon mehrfach habe ich mich bemüht, darauf hinzuweisen, es sei unzutreffend, davon zu sprechen, das Versicherungsvertragsverhältnis werde ganz besonders von ,Treu und Glauben‘ – von einer ,uberrima fides‘ hieß es früher im Gegensatz zur bloßen ,bona fides‘ – beherrscht, eine Redewendung, die man doch leider immer wieder findet.“391 385

OLG Hamburg, Hanseatische Gerichtszeitung 1888, 287, zitiert nach Ritter/ Abraham, Das Recht der Seeversicherung, § 13 Anm. 3. 386 OLG Hamburg, Hanseatische Gerichtszeitung 1891, 166, zitiert nach Ritter/ Abraham, Das Recht der Seeversicherung, § 13 Anm. 3. 387 RGZ 7, 3. 388 Prölls/Martin-Prölls, Vorbem. II Rn. 7. 389 Spencer Bower, Rn. 83, Hervorhebung im Original. 390 Prölls/Martin-Prölls, Vorbem. II Rn. 7; Deutsch, Versicherungsvertragsrecht, Rn. 15; hierauf stellt Grauer, Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 13 (1913), 290, 292 besonders ab.

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Eine Steigerung von Treu und Glauben könne es nicht geben, ebenso wie eine Handlung „loyal“, aber nicht „loyaler“ sein könne.392 An anderer Stelle schreibt er gar vom „alte[n] Unsinn von der uberrima fides“.393 Auch Bruck/Möller betont, daß „Treue kein steigerungsfähiger Begriff“394 sei. Ritter/Abraham stimmt dem zu, soweit der Standpunkt des Sittengesetzes betroffen sei, im Leben würden die Dinge jedoch verhältnismäßig beurteilt und Durchschnittsmaßstäbe angelegt.395 Dieser Durchschnittsmaßstab von Treu und Glauben genüge aber nicht den Anforderungen des Versicherungsverhältnisses. Dort sei ein über den Durchschnitt hinausgehendes Maß an Treu und Glauben zu betätigen, das die Parteien verpflichte, ihre Erklärungen über den Inhalt des Versicherungsvertrages und über die Gestaltung der gegenseitigen Beziehungen mit größtmöglicher Klarheit und Bestimmtheit abzugeben.396 Grauer weist ausdrücklich darauf hin, daß die Aussage, das Versicherungsverhältnis werde in besonderer Weise von dem Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht, nicht im Sinne einer Steigerung von Treu und Glauben zu verstehen sei, sondern nur der Tatsache Rechnung tragen solle, daß die „beiden Vertragsteile einander mit so ganz und gar ungleichen Waffen gegenüberstehen“.397 Daß „sich beim Versicherungsverhältnisse der eine Teil – und es ist das vielleicht besonders der Versicherer – auf eine redliche Vertragsabwicklung des anderen verlassen [muß], und dies bliebe der eigentlich berechtigte Sinn obiger Rede“, geben auch die Kritiker zu.398 Ist der Versicherungsvertrag somit auch im deutschen Recht ein Vertrag uberrimae fidei? Die Begründungslinie, nach der der Versicherungsvertrag in ganz besonderer Weise auf Treu und Glauben beruhe, der auch die höchstrichterliche Rechtsprechung folgt, wurde selbst für das deutsche Recht schon mit dem Schlagwort uberrima fides belegt.399 So schreibt Makower bei seiner Kommentierung der Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers gemäß Art. 810 ADHGB: „Der Versicherungsvertrag ist ein contractus 391

Schneider, Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 11 (1911),

125. 392

Schneider, Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 11 (1911),

125. 393 394 395 396 397

Schneider, MittöffFVA 1915, 52. Bruck/Möller, Einl. Anm. 67. Ritter/Abraham, Das Recht der Seeversicherung, § 13 Anm. 4. Ritter/Abraham, Das Recht der Seeversicherung, § 13 Anm. 4. Grauer, Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 13 (1913), 290,

292. 398 Schneider, Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 11 (1911), 125; Bruck/Möller, Einl. Anm. 67: „Richtig ist aber, daß Treu und Glauben gerade beim [Versicherungs-]vertrag sehr häufig herangezogen werden müssen.“ 399 Siehe z. B. Röhr, S. 46 m. w. N.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

uberrimae fidei“400 und verweist zum Beleg auf § 2024 im 13. Abschnitt des 8. Titels im II. Teil des ALR, wo von der besonderen Treue, Redlichkeit und Aufrichtigkeit die Rede war. Im folgenden verwendet er jedoch nur noch den Ausdruck „bona fides“: die bona fides verpflichte den Versicherungsnehmer zur Anzeige gefahrerheblicher Umstände.401 In der Terminologie der Rechtsprechung ist der Ausdruck uberrima fides allerdings nicht gebräuchlich. Die Bezeichnung wurde in der Literatur wohl in Anlehnung an das englische Recht gewählt. Autoren, die diesen Ausdruck gebrauchen, beziehen sich in diesem Zusammenhang meist ausdrücklich auf das englische Recht. So stützen zum Beispiel auch Voigt/Seebohm die Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers darauf, daß der Seeversicherungsvertrag als ein Vertrag uberrimae fidei betrachtet und auch oft so genannt worden sei.402 Zum Beleg führen sie allerdings keine deutschen Entscheidungen an, sondern die Tatsache, daß sich englische Werke, wie beispielsweise „Arnould on the Law of Marine Insurance“,403 das zitiert wird, so über ihn aussprächen, sowie eine Entscheidung des Pariser Kassationshofs, in der der Versicherungsvertrag als ein „contrat sui generis essentiellement de bonne foi“ bezeichnet wurde.404 Auch ihre Begründung für die Anzeigepflicht klingt nach der Analyse des englischen Rechts sehr vertraut:405 „Bei einer großen Zahl der [Seeversicherungen] sind die Versicherer völlig außer Stande, über die Umstände, von welchen die Frage nach der Uebernahme oder Ablehnung der Versicherung und eventuell nach den Bedingungen des Geschäfts abhängt, selbst sich zu unterrichten, vielmehr in Betreff dieses Punktes auf Dasjenige beschränkt, was die Versicherungsnehmer ihnen mitzutheilen sich veranlaßt sehen. . . . An den größeren Assecuranzplätzen treffen täglich nicht nur aus entfernteren Orten des Inlandes, sondern auch aus dem Auslande zahlreiche meistens in wenigen Worten abgefaßte Versicherungsaufträge ein. Werden auf Grund derselben Abschlüsse gemacht, so haben die Versicherer außer dem ihnen mehr oder wenig bekannten Charakter des Versicherungsnehmers nichts, worauf sie sich in Betreff der Vollständigkeit und Treue der ihnen gemachten Angaben verlassen

400

Makower, Das allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch, S. 830. ibid. 402 „Von Alters her ist der Seeversicherungsvertrag als ein contractus uberrimae fidei betrachtet und auch oft so genannt worden“, Voigt/Seebohm, Das deutsche Seeversicherungs-Recht, S. 183. 403 Arnould on the Law of Marine Insurance, Bd. 1, S. 515. 404 Voigt/Seebohm, Das deutsche Seeversicherungs-Recht, S. 183. 405 Diese Parallele formuliert Staats, Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft 63 (1974), 519: Die Begründungen für die dem Versicherungsnehmer auferlegte Anzeigepflicht folgten überwiegend den Überlegungen, die den Versicherungsvertrag im Common Law zu einem „contractus uberrimae fidei“ machten. Der Versicherungsnehmer allein verfüge über das vertragswesentliche Wissen, auf das sich der Versicherer bei der Einschätzung des Risikos verlassen müsse. 401

VI. Zwischenergebnis

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können. . . . Der Größe des Vertrauens, welches . . . die Versicherer zu gewähren genöthigt sind, muß so weit wie möglich der ihnen durch das Gesetz eingeräumte Schutz entsprechen; dies um so mehr, da nicht darauf gerechnet werden kann, daß allen bei Seeunternehmungen betheiligten Personen ein so steter Charakter innewohnt, um immer der Versuchung zu widerstehen, in Fällen, in welchen dies anscheinend ohne Gefahr gewagt werden kann, durch Nichtangabe bedenklicher Umstände eine Versicherung überhaupt oder doch zu der gewöhnlichen Prämie da zu erlangen, wo die Versicherer Ursache hätten, das Geschäft abzulehnen oder doch nur gegen eine den gewöhnlichen Preisstand weit übersteigende Prämie zu übernehmen.“406

Ritter/Abraham ist ebenfalls der Ansicht, daß der Versicherungsvertrag ein „contractus uberrimae fidei“ sei, und zitiert zum Beleg neben deutschen Entscheidungen und Autoren eine Passage aus der Entscheidung Carter v Boehm, „Arnould on the Law of Marine Insurance“ und Section 17 des Marine Insurance Act 1906.407

VI. Zwischenergebnis Es hat sich gezeigt, daß jedenfalls für den Bereich der Seeversicherung die intellektuelle Verbindung, die zwischen dem englischen und dem kontinentalen Recht seit der Zeit des law merchant bestand, niemals abgerissen ist. Die Anzeigepflichten für den Versicherungsnehmer in den nationalen Versicherungsvertragsrechtsordnungen haben gemeinsame Wurzeln in der lex mercatoria. Sowohl im englischen als auch im deutschen Versicherungsrecht gelten für den Versicherungsnehmer Anzeigepflichten, deren Verletzung keinen Verstoß gegen Treu und Glauben in dem Sinne voraussetzt, daß der Versicherungsnehmer einen gefahrerheblichen Umstand in Täuschungsabsicht verschweigt. Diese Anzeigepflicht kann selbst dann verletzt sein, wenn der Versicherungsnehmer seine Angaben nach bestem Wissen und Gewissen machte, weil er nicht erkannte, daß es sich um einen gefahrerheblichen Umstand handelte. Dies wird traditionell mit dem besonderen Vertrauensverhältnis, das zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer herrscht, begründet. Denn wegen des strukturellen Informationsungleichgewichts ist der Versicherer stärker als bei anderen Verträgen darauf angewiesen, auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Informationen des Vertragspartners zu vertrauen. Die Anforderungen an das Verhalten des Versicherungsnehmers bei Vertragsschluß gehen damit über das hinaus, was der Grundsatz von Treu und Glauben normalerweise von einem Vertragspartner verlangt, näm406 407

Voigt/Seebohm, Das deutsche Seeversicherungs-Recht, S. 182 f. Ritter/Abraham, Das Recht der Seeversicherung, § 13 Anm. 3–5.

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B. Die Entwicklung im Versicherungsvertragsrecht

lich den Vertragspartner durch das Verschweigen eines vertragswesentlichen Umstandes nicht vorsätzlich oder fahrlässig zu täuschen. Im englischen Recht war für den für alle Verträge geltenden Nichtigkeits- bzw. Anfechtungsgrund des fraud Voraussetzung, daß ein Vertragspartner einen vertragswesentlichen Umstand in Täuschungsabsicht verschwieg.408 Im deutschen allgemeinen Vertragsrecht ist für eine Aufklärungspflichtverletzung zumindest Fahrlässigkeit erforderlich. Im englischen Recht wurde die Verhaltenspflicht des Versicherungsnehmers, die über die Anforderungen, die Treu und Glauben bei anderen Vertragstypen stellt, hinausgeht, mit dem Ausdruck uberrima fides bezeichnet. Die Versicherungsrechtsordnungen des Kontinents enthalten keinen speziellen Verweis auf die besondere Geltung von Treu und Glauben, sondern sie enthalten als Ausprägung dieses Prinzips spezialgesetzlich geregelte Anzeigepflichten für den Versicherungsnehmer.409 Wenn die Anzeigepflicht des englischen Rechts als für den Versicherungsnehmer besonders streng gilt, so liegt das weniger an der Ausgestaltung der Anzeigepflicht an sich, denn diese hat eine Entsprechung in fast allen Gesetzgebungswerken zum Versicherungsrecht,410 sondern vielmehr daran, daß im englischen Recht die Anfechtbarkeit des Versicherungsvertrages nicht an zusätzliche Voraussetzungen gekoppelt ist. Denn im Unterschied zum englischen Recht, wo jede Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers unabhängig von seinem Verschulden zu einem Anfechtungsrecht des Versicherers führt, gibt es in den kontinentalen Systemen verschiedene Mechanismen, die die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung für den Versicherungsnehmer mildern, indem sie den Verlust des Versicherungsschutzes von zusätzlichen Faktoren abhängig machen: Im deutschen Recht sind dies das Verschuldenserfordernis und der Kausalitätsgegenbeweis.411

408

Carter v Boehm (1766) 3 Burr 1905, 1910; 97 ER 1162, 1164. Einen Überblick bietet Rudden, S. 45 ff. 410 „The duties of disclosure and of accuracy are found in all systems. The source of the duty is not the contract but the law: initially mercantile custom and case law and then statute . . . However, whether the source be doctrine, statute or case law, the duty’s traditional formulation varies little“, Rudden, S. 46; zur Illustration führt er Zitate aus Émerigons Werk und Art. 348 Code de commerce an. 411 Für weitere Methoden siehe Rudden, S. 49. 409

C. Entwicklung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten im allgemeinen Vertragsrecht I. Der Grundsatz von caveat emptor Über die Tatsache, daß die Entscheidung Carter v Boehm1 einen so wichtigen Beitrag zur Entwicklung der Anzeigepflichten im Versicherungsrecht geleistet hat, ist heute aus dem Blick geraten, daß Lord Mansfield dort nicht in erster Linie – wie es heute oft gesehen wird – eine Spezialität des Versicherungsrechts behandelte, sondern vor allem eine auf dem Grundsatz von Treu und Glauben basierende vorvertragliche Aufklärungspflicht formuliert hat, die für alle Verträge gilt. Der Versicherungsvertrag war insofern nur ein Anwendungsbeispiel. Im heutigen englischen Recht erkennt man keine allgemeine auf Treu und Glauben gründende vorvertragliche Aufklärungspflicht mehr an. Dies wird damit begründet, daß eine solche Pflicht mit dem Grundsatz von caveat emptor nicht zu vereinbaren sei.2 Dieses Prinzip bedeutet, daß grundsätzlich jede Partei für die Beschaffung der zum Vertragsschluß erforderlichen Informationen selbst verantwortlich ist, wenn nicht einer der eng umgrenzten Ausnahmetatbestände eingreift. Caveat emptor hat sich im Kaufrecht entwickelt, steht aber heute als Begriff für den allgemeinen Grundsatz der Wachsamkeit im Geschäftsverkehr. Noch heute wird Smith v Hughes3 als Leitentscheidung für die allgemeine Regel herangezogen, daß niemand, der erwägt, einen Vertrag abzuschließen, verpflichtet ist, seinem Vertragspartner ungefragt Informationen preiszugeben.4 So beginnen zum Beispiel Beale, Bishop und Furmston in ihrem Werk das Kapitel „Duties of Disclosure“ mit den Worten „there is no doubt that Cockburn CJ’s judgment [in Smith v Hughes] represents the general law.“5 Folgendes Zitat aus dieser Entscheidung wird von verschiedenen Autoren an den Beginn ihrer Ausführungen zu vorvertraglichen Aufklärungspflichten gestellt:6 1

(1766) 3 Burr 1905; 97 ER 1162. Siehe z. B. Nicholas, S. 169. 3 Smith v Hughes (1871) LR 6 QB 597. 4 So z. B. Beatson, (1997) 56 Cambridge Law Journal 291, 304; Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 468; Chitty/Beale, On Contracts, Band I, Rn. 5023; Treitel, An Outline of the Law of Contract, 128, 131; Waddams, S. 237; Banque Keyser Ullmann SA v Skandia UK Ins. [1990] 1 QB 665, 799. 5 Beale/Bishop/Furmston, S. 464. 2

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C. Entwicklung im allgemeinen Vertragsrecht

„The question is whether, under such circumstances, the passive acquiescence of the seller in the self-deception of the buyer will entitle the latter to avoid the contract. I am of the opinion that it will not . . . I take the true rule to be that where a specific article is offered for sale, without express warranty, or without circumstances from which the law will imply a warranty . . . and the buyer has full opportunity of inspecting and forming his own judgment, the rule caveat emptor applies.“7

Heutige Darstellungen erwecken den Anschein, daß der Grundsatz von caveat emptor in seiner jetzigen Gestalt seit jeher fester Bestandteil des englischen Rechts gewesen sei, gegen den sich alle Bemühungen, vorvertragliche Aufklärungspflichten zu etablieren, nicht durchsetzen konnten. Die Entscheidung Carter v Boehm wird in diesem Zusammenhang entweder als kurzlebiger Versuch, eine auf Treu und Glauben gründende Aufklärungspflicht zu statuieren, abgetan, als ein Irrweg, den auch Lord Mansfield selbst spätestens mit der Entscheidung Stuart v Wilkins8 wieder verlassen habe.9 Oder aber man erklärt Carter v Boehm zum versicherungsrechtlichen Spezialfall, der keinerlei Aussagekraft für andere Verträge hat. Tatsächlich ist der Grundsatz von caveat emptor weniger tief im common law verwurzelt als gemeinhin angenommen. Die Untersuchung der Entwicklung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten und des Prinzips von caveat emptor bringt nicht einen von Anfang an zum Scheitern verurteilten Versuch zum Vorschein, das stärkere Prinzip von caveat emptor durch die Etablierung vorvertraglicher Aufklärungspflichten zu überwinden. Vielmehr handelt es sich um zwei komplementäre Grundsätze, die einander in ihrem Anwendungsbereich zunächst ergänzten, statt sich zu widersprechen und die von denselben Wertungen getragen sind. Wo die Gebote von Treu und Glauben vorvertragliche Aufklärung erforderten, setzten sie zugleich dem Grundsatz von caveat emptor eine Schranke. 1. Die Entwicklung des Grundsatzes von caveat emptor10 Caveat emptor ist eine Begriffsbildung englischer Juristen, die kein Vorbild in den römischrechtlichen Quellen hat.11 Der genaue Ursprung dieser 6

Z. B. Beale/Bishop/Furmston, S. 464; Nicholas, S. 169. Smith v Hughes (1871) LR 6 QB 597, 603. 8 (1778) 1 Doug 18; 99 ER 15. 9 Fleischer, S. 67. 10 Grundlegend zur Entwicklung von caveat emptor siehe: Hamilton, The Ancient Maxim of Caveat Emptor, (1931) 40 Yale L.J. 1133 ff.; Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 178 ff., 464 ff.; Gordley, The Philosophical Origins of Modern Contract Doctrine, S. 159 f.; Teeven, S. 136 ff.; Harrison, 41 ff.; von Blumenthal, Die englische Rechtsordnung im Wandel aufgezeigt am Beispiel der Entwicklung des caveat-emptor-Prinzips; zur Herkunft, Ausprägung und Abschwä7

I. Der Grundsatz von caveat emptor

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Doktrin ist nicht geklärt. Der Ausdruck findet sich aber schon im frühen 16. Jahrhundert in gedruckter Form im Zusammenhang mit dem Pferdekauf: „if he be tame and have ben rydden upon, then caveat emptor“,12 und war zu Beginn des 17. Jahrhunderts ziemlich geläufig.13 Neben Parkinson v Lee14 gilt Chandelor v Lopus15 als Präzedenzfall für die Doktrin von caveat emptor. Die Entscheidung Chandelor v Lopus steht heute für die zu dieser Zeit geltende Rechtsregel, daß der Käufer einer Sache, die sich später als mangelhaft erweist, nur dann einen Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verkäufer geltend machen kann, wenn es ihm gelingt zu beweisen, daß der Verkäufer die Mangelfreiheit ausdrücklich zugesagt hat (express warranty) in dem Wissen (scienter), daß dies nicht der Wahrheit entspricht. Nur unter diesen Voraussetzungen konnte der Käufer, außer im Fall des Lebensmittelkaufs,16 gegen den Verkäufer in Form der „action on the case in the nature of deceit“ auf Schadensersatz klagen.17 Aus dieser Klageform gingen gegen Ende des 18. Jahrhunderts die beiden eigenständigen Klagen der action of assumpsit und die moderne action of deceit hervor.18 Die action of assumpsit ist vertraglicher Natur und greift bei Verletzung einer vertraglichen Zusicherung (warranty) ein, unabhängig davon, ob der Verkäufer den Mangel kannte.19 Die action of deceit erfaßt die Fälle, in denen jemandem durch eine vorsätzliche Falschangabe eines anderen ein Schaden entstanden ist, ohne daß eine Sonderbeziehung in Form eines Vertrages gegeben sein muß, und hat damit deliktischen Charakter.20 chung der Caveat-Emptor-Regel im römischen Recht in historisch rechtsvergleichender Perspektive: Zimmermann, The Law of Obligations, S. 307 ff. 11 Hamilton, (1931) 40 Yale L.J. 1133, 1156 ff. 12 (Wenn es lahm ist und schon geritten wurde, dann caveat emptor) Fitzherbert, Boke of Husbandrie (1534), § 118, Zitat nach Hamilton, (1931) 40 Yale L.J. 1133, 1164. 13 Hamilton, (1931) 40 Yale L.J. 1133, 1164, mit Hinweis auf Coke. 14 (1802) 2 East 314; 102 ER 389. 15 (1603) Cro Jac 4; 79 ER 3. 16 Bei Lebensmitteln war die Kenntnis des Mangels durch den Verkäufer keine Haftungsvoraussetzung, vgl. Teeven, S. 136. 17 Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441, 459. Dahinter stand die Vorstellung, daß der Verkäufer nicht allein deshalb haftete, weil er eine warranty verletzt hatte, sondern daß er den Käufer arglistig durch seine bewußte Falschangabe zum Vertragsschluß veranlaßt hatte. In dieser Täuschung lag der eigentliche Klagegrund, siehe Simpson, A History of the Common Law of Contract, S. 245. 18 Teeven, S. 135. Zu Zwischenschritten in der Entwicklung vgl. Teeven, S. 137. 19 Simpson, A History of the Common Law of Contract, S. 247; die action of assumpsit wird auf Stuart v Wilkinson (1778) 1 Doug 18; 99 ER 15 gestützt, siehe Teeven, S. 138; Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441, 460. 20 Das tort of deceit wird auf die Entscheidung Pasley v Freeman (1789) 3 Term Rep 51; 100 ER 45 gestützt, seine moderne Gestalt erhielt das tort of deceit in Derry v Peek (1889) 14 App Cas 337. Vgl. Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 372;

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C. Entwicklung im allgemeinen Vertragsrecht

Der Grundsatz von caveat emptor wird vor allem auf die Entscheidung Parkinson v Lee21 gestützt. Der Fall betraf den Kauf von fünf Ballen Hopfen nach einem Warenmuster. Die Warenprobe war gut, aber die gelieferten Ballen verfaulten sehr schnell und stellten sich als wertlos heraus. Die Schuld daran traf den Lieferanten, der die Ballen zu stark gewässert hatte, um ihr Gewicht und damit den Preis zu steigern. Der Verkäufer wußte von diesem versteckten Mangel des Hopfens ebenso wenig wie der Käufer. Nach einem gescheiterten Versuch des Käufers, den Lieferanten in Anspruch zu nehmen, verklagte er den Verkäufer. Das Gericht hatte die Frage zu entscheiden, welche der beiden unschuldigen Parteien den Schaden letztlich tragen sollte. Es entschied zugunsten des Verkäufers. Der Käufer wurde darauf verwiesen, daß er sich die Qualität des Hopfens trotz des Musters hätte ausdrücklich zusichern lassen müssen, um bei Auftreten eines Mangels einen Schadensersatzanspruch geltend machen zu können. Hinter der Entscheidung stand wohl hauptsächlich der Wunsch des Gerichts, den unschuldigen Verkäufer zu schützen, doch der Fall steht wie kaum ein anderer für die rigorose Anwendung des Prinzips von caveat emptor.22 Es ist schwer zu sagen, wie weit das Prinzip von caveat emptor Ende des 18. Jahrhunderts wirklich reichte.23 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es nicht viel mehr als die beiden Worte caveat emptor, die erst im Verlauf des Jahrhunderts aufgenommen und mit Leben gefüllt wurden. Seinen Zenith erreichte caveat emptor etwa in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts.24 Dieses Prinzip unterlag jedoch zwei Einschränkungen,25 die dem Käufer, der später einen Mangel fand, einen Rechtsbehelf gewährten: Zum einen bot caveat emptor dem Verkäufer keinen Schutz mehr, sobald fraud vorlag. Dann konnte der Käufer den Vertrag vor den Equity-Gerichten anfechten (rescission) oder unter den Voraussetzungen des tort of deceit im common law Schadensersatz geltend machen. Zum andern konnte er bei Verletzung einer vertraglichen Zusicherung aus assumpsit on express warranty auf Schadensersatz klagen. Daß der Verkäufer für seine Zusicherungen einstehen muß (has to make good a warranty), bildete im Bereich des Warenkaufs den Anknüpfungspunkt für die Gerichte, um die Interessen des Käufers zu schützen, indem sie immer, wenn es im Sinne eines fairen InteressenRogers, Winfield and Jolowicz on Tort, S. 280; Carter, Clerk and Lindsell on Torts, Rn. 14-01. 21 (1802) 2 East 314; 102 ER 389. 22 Hamilton, (1931) 40 Yale L.J. 1133, 1176. 23 Hamilton, (1931) 40 Yale L.J. 1133, 1173. 24 Hamilton, (1931) 40 Yale L.J. 1133, 1177, mit Beispielen für die rigorose Anwendung von caveat emptor. 25 „Thus caveat emptor, whatever it was, was subject to the exceptions that the seller must make good a warranty and was liable for fraud“, Hamilton, (1931) 40 Yale L.J. 1133, 1173.

I. Der Grundsatz von caveat emptor

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ausgleichs angemessen schien, den Vertrag um eine Zusicherung ergänzten (implied term).26 2. Die Begrenzung von caveat emptor durch die Herausbildung von implied terms Der Grundsatz von caveat emptor ist typisch für ein frühes Stadium in der Rechtsentwicklung, in dem die Geschäftsbeziehungen noch einfach sind, ein Kaufvertrag in Anwesenheit beider Parteien gleichzeitig geschlossen und erfüllt wird und der Käufer folglich Gelegenheit hat, sich selbst von der Qualität der Ware zu überzeugen.27 Macht er von dieser Gelegenheit keinen Gebrauch, so trifft ihn das Risiko eines Mangels. Diese Regel kommt in Rechtssprichwörtern verschiedener Sprachen zum Ausdruck: „qui n’ouvre pas yeux doit ouvrir la bourse“, „let their eye be their chapman“, „Wer närrisch kauft, muß weislich bezahlen“.28 Die Herausbildung der Maxime caveat emptor wird mit dem Aufkommen umherziehender Kaufleute in Verbindung gebracht, die für den Käufer bei Auftreten eines Mangels nicht mehr greifbar waren, so daß ein Gewährleistungsanspruch für ihn nutzlos gewesen wäre.29 Sobald die Handelsbeziehungen komplizierter wurden, Abschluß und Erfüllung eines Kaufvertrags nicht mehr gleichzeitig stattfanden, Distanzgeschäfte geschlossen wurden oder ein Kauf nach einer Warenprobe oder -beschreibung erfolgte, konnte der Käufer nicht mehr selbst die Qualität der Ware überprüfen. In dieser Situation war es unbillig, ihn mit dem Risiko von Qualitätsmängeln zu belasten. Aus dieser Erkenntnis heraus war der Grundsatz von caveat emptor daher nicht anwendbar, wenn der Käufer keine Gelegenheit hatte, die Sache zu untersuchen. So erklärte Lord Ellenborough in Gardiner v Gray:30 „Where there is no opportunity to inspect the commodity, the maxim of caveat emptor does not apply.“ Implied terms erwiesen sich als geeigneter Schutzmechanismus, um auch unter den veränderten Verhältnissen der vertraglichen Fairneß zur Durchset26 Zu implied terms und ihrer Bedeutung für die Fortbildung des europäischen Vertragsrechts: Zimmermann, „Heard melodies are sweet, but those unheard are sweeter . . .“: Condicio tacita, implied condition und die Fortbildung des europäischen Vertragsrechts, AcP 193 (1993), 121 ff.; ausführlich zu implied terms als Funktionsäquivalent zu einem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben: Grobecker, Implied Terms und Treu und Glauben: Vertragsergänzung im englischen Recht in rechtsvergleichender Perspektive, 1999; Schmidt-Kessel, Implied Term – auf der Suche nach dem Funktionsäquivalent, ZvglRWiss 96 (1997), 191 ff. 27 Zimmermann, Law of Obligations, S. 307. 28 Zitiert nach Zimmermann, Law of Obligations, S. 307 m. w. N. 29 Hamilton, (1931) 40 Yale L.J. 1133, 1162; Teeven, S. 136. 30 (1815) 4 Camp 144, 145; 171 ER 46, 47.

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C. Entwicklung im allgemeinen Vertragsrecht

zung zu verhelfen.31 Seit dem frühen 19. Jahrhundert gewährten die Gerichte dem Käufer, der sich nicht selbst von der Qualität der Ware überzeugen konnte, Schutz durch die Anerkennung verschiedener implied terms. So galt, wenn der Käufer keine Gelegenheit zur Untersuchung der Ware hatte, bei einem Kauf nach einem Warenmuster (sale by sample) und nach Beschreibung (sale by description) als stillschweigend vereinbart, daß die gelieferte Ware dem Muster beziehungsweise der Beschreibung entsprechen soll.32 Bei einem Kauf nach Beschreibung wurde der Vertrag um eine implied warranty of merchantability33 ergänzt und um die stillschweigende Zusage, daß sich die Kaufsache für den gewöhnlichen Gebrauch eignet. Beim Kauf nach einer Warenprobe war der Käufer außerdem durch eine implied warranty, daß die Ware keine Fehler hat, die nicht durch eine Untersuchung der Probe erkennbar sind, geschützt.34 Die gleichen Erwägungen führten auch beim Kauf eines vom Verkäufer gefertigten Einzelstücks zur Anerkennung der implied warranty, daß die Kaufsache gebrauchstauglich ist, wenn der Käufer sich nicht selbst von ihrer Qualität überzeugen konnte und sich insoweit auf Können und Urteil des Verkäufers verlassen hatte.35 Eine weitere Gruppe bildeten die Fälle, in denen der Käufer dem Verkäufer mitgeteilt hatte, zu welchem Zweck er die Kaufsache verwenden will. Dann wurde der Vertrag um die implied warranty ergänzt, daß die Kaufsache für diesen angestrebten Zweck tauglich ist, weil der Käufer auf das Fachwissen des Verkäufers vertraut hatte.36 All diese implied warranties sind darin begründet, daß dem Käufer im Hinblick auf die Qualität der Ware keine oder schlechtere Prüfungsmöglichkeiten als dem Verkäufer zu Gebote stehen, also ein spezielles aus Treu und Glauben ableitbares Risikozuweisungskriterium.37 Schlechtere Prüfungsmöglichkeiten in diesem Sinne wurden auch dann angenommen, wenn der Käufer die Ware zwar untersuchen konnte, sich aber wegen des überlegenen Fachwissens des Verkäufers auf dessen Können und Urteil verlassen mußte, weil er selbst als Laie die Ware nicht beurteilen konnte.38 Die 31

Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441, 467. Für sale by sample: Parker v Palmer (1821) 4 B & Ald 387; 106 ER 978; für sale by description: Bridge v Wain (1816) 1 Stark 504; 171 ER 543; Laing v Fidgeon (1815) 4 Camp 169; 171 ER 55. 33 Dies galt zunächst nur in den Fällen, in denen der Verkäufer die Ware selbst hergestellt hatte, wurde aber in Bigge v Parkinson (1862) 7 H & N 955; 158 ER 785 auch auf die Fälle ausgedehnt, in denen der Verkäufer nicht Hersteller der Kaufsache war. 34 Mody v Gregson (1868) LR 4 Exch 49. 35 Shepherd v Pybus (1842) 3 Man & G 868; 133 ER 1390. 36 Jones v Bright (1829) 5 Bing 533; 130 ER 1167; Brown v Edgington (1841) 2 M & G 379; 133 ER 973. 37 Grobecker, S. 195. 32

I. Der Grundsatz von caveat emptor

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gleichen Wertungen liegen der Anerkennung vorvertraglicher Aufklärungspflichten in der Entscheidung Carter v Boehm zugrunde. Den schlechteren Prüfungsmöglichkeiten des Warenkäufers entspricht der ungleiche Informationszugang des Versicherers. So wie gemäß dem Grundsatz von caveat emptor der Käufer auf seine eigene Prüfung des Kaufgegenstandes verwiesen ist, ist auch bei anderen Verträgen jede Partei grundsätzlich selbst dafür verantwortlich, sich über den Vertragsgegenstand zu informieren. Solange sie unter Aufwendung der gebotenen Sorgfalt (due diligence) diese Informationen beschaffen kann, trifft die andere Partei keine Pflicht zur Information. Wenn sie dabei jedoch notwendig an Grenzen stößt, weil nur der Vertragspartner über die entsprechenden Informationsmittel verfügt und sie daher auf die Information durch den Vertragspartner angewiesen ist, verlangt der Grundsatz von Treu und Glauben von diesem die Offenbarung der Information. Die Informationsverantwortlichkeit geht unter diesen Voraussetzungen auf den Vertragspartner über. Caveat emptor und die Gebote der Fairneß bei Vertragsverhandlungen in Form von vorvertraglichen Aufklärungspflichten bildeten also keinen Gegensatz, sondern ergänzten einander. In den Worten Harrisons: „the fair dealing rule and the caveat emptor or ,buyer-to-do-his-homework‘ rule worked in tandem.“39 Aus den genannten Risikozuweisungsgesichtspunkten galt der Grundsatz von caveat emptor weiterhin in den Fällen fort, in denen der Käufer die Möglichkeit zur Untersuchung der Ware oder eine Warenprobe erhalten hatte und sich auf die gleiche Weise wie der Verkäufer über etwaige Mängel und Abweichungen von bestimmten Verwendungsabsichten informieren konnte. Dann mußte er das Risiko für offene und versteckte Mängel der Ware tragen. So heißt es zum Beispiel in Jones v Just: „Where the goods are in esse [existence] and may be expected by the buyer, and there is no fraud on the part of the seller, the maxim caveat emptor applies, even though the defect which exists in them is latent, and not discoverable on examination, at least where the seller is neither the grower nor the manufacturer.“40

Die unterschiedliche Behandlung von versteckten Mängeln in bezug auf Waren, die der Verkäufer selbst hergestellt oder angebaut hat, wurde zum einen damit gerechtfertigt, daß der Hersteller, indem er sorgfältig arbeitet, solche Mängel von vornherein vermeiden kann. Durch die Haftung sollte er zur Einhaltung hoher Qualitätsstandards angehalten werden.41 Zum anderen wurde ihm unterstellt, daß ein Mangel für ihn im Gegensatz zum Käufer erkennbar ist, da er die Produktionsschritte kennt und sozusagen in das Produkt hineinblicken kann,42 wohingegen der Käufer für seine Beurteilung 38 39 40 41

Shepherd v Pybus (1842) 3 Man & G 868; 133 ER 1390. Harrison, Rn. 3.19. (1868) LR 3 QB 197, 199. Jones v Bright (1829) 5 Bing 533, 544; 130 ER 1167, 1172.

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C. Entwicklung im allgemeinen Vertragsrecht

auf die äußere Betrachtung des Endprodukts angewiesen ist. In dieser Situation hat der Verkäufer dem Käufer überlegene Prüfungsmöglichkeiten, und caveat emptor greift nicht ein. Wenn der Verkäufer nur Zwischenhändler ist, hat er dagegen normalerweise keine dem Käufer überlegenen Prüfungsmöglichkeiten, deshalb bleibt hier caveat emptor anwendbar.43 Dasselbe gilt für gewisse Naturprodukte, die nicht in diesem Sinne hergestellt werden, sowie für Tiere, insbesondere Pferde. Hier muß sich ein Käufer, der vor Mängeln geschützt sein will, eine Zusicherung geben lassen.44 Nach den Entscheidungen Bigge v Parkinson45 und Jones v Just46 war caveat emptor nur noch auf die Fälle anwendbar, in denen eine bestimmte Sache verkauft wurde, die der Käufer untersucht und selbst beurteilt hatte.47 Für diese Situation ging man davon aus, daß der Käufer mit dem Verkäufer auf gleicher Augenhöhe und deshalb selbst zur Wahrung seiner Interessen in der Lage war. Der Grundsatz von caveat emptor ist damit von so vielen Ausnahmen durchsetzt, daß er die Bezeichnung als Prinzip kaum noch verdient.48 Die Entwicklung der implied terms im Kaufrecht war Ende der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts praktisch abgeschlossen und fand schließlich gesetzliche Anerkennung in den Sections 13–15 des Sale of Goods Act 1893.49 Mit ihrer Kodifizierung geriet in Vergessenheit, daß die implied terms auf Risikozuweisungskriterien basieren, die aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleitet wurden. Der Käufer war damit im Bereich des Warenkaufs in Situationen, in denen er nicht die gleichen Prüfungsmöglichkeiten hatte wie der Verkäufer, durch die Gewährleistungsvorschriften ausreichend geschützt. Da der Grundsatz von good faith in diesen Gewährleistungsvorschriften eine konkrete gesetzliche Ausformung erfahren hatte, war es nicht mehr notwendig, caveat emptor darüber hinaus über die Anwendung des allgemeinen Grundsatzes von good faith zu beschränken. 42

Harrison, Rn. 3.20, hier zeigt sich der Einfluß Pothiers, der im Zusammenhang mit der Haftung für versteckte Mängel die Gesichtspunkte der Kunstfertigkeit und der berufsmäßigen Betätigung von Herstellern und Händlern betont, Pothier, Traité du contrat de vente, n. 214, vgl. Zimmermann, Law of Obligations, S. 335 f. 43 Emmerton v Mathews (1862) 7 H & N 586; 158 ER 604. 44 „. . . a man who did not obtain a warranty from a horse dealer was either a fool, or someone who everyone knew had paid a considerably lower price simply because he was taking an appreciable risk“, Harrison, Rn. 1.18. 45 (1862) 7 H & N 955; 158 ER 785. 46 (1868) LR 3 QB 197. 47 Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 475. 48 Harrison, Rn. 3.14, 3.21; Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 475, 479; „Although caveat emptor is said to be the rule in contracts of sale, it is a rule sadly eaten up by exceptions“, Moncreiff, A Treatise on the Law relating to Fraud and Misrepresentation, S. 327. 49 Ausführlich zur Umsetzung im Sale of Goods Act 1893 und zur weiteren Entwicklung der Gewährleistung: v. Blumenthal, Kapitel 2.

II. Begrenzung von caveat emptor durch fraud

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II. Begrenzung von caveat emptor durch fraud Der Schutz über die implied terms hatte sich jedoch erst nach und nach und nur für den Warenkauf durchgesetzt. Wo dieser Schutzmechanismus nicht wirkte, sei es weil eine entsprechende implied warranty noch nicht anerkannt war oder es sich um einen anderen Vertragstyp handelte, blieb als alternativer Weg zum Schutz der Partei, die nicht über dieselben Prüfungs- und Informationsmöglichkeiten verfügte wie die andere Partei, das Rechtsinstitut fraud. Aus dem oben zitierten Abschnitt aus Jones v Just läßt sich ablesen, daß sich auf den Grundsatz von caveat emptor nicht berufen konnte, wer fraud begangen hatte. Das Rechtsinstitut fraud führt uns zurück zu den vorvertraglichen Aufklärungspflichten, denn wie bereits die Entscheidungen zum Versicherungsvertrag gezeigt haben, konnte das Verschweigen eines Umstandes den Tatbestand des fraud erfüllen, wenn Treu und Glauben seine Offenbarung gefordert hätten. Im folgenden soll untersucht werden, ob und wenn ja auf welche Weise über das Rechtsinstitut fraud und einen allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben vorvertragliche Aufklärungspflichten im allgemeinen Vertragsrecht anerkannt wurden. 1. Der Fraud-Begriff in Equity und common law Fraud ist kein leicht zu erfassender Begriff. Er war sowohl in der common law- als auch in der Equity-Rechtsprechung gebräuchlich und wurde dort nicht immer in demselben Sinne verwendet. Zusätzliche Konfusion rührt daher, daß fraud als Wort des allgemeinen Sprachgebrauchs die Konnotation der Unehrenhaftigkeit hat, wohingegen der juristische Begriff von fraud keine Unehrlichkeit voraussetzt. Fraud war im 19. Jahrhundert neben duress der wichtigste Anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsgrund im Vertragsrecht.50 Aber auch schon lange vor dem 19. Jahrhundert bildete fraud einen Einwand gegen die vertragliche Haftung.51 Der Schutz gegen fraud war immer eine zentrale Aufgabe des Court of Chancery gewesen,52 eines Gerichts, das insgesamt bei der Entwicklung des Vertragsrechts und insbesondere der Nichtigkeits- und Anfechtungsgründe eine bedeutendere Rolle als die common law-Gerichte spielte.53 Dies lag vor allem an der unterschiedlichen Ausgestaltung des Verfahrens, das den Equity-Gerichten eine differenziertere Auseinandersetzung mit dem Zustandekommen eines Vertrages ermöglichte. Die common law-Gerichte hatten wegen einiger Besonderheiten der Klageformen, der Rolle der Jury und der Unzulässigkeit gewisser Be50 51 52 53

Ibbetson, Ibbetson, Ibbetson, Ibbetson,

S. S. S. S.

252. 234 und 71 f., 208. 208. 208.

120

C. Entwicklung im allgemeinen Vertragsrecht

weismittel viel weniger Raum, sich mit Problemen vorvertraglicher Unfairneß zu befassen.54 So war es, wenn ein schriftlicher Vertrag vorlag, vor den common law Gerichten nicht zulässig, über Aussagen im Stadium des Vertragsschlusses durch Zeugen- und Parteiaussagen mündlich Beweis zu erbringen (sog. parol evidence rule).55 Außerdem war die Equity wegen ihrer flexiblen Rechtsbehelfe der specific performance und rescission geeigneter, auf unfaires Verhalten bei Vertragsschluß zu reagieren. Im common law dagegen war der einzige zur Verfügung stehende Rechtsbehelf Schadensersatz in Form einer Geldleistung.56 Die modernen Theorien der Equity zu fraud lassen sich bis ins letzte Viertel des 17. Jahrhunderts zurückverfolgen.57 Fraud war ein umfassender Begriff mit einer weiteren Bedeutung als heute, der nicht nur vorsätzliche Falschangaben bei Vertragsschluß, sondern eine große Bandbreite von Verhaltensweisen umfaßte, die allein verband, daß sie einen Verstoß gegen die Verhaltensmaßstäbe darstellten, deren Einhaltung die Chancery, die sich als ein Gericht des Gewissens (court of conscience) betrachtete, verlangte.58 Dabei hatte conscience zunächst vor allem eine religiöse Bedeutung und spiegelte den kirchlichen Ursprung des Court of Chancery wider. Später wurde conscience zum säkularisierten Rechtsbegriff und stand für den Verhaltensmaßstab, den die Equity-Rechtsprechung an das menschliche Miteinander anlegte. Der Begriff wurde daher auch mit good faith gleichgesetzt.59 Der Court of Chancery versuchte nie, fraud zu definieren, sondern hielt den Begriff bewußt offen und flexibel, um neu auftretende Formen mißbilligenswerten Verhaltens nicht von vornherein aus dem Anwendungsbereich auszuschließen und so die Möglichkeit zu erhalten, auch neue Formen von fraud sanktionieren zu können. So heißt es etwa, fraud sei ein nomen generalissimum,60 oder „. . . this court will set aside a bargain for fraud: but the court has never ventured to lay down, as a general proposition, what shall constitute fraud.“61 54 Ausführlich hierzu: Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441, 443–447, 457–461, speziell zur Funktion der Jury im common law: 461–465. 55 Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441, 444. 56 Ibbetson, S. 208; Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441, 444. 57 Zum folgenden siehe Lubbe, Voidable Contracts, S. 271 f.; Ibbetson, S. 208 ff. 58 Lubbe, Voidable Contracts, S. 271, 302; Nocton v Lord Ashburton [1914] AC 932, 951–954; Meagher/Gummow/Lehane, Equity, Rn. 1202. 59 Lubbe, Voidable Contracts, Fn. 325; Zimmermann, ZEuP 1 (1993), 4, 28; „. . . persons in contract shall not only transact bona fide between themselves, but should not transact mala fide in respect of other persons“, Earl of Chesterfield v Janssen (1751) 2 Ves Sen 125, 155 ff.; 28 ER 82, 100. 60 Torrance v Bolton (1872) 8 Ch App 118, 124. 61 Mortlock v Buller (1804) 10 Ves 292, 306; 32 ER 857, 862; Lawley v Hooper (1745) 3 Atk 278, 279; 26 ER 962.

II. Begrenzung von caveat emptor durch fraud

121

Daß fraud ein weiter Begriff war,62 darf nicht zu dem Schluß verleiten, daß die Equity-Gerichte aufgrund diffuser Billigkeitsvorstellungen in bestehende Verträge eingegriffen hätten, vielmehr entwickelten sie für die Gewährung ihrer Rechtsbehelfe präzise Regeln.63 Dies bringt Lord Chancellor Thurlow in Fox v Macreth zum Ausdruck: „The Court will not correct a contract, merely because a man of nice honour would not have entered into it; it must fall within some definition of fraud; the rule must be drawn so as not to affect the general transactions of mankind.“64 Ziel der EquityRechtsprechung war es, der Vertragsgerechtigkeit zur Durchsetzung zu verhelfen, sie schritt aber nicht schon dann ein, wenn eine Partei den Vertrag unbillig fand.65 Vielmehr wurde es als erforderlich aber auch ausreichend angesehen zu gewährleisten, daß Verträge auf faire Weise geschlossen werden, denn es herrschte die Auffassung, daß aus fairen Verhandlungen faire Verträge resultieren. Auf ihre inhaltliche Fairneß wurden Verträge deshalb nicht überprüft.66 Zwar galt nicht jeder Vorteil, den eine Vertragspartei erlangt hatte, als unfair, jedoch war es den Parteien nicht erlaubt, einander zu übervorteilen.67 Irreführendes Verhalten bei Vertragsverhandlungen galt als fraud und führte zur Nichtigkeit des Vertrages, wobei es gleichgültig war, ob die Irreführung auf einer unzutreffenden Angabe oder dem Verschweigen von vertragswesentlichen Umständen beruhte.68 Es galt als ständige Regel, daß „suppressio veri“ ebenso wie „suggestio falsi“, zwei Begriffe die regelmäßig als Paarformel genannt werden,69 während der Vertragsverhandlungen ein zur Anfechtung berechtigender Fall von fraud war.70 So heißt es 62

Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441, 448. Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441, 450, 456 f. 64 (1788) 2 Bro CC 400, 420; 29 ER 224, 234. Eine ähnliche Aussage findet sich auch in New Brunswick and Canada Railway and Land Company v Conybeare (1862) 9 HLC 711, 724; 11 ER 907, 913: „Whenever an application is made to a court of equity to set aside a conveyance that has been made, the jurisdiction of a court of equity for the purpose must be founded on something amounting to fraud.“ 65 Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441, 450. 66 Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441, 446: „[The Court of Chancery] sought to uncover fraud; it did not seek to make sure all contracts were substantively fair“, oder S. 457: „[The Court of Chancery] worked within clear bounds when interfering with contracts on the ground of fraud; it did not seek to make fair contracts for those who came before it.“ Ausführlich zur Ablehnung einer Forderung nach materieller Austauschgerechtigkeit: Gordley, S. 147 ff.; vgl. Barton, (1987) 103 LQR 118 ff. 67 Ibbetson, S. 210. 68 Lubbe, Voidable Contracts, S. 294 f. 69 „. . . it is the constant rule, where there is either suppressio veri or suggestio falsi the release shall be avoided“, Jarvis v Duke (1681) 1 Vern 19; 23 ER 274; „Either suppressio veri, or suggestio falsi, is a good reason to set aside any release or conveyance“, Broderick v Broderick (1713) 1 P Wms 239; 24 ER 369. 70 Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441; Ibbetson, S. 208. 63

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zum Beispiel in Tapp v Lee: „Fraud may consist as well in the suppression of what is true, as in the representation of what is false.“71 Man kann davon ausgehen, daß das Verständnis von fraud in der common law-Rechtsprechung zu dieser Zeit nicht grundlegend anders als in der Chancery war,72 auch wenn von den Equity-Gerichten einzelne Verhaltensweisen als fraud qualifiziert wurden, die im common law nicht so gesehen wurden.73 Die common law-Gerichte hatten jedoch kaum Gelegenheit, sich zu Problemen vorvertraglicher Unfairneß zu äußern, denn fraud betreffende Fragen konnten dort ausdrücklich zunächst nur in der Form der action of deceit vorgebracht werden.74 2. Fraud in Form der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten Daß Schweigen die Voraussetzungen von fraud erfüllen kann, wurde noch im Jahr 1880 von Lord Blackburn so gesehen: „Where there is a duty or obligation to speak, and a man in breach of that duty or obligation holds his tongue and does not speak, and does not say the thing he was bound to say, if that be done with the intention of inducing the other party to act upon the belief that the reason why he did not speak was because he had nothing to say, there is fraud.“75

Die vorvertraglichen Aufklärungspflichten sollen in diesem Abschnitt vor allem anhand des Kaufvertrages behandelt werden, denn dort wird der Kontrast zum heutigen Recht, das für den Kaufvertrag keine vorvertraglichen Aufklärungspflichten anerkennt, besonders deutlich. Die Ablehnung vorvertraglicher Aufklärungspflichten wird heute damit begründet, daß der Kaufvertrag dem Grundsatz von caveat emptor unterliegt, da er sich keiner der anerkannten Ausnahmen zu diesem Grundsatz unterordnen läßt, denn er ist unstreitig weder ein Vertrag uberrimae fidei, noch besteht zwischen Verkäufer und Käufer eine fiduciary relationship, aus der sich Aufklärungspflichten ableiten ließen.76 Es gibt aber einige Urteile noch aus der Zeit nach der Entscheidung Parkinson v Lee,77 die als Durchbruch des Grundsatzes von caveat emptor gilt, in denen die Gerichte aus denselben Erwägungen der 71

(1803) 3 Bos & Pul 367, 371; 127 ER 200, 203. Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441, 446. 73 Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441, 448; „. . . but it is true, that may be a fraud in equity which is not so in law“, Trenchard v Wanley (1723) 2 P Wms 166, 167; 24 ER 685. 74 Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441, 459. 75 Brownlie v Campbell (1880) 5 App Cas 925, 950. 76 Walters v Morgan (1861) 3 De G F & J 718; 45 ER 1056. 77 (1802) 2 East 314; 102 ER 389. 72

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vertraglichen Fairneß, die der Entscheidung Carter v Boehm zugrunde liegen, vorvertragliche Aufklärungspflichten im Kaufrecht anerkennen. Wenn der Verkäufer dem Käufer ihm bekannte versteckte Mängel verschwieg, so beging er fraud, das sowohl vor den Equity- als auch vor den common lawGerichten ein Einwand gegen die vertragliche Haftung war.78 Auf caveat emptor konnte sich der Verkäufer in dieser Situation nicht berufen. Mit den Worten Simpsons: „. . . even after Parkinson v. Lee there was a possibility that English common law would recognize a duty of disclosure of known defects by the roundabout mechanism of treating non-disclosure as fraud.“79 Die Entwicklung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten soll im folgenden anhand einzelner Fälle näher untersucht werden. a) Mellish v Motteux80 Eine zentrale Entscheidung zur vorvertraglichen Aufklärungspflicht über versteckte Mängel ist Mellish v Motteux. Die Kläger hatten ein Schiff „with all faults“ gekauft. Als die Kläger nach der Übergabe den Ballast entfernten, entdeckten sie darunter so schwere Beschädigungen des Schiffs, daß sie den Kauf rückgängig machen wollten. Der Beklagtenvertreter berief sich darauf, daß dies ein Fall von caveat emptor sei. Die Kläger hätten das Schiff mit allen Fehlern gekauft und könnten sich deshalb jetzt nicht von dem Geschäft lösen. Nach der Entscheidung von Lord Kenyon ist es für Verträge jeder Art von größter Bedeutung, daß „. . . courts of law should compel the observance of honesty and good faith.“81 Hier habe ein versteckter Mangel vorgelegen, den die Kläger mit größter Aufmerksamkeit nicht hätten entdecken können, und den die Beklagten, denen er bekannt war, deshalb den Klägern hätten offenbaren müssen. Die Klausel „sold with all faults“ interpretierte Lord Kenyon einschränkend. Sie könne nur so verstanden werden, daß sie sich ausschließlich auf solche Fehler beziehen soll, die die Kläger hätten erkennen können, oder die den Beklagten unbekannt waren. Nach dieser Entscheidung ist ein Verkäufer gemäß dem Grundsatz von Treu und Glauben verpflichtet, den Käufer über verborgene Mängel aufzuklären. Von dieser Pflicht kann er sich nicht einmal durch einen Gewährleistungsausschluß befreien. Die Entscheidung ist deutlich vom Naturrecht beeinflußt.82 So verweist der Reporter in Mellish v Motteux auf die einschlägigen Stellen bei Pufen78 Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441, 457–467; Ibbetson, S. 208. 79 Simpson, (1979) 46 Univ. Chi. L. Rev. 533, 583; Harpum, (1992) 108 LQR 280, 316. 80 (1792) Peake 156; 170 ER 113. 81 (1792) Peake 156, 157; 170 ER 113, 114.

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dorf und Grotius, wo es heißt, daß der Verkäufer den Käufer auf ihm bekannte Mängel der Kaufsache hinweisen muß.83 b) Baglehole v Walters84 Diese weite Offenbarungspflicht, die sogar einem ausdrücklich vereinbarten Gewährleistungsausschluß vorgehen soll, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. Lord Ellenborough wich in der Entscheidung Baglehole v Walters ausdrücklich von Mellish v Motteux ab. Dieser Fall behandelt einen ganz ähnlichen Sachverhalt. Die Beklagten hatten den Klägern ein Schiff verkauft, das, wie sie wußten, nicht seetauglich war. Der Kaufvertrag enthielt eine Klausel, nach der das Schiff mit allen bestehenden Mängeln verkauft werde. Nachdem die Käufer die Mängel des Schiffs entdeckt hatten, wollten sie sich vom Kaufvertrag lösen, weil die Verkäufer ihrer Ansicht nach die Seeuntüchtigkeit hätten offenbaren müssen. Doch die Berufung auf Mellish v Motteux blieb erfolglos, denn Lord Ellenborough lehnte die Rechtsregel dieses Falles explizit ab.85 Wenn eine Sache mit allen Fehlern verkauft werde, spiele es keine Rolle, ob der Verkäufer die Fehler kenne, solange er nichts unternehme, um sie zu verbergen und so ihre Entdeckung durch den Käufer zu verhindern. Denn es sei gerade der Sinn eines solchen Gewährleistungsausschlusses, den Käufer zu warnen und ihm aufzuerlegen, die Ware auf alle Mängel, offene und versteckte, zu untersuchen. Wenn der Käufer „mit allen Fehlern“ kaufe, nehme er das Risiko verborgener und offener Mängel auf sich und sei dementsprechend auch nur bereit, einen geringeren Preis zu bezahlen. Es wäre höchst unpraktisch und ungerecht, wenn man nicht durch einen solchen Gewährleistungsausschluß Streitigkeiten über die Qualität einer Sache, die man verkauft, vermeiden könnte.86 Bei einem Kauf unter Gewährleistungsausschluß soll erst dann fraud vorliegen, wenn der Verkäufer es für den Käufer durch die Vornahme einer Handlung unmöglich macht, verborgene Fehler zu entdecken. Diese Entscheidung wurde nur zwei Jahre später in dem Fall Pickering v Dowson87 ausdrücklich bestätigt, in dem über eine ganz ähnliche Konstellation zu entscheiden war. Die Besonderheit von Baglehole v Walters und Pickering v Dowson liegt darin, daß das Schiff jeweils unter Gewährlei82

Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441, 467; Harpum, (1992) 108 LQR 280, 316. 83 Zitiert wird Pufendorf, De iure naturae et gentium, 5. Buch, 3. Kapitel, § 2 und Grotius, De iure belli ac pacis, 2. Buch, 12. Kapitel, IX. 84 (1811) 3 Camp 154; 170 ER 1338. 85 (1811) 3 Camp 154, 156; 170 ER 1338, 1339. 86 (1811) 3 Camp 154, 157; 170 ER 1338, 1339. 87 (1813) 4 Taunt 779; 128 ER 537.

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stungsausschluß verkauft wurde und die Käufer Gelegenheit zur Untersuchung des Schiffs hatten. Vermutlich wären die Fehler bei einer gründlichen Untersuchung für den Käufer sogar erkennbar gewesen.88 Dies läßt Nicholas außer Betracht, wenn er schreibt, daß mit der Entscheidung Baglehole v Walters der Weg, vorvertragliche Aufklärungspflichten aus einem allgemeinen Grundsatz von good faith abzuleiten, zugunsten einer robusten Anwendung des Prinzips von caveat emptor aufgegeben worden sei.89 Denn eine umfassende Ablehnung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten läßt sich weder Baglehole v Walters noch Pickering v Dowson entnehmen. Es wurde lediglich entschieden, daß in dem besonderen Fall eines Verkaufs unter Gewährleistungsausschluß der Verkäufer den Käufer nicht auf versteckte Mängel hinweisen muß. In diesem Fall ist die Grenze des erlaubten Verhaltens erst überschritten, wenn der Verkäufer einen andernfalls erkennbaren Mangel aktiv verbirgt, um die Entdeckung durch den Käufer zu verhindern.90 Die Richter äußerten sich jedoch nicht zu der Frage, unter welchen Umständen der Verkäufer ihm bekannte versteckte Mängel offenbaren muß, wenn kein Gewährleistungsausschluß vereinbart wurde. c) Horsfall v Thomas91 Tatsächlich gibt es auch noch einige Jahre später zumindest obiter dicta, die besagen, daß der Verkäufer ihm bekannte Mängel offenbaren muß, die der Käufer bei einer Untersuchung nicht erkennen kann. In der Entscheidung Horsfall v Thomas ging es um folgenden Sachverhalt. Der Beklagte hatte vom Kläger ein Gewehr herstellen lassen, das mangelhaft war, was der Beklagte zunächst nicht bemerkt hatte. Er warf dem Kläger vor, ein fraud begangen zu haben, denn dieser hatte das Gewehr so manipuliert, daß der Fehler erst bei einer gründlichen Untersuchung erkennbar gewesen wäre. Mit diesem Einwand unterlag der Beklagte jedoch, da man den Mangel trotz der Manipulation hätte erkennen können und er ihn nur deshalb nicht entdeckt hatte, weil er darauf verzichtet hatte, das Gewehr überhaupt zu untersuchen. Nach Ansicht des Richters Bramwell setzt fraud die Behauptung einer falschen Tatsache oder das Verschweigen einer wahren Tat88 Daß der Mangel eigentlich erkennbar war, da der Käufer nur den Ballast hätte beiseite räumen müssen, war später einer der Hauptkritikpunkte an Mellish v Motteux. Addison vermutet daher, daß der eigentliche Grund für die Entscheidung war, daß der Verkäufer den Mangel absichtlich unter dem Ballast versteckt hatte, dies wird aber in der Entscheidung nicht angesprochen, Addison, A Treatise on the Law of Contracts, S. 135. 89 Nicholas, S. 169. 90 Schneider v Heath (1813) 3 Camp 506; 170 ER 1462; Ward v Hobbs (1878) 4 App Cas 13. 91 (1862) 1 H & C 90; 158 ER 813.

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sache, über die eine Aufklärungspflicht besteht, voraus.92 Den Verkäufer trifft keine Aufklärungspflicht für erkennbare Mängel, wenn der Käufer Gelegenheit zur Untersuchung der Sache hat und außerdem gleichermaßen wie der Verkäufer in der Lage ist, den Mangel zu beurteilen.93 Dagegen ist ein fraud gegeben, wenn der Verkäufer den Käufer nicht auf einen ihm bekannten Fehler hinweist, der bei einer Untersuchung nicht erkennbar wäre. In dieser Entscheidung kommt deutlich zum Ausdruck, daß die vorvertragliche Aufklärungspflicht durch ungleichen Informationszugang ausgelöst wird. Dabei gilt als zur Aufklärung verpflichtender überlegener Informationszugang auch überlegenes Fachwissen, denn Bramwell stellt nicht nur darauf ab, daß der Käufer Gelegenheit zur Untersuchung der Ware hatte, sondern betont darüber hinaus an zwei Stellen, daß der Käufer in der Lage war, das Gewehr fachgerecht zu beurteilen. Dies entspricht genau der vorvertraglichen Aufklärungspflicht, die Lord Mansfield in Carter v Boehm formuliert hat. Treu und Glauben verlangt Aufklärung über solche Umstände, die nicht von beiden Parteien gleichermaßen in Erfahrung gebracht und beurteilt werden können. d) Hill v Gray94 Ein etwas kurioser Fall, der zeigt, wie weit die Gerichte bei der Anerkennung vorvertraglicher Aufklärungspflichten zu gehen bereit waren, ist Hill v Gray. Diese Entscheidung betrifft den Verkauf eines Gemäldes durch einen Mittelsmann. Da der Eigentümer des Bildes nicht genannt werden wollte, war der Mittelsmann nicht bereit, die Frage des Käufers nach dem Eigentümer zu beantworten. Weil der Mittelsmann zu dieser Zeit auch einige Bilder eines gewissen Sir Felix Agar verkaufte, schloß der Käufer irrtümlich, daß auch dieses Bild Sir Felix Agar gehörte, was ihn zum Kauf bewog. Zwar bemerkte der Mittelsmann den Irrtum des Käufers, dennoch unterließ er es, ihn darüber aufzuklären, daß Sir Felix Agar nicht der Eigentümer war. Lord Ellenborough entschied, daß das Bild, obwohl es das beste Bild sei, das der Maler Claude je gemalt habe, nicht mittels einer Fehlvorstellung hätte verkauft werden dürfen.95 Der Mittelsmann hätte den Irrtum des Käufers ausräumen müssen; da er dies unterließ, war der Vertrag nichtig. Diese Entscheidung zog einige Erklärungsschwierigkeiten nach sich. Spencer Bower bezeichnet sie gar als Häresie und äußert Zweifel an der Verläßlichkeit des Reports.96 Die Autoren einiger früher Vertragsrechtslehr92 93 94 95

(1862) (1862) (1816) (1816)

1 1 1 1

H & C 90, 100; 158 ER 813, 817. H & C 90, 100; 158 ER 813, 817. Stark 434; 171 ER 521. Stark 434, 435; 171 ER 521.

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bücher dagegen zitierten Hill v Gray noch kommentarlos als Beispiel für die Anerkennung vorvertraglicher Aufklärungspflichten.97 Der Fall wurde daher auch als Beleg dafür herangezogen, daß im 18. Jahrhundert weitreichende vorvertragliche Aufklärungspflichten anerkannt waren.98 Allerdings sollte man ihn in seiner Bedeutung nicht überbewerten, weil es sich selbst nach dem damaligen weiten Verständnis um einen Ausreißer handelt. Denn außer im Versicherungsvertragsrecht galt im englischen Recht die vorvertragliche Aufklärungspflicht nur für sogenannte intrinsische Umstände, also solche, die dem Vertragsgegenstand selbst anhaften, nie extrinsische.99 Intrinsische Umstände sind all jene, die das Wesen des Vertragsgegenstandes betreffen, dazu zählen Natur, Charakter, Zustand, Berechtigung, Sicherheit und Verwendungsmöglichkeiten des Vertragsgegenstands. Extrinsische Umstände haften dem Vertragsgegenstand nicht unmittelbar an. Sie sind äußere Faktoren, die sich auf den Wert oder Preis des Vertragsgegenstandes auswirken und ein Motiv für den Abschluß des Vertrages bilden können, wie allgemeine Marktverhältnisse oder die Nachbarschaft eines Grundstücks.100 Die Unterscheidung zwischen intrinsischen und extrinsischen Umständen des Vertrags geht auf Grotius zurück und fand über die Vermittlung durch Pothier in Story einen einflußreichen Vertreter im anglo-amerikanischen Recht.101 Nach der von Lord Mansfield in Carter v Boehm oder von Bramwell in Horsfall v Thomas formulierten Regel hätte in Hill v Gray keine Aufklärungspflicht bestanden, weil es sich nicht um eine Tatsache handelt, die „restrained to the efficient motives and precise subject of any contract“102 ist. Es ist kein versteckter Mangel des Bildes, wenn es einen ande96

Spencer Bower, S. 136. Chitty, Manufacture, S. 157; Addison, S. 130; Leake, S. 184; Fry, Specific Performance, S. 332. 98 Whittaker/Zimmermann, Surveying the Legal Landscape, S. 43. 99 „The fact concealed in Hill v Gray was clearly extrinsic, and the ruling in the case was wrong, unless the report is imperfect.“, Moncreiff, A Treatise on the Law relating to Fraud and Misrepresentation, S. 340; London General Omnibus Company, Ltd. v Holloway [1912] 2 KB 72, 85. 100 Story, Commentaries on Equity Jurisprudence as administered in England and America, § 210. Diese Unterscheidung von extrinsischen und intrinsischen Umständen klingt auch in der Formel des Reichsgericht zu § 119 Abs. 2 BGB an, wonach als Eigenschaften nur solche Umstände anzusehen sind, die in der Sache selbst ihren Grund haben, vor ihr ausgehen oder sie kennzeichnen, siehe RGZ 149, 235, 238. 101 Grotius, De iure belli ac pacis, 2. Buch, 12. Kapitel, IX; Story, Commentaries on Equity Jurisprudence as administered in England and America, § 210. Story beruft sich auf Pothier, Traité du contrat de vente, n. 242, 243. Pothier hält es jedoch für nicht gerecht, wenn eine Partei ihr Wissen über Umstände, die zu einem baldigen Preisverfall führen, für sich behält, um aktuell einen möglichst hohen Preis zu erzielen. 102 Carter v Boehm (1766) 3 Burr 1905, 1910; 97 ER 1162, 1164. 97

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ren Eigentümer hat als vermutet. Wer Eigentümer des Bildes ist, mag zwar ein Motiv für den Käufer zum Kauf sein, es ist jedoch kein Umstand, der den Kaufgegenstand in seinem Wesen betrifft. Hill v Gray sollte eine Einzelentscheidung bleiben, die schließlich durch Keates v Cadogan103 eine Lesart erfahren hat, mit der man sich des Problems entledigte, daß dort eine vorvertragliche Aufklärungspflicht selbst für extrinsische Umstände postuliert wurde. Jervis CJ erklärte Hill v Gray einfach als einen Fall von aktiver Täuschung („aggressive concealment“): Das Verhalten des Mittelsmanns zeige „something like an act done.“104 Zwar fällt es schwer, in dem Schweigen des Mittelmanns eine aktive Handlung zu erkennen, aber nur als ein Fall aktiver Täuschung ließ sich Hill v Gray widerspruchslos in das System der anerkannten Aufklärungspflichten einfügen. e) Smith v Hughes105 Selbst die bekannte Entscheidung Smith v Hughes, die wie keine andere das Prinzip von caveat emptor verkörpert und als Präzendenzfall für die Ablehnung vorvertraglicher Aufklärungspflichten bei gewöhnlichen Verträgen gilt, widerspricht keineswegs der Anerkennung einer vorvertraglichen Offenbarungspflicht für verborgene Mängel, wie man sie aus Carter v Boehm ableiten kann und wie sie in Horsfall v Thomas formuliert wurde. Folgender Sachverhalt liegt dem Fall zugrunde. Der Kläger, ein Bauer, hatte dem Beklagten, Eigentümer und Trainer von Rennpferden, Hafer zum Kauf angeboten und ihm eine Probe davon mitgegeben. Am nächsten Tag bestellte der Beklagte eine bestimmte Menge von diesem Hafer in dem Glauben, daß es sich um alten Hafer handele. Tatsächlich war der Hafer frisch und daher nicht zum Verfüttern an seine Pferde geeignet, er entsprach jedoch der Warenprobe. Als der Käufer deshalb die Abnahme des Hafers verweigerte, verklagte ihn der Verkäufer auf Kaufpreiszahlung. Bei den Vertragsverhandlungen war nicht darüber gesprochen worden, daß der Hafer alt sein sollte, dies war damit nicht zum Vertragsinhalt geworden. Ob der Verkäufer den Irrtum des Käufers erkannt hatte, ließ sich nicht endgültig klären, es wurde aber unterstellt, daß ihm der Irrtum bewußt war. Zur Entscheidung stand unter anderem die Frage, ob der Kläger den Beklagten auf seinen Irrtum, daß es sich um alten Hafer handelte, hätte hinweisen müssen, obwohl er nichts zur Erregung dieses Irrtums beigetragen hatte. Dies wurde von Cockburn CJ verneint: 103 104 105

(1851) 10 CB 591; 138 ER 234. (1851) 10 CB 591, 600; 138 ER 234, 238. (1871) 6 QB 597.

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„I take the true rule to be, that where a specific article is offered for sale, without express warranty, or without circumstances from which the law will imply a warranty – as where, for instance, an article is ordered for a specific purpose – and the buyer has full opportunity of inspecting and forming his own judgment, if he chooses to act on his own judgment, the rule caveat emptor applies. If he gets the article he contracted to buy, and that article corresponds with what it was sold as, he gets all that he is entitled to, and is bound by the contract. Here the defendant agreed to buy a specific parcel of oats. The oats were what they were sold as, namely, good oats according to the sample. The buyer persuaded himself they were old oats, when they were not so; but the seller neither said nor did anything to contribute to his deception. He has himself to blame. The question is not what a man of scrupulous morality or nice honour would do under such circumstances.“106

Diese Grundsätze gelten bis heute unverändert fort.107 Entscheidend war, daß für den Käufer eine Gelegenheit zur Untersuchung der Warenprobe bestand, die er einen Tag zur Ansicht hatte, was einer Untersuchung der Ware selbst gleichkam. Obwohl es sich erkennbar um neuen Hafer handelte, entschied der Käufer aufgrund eigenen Urteils, daß der Hafer alt sei. Wer aufgrund eigenen Urteils handelt, kann sich nicht darauf berufen, daß der andere ihn über seinen Irrtum hätte aufklären müssen, wenn dieser nichts zur Erregung des Irrtums beigetragen hat. Anders wäre wohl zu entscheiden gewesen, wenn sich der Käufer in irgendeiner Weise auf das Urteil des Verkäufers verlassen hätte, etwa indem er ihn gefragt hätte. Insoweit steht diese Entscheidung im Einklang mit den bisher geltenden, auf dem Grundsatz von Treu und Glauben gründenden Regeln zu vorvertraglichen Aufklärungspflichten. Denn auch nach Lord Mansfields Ansicht war von good faith nicht gefordert, daß man den Vertragspartner über solche Umstände aufklärt, die für beide Seiten zu erkennen und zu beurteilen sind: „either party may be innocently silent, as to grounds open to both, to exercise their judgment upon“.108 Dies entspricht genau der Erwägung von Cockburn CJ: „[where] the buyer has full opportunity of inspecting and forming his own judgment, if he chooses to act on his own judgment, the rule caveat emptor applies.“ Die Entscheidung von Cockburn CJ steht damit nicht im Widerspruch zu einer aus Treu und Glauben abgeleiteten vorvertraglichen Aufklärungspflicht, wie sie Lord Mansfield in Carter v Boehm formuliert hat. Denn gefordert wurde immer nur gleicher Informationszugang. Dagegen wurde nie Aufklärung über einen Umstand verlangt, 106

(1871) 6 QB 597, 603, Hervorhebung hinzugefügt. Schon Pollock, Principles of Contract, S. 474 berief sich auf diesen Fall, als er schrieb, daß in gewöhnlichen Fällen Schweigen keine Rechtsfolgen auslöst. Mit Zustimmung zitiert in Banque Keyser Ullmann SA v Skandia (UK) Insurance Co Ltd [1990] 1 QB 665, 799 von Slade LJ; Chitty/Beale, On Contracts, Band I, Rn. 5023; Treitel, An Outline of the Law of Contract, 128, 131. 108 (1766) 3 Burr 1905, 1910; 97 ER 1162, 1164. 107

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den die andere Partei bei Aufwendung gehöriger Sorgfalt hätte erkennen können, wenn sie Gelegenheit zur Untersuchung der Sache hatte. Will sich eine Partei unter solchen Umständen nicht auf ihr eigenes Urteil verlassen, so muß sie den Vertragspartner fragen, sie kann jedoch nicht erwarten, daß dieser sie ungefragt informiert. Aus Smith v Hughes läßt sich daher gerade nicht ableiten, daß caveat emptor einer allgemeinen vorvertraglichen Aufklärungspflicht entgegensteht, sondern der Fall zeigt im Gegenteil, daß dieser Grundsatz und die auf Treu und Glauben gründende Aufklärungspflicht von denselben Wertungen getragen sind. Caveat emptor besagt, daß jede Vertragspartei selbst die Verantwortung dafür trägt, daß sie sich über den Vertragsgegenstand mit der nötigen Sorgfalt informiert und das geplante Geschäft richtig beurteilt. Wenn sie dazu aber nicht in der Lage ist, weil nur die andere Vertragspartei den Zugang zu diesen Informationen hat, dann fordert Treu und Glauben von der informierten Partei die Offenbarung dieser Umstände. Wenn Smith v Hughes heute für die Verkörperung der besonderen Härte des Prinzips von caveat emptor und des „robusten Individualismus“ des common law steht, dann liegt das weniger daran, daß in diesem Fall eine vorvertragliche Aufklärungspflicht verneint wurde, als daran, daß dem Beklagten darüber hinaus verwehrt wurde, den Vertrag wegen seines einseitigen Irrtums anzufechten. Allerdings bleibt mit der Anerkennung der oben beschriebenen implied terms für den Bereich des Warenkaufs für vorvertragliche Aufklärungspflichten praktisch kein Anwendungsbereich mehr. Denn ungleicher Informationszugang, der nach dem oben Gesagten eine vorvertragliche Aufklärungspflicht auslöst, liegt bei einem Kaufvertrag immer dann vor, wenn der Käufer nicht die gleiche Möglichkeit hat, die Ware zu prüfen, wie der Verkäufer. In diesem Fall greifen aber schon die genannten implied terms ein, und dem Käufer stehen damit alle Rechtsbehelfe für eine Vertragsverletzung zu Gebote. Es besteht kein Bedarf für die gleichzeitige Geltung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten, da diese keinen zusätzlichen, darüber hinausgehenden Schutz entfalten. 3. Konstellationen, die keine Aufklärung erfordern Ganz allgemein kann man sagen, daß immer dann keine vorvertragliche Aufklärungspflicht besteht, wenn als Voraussetzung für den Abschluß eines fairen Vertrages die Parteien jeweils selbst dazu in der Lage sind, ihre Interessen zu wahren. Dies ist dann der Fall, wenn sie gleichermaßen Zugang zu den vertragswesentlichen Informationen haben. Im folgenden sollen die Konstellationen betrachtet werden, in denen typischerweise davon auszugehen ist, daß beide Parteien dieselben Möglichkeiten haben sich zu informieren.

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a) Erkennbare Mängel (patent defects) Ein Paradebeispiel für gleichen Informationszugang sind erkennbare Mängel (patent defects) des Vertragsgegenstandes. Daß keine Aufklärungspflicht besteht, wenn ein Mangel erkennbar ist, sei es auch nicht auf den ersten Blick, sondern erst nach einer gründlicheren Untersuchung, sofern Gelegenheit zu einer solchen Untersuchung besteht, wurde in Horsfall v Thomas109 ausdrücklich entschieden. Daß der Käufer das Risiko erkennbarer Mängel selbst tragen muß, entspricht auch der Lösung im kontinentalen Recht. So galten im römischen Recht die ädilizischen Rechtsbehelfe nur für verborgene Mängel.110 Wer sich vorhandener Informationsmöglichkeiten nicht bedient, kann sich nicht darauf berufen, daß die andere Partei zur Aufklärung über diesen Umstand verpflichtet gewesen wäre. Erst recht brauchen Fehler, die beiden Vertragspartnern bekannt sind, nicht offenbart zu werden. Auch dies wurde im kontinentalen Recht ebenso gesehen, insbesondere von den Naturrechtslehrern, denn gleicher Wissensstand auf beiden Seiten trägt der naturrechtlich gebotenen Gleichheit hinreichend Rechnung.111 b) Allgemeine Marktverhältnisse und wechselnde Marktlagen Keine Aufklärungspflicht besteht ferner über allgemeine Marktverhältnisse und wechselnde Marktlagen, da diese für jedermann und somit auch für beide Parteien als gleichermaßen zugänglich gelten. Es fällt in den Verantwortungsbereich jeder Partei, sich diese Informationen selbst zu beschaffen. Außerdem sind Marktverhältnisse keine Umstände, die dem Vertragsgegenstand selbst innewohnen; über sogenannte extrinsische Umstände besteht aber nur im besonderen Fall des Versicherungsvertrags eine vorvertragliche Aufklärungspflicht.112 Folglich muß kein Vertragspartner den anderen über den erwartungsgemäß zu erzielenden Preis der Kaufsache informieren; insoweit ist jede Partei auf ihre eigene Marktevaluation verwiesen.113 Der Verkäufer braucht auch keine Angaben über den Preis zu machen, den er selbst bei Erwerb für eine Sache bezahlt hat, wenn er diese weiterverkauft. Über wechselnde Marktlagen braucht den Vertragspartner selbst derjenige nicht zu informieren, der gewisse Sonderkenntnisse114 hat. Der klassische 109

(1862) 1 H & C 90, 100; 158 ER 813, 817. Zimmermann, Law of Obligations, S. 311. 111 Grotius, De iure belli ac pacis, 2. Buch, 12. Kapitel, IX, 3; Pufendorf, De iure naturae et gentium, 5. Buch, 3. Kapitel, § 5. 112 Hierzu B II. 4. 113 Vernon v Keys (1810) 12 East 632; 104 ER 246. 110

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Schulfall zu diesem Gebiet stammt von Cicero.115 Ein alexandrinischer Getreidehändler war mit einer Schiffsladung Getreide nach Rhodos gesegelt, wo eine Hungersnot herrschte. Mußte er den hungernden Rhodiern mitteilen, daß weitere Schiffe, die sich mit Getreide auf den Weg nach Rhodos gemacht hatten, bald ankommen würden, so daß der Getreidemangel bald überwunden sein würde, oder durfte er das Nichtwissen der Rhodier über ein baldiges Ende des Mangels ausnutzen, um einen möglichst hohen Preis zu erzielen? Zwar widersprach das Verschweigen der baldigen Ankunft weiterer Schiffe ethischen Idealen, es verstieß jedoch nicht gegen das Recht. Wie sich aus einigen Zitaten in Gerichtsentscheidungen ablesen läßt, waren die englischen Richter mit Ciceros Schulfall vertraut.116 Der Fall des alexandrinischen Getreidehändlers findet ein moderneres Gegenstück in der amerikanischen Entscheidung Laidlaw v Organ,117 die auch von englischen Autoren zitiert wird.118 Ein Tabakhändler hatte gegen Ende des englisch-amerikanischen Krieges von einem Vertrauten die Information über einen bevorstehenden Friedensschluß erhalten, der zur Wiedereröffnung des zuvor blockierten Hafens von New Orleans führen sollte. Während der Blockade war der Tabakpreis stark gefallen, da über den Hafen keine Tabakausfuhren mehr erfolgen konnten. Der Tabakhändler kaufte wenige Stunden, bevor der Friedensschluß in der Öffentlichkeit bekannt wurde, noch zu einem sehr günstigen Preis eine große Menge Tabak. Nach Bekanntwerden des Friedensschlusses schnellte der Tabakpreis in die Höhe und der Verkäufer weigerte sich, den Vertrag zum niedrigen Preis zu erfüllen. Er berief sich darauf, daß ihn der Käufer über den bevorstehenden Friedensschluß hätte informieren müssen. Das Gericht war jedoch der Auffassung, daß man den Partner nicht über etwas informieren muß, „. . . where the means of intelligence are equally accessible to both parties.“119

114 Es soll hier jedoch nicht untersucht werden, inwieweit es erlaubt ist, Insiderwissen zu verwerten. Dazu vgl. Fleischer, S. 301 ff. mit Beispielen und Nachweisen, und speziell zum Insiderhandelsverbot des Kapitalmarktrechts Fleischer, § 14. 115 De Officiis, III, 12 f., hierzu siehe Zimmermann, The Law of Obligations, S. 256 ff.; Fleischer, S. 11 f., 21 ff. 116 Folgendes Zitat aus diesem Schulfall erfreute sich großer Beliebtheit in den Entscheidungen: „Aliud est celare, aliud tacere: neque enim id est celare, quicquid reticeas, sed cum, quod tu scias, id ignorare emolumenti tui causa velis eos, quorum intersit id scire“, z. B. in Carter v Boehm (1766) 3 Burr 1905, 1910; 97 ER 1162, 1164 und Lee v Jones (1864) 17 CBNS, 482; 144 ER 194, 200. 117 15 US 84 (2 Wheat) 178 (1817). 118 Z. B. Pollock, Principles of Contract, S. 474; Atiyah, An Introduction to the Law of Contract, S. 248; Anson/Beatson, S. 258. 119 Laidlaw v Organ, 15 US 84, 93 (2 Wheat) 178, 195 (1817) per John Marshall, Chief Justice. Nach dem Originalsachverhalt stammte die Information aus allgemein zugänglichen Quellen. Anders wäre wohl zu entscheiden gewesen, wenn er

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Der Käufer muß den Verkäufer nicht darüber informieren, was den Kauf für ihn erstrebenswert macht. So wurde zum Beispiel entschieden, daß kein fraudulent concealment vorlag, wenn der erstrangige Hypothekengläubiger, der berechtigt war, das belastete Grundstück zu verkaufen, dem nachrangigen Hypothekengläubiger dessen Berechtigung am Grundstück abkaufte, ohne ihn darüber zu informieren, daß er das Grundstück zu einem sehr guten Preis verkaufen konnte, während dieser davon ausging, daß der Preis, der sich für das Grundstück erzielen ließe, nicht ausreichte, um das Interesse beider Hypothekengläubiger zu befriedigen.120 Denn beide Parteien waren über die wertbildenden Eigenschaften des Grundstücks gleichermaßen informiert und konnten sich folglich selbst ein Urteil über einen möglichen Verkaufswert bilden. Mit der Ablehnung vorvertraglicher Aufklärungspflichten über allgemeine Marktverhältnisse befindet sich das common law im Einklang mit dem kontinentalen Recht. Schon im römischen Recht galt das Ausnutzen der Unkenntnis der Rhodier über den baldigen Getreidenachschub durch den alexandrinischen Getreidehändler als erlaubter Einsatz der eigenen Geschäftstüchtigkeit.121 Auch Grotius122 und Pufendorf123 forderten keine Aufklärung über Marktverhältnisse, da diese keine Faktoren sind, die dem Kaufgegenstand selbst innewohnen. Auch in den heutigen kontinentalen Rechtsordnungen besteht keine Aufklärungspflicht über allgemeine Marktverhältnisse. Für das deutsche Recht hat schon das Reichsgericht einer zu weiten Ausdehnung der Aufklärungspflichten beim Kauf entgegengewirkt. Wegen der regelmäßig widerstreitenden Interessen könnten die Parteien voneinander keine Aufklärung über die für die Preisbildung in Betracht kommenden allgemeinen Marktverhältnisse erwarten. Hierüber könne und müsse sich grundsätzlich jeder selbst informieren.124 c) Werterhöhende Eigenschaften Allgemein gilt im common law die Regel, daß der Käufer den Verkäufer nicht über werterhöhende Umstände der Kaufsache unterrichten muß. Als Leitentscheidung hierfür steht Fox v Macreth.125 In dieser Entscheidung prägte Lord Chancellor Thurlow den einschlägigen Schulfall: Angenommen, die Information beispielsweise von einem hohen Regierungsbeamten erhalten hätte, denn dann hätte ein Fall von Insiderhandel vorgelegen. 120 Dolman v Nokes (1855) 22 Beav 402; 52 ER 1163. 121 Zimmermann, Law of Obligations, S. 257; Fleischer, S. 28. 122 De iure belli ac pacis, 2. Buch, 12. Kapitel, IX. 123 De iure naturae et gentium, 5. Buch, 3. Kapitel, § 4. 124 RGZ 111, 233, 234. 125 (1791) 2 Cox 320; 30 ER 148.

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C. Entwicklung im allgemeinen Vertragsrecht

jemand verkauft ein Grundstück, unter dem sich eine Erzmine befindet, was nur dem Käufer, nicht aber dem Verkäufer bekannt ist, für die Hälfte seines tatsächlichen Wertes. Hätte der Käufer sein Wissen mit dem Verkäufer teilen müssen? Nach Ansicht Lord Thurlows durfte der Käufer sein Wissen zu seinem Vorteil ausnutzen: „I do not agree with those who say, that wherever such an advantage has been taken in the course of a contract by one party over another, as a man of delicacy would refuse to take, such a contract shall be set aside . . . can a Court of Equity set aside this bargain? No; but why is it impossible? not because the one party is not aware of the unreasonable advantage taken by the other of this knowledge, but because there is no contract existing between them by which the one party is bound to disclose to the other the circumstances which have come within his knowledge; for if it were otherwise, such a principle must extend to every case, in which the buyer of an estate happened to have a clearer discernment of its real value than the seller. It is therefore not only necessary that great advantage should be taken in such a contract, and that such an advantage should arise from a superiority of skill or information; but it is also necessary to shew some obligation binding the party to make such a disclosure. Therefore the question is, not whether the transaction be such as a man of honour would disclaim and disdain, but it must fall within some settled definition of wrong recognized by this Court; for otherwise the general transactions of mankind would be too much in hazard and uncertainty.“126

Lord Thurlows Hauptsorge gilt der Rechtssicherheit, außer dieser führt er keine Gründe an, warum den Käufer keine Aufklärungspflicht über dem Verkäufer nicht bekannte werterhöhende Umstände der Kaufsache trifft, umgekehrt aber der Verkäufer verpflichtet sein kann, den Käufer über wertmindernde Umstände, nämlich verborgene Mängel, zu informieren. Dieser Schulfall wurde immer wieder von der Rechtsprechung aufgegriffen um zu illustrieren, daß der Käufer den Verkäufer nicht über werterhöhende Umstände informieren muß.127 So äußert sich etwa Lord Chancellor Eldon in Turner v Harvey: „. . . where parties deal for an estate, they may put each other at arm’s length: the purchaser may use his own knowledge, and is not bound to give the vendor information of the value of his propery. . . . if an estate is offered for sale, and I treat for it, knowing that there is a mine under it, and the other party makes no enquiry, I am not bound to give him any information of it: he acts for himself, and exercises his own sense and knowledge. But a very little is sufficient to affect the application of that principle. If a word, a single word be dropped which tends to mislead the vendor, that principle will not be allowed to operate.“128 126

(1791) 2 Cox 320 ff.; 30 ER 148 f. Turner v Harvey (1821) Jacob 169, 178; 37 ER 814, 817; Smith v Hughes (1871) LR 6 QB 597, 604. 128 Turner v Harvey (1821) Jacob 169, 178; 37 ER 814, 817. 127

II. Begrenzung von caveat emptor durch fraud

135

Diese Regel wird in Walters v Morgan nochmals nachdrücklich bestätigt: „There being no fiduciary relation between vendor and purchaser in the negotiation, the purchaser is not bound to disclose any fact exclusively within his knowledge which might reasonably be expected to influence the price of the subject to be sold. Simple reticence does not amount to legal fraud, however it may be viewed by moralists. But a single word or (I may add) a nod or a wink, or a shake of the head, or a smile from the purchaser intended to induce the vendor to believe the existence of a non-existing fact, which might influence the price of the subject to be sold, would be sufficient ground for a Court of Equity to refuse a decree for a specific performance of the agreement.“129

Mit dieser Haltung befand sich das englische Recht im Einklang mit dem kontinentalen Recht. So vertritt Pothier den Standpunkt, daß sich der Verkäufer nicht beschweren könne, wenn der Käufer seinen Wissensvorsprung zum eigenen Vorteil ausnutze. Es werde als Verpflichtung des Verkäufers angesehen, daß er seine Ware besser kenne als alle anderen, und wo dies nicht der Fall sei, könne er seinen Wissensmangel nur sich selbst zuschreiben. Die Gesetze kämen dem Nachlässigen nicht zur Hilfe.130 Daß der Erwerber seinen Informationsvorsprung ausnutzen darf, wird heute vor allem mit dem ökonomischen Argument begründet, daß er vor der Entwertung seiner Informationsanstrengungen geschützt werden müsse.131 Nur wer Informationsvorsprünge ausnutzen darf, hat überhaupt einen Anreiz, Informationsanstrengungen zu unternehmen. Dieser Gedanke hat Eingang in die Principles of European Contract Law gefunden, nach deren Anmerkung F zu Art. 4.107 es nicht erforderlich ist, die andere Partei über relevante Umstände ihrer Leistung aufzuklären, sondern erwartet wird, daß jede Partei alle wesentlichen Faktoren ihrer eigenen Leistung selbst kennt oder in Erfahrung bringt.132 Dabei sind für die Frage, ob eine Informationspflicht besteht, insbesondere die Kosten der Informationsgewinnung zu berücksichtigen.133

129

Walters v Morgan (1861) 3 De G F & J 718, 723 f.; 45 ER 1056, 1059. Pothier, Traité du contrat de vente, no. 299 a. E. 131 Dieser Ansatz wird meist auf Kronman, (1978) 7 JLS 1 ff. gestützt. Strittig ist, ob der Erwerber sein Wissen auch dann für sich behalten können soll, wenn er es nur zufällig erlangt hat, dagegen Kronman, (1978) 7 JLS 1, 15 ff.; Anson/Beatson, Law of Contracts, S. 257; Atiyah, An Introduction to the Law of Contract, S. 247; Beatson, (1997) 56 Cambridge Law Journal 291, 304. 132 Art 4:107 PECL Comment F. 133 Art 4:107 (3) (b) PECL. 130

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C. Entwicklung im allgemeinen Vertragsrecht

4. Vorvertragliche Aufklärungspflichten und fraud in der Wissenschaft Das Vertragsrecht war bis weit in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein in England ein nur sehr gering entwickeltes Rechtsgebiet.134 Mit Ausnahme weniger Seiten in Woods Institutes135 und einzelnen Passagen in Blackstones Commentaries136 gab es in der common-law-Literatur nur selten abstrakte Erwägungen zum Vertragsrecht, und es hatten sich noch keine gefestigten dogmatischen Strukturen ausgebildet.137 Ab etwa 1770, zeitgleich mit der industriellen Revolution, erfuhr das Vertragsrecht einen Bedeutungszuwachs und rückte damit auch in den Blick des wissenschaftlichen Interesses. Ende des 18. Jahrhunderts begannen die ersten Abhandlungen (treatises) englischer Juristen zum Vertragsrecht zu erscheinen, in denen der Versuch der Herausarbeitung und systematischen Ordnung allgemeiner Lehren unternommen wurde.138 Dabei orientierten sich die englischen Autoren mangels historischer Vorbilder im common law vor allem an der kontinentalen Literatur. Besonders einflußreich waren die Werke von Grotius, Pufendorf, Domat und Pothier, die sämtlich in englischen Übersetzungen vorlagen.139 Das erste Werk, das das englische Vertragsrecht als einheitliches Ganzes behandelt, ist John Joseph Powells „Essay upon the law 134 Zimmermann, ZEuP 1 (1993), 4, 43; Baker, An Introduction to English Legal History, S. 398 ff.; Teeven, S. 175 ff.; Gordley, S. 134 ff.; ausführlich zur Geschichte des Vertragsrechts: Ibbetson, A Historical Introduction to the Law of Obligations; Simpson, A History of the Common Law of Contract, The Rise of The Action of Assumpsit. 135 Thomas Wood, An Institute of the Laws of England or the Laws of England in their Natural Order, according to Common Life, 1720. 136 Blackstone, Commentaries on the Laws of England, 1765–1769; zu Blackstone vgl. Simpson, (1981) 48 Univ. Chi. L. Rev. 632, 655, 658. 137 Simpson, (1975) 91 LQR 247, 251. 138 Die treatises waren im England des 19. Jahrhunderts die typische Form der kreativen juristischen Literatur. Juristische Zeitschriften boten erst seit Erscheinen des Law Quarterly Review 1885 ein Forum für die wissenschaftliche Literatur, siehe Simpson, (1981) 48 Univ.Chi.L.Rev. 632, 662. Ausführlich zur Bedeutung der treatises vgl. Simpson, (1981) 48 Univ.Chi.L.Rev. 632 ff. und idem, (1975) 91 LQR 247 ff. 139 Simpson, (1981) 48 Univ. Chi. L. Rev. 632, 656 ff.; idem, (1975) 91 LQR 247, 255 ff.; Lobban, The Common Law and English Jurisprudence 1760–1850, 258 ff.; Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 399 ff.; Grotius, De jure belli ac pacis, wurde schon 1654 übersetzt und hatte bis zum Jahr 1750 bereits sechs englische Auflagen erlebt, Zimmermann, ZEuP 1 (1993), 4, 47. Pufendorf, De Jure Naturae et Gentium, erschien 1710, 1729 und 1749 in englischer Übersetzung und 1716 in verkürzter Form; Jean Domat, The Civil Law in its Natural Order: Together with the Public Law, übersetzt von William Strahan, London 1722; besonders einflußreich war Pothier, Traité des Obligations, das Werk lag seit 1806 in einer von William David Evans besorgten zweibändigen englischen Ausgabe vor.

II. Begrenzung von caveat emptor durch fraud

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of contracts and agreements“.140 Powell hatte es sich zur Aufgabe gemacht: „. . . to discover the general rules and principles of natural and civil equity on which [the] decisions [of our courts] are founded“.141 Der Einfluß des kontinentalen Rechts, vor allem des Naturrechts ist in diesen Werken nicht zu übersehen. Powell benennt seine Quellen nicht im einzelnen, sondern zollt ihnen umfassend Tribut.142 Comyns und Colebrookes Werke dagegen enthalten zahlreiche ausdrückliche Zitate aus Schriften der Naturrechtler.143 a) Powell, Colebrooke und Comyn Die Autoren Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts widmeten fraud insgesamt und damit auch der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten nur geringe Aufmerksamkeit.144 Powell behandelt vorvertragliche Aufklärungspflichten andeutungsweise im Kapitel über die Wirksamkeit von Verträgen. Dort heißt es: „either suppressio veri, or suggestio falsi, is a good reason to set aside any release or conveyance“.145 Die genauen Voraussetzungen einer solchen „suppressio veri“ werden jedoch nicht genannt. Nach Ansicht Powells liegt im Falle einer „suppressio veri“ schon kein Konsens vor. Wenn jedoch die Partei ohne „intention of fraud“ handelte und keine der Vertragsparteien überlegenes Wissen über den Vertragsgegenstand hatte, dann war der Vertrag wirksam.146 In Colebrookes „Treatise on obligations and contracts“ findet sich im Buch „Validity of Agreements“ im Kapitel „Invalidity“ ein kurzer Abschnitt mit dem Titel „Fraud“. Auch nach Ansicht Colebrookes hindert fraud das Entstehen eines wahren Konsenses.147 Zum Beleg dieser Ansicht zitiert er Pothier.148 Allerdings setzt er sich nicht näher mit den Voraussetzungen von fraud auseinander und äußert sich nicht zu vorvertraglichen Aufklärungspflichten. Comyn beschränkt sich darauf, fraud am Ende seiner Liste der Faktoren, die einen Vertrag im common law illegal machen, zu erwähnen.149 Zum Einfluß Pothiers vgl. Fleischer, S. 62; Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441, 443. 140 1790 erschienen in 2 Bänden. 141 Powell, Essay upon the law of contracts and agreements, S. iii. 142 So schreibt er im Vorwort: „Many of the observations and general remarks here submitted for consideration have been taken from the civil law writers“. 143 Harpum, (1992) 108 LQR 280, 314, Fn. 213. 144 Ibbetson, S. 234. 145 Powell, Essay upon the law of contracts and agreements, S. 141, dies ist ein Zitat aus Broderick v Broderick (1713) 1 P Wms 239; 24 ER 369. 146 Powell, Essay upon the law of contracts and agreements, S. 142. 147 Colebrooke, Treatise on obligations and contracts, 1818, S. 51. 148 Traité des Obligations, S. 28.

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C. Entwicklung im allgemeinen Vertragsrecht

b) Chitty Die erste etwas ausführlichere Behandlung durch die Literatur erfuhren vorvertragliche Aufklärungspflichten 1824 in Chittys „A Treatise on the Laws of Commerce and Manufacturers and the Contracts relating thereto“, dem führenden Werk über Handelsverträge in dieser Zeit.150 Vorvertragliche Aufklärungspflichten werden innerhalb des Kapitels zum allgemeinen Vertragsrecht im Abschnitt über die Befreiung von der Leistungspflicht behandelt. Fraud ist einer der Gründe, der dazu führt, daß eine Partei ihre Leistung nicht erbringen muß. Dies gilt für common law und Equity gleichermaßen.151 Auf eine Definition von fraud verzichtet Chitty. Entsprechend der seit dem Urteil Chesterfield v Janssen152 gängigen Einteilung unterscheidet er vier Arten von fraud. Hier interessiert die erstgenannte Erscheinungsform von fraud: „[a]ctual fraud arising from facts and circumstances of imposition“.153 Darunter versteht Chitty die Fälle von fraud, die in einem „statement of falsehood, or a fraudulent device to conceal the truth“ bestehen. Die Worte „device to conceal the truth“ klingen, als seien damit nur solche Fälle gemeint, die heute von der konkludenten misrepresentation erfaßt sind, in denen jemand durch ein aktives Tun etwas verbirgt, was andernfalls offensichtlich wäre, um es der Wahrnehmung des Vertragspartners zu entziehen. Doch aus den folgenden Ausführungen geht klar hervor, daß Chitty ein weites Verständnis von fraudulent concealment hatte, das auch von einem reinen Unterlassen erfüllt sein konnte: „. . . for it is a rule that each of the contracting parties, if he make any warranty or representation, is bound to disclose faithfully to the other all the material circumstances within his knowledge respecting the subject matter of the contract, and relating to such warranty and representation; and if this be omitted, either from design, neglect, or accident, the contract is invalid.“154

Diese weite Offenbarungspflicht scheint nur begrenzt durch die Vertragswesentlichkeit der zu offenbarenden Umstände. Es ist bemerkenswert, daß Chitty seine Aussagen zu fraud, das durch Schweigen erfüllt wird, als auf alle Verträge anwendbaren Nichtigkeitsgrund vor allem mit Entscheidungen aus dem Versicherungsrecht belegt. Daraus läßt sich ersehen, daß er vorvertragliche Aufklärungspflichten nicht als Besonderheit des Versicherungsvertrags begreift, sondern umgekehrt in den Aufklärungspflichten im Versicherungsrecht Anwendungsbeispiele der allgemeinen Regel sieht. Allerdings 149 150 151 152 153 154

Comyn, The Law of Contracts and Promises, 2. Auflage 1824, S. 59. Whittaker/Zimmermann, Surveying the Legal Landscape, S. 43. Chitty, A Treatise on the Laws of Commerce and Manufacturers, S. 155. (1750) 2 Ves Sen 125; 28 ER 82, 100. Chitty, A Treatise on the Laws of Commerce and Manufacturers, S. 155. Chitty, A Treatise on the Laws of Commerce and Manufacturers, S. 155.

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übergeht er, daß nach Lord Mansfields Ansicht das Verschweigen eines Umstands nur dann ein fraud darstellte, wenn es mit Täuschungsabsicht geschah. Daß auch das versehentliche Verschweigen eines Umstandes zur Nichtigkeit führen kann, war eine Spezialität des Versicherungsvertragsrechts und betraf nur solche Umstände, die das zu versichernde Risiko definierten.155 Ob Chitty wirklich eine weiterreichende Aufklärungspflicht formulieren wollte, läßt sich nicht sagen, da er keine weiteren Ausführungen dazu macht, sondern sich im folgenden auf eine Aneinanderreihung von Ergebnissen der richterlichen Praxis beschränkt. Er referiert kurz Mellish v Motteux156 und die Einschränkung der Regel dieses Falles durch Baglehole v Walters,157 und weist in einer Fußnote auf Fox v Macreth158 hin. Aus der Schilderung des Falles Hill v Gray159 läßt sich ableiten, daß für Chitty die Tatbestandsvoraussetzungen von fraud erfüllt waren, wenn eine Vertragspartei einen Irrtum der anderen Partei, der deren Entscheidung zum Vertragsschluß maßgeblich beeinflußte, nicht aufklärte, sondern zum günstigen Vertragsschluß ausnutzte, obwohl die informierte Partei selbst nichts zur Erregung dieses Irrtums beigetragen hatte. Abschließend konkretisiert Chitty die weite Aufklärungspflicht dahingehend, daß eine Vertragspartei nur solche vertragswesentlichen Umstände offenbaren muß, die sie allein kennt. Keine Aufklärungspflicht besteht im Falle eines Kaufvertrages, wenn beide Parteien den Kaufgegenstand untersuchen und sich über dessen Beschaffenheit und Wert ihr eigenes Urteil bilden können und keine der Parteien die andere betrügt.160 Auch er stellt also auf den ungleichen Informationszugang ab. Die von Chitty formulierte Aufklärungspflicht steht damit nicht im Widerspruch zu dem Grundsatz von caveat emptor, auf den er sich jedoch nicht ausdrücklich bezieht. Zum inneren Grund für vorvertragliche Aufklärungspflichten äußert sich Chitty nicht explizit, er schreibt allerdings im Abschnitt zum Versicherungsvertrag im Zusammenhang mit vorvertraglichen Aufklärungspflichten: „good faith should preside in all the transactions of commerce“,161 so daß zu vermuten ist, daß er diese Pflicht aus einem allgemeinen Grundsatz von good faith ableitet. Festzuhalten ist, daß nach Chitty alle Verträge vorvertraglichen Aufklärungspflichten unterliegen, nicht nur spezielle Ausnahmegruppen von Verträgen. Der Verstoß gegen eine Aufklärungspflicht erfüllt die Voraussetzungen von fraud. 155 156 157 158 159 160 161

Hierzu B II. 4 a). (1792) Peake 156; 170 ER 113. (1811) 3 Camp 154; 170 ER 1338. (1791) 2 Cox 320; 30 ER 148. (1816) 1 Stark 434; 171 ER 521. Chitty, A Treatise on the Laws of Commerce and Manufacturers, S. 155. S. 508.

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In „A Practical Treatise on the Law of Contracts not under Seal“162 folgt Chitty im wesentlichen seinen oben dargestellten Ausführungen, allerdings behandelt er vorvertragliche Aufklärungspflichten detaillierter als dort, innerhalb des Kapitels „Of Illegal Contracts“ im Abschnitt „Of Contracts voidable for fraud“. Nach Chitty hat fraud verschiedene Erscheinungsformen, besteht aber im allgemeinen entweder in der Falschangabe oder dem „concealment“ eines vertragswesentlichen Umstandes.163 Diese beiden Formen von fraud werden gleichzeitig behandelt, als zwei Begehungsweisen derselben Erscheinung. Chitty stellt fest, daß es sehr schwierig sei, in bezug auf fraud ein allgemeines Prinzip oder eine grundlegende Regel zu formulieren, da das Vorliegen von fraud von den Besonderheiten des Einzelfalls, der jeweiligen Situation der Parteien und ihren Informationsmitteln abhänge.164 Im folgenden versucht er, den Ausgleich zwischen erlaubter Geschäftstüchtigkeit und dem unerlaubten Ausnutzen von Vorteilen zu finden. Einerseits sei es das Bestreben der Gerichte gewesen, Unehrlichkeit zu unterdrücken, andererseits hätten sie verlangt und erwartet, daß jede Partei aufmerksam und sorgfältig sei: „Vigilantibus et non dormientibus succurent jura.“165 Es sei schwer vorstellbar, daß das Verschweigen eines Umstandes, den jemand mit normalem Verstand, Wachsamkeit und Fähigkeiten entdecken könne, den Begriff von fraud erfüllen soll. Solange ein Vertrag nur ein fairer Wettstreit oder eine Erprobung der Urteilsfähigkeit sei, könne kein fraud vorliegen. In allen Verträgen würde jede Partei natürlicher- und fairerweise versuchen, einen Vorteil zu erlangen. Ein fraud ist aber nach Chittys Ansicht dann gegeben, wenn eine Partei eine falsche Angabe macht oder einen Umstand verschweigt, den nur sie kennt. Selbst wenn die informierte Partei nicht allein den Zugang zur vertragsrelevanten Information hat, soll auch dann fraud vorliegen, wenn sie die andere Partei einlullt und so veranlaßt, auf entsprechende Erkundigungen zu verzichten. Das Verschweigen eines Umstandes soll dann kein fraud sein, wenn die Vertragspartei „bona fide and without actual fraud“ handelte, wobei nicht erklärt wird, was unter „actual fraud“ zu verstehen ist. Aus den vorausgegangenen Ausführungen zu misrepresentation läßt sich jedoch schließen, daß nach Chitty actual fraud dann vorliegt, wenn die besser informierte Partei in der Absicht schweigt, die andere Partei zu ihrem Nachteil zum Vertragsschluß auf einer falschen Tatsachengrundlage zu bewegen.

162

1. Auflage von 1826, benutzt wurde die 3. Auflage. Chitty, A Practical Treatise on the Law of Contracts not under Seal, 3. Auflage, S. 681 f. 164 Chitty, A Practical Treatise on the Law of Contracts not under Seal, 3. Auflage, S. 682. 165 Chitty, A Practical Treatise on the Law of Contracts not under Seal, 3. Auflage, S. 682. 163

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Auch hier läßt sich feststellen, daß die vorvertraglichen Aufklärungspflichten für alle Verträge gelten und keine Gruppen von Verträgen gebildet werden, die diesbezüglich besonderen Regeln folgen. Der Grund für die Anerkennung vorvertraglicher Aufklärungspflichten ist die vertragliche Fairneß. Diese ist nicht mehr gewährleistet, wenn der Informationszugang für die Parteien ungleich ist. Einzig für den Versicherungsvertrag sind spezielle Regeln anerkannt, dieser wird daher auch in einem gesonderten Abschnitt behandelt. c) Story, Commentaries on Equity Jurisprudence166 Story vertritt ebenfalls einen weiten Begriff von fraud, er lehnt sich ausdrücklich an den Begriff des dolus an, wie er von Labeo und Pothier interpretiert wurde.167 Fraud umfaßt „all acts, omissions, and concealments, which involve a breach of legal or equitable duty, trust, or confidence, justly reposed, and are injurious to another, or by which an undue and unconscientious advantage is taken of another.“168 Eine Form von fraud ist „undue concealment“ oder „suppressio veri“: „The true definition, then, of undue concealment, which amounts to a fraud in the sense of a Court of Equity, and for which it will grant relief, is the non-disclosure of those facts and circumstances, which one party is under some legal or equitable obligation to communicate to the other; and which the latter has a right, not merely in foro conscientiae, but juris et de jure, to know.“169 Die Aufklärungspflicht erfaßt nur intrinsische Umstände.170 Story hat einen Grundstein für die Verträge uberrimae fidei gelegt, die von Pollock und Anson zu einer eigenständigen Kategorie entwickelt werden sollten.171 Seiner Ansicht nach erforderten im römischen Recht alle gegenseitigen Verträge „utmost good faith“, deshalb sei es dort nicht nur verboten gewesen, falsche Angaben zu machen, sondern ebenso Umstände zu verschweigen, die den Vertragsgegenstand betrafen, die der anderen Partei nicht bekannt waren, an deren Kenntnis sie aber ein großes Interesse 166

Commentaries on Equity Jurisprudence as administered in England and America, 1839. 167 Story, Equity Jurisprudence, § 186, dort zitiert er: „Dolum malum esse omnem calliditatem, fallaciam, machinationem ad circumveniendum, fallendum, decipiendum alterum adhibitam.“, Ulp. D. 4, 3, 1, 2; „On appelle Dol toute espèce d’artifice, dont quelqu’un se sert pour en tromper un autre.“, Pothier, Traité des Obligations, 1, 1, 28. Vgl. hierzu Zimmermann, Law of Obligations, S. 664 ff.; Lubbe, Voidable Contracts, S. 264 ff. 168 Story, Equity Jurisprudence, § 187. 169 Story, Equity Jurisprudence, § 207. 170 Story, Equity Jurisprudence, §§ 208 ff. 171 Siehe unten III. 2. b), c).

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C. Entwicklung im allgemeinen Vertragsrecht

hatte.172 Steigerungen von bona fides waren dem römischen Recht nicht geläufig.173 Daß Story bona fides mit „utmost good faith“ übersetzt, ist ein Indiz dafür, daß „utmost good faith“ inhaltlich nichts anderes als bona fides bedeutet. Story weist darauf hin, daß das common law strenger sei als das kontinentale Recht, denn im common law gelte das Prinzip caveat emptor, wonach der Käufer, wenn er nicht aktiv getäuscht wurde oder sich eine Eigenschaft hat vertraglich zusichern lassen, selbst dann an den Kauf gebunden sei, wenn der Kaufgegenstand versteckte Mängel habe, auf die ihn der Verkäufer nicht hingewiesen habe.174 Es gebe jedoch Fälle, in denen sowohl Courts of Law als auch Courts of Equity einer Doktrin folgten, die dem römischen Recht entspreche, wonach das Verschweigen eines Mangels den Bruch berechtigterweise entgegengebrachten Vertrauens darstelle.175 Story erklärt alle Aufklärungspflichten über den Bruch eines speziellen Vertrauens, das die eine Partei der anderen entgegengebracht hat. Als Hauptbeispiel für notwendig entgegengebrachtes Vertrauen nennt er den Versicherungsvertrag. Dort müsse der Versicherer sich notwendig darauf verlassen, daß ihm der Versicherungsnehmer alle gefahrerheblichen Umstände mitteilt, die meist nur er kennt.176 Dieselbe Regel soll gelten für den Schuldenerlaß, bestimmte familienrechtliche Verträge sowie Vergleiche zwischen einem Schuldner und mehreren Gläubigern zur Abwendung des Konkurses (compromise).177 In diesen Fällen müssen alle vertragsrelevanten Umstände offenbart werden, andernfalls ist der Vertrag ungültig bzw. anfechtbar. Hier ist die Kategorie der Verträge uberrimae fidei bereits angelegt. Die genannten Vertragstypen werden zum Teil auch heute noch zu den Verträgen uberrimae fidei gezählt. Auch die Begründung, daß die eine Partei notwendig auf die Information durch die andere vertrauen muß, ist dieselbe. Den Begriff von uberrima fides verwendet Story außerdem für fiduciary relationships. Um zu verhindern, daß das unbegrenzte Vertrauen, die Zuneigung oder das Pflichtgefühl, das in solchen Beziehungen natürlicherweise bestehe, ausgenutzt wird, sei in Geschäften zwischen Parteien, die eine solche fiduciary relationship verbindet, ein Höchstmaß von gutem Glauben („utmost degree of good faith“, „uberrima fides“) erforderlich.178 Gleiches soll für Verträge mit „persons non compotes mentis“ gelten: „Wherever, from the nature of the transaction, there is not evidence of entire good faith 172 Story, Equity Jurisprudence, § 211. Dies ist eine sehr verkürzte Sicht der vorvertraglichen Aufklärungspflichten im römischen Recht. 173 Zur bona fides im römischen Vertragsrecht siehe Schermaier, Bona fides in Roman contract law. 174 Story, Equity Jurisprudence, § 212. 175 Story, Equity Jurisprudence, § 214. 176 Story, Equity Jurisprudence, § 216. 177 Story, Equity Jurisprudence, § 217. 178 Story, Equity Jurisprudence, § 218.

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(uberrimae fidei) . . . Courts of Equity will set it aside.“179 Vor allem letzteres Beispiel zeigt, daß Story unter uberrima fides noch keine besondere Kategorie von Verträgen verstand, sondern den Ausdruck immer dann wählte, um die Bedeutung von Treu und Glauben zu betonen, wenn ein Vertragspartner wegen der Überlegenheit der anderen Partei auf deren Kooperation angewiesen war. d) Addison, A Treatise on the Law of Contracts180 Mit Addisons „A Treatise on the Law of Contracts“ erschien Mitte des 19. Jahrhunderts ein weiteres umfangreiches Werk zum Vertragsrecht. Addison behandelt vorvertragliche Aufklärungspflichten im Kapitel „Invalidity of contracts by reason of fraud and deceit“. Fraud kann nach seiner Auffassung sowohl durch ein Tun als auch durch ein Unterlassen erfüllt werden: „Fraud may consist either in a wilful misrepresentation, or an intentional concealment by one contracting party, of circumstances material to be known to the other, and which ought in good faith to have been disclosed or correctly stated.“181 An anderer Stelle heißt es dazu: „if there has been a suppressio veri, or concealment of the truth, that alone, in certain cases, and under certain circumstances, will amount to a fraud.“182 Daß mit „concealment“ nicht nur das aktive Verbergen eines Umstands gemeint ist, ergibt sich aus den Beispielen, die Addison im folgenden auflistet. Auch für ihn unterliegen alle Vertragstypen derselben vorvertraglichen Aufklärungspflicht, es handelt sich dabei nicht um eine Besonderheit, die nur eine Ausnahmegruppe von speziellen Verträgen betrifft. Ebenso wie Chitty vor ihm zitiert er sowohl versicherungsrechtliche als auch andere Entscheidungen, um diese allgemeine Aufklärungspflicht zu belegen. Dies unterstreicht ihre umfassende Geltung. Bemerkenswert ist, daß Addison ausdrücklich good faith als das die Aufklärungspflicht auslösende Moment nennt. Dies hat er aus der Entscheidung Carter v Boehm183 übernommen, die er unter anderem zum Beleg für diese Pflicht heranzieht. Die zentrale Rolle, die good faith für Addison bei der Begründung vorvertraglicher Pflichten spielt, ist auch auf den Einfluß des kontinentalen Rechts zurückzuführen. So zitiert er mehrfach Domat und Pothier in englischer Übersetzung, z. B. mit dem Satz: „Nothing but what is plainly injurious to good faith ought to be considered as a fraud sufficient to impeach a contract . . .“.184 179 180 181 182 183

Story, Equity Jurisprudence, § 228. 1. Auflage von 1847, benutzt wurde die 2. Auflage von 1849. Addison, S. 126, Hervorhebung hinzugefügt. Addison, S. 132. (1766) 3 Burr 1905; 97 ER 1162.

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In seinen Ausführungen zu fraudulent concealment beschränkt sich Addison zunächst darauf, eine Reihe von Entscheidungen mit ihren Fakten aufzulisten, ohne sich darum zu bemühen, ein allgemeines Prinzip zu formulieren, das diese Fälle miteinander verbindet. Es findet sich ein buntes Sammelsurium von Entscheidungen zum Versicherungsvertrag, zur Gesellschaft, zum Vergleich und Kaufvertrag, die ohne jede Analyse und Bewertung aneinandergereiht werden. Ausführlicher geht er dann auf Schweigen bei Abschluß eines Kaufvertrages ein. Addison ist der Ansicht, daß der Verkäufer einer hergestellten Sache ihm bekannte versteckte Mängel offenbaren muß, die den Wert der Kaufsache oder ihre Verwendbarkeit zu dem bekannten Zweck wesentlich mindern. Offenbart er solche Mängel nicht, dann begeht er ein fraudulent concealment.185 Dagegen sollen beim Kauf von Waren, die nicht hergestellt werden, insbesondere beim Pferdekauf, keine vorvertraglichen Aufklärungspflichten bestehen. Denn auch der Verkäufer könne das Pferd nur aufgrund seines äußeren Erscheinungsbilds beurteilen und habe folglich im Vergleich zum Käufer keine überlegene Kenntnismöglichkeit. Wenn der Käufer Gelegenheit habe, den Vertragsgegenstand zu untersuchen und zu beurteilen, und für ihn die gleiche Möglichkeit wie für den Verkäufer bestehe, den Mangel zu entdecken, so obliege es ihm, sich die Kenntnis über den Mangel selbst zu verschaffen, es gelte dann das Prinzip caveat emptor.186 Bei Grundstückskauf und Miete brauchen dagegen versteckte Mängel, die den Gebrauch und den Genuß des Grundstücks beeinträchtigen, nicht offenbart zu werden. Addison betont, daß sich das englische Recht insofern vom kontinentalen Recht unterscheidet, jedoch ohne die Gründe dafür zu erklären.187 In dem besonderen Fall des Kaufs unter Gewährleistungsausschluß (sale with all faults) geht Addison in der Anerkennung vorvertraglicher Aufklärungspflichten sogar weiter als die Rechtsprechung. So soll sich der Verkäufer nicht nur dann nicht auf den Gewährleistungsausschluß berufen können, wenn er den Mangel aktiv unkenntlich gemacht hat,188 sondern schon dann nicht, wenn der Kaufgegenstand einen ihm bekannten Mangel aufweist, der bei einer Untersuchung nicht zu erkennen ist, ohne daß er ihn aktiv verborgen hätte. Denn der Gewährleistungsausschluß solle den Käufer warnen und zu einer besonders gründlichen Untersuchung des Kaufgegenstandes veranlassen. Wenn aber ein Mangel auch bei besonders sorgfältiger 184

Addison, S. 130, Zitat aus Pothier, Traité des Obligations, No. 30. Addsion, S. 133. 186 Addison, S. 133. 187 Addison, S. 135. Zum kontinentalen Recht zitiert er Domat, Buch 1, Kapitel 3, Abschnitt 3.10. 188 Siehe Baglehole v Walters (1811) 3 Camp 154; 170 ER 1338; Schneider v Heath (1813) 3 Camp 506; 170 ER 1462. 185

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Untersuchung nicht zu erkennen sei, so sei die Untersuchung nutzlos. Es bestehe kein sachlicher Grund, einen Verkäufer, der einen Defekt aktiv verbirgt, anders zu behandeln als einen Verkäufer, der sich nur zunutze macht, daß der Fehler ohnehin nicht erkennbar ist. Beide sollen sich nicht durch die Klausel „sold with all faults“ von ihrer Haftung frei zeichnen können.189 Damit plädiert Addison für die Aufrechterhaltung der Regel aus Mellish v Motteux.190 Auch wenn sich Addison nicht bemüht, eine abstrakte Regel zu formulieren, so läßt sich doch erkennen, daß er von der Geltung einer allgemeinen vorvertraglichen Aufklärungspflicht ausgeht, die von den Geboten von Treu und Glauben immer dann ausgelöst wird, wenn die Parteien nicht über den gleichen Informationszugang verfügen. e) Leake, The Elements of the Law of Contracts191 „The Elements of the Law of Contracts“ von Leake eröffnet die Reihe bedeutender Vertragsrechtswerke in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Leake behandelt vorvertragliche Aufklärungspflichten im Kapitel „Formation of the contract“ im Abschnitt „Fraud“. Auch nach seiner Ansicht kann fraud sowohl durch eine Falschangabe als auch durch das Unterlassen einer Information begangen werden. Zwar heißt es, „[f]raud may be effected by an active concealment of a fact material to be known by the other party, without any express representation respecting it.“192 Dabei sind mit active concealment nur die Fälle gemeint, die heute unter konkludente misrepresentation subsumiert werden, also Fälle, in denen jemand durch ein aktives Tun einen andernfalls erkennbaren Umstand verbirgt.193 Leake begrenzt den Anwendungsbereich von fraud jedoch nicht auf diese Fälle, sondern vertritt die Ansicht, daß fraud auch durch ein reines Unterlassen (mere silence) erfüllt sein kann. Die hierfür geltenden Regeln habe Lord Mansfield in Carter v Boehm niederlegt.194 Aus diesem Urteil zitiert er deshalb die entscheidende Passage: „Good faith forbids either party, by concealing what he privately knows, to draw the other into a bargain from his igno189

Addison, S. 135, er beruft sich auf Sugden, S. 386, 387. (1792) Peake 156; 170 ER 113, hierzu siehe oben II. 2. a). Allerdings ist Addison der Meinung, daß diese Regel im Fall nicht korrekt angewendet worden sei, da es sich nicht um einen Fehler gehandelt habe, der nicht erkennbar war. Denn der Fehler war nur durch den Ballast verborgen und hätte bei einer gründlichen Untersuchung entdeckt werden können. 191 1. Auflage 1867. 192 Leake, S. 183 f. 193 Leake, S. 184. 194 Leake, S. 184. 190

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C. Entwicklung im allgemeinen Vertragsrecht

rance of that fact and believing the contrary. . .“.195 Nach Leakes Verständnis wurde in dieser Entscheidung eine für alle Verträge geltende vorvertragliche Aufklärungspflicht begründet, die aus den Geboten von Treu und Glauben folgt. Ohne dem Zitat eigene Überlegungen hinzuzufügen und ohne jede Überleitung schließt er die Darstellung einer Reihe von Gerichtsentscheidungen an, in denen vorvertragliche Aufklärungspflichten anerkannt wurden. Leake behandelt im wesentlichen dieselben Fälle wie Addison und beschränkt sich gleichfalls auf die Schilderung der Fakten. Er scheint diese Entscheidungen, die die unterschiedlichsten Vertragstypen zum Gegenstand haben, alle als Anwendungsfälle der von Lord Mansfield formulierten Aufklärungspflicht zu verstehen. Auch Leake ist noch der Ansicht, daß der Verkäufer einer Ware ein fraud begeht, wenn er den Käufer nicht auf ihm bekannte versteckte Mängel hinweist, es sei denn, die Sache wurde ausdrücklich unter Gewährleistungsausschluß (with all faults) verkauft.196 Dabei stützt er sich auf die Entscheidung Mellish v Motteux,197 die somit nach seiner Ansicht durch Baglehole v Walters198 und Schneider v Heath199 nur insoweit aufgehoben wurde, als ein Gewährleistungsausschluß vereinbart war. Auch für Leake steht eine auf alle Verträge anwendbare, aus Treu und Glauben abgeleitete vorvertragliche Aufklärungspflicht folglich nicht im Widerspruch zu dem Prinzip von caveat emptor. Fraud setzt voraus, daß die informierte Partei mit „fraudulent intention“ gehandelt hat, d.h. in dem Wissen, daß die andere Partei den Vertrag nicht geschlossen hätte, wenn ihr der verschwiegene Umstand bekannt gewesen wäre.200 Hierin liegt für Leake der Unterschied zwischen gewöhnlichen Verträgen und dem Versicherungsvertrag, bei dem die Täuschungsabsicht keine Voraussetzung für die Anfechtbarkeit ist.201 5. Zwischenergebnis Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, daß das englische Recht in seiner Haltung gegenüber vorvertraglichen Aufklärungspflichten nicht immer so streng war wie heute und der Grundsatz von caveat emptor der Anerkennung vorvertraglicher Aufklärungspflichten keineswegs entgegenstand, denn 195 196 197 198 199 200 201

Für vollständiges Zitat siehe oben B II. 2. Leake, S. 185. (1792) Peake 156; 170 ER 113. (1811) 3 Camp 154; 170 ER 1338. (1813) 3 Camp 506; 170 ER 1462. Leake, S. 182. Leake, S. 199.

II. Begrenzung von caveat emptor durch fraud

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caveat emptor war durch fraud begrenzt. Es herrschte sowohl in der Equityals auch in der common law-Rechtsprechung ein anderes Verständnis von fraud als heute, das ein weites Spektrum von Verhaltensweisen erfaßte, die verband, daß sie einen Verstoß gegen die Gebote von Treu und Glauben darstellten. Es galt als mit den Erfordernissen von good faith unvereinbar, wenn eine Partei bei Vertragsverhandlungen einen wesentlichen Umstand verschwieg, um die andere Partei aufgrund der irrigen Annahme, daß dieser Umstand nicht bestehe, zum Vertragsschluß zu veranlassen, sofern die getäuschte Partei selbst keinen Zugang zu der Information hatte. Dies erfüllte die Voraussetzungen von fraud und erlaubte der getäuschten Partei, sich vom Vertrag zu lösen. Diese Regel läßt sich auf Lord Mansfields Entscheidung in dem Fall Carter v Boehm zurückführen. Sie wurde nicht als Sonderregel für die Versicherung aufgefaßt, sondern galt für alle Verträge, einschließlich des Kaufvertrags. Es wurden keine Kategorien von besonderen Verträgen gebildet, für die im Gegensatz zu gewöhnlichen Verträgen vorvertragliche Ausklärungspflichten galten, sondern alle Verträge, bis auf die Versicherung, unterlagen derselben Regel. Für den Versicherungsvertrag galt die Besonderheit, daß sich der Versicherer schon wegen einer unverschuldeten Nichtoffenbarung eines wesentlichen Umstandes vom Vertrag lösen konnte. Es hatte sich keine streng einheitliche Terminologie herausgebildet und die Ausdrücke fraud, fraudulent concealment, undue concealment und suppressio veri wurden ohne Bedeutungsunterschied verwendet. Die Autoren behandelten die Verletzung der Aufklärungspflicht im Kapitel fraud. Sofern eine Pflicht zum Reden bestand, erfüllte bloßes Schweigen die Voraussetzungen von fraud. Diese Aufklärungspflicht stand nicht im Widerspruch zum Grundsatz von caveat emptor, denn caveat emptor setzte voraus, daß beide Parteien dieselben Möglichkeiten zur Prüfung und Untersuchung des Vertragsgegenstandes hatten, mit anderen Worten gleichen Informationszugang. Die Aufklärungspflicht wurde durch ungleichen Informationszugang ausgelöst. In der Anerkennung vorvertraglicher Aufklärungspflichten zeigte sich deutlich der Einfluß des Naturrechts. Die Aufklärungspflichten dienten der Gewährleistung der Vertragsgerechtigkeit. Dabei wurden auch von der Equity-Rechtsprechung immer schon die Selbstverantwortung des einzelnen und die Rechtssicherheit betont. Gefordert wurde nicht gleicher Informationsstand, sondern nur gleicher Informationszugang.

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C. Entwicklung im allgemeinen Vertragsrecht

III. Von fraud zu uberrima fides 1. Die divergierende Entwicklung von fraud in Equity und common law In den bisher untersuchten Werken zum Vertragsrecht war nicht thematisiert worden, ob in der Behandlung von fraud ein Unterschied zwischen common law und Equity bestand. Die Fälle, in denen entschieden wurde, daß das treuwidrige Verschweigen bestimmter Umstände bei Vertragsverhandlungen den Tatbestand des fraud erfülle, entstammten sowohl der common law- als auch der Equity-Gerichtsbarkeit. Bis etwa Mitte des 19. Jahrhunderts bestand in Equity und common law weitgehende Übereinstimmung darüber, was fraud ist.202 Seit dieser Zeit jedoch begannen die Auffassungen über fraud zu divergieren. Die common law-Gerichte hatten außer im Rahmen des tort of deceit wenig Gelegenheit, sich ausdrücklich mit Fragen von fraud zu befassen.203 Dieses Delikt wird auf die Entscheidung Pasley v Freeman204 zurückgeführt, in der erstmals anerkannt wurde, daß auch außerhalb von vertraglichen Beziehungen ein Schadensersatzanspruch wegen einer Täuschung bestehen kann. Ein Tatbestandsmerkmal des Delikts war eine falsche Angabe, bloßes Schweigen erfüllte den Tatbestand nicht.205 Weitere Voraussetzung war ursprünglich, daß die Aussage in Kenntnis ihrer Unwahrheit (scienter) gemacht wurde.206 Über die subjektiven Voraussetzungen entbrannte in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts ein Streit zwischen dem Court of Exchequer und dem Court of Queen’s Bench, nach dessen Ansicht fahrlässige Unkenntnis genügen sollte.207 Doch der Court of Exchequer setzte sich schließlich mit seiner strengen Auffassung durch, daß das tort of deceit nur dann erfüllt ist, wenn Kenntnis und Täuschungsabsicht gegeben sind.208 202

Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441, 471. Ibbetson, S. 208. 204 (1789) 3 Term Rep 51; 100 ER 45. 205 Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441, 459. 206 Teeven, S. 138; Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441, 459. 207 Zum Streit ob sog. „moral fraud“ vorliegen mußte, oder „legal fraud“ den Voraussetzungen von deceit genügte, siehe Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 473; Lobban, (1996) 112 LQR 287, 308 ff.; Lubbe, Voidable Contracts, S. 272 ff. Zur Lösung des Streits siehe Cornfoot v Fowke (1840) 6 M & W 358; 151 ER 450; Omrod v Huth (1845) 14 M & W 650; 59 ER 636. Der Court of Exchequer war ursprünglich ein Finanzgericht, der später seinen Kompetenzbereich auf weitere Gebiete (debt und covenant) ausdehnte. Der Court of King’s (oder Queen’s) Bench war zunächst zuständig in Fällen, die das öffentliche Interesse berührten, vor allem für unerlaubte Handlungen und Straftaten. Zuständigkeit in Vertragsangelegenheiten bekam der Court of King’s Bench erst, als im späten 16. Jahrhundert das writ of assumpsit das writ of debt abzulösen begann. Vgl. Henrich, S. 4 f. 203

III. Von fraud zu uberrima fides

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In der Equity spielte fraud für verschiedene Rechtsbehelfe eine zentrale Rolle. Fraud war ein Einwand gegen eine Verurteilung zu specific performance und berechtigte die benachteiligte Partei, die Auflösung (rescission) des durch fraud zustande gekommenen Vertrages zu verlangen. Diese beiden Rechtsbehelfe unterlagen der ausschließlichen Zuständigkeit der Equity-Gerichte.209 Außerdem konnte die Chancery jemanden, der ein fraud begangen hatte, dazu verurteilen „to make good his representations“. Wenn dies nicht in natura möglich war, konnte der Schädiger auch zur Leistung einer Geldkompensation (compensation, indemnity) verurteilt werden.210 Zwar war dieser Rechtsbehelf kein Schadensersatzanspruch im strengen Sinne, aber indem jemand für den ihm durch eine falsche Angabe entstandenen Schaden eine Kompensation erhielt, erfüllte dieser Rechtsbehelf dieselbe Funktion wie das tort of deceit. Insoweit herrschte zwischen den Equity- und common law-Gerichten eine konkurrierende Zuständigkeit. Dies führte zu Schwierigkeiten, sobald sich die Voraussetzungen für fraud in beiden Gerichtszweigen zu unterscheiden begannen und die EquityGerichte fraud über seine traditionellen Grenzen hinaus ausdehnten.211 Die Anforderungen, die die Equity-Gerichte an fraud stellten, wurden immer geringer. Ursprünglich setzte fraud in diesem Zusammenhang auch in der Equity eine bewußt unzutreffende Angabe voraus. Das Erfordernis der Kenntnis von der Unrichtigkeit wurde Mitte des 19. Jahrhunderts aufgegeben. Von da an haftete schon aus fraud, wer nur fahrlässig eine unzutreffende Angabe gemacht hatte.212 Obwohl sich der Streit zwischen Equity und common law, der mit einiger Schärfe ausgefochten wurde,213 nicht um die Rechtsfolgen unterlassener Angaben, sondern hauptsächlich um die Frage drehte, ob ein Schadensersatzanspruch nur bei Vorsatz besteht oder ob dafür eine fahrlässige oder gar unschuldige Falschangabe ausreicht, ist darauf kurz einzugehen, denn ohne diesen Streit wäre es nicht zur Schöpfung der Kategorie der Verträge uberrimae fidei gekommen. 208 Scott v Dixon (1859) 29 LJNS Ex 62n; ER; Bale v Cleland (1864) 4 F & F 117; 176 ER 494. 209 Nocton v Lord Ashburton [1914] AC 932, 952. 210 Lubbe, Voidable Contracts, S. 272. 211 Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441; Lubbe, Voidable Contracts, S. 272. 212 Dies wurde dann „legal fraud“ im Gegensatz zu „moral fraud“ genannt. Zu den Voraussetzungen der misrepresentation in Equity siehe Lubbe, Voidable Contracts, S. 272 f. 213 Zu diesem Streit vgl. Lubbe, Voidable Contracts, S. 273 f.; siehe Bramwells Bemerkungen in Weir v Bell (1878) Ex D 243: „I do not understand legal fraud. To my mind it has no more meaning than legal heat or legal cold, legal light or legal shade . . .“.

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C. Entwicklung im allgemeinen Vertragsrecht

Der Konflikt über die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Schaden zu ersetzen ist, den jemand aufgrund einer unzutreffenden Angabe eines Dritten erlitten hat, wurde vor allem in einigen gesellschaftsrechtlichen Entscheidungen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts virulent. Ähnlich wie gegen Ende des 18. Jahrhunderts die entscheidenden Impulse zur Entwicklung des Vertragsrechts vom Recht der Seeversicherung ausgegangen waren, war das Gesellschaftsrecht in dieser Zeit der Schrittmacher für die Entwicklung des Rechts der Haftung für unzutreffende und unterlassene Angaben. Das tort of deceit und das Rechtsinstitut der misrepresentation erhielten ihre moderne Gestalt in Entscheidungen zur Prospekthaftung.214 In dieser Zeit waren die Gerichte mit den rechtlichen Folgen einer Reihe von Unternehmenszusammenbrüchen konfrontiert.215 Mit fraud anläßlich der Gründung von Gesellschaften und Spekulationen im großen Stil waren die Gerichte überhaupt erst seit der Mitte der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts befaßt. Seit dieser Zeit erlebte England etwa alle zehn Jahre einen Boom an Gesellschaftsgründungen, jeweils gefolgt von einem Börsenkrach. Betrügerische Gesellschaftsgründungen waren vor allem in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts für die Öffentlichkeit Anlaß zur Beunruhigung.216 Viele Anleger waren auf sogenannte „bubble companies“ hereingefallen und versuchten, ihrer Haftung als Aktionäre zu entkommen, indem sie den Aktienerwerb mit der Begründung anfochten, daß sie durch irreführende Emissionsprospekte der Direktoren oder Gründer dazu veranlaßt worden seien, sich an dem Unternehmen zu beteiligen. Dies war in der Rechtsprechung der Chancery ein fraud und berechtigte zur Anfechtung (rescission).217 Die Gerichte standen in all diesen Fällen vor der Entscheidung, wie die durch das Scheitern des Unternehmens verursachten Verluste unter letztlich unschuldigen Parteien, nämlich den getäuschten Aktionären und den Gläubigern der Gesellschaft, zu verteilen sind. Zum Schutz der Gläubiger wurde der Rechtsbehelf der rescission zeitlich begrenzt. Er mußte innerhalb eines vernünftigen Zeitraums geltend gemacht werden und war nicht mehr möglich, wenn bereits die Liquidation begonnen hatte.218 Dann blieb den Aktionären nur noch der Weg, von den Direktoren oder Gründern Schadensersatz zu verlangen. In dieser Situation bestand eine konkurrierende Zuständigkeit zwischen dem common law tort of deceit und dem Rechtsbehelf der compensation der Equity. Den Streit, unter welchen Voraussetzungen für falsche oder unterlassene Angaben ein Schadensersatzanspruch besteht, löste der Court of Chancery 214 215 216 217 218

Müller, S. 118. Eingehend hierzu Lobban, (1996) 112 LQR 287, 289. Lobban, (1996) 112 LQR 287, 313. Hierzu ausführlich unten D II. 1. Oakes v Turquand (1867) LR 2 HL 325.

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in der Entscheidung Peek v Gurney219 im Sinne des common law tort of deceit. Auf diesen Fall soll schon an dieser Stelle und nicht erst bei der Behandlung der Einzelheiten des Erwerbs von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft näher eingegangen werden, weil diese Entscheidung maßgeblich dafür herangezogen wurde, um zu begründen, daß bloßes Schweigen (mere non-disclosure) nicht von fraud erfaßt wird. Die Entscheidung zwingt jedoch in keiner Weise zu dieser Schlußfolgerung. Peek v Gurney ist eine von mehreren grundlegenden Entscheidungen, die mit den rechtlichen Folgen eines der spektakulärsten Unternehmenszusammenbrüche der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts befaßt waren, dem Scheitern von Overend Gurney & Co, einem sehr bedeutenden und etablierten Bankhaus in England, das großes Vertrauen genossen hatte.220 Mitte der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts stand das Bankhaus praktisch vor dem Konkurs. Um Kapital zu beschaffen, gründeten die Inhaber eine Aktiengesellschaft, in die sie die Bank einbrachten. Sie waren der Überzeugung, die Bank mit Hilfe des neuen Kapitals erfolgreich weiterführen zu können. Im Emissionsprospekt erwähnten sie jedoch nicht, daß die Bank vor dem Ruin stand und diese Art der Kapitalbeschaffung der einzige Weg war, die Bank zu retten. Der Kläger hatte Aktien dieser Aktiengesellschaft erworben. Er hatte jedoch seine Aktien nicht bei der Emission gezeichnet, sondern später auf dem freien Markt gekauft. Als das Unternehmen trotz des neuen Kapitals wenige Jahre später scheiterte, wurde er als Aktionär von nicht voll eingezahlten Aktien dazu verurteilt, große Summen nachzuschießen. Der Kläger machte nun geltend, daß er durch den Prospekt, in dem die Direktoren die drohende Insolvenz bewußt verschwiegen hätten, zum Kauf der Aktien veranlaßt worden sei, die er bei Kenntnis der wahren Umstände nicht erworben hätte. Er konnte jedoch mit dieser Begründung den Aktienkauf nicht mehr anfechten, da die Liquidation der Gesellschaft bereits begonnen hatte. Deshalb verklagte er die Direktoren auf Schadloshaltung (indemnity). Sir John Romilly MR wies die Klage in erster Instanz ab, weil der Kläger seine Ansprüche zu spät geltend gemacht habe.221 Er erkannte jedoch im Grundsatz einen Ersatzanspruch eines Aktienkäufers, der im Vertrauen auf einen Ausgabeprospekt gehandelt hat, in dem die Direktoren wesentliche Umstände verschwiegen haben, und der dadurch einen Schaden erlitten hat, gegen die Direktoren an. Dabei soll es keine Rolle spielen, daß der Aktionär die Aktien nicht bei Ausgabe gezeichnet, sondern erst später auf dem freien Markt erworben hat, wenn der Prospekt noch im Umlauf war und er im Vertrauen auf die darin enthaltenen Angaben gehandelt hat. Er 219 220 221

(1873) 6 LR (HL) 377. Lobban, (1996) 112 LQR 287, 317. (1871) 13 LR Eq 79.

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C. Entwicklung im allgemeinen Vertragsrecht

genieße im gleichen Umfang Schutz wie der Aktionär bei Gründung. Irrelevant sei außerdem, daß die Direktoren ohne jede Schädigungsabsicht und in der Überzeugung gehandelt hätten, daß auch die Aktionäre letztlich große Gewinne machen würden: „It is the suppressio veri or the suggestio falsi which is the foundation of the right to relief in equity, and this exists whether it were fraudulently or mistakenly done.“222 Dieser weitgehende Anspruch auf Schadloshaltung wegen des Verschweigens eines wesentlichen Umstandes wurde vom House of Lords abgelehnt.223 Lord Chelmsford forderte für den Fall, daß die Equity für das Verschweigen eines Umstands als Rechtsbehelf eine Entschädigung gewährt, Gleichlauf mit dem tort of deceit: „This case is entirely different from suits insituted either to be relieved from, or for the enforcement of, contracts induced by the fraudulent concealment of facts which ought to have been disclosed . . . It is precisely analogous to the common law action for deceit. There can be no doubt that Equity exercises a concurrent jurisdiction in cases of this description, and the same principles applicable to them must prevail both at law and in Equity. I am not aware of any cases in which an action at law has been maintained against a person for an alleged deceit, charging merely his concealment of a material fact which he was morally but not legally bound to disclose.“224

Ausschlaggebend war, daß der Kläger in bezug auf den Prospekt als Dritter angesehen wurde. In den frühen Entscheidungen zur Prospekthaftung (dazu ausführlich später225) wurde immer betont, daß die Aussagen im Prospekt bei der Aktienzeichnung die Stellung von representations bei gewöhnlichen Vertragsverhandlungen einnehmen. Sie richten sich an den Vertragspartner, also denjenigen, der anläßlich der Emission Aktien zeichnet. Die Direktoren einer Gesellschaft sind verpflichtet, in diesem Prospekt alle wesentlichen Informationen, zu denen der Aktienerwerber keinen Zugang hat, zu offenbaren. Mit der Emission soll der Emissionsprospekt jedoch seine Wirkung verlieren.226 Aktionäre, die erst später auf dem freien Markt von den Erstaktionären Aktien erwerben, können sich nicht auf den Prospekt berufen, da er sich nicht an sie richtet. Dieser Aktienerwerb vollzieht sich zwischen dem Erwerber und dem Erstaktionär, nicht zwischen dem Erwerber und den Direktoren des Unternehmens. Da die Direktoren nach dieser Vorstellung nicht an den Vertragsverhandlungen beteiligt sind, treffen sie auch keine diesbezüglichen Verhaltenspflichten. Der Prospekt hat in dieser Konstellation nicht die Funktion von Aussagen bei Vertragsverhandlungen, 222 223 224 225 226

(1871) 13 LR Eq 79, 113. (1873) 6 LR (HL) 377. (1873) 6 LR (HL) 377, 390 per Lord Chelmsford. D II. 1. (1873) 6 LR (HL) 377, 410.

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sondern enthält die Aussagen eines Dritten, der nichts mit den Verhandlungen zu tun hat. Hier liegt die Parallele zum tort of deceit. Das tort of deceit gewährt einen Schadensersatzanspruch, wenn jemandem durch eine falsche Angabe eines anderen ein Schaden entstanden ist. Zwischen dem Geschädigten und demjenigen, der die falsche Angabe gemacht hat, brauchen keine besonderen Beziehungen, wie etwa ein Vertragsverhältnis, zu bestehen. Es geht um die Frage der Haftung für Schäden, die einem beliebigen Dritten entstehen, oder anders ausgedrückt um Verhaltenspflichten, die gegenüber jedermann und nicht nur gegenüber einem Vertragspartner gelten. Der Anspruch ist deliktischer, nicht vertraglicher Natur. Voraussetzung für die Haftung aus dem tort of deceit ist eine aktive Täuschung, die in Täuschungsabsicht begangen wurde. Diese Voraussetzungen übertrugen die Richter auf den vorliegenden Fall, in dem es um die Haftung von Dritten, der Direktoren, für das Verschweigen von Umständen im Vorfeld eines Vertragsschlusses ging: „Mere non-disclosure of material facts, however morally censurable, however that non-disclosure might be a ground in a proper proceeding at a proper time for setting aside an allotment or a purchase of shares, would in my opinion form no ground for an action in the nature of an action for misrepresentation. There must, in my opinion, be some active misstatement of fact, or, at all events, such a partial and fragmentary statement of fact, as that the withholding of that which is not stated makes that which is stated absolutely false.“227

In Peek v Gurney wurde nur entschieden, unter welchen Voraussetzungen vor den Equity-Gerichten ein seiner Natur nach deliktischer Anspruch auf Schadensersatz besteht, wenn jemand durch die falsche oder unterlassene Information eines Dritten einen Schaden erlitten hat. Nicht entschieden wurde die Frage, ob ein Aktionär, der schon anläßlich der Emission Aktien gezeichnet hat, sich wegen des Verschweigens der Insolvenz vom Vertrag hätte lösen oder von den Direktoren hätte Schadloshaltung verlangen können. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine vorvertragliche Aufklärungspflicht besteht, deren Verletzung ein fraud darstellt, blieb von Peek v Gurney unberührt. Dennoch wurde die Entscheidung später so interpretiert, als würde die Equity-Rechtsprechung, wenn es um falsche oder unterlassene Informationen bei Vertragsverhandlungen geht, nur noch unter den engen Voraussetzungen des tort of deceit ein fraud annehmen. Tatsächlich wurde auch in der Folge für die Equity-Rechtsprechung nie entschieden, daß fraud gleichbedeutend ist mit dem tort of deceit und daß ein Anfechtungsrecht nur unter den Voraussetzungen des tort of deceit möglich sein soll, also nur im Fall wissentlich unzutreffender Aussagen.228 Diese Vor227

(1873) 6 LR (HL) 377, 403 per Lord Cairns. Siehe Arkwright v Newbold (1881) 17 Ch D 301, 320 per Cotton LJ, wo betont wurde, daß es sich bei dem common law tort of deceit und dem Rechtsbehelf 228

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C. Entwicklung im allgemeinen Vertragsrecht

aussetzungen des tort of deceit wurden durch die Entscheidung Derry v Peek229 endgültig festgeschrieben. Das Delikt betrifft aber nur die Frage, wann Schadensersatz zu leisten ist, wenn durch eine unzutreffende Angabe jemand getäuscht und geschädigt wurde, zu dem keine vertragliche Beziehung besteht, also ein beliebiger Dritter. Unberührt von Derry v Peek blieb die Frage, welche Pflichten im Verhandlungsstadium gegenüber einem Vertragspartner bestehen und welche Rechte dieser aus unzutreffenden oder unterlassenen Angaben in Equity ableiten kann.230 2. Entstehung der Ausnahmegruppe der Verträge uberrimae fidei a) Zur Bedeutung von Anson und Pollock Mit der Schwierigkeit, daß mit fraud im common law und in der Equity unterschiedliche Rechtsinstitute bezeichnet wurden, sahen sich Pollock und Anson konfrontiert, die es als erste nach der Herstellung der Rechtseinheit durch die Judicature Acts231 unternahmen, grundlegende Werke zum Vertragsrecht zu schreiben. Sir Frederick Pollock (1845–1937) hatte in Cambridge Altertumswissenschaften und Mathematik studiert und anschließend einige Jahre als Anwalt in London verbracht.232 Seine Anwaltskarriere war nicht sehr erfolgreich gewesen, allerdings hatte Pollock in dieser Zeit sein Interesse für die Rechtswissenschaft entdeckt. Er kehrte zurück an die Universität und wurde Professor in Oxford. Pollock schrieb eine Reihe von bedeutenden Lehrbüchern, nicht nur zum Vertragsrecht, und war der Gründer und Herausgeber der ersten juristischen Zeitschrift in England, der Law Quarterly Review (1885). Ebenso wie Pollock hatte auch Sir William Reynell Anson (1843–1914) Altertumswissenschaften studiert und einige erfolgder rescission in Equity um zwei eigenständige Rechtsbehelfe handelt, die jeweils eigenen Voraussetzungen folgen. Obwohl die Voraussetzungen für das tort of deceit nicht vorliegen, können trotzdem die Voraussetzungen der rescission erfüllt sein. Insbesondere kann das Verschweigen eines Umstands ein Anfechtungsrecht auslösen. 229 (1889) 14 App Cas (HL) 337; zum tort of deceit im heutigen Recht siehe z. B. Markesinis/Deakin, Tort Law, S. 372 ff. 230 Derry v Peek (1889) 14 App Cas (HL) 337, 359 per Lord Herschell; Nocton v Ashburton [1914] AC 932, 947, 951 ff. per Viscount Haldane LC, der ausführlich darlegt, daß fraud in der Equity-Rechtsprechung weiter verstanden wird als im common law. In der Rechtsprechung der Chancery wird unter fraud jedes Verhalten verstanden, das gegen die „dictates of conscience“ verstößt. 231 Zu den Judicature Acts vgl. Keeton/Sheridan, S. 53 ff. 232 Zu Leben und Bedeutung Pollocks siehe: Holdsworth, Some Makers of English Law, S. 279 ff.; Schwarz, Sir Frederick Pollock und die englische Rechtswissenschaft, S. 43 ff.; Gareth H. Jones, in: Simpson, Biographical Dictionary of the Common Law, S. 421 ff.

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lose Jahre als Anwalt verbracht, bevor er als Professor für englisches Recht an die Universität Oxford zurückkehrte.233 Seit 1881 war er Warden des All Souls College, eine Position, die ihm erlaubte, maßgeblichen Einfluß auf die Politik der Universität zu nehmen. Im Jahr 1876 erschien Pollocks „Principles of Contract at Law and in Equity“, gefolgt von Ansons „Principles of the English Law of Contract“ drei Jahre später. Vor Pollock und Anson hatte die Wissenschaft die Systematisierung des Rechts nur soweit vorangetrieben, wie es notwendig war, um die richterliche Praxis nachzuvollziehen.234 Die Doktrin lebte ganz von der Praxis und begnügte sich damit, deren Ergebnisse in eine mehr oder minder systematische Ordnung zu bringen. Von Simpson wurde dies so beschrieben: „[Until Anson and Pollock] there existed no literary tradition of expounding the law of contract in a form which invites the reader to proceed to the solution of problems by applying general principles of substantive law, principles under which the messy business of life is subsumed under ideal aseptic types of transaction, the types themselves being analysed and their legal consequences presented, in a systematic form.“235

Die Aufgabe, das Vertragsrecht in ein rationales System zu fassen, fiel Pollock und Anson zu. Der Einfluß des akademischen Schriftums auf das moderne Vertragsrecht, besonders von Pollock und Anson, den ersten Akademikern, die treatises schrieben,236 ist weitaus bedeutender als lange Zeit angenommen wurde.237 Nach der These Atiyahs ist das moderne englische Vertragsrecht sogar weitgehend die Schöpfung von Anson und Pollock;238 ihr Anteil an der Entwicklung eines allgemeinen Vertragsrechts sei als min233 Zu Leben und Werk Ansons siehe Victor Tunkel in: Simpson, Biographical Dictionary of the Common Law, S. 10 ff. 234 Atiyah, Pragmatism and Theory in English Law, S. 35, 37; Vogenauer, Band II, S. 923 ff. 235 Simpson, (1975) 91 LQR 247, 251. 236 Simpson, (1981) 48 Univ.Chi.L.Rev. 632, 664; Pollock verfaßte seine Werke während seiner Zeit als Corpus Professor of Jurisprudence an der Universität Oxford. Anson schrieb sein Buch zum Vertragsrecht kurz bevor er zum Warden vom All Souls College in Oxford ernannt wurde. Die früheren Autoren stammten meist aus der Praxis, sie schrieben aus Gründen der Werbung bevor sie an die bar berufen wurden (Chitty, Sugden, Archbold), oder weil sie nicht mehr praktizieren konnten, wie z. B. Leake, der wegen seiner Taubheit seine Karriere als Anwalt beenden mußte, hierzu siehe Simpson, (1981) 48 Univ.Chi.L.Rev. 632, 664 m. w. N. 237 Dies wurde nachgewiesen durch Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract; idem, Pragmatism and Theory in English Law, S. 169–173; Simpson, (1975) 91 LQR 247 ff. Zum Einfluß des akademischen Schrifttums vgl. Zimmermann, ZEuP 1 (1993), 4, 37–50; idem, AcP 193 (1993), 121 ff., 130 f. 238 Atiyah, Pragmatism and Theory in English Law, S. 170. Diese These wurde von Atiyah in The Rise and Fall of Freedom of Contract entwickelt.

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destens ebenso bedeutend wie der aller Richter des 19. Jahrhunderts zusammen anzusehen. Ihnen sollen zwei wesentliche Neuerungen zu verdanken sein.239 Zum einen entwickelten sie die Idee eines allgemeinen Vertragsrechts, das vom Vertragstyp und den unterschiedlichen Personen, die Verträge schließen, unabhängig ist. Dies erleichterte die Vorstellung, daß das Vertragsrecht neutral ist und allen Vertragsparteien gleichermaßen Schutz gewährt, und erschwerte die Rechtfertigung für paternalistisches Eingreifen. Sie betonten, daß das Vertragsrecht alle gleichbehandeln sollte; alle Verträge basierten auf dem wirtschaftlichen Bestreben nach einem freien und wertsteigernden Austausch und verdienten es daher gleichermaßen, aufrechterhalten zu werden. Zum anderen haben sie dem Recht eine neue Form und Struktur gegeben. Anson und Pollock betrieben Recht als Wissenschaft. Sie glaubten, daß das Privatrecht im wesentlichen aus einem verborgenen System von Prinzipien bestehe, deren Funktionsweise man in den Entscheidungen der Gerichte erkennen könne, wo sie entwickelt und angewendet werden. Die Aufgabe der Literatur sollte sein, diese nach Art einer Wissenschaft in einer rationalen und geschlossenen Form darzustellen.240 So schreibt Pollock in seinem Werk über Torts: „. . . this is a book of principles if it is anything. Details are used, not in the manner of a digest, but so far as they may seem called for to develop and illustrate the principles.“241 In dieser rationalen, abstrakten Betrachtungsweise lag der Unterschied zum Fallrecht, denn die Richter mußten sich unvermeidbar immer mit einem spezifischen Vertragstyp auseinandersetzen und waren nicht gezwungen, allgemeine Prinzipien zu formulieren. Nach Atiyahs Ansicht geht das heutige Verständnis von den Anfechtungs- und Nichtigkeitsgründen wie mistake, misrepresentation, fraud und undue influence auf Pollock und Anson zurück.242 Zum Teil haben sie das Recht, das sie beschreiben, eher erfunden als vorgefunden. Es sei nicht leicht festzustellen, welcher Anteil des Vertragsrechts, das Pollock und Anson zu einem System geformt haben, so aus den Gerichtsentscheidungen hervorging und welcher Anteil ihrem Verständnis von einem rationalen System des Vertragsrechts zu verdanken ist, wie es nach ihrer Vorstellung sein sollte, inspiriert durch das römische und kontinentale Recht und wohl auch das Naturrecht.243 Als Beispiele für Rechtsfiguren, die keine Grundlage im Fallrecht finden, sondern Ansons und Pollocks Idee des Vertragsrechts zu239 Zum folgenden siehe Atiyah, Pragmatism and Theory in English Law, S. 170 ff. 240 Simpson, (1981) 48 Univ.Chi.L.Rev. 632, 666. 241 Pollock, The Law of Torts, S. viii. 242 Atiyah, Pragmatism and Theory in English Law, S. 171 ff. 243 Atiyah, Pragmatism and Theory in English Law, S. 172; Gordley, S. 136.

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zuschreiben sind, nennt Atiyah den Rechtsbindungswillen (intention to create legal relations) und die doctrine of privity. Darüber hinaus sei es schwierig, Beispiele zu benennen, da der englische Jurist heute die von Pollock und Anson geschaffene klassische Vertragstheorie so sehr verinnerlicht habe, daß es ihm unmöglich sei, die Entscheidungen des 19. Jahrhunderts losgelöst von seinem Vorverständnis zu lesen, das die Fälle sofort in dieses System einfügt.244 Wie sich im Anschluß im einzelnen zeigen wird, läßt sich auch die Kategorie der Verträge uberrimae fidei in die Reihe der Beispiele einordnen. Pollock und Anson waren in einem stärkeren Maß kreativ tätig, als sie zu erkennen gaben. In ihre Darstellung des Vertragsrechts als geschlossenes rationales System, wie es nach ihrer Vorstellung sein sollte, fügten sie Gerichtsentscheidungen ein, die scheinbar ihre Thesen stützen, denn „. . . it is a feature of expository legal literature that its originality, its innovatory force, must, by the conventions of the system, be concealed . . . what the writer says appears more persuasive if it is the same as what others have said.“245 Tatsächlich manipulierten sie zu diesem Zweck zuweilen die Zitate: Sie lösten sie aus dem Gesamtzusammenhang des Urteils, das für eine ganz andere oder eingeschränktere Auffassung stand oder brachten Zusätze an, ohne diese kenntlich zu machen. Fälle, die sich nicht in das System einfügten, ließen sie dagegen unter den Tisch fallen. Ansons und Pollocks Anspruch der Wissenschaftlichkeit verlangte die einheitliche Verwendung eindeutig definierter Begriffe. Da störte es natürlich, daß fraud eine unterschiedliche Bedeutung hatte, abhängig davon, ob es um einen Rechtbehelf des common law oder der Equity ging. So schreibt Pollock: „The ambiguous use of the word leads to unfounded charges of fraud in the strict sense on the one hand, and on the other hand to the absence of fraud in that sense being set up in answer to a case which is really of a quite different kind.“246 An anderer Stelle mokiert er sich über die „wonderfully miscellaneous contents“ der Kapitel zu fraud in Storys Werk.247 Anson und Pollock hatten also die Hürde zu überwinden, daß sie einen einheitlichen Begriff von fraud definieren mußten, den es so nicht gab. Denn wie gesehen war fraud für das common law praktisch gleichbedeutend mit dem tort of deceit, während vor den Equity-Gerichten fraud schon durch einen Verstoß gegen die Gebote von Treu und Glauben erfüllt sein konnte. Bei der Prägung eines einheitlichen fraud-Begriffs ging die auf 244

Atiyah, Pragmatism and Theory in English Law, S. 173. Simpson, (1975) 91 LQR 247, 254. 246 Pollock, Principles of Contract, S. 445 Fn (a). 247 Pollock, Principles of Contract, S. 445 Fn (a), gemeint ist Story, Commentaries on Equity Jurisprudence. 245

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C. Entwicklung im allgemeinen Vertragsrecht

Treu und Glauben gegründete vorvertragliche Aufklärungspflicht verloren, statt dessen entstand die Fallgruppe der Verträge uberrimae fidei. b) Pollocks Konzeption der vorvertraglichen Aufklärungspflichten Schon im Aufbau zeigt sich, daß Pollock in seinen „Principles of Contract at Law and in Equity“ einen anderen Ansatz wählt als die Autoren vor ihm. Statt in einem einzigen Kapitel zu fraud alle Fragen der Falschangaben und treuwidrig unterlassenen Informationen zu behandeln, teilt Pollock diesen Fragenkreis in die beiden eigenständigen Kapitel „Misrepresentation“ und „Fraud and Rescission“ auf. Im Zentrum steht die Unterscheidung von fraudulent und non-fraudulent misrepresentation. Zunächst stellt sich Pollock die Aufgabe, einen einheitlichen Begriff von fraud zu prägen. Denn mit seinem Ziel, ein rationales System des Vertragsrechts zu schaffen, waren zwei unterschiedliche Begriffe von fraud, abhängig davon, ob es um einen Rechtsbehelf der Equity oder des common law geht, nicht vereinbar. Dabei suggeriert er, daß es tatsächlich einen einheitlichen Begriff von fraud gäbe, über den lediglich in der Praxis eine gewisse Verwirrung bestehe. Diese Konfusion soll hauptsächlich aus dem weiten Verständnis von fraud in der Rechtsprechung der Equity rühren, die fraud als nomen generalissimum gebrauchte, um die eigene Zuständigkeit auszuweiten, so daß von fraud beinahe jedes Verhalten erfaßt sein konnte.248 Pollock verwischt damit, daß in der Rechtsprechungspraxis die Voraussetzungen für fraud als Anfechtungsgrund tatsächlich andere waren, als jene für Schadensersatz aus dem Delikt fraud (tort of deceit). Der von Pollock gewählte einheitliche Begriff von fraud entspricht dem des common law tort of deceit. Voraussetzung für fraud ist demnach, daß sich die eine Vertragspartei in einem Irrtum befindet, der durch eine ausdrückliche oder konkludente Aussage der anderen Partei veranlaßt wurde, die in der Absicht handelte, den Vertragspartner dadurch zum Vertragsschluß zu veranlassen, und die selbst nicht an den Wahrheitsgehalt ihrer Aussage geglaubt hat.249 Es ist also eine Handlung erforderlich, bloßes Schweigen ist von diesem fraud-Begriff nicht mehr erfaßt. Die Figur des fraudulent nondisclosure existiert in Pollocks Vertragstheorie nicht mehr. Zwar enthält das Kapitel einen Abschnitt zu „fraudulent concealment“.250 Damit meint Pollock jedoch nicht reine Unterlassungen, sondern es muß ein aktives Moment hinzutreten, mit dem verhindert wird, daß der Vertragspartner von einem vertragswesentlichen Umstand erfährt. Pollock wählt für dieses Verhalten 248 249 250

Pollock, Principles of Contract, S. 444. Pollock, Principles of Contract, S. 471. Pollock, Principles of Contract, S. 473.

III. Von fraud zu uberrima fides

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den Begriff „active concealment“ und nennt folgende Beispiele:251 Maßnahmen, um Fehler der verkauften Sache zu verbergen, sowie Halbwahrheiten, die zwar richtig sind, soweit sie reichen, aber Auslassungen enthalten, die die Gesamtaussage verändern. Ein weiteres Beispiel ist, es zu unterlassen, die andere Partei auf einen Irrtum hinzuweisen, zu dessen Erregung man selbst beigetragen hat. Dazu gehört auch der Fall, daß eine Partei unwissentlich eine unzutreffende Angabe gemacht hat, die sie nicht berichtigt, nachdem sie erfahren hat, daß sie falsch ist. Pollocks Verständnis von fraudulent concealment ist damit begrenzt auf die Konstellationen, die bisher als „aggressive“ oder „active concealment“252 bezeichnet wurden und die heute vom Rechtsinstitut der misrepresentation erfaßt sind.253 Die Fälle, in denen die Gerichte entschieden hatten, daß auch reines Schweigen ohne Hinzutreten einer Handlung die Voraussetzungen von fraud erfüllen kann, auf die sich Chitty, Addison und Leake gestützt hatten, um ihr weites Verständnis von fraud zu erklären,254 kommen bei Pollock nicht mehr vor. Die Vorstellung, daß auch bloßes Schweigen mit Täuschungsabsicht fraudulent sein kann, weil dadurch der Vertragspartner ebenso irregeführt werden kann wie durch eine falsche Angabe, ist verschwunden. Die genannten engen Voraussetzungen von fraud sollen nach Pollock sowohl für den Schadensersatzanspruch als auch für das Anfechtungsrecht gelten.255 Grundsätzlich soll eine Partei nur im Fall einer fraudulent misrepresentation, d.h. einer misrepresentation, die den Tatbestand des fraud erfüllt, zur Anfechtung berechtigt sein. Da der von Pollock aufgestellte fraudBegriff aber nicht durch reines Schweigen erfüllt wird, hat seine Definition von fraud zur Folge, daß den Entscheidungen, in denen ein Anfechtungsrecht wegen des Verschweigens eines vertragswesentlichen Umstandes anerkannt wurde, die Grundlage entzogen wird. Um die in diesen Entscheidungen anerkannten Anfechtungsrechte ohne Bruch mit seinem System und ohne Widerspruch zu seinem Begriff von fraud erklären zu können, muß Pollock das Anfechtungsrecht auf eine andere Grundlage als fraud stützen. Hierfür bleibt ihm bei seiner Dichotomie von fraudulent und non-fraudulent (oder innocent) misrepresentation nur das Rechtsinstitut der non-fraudulent misrepresentation. Die Anerkennung eines Anfechtungsrechts für Schweigen bei Vertragsverhandlungen auf der Grundlage einer innocent misrepresentation begegnet 251

Pollock, Principles of Contract, S. 473. Z. B. Keates v Cadogan (1851) 10 CB 591, 600; 138 ER 234, 238. 253 Hierzu siehe A II. 1. 254 Z. B. Carter v Boehm (1766) 3 Burr 1905; 97 ER 1162; Mellish v Motteux (1792) Peake 156; 170 ER 113; Hill v Gray (1816) 1 Stark 434; 171 ER 521; Horsfall v Thomas (1862) 1 H & C 90; 158 ER 813. 255 Pollock, Principles of Contract, S. 445. 252

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jedoch zwei Schwierigkeiten, die es zu überwinden gilt. Zum einen muß Pollock darlegen, daß jede Form von Schweigen, egal ob vorwerfbar oder nicht, einer unverschuldeten Falschangabe (innocent misrepresentation) entspricht. Zum anderen besteht das Problem, daß eine innocent misrepresentation außer im Fall des Versicherungsvertrages keinen Rechtsbehelf – weder ein Anfechtungsrecht, noch einen Schadensersatzanspruch – auslöst.256 Pollock überwindet beide Hürden, indem er eine Passage aus dem Urteil Behn v Burness257 zitiert, die er für seine Zwecke etwas abwandelt: „The judgment . . . goes on to state that, apart from fraud, which must be separately considered, and apart from certain exceptional classes of contracts, the validity of a contract is not affected if a representation so [innocently] made is found to be untrue (much less if there is a mere omission to state a material fact), nor is such untruth or omission any cause of action (that is, of a separate independent action in tort).“258

Die Aussagen zu „omission“ stammen von Pollock selbst, ohne daß er dies jedoch kenntlich gemacht hätte, um so seiner eigenen These den Anschein der Verankerung in der Rechtsprechung zu geben. Denn tatsächlich finden sich in der zitierten Passage des Urteils und auch in seinen weiteren Teilen keinerlei Aussagen zur Nichtaufklärung, dort geht es ausschließlich um unzutreffende Angaben. Pollock beruft sich auf dieses Urteil für die im folgenden von ihm durchgeführte Gleichsetzung von schuldlosen Falschangaben (innocent misrepresentations) mit unterlassenen Angaben (omissions/ non-disclosure) und kaschiert damit, daß diese Gleichsetzung tatsächlich von ihm selbst stammt und keine Stütze in der Rechtsprechung findet. Allein durch die Gleichsetzung von Schweigen mit einer innocent misrepresentation läßt sich aber für das Verschweigen von Umständen bei Vertragsverhandlungen noch kein Anfechtungsrecht begründen. Denn nach der Entscheidung Behn v Burness löst nur im besonderen Fall des Versicherungsvertrages eine innocent misrepresentation ein Anfechtungsrecht aus, für alle anderen Verträge muß fraud vorliegen.259 Damit gibt es in Pollocks System zunächst keine Möglichkeit, vorwerfbares und nicht vorwerfbares Schweigen zu unterscheiden. Die Fälle, in denen die Rechtsprechung ein Anfechtungsrecht anerkannt hat, weil das Verschweigen eines vertrags256

Lobban, (1997) 17 Oxford Journal of Legal Studies 441, 460. (1863) 3 B & S 751; 122 ER 281, Hervorhebung hinzugefügt. 258 Pollock, Principles of Contract, S. 445. 259 „. . . the contract is not broken though the representation proves to be untrue; nor (with the exception of the case of policies of insurance, at all events marine policies, which stand on a peculiar anomalous footing) is such untruth any cause of action, nor has it any efficacy whatever, unless the representation was made fraudulently, either by reason of its being made with a knowledge of its untruth, or by reason of its being made dishonestly, with a reckless ignorance whether it was true or untrue“, Behn v Burness (1863) 3 B & S 751, 753; 122 ER 281, 282. 257

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wesentlichen Umstandes als fraud gewertet wurde, fallen durch das Raster. Von fraud sind sie nicht erfaßt, weil es an einer Handlung fehlt, und ihre Einordnung unter innocent misrepresentation hat zur Folge, daß das Verhalten sanktionslos bleibt. Die einzige anerkannte Ausnahme zu der Regel, daß aus einer innocent misrepresentation kein Anfechtungsrecht folgt, bildete der Versicherungsvertrag. Es bot sich damit für Pollock an, die Regel, nach der eine innocent misrepresentation kein Recht zur Anfechtung gibt, mit Hilfe einer Analogie zum Versicherungsvertrag zu überwinden. Schon in dem von Pollock zitierten Urteil Behn v Burness heißt es, daß Versicherungsverträge eigenen Regeln folgen, weil sie anders als gewöhnliche Verträge sind.260 Die Besonderheit des Versicherungsvertrages liegt darin begründet, daß der Versicherungsnehmer alle Umstände des Versicherungsrisikos kennt und der Versicherer auf dessen Angaben über den Vertragsgegenstand angewiesen ist, um sein Risiko kalkulieren zu können. Mit anderen Worten löst der beim Versicherungsvertrag typischerweise gegebene ungleiche Zugang zur Information eine vorvertragliche Pflicht zur umfassenden und wahrheitsgemäßen Aufklärung aus. Wie oben gezeigt bzw. für andere Vertragstypen unten noch auszuführen261 war der ungleiche Informationszugang in allen Entscheidungen das die vorvertragliche Aufklärungspflicht auslösende Moment. Es wurde seit der Entscheidung Carter v Boehm262 als Erfordernis des Prinzips von good faith angesehen, daß eine Vertragspartei, die allein Zugang zu den vertragsrelevanten Informationen hatte, diese Informationen der anderen Partei nicht in der Absicht verschweigen durfte, sie auf falscher Tatsachengrundlage zum Vertragsschluß zu bewegen. Dies wurde jedoch nicht in dieser Form formuliert, sondern die Richter entschieden jeweils nur für die besonderen Umstände eines Einzelfalls, ob good faith vorvertragliche Aufklärung verlangte. Abgesehen vom Versicherungsvertrag, der früh eigenen Regeln folgte, weil es bei diesem Vertrag nicht auf die Täuschungsabsicht des Schweigenden ankam, spielte der Vertragstyp für die Gerichtsentscheidungen keine Rolle. Pollock bemüht sich aber, wie kurze Zeit später auch Anson, abstrakte, von den Besonderheiten des Einzelfalls losgelöste Regeln zu formulieren, mit denen sich beliebige zukünftige Fallgestaltungen lösen lassen, und beschränkt sich nicht wie die bisherigen Autoren auf die Nachzeichnung von Gerichtsentscheidungen. Er filtert als erster aus den Fällen das sie verbindende Element heraus: den ungleichen Zugang zu den vertragswesentlichen Informationen. Allerdings folgt er nicht der Unterscheidung der Rechtsprechung zwischen den nur für den Versicherungsvertrag geltenden Erforder260 261 262

Behn v Burness (1863) 3 B & S 751, 753; 122 ER 281, 282. Hierzu D. (1766) 3 Burr 1905; 97 ER 1162.

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nissen von uberrima fides, wonach das Verschweigen gefahrerheblicher Umstände selbst dann schädlich war, wenn es ohne Täuschungsabsicht und ohne Kenntnis von der Gefahrerheblichkeit erfolgte, und den auf alle Verträge anwendbaren Erfordernissen von good faith, die verboten, dem Vertragspartner in Täuschungsabsicht vertragswesentliche Umstände zu verschweigen, zu denen dieser keinen Informationszugang hatte. Statt dessen betrachtet Pollock die einzelnen Vertragstypen, die Gegenstand der Gerichtsentscheidungen waren. Dabei stellt er fest, daß diese Verträge folgende Besonderheit gemeinsam haben: „. . . the subject-matter of the contract is especially within the knowledge of one party, and the other has to rely, in the first instance at all events, on the correctness of the statements made by him.“263 Die Verträge, die diese Besonderheit aufweisen, faßt Pollock in eine Gruppe zusammen. Für diese Gruppe von Verträgen soll wie für den Versicherungsvertrag gelten, daß die informierte Partei der nicht-informierten Partei vorvertragliche Aufklärung über vertragswesentliche Umstände schuldet. Offenbart sie einen vertragswesentlichen Umstand nicht, so erfüllt das den Tatbestand der misrepresentation: „A contract is voidable at the option of a party who has been induced to enter into it . . . by the other’s silence as to a material fact which, having regard to the nature of the contract or the position of the parties, it is his duty to communicate: Such statement or omission as aforesaid is called a misrepresentation.“264

Die Nichtaufklärung gibt ein Anfechtungsrecht, sofern nicht die andere Partei selbst die Möglichkeit hatte, den Umstand unter Aufwendung von gewöhnlicher Sorgfalt herauszufinden.265 Für Pollock folgen der Versicherungsvertrag und andere Verträge, für die vorvertragliche Aufklärungspflichten anerkannt wurden, ein und derselben Regel. Die Täuschungsabsicht, die das Schweigen nach der Rechtsprechung zu einem zu mißbilligenden Verstoß gegen die Gebote von Treu und Glauben werden ließ, ist für Pollock kein notwendiges Element für die Auslösung des Anfechtungsrechts. Pollock suggeriert, daß diese Ausnahmegruppe von Verträgen so in der Rechtsprechung anerkannt sei. Denn er schreibt in seinem Zitat aus dem Urteil Behn v Burness: „. . . apart from certain exceptional classes of contracts, the validity of a contract is not affected if a representation so made is found to be untrue (much less if there is a mere omission to state a material fact) . . .“.266 Die Wendung „apart from certain exceptional classes of contracts“ findet sich jedoch ebenso wenig in dem Urteil wie die Ausfüh263 264 265 266

Pollock, Pollock, Pollock, Pollock,

Principles Principles Principles Principles

of of of of

Contract, Contract, Contract, Contract,

S. S. S. S.

446. 446 f. 447. 445.

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rungen zum Verschweigen von Umständen, sondern sie stammt von Pollock selbst. In dem Urteil heißt es nur, daß Versicherungsverträge eine Ausnahme zu der Regel bilden, daß innocent misrepresentations keine Rechtsfolgen auslösen. Von einer besonderen Kategorie von Verträgen ist dort nicht die Rede. Die von Pollock kreierte Gruppe von besonderen Verträgen (classes of contracts which are exceptionally treated) setzt sich aus folgenden Vertragstypen zusammen: Seeversicherung, Feuerversicherung, Bürgschaft, Grundstückskauf und Verträge über den Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft.267 Er gibt dieser Gruppe von Verträgen keinen speziellen Namen, der Begriff uberrima fides kommt noch nicht vor. Es läßt sich nicht sagen, ob die Liste der genannten Verträge abschließend sein sollte, oder ob er eine offene Kategorie schaffen wollte. Der Kaufvertrag jedenfalls gehört nicht zu der Gruppe, mit der Folge, daß der Verkäufer den Käufer nach Pollocks Vorstellung nicht über ihm bekannte, für den Käufer nicht erkennbare Mängel informieren muß. c) Ansons Konzeption der vorvertraglichen Aufklärungspflichten Anson behandelt in seinem Werk „Principles of the English Law of Contract“ vorvertragliche Aufklärungspflichten im Kapitel IV mit dem Titel „Reality of Consent“. Dieses umfaßt mistake, misrepresentation, fraud, duress und undue influence. Anson geht ganz ähnlich vor wie Pollock. Für die Informationspflichten einschlägig sind die Abschnitte zu fraud und misrepresentation. Es findet sich wie bei Pollock eine strenge Dichotomie von fraud und misrepresentation. Auch Anson akzeptiert nur noch einen einheitlichen Tatbestand von fraud, der dem des common law tort of deceit entspricht. Den Tatbestand des fraud, der nur zur Anfechtung berechtigt, ohne gleichzeitig den Tatbestand des common law tort of deceit zu erfüllen, gibt es nicht mehr. Die beiden Rechtsinstitute fraud und misrepresentation grenzt Anson über die Rechtsfolgen voneinander ab. Der praktische Test sei, daß bei fraud neben dem Anfechtungsrecht ein deliktischer Anspruch gegeben sei, bei der misrepresentation nicht.268 Auch er kritisiert den weiten Gebrauch von fraud in der Rechtsprechung und suggeriert damit, daß es eigentlich nur einen einheitlichen Begriff von fraud gibt.269 Für Anson ist Voraussetzung von fraud eine Falschangabe, die in Kenntnis der Unwahrheit oder Gleichgültigkeit in bezug auf den Wahrheitsgehalt gemacht wurde in der Absicht, die andere Partei im Vertrauen auf die Aus267 268 269

Pollock, Principles of Contract, S. 446. Anson, Principles of the English Law of Contract, S. 129. Anson, Principles of the English Law of Contract, S. 128.

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sage zum Vertragsschluß zu veranlassen, mit der Folge, daß die andere Partei tatsächlich im Vertrauen auf diese Aussage handelt.270 Ebenso wie bei Pollock erfaßt Ansons Verständnis von fraud keine reinen Unterlassungen mehr. Tatbestandsmerkmal von fraud ist ein aktives Unternehmen, die andere Partei zu täuschen, entweder durch eine unzutreffende Angabe oder durch eine Aussage, die zwar der Wahrheit entspricht, soweit sie reicht, aber Auslassungen enthält, die den Gesamtgehalt der Aussage irreführend machen.271 Anson weist darauf hin, daß ein „concealment“ dieser Art manchmal als „active“, „aggressive“ oder „industrious“ bezeichnet werde. Nach seiner Ansicht kommt aber schon allein durch den Ausdruck „concealment“ im Gegensatz zu „non-disclosure“ das erforderliche aktive Element hinreichend zum Ausdruck.272 Wie bei Pollock erfüllt also nur noch die Form des concealment, die heute als konkludente misrepresentation bezeichnet wird, die Voraussetzungen von fraud. Das Rechtsinstitut des fraudulent oder undue concealment, das kein aktives Element erforderte, sondern durch bloßes Schweigen erfüllt sein konnte, ist auch hier verschwunden. Da sein Begriff von fraud Schweigen nicht erfaßt, bleibt auch Anson nur der Weg, die mit Schweigen verbundenen Informationsprobleme über das Rechtsinstitut der misrepresentation zu lösen. Auch ihn stellt die adäquate Behandlung von vorwerfbarem Schweigen vor Schwierigkeiten, da misrepresentation für ihn per definitionem unschuldig ist: „One of the parties may have been led to form untrue conclusions respecting the subject-matter of the contract by statements innocently made, or facts innocently withheld by the other. This is Misrepresentation.“273 Anson folgt ebenso wie Pollock dem Urteil Behn v Burness,274 aus dem sich ergibt, daß unschuldige Falschangaben (innocent misrepresentations), die nicht Vertragsbestandteil wurden, außer bei Versicherungsverträgen keine Auswirkung auf die Gültigkeit eines Vertrages haben. Als Begründung für diese Haltung führt er die „practical wisdom“ an, die das englische Vertragsrecht charakterisiere: „The process of coming to an agreement is generally surrounded by a fringe of statement and discussion, and the Courts might find their time occupied in endless questions of fact if it were permitted to a man to repudiate his contract, or bring an action for the breach of it, upon the strength of words used in conversation preceding the agreement.“275

Da Anson Schweigen mit unschuldigen Falschangaben gleichsetzt, ist dafür grundsätzlich kein Rechtsbehelf gegeben. Anson steht damit vor demsel270 271 272 273 274 275

Anson, Principles of the English Law of Contract, S. Anson, Principles of the English Law of Contract, S. Anson, Principles of the English Law of Contract, S. Anson, Principles of the English Law of Contract, S. Behn v Burness (1863) 3 B & S 751; 122 ER 281. Anson, Principles of the English Law of Contract, S.

145. 145. 145. 115. 138.

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ben Problem wie Pollock: vorwerfbares Schweigen fällt durch das Raster des sanktionierten Verhaltens. Festzuhalten ist, daß die Gleichsetzung von Schweigen mit innocent misrepresentation nicht von der Rechtsprechung vorgegeben war. In den Fällen, die zum Beleg zitiert werden, finden sich keine Aussagen zu unterlassenen Informationen, nur zu unverschuldeten Falschangaben. Um die Fallkonstellationen erfassen zu können, in denen nach der Rechtsprechung wegen undue oder fraudulent concealment ein Anfechtungsgrund gegeben war, kreiert auch Anson eine Ausnahmegruppe von Verträgen, bei denen Schweigen und innocent misrepresentation anders als bei gewöhnlichen Verträgen zur Anfechtung berechtigen sollen: „In dealing with innocent misrepresentation and non-disclosure of fact, we may say generally that unless they occur in the particular kinds of contracts already mentioned they do not affect the validity of consent.“276 Zu diesen besonderen Verträgen, die Anson „for convenience“ uberrimae fidei nennt,277 zählen die See- und Feuerversicherung, Grundstückskaufverträge und der Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft.278 Das Charakteristikum dieser Verträge soll sein: „. . . that one of the parties must, from the nature of the contract, rely upon statements made by the other, and is placed at a disadvantage as regards his means of acquiring knowledge upon the subject.“279 Ebenso wie für Pollock ist auch für Anson ausschlaggebend, daß bei diesen Vertragstypen typischerweise ungleicher Informationszugang gegeben ist. Für alle anderen Verträge soll keine Aufklärungspflicht bestehen. Es läßt sich auch für Anson nicht sagen, ob die Aufzählung der Verträge uberrimae fidei für die Zukunft abschließend sein sollte. Explizit verneint Anson eine Pflicht des Verkäufers, den Käufer über versteckte Mängel aufzuklären, ohne auf anderslautende Entscheidungen hinzuweisen.280 Auch Anson setzt Zitate ganz gezielt dazu ein, den Anschein zu erwekken, daß die Ausnahmegruppe der Verträge uberrimae fidei von der Rechtsprechung anerkannt worden sei. So schreibt er: „And the distinction between the misrepresentation by non-disclosure, which has no legal consequences except in the case of contracts uberrimae fidei, and the misrepresentation which would give rise to an action of deceit, is most clearly pointed out by Lord Cairns in the case of Peek v Gurney: ,Mere non-disclosure of material facts, however morally censurable, however that non-disclosure might be a ground in a proper proceeding at a proper time for setting aside an allotment 276 277 278 279 280

Anson, Anson, Anson, Anson, Anson,

Principles Principles Principles Principles Principles

of of of of of

the the the the the

English English English English English

Law of Law of Law of Law of Law of

Contract, Contract, Contract, Contract, Contract,

S. S. S. S. S.

132. 138. 129. 139 f. 146.

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or a purchase of shares, would, in my opinion, form no ground for an action in the nature of an action for misrepresentation . . .‘“.281

Die von Anson hinzugefügte Hervorhebung bei „setting aside an allotment of shares“ – ein Vertragstyp, den er selbst zu den Verträgen uberrimae fidei zählt – in Verbindung mit dem Einleitungssatz wirkt so, als würde auch Lord Cairns den Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft als besonderen Vertrag einstufen, für den anders als bei gewöhnlichen Verträgen bloßes Schweigen einen Anfechtungsgrund darstellt. Der Vertragstyp spielte aber bei dieser Entscheidung tatsächlich gar keine Rolle, sondern es ging dort um die Voraussetzungen einer misrepresentation zur Begründung eines Schadensersatzanspruchs im Gegensatz zur misrepresentation als Anfechtungsgrund. Es wurde entschieden, daß in der Equity ein Rechtsbehelf, der die Wirkung eines Schadensersatzanspruchs hat, nur unter den Voraussetzungen des common law tort of deceit gewährt wird. Ein wegen des verschwiegenen Umstands möglicherweise bestehendes Anfechtungsrecht blieb von der Entscheidung ausdrücklich unberührt.282 d) Zwischenergebnis Pollock und Anson ist es gelungen, aus den Urteilen zu vorvertraglichen Aufklärungspflichten das entscheidende Prinzip herauszufiltern. Für Pollock wird die Aufklärungspflicht dadurch ausgelöst, daß „. . . the subject-matter of the contract is especially within the knowledge of one party, and the other has to rely, in the first instance at all events, on the correctness of the statements made by him.“283 In den Worten Ansons ist das Charakteristikum „. . . that one of the parties must, from the nature of the contract, rely upon statements made by the other, and is placed at a disadvantage as regards his means of acquiring knowledge upon the subject.“284 Allerdings unterscheiden sie nicht zwischen den Anforderungen, die nach der Rechtsprechung das Prinzip von uberrima fides bei Vertragsschluß an den Versicherungsnehmer stellte, und jenen Anforderungen, die wegen des Grundsatzes von good faith für andere Verträge galten, wonach es nicht erlaubt war, dem Vertragspartner in Täuschungsabsicht vertragswesentliche Umstände zu verschweigen, die dieser nicht selbst in Erfahrung bringen konnte. Pollock und Anson erklären nicht, daß der Grund, warum die informierte Partei eine Aufklärungspflicht trifft, die Vertragsgerechtigkeit ist, die für beide Parteien die gleichen Möglichkeiten sich zu informieren erfordert. Die von Pollock und Anson formulierte Regel erweckt den Anschein, als ließe sich 281 282 283 284

Anson, Principles of the English Law of Contract, S. 145 f. Peek v Gurney (1873) 6 LR 377 ff. Pollock, Principles of Contract, S. 446. Anson, Principles of the English Law of Contract, S. 139 f.

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über das Bestehen von Aufklärungspflichten nach reiner Rechtslogik, frei von den Wertungen des Einzelfalls entscheiden. Good faith spielt in der Begründung keine Rolle mehr. Dies wird noch dadurch verstärkt, daß beide Autoren, statt auf die jeweilige Konstellation abzustellen, in der ein Informationsungleichgewicht besteht, den ungleichen Zugang zur Information zum Charakteristikum bestimmter Verträge erklären. Schließlich ordnen sie in die neu geschaffene Kategorie die bekannten Vertragstypen ein. Da Pollocks und Ansons Verständnis dieser Kategorie ein rationales Prinzip zugrunde liegt, ist anzunehmen, daß sie die Liste nicht als abschließend verstehen, sondern daß auch neue Fälle, die sich unter das Prinzip subsumieren lassen, von dieser Kategorie erfaßt sein sollen. 3. Rezeption von Ansons und Pollocks Theorie der Verträge uberrimae fidei Langfristig blieb Pollocks und Ansons Kreation der Verträge uberrimae fidei nicht ohne Wirkung auf die Wissenschaft und die Gerichte, zunächst aber war die Rezeption verhalten. Ein wichtiges Urteil, das die Idee von den Verträgen uberrimae fidei aufgriff und heute noch als Leitentscheidung dafür zitiert wird, ist Davies v London and Provincial Marine Insurance Company.285 a) Davies v London and Provincial Marine Insurance Company Dieser Fall hatte die Unwirksamkeit einer Bürgschaft zum Gegenstand. Ausschlaggebend für die Unwirksamkeit der Bürgschaft war letztlich der psychische Druck, der auf die Bürgen ausgeübt worden war, nicht eine unterlassene Information. Dennoch nutzte Fry J die Gelegenheit, sich umfassend dazu zu äußern, unter welchen Umständen vorvertragliche Offenbarungspflichten bestehen. Grundsätzlich dürfe jede vertragsschließende Partei bezüglich der vertragswesentlichen Umstände schweigen, sofern nicht ausnahmsweise eine Aufklärungspflicht eingreife.286 Eine Aufklärungspflicht soll unter anderem für Verträge uberrimae fidei bestehen: „. . . there are certain contracts which have been called contracts uberrimae fidei where, from their nature, the Court requires disclosure from one of the contracting parties. Of that description there are well-known instances to be found. One is a contract of partnership, which requires that one of the partners should disclose to the other all material facts. So in the case of marine insurance, the person who proposes to insure a ship or goods must make an entire disclosure of everything material to the contract.“287 285 286

(1878) 8 ChD 469. (1878) 8 ChD 469, 474.

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Bei der Bürgschaft dagegen sei nicht erforderlich, daß der Gläubiger dem angehenden Bürgen alle Umstände ungefragt offenbart, die Bürgschaft soll daher nicht zu den Verträgen uberrimae fidei gehören. Damit scheint die Kategorie der Verträge uberrimae fidei Anerkennung durch die Rechtsprechung erfahren zu haben. Schon hier zeichnet sich ab, daß sich keine Einigkeit darüber erzielen läßt, welche Verträge zu dieser Gruppe zu zählen sind. Obwohl es weithin bekannte Anwendungsfälle geben soll, nennt Fry nur zwei, darunter die Personengesellschaft, die weder Pollock noch Anson zu den Verträgen uberrimae fidei zählen. Die Form, in der sich Fry auf diese besonderen Verträge bezieht, „contracts which have been called contracts uberrimae fidei“ statt „are called“, deutet darauf hin, daß er diese Bezeichnung wie ein Zitat verwendet, ohne die Quelle zu offenbaren, und nicht wie einen lange feststehenden, von der Rechtsprechung überlieferten Terminus. Daß Fry Pollocks und Ansons System der vorvertraglichen Aufklärungspflichten nicht in vollem Umfang akzeptiert, sondern trotz der Verwendung ihrer Terminologie mit seinem Rechtsverständnis noch in der alten Tradition steht, zeigt die im Jahr 1892 erschienene dritte Auflage seines Werks „A Treatise on the Specific Performance of Contracts“.288 Die erste Auflage veröffentlichte Sir Edward Fry (1827–1918) im Jahr 1858, als er noch als Anwalt tätig war, bevor er im Jahr 1877 zum Richter und 1883 zum Lord Justice ernannte wurde.289 Selbstverständlich geht Fry dort davon aus, daß keine allgemeine und umfassende Pflicht zur vorvertraglichen Aufklärung besteht.290 Eine Aufklärungspflicht kann unter anderem aus der Natur des Vertrages folgen: „For there are certain contracts which are said to be uberrimae fidei: i. e., they are contracts which from their nature demand a full disclosure of all material facts by one contracting party to the other: such are contracts for marine insurance, and contracts for the formation of a partnership.“291 Abgesehen davon, daß der Gesellschaftsvertrag von Pollock und Anson nicht zu den Verträgen uberrimae fidei gezählt wurde, klingt dies so, als hätte Fry deren Ideen vollständig übernommen. Tatsächlich hat er sich jedoch nicht von den bisherigen Denkmustern gelöst. Denn nach wie vor behandelt er vorvertragliche Aufklärungspflichten im Kapitel „Of Fraud“. Dementsprechend stellt auch das Schweigen im Falle eines Vertrages uberrimae fidei für ihn ein fraud dar.292 Dies steht im völligen Gegensatz zum 287

(1878) 8 ChD 469, 474 f. 3. Auflage 1892. 289 Zum Leben und Werk Frys siehe Victor Tunkel in: Simpson, Biographical Dictionary of the Common Law, S. 10 ff. 290 Fry, Specific Performance, § 713. 291 Fry, Specific Performance, § 708. 292 Fry, Specific Performance, § 708. 288

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System von Anson und Pollock, wo die Verletzung von Aufklärungspflichten gerade nicht mehr von fraud erfaßt war. Ein weiterer Widerspruch zu Anson und Pollock ist, daß Fry daran festhält, daß den Verkäufer einer beweglichen Sache eine Aufklärungspflicht über versteckte Mängel trifft, die der Käufer nicht erkennen kann.293 Diese Feststellung fügt er kommentarlos an seine knappen Ausführungen zu uberrima fides an. b) Leake Ähnlich wie bei Fry fließen auch bei Leake die Ideen von den Verträgen uberrimae fidei in die zweite Auflage seines Vertragsrechtswerks294 ein: „In some contracts, which are therefore called contracts uberrimae fidei, it becomes the duty of the one party to inform the other of every material fact within his knowledge of which the other party is not already informed, so as to prevent any ignorance or mistake in the latter; and the communication of all material facts is a condition of the validity of the contract. Such are contracts of insurance against risk; it is incumbent upon the insured to describe fully and correctly the risk insured against, and if he omit to communicate any fact or circumstance material to the risk, which is not then present to the mind of the insurer, it is equivalent to a fraud and avoids the contract both at law and in equity.“295

Die Rezeption ist jedoch nur eine scheinbare. Denn ebenso wie Fry geht auch Leake weiterhin davon aus, daß das Verschweigen eines Umstands, über den eine vorvertragliche Aufklärungspflicht besteht, ein fraud darstellt: „Fraud, in general, consists in inducing a party to act by some misrepresentation or untrue statement intentionally made for that purpose . . . As to the mode of misrepresentation, it may be made by express words or by the acts, conduct or even silence of the person. . .“.296 Damit ist die Kategorie der Verträge uberrimae fidei für ihn eigentlich überflüssig, weil ein Anfechtungsrecht der nicht informierten Partei aus dem Vorliegen von fraud folgt. Im Vergleich zur Erstauflage hat Leake seine Terminologie etwas verändert und wertet das Verschweigen eines Umstandes nun als konkludente Aussage, daß dieser Umstand nicht bestehe,297 der Inhalt ist jedoch weitgehend derselbe. Er zitiert weiterhin als die für alle Verträge geltende Regel die ein293 Fry, Specific Performance, § 708, als Leitentscheidung für diese Annahme nennt er Horsfall v Thomas (1862) 1 H & C 90; 158 ER 813, ein Fall, den Pollock und Anson im Zusammenhang mit Aufklärungspflichten nicht erwähnen. 294 Leake, An Elementary Digest of the Law of Contracts, 1878. 295 Leake, An Elementary Digest of the Law of Contracts, S. 339. 296 Leake, An Elementary Digest of the Law of Contracts, S. 351. 297 Leake, An Elementary Digest of the Law of Contracts, S. 358: „. . . the nondisclosure may have the effect of impliedly representing that the fact does not exist . . .“; diese Vorgehensweise war vor allem in Fällen zur Bürgschaft verbreitet. Dazu siehe unten D III. 3.

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schlägige Passage aus Carter v Boehm: „Good faith forbids either party, by concealing what he privately knows, to draw the other party into a bargain from his ignorance of that fact and believing the contrary . . .“.298 Auch Leake hält daran fest, daß der Tatbestand des fraud erfüllt ist, wenn der Verkäufer einer Sache den Käufer nicht über versteckte Mängel aufklärt.299 Der Vertragstyp spielt für das Bestehen der Aufklärungspflicht keine Rolle. Obwohl er von den Verträgen uberrimae fidei im Plural spricht, ist der Versicherungsvertrag der einzige Vertragstyp, den Leake als Vertrag uberrimae fidei bezeichnet und der eigenen Regeln folgt. Die Besonderheit des Versicherungsvertrages liegt darin, daß im Gegensatz zu anderen Verträgen auch ein Verschweigen eines wesentlichen Umstandes ohne Täuschungsabsicht die Voraussetzungen für eine Anfechtung erfüllt. Darin sieht Leake eine Ausweitung der Grenzen von fraud.300 In der dritten Auflage301 hat Leake die Liste der Verträge uberrimae fidei erweitert. Sie umfaßt nun neben Versicherungsverträgen auch Gesellschaftsverträge, Vergleiche mit Gläubigern („compositions with creditors“) und den Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft („contracts offered by the prospectus of a company“).302 Zwar hat sich die Terminologie im Vergleich zu den Vorauflagen stärker gewandelt: Das einschlägige Kapitel heißt nun nicht mehr „Fraud“, sondern „Contracts induced by fraud or misrepresentation“ und Schweigen wird nicht mehr ausdrücklich als Begehensform der misrepresentation genannt.303 Aber die Veränderungen sind rein sprachlicher Natur, der Inhalt ist derselbe geblieben. Das Verschweigen eines versteckten Mangels durch den Verkäufer erfüllt immer noch die Voraussetzungen von fraud.304 Leake zitiert weiterhin die genannte Passage aus Carter v Boehm als die für alle Verträge geltende Regel für vorvertragliche Aufklärungspflichten.305 Selbst wenn er von Verträgen uberrimae fidei spricht, führt er die Anfechtbarkeit immer auf den Tatbestand des fraud, der durch das Schweigen erfüllt wird, zurück.306

298

Leake, An Elementary Digest of the Law of Contracts, S. 358. Leake, An Elementary Digest of the Law of Contracts, S. 360. 300 Leake, An Elementary Digest of the Law of Contracts, S. 409. 301 Leake, A Digest of Principles of the Law of Contracts, 3. Auflage 1892. 302 Leake, A Digest of Principles of the Law of Contracts, S. 282; „compositions with creditors“ sind Vergleiche zwischen dem Schuldner und mehreren Gläubigern zur Abwendung des Konkurses. 303 Leake, A Digest of Principles of the Law of Contracts, S. 292. 304 Leake, A Digest of Principles of the Law of Contracts, S. 300 f. 305 Leake, A Digest of Principles of the Law of Contracts, S. 299. 306 Z. B. für die Versicherung: Leake, A Digest of Principles of the Law of Contracts, S. 338. 299

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c) Chitty „Chitty’s Treatise on the Law of Contracts“ blieb lange Zeit unbeeinflußt von Ansons und Pollocks Idee der Verträge uberrimae fidei. Das Werk erschien in vielen Auflagen unter diversen Herausgebern, die sich jedoch bis ins Jahr 1930307 bei der Behandlung von fraud sehr eng an den Text der Originalausgabe hielten, den sie lediglich um neue Entscheidungen ergänzten, ohne jedoch den Inhalt wesentlich zu verändern. Sedes materiae der vorvertraglichen Aufklärungspflichten ist weiterhin der Abschnitt zu fraud. Dort heißt es immer noch: „Fraud generally consists, either in the misrepresentation, or in the concealment of a material fact.“308 Der Text enthält keine Anzeichen dafür, daß der Begriff concealment in der Weise beschränkt ist, wie von Pollock und Anson vorgegeben. Der Begriff des concealment erfordert keine Handlung, um einen andernfalls erkennbaren Umstand zu verbergen, bloßes Schweigen genügt. Die Autoren gehen mit einer gewissen Selbstverständlichkeit davon aus, daß das Verschweigen eines Umstandes, über den eine Aufklärungspflicht besteht, ebenso wie eine unzutreffende Angabe den Tatbestand von fraud erfüllen kann. Hierfür wird immer noch die Entscheidung Horsfall v Thomas309 zitiert, in der Bramwell J. gesagt hatte, daß der Verkäufer den Käufer auf einen versteckten Mangel hinweisen muß.310 Diese Selbstverständlichkeit zeigt sich auch darin, daß die Autoren es für nötig befinden, ausdrücklich auf Fälle von unschädlichem Schweigen hinzuweisen: „But there are cases in which the mere omission to communicate a fact will not amount to fraud, if the omission was made bona fide and without actual fraud.“311 „Without actual fraud“ bedeutet ohne Täuschungsabsicht. In der Darstellung wird nicht nach Vertragstypen unterschieden. Nur für den Versicherungsvertrag werden besondere Regeln anerkannt, denn im Gegensatz zu allen anderen Verträgen ist hier für die Anfechtbarkeit nicht Voraussetzung, daß der Versicherungsnehmer in Täuschungsabsicht geschwiegen hat. Bis 1905 kommt dieses Werk

307

Weiter nicht verfolgt. John A. Russell (Hrsg.), A Treatise on the Law of Contracts by Joseph Chitty, 11. Auflage 1881, S. 631; J. M. Lely (Hrsg.), A Treatise on the Law of Contracts by Joseph Chitty, 14. Auflage 1904, S. 575; W. A. MacFarlane/G. W. Wrangham (Hrsg.), Chitty’s Treatise on the Law of Contracts, 18. Auflage 1930: „. . . wherever one person . . . conceals a material fact which it was his duty to communicate . . . such transaction will be voidable on the ground of fraud“, S. 800 f. Es wurde jeweils nur die erste Auflage unter einem neuen Herausgeber zitiert, in den Auflagen zwischen den zitierten Auflagen gibt es keine Veränderung an diesem Punkt. 309 (1862) 1 H & C 90; 158 ER 813. 310 Z. B. in der 18. Auflage, S. 801. 311 Zuletzt 14. Auflage 1904, S. 579. 308

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völlig ohne den Begriff uberrima fides aus, erst ab 1930 wird er gebräuchlich, jedoch nur für den Versicherungsvertrag. d) Monographien Gegen Ende des 19. Jahrhunderts erschienen drei umfangreiche Monographien zum Thema Täuschung und Irrtum, die alle von der neuen Kategorie der Verträge uberrimae fidei unbeeinflußt sind. Den Auftakt machte Kerrs „A Treatise on the Law of Fraud and Mistake“.312 Kerr vertritt das weite Verständnis von fraud, wie es aus der Equity-Rechtsprechung bekannt ist. Fraud sei so vielfältig in Form und Gestalt, daß seine präzise Definition schwierig, wenn nicht gar unmöglich sei.313 Dennoch unternimmt er den Versuch einer Definition: „Fraud, in the contemplation of a civil court of justice,314 may be said to include properly all acts, omissions, and concealments which involve a breach of legal or equitable duty, trust, or confidence, justly reposed, and are injurious to another, or by which an undue or unconscientious advantage is taken of another.“315 Schweigen, das gegen eine Aufklärungspflicht verstößt, erfüllt die Voraussetzungen von fraud. Es finden sich die bekannten Sätze: „Misrepresentation may consist as well in the concealment of what is true as in the assertion of what is false. If a man conceals a fact that is material to the transaction, knowing that the other party acts on the presumption that no such fact exists, it is as much a fraud as if the existence of such fact were expressly denied or the reverse of it expressly stated.“316 Grundsätzlich darf jede Partei ihren Informationsvorsprung zu ihrem Vorteil nutzen. Die Grenze des rechtlich Erlaubten ist für Kerr dort erreicht, wo die andere Partei auf diese Information keinen Zugriff hat und auf die Aufklärung durch den Vertragspartner angewiesen ist: „The principles of morals require more scrupulous good faith in the dealings of men with each other than is exacted either at law or in equity . . . The law aims at practical good and general convenience rather than at theoretical perfection. It does not profess to vindicate every deflection from propriety, but requires men in their dealings with each other to exercise proper vigilance and apply their attention to those particulars which may be supposed to be within the reach of their observation and judgment, and not to close their eyes to the means of information which are accessible to them: vigilantibus, non dormientibus, jura subveniunt. If parties are at arms’ length, either of them may remain silent and avail himself of 312

1. Auflage von 1868, benutzt wurde die 2. Auflage von 1883. Kerr, S. 1. 314 Zivilgericht ist als Gegensatz zu Strafgericht zu verstehen, denn fraud war auch ein Straftatbestand, als solcher hatte fraud strengere Voraussetzungen. 315 Kerr, S. 1 f. 316 Kerr, S. 58. 313

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his superior knowledge as to facts and circumstances equally open to the observation of both, or equally within the reach of their ordinary diligence.“317

Dies entspricht dem schon seit Carter v Boehm318 bekannten Interessenausgleich zwischen erlaubter Geschäftstüchtigkeit und unerlaubtem Übervorteilen des Vertragspartners. Als Anwendungsbeispiele dieser Regel führt Kerr viele Entscheidungen an. Die Darstellung ist durchzogen von Umschreibungen für unfaires Verhalten bei Vertragsverhandlungen, z. B. „violates integrity and fair dealing“, „parties do not deal on equal terms“.319 Die vorvertragliche Aufklärungspflicht steht für Kerr nicht im Widerspruch zum Grundsatz von caveat emptor, denn dieser findet nur Anwendung, wenn die Vertragspartei tatsächlich in der Lage ist, aufgrund eigenen Urteils zu handeln.320 Deshalb hält Kerr an der Pflicht des Verkäufers fest, versteckte Mängel, die der Käufer nicht entdecken kann, zu offenbaren: „Defects, however, which are latent, or circumstances materially affecting the subject matter of sale of which the purchaser has no means or at least no equal means, of obtaining knowledge, must, if known to the seller, be disclosed.“321 Die aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleitete vorvertragliche Aufklärungspflicht findet auf alle Vertragstypen gleichermaßen Anwendung. Nur der Versicherungsvertrag folgt eigenen Regeln, dort besteht eine umfassende Aufklärungspflicht über alle wesentlichen Umstände, und es kommt nicht auf eine Täuschungsabsicht des Schweigenden an.322 Hastings vom Umfang deutlich schmaleres Werk „A Short Treatise relating to Fraud and Misrepresentation“323 steht ebenfalls in der Tradition des Rechtsdenkens vor Anson und Pollock und folgt dem weiten Verständnis von fraud. Auch für ihn kann im bloßen Verschweigen eines Umstands ein fraud liegen.324 Er ist der Ansicht, daß ein Verkäufer den Käufer auf einen Mangel hinweisen muß, der bei einer Untersuchung nicht erkennbar ist.325 Ob Aufklärungspflichten bestehen oder nicht, hängt nicht vom Vertragstyp ab. Einzig für den Versicherungsvertrag besteht eine besondere verschuldensunabhängige Aufklärungspflicht. Nur in diesem Zusammenhang fällt der Ausdruck uberrima fides, allerdings nur innerhalb eines Zitats.326 317

Kerr, S. 60 f. (1766) 3 Burr 1905; 97 ER 1162. 319 Kerr, S. 63. 320 Kerr, S. 65. 321 Kerr, S. 65 f. 322 Kerr, S. 88. 323 1888. Es umfaßt nur etwas mehr als 100 Seiten, Kerrs und Moncreiffs Werke dagegen etwa 500 Seiten. 324 Hastings, S. 5. 325 Hastings, S. 24. 326 Hastings, S. 85. 318

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C. Entwicklung im allgemeinen Vertragsrecht

Auch Moncreiffs über 500 Seiten starke Monographie „A Treatise on the Law relating to Fraud and Misrepresentation“327 ist völlig unbeeinflußt von Pollocks und Ansons Verständnis von fraud und misrepresentation. Denn auch Moncreiff vertritt noch die Ansicht, daß fraud durch bloßes Schweigen erfüllt sein kann: „A fraud may be perpetrated by words, or acts, or by the refraining from words or acts, that is by concealment.“328 Sein Verständnis von misrepresentation ist sehr weit: „All frauds, whether effected by words, acts, or concealment, may be said to be based upon misrepresentations . . . there may be representations, which are similarly false, made or implied from the refraining from words or acts. It may sometimes be difficult to formulate the actual or implied representation, but it is always possible. The only difference between the two classes of representations is that the first conveys too much, and the second too little.“329

Moncreiff macht also keinen prinzipiellen Unterschied zwischen falschen und unterlassenen Angaben und sieht auch keinen sachlichen Grund, warum der Tatbestand des tort of deceit nicht durch Schweigen erfüllt sein können sollte.330 Daß mit misrepresentation in Form von Schweigen nicht nur die Fälle gemeint sind, die heute als konkludente misrepresentation behandelt werden, also Halbwahrheiten und unvollständige Aussagen, wird aus seinen weiteren Ausführungen deutlich. Moncreiff vertritt eine sehr weitreichende Aufklärungspflicht. Er zitiert sogar die Entscheidung Hodgson v Richardson331 mit Zustimmung: „,the concealment of material circumstances vitiates all contracts, upon the principles of natural law.‘ This is not the language of the accepted law, but it is possibly more correct.“332 Sein Leitgedanke ist, daß faire Vertragsverhandlungen für beide Parteien gleichermaßen die Möglichkeit voraussetzen, eine informierte Entscheidung treffen zu können: „If there be an intentional concealment or suppression of material facts in the making of the contract, in cases in which both parties have not equal access to the means of information, it will be deemed unfair dealing, and will vitiate and avoid the contract.“333 Moncreiff dreht sogar das Regel-Ausnahme-Verhältnis auf die327

1891. Moncreiff, S. 82, Hervorhebung im Original. 329 Moncreiff, S. 82. 330 Seiner Ansicht nach gibt es auch keinen Präzedenzfall, aus dem sich dies eindeutig ableiten ließe: „But the opinions in question were by the way, and some more absolute statement is necessary to decide that there is no action for damages for the intentional concealment of a material fact which there is a duty to disclose,“ Moncreiff, S. 89. 331 (1764) 1 Black W 463; 96 ER 268. 332 Moncreiff, S. 92. 333 Moncreiff, S. 328, dies ist ein Zitat aus Kent’s Commentaries, Band II, 12. Auflage, S. 482. 328

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ser Basis um: Aufklärung ist immer dann geschuldet, wenn nicht die Parteien ausnahmsweise gleichen Zugang zu den vertragswesentlichen Informationen haben: „Is it not possible that this habit of English lawyers amounts – as when caveat emptor is spoken of as the rule and not the exception – to this, that the exception is stated as the rule, and the rule as the exception? Would it not be more correct to say that a party to a contract is bound to disclose intrinsic facts – quae rem subjectam per se contingunt – unless he is, or, from the nature of the contract, is presumed to be, on equal terms with the other party as to means of knowledge, and the other party has chosen to rely on his own judgment.“334

Er kritisiert, daß immer wieder als Regel formuliert werde, bloßes Schweigen (mere non-disclosure of a material fact) könne keine Rechtsbehelfe auslösen, ohne daß je autoritativ klargestellt worden sei, was bloßes Schweigen meint.335 Er selbst ist der Meinung, es könne gar kein bloßes Schweigen mehr geben, sobald zwei Parteien Vertragsverhandlungen aufgenommen haben. „. . . whereas, in fact, when there are dealings between two parties, there can be no mere silence . . . it would seem that what is called mere silence is impossible, with regard to material intrinsic facts; because the non-disclosure of such facts amounts to a representation that they do not exist, and it is ,necessarily, or naturally, or probably misleading.‘ No doubt the duty to disclose may be dissolved. The general ground of excuse for non-disclosure of intrinsic or vital facts appears to be, that the parties were on equal terms, or from the nature of the dealing were presumed to be on equal terms, as to knowledge; or that the deceived party examined and judged for himself. Hence the difference in the obligation to disclose the patent and latent defects of chattels.“336

Die anwendbaren Prinzipien unterscheiden sich nicht für die verschiedenen Vertragstypen. Nur der Versicherungsvertrag folgt eigenen Regeln und wird als Vertrag uberrimae fidei bezeichnet.337 e) Spencer Bower Die Kategorie der Verträge uberrimae fidei hatte zunächst keine große Resonanz gefunden. Einen entscheidenden Beitrag zum Durchbruch und zur Verankerung dieser Kategorie in der englischen Vertragsrechtsdogmatik leistete Spencer Bowers Werk „The Law relating to actionable non-disclosure“, das immer noch eine der wichtigsten Quellen zu den Verträgen uberrimae fidei ist. So umfassend wie Spencer Bower hat sich niemand sonst 334 335 336 337

Moncreiff, Moncreiff, Moncreiff, Moncreiff,

S. S. S. S.

94. 327. 329, 331 f. 488.

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C. Entwicklung im allgemeinen Vertragsrecht

mit diesen Verträgen auseinandergesetzt. Für ihn steht hinter den Verträgen uberrimae fidei eine abstrakt generelle Regel, mit der sich auch neue Fallkonstellationen lösen lassen. „The first main class of transactions in respect of which a duty of disclosure arises comprises all those contracts in the negotiations of which one of the parties must, from the very nature of the transaction, have either actual or presumptive knowledge of circumstances which ordinarily are not within the actual or presumptive knowledge of the other party, and the knowledge of which is, or may be, of importance to that other party to enable him to judge of the expediency of entering into the particular contract proposed . . . The rule is founded on the necessitas rei, the nature of the contract which is in course of negotiation, and the relation to one another of the parties negotiating, where the one must know and the other must confide.“338

Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, handelt es sich um einen Vertrag uberrimae fidei, und es besteht die Pflicht, alle vertragswesentlichen Umstände zu offenbaren. Die vorvertragliche Offenbarungspflicht soll ausschließlich für diese Verträge gelten. Für Spencer Bower ist diese Offenbarungspflicht eine unabdingbare Voraussetzung für die Herstellung von Vertragsgerechtigkeit.339 Für alle anderen Verträge soll keine Notwendigkeit für eine vorvertragliche Aufklärungspflicht bestehen, denn wenn die oben genannten Voraussetzungen nicht vorliegen, haben beide Parteien dieselben Möglichkeiten, sich zu informieren, und es herrschen für sie von vornherein dieselben Bedingungen. Folglich dürfe bei diesen Verträgen auch jede Partei ihr überlegenes Wissen zu ihrem Vorteil nutzen. Die einzig entscheidende Frage sei, „. . . whether the nature and circumstances of the particular contract or transaction are such (by reason of the necessarily or probably exclusive knowledge of one of the parties) to call for the application of the doctrine; and, if they are, whether the withheld facts are such as, having regard again to the nature of the particular contract, are material to be disclosed.“340 Spencer Bower warnt ausdrücklich davor, nur danach zu entscheiden, ob der Vertrag früher schon einmal als Vertrag uberrimae fidei bezeichnet wurde: „In the development of mercantile affairs, new types of agreements between business men are daily being invented, which it may be difficult to bring under any of the hitherto recognized denominations; and the application of the rule to these new types might be seriously hampered by any attempt to impart an artificial rigidity to the flexible Lesbian rule of the law, or to canton out the territory on which that rule operates into defined and named provinces.“341 338

Spencer Bower, Rn. 83. „. . . a peremptory demand of elementary justice, since, without such a rule, the parties cannot be placed upon equal terms. . .“, Spencer Bower, Rn. 83. 340 Spencer Bower, Rn. 85. 341 Spencer Bower, Rn. 85. 339

D. Entwicklung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten bei weiteren Vertragstypen In diesem Kapitel soll die Entwicklung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten für die übrigen Vertragstypen, die von Pollock und Anson in die Gruppe der Verträge uberrimae fidei eingeordnet wurden, untersucht werden. Dies sind neben Versicherungsverträgen Grundstückskaufverträge (sale of land) und Verträge über den Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft (sale of shares in a company). Für die Bürgschaft ist seit jeher umstritten, ob sie zu den Verträgen uberrimae fidei zu zählen ist. Einigkeit besteht jedoch, daß der Gläubiger dem Bürgen unter Umständen zur vorvertraglichen Aufklärung verpflichtet ist.

I. Sale of Land Von den „Erfindern“ des Prinzips der uberrima fides, Pollock und Anson, wurden Verträge über die Veräußerung von Grundstücken1 in den Katalog der Verträge aufgenommen, für die wegen ihrer besonderen Natur vorvertragliche Aufklärungspflichten bestehen.2 Im heutigen Recht werden Grundstückskaufverträge im allgemeinen nicht mehr zu den Verträgen uberrimae fidei gezählt.3 Vorvertragliche Aufklärungspflichten sind für defects of title (Rechtsmängel4), nicht aber für defects of quality (Sachmängel) anerkannt. 1. Defects of Title Auf Rechtsmängel muß der Verkäufer den Käufer ungefragt hinweisen.5 Gewöhnlich werden vier Arten von Rechtsmängeln, die offenbart werden müssen, unterschieden.6 Eine Aufklärungspflicht besteht erstens, wenn dem 1 Zu den Besonderheiten des englischen Grundstücksrechts vgl. Henrich, Einführung in das englische Privatrecht, § 5 Property, insbesondere zur Übertragung von Grundstücken S. 93 ff.; Grobecker, S. 217 ff. 2 Pollock, Principles of Contract, S. 446; Anson, Principles of the English Law of Contract, S. 141. 3 Goff/Jones, S. 191, Fn. 72 schreiben, daß der Grundstückskauf kein genuines Beispiel für einen Vertrag uberrimae fidei sei. 4 Die Begriffe wurden in Anlehnung an die deutsche Terminologie gewählt, auch wenn sie nicht im strengen Sinne mit den englischen Begriffen gleichzusetzen sind, da die Abgrenzungslinie nicht immer identisch verläuft.

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D. Entwicklung bei weiteren Vertragstypen

Verkäufer jede dingliche Berechtigung an dem Grundstück fehlt (absence of title);7 zweitens, wenn sich die tatsächliche Berechtigung des Verkäufers wesentlich von der unterscheidet, die zu verschaffen er sich im Vertrag verpflichtet hat.8 Drittens muß der Verkäufer darauf hinweisen, falls er nicht in der Lage ist, das Grundstück lastenfrei zu übertragen.9 Hierzu zählen Belastungen mit Grundpfandrechten, Grunddienstbarkeiten10 und Nutzungsbeschränkungen.11 Schließlich trifft den Verkäufer viertens eine Aufklärungspflicht, wenn er eine grundstücksbezogene Aufforderung (notice oder order) erhalten hat, die ihn auf gesetzlicher Grundlage zur Vornahme bestimmter Handlungen verpflichtet. Beispiele sind die Aufforderung eines Nachbarn, eine gemeinsame Grenzmauer zu reparieren,12 oder eine behördliche Abrißverfügung.13 Diese Offenbarungspflicht wird damit begründet, daß allein der Verkäufer seine dingliche Berechtigung und die Belastungen des Grundstücks kenne und der Käufer deshalb auf seine Information angewiesen sei. Denn in Ermangelung eines öffentlichen Registers ergaben sich jedenfalls früher die Berechtigung des Verkäufers und etwaige Belastungen des Grundstücks allein aus den Urkunden (deeds), die sich im Besitz des Verkäufers befanden und in die der Käufer folglich keinen Einblick hatte.14 Hier liegt eine Parallele zur Versicherung, wo im allgemeinen auch nur der Versicherungsnehmer über Informationen über den Versicherungsgegenstand verfügt. Auf diese Gemeinsamkeit stellte schon im Jahr 1806 Chief Justice Lord Ellenborough ab: Die Beschreibung des Vertragsgegenstandes in einem Grundstückskaufvertrag entspreche den Angaben in einer Versicherungspolice, und der Käufer wisse ausschließlich, was die andere Partei mitteilt.15 Wegen dieser Parallele zur Versicherung, dem notwendig ungleichen Informa5

Eingehend Harrison, Rn. 5.01 ff.; Harpum, (1992) 108 LQR 280 ff.; Spencer Bower/Turner/Sutton, § 7; Chitty-Beale, On Contracts, Band I, Rn. 6-095. 6 Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 7.06. 7 Re Bannister (1879) 12 Ch D 131; Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 7.07. 8 Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 7.08. 9 Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 7.09. 10 Torrance v Bolton (1872) LR 14 Eq 124 (mortgages); Jones v Rimmer (1880) 14 Ch D 588 (ground rent); Heywod v Mallalieu (1883) 25 Ch D 357; Mahomed Kala Mea v Harperink (1908) 25 TLR 180; für weitere Beispiele siehe Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 7.09. 11 Nottingham Patent Brick & Tile Co. v Butler (1886) 16 QBD 778; In re Cox and Neve’s Contract [1891] 2 Ch 109; Ellis v Rogers (1884) 29 Ch D 661; Hepworth v Pickles [1900] 1 Ch 108; Allen v Smith [1942] 2 Ch 308. 12 Carlish v Salt [1906] 1 Ch 335, für weitere Beispiele zu Aufforderungen durch Nachbarn siehe Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 7.11. 13 Fletcher v Manton (1940) 64 CLR 37 (High Court of Australia), näher zu behördlichen Anordnungen siehe Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 7.12, 7.13. 14 Harrison, Rn. 5.08.

I. Sale of Land

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tionszugang, wurde der Grundstückskaufvertrag schon von den Schöpfern dieser Kategorie, Pollock und Anson, und später auch von Spencer Bower16 als Vertrag uberrimae fidei qualifiziert. Da der Grund für die Aufklärungspflicht der ungleiche Informationszugang ist, müssen erkennbare Mängel nicht offenbart werden.17 Folglich zählen allgemeine öffentlich-rechtliche Beschränkungen nicht zu den offenbarungspflichtigen defects of title, denn diese sind nicht ausschließlich dem Verkäufer bekannt, und dem Käufer wird deshalb zugemutet, daß er sich selbst darüber informiert.18 Die Einordnung der Problematik der defects of title in die Rubrik vorvertraglicher Aufklärungspflichten wird zunehmend kritisiert, weil die Offenbarungspflicht den Verkäufer unabhängig von seiner Kenntnis trifft. In Halsbury’s heißt es dazu: „The vendor’s duty to disclose is absolute, and his ignorance of the defect is no excuse.“19 Gewöhnlich erstrecken sich vorvertragliche Aufklärungspflichten aber nur auf bekannte Umstände, denn man kann nur offenbaren, was man weiß. Deshalb wird dieser Vertrag kaum noch bei den Verträgen uberrimae fidei eingeordnet, denn auch das Prinzip von uberrima fides verlangt nur die Offenbarung bekannter Umstände.20 Die Haftung des Verkäufers wird heute meist nicht mehr aus der Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht, sondern aus dem vertraglichen Leistungsversprechen abgeleitet, wonach der Verkäufer sich verpflichtet hat, dem Käufer eine mangelfreie dingliche Berechtigung zu verschaffen.21 Nach dieser Auffassung ist die Frage nach der Geltung von uberrima fides in bezug auf Rechtsmängel für den Verkauf von Rechten an einem Grundstück hinfällig. 2. Defects of Quality Zu den Sachmängeln zählen alle Mängel, die den Wert, den Nutzen oder den Genuß an einem Grundstück beeinträchtigen.22 Hierzu heißt es heute grundsätzlich, daß das Prinzip von caveat emptor den Käufer in aller Härte 15

Tomkins v White (1806) 3 Smith’s Rep 435, 439 per Lord Ellenborough CJ, zitiert bei Harpum, (1992) 108 LQR 280, 319. 16 Spencer Bower, Rn. 5, 106 ff. 17 Harpum, (1992) 108 LQR 280, 323. 18 Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 7.14; City of London Property Co. Ltd’s Appeal, Re [1949] Ch 581; Barraud v Archer (1828) 2 Sim 433; 57 ER 850. 19 42 Halsbury’s Laws, § 56. 20 Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 7.15. 21 Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 7.15 und 7.17; Harpum, (1992) 108 LQR 280, 332 f.; Beatson, (1997) 56 Cambridge Law Journal 291, 304, Fn. 73; Eggers/ Foss, S. 19, Fn. 3, mit Hinweis auf Rignall Developments Ltd v Halil [1988] Ch 190. Diese Auffassung vertrat schon Fry, Specific Performance, § 711. 22 Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 7.05.

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D. Entwicklung bei weiteren Vertragstypen

trifft.23 Aufklärung über solche Mängel ist also nicht gefordert, sondern es obliegt dem Käufer, sich alle Informationen selbst zu beschaffen.24 So muß der Verkäufer den Erwerber beispielsweise nicht darauf hinweisen, daß das Haus baufällig ist, die Abflußrohre undicht sind, die Zentralheizung nicht funktioniert, die Balken vom Holzwurm befallen sind oder eine Autobahn in unmittelbarer Nähe geplant ist.25 Eine vorvertragliche Aufklärungspflicht für versteckte Sachmängel eines Grundstücks wurde jedoch keineswegs schon immer so kategorisch abgelehnt wie heute. Ursprünglich schienen alle Kaufverträge derselben Regel zu unterliegen. Es galt als Gebot der vertraglichen Fairneß, daß der Verkäufer den Käufer über ihm bekannte versteckte Mängel aufklären mußte, wenn dieser keine Möglichkeit hatte, die Mängel selbst zu entdecken. Weder die Art des Vertrages noch des Mangels spielte hierfür eine Rolle. Für diese Annahme spricht neben einigen Entscheidungen die frühe Literatur zum Grundstückskauf. a) Vorvertragliche Aufklärungspflichten bei Sugden Sir Edward Sugden war der erste Autor, der sich der vorvertraglichen Aufklärungspflicht beim Grundstückskauf annahm. Nach seinem Verständnis war der Verkäufer eines Grundstücks verpflichtet, den Käufer über alle ihm bekannten versteckten Mängel zu informieren, gleich, ob es sich um Rechts- oder Sachmängel handelte.26 Dieser Auffassung verlieh er auch als Anwalt Ausdruck: „Now, as between vendor and purchaser the most perfect good faith is required; and if, before the completion of the contract, there is either suppressio veri or suggestio falsi, there is an end to the rights of a vendor in a Court of Equity.“27 Daß diese auf good faith gründende Aufklärungspflicht nach Sugdens Ansicht für alle Kaufverträge gilt, 23

Fleischer, S. 837. Siehe nur Barnsley’s Conveyancing Practice, S. 171 f. Daß zwischen dem Verkäufer und dem Käufer eines Grundstücks keine „fiduciary relation“ besteht, aus der eine Aufklärungspflicht folgt, sondern daß beide „at arm’s length“ miteinander verhandeln, war schon früh so anerkannt. „There is no fiduciary relation between vendor and purchaser in the negotiation“, Walters v Morgan (1861) 3 De G F & J 718, 723; 45 ER 1056, 1059 per Campbell; Turner v Green [1895] 2 Ch 205, ähnlich früher schon Leach MR in Adamson v Evitt (1830) 2 Russ & M 66; 39 ER 319. 25 Atiyah, An Introduction to the Law of Contract, S. 249. Der Käufer braucht nicht einmal darauf hingewiesen zu werden, daß das Haus unbewohnbar ist, Bell v Lever Bros [1931] All ER 1, 31. 26 The Law of Vendors and Purchasers, 10. Auflage 1839, Zitat nach Harpum, (1992) 108 LQR 280, 319. Dieses Verständnis weist eine bemerkenswerte Ähnlichkeit zu Pothier auf, siehe Harpum, (1992) 108 LQR 280, 319; Pothier, Traité du Contrat de Vente, no. 234. 27 Dalby v Pullen (1830) 1 Russ & M 296, 304; 39 ER 114, 117. 24

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zeigt sich darin, daß er sie aus Mellish v Motteux28 ableitet, einer Entscheidung, die keinen Grundstückskauf, sondern den Kauf einer beweglichen Sache zum Gegenstand hatte. b) Aufklärungspflichten in der Rechtsprechung In der Rechtsprechung finden sich dicta, die dafür sprechen, daß den Verkäufer beim Grundstückskauf eine aus Treu und Glauben abgeleitete Pflicht traf, den Käufer über versteckte Sachmängel ebenso wie über Rechtsmängel zu informieren. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts gab es nur wenige Entscheidungen zu vorvertraglichen Aufklärungspflichten beim Grundstückskauf,29 was daran liegen mag, daß die Frage meist im Zusammenhang mit einem Antrag auf specific performance auftrat. Die Verurteilung zu einer specific performance lag im Ermessen des Gerichts und wurde bei jeglicher „sharp practice“ nicht gewährt, so daß keine Notwendigkeit bestand, exakte Regeln zu formulieren.30 Für die Anerkennung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht spricht zum Beispiel die Entscheidung Stevens v Adamson.31 Dort heißt es: „. . . in such transactions good faith was most essential, and the vendor . . . was bound to communicate to the vendee the fact of such notice.“32 Diese Entscheidung wird heute darauf reduziert, daß es um einen Rechtsmangel ging. Auf die Art des Mangels wird aber in der Entscheidung gar nicht eingegangen. Entscheidend war allein, daß der Mangel für den Käufer nicht erkennbar war und sein Verschweigen deshalb gegen die Gebote von good faith verstieß. Auch in anderen Entscheidungen wird für die Aufklärungspflicht bezüglich der Art des Mangels nicht unterschieden: „. . . it is the obvious duty of a vendor . . . to describe everything which it is material to know, in order to judge of the nature and value of the property“,33 und die Geltung von good faith ausdrücklich festgestellt: „The Court requires good faith in conditions of sale. . .“.34 Lucas v James35 ist ein weiterer Fall, der dafür spricht, daß der Verkäufer alle versteckten Mängel und nicht nur Rechtsmängel offenbaren mußte. 28

(1792) Peake 156; 170 ER 113. Dieser Fall ist besprochen unter D II. 2.a). Harpum, (1992) 108 LQR 280, 320. 30 Harpum, (1992) 108 LQR 280, 321. 31 (1818) 2 Stark 422; 171 ER 692. 32 Stevens v Adamson (1818) 2 Stark 422, 424; 171 ER 692, 693 per Abbott. 33 Brandling v Plummer (1854) 2 Drew 427, 430; 61 ER 785, 786. 34 Dimmock v Hallett (1866) 2 Ch App 21, 28 per Turner und 31 per Cairns. In dem Fall ging es allerdings nicht um Aufklärungspflichten, sondern um misrepresentation. 35 (1849) 7 Hare 410; 68 ER 170. 29

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Stein des Anstoßes war hier, daß sich in unmittelbarer Nachbarschaft des verkauften Wohnhauses ein Bordell befand. Als der Käufer davon erfuhr, weigerte er sich, den Vertrag zu erfüllen. Die Frage einer diesbezüglichen Aufklärungspflicht des Verkäufers war letztlich nicht entscheidungserheblich, dennoch nahm der Vice-Chancellor dazu Stellung. Nach seiner Ansicht muß der Verkäufer ihm bekannte Mängel der Kaufsache dem Käufer offenbaren, wenn sie für diesen nicht erkennbar sind.36 Hierbei stützte er sich auf Sugden. Er unterschied weder nach der Vertragsart noch nach der Art des Mangels: Offenbart werden müssen „defects in the subject of a contract“. Die Aufklärungspflicht über versteckte Mängel erstreckt sich seiner Meinung nach auch auf Ärgernisse in der Nachbarschaft, die sich auf den Wert des Grundstücks auswirken. Dieses dictum läßt sich mit der heutigen Lehre nicht vereinbaren und wird deshalb nicht ohne Mühe „wegerklärt“. Turner und Sutton haben im Kapitel zu Grundstückskaufverträgen einen mehrseitigen Abschnitt zu solchen „troublesome obiter dicta“ eingefügt.37 Die Überlegungen des ViceChancellors in Lucas v James erklären sie schon deshalb für irrelevant, weil sie nur obiter erfolgten. Außerdem sei Gegenstand der Entscheidung ein Antrag auf specific performance gewesen, so daß sich die Überlegungen des Vice-Chancellors nur darauf bezogen hätten, ob diese Nichtaufklärung Auswirkungen hätte auf die Ermessensentscheidung, eine specific performance zu gewähren. Keinesfalls habe er einer Rechtspflicht zur vorvertraglichen Aufklärung über Umstände, die nur den Wert des Grundstücks, aber nicht die Berechtigung daran betreffen, das Wort reden wollen. Dafür, daß den Verkäufer die Pflicht traf, den Käufer auf Sachmängel hinzuweisen, spricht auch das dictum von Vice-Chancellor Sir R. T. Kindersley in Brandling v Plummer:38 „There is no doubt what the principle is as to questions of this kind; it is the obvious duty of a vendor to make himself fully acquainted with all the peculiarities and incidents of the property which he is going to sell; and when he describes the property for the information of the purchaser, it is his duty to describe everything which it is material to know, in order to judge of the nature and value of the property. It is not for him just to tell what is not actually untrue, leaving out a great deal that is true; and leaving it to the purchaser to inquire whether there is any error or omission in the description or not.“

Auch Carlish v Salt39 ist ein Fall, der mit der heute geltenden Auffassung, wonach beim Grundstückskauf keine Aufklärungspflicht über Sach36 37 38 39

(1849) 7 Hare 410, 418; 68 ER 170, 173. Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 7.26 ff. (1854) 2 Drewr 427, 430; 61 ER 785, 786. [1906] 1 Ch 335.

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mängel besteht, schwer zu vereinbaren ist. Die Verkäufer eines Grundstücks hatten den Käufer nicht darüber informiert, daß sie eine verbindliche Aufforderung des Nachbarn erhalten hatten, sich an den Kosten für die Wiederherstellung einer Grenzmauer zu beteiligen (party wall notice). Als er davon Kenntnis erhielt, sagte der Käufer den Vertrag auf und verklagte die Verkäufer auf Rückzahlung seiner Anzahlung und Schadensersatz. Mit dieser Forderung konnte er sich durchsetzen, denn Justice Joyce entschied, daß es sich bei der party wall notice um einen versteckten Rechtsmangel handelte. Der Fall steht heute noch als Leitentscheidung für die Regel, daß versteckte Rechtsmängel offenbart werden müssen. Obwohl dies für die Entscheidung des Falls ausgereicht hätte, begnügte sich Joyce nicht mit der Feststellung, daß die Verkäufer außerstande waren, das Grundstück lastenfrei zu übertragen, sondern setzte sich grundlegend mit vorvertraglichen Aufklärungspflichten bei Grundstückskaufverträgen auseinander. Er folgte der allgemeinen Ansicht, daß das bloße Verschweigen eines Umstandes, über den keine Aufklärungspflicht besteht, kein Recht zur Auflösung des Vertrages gibt: „. . . mere non-disclosure on part of the vendor, apart from circumstances imposing a duty upon him to disclose or inform the other party, it does not entitle the purchaser to avoid his contract.“40 Im folgenden führte er aus, über welche Umstände eine Aufklärungspflicht besteht. Dazu übertrug er die Grundsätze, die Bramwell in Horsfall v Thomas41 für den Kauf beweglicher Sachen aufgestellt hatte, auf den Grundstückskauf: „In the case of the sale of a chattel, the law as stated by Bramwell B. in Horsfall v Thomas is that if there be a defect known to the manufacturer, and which cannot be discovered on inspection, he is bound to point it out. Upon consideration of the authorities, I am of opinion that the vendor of real estate is under a similar obligation with respect to a material defect in the title, or in the subject of the sale, which defect is exclusively within his knowledge, and which the purchaser could not be expected to discover for himself with the care ordinarily used in such transactions.“42

Noch im Jahr 1906 bestand also die Auffassung, daß den Verkäufer eines Grundstücks ebenso wie den Verkäufer einer beweglichen Sache die Pflicht trifft, den Käufer über versteckte Mängel der Kaufsache aufzuklären, die dieser nicht selbst erkennen kann. Joyce begrenzte den Anwendungsbereich der vorvertraglichen Aufklärungspflicht nicht auf versteckte Rechtsmängel, sondern erstreckte sie gleichermaßen auf versteckte Sachmängel. Darin folgte er der Ansicht Sugdens, auf den er sich ausdrücklich berief.43 Ebenso wie Sugden, der seine Auffassung auf die Entscheidung Mellish v Motteux44 stützte, leitete auch Joyce seine Position aus dem Wa40 41 42

[1906] Ch 335, 340 f. (1862) 1 H & C 90, 100; 158 ER 813, 817. [1906] Ch 335, 341.

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renkaufrecht ab. Diese relativ späte Entscheidung zeigt, daß vorvertragliche Aufklärungspflichten längst nicht so eindeutig abgelehnt wurden, wie dies heute glauben gemacht wird. Die Auffassung, nach der versteckte Sachmängel eines Grundstücks offenbart werden müssen, konnte sich jedoch in der Folge nicht durchsetzen.45 Turner und Sutton sprechen dem dictum von Joyce jede Bedeutung ab, weil es erstens nur obiter sei, zweitens nicht der Rechtslage entsprochen habe und schließlich, weil die Berufung auf die Entscheidung Horsfall v Thomas nach Erlaß des Sale of Goods Act 1893 eindeutig überholt sei.46 Das Bemühen, alle Entscheidungen, die den Schluß nahelegen, daß auch über versteckte Sachmängel eine vorvertragliche Aufklärungspflicht anerkannt wurde, auf einer anderen Grundlage zu erklären, ist wenig überzeugend. Turner und Sutton deuten Entscheidungen, in denen die Verletzung einer solchen Aufklärungspflicht festgestellt wurde, zum Teil dahingehend um, daß nicht nur ein Verschweigen vorgelegen habe, sondern eine konkludente Falschangabe, oder daß der Sachmangel gleichzeitig ein Rechtsmangel war und die Entscheidung auf dieser Basis erging. Wenn dies nicht funktioniert und man nicht umhin kann, das Verschweigen eines Sachmangels als Grundlage der Entscheidung zu akzeptieren, erklären Turner und Sutton, daß die Richter keine Rechtspflicht zur Aufklärung, sondern lediglich eine moralische Pflicht statuieren wollten, deren Verletzung zur Ablehnung einer Verurteilung zu specific performance ausreichend sein kann. Hilft auch das nicht, werden solche Aussagen schlicht deshalb für bedeutungslos erklärt, weil es sich nur um obiter dicta handelt.

c) Aufklärungspflichten über Sachmängel in der Literatur seit Pollock und Anson Für Pollock und Anson gehörte der Grundstückskauf zu der besonderen Gruppe von Verträgen, für die vorvertragliche Aufklärungspflichten aus der Natur des Vertrages folgen. Nach Ansicht Harpums beschränkte bereits Pollock die vorvertragliche Aufklärungspflicht auf Rechtsmängel.47 Eindeutig läßt sich dies Pollocks Ausführungen zum Grundstückskauf jedoch nicht 43 Er zitiert Sugden, Treatise of the Law of Property as Administered by the House of Lords, 1848, wo Sugden die gleiche Auffassung wie in „The Law of Vendors and Purchasers“ vertritt, [1906] Ch 335, 341. 44 (1792) Peake 156; 170 ER 113. 45 Shepherd v Croft [1911] 1 Ch 521; Harpum, (1992) 108 LQR 280, 327. 46 Nach der Ansicht von Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 7.27, ist Horsfall v Thomas durch den Erlaß des Sale of Goods Act 1893 überholt. 47 Harpum, (1992) 108 LQR 280, 319.

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entnehmen. So schreibt er: „. . . it is the duty of the vendor to give a fair and unambiguous description of his property and title.“48 Vom Wortlaut sind Sachmängel nicht ausgeschlossen, die Nennung von „property“ neben „title“ deutet eher auf das Gegenteil hin. Ausdrücklich schließt er Sachmängel nicht vom Anwendungsbereich der Regel aus, und auch aus dem Zusammenhang drängt sich ein solcher Ausschluß nicht auf. Auch aus Ansons sehr knappen Ausführungen zum Grundstückskauf geht nicht klar hervor, ob den Verkäufer eine vorvertragliche Aufklärungspflicht über Sachmängel trifft.49 Ausdrücklich unterscheidet auch er nicht zwischen Rechts- und Sachmängeln. Spencer Bower schließt Sachmängel im Ergebnis von der vorvertraglichen Aufklärungspflicht aus. Dies ist für ihn jedoch keine Frage des Prinzips von uberrima fides, sondern nur eine faktische Folge seiner Anwendung. Uberrima fides ist für Spencer Bower ein generelles Prinzip, mit dem sich alle bisherigen Fälle erklären und zukünftige Fallgestaltungen lösen lassen. Danach ist vorvertragliche Aufklärung nur über solche Umstände geschuldet, die ausschließlich die eine Partei kennt und kennen kann: „where the one must know, and the other must confide“.50 Spencer Bower behandelt den Fragenkomplex in einem einheitlichen Abschnitt mit dem Titel „Contracts between Vendors and Purchasers“. Vom Prinzip unterscheidet er weder zwischen Kaufverträgen über bewegliche Sachen und solchen über Grundstücke noch zwischen Rechts- und Sachmängeln. Ihm gelingt es, in Anwendung der Regel von uberrima fides zu erklären, warum Aufklärungspflichten nur für Rechtsmängel im Bereich der Grundstückskaufverträge anerkannt sind. Beim Warenkauf sind vorvertragliche Aufklärungspflichten seiner Ansicht nach überflüssig geworden durch den Schutz, den die im Sale of Goods Act 1893 gesetzlich festgeschriebenen implied terms gewähren.51 Beim Grundstückskauf ist es für ihn rein tatsächlich nicht denkbar, daß ein Sachmangel nur für den Verkäufer erkennbar ist, denn man ging damals davon aus, daß der Käufer sich ein Grundstück oder Haus vor dem Kauf genau ansieht und in der Lage ist, dabei alle Qualitätsmängel zu entdecken.52 Versteckte Sachmängel eines Grundstücks existierten in dieser Vorstellung nicht. Damit sind für Spencer Bower alle Sachmängel eines Grundstücks per se erkennbare Mängel und unterliegen somit keiner Offenbarungspflicht, sondern der Grundsatz von caveat emptor ist anwendbar. 48

Pollock, Principles of Contract, S. 459. Anson, Principles of the English Law of Contract, S. 141. 50 Spencer Bower, Rn. 83. 51 Spencer Bower, Rn. 110. 52 Spencer Bower, Rn. 117; Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 475. 49

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An dieser Stelle setzt die Kritik von Turner und Sutton53 an, die bestreiten, daß es sich bei uberrima fides überhaupt um ein Prinzip handelt. Nach ihrer Ansicht kann die Prämisse, alle Sachmängel eines Grundstücks seien für den Käufer gleichermaßen wie für den Verkäufer erkennbar, nicht mehr aufrechterhalten werden. Wenn man aber davon ausgeht, daß es Sachmängel gibt, die nur der Verkäufer kennt und in bezug auf welche folglich der Käufer auf die Information durch den Verkäufer angewiesen ist, dann müßte uberrima fides, sollte es sich wirklich um ein generelles Prinzip handeln, die Offenbarung dieser Umstände verlangen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Uberrima fides könne diese Fallgruppe nicht erklären, folglich könne es sich nicht um ein generelles Prinzip handeln, sondern es lasse sich nur als historische Zufälligkeit erklären, für welche Verträge vorvertragliche Aufklärungspflichten anerkannt sind und für welche nicht. d) Aufklärungspflichten über Sachmängel beim Grundstückskauf heute Auch wenn es heute heißt, daß beim Grundstückskauf in bezug auf Sachmängel der Grundsatz von caveat emptor den Käufer in aller Härte trifft, sind die tatsächlich erzielten Ergebnisse nicht so streng, wie diese Formulierung erwarten läßt, denn es fanden sich verschiedene Wege, um diese Härten abzumildern.54 Zum einen wird beim Grundstückskauf relativ einfach in ein Schweigen die konkludente Aussage hineininterpretiert, daß ein bestimmter Umstand nicht existiere, und damit der Weg zu den Rechtsbehelfen für unrichtige Erklärungen (misrepresentation) eröffnet.55 Zum anderen erlauben die Rechtsbehelfe der Equity, die im Ermessen des Gerichts stehen, eine gewisse Flexibilität. In Fällen, in denen es als ungerecht erschien, daß der Verkäufer aus dem Verschweigen eines Umstandes einen Vorteil zieht, weigerten sich die Gerichte, den Käufer zu einer specific performance zu verurteilen.56 Dabei blieb der Vertrag „at law“ gültig, aber der Verkäufer hatte nur noch einen Schadensersatzanspruch. Selbst wenn der Vertrag weiterhin gültig bleibt, kann der Käufer, „if it seems fit“ gemäß Section 49 (2) des Law of Property Act 1925, seine geleistete Anzahlung zurückfordern. In extremen Fällen wurde sogar schon auf Vertragsauflösung (rescission) erkannt.57 Zwar wird betont, daß trotz allem keine Rechts53

Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 5.06 ff. Zum folgenden siehe Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 7.21 ff. 55 Außerdem bietet das Verfahren des conveyancing einen gewissen Schutz. Dabei wird dem Veräußerer ein ausführlicher Fragenkatalog vorgelegt, den er zwar nicht beantworten muß; wenn er sich zur Beantwortung entschließt, muß er dies allerdings wahrheitsgemäß tun. Vgl. hierzu Atiyah, An Introduction to the Law of Contract, S. 249; Barnsley’s Conveyancing Practice. 56 Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 7.23. 54

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pflicht zur Aufklärung besteht, sondern nur eine moralische oder „equitable“ Pflicht, weil die Rechtsbehelfe der Equity im Ermessen des Gerichts stehen, aber es zählt das Ergebnis, daß bei treuwidriger Nichtaufklärung dem Käufer geholfen wird, wie auch immer man die dahinterstehende Aufklärungspflicht qualifizieren mag. 3. Short time lease Die Annahme einer Begrenzung des Grundsatzes von caveat emptor dahingehend, daß eine Obliegenheit zur Selbstinformation nur bestand, wenn diese auch möglich war, und jenseits dieser Grenze zum Schutz der nicht informierten Partei entweder Offenbarungspflichten oder implied terms eingriffen, wird durch das Beispiel des kurzfristigen Mietverhältnisses („short time lease“) bestätigt. Zwischen einem kurzfristigen Mietverhältnis und dem Erwerb von unbefristeten Rechten an einem Grundstück besteht kein prinzipieller Unterschied, jedoch wird der Grundsatz von caveat emptor für den Erwerb einer short time lease stärker betont.58 Vom Mieter wird erwartet, daß er vor Vertragsschluß das Grundstück oder die Räumlichkeiten besichtigt und alle vernünftigen und üblichen Erkundigungen einholt.59 Es bestehen daher im Normalfall weder vorvertragliche Aufklärungspflichten noch implied terms. Es gibt sogar Entscheidungen, wonach nicht einmal darauf hingewiesen werden muß, daß ein gemietetes Haus nicht bewohnbar ist, und eine Zusicherung der Bewohnbarkeit auch nicht in den Vertrag hineingelesen wird.60 Der Mieter trägt das Risiko für alle Mängel, die bei einer Besichtigung erkennbar wären, auch wenn er auf die Besichtigung verzichtet.61 In den Entscheidungen wurde immer betont, daß eine Besichtigungsmöglichkeit bestanden hatte.62 Selbst wenn der Vermieter weiß, zu 57 Flight v Booth (1834) 1 Bing NC 370; 131 ER 1160. Dieser Fall gilt heute noch als die maßgebliche Leitentscheidung, vgl. Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 7.22. 58 Harrison, Rn. 6.01; zu den Besonderheiten des englischen Miet- und Grundstücksrechts vgl. Grobecker, S. 217 ff. 59 Harrison, Rn. 6.03 60 Robbins v Jones (1863) 15 CB (NS) 221; 143 ER 768. Diese Auffassung vertrat auch noch Lord Atkin in Bell v Lever Bros [1931] All ER 1, 31. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts spielen im Mietrecht gesetzliche Vorschriften eine wichtige Rolle, und es gibt viele implications by statute, wie z. B. in Sections 8 und 11 des Landlord and Tenant Act 1985; vgl. auch Section 4 Defective Premises Act und Section 35 des Landlord and Tenant Act 1987. 61 Harrison, Rn. 6.03. 62 Hart v Windsor (1843) 12 M & W 68; 152 ER 1108; Arden v Pullen (1842) 10 M & W 321; 152 ER 492; Chappell v Gregory (1863) 34 Beav 250; 55 ER 631; Sutton v Temple (1843) 12 M & W 52; 152 ER 1108, in all diesen Fällen betonte das Gericht, daß der Mieter die Gelegenheit zur Besichtigung gehabt hätte.

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welchem Zweck der Mieter das Grundstück oder die Räumlichkeiten mieten will, muß er ihn nicht darauf hinweisen, daß sie zu diesem Zweck nicht geeignet sind, wenn der Mieter dies selbst herausfinden könnte.63 Aber auch für Mietverträge galt etwas anderes, wenn eine Besichtigung durch den Mieter unmöglich oder zumindest nicht praktikabel war, so daß er sich auf die Aussagen und das Urteil des Vermieters verlassen mußte. So erklärt sich die vermeintliche Besonderheit, daß bei einem Mietvertrag über möblierte Räumlichkeiten eine Zusicherung in den Vertrag hineingelesen wird, daß die Räume für den Zweck, für den sie offensichtlich gemietet werden, auch geeignet sind.64 Denn früher war es üblich, Wohnräume nur für die wenigen Monate einer Saison anzumieten, ohne diese zuvor zu besichtigen. Das Reisen war damals beschwerlich und zeitaufwendig, so daß eine Anreise nur zur Besichtigung nicht in Relation zu der kurzen Mietdauer gestanden hätte.65 Der Mieter konnte in dieser Situation nicht darauf verwiesen werden, er habe aufgrund eigenen Urteils gehandelt.66 Caveat emptor fand hier seine Grenze und der Mieter wurde durch die Anerkennung von implied terms geschützt. Die zugrundeliegende Idee, daß caveat emptor nur soweit reicht, wie die Möglichkeit einer Partei, die relevanten Informationen selbst zu beschaffen, und jenseits dieser Möglichkeit Schutzmechanismen in Form von vorvertraglichen Aufklärungspflichten oder implied terms eingreifen, ist aus dem Blick geraten. Geblieben ist die verselbständigte Ausnahme, daß bei möblierten im Gegensatz zu unmöblierten Räumlichkeiten ein implied term anerkannt ist, wonach sie für den vorausgesetzten Zweck geeignet sind. 4. Zwischenergebnis Die Entwicklung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten beim Grundstückskauf bestätigt, was sich schon bei den Aufklärungspflichten für den Warenkauf gezeigt hat. Sie bildeten sich nicht im Widerspruch zu dem Prinzip von caveat emptor sondern in Ergänzung dazu heraus. Denn caveat emptor verlangte nur, daß der Käufer alle ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzt, um sich die vertragswesentlichen Informationen zu beschaffen, und hatte seine Grenze dort, wo der Käufer sich selbst nicht informieren konnte, weil er zu den Informationen keinen Zugang hatte. An die63

Hill v Harris [1965] 2 QB 601. Im deutschen Recht würde der Grundsatz von Treu und Glauben wohl verlangen, daß der Vermieter den Mieter auf die mangelnde Eignung hinweist. 64 Smith v Marrable (1843) 11 M & W 5; 152 ER 693; Campbell v Lord Wenlock (1866) 4 F & F 716; 176 ER 760; Wilson v Finch Hatton (1877) Ex D 344. 65 Harrison, Rn. 6.07. 66 Atiyah, The Rise and Fall of Freedom of Contract, S. 476.

II. Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft

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ser Stelle wurde er geschützt, indem vom Verkäufer, der allein im Besitz der relevanten Informationen war, verlangt wurde, daß er diese dem Käufer offenbart. Im Warenkaufrecht war der Schutz durch vorvertragliche Aufklärungspflichten durch die gesetzliche Anerkennung verschiedener implied terms mit der Zeit überflüssig geworden. Beim Grundstückskauf, für den sich nicht in derselben Weise implied terms etabliert hatten, blieb es dabei, daß der Käufer durch vorvertragliche Aufklärungspflichten geschützt wurde, wenn er keinen Zugang zu den Informationen hatte. Dies galt vor allem für Rechtsmängel, da sich diese aus Urkunden ergaben, die sich im Besitz des Verkäufers befanden. Vom Prinzip galt für Sachmängel dasselbe, allerdings wurden für diese im Ergebnis fast nie vorvertragliche Aufklärungspflichten anerkannt, weil man davon ausging, daß Sachmängel für jemanden, der ein Grundstück oder Haus kauft und dieses besichtigt, erkennbar sind. Mit der Zeit geriet dieser Hintergrund aus dem Blick, und es verselbständigte sich die Regel, daß für Sachmängel keine Aufklärungspflicht besteht. Darüber, ob diese Regel heute noch gerechtfertigt ist, da Grundstückskäufe komplizierter geworden sind und sich Mängel nicht unbedingt mit bloßem Auge feststellen lassen (man denke nur an die Altlastenproblematik), läßt sich streiten. Eine befriedigende Lösung ließe sich sicher finden, wenn man, wie es früher als allgemeine Regel anerkannt war, Aufklärung immer dann verlangte, wenn nur die eine Partei Zugang zu den vertragsrelevanten Informationen hat.

II. Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft Ein weiterer Vertragstyp, der von Pollock und Anson zu den Verträgen uberrimae fidei gezählt wurde, ist der Erwerb von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft (contract to take shares in a company).67 Heute ist die Frage der Haftung für unterlassene Aufklärung beim Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft anläßlich ihrer Gründung spezialgesetzlich geregelt. Die Frage, ob der Anteilskauf als Vertrag uberrimae fidei zu qualifizieren ist, hat damit an Bedeutung verloren. Denn meist wird nicht mehr nach dem inneren Grund für die geltenden vorvertraglichen Aufklärungspflichten gefragt, sondern man begnügt sich damit, diese mit dem Willen des Gesetzgebers zu erklären und ordnet den Vertragstyp deshalb in die Ausnahmegruppe der Verträge ein, für die vorvertragliche Aufklärungspflichten gelten, weil sie durch Gesetz angeordnet sind.68 Von manchen wird der 67 Pollock, Principles of Contract, S. 446; Anson, Principles of the English Law of Contracts, S. 142. 68 Siehe z. B. Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 19.22: „Where statutory law is concerned, any such enquiry [as to the theory on which the doctrine is based] is entirely out of place . . . No question of theory or principle arises“; Fleischer, S. 844;

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D. Entwicklung bei weiteren Vertragstypen

Anteilskauf aber auch heute noch zu den Verträgen uberrimae fidei gezählt69 oder zumindest in die Nähe eines Vertrages uberrimae fidei gerückt.70 Offenbarungspflichten im Kapitalmarktrecht blicken in England auf eine lange Tradition zurück. Die Weitergabe begrenzter Informationen in einem Emissionsprospekt war bereits in Section 38 des Companies Act 1867 vorgesehen.71 Die wesentlichen Grundsätze wurden jedoch, schon bevor der Gesetzgeber aktiv wurde, von der Rechtsprechung in Anwendung des allgemeinen Vertragsrechts formuliert.72 1. Entwicklung der Aufklärungspflichten durch die Rechtsprechung Erst seit den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts waren die Gerichte in England überhaupt mit Fragen von fraud im Zusammenhang mit der Gründung und Kapitalbeschaffung von Gesellschaften befaßt.73 Die vierziger und sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts erlebten jeweils einen neuerlichen Boom an Gesellschaftsgründungen, vor allem von Eisenbahngesellschaften, gefolgt von einer Reihe von Zusammenbrüchen. Die Gerichte mußten auf die großen wirtschaftlichen Umbrüche reagieren und juristische Lösungen anbieten, vor allem wenn ein Unternehmen die Erwartungen der Investoren nicht erfüllt hatte oder gescheitert war. Aufgabe der Gerichte war es, einen Ausgleich zwischen den Interessen der Aktionäre, der Gesellschaft und jenen der Gläubiger der Gesellschaft zu schaffen. Da sich noch kein spezifisches Kapitalgesellschaftsrecht herausgebildet hatte, bedienten sie sich dazu der vorhandenen Werkzeuge und übertrugen die Regeln und Institute des allgemeinen Vertragsrechts auf den Erwerb von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft. Die wichtigsten Impulse für die Entwicklung der OffenbaMüller, S. 17. Wer in den durch Gesetz angeordneten Aufklärungspflichten eine eigenständige Ausnahmegruppe sieht, zählt meist auch die Verträge zu dieser Gruppe, für die spezielle Informationspflichten durch Verbraucherschutzvorschriften angeordnet sind, so z. B. Fleischer, S. 846 und Müller, S. 131. 69 Keeton/Sheridan, Equity, S. 407; Stevens and Borrie’s Elements of Mercantile Law, S. 39; Chitty/Beale on Contracts, Band I, Rn. 6–145: „Contracts to take shares in companies may be classified as uberrimae fidei because again the knowledge lies with one party alone.“ 70 Cheshire/Fifoot/Furmston, S. 314: „. . . a contract to take shares has become closely akin to one which is uberrimae fidei“. 71 Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 19.24, hier wurde der Gesetzgeber erstmals tätig in Reaktion auf die Beunruhigung der Öffentlichkeit in Folge der Prozesse um den Konkurs der Overend and Gurney Bank (hierzu siehe oben C III. 1). 72 Gower’s Principles of Modern Company Law, S. 407. 73 Lobban, (1996) 112 LQR 287, 289.

II. Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft

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rungspflichten in diesem Zusammenhang gingen von der Equity-Rechtsprechung aus. Denn Aktionäre, die in ein gescheitertes Unternehmen investiert hatten, versuchten ihrer Haftung häufig dadurch zu entkommen, daß sie den Aktienerwerb anfochten. Hierfür waren die Equity-Gerichte zuständig. Voraussetzung für eine Anfechtung war, daß der Vertrag durch fraud zustande gekommen war.74 So heißt es in New Brunswick and Canada Railway and Land Company v Conybeare: „Whenever an application is made to a court of equity to set aside a conveyance that has been made, the jurisdiction of a court of equity for the purpose must be founded on something amounting to fraud“.75 Wie bereits gezeigt, konnte fraud darin bestehen, daß entgegen einer bestehenden Aufklärungspflicht ein vertragswesentlicher Umstand bei Vertragsschluß nicht mitgeteilt wurde. Im folgenden soll untersucht werden, wie die Gerichte unter Anwendung der allgemeinen Grundsätze von fraud Regeln für die Prospekthaftung entwickelten, die im wesentlichen bis heute fortgelten. a) Pulsford v Richards Eine der ersten Entscheidungen, die Offenbarungspflichten in Emissionsprospekten behandelt, ist Pulsford v Richards.76 Dieser Fall spielt zur Zeit der Hochphase der gerichtlichen Bewältigung der Eisenbahnhysterie.77 Gegenstand der Entscheidung ist der Emissionsprospekt zur Gründung einer Kapitalgesellschaft, die in Belgien eine Eisenbahn bauen und betreiben sollte. Der Kläger wollte den im Vertrauen auf den Prospekt getätigten Aktienkauf rückgängig machen, weil die Direktoren im Prospekt bestimmte Verträge nicht offengelegt hatten, die sie zuvor mit dem Inhaber der Konzession für den Bau der Eisenbahnlinie abgeschlossen hatten und die diesem eine großzügige Bezahlung für seine Dienste als Projektleiter zusicherten. Der Master of the Rolls, Sir John Romilly, lehnte sich bei seinem Lösungsansatz ausdrücklich an die Haltung der Equity-Rechtsprechung zum Grundstückskauf an.78 Dies scheint nur natürlich, da mit der Welle der Gesellschaftsgründungen Beteiligungen an Kapitalgesellschaften den Landkauf als bis dahin wichtigste Investitionsform abgelöst hatten.79 Ausgangspunkt 74

Lobban, (1996) 112 LQR 287, 309. (1862) 9 HLC 711, 724; 11 ER 907, 913. 76 (1853) 17 Beav 87; 51 ER 965. 77 Die gründlichste Auseinandersetzung mit den rechtlichen Folgen der „railway mania“ bietet Kostal, Law and English Railway Capitalism, 1825–1875. Zum wirtschaftlichen Hintergrund der Entwicklung der Prospekthaftung siehe auch Lobban, (1996) 112 LQR 287, 297 ff. 78 (1853) 17 Beav 87, 95; 51 ER 965, 968. 75

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D. Entwicklung bei weiteren Vertragstypen

der Lösung von Sir John Romilly ist, daß der Käufer von Anteilen an einer Gesellschaft anläßlich ihrer Gründung mit den Direktoren der Gesellschaft einen Vertrag schließt, auf den die allgemeinen Regeln anwendbar sind. Der Emissionsprospekt übernimmt die Funktion der Angaben (representations) bei den Vertragsverhandlungen.80 Angaben im Prospekt sind damit genauso zu behandeln wie die Äußerungen einer Partei bei den Verhandlungen zu einem gewöhnlichen Austauschvertrag. Dies betonte Sir John Romilly nochmals ausdrücklich in einer späteren Entscheidung.81 Falsche Angaben oder Auslassungen in einem Prospekt erfüllen daher den Anfechtungsgrund der misrepresentation. Vor der Lösung der konkreten, durch den Fall aufgeworfenen Fragen äußert sich Sir John Romilly zu den Grundprinzipien der misrepresentation: „The basis of this, as well as of most of the great principles on which the system of equity is founded, is the enforcement of a careful adherence to truth in all the dealings of mankind.“82 Der Vertragstyp spielt für ihn keine Rolle, sondern er sieht in der Pflicht zur Wahrheit eine allgemeine Vertragspflicht. Dabei kann der Tatbestand der misrepresentation ganz selbstverständlich durch Schweigen ebenso erfüllt sein wie durch eine positive Angabe: „With respect to the character or nature of the misrepresentation itself, it is clear that it may be positive or negative; that it may consist as much in the suppression of what is true as in the assertion of what is false.“83 Die fraglichen Verträge mußten jedoch nicht im Prospekt angegeben werden. Denn der Sinn der Offenbarungspflicht sei, den potentiellen Investoren eine sachgerechte Investitionsentscheidung zu ermöglichen. Deshalb bräuchten nur solche Umstände erwähnt zu werden, die für den für die Gesellschaft zu erwartenden Erfolg wesentlich sind. Die Höhe der Bezahlung für die Dienste des Konzessionsinhabers wirke sich nicht dauerhaft auf den Unternehmenswert und den zu erwartenden Erfolg der Eisenbahngesellschaft aus. Dieser hänge von den geplanten Eisenbahnlinien, der Bevölkerung, dem wirtschaftlichen Wohlstand und Verkehrsaufkommen der Orte, die an der Eisenbahnlinie liegen sollen, sowie den Schwierigkeiten der Baudurchführung und den Kosten des erforderlichen Landerwerbs ab, nicht jedoch von der Vergütung des Projektleiters.

79 80 81 82 83

Harrison, Rn. 7.01. (1853) 17 Beav 87, 97; 51 ER 965, 969. Jennings v Broughton (1853) 17 Beav 234, 238; 51 ER 1023, 1025. (1853) 17 Beav 87, 94; 51 ER 965, 968. (1853) 17 Beav 87, 96; 51 ER 965, 968.

II. Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft

193

b) Jennings v Broughton Wenige Monate nach dieser Entscheidung erhielt Sir John Romilly in Jennings v Broughton84 die Gelegenheit, die Gründe für eine vorvertragliche Offenbarungspflicht beim Kauf von Gesellschaftsanteilen nochmals detaillierter darzulegen. Auch in diesem Fall wollte sich der Kläger unter Berufung auf einen irreführenden Emissionsprospekt von seinem Aktienkauf lösen. Die betreffende Gesellschaft sollte eine Erzmine betreiben, die sich jedoch als weit weniger ertragreich herausgestellt hatte, als der Prospekt erwarten ließ. Sir John Romilly bestätigte ausdrücklich die Entscheidung Pulsford v Richards.85 Wieder löste er die Frage der Anfechtbarkeit des Aktienkaufs mit den Regeln des allgemeinen Vertragsrechts. Nach seiner Ansicht ist der Aktienkauf ein gewöhnlicher Vertrag zwischen dem Anteilserwerber und den Direktoren.86 Die Anfechtung des Vertrages ist daher möglich, wenn der Emissionsprospekt „such misrepresentation, or such suppression of existing facts“ enthält, daß vernünftigerweise anzunehmen ist, der Kläger hätte bei Kenntnis dieser Umstände den Vertrag nicht geschlossen.87 Auch hier wird das Unterlassen der Information selbstverständlich mit der aktiven Falschinformation gleichgesetzt. Zwar gestand Sir John Romilly zu, daß die Ertragsaussichten der Mine im Prospekt in leuchtenden und übertriebenen Farben gezeichnet worden seien; der Kläger konnte sich jedoch nicht auf misrepresentation berufen, weil ihm dieselben Informationsquellen über die Mine offenstanden wie den Direktoren der Gesellschaft und beide Seiten diese Quellen genutzt hatten.88 Der Kläger hatte die Mine zweimal besichtigt. Für den geforderten gleichen Zugang zu den vertragswesentlichen Informationen genügte allerdings nicht die bloße Möglichkeit, die Mine in Augenschein zu nehmen, sondern es war darüber hinaus erforderlich, daß der Erwerber in der Lage war, aus dem Gesehenen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Die Besichtigung allein durch einen nicht sachkundigen Besucher wäre in den Augen Sir John Romillys daher bedeutungslos gewesen. Diese Voraussetzung war hier erfüllt, denn der Kläger hatte bei den Besichtigungen kompetente Fachleute befragt, die ihm korrekte Auskünfte gaben. Die Direktoren selbst hatten keine weitergehenden Informationsmöglichkeiten als der Kläger. Damit war ihnen kein Vorwurf von „mala 84

(1853) 17 Beav 234; 51 ER 1023. (1853) 17 Beav 234, 238; 51 ER 1023, 1025. 86 Die eigene Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft war zu der Zeit noch nicht eindeutig anerkannt, so daß als Vertragspartner die Direktoren und nicht die Gesellschaft selbst angesehen wurden, vgl. hierzu Lobban, (1996) 112 LQR 287, 290, 319 ff. und zur Geschichte des Kapitalgesellschaftsrechts Gower’s Principles of Modern Company Law, Kapitel 3. 87 (1853) 17 Beav 234, 239; 51 ER 1023, 1025. 88 (1853) 17 Beav 234, 242; 51 ER 1023, 1026. 85

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D. Entwicklung bei weiteren Vertragstypen

fides“ oder fraud zu machen.89 Folglich hatte es sich der Kläger selbst zuzuschreiben, daß er übertriebene Erwartungen an den Ertrag der Mine gestellt hatte, und er konnte sich nicht von dem ungünstigen Geschäft lösen. Die klarsten Begründungen für eine vorvertragliche Aufklärungspflicht bei der Begabe von Aktien bei der Gründung einer Gesellschaft finden sich in den Entscheidungen New Brunswick and Canada Railway and Land Company v Muggeridge90 und Central Railway Co of Venezuela v Kisch,91 zwei weitere Fälle, die Emissionsprospekte von Eisenbahngesellschaften zum Gegenstand haben. c) New Brunswick and Canada Railway and Land Company v Muggeridge In New Brunswick and Canada Railway and Land Company v Muggeridge ist die Fallkonstellation umgekehrt zu der in Pulsford v Richards. Die Eisenbahngesellschaft verklagte den Beklagten auf Übernahme der von ihm gezeichneten Aktien, nachdem dieser die Vertragserfüllung verweigert hatte, als der Preis für die Aktien gefallen war. Der Beklagte berief sich darauf, daß er den Vertrag im Vertrauen auf den Ausgabeprospekt abgeschlossen habe, der jedoch unvollständig und irreführend sei, und er folglich den Vertrag wegen einer misrepresentation nicht erfüllen müsse. Der Prospekt erweckte den Eindruck, als hätte die Gesellschaft eine große Fläche Land entlang der geplanten Eisenbahnstrecke von der Regierung New Brunswicks bereits zu unbedingtem Eigentum erhalten, jedoch ohne dies ausdrücklich zu behaupten. Tatsächlich war der Erwerb des Landes der Gesellschaft von der Regierung in Aussicht gestellt worden, allerdings erst für den Zeitpunkt der Fertigstellung eines Streckenabschnitts und nur für den Fall, daß sich bis dahin dort keine Siedler niedergelassen hatten. Sir R. T. Kindersley hatte darüber zu entscheiden, ob das Verschweigen dieser Umstände eine misrespresentation darstellte, die zur Ablehnung einer Verurteilung zu specific performance führt. Dieser Fall illustriert, daß sich noch keine einheitliche Terminologie durchgesetzt hatte. Denn misrepresentation wurde einerseits als Oberbegriff für vorwerfbare unrichtige und unterlassene Angaben verwandt und andererseits als Bezeichnung nur für unzutreffende Angaben und bildete damit den Gegenbegriff zu concealment. Sir R. T. Kindersley hielt es daher für angezeigt, zunächst zur Terminologie Stellung zu nehmen: „And when I use the term misrepresentation, it would be more accurate to describe it as a want of that full and true and complete representa89 90 91

(1853) 17 Beav 234, 243; 51 ER 1023, 1026. (1860) 1 Dr & Sim 363; 62 ER 418. (1867) LR 2 HL 99.

II. Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft

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tion which, in my opinion, ought to have been adopted by persons issuing such a prospectus as this, and inviting persons to apply for shares on the faith of its representations.“92 In den Leitsätzen des Falls heißt es: „what concealment or ambiguity amounts to misrepresentation“;93 dieser Ausdruck wird heute noch oft verwandt, um vorvertragliche Aufklärungspflichten zu beschreiben. Doch welcher Ausdruck auch immer dafür gewählt wurde, klar ist, daß das bloße Verschweigen eines Umstandes ausreichen konnte, um zur Ablehnung einer Verurteilung zu specific performance zu führen. Aufgabe des Prospekts ist es, den potentiellen Investor über alle Umstände des Projekts zu informieren, die er kennen muß, um eine sachgerechte Investitionsentscheidung treffen zu können: „. . . it appears to me that it is quite necessary to uphold this as a principle: that those who issue a prospectus holding out to the public the great advantages which will accrue to persons who will take shares in a proposed undertaking, and inviting them to take shares on the faith of the representations therein contained, are bound to state everything with strict and scrupulous accuracy, and not only to abstain from stating as facts that which is not so, but to omit no one fact within their knowledge the existence of which might in any degree affect the nature, or extent, or quality of the privileges and advantages which the prospectus holds out as inducements to take shares.“94

Die Tatsachen, aus denen sich ergab, daß die Gesellschaft noch nicht Eigentümerin des Landes war, sondern stattdessen der Eigentumserwerb von weiteren unsicheren Faktoren abhing, und die Investoren folglich allein durch den Erwerb von Gesellschaftsanteilen noch keine Berechtigung an diesem Land erlangten, waren wesentlich für ihre Investitionsentscheidung. Somit traf die Direktoren für diese Umstände eine Aufklärungspflicht. Das Verschweigen dieser Tatsachen erfüllte damit den Tatbestand der misrepresentation, und es bestand kein Anspruch auf specific performance. Zwar gestand Sir R. T. Kindersley der Klägerin zu, daß der Anteilskäufer unvorsichtig und leichtgläubig war, denn bei Anstrengung seines Verstandes hätte ihm klar sein müssen, daß kein Grund bestand, warum die Regierung der Gesellschaft ohne eine Gegenleistung das fragliche Land zu unbedingtem Eigentum hätte übertragen sollen. Dennoch mußten sich die Direktoren an dem festhalten lassen, was sie im Prospekt aussagten. Sie konnten sich nicht darauf berufen, der Anteilskäufer sei nachlässig und nicht ausreichend umsichtig gewesen, als er sich auf das verließ, was die Sprache des Prospekts „naturally and fairly“95 aussagte. 92 93 94 95

(1860) (1860) (1860) (1860)

1 1 1 1

Dr Dr Dr Dr

& & & &

Sim Sim Sim Sim

363, 363; 363, 363,

367; 62 ER 418, 420. 62 ER 418. 381 f.; 62 ER 418, 425. 382; 62 ER 418, 425.

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D. Entwicklung bei weiteren Vertragstypen

d) Central Railway Co of Venezuela v Kisch Das von Sir R. T. Kindersley formulierte Prinzip wurde einige Jahre später in Central Railway Co of Venezuela v Kisch96 ausdrücklich bestätigt. In dieser Entscheidung kommt der Leitgedanke der vorvertraglichen Fairneß besonders deutlich zum Ausdruck. Der Beklagte hatte den Kaufvertrag über Aktien einer Eisenbahngesellschaft angefochten, weil der Prospekt in verschiedenen Punkten irreführend war und wesentliche Umstände verschwieg, insbesondere daß die Konzession zum Bau und Betrieb der Eisenbahn nicht unentgeltlich von der Regierung Venezuelas erteilt wurde, sondern erst für eine hohe Summe einer anderen Gesellschaft abgekauft werden mußte. Das führende dictum stammt von Lord Chelmsford. Er bekräftigte die Ausführungen von Sir R. T. Kindersley in New Brunswick v Muggeridge ausdrücklich und zitierte die entscheidenden Passagen sogar wörtlich.97 Zwar gestand er einem Emissionsprospekt zu, daß darin das Unternehmen in einem möglichst günstigen Licht gezeichnet werde und es somit besonders optimistische Erwartungen und positive Übertreibungen enthalte, von denen der potentielle Investor gewisse Abstriche machen müsse. Jedoch sei es nicht gestattet, darin falsche Angaben über wesentliche Umstände zu machen oder solche Umstände zu verschweigen, denn der Prospekt solle dem Investor eine informierte Investitionsentscheidung ermöglichen: „In my opinion, the public, who are invited by a prospectus to join in any new adventure, ought to have the same opportunity of judging of everything which has a material bearing on its true character, as the promoters themselves possess. It cannot be too frequently or too strongly impressed upon those who, having projected any undertaking, are desirous of obtaining the co-operation of persons who have no other information on the subject than that which they choose to convey, that the utmost candour and honesty ought to characterize their published statements.“98

Da der Prospekt die einzige Informationsquelle über das Unternehmen sei, erfordere die Fairneß, daß darin alle Informationen enthalten sind, deren Kenntnis für eine sachgerechte Investitionsentscheidung notwendig ist. „Utmost candour and honesty“ enthält schon sprachliche Anklänge an das Prinzip von uberrima fides. Aber auch Lord Chelmsford entwickelte seine Lösung mit dem allgemeinen Vertragsrecht und stellte keine besonderen Regeln auf, die nur bestimmte Vertragstypen betreffen. Es hatte sich noch keine einheitliche Terminologie durchgesetzt. Die Begriffe „fraudulent concealment“, „fraudulent suppression of the truth“, „intentional and improper suppression“, „fraud“ und „suppressio veri“ wurden von allen drei Richtern 96 97 98

(1867) LR 2 HL 99. (1867) LR 2 HL 99, 113. (1867) LR 2 HL 99, 113.

II. Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft

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ohne Bedeutungsunterschied verwandt. Das Verständnis von fraud erfaßte weiterhin auch reines Schweigen. Der Gedanke der vertraglichen Fairneß findet an einigen Stellen Ausdruck, zum Beispiel: „It is difficult to understand how such an important fact can have been honestly omitted from the prospectus“;99 „this was not a fair and honest representation“.100 Weil jede verschwiegene Tatsache für sich allein für die Auflösung des Vertrages nicht ausreichend war, schloß Lord Chelmsford der Untersuchung der Vorwürfe im einzelnen eine Gesamtwürdigung des Prospekts mit all seinen Aussagen und Auslassungen unter dem Gesichtspunkt seiner „general fairness“101 an und kam zu dem Schluß, daß der Prospekt in seiner Gesamtheit irreführend war. Die Direktoren konnten sich deshalb auch nicht darauf berufen, daß der Aktienerwerber die Wahrheit durch sorgfältige Nachforschungen hätte herausfinden können, denn dieser könne ihnen entgegenhalten: „You, at least, who have stated what is untrue, or have concealed the truth, for the purpose of drawing me into a contract, cannot accuse me of want of caution because I relied implicitly upon your fairness and honesty.“102 e) Vorvertragliche Aufklärungspflichten als Gebot von Treu und Glauben Bemerkenswert ist, daß es den Richtern gelungen ist, für eine Materie, die heute als vom allgemeinen Vertragsrecht weitgehend abgekoppeltes Spezialgebiet gilt, die wesentlichen, heute noch gültigen Kriterien für eine vorvertragliche Informationspflicht zu formulieren, indem sie nicht etwa die Besonderheit dieser Rechtsgeschäfte herausstellten, sondern indem sie betonten, daß es sich bei dem Anteilskauf um gewöhnliche Austauschverträge handelt. Die Lösung für den Umgang mit dem neu aufgetretenen Phänomen der irreführenden Emissionsprospekte lag in der Anwendung der allgemeinen Regeln des Vertragsrechts, insbesondere des Grundprinzips von good faith. Der Leitgedanke aller soeben dargestellten Entscheidungen ist die vertragliche Fairneß. Die Regeln über die Informationspflichten in Emissionsprospekten entsprechen einer Anwendung der von Lord Mansfield in Carter v Boehm103 formulierten Prinzipien, ohne daß die Richter jedoch diesen Fall zitierten. Über die dahinterstehenden Gründe kann man nur spekulie99

(1867) LR 2 HL 99, 117. (1867) LR 2 HL 99, 120. 101 (1867) LR 2 HL 99, 117. 102 (1867) LR 2 HL 99, 121. 103 (1766) 3 Burr 1905; 97 ER 1162. 100

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D. Entwicklung bei weiteren Vertragstypen

ren. Wahrscheinlich faßte man Carter v Boehm schon als spezielle Entscheidung zum Versicherungsvertragsrecht auf, das zu dieser Zeit wohl bereits zu weit vom allgemeinen Vertragsrecht entfernt war, als daß man eine Analogie dazu gebildet hätte.104 Der ungleiche Informationszugang war schon für Lord Mansfield das entscheidende Moment, das die auf dem Prinzip von Treu und Glauben gründende vorvertragliche Aufklärungspflicht auslöst. Zur Erinnerung: „Good faith forbids either party by concealing what he privately knows, to draw the other into a bargain, from his ignorance of that fact, and his believing the contrary. But either party may be innocently silent, as to grounds open to both, to exercise their judgment upon.“105 Ausgangspunkt der Entscheidungen ist, daß dem Anteilskäufer eine informierte Investitionsentscheidung ermöglicht werden muß. Voraussetzung hierfür ist gleicher Informationszugang für beide Parteien. Wenn nur eine Partei Zugang zu den vertragswesentlichen Informationen hat, widerspricht es der vertraglichen Fairneß, wenn sie ihren Informationsvorsprung zum Abschluß eines vorteilhaften Vertrages ausnutzt. Sie trifft deshalb über diese Umstände eine vorvertragliche Aufklärungspflicht. Verletzt sie diese, so erfüllt dies den Tatbestand des fraud in Form einer misrepresentation oder undue concealment. Es hatte sich noch keine einheitliche Terminologie durchgesetzt, klar ist aber, daß reines Schweigen genügte. Die Verletzung der Aufklärungspflicht gibt der anderen Partei ein Recht zur Anfechtung (rescission) und bildet einen Einwand gegen eine Verurteilung zu specific performance. Die Richter gingen nicht schematisch vor, sondern entschieden nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. Der Umfang der Offenbarungspflichten ergab sich nicht automatisch daraus, daß der Vertrag einer bestimmten Gruppe von Verträgen zugeordnet wurde, sondern die Richter argumentierten mit allgemeinen Grundsätzen, die für alle Verträge galten. Zwar ist beim Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft die Situation typischerweise so, daß die Gründer und Direktoren einer Gesellschaft Informationen über das geplante Unternehmen haben, zu denen der Anteilskäufer keinen Zugang hat. Das Typische allein begründete aber noch keine Offenbarungspflicht, sondern es kam auf die tatsächliche Möglichkeit zur Information im Einzelfall an. Dies illustriert die Entscheidung Jennings v Broughton, wo sich der Käufer deshalb nicht vom Vertrag lösen konnte, weil im konkreten Fall die Informationsmöglichkeiten der Direktoren der 104 In Pulsford v Richard (1853) 17 Beav 87, 95; 51 ER 965, 968 war eine Analogie zum Grundstückskauf gebildet worden. Für den Grundstückskauf hatte man früher seinerseits eine Analogie zum Versicherungsrecht gebildet, vgl. Tomkins v White (1806) 3 Smith’s Rep 435, 439. 105 (1766) 3 Burr 1905, 1910; 97 ER 1162, 1164.

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Gesellschaft denen des Käufers nicht überlegen waren. Die für einen fairen Vertragsschluß notwendige Voraussetzung des „equal footing“ bestand von vornherein und mußte nicht erst dadurch hergestellt werden, daß die Direktoren dem Anteilskäufer Informationen, zu denen dieser keinen Zugang hatte, offenbarten. Auch in Central Railway Co of Venezuela v Kisch war entscheidend, daß die Investoren nicht die gleichen Möglichkeiten hatten, das Unternehmen zu beurteilen, wie die Gründer selbst. Ein weiteres Beispiel ist die Entscheidung In re Reese River Silver Mining Company (Smith’s Case)106, wo es um den Kauf von Anteilen an einer Mine ging. Dort wurde darauf abgestellt, daß die in Nevada gelegene Mine so weit entfernt war, daß eine Besichtigung und unabhängige Untersuchung der Mine unmöglich war und sich die Anteilskäufer zur Beurteilung der Investition folglich auf die Angaben im Prospekt verlassen mußten.107 Es kam also darauf an, ob im konkreten Fall der Anteilskäufer auf die Information durch die andere Partei angewiesen war; dann erforderte Treu und Glauben die ungefragte Mitteilung dieser Umstände. Die Entscheidungen zur Prospekthaftung stehen damit in Einklang mit der Entwicklung vorvertraglicher Aufklärungspflichten im allgemeinen Vertragsrecht vor Anson und Pollock. Zwar ist grundsätzlich jede Partei selbst dafür verantwortlich, sich über den Vertragsgegenstand zu informieren, diese Obliegenheit zur Selbstinformation kann aber nicht weiter reichen als die Möglichkeit der Informationsbeschaffung. Ein gerechter Vertrag kann nur ausgehandelt werden, wenn beide Parteien auf gleicher Augenhöhe sind. Dazu gehört vor allem die Möglichkeit, den Vertrag sachgerecht beurteilen zu können, was den Zugang zur Information voraussetzt. Ist eine Partei zur Informationsbeschaffung auf die andere Partei angewiesen, so trifft diese eine Aufklärungspflicht. Diese Grundsätze bilden die notwendige Ergänzung von caveat emptor und haben schon beim Warenkauf zu einer Begrenzung dieses Prinzips geführt, indem eine Aufklärungspflicht des Verkäufers für versteckte Mängel anerkannt wurde, beziehungsweise der Vertrag um implied terms ergänzt wurde. 2. Von Treu und Glauben zu uberrima fides Auch für den Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft läßt sich die Behandlung als besonderer Vertragstyp, der zu einer Kategorie von Verträgen zählt, für die vorvertragliche Aufklärungspflichten anerkannt werden, auf Pollock und Anson zurückführen. Die Gerichte kamen ohne diese Kategorienbildung aus, der Begriff uberrima fides fällt in den Entscheidungen nicht. 106 107

(1867) LR 2 Ch 604. (1867) LR 2 Ch 604, 614.

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Pollock zählt den Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft zu der Ausnahmegruppe von Verträgen, für die wegen ihrer besonderen Natur vorvertragliche Aufklärungspflichten gelten.108 Die Besonderheit, die der Anteilskauf mit den anderen Vertragstypen dieser Ausnahmegruppe gemeinsam haben soll, ist, daß nur eine Vertragspartei die vertragswesentlichen Umstände kennt und die andere Partei auf deren Angaben vertrauen muß. Obwohl sein Text nach Inkrafttreten des Companies Act 1867 entstanden ist, der in Section 38 eine Form der Prospekthaftung vorsah, stützt sich Pollock hauptsächlich auf die vor Erlaß dieser Vorschrift ergangenen Gerichtsentscheidungen. Er beginnt seine Ausführungen mit den bekannten Zitaten von Lord Chelmsford aus der Entscheidung Central Railway Company of Venezuela v Kisch und von Sir R. T. Kindersley aus New Brunswick v Muggeridge. Danach muß die Öffentlichkeit, die in dem Emissionsprospekt aufgefordert wird, sich auf das Abenteuer eines neuen Unternehmens einzulassen, dieselbe Möglichkeit haben, sich ein Urteil über dieses Unternehmen bilden zu können, wie die Gründer.109 Der Prospekt dürfe keinen Umstand verschweigen, der geeignet ist, die Investitionsentscheidung zu beeinflussen. Dem Zitat fügt er lediglich noch eine Aufzählung einiger Angaben, die der Prospekt enthalten muß, hinzu, wie zum Beispiel die Eigenschaften und den Wert des von der Kapitalgesellschaft zu erwerbenden Eigentums und die Höhe des Eigenkapitals. Sollte ein wesentlicher Umstand in dem Prospekt nicht enthalten sein, so hat der Aktienerwerber innerhalb eines vernünftigen Zeitraums nach Erwerb der Anteile und vor Liquidation der Gesellschaft das Recht, den Aktienkauf anzufechten. Anson zählt den Aktienkauf zu den Verträgen uberrimae fidei.110 Da seiner Ansicht nach die Regeln über die in einem Prospekt erforderliche Ehrlichkeit und Vollständigkeit nicht besser formuliert werden könnten als von Sir R. T. Kindersley in New Brunswick v Muggeridge beschränkt er seine Ausführungen auf das Zitat aus dieser Entscheidung, das schon Pollock herangezogen hat. Er übergeht den Companies Act 1867 völlig.111 Pollock und Anson erwecken mit ihrer Darstellung den Eindruck, als hätten die Gerichte in New Brunswick v Muggeridge und Central Railway Company of Venezuela v Kisch entschieden, daß der Aktienkauf in eine besondere Kategorie von Verträgen fällt, für die anders als für andere Verträge vorvertragliche Aufklärungspflichten bestehen. Anson führt außerdem noch ein Zitat von Lord Chelmsford aus der Entscheidung Peek v Gurney an, wo dieser angeblich auf den Unterschied zwischen fraud und „such non-fraudu108 109 110 111

Pollock, Principles of Contract, S. 446. Pollock, Principles of Contract, S. 462 f. Anson, Principles of the English Law of Contract, S. 129. Anson, Principles of the English Law of Contract, S. 142.

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lent Misrepresentation as makes a contract of this nature voidable“ hingewiesen habe.112 Anson schreibt dazu: „He intimates that mere non-disclosure can never amount to fraud unless accompanied with such substantial representations as give a false air to facts, but that ,it might be a ground in a proper proceeding at a proper time for setting aside an allotment or purchase of shares.‘“ Die Hervorhebung stammt von Anson. Dieses Zitat suggeriert, daß Lord Chelmsford den Anteilskauf als zu einer besonderen Gruppe von Verträgen zugehörig angesehen habe, für die anders als für gewöhnliche Verträge schon das Verschweigen eines Umstandes ein Anfechtungsrecht begründet. Tatsächlich spielte der Vertragstyp für die Entscheidung aber keine Rolle, sondern es ging darum, daß die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch andere sind als für eine Anfechtung. Wie oben gezeigt, gründeten die Entscheidungen gerade nicht darauf, daß es sich beim Anteilskauf um einen besonderen Vertragstyp handelt, sondern auf der Anwendung der für alle Verträge geltenden Regel, wonach die vorvertragliche Fairneß gebietet, daß sich beide Parteien ein Urteil über den Vertragsgegenstand bilden können müssen. Dies kann eine Aufklärungspflicht für die Partei auslösen, die allein Zugang zu den vertragswesentlichen Informationen hat. Dabei kam es jedoch immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. In Pollocks und Ansons Vorhaben, ein möglichst logisches System des Vertragsrechts zu errichten, war für wertende Entscheidungen im Einzelfall kein Raum. Sie destillierten aus den Entscheidungen heraus, daß es beim Anteilskauf ähnlich wie bei der Versicherung in der Natur des Vertrages liege, daß nur eine Partei die wesentlichen Umstände kennt. Diese Partei trifft daher eine Aufklärungspflicht. Die Frage, ob eine Aufklärungspflicht besteht oder nicht, ist damit losgelöst von einer wertenden Betrachtung im Einzelfall; statt dessen löst der Vertragstyp einen Automatismus aus. Der Grundsatz des fairen Verhaltens bei Vertragsverhandlungen ist einer starren Formel gewichen. Der innere Grund der Entscheidungen, die Gebote des fairen Verhaltens bei Vertragsverhandlungen, wird nicht mehr erwähnt. Was bleibt, sind isolierte Ausnahmegruppen. Die Frage, ob der Anteilskauf als Vertrag uberrimae fidei zu qualifizieren ist, hat nie wirklich praktische Bedeutung erlangt. Die Gerichte waren bei der Herausarbeitung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten noch ohne jede Kategorienbildung ausgekommen. Seit 1867, als die Grundlinien durch die Rechtsprechung bereits festgelegt waren, wurde die Prospektpflicht Gegenstand der Gesetzgebung.113 Somit kam es für die Frage, in welchem Umfang beim Anteilskauf Aufklärungspflichten bestehen, schon in dem Moment, als die Kategorie uberrima fides erfunden wurde, nicht mehr auf 112 113

Anson, Principles of the English Law of Contract, S. 143. Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 19.22.

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die Klassifizierung dieses Vertrages an, weil die entsprechenden Pflichten durch Gesetz angeordnet waren. 3. Die heutige gesetzliche Regelung Offenbarungspflichten im Kapitalmarktrecht sind heute weitgehend gesetzlich geregelt.114 Die gesetzliche Regelung ist in zwei Bereiche unterteilt. Die Prospektpflicht für Aktien und Schuldverschreibungen, die zum Handel am offiziellen Markt der London Stock Exchange zugelassen werden sollen (listed securities) ist in Part IV Financial Services Act 1986 geregelt, für alle anderen Aktien und Schuldverschreibungen (unlisted securities) gelten die Public Offers of Securities Regulations 1995. In diesen beiden Regelungswerken sind auch die entsprechenden Vorgaben des Europarechts umgesetzt.115 Kernstück der Regelungen des Financial Services Act 1986 ist Section 146, der generalklauselartig eine umfassende Informationspflicht anläßlich der Begebung von Aktien und Schuldverschreibungen anordnet. Diese soll dem Investor ermöglichen, sich ein sachgerechtes Urteil über die Emission und den Emittenten bilden zu können. Dort heißt es: „146 (1) In addition to the information specified by listing rules or required by the competent authority . . . as a condition of the admission of any securities to the Official List any listing particulars to the competent authority under section 144 above shall contain all such information as investors and their professional advisers would reasonably require, and reasonably expect to find there, for the purpose of making an informed assessment of (a) the assets and liabilities, financial position, profits and losses, and the prospects of the issuer of the securities; and (b) the rights attaching to those securities.“

Mit dieser Generalklausel wurden Artikel 11 Abs. 1 der „Emissionsprospektrichtlinie“ und Artikel 4 Abs. 1 der „Börsenzulassungsrichtlinie“ umgesetzt.116 114

Ausführlich zur Prospektpflicht vgl. 7 (1) Halsbury’s Laws, §§ 281 ff.; Gower’s Principles of Modern Company Law, S. 406 ff.; Spencer Bower/Turner/Sutton, Kapitel 19. Siehe auch Fleischer, S. 844 ff.; Müller, S. 117 ff. 115 „Börsenzulassungsprospektrichtlinie“, Richtlinie zur Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, die Kontrolle und die Verbreitung des Prospektes, der für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse zu veröffentlichen ist, vom 17.3.1980, ABl. EG Nr. L 100 v. 17.4.1980, S. 1 ff.; „Emissionsprospektrichtlinie“, Richtlinie für die Koordinierung der Bedingungen für die Erstellung, Kontrolle und Verbreitung des Prospekts, der im Falle öffentlicher Angebote von Wertpapieren zu veröffentlichen ist, vom 17.4.1989, ABl. EG Nr. L 124 v. 5.5.1989, S. 8 ff. 116 In der Präambel der Börsenzulassungsrichtlinie heißt es, daß der Schutz der gegenwärtigen und potentiellen Investoren eine angemessene und möglichst objektive Information voraussetzt, ABl. EG Nr. L 100 v. 17.4.1980, S. 1. Gemäß Art. 11 (1) der Emissionsprospektrichtlinie muß der Prospekt die Angaben enthalten, die

II. Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft

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Die Informationspflicht bezieht sich nicht nur auf solche Umstände, die dem Emittenten bekannt sind, sondern es trifft ihn gemäß Section 146 (2) darüber hinaus eine Erkundigungspflicht über alle bedeutsamen Tatsachen. Außerdem muß er einen Nachtragsprospekt herausgeben, falls sich zwischen der Fertigstellung des Emissionsprospekts und dem Beginn des Handels signifikante Veränderungen ergeben haben.117 Form und Inhalt des Prospekts sind in den Listing Rules der London Stock Exchange detailliert geregelt. Unter anderem müssen in bezug auf folgende Umstände Informationen enthalten sein: die Namen der für die listing particulars verantwortlichen Personen, der Rechnungsprüfer und anderer Berater, der Emittent und sein Kapital, die Geschäftsfelder des Konzerns, das Vermögen und die Verbindlichkeiten des Emittenten, seine finanzielle Lage, Gewinne und Verluste, das Management und die neuesten Entwicklungen und Aussichten des Konzerns.118 Die Public Offers of Securities Regulations 1995 schreiben ganz ähnliche Informationspflichten vor, jedoch sind weniger Details verlangt als für börsennotierte Gesellschaften.119 Section 150 des Financial Services Act 1986 enthält erstmals eine ausdrückliche Gleichstellung von unzutreffenden Erklärungen und unterlassenen Informationen.120 Folge der Verletzung der Prospektpflicht ist ein Schadensersatzanspruch gemäß Sections 150–152 des Financial Services Act 1986 und Sections 13–15 der Public Offers of Securities Regulations 1995. Die verantwortlichen Personen haften nur dann nicht, wenn sie vernünftigerweise davon ausgehen konnten, daß in dem Prospekt keine falschen Angaben enthalten sind und keine wesentlichen Umstände verschwiegen wurden, und wenn sie außerdem alles getan hatten, was vernünftigerweise von ihnen erwartet werden konnte, um dies sicherzustellen.121 Für weitere Einzelheiten zur Prospekthaftung ist auf die Spezialliteratur zu verweisen. Der Prospekt muß alle Informationen enthalten, die erforderlich sind, um dem Investor eine informierte Investitionsentscheidung zu ermöglichen. Es wurde darauf hingewiesen, daß die Anforderungen, die Section 146 des Financial Services Act 1986 an öffentliche Angebote von Wertpapieren richtet, dem Gebot von uberrima fides, alle wesentlichen Umstände zu offenbaentsprechend den Merkmalen des Emittenten und der Wertpapiere, die öffentlich angeboten werden, notwendig sind, um den Anlegern ein fundiertes Urteil über die Vermögens-, Finanz-, und Ertragslage und die Entwicklungsaussichten des Emittenten sowie über die mit diesen Wertpapieren verbundenen Rechte zu gestatten, ABl. EG Nr. L 124 v. 5. 5.1989, S. 11. 117 Section 147 Financial Services Act 1986. 118 Gower’s Principles of Modern Company Law, S. 408 ff. 119 Gower’s Principles of Modern Company Law, S. 418. 120 Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 19.40. 121 Gower’s Principles of Modern Company Law, S. 430 f.

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D. Entwicklung bei weiteren Vertragstypen

ren, sehr nahe kommen.122 Diese Anforderungen scheinen allerdings nicht weiter zu reichen als die Haltung der englischen Richter im 19. Jahrhundert.123 In der Tat kommt die Formulierung im Financial Services Act 1986 und in den dort umgesetzten europäischen Richtlinien dem, was die Gerichte im 19. Jahrhundert forderten, sehr nahe. Man könnte damit sagen, daß es den Richtern gelungen ist, in Anwendung der allgemeinen Regeln der Fairneß bei Vertragsverhandlungen tatsächlich gemeineuropäische Prinzipien zu formulieren, die in anderer Gestalt bis heute überlebt haben.

III. Suretyship und Guarantee Ob Bürgschafts- und Garantieverträge zu den Verträgen uberrimae fidei gehören, ist seit jeher umstritten. Während sie Pollock zu der Gruppe von Verträgen zählte, für die wegen ihrer besonderen Natur Aufklärungspflichten bestehen,124 war Anson der Auffassung, daß sie keine Verträge uberrimae fidei sind.125 Heute geht die Tendenz dahin, den Bürgschaftsvertrag nicht zu den Verträgen uberrimae fidei zu zählen. Suretyship ist der Oberbegriff für alle Verträge, durch die sich ein Sicherungsgeber (surety) einem Dritten (Gläubiger, creditor) gegenüber verpflichtet, für eine bestehende oder zukünftige Schuld des Hauptschuldners (principal) einzustehen.126 Diese Verpflichtung wird zusätzlich zur Hauptverbindlichkeit begründet.127 Sie kann gleich- oder nachrangig zur Hauptschuld sein und erfaßt damit auch den Schuldbeitritt des deutschen Rechts. Im englischen Recht unterscheidet man drei verschiedene Typen dieser Sicherungsgeschäfte. Die häufigste und praktisch bedeutsamste Vertragsart sind Bürgschaften zur Sicherung einer Zahlungsverpflichtung (guarantee of a cash obligation). Die zweite Gruppe bilden die Dienst- oder Amtsbürgschaften (fidelity guarantee/fidelity bond), in denen der Bürge für die Ehrlichkeit oder Ehrenhaftigkeit eines Dritten gegenüber dessen Arbeitgeber oder Dienstherrn einsteht. Gewährleistungs- und Erfüllungsbürgschaften (performance bond) schließlich bilden die dritte Gruppe. Bankbürgschaften 122

„. . . comes close to making contracts resulting from public offers into contracts of the utmost good faith demanding disclosure by the offerors of all material facts“, Gower’s Principles of Modern Company Law, S. 407. 123 Gower’s Principles of Modern Company Law, S. 407. 124 Pollock, Principles of Contract, S. 446. 125 Anson, Principles of the English Law of Contract, S. 143. 126 Andrews/Millett, S. 1; Chitty/Whittaker on Contracts, Band II, Rn. 44-001. Eine ausführliche Darstellung des englischen Bürgschaftsrechts bietet Berensmann, Bürgschaft und Garantievertrag im englischen und deutschen Recht. 127 Andrews/Millett, S. 4.

III. Suretyship und Guarantee

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und fidelity bonds unterscheiden sich in bezug auf den Umfang der Aufklärungspflichten, sie folgen aber denselben Grundsätzen. 1. Entwicklung der Aufklärungspflichten durch die Rechtsprechung Bei der Entwicklung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten im Bürgschaftsrecht bildete oft der Versicherungsvertrag den Bezugspunkt. Wegen der Ähnlichkeit der beiden Vertragstypen lag für die Anwälte von Bürgen, die sich ihrer Haftung entziehen wollten, der Versuch nahe, die umfassenden vorvertraglichen Anzeigepflichten des Versicherungsvertragsrechts auf das Verhältnis zwischen Gläubiger und Sicherungsgeber zu übertragen. Die Gerichte lehnten dies jedoch ab und erkannten für die Bürgschaft nur begrenzte Aufklärungspflichten an. Die Richter wendeten die bereits bekannten allgemeinen Regeln des Vertragsrechts an, wonach das Verschweigen einer Tatsache, deren Offenbarung die Fairneß geboten hätte, ein fraud darstellen konnte, das zur Anfechtung berechtigte. a) Hamilton v Watson Die grundlegende Entscheidung zu vorvertraglichen Aufklärungspflichten bei Übernahme einer Bankbürgschaft, die heute noch häufig zitiert wird, ist Hamilton v Watson128 aus dem Jahr 1845.129 Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zugrunde. Der Kläger hatte sich für einen Bankkredit eines Kaufmanns verbürgt. Dieser Kaufmann hatte zuvor bereits einen Kredit in gleicher Höhe bei derselben Bank in Anspruch genommen, den er nicht tilgen konnte. Hintergrund der Gewährung des neuen Kredits war, daß der Bürge für den bereits bestehenden Kredit verstorben war und die Bank auf neuen Sicherheiten bestand. Der neue Kredit sollte ausschließlich der Umschuldung zur Beschaffung einer neuen Bürgschaft dienen. Folglich wurde das Darlehen dem Schuldner nie ausbezahlt, sondern die Summe wurde sogleich zur Tilgung des alten Kredits verbucht. Von diesen Vorgängen wußte der Kläger nichts. Er berief sich darauf, daß die Bürgschaft anfechtbar sei, weil er nicht über alle Umstände der Geschäftsbeziehungen zwischen Hauptschuldner und Gläubiger informiert worden sei. Die Anwälte des Klägers machten geltend, daß die Bürgschaft wegen Nichtoffenbarung (concealment) nichtig sei, denn den Gläubiger treffe die 128

(1845) 12 Cl & F 109; 8 ER 1339. Vgl. Cooper v National Provincial Bank [1946] KB 1, 5 („has never been criticized“); Levett v Barclays Bank [1995] 1 WLR 1260, 1274 („seminal authority“); Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 8.04; Eggers/Foss, Rn. 2.11. 129

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D. Entwicklung bei weiteren Vertragstypen

Pflicht, den zukünftigen Bürgen ungefragt über alle Umstände zu informieren, die für seinen Entschluß zu bürgen wesentlich sind. Sie versuchten also, für den Bürgschaftsvertrag dieselbe umfassende Aufklärungspflicht zu etablieren, wie sie bereits für den Versicherungsvertrag anerkannt war. Dem wurde jedoch von Lord Campbell eine ausdrückliche Absage erteilt. Er war der Auffassung, eine umfassende Pflicht, alle für den Vertragsschluß wesentlichen Umstände ungefragt offenbaren zu müssen, gehe zu weit und führe dazu, daß die Praxis der Kreditbürgschaften völlig zum Erliegen komme.130 Denn wenn ein Bürgschaftsvertrag nur dann wirksam sei, wenn die Gläubigerbank wirklich alle wesentlichen Umstände ungefragt offenbart hat, könne sie nie auf den Bestand der Sicherheiten für die Kredite, die sie ausbezahlt, vertrauen. Folgendes Kriterium sollte der entscheidende Test sein, ob der Gläubiger den Bürgen über einen Umstand ungefragt informieren muß: „. . . whether there is anything that might not naturally be expected to take place between the parties who are concerned in the transaction, that is, whether there be a contract between the debtor and the creditor, to the effect that his position shall be different from what the surety might naturally expect.“131 Wenn der Bürge sich gegen bestimmte Risiken absichern wolle, so müsse er danach fragen. Im konkreten Fall lagen keine Umstände vor, die ein Bürge normalerweise nicht erwarten würde. b) Railton v Mathews Die zentrale Entscheidung zu vorvertraglichen Aufklärungspflichten bei fidelity bonds ist Railton v Mathews132 aus dem Jahr 1844. Der Kläger hatte sich für die Treue des Kommissionärs einer Bank verbürgt. Gegen die Inanspruchnahme aus dieser Bürgschaft wehrte er sich mit der Begründung, daß der Vertrag anfechtbar sei, weil die Bank ihm bei Abschluß der Bürgschaft nicht mitgeteilt hatte, daß es zuvor schon – wie die Bank wußte – zu Unregelmäßigkeiten dieses Kommissionärs gekommen war. Dies sei ein undue concealment, das ihn berechtige, sich vom Vertrag zu lösen. In erster Instanz war die Klage abgewiesen worden, da nach Ansicht des Gerichts undue concealment nur vorliege, wenn eine Tatsache „. . . wilful and intentional, with a view to the advantage they [die Bank] were thereby to receive“ verschwiegen wird. Dieser Ansicht trat Lord Cottenham im House of Lords entschieden entgegen. Dabei berief er sich auf den Fall Smith v The Bank of Scotland133 aus dem Jahr 1813. Auch in diesem Fall berief sich der Kläger, der sich für die 130 131 132

(1845) 12 Cl & F 109, 119; 8 ER 1339, 1343. (1845) 12 Cl & F 109, 119; 8 ER 1339, 1344. (1844) 10 Cl & F 934; 8 ER 993.

III. Suretyship und Guarantee

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Treue eines Bankangestellten verbürgt hatte, darauf, daß die Bürgschaft wegen „fraud or undue concealment“ anfechtbar sei, denn die Bank, gegenüber der er sich verbürgt hatte, hatte ihm vor Vertragsschluß nicht mitgeteilt, daß sie bereits Grund hatte, an der Ehrlichkeit des Angestellten zu zweifeln. Da der Bank unlautere Absichten nicht nachzuweisen waren, schien Lord Eldon fraud als Ausdruck etwas zu harsch, und er nannte den Tatbestand daher „concealment of material circumstances“.134 Diese Unterscheidung hat ihre Ursache eher im Sprachgefühl als in einer ausgefeilten juristischen Terminologie, da fraud im allgemeinen Sprachgebrauch die Konnotation von moralisch vorwerfbarem Verhalten hat; in der Sache liegt jedoch kein Unterschied. Nach der Entscheidung Lord Eldons hätte die Bank dem Sicherungsgeber mitteilen müssen, daß der Angestellte nicht vertrauenswürdig ist. Sie durfte aus ihrem Schweigen keinen Vorteil ziehen: „. . . if a man found that his agent had betrayed his trust, . . . if under such circumstances, he required sureties for his fidelity, holding him out as a trust-worthy person, knowing, or having ground to believe, that he was not so; then it was agreeable to the doctrines of equity . . . that no one should be permitted to take advantage of such conduct . . .“.135 Nach Ansicht Lord Cottenhams stand damit fest, daß schon das bloße Verschweigen („the mere non-communication“136) eines Umstands zur Unwirksamkeit einer Bürgschaft führen kann: „Lord Eldon states various cases in which a party about to become surety would have a right to have communicated to him circumstances within the knowledge of the party acquiring the bond; and he states that it is the duty of the party acquiring the bond to communicate those circumstances, and that the non-communication, or, as he uses the expression, the concealment of those facts, would invalidate the obligation . . .“.137

Die entscheidende Frage sei, ob ein „. . . improper and undue concealment (which I understand to mean a non-communication of facts which ought to have been communicated), which would lead to the relief of the surety, although the non-communication might not be wilful and intentional, and with a view to the advantage which the party was thereby to receive . . .“138 vorgelegen habe. Auf die Motive des Schweigenden soll es nicht ankommen. Diese Ansicht wurde von Lord Campbell geteilt: „If the defenders had facts within their knowledge which it was material the surety should be acquainted with, and which the defenders did not disclose, in my 133 134 135 136 137 138

Smith v Bank of Scotland (1813) 1 Dow 272; 3 ER 697. Smith v Bank of Scotland (1813) 1 Dow 272, 290; 3 ER 697, 704. Smith v Bank of Scotland (1813) 1 Dow 272, 292; 3 ER 697, 704. Railton v Mathews (1844) 10 Cl & F 934, 940; 8 ER 993, 995. Railton v Mathews (1844) 10 Cl & F 934, 940; 8 ER 993, 995. Railton v Mathews (1844) 10 Cl & F 934, 941; 8 ER 993, 995.

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D. Entwicklung bei weiteren Vertragstypen

opinion the concealment of those facts, the undue concealment of those facts, discharges the surety; and whether they concealed those facts from one motive or another, I apprehend is wholly immaterial . . . The liability of a surety must depend upon the situation in which he is placed, upon the knowledge which is communicated to him of the facts of the case, and not upon what was passing in the mind of the other party, or the motive of the other party.“139

Während nach Ansicht der Richter der Bürge bei einer Bankbürgschaft damit rechnen müsse, daß sich der Hauptschuldner in finanziellen Schwierigkeiten befindet, müsse der Bürge bei einem fidelity bond nicht unterstellen, daß die Person, für die er sich verbürgt, nicht vertrauenswürdig ist. Die Regel, wonach ein Vertrag wegen undue concealment anfechtbar war, wenn ein Umstand verschwiegen wurde, dessen Offenbarung die andere Partei erwarten durfte, war keine Spezialität der Equity. Daß im common law dieselben Regeln galten, bestätigt folgendes Urteil des Court of Exchequer. c) North British Insurance Company v Lloyd Gegenstand der Entscheidung North British Insurance Company v Lloyd140 war eine Bürgschaft für ein Darlehen. Der beklagte Bürge wollte sich nicht an dem Vertrag festhalten lassen, als er erfuhr, daß er nur zu dem Zweck als Bürge benannt worden war, um einen anderen Bürgen zu ersetzen, der nicht mehr weiter zur Verfügung stehen wollte. Die Anwälte trugen vor, daß dies ein wesentlicher Umstand sei, über den der zukünftige Bürge hätte informiert werden müssen. Der Versuch des Beklagten, für den Bürgschaftsvertrag die gleiche umfassende vorvertragliche Aufklärungspflicht wie für den Versicherungsvertrag zu etablieren, wonach alle wesentlichen Umstände offenbart werden müssen, schlug jedoch auch hier fehl. Sowohl der Richter Parke141 als auch der Richter Pollock142 lehnten die Anwendung der weitreichenden Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers auf die Bürgschaft ab und folgten damit ausdrücklich der Entscheidung Hamilton v Watson.143 Die entgegenstehende Entscheidung von Lord Chancellor Truro in dem Fall Owen v Homan144 aus dem Jahr 1851, wonach auf Bürgschaften dasselbe Prinzip anzuwenden sei wie auf Versicherungsverträge, nämlich daß der Gläubiger den Sicherungsgeber über alle Umstände, die für seinen Vertragsentschluß von Bedeutung sind, informie139 140 141 142 143 144

Railton v Mathews (1844) 10 Cl & F 934, 943; 8 ER 993, 996. (1854) 10 Exch 523; 156 ER 545. (1854) 10 Exch 523, 527; 156 ER 545, 547. (1854) 10 Exch 523, 533; 156 ER 545, 550. (1845) 12 Cl & F 109; 8 ER 1339. Owen v Homan (1851) 3 Mac & G 378, 397; 42 ER 307, 315.

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ren muß, erklärte Pollock damit, daß Lord Truro die Entscheidung Hamilton v Watson übersehen habe.145 Nach Ansicht von Parke war im Bürgschaftsrecht das Vorliegen von fraud Voraussetzung für die Anfechtbarkeit: „The concealment, to avoid the contract of suretyship, must amount to actual fraud.“ Er teilte die Sorge, die Lord Campbell in Hamilton v Watson zum Ausdruck gebracht hatte, daß andersfalls kaum ein Bürgschaftsvertrag je Bestand hätte. Unter welchen Umständen das Verschweigen einer Tatsache die Voraussetzungen von fraud erfüllt, wurde letztlich offengelassen, da es darauf in der Entscheidung nicht ankam, weil die Jury entschieden hatte, daß die Tatsache, daß ein bisheriger Sicherungsgeber nicht weiter bürgen will, schon kein wesentlicher Umstand ist. Aus den Äußerungen der Richter geht jedoch klar hervor, daß nach ihrer Ansicht das bloße Verschweigen eines Umstandes, über den eine Aufklärungspflicht besteht, die Voraussetzungen von fraud erfüllt. So sagte Parke: „If a fact ought to be mentioned by the creditor to the surety, the omission to communicate it may amount to a fraud.“146 Pollock bezeichnete die Entscheidungen Hamilton v Watson, Smith v Bank of Scotland und Railton v Mathews, in denen jeweils das Verschweigen eines vertragswesentlichen Umstands einen Anfechtungsgrund darstellte und die er ausdrücklich bestätigte – die entscheidende Passage aus Hamilton v Watson zitierte er sogar wörtlich – als Anwendungsbeispiele von fraud.147 Wegen der Aussage, daß ein fraudulent concealment Voraussetzung für die Anfechtbarkeit einer Bürgschaft sei, ist die Entscheidung später auf Unverständnis gestoßen.148 Dies läßt sich damit erklären, daß sich zu der Zeit bereits das heutige, enge Verständnis von fraud durchgesetzt hatte, das gleichbedeutend mit dem tort of deceit ist. Parke und Pollock folgten dagegen noch dem damals geltenden weiten Begriff von fraud, der schon durch das Schweigen entgegen einer bestehenden Aufklärungspflicht erfüllt war.149 d) Whythes v Labouchere Die Entscheidung North British Insurance Company v Lloyd wurde fünf Jahre später ebenso wie Hamilton v Watson150 von Lord Chelmsford in Whythes v Labouchere151 bestätigt. Auch in diesem Fall versuchte ein Bürge, seiner Haftung zu entgehen, indem er sich darauf berief, daß die 145 146 147 148 149 150 151

(1854) 10 Exch 523, 534; 156 ER 545, 550. (1854) 10 Exch 523, 527; 156 ER 545, 548. (1854) 10 Exch 523, 533 f.; 156 ER 545, 550. London General Omnibus Company Ltd v Holloway [1912] 2 KB 72, 80. Spencer Bower, Rn. 120. (1845) 12 Cl & F 109; 8 ER 1339. (1859) 3 De G & J 593; 44 ER 1397.

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D. Entwicklung bei weiteren Vertragstypen

Bürgschaft anfechtbar sei, weil ihm der Gläubiger wesentliche Umstände nicht mitgeteilt habe. „North British Insurance Company v Lloyd expressly decides that the obligation of the creditor to communicate even material circumstances that are known to him is not co-extensive with the rule which prevails in insurances upon ships and lives; and that unless the non-disclosure amounts to a fraud upon the surety, he is not entitled to relief. The concealment, too, must be of some material part of the transaction itself between the creditor and his debtor, to which the suretyship relates. The creditor is under no obligation to inform the intended surety of matters affecting the credit of the debtor, or of any circumstances unconnected with the transaction in which he is about to engage, which will render the position more hazardous . . . [all of the authorities] where the question of concealment arose, were cases in which it related to the transaction itself, and amounted to a fraud upon the surety.“152

Lord Chelmsford entschied, daß der Gläubigerbank weder ein Vorwurf von misrepresentation noch von undue concealment zu machen sei, da zum einen die Umstände, die nach Ansicht des Bürgen hätten offenbart werden müssen, nur ganz entfernt mit dem Geschäft in Zusammenhang standen und zum anderen der Bürge durch die Art der Transaktion über sein Risiko hätte gewarnt sein müssen. e) Lee v Jones Lee v Jones153 wird in einer Reihe mit den oben dargestellten Entscheidungen als Präzedenzfall dafür genannt, daß bei einer Bürgschaft nicht im selben Umfang wie bei einem Versicherungsvertrag Aufklärungspflichten bestehen. Ein gewisser Packer verkaufte für den Kläger Kohle in Kommission. Es war vereinbart, daß er jeweils innerhalb von sechs Tagen abrechnen und die Einnahmen abgeben sollte. Packer fiel mit der Zahlung jedoch in beträchtlichen Rückstand und durfte nur unter der Voraussetzung, daß er für einen Teil der Rückstände einen Bürgen stellt, weiterarbeiten. Der Beklagte erklärte sich bereit, über eine gewisse Summe rückwirkend zu bürgen. Daraufhin übersandte ihm der Kläger eine Bürgschaftsvereinbarung zur Unterschrift. Diese enthielt zwar keine falschen Angaben, allerdings auch keinen Hinweis auf den enormen bis dahin aufgelaufenen Rückstand. Darüber hinaus fand zwischen dem Kläger und dem beklagten Bürgen keine Kommunikation statt. Der Beklagte berief sich darauf, daß der Gläubiger ihn auf die Rückstände hätte hinweisen müssen. Die Richter waren unterschiedlicher Auffassung und wählten unterschiedliche rechtliche Konstruktionen, um ihre Ergebnisse zu begründen. Der 152 153

(1859) 3 De G & J 593, 609; 44 ER 1397, 1404. (1864) 17 CBNS 482; 144 ER 194.

III. Suretyship und Guarantee

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Richter Shee bekräftigte nochmals ausdrücklich, daß auf die Eingehung einer Bürgschaft nicht dieselben Aufklärungspflichten, die für Versicherungsverträge gelten, Anwendung finden, sondern daß nur unter den Voraussetzungen von fraud ein Anfechtungsrecht des Bürgen besteht. Folgendes war für ihn entscheidend: „Whether there was any evidence of fraud and fraudulent concealment, is the subject of inquiry; and there is no definition of guilty, as distinguished from innocent, silence, or of bad faith and fraud in contracts, which the facts in this case do not exactly fit.“154 Shee zitiert die Digesten und Cicero um sein Verständnis von fraud zu erklären: „The guilt of fraud,‘ says the Digest, ,is not in him only who, for the purpose of deceiving, uses obscure language, but in him who insidiously, and without appearing to do so, dissembles what he thinks‘ . . . ,To be silent is one thing, concealment is another. You may be silent respecting facts within your knowledge, without being guilty of concealment: you are guilty of it when the motive of your silence is a wish that others, for your advantage, should be ignorant of that which you know, and which it is for their interest that they should know.‘ Such is the description of undue concealment, in the treatise De Officiis . . . These definitions and maxims, though cited in all the books on the contract of insurance, are of much older date than any certain trace of that contract, and not more applicable to it than to the contract of guarantie.“

Das Zitat von Cicero hat schon Lord Mansfield in Carter v Boehm gebraucht. Shee war der Aufassung, daß im Gegensatz zu einer Bürgschaft für ein Bankdarlehen, das üblicherweise auch mittellosen Schuldnern gewährt wird, sofern sie eine Sicherheit stellen, der Bürge in diesem Fall nicht damit rechnen mußte, daß der Schuldner bereits hochverschuldet war. Der Gläubiger hätte den Bürgen deshalb auf die Rückstände hinweisen müssen. Sein Schweigen erfüllte die Voraussetzungen des undue concealment und gab dem Bürgen ein Anfechtungsrecht. Obwohl Shee als anwendbares Prinzip formulierte, daß „. . . an undue and fraudulent concealment of matters material to be known by the guarantor, vitiates the contract which is tainted by it“,155 und das Anfechtungsrecht des Bürgen folglich schon allein aus dem Verschweigen der wesentlichen Tatsachen folge, stellte er an einer Stelle seiner Ausführungen darauf ab, daß eine misrepresentation vorliege: „. . . there was . . . such a suppression of the truth, by a partial, inaccurate, and subdolus setting forth by the plaintiffs in the agreement, of facts within their knowledge, material for the proposed sureties to be informed of, as along with the non-communication of other facts material for them to know, amounted to a misrepresentation to the proposed sureties, that they were asked to come under none but the mere ordinary liability of sureties.“ 154 155

(1864) 17 CBNS 482, 495; 144 ER 194, 199. (1864) 17 CBNS 482, 499; 144 ER 194, 201.

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D. Entwicklung bei weiteren Vertragstypen

Durch seine vorangegangenen Ausführungen ist deutlich, daß Shee hiermit nicht die Regel aufstellen wollte, daß eine positive Angabe notwendig ist für die Anfechtbarkeit des Bürgschaftsvertrages, sondern nach seiner Ansicht kann das Verschweigen von Tatsachen hierfür genügen. Die Ausführungen zu misrepresentation zeigen aber, daß eine scharfe Trennung von aktiven falschen Angaben und Schweigen schwierig sein kann, sobald irgendwelche Angaben gemacht wurden. Nach Shees Entscheidung mußte der Bürge nicht damit rechnen, daß der Kommissionär so weit in Zahlungsrückstand geraten war, und konnte deshalb aus der Bürgschaft nicht in Anspruch genommen werden. Blackburn wählte ebenfalls die Konstruktion der misrepresentation. Wenn ausnahmsweise der Gläubiger anstelle des Hauptschuldners dem Bürgen das Risiko darlege, „. . . that description amounts to a representation that there is nothing in the transaction that might not naturally be expected to take place between the parties to a transaction such as that described. And, if a representation to this effect is made to the intended surety by one who knows that there is something not naturally to be expected to take place between the parties to the transaction, and that this is unknown to the person to whom he makes the representation, and that, if it were known to him, he would not enter into the contract of suretyship, I think it is evidence of a fraudulent representation on his part . . . I think that it must in every case depend upon the nature of the transaction, whether the fact not disclosed is such that it is impliedly represented not to exist; and that must generally be a question of fact proper for a jury.“156

Die Richter Bramwell und Pollock dagegen waren der Auffassung, daß kein fraud seitens des Gläubigers vorgelegen habe. Pollock stellte zunächst fest, daß keine misrepresentation vorgelegen habe, weil zwischen Gläubiger und Bürgen keine direkte Kommunikation stattgefunden hatte. Damit war jedoch das Ergebnis noch nicht vorgegeben, da für Pollock und Bramwell ein fraud genauso durch das Verschweigen einer Tatsache wie durch eine unzutreffende Angabe begangen werden konnte, sofern über die verschwiegene Tatsache eine Aufklärungspflicht bestand.157 Im konkreten Fall lehnten sie das Bestehen einer Aufklärungspflicht ab, weil der Bürge durch die Tatsache, daß der Gläubiger nach mehreren Jahren plötzlich erstmals auf einer Sicherheit bestand, hätte gewarnt sein müssen. Der Bürge hätte deshalb Fragen stellen müssen, wenn er das konkrete Ausmaß des Risikos kennen wollte. Er hatte sich seine eigene Unvorsichtigkeit selbst zuzuschreiben und konnte sich nun nicht darauf berufen, daß der Gläubiger ihn hätte informieren müssen: „I think this is very mischievous; that a man should 156

(1864) 17 CBNS 482, 503 f.; 144 ER 194, 203. (1864) 17 CBNS 482, 508; 144 ER 194, 204 per Bramwell; (1864) 17 CBNS 482, 513; 144 ER 194, 206 per Pollock. 157

III. Suretyship und Guarantee

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have his carelessness rewarded by liberty to call out fraud.“158 Bramwell und Pollock kamen nicht deshalb zu einem abweichenden Ergebnis, weil sie andere Grundsätze anwendeten, sondern nur, weil sie die konkreten Tatsachen des Falles anders bewerteten. f) Fraud durch die Verletzung von Aufklärungspflichten Den Gerichten ist es für Bürgschaftsverträge ebenso gelungen wie später für den Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, die Grundregeln der vorvertraglichen Aufklärungspflichten, die heute noch Bestand haben, in Anwendung der allgemeinen Regeln des Vertragsrechts aufzustellen, ohne dafür auf die Bildung von Ausnahmegruppen von besonderen Verträgen zurückgreifen zu müssen. Eine Analogie zur Anzeigepflicht im Versicherungsrecht, wonach alle wesentlichen Umstände zu offenbaren sind, wurde abgelehnt. Damit galt, daß sich eine Partei nur dann vom Vertrag lösen konnte, wenn dieser durch ein fraud der anderen Partei zustande gekommen war. Dies galt sowohl für die common law- als auch für die Equity-Rechtsprechung. Die Voraussetzungen von fraudulent oder undue concealment – eine einheitliche Terminologie hatte sich noch nicht etabliert – waren dann erfüllt, wenn der Gläubiger einen Umstand verschwieg, für den eine Aufklärungspflicht bestand. Eine solche Aufklärungspflicht wurde für alle Umstände anerkannt, mit denen der Bürge nicht zu rechnen brauchte. Es wurde als nicht mit den Geboten der Fairneß vereinbar angesehen, wenn der Gläubiger aus dem Verschweigen von solchen Tatsachen einen Vorteil hätte ziehen können. 2. Aufklärungspflichten nach der Verengung des fraud-Begriffs Dogmatische Schwierigkeiten bei der Behandlung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten, die sich bis heute fortsetzen, ergaben sich auch für die Bürgschaft erst in der Folge von Pollocks und Ansons Vertragslehre. In Pollocks und Ansons System gab es die Rechtsfigur des undue oder fraudulent concealment nicht mehr, wonach bloßes Schweigen, das gegen eine Aufklärungspflicht verstößt, ein Anfechtungsrecht auslöst. Fraud konnte nicht mehr durch reines Unterlassen begangen werden, sondern erforderte eine Handlung. Schweigen gab nur dann ein Recht zur Anfechtung, wenn der Vertrag zu den Verträgen uberrimae fidei gehörte.

158

(1864) 17 CBNS 482, 509; 144 ER 194, 205.

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D. Entwicklung bei weiteren Vertragstypen

a) Literatur Pollock zählt den suretyship-Vertrag zu der Ausnahmegruppe von Verträgen, für die Aufklärungspflichten anerkannt sind.159 Diese sollen allerdings nicht so weit reichen wie bei der Versicherung. Den Grund für die Aufklärungspflicht sieht Pollock darin, daß „. . . the surety is entitled to know the real nature of the transaction he guarantees and of the liability he is undertaking: and he generally and naturally looks to the creditor for information on this point“.160 Wie bei den anderen Vertragstypen der Ausnahmegruppe folgt die Aufklärungspflicht für Pollock also aus der Tatsache, daß nur die andere Partei Kenntnis über die vertragswesentlichen Informationen hat. Anders als der Versicherer verfüge jedoch der Bürge neben dem Gläubiger noch über eine weitere Informationsquelle, nämlich den Schuldner, auf dessen Wunsch und als dessen Freund er sich üblicherweise verbürge.161 Informationen, die die Kreditwürdigkeit betreffen, müsse sich der Bürge deshalb vom Schuldner beschaffen. Obwohl Pollock die Bürgschaft zu den Verträgen zählt, bei denen bloßes Schweigen ein Anfechtungsrecht auslöst, greift er auf die Konstruktion über eine positive Aussage (representation) zurück, wonach in der Beschreibung der Transaktion durch den Gläubiger die konkludente Aussage zu sehen sei, daß sie keine außer den genannten Besonderheiten aufweist. Ob ein Schweigen einer solchen konkludenten Aussage gleichkommt, sei jeweils Tatsachenfrage. Anson dagegen zählt die Bürgschaft nicht zu den Verträgen uberrimae fidei. Voraussetzung für die Anfechtbarkeit einer Bürgschaft soll deshalb sein, daß das Schweigen oder die unzutreffende Angabe des Gläubigers ein fraud darstellt, das in Ansons Vorstellung nicht durch reines Schweigen begangen werden kann. Allerdings zeige die Entscheidung Lee v Jones, daß man bei diesen Verträgen sehr leicht ein fraud annehme.162 b) London General Omnibus Co Ltd v Holloway Wie es sich auf die dogmatische Konstruktion auswirkt, daß es die Rechtsfigur des undue oder fraudulent concealment nicht mehr gibt, illustriert der Fall London General Omnibus Co Ltd v Holloway,163 die zentrale Entscheidung zu Aufklärungspflichten im Bürgschaftsrecht zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die heute noch zu den wichtigsten Leitentscheidungen 159

Pollock, Principles of Contract, S. 446. Pollock, Principles of Contract, S. 446, 452. 161 Pollock, Principles of Contract, S. 452. 162 „. . . very slight evidence is regarded as material upon which a jury may found an inference of fraud“, Anson, Principles of the English Law of Contract, S. 143. 163 [1912] 2 KB 72. 160

III. Suretyship und Guarantee

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zählt. Gegenstand der Entscheidung war ein fidelity bond. Der Beklagte Holloway hatte sich für die ehrliche Dienstausübung eines gewissen Lee gegenüber dessen Dienstherrin, der London General Omnibus Company Ltd verbürgt. Bei Abschluß des Bürgschaftsvertrages hatte die London General Omnibus Company Ltd nicht offenbart, daß Lee früher bereits einmal Geld veruntreut hatte. Holloway wußte nichts von dieser Veruntreuung. Als nach einer erneuten Verfehlung des Lee der Bürge Holloway in Anspruch genommen werden sollte, verweigerte dieser die Zahlung mit der Begründung, daß der Vertrag anfechtbar sei, weil er bei Eingehung des Bürgschaftsvertrages nicht über die frühere Veruntreuung informiert worden sei. Richter Vaughan Williams hielt zwar an den in Hamilton v Watson und Railton v Mathews aufgestellten Regeln fest, aber da nun ein anderes Verständnis von fraud herrschte, das nicht mehr durch Unterlassen erfüllt wurde, mußte er die dort formulierten Aufklärungspflichten auf einer anderen Grundlage erklären. In Hamilton v Watson war für das Gericht die entscheidende Frage gewesen, ob das Verschweigen des fraglichen Umstandes den Tatbestand des undue concealment erfüllte. Wie gesehen, war es für die Richter völlig unproblematisch gewesen, in einem reinen Schweigen, das gegen eine Aufklärungspflicht verstößt, einen Anfechtungsgrund zu sehen. Vaughan Williams dagegen erkannte nur für Versicherungsverträge an, daß ein Unterlassen zur Unwirksamkeit des Vertrages führen kann. Für alle anderen Verträge sollte eine unzutreffende Aussage Voraussetzung sein. Um die Entscheidungsgründe von Hamilton v Watson erklären zu können, interpretierte er das „undue concealment“ in eine misrepresentation um: „. . . a creditor must reveal to the surety every fact which under the circumstances the surety would expect not to exist, for the omission to mention that such a fact does exist is an implied representation that it does not. Such a concealment is frequently described as ,undue concealment‘.“164 Der Schritt, in das Schweigen eine implied representation hineinzuinterpretieren, war für die Richter in dem Fall Hamilton v Watson überflüssig gewesen, da für sie das Schweigen den Tatbestand des undue concealment erfüllte, der zur Anfechtung berechtigte. Railton v Mathews war ebenfalls aufgrund eines undue concealment entschieden worden. Auch hier deutete Vaughan Williams das Schweigen in eine konkludente Aussage um: „The representation to be implied from the non-communication must relate to facts which the person giving the security has a right to suppose to exist.“165 Im konkreten Fall durfte der Bürge annehmen, daß sich derjenige, für den er sich verbürgte, nicht schon irgendwelcher Verfehlungen schuldig gemacht hatte, und konnte sich deshalb vom Vertrag lösen. 164 165

[1912] 2 KB 72, 79. [1912] 2 KB 72, 80.

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D. Entwicklung bei weiteren Vertragstypen

Daß sich das Verständnis von fraud gewandelt hatte, zeigt sich ganz deutlich in Vaughan Williams Kommentar zu Pollocks dictum in North British Insurance Co v Lloyd. Nach Ansicht Pollocks wurde in Railton v Mathews und Smith v Bank of Scotland entschieden, daß für die Anfechtbarkeit eines Bürgschaftsvertrages fraud Voraussetzung ist, denn zu dieser Zeit erfüllte das Verschweigen von Umständen, für die eine Aufklärungspflicht bestand, den Tatbestand von fraud. Vaughan Williams führte dazu aus: „I find it difficult to understand what Pollock C.B. in North British Insurance Co v Lloyd means when he is dealing with Railton v Mathews and Smith v Bank of Scotland.“166 Richter Farwell brachte uberrima fides ins Spiel und entschied den Fall ausdrücklich auf der Grundlage einer innocent misrepresentation: „Innocent misrepresentation is sufficient, and, although the doctrine by which uberrima fides is required in insurance cases is not applicable to the same extent in suretyship cases, still the surety is entitled to relief on the ground of non-disclosure of matters which ought to have been communicated to him, whether the communication was or was not innocent.“167

Anders als beim tort of deceit gehe es im wesentlichen nicht darum, ein betrügerisches Verhalten zu sanktionieren, sondern um den Schutz des Bürgen vor Verträgen, die er aufgrund falscher Informationen abgeschlossen habe. Das notwendige Element der Unbilligkeit liege darin, daß der Bürge an diesem Vertrag festgehalten werde, nachdem die Wahrheit bekannt ist. Auch nach Farwells Ansicht konnte sich der Bürge von dem Vertrag lösen, denn „[t]he surety believes that he is making himself answerable for a presumably honest man, not for a known thief.“168 Der in diesem Fall gewählte Ansatz ist der Versuch, Bürgschaftsverträge an die Regeln anzupassen, die nun im allgemeinen Vertragsrecht galten, das keine vorvertraglichen Aufklärungspflichten anerkannte, aber erlaubte, die nur teilweise Offenbarung von Umständen als misrepresentation zu behandeln.169 3. Suretyship – ein Vertrag uberrimae fidei? Über den Umfang der Aufklärungspflichten des Gläubigers gegenüber dem Bürgen herrscht weitgehende Einigkeit. Im wesentlichen gilt immer noch die Regel, die in Hamilton v Watson aufgestellt wurde, wonach nur solche Tatsachen offenbart werden müssen, mit denen der Bürge nicht zu 166 167 168 169

[1912] 2 KB 72, [1912] 2 KB 72, [1912] 2 KB 72, Chitty/Whittaker

80. 81. 82. on Contracts, Band II, Rn. 44-032.

III. Suretyship und Guarantee

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rechnen braucht. Seine Situation macht den Bürgen weniger schutzbedürftig als den Versicherer, da ihm außer dem Gläubiger als weitere Informationsquelle der Hauptschuldner zur Verfügung steht. Im allgemeinen geht man davon aus, daß beide Parteien sich der Umstände bewußt sind, die eine Bürgschaft notwendig machen.170 Der Sicherungsgeber kann sich die relevanten Informationen leichter beschaffen als ein Versicherer, insbesondere dann, wenn es sich nicht um einen professionellen Sicherungsgeber handelt.171 Denn nicht professionelle Bürgen sind vor allem Verwandte und Ehegatten, denen unterstellt wird, daß sie mit der finanziellen Situation des Hauptschuldners vertraut sind.172 Oft findet zwischen Gläubiger und Bürgen gar keine Kommunikation statt, so daß man vom Gläubiger nicht erwarten kann, daß er von sich aus Kontakt zum Bürgen sucht, um ihn zu informieren. Die Hauptlast, die relevanten Tatsachen herauszufinden, liegt deshalb beim Bürgen.173 Dieses Näheverhältnis zwischen Bürgen und Hauptschuldner ist eines der Abgrenzungskriterien zwischen guarantee-Verträgen und Versicherungen. In der Praxis ist es nicht immer einfach, die Trennlinie zu ziehen zwischen guarantee-Verträgen, in denen sich jemand verpflichtet, für die Schuld, die Nichterfüllung oder das Fehlverhalten eines anderen einzustehen, und Versicherungsverträgen, in denen Schadloshaltung bei Eintritt des im Vertrag vereinbarten Risikos versprochen wird.174 Es gibt Verträge, die nach ihrem Inhalt ebensogut Garantie- wie Versicherungsverträge sein könnten. Für die Frage, ob auf sie uberrima fides anzuwenden ist, kommt es daher nicht auf den von den Parteien gewählten Begriff an, sondern auf den Vertragsinhalt und die Umstände, unter denen der Vertrag zustande gekommen ist.175 Ein wesentliches Kriterium ist, wer an den Sicherungsgeber herangetreten ist. Bei Sicherungsgeschäften ist es typischerweise nicht so, daß sich der Gläubiger an den Sicherungsgeber wendet, ihm das Risiko darlegt und ihn bittet, es zu übernehmen, sondern der Sicherungsgeber ist oft ein Freund oder Verwandter des Hauptschuldners, der die Sicherheit aus Gefälligkeit stellt und die Umstände des Hauptschuldners kennt.176 Bei Versicherungsverträ170

Eggers/Foss, Rn. 2.09. Harrison, Rn. 4.04 ff. 172 Der Schutz von bürgenden Verwandten und Ehegatten wird vor allem durch eine Ausweitung des Instituts des „undue influence“ erreicht. Vgl. hierzu ausführlich Müller, S. 136 ff. 173 Andrews/Millett, Rn. 5.14. 174 Vgl. Anson/Beatson, S. 265; Treitel, S. 368; Trade Indemnity Co Ltd v Workington Harbour Board [1937] AC 1; Seaton v Heath [1899] 1 QB 782; Blair, (1966) 29 MLR 522 ff. 175 „Whether the contract is one requiring ,uberrima fides‘ or not must depend upon its substantial character and how it came to be effected“, Seaton v Heath [1899] 1 QB 782, 792. 171

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D. Entwicklung bei weiteren Vertragstypen

gen tritt dagegen üblicherweise der Versicherungsnehmer an den Versicherer heran. Der Versicherungsnehmer hat typischerweise Informationsquellen über das Risiko, die dem Versicherer nicht zugänglich sind, und der Versicherer übernimmt das Risiko geschäftsmäßig. Nur wenn ein Sicherungsvertrag ausnahmsweise die Charakteristika eines Versicherungsvertrages aufweist, unterliegt er der uberrima fides im vollen Umfang. Die dogmatische Erklärung der Aufklärungspflichten bereitet heute gewisse Schwierigkeiten. Denn da das heutige Recht eine allgemeine vorvertragliche Aufklärungspflicht auf der Basis von Treu und Glauben nicht anerkennt, müssen diese Aufklärungspflichten einer der anerkannten Ausnahmegruppen zugeordnet werden, um ihre Existenz zu rechtfertigen. Es gibt verschiedene Erklärungsmuster, die jedoch alle nicht zu überzeugen vermögen. Eine Möglichkeit, die Anerkennung vorvertraglicher Aufklärungspflichten zu erklären, ist, den Bürgschaftsvertrag zu den Verträgen uberrimae fidei zu zählen. Ob dies möglich ist, hängt von der Definition von uberrima fides ab. Wenn darunter die Pflicht verstanden wird, dem Vertragspartner alle vertragswesentlichen Umstände mitzuteilen, d.h. wenn uberrima fides gleichbedeutend ist mit den umfassenden Aufklärungspflichten im Versicherungsvertragsrecht, so scheidet dieser Weg aus, denn daß die Aufklärungspflicht im Bürgschaftsrecht nicht so weit reicht wie im Versicherungsrecht, ist unstreitig. Deshalb wird heute nur noch selten vertreten, daß die Bürgschaft ein Vertrag uberrimae fidei ist,177 sondern die Geltung von uberrima fides für die Bürgschaft wird meist abgelehnt.178 Wenn der Bürgschaftsvertrag nicht zur Ausnahmegruppe der Verträge uberrimae fidei gezählt wird, hat dies zur Folge, daß die allgemeinen Regeln anwendbar sind, wonach eine Anfechtung nur zulässig ist, wenn eine misrepresentation vorliegt. Um mit dem Rechtsinstitut der misrepresentation etwa die Entscheidungen Hamilton v Watson und Railton v Mathews erklären zu können, muß der Begriff der misrepresentation weit ausgelegt werden: das Verschweigen eines aufklärungspflichtigen Umstandes wird in die konkludente Erklärung umgedeutet, daß dieser Umstand nicht be176

Spencer Bower, Rn. 122. March Cabaret v London Assurance [1975] 1 Lloyd’s Law Report 169, 175; Wales v Wadham [1977] 2 All ER 125, 139; Birks, The Concept of a Civil Wrong, S. 49, Fn. 49. 178 So ausdrücklich Davies v London and Provincial Marine Insurance Co (1878) 8 Ch D 469, 475; Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 8.03 lehnen die Kategorisierung als Vertrag uberrimae fidei deshalb ab, weil nicht alle Umstände offenbart werden müssen; 20 Halsbury’s Laws, § 124; Andrews/Millett, S. 100; O’Donovan/ Phillips, S. 122; Rowlatt on Principal and Surety, Rn. 5-09; Anson/Beatson, S. 265; Snell’s Equity, S. 470; Treitel, S. 369. 177

III. Suretyship und Guarantee

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stehe.179 Diese Konstruktion hat sich heute weitgehend durchgesetzt. So heißt es in Halsbury’s Laws zur Beschreibung der Regel aus Hamilton v Watson: „The creditor must disclose to an intending guarantor anything which might not naturally be expected to take place between the parties who are concerned in the transaction, namely whether there is a contract between the debtor and the creditor to the effect that the debtor’s position is to be different from that which the guarantor might naturally expect . . . the omission to mention any such special facts is an implied representation to the intending guarantor that it does not exist, entitling the guarantor upon discovering the true position to avoid the guarantee.“180

Diese Konstruktion wurde dafür kritisiert, daß sie den Begriff der misrepresentation überdehnt. Die Annahme einer konkludenten misrepresentation sei oft rein fiktiv und wenig hilfreich, insbesondere wenn zwischen Gläubiger und Bürgen keine Kommunikation stattfand. Vorzugswürdig sei es daher, offen eine Aufklärungspflicht anzuerkennen.181 Diesen Weg geht zum Beispiel Spencer Bower, für den der Bürgschaftsvertrag zu der Kategorie von Verträgen gehört, für die vorvertragliche Aufklärungspflichten bestehen.182 Seiner Ansicht nach unterliegt der Bürgschaftsvertrag denselben Regeln wie der Versicherungsvertrag: „. . . the same rule of disclosure governs suretyship transactions as governs those of insurance or any other type of transaction belonging to the class now under consideration, but . . . the application of the rule differs widely according to the character of the particular species of transaction on which it operates. The principle is identical, but . . . it is flexible and plastic and bends itself into a variety of shapes so as to conform to the angles and curves of the material to which for the moment it is being applied . . . That principle is, that where the nature of the contract or transaction is such that, as to certain material facts, one of the parties must necessarily have exclusive knowledge, and such material facts are not amongst those which the other party, having regard again to the essence and object of the transaction, must necessarily be supposed to take the risk of not knowing, the first party is required to divulge to the other those facts . . .“.183

Daß nicht im gleichen Umfang wie beim Versicherungsvertrag Aufklärung geschuldet wird, erklärt er damit, daß normalerweise nicht der Gläubiger allein die vertragswesentlichen Umstände kenne und daß nach dem Wesen des Sicherungsvertrages der Sicherungsgeber das Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners auf sich nehme. Alle diesbezüglichen 179 „. . . attempting to explain the duty of disclosure in terms of misrepresentation“, Murdoch, (1994/5) 8 JCL 286, 288. 180 20 Halsbury’s Laws, § 128. 181 Chitty/Whittaker on Contracts, Band II, Rn. 44-034. 182 Spencer Bower, Rn. 120. 183 Spencer Bower, Rn. 120.

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D. Entwicklung bei weiteren Vertragstypen

Umstände müssen ihm deshalb nicht offenbart werden.184 Umstände, die nicht Bestandteil des gewöhnlichen Risikos des Sicherungsgebers sind, müssen dagegen mitgeteilt werden.185 Es gibt auch Stimmen, die Aufklärungspflichten anerkennen, ohne den Bürgschaftsvertrag zu den Verträgen uberrimae fidei zu zählen. So soll der Bürgschaftsvertrag zwar kein Vertrag uberrimae fidei im strengen Sinn sein, aber gewisse Charakteristika dieser Verträge aufweisen.186 Eggers/Foss sind der Meinung, die Tatsache, daß nicht nur falsche Angaben (misrepresentations) verboten seien, sondern darüber hinaus tatsächlich eine Pflicht zum Reden bestehe, lege nahe, daß es sich um eine „duty of the utmost good faith“ handele. Sie geben allerdings zu, daß die Bezeichnung in diesem Zusammenhang nicht besonders hilfreich sei.187 Wegen dieser Einordnungsschwierigkeiten werden die Aufklärungspflichten von manchen als eigenständige Ausnahme behandelt.188 4. Einzelheiten der Offenbarungspflicht Ein genaueres Bild des Umfangs der vorvertraglichen Aufklärungspflicht des Gläubigers gegenüber dem Bürgen im englischen Recht ergibt eine Zusammenschau der Umstände, für die von der Rechtsprechung eine Offenbarungspflicht verneint wurde. Zwar hängt das Bestehen einer Aufklärungspflicht jeweils von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab, im allgemeinen kann man jedoch davon ausgehen, daß der Gläubiger den Bürgen nicht über folgende Umstände informieren muß. Bei einer Bankbürgschaft besteht keine Aufklärungspflicht über Umstände, die das geschäftstypische Risiko der Bürgschaft betreffen. Über Umstände, die die Kreditwürdigkeit des Hauptschuldners anbelangen, muß der Gläubiger den Bürgen nicht aufklären. Denn daß der Hauptschuldner finanzielle Schwierigkeiten hat und die Bank nur bereit ist, einen Kredit zu gewähren, wenn sie entsprechende Sicherheiten erhält, soll sich für den Bürgen schon aus der Tatsache ergeben, daß er um die Bürgschaft ersucht 184

Spencer Bower, Rn. 122. Spencer Bower, Rn. 123. 186 Chitty/Beale on Contracts, Band I, Rn. 6–150 „not strictly contracts of the utmost good faith“; „Contracts of suretyship or guarantee are not strictly contracts of the utmost good faith in the manner of insurance contracts“, Eggers/Foss, Rn. 2.09. 187 Eggers/Foss, Rn. 2.10. 188 Nach der Ansicht von Murdoch, (1994/5) 8 JCL 286 gilt für die Bürgschaft eine besondere Aufklärungspflicht, die zwischen den beiden Extremen der Aufklärungspflichten im Versicherungsrecht und der nicht bestehenden Aufklärungspflicht bei gewöhnlichen Verträgen steht. Fleischer, S. 835 zählt die Bürgschaft zu den „Verträgen mit abgestuften Informationspflichten“. 185

III. Suretyship und Guarantee

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wird.189 So muß bei der Übernahme einer Sicherheit für ein Bankkonto nicht offenbart werden, daß der Schuldner dieses Konto bereits überzogen hat.190 Auch das Ausmaß einer Überziehung,191 oder daß der Schuldner sein Konto gewohnheitsmäßig oder ständig über den Dispositionskredit hinaus überzieht, unterliegen keiner Offenbarungspflicht, ebensowenig wie die allgemeine Art der Kontoführung, die Tatsache, daß das Konto von der Bank streng überwacht wird192 sowie daß es bei der Führung des Kontos zu Unregelmäßigkeiten gekommen ist. Keine Offenbarungspflicht besteht weiter über eine bereits bestehende Verschuldung gegenüber dem Gläubiger oder gegenüber anderen Gläubigern, die Bonitätseinschätzung,193 über die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Verbindlichkeiten des Schuldners gegenüber dem Gläubiger,194 über das sonstige Verhalten des Schuldners einschließlich seiner Unverantwortlichkeit bei der Führung seiner Geschäfte und darüber, ob der Schuldner seine Verbindlichkeiten pünktlich und seine Versprechen auf ehrenhafte Weise erfüllt.195 Außerdem besteht keine Offenbarungspflicht über den Zweck oder die beabsichtigte Nutzung des Kredits, der gesichert werden soll, z. B. daß das Darlehen dazu bestimmt ist, einen anderen bereits bestehenden Kredit bei derselben Bank zu tilgen196 oder Schulden bei einem früheren Bürgen abzubezahlen.197 Der Gläubiger muß den Sicherungsgeber nicht über die Kreditwürdigkeit der anderen Sicherungsgeber informieren, da erwartet werden kann, daß der Bürge darüber selbst Nachforschungen anstellt. Nicht offenbart werden muß, daß der Gläubiger die Bürgschaft deshalb verlangt, weil sich ein anderer Bürge zurückzieht.198 Weitere Beispiele für die entschieden wurde, daß keine Aufklärungspflicht besteht, sind, daß der Hauptschuldner ungedeckte Schecks ausgestellt hat,199 daß der Gläubiger den Verdacht hegt, der Schuldner habe ihn betrogen,200 daß der Ehemann der Hauptschuldnerin, der über Kontovollmacht 189 Das wurde in allen Entscheidungen betont, die eine Bürgschaft für ein Bankdarlehen zum Inhalt hatten. Siehe nur London General Omnibus Company Ltd v Holloway [1912] 2 KB 72, 87. 190 Kirby v Duke of Marlborough (1813) 2 M & S 18; 105 ER 289; Commercial Bank of Australia Ltd v Amadio (1983) 151 CLR 447, 456. 191 National Provincial Bank of England Ltd v Glanusk [1913] 3 KB 335; Royal Bank of Scotland v Greenshields 1914 SC 259; London General Omnibus Company Ltd v Holloway [1912] 2 KB 72; Hamilton v Watson (1845) 12 Cl & F 109; 8 ER 1339. 192 O’Donovan/Phillips, S. 128. 193 Hamilton v Watson (1845) 12 Cl & F 109; 8 ER 1339; Lloyd’s Bank v Harrison (1925) LDB 12. 194 O’Donovan/Phillips, S. 128. 195 Hamilton v Watson (1845) 12 Cl & F 109; 8 ER 1339. 196 Hamilton v Watson (1845) 12 Cl & F 109; 8 ER 1339. 197 Mackreth v Walmesley (1884) 51 LT 19. 198 North British Insurance Company v Lloyd (1854) 10 Exch 523; 156 ER 545.

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D. Entwicklung bei weiteren Vertragstypen

verfügt, ein noch nicht entlasteter Gemeinschuldner war201 und daß der Sicherungsfall wahrscheinlich bereits eingetreten ist.202 Im Bereich der performance bonds besteht keine Offenbarungspflicht über zu erwartende logistische oder technische Schwierigkeiten, denen der Hauptschuldner bei Erfüllung seiner Verpflichtung begegnen mag.203 Für alle Umstände, mit deren Vorliegen der Bürge nicht zu rechnen braucht, besteht eine Aufklärungspflicht. Dazu gehören private oder heimliche Abreden zwischen dem Gläubiger und dem Hauptschuldner, durch die sich das erwartete Risiko des Sicherungsgebers erhöht204 oder durch die sich seine Lage so wesentlich verändert, daß sie nicht mehr der Position entspricht, von der er vernünftigerweise ausgeht.205 Bei fidelity bonds muß der Bürge nicht damit rechnen, daß derjenige, für den er sich verbürgt, bereits zuvor Verfehlungen begangen hat. Folglich trifft den Dienstherrn eine Aufklärungspflicht, wenn er Grund hat, an der Treue des Angestellten zu zweifeln.206 Der Bürge darf annehmen, daß er sich für einen ehrlichen Menschen verbürgt, und muß nicht damit rechnen, daß es sich um einen überführten Dieb handelt.207 Einzelheiten der Offenbarungspflicht sind noch im Fluß. So ist noch nicht abschließend geklärt, ob nur solche Umstände offenbart werden müssen, die unmittelbar das Vertragsverhältnis zwischen Gläubiger und Hauptschuldner betreffen, oder ob die Pflicht auch ungewöhnliche Umstände erfaßt, die außerhalb der Beziehung zwischen Gläubiger und Hauptschuldner liegen. 5. Fazit Die Aufklärungspflichten im Bürgschaftsrecht zeigen, daß die heute im englischen Recht anerkannten Mechanismen zur Bewältigung der vorvertraglichen Informationsproblematik nicht zu dogmatisch befriedigenden, ko199 National Provincial Bank of England Ltd v Glanusk [1913] 3 KB 335; Commercial Bank of Australia Ltd v Amadio (1983) 151 CLR 447. 200 National Provincial Bank of England Ltd v Glanusk [1913] 3 KB 335, 339 per Horridge J; Royal Bank of Scotland v Greenshields 1914 SC 259. 201 Cooper v National Provincial Bank [1946] KB 1. 202 Welton v Somes (1889) 5 TLR 184. 203 Trade Indemnity Co Ltd v Workington Harbour Board [1937] AC 1. 204 Pidcock v Bishop (1825) B & C 605; 107 ER 857; Hamilton v Watson (1845) 12 Cl & F 109; 8 ER 1339. 205 Evans v Bremridge 2 K & J 174; 44 ER 327. 206 Smith v The Bank of Scotland (1813) 1 Dow 272; 3 ER 697; London General Omnibus Company Ltd v Holloway [1912] 2 KB 72. 207 London General Omnibus Company Ltd v Holloway [1912] 2 KB 72, 82 per Farwell.

III. Suretyship und Guarantee

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härenten Lösungen führen. Die Grundsätze für die Aufklärungspflichten des Gläubigers, die inhaltlich im wesentlichen noch heute fortgelten, wurden entwickelt, als man sich noch wegen des Anfechtungsgrundes des fraudulent oder undue concealment vom Vertrag lösen konnte. Das bedeutete, daß ein Anfechtungsrecht bestand, wenn der Vertragspartner nicht über einen Umstand aufgeklärt worden war, dessen Aufklärung er nach Treu und Glauben erwarten durfte. Dies war insbesondere dann der Fall, wenn er keinen Zugang zu den vertragswesentlichen Informationen hatte, bzw. wenn er mit dem Vorliegen eines Umstands nicht rechnen mußte, den er in den Worten Lord Mansfields, „had no reason to suspect“. Nicht erwarten durfte er Aufklärung über solche Umstände, für die er das Risiko übernommen hatte. Im Ergebnis gelten heute noch dieselben Grundsätze, aber seitdem sich durchgesetzt hat, daß es keinen einheitlichen, für alle Verträge geltenden Anfechtungsgrund für treuwidrig unterlassene Informationen mehr gibt, müssen sie anders begründet werden. Das funktioniert nur, wenn entweder das Rechtsinstitut der misrepresentation überdehnt wird, das unter Umständen selbst dann bejaht wird, wenn zwischen Gläubiger und Bürgen überhaupt kein Kontakt stattgefunden hat. Oder die Aufklärungspflicht wird daraus abgeleitet, daß der Bürgschaftsvertrag zu den Verträgen uberrimae fidei gezählt wird. Dies erfordert wiederum eine Anpassung der Grundsätze von uberrima fides speziell an die Bürgschaft. Schließlich bleibt die Möglichkeit, die Bürgschaft als eigenständige und ihren eigenen Regeln folgende Ausnahme zu dem Grundsatz, daß keine vorvertragliche Aufklärung geschuldet wird, anzuerkennen. All dies zeigt, wieviel dogmatische Unsicherheiten und Unklarheiten es mit sich gebracht hat, an den Grundsätzen festzuhalten, die unter Anerkennung einer auf der vertraglichen Fairneß basierenden allgemeinen Aufklärungspflicht aufgestellt wurden, ohne sich offen zu diesen Prinzipien zu bekennen.

E. Uberrima Fides – Anknüpfungspunkt für wiederzuentdeckende europäische Gemeinsamkeiten I. Uberrima fides heute Was bedeutet uberrima fides und auf welche Verträge ist uberrima fides anwendbar? Allein die Untersuchung der im geltenden Recht anerkannten Aufklärungspflichten gibt auf diese Frage keine Antwort, denn jeder der untersuchten Vertragstypen, die von den Erfindern der Kategorie der Verträge uberrimae fidei, Pollock und Anson, dort eingeordnet wurden, scheint heute eigenen Regeln zu folgen. Für den Versicherungsvertrag gilt, daß der Versicherungsnehmer dem Versicherer alle ihm bekannten gefahrerheblichen Umstände mitteilen muß, unabhängig davon, ob er die Gefahrerheblichkeit erkennt oder erkennen kann. Beim Grundstückskaufvertrag besteht für den Verkäufer lediglich die Pflicht, auf Rechtsmängel hinzuweisen, Sachmängel dagegen braucht er nicht zu offenbaren. Im Fall einer Bürgschaft muß der Gläubiger den Bürgen nur über solche Umstände informieren, mit deren Vorliegen dieser nicht zu rechnen braucht. Die auf europarechtlichen Vorgaben basierende spezialgesetzliche Regelung im Kapitalmarktrecht fordert, daß der Emittent von Wertpapieren alle Informationen offenbart, die der Investor für eine sachgerechte Investitionsentscheidung benötigt. Wie werden diese im Umfang deutlich voneinander abweichenden Aufklärungspflichten dogmatisch erfaßt? Lassen sie sich schlüssig mit einem Prinzip von uberrima fides erklären? Die Lehrbücher bemühen sich kaum darum, ein Prinzip zu formulieren, das die anerkannten Aufklärungspflichten miteinander verbindet und zur Ableitung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten dienen könnte. Traditionell werden die Verträge uberrimae fidei als eine Gruppe von Verträgen behandelt, für die im Gegensatz zu anderen Verträgen vorvertragliche Aufklärungspflichten anerkannt sind. Schon Pollock und Anson, und später auch Spencer Bower, verstanden darunter eine Kategorie von Verträgen. Welche Verträge werden dazugezählt? Ganz unstreitig ist die Versicherung ein Vertrag uberrimae fidei. Die Pflicht des Versicherungsnehmers, dem Versicherer ungefragt alle gefahrerheblichen Umstände unabhängig von seiner Kenntnis der Gefahrerheblichkeit mitzuteilen, wird allgemein mit dem Ausdruck „uberrima fides“ bezeichnet. Die Untersuchung hat ge-

I. Uberrima fides heute

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zeigt, daß bei allen anderen Vertragstypen die Aufklärungspflicht nicht so weit reicht wie bei der Versicherung. Gehören diese trotzdem zu den Verträgen uberrimae fidei? Die Meinungen darüber gehen auseinander. Die jeweilige Antwort hängt davon ab, was unter uberrima fides verstanden wird. Hierzu scheint jeder Autor sein eigenes Konzept zu vertreten. Manche ziehen sich aus der Affäre, indem sie zwar daran festhalten, daß es sich bei den Verträgen uberrimae fidei um eine Gruppe handelt, ohne jedoch Farbe zu bekennen, welche Verträge dazugehören und was uberrima fides für sie jeweils bedeutet. Statt dessen lassen sie es bei der Benennung des Versicherungsvertrages bewenden, ohne auf die bestehenden Aufklärungspflichten bei anderen Verträgen einzugehen.1 Für einige Autoren ist uberrima fides gleichbedeutend mit der Pflicht, dem Vertragspartner während der Vertragsverhandlungen alle vertragswesentlichen Umstände mitzuteilen, wobei für den subjektiven Tatbestand bereits die Kenntnis der Tatsache genügt.2 Weder muß die von der Aufklärungspflicht betroffene Partei die Wesentlichkeit der Tatsache erkannt haben, noch muß sie für sie erkennbar gewesen sein. Wenn uberrima fides mit dieser weiten Pflicht gleichgesetzt wird, dann ist der Versicherungsvertrag der einzige Anwendungsfall. Folglich handelt es sich nach dieser Ansicht bei den Verträgen uberrimae fidei tatsächlich nicht um eine Gruppe von Verträgen, sondern uberrima fides ist eine Sonderregel nur für den Versicherungsvertrag. Die anerkannten Aufklärungspflichten bei den übrigen untersuchten Vertragstypen müssen Vertreter dieser Ansicht auf einer anderen dogmatischen Grundlage erklären, wie sogleich auszuführen sein wird. Da für keinen anderen Vertragstyp im selbem Umfang wie für die Versicherung vorvertragliche Aufklärungspflichten anerkannt sind, lassen sich die dort geltenden Aufklärungspflichten nur unter uberrima fides subsumieren, wenn uberrima fides qualifiziert wird. So werden die geltenden Aufklärungspflichten beispielsweise bei der Bürgschaft, die weniger weit reichen als bei der Versicherung, damit erklärt, daß es sich zwar nicht um einen Vertrag uberrimae fidei im eigentlichen Sinne handele, der Vertrag jedoch wegen der bestehenden Aufklärungspflichten den Verträgen uberrimae fidei sehr nahe komme und deshalb nach ähnlichen Regeln zu behandeln sei. Es gibt sogar Stimmen, die auch die Bürgschaft zu den Verträgen uberrimae fidei zählen. Daß Aufklärungspflichten bei der Bürgschaft nicht im selben Umfang wie bei der Versicherung bestehen, wird damit erklärt, daß uberrima fides nicht mit der gleichen Strenge wie auf die Versicherung Anwen1 Z. B. Atiyah, An Introduction to the Law of Contract, S. 254; Cartwright, Unequal Bargaining, S. 91; Smith, The Law of Contract, S. 144; Davies/Upex, S. 99. 2 Anson/Beatson, S. 258; Atiyah, An Introduction to the Law of Contract, S. 254; Cartwright, Unequal Bargaining, S. 92; Cooke/Oughton, S. 485.

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E. Uberrima Fides – Anknüpfungspunkt für europäische Gemeinsamkeiten

dung finde.3 Der Umfang der Pflicht, die der Grundsatz von uberrima fides einer Partei auferlegt, müsse für jeden Vertragstyp gesondert bestimmt werden. Eggers/Foss schreiben hierzu: „. . . it is difficult to find a single thread which runs its way through all the other contracts of the same ilk. It seems the various contracts which we shall discuss have developed the notion of the utmost good faith for their own purposes and not with any adherence to a grander design.“4 Wie werden von denjenigen, die nur die Versicherung als Vertrag uberrimae fidei anerkennen, die Aufklärungspflichten bei den anderen Vertragstypen dogmatisch erklärt? Wegen des Grundsatzes von caveat emptor, wonach an Schweigen grundsätzlich keine Sanktionen geknüpft sind, ist es zwingend erforderlich, Aufklärungspflichten, die nicht von uberrima fides erfaßt werden, auf der Grundlage einer anderen anerkannten Ausnahme zu erklären. Zum Teil werden die Aufklärungspflichten, die für diese Vertragstypen gelten, jeweils als eigenständige Ausnahme zu der Regel, daß keine vorvertragliche Aufklärung geschuldet wird, dargestellt.5 Jeder Vertragstyp folgt seinem eigenen Regime, und es wird nicht nach dem verbindenden Prinzip gefragt, weil sich auf verschiedenen Wegen im praktischen Ergebnis zufriedenstellende Lösungen finden lassen. So ist die Prospektpflicht beim Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft heute durch Gesetze geregelt mit der Folge, daß es auf die Frage, ob es sich um einen Vertrag uberrimae fidei handelt, für das Bestehen von Aufklärungspflichten nicht mehr ankommt. Die gesetzliche Anordnung der Aufklärungspflicht hat die Frage nach ihrem Grund ersetzt. Die Aufklärungspflichten über Rechtsmängel beim Grundstückskauf werden heute nicht mehr über uberrima fides, sondern über das vertragliche Leistungsversprechen erklärt. Keine Aufklärungspflichten bestehen dagegen über Sachmängel, so daß hier der Grundsatz von caveat emptor den Käufer theoretisch in ganzer Härte trifft. Tatsächlich wird caveat emptor durch die Rechtsbehelfe der Equity abgemildert. Die Aufklärungspflichten bei der Bürgschaft sind das deutlichste Beispiel dafür, wie man zu praktischen Ergebnissen gelangt, die denen unter Geltung eines übergeordneten Grundsatzes von Treu und Glauben entsprechen, die sich aber ohne die ausdrückliche Anerkennung eines solchen Grundsatzes dogmatisch nur schwer erklären lassen. Manche bilden deshalb für die Bürgschaft die spezielle Ausnahmegruppe von Verträgen mit eingeschränkten Aufklärungspflichten.6 Von anderen schließlich wird die Geltung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten für die Bürgschaft ganz abgelehnt und 3

Spencer Bower, Rn. 120. Eggers/Foss, Rn. 2.01. 5 Z. B. bei Treitel, The Law of Contract, S. 369 ff.; Butterworths Common Law Series, The Law of Contract, 4.30. 6 Treitel, The Law of Contract, S. 369. 4

I. Uberrima fides heute

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statt dessen das Rechtsinstitut der misrepresentation sehr großzügig angewendet.7 Was läßt sich aus alledem für die Bedeutung der uberrima fides ableiten? Zunächst ist festzustellen, daß außer für den Versicherungsvertrag völlige Unklarheit darüber besteht, welche Verträge zu den Verträgen uberrimae fidei zu zählen sind und was die Anwendung von uberrima fides für sie bedeutet. Es erweist sich als mißlich, die Anzeigepflichten im Versicherungsvertragsrecht und die vorvertraglichen Aufklärungspflichten für andere Verträge unter eine einheitliche Regel zu fassen. Denn da die Aufklärungspflichten bei allen anderen Vertragstypen weniger weit reichen als bei der Versicherung, können sie nur dann mit uberrima fides erklärt werden, wenn die Reichweite oder Bedeutung von uberrima fides an den jeweiligen Vertragstyp angepaßt wird. Allein aus der Aussage, ein Vertrag unterliege dem Prinzip von uberrima fides, läßt sich über den Umfang der vorvertraglichen Aufklärungspflichten nichts ableiten, denn für jeden der im Zusammenhang mit uberrima fides zumindest diskutierten Vertragstypen ist der Umfang bestehender Aufklärungspflichten gesondert zu bestimmen. Es läßt sich nicht schematisch, losgelöst vom Vertragstyp und den Umständen des Einzelfalls, ausschließlich anhand der Doktrin der uberrima fides beantworten, ob und in welchem Umfang für einen Vertrag vorvertragliche Aufklärungspflichten bestehen. Haben damit Turner und Sutton Recht, wenn sie schreiben: „The variety in the application of the doctrine, of which [Spencer Bower] speaks, now appears rather to support the proposition that the doctrine of uberrima fides is not, as he preferred to regard it, an all-embracing one, applicable in various sets of circumstances capable of general definition, but is one separately applicable, as history, not logic, has determined, in varying sets of circumstances in different degrees of strictness.“8

Oder steht hinter der Fallgruppe der Verträge uberrimae fidei – sofern sie überhaupt als Gruppe gesehen werden – trotz der unterschiedlichen Behandlung vorvertraglicher Aufklärungspflichten ein Prinzip? Spencer Bower erklärte zum gemeinsamen Prinzip der Verträge uberrimae fidei, daß bei diesen Vertragstypen typischerweise nur eine Vertragspartei die vertragswesentlichen Umstände kenne und die andere Partei auf die Information durch die informierte Partei angewiesen sei („one party must know and the other must confide“).9 Die Untersuchung hat gezeigt, daß der ungleiche Informationszugang in den Gerichtsentscheidungen, in denen vorvertragliche Aufklärungspflichten anerkannt wurden, tatsächlich das entscheidende Moment 7

20 Halsbury’s Laws, § 128. Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 5.01. 9 Spencer Bower, Rn. 83; ihm folgend Chitty/Beale on Contracts, Band I, Rn. 6– 135; Cheshire/Fifoot/Furmston, S. 309. 8

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E. Uberrima Fides – Anknüpfungspunkt für europäische Gemeinsamkeiten

war. Läßt sich heute allein aus dem Vorliegen eines ungleichen Zugangs zu den vertragswesentlichen Informationen eine vorvertragliche Aufklärungspflicht ableiten? Hier stellt sich das Problem, daß die Gruppe der Verträge uberrimae fidei heute als geschlossen gilt.10 Für Verträge, die bisher nicht in diese Kategorie eingeordnet wurden und die sich auch keiner anderen Ausnahmegruppe zuordnen lassen, wie beispielsweise der Warenkaufvertrag, sollen keine vorvertraglichen Aufklärungspflichten bestehen. Als Leitentscheidung hierfür gilt Bell v Lever Bros., wo es heißt: „There are certain contracts expressed by the law to be contracts of the utmost good faith, where material facts must be disclosed; if not, the contract is voidable . . . Unless this contract can be brought within this limited category of contracts uberrimae fidei it appears to me that this ground of defence must fail.“11

Nach Ansicht von Turner und Sutton erkläre das von Spencer Bower formulierte Prinzip zwar die Fälle, in denen eine vorvertragliche Aufklärungspflicht anerkannt wurde. Es könne aber nicht erklären, warum im einen Fall von ungleichem Informationszugang vorvertragliche Aufklärungspflichten gelten und im anderen nicht. Denn wenn die von Spencer Bower beschriebenen Bedingungen in einem Fall erfüllt sein sollten, der bisher noch nicht zu den Verträgen uberrimae fidei gezählt wurde, folgt daraus keine Aufklärungspflicht. So hätten die Gerichte über Fälle zu entscheiden gehabt, in denen die Anwendung der von Spencer Bower formulierten Regel zur Anerkennung einer Aufklärungspflicht hätte führen müssen, dennoch sei eine Aufklärungspflicht verneint worden. Die Gruppe der Verträge uberrimae fidei werde auf der Grundlage des von Spencer Bower beschriebenen Prinzips nicht mehr erweitert. Mit der Logik der Regel lasse sich zum Beispiel nicht erklären, warum beim Verkauf eines Grundstücks keine Aufklärungspflichten über Sachmängel bestehen. Zur Illustration führen Turner und Sutton den Kauf eines kontaminierten Grundstücks an.12 Der Verkäufer sei nicht verpflichtet, den Käufer auf bestehende Altlasten hinzuweisen, obwohl der Käufer davon nichts wußte und auch nichts wissen konnte. Obgleich alle Elemente von Spencer Bowers necessitas rei vorhanden seien, sei das Prinzip von uberrima fides nicht anwendbar. Ob und in welchem Umfang eine Aufklärungspflicht besteht oder nicht, werde deshalb nicht durch eine abstrakt generelle Regel bestimmt – wovon Spencer Bower ausging – sondern hänge von historischen Zufällen ab. Daß Spencer Bower diese Konstellation nicht zu den Verträgen uberrimae fidei zählte, läßt sich damit erklären, daß zu seiner Zeit die Problematik der Altlasten noch nicht bekannt war. Spencer Bower legte seinen Ausführungen zu Sachmängeln eines Grundstücks die 10 Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 5.04; Atiyah, An Introduction to the Law of Contract, S. 251. 11 Bell v Lever Bros. [1931] All ER 1, 32. 12 Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 5.07.

II. Verlust des übergeordneten Prinzips

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Vorstellung zugrunde, daß alle Sachmängel eines Grundstücks für den Käufer ebenso gut wie für den Verkäufer erkennbar sind.13 Das Prinzip, das den Verträgen uberrimae fidei zugrunde liegen soll, erklärt zwar, was die anerkannten Aufklärungspflichten miteinander verbindet, aus ihm läßt sich jedoch nicht ableiten, ob in einem Fall vorvertragliche Aufklärungspflichten bestehen oder nicht. Denn der ungleiche Informationszugang ist eine notwendige Bedingung für das Vorliegen einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht, aber keine hinreichende. Hinzukommen muß, daß vorvertragliche Aufklärungspflichten für diesen Vertragstyp schon früher anerkannt wurden. Für das heutige Recht läßt sich somit tatsächlich nur historisch und nicht rechtslogisch erklären, für welche Verträge und in welchem Unfang vorvertragliche Aufklärungspflichten bestehen, die mit dem Ausdruck uberrima fides bezeichnet werden.

II. Verlust des übergeordneten Prinzips Haben Turner und Sutton Recht behalten, wenn sie sagen, daß sich die vorvertraglichen Aufklärungspflichten für jeden Vertragstyp für sich, losgelöst von einem übergeordneten Prinzip entwickelt haben?14 Die Untersuchung hat gezeigt, daß im 18. und 19. Jahrhundert grundsätzlich für alle Vertragstypen vorvertragliche Aufklärungspflichten auf der Basis eines übergeordneten Grundsatzes von good faith anerkannt wurden. Wenn eine Partei bei Vertragsverhandlungen der anderen Partei vertragswesentliche Umstände verschwieg, über die sich diese nicht selbst informieren konnte, in der Absicht, sie über das Vorliegen dieser Umstände zu täuschen, so verstieß dies gegen den Grundsatz von Treu und Glauben und erfüllte damit den Tatbestand des fraud. Dieser Tatbestand war ein Nichtigkeits- bzw. Anfechtungsgrund für alle Verträge und konnte ebenso in Form des Unterlassens wie des aktiven Tuns erfüllt werden. Im Versicherungsrecht galt daneben für den Versicherungsnehmer eine besondere Anzeigepflicht für bestimmte gefahrerhebliche Umstände, deren Verschweigen auch ohne Täuschungsabsicht des Versicherungsnehmers zur Nichtigkeit bzw. Anfechtbarkeit des Versicherungsvertrages führte. Diese Regeln lassen sich schon auf die Entscheidung Carter v Boehm15 von Lord Mansfield aus dem Jahr 1766 zurückführen. Der Grundsatz von good faith ist das übergeordnete Prinzip, aus dem die vorvertraglichen Aufklärungspflichten abgeleitet wurden. Erst Pollock und Anson haben den für alle Verträge geltenden Nichtigkeits- bzw. Anfechtungsgrund des fraud in Form des Verschweigens von 13 14 15

Spencer Bower, Rn. 117, siehe oben, D I. 2.c). Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 5.05; Eggers/Foss, Rn. 2.01. (1766) 3 Burr 1905; 97 ER 1162.

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E. Uberrima Fides – Anknüpfungspunkt für europäische Gemeinsamkeiten

vertragswesentlichen Umständen aufgegeben. Nach ihrem Verständnis setzte fraud ein aktives Tun voraus. Sie mußten folglich für die Gerichtsentscheidungen, in denen ein Anfechtungsrecht auf der Grundlage von fraud in Form des Verschweigens eines vertragswesentlichen Umstandes anerkannt wurde, eine andere dogmatische Erklärung finden. Dies geschah durch die Erfindung der Kategorie der Verträge uberrimae fidei. Nur wenn ein Vertrag uberrimae fidei vorlag, sollte aus dem Verschweigen eines vertragswesentlichen Umstandes ein Anfechtungsrecht folgen. Welche Voraussetzungen mußte ein Vertrag erfüllen, um zu den Verträgen uberrimae fidei zu zählen? Für Pollock ist das Charakteristikum dieser Verträge, daß „. . . the subject-matter of the contract is especially within the knowledge of one party, and the other has to rely, in the first instance at all events, on the correctness of the statements made by him.“16 In den Worten Ansons ist die Besonderheit dieser Verträge „. . . that one of the parties must, from the nature of the contract, rely upon statements made by the other, and is placed at a disadvantage as regards his means of acquiring knowledge upon the subject.“17 Damit haben Pollock und Anson in eine abstrakte Regel gefaßt, unter welchen Umständen die Gerichte von einer Partei die Offenbarung wesentlicher Umstände bei Vertragsschluß verlangten. Bei der Schöpfung der Verträge uberrimae fidei wurden jedoch folgende Elemente, die bei der Begründung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten durch die Rechtsprechung eine entscheidende Rolle gespielt hatten, eliminiert. Zum einen kommt bei Pollock und Anson nicht mehr zum Ausdruck, daß nach der Rechtsprechung die vorvertraglichen Aufklärungspflichten bei Abschluß eines Versicherungsvertrages weiter reichten als bei anderen Verträgen. Denn während der Versicherungsvertrag den Geboten von uberrima fides (utmost good faith, the most perfect good faith) unterlag, wonach das Verschweigen gefahrerheblicher Umstände selbst dann schädlich war, wenn der Versicherungsnehmer ohne jede Täuschungsabsicht handelte, unterlagen alle anderen Vertragstypen dem Grundsatz von good faith, der lediglich verbot, vertragswesentliche Umstände in Täuschungsabsicht zu verschweigen. Pollock und Anson ordneten die Versicherung und andere Vertragstypen unterschiedslos in die einheitliche Kategorie der Verträge uberrimae fidei ein. Dieser Kategorie war damit von Anfang an die Schwierigkeit immanent, daß für die in ihr zusammengefaßten Vertragstypen, obwohl sie angeblich alle derselben Regel folgten, unterschiedlich weit reichende Aufklärungspflichten galten. Diese Unterschiede kommen jedoch in der Regel nicht zum Ausdruck. Außerdem spielt in der von Pollock und Anson formulierten Regel der eigentliche Grund, aus dem die Rechtsprechung vorvertragliche Aufklä16 17

Pollock, Principles of Contract, S. 446. Anson, Principles of the English Law of Contract, S. 139 f.

II. Verlust des übergeordneten Prinzips

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rungspflichten anerkannte, keine Rolle mehr. Zwar verbindet die Entscheidungen zu vorvertraglichen Aufklärungspflichten, wie die Untersuchung gezeigt hat, in der Tat, daß die vertragsschließenden Parteien ungleichen Zugang zu den vertragswesentlichen Informationen hatten. Der Grund für die Anerkennung vorvertraglicher Aufklärungspflichten war jedoch, daß dieses Informationsungleichgewicht den Abschluß eines fairen Vertrages verhinderte. Die Gerichte fragten in jedem Einzelfall, ob die Vertragsgerechtigkeit und die Gebote von Treu und Glauben vorvertragliche Aufklärung verlangten. Anson und Pollock verzichteten auf den Grundsatz von Treu und Glauben und die vertragliche Fairneß als Ableitungsbasis für vorvertragliche Aufklärungspflichten und ersetzten diese durch eine streng logische Regel, nach der unabhängig von Wertungen im Einzelfall immer dann vorvertragliche Aufklärung geboten sein sollte, wenn nur eine Partei Zugang zu den vertragswesentlichen Informationen hatte. Bedauerlicherweise stellten sie bei der Formulierung der Regel darauf ab, daß der ungleiche Zugang zur Information ein Charakteristikum bestimmter Vertragstypen sei, die eine besondere Kategorie von Verträgen bilden, wohingegen in den Gerichtsentscheidungen der jeweilige Vertragstyp keine Rolle gespielt hatte. In diese Kategorie ordneten sie die Verträge ein, die bis dahin Gegenstand von Gerichtsentscheidungen gewesen waren, in denen vorvertragliche Aufklärungspflichten ausdrücklich anerkannt worden waren. Außer der Versicherung waren dies der Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, der Grundstückskauf, soweit Rechtsmängel betroffen sind, und außerdem für Pollock die Bürgschaft. Diese Liste von Vertragstypen verstanden sie aber wohl nicht als abschließend, sondern als erweiterbar um andere Verträge, in denen ebenfalls ein ungleicher Informationszugang besteht. Nach Spencer Bower sollte die einzig entscheidende Frage sein, „. . . whether the nature and circumstances of the particular contract or transaction are such (by reason of the necessarily or probably exclusive knowledge of one of the parties) to call for the application of the doctrine; and, if they are, whether the withheld facts are such as, having regard again to the nature of the particular contract, are material to be disclosed.“18

Er warnt ausdrücklich davor, nur danach zu entscheiden, ob der Vertrag früher schon einmal als Vertrag uberrimae fidei bezeichnet wurde: „In the development of mercantile affairs, new types of agreements between business men are daily being invented, which it may be difficult to bring under any of the hitherto recognized denominations; and the application of the rule to these new types might be seriously hampered by any attempt to impart an artificial rigidity to the flexible Lesbian rule of the law, or to canton out the territory on which that rule operates into defined and named provinces.“19 18 19

Spencer Bower, Rn. 85. Spencer Bower, Rn. 85.

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E. Uberrima Fides – Anknüpfungspunkt für europäische Gemeinsamkeiten

Nach der ursprünglichen Konzeption bedeutet uberrima fides, daß immer dann, wenn nur eine Vertragspartei Zugang zu den vertragswesentlichen Informationen hat, sie diese der anderen Partei offenbaren muß, es sei denn, sie ist bereits durch andere Mechanismen geschützt, wie etwa durch die implied terms, die im Warenkauf anerkannt sind. Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen hätten auch in bis dahin nicht entschiedenen Konstellationen vorvertragliche Aufklärungspflichten anerkannt werden müssen. Dies ist jedoch nicht geschehen, sondern die Liste der Vertragstypen, für die bis dahin von der Rechtsprechung Aufklärungspflichten anerkannt waren und die Anson und Pollock unter die abstrakte Regel subsumierten, wurde als abschließend verstanden. Die Rechtsprechung zog uberrima fides nicht heran, um vorvertragliche Aufklärungspflichten zu begründen. Für die Vertragstypen, die bereits Pollock und Anson in diese Kategorie eingeordnet hatten, war das nicht nötig, weil für diese Verträge ohnehin schon von der Rechtsprechung Aufklärungspflichten statuiert worden waren, die Pollock und Anson nachvollzogen und erklärten und die von der Rechtsprechung später nur noch verfeinert wurden. Dazu mußten sich die Gerichte aber nicht auf uberrima fides berufen, sondern Geltungsgrund dieser Aufklärungspflichten blieben die einschlägigen Präzedenzfälle. Die Kategorie der Verträge uberrimae fidei ist eine Schöpfung der Wissenschaft, die ein nachträgliches Ordnungsprinzip für Aufklärungspflichten bildete, die von den Gerichten bereits zuvor anerkannt worden waren. Für Vertragstypen, für die bei Aufkommen der Kategorie der Verträge uberrimae fidei noch keine vorvertraglichen Aufklärungspflichten anerkannt waren, und die folglich nicht in diese Kategorie eingeordnet werden konnten, wurden auch in der Zukunft keine Aufklärungspflichten aufgrund der von Anson, Pollock und Spencer Bower formulierten Regel anerkannt. Zwar wurde die Kategorie der Verträge uberrimae fidei von der Rechtsprechung aufgegriffen, aber nicht, um für weitere Verträge Aufklärungspflichten zu begründen, sondern ausschließlich, um für andere Vertragstypen Aufklärungspflichten abzulehnen.20 Dies hatte zur Folge, daß mit der Einführung der Kategorie der Verträge uberrimae fidei der status quo der bis dahin anerkannten Aufklärungspflichten festgeschrieben wurde, und führte zu dem heutigen dogmatisch unbefriedigenden Zustand, in dem sich das Bestehen vorvertraglicher Aufklärungspflichten nur historisch und nicht mehr durch ein Prinzip erklären läßt.

20 Bell v Lever Bros. [1931] All ER 1, 32; Wales v Wadham [1977] 2 All ER 125, 139.

IV. Vorvertragliche Aufklärungspflichten

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III. Das Verhältnis von uberrima fides zu bona fides Die Einordnung der Vertragstypen, für die die Rechtsprechung bereits vorvertragliche Aufklärungspflichten anerkannt hatte, in die Kategorie der Verträge uberrimae fidei hatte keine substantielle Auswirkung auf diese Aufklärungspflichten. Obwohl sich die Bezeichnung geändert hatte und der Grundsatz von good faith in der Begründung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten keine ausdrückliche Rolle mehr spielte, galten weiterhin die Urteile als Leitentscheidungen, in denen Aufklärungspflichten in Anwendung der Grundsätze von good faith anerkannt worden waren. Um das Ausmaß der vorvertraglichen Aufklärungspflichten zu bestimmen, muß man auf die Entscheidungen zurückgreifen, die unter Geltung des übergeordneten Grundsatzes von Treu und Glauben ergangen sind. Dadurch wirken die Grundsätze des good faith und fair dealing bis heute in den anerkannten vorvertraglichen Aufklärungspflichten fort. Nur bei der Versicherung gingen seit jeher die Verhaltensanforderungen über das von Treu und Glauben geforderte Maß hinaus. Insgesamt ist festzustellen, daß uberrima fides – sofern der Ausdruck für andere Vertragstypen als die Versicherung überhaupt verwendet wird – damit für alle Verträge außer der Versicherung nichts anderes als bona fides bedeutet und keine weiter reichenden Pflichten bezeichnet.

IV. Vorvertragliche Aufklärungspflichten auf der Grundlage von Treu und Glauben – common core des europäischen Privatrechts? Der Versuch, vorvertragliche Aufklärungspflichten durch eine streng logische Regel zu erklären, ist gescheitert. Die Abkoppelung der Aufklärungspflichten von der Basis, auf der sie einst anerkannt wurden – den Geboten der Vertragsgerechtigkeit und good faith – hat nicht zu einer Rationalisierung geführt, sondern zu der heutigen Rechtslage, in der sich vorvertragliche Aufklärungspflichten nicht durch Prinzipien, sondern durch historische Zufälle erklären. Dieser Rechtszustand wird als unbefriedigend empfunden. Es werden vor allem zwei Methoden vorgeschlagen, wie man vorhandene Mechanismen des common law nutzen kann, um die nicht informierte Partei bei Vertragsschluß vor der Härte des Grundsatzes von caveat emptor zu schützen und Wertungswidersprüche zu vermeiden: die umfassendere Anerkennung von implied terms und die Ausweitung der anerkannten Ausnahmen zu caveat emptor. Eine traditionelle Technik des englischen Rechts zum Schutz einer Vertragspartei sind die implied terms. Diese Technik hat von Anfang an den Grundsatz von caveat emptor dann beschränkt, wenn nicht beiden Parteien

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E. Uberrima Fides – Anknüpfungspunkt für europäische Gemeinsamkeiten

die gleichen Prüfungs- und Beurteilungsmöglichkeiten zu Gebote standen.21 Der funktionellen Austauschbarkeit von Gewährleistungsrechten und Informationspflichten ist man sich im englischen Recht stärker bewußt als in den kontinentalen Rechtsordnungen.22 Wenn das Vorliegen eines bestimmten Umstandes in den Vertrag hineingelesen wird, ist eine Partei für den Fall, daß dieser Umstand tatsächlich nicht gegeben sein sollte, durch alle Rechtsbehelfe geschützt, die für eine Vertragsverletzung zu Gebote stehen. Ein zusätzlicher Schutz durch vorvertragliche Aufklärungspflichten ist überflüssig, da er nicht weiter reichen würde. So hatte die Anerkennung umfangreicher implied terms im Warenkauf zur Folge, daß dort keine Notwendigkeit für vorvertragliche Aufklärungspflichten über Mängel mehr gesehen wurde.23 Es wird daher vorgeschlagen, anstatt die vorvertraglichen Aufklärungspflichten auszuweiten, verstärkt auf die Technik der implied terms zurückzugreifen.24 Als Vorzug der implied terms wird genannt, daß sie flexible Rechtsbehelfe eröffnen, während für eine Verletzung von Aufklärungspflichten als einziger Rechtsbehelf der Rücktritt (rescission) zur Verfügung steht. Außerdem schützen implied terms selbst bei Unkenntnis von dem Mangel. Für eine Aufklärungspflicht dagegen ist die Kenntnis der aufklärungspflichtigen Partei Voraussetzung.25 Die Technik der implied terms ist auch deshalb beliebt, weil sie den Anschein erwecken, als beruhten sie auf einer Vereinbarung der Parteien. Obgleich nicht gefordert wird, eine allgemeine vorvertragliche Aufklärungspflicht anzuerkennen, so wird doch vorgeschlagen, zumindest gegenüber anerkannten Ausnahmen zu der Regel, daß keine vorvertragliche Aufklärungspflicht besteht, eine großzügigere Haltung einzunehmen und sie analog auf vergleichbare Konstellationen anzuwenden. Den Verträgen uberrimae fidei liegt das Prinzip zugrunde, daß zwischen den Parteien ein Informationsungleichgewicht besteht und es für die eine Partei unmöglich oder unverhältnismäßig teuer ist, die relevanten Informationen auf andere Weise als von der informierten Partei zu erlangen. Die Gerichte sollten in Zukunft bei vergleichbaren Fällen die anerkannten Aufklärungspflichten analog auf andere Verträge anwenden.26 Ungleicher Zugang zu den vertragswesentli21

Siehe oben C I. 2. Fleischer, S. 867; Zimmermann/Whittaker, Good Faith in European Contract Law, S. 228; Collins, Law of Contracts, S. 194. 23 Vgl. Spencer Bower/Turner/Sutton, Rn. 7.27, die die Entscheidung Horsfall v Thomas (1862) 1 H & C 90; 158 ER 813, in der eine Aufklärungspflicht des Verkäufers über versteckte Mängel der Kaufsache anerkannt worden war, wegen der Anerkennung der implied terms für überholt halten. 24 Atiyah, Judicial Techniques and the Law of Contract, S. 262 ff.; Waddams, S. 255. 25 Kritik an dieser Konzeption äußert vor allem Farnsworth, (1991) 19 Canadian Business Law Journal 351, 354 ff. 22

IV. Vorvertragliche Aufklärungspflichten

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chen Informationen ist in der Tat nicht auf einen bestimmten numerus clausus von Verträgen, die bisher in die Kategorie der Verträge uberrimae fidei eingeordnet wurden, begrenzt, sondern kann je nach den Umständen des Einzelfalls bei jedem Vertragstyp vorliegen.27 Es wird daher vorgeschlagen, vorvertragliche Aufklärungspflichten unabhängig vom Vertragstyp immer dann anzuerkennen, wenn eine der vertragsschließenden Parteien auf die Information der anderen Partei angewiesen ist („involuntary reliance“).28 Tatsächlich entspricht dieser Vorschlag einer Rückbesinnung auf das Verständnis von uberrima fides von Anson, Pollock und Spencer Bower, die darunter keine geschlossene Gruppe von Verträgen verstanden, sondern vielmehr eine generelle Regel, nach der immer dann vorvertragliche Aufklärungspflichten eingreifen sollten, wenn eine Partei auf die Information durch die andere Partei angewiesen ist. Nach dem ursprünglichen Verständnis von uberrima fides wäre dies daher keine analoge, sondern eine direkte Anwendung von uberrima fides. Der ungleiche Zugang zur Information bildet auch in der wissenschaftlichen Diskussion, die sich nicht an die Ausnahmen des englischen Rechts zu dem Grundsatz von caveat emptor gebunden fühlt, das maßgebliche Kriterium zur Bestimmung vorvertraglicher Aufklärungspflichten. So schlägt Scheppele in einer vielbeachteten Studie eine Aufklärungspflicht für die Partei vor, die überlegene Informationsmöglichkeiten hat.29 Auch für Holmes ist der überlegene Zugang zur Information ein wesentlicher Faktor, der vorvertragliche Aufklärungspflichten auslöst.30 Im kontinentaleuropäischen Recht gilt der Grundsatz von Treu und Glauben als maßgeblicher Orientierungspunkt für vorvertragliche Informationspflichten.31 Treu und Glauben fordert nicht gleiche Informationsverteilung, sondern nur gleichen Informationszugang. Bei gewöhnlichen Austauschverträgen besteht keine allgemeine Pflicht, relevante Informationen mit dem Vertragspartner zu teilen. Soweit die Tatsachen der nicht informierten Partei ohne weiteres zugänglich sind, verdient sie keinen Schutz, und die informierte Partei darf ihr Wissen zu ihrem Vorteil ausnutzen. Die vorvertraglichen Informationspflichten greifen erst dort ein, wo die Obliegenheit zur Selbstinformation an tatsächliche oder rechtliche Grenzen stößt.32 Auch 26

Beatson, (1997) 56 Cambridge Law Journal 291, 305; Anson/Beatson, S. 267. Zimmermann, Good Faith and Equity, S. 248 mit zahlreichen Hinweisen auf das südafrikanische Recht. 28 Forte, Good Faith and Utmost Good Faith: Insurance and Cautionary Obligations in Scots Law, S. 85. 29 Scheppele, Legal Secrets, S. 136, 178. 30 „Superior means of acquiring knowledge“, Holmes, (1978) 39 University of Pittsburgh Law Review 381, 445. 31 Fleischer, S. 983. 27

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E. Uberrima Fides – Anknüpfungspunkt für europäische Gemeinsamkeiten

Art. 4:107 (3) der Principles of European Contract Law stellt für die Frage, ob „good faith and fair dealing“ die Offenbarung eines Umstandes verlangen, darauf ab, ob sich die nicht informierte Partei die betreffenden Informationen vernünftigerweise selbst hätte beschaffen können. Gehört Treu und Glauben als Ableitungsbasis für vorvertragliche Aufklärungspflichten auch unter Einschluß des englischen common law zum common core der europäischen Rechtsordnungen? Die Untersuchung hat gezeigt, daß eine auf dem Grundsatz von Treu und Glauben basierende vorvertragliche Aufklärungspflicht keineswegs ein dem englischen Recht fremdes Konzept ist. Was soeben als gemeinsamer europäischer Kern zur Bestimmung vorvertraglicher Aufklärungspflichten beschrieben wurde, entspricht den Grundsätzen, die bereits Lord Mansfield in der Entscheidung Carter v Boehm33 und später andere Richter in den Entscheidungen zur Prospekthaftung34 vertreten haben: „Good faith forbids either party by concealing what he privately knows, to draw the other into a bargain, from his ignorance of that fact, and his believing the contrary. But either party may be innocently silent, as to grounds open to both, to exercise their judgment upon.“35 Die Argumente, die in England üblicherweise gegen eine auf dem Grundsatz von Treu und Glauben basierende vorvertragliche Aufklärungspflicht ins Feld geführt werden, haben der historischen Überprüfung nicht standgehalten. Zunächst trifft es schlicht nicht zu, daß das englische Recht vorvertragliche Aufklärungspflichten seit jeher abgelehnt hat. Eine solche Aufklärungspflicht galt auch nicht schon immer als unvereinbar mit dem Grundsatz von caveat emptor, denn caveat emptor setzte voraus, daß der Käufer dieselben Prüfungs- und Beurteilungsmöglichkeiten des Vertragsgegenstandes – mit anderen Worten gleichen Zugang zu den vertragswesentlichen Informationen – wie der Verkäufer hatte. Caveat emptor forderte, daß sich jede Partei selbst die vertragswesentlichen Informationen beschaffen mußte. Wenn sie jedoch nicht dazu in der Lage war, weil nur die andere Partei Zugang zu diesen Informationen hatte, traf die informierte Partei die Pflicht, diese Informationen zu teilen. Eine vorvertragliche Aufklärungspflicht, die durch ungleichen Informationszugang ausgelöst wird, bildete keinen Widerspruch zu caveat emptor, sondern vielmehr eine Ergänzung. Die untersuchten Entscheidungen haben gezeigt, daß die Befürchtung, die Anerkennung einer auf Treu und Glauben gründenden vorvertraglichen 32

Fleischer, S. 984. (1766) 3 Burr 1905; 97 ER 1162. 34 New Brunswick and Canada Railway and Land Company v Muggeridge (1860) 1 Dr & Sim 363; 62 ER 418; Central Railway of Venezuela v Kisch (1867) LR 2 HL 99. 35 Carter v Boehm (1766) 3 Burr 1905, 1910; 97 ER 1162, 1164. 33

IV. Vorvertragliche Aufklärungspflichten

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Aufklärungspflicht bedeute eine Gefahr für die Rechtssicherheit und führe zum Abgleiten in eine diffuse Billigkeitsrechtsprechung, unbegründet ist. Denn sowohl für die common law- als auch für die Equity-Gerichte hatte die Transaktions- und Rechtssicherheit einen hohen Stellenwert. Sie entließen eine Partei nicht schon wegen einer irgendwie gearteten Unbilligkeit aus einem von ihr geschlossenen Vertrag, sondern nur dann, wenn der Vertragsentschluß auf mißbilligenswerte Weise herbeigeführt worden war, d.h., wenn der Tatbestand des fraud erfüllt war, der klar umrissene Voraussetzungen hatte. Die Anerkennung von Treu und Glauben als Ableitungsbasis für vorvertragliche Aufklärungspflichten würde auch nicht zur Unberechenbarkeit führen. Ganz im Gegenteil hat die Untersuchung gezeigt, daß gerade der Verlust des Anfechtungsgrundes des „fraudulent concealment“, der erfüllt war, wenn das Verschweigen eines Umstandes gegen die Gebote von Treu und Glauben verstieß, dazu geführt hat, daß die bestehenden Aufklärungspflichten heute nicht mehr rational, sondern nur noch historisch zu erklären sind. Obgleich in der Praxis heute in vielen Fällen vom Ergebnis befriedigende und faire Lösungen gefunden werden, würde die Anerkennung eines Grundsatzes von good faith als Ableitungsbasis für vorvertragliche Aufklärungspflichten zur Rationalität der Rechtsfindung beitragen.36 Die historische Untersuchung hat ergeben, daß das englische Recht früher durchaus vorvertragliche Aufklärungspflichten auf der Basis von Treu und Glauben anerkannte. Es bestand eine intellektuelle Verbindung zum Kontinent, die sich etwa am Einfluß des Naturrechts auf die Anerkennung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten ablesen läßt. Die Gerichte trugen Sorge für die vertragliche Fairneß, indem sie durchsetzten, daß Verträge auf faire Weise geschlossen werden. Seit jeher waren die Gerichte der Rechtssicherheit und den Interessen des Handels in besonderer Weise verpflichtet und stellten hohe Anforderungen an die Eigenverantwortung des einzelnen. Daher wurde nur unter besonderen Umständen verlangt, daß eine vertragsschließende Partei ihre Interessen zugunsten der anderen Partei preisgibt. Stets war anerkannt, daß Parteien eines gewöhnlichen Austauschvertrages „are dealing at arm’s length“; die Vertragsgerechtigkeit verlangte aber für beide Parteien gleichermaßen die Möglichkeit einer informierten Entscheidung. Dies löste eine Aufklärungspflicht aus, wenn nur eine Partei Zugang zu den vertragswesentlichen Informationen hatte. Die Aufklärungspflichten, die unter Geltung dieser Grundsätze anerkannt wurden, leben in den sogenannten Verträgen uberrimae fidei fort. Unter Berücksichtigung der historischen Perspektive gehört Treu und Glauben als Ableitungsbasis für vorvertragliche Aufklärungspflichten somit auch unter Einbeziehung des englischen Rechts zum common core der europäischen Rechtsordnungen. 36 So Brownsword, (1994) 7 JCL 197, 208, 243 und Adams/Brownsword, S. 198 f., 211, 253 f. für good faith ganz allgemein.

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Personen- und Sachwortverzeichnis action of assumpsit 113–114 ADHGB 97, 108 Allgemeine Deutsche Seeversicherungsbedingungen 105–106 allgemeines Vertragsrecht 156 ALR 56, 105, 108 Anfechtungsrecht 92, 100–101, 159, 162–163, 169 Anson, William 141, 154, 161, 163, 166, 177, 189, 229 Anzeigepflicht 48 ff., 64, 68, 99, 101, 109, 213 – Ausdehnung 69 ff. – Ausnahmen 83 – Dauer 89 – deutsches Recht 97 ff. – Einzelheiten 86 ff. – Entwicklung 54 ff. – Entwicklung in England 58 ff. – Rechtsfolgen bei Verletzung 92 – Rechtsfolgen bei Verletzung im deutschen Recht 100 – Umfang 80 arglistige Täuschung 15, 25, 50, 100 Assekuranz und Haverey=Ordnung für sämtliche Königlich Preußische Staaten 56 Aufklärungspflicht – des Versicherers 89 – über allgemeine Marktverhältnisse 131 – über erkennbare Mängel 126, 131, 179 – über extrinsische Umstände 50, 127, 131 – über intrinsische Umstände 50, 127, 141, 175

– über versteckte Mängel 123, 144, 146, 163, 165, 169–171, 173, 175 – über werterhöhende Eigenschaften 133 Bankbürgschaft 205, 220 bona fides 15, 48 Börsenzulassungsrichtlinie 202 Bürgschaft 31–32, 163, 167, 204 ff., 224–226, 231 – Abgrenzung zur Versicherung 216 – bei Anson 204, 214 – bei Pollock 204, 214 – Dogmatik der Aufklärungspflichten 218 – Einzelheiten Offenbarungspflicht 220 ff. caveat emptor 17, 111, 128, 142, 144, 146, 173, 175, 187, 226, 233, 236 – Begrenzung durch fraud 119 ff. – Entwicklung 112 ff. – und implied terms 115 Cicero 48, 132, 211 common core der europäischen Rechtsordnungen 14, 25, 237 Common Core of European Private Law 22 Companies Act 1867 190, 200 compositions with creditors 170 culpa in contrahendo 16, 26, 97 deceit 28, 113–114, 122, 148, 150, 157–158, 163, 174, 216 Dienst- oder Amtsbürgschaften siehe fidelity bond

250

Personen- und Sachwortverzeichnis

EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen 18 Eisenbahnhysterie 191 Emissionsprospekt 152, 190–192, 196 Emissionsprospektrichtlinie 202 Erfüllungsbürgschaft siehe performance bond family arrangements 30, 32 Feuerversicherung 88, 163, 165 fidelity bond 204, 206, 222 fiduciary relationships 31 f. Financial Services Act 1986 202 fraud 25, 44, 68, 114, 147, 156–158, 168, 170–174, 237 – Begriff 119, 137 – bei Abschluß einer Bürgschaft 205 ff. – bei Abschluß eines Versicherungsvertrages 44, 47, 63 – bei Gesellschaftsgründung 150, 190, 196 – divergierende Entwicklung 148 – durch Verletzung der Aufklärungspflicht 64, 122 – einheitlicher Tatbestand 163 – einheitlicher Begriff 158 – im common law 122 – in der Equity 120 fraudulent concealment 48, 60, 70, 75, 94, 138, 144, 158, 164, 211, 214, 237 Garantieverträge siehe Bürgschaft Gesellschaftsvertrag 170 Gewährleistungsrecht 27 Grotius, Hugo 48, 50, 90, 102, 104, 124, 127, 133, 136 Grundstückskauf 31–32, 144, 163, 165, 177, 191, 224, 226, 231 – caveat emptor 179, 185–186, 188 – defects of quality 177, 179 – defects of title 177

– Rechtsbehelfe 186 – versteckte Mängel 180, 183 – versteckte Rechtsmängel 183 Guidon de la mer 42 Hamburger Assecuranz-Ordnung 55, 57–58 implied terms 79, 115, 130, 185, 187, 233 ius gentium 38, 42 Kauf nach Beschreibung 116 Kauf nach Warenprobe 116, 129 Kauf unter Gewährleistungsausschluß 124, 144, 146 Kauf von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft 31, 163, 165, 170, 189, 226, 231 – bei Anson 200 – bei Pollock 200 Kausalitätsgegenbeweis 101, 110 Kfz-Versicherung 88 Königlich Preußisches See=Recht 56 Krankenversicherung 88 law merchant 34, 38, 109 Lebensversicherung 69, 75, 88, 95 lex mercatoria 33–34, 37, 48, 68, 109 – Integration ins englische Recht 38 Lloyd’s 41, 61, 74, 84–85, 87, 95 Lord Mansfield 25, 33 ff., 38 ff., 58, 60, 63, 68–69, 74, 79, 84, 111, 211, 236 lost or not lost 53, 95 Magens 42, 57–58 Malynes, Gerard 44 Marine Insurance Act 1906 40, 80– 81, 83, 109 Marshall, Samuel 41, 66 misrepresentation 17, 27 ff., 150, 156, 174 – fraudulent 27

Personen- und Sachwortverzeichnis – innocent 27, 78, 159, 164, 216 – konkludente 28, 138, 145, 164, 174, 212, 215 – negligent 27 Misrepresentation Act 1967 28 mistake 27, 156 Molloy, Charles 44 Nachfrageobliegenheit 99 Naturrecht 48, 123, 147, 156 negligence 27–28 Obliegenheit zur Selbstinformation 52, 60, 65, 69, 75–76, 199, 235 Offenbarungspflichten im Kapitalmarktrecht 190, 202, 224 Oxford 26, 33, 121, 148, 154 Park, James A. 41, 63 party wall notice 183 performance bond 204 Pollock, Frederick 141, 154, 157–158, 166, 177, 184, 189, 229 Pothier, Robert 42, 50, 103, 127, 135– 137, 141, 143, 180 Preußische Assecuranz-Ordnung 69, 105 Principles of European Contract Law 15–16, 22, 135, 236 Prospekthaftung 150, 152, 191, 199, 203, 236 prudent-insurer-test 82, 93 Public Offers of Securities Regulations 1995 202 Pufendorf, Samuel 49, 90, 102, 124, 133, 136 repugnancy-These 20

251

rescission 28, 114, 120, 149–150, 186, 198, 234 Rücktritt 100, 234 Sale of Goods Act 1893 118, 184– 185 Seeversicherung 33, 80–81, 87, 95, 109, 150, 163, 165 Seeversicherungsrecht, Entwicklung 40 ff., 53 Short time lease 187 specific performance 120, 135, 149, 181, 184, 186, 194, 198 Spencer Bower 20, 175 Statements of Insurance Practice 1977 and 1986 96 suretyship siehe Bürgschaft test of materiality 81, 91 tort of deceit siehe deceit treatises 42, 136, 155 undue influence 156 Unfair Terms in Consumer Contracts Regulation 1994 18 UNIDROIT-Prinzipien 16 Van Bynkershoek 42 Versicherungsvertrag 30, 32 ff., 141– 142, 146–147, 161, 170–171, 173, 175, 224–225 – Arglist 55 – Entstehung 35 – fraud 44 Versicherungsvertragsgesetz 97–98, 100 Verzicht auf Information 62, 85 William Murray siehe Lord Mansfield