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German Pages 416 Year 2022
Schriften zum Völkerrecht Band 256
Innerstaatliche Gewaltenteilung und vorvertragliche Pflichten bei völkerrechtlichen Verträgen Das Frustrationsverbot und die vorläufige Anwendung im Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung
Von
Maximilian Stützel
Duncker & Humblot · Berlin
MAXIMILIAN STÜTZEL
Innerstaatliche Gewaltenteilung und vorvertragliche Pflichten bei völkerrechtlichen Verträgen
Schriften zum Völkerrecht Band 256
Innerstaatliche Gewaltenteilung und vorvertragliche Pflichten bei völkerrechtlichen Verträgen Das Frustrationsverbot und die vorläufige Anwendung im Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung
Von
Maximilian Stützel
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany
ISSN 0582-0251 ISBN 978-3-428-18628-0 (Print) ISBN 978-3-428-58628-8 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Für Verena, Noah und meine Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2021/2022 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde die Arbeit auf den Stand von Februar 2022 aktualisiert. Allen voran danke ich Frau Prof. Dr. Silja Vöneky für die Betreuung und Förderung meines Promotionsvorhabens. Sie hat mir nicht nur große Freiheit bei Themenfindung und Ausarbeitung gelassen, sondern mir auch wertvolle Anregungen gegeben. Besonders bedanken möchte ich mich auch für die schöne Zeit an ihrem Lehrstuhl und die Gelegenheit, dort Thesen aus meiner Arbeit vorzustellen und zu diskutieren. Prof. Dr. Ralf Poscher danke ich für die sorgfältige Zweitbegutachtung und die weiterführenden Hinweise. Gedankt sei auch dem Land Baden-Württemberg und der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, die meine Arbeit mit einem Promotionsstipendium gefördert haben. Danken möchte ich darüber hinaus allen, die mich beim Korrekturlesen der Arbeit unterstützt haben oder sonst zu ihrer Entstehung beigetragen haben. Besonders hervorzuheben ist hier mein Vater, der mit großem Einsatz meine Manuskripte korrigiert hat. Der größte Dank aber gilt meiner Ehefrau Verena, die mich durch alle Höhen und Tiefen begleitet hat, sowie meinen Eltern, deren stetige Unterstützung nicht nur dieses Buch, sondern auch mein Studium überhaupt erst ermöglicht hat. Stuttgart, im Februar 2022
Maximilian Stützel
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 A. Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung im Vertragsschlussverfahren . . . . . . . 22 I. Modernes Vertragsschlussverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1. Entstehung des zusammengesetzten Vertragsschlussverfahrens . . . . . . . . . . . . 23 2. Rechtliche und politische Bedeutung der Unterzeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . 25 II. Nachteile des zusammengesetzten Vertragsschlussverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. Verzögerung der Ratifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. Verzögerung des Inkrafttretens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 III. Sicherung der Effektivität durch Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung 1. Frustrationsverbot: Handlungsfreiheit und zwischenstaatliche Kooperation
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2. Vorläufige Anwendung: Vermeidung von Verzögerungen . . . . . . . . . . . . . . . . 31 B. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 I. Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 II. Verbleibende Fragen bei der vorläufigen Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 III. Unterschätztes Problem beim Frustrationsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38
Teil 1 Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
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Kapitel 1 Frustrationsverbot im Völkerrecht
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A. Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 I. Vertragliches Frustrationsverbot aus Art. 18 WVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 II. Gewohnheitsrechtliches Frustrationsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 1. Vor Abschluss der Wiener Vertragsrechtskonvention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 a) Frühe Staatenpraxis und Harvard Draft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 b) Deutung der Staatenpraxis durch die Völkerrechtskommission . . . . . . . . . 45 c) Staatenpraxis auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Gegenwärtiger Status . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48
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Inhaltsverzeichnis III. Frustrationsverbot als Ausprägung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 1. Frustrationsverbot aus dem Grundsatz von Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . 50 2. Verhältnis zu anderen Ausprägungen von Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Vertrauensschutz und Estoppel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 b) Verbot des Rechtsmissbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 IV. Keine Ableitung aus dem Vertrag oder Nebenabrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. Keine Rückwirkung der Ratifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2. Keine stillschweigende Nebenabrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 V. Verhältnis der drei Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56
B. Allgemeiner Inhalt des Frustrationsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 I. Rechtliche Rahmenbedingungen des Frustrationsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1. Keine Differenzierung zwischen Unterzeichnung und Ratifikation . . . . . . . . . 58 2. Wirkungen zwischen rechtlicher Irrelevanz und Vertragserfüllung . . . . . . . . . 58 3. Zulässigkeit der Überschneidung mit einzelnen Vertragspflichten . . . . . . . . . 59 II. Ansichten zum Vorliegen eines Verstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Vertragsorientierte Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 a) Verletzung wesentlicher Vertragsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 b) Unmöglichkeit oder Sinnlosigkeit der Erfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 2. Auf äußere Umstände abstellende Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 a) Frustrationsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 b) Berechtigte Erwartungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 c) Erhalt des Status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 III. Erreichbarkeit des Vertragszwecks als zutreffendes Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . 67 1. Restriktive Kriterien des Art. 18 WVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. Unzulässige Ersetzung der Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3. Unzureichender Abstand zur Vertragserfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4. Maßstab: Erreichbarkeit des Vertragszwecks durch Vertragserfüllung . . . . . . 71 5. Wesensgemäße Nichterfassung bestimmter Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 C. Einzelne Rechte und Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 I. Pflichten zur Frustrationsverhinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1. Unterlassungspflichten in Bezug auf Rechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2. Handlungspflichten zur Frustrationsverhinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 a) Allgemeines Bestehen von Handlungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 b) Reichweite von Handlungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 II. Korrespondierende Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 1. Rechte von Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 2. Rechte von Individuen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79
Inhaltsverzeichnis
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D. Beendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 I. Beendigung vor Ratifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Unsigning durch formelle Notifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2. Beendigung durch konkludente Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 a) Beendigung durch eindeutige konkludente Akte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 b) Keine Beendigung durch Zeitablauf oder Verweigerung der Parlamentszustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 II. Beendigung nach Ratifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 1. Beendigung durch Zeitablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Beendbarkeit durch Rückzug der Ratifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86
Kapitel 2 Vorläufige Anwendung im Völkerrecht
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A. Typische Anwendungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 I. Typische Vertragsgegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 1. Schnelle Reaktion auf dringliche Situationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2. Wirtschaftsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3. Sonstige eilbedürftige Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 II. Weitere Gründe für die vorläufige Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 1. Ablösung oder Änderung bestehender Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Vertrauensbildung und Vorbereitung der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3. Innerstaatliche Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 B. Rechtsnatur und Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 I. Deklaratorische Natur des Art. 25 I WVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 II. Vereinbarungen im Einzelfall als rechtliche Grundlage der vorläufigen Anwendung 95 III. Begründung und Beginn der Pflicht zur vorläufigen Anwendung . . . . . . . . . . . . 96 1. Große Flexibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2. Separate Vereinbarung und Opt-in- oder Opt-out-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . 98 a) Separates Übereinkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 b) Opt-out-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 c) Opt-in-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3. Beginn der vorläufigen Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 IV. Abgrenzung zu einseitigen Verpflichtungen und freiwilliger Anwendung . . . . . . 100 1. Echte einseitige Erklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Freiwillige vorläufige Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 V. Dogmatische Einordnung der vorläufigen Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102
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Inhaltsverzeichnis
C. Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 I. Rechtsverbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Widerlegbare Vermutung für die vollständige vorläufige Anwendung . . . . . . 109 2. Flexiblere Einschränkung durch Beschränkungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 II. Innerstaatliche Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 III. Keine ratifikationsbezogenen Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Keine Vorlagepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Keine Prüfungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3. Keine Begründungs- und Benachrichtigungspflicht bei Nichtratifikation . . . . 116 4. Keine Ratifikationspflicht nach Erhalt der Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 D. Beendigung der vorläufigen Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 I. Inkrafttreten als typisches Ende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 II. Einseitige Beendigung nach Art. 25 II WVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 1. Rechtsnatur der einseitigen Beendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Voraussetzungen und Wirkung der einseitigen Beendigung . . . . . . . . . . . . . . . 119 3. Leichte Beendbarkeit als charakteristische Eigenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 III. Ausgestaltende oder abweichende Vertragsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123
Kapitel 3 Analyse des Spannungsverhältnisses zum innerstaatlichen Recht
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A. Gefährdung der Gewaltenteilung durch die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 I. Gründe für die Parlamentsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 II. Spannungsverhältnis der vorläufigen Anwendung zur Gewaltenteilung . . . . . . . 127 III. Eingrenzung des Spannungsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 1. Verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 2. Unbedenklichkeit der vorläufigen Anwendung von Exekutivabkommen . . . . 131 3. Unbedenklichkeit der vorläufigen Anwendung nach Parlamentsbeteiligung 132 IV. Illustration des Spannungsverhältnisses durch Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 1. Multilaterale Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Energiecharta-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 2. Bilateraler Meeresgrenzvertrag zwischen den USA und Kuba . . . . . . . . . . . . 139 3. Größere praktische Relevanz bei bilateralen Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141
Inhaltsverzeichnis
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B. Spannungsverhältnis von Frustrationsverbot und Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . 142 I. Beeinträchtigung der Gesetzgebungstätigkeit der Legislative als Hauptproblem 142 1. Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung bei Überschneidung mit Vertragspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 2. Beeinträchtigung der Gesetzgebungstätigkeit der Legislative durch Unterlassungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 II. Illustration durch Praxisbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1. Kernwaffenteststopp-Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Rom-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3. Rolle innerstaatlicher Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 a) Anwendung von Bestimmungen eines nicht ratifizierten Vertrages . . . . . . 148 b) Nichtanwendung eines innerstaatlichen Rechtsaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 C. Einfluss innerstaatlicher Faktoren auf das Spannungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 I. Anreiz zur Vermeidung der Parlamentsbeteiligung in Präsidialsystemen . . . . . . 152 II. Keine Aussagekraft der Unterscheidung von Monismus und Dualismus . . . . . . . 154 D. Mögliche Folgen bei fehlender Parlamentsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I. Allgemeine Probleme bei der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung 157 1. Beeinträchtigung der parlamentarischen Kontrolle und Mitsprache beim Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 2. Defizit an demokratischer Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 II. Zusätzliche Probleme bei auf den innerstaatlichen Bereich gerichteten Verträgen 159 1. Parlamentarische Entscheidungsfreiheit und mögliche Völkerrechtsverstöße 159 2. Innerstaatliche Rechtserzeugung der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
Kapitel 4 Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht
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A. Lösungsversuche bei der vorläufigen Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 I. Innerstaatliche Regelungen zur vorläufigen Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Ausschluss oder Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 a) Grundentscheidung zwischen Ausschluss oder Ausgestaltung . . . . . . . . . . 164 b) Vor- und Nachteile von Ausschluss- und Ausgestaltungsmodell . . . . . . . . . 167 2. Einzelne innerstaatliche Regelungen zur Ausgestaltung der vorläufigen Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 a) Begrenzungen des Anwendungsbereichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 b) Informations- und Vorlagepflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170
14
Inhaltsverzeichnis c) Zustimmungserfordernis oder Vetomöglichkeit eines parlamentarischen Ausschusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 d) Pflichten der Exekutive zur Beendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 e) Innerstaatliche Wirkungen und öffentliche Bekanntmachung . . . . . . . . . . . 172 f) Bewertung der Wirksamkeit der einzelnen Regelungselemente . . . . . . . . . 173 3. Grundsätzliche Irrelevanz der innerstaatlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 a) Grundsätzliche Irrelevanz innerstaatlichen Rechts im Völkerrecht . . . . . . . 176 b) Eng begrenzte Relevanz der innerstaatlichen Vorgaben für die vorläufige Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 II. Lösungsversuche auf Ebene des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Zurückhaltung bei Vereinbarung und Ausgestaltung vorläufiger Anwendung 180 a) Abwarten der Parlamentszustimmung statt Verzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 b) Vorläufige Anwendung bei Exekutivabkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 c) Zurückhaltende Ausgestaltung der vorläufigen Anwendung . . . . . . . . . . . . 182 2. Beendbarkeit und Zeitlimit als Lösungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 a) Einseitige Beendbarkeit der vorläufigen Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 b) Zeitlimit für die vorläufige Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 III. Beschränkungsklauseln als Hybrid zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 1. Art. 45 I Energiecharta-Vertrag als Beispiel für selbstausführende Beschränkungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 a) Alles-oder-nichts-, Stück-für-Stück- oder vermittelnder Ansatz . . . . . . . . . 186 aa) Folgen für das Verhältnis von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht 187 bb) Stück-für-Stück-Ansatz bei Beschränkungsklauseln in anderen Verträgen 189 b) Vorherige Erklärung als prozedurale Voraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 c) Maßgebliche Eigenschaften des entgegenstehenden innerstaatlichen Rechts 195 aa) Verbotsnorm oder Abwesenheit einer Erlaubnisnorm . . . . . . . . . . . . . . 195 bb) Einbeziehung neuer Rechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 d) Reziprozität und der Grundsatz von Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . 197 e) Geschwächte Verbindlichkeit, Rechtsunsicherheit und ungleiche Bindungen 199 2. Prozeduralisierte Beschränkungsklauseln in neueren Freihandelsabkommen
201
3. Einseitige Beschränkungserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 B. Lösungsvorschläge beim Frustrationsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 I. Nachteile des Verzichts auf die Unterzeichnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 II. Enge Auslegung des Frustrationsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 III. Beendigung des Frustrationsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 1. Einseitige Beendigung durch unsigning . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 2. Automatische Beendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 C. Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
Inhaltsverzeichnis
15
Teil 2 Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung
217
Kapitel 5 Völkerrechtsakte in der deutschen Rechtsordnung
217
A. Innerstaatliches Vertragsschlussverfahren in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 B. Kompetenzverteilung zwischen Exekutive und Legislative im Vertragsschlussverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 C. Stellung des Parlaments im Rahmen der auswärtigen Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 I. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 1. Vorherrschaft der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 2. Gegenständliche Begrenzung des parlamentarischen Mitwirkungsrechts . . . . 223 a) Begrenzung auf den Abschluss politischer und gesetzesinhaltlicher Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Keine Ausdehnung auf andere Akte als Vertragsabschlusserklärungen . . . 225 3. Inhaltliche Begrenzung des Mitwirkungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 4. Exekutivfreundliche Rechtsprechungslinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 II. Lehre von der gesamthänderischen Ausübung der auswärtigen Gewalt . . . . . . . . 229 D. Ausdehnung oder analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 I. Teleologische Extension oder analoge Anwendung als Umgehungsverhinderung 231 II. Teleologische Ausdehnung des Art. 59 II 1 GG aufgrund seiner Funktionen . . . 234 E. Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 I. Zustimmung zur engen Auslegung des Art. 59 II 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 II. Analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG bei Umgehungsgefahr . . . . . . . . . . . . 238 1. Kein Analogieverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 2. Planwidrige Regelungslücke und vergleichbare Interessenlage . . . . . . . . . . . . 240 F. Innerstaatliche Wirkungen von Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 I. Verhältnis von Grundgesetz und Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 1. Einbeziehung von Völkerrecht in die deutsche Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . 243 2. Offenheit des Grundgesetzes für zwischenstaatliche Zusammenarbeit und Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 a) Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 b) Gebot zur Förderung internationaler Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . 246 II. Direkte und indirekte Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 1. Direkte Wirkung von Verträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Direkte Wirkung von allgemeinen Regeln des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . 249 3. Mittelbare Wirkung durch völkerrechtsfreundliche Auslegung . . . . . . . . . . . . 250
16
Inhaltsverzeichnis III. Bindung des Gesetzgebers an völkerrechtliche Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 1. Verfassungsrechtliche Pflicht der öffentlichen Gewalt zur Befolgung von Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 2. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit vertragswidriger Gesetze (Treaty Override) 252 3. Bindung des Gesetzgebers an allgemeine Regeln des Völkerrechts . . . . . . . . 255
G. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257
Kapitel 6 Vorläufige Anwendung in der deutschen Rechtsordnung
258
A. Praxis der vorläufigen Anwendung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 B. Literaturansichten zur Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung . . . . 263 I. Vereinzelte Ablehnung der vorherigen Zustimmungsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . 264 1. Gänzliche Zustimmungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 2. Erfordernis nachträglicher Zustimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 II. Mehrheitliche Annahme der Zustimmungsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 III. Vertragsnatur als gemeinsame Schwäche der Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 C. Analyse der Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung . . . . . . . . . . . . 270 I. Kein Abschluss eines Vertrages im Sinne des Art. 59 II 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . 270 II. Zustimmungsbedürftigkeit durch analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG . . . . 274 1. Planwidrige Regelungslücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 2. Vergleichbarkeit der Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 3. Vereinbarkeit mit der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes . . . . . . . 279 a) Kein allgemeines Gebot zur Steigerung der Effektivität des Völkerrechtsverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 b) Harmonisierungsgebot als Argument für die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 D. Beteiligungsrechte der Legislative bei ausnahmsweisem Entfall des Zustimmungserfordernisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 I. Entfall des Zustimmungserfordernisses in seltenen Ausnahmefällen . . . . . . . . . . 282 II. Entfall des Zustimmungserfordernisses durch hinreichend sichere Beschränkungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 III. Informations-, Vorlage- und Beendigungspflicht aus dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 E. Ausreichende Regelung der vorläufigen Anwendung durch das bestehende Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 I. Kein Regelungsbedarf in Bezug auf die innerstaatlichen Wirkungen . . . . . . . . . 291 II. Kein dringender Regelungsbedarf in Bezug auf Kompetenzverteilung und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 F. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294
Inhaltsverzeichnis
17
Kapitel 7 Frustrationsverbot in der deutschen Rechtsordnung
297
A. Vergleich der verfassungsrechtlichen Problemstellung mit derjenigen bei der vorläufigen Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 B. Kein Übergesetzesrang nach Art. 25 S. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 C. Ausnahmsweise Zustimmungsbedürftigkeit des Frustrationsverbotes . . . . . . . . . . . . 301 D. Ausreichen der bestehenden verfassungsrechtlichen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . 304 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305
Teil 3 Verträge der Europäischen Union als Sonderfall
307
Kapitel 8 Vorläufige Anwendung und Frustrationsverbot bei Verträgen der Europäischen Union
307
A. Unionsrecht und -praxis bei Verträgen der Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 I. Vorläufige Anwendung in der Praxis der Union und ihrer Mitgliedstaaten . . . . . 308 II. Beteiligung des Europäischen Parlaments bei Unterzeichnung und vorläufiger Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 1. Umfang und Geschichte der Beteiligung des Europäischen Parlaments . . . . . 311 2. Kein parlamentarisches Zustimmungserfordernis durch analoge Anwendung des Art. 218 VI lit. a) AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 3. Informations- und Stellungnahmerecht des Europäischen Parlaments aus Art. 218 X AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 4. Erheblicher Einfluss des Europäischen Parlaments in der Praxis . . . . . . . . . . . 318 III. Schutz der mitgliedstaatlichen Kompetenzen bei der vorläufigen Anwendung von gemischten Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 1. Umfang der Unionskompetenz zur vorläufigen Anwendung . . . . . . . . . . . . . . 323 2. Konsequenzen einer unionalen Kompetenzüberschreitung für die Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 3. Kein Beendigungsrecht einzelner Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 4. Keine unionsrechtliche Beendigungspflicht bei endgültigem Scheitern der Ratifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 B. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die vorläufige Anwendung von Verträgen der Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 I. Wirkungen im Unionsrecht und der deutschen Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . 334 II. Beteiligung des deutschen Gesetzgebers durch ein Informations- und Stellungnahmerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337
18
Inhaltsverzeichnis III. Beteiligungsrechte in Bezug auf den mitgliedstaatlichen Teil gemischter Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340
C. Frustrationsverbot bei Verträgen der Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 I. Wirkungen des völkerrechtlichen Frustrationsverbotes bei Verträgen der Union 342 1. Vergleich des völkerrechtlichen Frustrationsverbotes und des europäischen Grundsatzes des Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 2. Wirkungen des völkerrechtlichen Frustrationsverbotes bei gemischten Abkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 II. Beteiligung des Europäischen Parlaments oder des Bundestages . . . . . . . . . . . . . 346 D. Schwächen bei der verfassungsgerichtlichen Durchsetzung des grundsätzlich ausreichenden Verfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 I. Ausreichende Regelung von vorläufiger Anwendung und Frustrationsverbot . . . 348 II. Schwächen bei der verfassungsgerichtlichen Durchsetzung am Beispiel des CETA-Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 1. Bedeutung der Ablehnung des einstweiligen Rechtsschutzes für andere Fälle 350 2. Bestehen einer vom Bundesverfassungsgericht behebbaren Rechtsschutzlücke 353 3. Problemlage und Lösungsmöglichkeit beim Frustrationsverbot . . . . . . . . . . . . 356 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357
Teil 4 Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
361
A. Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene . . . . . . . . . 361 I. Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 II. Lösungsansätze im Umgang mit dem Spannungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 B. Umgang des deutschen Verfassungsrechts mit dem Frustrationsverbot und der vorläufigen Anwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 I. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die vorläufige Anwendung . . . . . . . . . . . . . 365 II. Verfassungsrechtliche Vorgaben für das Frustrationsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 C. Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung bei Verträgen der Europäischen Union als Sonderfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 I. Unionsrechtliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 II. Vorgaben des deutschen Verfassungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 D. Schwierigkeiten bei der verfassungsgerichtlichen Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . 371
Inhaltsverzeichnis
19
Annex 1 Vorläufige Anwendung bilateraler Verträge durch Deutschland
373
Annex 2 Vorläufige Anwendung multilateraler Verträge durch Deutschland
380
Annex 3 Vorläufiges Inkrafttreten multilateraler Verträge Deutschlands
382
Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 I. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 II. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 III. Verfassungen, Gesetze und untergesetzliche Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 IV. Verträge und vertragsbezogene Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402 V. Sonstige Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414
Einleitung Eine zentrale Herausforderung für das völkerrechtliche Vertragsschlussverfahren besteht darin, einen Ausgleich zwischen den Bedürfnissen der internationalen Zusammenarbeit und den Erfordernissen der Demokratie herzustellen.1 In vielen Staaten – insbesondere den demokratisch verfassten – wird der parlamentarische Gesetzgeber an der Entscheidung über den Abschluss völkerrechtlicher Verträge beteiligt.2 Eine solche Parlamentsbeteiligung erhöht die politische Legitimation von Verträgen und reduziert das Risiko von Vertragsverletzungen, kann auf der Kehrseite aber auch die zwischenstaatliche Zusammenarbeit verzögern und erschweren.3 Dieser Konflikt zwischen den Bedürfnissen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit und den verfassungsrechtlichen Vorgaben prägt insbesondere das völkerrechtliche Frustrationsverbot (engl.: „interim obligation“)4 und die vorläufige Anwendung, die im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehen. Das Frustrationsverbot aus Art. 18 Wiener Vertragsrechtskonvention („WVK“)5 verbietet Staaten, im Zeitraum zwischen Unterzeichnung und Inkrafttreten das Ziel und den Zweck eines völkerrechtlichen Vertrages6 zu vereiteln. Die in Art. 25 WVK vorgesehene vorläufige Anwendung wiederum ermöglicht es ihnen, einen Vertrag bereits vor seinem Inkrafttreten ganz oder teilweise anzuwenden. Beide Vorschriften reagieren damit auf Herausforderungen für das völkerrechtliche Vertragsschlussverfahren, die sich aus seiner Verzögerung durch die innerstaatliche Parlamentsbeteiligung ergeben (A.). Aus völkerrechtlicher Sicht können die Pflichten aus dem Frustrationsverbot und der vorläufigen Anwendung eines Vertrages von der Exekutive bereits ausgelöst werden, bevor der parlamentarische Gesetzgeber die innerstaatlich für den Abschluss des Vertrages erforderliche Zustimmung erteilt hat. Aus Sicht des innerstaatlichen Rechts entsteht dadurch ein gewisser Widerspruch zur innerstaatlichen Gewaltenteilung beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge und die 1 Jan Klabbers, Treaties, Conclusion and Entry into Force (2006), Rn. 5, online: https://opil. ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1484 (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 2 Für eingehendere Ausführungen zur Parlamentsbeteiligung beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge siehe infra A.I.1. 3 Jan Klabbers, Treaties, Conclusion and Entry into Force (2006), (Fn. 1), Rn. 5. 4 Im Folgenden ist mit „Frustrationsverbot“ stets das völkerrechtliche Frustrationsverbot gemeint, sofern keine abweichenden Angaben gemacht werden. 5 Vienna Convention on the Law of Treaties (23. 05. 1969), 1155 United Nations Treaty Series 331 (nachfolgend: „WVK“). 6 Im Folgenden handelt es sich bei „Verträgen“ stets um völkerrechtliche Verträge, sofern keine abweichenden Angaben gemacht werden.
22
Einleitung
Gefahr, dass das Parlament ohne vorherige Mitwirkung in seiner Gesetzgebungstätigkeit beeinträchtigt wird. Obwohl dieses Spannungsverhältnis der vorvertraglichen Pflichten zur innerstaatlich vorgesehenen Gewaltenteilung im Grundsatz bereits bekannt ist, verbleiben noch einige ungelöste Fragen, denen die vorliegende Arbeit gewidmet ist (B.). Das Ziel der Untersuchung ist es dabei, neben dem Spannungsverhältnis auch mögliche Lösungsansätze eingehender zu analysieren (C.). Dabei soll auch ermittelt werden, ob speziell das deutsche Grundgesetz für eine differenzierende Lösung offen ist. Denn die bislang in der Literatur vertretenen Ansätze erzeugen keinen Ausgleich zwischen den – im Grundgesetz anerkannten – Bedürfnissen der internationalen Zusammenarbeit und den Rechten des parlamentarischen Gesetzgebers, sondern gewähren der einen oder der anderen Seite den Vorrang.
A. Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung im Vertragsschlussverfahren Um die Funktion von Frustrationsverbot und vorläufiger Anwendung zu verstehen, muss man sich zunächst das moderne völkerrechtliche Vertragsschlussverfahren vor Augen führen (I.). Dessen Schwäche besteht darin, dass nach Abschluss der Verhandlungen in der Regel noch viel Zeit bis zum Inkrafttreten eines Vertrages vergeht (II.). Für die dadurch entstehenden Probleme sollen das Frustrationsverbot und die Möglichkeit zur vorläufigen Anwendung völkerrechtlicher Verträge Abhilfe schaffen und damit gewährleisten, dass völkerrechtliche Verträge ein effektives Handlungsinstrument darstellen (III.).
I. Modernes Vertragsschlussverfahren Das moderne völkerrechtliche Vertragsschlussverfahren ergibt sich aus der Wiener Vertragsrechtskonvention, die überwiegend dem aktuellen Gewohnheitsrecht entspricht.7 Demnach muss ein Staat vertragliche Pflichten erst erfüllen, wenn er der vertraglichen Bindung zugestimmt hat und der Vertrag für ihn in Kraft getreten ist.8 Die Zustimmung zur vertraglichen Bindung kann entweder im einfachen oder im zusammengesetzten Vertragsschlussverfahren erteilt werden,9 wobei multilaterale Verträge in der Praxis meist im zusammengesetzten Vertragsschlussverfahren ge7 Vgl. James Crawford, Brownlie’s Principles of Public International Law (9. Aufl. 2019), 353 – 354. 8 Vgl. Art. 11 – 15 und 26 WVK. 9 Wolf Heintschel von Heinegg, Die völkerrechtlichen Verträge als Hauptrechtsquelle des Völkerrechts, in: Epping, Volker/Heintschel von Heinegg, Wolf, Völkerrecht (7. Aufl. 2018), 464 – 465 Rn. 8.
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schlossen werden.10 Im einfachen Vertragsschlussverfahren erteilt ein Staat seine Zustimmung zur vertraglichen Bindung bereits mit der Unterzeichnung durch einen Vertreter.11 Im zusammengesetzten Verfahren wiederum schließt die Unterzeichnung lediglich die Vertragsverhandlungen ab und legt den Vertragstext endgültig fest.12 Die Zustimmung zur Bindung an den Vertrag wird hier hingegen erst in einem zusätzlichen Schritt durch die Ratifikation oder einen ihr gleichstehenden Akt13 erteilt.14 Als „Ratifikation“ versteht man im Völkerrecht die so bezeichnete völkerrechtliche Handlung, durch die ein Staat auf internationaler Ebene seine Zustimmung bekundet, durch einen Vertrag gebunden zu sein.15 Die Entstehungsgeschichte des zusammengesetzten Vertragsschlussverfahrens ist eng mit der Demokratisierung verknüpft und ging mit einem Bedeutungswandel für die Unterzeichnung einher (1.). Obwohl sich die Funktion der Unterzeichnung im Laufe der Zeit geändert hat, kommt ihr auch heute noch eine gewisse rechtliche und politische Bedeutung zu (2.).
1. Entstehung des zusammengesetzten Vertragsschlussverfahrens Historisch gesehen, gehen das zusammengesetzte Vertragsschlussverfahren und der damit verbundene Bedeutungswandel der Unterzeichnung im 19. Jahrhundert auf eine zunehmende demokratische Verfasstheit von Staaten und die Verankerung von Gewaltenteilung in den jeweiligen Verfassungen zurück.16 Dies hat auch die International Law Commission („ILC“; „Völkerrechtskommission“) in dem ihren Entwurf zur Vertragsrechtskonvention begleitenden Kommentar ausdrücklich anerkannt.17 Zu Zeiten des Absolutismus war der entscheidende Schritt ins Leben eines Vertrages noch seine Unterzeichnung. Mit einer anschließenden Ratifikation bestätigte der Monarch als alleiniger Träger der Staatsgewalt lediglich, dass die ihn vertretenden Personen ihre Verhandlungsmacht nicht überschritten hatten. War dies 10
Vgl. Treaty Section of the Office of Legal Affairs, Treaty Handbook (2012), 6. Vgl. Art. 12 I WVK; der Unterzeichnung gleichstehen können gemäß Art. 12 II WVK die Paraphierung und die Unterzeichnung ad referendum. 12 Vgl. Art. 10 lit. b) WVK. 13 „Annahme“ und „Genehmigung”, die von Art. 14 II WVK genannt werden, entsprechen entweder dem „Beitritt“ oder wie hier der „Ratifikation“. Daher werden sie im Folgenden nicht mehr gesondert erwähnt werden. Für eine eingehendere Darstellung siehe Anthony Aust, Modern Treaty Law and Practice (3. Aufl. 2013), 100 – 101. 14 Vgl. Art. 14 WVK. 15 Diese Definition von „Ratifikation“ entspricht derjenigen in Art. 2 I lit. b) WVK. 16 Für nähere Ausführungen zur Geschichte des modernen Vertragsschlussverfahrens siehe Curtis A. Bradley, Treaty Signature, in: Hollis, Duncan B., The Oxford Guide to Treaties (2014), 208 – 210; Jan Klabbers, Treaties, Conclusion and Entry into Force (2006), (Fn. 1), Rn. 6 – 7. 17 Vgl. Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries, in: Völkerrechtskommission, Yearbook of the International Law Commission, Vol. II (1966), 197. 11
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nicht der Fall, durfte er die Ratifizierung folglich auch nicht verweigern.18 Dieses Verständnis der Unterzeichnung änderte sich erst im 19. Jahrhundert,19 also nach den Revolutionen in Nordamerika und Frankreich. Beide Staaten versahen die Vollmachten ihrer Abgesandten fortan mit der Einschränkung, dass die Unterzeichnung die Entscheidung des Staates über eine spätere Ratifikation nicht vorwegnimmt, also nicht zur Ratifikation verpflichtet.20 Wenig überraschend folgten später auch andere demokratische Staaten diesem Beispiel. Denn wenn ein demokratischer Staat sich bereits durch die Unterzeichnung zur späteren Ratifikation verpflichten würde, wäre nach der Unterzeichnung keine effektive Kontrolle der auswärtigen Beziehungen durch das Parlament mehr möglich.21 Heute ist allgemein anerkannt, dass die Unterzeichnung eines Vertrages keine völkerrechtliche Pflicht zu dessen Ratifikation auslöst.22 Dadurch ermöglicht das zusammengesetzte Vertragsschlussverfahren den Staaten, zwischen Unterzeichnung und Ratifikation ihr innerstaatliches Vertragsschlussverfahren zu durchlaufen.23 Dieses sieht in ca. 108 Staaten vor, dass die Ratifikation erst nach der vorherigen Zustimmung des Gesetzgebers erfolgen darf.24 Zu diesen Staaten zählen neben Deutschland25 beispielsweise die USA,26 Russland,27 Südkorea,28 Brasilien29 und
18 Vgl. Curtis A. Bradley, Treaty Signature, (Fn. 16), 209; Jan Klabbers, Treaties, Conclusion and Entry into Force (2006), (Fn. 1), Rn. 6. 19 Vgl. Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries, (Fn. 17), 197. 20 Curtis A. Bradley, Treaty Signature, (Fn. 16), 209. 21 Jan Klabbers, Treaties, Conclusion and Entry into Force (2006), (Fn. 1), Rn. 7. 22 Statt vieler James Crawford, Brownlie’s Principles of Public International Law, (Fn. 7), 358. 23 Council of Europe/British Institute of International and Comparative Law, Treaty Making – Expression of Consent by States to be Bound by a Treaty (2001), 11. 24 Die Zahl wurde vom Verfasser aus der kodierten Übersicht einer Studie aus dem Jahr 2009 errechnet. Gezählt wurden Staaten, bei denen der institutionellen Ratifikationshürde ein Wert von 2 oder 3 zugewiesen wurde, was das Erfordernis der vorherigen Zustimmung der Legislative ausdrückt. Für die kodierte Übersicht und die Darstellung der jeweiligen verfassungsrechtlichen Regeln siehe Beth Simmons, Appendix 3.2 Ratification Rules (2009), online: https://scholar.harvard.edu/files/bsimmons/files/APP_3.2_Ratification_rules.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 25 Vgl. Art. 59 II 1 GG. 26 Vgl. Art. II § 2 cl. 2 United States Constitution (21. 06. 1788). 27 Vgl. Art. 106 lit. d) Constitution of Russia, online: https://www.constituteproject.org/con stitution/Russia_2014?lang=en (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022); vgl. auch Art. 15 und 16 Federal Law on Russian Federation Treaties (15. 07. 1995), für eine englischsprachige Übersetzung des Gesetzes siehe William E. Butler, Russian Federation: Federal Law on International Treaties, 34 International Legal Materials (1995) 1370, S. 1380 – 1381. 28 Vgl. Art. 60 I, 73 Constitution of South Corea, online: https://www.constituteproject.org/ constitution/Republic_of_Korea_1987?lang=en (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 29 Vgl. Art. 84 VIII Constitution of Brazil, online: https://www.constituteproject.org/consti tution/Brazil_2015?lang=en (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022).
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Namibia.30 In einigen weiteren Staaten ist zwar keine vorherige Zustimmung erforderlich, doch wird das Parlament zumindest vor dem Vertragsschluss informiert oder seine Stellungnahme eingeholt. Beispiele hierfür sind hier das Vereinigte Königreich31 und Australien.32 Somit existiert in der Mehrzahl der Staaten im innerstaatlichen Vertragsschlussverfahren – zumindest nach den normativen Vorgaben („law in books“) – eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative. Wenngleich eine solche Gewaltenteilung vor allem in den Verfassungen demokratischen Staaten verankert ist, ist sie nicht auf diese beschränkt.33 Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass sich das zusammengesetzte Vertragsschlussverfahren herausgebildet hat. Denn obwohl das völkerrechtliche und das innerstaatliche Vertragsschlussverfahren rechtlich zu trennen sind,34 lässt das zusammengesetzte Vertragsschlussverfahren Raum für das innerstaatliche Verfahren. 2. Rechtliche und politische Bedeutung der Unterzeichnung Die Funktion der Unterzeichnung hat sich im Laufe der Zeit geändert, doch ist sie auch im zusammengesetzten Vertragsschlussverfahren noch von rechtlicher und politischer Bedeutung. In rechtlicher Hinsicht stellt die Unterzeichnung einen ersten Schritt auf dem Weg zur Vertragspartei dar und verleiht dem Unterzeichnerstaat in Bezug auf den Vertrag einen besonderen Status.35 Dieser besteht darin, dass der Unterzeichnerstaat zwar noch keine Vertragspartei ist, zugleich aber anders behandelt wird als Staaten, die den Vertrag nicht unterzeichnet haben.36 So leitet der Depositar einem Staat ab der 30
Vgl. Art. 63 II lit. e) Constitution of Namibia, online: https://www.constituteproject.org/ constitution/Namibia_2010?lang=en (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 31 Vgl. Sct. 20 Constitutional Reform and Governance Act 2010, online: http://www.legisla tion.gov.uk/ukpga/2010/25/section/20 (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 32 Vgl. Permanent Mission of Australia to the United Nations, Comments on the Report of the International Law Commission on the Work of its 67th Session (12. 02. 2016), online: https: //legal.un.org/ilc/sessions/68/pdfs/english/pat_australia.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 33 Dies ergibt sich aus einem Abgleich des Democracy Index 2019 mit der in Fn. 24 genannten Studie über institutionelle Ratfikationshürden. So ist z. B. in 6 der 10 Staaten, die im Democracy Index die letzten 10 Plätze belegen, nach den jeweiligen normativen Vorgaben erforderlich, dass im Rahmen des Vertragsschlussverfahrens die Zustimmung einer legislativen Körperschaft eingeholt wird. Bei diesen Staaten handelt es sich um Syrien, den Kongo, die Zentralafrikanische Republik, den Tschad, Äquatorialguinea, Tadschikistan und den Jemen. Vgl. Beth Simmons, Appendix 3.2 Ratification Rules (2009), (Fn. 24); The Economist Intelligence Unit, Democracy Index 2019: A Year of Democratic Setbacks and Popular Protest (2020), 10 – 14. 34 Nach Art. 27 und 46 WVK sind Verstöße gegen das innerstaatliche Vertragsschlussverfahren im Völkerrecht grundsätzlich unbeachtlich; für nähere Ausführungen siehe infra Kapitel 4 A.I.3.a). 35 Internationaler Gerichtshof, Reservations to the Convention on Genocide, Advisory Opinion, 1951 ICJ Reports 15, 28. 36 Internationaler Gerichtshof, Reservations to the Convention on Genocide, (Fn. 35), 28.
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Unterzeichnung die Mitteilungen anderer Staaten in Bezug auf den Vertrag weiter.37 Auch kann der Unterzeichnerstaat Einsprüche gegen Vorbehalte erheben, die andere Staaten gegen den Vertrag formulieren.38 Darüber hinaus können je nach Vertrag weitere Rechtsfolgen an die Unterzeichnung anknüpfen, wie z. B. die Teilnahme an Vorbereitungskommissionen39 oder die vorläufige Anwendung des Vertrages.40 Auf politischer Ebene kann ein Staat durch die Unterzeichnung signalisieren, dass die Vertragsverhandlungen abgeschlossen sind und er ihr Ergebnis gutheißt.41 Ein Vertrag, der durch viele Unterzeichnungen eine breite Unterstützung aufweist, kann so bereits vor seinem Inkrafttreten zu einem Vorbild für weitere Verträge werden.42 Auch kann die Unterzeichnung durch einen bestimmten Staat politisch sogar von so großer Bedeutung sein, dass dieser Staat während der Vertragsverhandlungen stärkeren Einfluss auf den Vertragsinhalt nehmen kann, wenn er seine Unterzeichnung in Aussicht stellt.43 Doch selbst nach Inkrafttreten eines Vertrages bringt die Unterzeichnung politische Vorteile mit sich. Denn Staaten, die einen Vertrag zumindest unterzeichnet haben, werden in Gespräche über seine Umsetzung und Fortentwicklung einbezogen. So unterzeichneten zum Beispiel die USA das Rom-Statut des internationalen Strafgerichtshofs nicht zuletzt deshalb, um Einfluss auf die weitere Entwicklung des Gerichtshofs nehmen zu können.44 Folglich ergeben sich aus der Unterzeichnung eines Vertrages im zusammengesetzten Vertragsschlussverfahren rechtliche und politische Vorteile.
II. Nachteile des zusammengesetzten Vertragsschlussverfahrens Das Ineinandergreifen von völkerrechtlichem und innerstaatlichem Vertragsschlussverfahren und das Ermöglichen der Parlamentsbeteiligung haben allerdings auch die Kehrseite, dass sie das zusammengesetzte Vertragsschlussverfahren verlängern. Im Durchschnitt vergehen bei multilateralen Verträgen zwischen Unter37 Patrick Daillier/Mathias Forteau/Alain Pellet, Droit international public (8. Aufl. 2009), 150 Rn. 75. 38 Art. 23 II WVK; Internationaler Gerichtshof, Reservations to the Convention on Genocide, (Fn. 35), 28 – 29. 39 Curtis A. Bradley, Treaty Signature, (Fn. 16), 211. 40 Vgl. Catherine Brölmann/Guido den Dekker, Treaties, Provisional Application (2020), Rn. 14, online: https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-97801 99231690-e1486?rskey=JXodcz&result=1&prd=OPIL (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 41 Curtis A. Bradley, Treaty Signature, (Fn. 16), 211. 42 Patrick Daillier/Mathias Forteau/Alain Pellet, Droit international public, (Fn. 37), 151 Rn. 75. 43 Edward T. Swaine, Unsigning, 55 Stanford Law Review (2003) 2061, 2073. 44 Vgl. Administration of William J. Clinton: Statement on the Rome Treaty on the International Criminal Court (31. 12. 2000), online: https://www.govinfo.gov/content/pkg/ WCPD-2001-01-08/pdf/WCPD-2001-01-08-Pg4.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022).
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zeichnung und Inkrafttreten drei bis fünf Jahre.45 Die genaue Dauer hängt dabei vom Einzelfall ab und kann kürzer oder länger ausfallen. So vergingen bei UN-Charta46 und Pariser Übereinkommen47 bis zum Inkrafttreten nur einige Monate, beim UNSeerechtsübereinkommen48 und der Wiener Vertragsrechtskonvention49 hingegen mehr als 10 Jahre. Beim zusammengesetzten Vertragsschlussverfahren kann sowohl der Zeitraum zwischen Unterzeichnung und Ratifikation als auch der Zeitraum zwischen Ratifikation und Inkrafttreten zu einer langen Dauer beitragen. So kann sich bereits die Ratifikation durch das innerstaatliche Vertragsschlussverfahren eines Staates deutlich verzögern (1.). Eine weitere Verzögerung kann zwischen Ratifikation und Inkrafttreten auftreten, insbesondere wenn das Inkrafttreten eine gewisse Anzahl an Ratifikationen voraussetzt (2.). 1. Verzögerung der Ratifikation Insbesondere wenn Staaten innerstaatlich die Zustimmung ihrer Parlamente einholen müssen, kann dies dazu führen, dass die Ratifikation nie oder jedenfalls erst einige Zeit nach der Unterzeichnung erfolgt. Ein Beispiel für eine sehr lange Ratifikationsdauer ist die Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes, die von den USA zwar bereits 1948 unterzeichnet, aber erst 1988 ratifiziert wurde.50 Grund hierfür war die lange Blockade durch den Senat, welcher sich auf verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere im Zusammenhang mit dem amerikanischen Föderalismus berief.51 Aber selbst wenn ein Staat einen Vertrag planmäßig 45
Zu diesem Ergebnis kam Roucounas bei der Auswertung der 486 multilateralen Verträge, für die der UN-Generalsekretär im Zeitraum bis einschließlich 1996 als Depositar fungierte. Siehe Emmanuel Roucounas, Uncertainties Regarding the Entry Into Force of Some Multilateral Treaties, in: Wellens, Karel, International Law: Theory and Practice (1998), 183 – 185. 46 Vgl. Teilnehmerinformationen für die UN-Charta, online: https://treaties.un.org/Pages/ showDetails.aspx?objid=080000028017ebb8 (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 47 Vgl. Teilnehmerinformationen für das Pariser Übereinkommen, online: https://treaties. un.org/Pages/showDetails.aspx?objid=0800000280458f37 (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 48 Vgl. Teilnehmerinformationen für das UN-Seerechtsübereinkommen, online: https://trea ties.un.org/Pages/showDetails.aspx?objid=0800000280043ad5 (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 49 Vgl. Teilnehmerinformationen für die Wiener Vertragsrechtskonvention, online: https: //treaties.un.org/Pages/showDetails.aspx?objid=080000028003902f (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 50 Siehe Unterzeichnungs- und Ratifikationsdatum der USA für die Völkermordkonvention, online: https://treaties.un.org/Pages/showDetails.aspx?objid=0800000280027fac (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 51 Eines der Hauptargumente gegen die Ratifikation war, dass in den USA für Mord die einzelnen Staaten zuständig sind und die Einführung von Völkermord als Bundesverbrechen daher die Kompetenzverteilung zwischen dem Bundesstaat und den Einzelstaaten verschieben würde. Siehe hierzu William Korey, The United States and the Genocide Convention: Leading Advocate and Leading Obstacle, 11 Ethics & International Affairs (1997) 271, 275.
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ratifiziert, nimmt dies einige Zeit in Anspruch, wie das Beispiel des Pariser Übereinkommens zum Klimaschutz zeigt. Obwohl sich viele Staaten bemühten dieses besonders schnell zu ratifizieren,52 lagen zwischen Unterzeichnung und Ratifikation bei den meisten Vertragsstaaten53 mindestens fünf Monate.54 2. Verzögerung des Inkrafttretens Verzögerungen für die Anwendung eines Vertrages können auch im Zeitraum zwischen Ratifikation und Inkrafttreten entstehen. Denn selbst wenn ein Staat einen Vertrag ratifiziert hat, ist er zur Erfüllung erst verpflichtet, nachdem der Vertrag auch tatsächlich in Kraft getreten ist.55 Lediglich einige prozedurale Vertragsbestimmungen, wie z. B. Regelungen zu Vertragsschlussverfahren und Inkrafttreten, gelten notwendigerweise bereits ab der Annahme des Textes.56 Wann der Vertrag in Kraft tritt, richtet sich hingegen nach dem Willen der Verhandlungsstaaten,57 welcher durch entsprechende Klauseln im Vertrag oder eine gesonderte Vereinbarung ausgedrückt werden kann.58 Fehlt es an einer solchen speziellen Regelung, tritt der Vertrag in Kraft, sobald alle Verhandlungsstaaten ihre Zustimmung zur vertraglichen Bindung erteilt haben.59 In der Praxis vereinbaren Staaten bei multilateralen Verträgen jedoch typischerweise, dass diese erst in Kraft treten, wenn eine bestimmte Anzahl von Staaten die vertragliche Bindung eingegangen ist. Ein Beispiel hierfür ist neben der Wiener Vertragsrechtskonvention selbst60 auch das UN-Seerechtsübereinkommen.61 Manchmal wird sogar zusätzlich verlangt, dass die ratifizierenden
52 Chris Mooney/Dennis Brady, Countries are Racing to Activate the Paris Climate Pact this Year. They’re Almost There, The Washington Post (21. 09. 2016), online: https://www.washing tonpost.com/news/energy-environment/wp/2016/09/21/the-world-is-getting-awfully-close-toputting-the-paris-climate-deal-into-action/?utm_term=.3de81da5f267 (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 53 Der Begriff „Vertragsstaat“ entspricht vorliegend demjenigen in Art. 2 I lit. f) WVK. Er bezeichnet daher Staaten, die der Bindung durch einen Vertrag zugestimmt haben, unabhängig davon, ob der Vertrag in Kraft getreten ist. 54 Vgl. Teilnehmerinformationen für das Pariser Übereinkommen, online: https://treaties. un.org/Pages/showDetails.aspx?objid=0800000280458f37 (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 55 Vgl. Art. 26 WVK. 56 Vgl. Art. 24 IV WVK. 57 Der Begriff „Verhandlungsstaat“ entspricht vorliegend demjenigen in Art. 2 I lit. e) WVK. Er bezeichnet daher Staaten, die am Abfassen und Annehmen des Vertragstextes teilgenommen haben. 58 Vgl. Art. 24 I WVK. 59 Vgl. Art. 24 II WVK. 60 Vgl. Art. 84 I WVK. 61 Vgl. Art. 308 I United Nations Convention on the Law of the Sea (10. 12. 1982), 1833 United Nations Treaty Series 3.
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Staaten gewisse Eigenschaften aufweisen.62 Art. 21 I des Pariser Übereinkommens63 sieht z. B. vor, dass das Übereinkommen erst in Kraft tritt, nachdem es durch 55 Staaten ratifiziert wurde, die für mindestens 55 % der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind. Ziel der Voraussetzungen für das Inkrafttreten ist es, sicherzustellen, dass der jeweilige Vertrag erst in Kraft tritt, wenn er eine gewisse Reichweite erlangt hat.64 Denn wenn nur eine geringe Anzahl von Ratifikationen erforderlich ist, beschleunigt dies zwar das Inkrafttreten, doch erhöht sich die Teilnehmerzahl zum Teil auch später nicht mehr.65 Insofern verbessern hohe Anforderungen an Anzahl und Eigenschaften der Vertragsstaaten zwar die Effektivität eines Vertrages, verlängern im Gegenzug aber den Zeitraum bis zu seinem Inkrafttreten.66 Diese möglichen Verzögerungen haben Staaten bislang allerdings nicht davon abgehalten, hohe Anforderungen an das Inkrafttreten zu stellen. Dies zeigt, dass sie ihre Handlungsfreiheit erst dann beschränken wollen, wenn sie im Gegenzug einen effektiven Vertrag erhalten, der sie gegenüber vergleichbaren Staaten nicht benachteiligt.67
III. Sicherung der Effektivität durch Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung Der Zeitraum zwischen Unterzeichnung und Inkrafttreten kann die Effektivität völkerrechtlicher Verträge beeinträchtigen.68 Ob völkerrechtliche Verträge ein geeignetes Mittel zur zeitnahen Lösung zwischenstaatlicher Probleme darstellen, hängt schließlich auch davon ab, wie schnell eine Einigung über den Vertragsinhalt zu rechtlichen Wirkungen führt. Vor diesem Hintergrund erzeugt das Frustrationsverbot einen Ausgleich zwischen der fortbestehenden Handlungsfreiheit der Staaten und den Erfordernissen der internationalen Kooperation (1.). Da das Frustrationsverbot jedoch für die Bedürfnisse der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit nicht immer 62
Vgl. z. B. Art. 110 III 1 Charter of the United Nations (as amended on 20. 12. 1971) (26. 06. 1945), 892 United Nations Treaty Series 119, aktueller Volltext online: https://treaties. un.org/doc/publication/ctc/uncharter.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 63 Paris Agreement (12. 12. 2015) United Nations Treaty Series I–54113. 64 Georg Dahm/Jost Delbrück/Rüdiger Wolfrum, Völkerrecht, Bd. 1 (2. Aufl. 2002), 587 – 589. 65 Emmanuel Roucounas, Uncertainties Regarding the Entry Into Force of Some Multilateral Treaties, (Fn. 45), 190. 66 Georg Dahm/Jost Delbrück/Rüdiger Wolfrum, Völkerrecht, (Fn. 64), 587 – 589. 67 Vgl. Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature (2012), 8 Fn. 8. 68 Gregor Schusterschitz, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge in der Praxis Österreichs, in: Benedek, Wolfgang/Folz, Hans-Peter/Isak, Hubert/Kettemann, Matthias/Kicker, Renate, Bestand und Wandel des Völkerrechts: Beiträge zum 38. Österreichischen Völkerrechtstag 2013 in Stadtschlaining (2014), 134.
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ausreichend ist, vereinbaren Staaten in manchen Fällen darüber hinaus, dass ein Vertrag schon vor seinem Inkrafttreten vorläufig angewendet werden soll (2.). 1. Frustrationsverbot: Handlungsfreiheit und zwischenstaatliche Kooperation In dem oftmals langen Zeitraum zwischen Unterzeichnung und Inkrafttreten möchten Staaten ihre souveräne Handlungsfreiheit soweit wie möglich bewahren.69 Hintergrund ist häufig, dass im Zeitraum zwischen Unterzeichnung und Ratifikation eine Beteiligung der Parlamente ermöglicht werden soll.70 Der Nachteil ist jedoch, dass die Dauer des Verfahrens das zeitnahe Erreichen des Vertragsziels und damit die zwischenstaatliche Kooperation erschweren kann. Daher sieht Art. 18 WVK vor, dass für einen Staat bereits mit Unterzeichnung des Vertrages das Frustrationsverbot gilt. Dieses verlangt, dass er sich aller Handlungen enthält, die Ziel und Zweck des völkerrechtlichen Vertrages vereiteln würden. Durch dieses Frustrationsverbot soll ein Ausgleich zwischen der Bewahrung größtmöglicher Handlungsfreiheit und deren Einschränkung zugunsten einer zwischenstaatlichen Kooperation erzeugt werden.71 Hierfür ist eine gewisse rechtliche Bindung sinnvoll, um Vertrauen zwischen den kooperierenden Staaten zu erzeugen.72 Zugleich darf die Bindung vor Inkrafttreten angesichts der Gründe für die Bewahrung der staatlichen Handlungsfreiheit nicht zu stark ausfallen. Schließlich könnte sonst ein Anreiz zur Missachtung der zu starken Bindungen entstehen, was der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit mehr schaden als nutzen würde.73 Der Ausgleich, den das Frustrationsverbot schafft, bildet einen Mittelweg zwischen Unverbindlichkeit und voller Bindung an den Vertrag.74 Nach Art. 18 WVK muss ein Staat den Vertrag im Zeitraum zwischen Unterzeichnung und Inkrafttreten nicht erfüllen, darf aber seinen Zweck nicht vereiteln. Wenngleich die genaue Reichweite dieser Pflicht später noch zu klären sein wird,75 lässt sich bereits festhalten, dass das Frustrationsverbot damit (lediglich) den Kern eines Vertrages schützt.76 Dadurch kann ein Unterzeichnerstaat die Entscheidung zur Ratifikation 69 Vgl. Werner Morvay, The Obligation of a State not to Frustrate the Object of a Treaty Prior to its Entry into Force: Comments on Art. 15 of the ILC’s 1966 Draft Articles on the Law of Treaties, 27 Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (1967) 451, 459. 70 Vgl. David S. Jonas/Thomas N. Saunders, The Object and Purpose of a Treaty: Three Interpretive Methods, 43 Vanderbilt Journal of Transnational Law (2010) 565, 595 – 596. 71 Vgl. Werner Morvay, The Obligation of a State not to Frustrate the Object of a Treaty Prior to its Entry into Force, (Fn. 69), 458 – 459. 72 Vgl. Edward T. Swaine, Unsigning, (Fn. 43), 2077. 73 Werner Morvay, The Obligation of a State not to Frustrate the Object of a Treaty Prior to its Entry into Force, (Fn. 69), 459. 74 David S. Jonas/Thomas N. Saunders, The Object and Purpose of a Treaty: Three Interpretive Methods, (Fn. 70), 595. 75 Zum Inhalt der Pflicht aus dem Frustrationsverbot siehe infra Kapitel 1 B. 76 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 20.
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innerstaatlich prüfen ohne bereits gebunden zu sein, wird zugleich aber davor geschützt, dass die anderen beteiligten Staaten das Ziel des Vertrages in der Zwischenzeit unterlaufen.77 Auch kann er später die Ratifikation vornehmen, ohne befürchten zu müssen, dass seine Handlungsfreiheit dadurch in einem Umfang eingeschränkt wird, die ihn gegenüber anderen Staaten benachteiligt. Der vom Frustrationsverbot getroffene Ausgleich zwischen der staatlichen Handlungsfreiheit und den Bedürfnissen der vertraglich angestrebten Zusammenarbeit sichert die Effektivität völkerrechtlicher Verträge. Schließlich wären Verträge für die Kooperation von Staaten deutlich weniger geeignet, wenn in dem oftmals langen Zeitraum zwischen Unterzeichnung und Inkrafttreten keinerlei Bindungen bestünden, die bereits erzielte Einigung also über längere Zeit hinweg rechtlich völlig folgenlos bliebe. 2. Vorläufige Anwendung: Vermeidung von Verzögerungen Wenn die begrenzten rechtlichen Bindungen aus dem Frustrationsverbot den praktischen Bedürfnissen der Staaten nicht genügen, können sie einen Vertrag vor seinem Inkrafttreten auch bereits ganz oder teilweise vorläufig anwenden. Dadurch kann ein Vertrag seine rechtlichen Wirkungen auch schon vor seinem Inkrafttreten entfalten.78 Anders als das Frustrationsverbot ist die vorläufige Anwendung nach Art. 25 I WVK allerdings kein automatischer Bestandteil des Vertragsschlussverfahrens, sondern muss von den Staaten für den konkreten Vertrag vereinbart werden.79 Die Geschichte der vorläufigen Anwendung völkerrechtliche Verträge reicht bis ins 17. Jahrhundert zurück, doch haben sich die Funktion und Bedeutung der vorläufigen Anwendung im Laufe der Zeit gewandelt.80 Früher wurde sie vor allem aufgrund des Fehlens von direkten Kommunikationsmitteln vereinbart.81 So wollte man etwa bei Friedensverträgen mit der Einstellung der Feindseligkeiten nicht bis
77 David S. Jonas/Thomas N. Saunders, The Object and Purpose of a Treaty: Three Interpretive Methods, (Fn. 70), 596. 78 Für eingehendere Ausführungen zu den Wirkungen der vorläufigen Anwendung siehe infra Kapitel 2 C. 79 Für Einzelheiten zur vorläufigen Anwendung siehe infra Kapitel 2. 80 Für eine ausführlichere Darstellung der Geschichte der vorläufigen Anwendung siehe Thomas Kleinlein, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge: Zwischen effektiver Kooperation und parlamentarischer Legitimation?, 72 JuristenZeitung (2017) 377, 377 – 378; Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen: eine Untersuchung ihrer Bedeutung im Völkerrecht sowie im Recht der Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland (1986), 23 – 30. 81 Ulrich Klaus, The Yukos Case under the Energy Charter Treaty and the Provisional Application of International Treaties (2005), 2, online: http://tietje.jura.uni-halle.de/sites/de fault/files/telc/PolicyPaper11.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022).
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zur Ratifikation durch den Monarchen warten.82 Heute hingegen greifen Staaten vor allem wegen dem komplexen und langwierigen Ratifikationsverfahren auf die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge zurück.83 Schließlich dauert das Inkrafttreten aufgrund der Parlamentsbeteiligung nicht nur erheblich länger als früher,84 sondern wird bei multilateralen Verträgen auch durch die Anforderungen an die Anzahl der Ratifikationen erschwert.85 Insofern kommt die vorläufige Anwendung inzwischen bei einer Vielzahl unterschiedlicher Verträge zum Einsatz, wie später noch näher dargestellt werden wird.86 Im Kern geht es in der Regel darum, dass die Wirkungen eines bestimmten Vertrages schnell herbeigeführt werden sollen, das innerstaatliche Verfahren eines oder mehrerer Staaten ein zügiges Inkrafttreten jedoch verhindert.87 In diesen Fällen erlaubt die vorläufige Anwendung den Staaten eine flexible Lösung,88 die sich als eine Art Sicherungsventil für das moderne Vertragsschlussverfahren beschreiben lässt.89 Dieses Sicherungsventil soll verhindern, dass die Effektivität von völkerrechtlichen Verträgen durch die Dauer des Vertragsschlussverfahrens gemindert wird.90 Schließlich würden Verträge in eilbedürftigen Situationen oftmals als geeignetes Handlungsinstrument ausscheiden, wenn ihre Wirkungen nicht durch die vorläufige Anwendung bereits vor Abschluss des zeitintensiven Vertragsschlussverfahrens herbeigeführt werden könnten. Somit tragen sowohl das Frustrationsverbot als auch die vorläufige Anwendung den Bedürfnissen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit Rechnung, indem sie jeweils auf ihre Weise die Effektivität von Verträgen als völkerrechtlichem Handlungsinstrument schützen. Während das Frustrationsverbot im Zeitraum bis zum Inkrafttreten den Vertragskern schützt, kann im Bedarfsfall durch die vorläufige Anwen-
82
Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 23. Thomas Kleinlein, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 80), 378. 84 Robert E. Dalton, Provisional Application of Treaties, in: Hollis, Duncan B., The Oxford Guide to Treaties (2014), 223. 85 Völkerrechtskommission, Third Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo (05. 06. 2015), A/CN.4/687, 21 Rn. 103. 86 Zu den Gründen für die vorläufige Anwendung siehe infra Kapitel 2 A. 87 In dieser Weise beschrieb z. B. Deutschland die Motivation zur vorläufigen Anwendung gegenüber der Völkerrechtskommission, Federal Republic of Germany, Information Regarding the „Provisional Application of Treaties“ in the Commission’s Programme of Work (March 2014), online: https://legal.un.org/ilc/sessions/66/pdfs/english/pat_germany.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022), 1. 88 Die Flexibilität des Mechanismus wurde auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz von mehreren Delegationen hervorgehoben. Beispiele hierfür sind die Stellungnahmen der Delegierten von Costa Rica und Italien, Eleventh Plenary Meeting, in: United Nations, Official Records of the United Nations Conference on the Law of Treaties, Second Session (Summary Records of the Plenary Meetings and of the Meetings of the Committee of the Whole) (1969), 40, 42 Rn. 67, 82 – 83. 89 Robert E. Dalton, Provisional Application of Treaties, (Fn. 84), 223. 90 Vgl. Gregor Schusterschitz, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge in der Praxis Österreichs, (Fn. 68), 134. 83
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dung des Vertrages auch schon eine intensivere rechtliche Bindung eingegangen werden.
B. Problemstellung Wie soeben dargestellt wurde, sollen Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung aus Sicht des Völkerrechts insbesondere Probleme lösen, die das innerstaatliche Vertragsschlussverfahren mit seiner oftmals langen Dauer für die zwischenstaatliche Zusammenarbeit aufwirft. Insofern ist es nicht überraschend, dass beide Instrumente aus Sicht des innerstaatlichen Rechts in einem gewissen Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Vertragsschlussverfahren und der darin vorgesehenen Gewaltenteilung stehen können (I.). Wenngleich dieses Spannungsverhältnis bei der vorläufigen Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages schon lange bekannt ist, gibt es noch immer offene Fragen (II.). Beim Frustrationsverbot hingegen wird die Problematik bislang typischerweise noch unterschätzt und bedarf schon allein deshalb einer näheren Untersuchung (III.).
I. Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung Wie bereits erwähnt, sehen die normativen Vorgaben in vielen Staaten – nicht nur den demokratischen – beim Abschluss von Verträgen eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative vor. Das vorherrschende Modell ist dabei, dass die Exekutive nach außen hin die Bindungen an den völkerrechtlichen Vertrag eingeht, sie an dieser Entscheidung intern aber zumindest bei bestimmten Verträgen die Legislative beteiligen muss.91 Warum das Frustrationsverbot und die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge in einem Spannungsverhältnis zu dieser Gewaltenteilung stehen können, ist leicht erkennbar. Völkerrechtlich können Handlungen im Vertragsschlussverfahren von jedem Vertreter eines Staates vorgenommen werden, wozu einige Angehörige der Exekutive bereits kraft ihres Amtes gezählt werden.92 Während auf völkerrechtlicher Ebene die Exekutive den Staat vertritt, ergibt sich ein Erfordernis, die vorherige Zustimmung des Parlaments einzuholen, aus dem innerstaatlichen Recht und ist typischerweise speziell auf den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages bezogen. Wäre es der Exekutive möglich, Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auch ohne Beteiligung der Legislative auszulösen, könnte dies folglich das parlamentarische Mitwirkungsrecht beim Abschluss von 91
Für Zahlen und Beispiele zur innerstaatlichen Gewaltenteilung beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge siehe Einleitung A.I.1. 92 Vgl. Art. 7 WVK, insb. Abs. II; Internationaler Gerichtshof, Case Concerning Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Yugoslavia), Preliminary Objections, 1996 ICJ Reports 595, 621 – 622 Rn. 44.
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Verträgen beeinträchtigen.93 Somit besteht ein Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung, wenn die Pflichten aus Frustrationsverbot und vorläufiger Anwendung in Bezug auf Verträge ausgelöst werden, deren Abschluss einer noch nicht erfolgten Parlamentsbeteiligung unterliegt.94
II. Verbleibende Fragen bei der vorläufigen Anwendung Bei der vorläufigen Anwendung ist das Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung keineswegs neu, sondern war bereits den Mitgliedern der Völkerrechtskommission bei ihren Vorarbeiten zur Wiener Vertragsrechtskonvention bewusst.95 Als später auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz die Staatendelegierten über den Entwurf diskutierten, wurde das Problem abermals erörtert. Nachdem der Vertreter Guatemalas darauf hinwies, dass das Eingehen völkerrechtlicher Bindungen vor Zustimmung der Legislative für seinen Staat verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen würde, äußerten die Delegationen von Costa Rica, Kamerun, Griechenland, Uruguay, Kolumbien, Uganda, Korea und El Salvador ähnliche Bedenken.96 Allerdings wurde in den Diskussionen auch darauf hingewiesen, dass es keinen Zwang zur vorläufigen Anwendung gäbe und Staaten mit entgegenstehenden Verfassungsbestimmungen auf die Nutzung des Mechanismus verzichten könnten.97 Dieses Argument wurde auch von Sir Waldock aufgegriffen, der als Sachverständiger der Völkerrechtskommission an der Sitzung teilnahm und sich vom Ausmaß der Bedenken überrascht zeigte. Er wies zudem darauf hin, dass Staaten die vorläufige Anwendung im Falle der Ablehnung durch das Parlament auch wieder beenden könnten.98 Diese Argumente schienen die Staatendelegierten zu überzeugen. Der heutige Art. 25 WVK wurde letztendlich mit nur einer Gegenstimme und 13 Enthaltungen in die Wiener Vertragsrechtskonvention aufgenommen.99 Allerdings
93 Georg Ress, Verfassung und völkerrechtliches Vertragsrecht: Überlegungen anläßlich der Ratifikation der Wiener Vertragsrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland, in: Hailbronner, Kay/Ress, Georg/Stein, Torsten, Staat und Völkerrechtsordnung (1989), 818. 94 Siehe zum Spannungsverhältnis zwischen der vorläufigen Anwendung und der deutschen Gewaltenteilung Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 200 – 201. 95 Siehe z. B. den Diskussionsbeitrag von Sir Waldock auf dem 791. Treffen der Völkerrechtskomission, 791st Meeting – 26 May 1965, in: Völkerrechtskommission, Yearbook of the International Law Commission, Vol. I (1965), 112 – 113 Rn. 55 – 56. 96 Für die Stellungnahmen der Delegierten von Guatemala, Costa Rica, Kamerun, Griechenland, Uruguay, Kolumbien, Uganda, Korea und El Salvador siehe Eleventh Plenary Meeting, (Fn. 88), 39, 41 – 44 Rn. 52 – 53, 67, 72 – 73, 77, 85, 92, 102, 104. 97 Eleventh Plenary Meeting, (Fn. 88), 41 – 42 Rn. 78, 80. 98 Für den Diskussionsbeitrag von Sir Waldock siehe Eleventh Plenary Meeting, (Fn. 88), 43 Rn. 89 – 90. 99 Eleventh Plenary Meeting, (Fn. 88), 43 Rn. 101.
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legten später beim Abschluss der Vertragsrechtskonvention fünf Staaten unter Verweis auf ihr Verfassungsrecht Vorbehalte gegen den Artikel ein.100 Trotz des eindeutigen Abstimmungsergebnisses auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz kann das Spannungsverhältnis zwischen vorläufiger Anwendung und innerstaatlicher Gewaltenteilung bis heute nicht als gelöst gelten. Es wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur nach wie vor diskutiert101 und ist auch in der Praxis von Interesse. Nicht umsonst haben einige Staaten die vorläufige Anwendung inzwischen in ihrem innerstaatlichen Recht ausdrücklich geregelt.102 Auch der Völkerrechtskommission, welche die vorläufige Anwendung 2012 in ihr Arbeitsprogramm aufgenommen hat, dürfte es nicht gelingen, die verbleibenden Probleme zu lösen. Schließlich soll bei diesem Projekt das innerstaatliche Recht der Staaten ausdrücklich ausgeklammert werden.103 Vor diesem Hintergrund erscheint es angebracht, das Spannungsverhältnis zwischen der vorläufigen Anwendung völkerrechtlicher Verträge und der innerstaatlichen Gewaltenteilung eingehender zu untersuchen. Neben einer tiefergehenden Analyse dieses Spannungsverhältnisses sollen dabei insbesondere die in der Praxis eingesetzten Lösungsansätze erörtert werden. Dass diese manchmal ihrerseits Probleme aufwerfen, zeigte zuletzt das Yukos-Schiedsverfahren. In diesem Schiedsverfahren, in dem den Klägern eine Entschädigung in Milliardenhöhe gegen Russland zugesprochen wurde,104 hing die Zuständigkeit des internationalen Schiedsgerichts von der vorläufigen Anwendung des Energiecharta-Vertrages ab. Die im Energiecharta-Vertrag vorgesehene Vertragsbestimmung zur vorläufigen Anwendung warf dabei eine ganze Reihe von Auslegungsfragen auf, die vom Schiedsgericht und mehreren Instanzen der niederländischen Gerichtsbarkeit unterschiedlich beantwortet wurden.105 Eine Untersuchung des Spannungsverhältnisses ist allerdings nicht nur für die internationale Ebene erforderlich, sondern auch für das deutsche Recht. Denn bislang wird die Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eines zustimmungsbedürf100
Siehe hierzu die Vorbehalte von Brasilien, Costa Rica, Guatemala, Kolumbien und Peru, online: https://treaties.un.org/pages/ViewDetailsIII.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XXIII-1 &chapter=23&Temp=mtdsg3&clang=_en#EndDec (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 101 Siehe z. B. Thomas Kleinlein, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 80), 380 – 382; Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 64 – 66; Horst Günter Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge (1963), 101 – 107. 102 Zu den verschiedenen innerstaatlichen Regelungen zur vorläufigen Anwendung siehe infra Kapitel 4 A.I. 103 Zur Entscheidung das innerstaatliche Recht außen vor zu lassen und den Gründen hierfür siehe Völkerrechtskommission, Third Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 85), 4 Rn. 10. 104 Vgl. Permanent Court of Arbitration, Yukos Universal Limited (Isle of Man) v. The Russian Federation, Final Award (2014), No. AA 227, Rn. 1888. 105 Für nähere Ausführungen zum Yukos-Verfahren siehe infra Kapitel 3 A.IV.1.b) und Kapitel 4 A.III.1.
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tigen Vertrages in der verfassungsrechtlichen Literatur einhellig ebenfalls als Vertrag im Sinne des Art. 59 II 1 GG eingestuft und daher von der Mehrheit als ihrerseits zustimmungsbedürftig angesehen.106 Insofern bleibt offen, ob die vorläufige Anwendung auch zustimmungsbedürftig wäre, wenn man sie nicht selbst als (weiteren) Vertrag ansehen würde. Zwar bietet die vorherrschende Ansicht den Rechten des Gesetzgebers im Vertragsschlussverfahren den bestmöglichen Schutz, wenn sie die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung gleich wie den Abschluss des jeweiligen Vertrages behandelt. Allerdings schränkt sie dadurch den Nutzen der vorläufigen Anwendung für eilbedürftige Situationen ein und vernachlässigt die vom Bundesverfassungsgericht bei der auswärtigen Gewalt betonten Kriterien der Funktionsgerechtigkeit und außenpolitischen Handlungsfähigkeit.107 Diese Kriterien dürften gerade bei der vorläufigen Anwendung von völkerrechtlichen Verträgen von Bedeutung sein, da dieser Mechanismus Staaten ein schnelles Handeln ermöglichen soll, das im regulären Vertragsschlussverfahren nicht möglich wäre. Insofern stellt sich die Frage, ob das deutsche Verfassungsrecht nicht für eine differenziertere Lösung offen ist. Eine solche Lösung müsste sich nicht auf die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit beschränken, sondern könnte auch andere Formen der Beteiligung beinhalten. Bei der Frage, ob das deutsche Verfassungsrecht einen angemessenen Umgang mit der vorläufigen Anwendung findet, müssen heute auch Verträge der Europäischen Union berücksichtigt werden. Die Antwort dürfte in diesem Bereich auch davon abhängen, inwieweit Deutschland Kompetenzen für den Abschluss und die vorläufige Anwendung von Verträgen bereits auf die Union übertragen hat. Hinsichtlich der Mitwirkung des deutschen Gesetzgebers an der vorläufigen Anwendung von Verträgen der Union sollte zudem berücksichtigt werden, ob und in welchem Umfang bereits das Europäische Parlament in den Entscheidungsprozess eingebunden ist. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über eine einstweilige Anordnung im Zusammenhang mit der vorläufigen Anwendung des Comprehensive Economic and Trade Agreement („CETA“)108 aus dem Jahr 2016 bietet zudem Anlass, auch die verfassungsgerichtliche Durchsetzung der Rechte des Gesetzgebers bei der vorläufigen Anwendung in den Blick zu nehmen. Somit gibt es beim Spannungsverhältnis zwischen vorläufiger Anwendung und innerstaatlicher Gewaltenteilung gerade für Deutschland noch wichtige und aktuelle Fragen, die einer eingehenderen Untersuchung bedürfen.
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Für die verschiedenen Auffassungen zur Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung nach Art. 59 II 1 GG siehe infra Kapitel 6 B. 107 Für eine eingehendere Darstellung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur auswärtigen Gewalt siehe infra Kapitel 5 C.I. 108 BVerfGE 143, 65 – CETA (2016).
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III. Unterschätztes Problem beim Frustrationsverbot Im Vergleich zu dem zuvor erörterten Problem bei der vorläufigen Anwendung hat die völker- und verfassungsrechtliche Literatur dem Spannungsverhältnis zwischen Frustrationsverbot und innerstaatlicher Gewaltenteilung wenig Aufmerksamkeit gewidmet. In der deutschsprachigen Literatur109 wird es allenfalls kurz gestreift und auch in den USA, wo die Diskussion bereits vertiefter geführt wird, wurden bislang nur einzelne Aufsätze veröffentlicht.110 Das Problem wird dabei – parallel zur vorläufigen Anwendung – darin gesehen, dass die Exekutive ohne Durchlaufen des innerstaatlichen Vertragsschlussverfahrens Pflichten auslösen kann, die inhaltlich unter Umständen denjenigen aus dem völkerrechtlichen Vertrag entsprechen.111 Insofern stellt sich das Frustrationsverbot bei dieser Sichtweise als ein weniger praxisrelevantes Parallelproblem zur vorläufigen Anwendung dar, was die geringere Aufmerksamkeit rechtfertigen würde. Allerdings steht beim Frustrationsverbot mit der Pflicht, Ziel und Zweck eines Vertrages nicht zu vereiteln, eigentlich eine Unterlassungspflicht im Vordergrund. Dementsprechend dürfte es noch eine zusätzliche Dimension geben, die bislang übersehen wird. Denn selbst wenn sich das Frustrationsverbot nicht mit einer Pflicht aus dem Vertrag überschneidet, könnte es den Gesetzgeber bereits bei seiner Gesetzgebungstätigkeit beeinträchtigen. Für beide Probleme müssten zufriedenstellende Lösungen gesucht werden, die es bislang noch nicht gibt. Auf Ebene des deutschen Verfassungsrechts stellt sich zudem die Frage, ob das Frustrationsverbot eine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG ist. Damit wäre es nicht nur Bestandteil des Bundesrechts, sondern würde auch den Gesetzen vorgehen. Dies würde eine mögliche Beeinträchtigung der Gesetzgebungstätigkeit des Gesetzgebers verstärken. Ein solches Ergebnis wäre bemerkenswert, da der Gesetzgeber dann vor Inkrafttreten eines Vertrages qualitativ stärker gebunden wäre als danach. Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht erst 2015 bestätigt, dass bereits in Kraft getretene Verträge nur im Gesetzesrang stehen und daher durch spätere Gesetze nach der lex posterior-Regel „überschrieben“ werden können.112 Jedenfalls soweit sich Pflichten aus dem Frustrationsverbot mit Pflichten aus dem Vertrag überschneiden, stellt sich zudem ähnlich wie bei der vorläufigen Anwendung die Frage, ob die Exekutive diese ohne vorherige Zustimmung des 109
Vgl. Robert Frau, Der Gesetzgeber zwischen Verfassungsrecht und völkerrechtlichem Vertrag (2015), 8; Georg Ress, Verfassung und völkerrechtliches Vertragsrecht, (Fn. 93), 818 – 819. 110 Am ausführlichsten wird die Thematik behandelt in: Curtis A. Bradley, Unratified Treaties, Domestic Politics, and the U.S. Constitution, 48 Harvard International Law Journal (2007) 307; David H. Moore, The President’s Unconstitutional Treatymaking, 59 UCLA Law Review (2012) 598. 111 Siehe z. B. David H. Moore, The President’s Unconstitutional Treatymaking, (Fn. 110), 601; Georg Ress, Verfassung und völkerrechtliches Vertragsrecht, (Fn. 93), 818 – 819. 112 Für die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts zum sog. Treaty Override siehe BVerfGE 141, 1 (20 – 35) – Treaty Override (2015).
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Gesetzgebers begründen kann. Somit gibt es auch in Bezug auf das Frustrationsverbot und sein Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung wichtige offene Fragen, die im Folgenden geklärt werden sollen.
C. Gang der Untersuchung Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die offenen Fragen zum Spannungsverhältnis zwischen Frustrationsverbot und vorläufiger Anwendung einerseits und der innerstaatlichen Gewaltenteilung andererseits zu beantworten. Hierfür wird neben den einschlägigen Rechtsnormen auch die Praxis untersucht werden. Zudem soll aufgezeigt werden, wie das Spannungsverhältnis im Allgemeinen und für das deutsche Verfassungsrecht im Besonderen reduziert werden kann. Wie sich im Laufe der Arbeit zeigen wird, wirken Völkerrecht und innerstaatliches Recht nicht nur bei der Entstehung des Spannungsverhältnisses, sondern auch bei seiner Reduzierung zusammen. Entsprechend ist anzunehmen, dass das Spannungsverhältnis zwischen den vorvertraglichen völkerrechtlichen Pflichten und der innerstaatlichen Gewaltenteilung zwar dem Grunde nach in vielen Staaten existiert, sein Ausmaß sich jedoch im Einzelfall unterscheidet. Im Zentrum der Untersuchung steht daher die Frage, ob speziell das deutsche Grundgesetz einen Ausgleich zwischen den Bedürfnissen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit und den Erfordernissen der gewaltenteilenden Demokratie ermöglicht. Die Arbeitshypothese ist dabei, dass die grundgesetzlichen Normen zur auswärtigen Gewalt in einer Weise ausgelegt werden können, die einen solchen Ausgleich ermöglicht. Der erste Teil der vorliegenden Arbeit konzentriert sich auf die internationale Ebene. Als Ausgangspunkt für die weitere Untersuchung werden zunächst Rechtsnatur, Wirkungen und Beendigungsmöglichkeiten für das Frustrationsverbot (Kapitel 1) und die vorläufige Anwendung (Kapitel 2) dargestellt. Nach der Klärung der völkerrechtlichen Konturen von Frustrationsverbot und vorläufiger Anwendung, wird anschließend das Spannungsverhältnis zu der in vielen Staaten vorgesehenen Gewaltenteilung in den Blick genommen und eingehender analysiert werden (Kapitel 3). Dabei soll unter anderem versucht werden, mögliche Folgen der Nichtbeteiligung des Parlaments aufzuzeigen und innerstaatliche Faktoren zu identifizieren, die das Ausmaß des Spannungsverhältnisses beeinflussen. Den Abschluss des ersten Teils bilden die Darstellung und Bewertung derjenigen Maßnahmen, mit denen Staaten versuchen, das Spannungsverhältnis zwischen den vorvertraglichen völkerrechtlichen Pflichten und der innerstaatlichen Gewaltenteilung zu lösen oder jedenfalls zu reduzieren (Kapitel 4). Neben den innerstaatlichen Regelungen zur vorläufigen Anwendung, die sich in einigen Rechtsordnungen finden, sollen hier auch die völkerrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten untersucht werden. Als Ergebnis ist dabei zu erwarten, dass keiner der verschiedenen innerstaatlichen und völkerrechtlichen Lösungsansätze das Spannungsverhältnis allein lösen kann, da
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jeder Lösungsansatz gewisse Schwächen aufweist oder seinerseits zu neuen Problemen führt. Der zweite Teil der Arbeit ist dem Umgang des deutschen Rechts mit dem Spannungsverhältnis zwischen den vorvertraglichen völkerrechtlichen Pflichten und der deutschen Gewaltenteilung gewidmet. Hierfür wird zunächst dargestellt, wie die deutsche Rechtsordnung Völkerrechtsakte im Allgemeinen behandelt (Kapitel 5). Neben den innerstaatlichen Wirkungen von Völkerrechtsakten geht es dabei vor allem um die Frage, wie das Grundgesetz die auswärtige Gewalt auf Exekutive und Legislative verteilt. Auf dieser Grundlage wird anschließend die verfassungsrechtliche Rechtslage für die vorläufige Anwendung (Kapitel 6) und das Frustrationsverbot (Kapitel 7) dargestellt und bewertet. Dabei wird in der vorliegenden Arbeit die Rechtsauffassung vertreten, dass weder die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung noch die das Frustrationsverbot auslösende Unterzeichnung113 als Abschluss eines Vertrages zu einzustufen sind. Da Art. 59 II 1 GG somit keine direkte Anwendung findet, ist eine vorherige Zustimmung der Legislative nur erforderlich, wenn die Voraussetzungen für seine analoge Anwendung vorliegen. Wie sich zeigen wird, ermöglicht diese Rechtsauffassung im Zusammenspiel mit Informations-, Vorlage- und Beendigungspflichten der Regierung, die aus dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue abgeleitet werden können, einen differenzierten Umgang mit dem Frustrationsverbot und der vorläufigen Anwendung. Dadurch muss das Grundgesetz weder den – auch verfassungsrechtlich verankerten – Bedürfnissen der internationalen Zusammenarbeit noch dem Schutz der Parlamentsbeteiligung im Vertragsschlussverfahren einseitig den Vorzug gewähren, sondern kann einen sachgerechten Ausgleich ermöglichen. Im dritten Teil der Arbeit soll abschließend analysiert werden, ob ein solcher Ausgleich auch bei völkerrechtlichen Verträgen möglich ist, die nicht nur von Deutschland selbst, sondern (zumindest auch) von der Europäischen Union abgeschlossen werden (Kapitel 8). Dabei ist zu vermuten, dass das Unionsrecht und die differenzierten verfassungsrechtlichen Vorgaben auch hier einen sachgerechten Ausgleich ermöglichen. Insofern wird sich zeigen, dass in Deutschland für den Umgang mit dem völkerrechtlichen Frustrationsverbot und der vorläufigen Anwendung völkerrechtlicher Verträge keine neuen Regelungen geschaffen werden müssen. Lediglich die verfassungsgerichtliche Durchsetzbarkeit der bestehenden Regelungen dürfte gewisse Schwächen aufweisen, welche aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts resultieren und durch diese auch wieder behoben werden könnten.
113 Gemeint ist hier die Unterzeichnung eines ratifikationsbedürftigen Vertrages, also eines Vertrages, der im zusammengesetzten Vertragsschlussverfahren abgeschlossen wird.
Teil 1
Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene Kapitel 1
Frustrationsverbot im Völkerrecht Nachdem die Rolle des Frustrationsverbotes im völkerrechtlichen Vertragsschlussverfahren dargelegt wurde, soll nun seine rechtliche Ausgestaltung eingehender untersucht werden. Dabei ist zunächst zu klären, welchen Rechtsquellen das Frustrationsverbot entspringt und in welchem Verhältnis diese zueinanderstehen (A.). Die wohl schwierigsten Fragen wirft jedoch der Inhalt des Frustrationsverbotes auf. Bereits die allgemeine Auslegung des Verbots, Ziel und Zweck eines Vertrages zu vereiteln, ist stark umstritten (B.). Doch auch über den allgemeinen Inhalt hinaus, stellen sich wichtige Einzelfragen zu den konkreten Rechten und Pflichten, z. B. ob das Frustrationsverbot auch Handlungspflichten enthält und wem genau es Rechte verleiht (C.). Abschließend ist noch die Frage zu klären, wie die Pflichten aus dem Frustrationsverbot in den Zeiträumen vor und nach Ratifikation jeweils wieder beendet werden können (D.). Auf Grundlage der Antworten auf diese Fragen können in Kapitel 3 und 4 das Spannungsverhältnis des Frustrationsverbotes zum innerstaatlichen Recht und mögliche Lösungsansätze für dieses untersucht werden.
A. Rechtsnatur Das Frustrationsverbot kann, wie sich zeigen wird, auf verschiedene Rechtsquellen des Völkerrechts gestützt werden: Es findet seine vertragliche Grundlage in Art. 18 WVK (I.), ist zudem Völkergewohnheitsrecht (II.) und leitet sich aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ab (III.). Seine Herleitung aus dem noch nicht in Kraft getretenen Vertrag selbst oder einer stillschweigenden Nebenabrede sind hingegen abzulehnen (IV.) Da das Frustrationsverbot mehr als einer Rechtsquelle entspringt, ist abschließend zu klären, wie sich die verschiedenen Versionen des Frustrationsverbotes im Konfliktfall zueinander verhalten (V.).
Kap. 1: Frustrationsverbot im Völkerrecht
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I. Vertragliches Frustrationsverbot aus Art. 18 WVK Die vertragliche Version des Frustrationsverbotes ergibt sich aus Art. 18 WVK. Der Anwendungsbereich dieser vertraglichen Norm ist jedoch ratione personae und ratione temporis, also persönlich und zeitlich, beschränkt. Zunächst einmal gilt das vertragliche Frustrationsverbot als solches gemäß Art. 34 WVK nur für die 116 Parteien der Wiener Vertragsrechtskonvention. Während Deutschland zu diesen Parteien gehört, ist dies z. B. bei Frankreich und den USA nicht der Fall.114 In zeitlicher Hinsicht ist die Wiener Vertragsrechtskonvention auf Verträge beschränkt, die geschlossen wurden, nachdem sie für den jeweiligen Staat in Kraft trat.115 Das frühestmögliche Datum ist hier der 27. Januar 1980, der Tag an dem die Wiener Vertragsrechtskonvention in Kraft trat.116 Allerdings gibt es auch einige Staaten, deren Ratifikation oder Beitritt erst später erfolgte. So trat die Wiener Vertragsrechtskonvention für Deutschland erst am 20. August 1987 in Kraft.117 Folglich ist ihr Anwendungsbereich für Deutschland auf völkerrechtliche Verträge begrenzt, die ab diesem Datum geschlossen wurden. Somit besteht ein vertragliches Frustrationsverbot aus Art. 18 WVK nur innerhalb der genannten Grenzen.
II. Gewohnheitsrechtliches Frustrationsverbot Angesichts des begrenzten Anwendungsbereichs des vertraglichen Frustrationsverbotes stellt sich die Frage, ob auch ein gewohnheitsrechtliches – und damit grundsätzlich für alle Staaten geltendes – Frustrationsverbot existiert. In diesem Zusammenhang ist umstritten, ob Art. 18 WVK ursprünglich lediglich bereits existierendes Gewohnheitsrecht kodifizierte oder als Weiterentwicklung (engl.: „progressive development“) über das bestehende Gewohnheitsrecht hinausging.118 114 Für die Informationen zur Zahl der Vertragsparteien und zum Status der genannten Staaten in Bezug auf die Wiener Vertragsrechtskonvention siehe: https://treaties.un.org/Pages/ ViewDetailsIII.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XXIII-1&chapter=23&Temp=mtdsg3 &clang=_en (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 115 Art. 4 WVK. 116 Für Informationen zum Inkrafttreten der Wiener Vertragsrechtskonvention, auch für einzelne Staaten, siehe: https://treaties.un.org/Pages/ViewDetailsIII.aspx?src=TREATY& mtdsg_no=XXIII-1&chapter=23&Temp=mtdsg3&clang=_en (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 117 Ibid. 118 Als Kodifikation von Gewohnheitsrecht sehen Art. 18 WVK z. B. Charme und Rogoff, siehe Joni S. Charme, The Interim Obligation of Article 18 of the Vienna Convention on the Law of Treaties: Making Sense of an Enigma, 25 The George Washington Journal of International Law and Economics (1991 – 1992) 71, 77, 84 – 85; Martin A. Rogoff, The International Legal Obligations of Signatories to an Unratified Treaty, 32 Maine Law Review (1980) 263, 284. Gegenteiliger Ansicht sind unter anderem Cahier und Dörr, siehe Oliver Dörr, Art. 18 VCLT,
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
Entsprechend müssen für die Beantwortung der Frage, ob das Frustrationsverbot auch Gewohnheitsrecht darstellt, die Zeiträume vor (1.) und nach (2.) Abschluss der Wiener Vertragsrechtskonvention im Jahr 1969 unterschieden werden. 1. Vor Abschluss der Wiener Vertragsrechtskonvention Staatenpraxis zur Geltung eines gewohnheitsrechtlichen Frustrationsverbotes war vor Abschluss der Wiener Vertragsrechtskonvention nur in begrenztem Maße vorhanden. Umso interessanter ist daher, wie sie im Laufe der Entstehungsgeschichte des Art. 18 WVK gedeutet wurde. Diese Entstehungsgeschichte beginnt mit dem sog. Harvard Draft (a)), wird stark geprägt von den Arbeiten der Völkerrechtskommission (b)) und endet mit der Wiener Vertragsrechtskonferenz (c)). a) Frühe Staatenpraxis und Harvard Draft Die Ursprünge des Frustrationsverbotes in Art. 18 WVK gehen auf die Draft Convention on the Law of Treaties aus dem Jahr 1935 zurück.119 Dieser sog. Harvard Draft ist Ergebnis eines Forschungsprojektes der Harvard Law School, welches in den Jahren 1932 bis 1935 mit James W. Garner als Berichterstatter durchgeführt wurde und das damalige Gewohnheitsrecht kodifizieren sollte.120 Der Harvard Draft sah in Art. 9 ein Frustrationsverbot vor,121 das laut dem dazugehörigen Kommentar der Verfasser jedoch nicht als rechtsverbindliche, sondern nur als sittliche Regel betrachtet wurde.122 Allerdings gesteht der Kommentar selbst zu, dass eine klare Trennung zwischen beidem nicht möglich ist.123 Aus der Zeit vor dem Harvard Draft gibt es zudem Staatenpraxis, die auf ein rechtsverbindliches Frustrationsverbot in: Dörr, Oliver/Schmalenbach, Kirsten, Vienna Convention on the Law of Treaties (2. Aufl. 2018), 245 Rn. 5; Philippe Cahier, L’obligation de ne pas priver un traité des son objet et but avont son entrée en viguer, in: Teitgen, Pierre-Henri, Mélanges Fernand Dehousse (1979), 35. 119 Vgl. Art. 9 Draft Convention on the Law of Treaties with Commentary (1935), 29, Supplement: Research in International Law, The American Journal of International Law 657, 658; Law of Treaties, Second Report by Brierly, in: Völkerrechtskommission, Yearbook of the International Law Commission, Vol. II (1951), 73. 120 Für weitere Informationen zum Forschungsprojekt und den beteiligten Personen siehe Manley O. Hudson, Research in International Law under the Auspices of the Faculty of the Harvard Law School: General Introduction, 29, Supplement: Research in International Law, The American Journal of International Law (1935) 1 – 13. 121 Art. 9 Harvard Draft: „Unless otherwise provided in the treaty itself, a State on behalf of which a treaty has been signed is under no duty to perform the obligations stipulated, prior to the coming into force of the treaty with respect to that State; under some circumstances, however, good faith may require that pending the coming into force of the treaty the State shall, for a reasonable time after signature, refrain from taking action which would render performance by any party of the obligations stipulated impossible or more difficult.“, siehe Draft Convention on the Law of Treaties with Commentary, (Fn. 119), 658. 122 Draft Convention on the Law of Treaties with Commentary, (Fn. 119), 781. 123 Vgl. Ibid.
Kap. 1: Frustrationsverbot im Völkerrecht
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hindeuten könnte. So führt bereits der Kommentar zum Harvard Draft einige Verträge auf, die ausdrücklich ein spezielles Frustrationsverbot vorsahen.124 Beispiele hierfür sind Art. 38 der Generalakte der Berliner Afrika-Konferenz von 1885,125 das Protokoll zum Vertrag über die Kontrolle des Handels mit Waffen und Munition von 1919,126 oder Art. 19 des Vertrages über die Begrenzung von Schiffsbewaffnung von 1922.127 Wenn in der Literatur diskutiert wird, ob das Frustrationsverbot bereits vor der Wiener Vertragsrechtskonvention existierte, wird zudem auf mehrere Entscheidungen innerstaatlicher Gerichte verwiesen.128 Denn auch diesen scheint die Annahme eines – jedoch nicht ausdrücklich so benannten – Frustrationsverbotes zu Grunde zu liegen. Zu nennen sind hier zwei Entscheidungen des polnischen Obersten Gerichtshofs in von Bismarck129 und Schrager130 von 1923 bzw. 1927, sowie das Urteil des Östlichen Provinzgerichts von Dänemark im Fall Schwerdtfeger131 von 1923.
124
Siehe Draft Convention on the Law of Treaties with Commentary, (Fn. 119), 785 – 787. Nachgedruckt in: General Act of the Conference of Berlin Concerning the Congo (26. 02. 1885), 3 The American Journal of International Law 7, 25. 126 Convention for the Control of the Trade in Arms and Ammunition, and Protocol (10. 09. 1919), 15 The American Journal of International Law 297. 127 Nachgedruckt in: Limitation of Naval Armament (1922), in: United States Department of State/Bevans, Charles Irving, Treaties And Other International Agreements Of The United States Of America, 1776 – 1949 (1969). 128 Vgl. z. B. Mark E. Villiger, Customary International Law and Treaties: A Study of their Interactions and Interrelations with Special Consideration of the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties (1985), 315 Rn. 45. 129 Der polnische Oberste Gerichtshof erklärte eine Übereignung des preußischen Finanzministeriums für nichtig, da diese nach Unterzeichnung des Vertrags von Versailles erfolgt war und „contrary to the stipulations and the spirit of the said Treaty“ sei, vgl. Supreme Court (Poland), Polish State Treasury v. von Bismarck, in: Lauterpacht, Hersch/Williams, John Fischer, Annual Digest of Public International Law Cases, Years 1923 to 1924 (1933). 130 Der polnische Oberste Gerichtshof stellte fest, dass es treuwidrig wäre, wenn die Schulden bei einem tschechoslowakischen Staatsbürger ohne Berücksichtigung des Wertverlusts der Währung beglichen werden könnten, obwohl die Ratifikation eines die Valorisierung regelnden Vertrages zwischen Polen und der Tschechoslovakei absehbar ist, vgl. Supreme Court (Poland), Schrager v. Workmen’s Accident Insurance Institute for Moravia and Silesia, in: McNair, Arnold Duncan/Lauterpacht, Hersch, Annual Digest of Public International Law Cases, Years 1927 and 1928 (1931). 131 Das dänische Gericht wies die Klage eines Pächters gegen die dänische Regierung ab, da deren Eigentumsrecht an dem in Schleswig gelegenen Gebiet eine völkerrechtliche Angelegenheit sei. Privatrecht scheide aus, da der noch von einer preußischen Behörde genehmigte Pachtvertrag zwischen dem Pächter und der Regierung von Schleswig darauf abzielte, den Wert der im Zuge des Vertrags von Versailles bevorstehenden Gebietsabtretung an Dänemark zu mindern, vgl. Eastern Provincial Court (Denmark), Schwerdtfeger v. Danish Government, in: Lauterpacht, Hersch/Williams, John Fischer, Annual Digest of Public International Law Cases, Years 1923 to 1924 (1933), 81 – 83. 125
44
Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
Auch vor internationalen (Schieds-)Gerichten hatte sich damals bereits die Frage nach einem rechtsverbindlichen Frustrationsverbot gestellt. Die wohl bedeutsamste Entscheidung ist dabei Megalidis v. Turkey aus dem Jahre 1928, in der sich ein Schiedsgericht mit Beschlagnahmungen befasste, die nach Unterzeichnung des Vertrags von Lausanne132 erfolgt waren. In diesem Zusammenhang stellte es fest, dass zwischen Unterzeichnung und Ratifikation eine Pflicht besteht, die Tragweite der Vertragsbestimmungen nicht zu beeinträchtigen.133 Die Existenz eines Frustrationsverbotes wurde in dieser Entscheidung aus Treu und Glauben abgeleitet und mit dem Argument untermauert, dass es auch bereits ausdrücklich in einige Verträge aufgenommen worden sei.134 Während sich dieses Schiedsgericht somit schon früh für die Existenz eines rechtsverbindlichen Frustrationsverbotes aussprach, ist die Position des Ständigen Internationalen Gerichtshofs weniger eindeutig. Dieser ließ 1926 in der Entscheidung Certain German Interests in Upper Silesia die Frage nach der Existenz des Frustrationsverbotes offen. Polen hatte in diesem Verfahren argumentiert, dass es Deutschland aufgrund der Unterzeichnung des Vertrages von Versailles verboten gewesen sei, im abzutretenden Gebiet belegenes Eigentum zu veräußern.135 Der Ständige Gerichtshof hingegen beschränkte sich auf die Feststellung, dass das fragliche Verhalten Deutschlands sogar nach der Ratifikation nicht verboten gewesen wäre und daher erst recht nicht gegen ein etwaiges Frustrationsverbot aus Treu und Glauben verstoßen hätte.136 Obwohl der Gerichtshof somit die Frage nach der Existenz des Frustrationsverbotes nicht beantwortet hat, wird von manchen Stimmen in der Literatur auch diese Entscheidung als Beleg für das Frustrationsverbot angeführt.137 Für diese Auffassung spricht, dass das Gericht die Existenz des Frustrationsverbotes zumindest nicht von vorneherein ablehnte. Somit gab es zwar auch im Jahre 1935 schon Beispiele für Staatenpraxis, doch genügte diese den Autoren des Harvard Drafts nicht, um die Existenz eines rechtsverbindlichen Frustrationsverbotes festzustellen. Denn sie hielten die Praxis
132
Treaty of Lausanne (24. 07. 1923), 28 League of Nations Treaty Series 12. Gemischtes Türkisch-Griechisches Schiedsgericht, Megalidis v. Turkey, Recueil des décisions des tribunaux arbitraux mixtes, Vol. XIII, Arbitral Award 386, 395. 134 Gemischtes Türkisch-Griechisches Schiedsgericht, Megalidis v. Turkey, Recueil des décisions des tribunaux arbitraux mixtes, Vol. XIII, (Fn. 133), 395. 135 Ständiger Internationaler Gerichtshof, Case Concerning Certain German Interests in Polish Upper Silesia, Merits (1926), Series A No. 7 4, 39 – 40. 136 Ständiger Internationaler Gerichtshof, Case Concerning Certain German Interests in Polish Upper Silesia, (Fn. 135), 39. 137 Siehe z. B. Law of Treaties, Report by Lauterpacht, in: Völkerrechtskommission, Yearbook of the International Law Commission, Vol. II (1953), 110; Laurence Boisson de Chazournes/Anne-Marie La Rosa/Makane Moïse Mbengue, Art. 18 VCLT, in: Corten, Olivier/ Klein, Pierre, The Vienna Conventions on the Law of Treaties (2011), 375 – 376 Rn. 11; kritisch hingegen: Jörg Paul Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht (1971), 157. 133
Kap. 1: Frustrationsverbot im Völkerrecht
45
nationaler und internationaler Gerichte zutreffender Weise für zu spärlich und die genannten Verträge für nicht verallgemeinerungsfähige Sonderfälle.138 b) Deutung der Staatenpraxis durch die Völkerrechtskommission Nach Gründung der Völkerrechtskommission im Jahr 1947139 begann diese mit ihren Arbeiten zum Vertragsvölkerrecht. Der erste der vier Sonderberichterstatter, James Brierly, folgte dabei noch der Ansicht des Harvard Drafts, dass das Frustrationsverbot nur eine sittliche Regel sei.140 Zwar sah er durchaus Anzeichen für das Bestehen einer rechtlichen Regel, doch hielt er die Belege für nicht eindeutig genug.141 Sein Nachfolger Sir Hersch Lauterpacht hingegen, hielt 1953 dieselben Belege für ausreichend, um das Frustrationsverbot als Rechtspflicht einzustufen.142 Dem schloss sich später auch der dritte Sonderberichterstatter Sir Gerald Fitzmaurice an.143 Einige Jahre später ging der vierte Sonderberichterstatter Sir Humphrey Waldock dann sogar so weit, zu behaupten, das Frustrationsverbot scheine von Fachleuten und internationalen Gerichten allgemein akzeptiert zu werden.144 In ähnlicher Weise bezeichnete der Kommentar der Völkerrechtskommission zum finalen Entwurf der Vertragsrechtskonvention im Jahr 1966 das Frustrationsverbot als allgemein anerkannt („generally accepted“).145 Somit haben drei der vier Sonderberichterstatter der Völkerrechtskommission vertreten, dass ihre Entwürfe zum heutigen Art. 18 WVK bestehendes Recht kodifizieren. Einige Stimmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur behaupten daher, die Völkerrechtkommission hätte die Existenz eines gewohnheitsrechtlichen Frustrationsverbotes angenommen.146 Dies ist so jedoch nicht richtig. Denn Lauterpacht stützte seinen Entwurf147 138
787.
Vgl. Draft Convention on the Law of Treaties with Commentary, (Fn. 119), 781, 784 –
139 Vgl. UN-Generalversammlung, Resolution 174 (II): Establishment of an International Law Commission (21. 11. 1947). 140 Vgl. Law of Treaties, Second Report by Brierly, (Fn. 119), 73. 141 Vgl. Law of Treaties, Third Report by Brierly, in: Völkerrechtskommission, Yearbook of the International Law Commission, Vol. II (1952), 54. 142 Vgl. Law of Treaties, Report by Lauterpacht, (Fn. 137), 110 – 111. 143 Law of Treaties, Report by Fitzmaurice, in: Völkerrechtskommission, Yearbook of the International Law Commission, Vol. II (1956), 122. 144 Law of Treaties, First Report by Waldock, in: Völkerrechtskommission, Yearbook of the International Law Commission, Vol. II (1962), 47. 145 Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries, (Fn. 17), 202. 146 So z. B. wohl Martin A. Rogoff, The International Legal Obligations of Signatories to an Unratified Treaty, (Fn. 118), 287. 147 Art. 5 II des Entwurfs von Lauterpacht lautete: „In all other cases the signature, or any other means of assuming an obligation subject to subsequent confirmation has no binding effect except that it implies the obligation, to be fulfilled in good faith: (a) […]; (b) To refrain, prior to ratification, from any act intended substantially to impair the value of the undertaking as signed“, siehe Law of Treaties, Report by Lauterpacht, (Fn. 137), 108.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
darauf, dass sich das Frustrationsverbot aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ableiten lässt und die vorhandene Praxis diese Schlussfolgerung stützt.148 Der Grundsatz von Treu und Glauben zählt zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen,149 welche neben Verträgen und Gewohnheitsrecht eine der drei in Art. 38 I IGH-Statut genannten Rechtsquellen des Völkerrechts darstellen.150 Insofern lag dem Entwurf von Lauterpacht gerade nicht die Auffassung zu Grunde, dass es sich beim Frustrationsverbot bereits um Gewohnheitsrecht handelt. Es ist nicht ersichtlich, dass seine Nachfolger bei der Völkerrechtskommission hierzu eine andere Meinung vertraten, zumal sie sich ausdrücklich auf ihn bezogen.151 Zwar enthält der finale Entwurf der Völkerrechtskommission von 1966152 anders als noch der Entwurf von 1964153 keinen ausdrücklichen Verweis auf den Grundsatz von Treu und Glauben mehr. Jedoch betrachtete die Völkerrechtskommission das Frustrationsverbot nach wie vor als dessen eigenständige und rechtsverbindliche Ausprägung.154 Insofern hat die Völkerrechtskommission ihren Entwürfen kein gewohnheitsrechtliches Frustrationsverbot, sondern ein dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben entspringendes Frustrationsverbot zu Grunde gelegt. Diese Deutung ist auch rechtsdogmatisch überzeugend. Denn die Annahme einer speziellen gewohnheitsrechtlichen Regel ist bei der damaligen geringen Staatenpraxis kaum haltbar. Staatenpraxis als Voraussetzung von Gewohnheitsrecht muss
148
Vgl. Law of Treaties, Report by Lauterpacht, (Fn. 137), 111. Marcus Kotzur, Good Faith (Bona fide) (2009), Rn. 22, online: https://opil.ouplaw.com/ view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1412?rskey=OW2bTd&re sult=2&prd=OPIL (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 150 Art. 38 I c) Statute of the International Court of Justice (26. 06. 1945), 33 United Nations Treaty Series 993. 151 Vgl. Law of Treaties, First Report by Waldock, (Fn. 144), 47; Law of Treaties, Report by Fitzmaurice, (Fn. 143), 122. 152 Art. 15 des finalen Entwurfs der Völkerrechtskommission lautete: „A State is obliged to refrain from acts tending to frustrate the object and purpose of a treaty when: (a) […]; (b) It has signed the treaty subject to ratification, acceptance or approval, until it shall have made its intention clear not to become a party to the treaty; (c) It has expressed its consent to be bound by the treaty, pending the entry into force of the treaty and provided that such entry into force is not unduly delayed.“, siehe Art. 15 Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries, (Fn. 17), 202. 153 Art. 9 II c) im ersten Bericht von Sonderberichterstatter Waldock lautete: „The signatory State, during the period before it shall have notified to the other States concerned its decision in regard to the ratification or acceptance of the treaty or, failing any such notification, during a reasonable period, shall be under an obligation in good faith to refrain from any action calculated to frustrate the objects of the treaty or to impair its eventual performance.“, siehe Law of Treaties, First Report by Waldock, (Fn. 144), 46. 154 Siehe hierzu insbesondere die Diskussionsbeiträge von Mr. Ago und Mr. Bartos, dem Vorsitzenden, in der 812. Sitzung der Völkerrechtskommission, 812th Meeting – 28 June 1965, in: Völkerrechtskommission, Yearbook of the International Law Commission, Vol. I (1965), 262 – 263, Rn. 102, Rn. 104. 149
Kap. 1: Frustrationsverbot im Völkerrecht
47
extensiv und nahezu einheitlich sein.155 Davon kann beim Frustrationsverbot jedenfalls vor der Wiener Vertragsrechtskonferenz in den Jahren 1968 und 1969 nicht die Rede sein. Vielmehr könnte man schon die Gleichförmigkeit bezweifeln. Wie bereits die Autoren des Harvard Draft feststellten, gingen die Vertragsbestimmungen der Berliner Generalakte156 und des Vertrages zur Begrenzung von Schiffsbewaffnung157 in ihrem Umfang inhaltlich über das Frustrationsverbot hinaus.158 Somit kann das Frustrationsverbot also vor der Wiener Vertragsrechtskonferenz mangels ausreichender gleichförmiger Staatenpraxis nicht als eigenständiges Gewohnheitsrecht qualifiziert werden. c) Staatenpraxis auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz Um den Mangel an Staatenpraxis zu kompensieren, argumentieren Befürworter eines Art. 18 WVK vorausgehenden gewohnheitsrechtlichen Frustrationsverbotes mit dem Verhalten der Staatendelegierten auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz.159 Dort wurde der heutige Art. 18 WVK ohne Gegenstimmen beschlossen,160 nachdem ein umstrittener Absatz, der ihn auf die Verhandlungsphase ausdehnte,161 gestrichen worden war.162 Diese Einstimmigkeit wird als Beleg dafür gedeutet, dass bereits eine
155 Internationaler Gerichtshof, North-Sea Continental Shelf (Federal Republic of Germany/Denmark; Federal Republic of Germany/Netherlands), Merits (1969) ICJ Reports 3, 42 – 43 Rn. 73 – 74. 156 Vgl. Art. 38 General Act of the Conference of Berlin Concerning the Congo, (Fn. 125). 157 Vgl. Art. 19 Limitation of Naval Armament (1922), (Fn. 127). 158 Der Kommentar zum Harvard Draft stellt fest, dass die Vertragsklauseln Zuwiderhandeln gegen Bestimmungen des Vertrages verbieten, wohingegen das Frustrationsverbot nach dem Verständnis des Harvard Draft nur verlangt, dass der Vertrag bei Inkrafttreten erfüllbar bleibt, siehe Draft Convention on the Law of Treaties with Commentary, (Fn. 119), 787. 159 So z. B. Joni S. Charme, The Interim Obligation of Article 18 of the Vienna Convention on the Law of Treaties: Making Sense of an Enigma, (Fn. 118), 84 – 85; Mark E. Villiger, Customary International Law and Treaties, (Fn. 128), 320 – 321 Rn. 468. 160 Tenth Plenary Meeting, in: United Nations, Official Records of the United Nations Conference on the Law of Treaties, Second Session (Summary Records of the Plenary Meetings and of the Meetings of the Committee of the Whole) (1969), 29 Rn. 26. 161 Art. 15 lit. a) des Entwurfs lautete: „A State is obliged to refrain from acts tending to frustrate the object of a proposed treaty when: (a) It has agreed to enter into negotiations for the conclusion of the treaty, while these negotiations are in progress; (b) […]“, siehe Draft Articles on the Law of Treaties, in: Völkerrechtskommission, Yearbook of the International Law Commission, Vol. II (1966), 179; für eine ausführliche Darstellung der kritischen Diskussionen auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz siehe Tariq Hassan, Good Faith in Treaty Formation, 21 Virginia Journal of International Law (1981) 443, 473 – 476. 162 Der Absatz wurde auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz mit 50 zu 33 Stimmen und 11 Enthaltungen gestrichen, vgl. 20th Meeting of the Committee of the Whole, in: United Nations, Official Records of the United Nations Conference on the Law of Treaties, First Session (Summary Records of the Plenary Meetings and of the Meetings of the Committee of the Whole) (1968), 106 Rn. 47.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
gewohnheitsrechtliche Regelung existierte.163 Dies ist aber nicht zwingend. Denn die Einstimmigkeit mag zwar darauf hindeuten, dass es sich nur um die Kodifikation einer bereits bestehenden Regelung handelte. Dies sagt aber nichts darüber aus, ob diese Gewohnheitsrecht darstellte oder auf dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben beruhte. Im Ergebnis ist daher anzunehmen, dass das Frustrationsverbot zwar bereits vor Art. 18 WVK als Rechtsregel existierte, es sich aber nicht um eigenständiges Gewohnheitsrecht, sondern eine Ausprägung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben handelte. Somit stellte das Frustrationsverbot vor Abschluss der Wiener Vertragsrechtskonvention noch keine gewohnheitsrechtliche Regel dar. 2. Gegenwärtiger Status Heute wird Art. 18 WVK als Kodifizierung von Gewohnheitsrecht angesehen.164 Anders als früher gibt es inzwischen hinreichende Staatenpraxis, die das Frustrationsverbot als völkerrechtlich verankerte Norm belegt. So gibt es z. B. zwei Resolutionen der Generalversammlung, in der Staaten dazu aufgerufen werden, sich aller Handlungen zu enthalten, die das damals noch nicht in Kraft getretene Seerechtsübereinkommen bzw. das Übereinkommen von 1994 über Teil XI des Seerechtsübereinkommens unterminieren würden.165 Ein aktuelleres Beispiel sind die finalen Erklärungen der regelmäßig stattfindenden Konferenzen zum Inkrafttreten des Kernwaffenteststopp-Vertrages.166 Darüber hinaus haben Nichtparteien der Wiener Vertragsrechtskonvention,167 wie z. B. die USA, Art. 18 WVK ausdrücklich als
163
So z. B. Joni S. Charme, The Interim Obligation of Article 18 of the Vienna Convention on the Law of Treaties: Making Sense of an Enigma, (Fn. 118), 84 – 85; Mark E. Villiger, Customary International Law and Treaties, (Fn. 128), 320 – 321 Rn. 468. 164 Oliver Dörr, Art. 18 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 118), 245 – 246 Rn. 5; Laurence Boisson de Chazournes/Anne-Marie La Rosa/Makane Moïse Mbengue, Art. 18 VCLT, in: Corten/Klein, (Fn. 137), 382 – 383 Rn. 21; Curtis A. Bradley, Treaty Signature, (Fn. 16), 212 – 213. 165 UN-Generalversammlung, Resolution 38/59 A: Third United Nations Conference on the Law of the Sea (14. 12. 1983); UN-Generalversammlung, Resolution 48/263: Agreement relating to the implementation of Part XI of the United Nations Convention on the Law of the Sea of 10 December 1982 (28. 07. 1994). 166 Siehe z. B. Conference on Facilitating the Entry into Force of the Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty, Final Declaration (24. 09. 2021), online: https://www.ctbto.org/filead min/user_upload/Art_14_2021/CTBT-Art-XIV-2021-6.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022), Nr. 5; Conference on Facilitating the Entry into Force of the Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty, Final Declaration (29. 09. 2015), online: https://www.ctbto.org/fileadmin/user_upload/ Art_14_2015/FINAL_DECLARATION.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022), Nr. 5. 167 Für eine Auflistung der Parteien der Wiener Vertragsrechtskonferenz siehe: https://trea ties.un.org/Pages/showDetails.aspx?objid=080000028003902f&clang=_en (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022).
Kap. 1: Frustrationsverbot im Völkerrecht
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Gewohnheitsrecht bezeichnet.168 Ebenso gehen Staaten selbst dann von der Geltung des Frustrationsverbotes aus, wenn ihr Kooperationspartner nicht Partei der Wiener Vertragsrechtskonvention ist.169 Einen weiteren Beleg für die gewohnheitsrechtliche Natur des Frustrationsverbotes stellen die Entscheidungen innerstaatlicher Gerichte dar. Diese erwähnen manchmal Art. 18 WVK, obwohl ihr Staat zum fraglichen Zeitpunkt (noch) nicht Partei der Wiener Vertragsrechtskonvention war.170 Inzwischen gibt es daher zahlreiche Fälle, in denen Staaten sich über einen längeren Zeitraum hinweg in gleichförmiger Weise auf eine in Art. 18 WVK niedergeschriebene gewohnheitsrechtliche Regel berufen. Folglich ist heute davon auszugehen, dass das Frustrationsverbot Gewohnheitsrecht darstellt. Somit war Art. 18 WVK ursprünglich zwar keine Kodifikation von Gewohnheitsrecht, hat inzwischen aber zur Entstehung einer solchen gewohnheitsrechtlichen Regelung geführt. Da die Staatenpraxis typischerweise auf Art. 18 WVK Bezug nimmt oder dessen Wortlaut wiederholt, ist der Inhalt des gewohnheitsrechtlichen Frustrationsverbotes identisch mit dem des vertraglichen Frustrationsverbotes in Art. 18 WVK.
III. Frustrationsverbot als Ausprägung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben Aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben, dessen beide Kernaspekte der Vertrauensschutz und das Verbot des Rechtsmissbrauchs sind, speisen sich eine Reihe konkreter Normen.171 Das Frustrationsverbot ist auch heute noch eine Konkretisierung dieses Grundsatzes (1.) und kann von anderen Ausprägungen abgegrenzt werden (2.).
168
United States: Transmittal of Vienna Convention of the Law of Treaties to U.S. Senate, 11 International Legal Materials (1972) 234, 235. 169 In einem kanadischen Memorandum zu einem bilateralen Vertrag mit den USA, wird die Pflicht aus Art. 18 WVK erwähnt, obwohl die USA keine Partei der Wiener Vertragsrechtskonvention sind. Für den entsprechenden Auszug aus dem Memorandum siehe M. D. Copithorne, Canadian Practice in International Law during 1977 as Reflected Mainly in Public Correspondence and Statements of the Department of External Affairs, 16 Canadian Yearbook of International Law (1978) 359, 366. 170 Erwähnung fand Art. 18 WVK z. B. in den Urteilen von Gerichten in Benin, Ghana und den USA. Siehe Benin Supreme Court, Legal Opinion on Compabilitiy of a proposed bilateral Immunities Agreement with the Rome Statute, Legal Opinion (2003), Case No 029–C, ILDC 844 (BJ 2003) Translated in: Oxford Reports on International Law in Domestic Courts, Rn. 35; Supreme Court (Ghana), Delmas America Africa Line Incorporated v Kisko Products Ghana Limited, Appeal decision (2005), Civil Appeal No J4/28/2004, ILDC 1487 (GH 2005) Translated in: Oxford Reports on International Law in Domestic Courts, Rn. 45; United States Court of Appeals, 1st Circuit, Mayagüezanos por la Salud y el Ambiente, et al. v. United States (1999), No. 99 – 1412, Fn. 14. 171 Robert Kolb, La bonne foi en droit international public (1), 31 Revue Belge de Droit International (1998) 661, 674.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
1. Frustrationsverbot aus dem Grundsatz von Treu und Glauben Wie oben bereits dargelegt wurde, hat sich das Frustrationsverbot historisch aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben entwickelt.172 Die Verbindung zu diesem Rechtsgrundsatz ist bis heute erhalten geblieben. Denn auch in neueren Urteilen wird Art. 18 WVK als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben bezeichnet.173 Der Grundsatz von Treu und Glauben bindet Staaten bereits in außervertraglichen Beziehungen und verstärkt diese Bindungen, wenn sie freiwillig in das Vertragsschlussverfahren eintreten.174 Ein Kernaspekt dieses Grundsatzes ist der Vertrauensschutz, das heißt der Schutz der durch ein Verhalten hervorgerufenen berechtigten Erwartungen. Der zweite Kernaspekt ist das Verbot des Rechtsmissbrauchs, welches Gemeinschaftsinteressen gegenüber der exzessiven Verfolgung von Individualinteressen schützt.175 Beim Frustrationsverbot handelt es sich um eine Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben, die teilweise dem Aspekt des Vertrauensschutzes und teilweise dem Aspekt des Verbots des Rechtsmissbrauchs zugeordnet wird.176 Stimmen in der Literatur die der Figur des Rechtsmissbrauchs zuneigen, verstehen das Frustrationsverbot als Verbot für Staaten, ihre vor Inkrafttreten des Vertrages fortbestehende souveräne Handlungsfreiheit in einer Weise auszunutzen, die anderen schadet.177 Demgegenüber sehen Auffassungen die dem Vertrauensschutzkonzept zuneigen das Frustrationsverbot als Verbot, einen Vertrag zu unterminieren, solange andere Staaten auf diesen vertrauen.178 Wie sich später zeigen wird, sind die beiden Strömungen nicht nur von theoretischem Interesse, sondern beeinflussen auch, wie das Frustrationsverbot jeweils ausgelegt wird.179 Lässt man Art. 18 WVK und das
172
Zur Entstehungsgeschichte des Frustrationsverbotes siehe Kapitel 1 A.II.1. Vgl. Gericht Erster Instanz, Hellenische Republik v. Kommission (2007), T–231/04, Slg. 2007 S. II–66, II 92 Rn. 85 – 86; International Centre for Settlement of Investment Disputes, Power Group v. Ecuador, Arbitral Award (2007), ICSID Case No. ARB/03/6, 24 Rn. 108; International Centre for Settlement of Investment Disputes, Tecmed v. Mexico, Arbitral Award (2003), Case No. ARB (AF/00/2), 22 Rn. 70. 174 Rudolf Bernhardt, Völkerrechtliche Bindungen in den Vorstadien des Vertragsschlusses, 18 Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (1957) 652, 653 – 654. 175 Robert Kolb, La bonne foi en droit international public (1), (Fn. 171), 674. 176 Robert Kolb, La bonne foi en droit international public (1), (Fn. 171), 710. 177 Vgl. z. B. Tariq Hassan, Good Faith in Treaty Formation, (Fn. 161), 448 – 449; Martin A. Rogoff, The International Legal Obligations of Signatories to an Unratified Treaty, (Fn. 118), 291 – 296. 178 Vgl. z. B. Alfred Verdross/Bruno Simma, Universelles Völkerrecht: Theorie und Praxis (3. Aufl. 1984), 454 Rn. 705; Robert F. Turner, Legal Implications of Deferring Ratification of SALT II, 21 Virginia Journal of International Law (1981) 747, 777; Jörg Paul Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, (Fn. 137), 163 – 164. 179 So halten z. B. Stimmen in der Literatur, die eher der Figur des Rechtsmissbrauchs zuneigen, eine Frustrationsabsicht für erforderlich, wohingegen Auffassungen, die das Frustrationsverbot dem Vertrauensschutz zuordnen, auf das Vorliegen berechtigter Erwartungen im 173
Kap. 1: Frustrationsverbot im Völkerrecht
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ihm entsprechende Gewohnheitsrecht einmal außer Acht, sind beide Ansichten für die Begründung eines Frustrationsverbotes aus Treu und Glauben gleichermaßen plausibel. Schließlich verkörpern sie die verschiedenen Seiten des ihm zu Grunde liegenden Grundsatzes von Treu und Glauben. 2. Verhältnis zu anderen Ausprägungen von Treu und Glauben Das Frustrationsverbot ist eine, aber nicht die einzige von mehreren eigenständigen Ausprägungen des Grundsatzes von Treu und Glauben.180 Insofern soll im Folgenden näher ausgeführt werden, wie es sich zu anderen Ausprägungen des Grundsatzes verhält. Für die Beantwortung der Frage, welche völkerrechtlichen Pflichten allein durch den Akt der Unterzeichnung oder Ratifikation ausgelöst werden, ist das Frustrationsverbot lex specialis. Entsprechend dürfen seine Voraussetzungen und Wirkungen nicht dadurch unterlaufen werden, dass andere Konkretisierungen von Treu und Glauben – die wiederum abweichende Voraussetzungen und Wirkungen haben – auf diese beiden Akte angewendet werden. Daher kann ein Verstoß gegen andere Ausprägungen des Grundsatzes von Treu und Glauben nur vorliegen, wenn er auf Umstände gestützt wird, die zusätzlich zur Unterzeichnung oder Ratifikation vorliegen.181 Dies kann am Beispiel des Verhältnisses des Frustrationsverbotes zu Vertrauensschutz und Estoppel (a)) und dem Verbot des Rechtsmissbrauchs (b)) illustriert werden. a) Vertrauensschutz und Estoppel Dem Grundsatz des Vertrauensschutzes kommt neben dem Frustrationsverbot eine eigenständige Bedeutung zu, wenn ein Staat über Unterzeichnung und Ratifikation hinaus mit weiteren Handlungen berechtigte Erwartungen geweckt hat.182 Diese Situation lag z. B. in dem Fall Hellenische Republik v. Kommission183 vor, der von dem Gericht erster Instanz entschieden wurde. In diesem Fall ging es um die Frage, ob Griechenland finanzielle Verpflichtungen in Bezug auf ein gemeinsames Einzelfall oder den Erhalt des status quo abstellen. Zu den einzelnen Ansichten siehe infra Kapitel 1 B.II. 180 Für eine Aufzählung der verschiedenen Konkretisierungen von Treu und Glauben siehe Robert Kolb, La bonne foi en droit international public (1), (Fn. 171), 674. 181 Im Ergebnis so auch Klabbers bei der Abgrenzung von Frustrationsverbot und Estoppel, Jan Klabbers, Strange Bedfellows: The „Interim Obligation“ and the 1993 Chemical Weapons Convention, in: Myjer, Eric P., Issues of Arms Control Law and the Chemical Weapons Convention (2001), 27. 182 Der Grundsatz des Vertrauensschutzes erschöpft sich nicht im Frustrationsverbot, sondern gilt während der Vertragsanbahnung auch darüber hinaus in besonderem Maße, vgl. Jörg Paul Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, (Fn. 137), 154 – 155. 183 Gericht Erster Instanz, Hellenische Republik v. Kommission, (Fn. 173).
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Projekt auf sich genommen hatte, obwohl es die entsprechende Zusatzvereinbarung erst unterzeichnet und noch nicht ratifiziert hatte. Das Gericht Erster Instanz erwähnte in diesem Zusammenhang das Frustrationsverbot aus Art. 18 WVK, stützte die Zahlungspflicht letztendlich aber auf den Grundsatz von Treu und Glauben.184 Grund hierfür war, dass Griechenland sich in Bezug auf das gemeinsame Projekt wie ein Teilnehmer verhalten hatte, indem es unter anderem an der Planung und in Ausschüssen teilgenommen sowie Ausgaben genehmigt hatte.185 Dadurch erzeugte Griechenland bei den anderen Teilnehmern die berechtigte Erwartung, es werde seine finanziellen Verpflichtungen erfüllen. Dem konnte es sich nach Treu und Glauben nicht durch den Verweis auf die noch nicht erfolgte Ratifikation der Zusatzvereinbarung entziehen.186 Ob das Gericht Erster Instanz hier den europarechtlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes oder den völkerrechtlichen Grundsatz von Treu und Glauben angewendet hat, ist nicht klar.187 Da beide Grundsätze sich teilweise decken,188 ist dies aber auch nicht von Bedeutung. Denn man hätte das Urteil jedenfalls auch auf den völkerrechtlichen Grundsatz von Treu und Glauben stützen können, wie die spätere Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zeigt.189 Damit folgte er dem Generalanwalt, der mit Estoppel als Ausprägung des völkerrechtlichen Grundsatzes von Treu und Glauben argumentiert hatte.190 Das völkerrechtliche Estoppel-Prinzip verbietet es Staaten, eine Situation in einer Weise darzustellen, die einer früheren Darstellung widerspricht, auf die ein anderer Staat sich verlassen hat und auch verlassen durfte.191
184 Vgl. Gericht Erster Instanz, Hellenische Republik v. Kommission, (Fn. 173), II 96 Rn. 97 – 99; so auch Jed Odermatt, The Use of International Treaty Law by the Court of Justice of the European Union, 17 Cambridge Yearbook of European Legal Studies (2015) 121, 129. 185 Vgl. Gericht Erster Instanz, Hellenische Republik v. Kommission, (Fn. 173), II 96 Rn. 97 – 99. 186 Gericht Erster Instanz, Hellenische Republik v. Kommission, (Fn. 173), II 96 – 97 Rn. 99. 187 Das Gericht Erster Instanz führt den völkerrechtlichen Grundsatz von Treu und Glauben auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes zurück, der seinerseits Teil des Gemeinschaftsrechts ist. Insofern wird nicht klar, ob Völkerrecht, Europarecht oder gar beides angewendet wird. Vgl. Gericht Erster Instanz, Hellenische Republik v. Kommission, (Fn. 173), II 93 Rn. 87. 188 Laut Generalanwalt Mazák decken sich der europäische Grundsatz des Vertrauensschutzes und der völkerrechtliche Grundsatz von Treu und Glauben teilweise, wobei letzterer aber weiter gefasst ist. Siehe hierzu Schlussanträge des Generalanwalts Mazák, Europäischer Gerichtshof, Hellenische Republik v. Kommission (2008), Rs. C–203/07 P, Rn. 78 Fn. 24; für einen Vergleich zwischen dem völkerrechtlichen Frustrationsverbot und dem europäischen Grundsatz des Vertrauensschutzes siehe infra Kapitel 8 C.I.1. 189 Vgl. Europäischer Gerichtshof, Hellenische Republik v. Kommission (2008), Rs. C–203/07 P, Rn. 64. 190 Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Mazák, Europäischer Gerichtshof, Hellenische Republik v. Kommission, (Fn. 188), Rn. 78 – 83. 191 Dissenting Opinion of Sir Percy Spencer, Internationaler Gerichtshof, Case Concerning the Temple of Preah Vihear (Cambodia v. Thailand), Merits, 1962 ICJ Reports 101, 143 – 144.
Kap. 1: Frustrationsverbot im Völkerrecht
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Somit illustriert der Fall Hellenische Republik v. Kommission, dass bei Pflichten aus einem noch nicht in Kraft getretenen Vertrag auch der völkerrechtliche Grundsatz des Vertrauensschutzes oder das Estoppel-Prinzip eine Rolle spielen kann. Wie das Beispiel der Zahlungspflicht zeigt, können sich dadurch Rechtsfolgen ergeben, die dem Vertragsinhalt entsprechen und damit über das Frustrationsverbot hinausgehen.192 Trotzdem sollte dies nicht als Umgehung des engeren Frustrationsverbotes gesehen werden. Schließlich kann der Vertrauensschutz anders als das Frustrationsverbot nicht allein auf die Akte der Unterzeichnung oder Ratifikation gestützt werden, sondern bedarf zusätzlicher Anhaltspunkte. b) Verbot des Rechtsmissbrauchs Eine weitere Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben, die neben oder statt des Frustrationsverbotes betroffen sein kann, ist die Figur des Rechtsmissbrauchs. Die Existenz des Prinzips des Rechtsmissbrauchs war im Völkerrecht ursprünglich umstritten, lässt sich aber in der Staatenpraxis nachweisen und wird inzwischen von der Literatur überwiegend anerkannt.193 Ein Rechtsmissbrauch liegt demnach in drei verschiedenen Situationen vor: Erstens, wenn ein Staat ein Recht in einer Weise ausübt, die einen anderen Staat an der Ausübung eigener Rechte hindert und dadurch schädigt. Zweitens, wenn durch die absichtliche, zweckwidrige Ausübung eines Rechts ein Schaden verursacht wird. Drittens, wenn die willkürliche Ausübung eines Rechts andere Staaten zwar schädigt, aber nicht deren Rechte verletzt.194 Die Figur des Rechtsmissbrauchs ist grundsätzlich neben dem Frustrationsverbot anwendbar. Allerdings sind die Voraussetzungen des Frustrationsverbotes leichter zu erfüllen, da es weder eine Frustrationsabsicht noch einen konkreten Schaden voraussetzt.195 Insofern dürfte es in der Praxis kaum Veranlassung dafür geben, statt seiner auf die Figur des Rechtsmissbrauchs zurückzugreifen.
192 Das Frustrationsverbot kann sich zwar im Einzelfall mit einer Pflicht aus dem Vertrag überschneiden, muss sich grundsätzlich aber von der Vertragserfüllung unterscheiden. Für nähere Ausführungen hierzu siehe infra Kapitel 1 B.I. 193 Robert Kolb, La bonne foi en droit international public (1), (Fn. 171), 719 – 720. 194 Für eine ausführlichere Darstellung der drei Situationen siehe Alexandre Kiss, Abuse of Rights (2006), 4 – 6, online: https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/ law-9780199231690-e1371?rskey=JbF216&result=1&prd=OPIL (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 195 Vgl. International Centre for Settlement of Investment Disputes, Tecmed v. Mexico, (Fn. 173), 23 Rn. 71.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
IV. Keine Ableitung aus dem Vertrag oder Nebenabrede Stützt man das Frustrationsverbot auf die bisher dargestellten drei Rechtsquellen, handelt es sich um eine eigenständige Norm des allgemeinen Völkerrechts, auch wenn ihr Inhalt auf einen bestimmten Vertrag bezogen ist.196 Theoretisch denkbar wäre es aber auch, das Frustrationsverbot direkt auf den jeweiligen Vertrag selbst (1.) bzw. eine stillschweigende Nebenabrede zu diesem zu stützen (2.). 1. Keine Rückwirkung der Ratifikation Vereinzelt scheint das Frustrationsverbot als eine Art Rückwirkung der Ratifikation des jeweiligen Vertrages gesehen zu werden.197 Dies hätte zwei Konsequenzen: Erstens könnte eine Verletzung des Frustrationsverbotes nur vorliegen, wenn der fragliche Vertrag später tatsächlich ratifiziert wird.198 Zweitens könnte der Inhalt des Frustrationsverbotes weit ausgelegt werden, da es sich auf den nun ratifizierten Vertrag stützen würde.199 Allerdings ist es nicht überzeugend, das Frustrationsverbot als Rückwirkung der Ratifikation des jeweiligen Vertrages zu deuten. Denn mit dem Erfordernis der Ratifikation vereinbaren die Staaten gerade, dass die Vertragswirkungen erst ab dieser eintreten sollen.200 Hierfür spricht auch, dass völkerrechtliche Verträge grundsätzlich keine retroaktiven Wirkungen haben.201 Zudem wäre die Konstruktion einer retroaktiven Wirkung nicht im Einklang mit der Staatenpraxis. Denn die oben genannten Resolutionen zur Seevölkerrechtskonvention, die finale Erklärung zum Kernwaffenteststopp-Vertrag sowie viele weitere Belege für ein gewohnheitsrechtliches Frustrationsverbot betreffen Verträge, deren spätere Ratifikation noch ungewiss war.202 Dennoch wurde in Schiedsgerichtsverfahren erfolglos versucht, durch das Frustrationsverbot eine retroaktive Wirkung von Verträgen zu konstruieren. Im Fall Tecmed v. Mexico versuchte Tecmed unter anderem mit dem Frustrationsverbot zu 196
Vgl. Oliver Dörr, Art. 18 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 118), 244 – 245 Rn. 4 – 5. Vgl. z. B. Werner Morvay, The Obligation of a State not to Frustrate the Object of a Treaty Prior to its Entry into Force, (Fn. 69), 455, 458. 198 Vgl. Werner Morvay, The Obligation of a State not to Frustrate the Object of a Treaty Prior to its Entry into Force, (Fn. 69), 455. 199 Dörr z. B. begründet das Abstandsgebot zwischen Frustrationsverbot und Vertragserfüllung damit, dass die Pflichten aus dem Vertrag erst nach Ratifikation und Inkrafttreten entstehen sollen. Dieses Argument würde bei einer Rückwirkung der Ratifikation entfallen und damit den Weg für eine weite Auslegung des Frustrationsverbotes frei machen. Vgl. Oliver Dörr, Art. 18 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 118), 255 Rn. 29. 200 Vgl. Jörg Paul Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, (Fn. 137), 162. 201 Vgl. Art. 28 WVK; International Centre for Settlement of Investment Disputes, Tecmed v. Mexico, (Fn. 173), 20 Rn. 63. 202 Zu den Belegen für das gewohnheitsrechtliche Frustrationsverbot siehe Kapitel 1 A.II.2. 197
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begründen, dass die Zuständigkeit des Schiedsgerichts in zeitlicher Hinsicht auch schon Handlungen von Mexiko erfasst, die vor Inkrafttreten des relevanten Investitionsschutzvertrages lagen.203 Das Schiedsgericht hingegen betonte in seiner Entscheidung den Grundsatz der Nichtretroaktivität und berücksichtige Handlungen vor Inkrafttreten nur insoweit als sie sich auf das Verhalten Mexikos nach Inkrafttreten auswirkten.204 Dabei stellte es in einer Fußnote ausdrücklich klar, dass das Frustrationsverbot keine Ausnahme vom Grundsatz der Nichtretroaktivität ist, sondern auf einer eigenständigen Regel des allgemeinen Völkerrechts beruht.205 Wenige Jahre später wurde das Frustrationsverbot in Power Group v. Ecuador ausführlich von der retroaktiven Vertragswirkungen abgegrenzt,206 nachdem Power Group über das Frustrationsverbot die Berücksichtigung von Handlungen Ecuadors erreichen wollte, die bereits vor Inkrafttreten erfolgt waren.207 Heute darf daher in Literatur und Rechtsprechung als geklärt gelten, dass das Frustrationsverbot keine retroaktive Wirkung des Vertrages darstellt. 2. Keine stillschweigende Nebenabrede Erwogen wird auch, das Frustrationsverbot auf eine stillschweigende Nebenabrede zum jeweiligen Vertrag zu stützen.208 Dies erscheint jedoch insoweit wenig überzeugend, als im Völkerrecht stillschweigende Übereinkünfte ohne einen ausdrücklichen Rechtsbindungswillen nur zurückhaltend angenommen werden.209 So stellte der Internationale Gerichtshof im North Sea Continental Shelf Case klar, dass allenfalls ein sehr eindeutiges und sehr konsistentes Verhalten eine stillschweigende Übernahme von Pflichten begründen kann.210 Sollte man trotz der gebotenen Zu203
Für die Zusammenfassung der Argumentation Tecmeds siehe International Centre for Settlement of Investment Disputes, Tecmed v. Mexico, (Fn. 173), 14 – 15 Rn. 53. 204 Vgl. International Centre for Settlement of Investment Disputes, Tecmed v. Mexico, (Fn. 173), 20 – 23 Rn. 63, 67 – 68, 70 – 71. 205 Vgl. International Centre for Settlement of Investment Disputes, Tecmed v. Mexico, (Fn. 173), 23 Fn. 39. 206 Für eine ausführliche Abgrenzung des Frustrationsverbotes von retroaktiven Wirkungen des Vertrages siehe International Centre for Settlement of Investment Disputes, Power Group v. Ecuador, (Fn. 173), 24 – 27 Rn. 108 – 117. 207 Für eine Zusammenfassung der entsprechenden Argumentation von Power Group siehe International Centre for Settlement of Investment Disputes, Power Group v. Ecuador, (Fn. 173), 13 Rn. 55 – 56, 22 – 23 Rn. 98 – 102. 208 Möglich halten dies: Michael Thaler, Enthält das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge verfassungsändernde Bestimmungen?, in: Mayer, Heinz/Jabloner, Clemens/ Kucsko-Stadlmayer, Gabriele/Laurer, René/Ringhofer, Kurt/Thienel, Rudolf, Staatsrecht in Theorie und Praxis (1991), 688 – 689; Jörg Paul Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, (Fn. 137), 163. 209 Vgl. Martin A. Rogoff, The International Legal Obligations of Signatories to an Unratified Treaty, (Fn. 118), 289. 210 Vgl. Internationaler Gerichtshof, North-Sea Continental Shelf (Federal Republic of Germany/Denmark; Federal Republic of Germany/Netherlands), (Fn. 155), 25 – 26 Rn. 27 – 28.
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rückhaltung eine Nebenabrede annehmen, müsste diese jedenfalls im Einzelfall bewiesen werden,211 was Schwierigkeiten bereitet. Auch in der Staatenpraxis oder in Gerichtsurteilen wird das Frustrationsverbot nicht als stillschweigende Nebenabrede konstruiert. Folglich kann das Frustrationsverbot nicht auf den jeweiligen Vertrag selbst oder eine Nebenabrede zu diesem gestützt werden.
V. Verhältnis der drei Rechtsquellen Im Ergebnis lässt sich das Frustrationsverbot also nicht auf den jeweiligen Vertrag selbst bzw. eine Nebenabrede zu diesem stützen. Vielmehr ist es Teil des allgemeinen Völkerrechts und beruht auf drei unabhängigen Rechtsquellen: Dem vertraglichen Art. 18 WVK, Gewohnheitsrecht und dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben.212 Dies wirft die Frage auf, in welchem Verhältnis die drei Rechtsquellen zueinanderstehen und welche Rechtsquelle vorgeht. Wie sich später zeigen wird, ist diese Frage nicht nur von theoretischem Interesse, da das Frustrationsverbot aus Treu und Glauben von der vertraglichen und gewohnheitsrechtlichen Version abweichen kann.213 Denn als Ausprägung des abstrakten Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben ist dessen Inhalt nicht klar umgrenzt und kann mit Vertrauensschutz und Rechtsmissbrauch auf zwei unterschiedliche Aspekte gestützt werden. Ausgangspunkt für das Verhältnis der verschiedenen Rechtsquellen des Frustrationsverbotes sind die allgemeinen Kollisionsregeln. Grundsätzlich sind die verschiedenen Rechtsquellen des Völkerrechts gleichrangig.214 Sofern auf verschiedenen Rechtsquellen beruhende Normen voneinander abweichen, gilt daher, dass spezielleres Recht allgemeineres Recht (sog. lex specialis-Grundsatz) und jüngeres Recht älteres Recht verdrängt (sog. lex posterior-Grundsatz).215 Wie oben dargelegt,216 entstand das Frustrationsverbot zunächst als Ausprägung des Rechtsgrundsatzes von Treu und Glauben. Dieser führte dazu, dass Art. 18 in die Wiener Vertragsrechtskonvention aufgenommen wurde. Das gewohnheitsrechtliche Frustrationsverbot wiederum entstand frühestens217 mit Abschluss der Wiener Vertragsrechtskonvention, da sich für die Zeit davor keine ausreichende Staatenpraxis 211
Jörg Paul Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, (Fn. 137), 163. So z. B. wohl auch Tariq Hassan, Good Faith in Treaty Formation, (Fn. 161), 458 – 459. 213 Siehe hierzu infra Kapitel 1 B.III.2. 214 Rüdiger Wolfrum, Sources of International Law (2011), Rn. 11, online: https://opil.oup law.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1471?rskey=fgL taV&result=9&prd=OPIL (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 215 Ibid. 216 Zur Entstehungsgeschichte des Frustrationsverbotes siehe Kapitel 1 A.II.1. 217 Ein exakter Zeitpunkt für die Entstehung des gewohnheitsrechtlichen Frustrationsverbotes kann nicht ermittelt werde, da – wie auch bei vielen anderen gewohnheitsrechtlichen Regeln – kaum festgestellt werden kann, wann genau die Staatenpraxis das erforderliche Ausmaß erreicht hat. 212
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nachweisen lässt. Die nachfolgende Staatenpraxis wiederum beschränkt sich größtenteils darauf, Art. 18 WVK zu nennen oder seinen Wortlaut wiederzugeben.218 Insofern kann das Verhältnis zwischen dem gewohnheitsrechtlichen und dem vertraglichen Frustrationsverbot dahinstehen, da sich das gewohnheitsrechtliche Frustrationsverbot aus Art. 18 WVK entwickelt hat und mit diesem inhaltlich identisch ist. Nicht dahinstehen kann jedoch, in welchem Verhältnis das gewohnheitsrechtliche und vertragliche Frustrationsverbot zum Frustrationsverbot aus Treu und Glauben stehen. Hier ergibt sich bei Anwendung der allgemeinen Kollisionsregeln jedoch eine klare Rangfolge: Die späteren und spezielleren Frustrationsverbote aus Gewohnheitsrecht und dem vertraglichen Art. 18 WVK gehen dem früheren und allgemeineren Frustrationsverbot aus Treu und Glauben im Konfliktfall vor.
B. Allgemeiner Inhalt des Frustrationsverbotes Nach Art. 18 WVK muss ein Staat sich aller Handlungen enthalten, die Ziel und Zweck eines Vertrages vereiteln würden. Hinsichtlich des Anwendungszeitraums sind zwei Phasen zu unterscheiden. Die erste dauert nach Art. 18 lit. a) WVK von der Unterzeichnung bis zur Ratifikation und betrifft damit nur Verträge, die im zusammengesetzten Vertragsschlussverfahren geschlossen werden. Die zweite Phase beginnt nach Art. 18 lit. b) WVK mit der Ratifikation und endet mit Inkrafttreten. Sie existiert damit sowohl im zusammengesetzten als auch im einfachen Vertragsschlussverfahren. Obwohl das Verbot, Ziel und Zweck eines Vertrages zu vereiteln, zunächst leicht verständlich erscheint, bereitet seine Auslegung erhebliche Schwierigkeiten.219 Dabei ist vor allem umstritten, unter welchen Voraussetzungen genau ein Verstoß gegen das Frustrationsverbot vorliegt. Dennoch gibt es auch Rahmenbedingungen, die allgemein anerkannt sind. Diese sollen zuerst dargestellt werden (I.) bevor die verschiedenen Auslegungsansätze näher beleuchtet werden (II.).
I. Rechtliche Rahmenbedingungen des Frustrationsverbotes Obwohl der Inhalt des Frustrationsverbotes im Einzelnen stark umstritten ist, wird sein Rahmen überwiegend ähnlich beurteilt. So herrscht Einigkeit darüber, dass der Inhalt des Frustrationsverbotes im Zeitraum zwischen Unterzeichnung und Ratifikation sich nicht von demjenigen im Zeitraum zwischen Ratifikation und Inkrafttreten unterscheidet (1.). Zudem ist anerkannt, dass die Wirkung des Frustrations218
Zur aktuellen Staatenpraxis siehe Kapitel 1 A.II.2. Vgl. Joni S. Charme, The Interim Obligation of Article 18 of the Vienna Convention on the Law of Treaties: Making Sense of an Enigma, (Fn. 118), 113. 219
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verbotes zwischen zwei Polen liegen muss: Das Frustrationsverbot darf weder rechtlich irrelevant sein noch an eine Pflicht zur Vertragserfüllung heranreichen (2.). Allerdings wird es grundsätzlich für möglich gehalten, dass sich die Pflicht aus dem Frustrationsverbot mit einzelnen Pflichten aus dem Vertrag überschneiden kann (3.). 1. Keine Differenzierung zwischen Unterzeichnung und Ratifikation Anerkannt ist, dass der Inhalt des Frustrationsverbotes für beide in Art. 18 WVK enthaltenen Anwendungszeiträume derselbe sein muss.220 Dies ist bemerkenswert, da sich beide Situationen unterscheiden. Im Falle der Unterzeichnung muss noch der weitere freiwillige Akt der Ratifikation erfolgen, bevor der Vertrag in Kraft treten und den Staat binden kann. Im Falle der Ratifikation hingegen, hängt das Inkrafttreten nur noch vom Eintritt äußerer Bedingungen, wie Zeitablauf oder der Ratifikation durch weitere Staaten ab. Daher erscheint die Handlungsfreiheit eines Staates im letzteren Fall weniger schützenswert, was stärkere Einschränkungen als im Falle der bloßen Unterzeichnung rechtfertigen würde.221 Eine solche Differenzierung lässt Art. 18 WVK jedoch nicht zu, da nach seinem systematischen Aufbau das Verbot Ziel und Zweck zu vereiteln, der Unterscheidung der Anwendungszeiträume als chapeau vorangestellt ist.222 Folglich wirkt sich die Unterscheidung der Anwendungszeiträume nur auf die unterschiedlich geregelte Beendigung des Frustrationsverbotes,223 nicht aber auf dessen Inhalt aus.224 Der Inhalt des Frustrationsverbotes ist damit stets derselbe. 2. Wirkungen zwischen rechtlicher Irrelevanz und Vertragserfüllung Schwieriger ist es zu bestimmen, wie weitreichend die Pflichten aus Art. 18 WVK interpretiert werden können. Hier sind zumindest die äußersten Grenzen anerkannt. Denn die Zweiteilung des zusammengesetzten Vertragsschlussverfahrens schließt zwei Extreme aus: Die Unterzeichnung kann weder ohne jegliche Rechtswirkungen bleiben, noch die dem Inkrafttreten vorbehaltene Pflicht zur Vertragserfüllung er-
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Statt vieler Oliver Dörr, Art. 18 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 118), 255 Rn. 29; Jan Klabbers, Strange Bedfellows: The „Interim Obligation“ and the 1993 Chemical Weapons Convention, (Fn. 181), 17. 221 In der Literatur sprachen sich Cahier und Morvay beide für ein Frustrationsverbot ab Erteilung der Zustimmung zur Vertragsbindung, aber gegen ein Frustrationsverbot ab Unterzeichnung aus, siehe Philippe Cahier, L’obligation de ne pas priver un traité des son objet et but avont son entrée en viguer, (Fn. 118), 36 – 37; Werner Morvay, The Obligation of a State not to Frustrate the Object of a Treaty Prior to its Entry into Force, (Fn. 69), 461. 222 Vgl. Oliver Dörr, Art. 18 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 118), 255 Rn. 29. 223 Zur Beendigung des Frustrationsverbotes siehe infra Kapitel 1 D. 224 Jan Klabbers, Strange Bedfellows: The „Interim Obligation“ and the 1993 Chemical Weapons Convention, (Fn. 181), 17.
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zeugen.225 Anderenfalls würde entweder der Akt der Unterzeichnung oder derjenige der Ratifikation seine Bedeutung verlieren.226 Dies entspricht auch der bereits angesprochenen Funktion des Frustrationsverbotes, einen Ausgleich zwischen völliger Handlungsfreiheit und deren Beschränkung zugunsten der internationalen Kooperation zu finden.227 Entsprechend sind alle vertretenen Auslegungen zum Inhalt des Frustrationsverbotes innerhalb des Korridors zwischen rechtlicher Irrelevanz und einer Pflicht zur Vertragserfüllung angesiedelt. 3. Zulässigkeit der Überschneidung mit einzelnen Vertragspflichten Aus den eben genannten Gründen und weil das Frustrationsverbot nicht dem Vertrag selbst, sondern dem allgemeinen Völkerrecht entstammt, muss zwischen der Pflicht zur Vertragserfüllung und dem Frustrationsverbot grundsätzlich ein deutlicher Unterschied bestehen.228 Insofern kommt den Bestimmungen des unterzeichneten Vertrages grundsätzlich nur eine beschränkte Wirkung dahingehend zu, dass aus ihnen durch Auslegung der Vertragszweck ermittelt wird.229 Trotzdem ist anerkannt, dass das Frustrationsverbot im Einzelfall dasselbe Verhalten verlangen kann, wie eine Pflicht aus dem noch nicht in Kraft getretenen Vertrag.230 Wie es zu solch einer Überschneidung kommen kann, illustriert eine Stellungnahme, die der Rechtsberater des amerikanischen Außenministeriums zu dem von den USA und der Sowjetunion lediglich unterzeichneten SALT II-Vertrag abgab.231 Dieser Stellungnahme zufolge, musste der Vertrag als solcher vor der Ratifikation nicht erfüllt werden. Allerdings untersagte bereits das Frustrationsverbot die Durchführung bestimmter, im Vertrag verbotener Waffentests, da diese zu einem irreversiblen Zuwachs der militärischen Fähigkeiten geführt und damit das Vertragsziel vereitelt hätten. Demnach verlangte das Frustrationsverbot in diesem Fall 225 Joni S. Charme, The Interim Obligation of Article 18 of the Vienna Convention on the Law of Treaties: Making Sense of an Enigma, (Fn. 118), 88 – 89. 226 Für eine ausführliche Argumentation hierzu siehe Joni S. Charme, The Interim Obligation of Article 18 of the Vienna Convention on the Law of Treaties: Making Sense of an Enigma, (Fn. 118), 88 – 93. 227 Für eingehendere Ausführungen zur Funktion des Frustrationsverbotes siehe Einleitung A.III.1. 228 Vgl. Oliver Dörr, Art. 18 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 118), 255 Rn. 29. 229 Anneliese Quast Mertsch, Provisional Application of Treaties and the Internal Logic of the 1969 Vienna Convention, in: Bowman, Michael J./Kritsiotis, Dino, Conceptual and Contextual Perspectives on the Modern Law of Treaties (2018), 313. 230 Vgl. Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Arms Control Treaties, 10 Journal of Conflict & Security Law (2005) 345, 356; David C. Scott, Presidential Power to „Unsign“ Treaties, 69 The University of Chicago Law Review (2002) 1447, 1448 – 1449, 1456; Georg Ress, Verfassung und völkerrechtliches Vertragsrecht, (Fn. 93), 819. 231 Der relevante Auszug des auf den 21. 02. 1980 datierten Memorandums von Roberts Owen, dem Rechtsberater des amerikanischen Außenministeriums, ist abgedruckt in: Robert F. Turner, Legal Implications of Deferring Ratification of SALT II, (Fn. 178), 769.
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zwar die Beachtung des Testverbotes, nicht aber die Einhaltung anderer Vertragsbestimmungen, wie z. B. der zahlenmäßigen Begrenzung für bestimmte Waffensysteme.232 Damit blieb der grundsätzliche Unterschied zwischen der Erfüllung des (gesamten) Vertrages und dem Frustrationsverbot trotz der Überschneidung einzelner (zentraler) Pflichten gewahrt.
II. Ansichten zum Vorliegen eines Verstoßes Innerhalb des allgemein anerkannten Rahmens gibt es eine Vielzahl verschiedener Auslegungsansätze, welche die Pflicht aus dem Frustrationsverbot unterschiedlich weit auslegen. Diese Ansätze werden vorliegend anhand der Kriterien, mittels derer sie einen Verstoß gegen das Frustrationsverbot feststellen, in zwei Gruppen eingeteilt werden. Die Kriterien der ersten Gruppe sind am unterzeichneten bzw. ratifizierten Vertrag selbst ausgerichtet, also vertragsorientiert (1.). Demgegenüber beziehen sich die Kriterien der zweiten Gruppe auf vom Vertrag losgelöste Umstände, wie z. B. eine Frustrationsabsicht des Schädigers oder ein berechtigtes Vertrauen der anderen Staaten (2.). Diese beiden Gruppen und die ihnen zuzuordnenden Ansichten sollen im Folgenden kurz mit ihren Vor- und Nachteilen skizziert werden. Eine ausführlichere Bewertung erfolgt im Anschluss. 1. Vertragsorientierte Ansätze Die Ansichten der ersten Gruppe orientieren sich für die Frage, ob ein Verstoß gegen das Frustrationsverbot vorliegt, ausschließlich am unterzeichneten bzw. ratifizierten Vertrag selbst. Das genaue Kriterium ist jedoch verschieden. Von manchen Ansichten wird auf die Verletzung wesentlicher Vertragsbestimmungen (a)), von anderen auf die spätere Erfüllbarkeit des Vertrages abgestellt (b)). a) Verletzung wesentlicher Vertragsbestimmungen Nach dem ersten Ansatz kommt es darauf an, ob die Verletzungshandlung des Unterzeichners essenzielle Bestandteile (engl. „essential elements“) des Vertrages, also wesentliche Vertragsbestimmungen, betrifft.233 Welche dies sind, wird anhand des Vertragszwecks ermittelt.234 232 Das American Law Institute hat sich dieses Verständnis des Frustrationsverbotes in seinem Restatement of the Law zu eigen gemacht und geht allgemein davon aus, dass von Verträgen verbotene Waffentests gegen das Frustrationsverbot verstoßen können, vgl. American Law Institute, Restatement of the Law Fourth – The Foreign Relations Law of the United States (2017), 43. 233 So z. B. Paolo Palchetti, Article 18 of the 1969 Vienna Convention: A Vague and Ineffective Obligation or a Useful Means for Strengthening Legal Cooperation?, in: Cannizzaro, Enzo/Arsanjani, Mahnoush H., The Law of Treaties Beyond the Vienna Convention
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Der Vorzug dieses Ansatzes ist, dass er gut mit dem Wortlaut von Art. 18 WVK vereinbar ist, da er davon ausgeht, dass die Verletzung wesentlicher Bestimmungen Ziel und Zweck des jeweiligen Vertrages vereitelt.235 Zudem stellen die konkreten Vertragsbestimmungen einen relativ klaren Maßstab für das Vorliegen eines Verstoßes dar. Der Nachteil ist, dass sich objektiv nicht immer klären lässt, welche Bestimmungen des Vertrages essenziell sind, was die Anwendung erschwert.236 Schließlich dienen in der Regel alle Vertragsbestimmungen in irgendeiner Weise dem Vertragszweck und stehen in einem systematischen Zusammenhang mit anderen Vertragsbestimmungen, so dass die Unterscheidung von essenziellen und nicht-essenziellen Vertragsbestimmungen nicht immer einfach sein dürfte. Problematisch ist auch, dass beim Frustrationsverbot nach der Unterzeichnung die historisch gewachsene Funktion der Unterzeichnung237 unterlaufen wird. Denn wenn der Staat durch die Unterzeichnung bereits an essenzielle Bestandteile des Vertrages gebunden ist, verliert eine anschließende Prüfung der Ratifikation durch innerstaatliche Organe ihren Nutzen.238 b) Unmöglichkeit oder Sinnlosigkeit der Erfüllung Ein weiterer Ansatz stellt darauf ab, ob das Verhalten des Unterzeichners die spätere Erfüllung des Vertrages unmöglich oder sinnlos macht.239 Wesentlich für
(2011), 30 – 31; Isabelle Buffard/Karl Zemanek, The „Object and Purpose“ of a Treaty: An Enigma?, 3 Austrian Review of International & European Law (1998) 311, 332 – 333, 343. 234 Vgl. z. B. das Vorgehen von Paul V. McDade, The Interim Obligation between Signature and Ratification of a Treaty: Issues Raised by the Recent Actions of Signatories to the Law of the Sea Convention with Respect to the Mining of the Deep Seabed, 32 Netherlands International Law Review (1985) 5, 28 – 40. 235 Entsprechend wird er in einem Aufsatz als „intuitive reading of […] Article 18“ bezeichnet, David S. Jonas/Thomas N. Saunders, The Object and Purpose of a Treaty: Three Interpretive Methods, (Fn. 70), 596. 236 David S. Jonas/Thomas N. Saunders, The Object and Purpose of a Treaty: Three Interpretive Methods, (Fn. 70), 597. 237 Zur Geschichte der Unterzeichnung und des Vertragsschlussverfahrens siehe Einleitung A.I.1. 238 Vgl. David S. Jonas/Thomas N. Saunders, The Object and Purpose of a Treaty: Three Interpretive Methods, (Fn. 70), 597. 239 Dies entspricht auch dem Verständnis der USA, vgl. American Law Institute, Restatement of the Law Fourth – The Foreign Relations Law of the United States, (Fn. 232), 42 – 43; in der Literatur vertreten diese Aufassung unter anderem Oliver Dörr, Art. 18 VCLT, in: Dörr/ Schmalenbach, (Fn. 118), 257 Rn. 36; Anthony Aust, Modern Treaty Law and Practice, (Fn. 13), 108 – 109; Mark E. Villiger, Customary International Law and Treaties, (Fn. 128), 322 Rn. 470.
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einen Verstoß ist hiernach, ob die Handlung irreversibel ist, da sie nur dann die spätere Vertragserfüllung verhindern kann.240 Der Vorteil dieser Ansicht ist, dass auch sie mit dem Wortlaut von Art. 18 WVK gut in Einklang gebracht werden kann. Denn es erscheint naheliegend, dass der Vertragszweck eines Vertrages vereitelt wird, wenn dieser von einer Partei nicht mehr sinnvoll erfüllt werden kann. Zudem trägt sie mit ihrer Zukunftsbezogenheit dem Umstand Rechnung, dass der Vertrag selbst gegenwärtig noch keine Wirkungen entfaltet. Als größte Schwäche der auf die spätere Erfüllbarkeit abstellenden Ansicht wird jedoch gesehen, dass mit ihr das Frustrationsverbot viele multilaterale Verträge nicht erfassen kann, obwohl Art. 18 WVK nicht zwischen bi- und multilateralen Verträgen differenziert.241 Insbesondere bei sog. rechtsetzenden multilateralen Verträgen (engl.: „law-making-treaties“) dürfte es kaum Akte geben, welche die spätere Erfüllung verhindern oder sinnlos machen.242 Anders als sog. rechtsgeschäftliche Verträge (engl.: „contractual treaties“) sind rechtsetzende Verträge keine Austauschverträge, die auf den Ausgleich gegenläufiger Interessen gerichtet sind, sondern schaffen im gemeinsamen Interesse Regeln für die Staatengemeinschaft.243 Entsprechend sehen sie abstrakte Verhaltenspflichten für die Zukunft vor, die sich nicht in einem einmaligen Erfüllungsakt erschöpfen.244 Zu den rechtsetzenden Verträgen zählen unter anderem Gründungsverträge für internationale Organisationen, Verträge über die Rechtsstellung eines Gebiets oder Menschenrechtsverträge,245 wie z. B. die Europäische Menschenrechtskonvention.246 Wenngleich die klassische Unterscheidung von rechtsetzenden und rechtsgeschäftlichen Verträgen von einigen Stimmen in der Literatur als Idealisierung kritisiert wird,247 lässt sich ihr
240 Vgl. Robert F. Turner, Legal Implications of Deferring Ratification of SALT II, (Fn. 178), 747. 241 Vgl. David S. Jonas/Thomas N. Saunders, The Object and Purpose of a Treaty: Three Interpretive Methods, (Fn. 70), 600 – 601. 242 Vgl. Jan Klabbers, How to Defeat a Treaty’s Object and Purpose Pending Entry into Force: Toward Manifest Intent, 34 Vanderbilt Journal of Transnational Law (2001) 283, 285 – 286, 292 – 293. 243 Georg Dahm/Jost Delbrück/Rüdiger Wolfrum, Völkerrecht, (Fn. 64), 520. 244 Vgl. James Crawford, Brownlie’s Principles of Public International Law, (Fn. 7), 29. 245 Hierzu ausführlicher und mit Beispielen Georg Dahm/Jost Delbrück/Rüdiger Wolfrum, Völkerrecht, (Fn. 64), 521 – 523. 246 Die Europäische Menschenrechtskonvention wurde vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Loizidou ausdrücklich als „law-making treaty“ bezeichnet, siehe Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Case of Loizidou v. Turkey (Preliminary Objections) (1995), Application no. 15318/89, Rn. 84. 247 Kritiker der Unterscheidung weisen häufig darauf hin, dass Verträge oftmals Mischformen darstellen, da ein und derselbe Vertrag sowohl rechtsgeschäftliche als auch rechtssetzende Elemente enthalten kann. So z. B. Patrick Daillier/Mathias Forteau/Alain Pellet, Droit international public, (Fn. 37), 136 Rn. 65.1.
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ein gewisser analytischer Nutzen nicht absprechen.248 Gerade beim Frustrationsverbot hebt sie ein wichtiges Phänomen hervor: Akte, die mit einem rechtsetzenden Vertrag unvereinbar sind, vereiteln nicht dessen Zweck, sondern lassen es vielmehr als erstrebenswert erscheinen, dass der Vertrag in Kraft tritt.249 Wenn z. B. ein Vertrag die Folter verbieten soll und eine Person vor seinem Inkrafttreten gefoltert wird, wird seine Erfüllung schließlich nicht unmöglich oder sinnlos, sondern sein Inkrafttreten drängender.250 Demgegenüber ist bei rechtsgeschäftlichen Verträgen eine Vereitelung des Vertragszwecks leichter vorstellbar.251 So wird z. B. die Erfüllung eines Vertrages zur Reduzierung von Zöllen sinnlos, wenn der Unterzeichnerstaat die Zölle vor dem Inkrafttreten des Vertrages im Umfang der vertraglichen Reduzierung erhöht.252 Folglich kann es nach der Ansicht, die auf die spätere Erfüllbarkeit des Vertrages abstellt, bei rechtsetzenden Verträgen anders als bei rechtsgeschäftlichen Verträgen kaum zu Verstößen gegen das Frustrationsverbot kommen.253 2. Auf äußere Umstände abstellende Ansätze Während die eben dargestellten Ansätze sich am unterzeichneten bzw. ratifizierten Vertrag selbst orientieren, wird von anderen auf vom Vertrag losgelöste Umstände abgestellt. Maßgebliches Kriterium für einen Verstoß gegen das Frustrationsverbot soll demnach eine Frustrationsabsicht des Verpflichteten (a)), berechtigte Erwartungen der anderen Staaten (b)) oder das Vorverhalten des Verpflichteten (c)) sein. a) Frustrationsabsicht Nach einer Ansicht ist das Frustrationsverbot auf Akte beschränkt, die auf eine Frustration abzielen.254 Eine moderne Version dieser Ansicht verlangt dabei, dass sich diese subjektive Frustrationsabsicht objektiv manifestiert hat.255 248
Georg Dahm/Jost Delbrück/Rüdiger Wolfrum, Völkerrecht, (Fn. 64), 521 – 522. Jan Klabbers, How to Defeat a Treaty’s Object and Purpose Pending Entry into Force: Toward Manifest Intent, (Fn. 242), 286. 250 Vgl. Jan Klabbers, How to Defeat a Treaty’s Object and Purpose Pending Entry into Force: Toward Manifest Intent, (Fn. 242), 293. 251 Laut Klabbers betreffen in der Literatur genannte Beispiele für Verstöße gegen das Frustrationsverbot typischerweise rechtsgeschäftliche Austauschbeziehungen, siehe Jan Klabbers, How to Defeat a Treaty’s Object and Purpose Pending Entry into Force: Toward Manifest Intent, (Fn. 242), 290. 252 Dieses und fünf weitere hypothetische Beispiele werden im Kommentar zu Art. 9 Harvard Draft genannt, siehe Draft Convention on the Law of Treaties with Commentary, (Fn. 119), 781 – 782. 253 So auch Jan Klabbers, How to Defeat a Treaty’s Object and Purpose Pending Entry into Force: Toward Manifest Intent, (Fn. 242), 292 – 293. 254 So ging Lauterpacht in seinem Entwurf davon aus, dass seine Formulierung „to refrain, prior to ratification from any act intended substantially to impair the value of the undertaking as 249
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Der Vorteil dieses Ansatzes wird darin gesehen, dass durch ihn das Frustrationsverbot auch auf rechtsetzende Verträge sinnvoll anwendbar ist.256 Denn mit der Frustrationsabsicht verlagert sich der Fokus von der bei solchen Verträgen nur schwer möglichen Vereitelung des Vertragszwecks257 auf die Beurteilung der Motivation des handelnden Staates.258 Hieran wird jedoch zu Recht kritisiert, dass es schwierig sein kann, festzustellen, ob eine Handlung in Frustrationsabsicht vorgenommen wurde.259 So kann eine Handlung, die den Nutzen des Vertrages verringert, auch dazu dienen, die für eine innerstaatliche Zustimmung zur Ratifikation erforderliche politische Unterstützung zu erhalten.260 Hinzu kommt, dass das Völkerrecht von diplomatischen Verfahren geprägt ist. Entsprechend werden Staaten oftmals davor zurückschrecken, sich auf das Frustrationsverbot zu berufen, wenn sie dazu dem anderen Staat eine böse Absicht unterstellen müssten.261 Insofern mag dieser Ansatz zwar rechtsetzende Verträge besser erfassen, doch würden Verstöße seltener gerügt werden. b) Berechtigte Erwartungen Nicht zuletzt aus diesem Grund stellt ein anderer Ansatz nicht auf die Absicht des Schädigers, sondern auf das berechtigte Vertrauen des verletzten Staates ab.262 Klabbers hat darauf hingewiesen, dass sich zwar viele Stimmen in der Literatur auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen, aber fast niemand tatsächlich das Bestehen berechtigter Erwartungen untersucht.263 Vielmehr wenden sie in der Sache meist eines der anderen bereits dargestellten Kriterien an.264 Allerdings gibt es auch
signed“ das damals existierende Frustrationsverbot wiedergab, siehe Law of Treaties, Report by Lauterpacht, (Fn. 137), 110. 255 Vgl. Jan Klabbers, How to Defeat a Treaty’s Object and Purpose Pending Entry into Force: Toward Manifest Intent, (Fn. 242), 305. 256 Ibid. 257 Für eingehendere Ausführungen und ein Beispiel siehe Kapitel 1 B.II.1.b). 258 Jan Klabbers, How to Defeat a Treaty’s Object and Purpose Pending Entry into Force: Toward Manifest Intent, (Fn. 242), 305. 259 David S. Jonas/Thomas N. Saunders, The Object and Purpose of a Treaty: Three Interpretive Methods, (Fn. 70), 603. 260 Jonaus/Saunders nennen als Beispiel eine Subvention, die die Zustimmung zu einem Handelsabkommen sichern soll, zugleich aber dessen Nutzen verringert, siehe Ibid. 261 Jean-Pierre Cot, La bonne foi et la conclusion des traités, 4 Revue Belge de Droit International (1968) 141, 159. 262 Siehe z. B. Jörg Paul Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, (Fn. 137), 155, 159. 263 So das Ergebnis einer Literaturauswertung durch Jan Klabbers, How to Defeat a Treaty’s Object and Purpose Pending Entry into Force: Toward Manifest Intent, (Fn. 242), 318. 264 Villiger z. B. spricht zwar vom Schutz berechtigter Erwartungen, stellt aber der Sache nach darauf ab, dass die spätere Erfüllung des Vertrages sinnlos wird, vgl. Mark E. Villiger, Customary International Law and Treaties, (Fn. 128), 321 – 322 Rn. 469 – 470.
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rechtswissenschaftliche Schriften,265 in denen wirklich im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung das Bestehen berechtigter Erwartungen untersucht wird. Der Vorteil eines solchen Ansatzes wird darin gesehen, dass dem Verletzer keine böse Absicht unterstellt werden muss, was die Durchsetzung des Frustrationsverbotes fördern dürfte.266 Auch ist es überzeugend, anzunehmen, dass Art. 18 WVK dem Vertrauensschutz dienen soll. Schließlich endet das Frustrationsverbot nach Art. 18 WVK durch Zeitablauf oder wenn ein Staat seine Absicht zu erkennen gibt, nicht Vertragspartei zu werden.267 Wenn das Frustrationsverbot damit nur bis zum Entfallen des schützenswerten Vertrauens besteht, zeigt dies, dass es in erster Linie um Vertrauensschutz geht.268 Als Schwäche wird jedoch bei diesem Ansatz gesehen, dass er ebenso wie das Abstellen auf die spätere Erfüllbarkeit des Vertrages dazu führt, dass Verstöße gegen das Frustrationsverbot bei rechtsetzenden Verträgen nur schwer denkbar sind.269 Denn obwohl rechtsetzende Verträge dem gemeinsamen Interesse der Staaten an übergreifenden Regeln für die Staatengemeinschaft dienen,270 können die Verhandlungsstaaten nicht berechtigterweise darauf vertrauen, dass die vertraglichen Regeln bereits vor Inkrafttreten eingehalten werden.271 Dies gilt insbesondere, wenn die Voraussetzungen für das Inkrafttreten eines multilateralen Vertrages bewusst so ausgestaltet wurden, dass die vertraglichen Bindungen erst eintreten, wenn der Vertrag eine gewisse Reichweite erlangt hat.272 Schließlich gibt es in der Praxis auch bei rechtsetzenden Verträgen gegenläufige Interessen,273 die erst durch Inkrafttreten des Vertrages in einen sorgfältig ausgehandelten Ausgleich gebracht werden. So gab es z. B. beim Pariser Übereinkommen274 trotz des starken politischen Willens zur Vereinbarung gemeinsamer Klimaschutzregeln auch zahlreiche Interessenkonflikte, die im Rahmen der Vertragsverhandlungen einem Kompromiss zugeführt werden mussten.275 Wenn Staaten vor Inkrafttreten jedoch nicht auf die Einhaltung eines 265
Vgl. z. B. Jörg Paul Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, (Fn. 137), 155, 159. Jean-Pierre Cot, La bonne foi et la conclusion des traités, (Fn. 261), 159. 267 Für eingehendere Ausführungen zur Beendigung des Frustrationsverbotes siehe infra Kapitel 1 D. 268 Jörg Paul Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, (Fn. 137), 163 – 164. 269 Vgl. Jan Klabbers, How to Defeat a Treaty’s Object and Purpose Pending Entry into Force: Toward Manifest Intent, (Fn. 242), 317 – 318. 270 Georg Dahm/Jost Delbrück/Rüdiger Wolfrum, Völkerrecht, (Fn. 64), 520. 271 Jan Klabbers, How to Defeat a Treaty’s Object and Purpose Pending Entry into Force: Toward Manifest Intent, (Fn. 242), 317. 272 Für Beispiele und eingehendere Ausführungen zu Vertragsbestimmungen, die das Inkrafttreten multilateraler Verträge regeln, siehe Einleitung A.II.2. 273 Georg Dahm/Jost Delbrück/Rüdiger Wolfrum, Völkerrecht, (Fn. 64), 520 – 521. 274 Paris Agreement, (Fn. 63). 275 Unterschiedliche Ansichten hatten die Staaten insbesondere zu Rechtsverbindlichkeit, Konstruktion und Umfang des Übereinkommens sowie zum Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung (engl.: „common but differentiated responsibilities“). Für 266
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rechtsetzenden Vertrages vertrauen dürfen, bleibt bei solchen Verträgen folglich wenig Raum für einen Verstoß gegen das Frustrationsverbot. Denn selbst wenn man die berechtigten Erwartungen stattdessen auf die spätere Erfüllbarkeit des Vertrages bezieht,276 wären Verstöße gegen das Frustrationsverbot nur schwer denkbar. Schließlich würden sich hier dieselben Probleme stellen wie bei der Ansicht, die von vorneherein auf die spätere Erfüllbarkeit des Vertrages abstellt.277 c) Erhalt des Status quo Nach einer letzten Auffassung wiederum, verlangt das Frustrationsverbot nur den Erhalt des status quo.278 Daher soll es einem Staat verboten sein, von den Bestimmungen des zukünftigen Vertrages abzuweichen, sofern dieses Verhalten für ihn neu ist, also nicht seinem Verhalten vor Unterzeichnung bzw. Ratifikation entspricht.279 Bei einem Vertrag über die Abschaffung der Todesstrafe z. B. dürften im Zeitraum zwischen Unterzeichnung und Inkrafttreten also nur noch diejenigen Staaten die Todesstrafe verhängen, die sie nicht neu einführen, sondern von ihr auch vor Unterzeichnung schon regelmäßig Gebrauch gemacht haben.280 Diese Auffassung kann für sich in Anspruch nehmen, dass sie den Staaten vor Inkrafttreten den größtmöglichen Handlungsspielraum erhält und zugleich die Erwartungen der anderen Staaten schützt, also den besten Ausgleich zwischen den beiden Interessen erzeugt.281 Schließlich muss ein Staat nach der Unterzeichnung sein bisheriges Verhalten noch nicht ändern, wodurch ein innerstaatlich zu beteiligendes Parlament die Möglichkeit behält, frei über den Vertragsschluss zu entscheiden.282 Zugleich darf ein Unterzeichnerstaat aber auch nicht die Erwartungen der anderen Verhandlungsstaaten enttäuschen, indem er sich entgegen seinem bisherigen Verhalten erstmals in Widerspruch zu dem unterzeichneten Vertrag setzt. eingehendere Ausführungen zu den Vertragsverhandlungen zum Pariser Übereinkommen und den Meinungsverschiedenheiten der Staaten siehe Daniel Bodansky/Jutta Brunée/Lavanya Rajamani, International Climate Change Law (2017), 209 – 222. 276 So z. B. Villiger. Seiner Auffassung nach dient Art. 18 WVK dem Schutz von berechtigtem Vertrauen und ist verletzt, wenn eine Handlung die spätere Erfüllung des Vertrages sinnlos macht. Schließlich hätten die Staaten unter diesen Umständen keinen Vertrag mit demselben Inhalt geschlossen. Siehe Mark E. Villiger, Customary International Law and Treaties, (Fn. 128), 321 – 322 Rn. 469 – 470. 277 Hierzu eingehender Kapitel 1 B.II.1.b). 278 David S. Jonas/Thomas N. Saunders, The Object and Purpose of a Treaty: Three Interpretive Methods, (Fn. 70), 603. 279 Ibid. 280 David S. Jonas/Thomas N. Saunders, The Object and Purpose of a Treaty: Three Interpretive Methods, (Fn. 70), 605. 281 David S. Jonas/Thomas N. Saunders, The Object and Purpose of a Treaty: Three Interpretive Methods, (Fn. 70), 604 – 605. 282 Vgl. David S. Jonas/Thomas N. Saunders, The Object and Purpose of a Treaty: Three Interpretive Methods, (Fn. 70), 604.
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Der Nachteil der dargestellten Ansicht ist jedoch, dass ein bloßes Einfrieren des status quo dem Frustrationsverbot nicht vollständig gerecht wird. Dies zeigt sich am Beispiel von Friedensverträgen. Anlässlich eines Friedensvertrages zwischen den USA und Mexiko stellte der Schiedsrichter Francis Lieber im Ignacio Torres-Fall283 fest, dass zwar ein endgültiger Friede erst nach der Ratifikation bestehe, die Unterzeichnung aber bereits die Einstellung der Kampfhandlungen verlange. Da der Vertrag darauf abziele Frieden herzustellen, könne nicht mit den Kampfhandlungen fortgefahren werden, als habe es keine Veränderung gegeben. Wenngleich der Schiedsspruch aus dem 19. Jahrhundert stammt, steht die in ihm geäußerte Rechtsauffassung im Einklang mit dem Wortlaut des später entstandenen Art. 18 WVK. Schließlich würde die Fortführung der Kampfhandlungen neue Konflikte schüren und könnte damit vereiteln, dass der vom Vertrag bezweckte Frieden erreicht werden kann. Demnach erschöpft sich die Bedeutung des Frustrationsverbotes nicht darin, einen bestehenden Zustand zu erhalten. Vielmehr kann es – wie die Einstellung von Kampfhandlungen nach Unterzeichnung eines Friedensvertrages zeigt – sogar die Änderung eines bisherigen Verhaltens verlangen. Ein auf den Erhalt des status quo beschränktes Verständnis des Frustrationsverbotes kann diesen Aspekt nicht erfassen.
III. Erreichbarkeit des Vertragszwecks als zutreffendes Kriterium Wie sich gezeigt hat, gibt es Ansichten, die einen Verstoß gegen das Frustrationsverbot primär am jeweiligen Vertrag messen, während andere auf Umstände abstellen, die außerhalb des Vertrages liegen. Anhand der in Art. 18 WVK enthaltenen restriktiven Kriterien (1.) soll aufgezeigt werden, dass das Abstellen auf äußere Umstände keine Stütze im positiven Recht findet (2.). Überzeugender sind daher die vertragsorientierten Ansätze, doch treffen auch sie nicht exakt das Wesen des Frustrationsverbotes (3.). Dieses verlangt nur, dass der Zweck eines Vertrages erreichbar bleibt (4.). Eine solche Auslegung ist zwar sehr restriktiv, entspricht damit aber nicht nur Wortlaut und Systematik, sondern auch der Funktion des Frustrationsverbotes (5.). 1. Restriktive Kriterien des Art. 18 WVK Ausgangspunkt der rechtlichen Analyse ist Art. 18 WVK, da er zu Gewohnheitsrecht geworden ist und im Konfliktfall dem Frustrationsverbot aus Treu und Glauben vorgeht.284 Der Inhalt des Art. 18 WVK wiederum wird in der rechtsver-
283 Siehe hierzu den auszugsweisen Abdruck des Ignacio Torres. Falls in Arnold Duncan McNair, The Law of Treaties (1986), 200. 284 Kapitel 1 A.V.
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bindlichen englischen Sprachfassung285 durch die Worte „defeat“ und „object and purpose“ bestimmt. Die Formulierung „object and purpose of a treaty“ hat dabei drei Funktionen: Erstens verleiht sie der Regelung Flexibilität, indem sie den jeweiligen Vertrag zum Bezugspunkt macht.286 Zweitens verdeutlicht sie, dass es gerade nicht um die gegenwärtige Verletzung einzelner Vertragsbestimmungen geht, da der Vertragszweck auf einer höheren Abstraktionsebene liegt. Drittens zeigt die Formulierung, dass der Kern des jeweiligen Vertrages betroffen sein muss.287 Das Wort „defeat“, wiederum verdeutlicht, dass es auf die Auswirkungen des Staatenverhaltens auf den Vertrag ankommt und die Schwelle sehr hoch liegt.288 Wesentliches Merkmal des Art. 18 WVK ist damit, dass in beiden Elementen ein restriktives Verständnis des Frustrationsverbotes angelegt ist. Ein Verstoß liegt danach nur vor, wenn das von konkreten Bestimmungen losgelöste Ziel eines Vertrages praktisch nicht mehr erreicht werden kann. Dieses restriktive Verständnis ist nicht zufällig entstanden, sondern trägt dem Umstand Rechnung, dass Staaten im vorvertraglichen Stadium nur zu geringen Einschränkungen ihrer souveränen Handlungsfreiheit bereit sind, wofür sie gute Gründe haben.289 Schließlich dürfen viele Staaten nach ihrem innerstaatlichen Recht vertragliche Bindung erst eingehen nachdem die Regierung den parlamentarischen Gesetzgeber an dieser Entscheidung beteiligt hat.290 Zudem sollen Vertragsklauseln zum Inkrafttreten gerade sicherstellen, dass die Vertragsstaaten ihre souveräne Handlungsfreiheit erst verlieren, wenn der Vertrag eine gewisse Reichweite erlangt hat.291 Angesichts dieser Hintergründe ist es für eine dogmatisch überzeugende und praktisch durchsetzbare Auslegung entscheidend, dass sie den restriktiven Kriterien des Art. 18 WVK Rechnung trägt. 2. Unzulässige Ersetzung der Kriterien Diejenigen Ansichten, die primär auf Umstände außerhalb des Vertrages abstellen, ignorieren die Restriktionen des Art. 18 WVK. Denn sie berücksichtigen nicht, wie sich das fragliche Staatenverhalten auf den Zweck des konkreten Vertrages auswirkt. Statt nach der Vereitelung des Vertragszwecks zu fragen, lassen sie für einen Verstoß gegen das Frustrationsverbot jedes dem Vertrag widersprechende 285
Dasselbe gilt für „priveraient“ „de son objet et de son but“ und „se frustren“ „el objeto y el fin“ in den gem. Art. 85 WVK ebenfalls verbindlichen französischen und spanischen Sprachfassungen. 286 Paolo Palchetti, Article 18 of the 1969 Vienna Convention: A Vague and Ineffective Obligation or a Useful Means for Strengthening Legal Cooperation?, (Fn. 233), 28. 287 David S. Jonas/Thomas N. Saunders, The Object and Purpose of a Treaty: Three Interpretive Methods, (Fn. 70), 567. 288 Paolo Palchetti, Article 18 of the 1969 Vienna Convention: A Vague and Ineffective Obligation or a Useful Means for Strengthening Legal Cooperation?, (Fn. 233), 29. 289 Für eingehendere Ausführungen siehe Einleitung A.III.1. 290 Einleitung A.I.1. 291 Einleitung A.II.2.
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Staatenverhalten ausreichen, sofern eine Frustrationsabsicht, ein Abweichen vom status quo oder berechtigte Erwartungen vorliegen.292 Damit ersetzen diese Ansichten das von den Parteien der Wiener Vertragsrechtskonvention gewählte Kriterium durch ein eigenes und verschieben den Inhalt des Frustrationsverbotes: Den Vertragszweck vereitelndes Verhalten wird nicht mehr zwangsläufig erfasst, wohingegen für ihn unschädliches Verhalten plötzlich verboten sein kann. Dies lässt sich am fiktiven Beispiel eines Vertrages illustrieren, der zum Schutz einer bedrohten Tierart ein Jagdverbot vorsieht. Beurteilt man einen Verstoß gegen das Frustrationsverbot allein danach, ob ein Staat nach der Unterzeichnung vom status quo abweicht,293 würde Unterzeichnerstaat A bereits gegen das Frustrationsverbot verstoßen, wenn er seine restriktiven Jagdregelungen geringfügig lockert. Den Vertragszweck würde er jedoch nicht vereiteln, solange die bedrohte Tierart bei Inkrafttreten des Vertrages durch das Jagdverbot noch immer effektiv geschützt werden kann. Umgekehrt würde Staat B nicht gegen das Frustrationsverbot verstoßen, wenn er nach der Unterzeichnung seine laxen Jagdregelungen und damit den status quo fortbestehen lässt, selbst wenn die bedrohte Tierart dadurch ausstirbt. Dass nach diesem Verständnis des Frustrationsverbotes im Beispielsfall ein den Vertragszweck vereitelndes Verhalten erlaubt und ein für den Vertragszweck unschädliches Verhalten verboten ist, passt nicht zum Wortlaut des Art. 18 WVK. Schließlich macht dieser ausdrücklich die Vereitelung des Vertragszwecks zum alleinigen Maßstab. Die Veränderung dessen, was das Frustrationsverbot erfasst, ist kein Zufall. Denn einigen Stimmen in der Literatur geht es explizit darum, das Frustrationsverbot anders zu konzeptualisieren.294 Der Grund hierfür sind insbesondere die vermeintlichen Probleme bei der Auslegung des Begriffs „object and purpose“295 und die Schwierigkeiten Art. 18 WVK sinnvoll auf rechtsetzende multilaterale Verträge anzuwenden.296 Allerdings kann sich bislang noch keine der dargestellten Neukonzeptionen auf eine rechtlich tragfähige Grundlage stützen. Wie eben gezeigt, sind sie aufgrund der Loslösung vom Vertragszweck mit Art. 18 WVK und mit dem ihm entsprechenden Gewohnheitsrecht unvereinbar. Damit bleibt ihnen nur das Frustrationsverbot aus Treu und Glauben als rechtliche Grundlage. Zwar kann man nicht abstreiten, dass jeder der vertretenen Ansätze einen gewissen Bezug zu der abstrakten Idee von Treu und Glauben, insbesondere den Aspekten des Vertrauensschutzes oder des Verbots des Rechtsmissbrauchs, aufweist. Allerdings tritt das 292
Für die entsprechenden Ansichten siehe Kapitel 1 B.II.2. Dasselbe Beispiel lässt sich grundsätzlich auch für diejenigen Ansichten bilden, die auf eine Frustrationsabsicht oder berechtigte Erwartungen abstellen. 294 So z. B. ausdrücklich Jan Klabbers, How to Defeat a Treaty’s Object and Purpose Pending Entry into Force: Toward Manifest Intent, (Fn. 242), 287. 295 Vgl. David S. Jonas/Thomas N. Saunders, The Object and Purpose of a Treaty: Three Interpretive Methods, (Fn. 70), 608. 296 Vgl. Jan Klabbers, How to Defeat a Treaty’s Object and Purpose Pending Entry into Force: Toward Manifest Intent, (Fn. 242), 287. 293
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Frustrationsverbot aus Treu und Glauben im Kollisionsfall hinter das Frustrationsverbot aus Art. 18 WVK und das ihm entsprechende Gewohnheitsrecht zurück.297 Ein solcher Kollisionsfall läge vor, da die Kriterien Frustrationsabsicht, Vertrauensschutz und status quo den Inhalt des Frustrationsverbotes anders bestimmen als Art. 18 WVK. Folglich können sie, selbst wenn sie dem Frustrationsverbot aus Treu und Glauben entsprechen würden, kein Kriterium für das heute existierende Frustrationsverbot sein. 3. Unzureichender Abstand zur Vertragserfüllung Anders als Ansätze, die auf andere Umstände abstellen, messen die vertragsorientierten Ansichten einen Verstoß gegen das Frustrationsverbot in erster Linie am jeweiligen Vertrag selbst. Allerdings entsprechen auch ihre Kriterien mit der Verletzung essenzieller Vertragsbestimmungen bzw. der späteren Erfüllbarkeit nicht dem Frustrationsverbot in Art. 18 WVK. Für dessen Verletzung kann es nicht genügen, dass essenzielle Bestimmungen des jeweiligen Vertrages gegenwärtig nicht befolgt werden.298 Denn vor Inkrafttreten müssen Vertragsbestimmungen noch nicht eingehalten werden. Es ist also kein Zufall, dass Art. 18 WVK direkt auf den Vertragszweck selbst abstellt und anders als die Definition einer erheblichen Vertragsverletzung in Art. 60 III lit. b) WVK gerade nicht die für den Vertragszweck essenziellen Bestimmung erwähnt. Auf den ersten Blick erscheint es daher überzeugender, einen Verstoß gegen das Frustrationsverbot daran zu messen, ob der fragliche Akt die Erfüllung des Vertrages nach dessen Inkrafttreten unmöglich oder sinnlos macht.299 Dies darf jedoch nicht bedeuten, dass der Staat in der Lage sein muss, alle Bestimmungen des Vertrages vollständig zu erfüllen.300 Ein solches Verständnis würde die in Art. 18 WVK unmissverständlich angelegte Begrenzung auf „object and purpose“ ignorieren. Die früheren Entwürfe zu Art. 18 WVK bestätigen, dass die Völkerrechtskommission zwischen der Erfüllbarkeit des gesamten Vertrages und der Erreichbarkeit des Vertragszwecks unterschied. In der ersten Version wurde noch auf die Erfüllbarkeit abgestellt,301 wohingegen sich in den späteren Versionen der Fokus auf den mit dem 297
Kapitel 1 A.V. In dieser Weise wird der sog. „Essentials Elements Test“ aber typischerweise verstanden, siehe auch David S. Jonas/Thomas N. Saunders, The Object and Purpose of a Treaty: Three Interpretive Methods, (Fn. 70), 596 – 597. 299 Für die Darstellung dieser Ansicht siehe Kapitel 1 B.II.1.b). 300 So aber wohl z. B. Aust, der verlangt, dass ein Staat bei Inkrafttreten eines Vertrages in der Lage sein muss „fully to comply with the treaty“, Anthony Aust, Modern Treaty Law and Practice, (Fn. 13), 108. Auch Dörr scheint die Nichterfüllbarkeit irgendeiner Bestimmung für ausreichend zu halten, Oliver Dörr, Art. 18 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 118), 257 Rn. 36. 301 Vgl. Art. 7 des Entwurfs von Brierly, Völkerrechtskommission, Yearbook of the International Law Commission, Vol. II (1951), 73. 298
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Vertrag verfolgten Zweck verlagerte.302 Somit entspricht auch das Abstellen auf die Erfüllbarkeit des Vertrages nach Inkrafttreten nicht den Kriterien des Art. 18 WVK. 4. Maßstab: Erreichbarkeit des Vertragszwecks durch Vertragserfüllung Um allen Restriktionen des Art. 18 WVK Rechnung zu tragen, muss ein Verstoß gegen das Frustrationsverbot daran gemessen werden, ob der Vertragszweck bei Fälligkeit der Vertragserfüllung noch durch diese erreicht werden kann. Das Wort „Fälligkeit“ weist darauf hin, dass die Erfüllung durch den Verpflichteten nicht vor Inkrafttreten des Vertrages geschuldet ist. Dieser Maßstab ist eine Variante der Ansicht, die auf die spätere Erfüllbarkeit des Vertrages abstellt, hat dieser gegenüber jedoch zwei Vorteile: Erstens wird zwar das gut handhabbare Kriterium der Vertragserfüllung beibehalten, doch wird der Bezug zur Erreichbarkeit des Vertragszwecks hergestellt und der Maßstab damit stärker dem restriktiven Wortlaut des Art. 18 WVK angenähert. Zweitens deckt die vorgeschlagene Formulierung zwei Situationen ab, welche die auf die spätere Erfüllbarkeit abstellende Ansicht sonst typischerweise getrennt benennen muss. Es ist dem Verpflichteten nicht nur verboten, seine eigene Fähigkeit zur Vertragserfüllung erheblich zu mindern, sondern er darf auch die anderen Staaten nicht auf andere Weise um ihren Nutzen aus dem Vertrag bringen.303 Misst man einen Verstoß gegen das Frustrationsverbot daran, ob der Vertragszweck durch fällige Vertragserfüllung noch erreicht werden kann, werden beide Situationen abgedeckt. Denn auch eine technisch noch mögliche Vertragserfüllung ist unzureichend, wenn der Vertragszweck nicht mehr erreicht werden kann. Das hier vertretene enge Verständnis des Frustrationsverbotes entspricht neben Wortlaut und Systematik des Art. 18 WVK auch seinem Zweck.304 Dieser besteht im Vertrauensschutz,305 wie insbesondere der Umstand zeigt, dass Staaten das Frustrationsverbot beenden können, indem sie ihre Absicht zu erkennen geben, nicht 302 Erste Ansätze für das Abstellen auf den Vertragszweck finden sich bei Lauterpacht, dessen Art. 5 II lit. b) vom „value of the untertaking“ spricht, vgl. Law of Treaties, Report by Lauterpacht, (Fn. 137), 91. Deutlicher wird die Entwicklung bei Fitzmaurice, der in seinem Art. 30 I lit. c) auf die „objects of the treaty“ abstellte, vgl. Law of Treaties, Report by Fitzmaurice, (Fn. 143), 113. Der erste Entwurf von Waldock wiederum stellte in Art. 9 II lit. c) mit der Formulierung „frustrate the objects of the treaty or to impair its eventual performance“ Erfüllbarkeit und Zweckvereitelung als Alternativen nebeneinander, vgl. Law of Treaties, First Report by Waldock, (Fn. 144), 46. Im finalen Entwurf von Waldock findet sich dann in Art. 15 aber mit „object and purpose“ nur noch die Formulierung des heutigen Art. 18 WVK, vgl. Draft Articles on the Law of Treaties, (Fn. 161), 179. 303 M. w. N. Curtis A. Bradley, Treaty Signature, (Fn. 16), 214 – 215. 304 Für eingehendere Ausführungen zur Funktion des Frustrationsverbotes im Vertragsschlussverfahren siehe Einleitung A.III.1. 305 Für Ausführungen zur Frage, ob neben dem Vertrauen der Verhandlungsstaaten auch das Vertrauen von anderen Staaten oder von Individuen geschützt wird, siehe Kapitel 1 C.II.
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Vertragspartei werden zu wollen.306 Anders als zum Teil angenommen wird,307 folgt aus der vertrauensschützenden Funktion des Frustrationsverbotes nicht, dass die durch Unterzeichnung oder Ratifikation geweckten schützenswerten Erwartungen im Einzelfall ermittelt und abgewogen werden müssen. Vielmehr wird die Interessenabwägung bereits pauschal durch Art. 18 WVK vorgenommen. Dieser gibt abschließend vor, worauf Erwartungen, die allein durch Unterzeichnung oder Ratifikation geweckt wurden,308 berechtigterweise gerichtet sein dürfen. Vor diesem Hintergrund wird auch deutlich, warum Art. 18 WVK lediglich die Vereitelung des Vertragszwecks verbietet. Staaten erwecken durch Unterzeichnung und Ratifikation nicht die Erwartung, dass sie irgendwann durch den Vertrag tatsächlich gebunden sein werden. Denn auf die Unterzeichnung muss keine Ratifikation folgen309 und auch die Ratifikation garantiert nicht das Inkrafttreten des Vertrages für den Staat, da sie vor Inkrafttreten jederzeit zurückgenommen werden kann.310 Damit signalisieren beide Akte lediglich die grundsätzliche Bereitschaft, sich zu einem späteren Zeitpunkt durch den Vertrag endgültig zu binden und die Pflicht zu dessen Erfüllung auf sich zu nehmen. Der Staat erklärt also nur, dass er die Ziele des Vertrages grundsätzlich teilt, nicht aber, dass er sie gegenwärtig aktiv anstreben wird. Diese Deutung der beiden Akte ist nicht nur aus dem Vertragsschlussverfahren heraus schlüssig, sondern erklärt auch, warum das Frustrationsverbot nach Unterzeichnung und Ratifikation anerkanntermaßen denselben Inhalt hat. Das von beiden Akten ausgedrückte Vertrauen, dass ein Staat die Ziele des Vertrages teilt und grundsätzlich bereit ist, sie später anzustreben, wird nur enttäuscht, wenn der Staat dafür sorgt, dass die mit dem Vertrag verfolgten Ziele nicht mehr erreicht werden können. Folglich kommt es für einen Verstoß gegen das Frustrationsverbot darauf an, ob der Vertragszweck durch eine fällige Vertragserfüllung erreicht werden kann. Angewendet auf das eingangs genannte Beispiel311 bedeutet dies: Sieht ein Vertrag zum Schutz einer bedrohten Tierart ein Jagdverbot vor, behalten die Unterzeichnerstaaten vor Inkrafttreten des Vertrages einen weitreichenden Handlungsspielraum. Sie müssen das Jagdverbot noch nicht einführen und könnten sogar bestehende Jagdregelungen lockern. Allerdings gilt dies nur soweit sie dadurch nicht die Möglichkeit verlieren, nach Inkrafttreten des Vertrages durch das vertraglich geschuldete Jagdverbot den bezweckten Schutz der bedrohten Tierart zu erreichen. Verboten wäre also ein Verhalten, das dazu führen würde, dass die Population der bedrohten Tierart derartig
306
Jörg Paul Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, (Fn. 137), 163 – 164. Klabbers z. B. scheint davon auszugehen, dass man für eine Verletzung des Frustrationsverbotes das Vorliegen berechtigter Erwartungen im Einzelfall nachweisen muss, wenn man seinen Zweck im Vertrauensschutz sieht. Vgl. Jan Klabbers, How to Defeat a Treaty’s Object and Purpose Pending Entry into Force: Toward Manifest Intent, (Fn. 242), 299 – 302, 315 – 318. 308 Zu Erwartungen, die durch zusätzliche Akte geweckt wurden, siehe Kapitel 1 A.III.2.a). 309 Vgl. James Crawford, Brownlie’s Principles of Public International Law, (Fn. 7), 358. 310 Zur Rücknehmbarkeit der Ratifikation siehe Kapitel 1 D.II.2. 311 Siehe Kapitel 1 B.III.2. 307
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reduziert wird, dass sie nicht mehr durch das im Vertrag vorgesehene Jagdverbot vor dem Aussterben bewahrt werden kann. 5. Wesensgemäße Nichterfassung bestimmter Verträge Die hier vertretene Auslegung des Frustrationsverbotes ist sehr eng, doch entspricht dies dem Wesen des Frustrationsverbotes. Wie oben ausgeführt, wird an der Ansicht, die auf die spätere Erfüllbarkeit des Vertrages abstellt, kritisiert, dass mit ihr das Frustrationsverbot kaum auf multilaterale rechtsetzende Verträge anwendbar ist.312 Dieser Vorwurf dürfte sogar noch in stärkerem Maße zutreffen, wenn man die Erreichbarkeit des Vertragszweckes als Maßstab für einen Verstoß gegen das Frustrationsverbot sieht. Anders als eine Literaturmeinung annimmt,313 handelt es sich dabei aber nicht um eine Schwäche des Frustrationsverbotes. Vielmehr verlangt sein Zweck nicht, dass derartige Fälle erfasst werden. Schließlich soll die – auch für eine innerstaatliche Parlamentsbeteiligung erforderliche – souveräne Handlungsfreiheit des Unterzeichnerstaates nur eingeschränkt werden, soweit dieser berechtigte Erwartungen bei anderen Verhandlungsstaaten geweckt hat.314 Diese Erwartungen können nach Art. 18 WVK nur darauf gerichtet sein, dass ein Verhandlungsstaat die Ziele eines Vertrages grundsätzlich teilt und grundsätzlich bereit ist, sich zu einem späteren Zeitpunkt dazu zu verpflichten, diese Ziele aktiv anzustreben. Wenn bei multilateralen rechtsetzenden Verträgen die zukünftige Erreichung des Vertragszwecks möglich bleibt, ist das vom Frustrationsverbot geschützte berechtigte Vertrauen der anderen Staaten nicht berührt. Eine Einschränkung der Handlungsfreiheit durch das Frustrationsverbot ist daher nicht erforderlich. Dieses Ergebnis mag zunächst unbefriedigend wirken. Schließlich erscheint es gerade bei rechtsetzenden Verträgen, wie z. B. Menschenrechtsverträgen, wünschenswert, einen Staat so früh wie möglich durch völkerrechtliche Pflichten einzuhegen.315 Dies ist aber nicht überzeugend. Nach der traditionellen Sichtweise wird die Souveränität eines Staates nur durch völkerrechtliche Regeln eingeschränkt, die seinem freien Willen entspringen.316 Auch wenn dies inzwischen differenzierter gesehen wird, spielt die Zustimmung von Staaten (engl.: „consent“) bis heute eine
312 Vgl. z. B. David S. Jonas/Thomas N. Saunders, The Object and Purpose of a Treaty: Three Interpretive Methods, (Fn. 70), 600 – 601. 313 So z. B. David S. Jonas/Thomas N. Saunders, The Object and Purpose of a Treaty: Three Interpretive Methods, (Fn. 70), 601; Jan Klabbers, How to Defeat a Treaty’s Object and Purpose Pending Entry into Force: Toward Manifest Intent, (Fn. 242), 286 – 287. 314 Für eingehendere Ausführungen zur Funktion des Frustrationsverbotes im Vertragsschlussverfahren siehe Einleitung A.III.1. 315 So z. B. ausdrücklich Jan Klabbers, How to Defeat a Treaty’s Object and Purpose Pending Entry into Force: Toward Manifest Intent, (Fn. 242), 286. 316 Siehe z. B. Ständiger Internationaler Gerichtshof, The Case of the S.S. „Lotus“ (1927) Series A No. 10, 3, 18.
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zentrale Rolle für die Erzeugung völkerrechtlicher Pflichten.317 Insofern erscheint es fragwürdig, allzu umfangreiche völkerrechtliche Bindungen anzunehmen, bevor ein Staat durch die Ratifikation eines Vertrages seine Zustimmung zur Bindung durch diesen erteilt hat. Dies gilt umso mehr als aus Sicht der Staaten ihre Zustimmung zu völkerrechtlichen Bindungen entscheidend für die Legitimität von Völkerrecht ist.318 Zudem wäre eine rechtsdogmatische Ausdehnung des Frustrationsverbotes in der Praxis ohnehin bedeutungslos, wenn sie von den Staaten nicht akzeptiert wird. Diese Gefahr dürfte bei einer extensiven Auslegung des Frustrationsverbotes bestehen. Zwar verkörpern rechtsetzende Verträge meist gemeinsame Werte und Interessen,319 doch verlangt das Verfassungsrecht vieler Staaten, dass sie sich vor der Ratifikation eine größtmögliche Handlungsfreiheit bewahren. Denn nur wenn die Bindungen aus dem Frustrationsverbot möglichst gering sind, kann das Parlament im Rahmen der innerstaatlichen Gewaltenteilung eine freie Entscheidung über die Ratifikation des von der Regierung unterzeichneten Vertrages treffen.320 Selbst wenn auf völkerrechtlicher Ebene (noch) kein Demokratieprinzip existieren würde,321 ist bereits aufgrund der innerstaatlichen Vorgaben zu Demokratie und Gewaltenteilung zu erwarten, dass Staaten im Vorfeld des Vertragsschlusses keine umfangreichen Bindungen akzeptieren werden. Schließlich hat die Handlungsfreiheit zwischen Unterzeichnung und Ratifikation nicht immer bestanden, sondern wurde von demokratischen Staaten im Zuge der Demokratisierung bewusst geschaffen.322 Zudem würde eine weite Auslegung des Frustrationsverbotes das ohnehin bestehende Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung, welches in Kapitel 3 eingehender dargestellt werden wird, noch weiter verstärken.323 Besonders problematisch wäre die Beeinträchtigung der parlamentarischen Entscheidungsfreiheit bei multilateralen rechtsetzenden Verträgen, da diese häufig von größerer politischer Bedeutung als rechtsgeschäftliche Verträge sein dürften.
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Ausführlicher hierzu Jutta Brunée, Consent (2010), Rn. 1 – 4, online: https://opil.ouplaw. com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1388?rskey=Tk6E48&re sult=1&prd=OPIL (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022); Duncan B. Hollis, Why State Consent Still Matters: Non-State Actors, Treaties, and the Changing Sources of International Law, 23 Berkely Journal of International Law (2005) 137, 140 – 145. 318 Vgl. Jutta Brunée, Consent (2010), (Fn. 317), Rn. 4. 319 Vgl. Georg Dahm/Jost Delbrück/Rüdiger Wolfrum, Völkerrecht, (Fn. 64), 520. 320 Vgl. David S. Jonas/Thomas N. Saunders, The Object and Purpose of a Treaty: Three Interpretive Methods, (Fn. 70), 595 – 596. 321 Einige Stimmen in der Literatur argumentieren, dass ein völkerrechtliches Demokratieprinzip existiert oder zumindest in der Entstehung begriffen ist. Siehe z. B. Juliane Kokott, Souveräne Gleichheit und Demokratie im Völkerrecht, 64 Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (2004) 517 – 533, 525 – 528. 322 Zur Geschichte des zusammengesetzten Vertragsschlussverfahrens siehe Einleitung A.I.1. 323 Vgl. Curtis A. Bradley, Unratified Treaties, Domestic Politics, and the U.S. Constitution, (Fn. 110), 308.
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Wie sich zeigt, ist es also von den Staaten beabsichtigt, dass das Frustrationsverbot des Art. 18 WVK rechtsetzende Verträge kaum erfasst. Vielmehr handelt es sich um die Konsequenz seiner restriktiven Formulierung, die wiederum der eben dargestellten Interessenlage der Staaten Rechnung trägt. Insofern wäre eine andere Konzeption des Frustrationsverbotes auch weder praktisch durchsetzbar noch wünschenswert, da sie den Konflikt mit der in vielen Staaten verfassungsrechtlich vorgesehenen Parlamentsbeteiligung im Vertragsschlussverfahren verschärfen würde. Ohnehin bleibt für diejenigen Fälle, die das Frustrationsverbot nicht befriedigend lösen kann, noch immer der Rückgriff auf andere Ausprägungen des Grundsatzes von Treu und Glauben, wie z. B. Estoppel, Vertrauensschutz oder das Verbot des Rechtsmissbrauchs.324 Diese Ausprägungen sollten in der Lage sein, die als problematisch empfundenen Fälle zu lösen. Schließlich beruhen die in der Literatur vorgeschlagenen Modifikationen des Frustrationsverbotes, die auf das Vorliegen berechtigter Erwartungen oder einer Frustrationsabsicht abstellen, ohnehin bereits auf Merkmalen dieser Rechtsinstitute. Als positiver Nebeneffekt würde der Rückgriff auf die verschiedenen Ausprägungen von Treu und Glauben auch deutlicher machen, warum genau das Verhalten eines Staates im konkreten Fall als treuwidrig angesehen wird.
C. Einzelne Rechte und Pflichten Die Pflicht aus dem Frustrationsverbot umfasst neben einer Unterlassungs- auch eine Handlungspflicht (I.). Träger der korrespondierenden Rechte sind Staaten, aber auch Individuen (II.).
I. Pflichten zur Frustrationsverhinderung Hauptinhalt des Frustrationsverbotes ist die Pflicht, den Zweck eines Vertrages nicht zu vereiteln. Dies wird in erster Linie als Unterlassungspflicht verstanden (1.), doch erscheint darüber hinaus eine Handlungspflicht denkbar (2.). 1. Unterlassungspflichten in Bezug auf Rechtsakte Klar ist, dass ein Staat Realakte unterlassen muss, die den Vertragszweck frustrieren würden. Mehr Schwierigkeiten bereiten hingegen Rechtsakte. Bei diesen stellt sich die Frage, ob und ab welchem Zeitpunkt sie mit dem Frustrationsverbot unvereinbar sind. So ist z. B. unklar, ob der Zweck eines Vertrages bereits durch den 324
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bloßen Abschluss eines anderen Vertrages oder erst durch dessen Erfüllung vereitelt wird.325 Auch bei innerstaatlichen Gesetzen könnte man gut argumentieren, dass ein Verstoß erst bei ihrer Anwendung und nicht bereits bei ihrem Erlass vorliegen kann.326 Schließlich könnte das Gesetz rechtzeitig vor Inkrafttreten des Vertrages wieder abgeschafft oder geändert werden. Wie die Urteile mehrerer innerstaatlicher Gerichte zeigen, kann grundsätzlich jedenfalls die Anwendung eines Rechtsaktes, meist eines Gesetzes, gegen das Frustrationsverbot verstoßen.327 Darüber hinaus dürfte ein Verstoß aber auch bereits bei Abschluss eines Vertrages oder Erlass eines Gesetzes vorliegen können. Schließlich sind derartige Rechtsakte eher schwerfällig und ihre Änderung oder Beendigung nicht leicht. Auch die Staatenpraxis zum Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs spricht dafür, dass bereits der Erlass eines Gesetzes oder der Abschluss eines Vertrages einen Völkerrechtsverstoß darstellen können. Im Jahr 2002 beendeten die USA ihre Pflichten aus dem Frustrationsverbot in Bezug auf das Rom-Statut durch sog. unsigning, also durch die Mitteilung der Absicht, keine Vertragspartei zu werden.328 Dies hing nicht zuletzt mit dem Plan zusammen, amerikanische Soldaten durch Erlass eines Immunitätsgesetzes und den Abschluss bilateraler Nichtauslieferungsabkommen vor internationaler Strafverfolgung zu schützen.329 Denn es gab Befürchtungen, dass dies als Verstoß der USA gegen das Frustrationsverbot aufgefasst werden würde.330 Für diese Auffassung spricht, dass umgekehrt auch die Kommission der Europäischen Gemeinschaft davon ausging, dass der Abschluss bilateraler Nichtauslieferungsabkommen mit den USA für Unterzeichnerstaaten des Rom-Statuts einen Verstoß gegen das Frustrationsverbot darstellen würde.331 Somit spricht die Staatenpraxis dafür, dass bereits der Abschluss eines Vertrages oder der Erlass eines Gesetzes, jedenfalls aber die Anwendung dieser Rechtsakte einen Verstoß gegen das Frustrationsverbot darstellt.
325 Vgl. Jan Klabbers, How to Defeat a Treaty’s Object and Purpose Pending Entry into Force: Toward Manifest Intent, (Fn. 242), 299. 326 Die Frage des maßgeblichen Zeitpunkts bei Gesetzen hatte auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz bereits der Vertreter Uruguays aufgeworfen, doch blieb die Frage unbeantwortet, siehe 20th Meeting of the Committee of the Whole, (Fn. 162), 102 Rn. 4; Klabbers geht hingegen davon aus, dass der bloße Erlass eines Gesetzes keinen Verstoß gegen das Frustrationsverbot darstellt, wenn man den auf Vertrauensschutzerwägungen basierenden Maßstab der h. M. anlegt, siehe Jan Klabbers, How to Defeat a Treaty’s Object and Purpose Pending Entry into Force: Toward Manifest Intent, (Fn. 242), 299. 327 Für die entsprechenden Urteile siehe infra Kapitel 3 B.II.3.b). 328 Für nähere Ausführungen zum unsigning siehe infra Kapitel 1 D.I.1. 329 Für eine eingehendere Darstellung siehe infra Kapitel 3 B.II.2. 330 Curtis A. Bradley, Treaty Signature, (Fn. 16), 217. 331 EU Tries to Avoid Conflict With US Over Court, Financial Times (29. 08. 2002), 4.
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2. Handlungspflichten zur Frustrationsverhinderung In Art. 18 WVK ist das Frustrationsverbot als Verbot Ziel und Zweck eines Vertrages zu vereiteln und damit als Unterlassungspflicht ausgestaltet. Allerdings stellt sich die Frage, ob es trotzdem auch eine Handlungspflicht auslösen kann (a)) und wie weit diese reicht (b)). a) Allgemeines Bestehen von Handlungspflichten Umstritten ist, ob das Frustrationsverbot nur eine Unterlassungspflicht oder auch eine Handlungspflicht enthält. Diejenigen, die ausschließlich eine Unterlassungspflicht annehmen, berufen sich insbesondere auf die negative Formulierung „refrain from acts“ in Art. 18 WVK.332 Allerdings wird von manchen Stimmen in der Literatur anerkannt, dass dies nicht allen Verträgen gerecht wird.333 Daher hält die vorherrschende Auffasung um des effet utile willen, auch Handlungspflichten für möglich. Schließlich könnte das Ziel mancher Verträge auch durch bloßes Unterlassen frustriert werden.334 Dies soll auch der neueren Staatenpraxis entsprechen.335 Die Stimmen in der Literatur, die eine Handlungspflicht ablehnen, verweisen zur Unterstützung ihrer Ansicht gerne auf ältere Schiedsurteile.336 Im Iloilo-Fall hatte 1925 ein Schiedsgericht festgestellt, dass für die USA vor der Ratifikation eines Abtretungsvertrages über die Philippinen keine Pflicht bestand, die Kontrolle über Iloilo zu übernehmen.337 In ähnlicher Weise hatte bereits 1924 ein Schiedsgericht entschieden, dass Deutschland vor Inkrafttreten des Vertrages von Versailles keine Pflicht zum Einschreiten gegen die Veräußerung von Rechten an Nichtdeutsche hatte.338 Diese beiden Entscheidungen sollten aber nicht überbewertet werden. Denn sie ergingen ungefähr ein Jahrzehnt vor Veröffentlichung des Harvard Draft, der das Frustrationsverbot seinerseits noch nicht einmal als Rechtspflicht anerkannte.339 Neueren Datums und damit aussagekräftiger für die heutige Rechtslage ist die Entscheidung Power Group v. Ecuador, in der davon ausgegangen wird, dass Art. 18 332 So z. B. Martin A. Rogoff, The International Legal Obligations of Signatories to an Unratified Treaty, (Fn. 118), 297. 333 Jean-Pierre Cot, La bonne foi et la conclusion des traités, (Fn. 261), 156. 334 So z. B. explizit Oliver Dörr, Art. 18 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 118), 259 Rn. 39; implizit wohl auch Laurence Boisson de Chazournes/Anne-Marie La Rosa/Makane Moïse Mbengue, Art. 18 VCLT, in: Corten/Klein, (Fn. 137), 400 Rn. 66. 335 M. w. N. Mark E. Villiger, Customary International Law and Treaties, (Fn. 128), 322 Rn. 471. 336 So z. B. Jean-Pierre Cot, La bonne foi et la conclusion des traités, (Fn. 261), 155 – 156. 337 Iloilo Case (1926), 20 The American Journal of International Law 382, 383 – 384. 338 Schiedsgericht, Affaire des réparations allemandes selon l’article 260 du Traité de Versailles (Allemagne contre Commission des Réparations), Schiedsspruch (1924), Vol. I Reports of International Arbitral Awards 429, 522 – 523. 339 Zum Harvard Draft siehe Kapitel 1 A.II.1.a).
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WVK „acts and omissions“ verbietet.340 Dies erscheint mit Blick auf den Zweck des Frustrationsverbotes eine zutreffende Auslegung zu sein. Denn um das Vertrauen in die Bereitschaft zur späteren Erfüllung und Zielerreichung umfassend schützen zu können, muss das Frustrationsverbot im Einzelfall auch zu Handlungspflichten führen können. b) Reichweite von Handlungspflichten Geht man davon aus, dass das Frustrationsverbot auch Handlungspflichten auslösen kann, stellt sich die Frage, wie weit diese reichen. Denn das Frustrationsverbot darf nur Vertrauens- und nicht etwa Erfüllungsinteressen schützen.341 Das Kernproblem ist also, dass eine allzu umfassende Handlungspflicht einem vorgezogenen Inkrafttreten gleichkäme.342 Bereits in der eben genannten Schiedsgerichtsentscheidung zum Vertrag von Versailles wurde festgestellt, dass ein solches vorgezogenes Inkrafttreten nicht angenommen werden darf, sofern es nicht erkennbar beabsichtigt war.343 Dieser Gedanke findet sich auch in den neueren Schiedsgerichtsentscheidungen Tecmed v. Mexico und Power Group v. Ecuador, in denen das Frustrationsverbot bewusst von retroaktiven Vertragswirkungen abgegrenzt wird.344 Letztendlich spricht auch die Systematik des in der Wiener Vertragsrechtskonvention kodifizierten Vertragsschlussverfahrens dafür, dass die Handlungspflichten nicht einem vorgezogenen Inkrafttreten gleichkommen dürfen. Wie bei Unterlassungspflichten aus dem Frustrationsverbot muss folglich ein grundsätzlicher Unterschied zur Vertragserfüllung gewahrt bleiben. Dies schließt allerdings nicht aus, dass sich im Einzelfall eine Pflicht aus dem Frustrationsverbot mit einer Pflicht aus dem noch nicht in Kraft getretenen Vertrags überschneidet.345 Möglich sind vor diesem Hintergrund jedenfalls Handlungspflichten, die unter der Schwelle der Vertragserfüllung liegen, wie z. B. Pflichten zur Vorbereitung der Vertragserfüllung. Zwar lässt sich eine eigenständige Handlungspflicht hier nicht in der Staatenpraxis nachweisen, doch kann eine solche Pflicht sich theoretisch bereits aus der bloßen Anwendung des Frustrationsverbotes ergeben.346 340 International Centre for Settlement of Investment Disputes, Power Group v. Ecuador, (Fn. 173), 24 Rn. 108. 341 Jörg Paul Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, (Fn. 137), 174. 342 Jean-Pierre Cot, La bonne foi et la conclusion des traités, (Fn. 261), 155 – 156. 343 Schiedsgericht, Affaire des réparations allemandes selon l’article 260 du Traité de Versailles (Allemagne contre Commission des Réparations), (Fn. 338), 522 – 523. 344 International Centre for Settlement of Investment Disputes, Power Group v. Ecuador, (Fn. 173), 24 – 27 Rn. 108 – 117; International Centre for Settlement of Investment Disputes, Tecmed v. Mexico, (Fn. 173), 23 Fn. 39. 345 Für eingehendere Ausführungen zum Abstandsgebot und der möglichen Überschneidung mit einzelnen Pflichten aus dem noch nicht in Kraft getretenen Vertrag siehe Kapitel 1 B.I.3. 346 Vgl. Rudolf Bernhardt, Völkerrechtliche Bindungen in den Vorstadien des Vertragsschlusses, (Fn. 174), 684.
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II. Korrespondierende Rechte Ebenso wichtig wie die Frage nach den Pflichten aus dem Frustrationsverbot ist die Frage nach den Trägern der korrespondierenden Rechte. Hierfür kommen neben Staaten (1.) auch Individuen (2.) in Betracht. 1. Rechte von Staaten Art. 18 WVK bestimmt nicht näher, wer seine Einhaltung verlangen kann. Entsprechend ist unklar, ob dies alle Parteien der Wiener Vertragsrechtskonvention können oder nur die am jeweiligen Vertrag beteiligten Staaten.347 Die Natur der Wiener Vertragsrechtskonvention spricht für eine Begrenzung auf die am Vertrag beteiligten Staaten. Schließlich stellt sie für die Staaten Regelungen bereit, die jeweils in deren relativen vertraglichen und vorvertraglichen Beziehungen Anwendung finden. Dafür, dass ausgerechnet Art. 18 WVK nicht nur in den relativen Beziehungen gelten soll, gibt es keine Anhaltspunkte. Doch auch wenn man den Kreis der Rechtsträger bereits auf die am jeweiligen Vertrag beteiligten Staaten eingegrenzt hat, ist zu klären, ob sie den Vertrag ihrerseits nur unterzeichnet oder bereits ratifiziert haben müssen.348 Am Überzeugendsten erscheint die Annahme, dass die Unterzeichnung genügt. Denn wie der Internationale Gerichtshof in seinem Gutachten zu Vorbehalten gegen die Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes festgestellt hat, begründet die Unterzeichnung bereits eine besondere Beziehung zum Vertrag.349 Für die Einbeziehung der Unterzeichnerstaaten spricht auch, dass es beim Frustrationsverbot um den Schutz berechtigter Erwartungen geht350 und diese auch bei den Unterzeichnern geweckt wurden. Somit ist die überzeugendste Auslegung, dass bereits jeder Unterzeichner eines Vertrages die Einhaltung des Frustrationsverbotes in Bezug auf diesen verlangen darf. 2. Rechte von Individuen Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob sich auch Individuen auf das Frustrationsverbot berufen können, wenn ihnen nach Inkrafttreten Rechte aus dem Vertrag erwachsen würden. Dies ist insofern relevant, als Verstöße gegen das Frustrationsverbot in den letzten Jahren vor allem bei Klagen von Individuen vor
347 Laurence Boisson de Chazournes/Anne-Marie La Rosa/Makane Moïse Mbengue, Art. 18 VCLT, in: Corten/Klein, (Fn. 137), 392 Rn. 45. 348 Ibid. 349 Internationaler Gerichtshof, Reservations to the Convention on Genocide, (Fn. 35), 28. 350 Für eine eingehendere Begründung siehe Kapitel 1 B.III.4.
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innerstaatlichen Gerichten eine Rolle gespielt haben.351 Dass sich Individuen auf das Frustrationsverbot berufen können, wird allerdings meist weder in der Literatur352 noch in den jeweiligen Urteilen angezweifelt. Dogmatisch erscheint dies aber nicht unproblematisch. Denn zwar schützt das Frustrationsverbot bei rechtsetzenden Verträgen oftmals auch die zukünftigen Rechte von Individuen, doch entstehen diese Rechte eigentlich erst mit Inkrafttreten des Vertrages. Art. 18 WVK wiederum ist als Teil der Wiener Vertragsrechtskonvention grundsätzlich auf die zwischenstaatlichen Beziehungen ausgerichtet. Dass dieses Problem als solches so gut wie nie nicht diskutiert wird, dürfte daran liegen, dass die rechtswissenschaftliche Literatur und die Gerichte sich an dieser Stelle meist auf den Vertrauensschutz berufen. Sieht man Art. 18 WVK zutreffender Weise in diesem Licht, erscheint es nur natürlich, dass auch das Vertrauen von Individuen geschützt wird.353 Wie Staaten haben diese zwar keine berechtigte Erwartung in eine gegenwärtige Bindung durch den Vertrag, wohl aber in die grundsätzliche Bereitschaft eines Staates eine solche Bindung gegebenenfalls später einzugehen.354 Der Gedanke des Vertrauensschutzes kann hier rechtlich deshalb zum Tragen kommen, weil Art. 18 WVK die Frage der Berechtigten offen lässt. Damit gibt der Vertrauensschutz hier den Ausschlag zu Gunsten einer Einbeziehung von Individuen, denen nach Inkrafttreten Rechte aus dem Vertrag zustehen würden. Dies entspricht auch der Staaten- und Gerichtspraxis. Wie in Tecmed zutreffend betont wird, wurde das Frustrationsverbot bereits seit der Megalidis-Entscheidung355 in Streitigkeiten zwischen Individuen und Staaten angewandt.356 Inzwischen gibt es eine große Anzahl internationaler und innerstaatlicher Entscheidungen, in denen sich Individuen auf eine Verletzung des Frustrationsverbotes berufen, ohne dass dies problematisiert wird.357 Insofern ergibt sich aus der Staatenpraxis, dass das Frustrationsverbot auch Rechte für Individuen erzeugen. Damit stellt sich die Anschlussfrage, ob sich auch Individuen auf das Frustrationsverbot berufen können, die in demjenigen Staat leben, dem die Verletzung vor-
351 Für eine Darstellung einiger innerstaatlicher Gerichtsentscheidungen siehe infra Kapitel 3 B.II.3. 352 Vgl. z. B. Oliver Dörr, Art. 18 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 118), 256 Rn. 31; Jan Klabbers, How to Defeat a Treaty’s Object and Purpose Pending Entry into Force: Toward Manifest Intent, (Fn. 242), 301, 329. 353 So wohl z. B. der Gedankengang von Dörr, vgl. Oliver Dörr, Art. 18 VCLT, in: Dörr/ Schmalenbach, (Fn. 118), 255 – 256 Rn. 31. 354 Für die Begründung dieser Aussage siehe Kapitel 1 B.III.4. 355 Gemischtes Türkisch-Griechisches Schiedsgericht, Megalidis v. Turkey, Recueil des décisions des tribunaux arbitraux mixtes, Vol. XIII, (Fn. 133). 356 International Centre for Settlement of Investment Disputes, Tecmed v. Mexico, (Fn. 173), 23 Rn. 71. 357 Zu den Verfahren vor innerstaatlichen Gerichten siehe später Kapitel 3 B.II.3.
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geworfen wird.358 Gerade bei Menschenrechtsverträgen, die primär die eigene Bevölkerung schützen, wäre dies höchst relevant. Greift man wieder auf den Gedanken des Vertrauensschutzes zurück, kann die Einhaltung des Frustrationsverbotes von allen Individuen verlangt werden, denen bei Inkrafttreten Rechte aus dem Vertrag zustünden. Dies kann auch Individuen im Verletzerstaat umfassen. Somit können sich nicht nur andere Unterzeichnerstaaten, sondern auch Individuen auf das Frustrationsverbot berufen.
D. Beendigung Das Frustrationsverbot besteht nicht auf unbegrenzte Zeit fort. Vielmehr endet es nach dem Wortlaut von Art. 18 lit. b) WVK mit Inkrafttreten des Vertrages. Darüber hinaus kann die Pflicht aber auch vorher beendet werden. Anders als beim Inhalt des Frustrationsverbotes werden hier der Zeitraum vor Ratifikation (I.) und der Zeitraum nach Ratifikation (II.) unterschiedlich behandelt.
I. Beendigung vor Ratifikation Gemäß Art. 18 lit. a) WVK endet das Frustrationsverbot, wenn „[a State makes] its intention clear not to become a party to the treaty“. Dies kann durch die formelle Notifikation der anderen Parteien (1.) oder konkludentes Verhalten geschehen (2.). 1. Unsigning durch formelle Notifikation Lange Zeit machte kein Staat von der in Art. 18 lit. a) WVK vorgesehenen Möglichkeit zur Beendigung des Frustrationsverbotes zwischen Unterzeichnung und Ratifikation Gebrauch. Der erste bekannte Fall ereignete sich 2002,359 als die USA per Brief an den Depositar des Rom-Statuts des Internationalen Strafgerichtshof mitteilten, nicht mehr Partei des Vertrages werden zu wollen.360 In dem Brief wurde ausdrücklich hervorgehoben, dass für die USA daher keinerlei Pflichten aus der im Dezember 2000 erfolgten Unterzeichnung mehr bestünden. Die formelle Notifika-
358 Diese ungeklärte Frage ist einer der Gründe, warum Klabbers das Abstellen auf Vertrauensschutzerwägungen im Rahmen des Frustrationsverbotes für nicht zielführend hält, siehe Jan Klabbers, How to Defeat a Treaty’s Object and Purpose Pending Entry into Force: Toward Manifest Intent, (Fn. 242), 301, 329. 359 Edward T. Swaine, Unsigning, (Fn. 43), 2064. 360 Letter to UN Secretary General Kofi Annan (06. 05. 2002), online: https://2001-2009. state.gov/r/pa/prs/ps/2002/9968.htm (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022).
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tion der USA wurde in der Literatur361 und Presse362 als „unsigning“ bezeichnet und blieb nicht der einzige Fall. 2009 informierte Russland den Depositar des Energiecharta-Vertrages, dass es nicht beabsichtige, Partei von diesem zu werden.363 In ähnlicher Weise kommunizierte Russland 2016 seine Absicht, nicht Partei des RomStatuts zu werden.364 Während das unsigning durch die USA noch kritisch diskutiert wurde,365 ist es heute ein anerkannter Weg, um die Beendigung des Frustrationsverbotes nach Art. 18 lit. a) WVK auszuüben.366 Die Möglichkeit, die Unterzeichnung wieder zurückzuziehen, beruht dabei auf der Staatensouveränität.367 Da keine Pflicht zur Ratifikation besteht, kann ein Staat jederzeit erklären, dass er die souveräne Entscheidung getroffen hat, keine Partei des Vertrages zu werden.368 2. Beendigung durch konkludente Akte Die Beendigung nach Art. 18 lit. a) WVK kann grundsätzlich auch durch konkludente Akte erfolgen (1.). Nicht ausreichend ist jedoch die Verweigerung parlamentarischer Zustimmung oder bloßer Zeitablauf (2.).
361 Luke A. McLaurin, Can the President „Unsign“ a Treaty? A Constitutional Inquiry, 84 Washington University Law Review (2006) 1941, 1941. 362 John R. Bolton, Unsign That Treaty, The Washington Post (04. 01. 2001), online: https: //www.washingtonpost.com/archive/opinions/2001/01/04/unsign-that-treaty/36e310be-072d-44 df-9aa4-6cff7ef098ce/?utm_term=.c41aff7e64aa (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 363 Siehe Teilnehmerinformationen zu Russland, online: http://www.energycharter.org/ who-we-are/members-observers/countries/russian-federation/ (zuletzt abgerufen am 26. 11. 2020). 364 Siehe Russian Communication Concerning the Rome Statute of the International Criminal Court, received by the Secretary General on 30 November 2016 (in End Note 9), online: https://treaties.un.org/pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XVIII-1 0&chapter=18&clang=_en#9 (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 365 M. w. N. Luke A. McLaurin, Can the President „Unsign“ a Treaty? A Constitutional Inquiry, (Fn. 361), 1942, 1948 – 1949. 366 Dörr z. B. nennt das unsigning durch die USA als Beispiel für die Beendigung nach Art. 18 lit. a) WVK, vgl. Oliver Dörr, Art. 18 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 118), 251 Rn. 18. Der Kommentar zum vierten amerikanischen Restatement of the Law geht ebenfalls davon aus, dass die Benachrichtigung des Depositars ausreicht, siehe American Law Institute, Restatement of the Law Fourth – The Foreign Relations Law of the United States, (Fn. 232), 43. 367 So Tabibi in einem Diskussionsbeitrag im Rahmen einer Sitzung der Völkerrechtskommission, siehe 644th Meeting – 16 May 1962, in: Völkerrechtskommission, Yearbook of the International Law Commission, Vol. I (1962), 88 Rn. 2. 368 Oliver Dörr, Art. 18 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 118), 250 – 251 Rn. 17 – 18.
Kap. 1: Frustrationsverbot im Völkerrecht
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a) Beendigung durch eindeutige konkludente Akte Anders als bei anderen Beendigungserklärungen,369 schreibt die Wiener Vertragsrechtskonvention in Art. 18 lit. a) WVK nicht ausdrücklich die Form der formellen Notifikation vor. Wegen des Fehlens einer Formvorschrift wird es grundsätzlich für möglich gehalten, das Frustrationsverbot durch konkludentes Handeln zu beenden.370 Dies kann jedoch kein Verhalten umfassen, das den Vertrag frustriert, da das Zusammenfallen von Verletzung und Beendigung das Frustrationsverbot praktisch bedeutungslos machen würde.371 Einschränkend verlangen einige Stimmen in der Literatur eine gewisse Förmlichkeit, da auch die Begründung durch den förmlichen Akt der Unterzeichnung erfolgt sei.372 Förmlichkeit überzeugt als einschränkendes Kriterium jedoch nicht. Anders als Art. 25 II WVK, der bei der Beendigung der vorläufigen Anwendung ebenfalls auf die Absicht, nicht Partei zu werden, abstellt,373 erwähnt Art. 18 lit. a) WVK gerade keine förmliche Notifikation. Angesichts des Wortlauts „[makes] its intention clear“ wird man aber verlangen müssen, dass die Absicht keine Vertragspartei zu werden für die anderen Staaten ausreichend deutlich erkennbar ist.374 b) Keine Beendigung durch Zeitablauf oder Verweigerung der Parlamentszustimmung Wenn seit der Unterzeichnung viel Zeit verstrichen ist, soll dies nach einer Ansicht bereits als stillschweigende Erklärung, nicht mehr Vertragspartei werden zu wollen, ausreichen.375 Dies kann jedoch nicht überzeugen. Da Staaten in der Praxis Verträge auch noch nach mehreren Jahren ratifizieren, wäre kaum objektiv zu bestimmen, wann die Pflicht aus dem Frustrationsverbot endet.376 Dies stünde im 369 Sowohl für Beendigung von Verträgen (vgl. Art. 65 I WVK) als auch die Beendigung der vorläufigen Anwendung (vgl. Art. 25 II WVK) sieht die WVK ausdrücklich eine Notifikation vor. 370 Oliver Dörr, Art. 18 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 118), 252 – 253 Rn. 21; Mark E. Villiger, Art. 18 VCLT, in: Villiger, Mark E., Commentary on the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties (2009), 250 Rn. 15; Tariq Hassan, Good Faith in Treaty Formation, (Fn. 161), 456 – 457. 371 Jan Klabbers, Strange Bedfellows: The „Interim Obligation“ and the 1993 Chemical Weapons Convention, (Fn. 181), 17. 372 Oliver Dörr, Art. 18 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 118), 251 Rn. 20; David C. Scott, Presidential Power to „Un-sign“ Treaties, (Fn. 230), 1475. 373 Diesem Kriterium wird bei Art. 25 II WVK in Literatur und Praxis allerdings keine Bedeutung beigemessen. Siehe hierzu infra Kapitel 2 D.II.2. 374 So auch Dörr, der die Einschränkung mit dem Bedürfnis nach Rechtsklarheit begründet, siehe Oliver Dörr, Art. 18 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 118), 252 – 253 Rn. 21. 375 So z. B. Jörg Paul Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, (Fn. 137), 163. 376 Laurence Boisson de Chazournes/Anne-Marie La Rosa/Makane Moïse Mbengue, Art. 18 VCLT, in: Corten/Klein, (Fn. 137), 395 Rn. 52.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
Widerspruch dazu, dass die Absicht, nicht Vertragspartei zu werden, nach Art. 18 lit. a) WVK klar erkennbar sein soll. In systematischer Hinsicht ist zudem zu bedenken, dass eine Beendigung durch Zeitablauf von Art. 18 lit. b) WVK nur für das Frustrationsverbot nach Ratifikation vorgesehen ist. Somit endet das Frustrationsverbot zwischen Unterzeichnung und Ratifikation nicht durch bloßen Zeitablauf. Denkbar wäre aber, dass es zumindest dann endet, wenn das Parlament eines Unterzeichners ausdrücklich seine innerstaatlich erforderliche Zustimmung verweigert. Im Fall des Kernwaffenteststopp-Vertrages argumentierten amerikanische Senatoren,377 dass mit der Ablehnung des Vertrages durch den Senat auch die Pflichten aus der Unterzeichnung erloschen seien.378 Dies ist allerdings abzulehnen, da das Verhalten der Legislative auf innenpolitischen Erwägungen beruhen kann und daher nicht ausreichend eindeutig für eine nach außen gerichtete Beendigung nach Art. 18 lit. a) WVK ist.379 Auch lässt sich bezweifeln, dass die Legislative überhaupt die entsprechende Kompetenz zur Beendigung hat.380 In Ermangelung einer speziellen Regelung in Art. 18 WVK bestimmt sich diese nach den allgemeinen Kompetenzregeln und damit im Ergebnis nach dem innerstaatlichen Recht.381 Die Kompetenz zur Beendigung von Verträgen liegt hier in den meisten Staaten allein in der Hand der Exekutive, selbst wenn die Legislative am Vertragsschluss beteiligt war.382 Es ist daher davon auszugehen, dass in den meisten Staaten die Legislative auch nicht die Kompetenz zur Beendigung des Frustrationsverbotes hätte. Nicht zuletzt aus diesem Grund genügt die Verweigerung einer innerstaatlich erforderlichen Zustimmung durch das Parlament nicht für die Beendigung des Frustrationsverbotes nach Art. 18 lit. a) WVK.
II. Beendigung nach Ratifikation Nach Art. 18 lit. b) WVK endet das Frustrationsverbot nach Ratifikation nur, wenn sich das Inkrafttreten des Vertrages ungebührlich verzögert (1.). Obwohl dies nicht ausdrücklich erwähnt wird, kann das Frustrationsverbot aber auch durch einen Willensakt, nämlich den Rückzug der Ratifikation beendet werden (2.). 377 Für eine ausführlicherer Darstellung der Auseinandersetzung zwischen Exekutive und Legislative siehe Kapitel 3 B.II.1. 378 Bill Gertz, Lott Hits Clinton’s Stance on Nuke Pact: Says He’s Risking Ties with Senate, The Washington Times (03. 11. 1999). 379 Oliver Dörr, Art. 18 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 118), 252 – 253 Rn. 21. 380 Masahiko Asada, CTBT: Legal Questions Arising from its Non-Entry-Into-Force, 7 Journal of Conflict and Security Law (2002) 85, 101 – 102. 381 Ibid. 382 Für nähere Ausführungen zur innerstaatliche Gewaltenteilung bei der Beendigung von Verträgen siehe Duncan B. Hollis, A Comparative Approach to Treaty Law and Practice, in: Hollis, Duncan B./Blakeslee, Merritt/Ederington, Benjamin, National Treaty Law and Practice (2005), 28 – 29.
Kap. 1: Frustrationsverbot im Völkerrecht
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1. Beendigung durch Zeitablauf Nach Art. 18 lit. b) WVK endet das Frustrationsverbot automatisch, wenn das Inkrafttreten „unduly delayed“ ist. Wann dies der Fall ist, kann nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls beantwortet werden.383 Als Kriterien hierfür werden unter anderem die Zahl der beteiligten Staaten und die Komplexität des Vertragsgegenstandes vorgeschlagen.384 Eine genaue Zeitdauer lässt sich hingegen nicht mit rechtlicher Sicherheit bestimmen.385 Sogar bei einem Zeitraum von zehn Jahren kann noch angezweifelt werden, ob die Voraussetzungen von Art. 18 lit. b) WVK erfüllt sind, da es in der Praxis Verträge gibt, die erst nach ähnlichen Zeiträumen in Kraft getreten sind.386 Angesichts der Unklarheiten, dürfte der verpflichtete Staat einen großen Einschätzungsspielraum hinsichtlich der Beendigung des Frustrationsverbotes durch Zeitablauf haben.387
2. Beendbarkeit durch Rückzug der Ratifikation Denkbar erscheint, dass das Frustrationsverbot nach Ratifikation auch durch Rückzug der Ratifikation beendet werden kann. Teilweise wird dies mit dem Argument abgelehnt, dass das Vertragsschlussverfahren die Möglichkeit zum Rückzug der Ratifikation nicht vorsieht.388 Die Unterzeichnung führe bereits zur Rechtsverbindlichkeit des Vertrages, weshalb ein Staat sich nur noch durch Vertragsbeendigung, also z. B. eine Kündigung, vom Vertrag lösen könne.389 Zudem wird in der Ratifikation das Versprechen gesehen, sich durch den Vertrag endgültig zu binden, weshalb ihr Rückzug treuwidrig wäre.390 Letzteres ist jedoch ein Zirkelschluss. Denn in der Ratifikation kann nur dann das Versprechen der endgültigen Bindung gesehen werden, wenn sie nicht wieder widerrufen werden kann. In der Praxis des UN-Ge383
Sir Waldock, Tenth Plenary Meeting, (Fn. 160), 29 Rn. 28. Vgl. Oliver Dörr, Art. 18 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 118), 254 Rn. 26. 385 Laurence Boisson de Chazournes/Anne-Marie La Rosa/Makane Moïse Mbengue, Art. 18 VCLT, in: Corten/Klein, (Fn. 137), 396 Rn. 54. 386 Jonas z. B. scheint aus diesem Grund eher daran zu zweifeln, dass das Verstreichen von 10 Jahren ausreicht, um den Kernwaffenteststoppvertrag als „unduly delayed“ zu betrachten, siehe David S. Jonas, The Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty: Current Legal Status in the United States and the Implications of a Nuclear Test Explosion, 39 New York University Journal of International Law and Politics (2007) 1007, 1045. 387 American Law Institute, Restatement of the Law Fourth – The Foreign Relations Law of the United States, (Fn. 232), 43. 388 Rudolf Bernhardt, Völkerrechtliche Bindungen in den Vorstadien des Vertragsschlusses, (Fn. 174), 681. 389 So z. B. ausdrücklich die Beschriftung des Schaubilds bei von Arnauld, siehe Andreas von Arnauld, Völkerrecht (4. Aufl. 2019), 88 Rn. 207. 390 Rudolf Bernhardt, Völkerrechtliche Bindungen in den Vorstadien des Vertragsschlusses, (Fn. 174), 681. 384
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
neralsekretärs als Depositar391 und der Staatenpraxis392 ist ein Rückzug der Ratifikation hingegen möglich.393 Folglich ist ein Rückzug der Ratifikation weder mit dem Vertragsschlussverfahren unvereinbar, noch treuwidrig. Der zulässige Rückzug der Ratifikation beendet zugleich das Frustrationsverbot, da durch den Rückzug grundsätzlich auch die Absicht im Sinne des Art. 18 lit. a) WVK ausgedrückt wird, nicht Vertragspartei werden zu wollen. Das Frustrationsverbot bleibt jedoch bestehen, wenn die Rücknahme erkennbar nur dazu dient, einen neuen Vorbehalt anzubringen.394 Denn dann fehlt es nicht an der Absicht, Vertragspartei zu werden. Im Ergebnis kann also auch das Frustrationsverbot nach Ratifikation durch eine Handlung des Staates und nicht nur durch Zeitablauf beendet werden. Dies entspricht auch dem Gedanken des Vertrauensschutzes. Denn wenn ein Staat durch Rückzug der Ratifikation verdeutlicht hat, dass er nicht Partei des Vertrages werden möchte, besteht kein schützenswertes Vertrauen mehr.
E. Zusammenfassung Das Verbot, im Zeitraum zwischen Unterzeichnung und Inkrafttreten das Ziel und den Zweck eines Vertrages zu vereiteln, ergibt sich nicht aus dem noch nicht in Kraft getretenen Vertrag selbst oder einer Nebenabrede zu diesem. Vielmehr beruht das Frustrationsverbot auf verschiedenen, vom konkreten Vertrag unabhängigen Rechtsquellen. Seine vertragliche Grundlage findet es in Art. 18 WVK. Dieser Artikel stellte ursprüngliche eine neue Regelung dar, kodifiziert inzwischen aber Gewohnheitsrecht. Zudem leitet sich das Frustrationsverbot aus dem Grundsatz von Treu und Glauben ab. In welchem Verhältnis das vertragliche und das gewohnheitsrechtliche Frustrationsverbot zueinanderstehen, ist unerheblich, da sie inhaltlich identisch sind. Sofern inhaltliche Unterschiede zum Frustrationsverbot aus Treu und 391
Treaty Section of the Office of Legal Affairs, Summary of Practice of the Secretary General as Depositary of Multilateral Treaties (1999), ST/LEG/7/Rev.1, 47 Rn. 157. 392 Beispiele sind der Rückzug der Ratifikation des Übereinkommens über die Internationale Seeschifffahrtsorganisation durch Griechenland oder der Rückzug des Beitritts zum Zollübereinkommen für den zeitweisen Import von Flugzeugen und Vergnügungsbooten zum Privatgebrauch durch Spanien, vgl. Treaty Section of the Office of Legal Affairs, Summary of Practice of the Secretary General as Depositary of Multilateral Treaties, (Fn. 391), 47 Rn. 158. 393 So auch Oliver Dörr, Art. 18 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 118), 254 – 255 Rn. 27 – 28. 394 Ein Vorbehalt kann nach Art. 19 WVK nur bei Ratifikation und nicht etwa nach dieser angebracht werde. Daher ziehen Staaten in der Praxis gelegentlich ihre Ratifikation zurück, um einen neuen Vorbehalt anbringen zu können, vgl. Treaty Section of the Office of Legal Affairs, Summary of Practice of the Secretary General as Depositary of Multilateral Treaties, (Fn. 391), 47 Rn. 158.
Kap. 1: Frustrationsverbot im Völkerrecht
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Glauben bestehen, gehen das vertragliche und das gewohnheitsrechtliche Frustrationsverbot als spätere und speziellere Regelungen vor. Obwohl der genaue Inhalt des Frustrationsverbotes im Einzelnen stark umstritten ist, wird sein Rahmen überwiegend ähnlich beurteilt. Anerkannt ist insbesondere, dass die Wirkung des Frustrationsverbotes zwischen zwei Polen liegen muss: Das Frustrationsverbot darf weder rechtlich irrelevant sein noch an eine Pflicht zur Vertragserfüllung heranreichen. Letzteres schließt jedoch nicht aus, dass die Pflicht aus dem Frustrationsverbot sich im Einzelfall einmal mit Pflichten aus dem Vertrag überschneidet. Innerhalb dieses grundsätzlich anerkannten Rahmens ist umstritten, unter welchen Voraussetzungen ein Verstoß gegen das Frustrationsverbot vorliegt. Abzulehnen sind diejenigen Ansichten, die mit der Frustrationsabsicht, berechtigten Erwartungen oder dem Erhalt des Status quo auf äußere Umstände abstellen. Denn sie ersetzen die restriktiven Kriterien des Art. 18 WVK, der eine Vereitelung des Zwecks des jeweiligen Vertrages verlangt, durch andere, außerhalb des Vertrags liegende Kriterien. Doch auch diejenigen Auffassungen, die sich am jeweiligen Vertrag orientieren, geben das Frustrationsverbot nicht zutreffend wieder, da sie nicht den erforderlichen Abstand zur Vertragserfüllung wahren. Die Nichtbefolgung wesentlicher Vertragspflichten stellt keinen Verstoß gegen das Frustrationsverbot dar, da der Vertrag vor Inkrafttreten gerade noch nicht befolgt werden muss. Ein bloßes Abstellen auf die Möglichkeit der Vertragserfüllung wiederum verkennt, dass das Frustrationsverbot nach dem Wortlaut des Art. 18 WVK nicht die spätere Einhaltung des gesamten Vertrages, sondern nur die Erreichung des Vertragszwecks sichert. Nach der hier vertretenen Auffassung verstößt ein Staatenverhalten nur gegen das Frustrationsverbot, wenn es dazu führt, dass der Vertragszweck bei Fälligkeit der Vertragserfüllung nicht mehr durch diese erreicht werden kann. Man mag bedauern, dass ein derart eng verstandenes Frustrationsverbot insbesondere bei multilateralen rechtsetzenden Verträgen keine hohen Anforderungen an das Staatenverhalten stellt, weil solche Verträge aufgrund ihrer abstrakten Ziele nur schwer frustriert werden können. Doch wird dieses enge Verständnis des Frustrationsverbotes bereits vom Wortlaut des Art. 18 WVK und der Systematik der Wiener Vertragsrechtskonvention vorgegeben. Nimmt man das in Art. 18 WVK angelegte enge Verständnis des Frustrationsverbotes ernst, verringert man zugleich das Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung, da dann vor Inkrafttreten eines Vertrages nur in sehr geringem Umfang völkerrechtliche Pflichten entstehen. Auch bleibt für diejenigen Fälle, die das Frustrationsverbot nicht befriedigend lösen kann, noch immer der Rückgriff auf andere Ausprägungen des Grundsatzes von Treu und Glauben, wie z. B. Estoppel, Vertrauensschutz oder das Verbot des Rechtsmissbrauchs. Das Frustrationsverbot ist zudem dahingehend auszulegen, dass es neben Unterlassungs- auch Handlungspflichten umfassen kann. Diese müssen dem Umfang nach aber grundsätzlich unterhalb der Schwelle der Vertragserfüllung bleiben. Träger der korrespondierenden Rechte sind neben Staaten auch Individuen.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
Das Frustrationsverbot endet mit Inkrafttreten des Vertrages, kann aber auch vorher beendet werden. Anders als beim Inhalt des Frustrationsverbotes bestehen bei seiner Beendigung Unterschiede zwischen dem Zeitraum vor und nach der Ratifikation. Vor der Ratifikation kann das Frustrationsverbot durch formelle Erklärung oder konkludent beendet werden. Nicht ausreichend ist jedoch die bloße Ablehnung der Ratifikation durch das Parlament. Im Zeitraum nach der Ratifikation kann die Beendigung entweder durch deren Rückzug oder durch Zeitablauf erfolgen. Kapitel 2
Vorläufige Anwendung im Völkerrecht Wenn Staaten einen Vertrag bereits vor seinem Inkrafttreten ganz oder teilweise anwenden wollen, können sie auf die Möglichkeit der vorläufigen Anwendung zurückgreifen. Anders als das Frustrationsverbot ist diese kein regulärer Bestandteil des Vertragsschlussverfahrens, sondern muss nach Art. 25 I WVK für den konkreten Fall vereinbart werden. Daher soll zunächst dargestellt werden, wann die vorläufige Anwendung typischerweise zum Einsatz kommt (A.). Anschließend wird untersucht werden, wie die Pflicht zur vorläufigen Anwendung in der Praxis ausgestaltet wird und was ihre Rechtsnatur ist (B.). Zum Abschluss sollen dann die Wirkungen der vorläufigen Anwendung (C.) und ihre Beendigung (D.) in den Blick genommen werden.
A. Typische Anwendungsfelder Im internationalen Durchschnitt wird die vorläufige Anwendung bei ca. 3 % der Verträge vereinbart.395 Dabei lassen sich aus der Staatenpraxis eine Reihe von – mitunter auch kumulativ vorliegenden – Gründen ableiten, die Staaten zur vorläufigen Anwendung motivieren können.396 Im Folgenden soll allerdings nur ein kurzer Überblick über die typischen Anwendungsfälle der vorläufigen Anwendung gegeben werden. Dabei sind zunächst bestimmte Vertragsgegenstände zu nennen, für die besonders häufig auf vorläufige Anwendung zurückgegriffen wird (I.). Doch auch jenseits dieser Vertragsgegenstände gibt es Gründe, die Staaten im Einzelfall zur vorläufigen Anwendung bewegen (II.). 395
Diese Zahl ist das Ergebnis einer Auswertung der bei den Vereinten Nationen registrierten Verträge, siehe Albane Geslin, La mise en application provisoire des traités (2005), 347. 396 Für eine besonders umfangreiche Auswertung und Kategorisierung der Staatenpraxis in dieser Hinsicht siehe Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties with Special Reference to Arms Control, Disarmament and Non-Proliferation Instruments (2009), 23 – 42.
Kap. 2: Vorläufige Anwendung im Völkerrecht
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I. Typische Vertragsgegenstände Der Hauptgrund für die vorläufige Anwendung von Verträgen ist gegenwärtig, dass bis zum Inkrafttreten eines Vertrages viel Zeit vergehen kann.397 Insofern kommt die vorläufige Anwendung besonders häufig zum Einsatz, wenn der Inhalt eines Vertrages eine zeitnahe Durchsetzung verlangt.398 Dies betrifft insbesondere Verträge, die auf Krisen reagieren (1.) oder Wirtschaftsfragen regeln (2.), aber auch sonstige eilbedürftige Verträge (3.). 1. Schnelle Reaktion auf dringliche Situationen Vorläufige Anwendung wird gerne genutzt, wenn mit völkerrechtlichen Verträgen schnell auf zeitlich drängende Situationen reagiert werden soll.399 In diese Kategorie fallen zunächst einmal Friedensverträge, von denen aus die vorläufige Anwendung sich auf andere Regelungsgegenstände ausgebreitet hat.400 Heute ist die vorläufige Anwendung auch ein gängiges Instrument für die Reaktion auf Krisen, wie z. B. die Atomkatastrophe von Tschernobyl.401 So enthalten sowohl das Übereinkommen über die frühzeitige Benachrichtigung bei nuklearen Unfällen402 als auch das Übereinkommen über die Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen403 eine Vertragsbestimmung, die ihre vorläufige Anwendung ermöglicht. 2. Wirtschaftsabkommen Häufig eingesetzt wird die vorläufige Anwendung auch bei Wirtschaftsabkommen. Diese sind oftmals auf aktuelle wirtschaftliche Bedürfnisse zugeschnitten und sollen daher nicht erst nach Durchlaufen des langwierigen Vertragsschlussverfahrens 397 Für eingehendere Ausführungen zur Funktion der vorläufigen Anwendung im modernen Vertragsschlussverfahren siehe Einleitung A.III.2. 398 Vgl. Matthew Belz, Provisional Application of the Energy Charter Treaty: Kardassopoulos v. Georgia and Improving Provisional Application in Multilateral Treaties, 22 Emory International Law Review (2008) 727, 728; René Lefeber, The Provisional Application of Treaties, in: Vierdag, E. W./Klabbers, Jan/Lefeber, René, Essays on the Law of Treaties (1998), 82 – 83. 399 Völkerrechtskommission, First Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo (03. 06. 2013), A/CN.4/664, 7 Rn. 27. 400 Mahnoush H. Arsanjani/William Michael Reisman, Provisional Application of Treaties in International Law: The Energy Charter Treaty Awards, in: Cannizzaro, Enzo/Arsanjani, Mahnoush H., The Law of Treaties Beyond the Vienna Convention (2011), 88. 401 Völkerrechtskommission, First Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 399), 7 Rn. 27. 402 Vgl. Art. 13 Convention on Early Notification of a Nuclear Accident (26. 09. 1986), 1439 United Nations Treaty Series 275. 403 Vgl. Art. 15 Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency (26. 09. 1986), 1457 United Nations Treaty Series 133.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
angewendet werden.404 Entsprechend wurden sie bereits auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz als Beispiel für Verträge genannt, deren Gegenstand zu einer gewissen Eile drängt.405 In der Praxis machen daher Handels- und Rohstoffabkommen einen großen Teil der vorläufig anwendbaren Verträge aus.406 Klassische Beispiele für Wirtschaftsabkommen, die eine Möglichkeit zur vorläufigen Anwendung vorsehen, sind z. B. die Freihandelsabkommen, welche die Europäischen Union mit Kanada407 und Südkorea408 abgeschlossen hat. Doch auch bei Investitionsschutzverträgen, wie z. B. dem Energiecharta-Vertrag,409 kann die vorläufige Anwendung zum Einsatz kommen. 3. Sonstige eilbedürftige Verträge Die bislang genannten Fallgruppen sind typische Beispiele für Vertragsgegenstände, die zur Vereinbarung der vorläufigen Anwendung führen. Doch auch bei anderen Vertragsgegenständen kann ein Grund zur Eile und damit ein Anreiz zur vorläufigen Anwendung bestehen. So wurde z. B. als sich die Niederlande und Belgien über die Eisenbahnstrecke Eiserner Rhein stritten auch der zwischen beiden Staaten geschlossene Schiedsvertrag vorläufig angewendet.410
II. Weitere Gründe für die vorläufige Anwendung Neben eilbedürftigen Vertragsgegenständen gibt es noch weitere Gründe für die vorläufige Anwendung. So kann sie den Übergang zwischen Nachfolge- oder Änderungsverträgen und dem ursprünglichen Vertrag erleichtern (1.). Ebenso kann es darum gehen, Vertrauen in einen Vertrag zu bilden oder seine Umsetzung vorzu404 Ulrich Klaus, The Yukos Case under the Energy Charter Treaty and the Provisional Application of International Treaties (2005), (Fn. 81), 2 – 3. 405 Siehe den Diskussionsbeitrag von Sir Humphrey Waldock, Eleventh Plenary Meeting, (Fn. 88), 43 Rn. 89. 406 Völkerrechtskommission, Fifth Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo (20. 02. 2018), A/CN.4/718, 23 Rn. 80. 407 Vgl. Art. 30.7 III Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) Between Canada, of the One Part, and the European Union [and its Member States], of the Other Part (30. 10. 2016), online: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2016/february/tradoc_154329.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 408 Vgl. Art. 15.10. V Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits (06. 10. 2010) ABl. L 127/1 vom 14. 05. 2011. 409 Vgl. Art. 45 The Energy Charter Treaty (17. 12. 1994), 2080 United Nations Treaty Series 95. 410 Agreement Between the Kingdom of Belgium and the Kingdom of the Netherlands on the Arbitration Relating to the Reactivation and Modernization of the Iron Rhine (Translation) (22. 07. 2003), 2332 United Nations Treaty Series 481.
Kap. 2: Vorläufige Anwendung im Völkerrecht
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bereiten (2.). Nicht zuletzt können die Gründe für die vorläufige Anwendung aber auch aus der innerstaatlichen Sphäre stammen (3.). 1. Ablösung oder Änderung bestehender Verträge Grund für die vorläufige Anwendung eines Vertrages kann auch sein Verhältnis zu einem bereits bestehenden Vertrag sein. So soll die vorläufige Anwendung bei aufeinanderfolgenden Regelungsregimen verhindern, dass zeitliche Lücken entstehen.411 Dies gilt insbesondere für Rohstoffabkommen, da diese meist auf begrenzte Zeit geschlossen und dann durch ein Folgeabkommen ersetzt werden.412 Ein Beispiel hierfür ist etwa das Internationale Tropenholzabkommen von 2006,413 welches das Internationale Tropenholzabkommen von 1994414 ablöst. Bei Änderungsverträgen, wie dem Durchführungsübereinkommen zu Teil XI des Seerechtsübereinkommens415, kann die vorläufige Anwendung wiederum darauf abzielen, dass eine Vertragsänderung möglichst frühzeitig wirksam wird.416 Dadurch kann sie auch einen Anreiz zur Ratifikation des Änderungsvertrages setzen, wie die Reform des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zeigt.417 Hier blieb die für das Inkrafttreten von Protokoll 14418 erforderliche Ratifikation Russlands zunächst aus. Daraufhin nahmen die anderen Staaten einige der Reformelemente in ein neues Protokoll 14bis auf, das nicht nur weniger Ratifikationen erforderte, sondern auch eine vorläufige Anwendung ermöglichte.419 Dieses Vorgehen dürfte dazu beigetragen haben, dass Russland Protokoll 14 letztendlich doch noch ratifizierte.420
411
René Lefeber, The Provisional Application of Treaties, (Fn. 398), 83. Mahnoush H. Arsanjani/William Michael Reisman, Provisional Application of Treaties in International Law: The Energy Charter Treaty Awards, (Fn. 400), 89. 413 Art. 38 International Tropical Timber Agreement (01. 02. 2006), 2797 United Nations Treaty Series 75. 414 International Tropical Timber Agreement (26. 01. 1994), 1955 United Nations Treaty Series 81. 415 Art. 7 Resolution 48/263: Agreement relating to the implementation of Part XI of the United Nations Convention on the Law of the Sea of 10 December 1982, (Fn. 165). 416 Jonathan I. Charney, U.S. Provisional Application of the 1994 Deep Seabed Agreement, 88 The American Journal of International Law (1994) 705, 709. 417 Heike Krieger, Art. 25 VCLT, in: Dörr, Oliver/Schmalenbach, Kirsten, Vienna Convention on the Law of Treaties (2. Aufl. 2018), 443 – 444 Rn. 6. 418 Vgl. Art. 19 Protocol No. 14 to the Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms (13. 05. 2004) Council of Europe Treaty Series No. 194. 419 Art. 6 – 7 Protocol No. 14 bis to the Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms (27. 05. 2009) Council of Europe Treaty Series No. 204. 420 Heike Krieger, Art. 25 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 417), 443 – 444 Rn. 6. 412
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
2. Vertrauensbildung und Vorbereitung der Umsetzung Insbesondere bei Rüstungsbeschränkungsabkommen, bei denen Kompromisse meist in harten Verhandlungen errungen werden, kann die vorläufige Anwendung den aus dem Frustrationsverbot resultierenden Schutz des Vertragskerns erweitern und verstärken.421 Indem das erzielte Verhandlungsergebnis in der sensiblen Phase zwischen Unterzeichnung und Inkrafttreten geschützt wird, soll der „Schwung“ der Verhandlungen aufrechterhalten werden.422 Beispiele hierfür sind Art. 18 der Antipersonenminen-Konvention423 und Teil 8 des Protokolls zum neuen START-Vertrag zwischen den USA und Russland.424 Der Einsatz der vorläufigen Anwendung als vertrauensbildende Maßnahme ist jedoch nicht auf Rüstungsbeschränkungsabkommen beschränkt, sondern spielt auch bei den oben bereits erwähnten Wirtschaftsabkommen eine Rolle.425 Darüber hinaus kann die vorläufige Anwendung aber auch dazu dienen, bereits die spätere Umsetzung des Vertrages vorzubereiten.426 Hierfür ist abermals das Protokoll des neuen START-Vertrages427 ein gutes Beispiel. 3. Innerstaatliche Gründe Die Motivation, eine vorläufige Anwendung zu vereinbaren, kann auch aus dem innerstaatlichen Bereich stammen.428 Vor allem bei bilateralen Verträgen wird die vorläufige Anwendung manchmal genutzt, wenn eine innerstaatlich erforderliche Zustimmung zur Ratifikation bereits als sicher erscheint.429 Beispiele hierfür finden
421 Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Arms Control Treaties, (Fn. 230), 352, 355. 422 Martin A. Rogoff/Barbara E. Gauditz, The Provisional Application of International Agreements, 39 Maine Law Review (1987) 29, 33. 423 Convention on the Prohibition of the Use, Stockpiling, Production and Transfer of AntiPersonnel Mines and on Their Destruction (18. 09. 1997), 2056 United Nations Treaty Series 211. 424 Protocol to the Treaty between the United States of America and the Russian Federation on Measures for the Further Reduction and Limitation of Strategic Offensive Arms (08. 04. 2010), online: https://2009-2017.state.gov/documents/organization/140047.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 425 Catherine Brölmann/Guido den Dekker, Treaties, Provisional Application (2020), (Fn. 40), Rn. 3. 426 Robert E. Dalton, Provisional Application of Treaties, (Fn. 84), 235. 427 Part 8 Protocol to the Treaty between the United States of America and the Russian Federation on Measures for the Further Reduction and Limitation of Strategic Offensive Arms, (Fn. 424). 428 Völkerrechtskommission, Fifth Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 406), 23 Rn. 79. 429 Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Arms Control Treaties, (Fn. 230), 346.
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sich vor allem bei Freundschaftsverträgen und Verträgen über Kultur-, Wissenschafts- und Bildungsaustausch.430 Umgekehrt wird die vorläufige Anwendung aber auch eingesetzt, wenn eine innerstaatlich erforderliche Zustimmung zur Ratifikation nicht eingeholt werden kann.431 Dies kann ausnahmsweise am Fehlen eines funktionsfähigen Parlaments liegen, was z. B. der Fall war, als der Irak 2010 ein Zusatzprotokoll der Internationalen Atomenergiebehörde vorläufig anwendete.432 Häufiger soll durch die vorläufige Anwendung jedoch verhindert werden, dass ein zustimmungsbedürftiger Vertrag an der innerstaatlichen politischen Lage scheitert.433 Hierfür gibt es in der Praxis einige Beispiele, die in Kapitel 3 bei der Untersuchung des Spannungsverhältnisses zwischen vorläufiger Anwendung und innerstaatlichem Recht noch eingehender dargestellt werden.434
III. Fazit Die in diesem Abschnitt genannten Anwendungsfelder der vorläufigen Anwendung sollen nur einen Eindruck vermitteln und können keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Schließlich ist die vorläufige Anwendung weder rechtlich noch praktisch auf bestimmte Vertragstypen und Situationen beschränkt. Festhalten lässt sich somit nur, dass es im Kern stets darum geht, dass Staaten einen Vertrag zeitnah anwenden wollen, die Dauer des Ratifikationsverfahrens dem aber entgegensteht.435
B. Rechtsnatur und Ausgestaltung Art. 25 I WVK sieht vor, dass im Völkerrecht grundsätzlich die Möglichkeit zur vorläufigen Anwendung von Verträgen besteht. Allerdings ist diese Norm rein deklaratorischer Natur (I.). Rechtsgrundlage für die vorläufige Anwendung eines konkreten Vertrages ist hingegen, dass im jeweiligen Einzelfall eine Vereinbarung über die Möglichkeit zur vorläufigen Anwendung des konkreten Vertrages getroffen 430 Siehe Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Arms Control Treaties, (Fn. 230), 346 Fn. 7. 431 Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Arms Control Treaties, (Fn. 230), 347. 432 Robert E. Dalton, Provisional Application of Treaties, (Fn. 84), 236. 433 Völkerrechtskommission, First Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 399), 9 Rn. 35. 434 Für Fälle in denen Verträge mangels einer innerstaatlich erforderlichen Zustimmung über längere Zeit hinweg vorläufig angewendet wurden siehe infra Kapitel 3 A.IV. 435 Vgl. Gerhard Hafner, The ,Provisional Application‘ of the Energy Charter Treaty, in: Binder, Christina/Kriebaum, Ursula/Reinisch, August/Wittich, Stephan, International Investment Law for the 21st Century (2009), 598.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
wird (II.). Eine Pflicht zur vorläufigen Anwendung wird für einen Staat allerdings erst begründet, wenn er seinen entsprechenden Bindungswillen zu erkennen gibt (III.). Von der übereinstimmend vereinbarten Pflicht zur vorläufigen Anwendung sind rechtsverbindliche einseitige Erklärungen sowie die freiwillige Anwendung eines noch nicht in Kraft getretenen Vertrages zu unterscheiden (IV.). Was die rechtsdogmatische Einordnung der vorläufigen Anwendung anbelangt, so handelt es sich um ein vertragsbezogenes Rechtsinstitut sui generis (V.).
I. Deklaratorische Natur des Art. 25 I WVK Art. 25 I WVK besagt, dass die vorläufige Anwendung eines Vertrages in dem Vertrag selbst oder auf andere Weise vereinbart worden sein muss. Damit erschöpft sich die Funktion des Artikels darin, auf die Existenz des Mechanismus der vorläufigen Anwendung hinzuweisen.436 Staaten könnten die vorläufige Anwendung auch ohne Art. 25 I WVK vereinbaren, da sie im Völkerrecht umfassende Vertragsbzw. Handlungsfreiheit genießen. Unter anderem aus diesem Grund hatten die USA auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz die Löschung des Artikels beantragt.437 Zwar sprachen sich damals andere Staatendelegierte für die Beibehaltung des Artikels aus, doch sahen auch sie ihn lediglich als die Bestätigung einer bereits existierenden Praxis.438 Dies deckt sich mit der Position des Sonderberichterstatters Waldock. Dieser wollte durch die Aufnahme des Artikels in seinen Entwurf zur Vertragsrechtskonvention vor allem vermeiden, dass sein Fehlen als Ablehnung der bereits existierenden Praxis gedeutet würde.439 Folglich erkennt Art. 25 I WVK einen Mechanismus an, der auch ohne ihn vereinbart werden könnte und ist damit rein deklaratorisch. Ursprung einer Pflicht zur vorläufigen Anwendung ist demgegenüber stets der ausdrücklich oder konkludent geäußerte Staatenwille.440
436 Statt vieler Ulrich Klaus, The Yukos Case under the Energy Charter Treaty and the Provisional Application of International Treaties (2005), (Fn. 81), 4. 437 Für den Diskussionsbeitrag, in welchem ein amerikanischer Staatendelegierter den Löschungsantrag seiner Delegation begründet, siehe 26th Meeting of the Committee of the Whole, in: United Nations, Official Records of the United Nations Conference on the Law of Treaties, First Session (Summary Records of the Plenary Meetings and of the Meetings of the Committee of the Whole) (1968), S. 140 Rn. 23 – 24. 438 Siehe z. B. die Diskussionsbeiträge der Delegierten von Venezuela, dem Vereinigten Königreich und Frankreich, 26th Meeting of the Committee of the Whole, (Fn. 437), 141 – 142 Rn. 29 – 31, 45, 48. 439 Law of Treaties, Fourth Report by Waldock, in: Völkerrechtskommission, Yearbook of the International Law Commission, Vol. II (1965), 58. 440 Völkerrechtskommission, First Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 399), 11 Rn. 43.
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II. Vereinbarungen im Einzelfall als rechtliche Grundlage der vorläufigen Anwendung Typischerweise wird die vorläufige Anwendung entweder im vorläufig anzuwendenden Vertrag selbst oder in einem separaten Instrument vereinbart.441 Dies entspricht den Varianten des Art. 25 I WVK, nach denen die vorläufige Anwendung im „treaty itself“ vorgesehen oder „in some other manner so agreed“ sein muss. Dies verdeutlicht, dass die vorläufige Anwendung stets auf dem übereinstimmenden Willen von mindestens zwei Staaten beruhen muss,442 also nicht etwa durch eine echte einseitige Erklärung erfolgen kann.443 Die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung muss nicht zwingend in Form eines Vertrages erfolgen, wie auch die Formulierung „in some other manner“ in Art. 25 I lit. b) WVK zeigt.444 Hintergrund ist, dass den Staaten kein Mittel abgeschnitten werden soll, mit dem sie vorläufige Anwendung vereinbaren und damit eine Zeitverzögerung durch das Ratifikationsverfahren vermeiden können.445 Trotzdem wird die Möglichkeit zur vorläufigen Anwendung im Regelfall bereits im jeweiligen Vertrag selbst vorgesehen, da sich die Gründe für eine vorläufige Anwendung meist schon in der Verhandlungsphase zeigen.446 Beispiele hierfür sind Art. 23 des multilateralen Vertrags über Waffenhandel447 oder Art. 17 des bilateralen Lufttransportübereinkommens zwischen den USA und Äthiopien.448 Möglich ist aber auch, dass die vorläufige Anwendung in einem separaten Vertrag vereinbart wird. Dies war z. B. beim Protokoll zur vorläufigen Anwendung des 441 Völkerrechtskommission, First Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 399), 10 – 11 Rn. 41 – 42. 442 Vgl. American Law Institute, Restatement of the Law Fourth – The Foreign Relations Law of the United States, (Fn. 232), 38; Thomas Kleinlein, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 80), 380. 443 Zur Begründung, warum die vorläufige Anwendung entgegen anderer Ansicht nicht durch echte einseitige Erklärung erfolgen kann, siehe infra Kapitel 2 B.IV.1. 444 Michie argumentiert, dass diese Auslegung in der französischen Sprachfassung deutlicher ist, da dort das Wort „convenus“ verwendet wird, siehe Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties with Special Reference to Arms Control, Disarmament and Non-Proliferation Instruments, (Fn. 396), 57 – 58, insb. Fn. 296. 445 Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties with Special Reference to Arms Control, Disarmament and Non-Proliferation Instruments, (Fn. 396), 57. 446 Federal Republic of Germany, Comments and Observations by Germany on the Draft Guide to Provisional Application of Treaties, Adopted by the International Law Commission on First Reading (December 2019), online: https://legal.un.org/ilc/sessions/72/pdfs/english/pat_ger many.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022), Rn. 20. 447 The Arms Trade Treaty (02. 04. 2013), 3012 United Nations Treaty Series I–52373. 448 Air Transport Agreement between the Government of the United States of America and the Government of the Federal Democratic Republic of Ethiopia (17. 05. 2005), 06 – 721.1 Treaties and Other International Acts Series, online: https://2009-2017.state.gov/documents/or ganization/114728.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022).
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allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens449 oder dem Protokoll über die vorläufige Anwendung des Übereinkommens zur Etablierung eines internationalen Wissenschafts- und Technologiezentrums450 der Fall. Diese separaten Verträge werden dann typischerweise im einfachen Vertragsschlussverfahren geschlossen.451 Letztendlich lässt sich daher für die Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages nur festhalten, dass sie in der Praxis verschiedene Formen annehmen kann, da sie nicht nur im Vertrag selbst, sondern auch auf andere Weise getroffen werden kann.
III. Begründung und Beginn der Pflicht zur vorläufigen Anwendung Unabhängig davon, welches Instrument zur Vereinbarung der vorläufigen Anwendung gewählt wurde, wird ein Staat nie ohne seinen Willen zur vorläufigen Anwendung verpflichtet.452 Dass er einen vorläufig anzuwendenden Vertrag ausgehandelt oder gar unterzeichnet hat, bedeutet nicht automatisch, dass er auch eine Pflicht zu dessen vorläufiger Anwendung übernimmt.453 Vielmehr ergibt sich aus der Ausgestaltung der jeweiligen Vereinbarung über die vorläufige Anwendung, welche Staaten eine Pflicht zur vorläufigen Anwendung übernehmen.454 Typischerweise sind die Vereinbarungen so ausgestaltet, dass die Staaten hinsichtlich der Frage, ob sie sich zur vorläufigen Anwendung verpflichten wollen, flexibel sind (1.). Diese Flexibilität wird dadurch erreicht, dass die Pflicht zur vorläufigen Anwendung häufig durch separate Vereinbarungen oder im Zuge von Optin- oder Opt-out-Verfahren ausgelöst wird (2.). Der Beginn der Pflicht zur vorläufigen Anwendung kann mit dem Auslösungsakt zusammenfallen oder abweichend geregelt sein (3.).
449 Protocol of Provisional Application of the General Agreement on Tariffs and Trade (30. 10. 1947), 55 United Nations Treaty Series 308. 450 Protocol on the Provisional Application of the Agreement establishing an International Science an Technology Center (27. 12. 1993) OJEC L64/2 dating 08. 03. 1994. 451 Schiedsgericht, Award in the Matter of an Arbitration between Kuwait and the American Independent Oil Company (AMINOIL), Schiedsspruch (1982), 21 International Legal Materials 976, 1005 – 1006 Rn. 33; Denise Mathy, Art. 25 VCLT, in: Corten, Olivier/Klein, Pierre, The Vienna Conventions on the Law of Treaties (2011), 650 Rn. 23. 452 Vgl. Völkerrechtskommission, First Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 399), 11 Rn. 43. 453 Vgl. Völkerrechtskommission, Second Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo (09. 06. 2014), A/CN.4/675, 8 Rn. 35 lit. c). 454 Vgl. René Lefeber, The Provisional Application of Treaties, (Fn. 398), 84 – 86.
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1. Große Flexibilität Ursprung der Pflicht zur vorläufigen Anwendung ist stets der implizit oder explizit ausgedrückte Bindungswille eines Staates.455 Wird die vorläufige Anwendung in einer Bestimmung des vorläufig anzuwendenden Vertrages vorgesehen, kann der Bindungswille bereits durch einen Akt des Vertragsschlussverfahrens ausgedrückt werden.456 Bei diesem Akt handelt es sich häufig, aber nicht zwingend, um die Unterzeichnung.457 In diesen Fällen führt bereits das Durchlaufen des Vertragsschlussverfahrens dazu, dass ein Staat sich automatisch zur vorläufigen Anwendung bereit erklärt. In anderen Fällen sieht die Vereinbarung über die vorläufige Anwendung nur die Möglichkeit zur vorläufigen Anwendung vor und überlässt den einzelnen Staaten die Entscheidung, ob sie eine entsprechende Pflicht eingehen möchten.458 Hintergrund ist, dass vorläufige Anwendung in einem Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht des jeweiligen Staates stehen und daher verfassungsrechtlich nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein kann.459 Bereits auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz wurden daraus resultierende Bedenken gegen die vorläufige Anwendung mit dem Einwand beschwichtigt, dass kein Staat dazu gezwungen sei, von der vorläufigen Anwendung Gebrauch zu machen.460 Insofern könnte es Staaten von der Beteiligung an einem Vertrag abhalten, wenn sie bereits im Rahmen des regulären Vertragsschlussverfahrens zwingend eine Pflicht zur vorläufigen Anwendung auf sich nehmen müssten.461 In der Praxis scheinen unvermeidbare Pflichten zur vorläufigen Anwendung daher meist nur bei bilateralen462 oder geschlossenen multilateralen Verträgen463 vorgesehen zu werden. Schließlich ist in diesen Fällen der Kreis der möglichen Vertragsparteien begrenzt und daher auch ihre Einstellung gegenüber der vorläufigen Anwendung bekannt. Wenn sich multilaterale 455 Völkerrechtskommission, First Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 399), 11 Rn. 43. 456 Vgl. Völkerrechtskommission, Second Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 453), 8 Rn. 35. 457 Catherine Brölmann/Guido den Dekker, Treaties, Provisional Application (2020), (Fn. 40), Rn. 14. 458 Völkerrechtskommission, Second Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 453), 8 Rn. 35 lit. c). 459 Für Ausführungen zum Umgang der verschiedenen innerstaatlichen Rechtsordnungen mit der vorläufigen Anwendung siehe infra Kapitel 4 A.I. 460 Vgl. Eleventh Plenary Meeting, (Fn. 88), 43 Rn. 89 – 90. 461 So auch René Lefeber, The Provisional Application of Treaties, (Fn. 398), 85. 462 Siehe z. B. Art. 17 Air Transport Agreement between the Government of the United States of America and the Government of the Federal Democratic Republic of Ethiopia, (Fn. 448); Art. 8 III International Energy Agency-Norway: Agreement Concerning the Participation of Norway in the Work of the Agency (07. 02. 1975), 14 International Legal Materials 641. 463 Siehe z. B. Art. 28 lit. b) Agreement on the International Tracing Service (09. 12. 2011) United Nations Treaty Series I–53704.
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Verträge an eine Vielzahl von Staaten richten, scheint die Eingehung der Pflicht zur vorläufigen Anwendung hingegen meist flexibel ausgestaltet zu sein. 2. Separate Vereinbarung und Opt-in- oder Opt-out-Verfahren Um die vorläufige Anwendung eines Vertrages auch dann möglich zu machen, wenn einzelne Staaten sich an dieser nicht beteiligen können, kann die vorläufige Anwendung in einem separaten Instrument vereinbart (a)) oder auf ein Opt-in- (b)) oder Opt-out-Verfahren (c)) zurückgegriffen werden.464 a) Separates Übereinkommen Wird die Pflicht zur vorläufigen Anwendung in einem separaten Übereinkommen vorgesehen, kann vereinbart werden, dass sie durch dessen Inkrafttreten ausgelöst wird.465 Ein solches Übereinkommen kann dabei im einfachen Vertragsschlussverfahren geschlossen werden.466 Dadurch verpflichten sich nur diejenigen Staaten zur vorläufigen Anwendung, die Partei des separaten Übereinkommens werden. b) Opt-out-Verfahren Beim Opt-out-Verfahren wiederum wird die Pflicht zur vorläufigen Anwendung zwar automatisch durch einen bestimmten Akt des Vertragsschlussverfahrens wie z. B. die Unterzeichnung ausgelöst, doch kann der jeweilige Staat dies durch die Abgabe einer gegenteiligen Erklärung verhindern. Eine derartige Vertragsgestaltung findet sich z. B. in Art. 7 I lit. a)–b) des Durchführungsübereinkommens zu Teil XI des Seerechtsübereinkommen467 sowie in Art. 45 II des Energiecharta-Vertrages.468 c) Opt-in-Verfahren Eine andere Gestaltungsmöglichkeit ist das Opt-in-Verfahren, bei dem die Pflicht zur vorläufigen Anwendung erst durch eine entsprechende Erklärung gegenüber dem Depositar oder den anderen Staaten ausgelöst wird. Oftmals ist dabei vorgesehen, dass die Erklärung bei Vornahme eines Akts des Vertragsschlussverfahrens abgegeben werden muss. So sieht z. B. Art. 15 des Übereinkommens über die Hilfe464 Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties with Special Reference to Arms Control, Disarmament and Non-Proliferation Instruments, (Fn. 396), 63. 465 Siehe z. B. Art. 1 I Protocol on the Provisional Application of the Agreement establishing an International Science an Technology Center, (Fn. 450). 466 Schiedsgericht, Award in the Matter of an Arbitration between Kuwait and the American Independent Oil Company (AMINOIL), (Fn. 451), 1005 – 1006 Rn. 33. 467 Resolution 48/263: Agreement relating to the implementation of Part XI of the United Nations Convention on the Law of the Sea of 10 December 1982, (Fn. 165). 468 The Energy Charter Treaty, (Fn. 409).
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leistung bei nuklearen Unfällen oder radiologischen Notfällen469 die Abgabe der Erklärung zur vorläufigen Anwendung bei oder nach Unterzeichnung vor. Nach Art. 18 des Antipersonenminen-Übereinkommens470 wiederum, kann die Erklärung im Zeitpunkt von Ratifikation oder Beitritt abgegeben werden. Zwingend ist eine Verknüpfung der Opt-in-Erklärung mit einem Akt des Vertragsschlussverfahrens nicht. Hintergrund dieser typischen Gestaltung ist aber wohl, dass die vorläufige Anwendung nur Staaten offenstehen soll, die auch Vertragspartei werden wollen. Dies illustriert Art. 38 des Internationalen Tropenholzübereinkommens,471 der für die Abgabe der Erklärung zwar keinen Akt des Vertragsschlussverfahrens, dafür aber eine Ratifikationsabsicht bzw. die Einleitung des Beitrittsverfahrens voraussetzt. Mit Art. 7 I lit. c) des Durchführungsübereinkommens zu Teil XI des Seerechtsübereinkommens472 gibt es allerdings auch ein Beispiel für eine Opt-in-Erklärung, die an keinerlei Voraussetzungen geknüpft ist. Art. 7 I des Durchführungsübereinkommens ist auch ein Beispiel dafür, dass Optin- und Opt-out-Verfahren sich nicht gegenseitig ausschließen müssen, sondern nebeneinander bestehen können. 3. Beginn der vorläufigen Anwendung Die Frage, in welchem Zeitpunkt eine Pflicht zur vorläufigen Anwendung beginnt, hängt von der im jeweiligen Fall getroffenen Regelung ab.473 Dies bestätigt auch die Guideline 5 der Völkerrechtskommission.474 Häufig ist ausdrücklich vorgesehen, dass die Pflicht mit dem sie auslösenden Akt beginnt.475 Dabei handelt es sich zugleich um die Grundregel für den Fall, dass keine ausdrückliche Regelung existiert. Manchmal werden jedoch auch andere Regelungen getroffen. So kann z. B. vorgesehen sein, dass die vorläufige Anwendung erst an einem festgelegten Datum beginnt.476 Ebenfalls möglich ist es, dass durch den Akt, der die Pflicht zur vor-
469 Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency, (Fn. 403). 470 Convention on the Prohibition of the Use, Stockpiling, Production and Transfer of AntiPersonnel Mines and on Their Destruction, (Fn. 423). 471 International Tropical Timber Agreement, (Fn. 413). 472 Resolution 48/263: Agreement relating to the implementation of Part XI of the United Nations Convention on the Law of the Sea of 10 December 1982, (Fn. 165). 473 Catherine Brölmann/Guido den Dekker, Treaties, Provisional Application (2020), (Fn. 40), Rn. 15; René Lefeber, The Provisional Application of Treaties, (Fn. 398), 85 – 86. 474 Völkerrechtskommission, Guide to Provisional Application of Treaties (15. 07. 2021), A/ CN.4/L.952/Rev.1, 2. 475 Siehe z. B. Art. 8 III International Energy Agency-Norway: Agreement Concerning the Participation of Norway in the Work of the Agency, (Fn. 462). 476 Siehe z. B. Art. 25 I Air Transport Agreement (30. 04. 2007) ABl. L 134/4 vom 25. 05. 2007.
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läufigen Anwendung begründet, eine Frist bis zu deren Beginn in Gang gesetzt wird.477 4. Fazit Letztendlich gibt es also kein einheitliches Regelungsregime der vorläufigen Anwendung. Maßgeblich für die Modalitäten der vorläufigen Anwendung sind vielmehr die von den Staaten für den konkreten Fall vereinbarten Regelungen.478
IV. Abgrenzung zu einseitigen Verpflichtungen und freiwilliger Anwendung Der bislang dargestellte Fall, dass die Pflicht zur vorläufigen Anwendung eines Vertrages auf eine entsprechende Vereinbarung zurückzuführen ist, muss von anderen Situationen abgegrenzt werden. So kann es auch Fälle geben, in denen eine Pflicht zur vorläufigen Anwendung durch einseitige Erklärung begründet wird (1.). Hiervon wiederum ist die ebenfalls einseitige, aber freiwillige vorläufige Anwendung zu unterscheiden (2.). 1. Echte einseitige Erklärung Die bislang dargestellte vorläufige Anwendung basiert auf dem übereinstimmenden Willen von zwei oder mehr Staaten. Art. 25 I WVK setzt mit den beiden Alternativen – Vertragsbestimmung und anderweitige Vereinbarung – eine solche konsensuale Basis voraus.479 Einseitige Opt-in-Erklärungen stehen hierzu allenfalls auf den ersten Blick im Widerspruch, da ihre Rechtsfolge letztendlich auf den konsensualen Rahmen für die vorläufige Anwendung und damit auf den übereinstimmenden Willen der Parteien zurückzuführen ist.480 Schwieriger zu beantworten ist hingegen die Frage, ob ein Staat einen Vertrag gänzlich auf eigene Initiative vorläufig anwenden kann. Der Sonderberichterstatter Gómez-Robledo hielt in seinem zweiten Bericht zur vorläufigen Anwendung von 477 Vgl. z. B. Art. 17.12 IV lit. a) Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Republik Singapur (19. 10. 2018) ABl. L 294/3 vom 14. 11. 2019. 478 Völkerrechtskommission, First Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 399), 10 Rn. 36. 479 Gerhard Hafner, Die vorläufige Anwendung internationaler Verträge, in: Benedek, Wolfgang/Folz, Hans-Peter/Isak, Hubert/Kettemann, Matthias/Kicker, Renate, Bestand und Wandel des Völkerrechts: Beiträge zum 38. Österreichischen Völkerrechtstag 2013 in Stadtschlaining (2014), 152. 480 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 146.
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Verträgen für möglich, dass die vorläufigen Anwendung eines Vertrages durch eine echte einseitige Erklärung ausgelöst wird.481 Bei solchen echten einseitigen Erklärungen handelt es sich um einseitige Akte,deren Existenz und Rechtsverbindlichkeit der Internationale Gerichtshof in Nuclear Tests bestätigt hat.482 Allerdings können solche echten einseitigen Erklärungen nur Pflichten begründen, wohingegen die vorläufige Anwendung eines Vertrages typischerweise auf Rechte und Pflichten abzielt.483 Daher kritisierte ein Vertreter Österreichs die Ansicht des Sonderberichterstatters dahingehend, dass einem Staat nicht ohne seine Zustimmung eine vertragsähnliche Beziehung aufgedrängt werden könne.484 Dieser Einwand überzeugt,485 weshalb eine echte einseitige Erklärung keine vorläufige Anwendung im herkömmlichen Sinne auslösen kann.486 Einem Staat bleibt es jedoch unbenommen, sich selbst zur vorläufigen Anwendung eines Vertrags zu verpflichten.487
2. Freiwillige vorläufige Anwendung Ein nochmals anders gelagerter Fall ist eine ebenfalls einseitige, aber freiwillige vorläufige Anwendung durch einen Staat. Insbesondere in den USA wird zwischen der rechtsverbindlichen vorläufigen Anwendung und dem freiwilligen, politisch motivierten Anwenden eines Vertrages vor dessen Inkrafttreten unterschieden.488 Darüber hinaus ist eine freiwillige vorläufige Anwendung auch bei Verträgen zu beobachten, die technische Vereinheitlichungen vorsehen und daher im allgemeinen Interesse sind.489 481 Vgl. Völkerrechtskommission, Second Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 453), 9 Rn. 36 – 38. 482 Vgl. Völkerrechtskommission, Second Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 453), 9 Rn. 36 – 38; Internationaler Gerichtshof, Nuclear Tests (Australia v. France), Judgment, 1974 ICJ Reports 253, 267 Rn. 43. 483 Danae Azaria, Provisional Application of Treaties, in: Hollis, Duncan B., The Oxford Guide to Treaties (2020), 236; Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 146 – 147. 484 Permanent Mission of Austria to the United Nations, Austrian Comments on Chapter III of the Report of the International Law Commission on the Work of its 66th Session (11. 03. 2015), online: https://legal.un.org/ilc/sessions/67/pdfs/english/pat_austria.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 485 Danae Azaria, Provisional Application of Treaties, (Fn. 483), 236. 486 So auch American Law Institute, Restatement of the Law Fourth – The Foreign Relations Law of the United States, (Fn. 232), 38 – 39; Danae Azaria, Provisional Application of Treaties, (Fn. 483), 236. 487 Gerhard Hafner, Die vorläufige Anwendung internationaler Verträge, (Fn. 479), 153. 488 Vgl. United States of America, United States’ Response to the Commission’s Request for Information Regarding Practice Relating to the Provisional Application of Treaties (2014), online: https://legal.un.org/ilc/sessions/66/pdfs/english/pat_us.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022), 3; American Law Institute, Restatement of the Law Fourth – The Foreign Relations Law of the United States, (Fn. 232), 39. 489 Anthony Aust, Modern Treaty Law and Practice, (Fn. 13), 156.
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Zu beachten ist bei der freiwilligen vorläufigen Anwendung jedoch, dass je nach Umständen Pflichten aus Estoppel490 entstehen können.491 So ging Kanada bei einem bilateralen Vertrag mit den USA von einer stillschweigend vereinbarten rechtsverbindlichen vorläufigen Anwendung aus, da sich beide Staaten auch ohne förmliche Vereinbarung so verhalten hatten als sei der Vertrag vorläufig anzuwenden.492
V. Dogmatische Einordnung der vorläufigen Anwendung Bisher wurde dargestellt, wie vorläufige Anwendung in der Praxis ausgestaltet wird und von welchen anderen Fällen sie abzugrenzen ist. In einem letzten Schritt soll nun auf ihre dogmatische Einordnung eingegangen werden. Diese hängt eng mit der Frage zusammen, warum ein Vertrag bei der vorläufigen Anwendung Rechtswirkungen entfalten kann, obwohl er noch nicht in Kraft getreten ist. Grundsätzlich lassen sich zwei Vorgehensweisen unterscheiden, der sog. Instrumentum- und der sog. Negotium-Ansatz.493 Nach dem Instrumentum-Ansatz hängt die Erklärung für die Rechtswirkungen der vorläufigen Anwendung davon ab, ob die vorläufige Anwendung im Vertrag selbst oder in einem separaten Instrument vorgesehen ist.494 Ist sie in einem separaten Instrument vereinbart, ist die Erklärung ihrer Rechtswirkungen unproblematisch. Schließlich kann das separate Übereinkommen im einfachen Verfahren geschlossen werden und damit vor dem Hauptvertrag in Kraft treten.495 Schwieriger einzuordnen ist nach dem InstrumentumAnsatz hingegen der Fall, dass die vorläufige Anwendung in einer Vertragsbestimmung des vorläufig anzuwendenden Vertrages selbst vorgesehen ist. Denn normalerweise entfaltet der Inhalt eines Vertrages seine Rechtswirkungen erst mit dessen Inkrafttreten.496 Daher wird in solchen Fällen von manchen Stimmen in der 490
Für nähere Ausführungen zu Estoppel siehe Kapitel 1 A.III.2.a). Auch Michie hält es grundsätzlich für möglich, dass in Situationen in denen die vorläufige Anwendung eigentlich unverbindlich wäre, unter Umständen Pflichten aus Estoppel entstehen können, siehe Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties with Special Reference to Arms Control, Disarmament and Non-Proliferation Instruments, (Fn. 396), 71. 492 Für die relevanten Auszüge aus einem Memorandum der kanadischen Behörden siehe M. D. Copithorne, Canadian Practice in International Law during 1977 as Reflected Mainly in Public Correspondence and Statements of the Department of External Affairs, (Fn. 169), 366 – 367. 493 Für eine ausführliche Darstellung von instrumentum- und negotium-Ansatz siehe Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 143 – 145, 157 – 158. 494 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 144 – 145. 495 So z. B. Horst Günter Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 101), 38. 496 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 159. 491
Kap. 2: Vorläufige Anwendung im Völkerrecht
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Literatur auf Art. 24 IV WVK zurückgegriffen.497 Nach diesem Artikel gelten die sog. Schlussbestimmungen bereits vor Inkrafttreten eines Vertrages. Bei diesen Schlussbestimmungen handelt es sich um Regelungen für Fragen, die sich, wie z. B. Art und Zeitpunkt des Inkrafttretens, notwendigerweise bereits vor Inkrafttreten stellen. Obwohl die vorläufige Anwendung nicht zu diesen eher technischen Vorschriften gezählt werden kann, wird vertreten, dass sie wie diese aufgrund des übereinstimmenden Willens der Staaten bereits vor Inkrafttreten Geltung erlangt.498 Anders als der Instrumentum-Ansatz unterscheidet der Negotium-Ansatz bei der Erklärung der Rechtswirkungen der vorläufigen Anwendung nicht anhand des ihr zu Grunde liegenden Instruments, da in materieller Hinsicht stets eine separate Vereinbarung vorliegen soll.499 Es wird also vertreten, dass es sich bei der vorläufigen Anwendung unabhängig von der Art ihrer Vereinbarung stets um eine Nebenabrede zum Hauptvertrag handelt.500 Diese Nebenabrede soll im einfachen Vertragsschlussverfahren geschlossen werden können.501 Sie ist bis zum Inkrafttreten des akzessorischen Hauptvertrages befristet und kann leichter gekündigt werden als andere Verträge.502 Allerdings hat dieser letztere Erklärungsansatz eine entscheidende Schwäche. Denn die Annahme, es bestünde unabhängig von der Art der Vereinbarung stets eine Nebenabrede, kann sich im Einzelfall als bloße Fiktion erweisen.503 Daneben spricht 497
Vgl. z. B. Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties with Special Reference to Arms Control, Disarmament and Non-Proliferation Instruments, (Fn. 396), 54; Horst Günter Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 101), 40 – 41. 498 So z. B. Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties with Special Reference to Arms Control, Disarmament and Non-Proliferation Instruments, (Fn. 396), 54; Horst Günter Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 101), 40 – 41. 499 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 143 – 144. 500 So z. B. Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, 77 Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (2017) 95, 104 – 105; Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 178 – 179; Daniel Vignes, Une notion ambiguë: L’application à titre provisoire des traités, 18 Annuaire français de droit international (1972) 181, 192. 501 Mauro Gatti, Provisional Application of EU Trade and Investment Agreements: A Pragmatic Solution to Mixity Issues, in: Fach Gómez, Katia/Simões, Fernando Dias, La política de la Unión Europea en materia de derecho de las inversiones internacionales (2017), 48; Sebastian Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor: Eine Untersuchung unter Berücksichtigung der vorläufigen Anwendung des Energiecharta-Vertrages durch Russland (2011), 57 – 58; Alfred Verdross/Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, (Fn. 178), 460. 502 Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 104 – 105, 110 – 111. 503 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 157; auch Michie bezeichnet diese Konstruktion als künstlich, siehe
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auch die Systematik der Wiener Vertragsrechtskonvention gegen diese Ansicht. Schließlich bildet Art. 25 WVK gemeinsam mit dem Artikel zum Inkrafttreten von Verträgen einen eigenständigen Abschnitt, wohingegen man eine Vorschrift über den Abschluss einer Nebenabrede eher im Abschnitt über den Vertragsschluss erwarten würde.504 Doch auch der Instrumentum-Ansatz kann nicht restlos überzeugen. Schließlich lässt sich die vorläufige Anwendung aufgrund ihrer materiellrechtlichen Bedeutung kaum in die von Art. 24 IV WVK üblicherweise erfassten, überwiegend technischen Schlussbestimmungen einreihen.505 Gegen beide Ansätze spricht zudem, dass Art. 25 I WVK aus systematischer Sicht überflüssig wäre, wenn die vorläufige Anwendung eines Vertrages auf eine im einfachen Vertragsschlussverfahren geschlossene Nebenabrede oder auf Art. 24 IV WVK gestützt werden könnte.506 Angesichts der Schwächen beider Ansätze ist es nachvollziehbar, dass die Völkerrechtkommission den Theorienstreit in ihrem Kommentar zur Vertragsrechtskonvention offenließ und betonte, dass jedenfalls die Rechtswirkungen der vorläufigen Anwendung anerkannt seien.507 Ähnlich pragmatisch sieht eine neuere Auffassung das Problem. Ihr zufolge bestimmt die Staatenpraxis, auf welche Weise Völkerrecht erzeugt wird. Daher kommt es nur darauf an, dass die Staaten darin übereinstimmen, dass die vorläufige Anwendung Rechtswirkungen erzeugt.508 Folgt man dieser pragmatischen Auffassung, muss die vorläufige Anwendung nicht in die bestehende Dogmatik eingeordnet werden, sondern kann als vertragsbezogenes und vertragsähnliches Rechtsinstitut sui generis betrachtet werden. Dies ist die überzeugendste Lösung, da zwischen vorläufig angewendeten und in Kraft getretenen Verträgen einige Unterschiede bestehen, wie an anderer Stelle noch ausführlich dargestellt werden wird.509 Auch der Umstand, dass einige der Regelungen für völkerrechtliche Verträge auf die vorläufige Anwendung nicht510 oder nur mutatis
Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties with Special Reference to Arms Control, Disarmament and Non-Proliferation Instruments, (Fn. 396), 54. 504 Vgl. Anneliese Quast Mertsch, Provisional Application of Treaties and the Internal Logic of the 1969 Vienna Convention, (Fn. 229), 328. 505 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 158. 506 Zum zutreffenden Verhältnis von vorläufiger Anwendung und Art. 24 IV WVK siehe Anneliese Quast Mertsch, Provisional Application of Treaties and the Internal Logic of the 1969 Vienna Convention, (Fn. 229), 309 – 311. 507 Vgl. Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries, (Fn. 17), 210. 508 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 158. 509 Für eine eingehendere Argumentation zu diesen Unterschieden siehe infra Kapitel 6 C.I. 510 In ihrem Kommentar zu Guideline 6 stellt die Völkerrechtskommission klar, dass die vorläufige Anwendung nicht allen Regelungen zum Recht der Verträge unterliegt, siehe Völkerrechtskommission, Draft Guidelines and Draft Annex Constituting the Guide to Provisional Application of Treaties, with Commentaries thereto (2021), A/76/10, 79 Rn. 6.
Kap. 2: Vorläufige Anwendung im Völkerrecht
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mutandis511 anwendbar sind, belegt ihre Sonderstellung. Insofern führen Versuche, die vorläufige Anwendung in bereits bekannte Muster zu pressen, zwangsläufig zu Problemen und Hilfskonstruktionen. Somit handelt es sich bei der vorläufigen Anwendung stets um ein vertragsbezogenes und vertragsähnliches Rechtsinstitut sui generis, unabhängig davon, in welchem Instrument sie vereinbart wurde.
C. Wirkungen Art. 25 I WVK enthält keine Aussage zu den Wirkungen der vorläufigen Anwendung. Daher sollen diese im Folgenden näher untersucht werden. Ausgangspunkt hierfür ist die Feststellung, dass die vorläufige Anwendung überhaupt rechtsverbindlich ist (I.). Der Inhalt der Pflicht zur vorläufigen Anwendung wiederum besteht in einem vollständigen oder eingeschränkten Verweis auf die materiellen Bestimmungen des Hauptvertrages (II.). Erzeugt werden können dabei nicht nur völkerrechtliche, sondern auch innerstaatliche Wirkungen (III.). Auf eine Ratifikation des Vertrages abzielende Pflichten entstehen jedoch selbst bei der vorläufigen Anwendung nicht (IV.).
I. Rechtsverbindlichkeit In der Literatur wird vereinzelt vertreten, dass die vorläufige Anwendung nicht rechtsverbindlich ist und daher auch das Prinzip pacta sunt servanda, welches die Erfüllung von Verträgen verlangt, keine Anwendung findet.512 Eines der Argumente für diese Ansicht beruht auf den sog. Beschränkungsklauseln und -erklärungen, die in Kapitel 4 noch näher dargestellt werden. Durch solche Beschränkungsklauseln und -erklärungen können Staaten die vorläufige Anwendung nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts vereinbaren und ihren Umfang damit von diesem abhängig machen.513 Der dadurch entstehende Handlungsspielraum in Bezug auf Auslegung und Anwendung einer Vereinbarung über die vorläufige Anwendung wird als Beleg dafür angeführt, dass diese nicht rechtsverbindlich ist, sondern lediglich soft law darstellt.514 Als soft law bezeichnet man rechtlich unverbindliche oder jedenfalls nicht 511 Vgl. z. B. Draft Guideline 7 I und Draft Guideline 9 III in Völkerrechtskommission, Texts and Titles of the Draft Guidelines Adopted by the Drafting Committee on First Reading (28. 05. 2018), A/CN.4/L.910, 2; Catherine Brölmann/Guido den Dekker, Treaties, Provisional Application (2020), (Fn. 40), Rn. 17; International Centre for Settlement of Investment Disputes, Ioannis Kardassopoulos v. Georgia, Decision on Jurisdiction (2007), ARB/05/18, 58 – 59 Rn. 220 – 221. 512 So z. B. Albane Geslin, La mise en application provisoire des traités, (Fn. 395), 330. 513 Für eingehendere Ausführungen zu Beschränkungsklauseln siehe infra Kapitel 4 A.III. 514 So argumentiert wohl Geslin, siehe Albane Geslin, La mise en application provisoire des traités, (Fn. 395), 326 – 328, 330.
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durchsetzbare Normen, die sich entweder nicht auf eine völkerrechtliche Rechtsquelle515 zurückführen lassen oder aufgrund ihres vagen Inhalts nicht durchsetzbar sind.516 Charakteristisch für soft law ist jedoch, dass es anders als „Nicht-Recht“ normative Kraft besitzt und staatliches Verhalten in ähnlichem Ausmaß wie das rechtsverbindliche Völkerrecht steuern kann.517 Letztendlich kann es nicht überzeugen, der vorläufigen Anwendung aufgrund von Beschränkungsklauseln oder -erklärungen pauschal die Rechtsverbindlichkeit abzusprechen. Denn Beschränkungen bestehen nicht automatisch, sondern müssen im Einzelfall vereinbart oder erklärt werden. Da die Beschränkung durch innerstaatliches Recht somit keine allgemeine Eigenschaft der vorläufigen Anwendung ist, kann aus ihr keine allgemeingültige Aussage über die Rechtsverbindlichkeit der vorläufigen Anwendung abgeleitet werden.518 Zudem stehen Beschränkungsklauseln und der durch sie entstehende Handlungsspielraum der Rechtsverbindlichkeit der vorläufigen Anwendung auch deshalb nicht entgegen, weil ein Dritter den Umfang einer Pflicht zur vorläufigen Anwendung trotzdem ermitteln könnte.519 Die in Art. 25 II WVK vorgesehene Möglichkeit, die vorläufige Anwendung jederzeit durch eine einseitige Notifikation zu beenden, steht ebenfalls nur auf den ersten Blick im Widerspruch zu deren Rechtsverbindlichkeit.520 Die Staaten können auch bei einseitig beendbaren Vereinbarungen eine Bindung beabsichtigen, zumal der Grundsatz von Treu und Glauben die anderen Staaten vor einer missbräuchlichen
515 Die drei primären Rechtsquellen im Völkerrecht sind völkerrechtliche Verträge, Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze, vgl. Art. 38 I a)–c) Statute of the International Court of Justice, (Fn. 150). 516 Nach dem weiten soft law-Begriff kann sich der soft law-Charakter einer Norm entweder aus der formellen Unverbindlichkeit des sie vorsehenden Instruments (instrumentum) ergeben oder daraus, dass ihr vager Inhalt (negotium) trotz formeller Verbindlichkeit die Durchsetzung verhindert. Siehe hierzu z. B. Gabrielle Kaufmann-Kohler, Soft Law in International Arbitration: Codification and Normativity, 1 Journal of International Dispute Settlement (2010) 283, 284. Nach einer engeren Auffassung hingegen gehört es zu den Wesensmerkmalen von soft law, dass eine Norm den völkerrechtlichen Rechtssetzungsprozess nicht oder jedenfalls nicht vollständig durchlaufen hat. Siehe z. B. Daniel Thürer, Soft Law (2009), Rn. 9, online: https: //opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1469?rskey= MqDmpu&result=2&prd=OPIL (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 517 Ausführlicher und mit Beispielen Silja Vöneky, Recht, Moral und Ethik: Grundlagen und Grenzen demokratischer Legitimation für Ethikgremien (2010), 283 – 285. 518 Für die ausführliche Argumentation zu diesem Aspekt siehe Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 103 – 106, 112. 519 Für die ausführliche Argumentation zu diesem Aspekt siehe Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 112 – 117. 520 Für eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dem vermeintlichen Spannungsverhältnis zwischen der einseitigen Beendbarkeit und pacta sunt servanda siehe Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties with Special Reference to Arms Control, Disarmament and Non-Proliferation Instruments, (Fn. 396), 67 – 68.
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Ausübung schützt.521 Nicht zuletzt zeigt auch der Vergleich mit dem Frustrationsverbot nach Unterzeichnung, welches gemäß Art. 18 lit. a) WVK ebenfalls einseitig beendet werden kann, dass Rechtsverbindlichkeit und einseitige Beendbarkeit sich nicht gegenseitig ausschließen.522 Somit kann keiner der Einwände überzeugen, mit denen der vorläufigen Anwendung pauschal jede Rechtsverbindlichkeit abgesprochen wird. Bereits der Kommentar der Völkerrechtskommission zur Vertragsrechtskonvention stellte klar, dass die vorläufige Anwendung rechtsverbindlich ist.523 Auch auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz schienen Staatendelegierte davon auszugehen, dass die Regel pacta sunt servanda auch für die vorläufige Anwendung gilt.524 Dieser Auffassung hat sich der Sonderberichterstatter Gómez-Robledo nun bei den neueren Arbeiten der Völkerrechtskommission zur vorläufigen Anwendung ausdrücklich angeschlossen,525 was auch in Guideline 6 der Völkerrechtskommission zum Ausdruck kommt.526 Wenngleich einige Staaten der Auffassung sind, dass die Wirkungen der vorläufigen Anwendung nicht ausdrücklich mit denen des Inkrafttretens gleichgesetzt werden sollten, bestreiten sie nicht die Möglichkeit zur Vereinbarung einer rechtsverbindlichen vorläufigen Anwendung.527 Somit erkennt heutzutage nicht nur die rechtswissenschaftliche Literatur,528 sondern auch die Mehrheit der Staaten an,529 dass die vorläufige Anwendung rechtsverbindlich sein kann. 521 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 84 – 85. 522 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 87. 523 Siehe Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries, (Fn. 17), 210. 524 Siehe hierzu den Diskussionsbeitrag des Vertreters des Vereinigten Königreichs, Eleventh Plenary Meeting, (Fn. 88), 40 Rn. 58; ausdrücklich widersprochen wurde dieser Sichtweise jedoch durch den indischen Delegierten, Eleventh Plenary Meeting, (Fn. 88), 41 Rn. 70. 525 Völkerrechtskommission, Third Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 85), 12 – 13 Rn. 56 – 59. 526 Vgl. Guideline 6 in Völkerrechtskommission, Guide to Provisional Application of Treaties, (Fn. 474), 2. 527 Mehrere Staaten sprachen sich in ihren Kommentaren zur „Draft Guideline 6: Legal effect of provisional application“ für die Streichung der Formulierung „as if the treaty were in force“ aus, wohingegen die Aussage „produces a legally binding obligation“ nicht beanstandet wurde. Hintergrund der Kritik an der Gleichsetzung der Wirkungen von vorläufiger Anwendung und Inkrafttreten war die Befürchtung, die vorläufige Anwendung könnte ihren Ausnahmecharakter verlieren. Siehe hierzu Völkerrechtskommission, Sixth Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo (24. 02. 2020), A/ CN.4/738, 22 Rn. 86. 528 Vgl. z. B. m. w. N. Thomas Kleinlein, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 80), 379. 529 Stefan Talmon/Anneliese Quast Mertsch, Germany’s Position and Practice on Provisional Application of Treaties (2021), 6, online: https://gpil.jura.uni-bonn.de/2021/02/ger manys-position-and-practice-on-provisional-application-of-treaties/ (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022)
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Angesichts dessen, dass die vorläufige Anwendung stets auf einer Vereinbarung beruht, muss die Frage der Rechtsverbindlichkeit im Einzelfall durch die Auslegung der jeweiligen Vereinbarung geklärt werden.530 So ging auch das Schiedsgericht in Kardassopoulos531 vor, als es prüfen musste, ob seine auf den Energiecharta-Vertrag gestützte Zuständigkeit auch den Zeitraum von dessen vorläufiger Anwendung umfasst. Dabei es lehnte es unter Verweis auf die Formulierung „agrees“ in Art. 45 I Energiecharta-Vertrag das Argument ab, die vorläufige Anwendung dieses Vertrages sei nur „aspirational in character“.532 Ein solches Ergebnis dürfte bei der Auslegung einer Vereinbarung über die vorläufige Anwendung den Regelfall darstellen. Insofern kann widerleglich vermutet werden, dass die vorläufige Anwendung rechtsverbindlich sein soll, sofern sich im Einzelfall nicht ausnahmsweise aus der ihr zu Grunde liegenden Vereinbarung ein gegenteiliger Wille ergibt.533 Denn angesichts der Gründe, aus denen die vorläufige Anwendung eines Vertrages vereinbart wird,534 wird der Wille der Staaten typischerweise auf die Rechtsverbindlichkeit der vorläufigen Anwendung gerichtet sein.535 Im Kern geht es den Staaten schließlich darum, die Wirkungen eines Vertrages – für welche die Rechtsverbindlichkeit charakteristisch ist – bereits vor dessen Inkrafttreten herbeizuführen.536 Daher ist es wenig überraschend, dass mehrere Staaten – darunter auch Deutschland537 – in ihren Stellungnahmen gegenüber der Völkerrechtskommission einhellig zum Ausdruck brachten, dass sie grundsätzlich von der Rechtsverbindlichkeit der vorläufigen Anwendung ausgehen.538 Die Pflicht zur vorläufigen Anwendung verweist grundsätzlich vollständig auf die materiellen Bestimmungen eines Vertrages, doch besteht die Möglichkeit die vorläufige Anwendung von vornherein nur für einen Teil des Vertrages zu vereinba-
530 Tomoko Ishikawa, Provisional Application of Treaties at the Crossroads between International and Domestic Law, 31 ICSID Review (2016) 270, 276; vgl. auch Stefan Talmon/ Anneliese Quast Mertsch, Germany’s Position and Practice on Provisional Application of Treaties (2021), (Fn. 529), 6. 531 International Centre for Settlement of Investment Disputes, Ioannis Kardassopoulos v. Georgia, (Fn. 511). 532 International Centre for Settlement of Investment Disputes, Ioannis Kardassopoulos v. Georgia, (Fn. 511), 56 Rn. 209. 533 Völkerrechtskommission, Draft Guidelines and Draft Annex Constituting the Guide to Provisional Application of Treaties, with Commentaries thereto, (Fn. 510), 78 Rn. 4; Thomas Kleinlein, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 80), 380. 534 Zu den Gründen für die vorläufige Anwendung siehe Kapitel 2 A. 535 Vgl. Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 158. 536 Vgl. Denise Mathy, Art. 25 VCLT, in: Corten/Klein, (Fn. 451), 640 Rn. 1. 537 Federal Republic of Germany, Information Regarding the „Provisional Application of Treaties“ in the Commission’s Programme of Work, (Fn. 87), 2. 538 Völkerrechtskommission, Second Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 453), 3 Rn. 14.
Kap. 2: Vorläufige Anwendung im Völkerrecht
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ren (1.). Ebenso kann die Pflicht zur vorläufigen Anwendung durch sog. Beschränkungsklauseln in einer flexibleren Weise eingeschränkt werden (2.). 1. Widerlegbare Vermutung für die vollständige vorläufige Anwendung Die Pflicht zur vorläufigen Anwendung ist die Pflicht den Inhalt eines Vertrages bereits vor dessen Inkrafttreten anzuwenden. Hierbei handelt es sich um einen Verweis auf die materiellrechtlichen Bestimmungen eines Vertrages, der selbst noch keine Geltung erlangt hat.539 Entsprechend besteht zwischen der vorläufigen Anwendung und dem anzuwendenden Vertrag grundsätzlich Akzessorietät.540 Allerdings muss die Pflicht zur vorläufigen Anwendung nicht zwangsläufig auf den gesamten Vertrag verweisen. Auch Art. 25 I WVK erwähnt ausdrücklich, dass auch nur ein Teil des Vertrages vorläufig angewendet werden kann. Zum Verhältnis zwischen teilweiser und vollständiger vorläufiger Anwendung wird vertreten, dass die vorläufige Anwendung sich im Grundsatz auf den gesamten Vertrag bezieht, sofern keine abweichende Vereinbarung der Staaten ersichtlich ist.541 Dies überzeugt, obwohl der Wortlaut von Art. 25 I WVK kein Regel-Ausnahme-Verhältnis erkennen lässt, sondern vollständige und teilweise vorläufige Anwendung als gleichberechtigte Alternativen nebeneinander stellt. Da die vorläufige Anwendung stets auf eine Vereinbarung zurückgeht,542 ergibt sich durch Auslegung der jeweiligen Vereinbarung, ob die vorläufige Anwendung sich auf den gesamten Vertrag oder nur auf einen Teil beziehen soll. Ohne gegenteilige Anhaltspunkte dürfte dabei grundsätzlich davon auszugehen sein, dass der gesamte Vertrag vorläufig angewendet werden soll. Denn Verträge bestehen aus einem sorgsam austarierten Geflecht aufeinander abgestimmter und miteinander interagierender Einzelbestimmungen, das im Zweifel nicht beeinträchtigt werden soll. Umfasst die vorläufige Anwendung nicht alle materiell-rechtlichen Vertragsbestimmungen, ändert dies auf eine nicht immer klar vorhersehbare Weise die Systematik und den rechtlichen Inhalt des anzuwendenden Vertrages.543 Entsprechend dürfte, sofern kein abweichender Wille erkennbar ist, davon auszugehen sein, dass die Staaten den Vertragsinhalt genau so anwenden wollen wie sie ihn ausgehandelt und ausformuliert haben. Wollen die Staaten hingegen den Vertrag nur teilweise vorläufig anwenden, können sie die vorläufige Anwendung von vornherein nur für ausdrücklich benannte Vertragsbestimmungen vereinbaren. Dabei kann es sich mal 539 Michael Thaler, Enthält das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge verfassungsändernde Bestimmungen?, (Fn. 208), 691. 540 Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 113. 541 So wohl Luca Pantaleo, The Provisional Application of CETA: Selected Issues, 41 Questions of International Law (2017) 59, 66 – 67. 542 Kapitel 2 B.IV. 543 Dieses Problem entsteht insbesondere bei Beschränkungsklauseln, wie später in Kapitel 4 A.III.1.d) noch eingehender dargestellt werden wird.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
nur um eine einzelne Vertragsbestimmung544 und mal um größere Teile545 eines Vertrages handeln. 2. Flexiblere Einschränkung durch Beschränkungsklauseln Ebenfalls möglich ist es, die vorläufige Anwendung grundsätzlich für den gesamten Vertrag zu vereinbaren und sie dann durch eine Klausel, die sie an gewisse Bedingungen knüpft, wieder einzuschränken. Typisch hierfür sind sog. Beschränkungsklauseln (engl.: „limitation clauses“) nach denen sich ein Staat nur zur vorläufigen Anwendung verpflichtet soweit diese mit seinem innerstaatlichen Recht vereinbar ist.546 Derartige Klauseln finden sich in vielen, wenn nicht sogar den meisten Vereinbarungen über vorläufige Anwendung.547 Der Umstand, dass solche Beschränkungsklauseln ausdrücklich vereinbart werden, zeigt, dass die Beschränkung durch innerstaatliches Recht der vorläufigen Anwendung nicht bereits inhärent ist.548 Insbesondere handelt es sich bei der Beschränkung durch innerstaatliches Recht nicht um Gewohnheitsrecht, da weder eine ausreichende einheitliche Staatenpraxis noch eine entsprechende opinio iuris nachweisbar sind.549 Die Beschränkung vorläufiger Anwendung durch innerstaatliches Recht resultiert daher nur aus der Vereinbarung von Beschränkungsklauseln im Einzelfall.550 Ziel der Beschränkungsklauseln ist es, das Spannungsverhältnis der vorläufigen Anwendung zum innerstaatlichen Recht zu vermeiden, welches in Kapitel 3 eingehend dargestellt werden wird. Ob ihnen dies gelingt, wird in Kapitel 4 im Rahmen der Analyse der Lösungsansätze für das Spannungsverhältnis näher untersucht werden. Was die Wirkung von Beschränkungsklauseln angeht, so führen sie ebenso wie die teilweise vorläufige Anwendung dazu, dass der Inhalt der vorläufigen Anwendung sich nicht vollständig mit demjenigen des anzuwendenden Vertrages deckt. Anders als wenn von vornherein nur einzelne Vertragsbestimmungen vorläufig angewendet werden, machen Beschränkungsklauseln allerdings eine flexiblere Ein544 Siehe z. B. Art. 18 Convention on the Prohibition of the Use, Stockpiling, Production and Transfer of Anti-Personnel Mines and on Their Destruction, (Fn. 423). 545 Siehe z. B. Teil 8 des Protocol to the Treaty between the United States of America and the Russian Federation on Measures for the Further Reduction and Limitation of Strategic Offensive Arms, (Fn. 424). 546 Ein bekanntes Beispiel ist Art. 45 I des Energiecharta-Vertrages, der in Kapitel 4 A.III.1. noch eingehender dargestellt werden wird. 547 Anthony Aust, Modern Treaty Law and Practice, (Fn. 13), 156; für Beispiele siehe Kapitel 4 A.III.1. 548 Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties with Special Reference to Arms Control, Disarmament and Non-Proliferation Instruments, (Fn. 396), 74 – 75. 549 Für eine ausführliche Argumentation gegen das Vorliegen von Staatenpraxis und opinio iuris siehe Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 104 – 106. 550 Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties with Special Reference to Arms Control, Disarmament and Non-Proliferation Instruments, (Fn. 396), 75.
Kap. 2: Vorläufige Anwendung im Völkerrecht
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schränkung des Umfangs der vorläufigen Anwendung möglich. Neben den typischen Beschränkungsklauseln, die den Umfang der vorläufigen Anwendung vom innerstaatlichen Recht abhängig machen, sind aber auch andere flexible Einschränkungen möglich. So muss z. B. Teil 3 des neuen START-Vertrages nur vorläufig angewendet werden, soweit dies zu seiner Implementierung erforderlich ist.551 Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass die Pflicht zur vorläufigen Anwendung auf den materiell-rechtlichen Inhalt eines noch nicht in Geltung stehenden Vertrages verweist, sich aber nicht immer exakt mit diesem decken muss.
II. Innerstaatliche Wirkungen Von den völkerrechtlichen Wirkungen der vorläufigen Anwendung müssen ihre innerstaatlichen Wirkungen unterschieden werden.552 Im Rahmen der Diskussionen der Völkerrechtskommission wurde noch die Meinung geäußert, dass die meisten Rechtsordnungen die vorläufige Anwendung vor allem als praktisches Hilfsmittel sehen und keine Völkerrechtsnormen ins innerstaatliche Recht überführen.553 Ähnlich geht auch Geslin davon aus, dass die vorläufige Anwendung nur in Ausnahmefällen in die innerstaatliche Rechtsordnung überführt wird.554 Bei diesen Aussagen dürfte es sich allerdings nicht um normative Bewertungen, sondern um praktische Einschätzungen handeln. Grundsätzlich ist es nicht ausgeschlossen, dass Rechte und Pflichten aus der vorläufigen Anwendung Eingang in die innerstaatliche Rechtsordnung eines Staates finden. Bei den neueren Arbeiten der Völkerrechtskommission haben einige Staaten, wie z. B. Russland555 und die Niederlande556 ausdrücklich bestätigt, dass die vorläufige Anwendung in ihrer jeweiligen Rechtsordnung dieselben Wirkungen entfaltet wie ein in Kraft getretener Vertrag. In Deutschland hingegen entfalten vorläufig angewendete Verträge nicht zwingend
551 Part 8 Sect. III Nr. 4 Protocol to the Treaty between the United States of America and the Russian Federation on Measures for the Further Reduction and Limitation of Strategic Offensive Arms, (Fn. 424). 552 René Lefeber, The Provisional Application of Treaties, (Fn. 398), 90. 553 Siehe hierzu den Diskussionsbeitrag des Vorsitzenden, Mr. Bartos, der allerdings im Einklang mit der damals verwendeten Terminologie noch vom vorläufigen Inkrafttreten spricht, 791st Meeting – 26 May 1965, (Fn. 95), 110 Rn. 21. 554 Albane Geslin, La mise en application provisoire des traités, (Fn. 395), 327. 555 Vgl. Russian Federation, C. Provisional Application of Treaties (2014), online: https://le gal.un.org/ilc/sessions/66/pdfs/english/pat_russia.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 556 Vgl. Permanent Mission of the Kingdom of the Netherlands to the United Nations, Comments in Response to General Assembly Resolution 70/236 (20. 04. 2016), online: https: //legal.un.org/ilc/sessions/68/pdfs/english/pat_netherlands.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022).
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
innerstaatliche Wirkungen, sondern nur wenn und soweit sie in die deutsche Rechtsordnung einbezogen wurden.557 Letztendlich hängt die Frage, ob und welche Wirkungen die vorläufige Anwendung im innerstaatlichen Recht erzeugt, davon ab, wie die jeweilige Rechtsordnung ihr Verhältnis zum Völkerrecht im Einzelnen ausgestaltet hat.558 Die Modelle, die für das Verhältnis des innerstaatlichen Rechts zum Völkerrecht im Allgemeinen und zur vorläufigen Anwendung im Besonderen existieren, werden in Kapitel 3 und 4 noch näher dargestellt werden. Für den Moment genügt es hingegen festzustellen, dass vorläufige Anwendung grundsätzlich auch innerstaatliche Wirkungen entfalten kann.
III. Keine ratifikationsbezogenen Pflichten Durch die vorläufige Anwendung gehen die vertragsschließenden Staaten ein engeres Verhältnis ein als durch die bloße Unterzeichnung eines Vertrages.559 Insofern wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur die Frage aufgeworfen, ob sich hieraus Pflichten in Bezug auf die Ratifikation des vorläufig anzuwendenden Vertrages ergeben.560 Daher soll im Folgenden untersucht werden, ob das Völkerrecht im Allgemeinen oder jedenfalls bei der vorläufigen Anwendung eines Vertrages ratifikationsbezogene Pflichten enthält. Ausgangspunkt ist die unbestrittene Tatsache, dass die Unterzeichnung eines Vertrages heute561 keine Pflicht zur Ratifikation mehr auslöst.562 Ebenso besteht keine Pflicht, die Ratifikation zumindest anzustreben, da auch dies mit der Freiwilligkeit der Ratifikation unvereinbar wäre.563 Diese Freiwilligkeit der Ratifikation hat sich geschichtlich daraus entwickelt, dass in demokratischen Staaten das Parlament in der Lage sein soll die Entscheidung der Regierung zum Vertragsschluss zu kontrollieren.564 Eine Pflicht, die Ratifikation vorzunehmen oder zumindest anzustreben besteht auch im Fall der vorläufigen Anwendung nicht. Schließlich knüpft Art. 25 II WVK die einseitige Beendigung der vorläufigen Anwendung an die Mitteilung der Absicht, 557
Vgl. Federal Republic of Germany, Comments and Observations by Germany on the Draft Guide to Provisional Application of Treaties, Adopted by the International Law Commission on First Reading, (Fn. 446), 3 Rn. 5, 22 Rn. 42. 558 René Lefeber, The Provisional Application of Treaties, (Fn. 398), 91. 559 Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 66. 560 Vgl. z. B. Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 62 – 67; Horst Günter Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 101), 69 – 80. 561 Anders als heute war früher umstritten, ob die Unterzeichnung eine Pflicht zur Ratifikation auslöst. Siehe Curtis A. Bradley, Treaty Signature, (Fn. 16), 212. 562 James Crawford, Brownlie’s Principles of Public International Law, (Fn. 7), 358. 563 Jean-Pierre Cot, La bonne foi et la conclusion des traités, (Fn. 261), 152. 564 Zum Bedeutungswandel der Ratifikation siehe Einleitung A.I.1.
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keine Vertragspartei werden zu wollen und setzt damit voraus, dass ein Staat noch frei über die Ratifikation entscheiden kann.565 Doch auch unterhalb einer Pflicht, die Ratifikation aktiv anzustreben, bestehen im Völkerrecht selbst im Falle der vorläufigen Anwendung keine ratifikationsbezogenen Pflichten. So besteht weder eine Pflicht, einen Vertrag beim innerstaatlich zuständigen Organ vorzulegen (1.), noch muss die Ratifikation überhaupt erwogen werden (2.). Im Falle einer Entscheidung gegen die Ratifikation besteht zudem keine Pflicht, die Entscheidung zu begründen oder den anderen Staaten mitzuteilen (3.). Weiterhin besteht selbst dann keine Pflicht zur Ratifikation, wenn die innerstaatliche Zustimmung zu dieser bereits erteilt wurde (4.). 1. Keine Vorlagepflicht Eine ratifikationsbezogene Pflicht fand sich erstmals im Entwurf von Sir Hersch Lauterpacht, dem zweiten Sonderberichterstatter der Völkerrechtskommission zum Völkervertragsrecht. Lauterpachts Entwurf sah eine Pflicht vor, dem verfassungsrechtlich zuständigen Organ den Vertrag vorzulegen, damit dieses die Ratifikation zulassen oder ablehnen kann.566 Die Pflicht, eine Entscheidung des zuständigen Organs herbeizuführen, wurde dabei als Kodifikation des Grundsatzes von Treu und Glauben gesehen.567 Laut Lauterpacht sollte damit dem Umstand Ausdruck verliehen werden, dass die Ratifikation „the natural outcome and purpose“ der Unterzeichnung sei.568 Der darauffolgende Entwurf von Sir Gerald Fitzmaurice relativierte diese Pflicht dahingehend, dass sie nicht generell bestehen, sondern sich nur abhängig von den Umständen des Einzelfalls aus der Unterzeichnung ergeben sollte.569 Letztendlich wurde die Vorlagepflicht jedoch vom letzten Sonderberichterstatter, Sir Humphrey Waldock verworfen, da sie nicht der Staatenpraxis entsprach.570 Denn in der Praxis kam es häufig vor, dass ein unterzeichneter Vertrag nie dem innerstaatlich zuständigen Organ vorgelegt wurde, ohne dass dies irgendwelche Konsequenzen gehabt hätte.571 Soweit ersichtlich hat sich diese Staatenpraxis bis heute nicht gewandelt. Gegen das Bestehen einer völkerrechtlichen Vorlagepflicht spricht zudem der Umstand, dass laut einer Studie des Europarates das innerstaatliche Recht der meisten Staaten – darunter auch Deutschland – grundsätzlich keine Vorlagepflicht kennt.572 Bestünde 565
Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 64. Vgl. Art. 5 II lit. a), Law of Treaties, Report by Lauterpacht, (Fn. 137), 108. 567 Vgl. Law of Treaties, Report by Lauterpacht, (Fn. 137), 109. 568 Law of Treaties, Report by Lauterpacht, (Fn. 137), 110. 569 Vgl. Law of Treaties, Report by Fitzmaurice, (Fn. 143), 113. 570 Vgl. Law of Treaties, First Report by Waldock, (Fn. 144), 47. 571 Jean-Pierre Cot, La bonne foi et la conclusion des traités, (Fn. 261), 151. 572 Im Rahmen einer Studie des Europarates verneinten 28 Staaten die Frage 8 c), ob eine innerstaatlich erforderliche Genehmigung innerhalb einer gewissen Frist herbeigeführt werden 566
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eine völkerrechtliche Vorlagepflicht, wäre zu erwarten, dass Staaten in ihrem innerstaatlichen Recht Vorkehrungen zur Erfüllung dieser Pflicht treffen. Eine völkerrechtliche Vorlagepflicht entsteht auch nicht durch die vorläufige Anwendung eines Vertrages. Obwohl das Verhältnis der beteiligten Staaten bei der vorläufigen Anwendung viel enger ist als bei der bloßen Unterzeichnung, lässt sich auch hier eine Vorlagepflicht nicht in der Staatenpraxis nachweisen.573 Hieran ändert es nichts, dass es heute in den Niederlanden,574 Russland,575 der Schweiz576 und Serbien577 Gesetze gibt, die eine Pflicht der Regierung vorsehen, dem Parlament Verträge vorzulegen, die bereits vorläufig angewendet werden. Denn mit vier Beispielen ist die Anzahl der Staatenpraxis zu gering, um von einer allgemeinen Übung zu sprechen, was eine der beiden Voraussetzungen für eine gewohnheitsrechtliche Regel wäre. Jedenfalls fehlt es an der erforderlichen Rechtsüberzeugung als der zweiten Voraussetzung für Gewohnheitsrecht, da die innerstaatlichen Regelungen nicht der Erfüllung einer vermeintlich bestehenden Völkerrechtspflicht dienen sollen. Vielmehr handelt es sich bei ihnen um einen innerstaatlichen Lösungsansatz für das Spannungsverhältnis zwischen der vorläufigen Anwendung und der innerstaatlichen Gewaltenteilung.578 Somit besteht weder allgemein noch im besonderen Fall der vorläufigen Anwendung eine völkerrechtliche Pflicht zur Vorlage eines ratifizierungsbedürftigen Vertrages beim innerstaatlich zuständigen Organ.
muss. Für die Antworten von Österreich, Belgien, Zypern, Tschechien, Dänemark, Frankreich, Georgien, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Irland, Italien, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, den Niederlanden, Polen, Portugal, Rumänien, der Slowakei, Schweden, der Schweiz, Mazedonien, der Türkei, der Ukraine, Bosnien-Herzegowina, Japan und Mexiko siehe Council of Europe/British Institute of International and Comparative Law, Treaty Making – Expression of Consent by States to be Bound by a Treaty, (Fn. 23), 115, 125, 141, 147, 152, 166, 172, 177, 181, 185, 191, 195, 200, 206, 210, 213, 218, 222, 226, 230, 234, 240, 251, 266, 272, 276, 280, 284, 288, 293, 298, 308, 312. 573 So früher auch schon Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 66; Horst Günter Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 101), 79. 574 Permanent Mission of the Kingdom of the Netherlands to the United Nations, Comments in Response to General Assembly Resolution 70/236, (Fn. 556). 575 Russian Federation, C. Provisional Application of Treaties, (Fn. 555). 576 Siehe Permanent Mission of Switzerland to the United Nations, Observations et informations concernant l’application provisoire des traités (27. 01. 2014), online: https://legal.un. org/ilc/sessions/66/pdfs/french/pat_switzerland.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022), 2. 577 Siehe Permanent Mission of the Republic of Serbia to the United Nations, Comments on the Topic „Provisional Application of Treaties“ (29. 01. 2016), online: https://legal.un.org/ilc/ sessions/68/pdfs/english/pat_serbia.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 578 Für eingehendere Ausführungen zu innerstaatlichen Lösungsansätzen für das Spannungsverhältnis zwischen der vorläufigen Anwendung von völkerrechtlichen Verträgen und der innerstaatlichen Gewaltenteilung siehe Kapitel 4 A.I.
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2. Keine Prüfungspflicht In der Literatur wurde früher vertreten, dass wenn der Staat in Bezug auf die Ratifikation ein Prüfungsrecht habe, er auch eine korrespondiere Prüfungspflicht haben müsse.579 Ebenso gingen die Sonderberichterstatter Lauterpacht, Fitzmaurice und Waldock davon aus, dass sich eine Pflicht zur Prüfung der Ratifikation aus Treu und Glauben ergibt.580 Was der genaue Inhalt dieser Prüfungspflicht wäre, blieb jedoch unklar.581 Da die vorläufige Anwendung im Vergleich zur Unterzeichnung eine deutlich engere Beziehung zwischen den beteiligten Staaten begründet, wäre denkbar, dass jedenfalls bei dieser eine Pflicht entsteht, die Ratifikation des vorläufig angewendeten Vertrages zumindest zu prüfen. Innerhalb der Völkerrechtkommission stieß die von den Sonderberichterstattern Lauterpacht, Fitzmaurice und Waldock angenommene Pflicht zur Prüfung der Ratifikation auf einige Kritik. Dabei wurde angeführt, dass einer neuen Regierung nach einem Regierungswechsel keine solche Pflicht auferlegt werden könne.582 Zudem wurde hervorgehoben, dass die Ratifikation sich im Zuge der Demokratisierung zu dem den Bindungswillen ausdrückenden Akt entwickelt habe. Die Prüfungspflicht hingegen passe eher zur deklaratorischen Rolle der Ratifikation zu Zeiten des Absolutismus, als der Monarch die Ratifikation nur vorenthalten durfte, sofern die von ihm entsandten Repräsentanten mit der Vertragsunterzeichnung ihre Befugnisse überschritten hatten.583 Letztendlich wurde die Pflicht zur Prüfung der Ratifikation daher nach einer denkbar knappen Abstimmung in der Völkerrechtskommission aus dem Entwurf gestrichen.584 Obwohl die Pflicht zur Prüfung der Ratifikation in Sir Waldocks Entwurf auf Treu und Glauben Bezug nahm,585 dürfte es sich nicht um eine Kodifikation, sondern eine progessive Weiterentwicklung gehandelt haben. Sir Waldock hatte selbst an der Pflicht gezweifelt und sie nur deshalb beibehalten, weil er der Praxis entgegenwirken wollte, dass unterzeichnete Verträge oftmals nicht ratifiziert werden.586 Auch Argentinien sprach sich zwar gegenüber der Völkerrechtskommission für eine solche 579 Rudolf Bernhardt, Völkerrechtliche Bindungen in den Vorstadien des Vertragsschlusses, (Fn. 174), 663. 580 Siehe Art. 9 II lit. b) des ersten Entwurfs von Sir Waldock und den entsprechenden Kommentar, Law of Treaties, First Report by Waldock, (Fn. 144), 46 – 47. 581 Law of Treaties, First Report by Waldock, (Fn. 144), 47. 582 Für den Diskussionsbeitrag von Verdross siehe 644th Meeting – 16 May 1962, (Fn. 367), 92 Rn. 67. 583 Für den Diskussionsbeitrag von de Luna siehe 645th Meeting – 17 May 1962, in: Völkerrechtskommission, Yearbook of the International Law Commission, Vol. I (1962), 97 Rn. 22. 584 Für und gegen die Beibehaltung stimmten jeweils acht Mitglieder, drei Mitglieder enthielten sich. Für die Abstimmung siehe 645th Meeting – 17 May 1962, (Fn. 583), 98 Rn. 34. 585 Law of Treaties, First Report by Waldock, (Fn. 144), 46. 586 Für den Diskussionsbeitrag von Sir Waldock siehe 645th Meeting – 17 May 1962, (Fn. 583), 96 Rn. 8.
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Prüfungspflicht aus, bezeichnete sie aber ausdrücklich als wünschenswerte Weiterentwicklung des Völkerrechts.587 Dafür, dass diese Weiterentwicklung inzwischen stattgefunden hat, gibt es in der Staatenpraxis keine Anhaltspunkte. Dies gilt auch für den Fall der vorläufigen Anwendung. Denn selbst bei vorläufig anwendbaren Verträgen bleibt die Ratifikation immer wieder aus.588 3. Keine Begründungs- und Benachrichtigungspflicht bei Nichtratifikation Ob im Falle der Nichtratifikation aus Treu und Glauben eine Pflicht besteht, den oder die anderen Staaten zu benachrichtigen, soll vom Einzelfall abhängen.589 Allerdings ist es in der Praxis unüblich andere Staaten über eine Entscheidung zur Nichtratifikation zu informieren.590 Entsprechend dürfte eine Benachrichtigungspflicht nur in besonderen Fällen bestehen. Eine Pflicht die Nichtratifikation zu begründen besteht jedenfalls grundsätzlich nicht.591 Dass dies im Falle der vorläufigen Anwendung anders wäre, ist nicht ersichtlich. 4. Keine Ratifikationspflicht nach Erhalt der Zustimmung Denkbar wäre zuletzt, dass die Regierung den Vertrag ratifizieren muss, wenn sie eine nach innerstaatlichem Recht erforderliche Zustimmung eines anderen Organs bereits erhalten hat. Auch wenn man dies theoretisch mit Treu und Glauben begründen könnte, fehlt es jedenfalls an einer entsprechenden Staatenpraxis.592 Vielmehr sieht das innerstaatliche Recht vieler Staaten vor, dass die Exekutive auch nach Erhalt einer innerstaatlich Genehmigung frei über die Durchführung der völkerrechtlichen Ratifikation entscheiden kann.593 Entsprechend ist eine gegenteilige völkerrechtliche Pflicht schwer vorstellbar. 587
Law of Treaties, Fourth Report by Waldock, (Fn. 439), 36. Für Beispiele siehe infra Kapitel 3 A.IV. 589 Rudolf Bernhardt, Völkerrechtliche Bindungen in den Vorstadien des Vertragsschlusses, (Fn. 174), 664. 590 644th Meeting – 16 May 1962, (Fn. 367), 89 Rn. 14. 591 Jean-Pierre Cot, La bonne foi et la conclusion des traités, (Fn. 261), 151. 592 Jean-Pierre Cot, La bonne foi et la conclusion des traités, (Fn. 261), 152. 593 Duncan B. Hollis, A Comparative Approach to Treaty Law and Practice, (Fn. 382), 28. Im Rahmen einer Studie des Europarates verneinten 29 Staaten die Frage 8 d), ob die Ratifikation nach Erhalt der innerstaatlichen Genehmigung innerhalb einer gewissen Frist erfolgen müsse: Für die Antworten von Belgien, Kroatien, Tschechien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Georgien, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Irland, Italien, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Spanien, Schweden, Schweiz, Mazedonien, Türkei, Ukraine, Bosnien-Herzegowina, Israel, Japan und Mexico siehe Council of Europe/British Institute of International and Comparative Law, Treaty Making – Expression of Consent by States to be Bound by a Treaty, (Fn. 23), 136, 147, 152, 161, 166, 172, 177, 181, 588
Kap. 2: Vorläufige Anwendung im Völkerrecht
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Etwas anderes könnte allenfalls im Falle der vorläufigen Anwendung gelten. So wird vertreten, dass ein Staat sich hier in Widerspruch zu seinem früheren Verhalten setzen würde, wenn er ohne gute Gründe auf die Ratifikation verzichtet.594 Allerdings ist bislang auch für diesen Fall keine signifikante Staatenpraxis ersichtlich. 5. Fazit Somit bestehen im Völkerrecht selbst im Falle der vorläufigen Anwendung grundsätzlich keine ratifikationsbezogenen Pflichten. Allerdings sind Staaten nicht daran gehindert, derartige Pflichten freiwillig vertraglich zu vereinbaren.595
D. Beendigung der vorläufigen Anwendung Die Pflicht zur vorläufigen Anwendung endet für einen Staat, wenn der Vertrag für ihn in Kraft tritt (I.). Solange dies noch nicht geschehen ist, kann die Pflicht nach der in Art. 25 II WVK kodifizierten Regel einseitig beendet werden (II.). Oftmals gestalten Staaten die einseitige Beendigung jedoch näher aus oder treffen sogar gänzlich abweichende Regelungen (III.).
I. Inkrafttreten als typisches Ende Die vorläufige Anwendung soll nur eine Übergangsregelung bis zum Inkrafttreten schaffen und endet daher mit diesem.596 Oftmals wird dies nicht nur impliziert, sondern mit der Formulierung „pending […] entry into force“ sogar ausdrücklich festgehalten.597 Rechtstechnisch handelt es sich hierbei um eine auflösende Bedingung.598 Bei multilateralen Verträgen kann das allgemeine Inkrafttreten des Vertrages mit seinem Inkrafttreten für einen einzelnen Staat auseinanderfallen. Endpunkt der vorläufigen Anwendung ist grundsätzlich das Inkrafttreten für den jeweiligen Staat,
185, 191, 200, 206, 210, 213, 222, 230, 234, 240, 252, 261, 266, 272, 276, 280, 284, 293, 304, 308, 312. 594 Rudolf Bernhardt, Völkerrechtliche Bindungen in den Vorstadien des Vertragsschlusses, (Fn. 174), 662. 595 Jean-Pierre Cot, La bonne foi et la conclusion des traités, (Fn. 261), 151. 596 Völkerrechtskommission, Second Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 453), 16 Rn. 84. 597 Siehe z. B. Art. 23 The Arms Trade Treaty, (Fn. 447); Art. 25 I Air Transport Agreement, (Fn. 476). 598 René Lefeber, The Provisional Application of Treaties, (Fn. 398), 86.
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nicht das allgemeine Inkrafttreten des Vertrages.599 Dies wird manchmal in der jeweiligen Vereinbarung der vorläufigen Anwendung sogar ausdrücklich klargestellt.600
II. Einseitige Beendigung nach Art. 25 II WVK Nach Art. 25 II WVK kann ein Staat seine Pflicht zur vorläufigen Anwendung beenden, indem er den anderen den Vertrag vorläufig anwendenden Staaten seine Absicht, nicht Vertragspartei zu werden, notifiziert. Diese Möglichkeit zur einseitigen Beendigung besteht auch unabhängig von Art. 25 II WVK, da dieser lediglich deklaratorisch ist (1.). Dabei kann die Beendigungserklärung auch ohne die Absicht, nicht Vertragspartei zu werden, abgegeben werden (2.). Diese einfache Beendigungsmöglichkeit ist eine zentrale Eigenschaft der vorläufigen Anwendung (3.). 1. Rechtsnatur der einseitigen Beendigung Art. 25 II WVK dürfte angesichts seiner Entstehungsgeschichte ursprünglich eine Fortentwicklung des Rechts dargestellt haben.601 Bei den Arbeiten der Völkerrechtskommission zum Vertragsrecht findet sich die vorläufige Anwendung erstmals im Entwurf des Sonderberichterstatters Fitzmaurice.602 Nach diesem ersten Entwurf sollte die vorläufige Anwendung automatisch mit Inkrafttreten enden oder wenn dieses sich ungebührlich verzögerte bzw. unwahrscheinlich wurde.603 Der darauffolgende Entwurf des Sonderberichterstatters Waldock machte die Beendigung bei ungebührlicher Verzögerung hingegen von der einseitigen Erklärung eines Staates abhängig, um einen geordneten Prozess zu schaffen.604 Damit war zwar erstmals die einseitige Beendigung vorgesehen, doch hätte diese eine ungebührliche Verzögerung vorausgesetzt. Im finalen Entwurf der Völkerrechtskommission war hingegen überhaupt keine Beendigungsmöglichkeit mehr enthalten, da dieses Thema der
599 Catherine Brölmann/Guido den Dekker, Treaties, Provisional Application (2020), (Fn. 40), Rn. 16. 600 Ein Beispiel hierfür ist die Formulierung „[e]ach Signatory agrees to apply this treaty provisionally pending its entry into force for such signatory“ in Art. 45 I The Energy Charter Treaty, (Fn. 409). 601 Siehe hierzu Heike Krieger, Art. 25 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 417), 446 – 447 Rn. 11 – 12. 602 Siehe Art. 42 I des Entwurfs, der im Einklang mit der damals genutzten Terminologie allerdings noch von vorläufigem Inkrafttreten spricht, Law of Treaties, Report by Fitzmaurice, (Fn. 143), 116. 603 Siehe Art. 42 I des Entwurfs in Law of Treaties, Report by Fitzmaurice, (Fn. 143), 116. 604 Siehe Art. 21 II lit. b) des Entwurfs sowie den dazugehörigen Kommentar, Law of Treaties, First Report by Waldock, (Fn. 144), 71.
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Vereinbarung der Verhandlungsstaaten und den Regeln über die Beendigung von Verträgen überlassen bleiben sollte.605 Der heutige Art. 25 II WVK ist daher auf die Wiener Vertragsrechtskonferenz zurückzuführen. Hier wurde auf Antrag von Belgien, Ungarn und Polen mit großer Mehrheit beschlossen die Möglichkeit der einseitigen Beendigung einzufügen.606 Die Entstehungsgeschichte spricht daher dagegen, dass Art. 25 II WVK ursprünglich Gewohnheitsrecht darstellte.607 Inzwischen gibt es jedoch Stimmen in Literatur608 und Rechtsprechung609, die eine einseitige Beendigungsmöglichkeit auch unabhängig von Art. 25 II WVK oder einer speziellen Vereinbarung anerkennen. Hierfür spricht auch, dass das amerikanische Restatement of the Law610 sowie die Regierungen von Norwegen611 und Singapur612 von einer solchen allgemeinen Beendigungsregel ausgehen, obwohl keiner der drei Staaten Partei der Wiener Vertragsrechtskonvention ist.613 Folglich besteht die in Art. 25 II WVK kodifizierte Möglichkeit zur einseitigen Beendigung unabhängig von diesem Artikel oder einer speziellen Vereinbarung. 2. Voraussetzungen und Wirkung der einseitigen Beendigung Nach Art. 25 II WVK kann ein Staat die vorläufige Anwendung einseitig beenden, indem er den anderen Staaten, die den Vertrag vorläufig anwenden, seine Absicht notifiziert, nicht Vertragspartei zu werden. Die Wirkung dieser einseitigen Be605 Siehe Art. 22 des finalen Entwurfs und den dazugehörigen Kommentar, Draft Articles on the Law of Treaties with Commentaries, (Fn. 17), 210. 606 Der Antrag eine Beendigungsmöglichkeit einzufügen wurde mit 69 Jastimmen, nur einer Gegenstimme und 20 Enthaltungen angenommen, siehe 27th Meeting of the Committee of the Whole, in: United Nations, Official Records of the United Nations Conference on the Law of Treaties, First Session (Summary Records of the Plenary Meetings and of the Meetings of the Committee of the Whole) (1968), 146 Rn. 28. 607 So auch Heike Krieger, Art. 25 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 417), 447 Rn. 12. 608 Siehe z. B. Mark E. Villiger, Art. 25 VCLT, in: Villiger, Mark E., Commentary on the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties (2009), 357 Rn. 12. 609 Schiedsgericht, Award in the Matter of an Arbitration between Kuwait and the American Independent Oil Company (AMINOIL), (Fn. 451), 1006 Rn. 34. 610 Vgl. American Law Institute, Restatement of the Law Fourth – The Foreign Relations Law of the United States, (Fn. 232), 30, 37. 611 Permanent Mission of Norway to the United Nations, Information on Norway’s Practice Concerning the Provisional Application of Treaties (31. 01. 2014), online: https://legal.un.org/ ilc/sessions/66/pdfs/english/pat_norway.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 612 Permanent Mission of the Republic of Singapore to the United Nations, Response of the Republic of Singapore to the International Law Commission’s Request for Information on Practice Concerning the Provisional Application of Treaties (22. 12. 2017), online: https://legal. un.org/ilc/sessions/69/pdfs/english/pat_singapore.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022), 2. 613 Vgl. Teilnehmerinformationen für die Wiener Vertragsrechtskonvention, online: https: //treaties.un.org/pages/ViewDetailsIII.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XXIII-1&chapter=23 &Temp=mtdsg3&clang=_en (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022).
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endigung tritt sofort ein und beseitigt die Rechte und Pflichten aus der vorläufigen Anwendung ex nunc.614 Da Art. 25 II WVK anders als Art. 18 lit. a) WVK ausdrücklich von „notifies“ spricht, unterliegt die Beendigung der vorläufigen Anwendung höheren formellen Anforderungen als beim Frustrationsverbot. Die Form der Beendigung entspricht mit der Notifikation derjenigen, die Art. 65 I WVK auch für die Beendigung eines Vertrages vorsieht. Hintergrund dürfte sein, dass die vorläufige Anwendung in ihrer Wirkung dem Inkrafttreten des Vertrages sehr nahekommt und eine Beendigung daher um der Rechtssicherheit willen auch eindeutig als solche erkennbar sein muss. Das Erfordernis der Notifikation hat zur Folge, dass die vorläufige Anwendung anders als das Frustrationsverbot nicht konkludent beendet werden kann.615 Insofern stellt sich gar nicht erst die Frage, ob eine Beendigung auch durch bloßen Zeitablauf oder Zustimmungsverweigerung des Parlaments möglich ist. Dafür, dass die bloße Zustimmungsverweigerung nicht ausreicht, spricht aber auch ein Beispiel aus der Staatenpraxis. Nachdem das schweizerische Parlament einem bilateralen Luftverkehrsabkommen mit Deutschland die Zustimmung verweigert hatte, ging die schweizerische Regierung schließlich nicht automatisch vom Ende der vorläufigen Anwendung aus, sondern erklärte mittels einer ausdrücklichen Notifikation die Beendigung.616 Ohnehin dürfte die Kompetenz für die Beendigung der vorläufigen Anwendung typischerweise nicht beim Parlament, sondern der Exekutive liegen. Schließlich ist auch die Kompetenz zur Kündigung von bereits in Kraft getretenen Verträgen in den meisten Staaten – einschließlich Deutschland617 – der Exekutive zugewiesen.618 Entsprechend stellte z. B. Russland in seiner Stellungnahme gegenüber der Völkerrechtskommission klar, dass die Entscheidung, nicht Vertragspartei zu werden und die vorläufige Anwendung zu beenden, deutlich ausgedrückt werden muss und in Russland von der Exekutive getroffen wird.619 Innerstaatlich ist in manchen Staaten allerdings vorgesehen, dass das Parlament in bestimmten Fällen die Beendigung durch die Exekutive herbeiführen kann, was in Kapitel 4 noch näher dargestellt werden wird.620 Auf den ersten Blick setzt die Beendigung der vorläufigen Anwendung nach Art. 25 II WVK ebenso wie die Beendigung des Frustrationsverbotes nach Art. 18 a) 614
Mark E. Villiger, Art. 25 VCLT, in: Villiger, (Fn. 608), 356 Rn. 8. Zur konkludenten Beendigung des Frustrationsverbotes siehe Kapitel 1 D.I.2. 616 Permanent Mission of Switzerland to the United Nations, Observations et informations concernant l’application provisoire des traités, (Fn. 576), 2, 5. 617 Vgl. BVerfGE 1, 68 (83 – 84) – NATO-Doppelbeschluss/Pershing II (1984). 618 Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem innerstaatlichen Recht mehrerer Staaten in Bezug auf die Beendigung von Verträgen siehe Duncan B. Hollis, A Comparative Approach to Treaty Law and Practice, (Fn. 382), 28 – 29. 619 Russian Federation, C. Provisional Application of Treaties, (Fn. 555). 620 Siehe hierzu infra Kapitel 4 A.I.2.d). 615
Kap. 2: Vorläufige Anwendung im Völkerrecht
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WVK die Absicht voraus, nicht Vertragspartei zu werden. Bei der vorläufigen Anwendung wird dieser Zusatz jedoch nicht als einschränkende Bedingung verstanden.621 Vielmehr erklären Staaten in der Praxis die Beendigung der vorläufigen Anwendung häufig ohne eine solche Absicht auszudrücken und sprachen sich auch gegenüber der Völkerrechtskommission gegen eine entsprechende Einschränkung aus.622 Daher kann jedenfalls gewohnheitsrechtlich die vorläufige Anwendung unabhängig von einer Absicht, nicht Vertragspartei werden zu wollen, beendet werden.623 Entsprechend geht auch der Sonderberichterstatter Gómez-Robledo zutreffend davon aus, dass die Beendigung der vorläufigen Anwendung durch einseitige Erklärung auch aus anderen Gründen erfolgen kann, sofern diese gegenüber den anderen Staaten deutlich gemacht werden.624 Ein solcher anderer Grund kann z. B. sein, dass Staaten durch die Beendigung dazu bewegt werden sollen, nicht dauerhaft im Stadium der vorläufigen Anwendung zu verharren, sondern den Vertrag zu ratifizieren.625 3. Leichte Beendbarkeit als charakteristische Eigenschaft Wie bereits erwähnt, ähneln die Wirkungen der vorläufigen Anwendung grundsätzlich denen bei Inkrafttreten eines Vertrages.626 Der entscheidende Unterschied zwischen dem endgültigen Inkrafttreten und der vorläufigen Anwendung liegt vor allem in der leichteren Beendbarkeit der vorläufigen Anwendung.627 Denn bei Verträgen ist eine ordentliche Kündigung gemäß Art. 56 II WVK – wenn über-
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Statt vieler Mark E. Villiger, Art. 25 VCLT, in: Villiger, (Fn. 608), 356 Rn. 8. Vgl. Völkerrechtskommission, Sixth Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 527), 29 Rn. 107; Annex C to the Report of the International Law Commission: Sixty-third session, A/66/10, 333 Rn. 7. 623 In diesem Sinne ist wohl auch die Völkerrechtskommission in ihrem Kommentar zu Guideline 3 zu verstehen, siehe Völkerrechtskommission, Draft Guidelines and Draft Annex Constituting the Guide to Provisional Application of Treaties, with Commentaries thereto, (Fn. 510), 74 Rn. 6. 624 Völkerrechtskommission, Second Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 453), 15 Rn. 78 – 81. 625 So möchte z. B. die Europäische Union die vorläufige Anwendung eines Wirtschaftspartnerschaftsabkommens mit afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten beenden, um einige der beteiligten Staaten zur Ratifikation zu bewegen. Für eine ausführliche Darstellung dieses Falles siehe Lorand Bartels, Withdrawing Provisional Application of Treaties: Has the EU Made a Mistake?, 1 Cambridge Journal of International and Comparative Law (2012) 112, 118. 626 Für eingehendere Ausführungen zu den Wirkungen der vorläufigen Anwendung siehe Kapitel 2 C. 627 Permanent Mission of Switzerland to the United Nations, Observations et informations concernant l’application provisoire des traités, (Fn. 576), 7; Luca Pantaleo, The Provisional Application of CETA: Selected Issues, (Fn. 541), 59. 622
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
haupt628 – erst mit einer Frist von zwölf Monaten möglich, wohingegen die vorläufige Anwendung nach Art. 25 II WVK stets und ohne Frist beendet werden kann. Ein solcher Unterschied muss auch deshalb bestehen, weil die Ratifikation eines Vertrages freiwillig ist und in vielen Staaten die vorherige Zustimmung des Parlaments voraussetzt.629 Erst die einfache Beendbarkeit der vorläufigen Anwendung führt zu einem Unterschied zum Inkrafttreten des Vertrages und ermöglicht es, die vorläufige Bindung bei Verweigerung der Parlamentszustimmung zu beenden.630 Somit ist die einfache Beendbarkeit eine charakteristische Eigenschaft der vorläufigen Anwendung.
III. Ausgestaltende oder abweichende Vertragsbestimmungen Den Staaten steht es frei, die Beendigung der vorläufigen Anwendung abweichend zu regeln. Dies erkennt Art. 25 II WVK mit der einleitenden Formulierung „[u]nless the treaty otherwise provides or the negotiating States have otherwise agreed“ ausdrücklich an. Solche abweichenden Vereinbarungen werden oftmals getroffen, um die Modalitäten der einseitigen Beendigung anders auszugestalten.631 Häufig wird dabei vorgesehen, dass die Wirkung der Beendigung erst nach Verstreichen eines in der Vereinbarung festgelegten Zeitraums eintritt.632 Auch kommt es vor, dass hinsichtlich des Wirkungseintritts zwischen den einzelnen Teilen eines Vertrages differenziert wird.633 Möglich sind auch Regelungen, die Art. 25 II WVK nicht nur modifizieren, sondern eine gänzlich andere Art der Beendigung vorsehen. So kann die vorläufige Anwendung z. B. an einem festgelegten Datum634 oder mit Eintritt eines bestimmten Ereignisses635 enden. Eine solche abweichende Regelung kann bedeuten, dass die Möglichkeit zur einseitigen Beendigung nach Art. 25 II WVK abbedungen wurde.636 Ob dies der Fall ist oder die Staaten nur eine zusätzliche
628 Nach Art. 56 I WVK ist eine ordentliche Kündigung nur möglich, wenn die Kündigungsmöglichkeit von den Vertragsparteien beabsichtigt ist oder sich aus der Natur des Vertrages herleiten lässt. 629 Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties with Special Reference to Arms Control, Disarmament and Non-Proliferation Instruments, (Fn. 396), 68. 630 Ibid. 631 René Lefeber, The Provisional Application of Treaties, (Fn. 398), 87. 632 Siehe z. B. Art. 25 II Air Transport Agreement, (Fn. 476); Art. III International Energy Agency-Norway: Agreement Concerning the Participation of Norway in the Work of the Agency, (Fn. 462). 633 Art. 45 III lit. a), lit. b) The Energy Charter Treaty, (Fn. 409). 634 Art. 7 III Resolution 48/263: Agreement relating to the implementation of Part XI of the United Nations Convention on the Law of the Sea of 10 December 1982, (Fn. 165). 635 Art. 8 IV International Energy Agency-Norway: Agreement Concerning the Participation of Norway in the Work of the Agency, (Fn. 462). 636 René Lefeber, The Provisional Application of Treaties, (Fn. 398), 87.
Kap. 2: Vorläufige Anwendung im Völkerrecht
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Regelung getroffen haben, ist im Einzelfall durch Auslegung der Vereinbarung über die vorläufige Anwendung zu klären.
E. Zusammenfassung Staaten greifen in verschiedenen Situationen und aus unterschiedlichen Gründen auf die vorläufige Anwendung zurück. Im Kern geht es typischerweise darum, dass ein Vertrag zeitnah angewendet werden soll, die Dauer des Ratifikationsverfahrens dem jedoch entgegensteht. Anzutreffen ist die vorläufige Anwendung daher vor allem, wenn Staaten mit einem Vertrag schnell auf eine dringliche Situation reagieren wollen. Weitere typische Anwendungsbereiche für eine vorläufige Anwendung sind Wirtschaftsabkommen und sonstige eilbedürftige Verträge. Neben der Eilbedürftigkeit eines Vertrages gibt es aber auch weitere Gründe, die Staaten zur vorläufigen Anwendung eines Vertrages bewegen können. So kann die vorläufige Anwendung z. B. dazu dienen, bei Ablösung oder Änderung eines Vertrages die zeitliche Lücke bis zum Inkrafttreten des neuen Vertrages zu überbrücken. Auch zum frühzeitigen Schutz des erzielten Verhandlungsergebnisses oder zur Vorbereitung der späteren Umsetzung eines Vertrages kann die vorläufige Anwendung eingesetzt werden. Keine Seltenheit ist es aber auch, dass die Motivation zur vorläufigen Anwendung aus dem innerstaatlichen Bereich stammt. Anlass zur vorläufigen Anwendung eines Vertrages bietet dabei nicht nur der Fall, dass eine innerstaatlich erforderliche Zustimmung der Legislative als sicher angenommen wird, sondern vor allem auch der umgekehrte Fall, dass sie unwahrscheinlich erscheint. Die Möglichkeit zur vorläufigen Anwendung ergibt sich nicht aus dem insoweit nur deklaratorischen Art. 25 I WVK, sondern aus der staatlichen Vertrags- bzw. Handlungsfreiheit. Ursprung der rechtsverbindlichen Vereinbarung der vorläufigen Anwendung eines Vertrages ist der übereinstimmende Wille von mindestens zwei Staaten. Die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung kann dabei entweder in dem vorläufig anzuwendenden Vertrag selbst oder in einem separaten Instrument getroffen werden. Hinsichtlich Auslösung und Beginn der Pflicht zur vorläufigen Anwendung eines Vertrages besteht dabei große Flexibilität. In der Praxis anzutreffen sind z. B. Opt-out-Verfahren, bei denen die Pflicht zur vorläufigen Anwendung automatisch durch einen Akt des Vertragsschlussverfahrens ausgelöst wird, sofern der jeweilige Staat nicht widerspricht. Umgekehrt gibt es aber auch Opt-inVerfahren, bei denen die vorläufige Anwendung erst durch eine entsprechende Erklärung ausgelöst wird. Sowohl das Opt-in- als auch das Opt-out-Verfahren illustrieren, dass die vorläufige Anwendung für die Parteien eines multilateralen Vertrages typischerweise lediglich als Option ausgestaltet wird. Dogmatisch ist die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung eines Vertrages nicht als vertragliche Nebenabrede, sondern unabhängig von der Art ihrer Vereinbarung als vertragsbezogenes und vertagsähnliches Rechtsinstitut sui generis ein-
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
zuordnen. Hierfür sprechen neben der Vermeidung von künstlichen Hilfskonstruktionen insbesondere systematische Gründe. Auch die Ansicht, dass die vorläufige Anwendung sich aus Art. 24 IV WVK ergibt, wenn sie im vorläufig anzuwendenden Vertrag selbst vereinbart wird, ist abzulehnen. Denn die vorläufige Anwendung geht materiellrechtlich deutlich über die technischen Schlussbestimmungen hinaus, die nach dieser Vorschrift bereits vor Inkrafttreten Wirkungen entfalten können. Die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung kann rechtsverbindlich sein. Wenngleich es für die Rechtsverbindlichkeit auf die Auslegung der konkreten Vereinbarung ankommt, besteht eine widerlegliche Vermutung für die Rechtsverbindlichkeit. Ebenfalls widerleglich vermutet wird, dass die Pflicht zur vorläufigen Anwendung sich auf den gesamten Vertrag und nicht nur auf einzelne Vertragsbestimmungen bezieht. Häufig sind in der Praxis jedoch sog. Beschränkungsklauseln anzutreffen, nach denen ein Staat sich nur zur vorläufigen Anwendung eines Vertrages verpflichtet soweit dies mit seinem innerstaatlichen Recht vereinbar ist. Ob und welche Wirkungen die vorläufige Anwendung im innerstaatlichen Recht erzeugt, hängt von der jeweiligen Rechtsordnung ab. Die vorläufige Anwendung endet typischerweise mit Inkrafttreten des jeweiligen Vertrages. Wenngleich sie nur als Zwischenstadium gedacht ist, entstehen durch die vorläufige Anwendung keine besonderen Pflichten in Bezug auf die Ratifikation des Vertrages. Auch ein dauerhaftes Verharren im Stadium der vorläufigen Anwendung ist möglich. Die vorläufige Anwendung kann nach der in Art. 25 II WVK kodifizierten Regel von einem Staat einseitig wieder beendet werden. Gewohnheitsrechtlich muss ein Staat hierzu aber entgegen dem Wortlaut des Art. 25 II WVK nicht die Absicht zum Ausdruck bringen, nicht mehr Partei des vorläufig angewendeten Vertrages werden zu wollen. Die einfache Beendbarkeit der vorläufigen Anwendung ist für sie charakteristisch und bildet einen zentralen Unterschied zu in Kraft getretenen Verträgen. Nicht ausreichend ist für die Beendigung der vorläufigen Anwendung jedoch, wenn das Parlament eines Staates seine innerstaatlich erforderliche Zustimmung zur Ratifikation verweigert. Schließlich muss die Beendigung förmlich notifiziert werden und liegt innerstaatlich meist ohnehin nicht in der Kompetenz des Parlaments. Kapitel 3
Analyse des Spannungsverhältnisses zum innerstaatlichen Recht Nachdem die rechtlichen Konturen des völkerrechtlichen Frustrationsverbotes und der vorläufigen Anwendung dargestellt wurden, soll nun ihr Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht untersucht werden. Bei der vorläufigen Anwendung bestimmter völkerrechtlicher Verträge besteht das Grundproblem darin,
Kap. 3: Analyse des Spannungsverhältnisses zum innerstaatlichen Recht
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dass die innerstaatliche Gewaltenteilung im Vertragsschlussverfahren gefährdet wird, wenn die vorläufige Anwendung eines Vertrages vor der zu seinem Abschluss erforderlichen Zustimmung des parlamentarischen Gesetzgebers erfolgt (A.). Ein Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung besteht allerdings nicht nur bei der vorläufigen Anwendung, sondern auch beim Frustrationsverbot (B.). In beiden Fällen ist das Spannungsverhältnis jedoch nicht für jeden Staat gleich groß. Daher sollen innerstaatliche Faktoren identifiziert werden, die das Ausmaß des Spannungsverhältnisses beeinflussen (C.). Abschließend stellt sich die Frage, welche Folgeprobleme es nach sich ziehen kann, wenn das Parlament nicht an der Entscheidung, die vorvertraglichen Pflichten einzugehen, beteiligt wird (D.).
A. Gefährdung der Gewaltenteilung durch die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung In den meisten Staaten sind die auswärtigen Beziehungen bis heute vorrangig der Exekutive zugewiesen.637 Wie bereits eingehender dargestellt wurde, sieht das innerstaatliche Recht vieler Staaten jedoch vor, dass der parlamentarische Gesetzgeber an der Entscheidung über den Abschluss bestimmter völkerrechtlicher Verträge beteiligt werden muss.638 Diese Ausgestaltung des innerstaatlichen Vertragsschlussverfahrens ist Teil der Gewaltenteilung, also der Idee, dass die Staatsgewalt auf verschiedene Gewalten aufgeteilt werden soll.639 Vor dem Hintergrund der Gründe für die Parlamentsbeteiligung (I.), wird deutlich, dass die vorläufige Anwendung von Verträgen im Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung im Vertragsschlussverfahren steht (II.). Allerdings besteht dieses Spannungsverhältnis nicht bei jeder vorläufigen Anwendung eines Vertrages, sondern lässt sich auf die sog. verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung eingrenzen (III.). Dort jedoch ist es nicht nur theoretischer Natur, sondern hat sich – wie einige Fallbeispiele zeigen – auch bereits in der Praxis manifestiert (IV.).
637 Council of Europe/British Institute of International and Comparative Law, Treaty Making – Expression of Consent by States to be Bound by a Treaty, (Fn. 23), 40 – 41; Thomas Giegerich, Foreign Relations Law (2020), Rn. 17 – 18, online: https://opil.ouplaw.com/view/1 0.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e937?rskey=g1khgX&result=1&prd= OPIL (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 638 Für die Ausführungen zur innerstaatlichen Gewaltenteilung im Vertragsschlussverfahren siehe Einleitung A.I.1. 639 Vgl. Thomas Giegerich, Foreign Relations Law (2020), (Fn. 637), Rn. 15 – 18.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
I. Gründe für die Parlamentsbeteiligung Erstmals verankert wurde die heute für bestimmte Verträge weltweit vorherrschende640 Aufteilung der auswärtigen Gewalt auf Exekutive und Legislative 1787 in der amerikanischen Verfassung.641 Daher soll zunächst kurz nachvollzogen werden, wie Alexander Hamilton dieses Modell im Federalist Paper No. 75642 begründete. Ausgangspunkt seiner Argumentation für das heutige Modell war, dass sich die Befugnis zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge nicht eindeutig in den klassischen Aufgabenbereich von Exekutive oder Legislative einordnen lässt, sondern einen Sonderfall darstellt.643 Denn es geht nicht um die Erzeugung oder Ausführung von Gesetzen im Verhältnis von Souverän und Staatsbürger, sondern um ein Übereinkommen zwischen zwei Souveränen.644 Für diese Aufgabe ist zwar die Exekutive der geeignetste Akteur, doch verlangt die Durchführung der Verträge als Gesetz auch die Beteiligung der Legislative.645 Zudem soll der auf Zeit gewählte Präsident durch das Parlament kontrolliert werden.646 Die von Hamilton angeführten Gründe werden auch heute noch als wichtige Motive dafür genannt, warum in vielen Staaten der parlamentarische Gesetzgeber an der Entscheidung über den Abschluss bestimmter Verträge beteiligt wird.647 Ein Vergleich verschiedener Verfassungen zeigt, dass das Parlament insbesondere beim Abschluss von Verträgen beteiligt wird, deren Erfüllung nicht ohne den Gesetzgeber möglich ist.648 Hier soll die Parlamentsbeteiligung sicherstellen, dass der Vertrag auch dann erfüllt werden kann, wenn hierzu Gesetze erlassen oder geändert werden müssen.649 Wenn Verträge auch Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung werden, wird durch die Parlamentsbeteiligung zugleich das Monopol des Gesetzgebers für die innerstaatliche Rechtssetzung geschützt.650 Über solche Fälle hinaus ist die 640 Für Zahlen und Beispiele zur Beteiligung der Legislative am Abschluss völkerrechtlicher Verträge siehe Einleitung A.I.1. 641 Zur Geschichte der Gewaltenteilung bei auswärtigen Beziehungen siehe Thomas Giegerich, Foreign Relations Law (2020), (Fn. 637), Rn. 15 – 16. 642 Für die Ausführungen von Hamilton siehe Alexander Hamilton („Publius“), The Federalist Papers: No. 75 (1788), online: http://avalon.law.yale.edu/18th_century/fed75.asp (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 643 Ibid. 644 Ibid. 645 Ibid. 646 Ibid. 647 Für die verschiedenen Gründe und Vorteile der innerstaatlichen Beteiligung der Legislative am Abschluss völkerrechtlicher Verträge siehe z. B. Thomas Giegerich, Foreign Relations Law (2020), (Fn. 637), Rn. 18, 20, 22. 648 Vgl. Duncan B. Hollis, A Comparative Approach to Treaty Law and Practice, (Fn. 382), 32. 649 Thomas Giegerich, Foreign Relations Law (2020), (Fn. 637), Rn. 22. 650 Vgl. David Sloss, Domestic Application of Treaties, in: Hollis, Duncan B., The Oxford Guide to Treaties (2020), 357; Council of Europe/British Institute of International and Com-
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Parlamentsbeteiligung oftmals zur parlamentarischen Kontrolle der Exekutive bei Verträgen vorgesehen, die von besonderer wirtschaftlicher oder politischer Bedeutung sind oder Rechte von Individuen betreffen.651 Als weitere Funktion der Parlamentsbeteiligung wird heute zudem gesehen, dass sie die demokratische Legitimität erhöht und die Entscheidungsfreiheit der Legislative schützt.652 Schließlich wird durch die Beteiligung der Legislative am Vertragsschlussverfahren verhindert, dass sie später zwischen dem Erlass des Umsetzungsgesetzes und einem die Staatenverantwortlichkeit auslösenden Völkerrechtsverstoß wählen muss, was ihre Entscheidungsfreiheit bei der Gesetzgebung beeinträchtigen würde.653
II. Spannungsverhältnis der vorläufigen Anwendung zur Gewaltenteilung Abgesehen von der leichteren Beendbarkeit der vorläufigen Anwendung entsprechen ihre Wirkungen grundsätzlich denen eines in Kraft getretenen Vertrages.654 Insofern stellt es einen gewissen Widerspruch dar, wenn die Exekutive nach dem Verfassungsrecht eines Staates die Zustimmung des Parlaments zwar für den Abschluss, nicht aber für die vorläufige Anwendung bestimmter Verträge benötigt.655 Werden die Entscheidungen über den Abschluss und die vorläufige Anwendung eines Vertrages verfassungsrechtlich unterschiedlich behandelt, entsteht die Möglichkeit, dass die vorläufige Anwendung die für den Vertragsschluss vorgesehene Parlamentsbeteiligung unterläuft.656 Besonders kritische Stimmen sprechen sogar davon, dass die vorläufige Anwendung die spätere Zustimmung des Gesetzgebers zum Abschluss des Vertrages „zu einem bloßen Formalakt degradiert“.657 Wennparative Law, Treaty Making – Expression of Consent by States to be Bound by a Treaty, (Fn. 23), 38; Christian Calliess, Auswärtige Gewalt, in: Isensee, Josef/Kirchhof, Paul, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 4 (3. Aufl. 2006), 603 Rn. 26. 651 Duncan B. Hollis, A Comparative Approach to Treaty Law and Practice, (Fn. 382), 34 – 36. 652 Thomas Giegerich, Foreign Relations Law (2020), (Fn. 637), Rn. 18. 653 So für das deutsche Recht Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 204 – 205. 654 So auch Luca Pantaleo, The Provisional Application of CETA: Selected Issues, (Fn. 541), 59. Für eingehendere Ausführungen zu den Wirkungen der vorläufigen Anwendung und ihre einfachere Beendbarkeit siehe Kapitel 2 C. IV.2. 655 Diese Auffassung wurde auch im schweizerischen Ständerat vertreten, wo ein Parlamentarier die vorläufige Anwendung im Rahmen einer Diskussion über eine Initiative für stärkere Parlamentsbeteiligung als „schlichte Anomalie“ bezeichnete, siehe Schweizerischer Ständerat, Frühjahrssession 2004, Dritte Sitzung, 03. 03. 2004, 03.459, Parlamentarische Initiative SPK-SR: Vorläufige Anwendung von völkerrechtlichen Verträgen, Erstrat (03. 03. 2004), Amtliches Bulletin 2004, 39, 44 – 45. 656 Vgl. Catherine Brölmann/Guido den Dekker, Treaties, Provisional Application (2020), (Fn. 40), Rn. 10; René Lefeber, The Provisional Application of Treaties, (Fn. 398), 82. 657 Alfred Verdross/Bruno Simma, Universelles Völkerrecht, (Fn. 178), 460 Rn. 718.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
gleich diese Aussage wohl zu weit geht,658 erkennen Völkerrechtskommission659 und rechtswissenschaftliche Literatur660 zu Recht die Gefahr an, dass durch die vorläufige Anwendung das innerstaatliche Vertragsschlussverfahren zumindest zeitweise umgangen oder sonst beeinträchtigt wird. In der Tat besteht die Gefahr einer Umgehung der Parlamentsbeteiligung selbst dann, wenn in einem Staat der Regierung bei auswärtigen Angelegenheiten eine Führungsrolle zukommt und die Beteiligung des Parlaments formal auf den Abschluss bestimmter Verträge beschränkt ist. Als Umgehung kann die Situation definiert werden, dass ein Verhalten zwar nicht gegen den Wortlaut, aber gegen den Zweck einer Norm verstößt.661 Dies wäre der Fall, wenn die vorläufige Anwendung eine Situation erzeugen würde, die funktional äquivalent zum Abschluss des jeweiligen Vertrages ist und daher mit Blick auf die Zwecke der Parlamentsbeteiligung nicht anders als dieser zu bewertet werden kann. Für ein funktionales Äquivalent zum Vertragsschluss spricht bei der vorläufigen Anwendung, dass ihre Wirkungen grundsätzlich denen bei Inkrafttreten des jeweiligen Vertrages entsprechen.662 Wenn also die Parlamentsbeteiligung beim Abschluss von Verträgen unter anderem eine Kontrolle der Regierung ermöglichen und die gesetzgeberische Entscheidungsfreiheit des Parlaments bewahren soll, treffen diese Zwecke im selben Maße auf die vorläufige Anwendung zu.663 Hieran ändert auch die einfachere Beendbarkeit der vorläufigen Anwendung nichts, da die Beendigung völkerrechtlich nicht vom Parlament selbst herbeigeführt werden kann und sie die vorläufige Anwendung ohnehin nur mit Wirkung für die Zukunft beseitigt.664 Doch selbst in Situationen, in denen die vorläufige Anwendung nicht eingesetzt wird, um das parlamentarische Mitwirkungsrecht beim Abschluss von Verträgen zu umgehen, kann sie dieses jedenfalls beeinträchtigen. Wie eine schweizerische Parlamentskommission zutreffend ausführte, gilt dies selbst dann, wenn die vorläufige 658
So auch René Lefeber, The Provisional Application of Treaties, (Fn. 398), 82. Vgl. Völkerrechtskommission, Fourth Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo (23. 06. 2016), A/CN.4/699, 9 Rn. 43; Völkerrechtskommission, First Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 399), 9 Rn. 35. 660 Siehe z. B. André Nollkaemper, The Effects of Treaties in Domestic Law, in: Tams, Christian J./Tzanakopoulos, Antonios/Zimmermann, Andreas, Research Handbook on the Law of Treaties (2014), 134, 137 – 138; René Lefeber, The Provisional Application of Treaties, (Fn. 398), 82; Martin A. Rogoff/Barbara E. Gauditz, The Provisional Application of International Agreements, (Fn. 422), 41. 661 Diese Definition der Umgehung geht auf das römische Recht zurück, vgl. Heinrich Honsell, Die rhetorischen Wurzeln der juristischen Auslegung, 2 Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft (2016) 106, 111. 662 Für eingehendere Ausführungen zu den Wirkungen der vorläufigen Anwendung siehe Kapitel 2 C.I. 663 Vgl. Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 111 – 112. 664 Ibid. 659
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Anwendung der auswärtigen Führungskompetenz der Regierung unterfällt und die Kompetenz des Parlaments zur Genehmigung von Verträgen formal unberührt lässt.665 Denn eine faktische Beeinträchtigung der parlamentarischen Entscheidungsfreiheit ergibt sich bereits daraus, dass die vorläufige Anwendung irreversible Folgen haben kann und das Parlament zudem den Abschluss des Vertrages nicht mehr ablehnen kann, ohne die außenpolitische Glaubwürdigkeit seines Staates zu gefährden.666 Somit steht die vorläufige Anwendung in einem Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung im Vertragsschlussverfahren, weil sie das Beteiligungsrecht des Parlaments beim Abschluss von Verträgen umgehen oder jedenfalls beeinträchtigen kann. Ausgeschlossen ist ein solches Spannungsverhältnis lediglich, wenn das innerstaatliche Recht die Entscheidung über die vorläufige Anwendung ausdrücklich der Exekutive zuweist und damit die Gewaltenteilungsfrage bewusst regelt.667
III. Eingrenzung des Spannungsverhältnisses Ein Spannungsverhältnis zwischen der vorläufigen Anwendung eines Vertrages und der innerstaatlichen Gewaltenteilung besteht nur im Fall der sog. verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung (1.). Unbedenklich ist die vorläufige Anwendung eines Vertrages hingegen, wenn dieser ein sog. Exekutivabkommen darstellt (2.) oder das Parlament dem Abschluss des Vertrages bereits zugestimmt hat (3.). 1. Verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung Das Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung kann nicht in allen Fällen der vorläufigen Anwendung auftreten, sondern beschränkt sich auf die sog. verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung. Nach Schusterschitz, der diesen Begriff eingeführt hat, kann die vorläufige Anwendung sowohl aus dem Blickwinkel
665 Staatspolitische Kommission des Ständerates, Parlamentarische Initiative – Vorläufige Anwendung von völkerrechtlichen Verträge: Bericht der Staatspolitischen Kommission des Ständerates (18. 11. 2003), 768. 666 Staatspolitische Kommission des Ständerates, Parlamentarische Initiative – Vorläufige Anwendung von völkerrechtlichen Verträge: Bericht der Staatspolitischen Kommission des Ständerates, (Fn. 665), 768 – 769. 667 In diesem Sinne wohl auch Court of Appeal of the Hague, Yukos (2020), Case No. 200.197.079/01, Rn. 4.7.32, Unofficial English Translation, online: https://www.italaw. com/sites/default/files/case-documents/italaw11337.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022).
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
des Völkerrechts als auch aus dem des innerstaatlichen Rechts gesehen werden.668 Eine völkerrechtliche vorläufige Anwendung beurteilt sich aus Sicht des Völkerrechts und liegt immer dann vor, wenn ein Vertrag bereits vor seinem völkerrechtlichen Inkrafttreten angewendet wird.669 Die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung muss demgegenüber vor dem Hintergrund des jeweiligen innerstaatlichen Rechts gesehen werden.670 Sie liegt nur dann vor, wenn die völkerrechtliche Pflicht zur vorläufigen Anwendung eines Vertrages besteht, bevor das zur Bindung an diesen verfassungsrechtlich vorgeschriebene Verfahren durchlaufen wurde.671 Was das Verhältnis von verfassungsrechtlicher und völkerrechtlicher vorläufiger Anwendung angeht, so ist die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung stets auch eine völkerrechtliche vorläufige Anwendung. Umgekehrt ist eine völkerrechtliche vorläufige Anwendung, die erst nach Abschluss des innerstaatlichen Vertragsschlussverfahrens erfolgt, aber gerade keine verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung.672 Somit handelt betrifft die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung nur einen Teilbereich des Zeitraums, in dem eine völkerrechtliche vorläufige Anwendung möglich ist. Der von Schusterschitz geprägte Begriff der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung könnte nützlich sein, um das Spannungsverhältnis zwischen vorläufiger Anwendung und innerstaatlichem Recht präzise einzugrenzen. Hierfür müsste allerdings die ihm zu Grunde liegende Annahme zutreffen. Diese besteht darin, dass das Spannungsverhältnis nur besteht, sofern und soweit die vorläufige Anwendung nicht dem für den Abschluss des jeweiligen Vertrages vorgesehenen Verfahren unterworfen wurde, obwohl sie dessen Inhalt zur Anwendung bringt.673 Eine ähnliche Eingrenzung findet sich auch bei Montag. Demnach ist die vorläufige Anwendung nur problematisch, wenn sie erstens einen zustimmungsbedürftigen Vertrag betrifft und zweitens das Parlament seine Zustimmung zur Vertragsbindung noch nicht erteilt hat.674 Diese beiden Fälle scheinen auch in der
668 Für eine ausführliche Darstellung der Begriffe „völkerrechtliche vorläufige Anwendung“ und „verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung“ siehe Gregor Schusterschitz, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge in der Praxis Österreichs, (Fn. 68), 135 – 136. 669 Gregor Schusterschitz, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge in der Praxis Österreichs, (Fn. 68), 135 – 136. 670 Ibid. 671 Gregor Schusterschitz, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge in der Praxis Österreichs, (Fn. 68), 136. 672 Ibid. 673 Vgl. Gregor Schusterschitz, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge in der Praxis Österreichs, (Fn. 68), 135 – 136. 674 So z. B. Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 200 – 201.
Kap. 3: Analyse des Spannungsverhältnisses zum innerstaatlichen Recht
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englischsprachigen Literatur675 als verfassungsrechtlich unproblematisch eingestuft zu werden und sollen im Folgenden näher erörtert werden. 2. Unbedenklichkeit der vorläufigen Anwendung von Exekutivabkommen Die erste Eingrenzung des Spannungsverhältnisses, der zufolge der anzuwendende Vertrag überhaupt zustimmungspflichtig sein muss,676 ist überzeugend. In den meisten Staaten ist die Zustimmung des parlamentarischen Gesetzgebers nicht bei allen Verträgen erforderlich, weshalb Bereiche verbleiben, in denen die Exekutive allein Verträge abschließen kann (sog. Exekutivabkommen).677 Zwar bestimmt jede Rechtsordnung selbst, ob und welche Verträge als Exekutivabkommen geschlossen werden können, doch gibt es gewisse Gemeinsamkeiten. Sofern die Zustimmung der Legislative nur für bestimmte Verträge erforderlich ist, handelt es sich meist nur um Verträge mit erheblichen politischen, finanziellen oder rechtlichen Auswirkungen.678 Alle übrigen Verträge können von der Exekutive allein geschlossen werden. So sind z. B. in Deutschland nach Art. 59 II 1 GG nur Verträge zustimmungsbedürftig, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen.679 Alle übrigen Verträge können als sog. Verwaltungsabkommen von der Exekutive allein abgeschlossen werden.680 Wenngleich die Beteiligung der Legislative in anderen Staaten mehr Verträge erfassen kann, werden Exekutivabkommen häufig jedenfalls in drei Situationen ermöglicht: Bei weniger bedeutenden oder fachlich-technischen Verträgen, bei Verträgen die nur den Kompetenzbereich der Exekutive betreffen oder bei Verträgen, deren Umsetzung bereits durch einen bestehenden Vertrag oder ein bestehendes Gesetz ermöglicht wird.681 Unabhängig davon, welche Verträge nach dem innerstaatlichen Recht eines Staates als Exekutivabkommen geschlossen werden können, liegt in Bezug auf die 675
So besteht z. B. auch laut Quast Mertsch das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht (nur), wenn die vorläufige Anwendung einen zustimmungsbedürftigen Vertrag betrifft und das innerstaatliche Vertragsschlussverfahren noch nicht abgeschlossen ist, vgl. Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 65. 676 Siehe z. B. für das deutsche Recht Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 200 – 201. 677 Für einen Überblick über die verschiedenen Modelle der Kompetenzverteilung auf Legislative und Exekutive im Vertragsschlussverfahren siehe Duncan B. Hollis, A Comparative Approach to Treaty Law and Practice, (Fn. 382), 24 – 26. 678 Council of Europe/British Institute of International and Comparative Law, Treaty Making – Expression of Consent by States to be Bound by a Treaty, (Fn. 23), 62 – 63. 679 Für eingehendere Ausführungen zu diesen Begriffen siehe infra Kapitel 5 B. 680 Silja Vöneky, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, in: Isensee, Josef/ Kirchhof, Paul, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 11 (3. Aufl. 2013), 421 – 422 Rn. 22. 681 Duncan B. Hollis, A Comparative Approach to Treaty Law and Practice, (Fn. 382), 27.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
vorläufige Anwendung in der Tat ein Erst-recht-Schluss nahe. Wenn die Exekutive einen Vertrag sogar allein abschließen darf, muss sie ihn erst recht vorläufig anwenden dürfen.682 Dies gilt umso mehr als die Bindung durch die vorläufige Anwendung leichter als bei einem in Kraft getretenen Vertrag wieder beendet werden kann.683 3. Unbedenklichkeit der vorläufigen Anwendung nach Parlamentsbeteiligung Die zweite Eingrenzung des Spannungsverhältnisses, der zufolge bei zustimmungsbedürftigen Verträgen nicht bereits die Zustimmung des Parlaments zum Abschluss des Vertrages vorliegen darf,684 bedarf einer näheren Untersuchung. Ein Beispiel für einen solchen Fall ist die teilweise vorläufige Anwendung des Vertrages über den Waffenhandel685 durch Deutschland. Hier gab Deutschland die Erklärung über die vorläufige Anwendung des Vertrages erst am 2. April 2014 ab,686 nachdem es die Zustimmung des Bundestages zum Vertragsschluss bereits im Oktober 2013 erhalten hatte.687 Da das Vertragsgesetz keine ausdrückliche Ermächtigung zur vorläufigen Anwendung enthielt,688 stellt sich die Frage, ob die Ermächtigung zum Abschluss eines Vertrages auch eine stillschweigende Ermächtigung zu seiner (teilweisen) vorläufigen Anwendung beinhaltet. In der Literatur wird eine solche Situation im Wege eines Erst-recht-Schlusses für unproblematisch erklärt: Wenn sogar die Voraussetzungen für das Inkrafttreten des Vertrages vorlägen, müsse auch seine vorläufige Anwendung möglich sein.689 Dieses Argument könnte jedoch daran scheitern, dass die vorläufige Anwendung nicht nur eine inhaltsgleiche Gesamt- oder Teilmenge des vom Parlament genehmigten Vertrages ist,690 sondern auch gewisse 682 So z. B. ausdrücklich die Schweiz, Permanent Mission of Switzerland to the United Nations, Observations et informations concernant l’application provisoire des traités, (Fn. 576), 2. 683 Für eingehendere Ausführungen hierzu siehe Kapitel 2 D.II.3. 684 Siehe z. B. für das deutsche Recht Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 200 – 201. 685 The Arms Trade Treaty, (Fn. 447). 686 Bekanntmachung über die vorläufige Anwendung des Vertrages über den Waffenhandel (08. 04. 2014) BGBl. 2014 II 353. 687 Gesetz zu dem Vertrag vom 2. April 2013 über den Waffenhandel (19. 10. 2013) BGBl. II 2013 1426. 688 Vgl. Ibid. 689 Siehe z. B. Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 200. 690 Dem Erst-recht-Schluss liegt denklogisch die Annahme zu Grunde, dass der Regelungsinhalt der vorläufigen Anwendung (teilweise) mit dem des Vertrages identisch ist und jedenfalls nicht über diesen hinausgeht. Besonders deutlich wird dies bei Kempen und Schiffbauer, die an anderer Stelle ausdrücklich feststellen, dass der Regelungsinhalt der vorläufigen Anwendung ganz oder teilweise mit dem des Vertrages identisch ist, siehe Bernhard
Kap. 3: Analyse des Spannungsverhältnisses zum innerstaatlichen Recht
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Unterschiede aufweist. So machen multilaterale Verträge ihr Inkrafttreten häufig von der Ratifikation durch eine gewisse Anzahl von Staaten, die bisweilen sogar näher bestimmt werden, abhängig.691 Beim Vertrag über den Waffenhandel z. B. setzte das Inkrafttreten die Ratifikation durch 50 Staaten voraus,692 von denen am 2. April 2014, also bei Beginn der vorläufigen Anwendung durch Deutschland,693 erst 31 vorlagen.694 Durch solche Klauseln zum Inkrafttreten soll sichergestellt werden, dass ein Staat seine Handlungsfreiheit erst im Tausch für einen effektiven Vertrag aufgibt.695 Demgegenüber sieht die vorläufige Anwendung derartige Anforderungen typischerweise nicht vor und beginnt, sobald zwei oder mehr Staaten eine entsprechende Pflicht auf sich genommen haben.696 Vor diesem Hintergrund könnte man argumentieren, dass das Parlament den materiell-rechtlichen Inhalt nur unter der Bedingung genehmigt, dass die Voraussetzungen der effektivitätssichernden Klausel bis zum Inkrafttreten eintreten. Dann würde die Zustimmung zum Vertragsschluss nicht zugleich die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung gestatten, da der materiell-rechtliche Inhalt zwar nicht über denjenigen bei Vertragsschluss hinausgeht, der Eintritt seiner Wirkungen aber nicht von derselben effektivitätssichernden Bedingung abhängt. Entsprechend wäre bei zustimmungsbedürftigen Verträgen eine vorläufige Anwendung selbst dann nicht möglich, wenn das Parlament bereits ihrem Abschluss zugestimmt hat. Letztendlich dürfte diese Überlegung jedoch in den meisten Staaten nicht ausschlaggebend sein. Denn in vielen Staaten – darunter auch Deutschland697 – kann die Exekutive auch nach Zustimmung des parlamentarischen Gesetzgebers noch frei darüber entscheiden, ob698 und wann699 sie den Vertrag ratifiziert. Wenn die MitKempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 108 – 109, 112 – 113. 691 Für Beispiele siehe Einleitung A.II.2. 692 Vgl. Art. 22 I The Arms Trade Treaty, (Fn. 447). 693 Vgl. Bekanntmachung über die vorläufige Anwendung des Vertrages über den Waffenhandel, (Fn. 686). 694 Vgl. Teilnehmerinformationen für den Vertrag über den Waffenhandel, online: https: //treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=IND&mtdsg_no=XXVI-8&chapter=2 6&clang=_en (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 695 Vgl. Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 8 Fn. 8. 696 Vgl. Kapitel 2 B.III.3. 697 Zur deutschen Rechtslage statt vieler Rudolf Streinz, Art. 59 GG, in: Sachs, Michael, Grundgesetz Kommentar (9. Aufl. 2021), Rn. 59; Christian Calliess, Auswärtige Gewalt, (Fn. 650), 603 Rn. 26. 698 Duncan B. Hollis, A Comparative Approach to Treaty Law and Practice, (Fn. 382), 28. 699 Im Rahmen einer Studie des Europarates verneinten 29 Staaten die Frage 8 d), ob die Ratifikation nach Erhalt der innerstaatlichen Genehmigung innerhalb einer gewissen Frist erfolgen müsse: Für die Antworten von Belgien, Kroatien, Tschechien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Georgien, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Irland, Italien, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Niederlande, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei, Spanien, Schweden, Schweiz, Mazedonien, Türkei, Ukraine, Bosnien-Herzegowina, Israel, Japan und Mexico siehe
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
wirkung des Parlaments sich damit aber auf die Genehmigung des materiell-rechtlichen Vertragsinhalts beschränkt und der Zeitpunkt der Bindung ohnehin von der Exekutive bestimmt wird, kann die Zustimmung zur Vertragsbindung tatsächlich eine implizite Ermächtigung zur vorläufigen Anwendung des Vertrages darstellen. Folglich ist die vorläufige Anwendung zustimmungsbedürftiger Verträge unproblematisch, wenn der parlamentarische Gesetzgeber bereits seine Zustimmung zum Abschluss des jeweiligen Vertrages erteilt hat. Somit steht die vorläufige Anwendung nur dann in einem Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht, wenn sie vor Durchführung eines erforderlichen innerstaatlichen Vertragsschlussverfahrens erfolgt. Dieser Fall wird im Folgenden mit der Terminologie von Schusterschitz als verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung bezeichnet werden.
IV. Illustration des Spannungsverhältnisses durch Fallbeispiele Wie einige Fallbeispiele zeigen, hat sich das Spannungsverhältnis der vorläufigen Anwendung zur innerstaatlichen Gewaltenteilung im Vertragsschlussverfahren bereits mehrmals in der Praxis manifestiert. Dabei gibt es sowohl Beispiele für multilaterale (1.) als auch für bilaterale Verträge (2.), die ohne Parlamentsbeteiligung mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte vorläufig angewendet wurden. Insgesamt scheint die Problematik jedoch vor allem bei bilateralen Verträgen aufzutreten, wofür es gute Gründe gibt (3.). 1. Multilaterale Verträge Ein klassisches Beispiel für die längerfristige vorläufige Anwendung eines multilateralen Vertrages ohne Beteiligung des Parlaments ist die vorläufige Anwendung des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens von 1947 durch die USA (a)). Ein aktuelleres Beispiel ist die vorläufige Anwendung des Energiechartavertrages von 1994 durch Russland (b)). a) Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen Eines der bekanntesten Beispiele für die längerfristige vorläufige Anwendung eines multilateralen Vertrages war das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen von 1947.700 Dieses war durch seinen Art. XXIX eng mit der Havana-Charter701 verCouncil of Europe/British Institute of International and Comparative Law, Treaty Making – Expression of Consent by States to be Bound by a Treaty, (Fn. 23), 136, 147, 152, 161, 166, 172, 177, 181, 185, 191, 200, 206, 210, 213, 222, 230, 234, 240, 252, 261, 266, 272, 276, 280, 284, 293, 304, 308, 312. 700 General Agreement on Tariffs and Trade (01. 10. 1947), 55 United Nations Treaty Series 194.
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bunden. Die Havana-Charter trat nie in Kraft, da sie vom amerikanischen Senat abgelehnt wurde und daher mangels Beteiligung der USA nie die erforderliche Anzahl an Ratifikationen erhielt.702 In ähnlicher Weise zeichnete sich bereits ab, dass auch das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen allein in einigen Staaten nicht vom Parlament akzeptiert werden würde, da es Änderungen der innerstaatlichen Rechtslage erfordert hätte, die einflussreichen Wirtschaftsinteressen zuwiderliefen.703 Daher wurde ein Protokoll704 über seine vorläufige Anwendung geschlossen.705 Dieses enthielt eine Beschränkungsklausel, der zufolge die Bestimmungen aus Teil II des Vertrages nur soweit vorläufig angewendet werden mussten wie sie mit den bestehenden Rechtsvorschriften des jeweiligen Staates vereinbar waren.706 Diese Beschränkungsklausel dürfte dazu beigetragen haben, dass es den Regierungen der USA und vieler anderer Staaten möglich war, das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen von 1947 vorläufig anzuwenden.707 In den USA wurde die Pflicht zur vorläufigen Anwendung vom Präsidenten eingegangen, wohingegen der Kongress dem Vertrag nie seine formelle Zustimmung erteilte.708 Insgesamt dauerte die vorläufige Anwendung von 1948 bis 1994, bevor der Vertrag in das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen von 1994709 integriert und seine vorläufige Anwendung beendet wurde.710 Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen von 1947 ist somit ein Beispiel für einen Vertrag, der z. B. durch die USA ohne parlamentarische Zustimmung mehrere Jahrzehnte lang angewendet wurde. Dieses Beispiel sollte allerdings nicht überbewertet werden. Schließlich 701
Havana Charter for an International Trade Organization, including Annexes, in: United Nations Conference on Trade and Employment, Final Act and Related Documents (1948). 702 Alex M. Niebruegge, Provisional Application of the Energy Charter Treaty: The Yukos Arbitration and the Future Place of Provisional Application in International Law, 8 Chicago Journal of International Law (2007) 355, 358. 703 Kenneth W. Dam, The GATT: Law and International Economic Organization (1970), 342. 704 Protocol of Provisional Application of the General Agreement on Tariffs and Trade, (Fn. 449). 705 Kenneth W. Dam, The GATT: Law and International Economic Organization, (Fn. 703), 342. 706 Siehe Nr. 1 lit. b) des Protocol of Provisional Application of the General Agreement on Tariffs and Trade, (Fn. 449). 707 Robert E. Dalton, Provisional Application of Treaties, (Fn. 84), 237. 708 Martin A. Rogoff/Barbara E. Gauditz, The Provisional Application of International Agreements, (Fn. 422), 68, 73. 709 General Agreement on Tariffs and Trade 1994, online: https://www.wto.org/english/ docs_e/legal_e/06-gatt_e.htm (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 710 Siehe hierzu Preparatory Committee for the World Trade Organization, Transitional CoExistence of the GATT 1947 and the WTO Agreement: Decision of 8 December 1994 adopted by the Preparatory Committee for the WTO and the Contracting Parties to GATT 1947 (13. 12. 1994), PC/12 L/7583, online: https://www.wto.org/gatt_docs/English/SULPDF/91840096.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022).
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
enthielt das Protokoll zur vorläufigen Anwendung eine Beschränkungsklausel711 und damit bereits einen Versuch das Spannungsverhältnis zu lösen.712 Zudem wurde das Spannungsverhältnis dadurch entschärft, dass der amerikanische Kongress die vorläufige Anwendung nach anfänglichen Protesten stillschweigend duldete und die Vertragsziele sogar unterstützte.713 Somit gab es bei der vorläufigen Anwendung des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens von 1947 zwar ein Spannungsverhältnis zwischen der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung und der innerstaatlichen Gewaltenteilung der USA, doch wurde dieses zugleich durch rechtliche und politische Faktoren abgemildert. b) Energiecharta-Vertrag Ein aktuelleres Beispiel für das Spannungsverhältnis zwischen der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung und der innerstaatlichen Gewaltenteilung im Vertragsschlussverfahren ist die vorläufige Anwendung des Energiecharta-Vertrages714 („ECV“) durch Russland. Als Russland 1994 den Energiecharta-Vertrag unterzeichnete,715 löste es damit die vorläufige Anwendung des Vertrages aus.716 Die Ratifikation bestimmter Verträge setzt jedoch auch nach russischem Recht voraus, dass zuvor die Zustimmung des Parlaments – der Duma – eingeholt wird.717 Entsprechend wurde der Energiecharta-Vertrag 1996 der Duma vorgelegt, die zwar 1998 mit parlamentarischen Anhörungen begann, aber die Erteilung der Zustimmung zur 711 Beschränkungsklauseln beschränken die Pflicht zur vorläufigen Anwendung auf Teile des Vertrages indem sie z. B. vorsehen, dass die vorläufige Anwendung nur nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts erfolgt. Für eingehendere Ausführungen zu Beschränkungsklauseln siehe Kapitel 2 C.I.2. 712 Vgl. Nr. 1 lit. b) des Protocol of Provisional Application of the General Agreement on Tariffs and Trade, (Fn. 449), demzufolge die Pflicht zur vorläufigen Anwendung nur „to the fullest extent not inconsistent with existing legislation“ besteht. 713 Für eine ausführliche Darstellung der Haltung des amerikanischen Kongresses gegenüber dem Allgemeinen Zoll und Handelsabkommen von 1947 und seiner vorläufigen Anwendung siehe Martin A. Rogoff/Barbara E. Gauditz, The Provisional Application of International Agreements, (Fn. 422), 68 – 73. 714 The Energy Charter Treaty, (Fn. 409). 715 Die Unterzeichnung des Energiecharta-Vertrages durch Russland fand am 17. 12. 1994 statt. Für diese und weitere Informationen zum Status Russlands in Bezug auf den Vertrag siehe die offizielle Website der Energiecharta, online: https://energycharter.org/who-we-are/mem bers-observers/countries/russian-federation/ (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 716 Nach Art. 45 I Energiecharta-Vertrag („ECV“) verpflichten sich dessen Unterzeichner zu seiner vorläufigen Anwendung, sofern sie nicht zugleich eine opt-out-Erklärung nach Art. 45 II lit. a) ECV abgeben. 717 Vgl. Art. 106 lit. d) Constitution of Russia, (Fn. 27); vgl. auch Art. 15 und 16 Federal Law on Russian Federation Treaties (15. 07. 1995); für eine englischsprachige Übersetzung des Gesetzes siehe William E. Butler, Russian Federation: Federal Law on International Treaties, 34 International Legal Materials (1995) 1370, 1380 – 1381.
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Ratifikation mehrfach aufschob.718 Letztendlich ratifizierte Russland den Vertrag daher nie und beendete im Oktober 2009 seine vorläufige Anwendung.719 Die vorläufige Anwendung des Energiecharta-Vertrages hatte für Russland erhebliche Konsequenzen. Denn sie führte dazu, dass ein Schiedsgericht sich auf Grundlage der in Art. 26 ECV vorgesehenen Streitbeilegungsklausel in drei zusammenhängenden Investitionsschutzverfahren – dem sog. Yukos-Verfahren – für zuständig erklärte.720 In der Hauptsache kam das Schiedsgericht zum Ergebnis, dass Russland die drei das Schiedsverfahren einleitenden Unternehmen entgegen Art. 13 I ECV enteignet hatte, weshalb es ihnen eine Entschädigung in Höhe von mehreren Milliarden US-Dollar zusprach.721 2016 hob ein niederländisches Bezirksgericht die Schiedssprüche auf, nachdem Russland am Ort des Schiedsverfahrens eine entsprechende Klage eingereicht hatte.722 Grund für die Aufhebung war, dass das Schiedsgericht aus Sicht des niederländischen Bezirksgerichts seine Kompetenzen überschritten hatte. Das Bezirksgericht lehnte die Streitbeilegungsklausel in Art. 26 ECV als taugliche Kompetenzgrundlage ab, da die sog. Beschränkungsklausel723 in Art. 45 I ECV sie von der vorläufigen Anwendung ausgenommen habe.724 Bei der umstrittenen Auslegung des Art. 45 I ECV – die in Kapitel 4 noch eingehender diskutiert werden wird – spielte das Spannungsverhältnis der vorläufigen Anwendung zur russischen Gewaltenteilung eine wichtige Rolle. Denn die Beschränkungsklausel ließ nach der Auslegung des Bezirksgerichts die Pflicht zur vorläufigen Anwendung für diejenigen Vertragsbestimmungen entfallen, die mit dem jeweiligen innerstaatlichen Recht 718
Kaj Hóber, Investment Arbitration and the Energy Charter Treaty, 1 Journal of International Dispute Settlement (2010) 153, 166. 719 Für die Daten zur vorläufigen Anwendung siehe die Teilnehmerinformationen Russlands auf der Website des Energiecharta-Vertrages, online: https://energycharter.org/who-weare/members-observers/countries/russian-federation/ (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 720 Permanent Court of Arbitration, Hulley Enterprises Limited (Cyprus) v. The Russian Federation, Interim Award (2009), No. AA 226; Permanent Court of Arbitration, Yukos Universal Limited (Isle of Man) v. The Russian Federation, Interim Award on Juridisction and Admissibility (2009), No. AA 227; Permanent Court of Arbitration, Veteran Petroleum Limited (Cyprus) v. The Russian Federation, Interim Award (2009), No. AA 228. 721 Permanent Court of Arbitration, Hulley Enterprises Limited (Cyprus) v. The Russian Federation, Final Award (2014), No. AA 226, Rn. 1888; Permanent Court of Arbitration, Yukos Universal Limited (Isle of Man) v. The Russian Federation, (Fn. 104), Rn. 1888; Permanent Court of Arbitration, Veteran Petroleum Limited (Cyprus) v. The Russian Federation, Final Award (2014), No. AA 228, Rn. 1888. 722 The Hague District Court, Yukos (2016), Case No. C/09/477160 / HA ZA 15 – 1; C/09/ 477162/ HA ZA 15 – 2; C/09/481619 / HA ZA 15 – 112, Unofficial English Translation, online: https://www.italaw.com/sites/default/files/case-documents/italaw7258.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 723 Für eingehendere Ausführungen zu Beschränkungsklauseln siehe Kapitel 2 C.I.2. und Kapitel 4 A.III. 724 The Hague District Court, Yukos, (Fn. 722), Rn. 5.95 – 5.97.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
unvereinbar sind.725 Im Rahmen seiner Prüfung, ob die Streitbeilegungsklausel mit dem russischen Recht unvereinbar ist, führte das Bezirksgericht unter Berufung auf Experten für russisches Recht aus, dass die vorläufige Anwendung des Energiecharta-Vertrages ohne Parlamentsbeteiligung im Widerspruch zur russischen Gewaltenteilung stehe.726 Da völkerrechtliche Verträge Teil der russischen Rechtsordnung werden,727 handele es sich bei der Begründung von Rechten und Pflichten aus Verträgen um eine grundsätzlich dem Parlament zugewiesene Rechtserzeugung.728 Daher folge aus der Gewaltenteilung, dass solche Verträge nicht ohne die Zustimmung der Legislative Teil der russischen Rechtsordnung werden können und es der Exekutive untersagt sei, die vorläufige Anwendung von Vertragsbestimmungen zu vereinbaren, die nicht bereits mit der innerstaatlichen Rechtslage übereinstimmen.729 Im Februar 2020 wurde das Urteil des niederländischen Bezirksgerichts vom Berufungsgericht730 aufgehoben. Dieses vertrat nicht nur zur Auslegung der Beschränkungsklausel,731 sondern auch zur Frage, ob die vorläufige Anwendung der Streitbeilegungsklausel mit dem russischen Recht vereinbar war, eine andere Auffassung als das Bezirksgericht.732 Hinsichtlich der Vereinbarkeit mit der russischen Gewaltenteilung argumentierte das Berufungsgericht im Kern,733 dass nicht der Grundsatz der Gewaltenteilung als solcher, sondern dessen konkrete Ausgestaltung maßgeblich ist. Der Gesetzgeber habe die im russischen Recht vorgesehene Befugnis der Exekutive zur vorläufigen Anwendung von Verträgen nicht inhaltlich beschränkt, weshalb die vorläufige Anwendung des Energiecharta-Vertrages durch die Regierung keine Kompetenzüberschreitung darstelle.734 Obwohl das niederländische Bezirksgericht und das Berufungsgericht hinsichtlich des russischen Rechts somit zu gegensätzlichen Ergebnissen kamen, machen 725 Damit folgte das niederländische Bezirksgericht dem sog. Stückwerk-Ansatz. Für eingehendere Ausführungen zu diesem und den alternativen Auslegungsansätzen für die Beschränkungsklausel in Art. 45 I ECV siehe Kapitel 4 A.III.1.a). 726 Für die Argumentation des niederländischen Bezirksgerichts zur Gewaltenteilung siehe The Hague District Court, Yukos, (Fn. 722), Rn. 5.74 – 5.94. 727 Vgl. Art. 15 IV Constitution of Russia, (Fn. 27). 728 The Hague District Court, Yukos, (Fn. 722), Rn. 5.84. 729 The Hague District Court, Yukos, (Fn. 722), Rn. 5.87 – 5.93. 730 Court of Appeal of the Hague, Yukos, (Fn. 667). 731 Für eingehendere Ausführungen zur Auslegung der Beschränkungsklausel durch das Berufungsgericht siehe Kapitel 4 A.III.1.a). 732 Eigentlich kam es nach der Auslegung der Beschränkungsklausel durch das Berufungsgericht gar nicht mehr darauf an, ob die vorläufige Anwendung der Streitbeilegungsklausel mit einer Norm des russischen Rechts unvereinbar ist. Dennoch setzte sich das Berufungsgericht hilfsweise auch mit dieser Frage auseinander. Siehe Court of Appeal of the Hague, Yukos, (Fn. 667), Rn. 4.5.48 – 4.6.2. 733 Für die vollständige Argumentation des Berufungsgerichts zur russischen Gewaltenteilung siehe Court of Appeal of the Hague, Yukos, (Fn. 667), Rn. 4.7.4 – 4.7.32. 734 Court of Appeal of the Hague, Yukos, (Fn. 667), Rn. 4.7.32.
Kap. 3: Analyse des Spannungsverhältnisses zum innerstaatlichen Recht
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beide Entscheidungen deutlich, dass die vorläufige Anwendung grundsätzlich im Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung stehen kann. Legt man die Auffassung des Bezirksgerichts zu Grunde, stand die vorläufige Anwendung des Energiecharta-Vertrages mangels Parlamentsbeteiligung in einem Spannungsverhältnis zur russischen Gewaltenteilung, welches nur durch die Beschränkungsklausel aufgelöst wurde. Nach der Auffassung des Berufungsgerichts wiederum bestand zwar im konkreten Fall kein Widerspruch zur Gewaltenteilung, doch nur, weil der Exekutive im russischen Recht ausdrücklich weitreichende Kompetenzen zur vorläufigen Anwendung von Verträgen zugewiesen werden. Dass die vorläufige Anwendung eines Vertrages bei einer anderen Ausgestaltung der innerstaatlichen Gewaltenteilung im Konflikt mit dieser stehen kann, hat auch das Berufungsgericht nicht ausgeschlossen. 2. Bilateraler Meeresgrenzvertrag zwischen den USA und Kuba Betrafen die bisher dargestellten Beispiele multilaterale Verträge, soll es nun um Fälle gehen, in denen bilaterale Verträge längerfristig ohne Parlamentsbeteiligung vorläufig angewendet wurden. Im Dezember 1977 unterzeichneten die USA und Kuba ein Übereinkommen über die Meeresgrenze zwischen beiden Staaten.735 Im Einklang mit seinem Art. V sollte dieses Übereinkommen ab dem 1. Januar 1978 für die Dauer von zwei Jahren vorläufig angewendet werden. Der Grund für diese Gestaltung war, dass eine vorübergehende Regelung bald auslaufen würde und man vermeiden wollte, dass vor Inkrafttreten des neuen Meeresgrenzvertrages Konflikte entstehen.736 Der Vertrag wurde bereits im Januar 1978 an den Senat übermittelt,737 doch hat dieser bis heute noch nicht seine Zustimmung erteilt.738 Die vorläufige Anwendung wurde immer wieder mittels diplomatischer Noten um jeweils zwei Jahre verlängert.739 Ab Januar 2020 ist sogar vorgesehen, dass die vorläufige An735 Vgl. Maritime Boundary Agreement Between the United States of America and the Republic of Cuba (16. 12. 1977), 17 International Legal Materials 110. 736 Mark B. Feldman/David Colson, The Maritime Boundaries of the United States, 75 American Journal of International Law (1981) 729, 740. 737 Für das Übermittlungsschreiben siehe Message from the President of the United States Transmitting Three Treaties Establishing Maritime Boundaries (19. 01. 1978): The Treaty on Maritime Boundaries Between the United States of America and the United Mexican States, Signed at Mexico City, May 4, 1978 (Ex. F–96 – 1); The Maritime Boundary Treaty Between the United States of America and the Republic of Venezuela, Signed at Caracas on March 28, 1978 (Ex G, 96 – 1); And the Maritime Boundary Agreement Between the United States of America and the Republic of Cuba, Signed at Washington, December 16, 1977 (Ex. H, 96 – 1) (1979), S. Exec. Doc. H, 96th Congress, 1st Session, online: https://www.foreign.senate.gov/imo/media/ doc/treaty_96-08.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 738 Vgl. die Auflistung der im Senat anhängigen völkerrechtlichen Verträge, online: https: //www.state.gov/treaties-pending-in-the-senate/ (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 739 Vgl. z. B. die zweijährige Verlängerung aus dem Jahr 2015: Agreement Between the United States of America and Cuba Extending the Provisional Application of the Maritime
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
wendung des Meeresgrenzvertrages sich automatisch immer wieder um drei Jahre verlängert, sofern keine Seite die Beendigung erklärt.740 Angesichts der langjährigen vorläufigen Anwendung des Meeresgrenzvertrages stellt sich die Frage, ob diese nicht in einem gewissen Spannungsverhältnis zu der in der Verfassung der Vereinigten Staaten vorgesehenen Gewaltenteilung steht. Mark Feldman, der als stellvertretender Rechtsberater des amerikanischen Außenministeriums für das amerikanische Meeresgrenzvertragsprogramm zuständig war,741 geht in einem 1981 veröffentlichten Beitrag davon aus, dass eine vorläufige Grenzregelung in die alleinige Kompetenz des Präsidenten fällt.742 Die Befugnis zur vorläufigen Anwendung eines Vertrages vor seiner Ratifikation ergebe sich verfassungsrechtlich aus der Kompetenz des Präsidenten zum Abschluss vom Exekutivabkommen,743 zumal sie gerade bei Grenzverträgen im Zusammenhang mit der ausschließlich ihm zugewiesenen Verhandlungskompetenz stehe.744 Allerdings gesteht Feldman selbst zu, dass nur eine vorläufige Grenzregelung als Exekutivabkommen vereinbart werden kann, wohingegen die endgültige Regelung durch einen zustimmungsbedürftigen Vertrag erfolgen muss.745 Da die Befugnis des Präsidenten zur vorläufigen Anwendung nicht zuletzt damit gerechtfertigt wird, dass eine vorläufige Anwendung dringend erforderlich und zeitlich begrenzt ist, wird diese Rechtfertigung mit fortschreitende Dauer der vorläufigen Anwendung geschwächt.746 Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund ist nachvollziehbar, warum die vorläufige Anwendung beim Meeresgrenzvertrag ursprünglich auf zwei Jahre begrenzt wurde. Umso bemerkenswerter ist jedoch, dass sie immer wieder um zwei Jahre verlängert wurde und inzwischen schon über 40 Jahre andauert. Somit nutzte die Exekutive den Mechanismus der vorläufigen Anwendung, um eine im Ergebnis jahrzehntelange Grenz-
Boundary Agreement of December 16, 1977 (31. 12. 2015) Treaties and Other International Acts Series 15 – 1231. 740 Agreement Between the United States of America and Cuba Extending the Provisional Application of the Maritime Boundary Agreement of December 16, 1977 (26. 12. 2017) Treaties and Other International Acts Series 17 – 1226. 741 Für die biographischen Angaben zu Mark Feldman siehe die erste Seite seines Aufsatzes, Mark B. Feldman/David Colson, The Maritime Boundaries of the United States, (Fn. 736), 729. 742 Für die ausführliche Argumentation zum amerikanischen (Verfassungs-)Recht siehe Mark B. Feldman/David Colson, The Maritime Boundaries of the United States, (Fn. 736), 738 – 740. 743 Mark B. Feldman/David Colson, The Maritime Boundaries of the United States, (Fn. 736), 741 Fn. 51. 744 Für dieses Argument von Feldman siehe Mark B. Feldman/David Colson, The Maritime Boundaries of the United States, (Fn. 736), 739 – 740. 745 Vgl. Mark B. Feldman/David Colson, The Maritime Boundaries of the United States, (Fn. 736), 739. 746 Zur amerikanischen Rechtslage siehe American Law Institute, Restatement of the Law Fourth – The Foreign Relations Law of the United States, (Fn. 232), 39 – 40.
Kap. 3: Analyse des Spannungsverhältnisses zum innerstaatlichen Recht
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regelung zu schaffen, obwohl der Senat trotz mehrfacher Befassung747 mit dem Vertrag nie seine für den Abschluss dauerhafter Grenzverträge erforderliche Zustimmung erteilt hat. Zwar könnte man gegen eine Umgehung der Gewaltenteilung anführen, dass der Senat den Vertrag nie ausdrücklich endgültig abgelehnt hat und die vorläufige Anwendung jedes Mal nur um zwei weitere Jahre verlängert wurde. Trotzdem hat die Exekutive im Ergebnis eine Situation über einen langen Zeitraum hinweg völkerrechtlich geregelt, obwohl eine langfristige Regelung eigentlich die Beteiligung des Senats erfordert hätte. Somit illustriert der bilaterale Meeresgrenzvertrag das Spannungsverhältnis zwischen vorläufiger Anwendung und der innerstaatlichen Gewaltenteilung. Der Meeresgrenzvertrag zwischen den USA und Kuba ist jedoch nicht das einzige Beispiel für einen bilateralen Vertrag, dessen vorläufige Anwendung im Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung einer Partei steht. So berichtete auch die Schweiz im Rahmen der neueren Arbeiten der Völkerrechtkommission zur vorläufigen Anwendung von einem bilateralen Vertrag, der von ihrem Vertragspartner aus Gründen der Gewaltenteilung mindestens 16 Jahre lang vorläufig angewendet wurde.748 Somit gibt es in der Praxis bilaterale Verträge, die längerfristig vorläufig angewendet wurden. In solchen Fällen ersetzt die vorläufige Anwendung funktional den auf Dauer angelegten Vertrag und unterläuft dadurch die innerstaatlich vorgesehene Gewaltenteilung im Vertragsschlussverfahren, wenn eine Parlamentsbeteiligung vorgesehen ist. 3. Größere praktische Relevanz bei bilateralen Verträgen Insgesamt dürfte das Spannungsverhältnis zwischen vorläufiger Anwendung und innerstaatlicher Gewaltenteilung häufiger bei bilateralen als bei multilateralen Verträgen auftreten. Schließlich erfolgt die vorläufige Anwendung eines bilateralen Vertrages für einen der beiden Staaten typischerweise vor Abschluss des innerstaatlichen Vertragsschlussverfahrens.749 Hintergrund ist, dass der Vertrag nach Art. 24 II WVK grundsätzlich mit der Ratifikation durch beide Staaten sofort in Kraft tritt. Insofern besteht hier in der Regel nur zwischen Unterzeichnung und Ratifikation eine zeitliche Lücke, die durch die vorläufige Anwendung überbrückt werden kann. Da die völkerrechtliche Ratifikation als solche schnell erfolgen kann, dürfte die 747 In den ersten Jahren der vorläufigen Anwendung befasste sich der Senat mehrmals mit dem Meeresgrenzvertrag, erteilte jedoch nie seine Zustimmung zu dessen Ratifikation. Für die Aktivitäten des Senats in Bezug auf den Vertrag siehe: United States Senate Committee on Foreign Relations, 096 – 08: Maritime Boundary Treaty with Cuba, online: https://www.foreign. senate.gov/treaties/096-08 (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 748 Permanent Mission of Switzerland to the United Nations, Observations et informations concernant l’application provisoire des traités, (Fn. 576), 6. 749 Gregor Schusterschitz, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge in der Praxis Österreichs, (Fn. 68), 136.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
vorläufige Anwendung eines bilateralen Vertrages in der Regel darauf abzielen, dass dieser bereits angewendet werden kann, bevor eine oder beiden Seiten ihr innerstaatliches Vertragsschlussverfahren durchgeführt haben. Bei multilateralen Verträgen hingegen, hängt das Inkrafttreten meist von der Ratifikation einer bestimmten Anzahl von Staaten ab.750 Insofern können Staaten hier die vorläufige Anwendung auch nur nutzen, um nach Durchlaufen ihres innerstaatlichen Vertragsschlussverfahrens den Zeitraum zwischen Ratifikation und Inkrafttreten zu überbrücken.751 Folglich führt vorläufige Anwendung bei bilateralen Verträgen nahezu zwangsläufig zu einem Spannungsverhältnis mit der innerstaatlichen Gewaltenteilung, wohingegen dieses bei multilateralen Verträgen zwar eintreten kann, aber nicht eintreten muss.
B. Spannungsverhältnis von Frustrationsverbot und Gewaltenteilung Während Staaten die vorläufige Anwendung nur bei manchen Verträgen vereinbaren, wird das Frustrationsverbot automatisch durch jede Unterzeichnung ausgelöst. Auch hier erzeugt die Exekutive Rechtspflichten in Bezug auf einen Vertrag, obwohl das Parlament diesem noch nicht zugestimmt hat. Allerdings wird sich zeigen, dass das Problem beim Frustrationsverbot nicht primär in einer Gefährdung der innerstaatlichen Gewaltenteilung im Vertragsschlussverfahren, sondern vielmehr in der Beschränkung der Handlungsfreiheit des Gesetzgebers liegt (I.). Dass dieses Problem in der Praxis tatsächlich auftritt, lässt sich durch einige Fallbeispiele illustrieren (II.).
I. Beeinträchtigung der Gesetzgebungstätigkeit der Legislative als Hauptproblem Bislang wird das verfassungsrechtliche Problem beim Frustrationsverbot parallel zur vorläufigen Anwendung darin gesehen, dass die Exekutive ohne Durchlaufen des innerstaatlichen Vertragsschlussverfahrens Pflichten auslösen kann, die sich inhaltlich mit Pflichten aus dem Vertrag decken.752 Wenngleich damit auch beim Frustrationsverbot die innerstaatliche Gewaltenteilung beim Abschluss völker750
Für nähere Ausführungen siehe Einleitung A.II.2. Gregor Schusterschitz, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge in der Praxis Österreichs, (Fn. 68), 136. 752 Siehe z. B. David H. Moore, The President’s Unconstitutional Treatymaking, (Fn. 110), 601; Georg Ress, Verfassung und völkerrechtliches Vertragsrecht, (Fn. 93), 818 – 819. 751
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rechtlicher Verträge gefährdet werden kann (1.), ist das Hauptproblem eigentlich ein anderes. Denn bedeutsamer ist beim Frustrationsverbot, dass die Gesetzgebungstätigkeit der Legislative beeinträchtigt wird (2.). 1. Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung bei Überschneidung mit Vertragspflichten Beim Frustrationsverbot besteht, ebenso wie bei der vorläufigen Anwendung, die Gefahr, dass die innerstaatliche Gewaltenteilung unterlaufen wird.753 Schließlich kann es auch bei enger Auslegung des Frustrationsverbotes zu einer inhaltlichen Überschneidung mit Pflichten aus dem Vertrag kommen.754 In diesem Fall führt das Frustrationsverbot zu einem ähnlichen Ergebnis wie die vorläufige Anwendung einzelner Vertragspflichten. Angesichts dessen, dass das Frustrationsverbot auf Ziel und Zweck des Vertrages ausgerichtet ist, dürfte die Überschneidung häufiger eine zentrale als eine nebensächliche Pflicht betreffen. Dies illustriert auch das Beispiel des Kernwaffenteststopp-Vertrages, das später noch ausführlich dargestellt werden wird. Wenngleich die amerikanische Regierung hier mit der Unterzeichnung des Vertrages wohl tatsächlich die innerstaatliche Gewaltenteilung umgehen wollte,755 scheint dieser Fall in der Praxis eher selten zu sein. Zudem können sich Pflichten aus dem Frustrationsverbot zwar im Einzelfall mit einzelnen Vertragspflichten überschneiden, doch zielt das Frustrationsverbot anders als die vorläufige Anwendung grundsätzlich nicht auf eine Erfüllung noch nicht in Kraft getretener Vertragspflichten ab.756 Somit ist das Problem zwar theoretisch ähnlich gelagert wie bei der vorläufigen Anwendung, aber von geringerer praktischer Bedeutung. Insofern kann hier auf die Ausführungen zum Spannungsverhältnis zwischen der vorläufigen Anwendung und der innerstaatlichen Gewaltenteilung verwiesen werden. 2. Beeinträchtigung der Gesetzgebungstätigkeit der Legislative durch Unterlassungspflichten Im Verhältnis von Frustrationsverbot und innerstaatlicher Gewaltenteilung tritt ein anderes Problem in den Vordergrund. Auf dieses wies auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz bereits der Vertreter Uruguays hin. Er gab zu bedenken, dass die Exekutive mit dem Frustrationsverbot möglicherweise den anderen beiden Ge-
753
David H. Moore, The President’s Unconstitutional Treatymaking, (Fn. 110), 601; Georg Ress, Verfassung und völkerrechtliches Vertragsrecht, (Fn. 93), 818. 754 Zur Möglichkeit der Überschneidung mit Vertragspflichten siehe Kapitel 1 B.I.3. 755 Für nähere Ausführungen zum Beispiel des Kernwaffenteststopp-Vertrages siehe infra Kapitel 3 B.II.1. 756 Siehe hierzu Kapitel 1 B.I.3.
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walten Beschränkungen auferlegen könnte.757 Die anderen Staatendelegierten gingen auf diese Bedenken jedoch nicht ein. Auch wenn sich die Aussage des uruguayischen Delegierten eigentlich auf das letztendlich abgelehnte Frustrationsverbot während der Verhandlungsphase bezog,758 besteht dasselbe Problem auch beim Frustrationsverbot in seiner heutigen Form. Das Verbot, den Vertragszweck zu vereiteln, begründet schließlich Unterlassungspflichten für einen Staat, welche durch Handlungen seiner Organe verletzt werden können. Für das Parlament ist dies vor allem insofern relevant, als dass der Erlass von Gesetzen gegen das Frustrationsverbot verstoßen und damit die völkerrechtliche Staatenhaftung auslösen kann.759 Ähnlich wie bei der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung wird das Parlament dadurch in seiner Handlungs- und Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt.760 Anders als bei der vorläufigen Anwendung besteht jedoch grundsätzlich keine völkerrechtliche Pflicht, durch neue Gesetze die Erfüllung des Vertragsinhalts zu ermöglichen. Vielmehr geht es darum, keine Gesetze zu erlassen, die verhindern, dass der Vertragszweck durch Erfüllung erreicht werden kann.761 Folglich kann das Frustrationsverbot die Entscheidungsfreiheit der Legislative in Bezug auf ihre Kernaufgabe, die Gesetzgebung, beeinträchtigen. Dies gilt umso mehr, wenn das Frustrationsverbot in einem Staat auch Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung wird, da es dann innerstaatlich in direktem Konflikt mit dem ihm widersprechenden Gesetz stehen kann.
3. Fazit Somit lässt sich festhalten, dass das Frustrationsverbot im Falle inhaltlicher Überschneidung mit einzelnen Vertragspflichten die Gefahr birgt, dass die innerstaatliche Gewaltenteilung im Vertragsschlussverfahren beeinträchtigt wird. Da eine solche Überschneidung allerdings anders als bei der vorläufigen Anwendung nicht bezweckt ist, besteht das Hauptproblem in der Praxis vielmehr darin, dass das Frustrationsverbot durch Unterlassungspflichten die Gesetzgebungstätigkeit der Legislative beeinträchtigen kann. Wie bei der vorläufigen Anwendung lässt sich das Spannungsverhältnis zwischen dem völkerrechtlichen Frustrationsverbot und der innerstaatlichen Gewaltenteilung allerdings eingrenzen. Problematisch ist das Frustrationsverbot demnach nur, wenn 757
20th Meeting of the Committee of the Whole, (Fn. 162), 102 Rn. 4. Der Entwurf der Völkerrechtskommission sah ursprünglich vor, dass das Frustrationsverbot auch bereits während der Verhandlungsphase besteht, vgl. Art. 15 lit. a) Draft Articles on the Law of Treaties, (Fn. 161), 179. Letztendlich wurde dieser Abschnitt aber auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz mit 50 zu 33 Stimmen und 11 Enthaltungen gestrichen, vgl. 20th Meeting of the Committee of the Whole, (Fn. 162), 106 Rn. 47. 759 Kapitel 1 C.I.1. 760 Vgl. Georg Ress, Verfassung und völkerrechtliches Vertragsrecht, (Fn. 93), 821. 761 Für die Begründung der hier vertretenen Auslegung des Frustrationsverbotes siehe Kapitel 1 B.III. 758
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es einen zustimmungsbedürftigen Vertrag betrifft, dem das Parlament noch nicht zugestimmt hat.762
II. Illustration durch Praxisbeispiele Anhand von Fallbeispielen lässt sich zeigen, dass die beiden Gewaltenteilungsprobleme beim Frustrationsverbot auch tatsächlich in der Praxis auftreten. Ein Beispiel für die Umgehung der Legislative durch das Frustrationsverbot ist das Verhalten der amerikanischen Exekutive in Bezug auf den KernwaffenteststoppVertrag (1.). Als Illustration für einen Versuch, die Gesetzgebungstätigkeit des Parlaments zu beeinträchtigen, kann hingegen die Unterzeichnung des Rom-Statuts durch Präsident Clinton dienen (2.). In anderen Staaten als den USA haben sich die Gewaltenteilungsprobleme beim Frustrationsverbot hingegen vor allem in Gerichtsverfahren manifestiert (3.). 1. Kernwaffenteststopp-Vertrag Relevant wurde das Verhältnis von Frustrationsverbot und innerstaatlicher Gewaltenteilung beim Kernwaffenteststopp-Vertrag. Dieser Vertrag sieht in seinem Art. 1 als Grundpflicht („basic obligation“) ein Verbot jeglicher Kernwaffentestexplosionen vor.763 Der Vertrag wurde von der Clinton-Regierung unterzeichnet,764 erhielt jedoch nicht die Zustimmung des Senats765 und konnte daher nach der amerikanischen Verfassung nicht ratifiziert werden.766 Daraufhin versicherte Außenministerin Albright den Außenministern anderer Staaten in einem Brief, dass die USA dennoch ihre Pflichten als Unterzeichner befolgen würden.767 Hierbei bezog sie sich, wie die Aussagen weiterer Regierungsfunktionäre zeigen, auf das Frustrationsverbot aus Art. 18 WVK.768 Dieses verbat nach der Auslegung der Clinton-Re762 Vergleiche die entsprechenden Ausführungen zur vorläufigen Anwendung in Kapitel 3 A.III. 763 Für den Vertragstext siehe UN-Generalversammlung, Adoption of the Agenda and Organization of Work – Comprehensive Test-Ban-Treaty (26. 08. 1996), A/50/1027. 764 Vgl. Teilnehmerinformationen für den Kernwaffenteststopp-Vertrag, online: https://trea ties.un.org/pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XXVI-4&chapter=2 6&clang=_en (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 765 Vgl. Eric Schmitt, Defeat of a Treaty: The Overview; Senate Kills Test Ban Treaty in Crushing Loss for Clinton; Evokes Versailles Pact Defeat, The New York Times (14. 10. 1999), online: http://www.nytimes.com/1999/10/14/world/defeat-treaty-overview-senate-kills-testban-treaty-crushing-loss-for-clinton.html (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 766 Vgl. Art. II § 2 cl. 2 United States Constitution, (Fn. 26). 767 M. w. N. Masahiko Asada, CTBT: Legal Questions Arising from its Non-Entry-IntoForce, (Fn. 380), 96. 768 M. w. N. Masahiko Asada, CTBT: Legal Questions Arising from its Non-Entry-IntoForce, (Fn. 380), 96.
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gierung das Durchführen von Kernwaffentests.769 Entsprechend stützte Präsident Clinton sein Moratorium für unterirdische Kernwaffentests auf das Frustrationsverbot aus Art. 18 WVK.770 Im Ergebnis erfüllten die USA somit das Testverbot des Kernwaffenteststopp-Vertrages, obwohl der Senat genau diesen Vertrag abgelehnt hatte. Dabei ist sogar umstritten, ob das Frustrationsverbot überhaupt ein solches Testverbot verlangt hätte.771 Auf den ersten Blick scheint das Fallbeispiel die Gefahr der Parlamentsumgehung durch das Frustrationsverbot zu illustrieren. Allerdings sollte die Bedeutung des völkerrechtlichen Frustrationsverbotes hier nicht überschätzt werden. Denn Präsident Clinton hätte das Testverbot wohl ohne Rückgriff auf den KernwaffenteststoppVertrag stattdessen im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Befugnis als Oberster Befehlshaber (engl. „commander-in-chief“) erlassen können.772 Dass er sich stattdessen auf das völkerrechtliche Frustrationsverbot berief, könnte den politischen Hintergrund haben, dass er so aus dem öffentlichkeitswirksam gescheiterten Kernwaffenteststopp-Vertrag doch noch einen Nutzen ziehen konnte.773 Gleichwohl ist der Fall ein Beispiel für eine Situation, in der die Exekutive durch das Frustrationsverbot völkerrechtliche Bindungen an einen Vertrag herbeiführen wollte, obwohl ihr das Fehlen der innerstaatlichen Vertragsschlussvoraussetzungen bewusst war. 2. Rom-Statut Auch für die Situation, dass das Frustrationsverbot die Gesetzgebungstätigkeit der Legislative beeinträchtigt, findet sich in der amerikanischen Politik ein Beispiel. Dieses betrifft das Rom-Statut774 über die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs. Das Rom-Statut wurde von Präsident Clinton gegen Ende seiner Amtszeit unterzeichnet.775 Allerdings weigerte er sich unter Verweis auf Schwächen des Vertrages, ihn dem Senat zur Zustimmung vorzulegen.776 Beobachter sahen hierin den Versuch, sich auf das Frustrationsverbot aus Art. 18 WVK zu berufen, um die 769 John R. Bolton, Is There Really „Law“ in International Affairs?, 10 Transnational Law & Contemporary Problems (2000) 1, 47. 770 John R. Bolton, Unsign That Treaty, The Washington Post, (Fn. 362). 771 Für Argumente für und gegen ein Testverbot aus dem Frustrationsverbot siehe Masahiko Asada, CTBT: Legal Questions Arising from its Non-Entry-Into-Force, (Fn. 380), 96 – 97. 772 So John R. Bolton, Should We Take Global Governance Seriously?, 1 Chicago Journal of International Law (2000) 205, 212. 773 Ibid. 774 Rome Statute of the International Criminal Court (17. 07. 1998), 2187 United Nations Treaty Series 3. 775 Vgl. John R. Bolton, Is There Really „Law“ in International Affairs?, (Fn. 769), 43 Fn. 169. 776 Siehe Administration of William J. Clinton: Statement on the Rome Treaty on the International Criminal Court, (Fn. 44).
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Verabschiedung des American Service-Members’ Protection Act zu verhindern.777 Dieses Gesetz soll US-Militär und US-Funktionäre vor der Strafverfolgung durch den Internationalen Strafgerichtshof schützen.778 Zu diesem Zweck verbietet es den USA die Kooperation mit dem Gerichtshof.779 Zudem untersagt es ihnen grundsätzlich, Parteien des Internationalen Strafgerichtshofs militärische Unterstützung zu gewähren.780 Hiervon kann eine Ausnahme gemacht werden, wenn der fragliche Staat mit den USA ein bilaterales Immunitätsabkommen geschlossen hat.781 Aufgrund dieser den internationalen Strafgerichtshof unterminierenden Bestimmungen, hätte das Gesetz nach Ansicht einiger Experten das Frustrationsverbot in Bezug auf das Rom-Statut verletzt.782 Letztendlich kam es jedoch nicht zu diesem Konflikt. Denn die neu gewählte Regierung von Präsident Bush zog die Unterzeichnung zurückzog und beendete somit durch unsigning783 die etwaigen Pflichten aus dem Frustrationsverbot.784 Angesichts dessen, dass die Clinton-Regierung keine Zustimmung des Senats zum Rom-Statut erwarten konnte,785 erscheint die Vermutung, dass sie so das geplante Gesetz des Senates blockieren wollte, durchaus denkbar. Insofern hätte also die Exekutive versucht, durch das Frustrationsverbot die Gesetzgebungstätigkeit der Legislative zu beeinträchtigen. Dass sich der Konflikt zwischen dem völkerrechtlichen Frustrationsverbot und der Gesetzgebungstätigkeit der Legislative letztendlich nicht manifestierte, war nur dem Regierungswechsel geschuldet. Somit belegt dieses Fallbeispiel einen Versuch der Exekutive, durch das Frustrationsverbot die Gesetzgebungstätigkeit der Legislative zu beschränken.
777
So z. B. John R. Bolton, Unsign That Treaty, The Washington Post, (Fn. 362). Vgl. Sec. 2002 No. 8 and 9 American Service-Members’ Protection Act of 2002 („ASPA“) (30. 07. 2003), online: https://2001-2009.state.gov/t/pm/rls/othr/misc/23425.htm (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 779 Vgl. Sec. 2004, 2007 ASPA. 780 Vgl. Sec. 2007 lit. a) ASPA. 781 Vgl. Sec. 2007 lit. c) ASPA. 782 Vgl. Steven Mufson/Alan Sipress, U.N. Funds In Crossfire Over Court, The Washington Post (16. 08. 2001), online: https://www.washingtonpost.com/archive/politics/2001/08/16/unfunds-in-crossfire-over-court/061e2022-046b-4d5b-9b72-bf139ce5fdae/?utm_term=.d2810bf1 9450 (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 783 Für eingehendere Ausführungen zum unsigning siehe Kapitel 1 D.I.1. 784 Vgl. David S. Jonas, The Comprehensive Nuclear Test Ban Treaty: Current Legal Status in the United States and the Implications of a Nuclear Test Explosion, (Fn. 386), 1043. 785 Vgl. John R. Bolton, Should We Take Global Governance Seriously?, (Fn. 772), 211. 778
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3. Rolle innerstaatlicher Gerichte Innerstaatliche und regionale Gerichte haben sich bereits in unterschiedlichen Fallkonstellationen mit Art. 18 WVK beschäftigt.786 In einigen Entscheidungen wird das Frustrationsverbot lediglich zur Unterstützung einer Argumentation genutzt.787 Im Folgenden soll es hingegen nur um diejenigen Fälle gehen, in denen Art. 18 WVK von einem Gericht wirklich angewendet wurde. In solchen Fällen wurde das Frustrationsverbot typischerweise788 von einer Seite vorgebracht, um Nutzen aus einem unterzeichneten, aber noch nicht ratifizierten Vertrag zu ziehen. Häufig sollte dazu das Gericht eine Vertragsbestimmung aus einem solchen Vertrag oder ein inhaltsgleiches Recht aus dem Frustrationsverbot anwenden (a)). Manchmal bestand das Ziel jedoch auch darin, einen ungünstigen innerstaatlichen Rechtsakt für unanwendbar oder rechtswidrig erklären zu lassen (b)). Beide Fallgruppen illustrieren, dass die Gefährdung der innerstaatlichen Gewaltenteilung durch das Frustrationsverbot vor allem in derartigen Gerichtsverfahren auftritt (c)). a) Anwendung von Bestimmungen eines nicht ratifizierten Vertrages In manchen Gerichtsverfahren wird Art. 18 WVK vorgebracht, um die Anwendung von Bestimmungen aus einem nicht ratifizierten Vertrag oder ein mit diesen Vertragsbestimmungen inhaltsgleiches Recht aus dem Frustrationsverbot zu begründen.789 Ein Beispiel für einen Fall, in dem Bestimmungen aus einem nicht ratifizierten Vertrag unter Verweis auf Art. 18 WVK angewendet wurden, ist Delmas v.
786 Für Ausführungen und Beispiele zur Rolle des Art. 18 WVK vor innerstaatlichen Gerichten siehe Paolo Palchetti, Article 18 of the 1969 Vienna Convention: A Vague and Ineffective Obligation or a Useful Means for Strengthening Legal Cooperation?, (Fn. 233), 33 – 35. 787 In einem Gutachten des Obersten Gerichtshofs von Benin z. B. ging es um die Frage, ob ein bilaterales Immunitätsabkommen mit den USA mit dem bereits in Kraft getretenen RomStatut vereinbar ist. Insofern diente die Erwähnung von Art. 18 WVK lediglich der Unterstützung der Argumentation. Siehe Benin Supreme Court, Legal Opinion on Compability of a proposed bilateral Immunities Agreement with the Rome Statute, (Fn. 170), Rn. 6, 34 – 38. 788 Seltener, aber nicht ausgeschlossen, ist die Verfolgung anderer Ziele. In einem Fall vor dem philippinischen Obersten Gerichtshof z. B. versuchten die Antragsteller erfolglos, mit Art. 18 WVK eine völkerrechtliche Ratifikationspflicht für das von den Philippinen bereits unterzeichnete Rom Statut zu begründen. Siehe Supreme Court (Philippines), Pimentel, Jr and ors v Office of the Executive Secretary and Department of Foreign Affairs, Petition for Mandamus (2005), GR No. 158088, ILDC 491 (PH 2005) Translated in: Oxford Reports on International Law in Domestic Courts. 789 Urteile, in denen nicht die Bestimmung eines nicht ratifizierten Vertrages, sondern inhaltsgleiches Gewohnheitsrecht angewendet wird, werden im Folgenden nicht berücksichtigt werden. Manchmal wird in solchen Urteilen Art. 18 WVK trotzdem erwähnt, auch wenn er sich hier rechtlich nicht auswirkt. Ein Beispiel ist Mayagüezanos v. United States, wo Art. 18 WVK im Zusammenhang mit der Anwendung gewohnheitsrechtlicher Bestimmungen des UN-Seerechtsübereinkommens kurz erwähnt wird. Siehe United States Court of Appeals, 1st Circuit, Mayagüezanos por la Salud y el Ambiente, et al. v. United States, (Fn. 170), Fn. 14.
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Kisko.790 Hier bestätigte der Oberste Gerichtshof Ghanas das Urteil der Vorinstanz. Dieses hatte Kisko eine Entschädigung zugesprochen, nachdem bei einem Seetransport Güter nicht bzw. nicht unbeschädigt am Zielort ankamen. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs beruhte unter anderem darauf, dass er unter Bezugnahme auf Art. 18 WVK ein UN-Übereinkommen über die Beförderung von Gütern auf See anwendete, das Ghana bereits unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert hatte.791 Der Versuch, die Anwendung eines nicht ratifizierten Vertrages auf Art. 18 WVK zu stützen, ist aber nicht immer erfolgreich. In Baena Ricardo v. Panama792 hatte die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte argumentiert, dass die Anwendung eines Entlassungsgesetzes gegen das im Protokoll von El Salvador793 garantierte Recht auf Streik und damit gegen das mit Unterzeichnung ausgelöste Frustrationsverbot verstoße. Der Interamerikanische Gerichtshof folgte dieser Argumentation nicht und unterschied die aus Art. 18 WVK resultierende Pflicht ausdrücklich von der Anwendung des Protokolls, welches Panama zum relevanten Zeitpunkt lediglich unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert hatte.794 Doch auch Gerichte, die zwischen den Vertragsbestimmungen und dem Frustrationsverbot unterscheiden, nehmen zum Teil zumindest inhaltsgleiche Pflichten an. Ein Beispiel hierfür ist ein Urteil des russischen Verfassungsgerichts, in der es auf Ersuchen des russischen Obersten Gerichts seine Entscheidung N 3-P auslegte.795 Diese Entscheidung N 3-P hatte verboten, die Todesstrafe zu verhängen und zu vollstrecken, solange nicht in allen Teilen Russlands Schwurgerichte eingerichtet worden waren, was inzwischen in fast allen russischen Gebieten der Fall war. Das Verfassungsgericht urteilte, dass es nach dem langjährigen Moratorium ein Recht gebe, nicht zum Tode verurteilt zu werden und, dass das Verfassungsrecht einen unumkehrbaren Prozess zur Abschaffung der Todesstrafe im Einklang mit Russlands völkerrechtlichen Pflichten vorsehe. Dabei führte das Verfassungsgericht unter anderem aus, dass sich die Abschaffung der Todesstrafe nicht aus Protokoll Nr. 6 zur
790 Supreme Court (Ghana), Delmas America Africa Line Incorporated v. Kisko Products Ghana Limited, (Fn. 170). 791 Supreme Court (Ghana), Delmas America Africa Line Incorporated v. Kisko Products Ghana Limited, (Fn. 170), Rn. 45 – 48. 792 Inter-American Court of Human Rights, Case of Baena Ricardo et al. v. Panama (2001), IACHR Series C No. 72, IHRL 1455 (IACHR 2001) Translated in: Oxford Reports on International Law in Domestic Courts. 793 Vgl. Art. 8 I b) Additional Protocol to the American Convention on Human Rights in the Area of Economic, Cultural Rights („Protocol of San Salvador“) (17. 11. 1988), 28 International Legal Materials 156. 794 Inter-American Court of Human Rights, Case of Baena Ricardo et al. v. Panama, (Fn. 792), Rn. 95 – 99. 795 Russian Constitutional Court, Judicial Review of Decision N 3–P, Judicial Review (2009), N 1344–O–P, ILDC 1553 (RU 2009) Summarized by Sergei Marochkin, Olga Sashnikova and Alexander Yakoviev in: Oxford Reports on International Law in Domestic Courts.
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Europäischen Menschenrechtskonvention796 ergebe, da Russland dieses nicht ratifiziert habe. Allerdings habe Russland das Protokoll bereits unterzeichnet, weshalb die Vollstreckung der Todesstrafe gegen Art. 18 WVK verstoßen könne.797 Diese letzte Aussage ähnelt dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Öcalan v. Turkey.798 Hier hielt das Gericht die Befürchtung des Klägers, dass er hingerichtet werden könnte, für unbegründet, da die Türkei das Protokoll Nr. 6 unterzeichnet habe und ihre Pflicht aus Art. 18 WVK erfülle, indem sie keine Todesstrafen vollstrecke.799 Jedenfalls manche der dargestellten Gerichtsentscheidungen dürften das Frustrationsverbot wohl überdehnen, da dieses grundsätzlich nicht die Erfüllung von Vertragspflichten verlangt und eng auszulegen ist.800 Nichtsdestotrotz zeigen sie, dass Gerichte in der Praxis immer wieder auf das Frustrationsverbot Bezug nehmen, um Rechtsfolgen aus noch nicht ratifizierten Verträgen abzuleiten. b) Nichtanwendung eines innerstaatlichen Rechtsaktes In weiteren Gerichtsverfahren wurde versucht, unter Verweis auf Art. 18 WVK innerstaatliche Rechtsakte, typischerweise Gesetze, nicht anzuwenden oder jedenfalls ihre Rechtswidrigkeit feststellen zu lassen. So hielt z. B. ein chilenisches Berufungsgericht eine Verurteilung für das Verschwindenlassen von Mr. Sandoval während der Pinochet-Diktatur aufrecht. Zur Begründung führte es unter anderem aus, dass die Anwendung eines Amnestiegesetzes gegen das Frustrationsverbot in Bezug auf das von Chile unterzeichnete Interamerikanische Übereinkommen über das Verschwindenlassen von Personen801 verstoßen würde. Das Oberste Gericht bestätigte später zwar das Urteil, schien die Ausführungen zum Frustrationsverbot aber kritisch zu sehen. Es begründete seine Bestätigung der Entscheidung damit, dass die Ausführungen zum Völkerrecht lediglich ein die Schwere des Verbrechens unterstreichendes obiter dictum darstellten und sich die Entscheidung des Berufungsgerichts eigentlich nur auf chilenisches Recht stützte.802 796 Protocol No. 6 to the Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms concerning the Abolition of the Death Penalty (28. 04. 1983) Council of Europe Treaty Series No. 114. 797 Russian Constitutional Court, Judicial Review of Decision N 3–P, (Fn. 795), Rn. H7 – 10. 798 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Öcalan v. Turkey (2003), Application no. 46221/99. 799 Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Öcalan v. Turkey, (Fn. 798), Rn. 185. 800 Für eingehendere Ausführungen zur Auslegung des Frustrationsverbotes siehe Kapitel 1 B. 801 Inter-American Convention on Forced Disappearance of Persons (06. 09. 1994), 33 International Legal Materials 1529. 802 Für eine Zusammenfassung der Argumentation von Berufungsgericht und Oberstem Gerichtshof siehe Chilean Supreme Court, Sepúlveda (Juan Manuel Contreras), Re and ors,
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Auch in anderen Fällen waren Versuche, Gesetze unter Berufung auf Art. 18 WVK nicht anzuwenden, häufig nicht erfolgreich. Dies illustriert eine Entscheidung des lettischen Verfassungsgerichts über ein Bildungsgesetz, welches eine Quote für den auf Lettisch abzuhaltenden Unterricht vorsah.803 Die Klägerseite sah hierin unter anderem einen Verstoß gegen das Frustrationsverbot in Bezug auf das von Lettland unterzeichnete Rahmenübereinkommen zum Schutz von nationalen Minderheiten. Sie argumentierte, dass das Gesetz für die ethnischen Minderheiten die Möglichkeiten zum Erlernen ihrer Muttersprache im Vergleich zur Rechtslage im Zeitpunkt der Unterzeichnung verringere. Das Verfassungsgericht hingegen sah in dem Gesetz keinen Verstoß gegen das Frustrationsverbot, da die daraus resultierenden Pflichten enger als diejenigen aus dem Vertrag seien und das Gesetz den Zweck des Vertrages nicht vereitle.804 Auch in Deutschland wurde Art. 18 WVK bereits gegen ein Gesetz in Stellung gebracht. So hatte das Verwaltungsgericht Freiburg zu untersuchen, ob die gesetzliche Abschaffung der Genehmigungspflicht für ausländische Hochschulgrade (sog. Nostrifikation), gegen das Frustrationsverbot in Bezug auf das Übereinkommen über die Anerkennung von Qualifikationen im Hochschulbereich in der europäischen Region805 verstößt, was es letztendlich ablehnte.806 c) Fazit Die beiden oben genannten Praxisbeispiele aus der US-Politik, bei denen die Exekutive das Frustrationsverbot gegen die Legislative ausgespielt hat, stellen einen Ausnahmefall dar. Demgegenüber verdeutlicht bereits die Anzahl der dargestellten Gerichtsurteile, dass Individuen immer wieder vor Gericht mit Art. 18 WVK argumentieren, um Nutzen aus einem noch nicht ratifizierten Vertrag zu ziehen. Die beiden Ziele, die sie damit typischerweise verfolgen, korrespondieren mit den beiden Problemen, die eingangs für das Verhältnis von völkerrechtlichem Frustrationsverbot und innerstaatlicher Gewaltenteilung identifiziert wurden. Wendet das Gericht auf Verlangen einer Partei eine Bestimmung aus einem unratifizierten Vertrag oder ein inhaltsgleiches Recht aus dem Frustrationsverbot an, droht das innerstaatliche Vertragsschlussverfahren unterlaufen zu werden. Denn unabhängig davon, ob die Action to annul (2004), Rol No 517 – 2004, ILDC 394 (CL 2004) Summarized by Ximena Fuentes in: Oxford Reports on International Law in Domestic Courts, Rn. F5–H3. 803 Latvian Constitutional Court, Cilevicˇ s and ors v. Latvia (2005), Case No. 2004 – 18 – 0106, ILDC 190 (LV 2005) Translated in: Oxford Reports on International Law in Domestic Courts. 804 Für die Argumentation von Antragsteller und Gericht siehe Latvian Constitutional Court, Cilevicˇ s and ors v. Latvia, (Fn. 803), Rn. 8. 805 Convention on the Recognition of Qualifications concerning Higher Education in the European Region (11. 04. 1997) Council of Europe Treaty Series No. 165. 806 Verwaltungsgericht Freiburg, Anerkennung ausländischer Abschlüsse (2016), Az. 1 K 1511/14 1, 20 – 21 Rn. 90 – 91.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
Exekutive dies beabsichtigt hat, führt dann ihre Unterzeichnung dazu, dass eine mit einem unratifizierten Vertrag zumindest inhaltsgleiche Regelung ohne die vorherige Zustimmung der Legislative angewendet wird. Das zweite Problem im Verhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung tritt auf, wenn eine Partei versucht, unter Berufung auf Art. 18 WVK ein für sie ungünstiges Gesetz nicht anzuwenden und das Gericht dieser Auffassung folgt. Hier führt dann das von der Exekutive ausgelöste Frustrationsverbot dazu, dass die Legislative in ihrer Kernaufgabe – der Gesetzgebung – beeinträchtigt wird.
C. Einfluss innerstaatlicher Faktoren auf das Spannungsverhältnis Sowohl beim völkerrechtlichen Frustrationsverbot als auch bei der vorläufigen Anwendung ist das Ausmaß des Spannungsverhältnisses zur innerstaatlichen Gewaltenteilung nicht für alle Staaten dasselbe. Schließlich ist auch ihr Verfassungsrecht unterschiedlich ausgestaltet.807 Im Folgenden soll daher versucht werden, innerstaatliche Faktoren zu identifizieren, die das Ausmaß des Spannungsverhältnisses beeinflussen. Dabei wird sich zeigen, dass in Präsidialsystemen ein größerer Anreiz zum Vermeiden der Parlamentsbeteiligung besteht als im parlamentarischen Regierungssystem (I.). Die Unterscheidung von monistischen und dualistischen Systemen lässt hingegen keine Rückschlüsse auf das Ausmaß des Spannungsverhältnisses zu (II.).
I. Anreiz zur Vermeidung der Parlamentsbeteiligung in Präsidialsystemen Die Ausgestaltung der Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Legislative lässt sich kategorisieren, indem man zwischen den verschiedenen Regierungssystemen unterscheidet. Insofern überrascht es, dass in der Literatur bislang nicht eingehender untersucht wurde, wie sich die verschiedenen Regierungssysteme auf das Spannungsverhältnis von Frustrationsverbot808 und vorläufiger Anwendung809 zur innerstaatlichen Gewaltenteilung auswirken. 807 Vgl. Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 71. 808 Zum Frustrationsverbot gibt es bislang nur die in einem Satz geäußerte Behauptung von Bolton, Art. 18 WVK sei „more suited for a parliamentary system of government than one of separated powers“, siehe John R. Bolton, Should We Take Global Governance Seriously?, (Fn. 772), 212. 809 Bei der vorläufigen Anwendung scheint lediglich Montag dem Regierungssystem zumindest implizit eine gewisse Bedeutung beizumessen. Denn letztendlich argumentiert er mit einem Unterschied zwischen dem parlamentarischen und dem präsidialen Regierungssystem,
Kap. 3: Analyse des Spannungsverhältnisses zum innerstaatlichen Recht
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Im parlamentarischen Regierungssystem, welches sich z. B. in Großbritannien und Deutschland findet, ist die Regierung in ihrem Bestand vom Parlament abhängig und wird in der idealtypischen Version auch von diesem gewählt.810 Die wechselseitige Abhängigkeit kommt nicht zuletzt dadurch zustande, dass, anders als im Präsidialsystem, das Parlament die Abwahl der Regierung und die Regierung wiederum die Auflösung des Parlaments herbeiführen kann.811 In Präsidialsystemen wie den USA ist der Präsident hingegen nicht unmittelbar vom Parlament abhängig, zumal er in einer eigenständigen Wahl vom Staatsvolk bestimmt wird.812 Im parlamentarischen System kommt es daher im Vergleich zum Präsidialsystemen seltener zu starken Spannungen zwischen dem Parlament und der Regierung, da die Regierung von der Parlamentsmehrheit abhängig ist.813 Das Gegengewicht zur Regierung und der sie stützenden Parlamentsmehrheit ist hier vielmehr die Opposition.814 Dieser Unterschied zwischen dem präsidialen und dem parlamentarischen Regierungssystem spielt auch beim innerstaatlichen Vertragsschlussverfahren eine Rolle. Ist eine innerstaatliche Zustimmung des Parlaments zum Vertragsschluss erforderlich, setzt diese in den meisten Staaten eine einfache Mehrheit voraus.815 Ob das Parlament seine Zustimmung zu einem von der Regierung angestrebten Vertrag erteilt, hängt somit von der Parlamentsmehrheit ab. Angesichts der Verbindung zur Regierung dürfte das Parlament im parlamentarischen Regierungssystem im Regelfall seine Zustimmung erteilen,816 was im Präsidialsystem weniger sicher erscheint. So hat der deutsche Bundestag zwischen 1949 und 2010 nur einem einzigen Vertrag seine Zustimmung verweigert,817 wohingegen der amerikanische Senat im selben Zeitraum drei Verträge abgelehnt hat.818 wenn er im Zuge seiner Argumentation die „enge Bindung von Regierung Mehrheitspartei“ betont, vgl. Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 214. Für eine ausführlichere Darstellung der Argumentation Montags siehe Kapitel 6 B.I.1. 810 Für eine ausführliche Darstellung des parlamentarischen Regierungssystems siehe Roman Herzog, Allgemeine Staatslehre, Band 1 (1971), 265 – 267. 811 Vgl. Karl Doehring, Allgemeine Staatslehre: Eine systematische Darstellung (3. Aufl. 2004), Rn. 409, 416. 812 Für eine Darstellung des Präsidialsystems sowie der Stellung des Präsidenten in den USA siehe Roman Herzog, Allgemeine Staatslehre, Band 1, (Fn. 810), 274 – 277. 813 Karl Doehring, Allgemeine Staatslehre, (Fn. 811), Rn. 416 – 417. 814 Ibid. 815 Vgl. hierzu die empirische Auswertung von Beth Simmons, Appendix 3.2 Ratification Rules (2009), (Fn. 24). 816 Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments/Sebastian Graf von Kielmansegg, Ratifikation völkerrechtlicher Verträge: Eine rechtsvergleichende Perspektive (2018), 40. 817 Felix Arndt, Völkerrechtsfreundlichkeit und Völkerrechtsskepsis in der politischen Praxis des Deutschen Bundestages, in: Giegerich, Thomas, Der „offene Verfassungsstaat“ des Grundgesetzes nach 60 Jahren (2010), 109. 818 Für eine Liste der vom amerikanischen Senat abgelehnten Verträge siehe online: https: //www.senate.gov/legislative/RejectedTreaties.htm (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022).
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
Vor diesem Hintergrund dürfte in Präsidialsystemen häufiger ein Anreiz zur vorläufigen Anwendung eines Vertrages aus innenpolitischen Gründen entstehen als in parlamentarischen Systemen. Zudem dürfte hier auch eher eine Situation entstehen, in der die Exekutive dazu verleitet wird, das Frustrationsverbot gegen die Legislative „einzusetzen“. Insofern ist es vielleicht kein Zufall, dass besonders viele der zuvor dargestellten Fallbeispiele gerade die USA als Präsidialsystem betreffen. Doch selbst wenn der Anreiz, die innerstaatliche Gewaltenteilung zu unterlaufen, in Präsidialsystemen stärker sein mag, kann er auch in parlamentarischen Systemen bestehen. So verfügen z. B. Minderheitsregierungen nicht über eine eigene Parlamentsmehrheit. Zudem kann es vorkommen, dass ein Vertrag nicht von allen Mitgliedern der Regierungsfraktion befürwortet wird. Gleichwohl dürfte das Regierungssystem eines Staates ein Faktor sein, der das Ausmaß des Spannungsverhältnisses von Frustrationsverbot und vorläufiger Anwendung zur innerstaatlichen Gewaltenteilung beeinflusst.
II. Keine Aussagekraft der Unterscheidung von Monismus und Dualismus Die klassische Unterscheidung von Monismus und Dualismus betrifft das Verhältnis von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht. Auf der theoretischen Ebene betrachtet der Monismus das Völkerrecht und das innerstaatliche Recht als zwei Teile von ein und derselben Rechtsordnung, wohingegen der Dualismus von zwei getrennten Rechtsordnungen ausgeht.819 Vor diesem Hintergrund setzt die innerstaatliche Geltung von Völkerrecht in dualistischen Systemen voraus, dass eine völkerrechtliche Norm durch einen innerstaatlichen Rechtsakt in die innerstaatliche Rechtsordnung einbezogen wird.820 In monistischen Systemen hingegen verlangt die innerstaatliche Geltung von Völkerrecht keinen solchen Rechtsakt.821 In der Praxis entspricht die Rechtsordnung von Staaten eigentlich nie einem der Ansätze in Reinform, sondern lässt sich allenfalls mal mehr dem einen und mal mehr dem anderen System zuordnen.822 Als Beispiel für ein hauptsächlich monistisches System gilt die Schweiz, wohingegen das Vereinige Königreich dem Dualismus zugeordnet wird.823 Auch Deutschland wird zu den dualistischen Systemen gezählt.824 Allerdings gibt es Entwicklungen, die den Unterschied zwischen eher 819 Kirsten Schmalenbach, Art. 27 VCLT, in: Dörr, Oliver/Schmalenbach, Kirsten, Vienna Convention on the Law of Treaties (2012), 423 – 424 Rn. 27 – 28. 820 Anthony Aust, Modern Treaty Law and Practice, (Fn. 13), 167. 821 Anthony Aust, Modern Treaty Law and Practice, (Fn. 13), 163. 822 Kirsten Schmalenbach, Art. 27 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 819), 463 – 464 Rn. 27, 30. 823 Anthony Aust, Modern Treaty Law and Practice, (Fn. 13), 162. 824 Für ein dualistisches Verständnis des Verhältnisses von deutschem Recht und Völkerrecht siehe z. B. Federal Republic of Germany, Comments and Observations by Germany on the
Kap. 3: Analyse des Spannungsverhältnisses zum innerstaatlichen Recht
155
monistischen und eher dualistischen Rechtsordnungen weiter verwischen. Während Gerichte in monistischen Staaten Wege gefunden haben, um die Anwendung von Verträgen zu vermeiden, haben sie umgekehrt in dualistischen Staaten Techniken entwickelt, um Verträge zumindest indirekt anzuwenden.825 Dies hat in der Literatur zu Zweifeln an der Nützlichkeit der Unterscheidung zwischen Monismus und Dualismus geführt.826 Trotz der Kritik am analytischen Nutzen der Unterscheidung zwischen monistischen und dualistischen Systemen wird immer wieder vertreten, dass diese Unterscheidung für den Umgang des innerstaatlichen Rechts mit der vorläufigen Anwendung von Bedeutung ist.827 Dies erscheint auf den ersten Blick plausibel, da sich das Spannungsverhältnis zwischen der vorläufigen Anwendung und der innerstaatlichen Gewaltenteilung unterschiedlich darstellen würde, wenn man jeweils die theoretische Reinform der beiden Systeme zu Grunde legt. In monistischen Rechtssystemen würde das Problem darin bestehen, dass der vorläufig angewendete Vertrag automatisch Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung wird und dem übrigen innerstaatlichen Recht möglicherweise sogar im Rang vorgeht.828 Insofern könnten die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung nicht nur das Beteiligungsrecht der Legislative im Vertragsschlussverfahren unterlaufen, sondern darüber hinaus auch die allgemeine Gesetzgebungstätigkeit der Legislative unmittelbar beeinträchtigen. In dualistischen Rechtssystemen hingegen würde der vorläufig angewendete Vertrag erst durch seine Umsetzung in innerstaatliches Recht Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung,829 weshalb eine unmittelbare Beeinträchtigung der Gesetzgebungstätigkeit der Legislative ausgeschlossen wäre. Dafür bestünde jedoch die Gefahr, dass die völkerrechtliche und die innerstaatliche Rechtslage auseinanderfallen,830 was die Legislative in besonderem Maße zur Zustimmung zum Vertragsschluss drängen könnte. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass die UnDraft Guide to Provisional Application of Treaties, Adopted by the International Law Commission on First Reading, (Fn. 446), Rn. 5; BVerfGE 111, 307 (318) – Görgülü (2004). Zwingend ist die vorherrschende Zuordnung Deutschlands zum gemäßigten Dualismus jedoch nicht, da die maßgeblichen Grundgesetzbestimmungen auch im Sinne des Monismus gedeutet werden können. Siehe hierzu Frank Schorkopf, Staatsrecht der internationalen Beziehungen (2017), 22 – 23 Rn. 43 – 46. 825 Für eine Darstellung der verschiedenen Rechtstechniken, welche die Unterscheidung von Monismus und Dualismus verwischen, siehe David Sloss, Domestic Application of Treaties, (Fn. 650), 358 – 360, 363 – 364. 826 Siehe z. B. André Nollkaemper, The Effects of Treaties in Domestic Law, (Fn. 660), 141 – 142. 827 Council of Europe/British Institute of International and Comparative Law, Treaty Making – Expression of Consent by States to be Bound by a Treaty, (Fn. 23), 83 – 84; René Lefeber, The Provisional Application of Treaties, (Fn. 398), 89 – 90; Albane Geslin, La mise en application provisoire des traités, (Fn. 395), 207 – 208. 828 Vgl. René Lefeber, The Provisional Application of Treaties, (Fn. 398), 90. 829 Vgl. Albane Geslin, La mise en application provisoire des traités, (Fn. 395), 259. 830 Vgl. Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 91.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
terscheidung von Monismus und Dualismus wenig aufschlussreich für das Spannungsverhältnis zwischen der vorläufigen Anwendung und der innerstaatlichen Gewaltenteilung ist. Schließlich handelt es sich um theoretische Systeme, die in der Praxis nicht in Reinform existieren und deren Unterschiede durch verschiedene Entwicklungen abgeschwächt werden.831 Da die Rechtsordnungen verschiedener Staaten sich im Detail unterscheiden und sowohl monistische als auch dualistische Elemente enthalten können, wird die Zweiteilung in Monismus und Dualismus der komplexen Problemlage bei der vorläufigen Anwendung nicht gerecht.832 Dies gilt umso mehr als die vorläufige Anwendung in manchen Staaten speziell geregelt wird,833 was den Vergleich der verschiedenen Rechtsordnungen weiter erschwert. Somit hat die theoretische Unterscheidung von Monismus und Dualismus keine signifikante Aussagekraft für das Spannungsverhältnis zwischen der vorläufigen Anwendung und der innerstaatlichen Gewaltenteilung. Dasselbe gilt für das Spannungsverhältnis zwischen dem Frustrationsverbot und der innerstaatlichen Gewaltenteilung.
D. Mögliche Folgen bei fehlender Parlamentsbeteiligung Abschließend stellt sich die Frage, welche Folgen es haben kann, wenn das Parlament bei der Entscheidung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages anders als bei der Entscheidung über den Abschluss des Vertrages nicht beteiligt wird. Da das Frustrationsverbot bei einer Überschneidung mit einzelnen Vertragspflichten dieselben Probleme wie eine teilweise vorläufige Anwendung aufwirft,834 gelten die folgenden Ausführungen gleichermaßen für diesen Fall. Hinsichtlich der möglichen Konsequenzen des Unterbleibens einer Parlamentsbeteiligung kann zwischen allgemeinen Problemen (I.) und solchen, die sich speziell bei auf den innerstaatlichen Bereich gerichteten Verträgen stellen (II.), unterschieden werden.
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Vgl. Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 92. 832 Albane Geslin, La mise en application provisoire des traités, (Fn. 395), 92 – 93. 833 Für Beispiele und eingehendere Ausführungen zu den verschiedenen innerstaatlichen Regelungen zur vorläufigen Anwendung von Verträgen siehe Kapitel 4 A.I. 834 Siehe hierzu Kapitel 3 B.I.1.
Kap. 3: Analyse des Spannungsverhältnisses zum innerstaatlichen Recht
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I. Allgemeine Probleme bei der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung Allgemein kann die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung835 – also die vorläufige Anwendung vor Durchführung des innerstaatlich für einen Vertragsschluss erforderlichen Verfahrens – dazu führen, dass die Kontrolle und Mitsprache durch das Parlament unterlaufen werden (1.). Zudem weisen die durch sie erzeugten Normen ein Defizit an demokratischer Legitimität auf (2.). 1. Beeinträchtigung der parlamentarischen Kontrolle und Mitsprache beim Vertragsschluss Die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung gefährdet die Kontrolle und Mitsprache des parlamentarischen Gesetzgebers im innerstaatlichen Vertragsschlussverfahren. Denn die vorläufige Anwendung eines Vertrages kann eine faktisch kaum reversible Situation herbeiführen, durch die das Mitwirkungsrecht des Parlaments in Bezug auf den Vertragsschluss dauerhaft unterlaufen wird.836 Doch selbst bei theoretisch reversiblen Situationen wird die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers beeinträchtigt, weil die vorläufige Anwendung politischen Druck erzeugt.837 Denn wenn das Parlament einem bereits vorläufig anwendbaren Vertrag die Zustimmung verweigert, kann dies die diplomatischen Beziehungen zu den anderen beteiligten Staaten beschädigen.838 Somit kann die vorläufige Anwendung eines Vertrages die Kontrolle und Mitsprache des Parlaments bei der Entscheidung über seinen Abschluss beeinträchtigen. 2. Defizit an demokratischer Legitimation Unterbleibt bei der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung die Parlamentsbeteiligung, können die erzeugten Normen an einem Legitimitätsdefizit leiden.839 Generell wird im Völkerrecht die Legitimität von Verträgen durch die Zu835 Für eingehendere Ausführungen zu diesem von Schusterschitz geprägten Begriff siehe Kapitel 3 A.III.1. 836 Mit derartigen Bedenken wurde in der Schweiz für eine Gesetzesinitiative zur vorläufigen Anwendung argumentiert, siehe Rapport de la Commission des institutions politiques du Conseil des Etats du 18 novembre 2003: Initiative parlementaire – Application à titre provisoire des traités internationaux (18. 11. 2003), online: https://www.admin.ch/opc/fr/federal-gazette/2 004/703.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022), 706. 837 Thomas Kleinlein, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 80), 381. 838 Thomas Kleinlein, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 80), 381; Albane Geslin, La mise en application provisoire des traités, (Fn. 395), 244. 839 Hierauf wies z. B. Professor Reinisch als Vertreter Österreichs im Rahmen eines Treffens des Sechsten Komitee der Generalversammlung hin, siehe UN-Generalversammlung, 67th Session: Summary Record of the 20th Meeting on 2 November 2012, A/C.6/67/SR.20, 19
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
stimmung des jeweiligen Staates und das innerstaatliche Verfahren zu ihrer Implementierung erzeugt.840 Da die Beteiligung des demokratisch gewählten Parlaments am innerstaatlichen Vertragsschlussverfahren zustimmungsbedürftigen Verträgen Legitimität verleiht, wird vertreten, dass bei der vorläufigen Anwendung die unterbleibende Parlamentsbeteiligung zu einem Legitimitätsdefizit führt.841 Wenngleich diese Auffassung bislang nie bestritten wurde, kann ihr nicht in vollem Umfang zugestimmt werden. Gegen die pauschale Annahme eines Legitimitätsdefizits spricht, dass die Exekutive gerade im Bereich des auswärtigen Handelns auch ohne Parlamentsbeteiligung über ein ausreichendes Maß an demokratischer Legitimation verfügen kann. So hat z. B. das Bundesverfassungsgericht für Deutschland in einer Entscheidung zum auswärtigen Handeln der Regierung hervorgehoben, dass auch diese über ausreichend demokratische Legitimation verfügt. Schließlich ist die Regierung aufgrund ihrer verfassungsrechtlich verankerten Funktion institutionell-funktionell sowie über eine bis zum Volk zurückreichende Legitimationskette aus Berufungsakten auch personell legitimiert.842 Insofern kann jedenfalls in Deutschland ohne nähere verfassungsrechtliche Prüfung nicht einfach angenommen werden, dass ein Legitimitätsdefizit besteht. Stellt man jedoch für einen Staat fest, dass die fehlende Parlamentsbeteiligung bei der vorläufigen Anwendung zu einem Legitimitätsdefizit führt, kann dieses Defizit nicht durch den Nutzen der vorläufigen Anwendung kompensiert werden. Unterscheidet man mit Scharpf zwischen Input- und Output-Legitimation,843 betrifft das Defizit die Input-Legitimation. Ob ein Defizit an Input-Legitimation durch ein Mehr an Output-Legitimation kompensiert werden kann, ist bereits zweifelhaft.844 Jedenfalls aber dürfte im Fall der vorläufigen Anwendung ohnehin kein Mehr an Output-Legitimation vorliegen. Denn Output-Legitimation entsteht durch die Qualität einer politischen Leistung, insbesondere ihre Fähigkeit zur effektiven Problemlösung und der Vermeidung von Machtmissbrauch.845 Zwar könnte der Aspekt der effektiven Problemlösung zunächst einmal für eine Rechtfertigung der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung sprechen. Schließlich handelt es sich bei Rn. 112; vgl. auch Catherine Brölmann/Guido den Dekker, Treaties, Provisional Application (2020), (Fn. 40), Rn. 26. 840 Rüdiger Wolfrum, Legitimacy in International Law (2011), Rn. 9, online: https://opil.oup law.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1960?rskey=eEM WOQ&result=1&prd=OPIL (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 841 Thomas Kleinlein, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 80), 378, 381; Gerhard Hafner, Die vorläufige Anwendung internationaler Verträge, (Fn. 479), 157. 842 BVerfGE 68, 1 (87 – 88), (Fn. 617). 843 Für Scharpfs Konzeption der Begriffe der input- und output-orientierten Legitimation siehe Fritz W. Scharpf, Regieren in Europa: Effektiv und demokratisch? (1999), 16 – 22. 844 Siehe z. B. Peter M. Huber, Demokratische Legitimation in der Europäischen Union, 7 Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften (2009) 364, 367. 845 Silja Vöneky, Recht, Moral und Ethik, (Fn. 517), 159; Fritz W. Scharpf, Regieren in Europa: Effektiv und demokratisch?, (Fn. 843), 22.
Kap. 3: Analyse des Spannungsverhältnisses zum innerstaatlichen Recht
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der vorläufigen Anwendung um ein wichtiges Handlungsinstrument für Probleme,846 welche Verträge aufgrund der Dauer bis zu ihrem Inkrafttreten nicht sinnvoll lösen können.847 Allerdings verlangt die Output-Legitimation auch, dass die Qualität des Ergebnisses durch Strukturen sichergestellt wird.848 Hierzu zählt die Gewaltenteilung, da diese Machtmissbrauch vermeiden kann.849 Insofern erscheint mit Blick auf die mögliche Umgehung der Gewaltenteilung zweifelhaft, dass die vorläufige Anwendung in der Summe überhaupt ein Mehr an output-Legitimation erzeugen kann. Somit besteht bei der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung zwar nicht zwingend ein Defizit an demokratischer Legitimation. Wo ein solches vorliegt, kann es jedoch nicht durch den Nutzen der vorläufigen Anwendung kompensiert werden.
II. Zusätzliche Probleme bei auf den innerstaatlichen Bereich gerichteten Verträgen Einige mögliche Folgen der fehlenden Parlamentsbeteiligung bei der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung werden relevant, wenn der jeweilige Vertrag nicht nur die zwischenstaatlichen Beziehungen regelt, sondern auch den innerstaatlichen Bereich betrifft. Hier kann die Entscheidungsfreiheit des Parlaments in Bezug auf die Gesetzgebung beeinträchtigt werden und ein erhöhtes Risiko entstehen, dass durch Nichterfüllung gegen völkerrechtliche Pflichten verstoßen wird (1.). Ein anderes mögliches Problem entsteht, wenn die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung auch innerstaatliche Wirkungen erzeugt und es dadurch zur Rechtserzeugung durch die Exekutive kommt (2.). 1. Parlamentarische Entscheidungsfreiheit und mögliche Völkerrechtsverstöße Bei der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung eines Vertrages, der nur durch den Erlass oder die Änderung innerstaatlicher Gesetze erfüllt werden kann, kann genau die Situation eintreten, die das innerstaatliche Vertragsschlussverfahren vermeiden soll. Der parlamentarische Gesetzgeber wird dem politischen Druck ausgesetzt, durch seine Gesetze die völkerrechtliche Pflicht zur vorläufigen Anwendung zu erfüllen, damit es nicht zu einem Völkerrechtsverstoß und den damit
846 Für Beispiele für Situationen, in denen Staaten häufig auf die vorläufige Anwendung zurückgreifen, siehe Kapitel 2 A. 847 Für eingehendere Ausführungen zur Funktion der vorläufigen Anwendung im völkerrechtlichen Vertragsschlussverfahren siehe Einleitung A.III.2. 848 Silja Vöneky, Recht, Moral und Ethik, (Fn. 517), 159; Fritz W. Scharpf, Regieren in Europa: Effektiv und demokratisch?, (Fn. 843), 21. 849 Silja Vöneky, Recht, Moral und Ethik, (Fn. 517), 159.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
verbundenen außenpolitischen Schäden kommt.850 Trotz des politischen Drucks kann sich der Gesetzgeber auch gegen die Erfüllung entscheiden und damit einen Völkerrechtsverstoß seines Staates auslösen. Folglich erhöht die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung das Risiko eines Völkerrechtsverstoßes und kann die Entscheidungsfreiheit des Parlaments bei der Gesetzgebung beeinträchtigen. 2. Innerstaatliche Rechtserzeugung der Exekutive Abhängig von der konkreten Ausgestaltung der jeweiligen Rechtsordnung kann auch die vorläufige Anwendung zumindest in manchen Staaten innerstaatliche Wirkungen entfalten.851 In Russland z. B. wird ein vorläufig angewendeter Vertrag auch ohne vorherige Parlamentsbeteiligung Teil der russischen Rechtsordnung und genießt dabei sogar Vorrang vor Gesetzen.852 Hieran dürfte sich auch durch die im Juli 2020 beschlossene Verfassungsreform853 nichts ändern. Zwar sieht diese unter anderem vor, dass die russische Verfassung völkerrechtlichen Verträgen vorgeht, doch entspricht diese Regelung ohnehin der vorherrschenden Verfassungsauslegung und ist damit nur deklaratorisch.854 Wenn vorläufig angewendete Verträge wie in Russland bereits innerstaatliche Wirkungen entfalten, kann die vorläufige Anwendung der Exekutive ermöglichen, ohne Beteiligung der Legislative innerstaatliches Recht zu erzeugen, obwohl diese Aufgabe eigentlich der Legislative vorbehalten ist.855 Innerstaatliche Wirkungen sind jedoch selbst dann denkbar, wenn der Inhalt eines vorläufig anwendbaren Vertrages ohne Parlamentsbeteiligung nicht selbst Teil der innerstaatlichen Rechtsordnung werden kann. Denn bei Verträgen gibt es in vielen Staaten einen Auslegungsgrundsatz, demzufolge Konflikte zwischen Vertragspflichten und innerstaatlichem Recht sofern möglich zu Gunsten des völkerrecht-
850 So für das deutsche Recht Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 112. 851 Kapitel 2 C.II. 852 Zu diesem Ergebnis kam das niederländische Berufungsgericht im Yukos-Fall unter Verweis auf die Rechtsprechung des russischen Obersten Gerichtshofs. Siehe Court of Appeal of the Hague, Yukos, (Fn. 667), Rn. 4.7.22 – 4.7.27. 853 Für weitere Informationen zur russischen Verfassungsreform und ihrem Inhalt siehe Konrad Adenauer Stiftung/Thomas Kunze, Länderbericht: Russlands neue Verfassung (2020), online: https://www.kas.de/de/laenderberichte/detail/-/content/russlands-neue-verfassung (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 854 Siehe hierzu m. w. N. Yulia Ioffe, The Amendments to the Russian Constitution: Putin’s Attempt to Reinforce Russia’s Isolationist Views on International Law, online: https://www.ejil talk.org/the-amendments-to-the-russian-constitution-putins-attempt-to-reinforce-russias-isolatio nist-views-on-international-law/ (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 855 Vgl. The Hague District Court, Yukos, (Fn. 722), Rn. 5.84, 5.93.
Kap. 3: Analyse des Spannungsverhältnisses zum innerstaatlichen Recht
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lichen Vertrages aufgelöst werden müssen.856 Sofern dieser Auslegungsgrundsatz nicht von einer Parlamentsbeteiligung abhängig ist, könnte er auch für vorläufig anwendbare Verträge gelten. In diesem Fall könnten diese die Auslegung des innerstaatlichen Rechts beeinflussen und damit mittelbare Wirkungen entfalten.
E. Zusammenfassung Wenngleich die auswärtigen Beziehungen typischerweise vorrangig der Exekutive zugewiesen sind, ist in vielen Staaten zumindest vor Abschluss bestimmter völkerrechtlicher Verträge die Beteiligung des parlamentarischen Gesetzgebers vorgesehen. Zu dieser innerstaatlichen Gewaltenteilung im Vertragsschlussverfahren steht die vorläufige Anwendung in einem Spannungsverhältnis. Eine Umgehungsgefahr besteht dabei schon deshalb, weil die vorläufige Anwendung nicht zuletzt mit Blick auf ihre Rechtsverbindlichkeit ein funktionales Äquivalent zu einem in Kraft getretenen Vertrag darstellt. Wenn die Parlamentsbeteiligung eine Kontrolle der Regierung ermöglichen und die gesetzgeberische Entscheidungsfreiheit des Parlaments schützen soll, gibt es keinen Grund, warum bei der vorläufigen Anwendung eine Parlamentsbeteiligung weniger erforderlich sein sollte als bei Abschluss des jeweiligen Vertrages. Diese Bewertung ändert sich auch durch die einfachere Beendbarkeit der vorläufigen Anwendung nicht, zumal die Beendigung nur ex nunc wirkt und vom Parlament typischerweise nicht selbst herbeigeführt werden kann. Das Spannungsverhältnis zwischen vorläufiger Anwendung und innerstaatlicher Gewaltenteilung kann auf den Fall der sog. verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung eingegrenzt werden, also die vorläufige Anwendung eines Vertrages vor Abschluss des innerstaatlichen Vertragsschlussverfahrens. Kein Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung besteht daher, wenn die vorläufige Anwendung ein sog. Exekutivabkommen betrifft oder das Parlament dem Abschluss des Vertrages bereits zugestimmt hat. Das Spannungsverhältnis zwischen der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung und der innerstaatlichen Gewaltenteilung hat sich bereits in der Praxis manifestiert. Ein bekanntes Beispiel ist die jahrzehntelange vorläufige Anwendung des Allgemeinen Zoll und Handelsabkommens durch die USA trotz fehlender parlamentarischer Zustimmung. Besondere praktische Relevanz hat das Spannungsverhältnis bei bilateralen Verträgen. Ein Beispiel ist hier der Meeresgrenzvertrag zwischen den USA und Kuba, dessen zweijährige vorläufige Anwendung über Jahrzehnte hinweg immer wieder verlängert wurde, weil es für die Ratifikation an der erforderlichen Zustimmung des Senats fehlte. 856 Kirsten Schmalenbach, Art. 27 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 819), 471 Rn. 45 – 46; zum Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung in der deutschen Rechtsordnung siehe infra Kapitel 5 F.II.3.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
Aufgrund der vollständigen oder teilweisen Überschneidung der vorläufigen Anwendung mit den Bestimmungen des noch nicht ratifizierten Vertrages, kann die Nichtbeteiligung des Parlaments zu verschiedenen Problemen führen. Insbesondere drohen die für den Abschluss eines Vertrages vorgesehenen Rechte des parlamentarischen Gesetzgebers auf Mitwirkung und Kontrolle unterlaufen zu werden. Auch können die durch die vorläufige Anwendung erzeugten Normen unter einem Legitimitätsdefizit leiden. Weitere mögliche Probleme treten bei der vorläufigen Anwendung von Verträgen auf, die auf den innerstaatlichen Bereich gerichtet sind. Hier wird die Entscheidungsfreiheit des Parlaments und das Risiko eines Völkerrechtsverstoßes erhöht, weil sich das Parlament zwischen dem Erlass der zur Erfüllung erforderlichen Gesetze und einem Völkerrechtsverstoß entscheiden muss. Zudem könnte die vorläufige Anwendung der Exekutive hier die Erzeugung von innerstaatlichen Rechtswirkungen ermöglichen, was beim Abschluss von Verträgen gerade nicht ohne Beteiligung des parlamentarischen Gesetzgebers möglich sein soll. Das Frustrationsverbot steht ebenfalls in einem Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung. Wenngleich beim Frustrationsverbot grundsätzlich ein deutlicher Abstand zu der erst mit Inkrafttreten geschuldeten Erfüllung des gesamten Vertrages bestehen muss, kann es im Einzelfall zur Überschneidung mit einzelnen zentralen Vertragspflichten kommen. Während theoretisch also ähnliche Probleme wie bei der teilweisen vorläufigen Anwendung eines Vertrages auftreten können, liegt das praktisch bedeutsamere Problem beim Frustrationsverbot darin, dass es den Erlass bestimmter Gesetze verbieten und dadurch die Gesetzgebungstätigkeit der Legislative beeinträchtigen kann. Ein Praxisbeispiel hierfür ist z. B. der Versuch der Clinton-Regierung, durch die Unterzeichnung des Rom-Statuts ein unliebsames Gesetz zu verhindern. Praktisch bedeutsamer sind jedoch die vielzähligen Fälle, in denen Individuen sich vor Gericht auf das Frustrationsverbot bezogen haben, um die Anwendung der Bestimmungen eines nicht ratifizierten Vertrages zu erreichen oder die Anwendung eines innerstaatlichen Gesetzes zu verhindern. Welches Ausmaß das Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung annimmt, wird nicht zuletzt durch innerstaatliche Faktoren beeinflusst. So besteht das größte Spannungsverhältnis bei Präsidialsystemen, wohingegen aus der Unterscheidung von monistischen und dualistischen Rechtsordnungen keine Rückschlüsse auf das Ausmaß des Spannungsverhältnisses gezogen werden können. Kapitel 4
Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht Nach der Darstellung des Spannungsverhältnisses von Frustrationsverbot und vorläufiger Anwendung zur innerstaatlichen Gewaltenteilung, sollen nun die Lö-
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 163
sungsansätze in den Blick genommen werden. Den Schwerpunkt der Untersuchung bilden die Lösungsansätze in Bezug auf die vorläufige Anwendung (A.), da diese sowohl in der rechtswissenschaftlichen Literatur als auch in der Praxis eine deutlich größere Rolle spielen als diejenigen in Bezug auf das Frustrationsverbot (B.). Zum Abschluss soll dann eine zusammenfassende Bewertung der Lösungsansätze vorgenommen werden (C.).
A. Lösungsversuche bei der vorläufigen Anwendung Angesichts dessen, dass das Spannungsverhältnis bei der vorläufigen Anwendung durch das Zusammenspiel von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht entsteht, sind auch die Lösungsansätze auf verschiedenen Ebenen angesiedelt. Zunächst sollen daher die innerstaatlichen Regelungen zur vorläufigen Anwendung dargestellt werden (I.), bevor näher auf die völkerrechtlichen Lösungsversuche eingegangen wird (II.). Anschließend wird mit Beschränkungsklauseln ein Lösungsansatz dargestellt, der beide Ebenen zusammenführt (III.).
I. Innerstaatliche Regelungen zur vorläufigen Anwendung Im Rahmen ihrer Arbeiten zur vorläufigen Anwendung hat die Völkerrechtskommission Informationen von Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen eingeholt. Daraufhin gaben 21 Staaten von sechs Kontinenten der Völkerrechtskommission Auskunft über ihre Praxis und ihre Rechtsansichten zur vorläufigen Anwendung.857 Einige der Staatenberichte enthalten auch Ausführungen zum jeweiligen innerstaatlichen Recht. Dennoch lässt die Völkerrechtskommission das innerstaatliche Recht bei ihrem Projekt unberücksichtigt, um nicht den Anschein zu erwecken, dass die völkerrechtliche Pflicht zur vorläufigen Anwendung dem innerstaatlichen Recht untergeordnet sei.858 Angesichts dieser Lücke in den Arbeiten der Völkerrechtskommission sollen im Folgenden die Staatenauskünfte genutzt werden, um einen Überblick über die verschiedenen innerstaatlichen Regelungen zur vorläufigen Anwendung zu geben. Jede Rechtsordnung steht zunächst vor der Wahl, ob sie die vorläufige Anwendung vor Abschluss des innerstaatlichen Vertragsschlussverfahrens grundsätzlich ausschließen oder sie umgekehrt zulassen und ausgestalten möchte (1.). In Rechtsordnungen, die sich für die Ausgestaltung entscheiden, können dabei einige 857 Alle Staatenberichte zur vorläufigen Anwendung sind auf der Website der Völkerrechtskommission abrufbar, online: http://legal.un.org/ilc/guide/1_12.shtml (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 858 Völkerrechtskommission, Fourth Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 659), 10 Rn. 47.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
Gestaltungsoptionen identifiziert werden, die sich in mehreren Staaten finden (2.). Dabei darf jedoch nicht aus den Augen verloren werden, dass innerstaatliches Recht aus Sicht des Völkerrechts grundsätzlich unbeachtlich ist (3.). 1. Ausschluss oder Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung Die innerstaatlichen Rechtsordnungen lassen sich danach unterscheiden, ob sie die vorläufige Anwendung vor Abschluss des innerstaatlichen Vertragsschlussverfahrens ausschließen oder ausgestalten (a)). Wie eine Bewertung zeigen wird, haben beide Ansätze ihre Vor- und Nachteile (b)). a) Grundentscheidung zwischen Ausschluss oder Ausgestaltung Einige Staaten regeln die vorläufige Anwendung in ihrem innerstaatlichen Recht ausdrücklich.859 Beispiele hierfür sind die Schweiz,860 Serbien,861 die Niederlande,862 Russland863 und Spanien864. Oftmals sind die Bestimmungen zur vorläufigen Anwendung dabei Teil eines Gesetzes, welches das innerstaatliche Verfahren für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge näher ausgestaltet.865 Global gesehen ist es allerdings eher selten, dass das innerstaatliche Recht ausdrückliche Regeln zur 859 Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties in South African Law and Practice, 30 South African Yearbook of International Law (2005) 1, 11. 860 Vgl. Art. 7b 172.010 Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (Schweiz) (21. 03. 1997, Fassung vom 02. 12. 2019) Amtliche Sammlung des Bundesrechts (nachfolgend: „RVOG“), online: https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19970118/index.html (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 861 Vgl. Permanent Mission of the Republic of Serbia to the United Nations, Comments on the Topic „Provisional Application of Treaties“, (Fn. 577). 862 Vgl. Section 15 Kingdom Act on the Approval and Publication of Treaties (07. 07. 1994); für eine englischsprache Übersetzung des Gesetzes siehe Centre for International Law/British Institute of International and Comparative Law, Compilation of Constitutional and Legislative Provisions on Treaty Practice of the Netherlands (nachfolgend: „Kingdom Act“), 15, online: https://www.biicl.org/documents/58_netherlands_treaty_report.pdf?showdocument=1 (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022); für nähere Ausführungen zum relevanten Artikel siehe Permanent Mission of the Kingdom of the Netherlands to the United Nations, Comments in Response to General Assembly Resolution 70/236, (Fn. 556). 863 Vgl. Art. 23 Federal Law on Russian Federation Treaties (15. 07. 1995); für eine englischsprachige Übersetzung des Gesetzes siehe William E. Butler, Russian Federation: Federal Law on International Treaties, (Fn. 717), 1384; für nähere Ausführungen zum relevanten Artikel siehe Russian Federation, C. Provisional Application of Treaties, (Fn. 555). 864 Vgl. Art. 3 lit. c), Art. 5 lit. e), Art. 15, Art. 23 II, Art. 24 I Ley 25/2014, de 27 de noviembre, de Tratados y otros Acuerdos Internacionales (Spanien) (28. 11. 2014) Boletín Oficial del Estado 96841 (nachfolgend: „Ley 25/2014“). 865 Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties in South African Law and Practice, (Fn. 859), 11; siehe z. B. die Gesetze der Niederlande, Russlands und Spaniens, supra (Fn. 858, 859, 860).
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 165
vorläufigen Anwendung enthält.866 Dies hindert Staaten grundsätzlich jedoch nicht daran, von der vorläufigen Anwendung Gebrauch zu machen. Denn in Abwesenheit von ausdrücklichen Regelungen wird die Möglichkeit zur vorläufigen Anwendung häufig im Wege der Auslegung aus der Verfassung oder einer entsprechenden Praxis abgeleitet.867 Ein Beispiel hierfür ist Deutschland, dessen Umgang mit der vorläufigen Anwendung in Kapitel 6 dargestellt werden wird. Bedeutsamer als die Frage, ob es eine ausdrückliche Regelung gibt, ist daher, wie das innerstaatliche Recht mit der vorläufigen Anwendung umgeht. Eine vergleichende Studie des Europarates zum völkerrechtlichen Vertragsschluss teilte die Staaten diesbezüglich in drei Kategorien868 ein: Die ersten beiden Kategorien bilden diejenigen Staaten deren innerstaatliches Recht die vorläufige Anwendung grundsätzlich erlaubt bzw. umgekehrt grundsätzlich ausschließt. Die dritte Kategorie besteht aus Staaten, in denen die vorläufige Anwendung dem Vertragsschluss- und/ oder dem Gesetzgebungsverfahren unterworfen wird. Diese Kategorisierung bezieht sich allgemein auf die vorläufige Anwendung und kann daher für die Zwecke der vorliegenden Arbeit noch weiter präzisiert werden. Am aufschlussreichsten ist schließlich die Frage, ob speziell die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung ausgeschlossen wird. Schließlich steht nur die vorläufige Anwendung vor Abschluss des innerstaatlichen Vertragsschlussverfahrens, nicht aber diejenige danach, in einem Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht.869 Bei dieser Präzisierung der Fragestellung gibt es nur zwei Gruppen von Staaten:870 Die erste Gruppe unterwirft die vorläufige Anwendung denselben innerstaatlichen Voraussetzungen wie den Abschluss von Verträgen und schließt die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung somit aus.871 Hierzu gehören, ihren Auskünften gegenüber der Völkerrechtskommission nach, jedenfalls Botswana,872
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Albane Geslin, La mise en application provisoire des traités, (Fn. 395), 214. Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties in South African Law and Practice, (Fn. 859), 11. 868 Für eine ausführliche Darstellung der drei Kategorien der Studie siehe: Council of Europe/British Institute of International and Comparative Law, Treaty Making – Expression of Consent by States to be Bound by a Treaty, (Fn. 23), 84 – 86. 869 Für eingehendere Ausführungen zur Eingrenzung des Spannungsverhältnisses auf die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung siehe Kapitel 3 A.III. 870 Auch Quast-Mertsch unterscheidet nur zwischen zwei Gruppen von Staaten, vgl. Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 67 – 68. 871 Vgl. Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 67. 872 Für Einzelheiten zur innerstaatlichen Rechtslage siehe Permanent Mission of the Republic of Botswana to the United Nation, Information with Reference to Chapter III of the Report of the International Law Commission for its 65th Session (24. 01. 2014), online: https: //legal.un.org/ilc/sessions/66/pdfs/english/pat_botswana.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 867
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
Österreich,873 Südkorea874 und Norwegen875. Andere Staaten hingegen nehmen, wie Quast Mertsch dies treffend formuliert, die Einladung des Völkerrechts zum Abweichen vom regulären innerstaatlichen Vertragsschlussverfahren an.876 Zu dieser zweiten Gruppe gehören jedenfalls die Schweiz,877 Serbien,878 die Niederlande,879 Russland,880 Spanien881 und Tschechien.882 Während die zuletzt genannten Staaten die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung gesetzlich ausgestalten und damit beschränken, könnte die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung theoretisch auch unbeschränkt zugelassen werden. Ein solcher Ansatz scheint jedoch bislang nur in der rechtswissenschaftlichen Literatur zu existieren.883 Somit gibt es in der Praxis sowohl Beispiele für den Ausschluss der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung (Ausschlussmodell) als auch für deren 873 Für Einzelheiten zur innerstaatlichen Rechtslage siehe Permanent Mission of Austria to the United Nations, Austrian Comments on Chapter III of the Report of the International Law Commission on the Work of its 66th Session, (Fn. 484), 7. 874 Für Einzelheiten zur innerstaatlichen Rechtslage siehe Republic of Korea – Permanent Mission to the United Nations, Comments on Chapter III of the Report of the International Law Commission (A/69/10) (19. 02. 2015), MUN/038/15, online: http://legal.un.org/docs/?path=./ ilc/sessions/67/pdfs/english/pat_republic_of_korea.pdf&lang=E (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 875 Für Einzelheiten zur innerstaatlichen Rechtslage siehe Permanent Mission of Norway to the United Nations, Information on Norway’s Practice Concerning the Provisional Application of Treaties, (Fn. 611). 876 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 67. 877 Für Einzelheiten zur innerstaatlichen Rechtslage siehe Permanent Mission of Switzerland to the United Nations, Observations et informations concernant l’application provisoire des traités, (Fn. 576), 1 – 4. 878 Für Einzelheiten zur innerstaatlichen Rechtslage siehe Permanent Mission of the Republic of Serbia to the United Nations, Comments on the Topic „Provisional Application of Treaties“, (Fn. 577). 879 Vgl. Section 15 Kingdom Act, (Fn. 862); für eine englischsprachige Darstellung des Inhalts siehe Permanent Mission of the Kingdom of the Netherlands to the United Nations, Comments in Response to General Assembly Resolution 70/236, (Fn. 556). 880 Vgl. Art. 23 Federal Law on Russian Federation Treaties; für eine englischsprachige Übersetzung des Gesetzes siehe William E. Butler, Russian Federation: Federal Law on International Treaties, (Fn. 717), 1384; für nähere Ausführungen zum relevanten Artikel siehe Russian Federation, C. Provisional Application of Treaties, (Fn. 555). 881 Vgl. Art. 3 lit. c), Art. 5 lit. e), Art. 15, Art. 23 II, Art. 24 I Ley 25/2014, (Fn. 864). 882 Für Einzelheiten zur innerstaatlichen Rechtslage siehe Permanent Mission of the Czech Republic to the United Nations, Comments of the Czech Republic on the Specific Issues Raised in Chapter III of the Report of the International Law Commission on the Work of its 65th Session (31. 01. 2014), online: https://legal.un.org/ilc/sessions/66/pdfs/english/pat_czech_republic.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 883 Für das deutsche Recht würde die Ansicht von Montag dazu führen, dass die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung unbeschränkt vereinbart werden kann. Die herrschende Meinung und die Praxis folgen in Deutschland allerdings dem Ausschlussmodell. Für die Darstellung der verschiedenen Auffassungen siehe infra Kapitel 6 B.
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Akzeptanz und Ausgestaltung (Ausgestaltungsmodell). Dem Ausgestaltungsmodell gehören überwiegend, aber nicht ausschließlich, diejenigen Staaten an, deren innerstaatliches Recht die vorläufige Anwendung ausdrücklich regelt. Allerdings gibt es auch Staaten ohne ausdrückliche Regelungen, in denen die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung durch Verfassungsauslegung und Praxis rudimentär ausgestaltet wird.884 So war z. B. in der Schweiz bereits vor der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung aus dem Jahr 2002 die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung unter bestimmten Voraussetzungen möglich.885 b) Vor- und Nachteile von Ausschluss- und Ausgestaltungsmodell Beide Modelle haben ihre Vor- und Nachteile. Das Ausschlussmodell verhindert, dass ein Staat die von der durch die vorläufige Anwendung ermöglichte Zeitersparnis voll ausschöpfen kann, da die vorläufige Anwendung nun erst nach Durchlaufen des innerstaatlichen Vertragsschlussverfahrens möglich ist.886 Dies ist ein Nachteil, da die vorläufige Anwendung gerade eine Reaktion auf das zeitaufwendige innerstaatliche Vertragsschlussverfahren darstellt.887 Zwar geht diese Funktion beim Ausschlussmodell nicht völlig verloren, doch beschränkt sich die mögliche Zeitersparnis auf den Zeitraum zwischen der Erteilung der innerstaatlichen Zustimmung und dem Inkrafttreten des Vertrages. Letztendlich können also nur noch Verzögerungen, die von den anderen Staaten und deren innerstaatlichen Vertragsschlussverfahren ausgelöst werden, vermieden werden. Dies hat jedoch den Vorteil, dass die Rechte des Parlaments beim Ausschlussmodell nicht beeinträchtigt werden können, da das eigene Vertragsschlussverfahren zwingend durchlaufen werden muss. Beim Ausgestaltungsmodell hingegen besteht die Gefahr, dass die Rechte des Parlaments beeinträchtigt werden.888 Dies kann, wie in Kapitel 3 bereits erläutert wurde, weitere Folgeprobleme nach sich ziehen.889 Der Vorteil dieses Modells liegt wiederum darin, dass der Vertrag vor Abschluss des eigenen Vertragsschlussverfahrens vorläufig angewendet werden kann, was eine größere Zeitersparnis und mehr Flexibilität ermöglicht. Welches der Modelle vorzugswürdig ist, lässt sich nicht für alle Staaten gleich beantworten, sondern hängt von der konkreten Rechtsordnung und praktischen Er884
Vgl. Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties in South African Law and Practice, (Fn. 859), 11. 885 Permanent Mission of Switzerland to the United Nations, Observations et informations concernant l’application provisoire des traités, (Fn. 576), 1 – 2. 886 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 67. 887 Für eingehendere Ausführungen zur Funktion der vorläufigen Anwendung siehe Einleitung A.III.2. 888 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 67. 889 Siehe hierzu Kapitel 3 D.
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wägungen ab. Wenn z. B. ein Parlament ohnehin in der Lage ist, eilbedürftige Entscheidungen schnell zu treffen, kann der kategorische Schutz seiner Beteiligungsrechte sinnvoll sein. Umgekehrt wäre es bei einem langsam arbeitenden Parlament mit schwach ausgeprägten Beteiligungsrechten nachvollziehbar, wenn mit der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung ein Alternativverfahren für dringende Fälle ermöglicht werden würde. Lässt man die konkreten Umstände jedoch einmal außer Acht, erscheint im Allgemeinen das Ausgestaltungsmodell als empfehlenswerter. Denn dieses eröffnet den Staaten die Möglichkeit, die für die zwischenstaatliche Zusammenarbeit erforderliche Zeitersparnis und den Schutz der parlamentarischen Rechte in einen differenzierten Ausgleich zu bringen.890 Zudem würde sich der Nutzen der vorläufigen Anwendung jedenfalls bei bilateralen Verträgen deutlich verringern, wenn alle Staaten dem Ausschlussmodell folgen würden. Schließlich kann ein dem Ausschlussmodell folgender Staat das zeitintensive innerstaatliche Vertragsschlussverfahren eines anderen Staates nur dann durch vorläufige Anwendung überbrücken, wenn der andere Staat nicht ebenfalls dem Ausschlussmodell folgt. Ist kein Staat bereit, von seinem innerstaatlichen Verfahren abzuweichen, dürfte die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung ähnlich viel Zeit in Anspruch nehmen wie der Abschluss des Vertrages. Insofern könnte mit der vorläufigen Anwendung nur noch auf Verzögerungen reagiert werden, die von den Voraussetzungen für das Inkrafttreten des Vertrages verursacht werden. Folglich würde die vorläufige Anwendung einen großen Teil ihres bisherigen Anwendungsbereichs verlieren. Somit ist im Allgemeinen das Ausgestaltungsmodell dem Ausschlussmodell vorzuziehen. 2. Einzelne innerstaatliche Regelungen zur Ausgestaltung der vorläufigen Anwendung Die innerstaatlichen Regelungen zur Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung unterscheiden sich von Staat zu Staat. Daher soll im Folgenden nur ein Überblick über einzelne Regelungselemente gegeben werden, die sich alternativ oder kumulativ im Recht verschiedener Staaten wiederfinden. Ein häufig anzutreffendes Regelungselement besteht darin, dass der Anwendungsbereich der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung begrenzt wird (a)). Ebenfalls häufig zu beobachten sind Beteiligungsrechte des Parlaments, die von Informations- und Vorlagepflichten (b)) bis hin zum Vetorecht eines parlamentarischen Ausschusses reichen können (c)). Weiterhin ist in manchen Rechtsordnungen normiert, dass die Exekutive in bestimmten Situationen eine Pflicht zur Beendigung der vorläufigen Anwendung hat (d)). Die Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung scheint zudem typischerweise damit einherzugehen, dass die vorläufige Anwendung innerstaatliche Wirkungen entfalten 890 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 67 – 68.
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 169
kann (e)). Angesichts dieser Vielzahl an Regelungselementen soll im Anschluss an den Überblick kurz diskutiert werden, wie wirksam die einzelnen Elemente darin sind, die durch die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung verursachten Probleme zu vermeiden oder zumindest abzumildern (f)). a) Begrenzungen des Anwendungsbereichs Der Anwendungsbereich der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung wird in manchen Rechtsordnungen dadurch begrenzt, dass im jeweiligen Einzelfall ein besonderes Interesse an der vorläufigen Anwendung bestehen muss. So ist die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung z. B. in den Niederlanden nur zulässig, wenn „the interests of the Kingdom so require“, sprich ein besonderes Interesse der Niederlande die vorläufige Anwendung des jeweiligen Vertrages erforderlich macht.891 Dies bedeutet, dass das Interesse der Niederlande an der vorläufigen Anwendung dasjenige des Parlaments an der Ausübung seiner verfassungsrechtlichen Rechte in Bezug auf die vorherige Zustimmung überwiegen muss.892 Die Regierung muss begründen, warum vom verfassungsrechtlichen Vertragsschlussverfahren abgewichen werden soll.893 In der Schweiz wiederum setzt die vorläufige Anwendung neben wichtigen Interessen der Schweiz auch eine besondere Dringlichkeit der Vertragsanwendung voraus.894 Neben oder statt solcher Voraussetzungen, sehen manche Rechtsordnungen auch Fälle vor in denen vorläufige Anwendung ausgeschlossen ist. So darf in den Niederlanden der fragliche Vertrag nicht in einem Konflikt zur niederländischen Verfassung oder, im Falle seiner Zustimmungsbedürftigkeit, dem Gesetzesrecht stehen oder zu einem solchen Konflikt führen.895 In Spanien wiederum wird die vorläufige Anwendung von vornherein für bestimmte Vertragstypen ausgeschlossen. Dabei handelt es sich um solche Verträge, durch die verfassungsrechtliche Kompetenzen auf Internationale Organisationen übertragen werden.896
891 Vgl. Section 15 I Kingdom Act, (Fn. 862); für eine englischsprachige Darstellung des Inhalts siehe Permanent Mission of the Kingdom of the Netherlands to the United Nations, Comments in Response to General Assembly Resolution 70/236, (Fn. 556). 892 Permanent Mission of the Kingdom of the Netherlands to the United Nations, Comments in Response to General Assembly Resolution 70/236, (Fn. 556). 893 Ibid. 894 Vgl. Art. 7b I RVOG, (Fn. 860); Permanent Mission of Switzerland to the United Nations, Observations et informations concernant l’application provisoire des traités, (Fn. 576), 2. 895 Vgl. Section 15 I, II Kingdom Act, (Fn. 862); für eine englischsprachige Darstellung des Inhalts siehe Permanent Mission of the Kingdom of the Netherlands to the United Nations, Comments in Response to General Assembly Resolution 70/236, (Fn. 556). 896 Vgl. Art. 15 II Ley 25/2014, (Fn. 864) i. V. m. Art. 93 Constitución Española de 1978 (29. 12. 1978) Boletín Oficial del Estado, online: https://www.boe.es/diario_boe/txt.php?id= BOE-A-1978-31229 (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022).
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
Unter denjenigen Staaten, die eine verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung erlauben, gibt es somit einige, die ihren Anwendungsbereich einschränken. Das Ausmaß der Einschränkung variiert dabei von Staat zu Staat. Allerdings gibt es auch Staaten wie z. B. Russland897 in denen der Anwendungsbereich verfassungsrechtlicher vorläufiger Anwendung überhaupt nicht eingeschränkt zu werden scheint. b) Informations- und Vorlagepflichten Das innerstaatliche Recht kann vorsehen, dass die Entscheidung über die vorläufige Anwendung der Exekutive zugewiesen ist.898 Im Vergleich zum normalen Vertragsschlussverfahren sind die Rechte des Parlaments dann meist schwach ausgeprägt. Ihr Ziel scheint vor allem darin zu bestehen zu verhindern, dass das Beteiligungsrecht des Parlaments im Vertragsschlussverfahren dauerhaft umgangen werden kann. Zu diesem Zweck können Informationspflichten bestehen. Eine Pflicht der Exekutive, das Parlament über die Entscheidung zur vorläufigen Anwendung zu informieren, ist in den Niederlanden899 und Spanien900 vorgesehen. Bei Verträgen deren Abschluss der Zustimmung des Parlaments bedarf, kann die vorläufige Anwendung zudem eine Pflicht der Exekutive begründen, dem Parlament den Vertrag innerhalb einer bestimmten Frist vorzulegen. Derartige Regelungen finden sich in den Niederlanden901, Russland902 und der Schweiz903. Dabei kann die Vorlagepflicht dadurch abgesichert sein, dass ihre Nichteinhaltung zum Ende der vorläufigen Anwendung führt.904
897 Vgl. Art. 23 Federal Law on International Treaties, für eine englischsprachige Übersetzung des Gesetzes siehe William E. Butler, Russian Federation: Federal Law on International Treaties, (Fn. 717), 1384; vgl. auch Court of Appeal of the Hague, Yukos, (Fn. 667), 4.7.32. 898 Siehe z. B. die Gesetze der Schweiz und Spaniens, Art. 7b I RVOG, (Fn. 860); Art. 15 ILey 25/2014, (Fn. 864). 899 Vgl. Section 15 IV Kingdom Act, (Fn. 862); für eine englischsprachige Darstellung des Inhalts siehe Permanent Mission of the Kingdom of the Netherlands to the United Nations, Comments in Response to General Assembly Resolution 70/236, (Fn. 556). 900 Vgl. Art. 15 I Ley 25/2014, (Fn. 864). 901 Vgl. Art. 15 IV Kingdom Act, (Fn. 862); für eine englischsprachige Darstellung des Inhalts siehe Permanent Mission of the Kingdom of the Netherlands to the United Nations, Comments in Response to General Assembly Resolution 70/236, (Fn. 556). 902 Vgl. Art. 23 II Federal Law on International Treaties, für eine englischsprachige Übersetzung des Gesetzes siehe William E. Butler, Russian Federation: Federal Law on International Treaties, (Fn. 717). 903 Vgl. Art. 7b II RVOG, (Fn. 860). 904 Vgl. Art. 7b II RVOG, (Fn. 856).
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c) Zustimmungserfordernis oder Vetomöglichkeit eines parlamentarischen Ausschusses In einzelnen Staaten wird das Parlament sogar bereits an der Entscheidung über die vorläufige Anwendung beteiligt. So ist in Serbien die vorherige Zustimmung des zuständigen Parlamentskomitees erforderlich.905 In der Schweiz wiederum müssen die zuständigen Kommissionen beider Kammern der Bundesversammlung konsultiert werden.906 Sprechen sich die Kommissionen beider Räte gegen die vorläufige Anwendung aus, unterbleibt diese.907 Ziel des Vetorechts ist es, einerseits das Risiko der späteren Ablehnung des Vertrages durch das Parlament zu verringern und andererseits der Exekutive die Kompetenz zur vorläufigen Anwendung und einen außenpolitischen Handlungsspielraum zu belassen.908 In ähnlicher Weise wird ein Ausgleich zwischen Zeitersparnis und Parlamentsbeteiligung getroffen, wenn statt des gesamten Parlaments nur der zuständige Ausschuss beteiligt werden muss. d) Pflichten der Exekutive zur Beendigung Völkerrechtlich besteht die Möglichkeit, die vorläufige Anwendung mit Wirkung ex nunc zu beenden.909 Allerdings wird die Beendigung der vorläufigen Anwendung von der Exekutive und nicht vom Parlament erklärt.910 Auch reicht die Weigerung des Parlaments einen Vertrag zu ratifizieren völkerrechtlich nicht aus, um dessen vorläufige Anwendung zu beenden.911 Entsprechend ist es dem Parlament grundsätzlich nicht möglich, die vorläufige Anwendung selbst zu beenden. Einige Staaten haben daher innerstaatlich geregelt, unter welchen Voraussetzungen die Exekutive den anderen Staaten die Beendigung der vorläufigen Anwendung notifizieren muss. In Spanien gibt das Außenministerium die Beendigungserklärung ab, wenn das Parlament einem zustimmungsbedürftigen Vertrag seine Zustimmung verweigert.912 Dies gibt dem spanischen Parlament eine Möglichkeit die Beendigung der vorläufigen Anwendung herbeiführen.913 905
Permanent Mission of the Republic of Serbia to the United Nations, Comments on the Topic „Provisional Application of Treaties“, (Fn. 577). 906 Vgl. Art. 152 III bis 171.10 Bundesgesetz über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG) (13. 12. 2002, in der Fassung vom 18. 12. 2021), online: https://www.admin.ch/ opc/de/classified-compilation/20010664/index.html (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 907 Vgl. Art. 152 III bis ParlG, (Fn. 902); Art. 7b I RVOG, (Fn. 860). 908 Permanent Mission of Switzerland to the United Nations, Observations et informations concernant l’application provisoire des traités, (Fn. 576), 4. 909 Für eingehendere Ausführungen zu den Voraussetzungen und Wirkungen der einseitigen Beendigung der vorläufigen Anwendung siehe Kapitel 2 D.II. 910 Siehe hierzu Kapitel 2 D.II.2. 911 Eingehender hierzu Kapitel 2 D.II.2. 912 Vgl. Art. 15 III Ley 25/2014, (Fn. 864).
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
Auch das schweizerische Recht kennt eine Pflicht der Regierung, den anderen Staaten das Ende der vorläufigen Anwendung zu notifizieren.914 Ausdrücklich vorgesehen ist ein solches Ende der vorläufigen Anwendung in der Schweiz nur für den Fall, dass dem Parlament innerhalb von sechs Monaten kein Entwurf über die Genehmigung des Vertrages unterbreitet wird.915 Gleichwohl geht die Schweiz in ihrer Stellungnahme gegenüber der Völkerrechtskommission davon aus, dass die Regierung auch dann eine völkerrechtliche Beendigungserklärung abgeben muss, wenn das Parlament dem Vertrag seine Zustimmung verweigert.916 Dies deckt sich mit der Praxis der Schweiz, da die schweizerische Regierung die vorläufige Anwendung eines bilateralen Luftverkehrsübereinkommens mit Deutschland beendete, nachdem dieser Vertrag vom Parlament abgelehnt worden war.917 e) Innerstaatliche Wirkungen und öffentliche Bekanntmachung Lassen Staaten die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung zu, hat diese typischerweise grundsätzlich dieselben Wirkungen wie ein in Kraft getretenen Vertrag. Dies haben Russland,918 die Schweiz,919 Serbien920 und Spanien921 gegenüber der Völkerrechtskommission ausdrücklich bekräftigt. Jedenfalls wenn der vorläufig angewendete Vertrag auch die Rechte von Individuen betrifft, ist häufig seine öffentliche Bekanntmachung erforderlich. Entsprechende rechtliche Vorgaben gibt es z. B. in den Niederlanden,922 Russland923, der
913 Ministerio de Asuntos Exteriores y de Cooperación, Contribución de España sobre el tema de la „Aplicación provisional de los tratados“ (15. 01. 2016), online: https://legal.un.org/ ilc/sessions/67/pdfs/spanish/pat_spain.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022), 4. 914 Vgl. Art. 7b III RVOG, (Fn. 860). 915 Vgl. Art. 7b II RVOG, (Fn. 860). 916 Vgl. Permanent Mission of Switzerland to the United Nations, Observations et informations concernant l’application provisoire des traités, (Fn. 576), 5. 917 Vgl. Permanent Mission of Switzerland to the United Nations, Observations et informations concernant l’application provisoire des traités, (Fn. 576), 2, 5. 918 Russian Federation, C. Provisional Application of Treaties, (Fn. 555). 919 Permanent Mission of Switzerland to the United Nations, Observations et informations concernant l’application provisoire des traités, (Fn. 576), 7. 920 Permanent Mission of the Republic of Serbia to the United Nations, Comments on the Topic „Provisional Application of Treaties“, (Fn. 577). 921 Ministerio de Asuntos Exteriores y de Cooperación, Contribución de España sobre el tema de la „Aplicación provisional de los tratados“, (Fn. 913), 4. 922 Vgl. Section 17 lit. d) Kingdom Act, (Fn. 862); Permanent Mission of the Kingdom of the Netherlands to the United Nations, Comments in Response to General Assembly Resolution 70/ 236, (Fn. 556). 923 Vgl. Russian Federation, C. Provisional Application of Treaties, (Fn. 555).
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 173
Schweiz924 und Spanien.925 In den Niederlanden hängen die innerstaatlichen Wirkungen sogar von dieser öffentlichen Bekanntmachung ab.926 f) Bewertung der Wirksamkeit der einzelnen Regelungselemente Wie dieser Überblick zeigt, greifen Staaten bei der Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung auf eine Reihe von Regelungselementen zurück. Wie schon bei der Wahl zwischen Ausschluss- und Ausgestaltungsmodell gibt es auch bei der konkreten Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung keine Lösung, die für alle Staaten optimal ist. Vielmehr ist es eine von den konkreten Umständen abhängige politische Entscheidung, ob ein Staat mit Auswahl und Zusammensetzung der einzelnen Regelungselemente den Schwerpunkt auf den Schutz der parlamentarischen Beteiligungsrechte im Vertragsschlussverfahren oder auf die Zeitersparnis durch die vorläufige Anwendung legt. Ein absoluter Schutz der Beteiligungsrechte des Parlaments ist im Ausgestaltungsmodell von vornherein unmöglich, da Staaten vom innerstaatlichen Vertragsschlussverfahren abweichen und damit stets ein gewisses Risiko eingehen, dass die parlamentarischen Beteiligungsrechte beeinträchtigt oder umgangen werden. Entsprechend sind die Regelungselemente des Ausgestaltungsmodells nicht daran zu messen, ob sie das Grundproblem der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung, also die Gefährdung der Gewaltenteilung, vollständig vermeiden. Vielmehr bemisst sich ihre Nützlichkeit daran, ob sie die damit verbundenen Folgeprobleme vermeiden oder zumindest abschwächen können. Das wirksamste Regelungselement ist demnach, wenn das Parlament durch ein Parlamentskomitee oder zumindest eine Vetomöglichkeit bereits an der Entscheidung über die Verpflichtung zur vorläufigen Anwendung beteiligt wird. Damit verfügt das Parlament bei der Entscheidung über die vorläufige Anwendung über eine Möglichkeit zur Kontrolle und Mitsprache, die im Vergleich zum Vertragsschlussverfahren nur etwas abgeschwächt ist. Durch derartige Verfahren wird zudem eine gewisse Input-Legitimation erzeugt, was einem möglichen Legitimitätsdefizit entgegenwirkt.927 Muss zur Erfüllung der Pflichten aus der vorläufigen Anwendung der Gesetzgeber tätig werden, kann die abgeschwächte Form der Parlamentsbeteiligung dazu beitragen, die Entscheidungsfreiheit des Parlaments zu schützen und das Risiko eines Völkerrechtsverstoßes durch Nichterfüllung zu reduzieren. Sofern die vorläufige Anwendung auch innerstaatliche Rechtswirkungen erzeugt, kommen diese nicht mehr gänzlich ohne Beteiligung des 924 Vgl. Permanent Mission of Switzerland to the United Nations, Observations et informations concernant l’application provisoire des traités, (Fn. 576), 7. 925 Vgl. Art. 23 II Ley 25/2014, (Fn. 864). 926 Vgl. Section 17 lit. d) and Section 19 para. 1 Kingdom Act, (Fn. 862); Permanent Mission of the Kingdom of the Netherlands to the United Nations, Comments in Response to General Assembly Resolution 70/236, (Fn. 556). 927 Für eingehendere Ausführungen zum möglichen Legitimitätsdefizit bei der vorläufigen Anwendung siehe Kapitel 3 D.I.2.
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Parlaments zustande. Somit werden durch die Beteiligung eines Parlamentskomitees oder ein Vetorecht alle Folgeprobleme der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung zumindest abschwächt. Insofern ist es bemerkenswert, dass bislang mit der Schweiz und Serbien nur zwei Staaten auf derartige Regelungselemente zurückgreifen.928 Weiter verbreitet ist der Ansatz, den Anwendungsbereich der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung zu begrenzen. Wird der Anwendungsbereich dadurch begrenzt, dass ein besonderes Interesse an der vorläufigen Anwendung bestehen muss, kann dies zu einer Einzelfallabwägung und damit zu großer Flexibilität führen. Vorteilhaft ist es insbesondere, wenn so im konkreten Fall die Vorteile der vorläufigen Anwendung mit dem Beteiligungsrecht des Parlaments und den mit dessen Umgehung verbundenen Nachteilen abgewogen werden können. Zugleich kann diese Abwägung im Einzelfall aber auch gegen die Parlamentsbeteiligung ausfallen und damit dazu führen, dass in Kauf genommen wird, dass die Folgeprobleme der Parlamentsumgehung eintreten. Einen höheren Schutz gewährt es daher, wenn der Anwendungsbereich starr dadurch begrenzt wird, dass die vorläufige Anwendung mit den innerstaatlichen Gesetzen vereinbar sein muss. Hier wird zumindest das Risiko eines Völkerrechtsverstoßes durch Nichterfüllung reduziert und die Entscheidungsfreiheit des Parlaments in Bezug auf die Gesetzgebung geschützt. Allerdings kann dieses Regelungselement nicht verhindern, dass die vorläufige Anwendung einen politischen Druck zur Ratifikation des Vertrages erzeugt und so die Kontroll- und Mitwirkungsrechte des Parlaments beeinträchtigt. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass dadurch das Legitimitätsdefizit vollständig behoben wird. Informations-, Vorlage- und Beendigungspflichten für die Exekutive wiederum sind zwar in einigen Staaten anzutreffen, können die von der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung verursachten Probleme allerdings ebenfalls nicht vollständig lösen. Die Informationspflichten stellen eine abgeschwächte Form der Parlamentsbeteiligung dar und ermöglichen grundsätzlich weniger Kontrolle und Mitwirkung als das Zustimmungserfordernis im Vertragsschlussverfahren. Von begrenztem Nutzen ist es auch, wenn die vorläufige Anwendung eine Vorlagepflicht für die Exekutive auslöst und wieder beendet werden muss, falls das Parlament den Vertrag ablehnt. Durch solche Pflichten wird nur eine dauerhafte, nicht aber eine zeitweise Umgehung der Kontroll- und Mitwirkungsrechte des Parlaments im Vertragsschlussverfahren verhindert. Auch wird ein Legitimitätsdefizit nicht von vornherein vermieden. Stattdessen werden die durch die vorläufige Anwendung erzeugten Normen entweder durch den Abschluss des Vertrages nachträglich legitimiert oder durch die Beendigung der vorläufigen Anwendung ex nunc wieder beseitigt.929 Auch für den Fall, dass Pflichten aus der vorläufigen Anwendung durch 928
Für eingehendere Ausführungen zu diesem Regelungselement siehe Kapitel 4 A.I.2.c). Zu den Wirkungen der einseitigen Beendigung der vorläufigen Anwendung siehe Kapitel 2 D.II.2. 929
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 175
den Erlass von Gesetzen erfüllt werden müssen, ist die Kombination aus Vorlage- und Beendigungspflicht unzureichend. Denn sie können weder die Entscheidungsfreiheit des Parlaments beim Erlass von Gesetzen schützen noch das Risiko eines Völkerrechtsverstoßes durch Nichterfüllung vermeiden. Schließlich wirkt die Beendigung ex nunc und kann damit weder verhindern, dass zuvor ein Völkerrechtsverstoß eintritt noch, dass die Entscheidungsfreiheit des Parlaments beim Erlass von Gesetzen beeinträchtigt wird.930 Somit lässt sich festhalten, dass nicht alle Regelungselemente dieselben Probleme lösen und ihre Wirksamkeit bei der Problemlösung unterschiedlich groß ist. Zudem haben sie ihrerseits verschiedene Nachteile. Die Vorlage- und Beendigungspflichten z. B. nehmen der Exekutive die Entscheidungsfreiheit in Bezug auf die Vorlage931 und Beendigung932 von Verträgen, die im normalen Vertragsschlussverfahren besteht. Allerdings dürfte dieser Preis nicht zu hoch sein, wenn dafür die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung ermöglicht und der Exekutive damit ein neues Handlungsinstrument zur Verfügung gestellt wird. Schwerwiegender sind hingegen die Beschränkung des Anwendungsbereichs der vorläufigen Anwendung und das Zustimmungserfordernis eines Parlamentsausschusses. Hier werden Flexibilität und Zeitersparnis der vorläufigen Anwendung reduziert und damit ihr Nutzen verringert. Ob und in welchem Ausmaß dies sinnvoll ist, hängt von der jeweiligen Rechtsordnung und praktischen Erwägungen ab. Dabei dürfte es auch eine Rolle spielen, für wie groß das Risiko des Missbrauchs der vorläufigen Anwendung und der damit verbundenen Probleme gehalten wird. Somit müssen bei der Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung die Vor- und Nachteile der einzelnen Regelungselemente im Rahmen eines politischen Entscheidungsprozesses abgewogen werden.
930 Dieselben Gründe nennen Kempen und Schiffbauer in ihrer Argumentation zu der Frage, ob die Beendigungsmöglichkeit bei der vorläufigen Anwendung dazu führt, dass das Zustimmungserfordernis aus Art. 59 II GG nicht für die vorläufige Anwendung gilt, vgl. Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 111 – 112. 931 Im Rahmen einer Studie des Europarates verneinten 28 Staaten die Frage 8 c), ob eine innerstaatlich erforderliche Genehmigung innerhalb einer gewissen Frist herbeigeführt werden muss. Für die Antworten von Österreich, Belgien, Zypern, Tschechien, Dänemark, Frankreich, Georgien, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Irland, Italien, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, den Niederlanden, Polen, Portugal, Rumänien, der Slowakei, Schweden, der Schweiz, Mazedonien, der Türkei, der Ukraine, Bosnien-Herzegowina, Japan und Mexiko siehe Council of Europe/British Institute of International and Comparative Law, Treaty Making – Expression of Consent by States to be Bound by a Treaty, (Fn. 23), 115, 125, 141, 147, 152, 166, 172, 177, 181, 185, 191, 195, 200, 206, 210, 213, 218, 222, 226, 230, 234, 240, 251, 266, 272, 276, 280, 284, 288, 293, 298, 308, 312. 932 Nach einer Studie von Hollis kann in den meisten Staaten die Exekutive allein über die Beendigung von Verträgen entscheiden, siehe Duncan B. Hollis, A Comparative Approach to Treaty Law and Practice, (Fn. 382), 28 – 29.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
Lässt man die konkreten Umstände des Einzelfalls jedoch einmal außer Acht, erscheinen bestimmte Regelungselemente grundsätzlich empfehlenswert. Dies betrifft zunächst einmal Informations-, Vorlage- und Beendigungspflichten für die Exekutive. Wenngleich ein Informationsrecht für sich genommen nur eine schwache Form der Beteiligung darstellt, kann es das Parlament in die Lage versetzen, frühzeitig durch politischen Druck Einfluss zu nehmen. Die Vorlage- und Beendigungspflichten wiederum können zwar nicht alle Probleme der vorläufigen Anwendung verhindern. Allerdings stellen sie zumindest sicher, dass ein Vertrag nicht ohne Zustimmung des Parlaments langfristig vorläufig angewendet werden kann, was eine Entscheidung über den Abschluss des Vertrages und die dafür vorgesehene Parlamentsbeteiligung entbehrlich machen würde. Insofern wird ein gewisser Mindestschutz für die Parlamentsbeteiligung im Vertragsschlussverfahren geschaffen, ohne zugleich die Flexibilität der vorläufigen Anwendung und den Handlungsspielraum der Exekutive übermäßig einzuschränken. Über diesen Mindestschutz hinaus kann ein sinnvoller Ausgleich zwischen der Parlamentsbeteiligung und der Flexibilität der vorläufigen Anwendung dadurch erzielt werden, dass das parlamentarische Zustimmungsrecht im Vertragsschlussverfahren bei der vorläufigen Anwendung wie in der Schweiz933 in ein Vetorecht des zuständigen Ausschusses umgewandelt wird. Damit wird der Regierung grundsätzlich ein schnelles Handeln ermöglicht, doch kann der parlamentarische Ausschuss in kontroversen Fällen die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung und die damit verbundenen Probleme bereits von vorneherein verhindern. Somit sind bestimmte Regelungselemente grundsätzlich empfehlenswert, wenngleich die Auswahl der passenden Regelungselemente letztendlich für jeden Staat einzeln und vor dem Hintergrund der dort bestehenden Bedürfnisse erfolgen muss. 3. Grundsätzliche Irrelevanz der innerstaatlichen Vorgaben Die innerstaatlichen Regelungen zur vorläufigen Anwendung haben nur begrenzte Wirkung. Aus Sicht des Völkerrechts ist innerstaatliches Recht grundsätzlich irrelevant (a)). Entsprechend können auch die innerstaatlichen Vorgaben zur vorläufigen Anwendung nur in eng begrenzten Ausnahmefällen völkerrechtlich relevant werden (b)). a) Grundsätzliche Irrelevanz innerstaatlichen Rechts im Völkerrecht Als logische Folge der in Art. 26 WVK enthaltenen Pflicht Verträge zu erfüllen (pacta sunt servanda), kann nach Art. 27 WVK die Nichterfüllung eines Vertrages 933 Vgl. Art. 152 III bis 171.10 Bundesgesetz über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG), (Fn. 906).
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 177
nicht mit dem innerstaatlichen Recht gerechtfertigt werden.934 Hiermit korrespondiert eine gewohnheitsrechtliche Regel aus dem Recht der Staatenverantwortlichkeit, der zufolge innerstaatliches Recht keinerlei Völkerrechtsverletzung rechtfertigen kann.935 Diese Regel findet sich bereits im Alabama-Schiedsspruch von 1871936 und wurde seither immer wieder von verschiedenen Gerichtsurteilen und Schiedssprüchen bestätigt.937 Aus völkerrechtlicher Sicht ist innerstaatliches Recht also grundsätzlich unbeachtlich, da anderenfalls eine einheitliche Pflichterfüllung nicht gewährleistet wäre.938 Allerdings gibt es eine Situation in der innerstaatliches Recht ausnahmsweise völkerrechtlich relevant sein kann. Nach Art. 46 WVK kann ein Staat einen Vertrag für ungültig erklären, wenn offenkundig eine grundlegende Bestimmung des innerstaatlichen Rechts über die Zuständigkeit zum Vertragsschluss verletzt wurde. Vor der Wiener Vertragsrechtskonferenz war die Relevanz innerstaatlichen Rechts im Vertragsschlussverfahren Gegenstand eines Theorienstreits. Nach der Irrelevanztheorie wirkten sich innerstaatliche Kompetenzverstöße niemals auf die Wirksamkeit eines Vertrages aus, wohingegen sie nach der Relevanztheorie ausnahmsweise beachtlich sein sollten.939 Ziel der Relevanztheorie war es, die der demokratischen Kontrolle der Exekutive dienende innerstaatliche Parlamentsbeteiligung völkerrechtlich abzusichern, wohingegen die Irrelevanztheorie die Stabilität völkerrechtlicher Rechtsbeziehungen schützen wollte.940 Art. 46 I WVK wiederum gibt nun der Rechtssicherheit den Vorrang indem er innerstaatliche Kompetenzverstöße für grundsätzlich unbeachtlich erklärt. Er sieht aber eine auf Treu und Glauben basierende, eng zu verstehende Ausnahme vor, falls der Kompetenzverstoß eine innerstaatliche Rechtsvorschrift von grundlegender Bedeutung betraf und für die anderen Staaten offenkundig war.941 Dies entspricht heute dem Gewohnheits934
Anthony Aust, Modern Treaty Law and Practice, (Fn. 13), 161. Annemie Schaus, Art. 27 VCLT, in: Corten, Olivier/Klein, Pierre, The Vienna Conventions on the Law of Treaties (2011), 690 – 692 Rn. 3, 5. 936 Siehe Schiedsgericht, Alabama Claims of the United States of America Against Great Britain – Award rendered on 14 September 1872 by the tribunal of arbitration established by Article I of Treaty of Washington of 8 May 1871, Schiedsspruch (1871), Volume XXIX Reports of International Arbitral Awards 125, 131. 937 Siehe hierzu die Gerichtsurteile und Schiedssprüche, welche die Völkerrechtskommission im Kommentar zu Art. 3 ihres Artikelentwurfs zur Staatenverantwortlichkeit aufführt, Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, with Commentaries (2001), in: Völkerrechtskommission, Yearbook of the International Law Commission, Vol. II, Part Two (2001), 36 – 37. 938 Vgl. Mark E. Villiger, Art. 27 VCLT, in: Villiger, Mark E., Commentary on the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties (2009), 375 Rn. 12. 939 Für eine ausführliche Darstellung der einzelnen Spielarten der beiden großen Strömungen sowie die Geschichte des heutigen Art. 46 WVK siehe Thilo Rensmann, Art. 46 VCLT, in: Dörr, Oliver/Schmalenbach, Kirsten, Vienna Convention on the Law of Treaties (2. Aufl. 2018), 838 – 845 Rn. 6 – 20. 940 Robert Kolb, La bonne foi en droit international public (1), (Fn. 171), 691. 941 Thilo Rensmann, Art. 46 VCLT, in: Dörr/Schmalenbach, (Fn. 939), 838 Rn. 3. 935
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
recht.942 Somit ist innerstaatliches Recht grundsätzlich unbeachtlich, sofern kein Fall des Art. 46 WVK vorliegt. b) Eng begrenzte Relevanz der innerstaatlichen Vorgaben für die vorläufige Anwendung Wie die Völkerrechtskommission mit ihrer Guideline 10 bestätigt, kann innerstaatliches Recht auch bei der vorläufigen Anwendung die Nichterfüllung von völkerrechtlichen Pflichten grundsätzlich nicht rechtfertigen.943 Diesen Grundsatz belegt auch der Umstand, dass Staaten ausdrücklich Beschränkungsklauseln944 vereinbaren, wenn die Pflicht zur vorläufigen Anwendung durch das innerstaatliche Recht beschränkt werden soll.945 Angesichts dessen, dass innerstaatliches Recht auch bei der vorläufigen Anwendung grundsätzlich unbeachtlich ist, stellt sich die Frage, ob Staaten sich auf die in Art. 46 WVK kodifizierte Ausnahme berufen können.946 Hieran könnte man insbesondere deshalb zweifeln, weil sich Art. 46 WVK seinem Wortlaut nach nur auf die Zustimmung zur Vertragsbindung im Sinne des Art. 11 WVK bezieht und die vorläufige Anwendung von dieser aus systematischen Gründen zu unterscheiden ist.947 Dennoch geht die Völkerrechtskommission in ihrer Guideline 11 davon aus, dass im Falle der vorläufigen Anwendung eine Art. 46 WVK entsprechende Regelung existiert.948 Dies ist überzeugend, da auch sonst Regelungen für in Kraft getretene Verträge mutatis mutandis auf die vorläufige Anwendung übertragen werden und die Zustimmung zur vorläufigen Anwendung von ihren Wirkungen her mit der Zustimmung zum Vertragsschluss vergleichbar ist.949 Insofern wäre denkbar, dass sich die innerstaatlichen Regelungen zur vorläufigen Anwendung völkerrechtlich auswirken können, sofern die Voraussetzungen des Art. 46 WVK vorliegen. Teilweise wird daher behauptet, dass das innerstaatliche Recht zur vorläufigen Anwendung sich zumindest in begrenztem Umfang auch
942 M. w. N. Mark E. Villiger, Art. 46 VCLT, in: Villiger, Mark E., Commentary on the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties (2009), 593 – 594 Rn. 19. 943 Siehe Guideline 10 I in Völkerrechtskommission, Guide to Provisional Application of Treaties, (Fn. 474), 2 – 3. 944 Siehe hierzu Kapitel 2 C.I.2. 945 Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties with Special Reference to Arms Control, Disarmament and Non-Proliferation Instruments, (Fn. 396), 75. 946 Danae Azaria, Provisional Application of Treaties, (Fn. 483), 248 – 250. 947 Anneliese Quast Mertsch, Provisional Application of Treaties and the Internal Logic of the 1969 Vienna Convention, (Fn. 229), 328 – 329. 948 Siehe Guideline 11 I in Völkerrechtskommission, Guide to Provisional Application of Treaties, (Fn. 474), 3. 949 So im Ergebnis wohl auch Anneliese Quast Mertsch, Provisional Application of Treaties and the Internal Logic of the 1969 Vienna Convention, (Fn. 229), 329 – 330, 333 – 334.
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 179
völkerrechtlich auswirken kann.950 Sofern man davon ausgeht, dass die innerstaatlichen Regelungen zur vorläufigen Anwendung zu den Rechtsvorschriften von grundlegender Bedeutung zählen, ist dies theoretisch denkbar. Was die Praxis angeht, hat die Schweiz gegenüber der Völkerrechtkommission jedoch zu Recht darauf hingewiesen, dass ein Verstoß gegen die innerstaatlichen Vorgaben zur vorläufigen Anwendung selten offenkundig sein dürfte.951 Hierfür spricht nicht zuletzt, dass auch beim normalen Vertragsschlussverfahren nur selten nachgewiesen werden kann, dass die Verletzung der meist komplexen innerstaatlichen Kompetenzvorschriften für Außenstehende offenkundig im Sinne des Art. 46 WVK war.952 Angesichts dessen, dass eine Pflicht zur vorläufigen Anwendung in vielen Staaten nicht ohne eine innerstaatliche Beteiligung der Legislative ausgelöst werden darf,953 könnte speziell deren Fehlen jedoch einen offenkündigen Verstoß gegen innerstaatliches Recht darstellen. Diesbezüglich könnte man eine Parallele zu Grenzverträgen ziehen. Bei der Entscheidung über eine Land- und Meeresgrenze zwischen Kamerun und Nigeria kritisierte Richter Rezek, dass der Internationale Gerichtshof einen lediglich unterzeichneten Vertrag für gültig erklärt hatte.954 Kamerun habe nach der bloßen Unterzeichnung nicht von einem vollendeten Vertrag ausgehen können. Denn es sei keine Rechtsordnung bekannt, die der Exekutive die Befugnis gebe, ohne die Mitwirkung eines anderen innerstaatlichen Organs Verträge über Staatsgrenzen und damit über Staatsgebiet abzuschließen. Diese Aussage wird von Fitzmaurice und Olufemi dahingehend verstanden, dass sich bei Verträgen, die über Staatsgebiet verfügen und vorgeblich im einfachen Vertragsschlussverfahren geschlossen wurden, stets die Frage nach einem offenkundigen Verstoß gegen innerstaatliches Recht im Sinne des Art. 46 WVK stellt.955 Selbst wenn man diese Argumentation als zutreffend unterstellt, kann sie nicht auf die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung eines Vertrages übertragen werden. Hier ist die vorherige Zustimmung des Parlaments keine allgemeine Voraussetzung, da die Parlamentszustimmung jedenfalls bei Exekutivabkommen und in vielen dem Ausgestaltungsmodell folgenden Staaten entbehrlich ist.956 So scheint es z. B. in Russland keine Art von Vertrag zu geben, die nicht ohne vorherige Zustimmung des 950 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 62. 951 Permanent Mission of Switzerland to the United Nations, Observations et informations concernant l’application provisoire des traités, (Fn. 576), 9. 952 Vgl. Thomas Giegerich, Foreign Relations Law (2020), (Fn. 637), Rn. 7. 953 Für Beispiele siehe Kapitel 4 A.I.1.a). 954 Für die Ausführungen von Richter Rezek siehe Declaration of Judge Rezek, Internationaler Gerichtshof, Case Concerning the Land and Maritime Boundary Between Cameroon and Nigeria (Cameroon v. Nigeria: Equatorial Guinea intervening), Judgement (2002), 2002 ICJ Reports 489, 490 – 491. 955 Malgosia Fitzmaurice/Olufemi Elias, Contemporary Issues in the Law of Treaties (2005), 382. 956 Vgl. hierzu Kapitel 3 A.III.2. und Kapitel 4 A.I.1.a).
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
Parlaments vorläufig angewendet werden kann.957 Angesichts dessen, dass die Exekutive somit in manchen Staaten über weitreichende Befugnisse zur vorläufigen Anwendung verfügt, kann man kaum behaupten, dass eine fehlende Parlamentsbeteiligung bei den anderen Staaten den Verdacht eines Kompetenzverstoßes hervorrufen muss. Somit kann ein Verstoß gegen die innerstaatlichen Vorgaben zur vorläufigen Anwendung nur relevant werden, wenn im Einzelfall die engen Voraussetzungen des Art. 46 WVK vorliegen, was zwar nicht ausgeschlossen ist, aber selten der Fall sein dürfte.
II. Lösungsversuche auf Ebene des Völkerrechts Einige Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zwischen vorläufiger Anwendung und innerstaatlichem Recht sind auf Ebene des Völkerrechts angesiedelt. Dabei besteht ein Ansatz darin, dass Staaten die vorläufige Anwendung nur zurückhaltend vereinbaren und ausgestalten (1.). Daneben gibt es aber auch Lösungsversuche, die bei der Beendigung der vorläufigen Anwendung ansetzen (2.). 1. Zurückhaltung bei Vereinbarung und Ausgestaltung vorläufiger Anwendung Staaten versuchen die vorläufige Anwendung von Verträgen zu vermeiden, sofern und soweit sie Konflikte mit ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung befürchten müssen.958 Dies ist möglich, weil die vorläufige Anwendung nach Art. 25 WVK lediglich eine Option darstellt, von der Staaten Gebrauch machen können, aber nicht müssen.959 Allerdings scheinen nur wenige Staaten vollständig auf die vorläufige Anwendung zu verzichten und setzen sie jedenfalls dann ein, wenn das Parlament bereits seine Zustimmung zur Ratifikation erteilt hat (a)). Daneben greifen Staaten auch bei Exekutivabkommen auf die vorläufige Anwendung zurück (b)). Dem Umstand, dass einige Staaten vorläufige Anwendung nur in diesen Situationen einsetzen können, wird in der Praxis dadurch Rechnung getragen, dass die Bestimmungen zur vorläufigen Anwendung bei multilateralen Verträgen zurückhaltend ausgestaltet werden (c)).
957 Vgl. Art. 23 Federal Law on Russian Federation Treaties (15. 07. 1995), für eine englischsprachige Übersetzung des Gesetzes siehe William E. Butler, Russian Federation: Federal Law on International Treaties, (Fn. 717), 1384; für nähere Ausführungen zum relevanten Artikel siehe Russian Federation, C. Provisional Application of Treaties, (Fn. 555). 958 Denise Mathy, Art. 25 VCLT, in: Corten/Klein, (Fn. 451), 645 Rn. 9 – 10. 959 Mark E. Villiger, Art. 25 VCLT, in: Villiger, (Fn. 608), 358 Rn. 13.
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 181
a) Abwarten der Parlamentszustimmung statt Verzicht Wie bereits bei den Ausführungen zum innerstaatlichen Recht erwähnt, schließen einige Rechtsordnungen die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung aus indem sie die vorläufige Anwendung dem innerstaatlichen Vertragsschlussverfahren unterwerfen.960 Daneben gibt es wohl auch einzelne Staaten, deren innerstaatliches Recht die vorläufige Anwendung gänzlich untersagt. Die Studie des Europarates zum Vertragsschlussverfahren kam 2001 zu dem Ergebnis, dass von den 52 befragten Staaten nur fünf Staaten die vorläufige Anwendung vollständig ausschließen.961 Quast Mertsch ergänzte diese Gruppe in ihrer Arbeit zur vorläufigen Anwendung um weitere fünf Staaten.962 Allerdings umfasst die Gruppe aus heutiger Sicht sogar weniger als zehn Staaten. Mexiko und Österreich haben gegenüber der Völkerrechtskommission inzwischen angegeben, dass sie die vorläufige Anwendung in manchen Fällen zulassen und können daher nicht länger als Staaten betrachtet werden, welche die vorläufige Anwendung gänzlich ausschließen.963 Portugal wiederum vereinbarte 2013 die vorläufige Anwendung eines bilateralen Vertrages mit den Niederlanden964 und kann daher ebenfalls nicht mehr als Staat betrachtet werden, der die vorläufige Anwendung vollständig ausschließt. Somit sind gegenwärtig höchstens sieben Staaten bekannt, welche gänzlich auf die vorläufige Anwendung verzichten. Dass nur wenige Staaten die vorläufige Anwendung vollständig ausschließen, ist nicht überraschend. Schließlich besteht das Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung nur vor Durchlaufen des innerstaatlichen Vertragsschlussverfahrens, weshalb es genügt auf die sog. verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung zu verzichten.965 In der Praxis schließen daher viele Staaten die vorläufige Anwendung nicht gänzlich aus, sondern lassen lediglich keine verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung zu.966 Folglich können die meisten Staaten jedenfalls dann 960
Für Beispiele siehe Kapitel 4 A.I.1.a). Bei diesen Staaten fünf handelte es sich um Luxemburg, Mazedonien, Mexiko, Österreich und Portugal, siehe Council of Europe/British Institute of International and Comparative Law, Treaty Making – Expression of Consent by States to be Bound by a Treaty, (Fn. 23), 86. 962 Neben den Staaten aus der Studie des Europarates führt Quast Mertsch auch Ägypten, Brasilien, Costa Rica, Italien und Kolumbien auf, siehe Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 63. 963 Völkerrechtskommission, Third Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 85), 7 Rn. 26. 964 Exchange of Letters Constituting an Agreement on the Taxation of Savings Income and the Provisional Application of the Convention Between the Kingdom of the Netherlands in Respect of Aruba and the Republic of Portugal Concerning the Automatic Exchange of Information About Savings Income in the Form of Interest Payments (09. 11. 2004), 2609 United Nations Treaty Series 197. 965 Für eingehendere Ausführungen zur Eingrenzung des Spannungsverhältnisses auf die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung siehe Kapitel 3 A.III. 966 Für Beispiele für Staaten, die nur die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung ausschließen, siehe Kapitel 4 A.I.1.a). 961
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
bedenkenlos den Mechanismus der vorläufigen Anwendung einsetzen, wenn das innerstaatliche Vertragsschlussverfahren bereits abgeschlossen ist. b) Vorläufige Anwendung bei Exekutivabkommen Wie an anderer Stelle bereits eingehender dargestellt wurde, gibt es in vielen Staaten Verträge, die als sog. Exekutivabkommen von der Exekutive allein abgeschlossen werden dürfen.967 Dies ist auch für die vorläufige Anwendung von Bedeutung. Wenn die Exekutive bereits allein den Vertrag abschließen kann, darf sie häufig erst recht allein dessen vorläufige Anwendung vereinbaren.968 Jedenfalls in Deutschland, den Niederlanden,969 der Schweiz970 und Tschechien971 unterscheidet das innerstaatliche Recht in dieser Weise zwischen der vorläufigen Anwendung von zustimmungsbedürftigen Verträgen und Exekutivabkommen. So wird z. B. in der rechtswissenschaftlichen Literatur in Deutschland die Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung nur bei zustimmungsbedürftigen Verträgen diskutiert, wohingegen die vorläufige Anwendung von Exekutivabkommen nach einhelliger Ansicht zustimmungsfrei ist.972 Diese Differenzierung ist gut nachvollziehbar, da die vorläufige Anwendung von Exekutivabkommen nicht in einem Spannungsverhältnis zur vorläufigen Anwendung steht.973 Folglich können die meisten Staaten bei Exekutivabkommen auf die vorläufige Anwendung zurückgreifen. c) Zurückhaltende Ausgestaltung der vorläufigen Anwendung Letztendlich hängt die Frage, ob ein Staat die vorläufige Anwendung eines konkreten Vertrages vereinbaren darf, von den Vorgaben seines innerstaatlichen Rechts ab. Diese innerstaatlichen Vorgaben unterscheiden sich von Staat zu Staat, weshalb die vorläufige Anwendung für einen Verhandlungsstaat möglich und für 967
Für eingehendere Ausführungen zu Exekutivabkommen siehe Kapitel 3 A.III.2. So z. B. ausdrücklich die Schweiz, Permanent Mission of Switzerland to the United Nations, Observations et informations concernant l’application provisoire des traités, (Fn. 576), 2. 969 Permanent Mission of the Kingdom of the Netherlands to the United Nations, Comments in Response to General Assembly Resolution 70/236, (Fn. 556). 970 Permanent Mission of Switzerland to the United Nations, Observations et informations concernant l’application provisoire des traités, (Fn. 576), 2. 971 Permanent Mission of the Czech Republic to the United Nations, Comments of the Czech Republic on the Specific Issues Raised in Chapter III of the Report of the International Law Commission on the Work of its 65th Session, (Fn. 882). 972 Statt vieler Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 108 – 109; Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 200. 973 Für eingehendere Ausführung der Eingrenzung des Spannungsverhältnisses zur innerstaatlichen Gewaltenteilung auf die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung siehe Kapitel 3 A.III. 968
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 183
einen anderen ausgeschlossen sein kann. Dies hat in der Praxis dazu geführt, dass die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung von multilateralen Verträgen sehr flexibel gehandhabt wird und sich ein Staat typischerweise frei für oder gegen sie entscheiden kann.974 Wäre die vorläufige Anwendung hingegen untrennbar mit einem Schritt des Vertragsschlussverfahrens verbunden, könnten die innerstaatlichen Bestimmungen eines Staates ihn vom Abschluss des Vertrages abhalten.975 Daher wird die vorläufige Anwendung eines Vertrages meist mit Opt-in- und Opt-out-Klauseln als bloße Möglichkeit für die Verhandlungsstaaten ausgestaltet.976 Dies ermöglicht es dem einzelnen Staat, nur dann auf die vorläufige Anwendung zurückzugreifen, wenn dies nach seinem innerstaatlichen Recht zulässig ist, z. B. weil die Zustimmung des Parlaments bereits erteilt wurde oder es sich für ihn um ein Exekutivabkommen handelt. Somit sorgt die zurückhaltende Ausgestaltung der vorläufigen Anwendung dafür, dass Staaten Konflikte mit ihrem innerstaatlichen Recht von vornherein vermeiden können, was diesem einen effektiven Schutz bietet. Der Nachteil der Vermeidungsstrategie ist jedoch, dass Staaten dadurch in vielen Fällen auf die vorläufige Anwendung eines Vertrages und die damit verbundene Zeitersparnis verzichten müssen. 2. Beendbarkeit und Zeitlimit als Lösungsansätze Weitere Lösungsansätze für das Spannungsverhältnis zwischen der vorläufigen Anwendung und dem innerstaatlichen Recht sind die einseitige Beendbarkeit der vorläufigen Anwendung (a)) und die Festsetzung einer Zeitbeschränkung für die Dauer der vorläufigen Anwendung (b)). a) Einseitige Beendbarkeit der vorläufigen Anwendung Bereits auf der Wiener Vertragsrechtskonferenz versuchte Sir Waldock Bedenken hinsichtlich des Spannungsverhältnisses zwischen der vorläufigen Anwendung und dem innerstaatlichen Recht zu zerstreuen, indem er auf die Möglichkeit der einseitigen Beendigung hinwies.977 Allerdings dürfte der Nutzen dieses Lösungsansatzes begrenzt sein. Denn völkerrechtlich kann die einseitige Beendigung nur von der Exekutive und nicht von der Legislative erklärt werden.978 Dies ist insofern ein mögliches Problem für die Wirksamkeit des Lösungsansatzes, als dass die Exekutive 974
Vgl. Kapitel 2 B.III.1. Vgl. René Lefeber, The Provisional Application of Treaties, (Fn. 398), 85. 976 Für Beispiele siehe Kapitel 2 B.III.2. 977 Siehe den Diskussionsbeitrag von Sir Waldock, Eleventh Plenary Meeting, (Fn. 88), 43 Rn. 90. 978 Für eingehendere Ausführungen zur einseitigen Beendigung der vorläufigen Anwendung siehe Kapitel 2 D.II.2. 975
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
zu Lasten der Legislative von der vorläufigen Anwendung profitieren kann und damit wenig Anreize hat, diese zu beenden. Zudem wirkt die Beendigung ohnehin nur ex nunc und kann damit bereits entstandene Pflichten nicht mehr rückwirkend beseitigen.979 Entsprechend kann sie auch z. B. nicht verhindern, dass im Zeitraum der vorläufigen Anwendung bereits die Entscheidungsfreiheit des Parlaments beeinträchtigt wird.980 Somit kann die Möglichkeit zur einseitigen Beendigung der vorläufigen Anwendung deren Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung nicht lösen. b) Zeitlimit für die vorläufige Anwendung Um zu verhindern, dass die Ratifikation eines Vertrages durch eine dauerhafte vorläufige Anwendung ersetzt wird, können Staaten in der Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eine zeitliche Begrenzung festlegen.981 In der Praxis gibt es einige Beispiele für eine solche zeitlich begrenzte vorläufige Anwendung.982 Auf den ersten Blick scheint die zeitliche Begrenzung eine dauerhafte Umgehung des Parlaments zu verhindern und damit die Beteiligungsrechte der Legislative zu schützen. Allerdings stellt sich die Frage, ob die vorläufige Anwendung nach Ablauf der vorgesehenen Zeitspanne verlängert werden kann und falls ja, von wem. Schließlich würde die Zeitbegrenzung ihren Nutzen als Lösungsansatz verlieren, wenn die Regierungen der beteiligten Staaten allein über sie entscheiden könnten. Dies illustriert das bereits dargestellte Fallbeispiel des Meeresgrenzvertrages zwischen den USA und Kuba, bei dem eine jeweils auf zwei Jahre begrenzte vorläufige Anwendung über Jahrzehnte hinweg immer wieder verlängert wurde.983 In der Tat spricht die Vertragsfreiheit der an der vorläufigen Anwendung beteiligten Staaten dafür, dass eine Verlängerung grundsätzlich möglich ist. Hierfür spricht auch, dass die vorläufige Anwendung in der Regel den vollständigen Zeitraum bis zum Inkrafttreten des Vertrages überbrücken soll. Durch ein unabänderliches Zeitlimit könnte eine missliche Lücke zwischen der vorläufigen Anwendung und dem Inkrafttreten entstehen. Schließlich lässt sich nicht immer genau vorhersehen, wann genau die Voraussetzungen für das Inkrafttreten des Vertrages erfüllt sind. Somit ist die vorläufige Anwendung trotz Zeitlimit verlängerbar und sollte es auch sein. 979
Thomas Kleinlein, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 80), 381. Vgl. Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 111 – 112. 981 Permanent Mission of Switzerland to the United Nations, Observations et informations concernant l’application provisoire des traités, (Fn. 576), 6. 982 Vgl. z. B. Art. 7 III Resolution 48/263: Agreement relating to the implementation of Part XI of the United Nations Convention on the Law of the Sea of 10 December 1982, (Fn. 165); Art. V Maritime Boundary Agreement Between the United States of America and the Republic of Cuba, (Fn. 735). 983 Kapitel 3 A.IV.2. 980
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 185
Allerdings können die anderen Staaten die Verlängerung verweigern, da die vorläufige Anwendung stets auf dem übereinstimmenden Willen der an ihr beteiligten Staaten bestehen muss. Stimmen sie jedoch zu, hat das Parlament keine Möglichkeit die Verlängerung zu verhindern, sofern das innerstaatliche Recht für die Entscheidung über die Verlängerung nicht seine Beteiligung vorsieht. Schreibt das innerstaatliche Recht bei Verlängerungsentscheidungen keine Parlamentsbeteiligung vor, kann das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht folglich nicht durch eine zeitliche Begrenzung der vorläufigen Anwendung gelöst werden.
III. Beschränkungsklauseln als Hybrid zwischen Völkerrecht und innerstaatlichem Recht Ein weiterer Versuch den potenziellen Konflikt zwischen der völkerrechtlichen Pflicht zur vorläufigen Anwendung und der innerstaatlichen Gewaltenteilung aufzulösen sind Beschränkungsklauseln. Diese werden häufig vereinbart und beschränken den Umfang der vorläufigen Anwendung zu Gunsten des innerstaatlichen Rechts.984 Trotz ihrer Gebräuchlichkeit werfen klassische Beschränkungsklauseln eine Reihe von Problemen und Auslegungsfragen auf, was sich am Beispiel von Art. 45 I Energiecharta-Vertrag demonstrieren lässt (1.). In den neueren Freihandelsabkommen der Europäischen Union wird versucht, diese Probleme durch eine stärkere Prozeduralisierung der Beschränkungsklauseln zu lösen (2.). Sind keine Beschränkungsklauseln vereinbart, greifen Staaten in der Praxis manchmal auf einseitige Beschränkungserklärungen zurück (3.). 1. Art. 45 I Energiecharta-Vertrag als Beispiel für selbstausführende Beschränkungsklauseln Art. 45 I Energiecharta-Vertrag („ECV“)985 sieht in seiner verbindlichen deutschen Sprachfassung986 vor, dass der Vertrag durch den Unterzeichnerstaat nur „in dem Maße vorläufig anzuwenden [ist], in dem die vorläufige Anwendung nicht mit seiner Verfassung und seinen Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften unvereinbar ist“.987 Diese Art von Beschränkungsklausel kommt bei Verträgen immer wieder zum Einsatz.988 Bereits Nr. 1 lit. a) des Protokolls zur vorläufigen Anwen984
Siehe zu Beschränkungsklauseln auch Kapitel 2 C.I.2. The Energy Charter Treaty, (Fn. 409), [„ECV“]. 986 Art. 50 ECV. 987 In der gem. Art. 50 ECV ebenfalls verbindlichen englischen Sprachfassung lautet die Formulierung der Beschränkungsklausel: „to the extent that such provisional application is not inconsistent with its constitution, laws or regulations.“ 988 Vgl. z. B. auch Art. 28 lit. b) Agreement on the International Tracing Service, (Fn. 463); Art. 7 II Resolution 48/263: Agreement relating to the implementation of Part XI of the United Nations Convention on the Law of the Sea of 10 December 1982, (Fn. 165). 985
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
dung des allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens989 von 1947 enthielt mit der Formulierung „to the fullest extent not inconsistent with existing legislation“ eine ähnliche Einschränkung. Trotzdem warf Art. 45 I ECV eine Reihe von Auslegungsproblemen auf. Die Auslegung des Artikels durch das Schiedsgericht im Yukos-Verfahren990 unterschied sich sogar so stark von derjenigen des niederländischen Bezirksgerichts, dass letzteres die auf die vorläufige Anwendung gestützte Zuständigkeit des Schiedsgerichts verneinte und den Schiedsspruch aufhob.991 Das Urteil des Bezirksgerichts wiederum wurde seinerseits in der nächsten Instanz vom Berufungsgericht aufgehoben, welches einen dritten Auslegungsansatz wählte.992 Angesichts dieser wendungsreichen Rechtsprechung lohnt es sich, die von Art. 45 I ECV aufgeworfenen Auslegungsfragen näher zu betrachten, da sie die Probleme mit dieser Art von Beschränkungsklausel gut illustrieren. Eine erste Streitfrage in Bezug auf Art. 45 I ECV ist, ob dieser nach dem sog. Alles-oder-nichts-Ansatz (engl. „all-or-nothing approach“), nach dem sog. Stückfür-Stück-Ansatz (engl. „piecemeal approach“) oder gar nach einem dritten Ansatz auszulegen ist (a)). Weiterhin wird diskutiert, ob ein Staat sich nur dann auf die Beschränkungsklausel berufen darf, wenn er zuvor eine entsprechende Erklärung abgegeben hat (b)). Darüber hinaus stellen sich einige Auslegungsfragen in Bezug darauf, welche Eigenschaften das innerstaatliche Recht aufweisen muss, um die vorläufige Anwendung beschränken zu können (c)). Ebenfalls zu klären ist, ob die Beschränkungsklausel reziprok wirkt (d)). Abschließend sollen dann die Konsequenzen der Auslegungsprobleme zusammengefasst werden (e)). a) Alles-oder-nichts-, Stück-für-Stück- oder vermittelnder Ansatz Die Auslegung von Art. 45 I ECV ist nicht zuletzt deshalb heftig umstritten, weil jeder der drei Ansätze unterschiedliche Folgen für das Verhältnis von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht hat (aa)). Allerdings gibt es auch einige Verträge, bei denen der Beschränkungsklausel eindeutig der Stück-für-Stück-Ansatz zu Grunde liegt (bb)).
989 Protocol of Provisional Application of the General Agreement on Tariffs and Trade, (Fn. 449). 990 Für die Zusammenfassung der Auslegungsergebnisse des Schiedsgerichts siehe Permanent Court of Arbitration, Yukos Universal Limited (Isle of Man) v. The Russian Federation, (Fn. 720), Rn. 394. 991 Vgl. The Hague District Court, Yukos, (Fn. 722), Rn. 5.95 – 5.97. 992 Vgl. Court of Appeal of the Hague, Yukos, (Fn. 667), Rn. 4.5.48 – 4.6.1, Rn. 11.
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 187
aa) Folgen für das Verhältnis von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht Die Ausgangsfrage für die Auslegung von Art. 45 I ECV ist, was genau mit dem innerstaatlichen Recht unvereinbar sein muss, damit keine Pflicht zur vorläufigen Anwendung besteht. Das Schiedsgericht in Yukos993 folgte dem sog. Alles-odernichts-Ansatz, demzufolge es nur darauf ankommt, ob der Mechanismus der vorläufigen Anwendung als solcher mit dem innerstaatlichen Recht des Unterzeichnerstaates vereinbar ist.994 Demgegenüber ist nach der Auslegung des niederländischen Bezirksgerichts für jede vorläufig anzuwendende Vertragsbestimmung einzeln zu prüfen, ob sie mit dem innerstaatlichen Recht vereinbar ist.995 Wenn also die Vertragsbestimmungen A und B mit der innerstaatlichen Rechtslage im Einklang stehen, die Vertragsbestimmung C hingegen eine Gesetzesänderung verlangt, wäre die Pflicht zur vorläufigen Anwendung auf A und B beschränkt. Nach dem Stück-fürStück-Ansatz kann die vorläufige Anwendung somit in ihrem Umfang variieren, wohingegen sie nach dem binären Alles-oder-nichts-Ansatz nur entweder ganz oder gar nicht möglich ist.996 Einen dritten Auslegungsansatz vertrat das niederländische Berufungsgericht. Seiner Auffassung nach kommt es für die Vereinbarkeit der vorläufigen Anwendung mit dem innerstaatlichen Recht nicht auf das gesamte innerstaatliche Recht, sondern nur auf dessen Regelungen zur vorläufigen Anwendung an. Entsprechend entfällt die Pflicht zur vorläufigen Anwendung einer Vertragsbestimmung nur, wenn diese zu denjenigen Vertragsbestimmungen oder Arten von Vertragsbestimmungen zählt, für die das innerstaatliche Recht die vorläufige Anwendung ausschließt.997 Im obigen Beispiel würde die Pflicht zur vorläufigen Anwendung von Vertragsbestimmung C folglich nicht bereits deshalb entfallen, weil diese eine Gesetzesänderung verlangt. Vielmehr käme es darauf an, ob die innerstaatlichen Regelungen zur vorläufigen Anwendung diese für Vertragsbestimmungen erlauben, die von den bestehenden Gesetzen abweichen.998 Ihre jeweiligen Ansätze begründeten das Schiedsgericht999, das Bezirksgericht1000 und das Berufungsgericht1001 insbesondere indem sie Art. 45 ECV nach der allge993
Für eingehendere Ausführungen zum Yukos-Verfahren siehe Kapitel 3 A.IV.1.b). Permanent Court of Arbitration, Yukos Universal Limited (Isle of Man) v. The Russian Federation, (Fn. 720), Rn. 311 – 312. 995 The Hague District Court, Yukos, (Fn. 722), Rn. 5.18. 996 Borja Alvarez Sanz, The Yukos Saga Reloaded: Further Developments in the Interplay Between Domestic Legislations and Provisionally Applied Treaties, 49 New York University Journal of International Law and Politics (2017) 587, 594 – 595. 997 Vgl. Court of Appeal of the Hague, Yukos, (Fn. 667), Rn. 4.5.27, Rn. 4.5.33, Rn. 4.5.41. 998 Dies war nach Ansicht des Berufungsgerichts im russischen Recht der Fall, siehe Court of Appeal of the Hague, Yukos, (Fn. 667), Rn. 4.7.19, Rn. 4.7.32. 999 Für die vollständige Argumentation des Schiedsgerichts zu dieser Thematik siehe Permanent Court of Arbitration, Yukos Universal Limited (Isle of Man) v. The Russian Federation, (Fn. 720), Rn. 301 – 329. 994
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
meinen völkerrechtlichen Auslegungsregel1002 auslegten. Interessanter als ihre genaue Argumentation zu dieser konkreten Vertragsbestimmung ist jedoch, was die drei Ansätze für das Verhältnis von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht bedeuten. Nach der in Art. 27 WVK kodifizierten Regel ist innerstaatliches Recht im Völkerrecht grundsätzlich unbeachtlich.1003 Die Regel ist jedoch dispositiv und kann durch eine speziellere Vertragsbestimmung abbedungen werden.1004 Dies wurde auch vom Schiedsgericht in Yukos nicht bestritten.1005 Allerdings befürchtete das Schiedsgericht durch den Stück-für-Stück-Ansatz einen gravierenden Verlust an Rechtssicherheit und Rechtsverbindlichkeit.1006 Der Ansatz würde einen Hybriden aus Völkerrecht und innerstaatlichem Recht erzeugen, bei dem die Reichweite der völkerrechtlichen Pflichten vom jeweiligen innerstaatlichen Recht abhängt.1007 Daher soll nach Ansicht des Schiedsgerichts grundsätzlich eine widerlegbare Vermutung für die Trennung von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht, also zu Gunsten des binären Alles-oder-nichts-Ansatzes, bestehen.1008 Das niederländische Bezirksgericht hingegen ging nicht ausdrücklich auf das Bestehen einer solchen Vermutung ein. Stattdessen folgte es unter anderem deshalb dem Stück-für-Stück-Ansatz, weil die Formulierung „in dem Maße“1009 in Art. 45 I ECV gegen eine binäre Lösung und für eine variierende Reichweite der vorläufigen Anwendung sprach.1010 Das Abweichen von Art. 27 WVK und die damit verbundene Rechtsunsicherheit hielt das Bezirksgericht für unbeachtlich, da sich die Staaten mit Art. 45 I ECV ausdrücklich für eine abweichende vertragliche Gestaltung entschieden hätten.1011 Der Ansatz des niederländischen Berufungsgerichts wiederum liegt zwischen dem Alles-oder-nichts- und dem Stück-für-Stück-Ansatz. Er lässt zwar zu, dass der 1000 Für die vollständige Argumentation des niederländischen Bezirksgerichts zu dieser Thematik siehe The Hague District Court, Yukos, (Fn. 722), Rn. 5.7 – 5.23. 1001 Court of Appeal of the Hague, Yukos, (Fn. 667), Rn. 4.5.9 – 4.5.48. 1002 Nach der allgemeinen Auslegungsregel in Art. 31 I WVK muss ein Vertrag „in accordance with the ordinary meaning to be given to the terms of the treaty in their context and in light of its object and purpose“ ausgelegt werden. 1003 Für nähere Ausführungen siehe Kapitel 4 A.I.3.a). 1004 Gerhard Hafner, The ,Provisional Application‘ of the Energy Charter Treaty, (Fn. 435), 606. 1005 Permanent Court of Arbitration, Yukos Universal Limited (Isle of Man) v. The Russian Federation, (Fn. 720), Rn. 320. 1006 Permanent Court of Arbitration, Yukos Universal Limited (Isle of Man) v. The Russian Federation, (Fn. 720), Rn. 315. 1007 Ibid. 1008 Vgl. Permanent Court of Arbitration, Yukos Universal Limited (Isle of Man) v. The Russian Federation, (Fn. 720), Rn. 320. 1009 In der gem. Art. 50 ECV ebenfalls verbindlichen englischen Sprachfassung lautet die entsprechende Formulierung „to the extent“. 1010 The Hague District Court, Yukos, (Fn. 722), Rn. 5.11 – 5.12. 1011 The Hague District Court, Yukos, (Fn. 722), Rn. 5.19.
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Umfang der vorläufigen Anwendung durch das innerstaatliche Recht bestimmt wird, beschränkt aber den Kreis des maßgeblichen innerstaatlichen Rechts auf die innerstaatlichen Normen, die speziell die vorläufige Anwendung von Verträgen regeln. Dadurch soll es deutlich einfacher werden, den Umfang der vorläufigen Anwendung zu bestimmen und Rechtsunsicherheit zu vermeiden.1012 Bei genauerer Betrachtung führt der Ansatz des Berufungsgerichts jedoch jedenfalls bei Staaten, die dem Ausschlussmodell1013 folgen, also die vorläufige Anwendung eines Vertrages nur unter denselben Voraussetzungen wie seinen Abschluss zulassen, zu keinem anderen Ergebnis als der Stück-für-Stück-Ansatz. Denn in vielen Staaten muss das Parlament insbesondere dann an der Entscheidung über die Ratifikation eines Vertrages beteiligt werden, wenn der Vertrag das innerstaatliche Recht ändert oder ergänzt.1014 Folglich gibt es Staaten, in denen die vorläufige Anwendung nur in dem Umfang erlaubt ist, in dem der vorläufig anzuwendende Vertrag das innerstaatliche Recht weder ändert noch ergänzt.1015 In diesen Fällen muss nach dem Ansatz des Berufungsgerichts für jede vorläufig anzuwendende Vertragsbestimmung einzeln geprüft werden,1016 ob sie das innerstaatliche Recht ändert oder ergänzt. Insofern sind hier sowohl die Vorgehensweise als auch die daraus resultierende Rechtsunsicherheit letztendlich dieselbe wie beim Stück-fürStück-Ansatz. bb) Stück-für-Stück-Ansatz bei Beschränkungsklauseln in anderen Verträgen Vom Standpunkt der Vertragsauslegung aus betrachtet, sind sowohl der Stück-fürStück-Ansatz als auch der Ansatz des Berufungsgerichts plausible Auslegungen der Beschränkungsklausel in Art. 45 I ECV. Anders als der Alles-oder-nichts-Ansatz ermöglichen beide Auslegungen, dass der Umfang der vorläufigen Anwendung von Staat zu Staat variiert, was der gewöhnlichen Bedeutung der Formulierung „in dem 1012
Court of Appeal of the Hague, Yukos, (Fn. 667), vgl. Rn. 4.5.26 – 4.5.27. Für eingehendere Ausführungen zum Ausschlussmodell und Beispiele für Staaten, die ihm folgen, siehe Kapitel 4 A.I.1.a). 1014 Council of Europe/British Institute of International and Comparative Law, Treaty Making – Expression of Consent by States to be Bound by a Treaty, (Fn. 23), 58; Duncan B. Hollis, A Comparative Approach to Treaty Law and Practice, (Fn. 382), 32. 1015 Auch Staaten, die die vorläufige Anwendung abweichend vom Vertragsschluss regeln, sehen manchmal derartige Beschränkungen vor. So dürfen zustimmungsbedürftige Verträge in den Niederlanden nur mit Ausnahme derjenigen Vertragsbestimmungen vorläufig angewendet werden, die im Konflikt mit Gesetzesrecht stehen oder zu einem solchen Konflikt führen. Vgl. Section 15 I, II Kingdom Act, (Fn. 862); für eine englischsprachige Darstellung des Inhalts siehe Permanent Mission of the Kingdom of the Netherlands to the United Nations, Comments in Response to General Assembly Resolution 70/236, (Fn. 556). 1016 Nach dem Ansatz des Berufungsgerichts muss ein Vertrag teilweise vorläufig angewendet werden, wenn das innerstaatliche Recht nur die vorläufige Anwendung bestimmter Vertragsbestimmungen verbietet. Siehe Court of Appeal of the Hague, Yukos, (Fn. 667), Rn. 4.5.33. 1013
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
Maße“1017 entspricht.1018 Gegen den Alles-oder-nichts-Ansatz spricht hingegen, dass er nicht erklären kann, warum neben „Verfassung und […] Gesetzen“ auch die „sonstigen Rechtsvorschriften“1019 in Art. 45 I ECV genannt werden.1020 Schließlich ergibt sich ein Verbot der vorläufigen Anwendung als solcher typischerweise aus dem Verfassungsrecht eines Staates und nicht – oder zumindest nicht ausschließlich – aus untergesetzlichen Rechtsvorschriften.1021 Für die Zwecke der vorliegenden Arbeit kommt es aber eigentlich nicht auf die konkrete Auslegung des Art. 45 I ECV an, da diese Vertragsbestimmung lediglich eines von mehreren Beispielen für eine Beschränkungsklausel darstellt. Betrachtet Beschränkungsklauseln in anderen Verträgen, lässt sich kaum abstreiten, dass diese wie der Stück-für-Stück-Ansatz bei Art. 45 I ECV den Umfang der vorläufigen Anwendung danach bemessen, ob die vorläufige Anwendung einer Vertragsbestimmung das innerstaatliche Recht ändern oder ergänzen würde. Deutlich wird dies z. B. bei Art. 7 II des Übereinkommens zur Umsetzung von Teil XI des Seerechtsübereinkommens1022 und Art. 38 des Internationalen Tropenholzabkommens.1023 Die Beschränkungsklauseln in diesen beiden Artikeln erwähnen anders als Art. 45 I ECV die Verfassung nicht, sondern sprechen nur von „laws and regulations“. Diese Formulierung passt weder zum Ansatz des Berufungsgerichts noch zum Alles-odernichts-Ansatz, nach denen eine Beschränkungsklausel nur auf die innerstaatlichen Regelungen zur vorläufigen Anwendung als solche Bezug nimmt. Schließlich ergeben sich die innerstaatlichen Vorgaben für die vorläufige Anwendung nur in wenigen Staaten aus Gesetzen oder untergesetzlichen Normen, wohingegen Verfassungsauslegung und -praxis meist eine zentrale Rolle spielen.1024 Insofern spricht die Formulierung „laws and regulations“ der genannten Beschränkungsklauseln dafür, dass die vorläufige Anwendung im Sinne des Stück-für-Stück-Ansatzes auf diejenigen Vertragsbestimmungen beschränkt werden soll, die das gesetzliche und untergesetzliche Recht des jeweiligen Staates weder ändern noch ergänzen. Somit gibt es in der Praxis Beispiele für Beschränkungsklauseln die eindeutig dem Stückfür-Stück-Ansatz folgen, wohingegen es – soweit ersichtlich – keine Beispiele für eine eindeutige Wahl des Alles-oder-nichts-Ansatzes gibt. Vielmehr scheint dieser 1017 In der gem. Art. 50 ECV ebenfalls verbindlichen englischen Sprachfassung lautet die entsprechende Formulierung „to the extent“. 1018 Obwohl das Berufungsgericht nicht dem Auslegungsansatz des Bezirksgerichts folgte, stimmte es mit ihm dahingehen überein, dass nach dem Wortlaut des Art. 45 I ECV Abstufungen im Umfang der vorläufigen Anwendung möglich sein müssen, siehe Court of Appeal of the Hague, Yukos, (Fn. 667), 4.5.10, 4.5.13. 1019 In der ebenfalls verbindlichen englischen Sprachfassung lautet die Formulierung „constitution, laws or regulations“. 1020 The Hague District Court, Yukos, (Fn. 722), Rn. 5.13. 1021 Ibid. 1022 Resolution 48/263: Agreement relating to the implementation of Part XI of the United Nations Convention on the Law of the Sea of 10 December 1982, (Fn. 165). 1023 International Tropical Timber Agreement, (Fn. 413). 1024 Für eingehendere Ausführungen und Beispiele siehe Kapitel 4 A.I.1.a).
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zuvor unbekannte Ansatz erstmals im Yukos-Verfahren entwickelt worden zu sein.1025 Entsprechend wurde auch die Beschränkungsklausel in Nr. 1 lit. a) des Protokolls zur vorläufigen Anwendung des allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens von 19471026 im Sinne des Stück-für-Stück-Ansatzes verstanden.1027 Dass jedenfalls manche Beschränkungsklauseln eindeutig dem Stück-für-StückAnsatz folgen, erklärt sich nicht zuletzt durch den Zweck von Beschränkungsklauseln. Wird die vorläufige Anwendung ohne Parlamentsbeteiligung vereinbart, könnte es bei manchen Verträgen vorkommen, dass die völkerrechtlichen Pflichten nicht ohne den Erlass neuer Gesetze erfüllt werden können.1028 Diesem Problem können Beschränkungsklauseln entgegenwirken, wenn sie im Sinne des Stück-fürStück-Ansatzes verstanden werden. Denn sie begrenzen die vorläufige Anwendung auf diejenigen Vertragsbestimmungen, die bereits durch bestehende Gesetze oder von der Exekutive allein erfüllt werden können.1029 Dadurch entsteht ein Ausgleich zwischen den Interessen von Exekutive und Legislative, da der Vertrag zwar im größtmöglichen Umfang schnell angewendet wird, zugleich aber der Kompetenzbereich der Legislative geschützt wird.1030 Somit ist das Abweichen von Art. 27 WVK und dem darin verkörperten Grundsatz, dass innerstaatliches Recht im Völkerrecht grundsätzlich unbeachtlich ist, eine bewusste Entscheidung der Staaten. Sie nehmen die daraus resultierende Rechtsunsicherheit in Kauf, weil die vorläufige Anwendung in der Praxis meist nur eine gewisse Zeit andauert und sie wissen, dass einige Staaten nur wegen der Beschränkungsklauseln überhaupt auf die vorläufige Anwendung zurückgreifen können.1031 Zudem kann die Unklarheit über die Reichweite der völkerrechtlichen Pflichten für einen Staat zunächst sogar ein Vorteil sein. Denn dadurch kann vermieden werden, dass sich ein innerstaatlicher Widerstand gegen die vorläufige Anwendung formiert, was wiederum die Zusammenarbeit mit anderen Staaten erst ermöglicht.1032 Somit haben im Sinne des Stück-für-Stück-Ansatzes verstandene Beschränkungsklauseln einen erkennbaren Nutzen für die Staaten.
1025 Sebastian Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, (Fn. 501), 62. 1026 Protocol of Provisional Application of the General Agreement on Tariffs and Trade, (Fn. 449). 1027 Tomoko Ishikawa, Provisional Application of Treaties at the Crossroads between International and Domestic Law, (Fn. 530), 284. 1028 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 69. 1029 Ibid. 1030 Vgl. Ibid. 1031 Sebastian Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, (Fn. 501), 69. 1032 Alex M. Niebruegge, Provisional Application of the Energy Charter Treaty: The Yukos Arbitration and the Future Place of Provisional Application in International Law, (Fn. 702), 374.
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Demgegenüber ist aus der Sicht der Staaten der Nutzen des Alles-oder-nichtsAnsatzes nicht ohne Weiteres ersichtlich. Das Ziel von Beschränkungsklauseln kann nicht nur darin bestehen, dass eine allgemein verbotene vorläufige Anwendung ausgeschlossen wird. Schließlich könnte die Exekutive dann statt eine Beschränkungsklausel auszuhandeln, schlichtweg auf die vorläufige Anwendung verzichten. Die Exekutive eines Staates könnte mit der Vereinbarung einer Beschränkungsklausel daher nur bezwecken, dass die Pflicht zur vorläufigen Anwendung entfällt, wenn sie im konkreten Fall vom innerstaatlichen Recht verboten war und die Exekutive dies übersehen hat. Für Staaten, die dem Ausschlussmodell folgen, ist die vorläufige Anwendung nur dann verboten, wenn sie einen zustimmungsbedürftigen Vertrag betrifft, zu dem die Zustimmung noch nicht erteilt wurde.1033 Ob das Parlament seine Zustimmung zum Abschluss eines Vertrages bereits erteilt hat, ist jedoch leicht erkennbar. Falsch einschätzen kann die Exekutive daher eigentlich nur die Frage, ob der vorläufig anzuwendende Vertrag überhaupt zustimmungsbedürftig ist. Die Abgrenzung von Exekutivabkommen und zustimmungsbedürftigen Verträgen ist jedoch keine Besonderheit der vorläufigen Anwendung, sondern stets beim Abschluss von Verträgen erforderlich. Entsprechend kann sie nicht der Grund sein, warum bei der vorläufigen Anwendung Beschränkungsklauseln vereinbart werden. Einen wirklichen Nutzen hätte der Alles-oder-nichts-Ansatz daher nur für Staaten, die dem Ausgestaltungsmodell folgen. Sie könnten durch ihn sicherstellen, dass die Einhaltung ihrer innerstaatlichen Regelungen zur vorläufigen Anwendung ausnahmsweise völkerrechtlich relevant wird, selbst wenn ein Verstoß nicht die hohe Schwelle des Art. 46 WVK erreicht. Somit wären Beschränkungsklauseln im Sinne des Alles-oder-nichts-Ansatzes allenfalls für diejenigen Staaten nützlich, die dem Ausgestaltungsmodell folgen. Insofern spricht auch der Umstand, dass Beschränkungsklauseln in der Praxis weit verbreitet sind, gegen den Alles-oder-nichts Ansatz. Schließlich wäre die Üblichkeit von Beschränkungsklauseln schwerer zu erklären, wenn sie bei einer Auslegung nach dem Alles-oder-nichts-Ansatz anders als bei einer Auslegung nach dem Stück-für-Stück-Ansatz nur für diejenigen Staaten einen Nutzen hätten, die dem Ausgestaltungsmodell folgen. Unerklärlich wäre zudem, warum in der Praxis auch Deutschland und anderen Staaten auf die Vereinbarung von Beschränkungsklauseln drängen,1034 obwohl sie dem Ausschlussmodell folgen.1035 Dass es jedenfalls Deutschland bei Beschränkungsklauseln gerade auf den Stück-für-Stück-Ansatz ankommt, wird in seiner Stellungnahme gegenüber der Völkerrechtskommission deutlich. Laut dieser vereinbart Deutschland aus verfassungsrechtlichen Gründen Beschränkungsklauseln, welche die vorläufige Anwendung auf diejenigen Ver1033
Kapitel 4 A.I.1.a). Vgl. Federal Republic of Germany, Information Regarding the „Provisional Application of Treaties“ in the Commission’s Programme of Work, (Fn. 87). 1035 Auch in Deutschland wird die vorläufige Anwendung grundsätzlich dem innerstaatlichen Vertragsschlussverfahren unterworfen, wie in Kapitel 6 noch ausführlich dargelegt werden wird. 1034
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tragsbestimmungen beschränken, mit denen das innerstaatliche Recht bereits vereinbar ist oder für die keine Parlamentszustimmung erforderlich ist.1036 Die beabsichtigte Beschränkung der vorläufigen Anwendung auf diejenigen Vertragsbestimmungen, die durch bereits bestehende Gesetze oder von der Exekutive allein erfüllt werden können, entspricht der oben dargestellten Zielsetzung des Stück-fürStück-Ansatzes. Mit dem Alles-oder-nichts-Ansatz hingegen könnte dieses Ziel nicht erreicht werden, da die vorläufige Anwendung nicht im Umfang beschränkt, sondern nur insgesamt zugelassen oder ausgeschlossen werden kann. Somit ist davon auszugehen, dass Staaten mit der Vereinbarung von Beschränkungsklauseln in der Regel dem Stück-für-Stück-Ansatz folgen wollen, weil dieser ihren praktischen Bedürfnissen besser gerecht wird als der Alles-oder-nichts-Ansatz. Wie eingangs dargelegt wurde, kommt dieser Wille, dem Stück-für-Stück-Ansatz zu folgen, im Wortlaut einiger Beschränkungsklauseln auch deutlicher zum Ausdruck als bei Art. 45 I ECV.1037 Für zukünftige Beschränkungsklauseln kann Staaten allerdings nur geraten werden, ausdrücklich klarzustellen, ob sich die Beschränkungsklausel auf die vorläufige Anwendung als solche oder ihren Umfang beziehen soll.1038 b) Vorherige Erklärung als prozedurale Voraussetzung Eine weitere von Art. 45 I ECV aufgeworfene Auslegungsfrage ist, ob Staaten sich nur auf die Beschränkungsklausel berufen können, wenn sie zuvor eine entsprechende prozedurale Erklärung abgegeben haben. Art. 45 II lit. a) ECV sieht vor, dass ein Staat bei Unterzeichnung die Pflicht zur vorläufigen Anwendung ablehnen und damit vermeiden kann,1039 indem er eine Opt-out-Erklärung abgibt. Manche Stimmen in der Literatur sehen dies als prozedurale Voraussetzung für die Beschränkungsklausel in Art. 45 I ECV und behaupten, dass ein Staat sich nur auf die Beschränkungsklausel berufen kann, wenn er zuvor bei der Unterzeichnung eine entsprechende Erklärung abgeben hat.1040 Die Argumentation hierfür stützt sich vor 1036
Federal Republic of Germany, Comments and Observations by Germany on the Draft Guide to Provisional Application of Treaties, Adopted by the International Law Commission on First Reading, (Fn. 446), Rn. 15. 1037 Wie eingangs eingehender ausgeführt wurde, besteht die Pflicht zur vorläufigen Anwendung z. B. nach Art. 38 des International Tropical Timber Agreement, (Fn. 413) für Staaten nur nach Maßgabe ihrer „laws and regulations“. Dass die Verfassung im Gegensatz zu gesetzlichen und untergesetzlichen Normen nicht erwähnt wird, verdeutlicht, dass die Beschränkung anders als nach dem Alles-oder-nichts-Ansatzes nicht nur eingreifen soll, wenn die vorläufige Anwendung als solche verfassungsrechtlich ausgeschlossen ist. 1038 So auch Danae Azaria, Provisional Application of Treaties, (Fn. 483), 255 – 256. 1039 Eine Ausnahme stellt allerdings Teil VII des Energiecharta-Vertrages dar, da dieser gemäß Art. 45 II lit. c) ECV selbst im Falle einer Erklärung nach Art. 45 II lit. a) ECV vorläufig anzuwenden ist. 1040 Für eine entsprechende Argumentation siehe Mahnoush H. Arsanjani/William Michael Reisman, Provisional Application of Treaties in International Law: The Energy Charter Treaty
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
allem auf den Vertragszweck des Energiecharta-Vertrages. Ohne eine vorherige Erklärung des Staates müssten Investoren selbst prüfen, ob der Staat tatsächlich zur vorläufigen Anwendung verpflichtet ist, was zu Rechtsunsicherheit führen würde und mit dem Ziel, Investitionsanreize zu schaffen, unvereinbar wäre.1041 Dennoch kamen die Schiedsgerichte in Kardassopoulos1042 und Yukos1043 sowie das niederländische Bezirks-1044 und Berufungsgericht1045 allesamt zu dem Schluss, dass ein Staat sich auch ohne eine Erklärung nach Art. 45 II ECV auf die Beschränkungsklausel in Art. 45 I ECV berufen kann. Dabei stützen sie sich überzeugenderweise auf den Wortlaut von Art. 45 II ECV, der mit den Formulierungen „[u]ngeachtet des Absatzes 1“ nicht für, sondern gegen eine Verbindung der beiden Absätze spricht.1046 Auch impliziert das Wort „kann“ in Art. 45 II ECV, dass die Abgabe der Opt-outErklärung freiwillig ist. Dies wäre nur schwer damit vereinbar, wenn eine solche Erklärung abgegeben werden müsste, damit ein Staat sich auf die in Art. 45 I ECV vorgesehene Beschränkungsklausel berufen kann.1047 Insofern überzeugt es nicht, die Beschränkungsklausel von einer vorherigen Erklärung abhängig zu machen. Dies gilt umso mehr, als automatische Wirkungen für Beschränkungsklauseln nicht unüblich sind.1048 Darüber hinaus waren sich Schiedsgericht und Bezirksgericht einig, dass der Rückgriff auf die Beschränkungsklausel in Art. 45 I ECVauch keine sonstige frühere Erklärung voraussetzt.1049 Dabei argumentierten sie zutreffend, dass der Wunsch nach Transparenz zwar während der Verhandlungen eine Rolle gespielt haben mag, sich im Wortlaut der Beschränkungsklausel aber kein Hinweis darauf findet, dass sie
Awards, (Fn. 400), 94 – 97; Matthew Belz, Provisional Application of the Energy Charter Treaty: Kardassopoulos v. Georgia and Improving Provisional Application in Multilateral Treaties, (Fn. 398), 742 – 749. 1041 Mahnoush H. Arsanjani/William Michael Reisman, Provisional Application of Treaties in International Law: The Energy Charter Treaty Awards, (Fn. 400), 94 – 96; Matthew Belz, Provisional Application of the Energy Charter Treaty: Kardassopoulos v. Georgia and Improving Provisional Application in Multilateral Treaties, (Fn. 398), 744 – 746. 1042 International Centre for Settlement of Investment Disputes, Ioannis Kardassopoulos v. Georgia, (Fn. 511), 61 Rn. 228. 1043 Permanent Court of Arbitration, Yukos Universal Limited (Isle of Man) v. The Russian Federation, (Fn. 720), Rn. 262 – 264. 1044 The Hague District Court, Yukos, (Fn. 722), Rn. 5.31. 1045 Court of Appeal of the Hague, Yukos, (Fn. 667), Rn. 4.5.16. 1046 Permanent Court of Arbitration, Yukos Universal Limited (Isle of Man) v. The Russian Federation, (Fn. 720), Rn. 262; Court of Appeal of the Hague, Yukos, (Fn. 667), Rn. 4.5.16. 1047 Permanent Court of Arbitration, Yukos Universal Limited (Isle of Man) v. The Russian Federation, (Fn. 720), Rn. 262; The Hague District Court, Yukos, (Fn. 722), Rn. 5.27. 1048 Permanent Court of Arbitration, Yukos Universal Limited (Isle of Man) v. The Russian Federation, (Fn. 720), Rn. 263. 1049 Permanent Court of Arbitration, Yukos Universal Limited (Isle of Man) v. The Russian Federation, (Fn. 720), Rn. 282 – 283; The Hague District Court, Yukos, (Fn. 722), Rn. 5.28.
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 195
einer prozeduralen Voraussetzung in Gestalt einer Erklärung unterliegt.1050 Wenn einzelne Staaten in der Praxis dennoch Erklärungen abgegeben haben, waren diese somit rein deklaratorisch.1051 c) Maßgebliche Eigenschaften des entgegenstehenden innerstaatlichen Rechts Eine weitere wichtige Auslegungsfrage ist, welche Eigenschaften das innerstaatliche Recht aufweisen muss, um die vorläufige Anwendung beschränken zu können. Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob es einer Verbotsnorm bedarf oder ob bereits das Fehlen einer Erlaubnisnorm genügt (aa)). Zudem ist zu klären, ob innerstaatliche Normen die Reichweite der vorläufigen Anwendung auch dann modifizieren können, wenn sie erst nach deren Auslösung geschaffen wurden (bb)). aa) Verbotsnorm oder Abwesenheit einer Erlaubnisnorm In Kardassopoulos ging das Schiedsgericht davon aus, dass die vorläufige Anwendung zulässig ist, sofern das innerstaatliche Recht sie nicht ausdrücklich verbietet.1052 Demgegenüber war das niederländische Bezirksgericht im Yukos-Fall der Auffassung, dass die vorläufige Anwendung der Streitbeilegungsklausel des Energiecharta-Vertrages voraussetzt, dass eine entsprechende innerstaatliche Rechtsgrundlage existiert.1053 Der Maßstab dafür, was unvereinbar mit dem innerstaatlichen Recht ist, ergibt sich jedoch nicht aus der Beschränkungsklausel, sondern dem innerstaatlichen Recht selbst. Ziel von Beschränkungsklauseln ist es schließlich, einen Konflikt zwischen den beiden Rechtsordnungen zu lösen.1054 Dies ist nur dann sinnvoll möglich, wenn das Wort „unvereinbar“ direkt und vollständig auf das innerstaatliche Recht verweist und diesem auch den Ausgangspunkt für die entsprechende Prüfung entnimmt. Somit richtet sich die Frage, ob es für die Unvereinbarkeit mit dem innerstaatlichen Recht einer Verbotsnorm bedarf oder bereits das Fehlen einer Erlaubnisnorm genügt, nach dem jeweiligen innerstaatlichen Recht.
1050 Permanent Court of Arbitration, Yukos Universal Limited (Isle of Man) v. The Russian Federation, (Fn. 720), Rn. 282 – 283; The Hague District Court, Yukos, (Fn. 722), Rn. 5.28. 1051 Gerhard Hafner, The ,Provisional Application‘ of the Energy Charter Treaty, (Fn. 435), 604. 1052 Vgl. International Centre for Settlement of Investment Disputes, Ioannis Kardassopoulos v. Georgia, (Fn. 511), 65 – 66 Rn. 246. 1053 The Hague District Court, Yukos, (Fn. 722), Rn. 5.33. 1054 Für eingehendere Ausführungen zum Zweck von Beschränkungsklauseln siehe Kapitel 4 A.III.1.a).
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
bb) Einbeziehung neuer Rechtsakte Weiterhin stellt sich bei Art. 45 I ECV die Frage, ob der Umfang der vorläufigen Anwendung auch nach ihrer Vereinbarung noch durch den Erlass neuer Rechtsakte modifiziert werden kann.1055 Die Beschränkungsklausel in Nr. 1 lit. b) des Protokolls zur vorläufigen Anwendung des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens1056 z. B. sprach ausdrücklich nur von der Vereinbarkeit der vorläufigen Anwendung mit „existing legislation“. Art. 45 I ECV hingegen enthält keine solche Einschränkung in zeitlicher Hinsicht, weshalb es naheliegender erscheint, hier keinen statischen, sondern einen dynamischen Verweis auf das innerstaatliche Recht anzunehmen.1057 Durch eine solche Einbeziehung neuer Rechtsnormen wird die Gesetzgebungskompetenz des Parlaments umfassend geschützt, dafür aber die Rechtssicherheit und Rechtsverbindlichkeit auf Völkerrechtsebene reduziert.1058 Das Frustrationsverbot steht einer nachträglichen Änderung des innerstaatlichen Rechts nicht entgegen, da es erst eingreift, wenn seine hohe Schwelle erreicht ist, also der Vertragszweck vereitelt wird.1059 Wenn eine Beschränkungsklausel nachträgliche Rechtsänderungen zulässt, müsste man sie zudem ohnehin als lex specialis zum allgemeinen und dispositiven Frustrationsverbot begreifen. Ein Ausgleich der Interessen des Schuldners mit denen des Gläubigers soll aber durch den Grundsatz von Treu und Glauben, genauer gesagt Estoppel1060 oder das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, hergestellt werden können.1061 Laut einem Autor ergibt sich aus diesen, dass neue Rechtsakte der Legislative zulässig sind, nicht aber solche der Exekutive.1062 Begründet wird dies damit, dass die Exekutive sich mit der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung zwar in ihrem Zuständigkeitsbereich binden möchte, sie einen entsprechenden Vertrauenstatbestand für den Zuständigkeitsbereich der Legislative hingegen gerade vermeiden will.1063
1055 Sebastian Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, (Fn. 501), 70 – 71. 1056 Protocol of Provisional Application of the General Agreement on Tariffs and Trade, (Fn. 449). 1057 Sebastian Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, (Fn. 501), 71. 1058 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 111 – 112. 1059 Sebastian Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, (Fn. 501), 72. 1060 Für eingehendere Ausführungen zu Estoppel siehe Kapitel 1 A.III.2.a). 1061 Gerhard Hafner, The ,Provisional Application‘ of the Energy Charter Treaty, (Fn. 435), 604. 1062 So Sebastian Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, (Fn. 501), 73 – 76. 1063 Ibid.
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 197
Ein solcher Versuch, den dynamischen Verweis auf das innerstaatliche Recht unter Rückgriff auf den Grundsatz von Treu und Glauben wieder einzuschränken, kann jedoch nicht überzeugen. Nach Art. 45 I ECV ist der Vertrag durch einen Unterzeichnerstaat nur „in dem Maße vorläufig anzuwenden, in dem die vorläufige Anwendung nicht mit seiner Verfassung und seinen Gesetzen und sonstigen Rechtsvorschriften unvereinbar ist“. Dabei werden mit den „sonstigen Rechtsvorschriften“ die Rechtsakte der Exekutive in genau derselben Weise genannt wie Gesetze und die Verfassung. Anhaltspunkte dafür, dass die verschiedenen Rechtsvorschriften unterschiedlich behandelt werden sollen, gibt es nicht. Wenn die Beschränkungsklausel in Art. 45 I ECV einen dynamischen Verweis auf das innerstaatliche Recht enthält, muss dieser daher unterschiedslos für alle Arten von Rechtsvorschriften gelten. Entsprechend wurde von den Staaten also vereinbart, dass auch Rechtsakte der Exekutive nachträglich erlassen werden können. Folglich ist es nicht treuwidrig, wenn die Exekutive den Umfang der vorläufigen Anwendung durch den nachträglichen Erlass von Rechtsakten modifiziert. Somit kommt es für die Frage, ob der Umfang der vorläufigen Anwendung im Nachhinein modifiziert werden kann, nur darauf an, ob die Beschränkungsklausel einen statischen oder einen dynamischen Verweis auf das innerstaatliche Recht enthält. d) Reziprozität und der Grundsatz von Treu und Glauben Wie sich gezeigt hat, befreit die Beschränkungsklausel in Art. 45 I ECV Staaten in einem von ihrem jeweiligen innerstaatlichen Recht abhängigen Ausmaß von der Pflicht zur vorläufigen Anwendung. Dadurch führen Beschränkungsklauseln zunächst einmal zu einer ungleichen Bindung der Staaten.1064 Dies ist bemerkenswert, da ein Vertrag eigentlich ein sorgsam ausgehandeltes Geflecht aus wechselseitigen Rechten und Pflichten enthält. Vor diesem Hintergrund wäre es denkbar, dass Beschränkungsklauseln reziprok wirken, sich ein Staat in der Beziehung zu einem anderen Staat also auch auf dessen innerstaatliches Recht berufen könnte.1065 Dem erteilte das Schiedsgericht in Kardassopoulos jedoch eine Absage, da die Eigenständigkeit der jeweiligen innerstaatlichen Rechtsordnungen gegen eine solche wechselseitige Beziehung spricht.1066 Im Yukos-Verfahren wurde das Prinzip der Reziprozität daher nur als Argument für das Erfordernis einer vorherigen prozeduralen Erklärung vorgebracht. Das Unternehmen Yukos argumentierte, dass eine solche Erklärung die Reziprozität si1064
Sebastian Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, (Fn. 501), 65. 1065 Ibid. 1066 Vgl. International Centre for Settlement of Investment Disputes, Ioannis Kardassopoulos v. Georgia, (Fn. 511), 60 Rn. 225 – 226.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
cherstellen würde, da sie nach Art. 45 II lit. b) ECV neben den Pflichten auch die Rechte aus der vorläufigen Anwendung entfallen lasse.1067 Das niederländische Bezirksgericht folgte dieser Argumentation jedoch nicht und stellte vielmehr fest, dass Art. 45 I ECV nicht auf absolute Reziprozität angelegt ist.1068 Damit setzte sich in dieser Entscheidung die russische Position durch, der zufolge die Idee einer reziproken Ausgestaltung von Art. 45 I ECV schon während der Vertragsverhandlungen als weder wünschenswert noch möglich verworfen wurde und für die vorläufige Anwendung ohnehin untypisch wäre.1069 Das Ergebnis, dass Staaten sich für die Beschränkung der vorläufigen Anwendung nur auf ihr eigenes Recht und nicht dasjenige der anderen Seite berufen können, überzeugt. Denn Beschränkungsklauseln schränken die vorläufige Anwendung nur ein, um Konflikte mit der jeweiligen Rechtsordnung zu vermeiden.1070 Insofern ist es nicht erforderlich, dass Staaten sich auch auf das innerstaatliche Recht anderer Staaten berufen können, welches ihnen meist auch nicht im Detail bekannt sein dürfte. Allerdings stellt sich im Zusammenhang mit der Reziprozität auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen Staaten, für die der Vertrag bereits in Kraft getreten ist und Staaten, die den Vertrag noch vorläufig anwenden. Hier argumentiert ein Autor, dass sich in diesem Verhältnis beide Staaten auf die Beschränkungsklausel in Art. 45 I ECV berufen können.1071 Die Hauptargumente hierfür sind, neben einem Vergleich mit dem reziproken Vorbehaltsregime, dass anderenfalls kein Anreiz zur Ratifikation bestünde und der Energiecharta-Vertrag grundsätzlich auch auf eine gleiche Bindung der Staaten angelegt ist.1072 Der Hinweis darauf, dass im Vertrag eine grundsätzlich gleiche Bindung angelegt ist, kann jedoch nicht überzeugen, da der Inhalt des in Kraft getretenen Vertrages vom Inhalt der vorläufigen Anwendung unterschieden werden muss. Die nur teilweise vorläufige Anwendung eines Vertrages – und dabei handelt es sich bei Beschränkungsklauseln letztendlich – ist schließlich naturgemäß nicht identisch mit dem gesamten Vertragsinhalt. Entsprechend kann eine teilweise vorläufige Anwendung auch die Struktur der wechselseitigen Rechte und Pflichten verändern. Der Vergleich mit dem Vorbehaltsregime wiederum ist insofern problematisch, als Art. 46 ECV Vorbehalte ausdrücklich ausschließt. Dies zeigt, dass für Vertragsparteien der 1067 Vgl. Permanent Court of Arbitration, Yukos Universal Limited (Isle of Man) v. The Russian Federation, (Fn. 720), Rn. 255. 1068 The Hague District Court, Yukos, (Fn. 722), Rn. 5.28. 1069 Vgl. Permanent Court of Arbitration, Yukos Universal Limited (Isle of Man) v. The Russian Federation, (Fn. 720), Rn. 254. 1070 Für eingehendere Ausführungen zum Zweck von Beschränkungsklauseln siehe Kapitel 4 A.III.1.a). 1071 Sebastian Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, (Fn. 501), 79 – 81. 1072 Ibid.
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 199
Energiecharta-Vertrag vollständig und ohne Beschränkungen gelten soll. Die Beschränkungsklausel in Art. 45 I WVK bezieht sich demgegenüber nach ihrem Wortlaut ausdrücklich nur auf die Pflichten eines Staates, der den Vertrag vorläufig anwendet. Dass die unterschiedliche Behandlung von Vertragsparteien und Staaten, die den Vertrag vorläufig anwenden, einen möglichen Anreiz zur Nichtratifikation schafft, ist bedauerlich, aber in der Konstruktion des Vertrages und der Beschränkungsklausel angelegt. Möglicherweise gingen die Verhandlungsführer davon aus, dass die im Vergleich zur vorläufigen Anwendung erheblich höhere Rechtssicherheit mehr Investoren anlocken und dadurch einen ausreichenden Anreiz zur Ratifikation des Investitionsschutzabkommen bieten würde. Ein Ansatz, um das Problem der ungleichen Bindungen zu lösen, ist abermals der Rückgriff auf den Grundsatz von Treu und Glauben. Es wird argumentiert, dass ein Staat nicht einerseits Rechte aus der vorläufigen Anwendung einfordern und andererseits die Erfüllung der eigenen Pflichten aus dieser verweigern könne.1073 Dies verkennt jedoch, dass Beschränkungsklauseln ein solches Verhalten erlauben. Wenn sich beide Staaten auf Beschränkungsklauseln berufen können, führt dies auch nicht zwingend zu großen Ungleichheiten. Schließlich entfallen für beide Staaten Pflichten aus der vorläufigen Anwendung, nur eben nicht notwendigerweise dieselben. Da Beschränkungsklauseln als spezielle Vereinbarungen nicht ohne Weiteres unterlaufen werden dürfen, ist der Rückgriff auf Treu und Glauben nur möglich, wenn besondere Umstände hinzutreten. Das Schiedsgericht in Yukos scheint dies ähnlich gesehen zu haben. Es stellte fest, dass Russland nie den eindeutigen Eindruck erweckt habe, nicht auf die Beschränkungsklausel zurückgreifen zu wollen und daher nicht durch Treu und Glauben gehindert sei, sich auf diese zu berufen.1074 Somit verhindern weder Reziprozitätserwägungen noch der Grundsatz von Treu und Glauben, dass ein Staat im Zuge der vorläufigen Anwendung Rechte genießt, ohne zugleich an die korrespondierenden Pflichten gebunden zu sein. Vielmehr liegt dies in der Natur der Beschränkungsklauseln, die lediglich einen Konflikt mit dem innerstaatlichen Recht vermeiden sollen und daher den Umfang der vorläufigen Anwendung individuell auf den jeweiligen Staat zuschneiden. e) Geschwächte Verbindlichkeit, Rechtsunsicherheit und ungleiche Bindungen Wie sich gezeigt hat, wirft Art. 45 I ECV eine Reihe von Auslegungsproblemen auf, obwohl er für eine Beschränkungsklausel nicht untypisch ist. Betrachtet man die einzelnen Auslegungsfragen genauer, scheinen sie nicht durch Unklarheiten im Wortlaut des Art. 45 I ECV entstanden zu sein. Vielmehr wird versucht, einige der 1073 Alex M. Niebruegge, Provisional Application of the Energy Charter Treaty: The Yukos Arbitration and the Future Place of Provisional Application in International Law, (Fn. 702), 370 – 371. 1074 Permanent Court of Arbitration, Yukos Universal Limited (Isle of Man) v. The Russian Federation, (Fn. 720), Rn. 288.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
grundlegenden Probleme zu beheben, die durch Beschränkungsklauseln entstehen. Dies zeigt sich auch daran, dass einzelne Fragen immer wieder auftauchen. Wiederkehrende Argumentationsmuster sind die Befürchtungen, dass Rechtsverbindlichkeit und Rechtssicherheit geschwächt werden oder, dass für die Staaten ungleiche völkerrechtliche Bindungen entstehen. Die Versuche, diese Probleme im Rahmen einer Auslegung des Art. 45 I ECV zu lösen, sind jedoch im Kardassopoulos- und Yukos-Verfahren gescheitert. Dies dürfte nicht zuletzt daran gelegen haben, dass die entsprechenden Auslegungsvorschläge für die Beschränkungsklausel nicht überzeugen können, weil der Wortlaut und die Vertragssystematik gegen sie sprechen. Dabei konnten sich auch diejenigen Argumentationen nicht durchsetzen, die auf Besonderheiten des Energiecharta-Vertrages, wie z. B. der Opt-out-Möglichkeit in Art. 45 II ECV oder dem Zweck des konkreten Vertrages, beruhten. Im Ergebnis wurde Art. 45 I ECV somit nicht als Sonderfall, sondern eher als typische Beschränkungsklausel ausgelegt. Die an seinem Beispiel aufgezeigten Probleme sind daher repräsentativ für Beschränkungsklauseln im Allgemeinen. Diese Probleme werden von den Staaten in Kauf genommen, weil die vorläufige Anwendung typischerweise nur ein Zwischenstadium darstellt und sie wissen, dass manche Staaten sich ohne Beschränkungsklauseln nicht an der vorläufigen Anwendung beteiligen könnten.1075 Auch im Falle des Energiecharta-Vertrages entschieden sich die Staaten für die von Art. 45 I ECV geschaffene Flexibilität, um zu erreichen, dass möglichst viele Staaten den Vertrag vorläufig anwenden.1076 Dies bedeutet allerdings nicht, dass eine geschwächte Rechtsverbindlichkeit und ungleiche Bindung kein Problem darstellen würden. Die vorläufige Anwendung soll eigentlich einen Anreiz zur Ratifikation darstellen.1077 Denn im Gegensatz zur bloßen Unterzeichnung, die dem Unterzeichner vor allem Vorteile verschafft,1078 erhält ein Staat bei vorläufiger Anwendung zwar die Rechte aus dem Vertrag, nimmt dafür aber bereits auch die Pflichten einer Partei auf sich.1079 Dieser Anreiz zur Ratifikation verkehrt sich jedoch ins Gegenteil, wenn ein Staat während der vorläufigen Anwendung zwar die Rechte genießen kann, durch die Beschränkungsklausel aber vor den korrespondierenden Pflichten geschützt wird.1080 Insofern ist es wenig überraschend, dass Russland von 1994 bis 2007 im vorteilhaften Stadium der vorläufigen 1075
Sebastian Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, (Fn. 501), 67. 1076 Permanent Court of Arbitration, Yukos Universal Limited (Isle of Man) v. The Russian Federation, (Fn. 720), Rn. 285. 1077 Alex M. Niebruegge, Provisional Application of the Energy Charter Treaty: The Yukos Arbitration and the Future Place of Provisional Application in International Law, (Fn. 702), 359. 1078 Zur rechtlichen und politischen Bedeutung der Unterzeichnung siehe Einleitung A.I.2. 1079 Fenghua Li, The Yukos Cases and the Provisional Application of the Energy Charter Treaty, 6 Cambridge International Law Journal (2017) 75, 85. 1080 Alex M. Niebruegge, Provisional Application of the Energy Charter Treaty: The Yukos Arbitration and the Future Place of Provisional Application in International Law, (Fn. 702), 374.
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 201
Anwendung verharrte, bevor es diese beendete und sich vom Vertrag abwandte.1081 Angesichts dieser Problematik sind Staaten daran interessiert, die Konstruktionsfehler des Art. 45 I ECV nicht in anderen Beschränkungsklauseln zu wiederholen. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, näher zu untersuchen, wie Beschränkungsklauseln in neueren Verträgen ausgestaltet wurden. 2. Prozeduralisierte Beschränkungsklauseln in neueren Freihandelsabkommen Neuere Freihandelsabkommen der Europäischen Union enthalten einen neuen Typ von Beschränkungsklauseln. Der Grundtypus findet sich z. B. in Art. 15.10 V lit. b) des Freihandelsabkommens zwischen der Union und Südkorea1082 oder in Art. 17.12 IV lit. b) des geplanten Freihandelsabkommens zwischen der Union und Singapur.1083 Dabei wird anders als bei klassischen Beschränkungsklauseln wie z. B. Art. 45 I ECV der Umfang der vorläufigen Anwendung nicht automatisch, sondern mittels eines Verfahrens aus Notifikation und Einspruch beschränkt. Daher soll im Folgenden begrifflich zwischen selbstausführenden und prozeduralisierten Beschränkungsklauseln unterschieden werden. Die prozeduralisierten Beschränkungsklauseln1084 sehen grundsätzlich das folgende Verfahren vor: Diejenige Partei1085, die einzelne Vertragsbestimmungen nicht vorläufig anwenden kann, notifiziert der anderen Partei diese Bestimmungen. Erhebt diese dann nicht innerhalb von 10 Tagen einen Einwand, wird der Vertrag mit Ausnahme der benannten Bestimmungen vorläufig angewendet. Was genau die Rechtsfolge eines solchen Einwands ist, wird allerdings nicht näher geregelt. Insofern ist es zu begrüßen, dass Art. 30.7 III lit. b) CETA1086 das System aus Notifikation und Einwand weiter ausgestaltet. Es wird klargestellt, dass der Einwand dazu führt, dass der Vertrag nicht vorläufig angewendet wird. Alternativ zum Einwand hat eine Partei nun jedoch die Möglichkeit, ihrerseits der anderen Partei gleichwertige Bestimmungen zu notifizieren. Daraufhin hat die andere Partei ihrerseits die Möglichkeit die vorläufige Anwendung durch einen Einwand abzuleh1081 Für das Datum der gemäß Art. 45 I ECV die vorläufige Anwendung auslösenden Unterzeichnung des Energiecharta-Vertrages durch Russland und das Datum der Beendigung siehe die offizielle Website des Energiecharta-Vertrages, online: https://energycharter.org/whowe-are/members-observers/countries/russian-federation/ (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 1082 Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits, (Fn. 408). 1083 Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Republik Singapur, (Fn. 477). 1084 Vgl. z. B. Art. 15.10 V lit. b) Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits, (Fn. 408). 1085 Wie in den entsprechenden Abkommen wird im Folgenden der Begriff „Partei“ verwendet werden. 1086 Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) Between Canada, of the One Part, and the European Union [and its Member States], of the Other Part, (Fn. 407).
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
nen. Der Zeitraum in dem eine Partei einen Einwand gegen eine Notifikation erheben kann, ist in Art. 30.7 III lit. b) CETA mit 30 Tagen auch großzügiger bemessen als in der Vorgängerversion der Beschränkungsklausel.1087 Neu ist zudem, dass die Parteien im Falle einer Notifikation zeitnah eine Konsultation anbieten sollen. In Reaktion auf das Auslegungsproblem bei Art. 45 I ECV ist bei prozeduralisierten Beschränkungsklauseln wie Art. 30.7 III lit. b) CETA deutlich erkennbar, dass es um die vorläufige Anwendung einzelner Vertragsbestimmungen geht, also kein Alles-oder-nichts-, sondern ein Stück-für-Stück-Ansatz1088 verfolgt wird.1089 Diese neue Art der Beschränkungsklausel scheint einen Versuch darzustellen, die Schwachstellen der selbstausführenden Beschränkungsklauseln zu beheben. Indem in einer Erklärung klar benannt werden muss, welche Bestimmungen von der vorläufigen Anwendung ausgenommen sind, wird das Entstehen von Rechtsunsicherheit verhindert. Durch die Möglichkeit der anderen Partei einen Einwand zu erheben, kann eine Partei die Reichweite seiner Pflicht zur vorläufigen Anwendung nicht mehr einseitig modifizieren. Vielmehr muss die andere Partei zustimmen, indem sie keinen Einwand erhebt oder eigene auszunehmende Vertragsbestimmungen benennt. Die Benennung gleichwertiger Vertragsbestimmungen durch die andere Partei verhindert auch, dass ungleiche Bindungen entstehen. Somit dürfte die Konstruktion von Art. 30.7 III lit. b) CETA die zentralen drei Probleme der früheren Beschränkungsklauseln beheben. Allerdings sinkt im Gegenzug der Schutz für die innerstaatliche Gewaltenteilung.1090 Die selbstausführenden Beschränkungsklauseln haben durch den vollständigen Verweis auf die interne Rechtsordnung den Inhalt der vorläufigen Anwendung optimal auf diese zugeschnitten und können theoretisch jeglichen Konflikt zwischen den Rechtsordnungen vermeiden. Bei den prozeduralisierten Beschränkungsklauseln hingegen wird der Konflikt zwischen den Rechtsordnungen nur vermieden, wenn es einer Partei wirklich gelingt alle potenziell mit ihrer Rechtsordnung im Konflikt stehenden Vertragsbestimmungen im Vorfeld zu identifizieren und der anderen Seite zu notifizieren. Bei komplexen Verträgen wie Freihandelsabkommen ist durchaus denkbar, dass es nicht gelingt, alle betroffenen Vertragsbestimmungen zu identifizieren und von der vorläufigen Anwendung auszunehmen. Dass somit jede Seite selbst das Risiko trägt, die mit ihrer internen Rechtsordnung unvereinbaren Vertragsbestimmungen ausdrücklich von der vorläufigen Anwendung 1087 In früheren Abkommen betrug die Frist lediglich 10 Tage, vgl. z. B. Art. 15.10 V lit. b) Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits, (Fn. 408). 1088 Für eingehendere Ausführungen zum Stückwerk-Ansatz siehe Kapitel 4 A.III.1.a). 1089 Luca Pantaleo, The Provisional Application of CETA: Selected Issues, (Fn. 541), 65 – 66. 1090 Dies betrifft vor allem den Vertragspartner der Union. Auf Seite der Union dürfte es vor allem darum gehen, Vertragsbestimmungen von der vorläufigen Anwendung auszunehmen, die in der Kompetenz der Mitgliedstaaten liegen. Für eingehendere Ausführungen zur vorläufigen Anwendung von Verträgen durch die Union siehe Kapitel 8.
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 203
auszunehmen, mag aus völkerrechtlicher Perspektive sachgerecht sein. Schließlich wird dadurch der ansonsten im Völkerrecht vorherrschende Grundsatz1091 wiederhergestellt, dass der Rechtsanwender die Reichweite völkerrechtlicher Pflichten ohne Rückgriff auf internes Recht der Parteien bestimmen kann. Aus Sicht der internen Rechtsordnung hingegen können prozeduralisierte Beschränkungsklauseln nicht im selben Maße wie selbstausführende Beschränkungsklauseln verhindern, dass völkerrechtliche Pflichten entstehen, die unter Verstoß gegen – möglicherweise sogar grundlegende – Vorschriften des internen Rechts zu Stande kamen. Insofern bietet sich der Rückgriff auf prozeduralisierte Beschränkungsklauseln nur an, wenn die aus Sicht des internen Rechts problematischen Vertragsbestimmungen mit hinreichender Sicherheit vollständig identifiziert und benannt werden können. Somit sind auch die prozeduralisierten Beschränkungsklauseln in den neueren Freihandelsabkommen der Union für sich allein genommen noch kein optimaler Lösungsansatz für das Spannungsverhältnis zwischen der vorläufigen Anwendung und der innerstaatlichen Gewaltenteilung. 3. Einseitige Beschränkungserklärungen Manche Vereinbarungen über die vorläufige Anwendung eines Vertrages enthalten keine Beschränkungsklauseln. In diesen Fällen kommt es vor, dass Staaten eine einseitige Beschränkungserklärung abgeben, wenn sie den die vorläufige Anwendung auslösenden Akt vornehmen.1092 Ein Beispiel hierfür sind die Erklärungen, durch die Staaten das Übereinkommen über die Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen von 19861093 im Einklang mit dessen Art. 15 für vorläufig anwendbar erklärten. Die DDR, die Niederlande und Polen nahmen in ihrer entsprechenden Erklärung einzelne, ausdrücklich benannte Vertragsbestimmungen von der vorläufigen Anwendung aus.1094 Dieses Vorgehen ist vergleichbar mit den modernen Beschränkungsklauseln in den Freihandelsabkommen der Union, bei denen ebenfalls der Ausschluss einzelner Bestimmungen von der vorläufigen Anwendung notifiziert wird. Die Bundesrepublik Deutschland, das Vereinigte Königreich und Griechenland wiederum erklärten das Übereinkommen über die Hilfeleistung bei nuklearen Unfällen nur insoweit für vorläufig anwendbar, als es mit ihrem jeweiligen innerstaatlichen
1091
Für eingehendere Ausführungen zur grundsätzlichen Irrelevanz innerstaatlichen Rechts im Völkerrecht siehe Kapitel 4 A.I.3. 1092 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 102. 1093 Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency, (Fn. 403). 1094 Für die bei Unterzeichnung abgegebenen Erklärungen der Deutschen Demokratischen Republik, der Niederlande und Polens siehe Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency, (Fn. 403), 204, 213, 216.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
Recht vereinbar ist.1095 Dies entspricht von der Formulierung her den klassischen Beschränkungsklauseln wie z. B. Art. 45 I ECV. Der Inhalt der einseitigen Beschränkungserklärungen ähnelt folglich dem von Beschränkungsklauseln. Anders als diese sind sie allerdings nicht schon Bestandteil der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung, sondern beruhen auf einem einseitigen Akt. Dennoch wird ihre völkerrechtliche Wirksamkeit soweit ersichtlich weder in der Praxis noch in der Literatur in Zweifel gezogen. Vielmehr wird das Recht, die vorläufige Anwendung im Rahmen einer Opt-in-Erklärung von ihrer Vereinbarkeit mit innerstaatlichem Recht abhängig zu machen, sogar für selbstverständlich gehalten.1096 Gleichwohl erscheint es sinnvoll, sich über die dogmatische Einordnung solcher einseitigen Beschränkungserklärungen Gedanken zu machen, zumal dies in der rechtswissenschaftlichen Literatur bislang so gut wie nicht geschehen ist.1097 In der wenigen verfügbaren Literatur werden einseitige Beschränkungserklärungen mit Vorbehalten gegen Verträge verglichen1098 oder gleich als solche behandelt,1099 da sie den Inhalt der völkerrechtlichen Pflicht zur vorläufigen Anwendung modifizieren. Auf den ersten Blick erscheint es in der Tat denkbar, einseitige Beschränkungsklauseln mit Michie1100 als Vorbehalte zu qualifizieren. Indem ein Staat bei Unterzeichnung oder Ratifikation eines Vertrages einen Vorbehalt anbringt, kann er den Vertragsinhalt im Verhältnis zu denjenigen Staaten modifizieren, die keinen Einspruch gegen den Vorbehalt einlegen.1101 Abgesehen von dem Unterschied, dass Vorbehalte sich auf Verträge nach deren Inkrafttreten beziehen, erfüllen einseitige Beschränkungsklauseln dieselbe Funktion.1102 Dieser Unterschied wiederum ist für sich genommen nicht entscheidend. Schließlich hat der Sonderberichterstatter der Völkerrechtskommission inzwischen die Auffassung vertreten, dass das Vorbehaltsregime grundsätzlich mutatis mutandis auf die vorläufige An-
1095 Für die bei Unterzeichnung abgegebenen Erklärungen der Bundesrepublik Deutschland, des Vereinigten Königreichs und Griechenlands siehe Convention on Assistance in the Case of a Nuclear Accident or Radiological Emergency, (Fn. 403), 205, 220. 1096 René Lefeber, The Provisional Application of Treaties, (Fn. 398), 88 – 89. 1097 Eine dogmatische Einordnung scheint bislang nur Michie vorzunehmen, wenn er einseitige Beschränkungserklärungen als Vorbehalte in Bezug auf die vorläufige Anwendung bezeichnet, siehe Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties with Special Reference to Arms Control, Disarmament and Non-Proliferation Instruments, (Fn. 396), 76. 1098 Siehe Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 98 – 99. 1099 Siehe Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties with Special Reference to Arms Control, Disarmament and Non-Proliferation Instruments, (Fn. 396), 76. 1100 Ibid. 1101 Für die Regelungen der Wiener Vertragsrechtskonvention zu Vorbehalten siehe Art. 19 – 23 WVK. 1102 Vgl. Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 97 – 98.
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 205
wendung anwendbar ist.1103 Allerdings folgt aus der entsprechenden Anwendbarkeit des Vorbehaltsregimes noch nicht, dass es sich bei einseitigen Beschränkungserklärungen wirklich um Vorbehalte handelt. Während selbstausführende Beschränkungsklauseln sich theoretisch auf den gesamten Vertrag beziehen können, betreffen Vorbehalte typischerweise nur einzelne Vertragsbestimmungen.1104 Dabei bringt die in Art. 19 lit. c) WVK kodifizierte Regel zum Ausdruck, dass Vorbehalte nicht mit Ziel und Zweck eines Vertrages unvereinbar sein dürfen.1105 Pauschale Verweise auf die innerstaatliche Rechtsordnung können hiermit unvereinbar sein, da ihre genauen Auswirkungen auf den Vertragsinhalt so unklar sind, dass sich ihre Vereinbarkeit mit Ziel und Zweck des Vertrages nicht feststellen lässt.1106 Zumindest Beschränkungserklärungen, welche die vorläufige Anwendung pauschal auf den Umfang beschränken, der mit der jeweiligen innerstaatlichen Rechtsordnung vereinbar ist, wären vor diesem Hintergrund problematisch. Zudem spricht gegen die Gleichsetzung von Beschränkungsklauseln und Vorbehalten, dass Beschränkungserklärungen auch schon in Fällen widerspruchslos hingenommen wurden, in denen Vorbehalte vom Vertrag ausdrücklich ausgeschlossen wurden.1107 Beide Argumente lassen sich allerdings dadurch entkräften, dass das Vorbehaltsregime nicht direkt, sondern – auch nach Auffassung des Sonderberichterstatters der Völkerrechtskommission1108 – nur mutatis mutandis anzuwenden ist. Bei Vorbehalten wird die Vereinbarkeit mit Ziel und Zweck nur deshalb geprüft, weil Vorbehalte zwar die Anzahl der Vertragsparteien erhöhen sollen, dafür aber nicht der Vertragszweck geopfert werden soll.1109 Im Unterschied hierzu werden bei der vorläufigen Anwendung in der Praxis häufig unklare und weitreichende Beschränkungsklauseln vereinbart. Staaten nehmen hier derartige Einschränkungen in Kauf,
1103
Völkerrechtskommission, Fourth Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 659), 8 Rn. 36 – 37; für die von einigen Staaten geäußerte Kritik siehe Völkerrechtskommission, Sixth Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 527), 25 Rn. 93 – 94. 1104 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 98. 1105 Vgl. Internationaler Gerichtshof, Reservations to the Convention on Genocide, (Fn. 35), 24. 1106 Für eine ausführliche Darstellung dieser Thematik siehe Alain Pellet, Art. 19 VCLT, in: Corten, Olivier/Klein, Pierre, The Vienna Conventions on the Law of Treaties (2011), 457 – 450 Rn. 129 – 135. 1107 Vgl. Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties with Special Reference to Arms Control, Disarmament and Non-Proliferation Instruments, (Fn. 396), 76. 1108 Völkerrechtskommission, Fourth Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 659), 8 Rn. 36 – 37. 1109 Internationaler Gerichtshof, Reservations to the Convention on Genocide, (Fn. 35), 24.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
weil sie die vorläufige Anwendung nur als temporäres Zwischenstadium sehen und wissen, dass sich viele Staaten anderenfalls nicht an ihr beteiligen können.1110 Aus demselben Grund soll ein Ausschluss der regulären Vorbehalte nach dem Willen der Verhandlungsstaaten keine Beschränkungserklärungen in Bezug auf die vorläufige Anwendung umfassen. Der Ausschluss von Vorbehalten soll die Integrität des Vertrages schützen. Dieser wird bei der vorläufigen Anwendung jedoch typischerweise weniger Gewicht beigemessen, wie die Möglichkeit zur teilweisen vorläufigen Anwendung und die ausgeprägte Praxis von Beschränkungsklauseln und -erklärungen zeigen. Somit lag Michie mit seiner intuitiven Einschätzung richtig,1111 dass einseitige Beschränkungserklärungen als Vorbehalte qualifiziert werden können. Dennoch scheinen manche Stimmen in der Literatur zumindest implizit zwischen Vorbehalten und einseitigen Beschränkungserklärungen zu differenzieren.1112 In diesem Fall wäre denkbar, dass man die in der Praxis anerkannten Beschränkungserklärungen jedenfalls als vorbehaltsähnliches Rechtsinstitut sui generis betrachtet. Letztendlich würde man ihre Zulässigkeit dann trotzdem ähnlich beurteilen wie diejenige von Vorbehalten. Schließlich hatte der Internationale Gerichtshof die Zulässigkeit von Vorbehalten daraus abgeleitet, dass bei multilateralen Verträgen ein Bedürfnis nach Flexibilität besteht und das Fehlen einer sie ausdrücklich zulassenden Vertragsbestimmung nicht als Ablehnung gedeutet werden kann.1113 Auf diese Erwägungen und die entsprechende Praxis lässt sich auch die Zulässigkeit von Beschränkungserklärungen stützen. Allerdings stellt sich die in der rechtswissenschaftlichen Literatur bislang nicht erörterte Frage, ob einseitige Beschränkungserklärungen zulässig sind, wenn die Vereinbarung zur vorläufigen Anwendung bereits eine Beschränkungsklausel enthält. So hat z. B. Japan beim Internationalen Kakao-Übereinkommen eine Beschränkungserklärung formuliert, die über die Beschränkungsklausel des Übereinkommens hinausging.1114 Denn während die Pflicht zur vorläufigen Anwendung nach dem Übereinkommen durch das innerstaatliche Recht beschränkt werden
1110
Sebastian Pritzkow, Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der EU und Russland im Energiesektor, (Fn. 501), 69. 1111 Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties with Special Reference to Arms Control, Disarmament and Non-Proliferation Instruments, (Fn. 396), 76. 1112 So lässt sich die Aussage von Brölmann und Dekker, dass es bei der vorläufigen Anwendung keine oder kaum Staatenpraxis zu Vorbehalten gäbe, nur so erklären, dass sie die gebräuchlichen Beschränkungserklärungen nicht als Vorbehalte ansehen. Siehe Catherine Brölmann/Guido den Dekker, Treaties, Provisional Application (2020), (Fn. 40), Rn. 19. 1113 Internationaler Gerichtshof, Reservations to the Convention on Genocide, (Fn. 35), 21 – 22. 1114 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 103.
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 207
konnte,1115 stellte Japan sie zusätzlich unter den Vorbehalt seiner verfügbaren Haushaltsmittel.1116 Qualifiziert man Beschränkungserklärungen nach der hier vertretenen Auffassung als Vorbehalte oder behandelt sie zumindest ähnlich, kommt es für ihre Zulässigkeit entsprechend Art. 19 lit. b) und c) WVK darauf an, ob der konkrete Vorbehalt vom Vertrag verboten wird. Es käme also darauf an, ob eine bereits vorgesehene Beschränkungsklausel abweichende Beschränkungserklärungen verbieten soll. Um dies zu verneinen, könnte man in Anlehnung an die Funktion von Vorbehalten1117 argumentieren, dass die Beschränkungsklausel gerade zeigt, dass die Verhandlungsstaaten möglichst vielen Staaten die vorläufige Anwendung ermöglichen wollen und dafür auch eine Beschränkung von deren Umfang in Kauf nehmen. Umgekehrt könnte die Entscheidung für eine bestimmte Beschränkungsklausel jedoch auch als Ausschluss aller anderen Arten von Beschränkungen angesehen werden. Dies dürfte insbesondere für prozeduralisierte Beschränkungsklauseln gelten. Deren Gestaltung soll schließlich die Probleme vermeiden, die bei selbstausführenden Beschränkungsklauseln entstehen. Entsprechend wäre es hier nicht zulässig, statt der Benennung spezieller Vertragsbestimmungen die vorläufige Anwendung pauschal vom innerstaatlichen Recht abhängig zu machen. Somit sind einseitige Beschränkungserklärungen grundsätzlich zulässig, können im Einzelfall aber ausgeschlossen sein, vor allem wenn bereits eine Beschränkungsklausel vorgesehen ist.
B. Lösungsvorschläge beim Frustrationsverbot Das von der Exekutive ausgelöste Frustrationsverbot steht bei Überschneidung mit Pflichten aus einem zustimmungsbedürftigen Vertrag im Spannungsverhältnis zu Beteiligungsrechten der Legislative im Vertragsschlussverfahren und kann zudem durch Unterlassungspflichten deren Gesetzgebungstätigkeiten beeinträchtigen.1118 Die einfachste Lösung für dieses Spannungsverhältnis wäre es, wenn Staaten auf den Zwischenschritt der Unterzeichnung verzichten würden, doch ist diese Option für Staaten aus verschiedenen Gründen nachteilig (I.). Denkbar wäre jedoch eine enge Auslegung des Frustrationsverbotes, die zusätzlich durch eine entsprechende Erklärung gegenüber den anderen Staaten abgesichert werden könnte (II.). Auch die 1115
Vgl. Art. 55 I International Cocoa Agreement (16. 07. 1993), 1766 United Nations Treaty Series 81. 1116 Vgl. Japan, Declaration Made Upon Notification of Provisional Application of the 1993 International Cocoa Agreement, 1766 United Nations Treaty Series 273. 1117 Hintergrund der grundsätzlichen Zulässigkeit von Vorbehalten ist, dass Modifikationen eines Übereinkommens akzeptiert werden, um Staaten die Teilnahme zu erleichtern und somit die Reichweite des Übereinkommens zu erhöhen. Siehe hierzu Alain Pellet, Art. 19 VCLT, in: Corten/Klein, (Fn. 1106), 432 Rn. 70. 1118 Für eingehendere Ausführungen siehe Kapitel 3 B.I.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
einseitige oder automatische Beendigung des Frustrationsverbotes könnte einen möglichen Lösungsansatz darstellen (III.).
I. Nachteile des Verzichts auf die Unterzeichnung Moore schlägt vor das das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht beim Frustrationsverbot zu vermeiden, indem Staaten auf das zusammengesetzte Vertragsschlussverfahren verzichten.1119 Die völkerrechtliche Zustimmung zum Vertragsschluss kann schließlich auch auf anderem Wege, wie z. B. durch das Beitrittsverfahren,1120 ausgedrückt werden. Möchte man hingegen nicht völlig auf das zusammengesetzte Verfahren verzichten, könnte die Unterzeichnung auf verfassungsrechtlich weniger problematische Fälle beschränkt werden. So bestünden z. B. weniger Bedenken gegen eine von der Exekutive vorgenommene Unterzeichnung, wenn die völkerrechtlichen Pflichten aus dem Frustrationsverbot ohnehin mit der innerstaatlichen Gesetzeslage im Einklang stünden.1121 Denkbar wäre es auch, dass die Unterzeichnung erst nach Erhalt einer innerstaatlich erforderlichen Zustimmung vorgenommen wird. Der Vorschlag, sich beim Eingehen der völkerrechtlichen Pflicht zurückzuhalten, klingt vertraut. Schließlich üben Staaten in der Praxis ebenfalls Zurückhaltung, wenn sie die vorläufige Anwendung eines Vertrages vereinbaren.1122 Allerdings gibt es einige praktische Gründe dafür, warum dieser Ansatz beim Frustrationsverbot deutlich weniger realistisch ist. Die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung stellt nur eine Zusatzoption dar, wohingegen die Unterzeichnung fester Bestandteil des zusammengesetzten Vertragsschlussverfahrens ist und den Staaten gewisse rechtliche und praktische Vorteile verschafft. Denn die Unterzeichnung verleiht dem Unterzeichnerstaat einen vorläufigen Sonderstatus und hat eine große symbolische und politische Bedeutung, aus welcher Staaten Vorteile ziehen können.1123 So kann ein Unterzeichnerstaat z. B. bei manchen Verträgen bereits an Vorbereitungskommissionen teilnehmen oder wird nach Inkrafttreten des Vertrages in Gespräche über dessen Umsetzung und Fortentwicklung einbezogen.1124 Darüber hinaus sollte es nicht nur als Problem gesehen werden, dass die Unterzeichnung das Frustrationsverbot auslöst. Schließlich schützt dieses im oftmals langen Zeitraum bis zum In-
1119
David H. Moore, The President’s Unconstitutional Treatymaking, (Fn. 110), 658 – 659. Das Beitrittsverfahren kann nach Art. 15 WVK im Vertrag selbst oder durch eine Vereinbarung ermöglicht werden. 1121 American Law Institute, Restatement of the Law Fourth – The Foreign Relations Law of the United States, (Fn. 232), 44. 1122 Kapitel 4 A.II.1.a). 1123 Einleitung A.I.2. 1124 Curtis A. Bradley, Treaty Signature, (Fn. 16), 211. 1120
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 209
krafttreten eines Vertrages dessen Kern und erfüllt damit eine wichtige, vertrauensbildende Funktion.1125 Angesichts der politischen und rechtlichen Vorteile der Unterzeichnung, dürfte der Verzicht auf die Unterzeichnung daher in der Praxis unattraktiv sein. Dies gilt umso mehr als das Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung beim Frustrationsverbot schwächer ausgeprägt ist als bei der vorläufigen Anwendung. Deren Wirkungen sind schließlich von Art und Umfang sehr viel stärker mit dem Inkrafttreten des Vertrages vergleichbar.
II. Enge Auslegung des Frustrationsverbotes Je enger das Frustrationsverbot verstanden wird, desto geringer ist das Potenzial für einen Konflikt mit dem innerstaatlichen Recht.1126 Dies mag zwar für sich genommen kein Auslegungsargument sein, doch hat das enge Verständnis des Frustrationsverbotes ohnehin deutlichen Niederschlag im Wortlaut von Art. 18 WVK und der Systematik der Wiener Vertragsrechtskonvention gefunden.1127 Wie in Kapitel 1 dargelegt wurde, beinhaltet das Frustrationsverbot entgegen weitergehender Auffassungen nur die Pflicht, nicht zu verhindern, dass der Vertragszweck durch eine fällige Vertragserfüllung erreicht werden kann.1128 Bei diesem engen Verständnis des Frustrationsverbotes entsteht nur selten ein Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht. Schließlich kommt es dann nur in Ausnahmefällen zu einer Überschneidung mit vertraglichen Pflichten und auch der Erlass neuer Gesetze dürfte nur selten gegen das enge Frustrationsverbot verstoßen. Droht doch einmal eine Überschneidung mit vertraglichen Pflichten, könnte bei Unterzeichnung eine Erklärung abgegeben werden, die klarstellt, dass vor Parlamentszustimmung keine sich mit dem Vertrag überschneidenden Pflichten ausgelöst werden.1129 Allerdings ist kein Grund ersichtlich, warum die Wirkungen einer solchen Erklärung im Falle des Frustrationsverbotes mehr als nur politischer Natur sein könnten.1130 Dies gilt insbesondere für Staaten, die Partei der Wiener Vertragsrechtskonvention sind. Zwar kennt das Völkerrecht bei Verträgen sog. Auslegungserklärungen (engl. „interpretative declarations“), welche für die Auslegung von Vertragsbestimmungen von Bedeutung sein können. Im Unterschied zu Vorbehalten sollen Auslegungserklärungen allerdings die rechtlichen Wirkungen von 1125 Für eingehendere Ausführungen zur Funktion des Frustrationsverbotes im zusammengesetzten Vertragsschlussverfahren siehe Einleitung A.III.1. 1126 Vgl. Curtis A. Bradley, Unratified Treaties, Domestic Politics, and the U.S. Constitution, (Fn. 110), 334. 1127 Kapitel 1 B.III.1. 1128 Kapitel 1 B.III.4. 1129 Vgl. Curtis A. Bradley, Unratified Treaties, Domestic Politics, and the U.S. Constitution, (Fn. 110), 334. 1130 David H. Moore, The President’s Unconstitutional Treatymaking, (Fn. 110), 655.
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
Vertragsbestimmungen nicht ändern oder ausschließen, sondern lediglich die Auslegung mehrdeutiger Begriffe klarstellen.1131 Da das Frustrationsverbot nach einhelliger Meinung zu Überschneidungen mit Pflichten aus dem Vertrag führen kann,1132 würde die vorgeschlagene Erklärung nicht lediglich eine Unklarheit beseitigen, sondern die Wirkung von Art. 18 WVK modifizieren. Damit wäre die Erklärung als völkerrechtlicher Vorbehalt einzustufen, der allerdings nach Art. 19 WVK bereits bei Ratifikation der Wiener Vertragsrechtskonvention hätte formuliert werden müssen. Doch auch Staaten, die nicht Partei der Wiener Vertragsrechtskonvention sind, können nicht durch einseitige Erklärung rechtswirksam verhindern, dass es beim Frustrationsverbot im Einzelfall auch ohne vorherige Parlamentszustimmung zur Überschneidung mit Vertragspflichten kommt. Rechtlich wäre eine einseitige Erklärung allenfalls relevant, wenn das Frustrationsverbot sich ausschließlich aus dem Vertrauensschutzaspekt von Treu und Glauben ergeben würde und die Erklärung verhindern könnte, dass schutzwürdiges Vertrauen entsteht. Demgegenüber lässt sich rechtlich nicht erklären, wieso ein Staat in der Lage sein sollte, eine gewohnheitsrechtlich geschuldete Pflicht einseitig zu modifizieren.1133 In absehbarer Zukunft ist auch nicht damit zu rechnen, dass sich beim Frustrationsverbot einseitige Erklärungen zu seiner Reichweite durchsetzen und zur Entstehung von neuem Gewohnheitsrecht führen.1134 Doch selbst wenn eine einseitige Modifikation des Frustrationsverbotes rechtlich zulässig wäre, könnte sie politische Nachteile mit sich bringen. Das Frustrationsverbot kann schließlich Vertrauen in die Einstellung eines Staates gegenüber einem Vertrag erzeugen und ihm dadurch die Kooperation mit anderen Staaten erleichtern.1135 Folglich könnte es die Zusammenarbeit mit anderen Staaten beeinträchtigen, wenn ein Staat das Frustrationsverbot zu stark einschränkt.
III. Beendigung des Frustrationsverbotes Eine mögliche Lösung für das Spannungsverhältnis des Frustrationsverbotes zum innerstaatlichen Recht besteht darin, es durch sog. unsigning, also die Rücknahme der Unterzeichnung, einseitig zu beenden (1.). Weiterhin wird vorgeschlagen, vertraglich vorzusehen, dass die Wirkungen der Unterzeichnung nach einer gewissen Zeit automatisch enden (2.). 1131 Völkerrechtskommission, Guide to Practice on Reservations to Treaties, adopted by the Commission at its sixty-third session (2011), A/66/10/Add.1, para. 75, Nr. 1.3, Rn. 1. 1132 Für eingehendere Ausführung zur anerkannten Möglichkeit der Überschneidung mit Vertragspflichten siehe Kapitel 1 B.I.3. 1133 Vgl. David H. Moore, The President’s Unconstitutional Treatymaking, (Fn. 110), 655 – 656. 1134 David H. Moore, The President’s Unconstitutional Treatymaking, (Fn. 110), 656. 1135 Vgl. Edward T. Swaine, Unsigning, (Fn. 43), 2077.
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 211
1. Einseitige Beendigung durch unsigning Beim Rom-Statut bestand der Lösungsansatz der USA im unsigning des Vertrages und damit der einseitigen Beendigung der Pflichten aus dem Frustrationsverbot.1136 Das Problem, dass sich Pflichten aus dem Frustrationsverbot mit Vertragspflichten überschneiden, kann dadurch allerdings nicht gelöst werden. Wie bei der vorläufigen Anwendung treten die Wirkungen der Beendigung nur ex nunc ein und befreien einen Staat lediglich von zukünftigen Pflichten, nicht aber von bereits fällig gewordenen Pflichten. Das Problem, dass die Gesetzgebungstätigkeit der Legislative durch das Frustrationsverbot beeinträchtigt wird, kann im Ergebnis ebenfalls nicht allein durch die einseitige Beendigung gelöst werden. Zwar erlangt die Legislative mit der Beendigung ihre Handlungsfreiheit zurück. Eine Schwachstelle ist jedoch, dass die Beendigung durch die Exekutive erfolgen muss.1137 Selbst wenn der Vertrag trotz des Fehlens einer entsprechen Pflicht der Legislative vorgelegt wird, genügt deren Ablehnung nicht, um eine Beendigung im Sinne des Art. 18 lit. a) WVK auszulösen.1138 Während bei der vorläufigen Anwendung das innerstaatliche Recht einzelner Staaten in solchen Fällen ausdrücklich eine Beendigungspflicht für die Exekutive vorsieht,1139 sind in Bezug auf das Frustrationsverbot keine entsprechenden innerstaatlichen Regelungen bekannt. Ein politischer Nachteil des unsigning ist zudem, dass es auf internationale Kritik stoßen kann. Diese dürfte allerdings nicht immer so stark ausfallen wie im Falle des unsigning des Rom-Statuts durch die USA. Dieses wurde vor allem deshalb kritisch gesehen, weil es einen Präzedenzfall darstellte und befürchtet wurde, dass seine Nachahmung durch andere Staaten eine Reihe von Verträgen unterminieren würde.1140 Da es mit dem unsigning des Energiecharta-Vertrages1141 und des RomStatuts1142 durch Russland bislang erst zwei andere Fälle gab, dürften diese Bedenken heute nicht mehr bestehen. Insofern dürften die politischen Folgen nicht gravierender sein als bei der Beendigung eines Vertrages.
1136
Curtis A. Bradley, Unratified Treaties, Domestic Politics, and the U.S. Constitution, (Fn. 110), 334. 1137 Siehe hierzu Kapitel 1 D.I.2.b). 1138 Siehe hierzu Kapitel 1 D.I.2.b). 1139 Für Beispiele siehe Kapitel 4 A.I.2.d). 1140 Vgl. Edward T. Swaine, Unsigning, (Fn. 43), 2064 – 2065. 1141 Siehe die Teilnehmerinformationen zu Russland, online: http://www.energycharter.org/ who-we-are/members-observers/countries/russian-federation/ (zuletzt abgerufen am 26. 11. 2020). 1142 Siehe Russian Communication Concerning the Rome Statute of the International Criminal Court, received by the Secretary General on 30 November 2016 (in End Note 9), (Fn. 364).
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
Somit kann die einseitige Beendigung nur eines der beiden Probleme aus dem Spannungsverhältnis zwischen Frustrationsverbot und innerstaatlicher Gewaltenteilung entschärfen. 2. Automatische Beendigung Anders als bei Art. 18 lit. b) WVK kann das Frustrationsverbot ab Unterzeichnung nicht durch bloßen Zeitablauf automatisch beendet werden.1143 Ein Vertrag könnte jedoch von vornherein vorsehen, dass der Zeitraum in dem ein Staat als Unterzeichner eines Vertrages gilt, auf eine bestimmte Zeit begrenzt wird.1144 Auf den ersten Blick stünde dies zwar im Widerspruch dazu, dass meist versucht wird Staaten die Ratifikation eines Vertrages so einfach wie möglich zu machen.1145 Doch könnte Staaten als Ausgleich ermöglicht werden, sich trotzdem durch einen späteren Beitritt an den Vertrag zu binden.1146 Schwierigkeiten dürfte jedoch die Festlegung eines konkreten Zeitraums bereiten. Bereits bei Art. 18 lit. b) WVK konnte man sich nicht auf einen konkreten Zeitraum einigen, da bis zum Inkrafttreten unterschiedlich viel Zeit vergehen kann.1147 Letztendlich stellt aber auch die automatische Beendigung des Frustrationsverbotes oder des Unterzeichnerstatus keine ideale Lösung für das Spannungsverhältnis dar. Schließlich bestünden vor Ablauf des vorgesehenen Zeitraums trotzdem völkerrechtlichen Bindungen aus dem Frustrationsverbot. Alles in allem erscheint eine enge Auslegung des Frustrationsverbotes daher als die beste Lösung, um das Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung abzuschwächen.
C. Zusammenfassung und Bewertung Wenngleich das Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung beim Frustrationsverbot und der vorläufigen Anwendung teilweise parallel liegt,1148 unterscheiden sich die empfehlenswerten Lösungsansätze und ihre Verbreitung in der Praxis doch erheblich. Für das Spannungsverhältnis zwischen der vorläufigen Anwendung und der innerstaatlichen Gewaltenteilung gibt es in der Praxis bereits verschiedene Lösungsansätze, die mal auf der völkerrechtlichen und mal auf der 1143
Kapitel 1 D.I.2.b). Curtis A. Bradley, Unratified Treaties, Domestic Politics, and the U.S. Constitution, (Fn. 110), 336. 1145 Vgl. Edward T. Swaine, Unsigning, (Fn. 43), 2086. 1146 Curtis A. Bradley, Unratified Treaties, Domestic Politics, and the U.S. Constitution, (Fn. 110), 336. 1147 Laurence Boisson de Chazournes/Anne-Marie La Rosa/Makane Moïse Mbengue, Art. 18 VCLT, in: Corten/Klein, (Fn. 137), 396 Rn. 54. 1148 Vgl. Kapitel 3 B.I.1. 1144
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 213
innerstaatlichen Ebene ansetzen. Einige dieser Lösungsansätze sind isoliert betrachtet unzureichend oder führen zu neuen Problemen. So wird das Spannungsverhältnis z. B. nicht bereits dadurch beseitigt, dass im Regelfall die Möglichkeit besteht, die vorläufige Anwendung zeitnah einseitig zu beenden. Denn ein solches Beendigungsrecht kann weder vom Parlament ausgeübt werden noch bereits entstandene Pflichten rückwirkend beseitigen.1149 Ebenfalls keine ideale Lösung bieten selbstausführende Beschränkungsklauseln und -erklärungen. Wie die Yukos-Entscheidung des Ständigen Schiedsgerichtshofs zeigte, können sie mit dem Alles-odernichts-Ansatz in der Praxis in einer Weise ausgelegt werden, die nicht ihrem Zweck entspricht und den Rechten des Gesetzgebers keinen effektiven Schutz bietet.1150 Zudem führen sie zu neuen Problemen, da sie die Rechtsverbindlichkeit der vorläufigen Anwendung schwächen, sowie ungleiche Bindungen und Rechtsunsicherheit erzeugen können.1151 Vorzugswürdig sind daher prozeduralisierte Beschränkungsklauseln. Diese stellen ein Verfahren bereit, in welchem Staaten im Austausch miteinander ausdrücklich benennen können, welche Vertragsbestimmungen von der vorläufigen Anwendung ausgenommen bleiben sollen. Dabei verleibt jedoch ein Risiko, dass nicht alle relevanten Vertragsbestimmungen identifiziert und von der vorläufigen Anwendung ausgenommen werden.1152 Der beste Schutz für die Beteiligungsrechte des parlamentarischen Gesetzgebers besteht, wenn Staaten die Pflicht zur vorläufigen Anwendung erst eingehen, wenn nach innerstaatlichem Recht auch der Abschluss des jeweiligen Vertrages möglich wäre. Dennoch ist es nicht in jedem Fall zu empfehlen, die vorläufige Anwendung innerstaatlich nur unter denselben Voraussetzungen wie den Vertragsschluss zu erlauben und damit die sog. verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung faktisch auszuschließen. Schließlich kann ein Staat damit in eilbedürftigen Situationen erheblich an außenpolitischer Handlungsfähigkeit einbüßen, sofern sein eigenes Vertragsschlussverfahren nicht relativ zügig durchlaufen werden kann.1153 Grundsätzlich empfehlenswerter erscheint daher das Ausgestaltungsmodell. Bei diesem lassen Staaten die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung zu, machen sie aber von prozeduralen und inhaltlichen Voraussetzungen abhängig, welche das Beteiligungsrecht des Parlaments im Vertragsschlussverfahren schützen. Sinnvolle Regelungselemente sind dabei insbesondere Informations-, Vorlage- und Beendigungspflichten für die Exekutive, die zumindest verhindern, dass ein zustimmungsbedürftiger Vertrag dauerhaft ohne die Zustimmung der Legislative vorläufig angewendet wird.1154 Sollen die Beteiligungsrechte des parlamentarischen Gesetzgebers im Vertragsschlussverfahren stärker geschützt werden, kann zudem ein parlamen1149 1150 1151 1152 1153 1154
Siehe hierzu Kapitel 4 A.II.2.a). Siehe hierzu Kapitel 4 A.III.1.a). Siehe hierzu Kapitel 4 A.III.1.e). Siehe hierzu Kapitel 4 A.III.2. Siehe hierzu Kapitel 4 A.I.1.b). Siehe hierzu Kapitel 4 A.I.2.f).
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
tarisches Einspruchsrecht des zuständigen Parlamentsausschusses nach Schweizer Vorbild eingeführt werden.1155 Diese Lösung dürfte grundsätzlich am besten dafür geeignet sein, einen sinnvollen Ausgleich zwischen den Rechten des Gesetzgebers im innerstaatlichen Vertragsschlussverfahren und der internationalen Handlungsfähigkeit eines Staates zu schaffen. Für das Spannungsverhältnis zwischen dem Frustrationsverbot und dem innerstaatlichem Recht gibt es hingegen – soweit ersichtlich – noch keine speziellen innerstaatlichen Regelungen. Da die das Frustrationsverbot auslösende Unterzeichnung rechtliche und politische Vorteile mit sich bringt, wäre es für Staaten zudem unattraktiv, sie bei zustimmungsbedürftigen Verträgen erst nach Zustimmung des Gesetzgebers vorzunehmen.1156 Die Möglichkeit zur Beendigung des Frustrationsverbotes wiederum bietet den Rechten des Gesetzgebers keinen ausreichenden Schutz, da sie vom Parlament nicht selbst herbeigeführt werden kann.1157 Die beste Lösung für das Spannungsverhältnis zwischen dem Frustrationsverbot und der innerstaatlichen Gewaltenteilung ist daher, dass das Frustrationsverbot im Einklang mit der in der vorliegenden Arbeit vertretenen Auffassung1158 von vornherein eng ausgelegt wird.1159 Somit gibt es für das Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung sowohl beim Frustrationsverbot als auch bei der vorläufigen Anwendung erfolgversprechende Lösungsansätze, die sich inhaltlich jedoch unterscheiden.
Zwischenergebnis Sowohl das völkerrechtliche Frustrationsverbot als auch die vorläufige Anwendung von Verträgen tragen dazu bei, dass völkerrechtliche Verträge trotz der oftmals erheblichen zeitlichen Lücke zwischen Unterzeichnung und Inkrafttreten eines Vertrages effektive Handlungsinstrumente für die zwischenstaatliche Zusammenarbeit darstellen. Da Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung schon vor der Ratifikation eines Vertrages Rechtswirkungen erzeugen können, stehen sie jedoch in einem Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung. Diese sieht in vielen Staaten vor, dass jedenfalls bestimmte Verträge von der Exekutive erst abgeschlossen werden dürfen, nachdem der parlamentarische Gesetzgeber seine Zustimmung erteilt hat. Aus Sicht des jeweiligen Verfassungsrechts kann es daher problematisch sein, wenn die Exekutive völkerrechtliche Pflichten eingeht, die sich ganz oder teilweise mit einem Vertrag decken, obwohl das innerstaatliche Verfahren 1155 1156 1157 1158 1159
Siehe hierzu Kapitel 4 A.I.2.c). Siehe hierzu Kapitel 4 B.I. Siehe hierzu Kapitel 4 B.III.1. Siehe hierzu Kapitel 1 B.III. Siehe hierzu Kapitel 4 B.II.
Kap. 4: Lösungsversuche für das Spannungsverhältnis zum innerstaatlichen Recht 215
zu dessen Abschluss noch nicht durchlaufen wurde. Selbst wenn die Exekutive in einem Staat das Parlament formal nur beim Abschluss bestimmter Verträge beteiligen muss, kann es zumindest die Zwecke der Parlamentsbeteiligung unterlaufen, wenn sie auf völkerrechtlicher Ebene ein funktionales Äquivalent zu den Wirkungen des in Kraft getretenen Vertrages herbeiführt. Jedenfalls aber beeinträchtigt sie das Recht des Parlaments auf Beteiligung an der Entscheidung über den Abschluss des jeweiligen Vertrages dadurch, dass das Parlament aufgrund der bereits eingetretenen Rechtswirkungen nicht mehr völlig frei über die Ratifikation entscheiden kann. Besonders problematisch ist in dieser Hinsicht die vorläufige Anwendung, die ganz oder teilweise auf den materiell-rechtlichen Inhalt des jeweiligen Vertrages verweist und sich von einem in Kraft getretenen Vertrag nur durch die einfachere Beendbarkeit unterscheidet. Tatsächlich gibt es in der Praxis viele Fälle, in denen bi- oder multilaterale Verträge über mehr als 15 Jahre hinweg vorläufig angewendet wurden, oftmals gerade, weil die Ratifikation aus innerstaatlichen Gründen nicht möglich war. Wird ein Vertrag vor der zu seinem Abschluss erforderlichen Parlamentsbeteiligung vorläufig anwendet, kann dies zu verschiedenen Folgeproblemen führen. So kann z. B. unter Umständen ein Legitimitätsdefizit bestehen oder das Risiko eines Völkerrechtsverstoßes erhöht werden. Beim Frustrationsverbot wiederum kann es in Ausnahmefällen ebenfalls zu einer Überschneidung mit einzelnen Vertragspflichten kommen, wenngleich hier stets ein deutlicher Abstand zu der erst mit Inkrafttreten geschuldeten Erfüllung des gesamten Vertrages bestehen muss. Während theoretisch also ähnliche Probleme wie bei der teilweisen vorläufigen Anwendung eines Vertrages auftreten können, liegt das praktisch bedeutsamere Problem beim Frustrationsverbot darin, dass es den Erlass bestimmter Gesetze verbieten und dadurch die Gesetzgebungstätigkeit der Legislative beeinträchtigen kann. Welches Ausmaß das Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung annimmt, wird nicht zuletzt durch innerstaatliche Faktoren beeinflusst. So besteht das größte Spannungsverhältnis bei Präsidialsystemen, wohingegen aus der Unterscheidung von monistischen und dualistischen Rechtsordnungen keine Rückschlüsse auf das Ausmaß des Spannungsverhältnisses gezogen werden können. In der Praxis gibt es für das Spannungsverhältnis zwischen der vorläufigen Anwendung und der innerstaatlichen Gewaltenteilung bereits verschiedene völkerrechtliche und innerstaatliche Lösungsansätze, die allerdings häufig ihrerseits Schwächen oder Nachteile haben. Der wirksamste Lösungsansatz ist dabei, wenn Staaten die völkerrechtliche Pflicht zur vorläufigen Anwendung erst auslösen, wenn auch die innerstaatlichen Voraussetzungen für den Vertragsschluss vorliegen. Selbstausführende Beschränkungsklauseln und -erklärungen haben demgegenüber den Nachteil, dass sie unter Umständen in einer Weise ausgelegt werden können, die den beabsichtigten Schutz für die Rechte des Gesetzgebers entfallen lässt. Auch die Möglichkeit zur einseitigen Beendigung bietet nur begrenzten Schutz, da die Beendigung völkerrechtlich nicht vom Parlament herbeigeführt werden kann und die Wirkungen der vorläufigen Anwendung nur für die Zukunft beseitigt. Wenngleich
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Teil 1: Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene
die Gleichbehandlung von Vertragsschluss und vorläufiger Anwendung somit den größten Schutz für die innerstaatliche Gewaltenteilung im Vertragsschlussverfahren bietet, kann sie im Gegenzug die außenpolitische Handlungsfähigkeit in eilbedürftigen Situationen einschränken. Aus diesem Grund ist es nicht jedem Staat zu empfehlen, die vorläufige Anwendung denselben Voraussetzungen wie den Vertragsschluss zu unterwerfen. Vielmehr bietet es sich an, innerstaatliche Regelungen für die vorläufige Anwendung vorzusehen. Diese können z. B. ein parlamentarisches Einspruchsrecht beinhalten, welches einen sinnvollen Ausgleich zwischen dem Mitwirkungsrecht der Legislative beim Vertragsschluss und der außenpolitischen Handlungsfähigkeit der Exekutive darstellen kann. Jedenfalls aber sollte durch Informations-, Vorlage- und Beendigungspflichten der Exekutive sichergestellt werden, dass ein zustimmungsbedürftiger Vertrag nicht dauerhaft ohne die Zustimmung der Legislative vorläufig angewendet werden kann. Für das Spannungsverhältnis zwischen dem Frustrationsverbot und der innerstaatlichen Gewaltenteilung gibt es in der Praxis hingegen noch keine verbreiteten Lösungsansätze. Der wirksamste Lösungsansatz dürfte hier darin bestehen, das Frustrationsverbot eng auszulegen, was ohnehin rechtlich geboten ist. Demnach verlangt das Frustrationsverbot von einem Staat lediglich, dass er nicht verhindert, dass der Vertragszweck bei Fälligkeit der Vertragserfüllung durch diese erreicht werden kann. Man mag bedauern, dass ein derart eng verstandenes Frustrationsverbot insbesondere bei multilateralen rechtsetzenden Verträgen keine hohen Anforderungen an das Staatenverhalten stellt, weil solche Verträge aufgrund ihrer abstrakten Ziele nur schwer frustriert werden können. Doch wird dieses enge Verständnis des Frustrationsverbotes bereits vom Wortlaut des Art. 18 WVK und der Systematik der Wiener Vertragsrechtskonvention vorgegeben. Art. 18 WVK ist für den Inhalt des Frustrationsverbotes maßgeblich, zumal das gewohnheitsrechtliche Frustrationsverbot erst aus diesem Artikel heraus entstanden und inhaltlich mit ihm identisch ist. Allenfalls das Frustrationsverbot aus Treu und Glauben könnte einen anderen, weitreichenderen Inhalt haben, tritt im Konfliktfall aber als lex anterior hinter das vertragliche und das mit ihm identische gewohnheitsrechtliche Frustrationsverbot zurück. Nimmt man das in Art. 18 WVK angelegte enge Verständnis des Frustrationsverbotes ernst, verringert man zugleich das Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung, da dann vor Inkrafttreten eines Vertrages nur in sehr geringem Umfang völkerrechtliche Pflichten entstehen.
Teil 2
Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung Wie in Teil 1 dargestellt wurde, können das Frustrationsverbot und die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge in einem Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung stehen. In Teil 2 soll nun untersucht werden, wie das deutsche Verfassungsrecht mit dieser Problematik umgeht. Das Frustrationsverbot und die vorläufige Anwendung stehen insbesondere dann in einem Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung, wenn ihre völkerrechtlichen Wirkungen denen eines Vertrages ähneln, die Exekutive sie aber leichter Herbeiführen kann als den Abschluss des entsprechenden Vertrages. Ausgangspunkt der Untersuchung ist daher die Frage, welche Wirkungen Völkerrechtsakte in der deutschen Rechtsordnung entfalten und wie die Kompetenzen zu ihrer Vornahme zwischen Exekutive und Legislative verteilt sind (Kapitel 5). Darauf aufbauend wird dann in den Blick genommen, welche Vorgaben das deutsche Verfassungsrecht speziell für die vorläufige Anwendung (Kapitel 6) und das Frustrationsverbot (Kapitel 7) enthält. Ein praktisch bedeutsamer Sonderfall ist dabei, wenn sich Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung nicht auf Verträge Deutschlands, sondern auf Verträge der Europäischen Union oder sog. gemischte Verträge beziehen (Kapitel 8). Kapitel 5
Völkerrechtsakte in der deutschen Rechtsordnung Die Befugnis, den Bund nach außen hin umfassend völkerrechtlich zu vertreten, weist Art. 59 I 1, 2 GG dem Bundespräsidenten zu. In der Praxis überträgt der Bundespräsident diese Vertretungsbefugnis jedoch in großem Umfang auf die Bundesregierung und einzelne Ressortminister.1160 Von der Vertretungsbefugnis zu unterscheiden ist die sog. Entscheidungsbefugnis, also die Befugnis zu entscheiden, ob der Vertretungsbefugte einen Völkerrechtsakt nach außen hin vornehmen darf.1161 Ob das Grundgesetz diese Befugnis primär der Regierung oder der Regierung und 1160 Rudolf Geiger, Staatsrecht III: Bezüge des Grundgesetzes zum Völker- und Europarecht (7. Aufl. 2018), 117 – 118. 1161 Vgl. Rudolf Geiger, Staatsrecht III, (Fn. 1160), 118 – 119.
218
Teil 2: Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot
dem Parlament gemeinsam zuweist, ist – wie später eingehender dargestellt werden wird – umstritten.1162 Daher soll nach einem kurzen Überblick über das deutsche Vertragsschlussverfahren (A.) zunächst Art. 59 II GG dargestellt werden, welcher die Kompetenzverteilung zwischen Exekutive und Legislative beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge regelt (B.). Anschließend wird die Frage in den Blick genommen, welche Stellung dem Parlament im Allgemeinen bei der Ausübung der auswärtigen Gewalt zukommt (C.). Hierfür spielt es auch eine Rolle, ob das für bestimmte Verträge vorgesehene Zustimmungsrecht der Legislative aus Art. 59 II 1 GG auf andere Völkerrechtsakte ausgedehnt werden kann (D.). Im Anschluss an die Darstellung dieser Fragen soll eine Position zur Verteilung der auswärtigen Gewalt auf Exekutive und Legislative bezogen werden (E.), die den Ausgangspunkt für die Ausführungen in den folgenden Kapiteln bilden wird. Neben der Kompetenzverteilung zwischen Exekutive und Legislative ist für die folgenden Kapitel aber auch wichtig, welche Wirkungen Völkerrechtsakte in der deutschen Rechtsordnung entfalten können. Daher werden abschließend die innerstaatlichen Wirkungen von Völkerrechtsakten und deren Grenzen dargestellt (F.).
A. Innerstaatliches Vertragsschlussverfahren in Deutschland In Deutschland liegt die Verfahrensherrschaft über Vertragsverhandlungen beim Auswärtigen Amt.1163 Denn Vertragsverhandlungen mit dem Ausland dürfen nur mit seiner Zustimmung und – sofern es dies verlangt – auch nur unter seiner Mitwirkung geführt werden.1164 Wenngleich andere Ministerien in der Sache federführend sein können, liegt auch die Leitung der Verhandlungsdelegation nach §17 II der Richtlinien für die Behandlung völkerrechtlicher Verträge grundsätzlich beim Auswärtigen Amt. Diese Richtlinien, die das Auswärtige Amt auf Grundlage von §72 VI der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien als Verwaltungsvorschrift erlassen hat, sind für alle Bundesministerien verbindlich, soweit sie in ihrem jeweiligen Geschäftsbereich mit der Erstellung völkerrechtlicher Verträge befasst sind.1165 Die Mitglieder der Verhandlungsdelegation werden zur Vornahme vertragsgestaltender Handlungen ermächtigt, doch beinhaltet die Verhandlungsvollmacht anders als eine Abschlussvollmacht keine Befugnis zur Unterzeichnung des ausgehandelten Vertrages.1166 Stattdessen wird die Unterzeichnung in der deutschen Praxis 1162
Für die Darstellung der verschiedenen Ansichten siehe Kapitel 5 C. Frank Schorkopf, Staatsrecht der internationalen Beziehungen, (Fn. 824), 186 Rn. 105. 1164 Vgl. § 11 II Geschäftsordnung der Bundesregierung (11. 05. 1951) (nachfolgend: „GOBReg“). 1165 Siehe hierzu das Vorwort der Richtlinien des Auswärtigen Amtes für die Behandlung völkerrechtlicher Verträge (Stand: 01. 07. 2019) (nachfolgend: „RvV“). 1166 Frank Schorkopf, Staatsrecht der internationalen Beziehungen, (Fn. 824), 187 Rn. 106. 1163
Kap. 5: Völkerrechtsakte in der deutschen Rechtsordnung
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typischerweise vom Bundeskanzler, einem Minister oder einem hochrangigen Beamten vorgenommen.1167 Bevor Deutschland auf völkerrechtlicher Ebene der Bindung an einen Vertrag zustimmen kann, muss nach Art. 59 II 1 GG bei bestimmten Verträgen die Zustimmung der Legislative eingeholt werden. Dies geschieht in der deutschen Praxis typischerweise erst nach der Unterzeichnung des jeweiligen Vertrages, also zwischen Unterzeichnung und Ratifikation.1168 Nachdem die innerstaatlichen Voraussetzungen für die Ratifikation vorliegen, kann der Bundespräsident den Vertrag schließlich nach Gegenzeichnung durch den Außenminister (Art. 58 GG) ratifizieren.1169
B. Kompetenzverteilung zwischen Exekutive und Legislative im Vertragsschlussverfahren Für die Frage, wem das Grundgesetz die Entscheidungsbefugnis hinsichtlich des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge zuordnet, ist Art. 59 II 1 GG die zentrale Vorschrift. Diese Norm schreibt die Mitwirkung von Bundestag und Bundesrat bei zwei Kategorien von Verträgen vor. Die erste Kategorie umfasst Verträge, „welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln“ (sog. hochpolitische Verträge). Dabei handelt es sich um Verträge, welche auf die Regelung der politischen Beziehungen zu anderen Staaten gerichtet sind und Deutschlands Existenz, territoriale Integrität, Unabhängigkeit oder Stellung in der Staatengemeinschaft berühren.1170 Dies beinhaltet namentlich Verträge, die wie z. B. Bündnisverträge, Abkommen über politische Zusammenarbeit oder Abrüstungsverträge darauf gerichtet sind, die Machtstellung eines Staates im Verhältnis zu anderen Staaten zu behaupten, zu befestigen oder zu erweitern.1171 Aufgrund des Wandels vom Koordinations- zum Kooperationsvölkerrecht wird die Beschränkung auf Verträge mit machtpolitischem Charakter in der rechtswissenschaftlichen Literatur jedoch häufig kritisch gesehen 1167
Für nähere Informationen zur deutschen Staatspraxis bei der Unterzeichnung von Verträgen siehe § 27 II RvV, (Fn. 1165). 1168 Dies zeigen auch 1.2.5.1 und 1.2.5.2 der Richtlinien für die Fassung von Vertragsgesetzen und vertragsbezogenen Verordnungen, denen zufolge die Zustimmungsformel in Art. 1 des Vertragsgesetzes im Regelfall das Datum der Unterzeichnung durch den deutschen Unterzeichnungsbevollmächtigten nennen soll. Siehe Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Richtlinien für die Fassung von Vertragsgesetzen und vertragsbezogenen Verordnungen (Richtlinien nach § 73 III S. 1 GGO) (Neufassung 2007) (nachfolgend: „RiVeVo“), online: http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwvbund_12112007_ IVA7926057412802007.htm (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 1169 Für Einzelheiten zum Ratifikationsverfahren siehe § 31 RvV, (Fn. 1165). 1170 BVerfGE 1, 372 (381 – 382) – Deutsch-französische Wirtschaftsabkommen (1952); statt vieler Werner Heun, Art. 59 GG, in: Dreier, Horst, Grundgesetz (3. Aufl. 2015), 1513 – 1514 Rn. 28. 1171 BVerfGE 1, 372 (381), (Fn. 1170).
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Teil 2: Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot
und durch extensivere Auslegungen des Art. 59 II 1 Alt. 1 GG herausgefordert.1172 Entsprechend wird vertreten, beispielsweise von Vöneky, dass auch grundrechtswesentliche Verträge zu den politischen und damit zustimmungsbedürftigen Verträgen zählen.1173 Noch weiter geht von Arnauld, wenn er alle Verträge als zustimmungsbedürftig ansieht, sofern sie nicht „unpolitisch“ sind.1174 Die zweite Kategorie der nach Art. 59 II 1 GG zustimmungsbedürftigen Verträge bilden diejenigen Verträge, die „sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen“ (sog. gesetzesinhaltliche Verträge). Davon umfasst sind alle Verträge, die nur durch Gesetz und damit nur unter Mitwirkung der Legislative vollzogen werden können.1175 Umstritten ist dabei, ob die Mitwirkung der Legislative allgemein1176 oder im konkreten Fall1177 erforderlich sein muss, also ob das Zustimmungserfordernis entfällt, wenn ein Vertrag bereits durch bestehende innerstaatliche Gesetze erfüllt wird. Selbst wenn man beide Kategorien des Art. 59 II 1 GG weit versteht, gibt es Verträge, die weder politisch noch gesetzesinhaltlich sind. Diese bedürfen im Umkehrschluss nicht der vorherigen Zustimmung der Legislative, weshalb die Regierung die Entscheidung über ihren Abschluss allein treffen kann. Solche „Verwaltungsabkommen“ im Sinne des Art. 59 II 2 GG betreffen entgegen ihrem Namen nicht nur die Verwaltung, sondern verschiedene Bereiche, insbesondere Regierungsangelegenheiten.1178 Negativ definiert handelt es sich um alle Verträge, die ohne oder im Rahmen bestehender Gesetze erfüllt werden können und auch keine politischen Beziehungen im Sinne des Art. 59 II 1 Alt. 1 GG regeln.1179 Indem Art. 59 II 1 GG den Abschluss bestimmter völkerrechtlicher Verträge von der vorherigen Zustimmung der Legislative abhängig macht, räumt er dieser ein Vetorecht ein.1180 Das Zustimmungserfordernis hat dabei verschiedene Funktio-
1172 Vgl. z. B. Martin Nettesheim, Art. 59 GG, in: Dürig, Günter/Herzog, Roman/Scholz, Rupert, Grundgesetz Kommentar (2021), 95. EL, Rn. 101 – 102. 1173 Silja Vöneky, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, (Fn. 680), 420 Rn. 17 – 18. 1174 Andreas von Arnauld, Beteiligung des Deutschen Bundestages an gemischten völkerrechtlichen Abkommen, 141 Archiv des öffentlichen Rechts (2016) 268, 276. 1175 BVerfGE 1, 372 (388), (Fn. 1170); statt vieler Silja Vöneky, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, (Fn. 680), 420 Rn. 18. 1176 So z. B. Silja Vöneky, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, (Fn. 680), 420 – 421 Rn. 18 – 19. 1177 So wohl das Bundesverfassungsgericht, vgl. BVerfGE 1, 372 (388), (Fn. 1170). 1178 Martin Nettesheim, Art. 59 GG, in: Dürig/Herzog/Scholz, (Fn. 1172), Rn. 155 – 156. 1179 Ulrich Fastenrath, Zur Abgrenzung des Gesetzgebungsvertrags vom Verwaltungsabkommen i. S. d. Art. 59 Abs. 2 GG am Beispiel der UNESCO-Welterbekonvention, 61 Die Öffentliche Verwaltung (2008) 697, 700. 1180 Silja Vöneky, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, (Fn. 680), 419 Rn. 14.
Kap. 5: Völkerrechtsakte in der deutschen Rechtsordnung
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nen:1181 Es soll zunächst gewährleisten, dass die Legislative eine effektive Möglichkeit zur Kontrolle der Exekutive hat (sog. Kontrollfunktion).1182 Darüber hinaus soll es aber auch sicherstellen, dass auch diejenigen Verträge erfüllt werden können, die einer Mitwirkung des Gesetzgebers bedürfen (sog. Vollzugssicherungsfunktion).1183 Der Zeitpunkt der Beteiligung schützt dabei die Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers.1184 Indem Art. 59 II 1 GG für die Zustimmung die Gesetzesform vorschreibt, sichert er zudem Vorbehalt und Vorrang des Gesetzes, da er somit auch eine Änderung der Rechtslage für den Einzelnen vom Erlass dieses sog. Vertragsgesetzes1185 abhängig macht.1186 Nicht zuletzt wird innerstaatlich anwendbaren Verträgen durch das Vertragsgesetz auch demokratische Legitimation verliehen.1187 Während das Grundgesetz die Beteiligung des Gesetzgebers beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge in Art. 59 II GG ausdrücklich regelt, ist bei anderen völkerrechtlich relevanten Akten umstritten, ob und inwieweit die Legislative über Beteiligungsrechte verfügt.1188 Wie man die Kompetenzabgrenzung im Einzelfall vornimmt, ist dabei nahezu untrennbar mit der Streitfrage verbunden, wer allgemein Träger der auswärtigen Gewalt ist.1189
1181 Zu den verschiedenen Funktionen des Zustimmungserfordernisses siehe Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 141, 1 (18 – 19), (Fn. 112); Bernhard Kempen, Art. 59 GG, in: Mangoldt, Hermann von/Klein, Friedrich/Starck, Christian, Grundgesetz (7. Aufl. 2018), 1545 – 1546 Rn. 37 – 38. 1182 BVerfGE 141, 1 (18 – 19), (Fn. 112); Bernhard Kempen, Art. 59 GG, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, (Fn. 1181), 1545 – 1546 Rn. 37 – 38. 1183 BVerfGE 141, 1 (18 – 19), (Fn. 112); Bernhard Kempen, Art. 59 GG, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, (Fn. 1181), 1545 – 1546 Rn. 37 – 38. 1184 BVerfGE 141, 1 (18 – 19), (Fn. 112); Bernhard Kempen, Art. 59 GG, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, (Fn. 1181), 1545 – 1546 Rn. 37 – 38. 1185 Ebenfalls gebräuchlich sind andere Bezeichnungen wie „Zustimmungsgesetz“, „Transformationsgesetz“ und „Ratifikationsgesetz“, die sprachlich jedoch jeweils nur eine einzelne Funktion des Vertragsgesetzes betonen. Siehe hierzu auch Martin Nettesheim, Art. 59 GG, in: Dürig/Herzog/Scholz, (Fn. 1172), Rn. 90. 1186 Bundesverfassungsgericht, Treaty Override, (Fn. 112), 18 – 19; Bernhard Kempen, Art. 59 GG, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, (Fn. 1181), 1545 – 1546 Rn. 37 – 38. 1187 BVerfGE 141, 1 (22), (Fn. 112); Ondolf Rojahn, Art. 59, in: Münch, Ingo von/Kunig, Philip, Grundgesetz-Kommentar (6. Aufl. 2012), 2660 – 2661 Rn. 21. 1188 So setzt sich z. B. Kokott in einem Beitrag mit der Frage auseinander, ob einseitige Akte, wie z. B. Kündigung, Anerkennung, Verzicht oder einseitige Versprechen, zustimmungsbedürftig sind. Siehe hierzu Juliane Kokott, Art. 59 Abs. 2 GG und einseitige völkerrechtliche Akte, in: Hailbronner, Kay/Ress, Georg/Stein, Torsten, Staat und Völkerrechtsordnung (1989), 511 – 527. 1189 Bernhard Kempen, Art. 59 GG, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, (Fn. 1181), 1541 – 1542 Rn. 31.
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Teil 2: Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot
C. Stellung des Parlaments im Rahmen der auswärtigen Gewalt Während die auswärtige Gewalt bei Locke noch als eine eigenständige, wenn auch der Exekutive anvertraute Funktion gesehen wurde,1190 handelt es sich heute lediglich um einen Sammelbegriff für die Zuständigkeiten zur Gestaltung der Völkerrechtsbeziehungen.1191 Zwar weist das Grundgesetz allen drei Gewalten eine Rolle bei der Ausübung der auswärtigen Gewalt zu,1192 doch ist umstritten, wer ihr primärer Träger ist. Dieser Streit kann auf eine lange Ideen- und Verfassungsgeschichte zurückblicken,1193 doch soll es vorliegend nur um die positivrechtliche Verteilung der auswärtigen Gewalt im Grundgesetz gehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegt die Entscheidungsbefugnis auf dem Gebiet der auswärtigen Beziehungen bei der Regierung, wohingegen das Parlament nur in bestimmten Fällen über ein begrenztes Mitwirkungsrecht verfügt (I.). Demgegenüber vertreten breite Teile der Lehre, dass die auswärtige Gewalt von Regierung und Parlament gemeinsam ausgeübt wird (II.).
I. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht sieht die auswärtigen Beziehungen vorrangig als Zuständigkeitsbereich der Regierung an (1.). Entsprechend betont es die gegenständlichen (2.) und inhaltlichen Grenzen von Art. 59 II 1 GG und verweist das Parlament in allen nicht erfassten Fällen auf seine allgemeinen Kontrollbefugnisse (3.). Die Rechtsprechungslinie ist damit ungebrochen exekutivfreundlich, wenngleich die Rechte des Parlaments in einzelnen Sonderbereichen gestärkt wurden (4.). 1. Vorherrschaft der Exekutive Das Bundesverfassungsgericht ging bereits seit seinem Urteil zum Petersberger Abkommen1194 von 1952 davon aus, dass die auswärtigen Beziehungen grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich der Exekutive fallen. Schon in diesem Urteil sah das 1190
Vgl. John Locke, Two Treatises of Government (1821), 314 – 316 Rn. 145 – 148. Christian Calliess, Auswärtige Gewalt, (Fn. 650), 590 Rn. 1. 1192 Christian Calliess, Auswärtige Gewalt, (Fn. 650), 390 Rn. 1. 1193 Für eine kurze Darstellung der Ideen- und Verfassungsgeschichte der auswärtigen Gewalt siehe Wilhelm Grewe, Die auswärtige Gewalt der Bundesrepublik, in: Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Berichte und Aussprache zu den Berichten in den Verhandlungen der Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer zu Bonn am 15. und 16. Oktober 1953 (1954), 130 – 135. 1194 BVerfGE 1, 351 – Petersberger Abkommen (1952). 1191
Kap. 5: Völkerrechtsakte in der deutschen Rechtsordnung
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Bundesverfassungsgericht Art. 59 II 1 GG als Durchbrechung des Gewaltenteilungssystem, bei dem „die Legislative in den Bereich der Exekutive übergreift“1195 und einen „Regierungsakt in der Form eines Bundesgesetzes“ vornimmt.1196 Ausführlicher begründet wurde diese Auffassung im Urteil Deutsch-französische Wirtschaftsabkommen1197, welches am selben Tag erging und ebenfalls das in Art. 59 II 1 GG vorgesehene Zustimmungsbedürfnis betraf. Hier argumentierte das Bundesverfassungsgericht, dass das Parlament für die Rechtsetzung zuständig sei, wohingegen der Exekutive die Regierung und damit auch die Außenpolitik zugewiesen seien. Daher könne der Bundestag die Regierungsaufgaben nur übernehmen, soweit dies verfassungsrechtlich ausdrücklich vorgesehen sei. Entsprechend handele es sich bei der in Art. 59 II 1 GG vorgeschriebenen Mitwirkung des Bundestages um eine „Ausnahmebefugnis der Legislative im Bereich der Exekutive“, die nur aufgrund und innerhalb der Grenzen dieses Artikels bestehe.1198 Später relativierte das Bundesverfassungsgericht zwar seine Formulierung, nicht aber seine grundsätzliche Position. Es räumte ein, dass die im Grundgesetz vorgesehenen Mitwirkungsbefugnisse des Bundestages im Bereich der auswärtigen Beziehungen angesichts der betroffenen Sachbereiche und der vorgeschriebenen Handlungsform von solchem Gewicht sind, dass sie nicht bloß als Ausnahme bezeichnet werden können.1199 Dennoch – und trotz der im historischen Vergleich verstärkten Parlamentarisierung der auswärtigen Beziehungen im Grundgesetz – beharrte das Verfassungsgericht darauf, dass die in Art. 59 II 1 GG vorgesehene Mitwirkung des Bundestages gegenständlich und inhaltlich begrenzt ist.1200 Somit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich allein die Regierung für Entscheidungen auf dem Gebiet der auswärtigen Beziehungen zuständig, soweit das Grundgesetz nicht wie in Art. 59 II 1 GG ein klar umgrenztes Mitwirkungsrecht des Parlaments vorsieht.1201 2. Gegenständliche Begrenzung des parlamentarischen Mitwirkungsrechts Weil das Bundesverfassungsgericht die auswärtigen Beziehungen vorrangig als Zuständigkeitsbereich der Regierung ansieht, geht es davon aus, dass Art. 59 II GG der Legislative nur in bestimmten Grenzen eine Mitwirkungsbefugnis gewährt.1202 In 1195
BVerfGE 1, 351 (369), (Fn. 1194). BVerfGE 1, 351 (395), (Fn. 1194). 1197 BVerfGE 1, 372, (Fn. 1170). 1198 BVerfGE 1, 372 (394), (Fn. 1170). 1199 BVerfGE 1, 68 (85), (Fn. 617). 1200 Ibid. 1201 Siehe z. B. auch BVerfGE 143, 101 (140 – 141) – NSA-Untersuchungsausschuss (2016); BVerfGE 90, 286 (357 – 358) – Out-of-area-Einsätze (1994). 1202 Vgl. BVerfGE 1, 372 (394), (Fn. 1170). 1196
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Teil 2: Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot
gegenständlicher Hinsicht besteht die Grenze darin, dass sich das Mitwirkungsrecht nur auf den Abschluss politischer und gesetzesinhaltlicher Verträge bezieht (a)). Eine Ausdehnung auf andere völkerrechtliche Rechtsakte hat das Bundesverfassungsgericht bislang stets abgelehnt (b)). a) Begrenzung auf den Abschluss politischer und gesetzesinhaltlicher Verträge Im Urteil Pershing II1203 stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass nur der völkerrechtliche Vertragsschluss, nicht aber andere völkerrechtliche Akte unter das Mitwirkungsrecht in Art. 59 II 1 GG fallen.1204 Anlass der Entscheidung war die Frage, ob die Bundesregierung die Zustimmung des Bundestages hätte einholen müssen, bevor sie der nuklearen Aufrüstung von in der Bundesrepublik stationierten amerikanischen Streitkräften zustimmte. Dabei stellte das Bundesverfassungsgericht zunächst fest, dass es sich bei der Zustimmung im Rahmen des NATO-Vertrages um eine rechtserhebliche Erklärung handelte, die aber nicht Teil eines völkerrechtlichen Vertragsschlusses war.1205 Art. 59 II 1 GG umfasse nach seinem Wortlaut jedoch nur Vertragsabschlusserklärungen und sei, wie schon der ihm vorausgehende Art. 45 III der Weimarer Reichsverfassung, nicht auf einseitige Rechtsgeschäfte des Völkerrechts anwendbar.1206 Entsprechend bezog das Bundesverfassungsgericht die in Art. 59 II 1 GG gewährleistete Mitwirkung des Bundestages nur auf Erklärungen zum Abschluss politischer und gesetzesinhaltlicher Verträge, nicht aber auf sonstige Völkerrechtsakte.1207 Diese Rechtsprechung wurde in der Out-of-area-Entscheidung1208 bestätigt, welche sich mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr befasste, die die Regierung ohne Parlamentsbeteiligung beschlossen hatte. In dieser Entscheidung führte das Bundesverfassungsgericht zudem näher aus, wann ein Vertrag vorliegt. Dabei definierte es völkerrechtliche Verträge im Sinne des Art. 59 II 1 GG als „alle Übereinkünfte zwischen zwei oder mehr Völkerrechtssubjekten […], durch welche die zwischen ihnen bestehende Rechtslage verändert werden soll“.1209 Entscheidend ist dabei nicht die Bezeichnung als Vertrag, sondern allein, ob sich Völkerrechtssubjekte durch übereinstimmende Willenserklärungen über völkerrechtliche Rechtsfolgen einigen.1210
1203 1204 1205 1206 1207 1208 1209 1210
BVerfGE 1, 68, (Fn. 617). BVerfGE 1, 68 (84 – 85), (Fn. 617). BVerfGE 1, 68 (80 – 82), (Fn. 617). BVerfGE 1, 68 (84 – 85), (Fn. 617). Ibid. BVerfGE 90, 286, (Fn. 1201). BVerfGE 90, 286 (359), (Fn. 1201). Ibid.
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Die Beschränkung des Art. 59 II 1 GG auf den Abschluss politischer und gesetzesinhaltlicher Verträge wirft die Frage auf, ob die Regierung frei über die völkerrechtliche Handlungsform entscheiden kann. Laut dem Bundesverfassungsgericht ist dies der Fall. Bei völkerrechtlichem Handeln, das thematisch Art. 59 II 1 GG unterfallen würde, soll keine Pflicht bestehen, die Vertragsform zu wählen und so das Zustimmungserfordernis auszulösen.1211 b) Keine Ausdehnung auf andere Akte als Vertragsabschlusserklärungen Seine Weigerung, Art. 59 II 1 GG auf andere völkerrechtliche Akte als den Abschluss politischer und gesetzesinhaltlicher Verträge anzuwenden, hat das Bundesverfassungsgericht in Pershing II am ausführlichsten begründet. In dieser Entscheidung argumentierte es, dass die Begrenzung des Mitwirkungsrechts der Legislative aus Art. 59 II 1 GG vor dem Hintergrund des Art. 20 II GG gesehen werden müsse und Teil der dort verfassten Gewaltenteilung sei.1212 Das Gewaltenteilungsprinzip bezweckt nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht nur die Verteilung und Kontrolle politischer Machtausübung, sondern auch, dass staatliche Entscheidungen von dem dafür am besten geeigneten Organ getroffen werden.1213 Daher wäre es mit der grundgesetzlichen Gewaltenteilung unvereinbar, wenn man dem Bundestag über das vorgesehene Maß hinaus Entscheidungsbefugnisse der Exekutive zuordnen und damit politische Macht bei ihm konzentrieren würde.1214 Vielmehr dürfe die konkrete Verteilung staatlicher Macht „nicht durch einen aus dem Demokratieprinzip fälschlich abgeleiteten Gewaltenmonismus in Form eines allumfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden“, da das Grundgesetz eine gewaltenteilende Demokratie gewährleiste.1215 Vor diesem Hintergrund ordnete das Bundesverfassungsgericht nichtvertragliche Akte in das Gewaltenteilungssystem des Grundgesetzes ein. Bei diesen handele es sich funktionell nicht um eine der Legislative zugewiesene Gesetzgebung im Sinne des Art. 20 II 2 GG, zumal ihre völkerrechtliche Vornahme grundsätzlich keine innerstaatlichen Rechtssätze erzeuge.1216 Vielmehr seien die auswärtigen Angelegenheiten der dafür am besten geeigneten Exekutive zugewiesen, da „institutionell und auf Dauer typischerweise allein die Regierung in hinreichendem Maße über die personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten verfügt, auf wechselnde äußere Lagen zügig und sachgerecht zu reagieren“.1217 Die daraus resultierende Möglichkeit der Exekutive, auch wesentliche politische Entscheidungen allein 1211 1212 1213 1214 1215 1216 1217
BVerfGE 90, 286 (358), (Fn. 1201); BVerfGE 1, 68 (86), (Fn. 617). BVerfGE 1, 68 (86), (Fn. 617). Ibid. Ibid. BVerfGE 1, 68 (87), (Fn. 617). Ibid. Ibid.
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zu treffen, nehme das Grundgesetz in Kauf, zumal der Exekutive von Art. 20 II GG funktionell-institutionelle demokratische Legitimation verliehen werde.1218 In Out-of-area bestätigte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit vier zustimmenden Voten diese Rechtsprechung und hob hervor, dass die restriktive Auslegung des Art. 59 II 1 GG eine eindeutige Abgrenzung der Kompetenzen erlaubt und dadurch die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands wahrt.1219 Somit geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass Art. 59 II 1 GG auf den Abschluss bestimmter Verträge beschränkt ist und seine Anwendung auf andere Akte das Gewaltenteilungssystem des Grundgesetzes unzulässig verändern und die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands beeinträchtigen würde. 3. Inhaltliche Begrenzung des Mitwirkungsrechts Die Mitwirkungsbefugnis des Parlaments ist laut Bundesverfassungsgericht nicht nur gegenständlich auf den Abschluss von politischen und gesetzesinhaltlichen Verträgen, sondern auch inhaltlich auf die Zustimmung durch Gesetz begrenzt.1220 Der Bundestag darf nicht selbst regieren und verwalten, sondern nur die Regierung kontrollieren.1221 Inhaltlich ist die Mitwirkung des Bundestages nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts daher auf „eine bloße Zustimmung in der Form eines Bundesgesetzes“ beschränkt.1222 Das Parlament kann den Vertrag somit nur akzeptieren oder ablehnen, es kann aber weder seinen Inhalt ändern noch über den tatsächlichen Abschluss oder die Beendigung des Vertrages entscheiden.1223 Nach der Konzeption des Bundesverfassungsgerichts ist das parlamentarische Mitwirkungsrecht aus Art. 59 II 1 GG somit inhaltlich und gegenständlich klar begrenzt und kann nicht ausgedehnt werden. Im Gegenzug hat das Bundesverfassungsgericht schon in seinen ersten Urteilen zur auswärtigen Gewalt betont, dass die Exekutive trotzdem der parlamentarischen Kontrolle unterworfen bleibt.1224 Als allgemeine parlamentarische Mittel zur Beeinflussung der Regierungsentscheidung werden dabei das Frage-, Debatten- und Entschließungsrecht sowie die Kontroll- und Haushaltsbefugnisse hervorgehoben.1225 Als schärfstes Mittel wird in mehreren Entscheidungen zudem das konstruktive Misstrauensvotum nach Art. 67 I 1 GG genannt.1226 Wenn die Handlungen der Regierung öffentlich bekannt sind, sollen 1218
BVerfGE 1, 68 (88 – 89), (Fn. 617). Vgl. BVerfGE 90, 286 (364, 372), (Fn. 1201). 1220 BVerfGE 1, 68 (85), (Fn. 617). 1221 BVerfGE 1, 372 (394), (Fn. 1170). 1222 BVerfGE 1, 68 (85), (Fn. 617). 1223 BVerfGE 90, 286 (358), (Fn. 1201). 1224 Vgl. BVerfGE 1, 351 (370), (Fn. 1194); BVerfGE 1, 372 (394), (Fn. 1170). 1225 BVerfGE 1, 68 (89, 109 – 110), (Fn. 617). 1226 BVerfGE 1, 68 (89, 109 – 110), (Fn. 617); BVerfGE 1, 351 (370), (Fn. 1194); BVerfGE 1, 372 (394), (Fn. 1170). 1219
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diese Beeinflussungsmöglichkeiten ausreichen, da sich das Parlament dann jederzeit selbst in den Entscheidungsprozess einschalten kann.1227 In Out-of-area hob das Bundesverfassungsgericht weiterhin hervor, dass die Bundesregierung die von ihr eingegangenen Verpflichtungen nur insoweit erfüllen kann als die dafür erforderlichen Tätigkeiten nicht einem Gesetzesvorbehalt unterliegen. Soweit ein Gesetzesvorbehalt besteht, darf sie nur handeln, sofern ein Zustimmungsgesetz oder eine sonstige Ermächtigungsgrundlage vorliegt, was dem Parlament ebenfalls eine Einflussmöglichkeit verschafft.1228 4. Exekutivfreundliche Rechtsprechungslinie Wenngleich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur auswärtigen Gewalt erst später inhaltlich bewertet werden soll,1229 kann bereits an dieser Stelle die Frage aufgeworfen werden, ob es überhaupt eine bis heute fortdauernde einheitliche Rechtsprechungslinie gibt. Denn manchmal werden jüngere Entscheidungen zur auswärtigen Gewalt dahingehend gedeutet, dass das Bundesverfassungsgerichts nicht auf der exekutivfreundlichen Auffassung der ersten Entscheidungen beharrt, sondern im Gegenteil inzwischen die Rechte des Parlaments stärkt.1230 Begründet wird diese Deutung damit, dass das Bundesverfassungsgericht im Out-of-area-Urteil zwar den Art. 59 II 1 GG nicht im Lichte der Wesentlichkeitstheorie weit auslegt hat, dafür aber für Auslandseinsätze der Bundeswehr einen schlichten Parlamentsbeschluss verlangte.1231 Zudem wird auf das Maastricht-Urteil1232 verwiesen, in dem das Bundesverfassungsgericht ebenfalls die Rechte des Parlaments stärkte.1233 Als weiteres Argument dafür, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur auswärtigen Gewalt nicht nur exekutivfreundlich ist, wird die Treaty-OverrideEntscheidung1234 genannt.1235 Durch die Möglichkeit Gesetze zu erlassen, die im Widerspruch zu Pflichten aus völkerrechtlichen Verträgen stehen, werde dem Gesetzgeber eine „faktische Letztentscheidungskompetenz“ eingeräumt.1236 1227
Vgl. BVerfGE 90, 286 (364 – 365), (Fn. 1201). BVerfGE 90, 286 (364), (Fn. 1201). 1229 Siehe hierzu infra Kapitel 5 E.I. 1230 So z. B. wohl Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Die Rolle des Bundestags im Bereich der auswärtigen Gewalt: Sachstand (25. 04. 2017), WD 2 – 3000 – 032/17, 3 – 4; Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Parlamente in internationalen Vertragsverhandlungen: Sachstand (13. 05. 2016), WD 2 – 3000 – 076/16, 5 – 6; Juliane Kokott, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, 17 Das Deutsche Verwaltungsblatt (1996) 937, 937 – 938. 1231 Vgl. Juliane Kokott, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, (Fn. 1230), 939 – 940. 1232 BVerfGE 89, 155 – Maastricht (1993). 1233 Juliane Kokott, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, (Fn. 1230), 946 – 947, 949 – 950. 1234 BVerfGE 141, 1, (Fn. 112). 1235 Christina Henrich, Das Bundesverfassungsgericht und die Verteidigung der Demokratie: Was kümmert mich meine Zustimmung von gestern?, 35 Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (2016) 668, 670. 1236 Ibid. 1228
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Bei differenzierender Betrachtung lässt sich allerdings in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine allgemeine Tendenz in Richtung einer stärkeren Parlamentarisierung der auswärtigen Gewalt erkennen. Vielmehr bestätigt die Rechtsprechungslinie die Regierung als hauptsächlichen Träger der auswärtigen Gewalt und stärkt die Rechte des Parlaments lediglich in den Sonderbereichen der Wehrverfassung und der europäischen Integration.1237 Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht im Out-of-area-Urteil die Beteiligung des Parlaments ausdrücklich nicht auf die Gewaltenteilung im Bereich der auswärtigen Beziehungen, sondern das davon zu unterscheidende Wehrverfassungsrecht gestützt.1238 Diese Differenzierung mag man kritisieren,1239 doch zeigt sie, dass das Bundesverfassungsgericht sein exekutivfreundliches Verständnis der auswärtigen Gewalt gerade nicht aufgeben wollte.1240 Auch der Sonderbereich der europäischen Integration kann rechtlich nicht mit der allgemeinen auswärtigen Gewalt gleichgesetzt werden,1241 zumal hier mit Art. 23 GG eine Sondervorschrift besteht. Diese Sondervorschrift wurde wegen der Besonderheiten der Europäischen Union geschaffen und vom Verfassungsgeber bewusst nicht auf andere Bereiche, wie die Sicherheits- und Verteidigungspolitik, übertragen.1242 Insofern ist es wenig überraschend, dass das Bundesverfassungsgericht in ESM-Informationsrechte zunächst seine exekutivfreundliche Rechtsprechung zu Art. 59 II 1 GG wiederholte, bevor es sich Art. 23 GG zuwandte.1243 Somit ändern die Entscheidungen in den Bereichen Wehrverfassung und europäische Integration nichts an der grundsätzlich exekutivfreundlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur auswärtigen Gewalt. Die Treaty-Override-Entscheidung wiederum kann ebenfalls nicht als Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung zur auswärtigen Gewalt gesehen werden, da der Blickwinkel ein anderer ist. Im Zentrum steht nicht die Beteiligung des Parlaments an Entscheidungen über Völkerrechtsakte. Vielmehr geht es ausschließlich um die Frage, ob und inwieweit der Gesetzgeber beim Erlass innerstaatlicher Gesetze – also
1237
Christian Calliess, Auswärtige Gewalt, (Fn. 650), 613 Rn. 42. Diesen Gegensatz hebt das Verfassungsgericht selbst ausdrücklich hervor, siehe BVerfGE 90, 286 (381), (Fn. 1201). 1239 Kritisch z. B. Rüdiger Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, in: Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Berichte und Diskussionen auf der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer in Dresden vom 2. bis 5. Oktober 1996 (1997), 53. 1240 Vgl. Christian Calliess, Auswärtige Gewalt, (Fn. 650), 613 Rn. 40 – 42. 1241 So Calliess, der allerdings nicht ausschließt, dass aufgrund gewisser Parallelen zwischen europäischer Integration und den Entwicklungen auf Ebene des Völkerrechts manche Erkenntnisse übertragbar sein könnten, siehe Christian Calliess, Auswärtige Gewalt, (Fn. 650), 615 – 616 Rn. 46. 1242 Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, Die Rolle des Bundestags im Bereich der auswärtigen Gewalt, (Fn. 1230), 5. 1243 BVerfGE 131, 152 (195 – 196) – ESM-Informationsrechte (2012). 1238
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seiner Kernkompetenz – an völkerrechtliche Verträge gebunden ist, so dass ein Abweichen einen Verfassungsverstoß darstellen würde. Im Ergebnis lässt sich aus der Rechtsprechung somit nicht ablesen, dass das Bundesverfassungsgericht von der Vorherrschaft der Regierung im Bereich der auswärtigen Beziehungen abgerückt ist oder in nächster Zeit abrücken wird.1244 Ganz im Gegenteil hat es sie erst 2016 in NSA-Untersuchungsausschuss noch einmal bestätigt.1245 In dieser Entscheidung lehnte das Bundesverfassungsgericht abermals eine erweiternde Auslegung der Zustimmungs- und Mitwirkungsrechte des Bundestages ab und begründete dies wieder mit einer funktionsgerechten Gewaltenteilung und der außen- bzw. sicherheitspolitischen Handlungsfähigkeit.1246 Somit ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur auswärtigen Gewalt nach wie vor exekutivfreundlich.
II. Lehre von der gesamthänderischen Ausübung der auswärtigen Gewalt In der rechtswissenschaftlichen Literatur hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einige Unterstützer,1247 stößt aber auch auf Kritik. Schon auf der Staatsrechtslehrertagung im Jahr 1954 setzte Menzel der von Grewe1248 befürworteten exekutivfreundlichen Ansicht die Lehre von der kombinierten Gewalt entgegen.1249 Denn bereits die Grundannahme, dass die auswärtigen Beziehungen grundsätzlich der Exekutive zugewiesen sind, wird von vielen Stimmen in der Literatur abgelehnt.1250 Stattdessen sollen Staatsleitung und auswärtige Gewalt dem 1244
So auch Bernhard Kempen, Art. 59 GG, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, (Fn. 1181), 1542 – 1543 Rn. 32. 1245 BVerfGE 143, 101 (140 – 142), (Fn. 1201). 1246 BVerfGE 143, 101 (140 – 141), (Fn. 1201). 1247 Vgl. z. B. Bernhard Kempen, Art. 59 GG, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, (Fn. 1181), 1545 Rn. 36; Hans-Joachim Cremer, Das Verhältnis von Gesetzgeber und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: eine kritische Bestandsaufnahme, in: Geiger, Rudolf/Cremer, Hans-Joachim, Neuere Probleme der parlamentarischen Legitimation im Bereich der auswärtigen Gewalt (2003), 31 – 32. 1248 Für Grewes Ausführungen zum Verhältnis von Exekutive und Legislative im Bereich der auswärtigen Gewalt siehe Wilhelm Grewe, Die auswärtige Gewalt der Bundesrepublik, (Fn. 1193), 155 – 159. 1249 Für die Argumentation Menzels für eine kombinierte Gewalt siehe Eberhard Menzel, Die auswärtige Gewalt der Bundesrepublik, in: Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Berichte und Aussprache zu den Berichten in den Verhandlungen der Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer zu Bonn am 15. und 16. Oktober 1953 (1954), 194 – 200. 1250 So z. B. Stefan Ulrich Pieper, Art. 59 GG, in: Epping, Volker/Hillgruber, Christian, Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz (2021), 49. Edition, Rn. 28; Paulina Starski, Art. 59 GG, in: Münch, Ingo von/Kunig, Philip, Grundgesetz-Kommentar (7. Aufl. 2021), Rn. 43; Volker Röben, Außenverfassungsrecht: Eine Untersuchung zur auswärtigen Gewalt des
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Parlament und der Regierung gemeinsam bzw. gesamthänderisch zustehen,1251 wobei mal der Regierung1252 und mal dem Parlament1253 die Hauptrolle zugewiesen wird. Wichtigste Konsequenz dieser Auffassung ist, dass dem Bundestag ein allgemeines Recht zur Mitwirkung an allen bedeutenden Entscheidungen auf dem Gebiet der auswärtigen Beziehungen zugeschrieben wird.1254 Für ein derartiges allgemeines Mitwirkungsrecht des Bundestages werden mit Art. 23 I 2 und III, 24 I, 59 II 1, 115a und 115 I GG die verschiedenen Verfassungsbestimmungen angeführt, die eine Mitwirkung des Bundestages an einzelnen Entscheidungen auf dem Gebiet der auswärtigen Beziehungen vorsehen.1255 Ein zentrales Argument ist für die Lehre von der kombinierten Gewalt zudem, dass aufgrund der strukturellen Veränderungen im Völkerrecht die traditionelle Ansicht von der Vorherrschaft der Exekutive nicht länger aufrechterhalten werden könne.1256 Da das Völkerrecht nicht mehr nur zwischenstaatliche Beziehungen, sondern auch ehemals innerstaatliche Regelungsbereiche und die Rechtsstellung von Individuen betreffe, müsse das Parlament auch aus Gründen des Gesetzesvorbehalts und der Wesentlichkeitstheorie an der Gestaltung des Völkerrechts beteiligt werden.1257 Auch zeige der für die europäische Integration geschaffene Art. 23 GG, dass die Verlagerung der Normsetzung auf die supranationale Ebene zumindest durch eine Verfahrensbeteiligung des Parlaments kompensiert werden müsse.1258 Nach manchen Stimmen in der Literatur muss die Beteiligung des Parlaments an allen bedeutenden Entscheidungen nicht zwingend Gesetzesform annehmen, son-
offenen Staates (2012), 74; Stefan Kadelbach/Ute Guntermann, Vertragsgewalt und Parlamentsvorbehalt, 126 Archiv des öffentlichen Rechts (2001) 563, 568 – 569. 1251 Paulina Starski, Art. 59 GG, in: Münch/Kunig (2021), (Fn. 1250), Rn. 43; Rüdiger Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, (Fn. 1239), 40; Ernst Friesenhahn, Parlament und Regierung im modernen Staat, in: Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer, Berichte und Aussprache zu den Berichten in den Verhandlungen der Tagung der deutschen Staatsrechtslehrer zu Berlin am 10. und 11. Oktober 1957 (1958), 38, 67 – 68, 70. 1252 So z. B. Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I (2. Aufl. 1984), 499. 1253 So z. B. Eberhard Menzel, Die auswärtige Gewalt der Bundesrepublik, (Fn. 1249), 194 – 195. 1254 Vgl. z. B. Stefan Ulrich Pieper, Art. 59 GG, in: Epping/Hillgruber, (Fn. 1250), Rn. 28; Stefan Kadelbach/Ute Guntermann, Vertragsgewalt und Parlamentsvorbehalt, (Fn. 1250), 569; Rüdiger Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, (Fn. 1239), 53. 1255 Siehe z. B. Stefan Kadelbach/Ute Guntermann, Vertragsgewalt und Parlamentsvorbehalt, (Fn. 1250), 569; Rüdiger Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, (Fn. 1239), 44, 53. 1256 So z. B. Rüdiger Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, (Fn. 1239), 41 – 43; Juliane Kokott, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, (Fn. 1230), 938. 1257 Rüdiger Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, (Fn. 1239), 41 – 43. 1258 Rüdiger Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, (Fn. 1239), 44; Juliane Kokott, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, (Fn. 1230), 938 – 939.
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dern könnte wie bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr z. B. auch durch schlichten Parlamentsbeschluss erfolgen.1259
D. Ausdehnung oder analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG Andere Ansätze lassen die abstrakte Frage nach der Verteilung der auswärtigen Gewalt auf Exekutive und Legislative außen vor und erwägen stattdessen, die konkrete Verfassungsbestimmung in Art. 59 II 1 GG auf andere Akte als den Vertragsschluss auszudehnen oder analog anzuwenden.1260 Während dies nach einer Ansicht nur möglich ist, wenn eine Umgehung des Art. 59 II 1 GG verhindert werden muss (1.), differenziert eine andere Ansicht anhand der Funktionen der Zustimmungsbedürftigkeit (2.).
I. Teleologische Extension oder analoge Anwendung als Umgehungsverhinderung Verstößt ein Verhalten zwar nicht gegen den Wortlaut, aber gegen den Zweck einer Rechtsnorm, kann es sich dabei um eine Umgehung handeln.1261 Insofern wird auch bei Art. 59 II 1 GG befürchtet, dass das Beteiligungsrecht des Gesetzgebers in Bezug auf den Abschluss hochpolitischer und gesetzesinhaltlicher Verträge unterlaufen werden könnte, wenn man die Norm nicht aus teleologischen Gründen auch auf andere Akte anwendet.1262 Bereits in Pershing II sprach sich Richter Mahrenholz in einem Sondervotum gegen die restriktive Auslegung des Art. 59 II 1 GG durch die Senatsmehrheit und für dessen teleologische Extension1263 aus.1264 Seiner Auffassung nach hätte die Senatsmehrheit schon gar nicht mit einem idealisierten Gewaltenteilungsprinzip argumentieren dürfen, sondern hätte die Auslegung des Art. 59 II 1
1259
So z. B. Rüdiger Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, (Fn. 1239), 44 – 45. So z. B. Ondolf Rojahn, Art. 59, in: Münch/Kunig (2012), (Fn. 1187), 2660 – 2661 Rn. 21; Christian Calliess, Auswärtige Gewalt, (Fn. 650), 614 – 615 Rn. 45. 1261 Diese Definition der Umgehung geht auf das römische Recht zurück, vgl. Heinrich Honsell, Die rhetorischen Wurzeln der juristischen Auslegung, (Fn. 661), 111. 1262 Christian Calliess, Auswärtige Gewalt, (Fn. 650), 616 – 617 Rn. 48. 1263 Mit diesem Begriff der juristischen Methodenlehre gelingt es Cremer, das Kernargument von Richter Mahrenholz bereits begrifflich deutlich zu machen, siehe Hans-Joachim Cremer, Das Verhältnis von Gesetzgeber und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: eine kritische Bestandsaufnahme, (Fn. 1247), 19 Fn. 49. 1264 Für die vollständige Argumentation von Richter Mahrenholz siehe Sondervotum von Richter Mahrenholz, BVerfGE 68, 111 – NATO-Doppelbeschluss/Pershing II (1984). 1260
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GG stattdessen an der Funktion der konkreten Norm ausrichten müssen.1265 Diese Funktion hatte der Senat darin gesehen, dass das Eintreten langfristiger völkerrechtlicher Bindungen von der vorherigen parlamentarischen Zustimmung abhängig gemacht wird.1266 Nach Mahrenholz kann es der Regierung angesichts dieses Zwecks nicht gestattet sein, frei über die völkerrechtliche Handlungsform und damit die Anwendbarkeit des Gesetzesvorbehalts zu entscheiden.1267 Gehe man hingegen mit der Senatsmehrheit davon aus, dass die Regierung auch die völkerrechtliche Handlungsform eines einseitigen Aktes wählen könne, müsse sich das Zustimmungserfordernis des Art. 59 II 1 GG aufgrund seines Zwecks auch hierauf erstrecken.1268 Einige Jahre später – bei der Out-of-area-Entscheidung – nahm dann sogar die Hälfte des Zweiten Senats die Position ein, dass das bei Verträgen bestehende Mitwirkungsrecht des Bundestages durch eine weite Auslegung des Art. 59 II 1 GG geschützt werden müsse.1269 Nach ihrer Auffassung liegt entgegen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein Verstoß gegen Art. 59 II 1 GG bereits dann vor, wenn die Regierung Maßnahmen ergreift, die das darin verankerte Mitwirkungsrecht des Bundestages unmittelbar gefährden.1270 Entsprechend ging der die Entscheidung nicht tragende Teil des Senats davon aus, dass auch ein inhaltlich begrenztes Mitwirkungsrecht aus Art. 59 II 1 GG nicht auf formale Vertragsänderungen beschränkt werden kann, sondern alle völkerrechtlichen Handlungsformen umfassen muss, die zu einer rechtsverbindlichen Vertragsänderung führen können.1271 Nur so könne gewährleistet werden, dass der Gesetzgeber entsprechend dem Zweck des Art. 59 II 1 GG nicht ohne seine vorherige Zustimmung mit völkerrechtlichen Pflichten konfrontiert wird, die er nicht mehr beseitigen kann.1272 Somit darf die exekutivfreundliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch im Zweiten Senat Bestrebungen gab, Art. 59 II 1 GG auf Situationen auszudehnen, in denen seine Umgehung droht.
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Sondervotum von Richter Mahrenholz, BVerfGE 68, 111 (129), (Fn. 1264). BVerfGE 1, 68 (88), (Fn. 617). 1267 Sondervotum von Richter Mahrenholz, BVerfGE 68, 111 (127 – 128), (Fn. 1264); demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht die Freiheit der Regierung bei der Wahl des Handlungsinstruments inzwischen noch einmal ausdrücklich bestätigt, siehe BVerfGE 143, 101 (142), (Fn. 1201). 1268 Bei gesetzesinhaltlichen Verträgen soll das Auseinanderfallen von innerstaatlichem Recht und völkerrechtlicher Bindung vermieden werden, wohingegen bei politischen Verträgen eine politische Kontrolle durch das Parlament erfolgen soll. Diese Funktionen des Art. 59 II 1 GG sprechen laut Mahrenhoz dafür, ihn auch auf einseitige völkerrechtliche Akte anzuwenden, siehe Sondervotum von Richter Mahrenholz, BVerfGE 68, 111 (128 – 130), (Fn. 1264). 1269 Für die vollständige Argumentation der die Entscheidung nicht tragenden Hälfte des Zweiten Senats siehe BVerfGE 90, 286 (372 – 378), (Fn. 1201). 1270 BVerfGE 90, 286 (372), (Fn. 1201). 1271 BVerfGE 90, 286 (377), (Fn. 1201). 1272 BVerfGE 90, 286 (377), (Fn. 1201). 1266
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Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine in der Literatur vertretene Ansicht, welche die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG vertritt.1273 Nach Calliess1274 kann die Frage nach der Kompetenzverteilung in auswärtigen Angelegenheiten nicht abstrakt beantwortet werden, da verschiedene Staatsfunktionen betroffen sind und das Grundgesetz eine ausdifferenzierte Aufgabenverteilung vornimmt. Daher müsse für jede Zuständigkeitsfrage einzeln geklärt werden, ob hier eine planwidrige Regelungslücke besteht, die durch eine analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG geschlossen werden muss. Eine solche Regelungslücke könne wegen der vorhandenen effektiven Kontroll- und Einflussmöglichkeiten des Bundestages im Regelfall nicht angenommen werden, zumal diesem aus dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue bereits ein organadäquateres Informationsrecht zustehe. Daher soll nach Calliess eine Analogie aus teleologischen Gründen nur dann in Betracht kommen, wenn anderenfalls die Gefahr besteht, dass das für bestimmte Verträge vorgesehene Zustimmungsrecht unterlaufen wird.1275 Wenngleich Calliess diesen Fall nicht näher definiert, zeigen die von ihm gewählten Beispiele – materielle Vertragsänderung und soft law1276 –, dass eine Umgehung insbesondere bei Akten in Betracht kommt, die funktional mit dem Abschluss eines Vertrages vergleichbar sein können. Denn während bei materiellen Vertragsänderungen die funktionale Vergleichbarkeit mit dem Abschluss eines inhaltsgleichen Vertrages auf der Hand liegt, kann sie sich bei soft law-Deklarationen daraus ergeben, dass diese zwar nicht formell rechtsverbindlich sind, aber dennoch faktische Bindungswirkungen entfalten können.1277 Gemeinsam ist der in den Sondervoten vertretenen teleologischen Extension und der in der Literatur vertretenen analogen Anwendung des Art. 59 II 1 GG, dass sie eine Umgehung der Norm verhindern wollen. Wie später noch eingehender ausgeführt werden wird, stellen sie damit eine wichtige Ergänzung zur restriktiven Auslegung des Art. 59 II 1 GG durch das Bundesverfassungsgericht dar.1278 Methodisch liegen die beide Auffassungen relativ nah beieinander, da die teleologische Exten-
1273
Vertreten wird eine analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG z. B. von Ondolf Rojahn, Art. 59, in: Münch/Kunig (2012), (Fn. 1187), 2660 – 2661 Rn. 21; Christian Calliess, Auswärtige Gewalt, (Fn. 650), 614 – 615 Rn. 45. 1274 Für die vollständige Argumentation von Calliess siehe Christian Calliess, Auswärtige Gewalt, (Fn. 650), 614 – 618 Rn. 45 – 49. 1275 Christian Calliess, Auswärtige Gewalt, (Fn. 650), 616 – 617 Rn. 48. 1276 Vgl. Ibid. 1277 Dass soft law aufgrund seiner faktischen Bindungswirkungen funktional äquivalent zum Abschluss eines Vertrages sein kann, vertritt auch Vöneky. Allerdings lehnt sie eine analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG im Ergebnis ab, da ein Zustimmungsgesetz soft law-Deklarationen zu stark „verrechtlichen“ würde. Um dies zu vermeiden und dennoch der funktionalen Äquivalenz Rechnung zu tragen, vertritt sie stattdessen, dass im Rahmen einer erweiternden Auslegung des Art. 59 II 1 GG der Bundestag bestimmten soft-law-Deklarationen in Form eines einfachen Parlamentsbeschlusses zustimmen muss. Siehe hierzu Silja Vöneky, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, (Fn. 680), 422 – 423 Rn. 24 – 25. 1278 Siehe hierzu infra Kapitel 5 E.II.
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sion zwar noch keine Analogie darstellt, aber ebenfalls nicht vom Wortlaut, sondern dem Zweck der Norm getragen wird.1279
II. Teleologische Ausdehnung des Art. 59 II 1 GG aufgrund seiner Funktionen Kokott lehnt die Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ab, da sie das Vorverständnis von der Vorherrschaft der Exekutive für fragwürdig hält.1280 Vor allem plädiert sie aber dafür, die konkrete Vorschrift des Art. 59 II 1 GG als Ausgangspunkt zu nehmen und diese im Lichte ihrer Funktionen und der Wesentlichkeitstheorie auszulegen.1281 Bei politischen Verträgen sieht Kokott deren große Bedeutung als Grund für die Zustimmungsbedürftigkeit, was auch der Wesentlichkeitstheorie entsprechen soll. Die Funktion des Zustimmungserfordernisses bei gesetzesinhaltlichen Verträgen sieht sie wiederum in der Vollzugssicherung und dem Schutz der Entscheidungsfreiheit des Parlaments.1282 Dadurch, dass Kokott sich vor allem auf die Funktion des Zustimmungserfordernisses stützt und hier zwischen politischen und gesetzesinhaltlichen Verträgen unterscheidet, kommt sie in einigen Fällen zu differenzierten Ergebnissen. Dies zeigt sich beispielsweise bei der Kündigung von Verträgen.1283 Hier soll bei politischen Verträgen die ordentliche Kündigung zustimmungsbedürftig sein, da sie ebenso wie der Vertragsschluss von großer Bedeutung ist und anders als bei der außerordentlichen Kündigung kein besonderes Bedürfnis für schnelles Regierungshandeln besteht. Die Kündigung gesetzesinhaltlicher Verträge soll demgegenüber ohne Zustimmung des Parlaments erfolgen können, da hier anders als beim Abschluss des entsprechenden Vertrages weder der Vollzug gesichert noch die parlamentarische Entscheidungsfreiheit geschützt werden muss.1284 Das Beispiel der Kündigung zeigt zugleich, dass die Mitwirkung des Parlaments bei Kokott oftmals weiter reicht als in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, der zufolge die Regierung stets allein über die Kündigung entscheiden kann.1285 1279 Siehe hierzu Karl Larenz/Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (3. Aufl. 1995), 216, 218. 1280 Siehe Juliane Kokott, Art. 59 Abs. 2 GG und einseitige völkerrechtliche Akte, (Fn. 1188), 508 – 511. 1281 Ibid. 1282 Juliane Kokott, Art. 59 Abs. 2 GG und einseitige völkerrechtliche Akte, (Fn. 1188), 510 – 511. 1283 Für Kokotts differenzierte Ausführungen zur Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung von Verträgen siehe Juliane Kokott, Art. 59 Abs. 2 GG und einseitige völkerrechtliche Akte, (Fn. 1188), 511 – 514. 1284 Juliane Kokott, Art. 59 Abs. 2 GG und einseitige völkerrechtliche Akte, (Fn. 1188), 511 – 514. 1285 Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 141, 1 (23, 37), (Fn. 112); BVerfGE 1, 68 (83 – 84), (Fn. 617).
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Wie im nächsten Abschnitt noch ausführlicher dargelegt werden wird, geht die Ansicht von Kokott jedoch zu weit. Denn die Wesentlichkeitstheorie bestimmt zwar, welche Verträge nach Art. 59 II 1 GG zustimmungsbedürftig sind, kann den Anwendungsbereich des Art. 59 II 1 GG jedoch nicht über den Abschluss bestimmter Verträge hinaus auf andere Akte der auswärtigen Gewalt ausdehnen.1286
E. Eigene Stellungnahme Das Bundesverfassungsgericht zeichnet ein zutreffendes Bild von der im Grundgesetz niedergelegten Kompetenzordnung, wenn es der Regierung grundsätzlich die vorrangige Stellung im Bereich der auswärtigen Beziehungen zuspricht (I.). Nicht von der Hand zu weisen ist aber auch der Einwand, dass die verfassungsrechtliche Kompetenzordnung unbeabsichtigte Lücken aufweist, die Art. 59 II 1 GG zu unterlaufen drohen und daher durch seine analoge Anwendung geschlossen werden müssen (II.).
I. Zustimmung zur engen Auslegung des Art. 59 II 1 GG Indem Art. 59 II 1 GG nur für bestimmte Verträge die Zustimmung des Parlaments verlangt, zeigt er bereits, dass die Regierung weder alle Entscheidungen im Bereich der auswärtigen Beziehungen allein treffen kann noch stets das Parlament beteiligen muss. Wenngleich die Regierung nach dem Grundgesetz somit nicht ausschließlicher Träger der auswärtigen Gewalt sein kann,1287 ist damit noch nicht geklärt, wie weit das Beteiligungsrecht des Parlaments reicht und welche Entscheidungen es gegenständlich betrifft. In dieser Hinsicht überzeugt die Grundannahme des Bundesverfassungsgerichts, dass das Grundgesetz die auswärtige Gewalt in erster Linie der Regierung zuweist und das Parlament nur bei bestimmten Entscheidungen und nur in begrenztem Umfang beteiligt wird. Methodisch mag man kritisieren, dass das Verfassungsgericht Art. 59 II 1 GG im Lichte eines idealisierten Gewaltenteilungsprinzips auslegt, obwohl es umgekehrt zunächst das grundgesetzliche Gewaltenteilungsprinzip anhand der konkreten Grundgesetzbestimmungen – einschließlich Art. 59 II 1 GG – hätte auslegen müs-
1286 So auch Stefan Kadelbach/Ute Guntermann, Vertragsgewalt und Parlamentsvorbehalt, (Fn. 1250), 573 – 574. Für eine ausführlichere Version dieses Argumentes siehe Kapitel 5 E.I. 1287 Baade weist zutreffend darauf hin, dass die auswärtige Gewalt nicht ausschließlich der Exekutive zustehen kann, da Bestimmungen wie Art. 24 I GG eine Mitwirkung der Legislative vorsehen, Hans W. Baade, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt der Bundesrepublik Deutschland: Studien über den Einfluß der auswärtigen Beziehungen auf die innerstaatliche Verfassungsentwicklung (1962), 115 – 116.
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Teil 2: Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot
sen.1288 Letztendlich bleibt diese methodische Kritik jedoch folgenlos, da man zum selben Ergebnis wie das Bundesverfassungsgericht gelangt, wenn man statt auf eine idealisierte Gewaltenteilung auf die konkrete Ausgestaltung der auswärtigen Gewalt durch das Grundgesetz abstellt. Zwar sehen Art. 23 I 2 und III, 24 I, 59 II 1, 115a GG und 115 l GG die Mitwirkung des Bundestages auf dem Gebiet der auswärtigen Beziehungen vor, doch ist diese Mitwirkung gerade nicht als Generalklausel, sondern nur in Bezug auf jeweils konkret benannte Entscheidungen vorgesehen. Wenngleich der Regierung umgekehrt ebenfalls nicht ausdrücklich eine allgemeine Zuständigkeit zugewiesen wird, lässt sich eine solche jedoch aus der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers in Art. 65 GG ableiten.1289 Insofern legt die Verfassungssystematik nahe, dass auf dem Gebiet der auswärtigen Gewalt grundsätzlich die Regierung zuständig ist und dem Bundestag bei allen nicht speziell geregelten Entscheidungen kein allgemeines Mitwirkungsrecht zustehen soll. Dem steht nicht entgegen, dass das Grundgesetz umgekehrt ebenfalls ausdrückliche Einzelzuweisungen an die Exekutive enthält.1290 Art. 32 III GG und Art. 87 GG betreffen schließlich nicht die Verteilung der auswärtigen Gewalt auf Regierung und Bundestag, sondern vielmehr die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Art. 115a I 2 GG wiederum betrifft zwar das Verhältnis von Regierung und Bundestag, doch eignet sich diese Regelung zur Feststellung des Verteidigungsfalles aufgrund ihres speziellen Hintergrunds nicht für allgemeine Aussagen zur auswärtigen Gewalt. Denn sie bildet das Gesetzgebungsverfahren nach, um die Feststellung des Verteidigungsfalls auf einen breiten Konsens zu stützen und einen Missbrauch durch die Exekutive zu vermeiden.1291 Somit eignen sich Art. 32 III, 87 und 115a I 2 GG nicht als Argument gegen die grundsätzliche Zuständigkeit der Exekutive. Folglich stützt die Systematik der Kompetenzverteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt das Ergebnis, welches das Bundesverfassungsgericht bereits mit dem Wortlaut, dem Argument der funktionsgerechten Gewaltenteilung, der Verfassungsgeschichte und der außenpolitischen Handlungsfähigkeit begründet hat.1292 Zuzustimmen ist auch der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, dass die im Grundgesetz vorgesehene gewaltenteilende Kompetenzordnung nicht unter Verweis auf das Demokratieprinzip unterlaufen werden darf, zumal auch die Regierung 1288 Für diese Kritik siehe Sondervotum von Richter Mahrenholz, BVerfGE 68, 111 (129), (Fn. 1264). 1289 BVerfGE 1, 372 (394), (Fn. 1170); Wilhelm Grewe, Zum Verfassungsrecht der auswärtigen Gewalt: Die Kompetenzverteilung zwischen den Bundesorganen, 112 Archiv des öffentlichen Rechts (1987) 521, 530. 1290 So aber Rüdiger Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, (Fn. 1239), 44 Fn. 26; Sigfried Weiß, Auswärtige Gewalt und Gewaltenteilung (1971), 64 – 65. 1291 Roman Schmidt-Radefeldt, Art. 115a GG, in: Epping, Volker/Hillgruber, Christian, Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz (2021), 49. Edition, Vor Rn. 1, Rn. 17. 1292 Vgl. BVerfGE 104, 151 (207) – Neues NATO-Konzept (2001); BVerfGE 1, 68 (83 – 89), (Fn. 617).
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demokratisch legitimiert ist.1293 Entsprechend kann auch der Wesentlichkeitstheorie nur eine begrenzte Rolle zukommen.1294 Da Art. 59 II 1 GG eine Ausprägung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts ist,1295 kann innerhalb seines auf den Vertragsschluss begrenzten Anwendungsbereichs mit der Wesentlichkeitstheorie ermittelt werden, ob das Parlament beteiligt werden muss.1296 Das bedeutet, dass ein Vertrag gesetzesinhaltlich und damit zustimmungsbedürftig ist, wenn die Wesentlichkeitstheorie ein formelles Gesetz erfordert.1297 Dies ist der Fall, wenn der Vertrag eine wesentliche Entscheidung in einem grundlegenden normativen Bereich betrifft, insbesondere also wenn er grundrechtsrelevant ist.1298 Die Wesentlichkeitstheorie oder ihr verwandte Erwägungen können aber nicht die Zustimmungsbedürftigkeit von Akten der auswärtigen Gewalt herbeiführen, die außerhalb des gegenständlichen Anwendungsbereichs von Art. 59 II 1 GG liegen.1299 Denn dies würde die grundgesetzliche Kompetenzordnung ändern, welche das Parlament nur an bestimmten Akten, wie dem Abschluss politischer und gesetzesinhaltlicher Verträge, beteiligt. Zutreffend ist auch die Annahme des Bundesverfassungsgerichts,1300 dass eine effektive Kontrolle der Regierung trotz der restriktiven Auslegung des Art. 59 II 1 GG möglich ist, da das Parlament zwar nicht per Gesetz, aber mit seinen allgemeinen parlamentarischen Mitteln auf sie einwirken kann.1301 Auch wird das Parlament in der Praxis bei wichtigen Entscheidungen ohnehin häufig unterrichtet und konsultiert, was man auch als Erfüllung von aus dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue entspringenden Unterrichtungs- und Konsultationspflichten sehen kann.1302 1293
Vgl. BVerfGE 1, 68 (87), (Fn. 617).; BVerfGE 49, 89 (125) – Kalkar I (1978). Zur eingeschränkten Geltung der Wesentlichkeitstheorie im Bereich der auswärtigen Gewalt siehe Stefan Kadelbach/Ute Guntermann, Vertragsgewalt und Parlamentsvorbehalt, (Fn. 1250), 572 – 574. 1295 BVerfGE 49, 89 (126 – 127), (Fn. 1293). 1296 Silja Vöneky, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, (Fn. 680), 420 Rn. 17 – 18; Stefan Kadelbach/Ute Guntermann, Vertragsgewalt und Parlamentsvorbehalt, (Fn. 1250), 573 – 574. 1297 Rudolf Geiger, Staatsrecht III, (Fn. 1160), 124; Ondolf Rojahn, Art. 59, in: Münch/ Kunig (2012), (Fn. 1187), 2665 Rn. 26. 1298 Zur Wesentlichkeitstheorie und den Kriterien zur Bestimmung der Wesentlichkeit siehe BVerfGE 49, 89 (126 – 127); Bernd Grzeszick, Art. 20 III GG, in: Dürig, Günter/Herzog, Roman/Scholz, Rupert, Grundgesetz Kommentar (2021), 95. EL, Rn. 105 – 107. 1299 Stefan Kadelbach/Ute Guntermann, Vertragsgewalt und Parlamentsvorbehalt, (Fn. 1250), 573 – 574; so aber wohl Rudolf Streinz, Art. 59 GG, in: Sachs, (Fn. 697), Rn. 27; Juliane Kokott, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, (Fn. 1230), 939 – 940. 1300 Siehe z. B. BVerfGE 90, 286 (364 – 365), (Fn. 1201). 1301 So auch Hans-Joachim Cremer, Das Verhältnis von Gesetzgeber und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: eine kritische Bestandsaufnahme, (Fn. 1247), 29 – 30. 1302 Dieser Gedanke findet sich bereits im Vortrag von Cremer und wurde von ihm bei der anschließenden Diskussion nochmal deutlicher ausformuliert, siehe Hans-Joachim Cremer, Das Verhältnis von Gesetzgeber und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt in der 1294
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II. Analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG bei Umgehungsgefahr Auch wenn dem Bundesverfassungsgericht in seinem Verständnis von der im Grundgesetz vorgesehenen Kompetenzverteilung grundsätzlich zuzustimmen ist, ist das Bild von der Verteilung der auswärtigen Gewalt damit noch nicht vollständig. Vielmehr kann mit einer in der Literatur vertretenen Auffassung eine analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG geboten sein, um ungewollte Lücken zu schließen.1303 Denn eine solche Analogie ist auch im Verfassungsrecht nicht verboten (1.) und die Voraussetzungen für einen Analogieschluss können jedenfalls dann vorliegen, wenn eine Umgehung des Art. 59 II 1 GG droht (2.). 1. Kein Analogieverbot Die Stimmen in der Literatur, die eine analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG vertreten, scheinen implizit davon auszugehen, dass ein Analogieschluss nicht bereits aus grundsätzlichen Erwägungen ausscheidet.1304 Dennoch soll kurz erörtert werden, ob der analogen Anwendung dieser Verfassungsbestimmung nicht ein Analogieverbot entgegensteht. Zwar sieht das Grundgesetz mit Art. 103 II GG ein ausdrückliches Analogieverbot nur für das Strafrecht vor, doch schließt dies die Existenz weiterer Analogieverbote nicht aus.1305 Entsprechend wird vertreten, dass in manchen Bereichen des öffentlichen Rechts Analogieverbote existieren. So soll sich im Verwaltungs-, Steuer- und Sozialrecht aus dem Vorbehalt des Gesetzes und der Wesentlichkeitstheorie ein Verbot für Analogien ergeben, die intensiv in die Grundrechte der Bürger eingreifen und diese dadurch belasten.1306 Auf die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG lassen sich derartige Erwägungen allerdings nicht übertragen, da er die Rechtssphäre der Bürger nicht berührt, sondern nur das Verhältnis von Exekutive und Legislative regelt. Obwohl üblicherweise vor allem Gesetze analog angewendet werden, ist auch kein pauschales Analogieverbot für verfassungsrechtliche Normen ersichtlich. Vielmehr ist die Analogie als anerkannte Methode der lückenschließenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: eine kritische Bestandsaufnahme, (Fn. 1247), 29 – 31, 36 – 37. 1303 Vertreten wird eine analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG z. B. von Ondolf Rojahn, Art. 59, in: Münch/Kunig (2012), (Fn. 1187), 2660 – 2661 Rn. 21; Christian Calliess, Auswärtige Gewalt, (Fn. 650), 614 – 615 Rn. 45. 1304 Weder Rojahn noch Calliess erörtern die Frage eines Analogieverbots und gehen damit implizit davon aus, dass ein solches nicht besteht. Siehe Ondolf Rojahn, Art. 59, in: Münch/ Kunig (2012), (Fn. 1187), 2659 – 2660 Rn. 21; Christian Calliess, Auswärtige Gewalt, (Fn. 650), 614 – 618 Rn. 45 – 49. 1305 Guy Beaucamp, Zum Analogieverbot im öffentlichen Recht, 134 Archiv des öffentlichen Rechts (2009) 83, 91. 1306 Vgl. Guy Beaucamp, Zum Analogieverbot im öffentlichen Recht, (Fn. 1305), 99 – 105.
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Rechtsfortbildung auch im Verfassungsrecht möglich.1307 Dies zeigt auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. In dieser wurde die analoge Anwendung von Grundgesetzbestimmungen bislang nie aus grundsätzlichen Erwägungen, sondern jeweils nur im konkreten Fall abgelehnt.1308 Zudem besteht auch ein praktisches Bedürfnis für die Möglichkeit zur Verfassungsfortbildung. Da die Verfassung für einen langen Zeitraum Geltung beansprucht, muss es möglich sein, sie an eine geänderte Lebenswirklichkeit anzupassen.1309 Gewährleistet wird diese Anpassung nicht nur durch förmliche Verfassungsänderungen, sondern auch durch den implizit zulässigen Verfassungswandel, der ohne textliche Veränderungen die Rechtslage fortentwickelt.1310 Allerdings ist bei der lückenschließenden Verfassungsfortbildung eine gewisse Zurückhaltung geboten, da die förmliche Verfassungsänderung nach Art. 79 I, II GG besonderen Anforderungen unterliegt und diese nicht unterlaufen werden dürfen.1311 Insofern muss gut begründet werden, dass die Verfassungsfortbildung nach einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse erforderlich wurde, damit die lückenhaft gewordene Verfassung ihre ordnende und begrenzende Funktion weiterhin erfüllen kann.1312 Trotz der gebotenen Zurückhaltung kommt nach diesen Maßstäben gerade bei Art. 59 II 1 GG eine analoge Anwendung grundsätzlich in Betracht. Schließlich kam es seit der Entstehung dieser Vorschrift zu einem erheblichen Strukturwandel im Völkerrecht, dem bei ihrer Anwendung Rechnung getragen werden muss.1313 So ist Art. 59 II GG heute schon allein deshalb unzureichend, weil er seinem Wortlaut nach nur die Organkompetenz bei Verträgen, nicht aber bei den vielfältigen anderen völkerrechtlichen Handlungsformen regelt.1314 Insofern erkennen sogar Befürworter einer engen Auslegung des Art. 59 II 1 GG an, dass die völkerrechtlichen Entwicklungen auf verfassungsrechtlicher Ebene zu einer Gewichtsverlagerung im Verhältnis von Exekutive und Legislative geführt haben.1315 Vor diesem Hintergrund 1307 So jedenfalls Michael Sachs, Einführung, in: Sachs, Michael, Grundgesetz Kommentar (9. Aufl. 2021), Rn. 45; Christian Starck, Maximen der Verfassungsauslegung, in: Isensee, Josef/Kirchhof, Paul, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 12 (3. Aufl. 2014), 634 Rn. 35. 1308 Vgl. BVerfGE 111, 226 (251); BVerfGE 1, 68 (84 – 89), (Fn. 617); 37 BVerfGE 37, 271 (302 – 303) – Solange I (1974). 1309 Vgl. Peter Badura, Verfassungsänderung, Verfassungswandel, Verfassungsgewohnheitsrecht, in: Isensee, Josef/Kirchhof, Paul, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 12 (3. Aufl. 2014), 597 Rn. 13. 1310 Vgl. Peter Badura, Verfassungsänderung, Verfassungswandel, Verfassungsgewohnheitsrecht, (Fn. 1309), 597 – 599 Rn. 13 – 18. 1311 Michael Sachs, Einführung, in: Sachs, (Fn. 1307), Rn. 45. 1312 Christian Starck, Maximen der Verfassungsauslegung, (Fn. 1307), 634 Rn. 35. 1313 Vgl. Ondolf Rojahn, Art. 59, in: Münch/Kunig (2012), (Fn. 1187), 2646 – 2647 Rn. 2. 1314 Vgl. Martin Nettesheim, Art. 59 GG, in: Dürig/Herzog/Scholz, (Fn. 1172), Rn. 7; Ulrich Fastenrath/Thomas Groh, Art. 59 GG, in: Friauf, Karl Heinrich/Höfling, Wolfram, Berliner Kommentar zum Grundgesetz (2000), 100 – 101 Rn. 164. 1315 Vgl. z. B. Wilhelm Grewe, Die auswärtige Gewalt der Bundesrepublik, (Fn. 1193), 176.
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ist nicht überraschend, dass gerade bei Art. 59 II 1 GG von einigen Stimmen in der Literatur eine analoge1316 oder zumindest erweiterte Auslegung1317 vertreten wird. Wenngleich die analoge Anwendung von Verfassungsbestimmungen somit nicht grundsätzlich verboten ist,1318 könnten ihr im Fall von Art. 59 II 1 GG Gewaltenteilungserwägungen entgegenstehen. Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht es in der Vergangenheit bereits ausdrücklich abgelehnt, Art. 59 II 1 GG auf eine Abmachung mit den Besatzungsmächten,1319 die Stationierung von nuklear bestückten Mittelstreckenraketen in Deutschland1320 oder den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen von Systemen kollektiver Sicherheit1321 analog anzuwenden. Begründet hatte es die Ablehnung der analogen Anwendung in diesen Fällen jeweils damit, dass die Ausdehnung der Verfassungsbestimmung die im Grundgesetz vorgesehene Gewaltenteilung verändern würde. Demgegenüber stellt es jedoch keine Veränderung der Gewaltenteilung dar, wenn die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG lediglich verhindert, dass das Zustimmungserfordernis beim Abschluss von Verträgen umgangen wird. Schließlich schützt die Analogie hier eine in der Verfassung ausdrücklich angelegte Wertung, wohingegen das Fortbestehen der Lücke sie unterminieren würde. Hierin liegt der Unterschied zu den drei erwähnten Verfassungsgerichtsentscheidung, wo die fraglichen Akte sich – jedenfalls nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts – deutlich vom Abschluss eines Vertrages unterschieden. Hätte man das Zustimmungserfordernis in diesen Fällen ausgedehnt, würde man in der Tat von der grundgesetzlichen Wertung abweichen, dass der Gesetzgeber nur beim Abschluss von (bestimmten) Verträgen über ein besonderes Beteiligungsrecht verfügt. Anders liegt der Fall jedoch, wenn die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG lediglich seine Umgehung verhindern soll. Denn in diesem Fall unterläuft die Analogie nicht die Wertungen der grundgesetzlichen Gewaltenteilung, sondern schützt sie im Gegenteil sogar. Somit steht der analogen Anwendung des Art. 59 II 1 GG jedenfalls dann kein Analogieverbot entgegen, wenn die Analogie der Umgehungsverhinderung dient. 2. Planwidrige Regelungslücke und vergleichbare Interessenlage Die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG können im Einzelfall vorliegen. Ein Analogieschluss setzt erstens eine planwidrige Regelungslücke voraus, also eine durch Auslegung nicht zu schließende Regelungslücke, 1316 Siehe Ondolf Rojahn, Art. 59, in: Münch/Kunig (2012), (Fn. 1187), 2659 – 2660 Rn. 21; Christian Calliess, Auswärtige Gewalt, (Fn. 650), 614 – 618 Rn. 45 – 49. 1317 Siehe z. B. Silja Vöneky, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, (Fn. 680), 422 – 423 Rn. 24 – 25. 1318 Michael Sachs, Einführung, in: Sachs, (Fn. 1307), Rn. 45; Christian Starck, Maximen der Verfassungsauslegung, (Fn. 1307), 634 Rn. 35. 1319 BVerfGE 1, 351 (366 – 370), (Fn. 1194). 1320 BVerfGE 1, 68 (84 – 89), (Fn. 617). 1321 BVerfGE 90, 286 (358), (Fn. 1201).
Kap. 5: Völkerrechtsakte in der deutschen Rechtsordnung
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die vom Normerzeuger übersehen wurde oder später durch einen Wandel der tatsächlichen Umstände eingetreten ist.1322 Zweitens ist eine vergleichbare Interessenlage erforderlich, die vorliegt, wenn die Ähnlichkeit zwischen dem geregelten und dem ungeregelten Fall die Übertragung der Rechtsfolge rechtfertigt.1323 Wenngleich diese Voraussetzungen im jeweiligen Einzelfall geprüft werden müssen, ist anerkannt, dass die grundgesetzliche Kompetenzordnung im Bereich der auswärtigen Gewalt lückenhaft ist.1324 Schließlich haben die zwischenstaatlichen Beziehungen seit der Entstehung des Grundgesetzes einen tiefgreifenden Strukturwandel durchlaufen, was Anzahl und Inhalt der völkerrechtlichen Regelungen betrifft.1325 Diese Veränderungen haben auch dazu geführt, dass die exekutivfreundliche Auslegung des Bundesverfassungsgerichts inzwischen unter einem erheblichen Rechtfertigungsdruck steht.1326 Die Regelungslücken im Bereich der auswärtigen Gewalt können unter bestimmten Voraussetzungen als planwidrig angesehen werden. Mit Calliess1327 ist anzunehmen, dass das Fehlen eines speziellen parlamentarischen Mitwirkungsrechts in Bezug auf Akte der auswärtigen Gewalt grundsätzlich nicht planwidrig ist, da die bestehenden Informations- und Kontrollrechte bereits eine organadäquate und funktionsgerechte Parlamentsbeteiligung gewährleisten. Widerlegt wird die Vermutung für die Planmäßigkeit der Regelungslücke jedoch, wenn die Zustimmungsfreiheit des Akts das verfassungsrechtlich vorgesehene Zustimmungsrecht des Parlaments beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge zu unterlaufen droht.1328 Schließlich kann nicht angenommen werden, dass der Verfassungsgeber seine ausdrücklichen Regelungen zur Kompetenzverteilung dadurch aushöhlen wollte, dass er für andere Situationen keine Regelung getroffen hat. Anders formuliert, soll das Schweigen des Verfassungsgebers im Zweifel nicht seinen ausdrücklich geäußerten Willen untergraben. Insofern deutet eine Umgehungsgefahr auf eine planwidrige Regelungslücke hin und liegt insbesondere vor, wenn der fragliche Völkerrechtsakt ein funktionales Äquivalent zum Abschluss eines politischen oder gesetzesinhaltlichen Vertrages darstellt.1329 1322
Vgl. Guy Beaucamp, Zum Analogieverbot im öffentlichen Recht, (Fn. 1305), 84 – 85. Guy Beaucamp, Zum Analogieverbot im öffentlichen Recht, (Fn. 1305), 85. 1324 Statt vieler Martin Nettesheim, Art. 59 GG, in: Dürig/Herzog/Scholz, (Fn. 1172), Rn. 6 – 7; Ulrich Fastenrath/Thomas Groh, Art. 59 GG, in: Berliner Kommentar, (Fn. 1314), 100 – 101 Rn. 164. 1325 Ondolf Rojahn, Art. 59, in: Münch/Kunig (2012), (Fn. 1187), 2646 – 2647 Rn. 2. 1326 Vgl. Frank Schorkopf, Grundgesetz und Überstaatlichkeit (2007), 288 – 289. 1327 Zu den Voraussetzungen für eine planwidrige Regelungslücke auf dem Gebiet der auswärtigen Gewalt siehe Christian Calliess, Auswärtige Gewalt, (Fn. 650), 616 – 617 Rn. 48; für eine eingehendere Darstellung der Auffassung von Calliess siehe Kapitel 5 D.II. 1328 Ibid. 1329 Auch Calliess scheint angesichts der gewählten Beispiele – materielle Vertragsänderung und soft law – eine Umgehungsgefahr vor allem bei funktionaler Äquivalenz zum Vertragsschluss anzunehmen, wenngleich er die Voraussetzungen für eine Umgehungsgefahr nicht 1323
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Teil 2: Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot
Stellt ein Völkerrechtsakt ein funktionales Äquivalent zum Vertragsschluss dar, sprich dies zugleich auch für die Vergleichbarkeit der Interessenlage, da sich dann der geregelte und der ungeregelte Fall ähneln.1330 Daher dürfte hier im Regelfall eine Übertragung der Rechtsfolge des Art. 59 II 1 GG gerechtfertigt sein, sofern sich nicht im Einzelfall aus den für Gewaltenteilungsfragen gewichtigen Kriterien der Organadäquanz und Funktionsgerechtigkeit etwas anderes ergibt.1331 Folglich können im Einzelfall die engen Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG vorliegen, insbesondere, wenn der fragliche Völkerrechtsakt ein funktionales Äquivalent zum Abschluss eines politischen oder gesetzesinhaltlichen Vertrages darstellt. Somit ist dem Bundesverfassungsgericht zwar darin zuzustimmen, dass die Legislative im Bereich der auswärtigen Gewalt nur in bestimmten Fällen über ein Zustimmungsrecht verfügt. Wo ein solches Zustimmungsrecht verfassungsrechtlich vorgesehen ist, muss es jedoch im Bedarfsfall durch analoge Anwendung der entsprechenden Verfassungsbestimmung vor seiner Umgehung geschützt werden. Einen umfassenden Umgehungsschutz kann dabei nur ein Analogieschluss und nicht etwa eine extensive Auslegung gewährleisten. Anders als eine extensive Auslegung ist eine Analogie schließlich nicht auf diejenigen Fälle begrenzt ist, die zumindest noch in den Randbereich des Normwortlauts fallen.1332
F. Innerstaatliche Wirkungen von Völkerrecht Damit in den nächsten Kapiteln die innerstaatlichen Wirkungen der vorläufigen Anwendung und des Frustrationsverbotes eingeordnet werden können, sollen zunächst allgemein die innerstaatlichen Wirkungen von Völkerrecht dargestellt werden. Nach kurzen Ausführungen zum Verhältnis von Grundgesetz und Völkerrecht (I.) werden dazu die direkten und indirekten Wirkungen von Völkerrecht aufgezeigt werden (II.). Abschließend wird erörtert werden, ob und inwieweit der deutsche Gesetzgeber an die völkerrechtlichen Pflichten Deutschlands, insbesondere solche aus Verträgen, gebunden ist (III.) näher definiert. Siehe hierzu Christian Calliess, Auswärtige Gewalt, (Fn. 650), 416 – 417 Rn. 48. 1330 Ein ähnlicher Gedanke findet sich bei Vöneky, die bei bestimmten soft law-Deklarationen zwar keine analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG vertritt, aber aufgrund der funktionalen Äquivalenz zum Vertragsschluss eine Zustimmung durch Parlamentsbeschluss für erforderlich hält. Siehe hierzu Silja Vöneky, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, (Fn. 680), 422 – 423 Rn. 24 – 25. 1331 Auch Rojahn, der ebenfalls eine analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG vertritt, hebt hervor, dass die Kriterien der Organadäquanz und Funktionsgerechtigkeit den Maßstab für die Auslegung der Verfassungsbestimmung bilden müssen. Siehe Ondolf Rojahn, Art. 59, in: Münch/Kunig (2012), (Fn. 1187), 2659 – 2660 Rn. 21. 1332 Vgl. Heinrich Honsell/Theo Mayer-Maly, Rechtswissenschaft: Die Grundlagen des Rechts (7. Aufl. 2018), 132 – 133.
Kap. 5: Völkerrechtsakte in der deutschen Rechtsordnung
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I. Verhältnis von Grundgesetz und Völkerrecht Das Grundgesetz betrachtet das Völkerrecht als separate Rechtsordnung, dessen Rechtsnormen erst einmal Eingang in die deutsche Rechtsordnung finden müssen (1.). Dennoch ist es ihm gegenüber offen (2.). 1. Einbeziehung von Völkerrecht in die deutsche Rechtsordnung Die innerstaatlichen Wirkungen von Völkerrecht werden für die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ in Art. 25 GG und für Verträge in Art. 59 II GG geregelt.1333 Zutreffender Weise folgern der überwiegende Teil der Lehre1334 und das Bundesverfassungsgericht1335 aus Existenz und Inhalt dieser beiden Verfassungsbestimmungen, dass das Grundgesetz dem (gemäßigten) dualistischen Verständnis folgt. Aus Sicht des Grundgesetzes sind Völkerrecht und innerstaatliches Recht demnach zwei verschiedene Rechtskreise, deren Verhältnis vom deutschen Recht bestimmt wird.1336 Es ist also das Grundgesetz, das über die innerstaatliche Wirksamkeit und Anwendbarkeit von Völkerrecht entscheidet.1337 Daher erlangt das Völkerrecht in der deutschen Rechtsordnung nur Geltung, wenn es auf Grundlage verfassungsrechtlicher Normen wie Art. 25 und 59 II GG formgerecht und verfassungskonform inkorporiert wird.1338 Folglich sind die völkerrechtliche und die innerstaatliche Rechtslage nicht zwingend deckungsgleich, sondern können sich unterscheiden.1339
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Heutzutage ist anerkannt, dass Art. 59 II GG die innerstaatlichen Wirkungen völkerrechtlicher Verträge regelt und diese anders als Völkergewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze daher nicht unter Art. 25 GG fallen, Rudolf Geiger, Staatsrecht III, (Fn. 1160), 148. 1334 Statt vieler Silja Vöneky, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, (Fn. 680), 417 Rn. 9; Walter Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht: Theoretische und dogmatische Untersuchungen über die Anwendung völkerrechtlicher Normen in der Bundesrepublik Deutschland (1967), 146 – 150, 283; vertreten wird aber auch, dass sich das Grundgesetz nicht eindeutig festgelegt hat und sowohl einer gemäßigt monistischen als auch einer dualistischen Deutung zugänglich ist, so z. B. Bernhard Kempen, Art. 59 GG, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, (Fn. 1181), 1560 – 1561 Rn. 87. 1335 Auch wenn das Verfassungsgericht nicht ausdrücklich von Dualismus spricht, geht es von zwei getrennten Rechtsordnungen aus. Siehe hierzu BVerfGE 141, 1 (15 – 16), (Fn. 112); BVerfGE 111, 307 (318), (Fn. 824). 1336 BVerfGE 111, 307 (318), (Fn. 824). 1337 BVerfGE 141, 1 (16), (Fn. 112). 1338 Vgl. BVerfGE 111, 307 (318 – 319), (Fn. 824); für kritische Anmerkungen zu dieser Rechtsprechungslinie und ihren Ergebnissen siehe Ulrich Fastenrath, Souveräne Grundgesetzinterpretation – zum Staatsbild des Bundesverfassungsgerichts (Zweiter Senat), in: Giegerich, Thomas, Der „offene Verfassungsstaat“ des Grundgesetzes nach 60 Jahren (2010), 316 – 319, 324 – 325. 1339 BVerfGE 141, 1 (16), (Fn. 112).
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Teil 2: Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot
Wie die Übernahme von Völkerrecht in die deutsche Rechtsordnung rechtstechnisch abläuft ist umstritten. Der Transformationstheorie zufolge wird die Völkerrechtsnorm in die deutsche Rechtsordnung transformiert, indem im innerstaatlichen Recht eine parallele Norm mit eigenständigem Geltungsgrund geschaffen wird.1340 Nach der Vollzugslehre wird hingegen lediglich der Befehl erteilt, eine Völkerrechtsnorm innerstaatlich als solche zu vollziehen, womit ihr völkerrechtlicher Charakter erhalten bleibt.1341 Während die herrschende Gerichtspraxis noch der Transformationslehre folgt, scheint sich das Bundesverfassungsgericht seine Position offen zu halten.1342 Auch im Rahmen der vorliegenden Arbeit kann der Theorienstreit dahingestellt bleiben. Obwohl beide Ansichten auf den ersten Blick unterschiedliche Rechtsfolgen nahelegen, kommen sie heute bei den meisten praktisch relevanten Fragen zum selben Ergebnis.1343 Entgegen einer vor allem früher vertretenen Ansicht1344 – und anders als z. B. in den USA – ist die unmittelbare Anwendbarkeit1345 einer völkerrechtlichen Norm keine Voraussetzung für ihre innerstaatliche Geltung, sondern lediglich eine besondere Eigenschaft bestimmter innerstaatlich geltender Völkerrechtsnormen.1346 Diese besondere Eigenschaft besteht darin, dass bei unmittelbar anwendbaren Normen keine weitere Konkretisierung durch einen innerstaatlichen Rechtsakt erforderlich ist, um aus ihnen Rechtsfolgen für Rechtssubjekte abzuleiten.1347 Dass auch nicht unmittelbar anwendbare Normen innerstaatliche Geltung erlangen ist
1340 Siehe z. B. Walter Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, (Fn. 1334), 158 – 171, 283 – 285. 1341 Für die Darstellung der Vollzugslehre und der Gründe, aus denen die Kommission der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht sie der Transformationslehre vorzog, siehe Karl Josef Partsch, Arbeiten der 1. Studienkommission der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht: Die Anwendung des Völkerrechts im innerstaatlichen Recht – Überprüfung der Transformationslehre (1964), 19 – 24, 143 – 147, 162 – 163. 1342 Ausführlicher hierzu m. w. N. Rudolf Geiger, Staatsrecht III, (Fn. 1160), 157 – 158. 1343 Christian Tomuschat, Staatsrechtliche Entscheidung für die internationale Offenheit, in: Isensee, Josef/Kirchhof, Paul, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 11 (3. Aufl. 2013), 20 Rn. 27. 1344 Siehe z. B. Walter Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, (Fn. 1334), 173 – 174, 207, 257 – 258. 1345 Für eine grundsätzliche Kritik am Institut der vorläufigen Anwendung siehe Jakob Lohmann, Das Scheininstitut der unmittelbaren Anwendbarkeit: Eine Untersuchung anhand des Rechts auf tertiäre Bildung nach Art. 13 IPwskR (2019), 142 – 149. 1346 Rudolf Geiger, Staatsrecht III, (Fn. 1160), 145 – 146, 151 – 152, 159 – 160; Wolf Heintschel von Heinegg/Robert Frau, Art. 25 GG, in: Epping, Volker/Hillgruber, Christian, Beck’scher Online-Kommentar Grundgesetz (2021), 49. Edition, Rn. 17; für Beispiele dafür, dass auch die deutsche Gerichtspraxis zwischen unmittelbarer Anwendbarkeit und innerstaatlicher Geltung unterscheidet, siehe Michael Schweitzer/Albrecht Weber, Handbuch der Völkerrechtspraxis der Bundesrepublik Deutschland (2004), 105 – 108 Rn. 114 – 118. 1347 Silja Vöneky, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, (Fn. 680), 415 Rn. 5.
Kap. 5: Völkerrechtsakte in der deutschen Rechtsordnung
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wichtig, da die Staatsorgane verpflichtet werden, ihnen auch innerstaatliche Wirkkraft zu verschaffen.1348 2. Offenheit des Grundgesetzes für zwischenstaatliche Zusammenarbeit und Völkerrecht Dass das Grundgesetz das Völkerrecht als separate Rechtsordnung versteht, bedeutet keineswegs, dass es für zwischenstaatliche Rechtssetzung und Zusammenarbeit nicht aufgeschlossen ist. Schon früh wurde aus den völkerrechtsbezogenen Verfassungsbestimmungen abgeleitet, dass das Grundgesetz für externe Rechtssetzung offen ist und eine Verfassungsentscheidung für die internationale Zusammenarbeit enthält.1349 Schließlich bringen insbesondere1350 die Präambel, Art. 24 – 26 GG – und seit 1992 auch Art. 23 I GG – zum Ausdruck, dass sich das Grundgesetz der internationalen Gemeinschaft zuwendet und Deutschland in diese einfügen möchte.1351 Hieraus folgt neben dem auf die Rezeption des bestehenden Völkerrechts gerichtete Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit (a)) auch ein Gebot für die Staatsorgane, internationale Zusammenarbeit zu fördern (b)).1352 Beide verfassungsrechtlichen Vorgaben werden in Kapitel 6 im Rahmen der Analyse der Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung eine wichtige Rolle spielen. a) Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit Aus der Gesamtschau der verschiedenen völkerrechtsbezogenen Bestimmungen des Grundgesetzeswird der Verfassungsgrundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit abgeleitet.1353 Zwar wird in der Literatur manchmal davor gewarnt, hieraus 1348 Rudolf Geiger, Staatsrecht III, (Fn. 1160), 146; Wolf Heintschel von Heinegg/Robert Frau, Art. 25 GG, in: Epping/Hillgruber, (Fn. 1346), Rn. 17; Lohmann hingegen versteht nicht unmittelbar anwendbare Normen als solche, die „von keinem Organ in normgebundenen Verfahren in einem Einzelfall angewendet werden“ können und spricht ihnen mangels Sanktionsbewehrtheit den Status als Rechtsnorm ab, siehe hierzu Jakob Lohmann, Das Scheininstitut der unmittelbaren Anwendbarkeit, (Fn. 1345), 70 – 92. 1349 Siehe hierzu Klaus Vogel, Die Verfassungsentscheidung des Grundgesetzes für eine internationale Zusammenarbeit: Diskussionsbeitrag zu einer Frage der Staatstheorie sowie des geltenden deutschen Staatsrechts (1964), 35 – 46. 1350 Weitere völkerrechtsbezogene Artikel des Grundgesetzes sind Art. 1 II, 9 II, 59 und 100 II GG. 1351 BVerfGE 141, 1 (27), (Fn. 112); Christian Tomuschat, Staatsrechtliche Entscheidung für die internationale Offenheit, (Fn. 1343), 4 Rn. 3. 1352 Mit Tomuschat wird zwischen verschiedenen Begriffenen sowie den einzelnen Komponenten der Verfassungsentscheidung für internationale Offenheit unterschieden werden, siehe Christian Tomuschat, Staatsrechtliche Entscheidung für die internationale Offenheit, (Fn. 1343), 6 – 9 Rn. 4 – 5, 9 – 10, 13, S. 33 – 34 Rn. 46. 1353 BVerfGE 141, 1 (26 – 27), (Fn. 112); Ondolf Rojahn, Art. 24 GG, in: Münch, Ingo von/ Kunig, Philip, Grundgesetz-Kommentar (6. Aufl. 2012), 1632 Rn. 2; Volker Röben, Außenverfassungsrecht, (Fn. 1250), 207.
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Teil 2: Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot
Rechtsfolgen zu ziehen, die über diejenigen der Einzelbestimmungen hinausgehen,1354 doch hat das Bundesverfassungsgericht bestimmte Rechtsfolgen bereits anerkannt: Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit drückt die Entscheidung des Grundgesetzes für die zwischenstaatliche Zusammenarbeit aus und verlangt von der öffentlichen Gewalt, dass sie das Völkerrecht respektiert.1355 Dies bedeutet unter anderem, dass deutsche Staatsorgane Völkerrechtsverstöße nach Möglichkeit unterlassen müssen.1356 In diesem Zusammenhang ist auch ein Gebot zur völkerrechtsfreundlichen Auslegung anerkannt, demzufolge ein Gesetz im Zweifel in Übereinstimmung mit Deutschlands völkerrechtlichen Pflichten auszulegen ist.1357 Dieses Gebot soll die deutsche Rechtsordnung im Rahmen der methodisch zulässigen Auslegung mit der Völkerrechtsordnung harmonisieren und dadurch Widersprüche zwischen beiden Rechtsordnungen vermeiden.1358 Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit darf nicht zu weit verstanden werden. Er ist schon begrifflich nur auf die Befolgung des bestehenden Völkerrechts gerichtet und verlangt nicht darüber hinaus, dass bloße Handlungsmöglichkeiten auch wirklich genutzt werden müssen.1359 b) Gebot zur Förderung internationaler Zusammenarbeit Dass das Grundgesetz sich nicht auf die bloße Rezeption des bestehenden Völkerrechts beschränkt, folgt aus einer anderen Komponente der Entscheidung des Grundgesetzes für internationale Offenheit.1360 Der offene Staat folgt nicht allein seinen Eigeninteressen, sondern versteht sich als gestaltendes Mitglied der Staatengemeinschaft, für das internationale Zusammenarbeit und überstaatliches Recht legitime Mittel zur Lösung von Problemen darstellen, die auch die Interessen anderer Staaten betreffen.1361 Entsprechend wird aus den völkerrechtsbezogenen Verfas1354 So z. B. Philip Kunig/Uerpmann-Wittzack, Völkerrecht und staatliches Recht, in: Vitzthum, Wolfgang Graf/Proelß, Alexander, Völkerrecht (8. Aufl. 2019), 87 Rn. 19; Christian Hillgruber, Der Nationalstaat in der überstaatlichen Verflechtung, in: Isensee, Josef/Kirchhof, Paul, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2 (3. Aufl. 2004), 983 – 984 Rn. 125. 1355 BVerfGE 141, 1 (27), (Fn. 112); BVerfGE 112, 1 (25 – 26) – Bodenreform III (2004). 1356 Die Vorgabe, Völkerrechtsverstöße nach Möglichkeit zu vermeiden, ist laut Bundesverfassungsgericht eine von drei Dimensionen der Pflicht, das Völkerrecht zu respektieren, siehe BVerfGE 141, 1 (27, 29), (Fn. 112); BVerfGE 112, 1 (25 – 26), (Fn. 1355). 1357 Volker Röben, Außenverfassungsrecht, (Fn. 1250), 207. 1358 BVerfGE 141, 1 (29 – 30), (Fn. 112); BVerfGE 111, 307 (317 – 318), (Fn. 824); Ondolf Rojahn, Art. 24 GG, in: Münch/Kunig (2012), (Fn. 1353), 1632 Rn. 2 – 3. 1359 Christian Tomuschat, Staatsrechtliche Entscheidung für die internationale Offenheit, (Fn. 1343), 8 Rn. 9 – 10. 1360 Christian Tomuschat, Staatsrechtliche Entscheidung für die internationale Offenheit, (Fn. 1343), 6 Rn. 4 – 5, S. 33 – 34 Rn. 46. 1361 Frank Schorkopf, Grundgesetz und Überstaatlichkeit, (Fn. 1326), 223.
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sungsbestimmungen ein Gebot zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit abgeleitet.1362 Aus dieser Handlungsmaxime soll sich für die Träger öffentlicher Gewalt auch eine abgestufte Pflicht ergeben, zwischenstaatliche Zusammenarbeit zu erwägen und anzustreben, wenngleich sie hierbei über einen weiten Gestaltungsspielraum verfügen.1363
II. Direkte und indirekte Wirkungen Über das Vertragsgesetz oder Ausführungsakte können völkerrechtliche Verträge direkte Wirkungen in der deutschen Rechtsordnung entfalten (1.), was bei allgemeinen Regeln des Völkerrechts bereits kraft Verfassungsbestimmung der Fall ist (2.). Zudem können völkerrechtliche Normen durch eine völkerrechtsfreundliche Auslegung des innerstaatlichen Rechts mittelbare Wirkungen entfalten (3.). Vor dem Hintergrund dieser direkten und indirekten innerstaatlichen Wirkungen von Völkerrechtsakten wird in den Kapiteln 6 und 7 erörtert werden, ob und in welchem Umfang auch der vorläufigen Anwendung von Verträgen und dem Frustrationsverbot innerstaatliche Wirkungen zukommen. 1. Direkte Wirkung von Verträgen Das nach Art. 59 II 1 GG erforderliche Vertragsgesetz ermächtigt nicht nur die Exekutive zum Vertragsschluss, sondern verschafft dem Vertrag auch Geltung in der deutschen Rechtsordnung.1364 Das Inkrafttreten des Vertragsgesetzes ist aufschiebend bedingt, so dass der Vertragsinhalt erst innerstaatlich wirksam wird, wenn der Vertrag völkerrechtlich verbindlich wird.1365 Was den Rang angeht, so wird ganz überwiegend anerkannt, dass zustimmungsbedürftige Verträge grundsätzlich im Rang des transformierenden bzw. vollziehenden Vertragsgesetzes, also dem eines einfachen Bundesgesetzes, stehen.1366 Verlangt ein Vertrag seine innerstaatliche Anwendung, obwohl seine Bestimmungen nicht unmittelbar anwendbar sind, muss der Gesetzgeber die innerstaatliche Anwendungsfähigkeit herbeiführen, indem er den Vertrag durch ein Ausführungs1362
Ondolf Rojahn, Art. 24 GG, in: Münch/Kunig (2012), (Fn. 1353), 1636 Rn. 8. So z. B. Ondolf Rojahn, Art. 24 GG, in: Münch/Kunig (2012), (Fn. 1353), 1636 Rn. 8 – 9; kritisch gegenüber konkreten normativen Verpflichtungen hingegen Christian Hillgruber, Der Nationalstaat in der überstaatlichen Verflechtung, (Fn. 1354), 984 Rn. 128. 1364 Rudolf Streinz, Art. 59 GG, in: Sachs, (Fn. 697), Rn. 59 – 60. 1365 Stefan Ulrich Pieper, Art. 59 GG, in: Epping/Hillgruber, (Fn. 1250), Rn. 41; BVerfGE 42, 263 (284) – Contergan (1976). 1366 BVerfGE 141, 1 (18 – 20), (Fn. 112); Rudolf Geiger, Staatsrecht III, (Fn. 1160), 162; denkbar wäre allerdings mit Blick auf die Vollzugssicherungsfunktion des Vertragsgesetzes auch ein Übergesetzesrang, siehe Ulrich Fastenrath, Anmerkung zur Treaty Override-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, 71 JuristenZeitung (2016) 636, 638. 1363
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Teil 2: Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot
gesetz konkretisiert.1367 Die verfassungsrechtliche Pflicht des Gesetzgebers zum Erlass des Ausführungsgesetzes kann dabei entweder auf die allgemeine Pflicht der öffentlichen Gewalt zur Befolgung des Völkerrechts1368 oder eine Selbstverpflichtung durch die Zustimmung zum Vertragsschluss gestützt werden.1369 Im Einklang mit den Richtlinien für die Fassung von Vertragsgesetzen und vertragsbezogenen Verordnungen (RiVeVo) wird das Ausführungsgesetz grundsätzlich getrennt vom Vertragsgesetz erlassen, zumal sich das parlamentarische Verfahren1370 und der Veröffentlichungsort1371 unterscheiden.1372 Bei Verwaltungsabkommen im Sinne des Art. 59 II 2 GG ist kein Vertrags- oder Ausführungsgesetz erforderlich,1373 um ihnen innerstaatliche Geltung zu verschaffen.1374 Schließlich umfassen Verwaltungsabkommen definitionsgemäß nur Verträge, die nicht gesetzesinhaltlich sind, also ohne Gesetz oder im Rahmen der bestehenden Gesetze erfüllt werden können.1375 Allerdings können auch solche Verträge auf eine innerstaatliche Wirkungen gerichtet sein. Denn während sog. administrative Verwaltungsabkommen keine Rechtssetzung erfordern, bedürfen sog. normativen Verwaltungsabkommen zu ihrer Erfüllung der untergesetzlichen Rechtssetzung, z. B. durch Rechtsverordnung.1376 Ist eine Umsetzung erforderlich, besteht auch hier für die staatlichen Stellen eine Pflicht, auf alle ihnen zur Verfügung stehenden Handlungsformen zurückzugreifen, um Völkerrechtsverstöße zu vermeiden.1377 Von dem vollziehenden bzw. transfor1367
Ondolf Rojahn, Art. 59, in: Münch/Kunig (2012), (Fn. 1187), 2673 Rn. 39. Dietrich Rauschning, Art. 59 GG, in: Kahl, Wolfgang/Waldhoff, Christian/Walter, Christian, Bonner Kommentar zum Grundgesetz (2009), 143. EL, 82 – 83 Rn. 119. 1369 Ondolf Rojahn, Art. 59, in: Münch/Kunig (2012), (Fn. 1187), 2673 Rn. 39. 1370 Besonderheiten beim parlamentarischen Verfahren für Vertragsgesetze sind nach der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages (GOBT), dass es grundsätzlich nur zwei Beratungen gibt (§ 78 I 1 GOBT), nur über den Vertrag im Ganzen abgestimmt werden kann (§ 81 IV 1 GOBT), Änderungsanträge unzulässig sind (§ 82 II GOBT) und es keine besondere Schlussabstimmung gibt (§ 86 S. 4 GOBT). 1371 Nach § 76 I bzw. II der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) werden innerstaatliche Regelungen im Bundesgesetzblatt Teil I und völkerrechtliche Verträge im Bundesgesetzblatt Teil II veröffentlich. 1372 Richtlinie 2.1. zur „Bepackung“ und ihre Begründung, RiVeVo, (Fn. 1168). 1373 Wird trotzdem ein Vertragsgesetz erlassen, was in der Praxis manchmal vorkommt, wird der Vertrag als Vertrag i. S. d. Art. 59 II 1 GG behandelt, Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, (Fn. 1252), 503. 1374 Rudolf Geiger, Staatsrecht III, (Fn. 1160), 163. 1375 Ulrich Fastenrath, Zur Abgrenzung des Gesetzgebungsvertrags vom Verwaltungsabkommen i. S. d. Art. 59 Abs. 2 GG am Beispiel der UNESCO-Welterbekonvention, (Fn. 1179), 700. 1376 Für eine ausführlichere Darstellung von administrativen und normativen Verwaltungsabkommen siehe Martin Nettesheim, Art. 59 GG, in: Dürig/Herzog/Scholz, (Fn. 1172), Rn. 159 – 160. 1377 Rudolf Geiger, Staatsrecht III, (Fn. 1160), 163. 1368
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mierenden Rechtsakt der Exekutive hängt dann nicht nur die innerstaatliche Geltung, sondern auch die rechtliche Qualität des Verwaltungsabkommens in der deutschen Normenhierarchie ab.1378 2. Direkte Wirkung von allgemeinen Regeln des Völkerrechts Art. 25 S. 1 GG bezeichnet die „allgemeinen Regeln des Völkerrechts“ als „Bestandteil des Bundesrechts“, weshalb solche Völkerrechtsnormen auch ohne Tätigwerden des Gesetzgebers unmittelbar Eingang in die deutsche Rechtsordnung finden.1379 Von Art. 25 GG erfasste Rechtsquellen des Völkerrechts sind Gewohnheitsrecht und allgemeine Rechtsgrundsätze, wohingegen völkerrechtliche Verträge unter Art. 59 II GG fallen.1380 Maßgeblich für die Allgemeinheit einer Regel ist nicht ihr Inhalt, sondern dass ihre Geltung von der überwiegenden Mehrheit der Staaten anerkannt wird.1381 Nach Art. 25 S. 2 GG erzeugen die allgemeinen Völkerrechtsregeln „Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes“. Die Bedeutung dieses Zusatzes ist umstritten. So wird vertreten, dass darin eine Einschränkung liegt und der Artikel daher nur unmittelbar anwendbare Normen betrifft.1382 Nach anderer Ansicht soll durch den Zusatz hingegen ein Adressatenwechsel herbeigeführt werden, so dass nunmehr sogar rein zwischenstaatliche Normen den Bewohnern des Staatsgebiets subjektive Rechte verleihen.1383 Am überzeugendsten ist eine dritte Auffassung, der zufolge der Satz nur deklaratorisch ist und weder eine Einschränkung noch einen Adressatenwechsel bewirkt.1384 Schließlich soll Art. 25 GG die Staatsorgane dazu anhalten, die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu beachten, was auch bei rein zwischenstaatlichen Regeln möglich ist und keine unmittelbare Anwendbarkeit voraussetzt.1385 1378 Armin von Bogdandy/Diana Zacharias, Zum Status der Weltkulturerbekonvention im deutschen Rechtsraum: Ein Beitrag zum internationalen Verwaltungsrecht, 26 Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (2007) 527, 529. 1379 Eckart Klein, Die völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands und ihre Bedeutung für die drei Staatsgewalten, in: Koeppel, Peter, Kindschaftsrecht und Völkerrecht im europäischen Kontext (1996), 43. 1380 BVerfGE 141, 1 (17 – 18), (Fn. 112); BVerfGE 23, 288 (317) – Kriegsfolgelasten III (1968); Hans-Joachim Cremer, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, in: Isensee, Josef/ Kirchhof, Paul, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 11 (3. Aufl. 2013), 375 – 376 Rn. 10; nach anderer Ansicht sind allgemeine Rechtsgrundsätze hingegen nicht umfasst, so z. B. Walter Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, (Fn. 1334), 255 – 257. 1381 BVerfGE 117, 141 (148) – Diplomatische Immunität (2006); Hans-Joachim Cremer, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, (Fn. 1380), 379 Rn. 16. 1382 So z. B. Walter Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, (Fn. 1334), 257 – 258. 1383 So z. B. Hans-Joachim Cremer, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, (Fn. 1380), 390 – 392 Rn. 31 – 32. 1384 So z. B. BVerfGE 15, 25 (33 – 34) – Gesandtschaftsgrundstück (1962). 1385 Rudolf Geiger, Staatsrecht III, (Fn. 1160), 150 – 151.
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Was den Rang von allgemeinen Völkerrechtsregeln angeht, so gehen sie nach Art. 25 S. 2 GG „den Gesetzen vor“. Hieraus wird manchmal ein Rang auf Ebene der Verfassung (sog. Verfassungsrang),1386 vereinzelt sogar ein Rang über der Verfassung (sog. Überverfassungsrang)1387 abgeleitet. Zutreffender Weise ist allerdings von einem Rang zwischen Grundgesetz und einfachem Gesetzesrecht (sog. Zwischenrang) auszugehen.1388 Anderenfalls würden die Voraussetzungen für Verfassungsänderungen in Art. 79 I GG durchbrochen und eine völkerrechtliche Abschwächung des Grundrechtsschutzes ermöglicht.1389 3. Mittelbare Wirkung durch völkerrechtsfreundliche Auslegung Völkerrechtliche Normen können in der deutschen Rechtsordnung auch eine mittelbare Wirkung entfalten, da das übrige Recht wegen des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit nach Möglichkeit völkerrechtskonform ausgelegt werden muss.1390 Allerdings ist bei einem dualistischen Verständnis der Rechtsordnungen denkbar, dass selbst solche mittelbaren Wirkungen eine wirksame Einbeziehung der Völkerrechtsnormen in die deutsche Rechtsordnung voraussetzen. So stellte sich beim Bau der Dresdner Waldschlößchenbrücke die Frage, ob die UNESCO-Weltkulturerbekonvention1391 bei der Auslegung des einfachen Rechts heranzuziehen ist, obwohl dieses Verwaltungsabkommen nie durch einen innerstaatlichen Rechtsakt umgesetzt wurde. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht hielt derartige mittelbare Wirkungen für möglich, obwohl es wie das Bundesverfassungsgericht ein dualistisches Verhältnis der Rechtsordnungen und einen Souveränitätsvorbehalt des Grundgesetzes annahm.1392 Das Bundesverfassungsgericht selbst äußerte sich hingegen nicht ausdrücklich zu mittelbaren Wirkungen, sondern betonte lediglich, dass der Vertrag auch bei wirksamer Einbeziehung nicht zwingend
1386 So z. B. Hans-Joachim Cremer, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, (Fn. 1380), 387 – 388 Rn. 27; Albert Bleckmann, Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung, 49 Die Öffentliche Verwaltung (1996) 137, 141. 1387 So etwa unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte des Art. 25 GG Carl Friedrich Curtius, Völkerrechtliche Schranken der Änderung des Grundgesetzes: Einige Bemerkungen zu Art. 25 GG, 8 Die Öffentliche Verwaltung (1955), 145. 1388 BVerfGE 141, 1 (17), (Fn. 112); Christian Tomuschat, Staatsrechtliche Entscheidung für die internationale Offenheit, (Fn. 1343), 13 Rn. 18. 1389 Stefan Talmon, Die Grenzen der Anwendung des Völkerrechts im deutschen Recht, 68 JuristenZeitung (2013) 12 – 21, 15. 1390 Für eingehendere Ausführungen zum Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit und seiner Herleitung siehe Kapitel 5 F.I.2.a). 1391 Bekanntmachung des Übereinkommens zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt (02. 02. 1977), BGBl. 1977 II 213. 1392 Vgl. Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Kommunalaufsichtliche Anordnung – Waldschlößchenbrücke in Dresden (2007), 4 BS 216/06, Rn. 70, 75 – 78.
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zum dem von der klagenden Stadt gewünschten Ergebnis führen würde.1393 Vor dem Hintergrund der typischerweise souveränitätsbetonenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wird der Verweis auf die wirksame Einbeziehung allerdings so verstanden, dass selbst mittelbare Wirkungen nicht ohne Einbeziehung möglich sind.1394 In der Tat ist es nach dem dualistischen Verständnis naheliegender, auch mittelbare Wirkungen von der wirksamen Einbeziehung abhängig zu machen. Zwar ist richtig, dass der Dualismus Wechselwirkungen zwischen den beiden getrennten Rechtsordnungen nicht ausschließt,1395 doch verlangt er, dass hierfür in der jeweiligen Rechtsordnung eine rechtliche Grundlage existiert. Wenn hier für die deutsche Rechtsordnung auf die Völkerrechtsfreundlichkeit verwiesen wird,1396 kann dies zwar für Verwaltungsabkommen, nicht aber für jegliches Völkerrecht überzeugen. Denn auch wenn der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit darauf abzielt, dass die deutsche und die völkerrechtliche Rechtsordnung möglichst umfassend harmonisiert werden, dürfen die ihn speisenden Verfassungsbestimmungen nicht überdehnt werden. Die Möglichkeit zu innerstaatlichen Wirkungen sieht das Grundgesetz nur für die von Art. 24 I, 25 und 59 II GG erfassten Fälle vor. Für Verwaltungsabkommen sind mittelbare Wirkungen demnach möglich, da ihnen die Verfassung selbst in Art. 59 II 2 GG Wirkungen zugesteht, sofern hierfür keine Gesetze erforderlich sind oder bestehende Gesetze ausreichen.1397 Dafür, dass Völkerrecht auch außerhalb der bereits in der Verfassung genannten Fallgruppen (mittelbare) Wirkungen haben soll, gibt es hingegen keine Anhaltspunkte im Grundgesetz. Das Grundgesetz verhindert das Auseinanderfallen von Völkerrecht und deutschem Recht aufgrund seiner dualistischen Prägung somit nicht völlig,1398 auch wenn man dies bedauern mag.
1393 Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 29. 05. 2007 – 2 BvR 695/07 – Waldschlösschenbrücke (2007), Rn. 35. 1394 Siehe hierzu Ulrich Fastenrath, Souveräne Grundgesetzinterpretation – zum Staatsbild des Bundesverfassungsgerichts (Zweiter Senat), (Fn. 1338), 318 – 319. 1395 So Ulrich Fastenrath, Souveräne Grundgesetzinterpretation – zum Staatsbild des Bundesverfassungsgerichts (Zweiter Senat), (Fn. 1338), 319. 1396 So z. B. Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Kommunalaufsichtliche Anordnung – Waldschlößchenbrücke in Dresden, (Fn. 1392), Rn. 77 – 78; Armin von Bogdandy/Diana Zacharias, Zum Status der Weltkulturerbekonvention im deutschen Rechtsraum, (Fn. 1378), 529 – 530. 1397 Ulrich Fastenrath, Souveräne Grundgesetzinterpretation – zum Staatsbild des Bundesverfassungsgerichts (Zweiter Senat), (Fn. 1338), 319. 1398 Auf die Möglichkeit, dass Völkerrecht und deutsches Recht auseinanderfallen können, weist auch das Verfassungsgericht hin, siehe BVerfGE 141, 1 (16), (Fn. 112).
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III. Bindung des Gesetzgebers an völkerrechtliche Pflichten Als Teil der deutschen öffentlichen Gewalt hat der Gesetzgeber eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Befolgung des für Deutschland verbindlichen Völkerrechts (1.). Bei Verträgen ist diese allerdings stark eingeschränkt, da der Erlass abweichender Gesetze verfassungsrechtlich zulässig ist (2.). Gebunden ist der Gesetzgeber aber jedenfalls an allgemeine Völkerrechtsregeln im Sinne des Art. 25 GG (3.). 1. Verfassungsrechtliche Pflicht der öffentlichen Gewalt zur Befolgung von Völkerrecht Das Völkerrecht richtet seine Pflichten nur an den deutschen Staat als solchen, doch kann auf verfassungsrechtlicher Ebene auch eine Verpflichtung der einzelnen Staatsorgane zur Einhaltung und Erfüllung des Völkerrechts bestehen.1399 Eine solche verfassungsrechtliche Pflicht der deutschen öffentlichen Gewalt zur Befolgung von Völkerrecht wird nicht nur aus dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit,1400 sondern auch auf andere Weise hergeleitet. Sie ergibt sich für das in Deutschland geltende Völkerrecht auch aus dem Rechtsstaatsprinzip, da sich die Pflicht zur Rechtstreue im „offenen“ Staat auch auf das zwischenstaatliche Recht erstrecken muss.1401 Bei vertraglichen Regelungen folgt die Pflicht zur Einhaltung zudem aus der Verpflichtung zur Erfüllung völkerrechtlicher Verträge (pacta sunt servanda), die als allgemeine Völkerrechtsregel über Art. 25 GG in die deutsche Rechtsordnung einbezogen wird.1402 2. Verfassungsrechtliche Zulässigkeit vertragswidriger Gesetze (Treaty Override) Trotz der grundsätzlichen Pflicht zur Befolgung von Völkerrecht kommt es jedenfalls bei Doppelbesteuerungsabkommen immer wieder vor, dass der Gesetzgeber bewusst ein Gesetz erlässt, welches von den vertraglichen Pflichten abweicht (sog. Treaty Override).1403 Obwohl es neben Zustimmung1404 auch einige Kritik1405 an 1399
Vgl. Eckart Klein, Die völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands und ihre Bedeutung für die drei Staatsgewalten, (Fn. 1379), 45 – 46. 1400 Kapitel 5 F.I.2.a). 1401 Volker Röben, Außenverfassungsrecht, (Fn. 1250), 126; Klaus Vogel, Wortbruch im Verfassungsrecht: Mit einer Bemerkung zum Verhältnis zwischen Bundesverfassungsgericht und demokratischem Gesetzgeber, 52 JuristenZeitung (1997) 161, 165 – 167. 1402 Dietrich Rauschning, Art. 59 GG, in: Bonner Kommentar, (Fn. 1368), 74 – 75 Rn. 107; Eckart Klein, Die völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands und ihre Bedeutung für die drei Staatsgewalten, (Fn. 1379), 45 – 46. 1403 Klaus Vogel, Wortbruch im Verfassungsrecht, (Fn. 1401), 161. 1404 So z. B. Volker Röben, Außenverfassungsrecht, (Fn. 1250), 139.
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dieser Praxis gab, hat das Bundesverfassungsgericht sie 2015 in seiner Treaty Override-Entscheidung1406 ausdrücklich für verfassungskonform erklärt. Wenn jedoch abweichende Gesetze grundsätzlich und nicht nur zur Abwendung von Verstößen gegen tragende Verfassungsgrundsätze erlassen werden können,1407 ist die Befolgungspflicht für den Gesetzgeber bei völkerrechtlichen Verträgen weitestgehend aufgehoben.1408 Mit der Treaty Override-Entscheidung knüpfte das Bundesverfassungsgericht an seine frühere Entscheidung zum Reichskonkordat1409 an. In dieser hatte es festgestellt, dass das Grundgesetz trotz seiner Völkerrechtsfreundlichkeit dem Gesetzgeber die Erfüllung von Verträgen überlässt und ihn nicht an das den Verträgen entsprechende Recht bindet.1410 Ausgangspunkt der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts für die Möglichkeit zum Treaty Override ist, dass vertragliche Regelungen nur im Rang eines Bundesgesetzes stehen und daher nach dem lex posterior-Grundsatz hinter spätere Gesetze zurücktreten.1411 Bestätigt wurde dieses Ergebnis mit dem Demokratieprinzip, welches Herrschaft auf Zeit und daher die Revidierbarkeit gesetzgeberischer Entscheidungen vorsehe. Da dem Gesetzgeber die Kompetenz zur Kündigung völkerrechtlicher Verträge fehle, müsse ihm der Erlass abweichender Gesetze möglich sein.1412 Das Bundesverfassungsgericht setzte sich zudem mit den Argumenten auseinander, die für eine Befolgungspflicht des Gesetzgebers herangezogen werden. Dabei hob es hervor, dass der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit keine uneingeschränkte Befolgungspflicht erzeugt, sondern nur eine „kontrolliert[e] Bindung“, die „im Rahmen des demokratischen und rechtstaatlichen System des Grundgesetzes“ bleiben müsse.1413 Zudem betonte die Senatsmehrheit, dass das Grundgesetz völkerrechtlichen Verträgen anders als den allgemeinen Regeln des Völkerrechts keinen Rang oberhalb der Gesetze zuweist. Diese Verfassungsentscheidung könne auch 1405 So z. B. Silja Vöneky, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, (Fn. 680), 426 – 427 Rn. 33; Klaus Vogel, Wortbruch im Verfassungsrecht, (Fn. 1401), 161, 165 – 167. 1406 BVerfGE 141, 1, (Fn. 112). 1407 Selbst Auffassungen, die den Treaty Override ablehnen, lassen diesen meist ausnahmsweise zu, wenn nur so ein Verstoß gegen die tragenden Grundsätze des Grundgesetzes abgewendet werden kann. Siehe z. B. Silja Vöneky, Verfassungsrecht und völkerrechtliche Verträge, (Fn. 680), 427 Rn. 33. 1408 Ulrich Fastenrath, Anmerkung zur Treaty Override-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, (Fn. 1366), 638 – 639; das Verfassungsgericht deutet allerdings an, dass es bei zwingendem Völkerrecht und menschenrechtlichen Verträgen zu einem anderen Ergebnis kommen könnte, vgl. BVerfGE 141, 1 (32), (Fn. 112). 1409 BVerfGE 6, 309 – Reichskonkordat (1957). 1410 BVerfGE 6, 309 (362 – 363), (Fn. 1409). 1411 BVerfGE 141, 1 (19 – 21), (Fn. 112). 1412 BVerfGE 141, 1 (21 – 23), (Fn. 112). 1413 BVerfGE 141, 1 (28 – 30), (Fn. 112).
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durch den Verweis auf Völkerrechtsfreundlichkeit, Art. 25 GG i. V. m. pacta sunt servanda oder das Rechtsstaatsprinzip nicht unterlaufen werden.1414 Dem Bundesverfassungsgericht kann in Bezug auf das Ergebnis und einen Teil seiner Begründung zugestimmt werden. Den allgemeinen Regeln des Völkerrechts wird in Art. 25 S. 2 GG ein Rang über den Gesetzen eingeräumt, damit sie auch dem Gesetzgeber Grenzen setzen.1415 Da die Systematik des Grundgesetzes Verträgen demgegenüber keinen Rang über den Gesetzen zubilligt, überzeugt die Annahme, dass die Verfassung dem Erlass abweichender Gesetze nicht entgegensteht. Denn grundsätzlich kann der Gesetzgeber von seiner früheren Gesetzgebung abweichen, da er nach Art. 20 III GG nicht an diese, sondern nur an die Verfassung gebunden ist.1416 Zu weit geht das Bundesverfassungsgericht allerdings, wenn es dem Demokratieprinzip bei der Lösung der Auslegungsfrage eine entscheidende Rolle zuweist. Denn es ist nicht ersichtlich, warum für das Demokratieprinzip nicht gelten sollte, was das Bundesverfassungsgericht beim Rechtstaatsprinzip zutreffend betont: Die Weite und Unbestimmtheit des abstrakten Prinzips gebieten Vorsicht bei der Ableitung konkreter Rechtsfolgen, welche zudem der geschriebenen Verfassung nicht widersprechen dürfen.1417 Folglich könnte das Demokratieprinzip nur dann einen Beitrag zur Frage des Treaty Override leisten, wenn die geschriebene Verfassung nicht bereits eine Entscheidung in die eine oder andere Richtung enthalten würde. Wenn jedoch Raum für das Heranziehen des Demokratieprinzips verbleibt, müsste auf der anderen Seite konsequenterweise auch das Rechtsstaatsprinzip berücksichtigt werden. Dann müsste, im jeweiligen Einzelfall das auf völlige Entscheidungsfreiheit des Gesetzgebers gerichtete Demokratieprinzip mit dem auf eine vollständige Rechtsbindung gerichteten Rechtstaatsprinzip abgewogen werden, wie Richterin König in ihrem Sondervotum vorschlägt.1418 Letztendlich bleibt für eine Abwägung der beiden abstrakten Prinzipien jedoch kein Raum, da das Grundgesetz mit der Rangfrage bereits eine Entscheidung für die Möglichkeit zum Treaty Override enthält. Somit kann der Gesetzgeber grundsätzlich mit einem Gesetz bewusst von einem völkerrechtlichen Vertrag abweichen, ohne gegen die Verfassung zu verstoßen. Wegen der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes besteht allerdings eine widerlegbare Vermutung dafür, dass er im Zweifelsfall völkerrechtskonform handeln möchte.1419 Zudem besteht die Abweichungsbefugnis des Gesetzgebers nicht unbegrenzt, wenngleich die Untersuchung der genauen Grenzen außerhalb des Rah1414 1415
Rn. 6. 1416
BVerfGE 141, 1 (18 – 20, 30 – 35), (Fn. 112). Hans-Joachim Cremer, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, (Fn. 1380), 372 – 373
Volker Röben, Außenverfassungsrecht, (Fn. 1250), 139. Vgl. BVerfGE 141, 1 (34), (Fn. 112). 1418 Für die vollständige Argumentation von Richterin König siehe das Sondervotum der Richterin König, BVerfGE 141, 44 (44 – 50) – Treaty Override (2015). 1419 Vgl. BVerfGE 141, 1 (29 – 30), (Fn. 112). 1417
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mens der vorliegenden Arbeit liegt. Im Grundsatz ist jedoch Frau zuzustimmen, dass der Gesetzgeber nicht von einem Vertrag abweichen kann, wenn dieser einen Sachbereich mit besonderer verfassungsrechtlicher Bedeutung betrifft.1420 Wenn jedenfalls Menschenrechtverträge ihrerseits die Auslegung der Verfassung beeinflussen,1421 ist ein abweichendes Gesetz schließlich nicht nur völkerrechts- sondern auch verfassungswidrig.1422 Entsprechend hat auch das Bundesverfassungsgericht selbst hervorgehoben, dass seine Treaty Override-Entscheidung gerade keine verfassungsrechtlich besonders geschützten Menschenrechte betrifft.1423 3. Bindung des Gesetzgebers an allgemeine Regeln des Völkerrechts An allgemeine Regeln des Völkerrechts ist auch der Gesetzgeber gebunden, da sie nach Art. 25 GG mit Übergesetzesrang Teil der deutschen Rechtsordnung werden.1424 Entsprechend ging auch das Bundesverfassungsgericht in Reichskonkordat davon aus, dass allgemeine Völkerrechtsregeln anders als Verträge die Verfügungsmacht des Gesetzgebers begrenzen, indem sie jede ihnen widersprechende rangniedrige Norm brechen.1425 Damit sind Gesetze, die allgemeinen Regeln des Völkerrechts widersprechen, jedenfalls unanwendbar,1426 nach überzeugender Ansicht als Konsequenz des Stufenbaus der Rechtsordnung sogar nichtig.1427 Somit kann der Gesetzgeber nur von Vertragsnormen, nicht aber von allgemeinen Regeln des Völkerrechts abweichen. Wie schon das Beispiel des Frustrationsverbotes gezeigt hat,1428 gibt es im Völkerrecht allerdings auch Fälle, in denen vertragliche und gewohnheitsrechtliche Versionen einer Norm nebeneinander existieren.1429 Dies 1420 Frau ist dahingehend zuzustimmen, dass der Gesetzgeber nicht von Vertragsbestimmungen abweichen kann, deren Inhalt verfassungsrechtlich aufgewertet ist. Ob dies tatsächlich auf alle Beispiele zutrifft, die er neben Menschenrechtsverträgen erwähnt, erscheint jedoch fraglich. Siehe Robert Frau, Der Gesetzgeber zwischen Verfassungsrecht und völkerrechtlichem Vertrag, (Fn. 109), 107 – 117. 1421 Siehe hierzu BVerfGE 111, 307 (317), (Fn. 824). 1422 Robert Frau, Der Gesetzgeber zwischen Verfassungsrecht und völkerrechtlichem Vertrag, (Fn. 109), 116. 1423 Siehe BVerfGE 141, 1 (32), (Fn. 112). 1424 Hans-Joachim Cremer, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, (Fn. 1380), 372 – 373 Rn. 6; Volker Röben, Außenverfassungsrecht, (Fn. 1250), 140. 1425 BVerfGE 6, 309 (362 – 363), (Fn. 1409). 1426 So z. B. Wolf Heintschel von Heinegg/Robert Frau, Art. 25 GG, in: Epping/Hillgruber, (Fn. 1346), Rn. 28; Christian Tomuschat, Art. 25 GG, in: Kahl, Wolfgang/Waldhoff, Christian/ Walter, Christian, Bonner Kommentar zum Grundgesetz (2009), 140. EL, 54 Rn. 88. 1427 Für eine entsprechende Argumentation siehe z. B. Robert Frau, Der Gesetzgeber zwischen Verfassungsrecht und völkerrechtlichem Vertrag, (Fn. 109), 41 – 43. 1428 Für eingehendere Ausführungen zu den Rechtsquellen des Frustrationsverbotes siehe Kapitel 1 A. 1429 Vgl. Internationaler Gerichtshof, Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and Against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Merits, 1986 ICJ Reports 14, 94 – 96 Rn. 177 – 179.
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wirft die Frage auf, ob Art. 25 GG hier verhindert, dass die vertragliche Norm durch Gesetz überschrieben werden kann, obwohl er den Vertrag als solchen nicht erfasst.1430 Grundsätzlich ist anerkannt, dass im Völkerrecht mangels Rangordnung der Vertrag als späteres und spezielleres Recht vorgehen kann und, dass eine allgemeine Völkerrechtsregel nur im Umfang ihrer völkerrechtlichen Geltung Eingang in die deutsche Rechtsordnung findet.1431 Für die Kodifikation gewohnheitsrechtlicher Normen durch Vertrag ist allerdings anerkannt, dass die vertragliche Norm zwar einen niedrigeren Rang erhält, die parallele gewohnheitsrechtliche Norm jedoch auf ihrer ursprünglichen Ranghöhe bestehen bleibt.1432 Somit kombiniert Art. 25 GG Flexibilität und Härte: Er verhindert eine Erstarrung des Völkerrechts, da Deutschland gewohnheitsrechtliche Normen durch einen völkerrechtlichen Vertrag mit anderen Staaten ausschließen oder ändern kann. Zugleich zeigt er sich hart gegenüber einem einseitigen Abweichen der deutschen Staatsorgane, da bei inhaltsgleichen vertraglichen und gewohnheitsrechtlichen Normen die gewohnheitsrechtliche Norm auf ihrer ursprünglichen Ranghöhe verbleibt.1433 Somit ist nach der hier vertretenen Auffassung ein Treaty Override für Vertragsinhalte ausgeschlossen, die zugleich eine allgemeine Regel des Völkerrechts darstellen und damit nach Art. 25 GG zur Nichtigkeit oder jedenfalls Unanwendbarkeit entgegenstehender Gesetze führen. Diese Auffassung scheint auch das Bundesverfassungsgericht zu teilen. In Reichskonkordat stellte es fest, dass der Gesetzgeber seine Verfügungsmacht über das innerstaatliche Recht bei Bestehen einer vertraglichen Bindung nur behält, „sofern sie nicht allgemeine Völkerrechtssätze zum Gegenstand hat“.1434 Ähnlich gingen das Bundesverfassungsgericht in NSA-Untersuchungsausschuss davon aus, dass Verträge nur Gesetzesrang haben „soweit sie nicht in den Anwendungsbereich einer anderen, spezielleren Öffnungsklausel – insbesondere Art. 23 bis 25 GG – fallen“.1435 Somit ist der Gesetzgeber an allgemeine Regeln des Völkerrechts gebunden und kann auch parallel verlaufende Vertragsbestimmungen nicht überschreiben, was in Kapitel 7 noch eine Rolle spielen wird.
1430
So wohl Volker Röben, Außenverfassungsrecht, (Fn. 1250), 139 – 140. BVerfGE 18, 441 (448 – 449) – AG in Zürich (1965). 1432 Christian Tomuschat, Art. 25 GG, in: Bonner Kommentar, (Fn. 1426), 52 Rn. 76. 1433 So wohl Christian Tomuschat, Art. 25 GG, in: Bonner Kommentar, (Fn. 1426), 52 – 53 Rn. 76 – 77. 1434 BVerfGE 6, 309 (362 – 363), (Fn. 1409). 1435 BVerfGE 143, 101 (135 – 136), (Fn. 1201). 1431
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G. Zusammenfassung Art. 59 II 1 GG sieht vor, dass der Abschluss politischer oder gesetzesinhaltlicher Verträge der Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften bedarf. Umstritten ist jedoch die Stellung des Parlaments bei anderen Akten der auswärtigen Gewalt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das parlamentarische Zustimmungsrecht gegenständlich auf den Abschluss von politischen und gesetzesinhaltlichen Verträgen beschränkt und kann nicht auf andere Akte ausgedehnt werden. Begründet wird dies insbesondere mit dem Argument der funktionsgerechten und organadäquaten Gewaltenteilung. Auch die jüngeren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts signalisieren keine Abkehr von der exekutivfreundlichen Rechtsprechungslinie, da sie mit der Wehrverfassung und der europäischen Integration nicht die auswärtige Gewalt allgemein, sondern zwei Sonderbereiche betreffen. Die Treaty-Override-Entscheidung wiederum befasst sich nicht mit der Rolle des Parlaments bei auswärtigem Staatshandeln, sondern betrifft mit dem Erlass innerstaatlicher Gesetze die Kernaufgabe des Parlaments. Der engen Auffassung des Bundesverfassungsgerichts wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur die Lehre von der gesamthänderischen Ausübung der auswärtigen Gewalt entgegengesetzt. Nach dieser Auffassung steht dem Parlament bei allen wichtigen Entscheidungen im Bereich der auswärtigen Gewalt ein Mitwirkungsrecht zu. Begründet wird die Lehre von der gesamthänderischen Ausübung der auswärtigen Gewalt mit grundsätzlichen Erwägungen, insbesondere dem strukturellen Wandel des Völkerrechts. Andere parlamentsfreundliche Ansätze lassen die abstrakte Frage nach der Verteilung der auswärtigen Gewalt auf Exekutive und Legislative außen vor. Sie erwägen stattdessen, die konkrete Verfassungsbestimmung in Art. 59 II 1 GG im Einzelfall auf andere Akte als den Vertragsschluss auszudehnen oder analog anzuwenden. In der vorliegenden Arbeit wird die Auffassung vertreten, dass die enge Auslegung des Art. 59 II 1 GG durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich zutreffend ist. Allerdings sind insbesondere durch den Strukturwandel des Völkerrechts Lücken entstanden, die im Einzelfall durch analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG geschlossen werden müssen. Das Verfassungsrecht enthält insoweit kein Analogieverbot, wenngleich die hohen Anforderungen an eine Verfassungsänderung zur Zurückhaltung mahnen. Insofern dürfen eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage nur angenommen werden, wenn der fragliche Völkerrechtsakt ein funktionales Äquivalent zum Abschluss eines politischen oder gesetzesinhaltlichen Vertrages darstellt. In diesem Fall wird die vom Grundgesetz vorgesehene Gewaltenteilung durch die Analogie nicht unterlaufen, sondern im Gegenteil gewahrt. Schließlich droht ohne die Analogie eine Umgehung des vom Grundgesetz in Art. 59 II 1 GG ausdrücklich vorgesehenen parlamentarischen Zustimmungsrechts im Vertragsschlussverfahren.
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Teil 2: Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot
Was die innerstaatlichen Wirkungen des Völkerrechts angeht, so betrachtet das Grundgesetz das Völkerrecht als separate Rechtsordnung, dessen Rechtsnormen erst einmal Eingang in die deutsche Rechtsordnung finden müssen. Dennoch ist das Grundgesetz dem Völkerrecht gegenüber offen, was sich unter anderem im Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit und dem Gebot zur Förderung internationaler Zusammenarbeit zeigt. Über das Vertragsgesetz oder Ausführungsakte können völkerrechtliche Verträge direkte Wirkungen in der deutschen Rechtsordnung entfalten. Allgemeinen Regeln des Völkerrechts erlangen solch eine direkte Wirkung bereits kraft Verfassungsbestimmung. Darüber hinaus können völkerrechtliche Normen durch eine völkerrechtsfreundliche Auslegung des innerstaatlichen Rechts mittelbare Wirkungen entfalten. Hinsichtlich der Bindung des Gesetzgebers an völkerrechtliche Pflichten ist zu differenzieren. Als Teil der deutschen öffentlichen Gewalt hat er eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Befolgung des für Deutschland verbindlichen Völkerrechts. Diese Befolgungspflicht ist bei Verträgen allerdings stark eingeschränkt, da der Erlass abweichender Gesetze verfassungsrechtlich zulässig ist. Gebunden ist der Gesetzgeber aber jedenfalls an allgemeine Völkerrechtsregeln im Sinne des Art. 25 GG. Kapitel 6
Vorläufige Anwendung in der deutschen Rechtsordnung Bei der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung eines Vertrages stellt sich die Frage, ob diese nach Art. 59 II 1 GG der Zustimmung des Gesetzgebers bedarf. Hierfür soll zunächst die deutsche Praxis zur vorläufigen Anwendung dargestellt werden (A.). Anschließend wird die verfassungsrechtliche Literatur zur Frage, ob die vorläufige Anwendung der vorherigen Zustimmung der Legislative bedarf, zusammengefasst (B.). Da die bisherige Literatur Lücken aufweist, erfolgt im Anschluss eine eigene Analyse zur grundsätzlichen Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung (C.) und den Ausnahmen von dieser (D.). Als Ergebnis der Untersuchung wird sich zeigen, dass das bestehende Verfassungsrecht einen angemessenen Umgang mit der vorläufigen Anwendung findet und daher keine neuen Regelungen erforderlich sind (E.).
A. Praxis der vorläufigen Anwendung in Deutschland In wie vielen Fällen Deutschland bereits von der Möglichkeit zur vorläufigen Anwendung Gebrauch gemacht hat, lässt sich nicht abschließend sagen. Eine
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Mindestanzahl ergibt sich jedoch aus dem vom Bundesjustizministerium herausgegebenen Fundstellennachweis B,1436 in dem die völkerrechtlichen Vereinbarungen Deutschlands aufgelistet werden. Hier ist bei 65 Verträgen verzeichnet, dass sie vorläufig angewendet wurden. Bei weiteren 11 Verträgen ist vermerkt, dass sie vorläufig in Kraft getreten sind. Soweit der Begriff des vorläufigen Inkrafttretens nicht lediglich als Synonym für die vorläufige Anwendung verwendet wird, bezeichnet er den Umstand, dass ein Vertrag nicht nur zwischen einzelnen Staaten, sondern als Ganzes vor seinem Inkrafttreten angewendet wird.1437 Die tatsächliche Anzahl der vorläufig angewendeten und vorläufig in Kraft getretenen Verträge dürfte für Deutschland allerdings sogar noch höher liegen. Berücksichtigt man auch die Beispiele aus einer Dissertation von 1986, die im Fundstellennachweis B fehlen,1438 gab es bislang mindestens 85 Fälle, in denen Verträge von Deutschland vorläufig angewendet wurden oder vorläufig in Kraft getreten sind.1439 In den meisten Fällen, nämlich 56, handelte es sich um bilaterale Verträge.1440 Allerdings gibt es auch 16 multilaterale Verträge, die vorläufig angewendet wurden.1441 In weiteren 13 Fällen sind multilaterale Verträge vorläufig in Kraft getreten.1442 Insofern ist die vorläufige Anwendung1443 für die deutsche Vertragspraxis weder neu noch untypisch. Bereits am 29. 12. 1949, also nur wenige Monate nach ihrer Gründung, vereinbarte die Bundesrepublik die vorläufige Anwendung eines bilateralen Vertrages mit den
1436 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Fundstellennachweis B: Völkerrechtliche Vereinbarungen, Verträge zur Vorbereitung und Herstellung der Einheit Deutschlands (Stand: 31. 12. 2021). 1437 Völkerrechtskommission, Provisional Application of Treaties: Memorandum by the Secretariat (24. 03. 2017), A/CN.4/707, Rn. 101 a); für eingehendere Ausführungen siehe die Erklärung zu „Provisional Application“ im United Nations Treaty Collection, Glossary of Terms Relating to Treaty Actions, online: https://treaties.un.org/Pages/Overview.aspx?path= overview/glossary/page1_en.xml (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 1438 Als Teil seiner Dissertation zur vorläufigen Anwendung stellt Montag auch die Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum von 1949 bis 1985 dar. Beim Abgleich mit dem Fundstellennachweis B zeigt sich, dass bei einigen Verträgen – die inzwischen häufig schon wieder außer Kraft getreten sind – ihre zeitweise vorläufige Anwendung bzw. ihr vorläufiges Inkrafttreten nicht erwähnt wird. Vgl. Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, Fundstellennachweis B, (Fn. 1436); Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 179 – 200. 1439 Für eine Auflistung der vorläufig angewendeten oder vorläufig in Kraft getretenen Verträge siehe Annex 1 und 2. 1440 Für eine Auflistung der vorläufig angewendeten bilateralen Verträge siehe Annex 1. 1441 Für eine Auflistung der vorläufig angewendeten multilateralen Verträge siehe Annex 2. 1442 Für eine Auflistung der vorläufig in Kraft getretenen multilateralen Verträge siehe Annex 3. Das vorläufige Inkrafttreten wird im Folgenden als Form der vorläufigen Anwendung behandelt, sofern es nicht ausdrücklich gesondert erwähnt wird. 1443 Im Folgenden schließt der Begriff der vorläufigen Anwendung auch das vorläufige Inkrafttreten mit ein.
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Teil 2: Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot
USA.1444 Ausweislich der United Nations Treaty Series hat Deutschland zwischen 1949 und 2019 insgesamt 7.522 bilaterale und 633 multilaterale Verträge abgeschlossen.1445 Angesichts der oben genannten Zahlen folgt hieraus, dass in der deutschen Vertragspraxis ca. 1,04 % der Verträge vorläufig angewendet werden. Dieser Prozentsatz entspricht in etwa demjenigen, den Geslin für Frankreich ermittelt hat und liegt etwas unter den 3 %, die sie als den internationalen Durchschnitt angibt.1446 Unterscheidet man bei der deutschen Vertragspraxis zwischen bilateralen und multilateralen Verträgen, fällt auf, dass die vorläufige Anwendung bei multilateralen Verträgen mit ca. 4,6 % deutlich häufiger zum Einsatz kommt als bei bilateralen Verträgen mit ca. 0,74 %. Insofern wendet Deutschland zwar in absoluten Zahlen mehr bilaterale Verträge vorläufig an, doch ist die vorläufige Anwendung bei multilateralen Verträgen relativ gesehen von größerer Bedeutung. Betrachtet man die einzelnen Jahre, greift Deutschland regelmäßig auf die vorläufige Anwendung zurück, meist jedoch für nicht mehr als zwei Verträge pro Jahr.1447 Dennoch gibt es auch Zeiträume, in denen Deutschland besonders viele Verträge vorläufig anwendet. Der Grund für solche Häufungen scheint oftmals zu sein, dass Deutschland ähnliche bilaterale Verträge mit verschiedenen Staaten abschließt. So wurden in den Jahren 1994 und 1995 ganze 15 Verträge vorläufig angewendet, bei denen es sich allerdings in 13 Fällen um Kulturabkommen mit ehemaligen Ostblockstaaten handelte.1448 Im Jahr 2005 wiederum beruhte der Anstieg der vorläufigen Anwendung vor allem auf sieben bilateralen Abkommen über die Besteuerung von Zinserträgen, die Deutschland im Zusammenhang mit der EUZinsrichtline (Richtlinie 2003/48/EG)1449 abgeschlossen hatte.1450 Manchmal entsteht die Häufung aber auch zufällig, wenn die vorläufige Anwendung verschiedener
1444 Vgl. Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Abkommens über Wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland vom 15. 12. 1949 (14. 03. 1950) BGBl. 1950 79. 1445 Die genannten Zahlen entsprechen den von Deutschland zwischen dem 1949 und 2021 abgeschlossenen Verträgen, die in der United Nations Treaty Series registriert wurden. Siehe hierzu die United Nations Treaty Series, online: https://treaties.un.org/pages/AdvanceSearch. aspx?tab=UNTS&clang=_en (zuletzt geprüft am: 19. 02. 2022). 1446 Zur Berechnung dieses Wertes siehe Albane Geslin, La mise en application provisoire des traités, (Fn. 395), 347. 1447 Vgl. die Auflistungen in Annex 1 und 2. 1448 Siehe hierzu die Auflistung der von Deutschland vorläufig angewendeten Verträge in Annex 1. 1449 Richtlinie 2003/48/EG des Rates vom 3. Juni 2003 im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen, 1450 Vgl. die Erwägungsgründe für das Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Kaimaninseln über die Besteuerung von Zinserträgen (30. 03. 2010) BGBl. 2010 II 490; für die übrigen Abkommen siehe die Auflistung der von Deutschland vorläufig angewendeten Verträge in Annex 1.
Kap. 6: Vorläufige Anwendung in der deutschen Rechtsordnung
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Abkommen zufällig im selben Jahr beginnt. Ein Beispiel hierfür sind die acht vorläufigen Anwendungen im Jahr 1999.1451
12 10
8 6 4 2 2021
2018
2015
2009
2012
2006
2003
2000
1997
1994
1988
1991
1985
1982
1979
1976
1973
1970
1967
1964
1961
1958
1955
1952
1949
0
Abbildung 1: Dieses Schaubild stellt dar, wie viele Verträge pro Jahr von Deutschland vorläufig angewendet wurden. Erstellt wurde es anhand der insgesamt 85 bi- und multilateralen Verträge, die in Annex 1 – 3 aufgelistet sind.
Was den Inhalt der vorläufig angewendeten Verträge angeht, kam Montag bei seiner Untersuchung im Jahr 1986 noch zu dem Ergebnis, dass es sich nahezu ausschließlich um Wirtschaftsabkommen handelt.1452 Inzwischen sind die von Deutschland vorläufig angewendeten Verträge jedoch thematisch vielfältig und nicht auf ein bestimmtes Sachgebiet begrenzt.1453 Bei den bilateralen Abkommen stellen die bereits erwähnten Kultur- und Besteuerungsabkommen mit 20 bzw. 7 Fällen die beiden größten Gruppen dar.1454 Die übrigen bilateralen Übereinkommen betreffen eine Reihe verschiedener Themen. Diese reichen von der Aufhebung der Visumpflicht1455 bis zum Transit von Wehrmaterial und Personal durch russisches Ho1451
Siehe hierzu die Auflistung der von Deutschland vorläufig angewendeten Verträge in Annex 1 und 2. 1452 Als Montag die Praxis der Bundesrepublik Deutschland im Zeitraum von 1949 bis 1985 untersuchte, stellte er fest, dass die vorläufige Anwendung, von wenigen Ausnahmen abgesehen, fast ausschließlich bei Wirtschaftsabkommen eingesetzt wurde. Siehe Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 196 – 197. 1453 Vgl. die Auflistung der vorläufig angewendeten bi- und multilateralen Verträge in Annex 1 und 2. 1454 Vgl. hierzu die Auflistung der von Deutschland vorläufig angewendeten bilateralen Verträge in Annex 1. 1455 Vgl. z. B. Bekanntmachung des deutsch-litauischen Abkommens über die Aufhebung der Visumpflicht (25. 03. 1999) BGBl. 1999 II 378.
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Teil 2: Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot
heitsgebiet im Zusammenhang mit dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan.1456 Bei den vorläufig angewendeten multilateralen Verträgen bilden die Rohstoffabkommen mit 12 Fällen die größte Gruppe.1457 Die übrigen multilateralen Übereinkommen betreffen verschiedene Themen, wie z. B. den Internationalen Suchdienst,1458 Waffenhandel1459 oder die Verfahren zur Übermittlung von Auslieferungsersuchen.1460 Diese Themenvielfalt illustriert, dass die vorläufige Anwendung in der deutschen Praxis ebenso wie in der internationalen Praxis1461 nicht auf bestimmte Bereiche begrenzt ist. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass der fragliche Vertrag seine Wirkungen möglichst schnell entfalten soll, das innerstaatliche Vertragsschlussverfahren einer oder mehrerer Vertragsparteien aber ein schnelles Inkrafttreten verhindern würde.1462 Was die Dauer der vorläufigen Anwendung angeht, so betrug die Zeit bis zum Inkrafttreten bei bilateralen Verträgen im Durchschnitt drei Jahre und einen Monat.1463 Dies darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Spektrum von ungefähr einem Monat1464 bis zu nahezu 12 Jahren1465 reicht und damit sehr breit ist. Bei den multilateralen Verträgen hingegen dauerte die vorläufige Anwendung im 1456 Vgl. Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Russischen Föderation über den Transit von Wehrmaterial und Personal durch das Hoheitsgebiet der Russischen Föderation im Zusammenhang mit den Beiträgen der Bundeswehr zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau Afghanistans (24. 10. 2003) BGBl. 2003 II 1620. 1457 Vgl. z. B. Bekanntmachung über das vorläufige Inkrafttreten des Internationalen Naturkautschuk-Übereinkommens von 1979 (16. 03. 1982) BGBl. 1982 II 404; für weitere Beispiele siehe die Auflistung der vorläufig in Kraft getretenen multilateralen Verträge in Annex 3. 1458 Bekanntmachung über die vorläufige Anwendung des Übereinkommens über den Internationalen Suchdienst und der Partnerschaftsvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland und dem Internationalen Suchdienst (30. 01. 2013) BGBl. 2013 II 272. 1459 Bekanntmachung über die vorläufige Anwendung des Vertrages über den Waffenhandel, (Fn. 686). 1460 Bekanntmachung über die vorläufige Anwendung des Abkommens zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft über die Vereinfachung und Modernisierung der Verfahren zur Übermittlung von Auslieferungsersuchen und seine Veröffentlichung (26. 11. 1995) BGBl. 1995 II 969. 1461 Zur internationalen Praxis siehe Kapitel 2 A. 1462 So auch ausdrücklich Federal Republic of Germany, Information Regarding the „Provisional Application of Treaties“ in the Commission’s Programme of Work, (Fn. 87), 1. 1463 Dieser Durchschnitt wurde anhand der in Annex 1 genannte bilateralen Verträge errechnet, die nach ihrer vorläufigen Anwendung tatsächlich in Kraft getreten sind. 1464 Vgl. Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Abkommens über Wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland vom 15. 12. 1949, (Fn. 1444). 1465 Vgl. Bekanntmachung über das Inkrafttreten des deutsch-libanesischen Abkommens über kulturelle Zusammenarbeit (10. 12. 2015) BGBl. 2016 II 41; Bekanntmachung über die vorläufige Anwendung des deutsch-libanesischen Abkommens über kulturelle Zusammenarbeit (30. 04. 2003) BGBl. 2003 II 529.
Kap. 6: Vorläufige Anwendung in der deutschen Rechtsordnung
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Durchschnitt nur ca. 1 Jahr und 4 Monate1466 und das vorläufige Inkrafttreten nur ca. 1 Jahr und 6 Monate.1467 Allerdings gibt es mit dem Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen, welches fast 44 Jahre lang vorläufig angewendet wurde, auch ein Beispiel für eine besonders lang andauernde vorläufige Anwendung.1468 Gegenwärtig gibt es in der deutschen Vertragspraxis zudem eine zweistellige Anzahl von Fällen, in denen vorläufig angewendete Verträge bislang nicht in Kraft getreten sind. In den meisten dieser Fälle dauert die vorläufige Anwendung bereits über 10 Jahre, häufig sogar schon über 20 Jahre an.1469 Somit ist die deutsche Praxis auch in Bezug auf die Dauer der vorläufigen Anwendung nicht untypisch. Sie illustriert, dass die vorläufige Anwendung zwar in den meisten Fällen auf ihre Rolle als Zwischenstadium beschränkt bleibt, in manchen Fällen aber zum Dauerzustand wird.
B. Literaturansichten zur Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung Wie in Kapitel 3 dargelegt wurde, wirft die vorläufige Anwendung nur dann ein verfassungsrechtliches Problem auf, wenn das für den Abschluss des entsprechenden Vertrages vorgesehene innerstaatliche Verfahren noch nicht durchlaufen wurde.1470 Für Deutschland ist die vorläufige Anwendung eines Vertrages daher nur problematisch, wenn dieser zustimmungsbedürftig ist und die Legislative ihre Zustimmung nicht bereits erteilt hat.1471 Dass die vorläufige Anwendung in diesem Fall in die
1466
Dieser Durchschnitt wurde anhand der 7 multilateralen Verträgen errechnet, die von Deutschland vorläufig angewendet wurden und später tatsächlich in Kraft getreten sind. Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen wurde bei der Berechnung nicht berücksichtigt, da die vorläufige Anwendung hier fast 44 Jahre andauerte und damit einen Extremfall darstellt. Für eine Auflistung aller 16 von Deutschland vorläufig angewendeten multilateralen Verträge siehe Annex 2. 1467 Dieser Durchschnitt wurde anhand der 9 multilateralen Verträgen errechnet, die nach ihrem vorläufigen in Kraft treten endgültig in Kraft traten. Für eine Auflistung der Verträge siehe Annex 3. 1468 Vgl. Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (16. 05. 1995) BGBl. 1995 II 456; Bekanntmachung über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des Protokolls von Torquay und des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) (05. 10. 1951) 1951 BGBl. II 200. 1469 Vgl. die Auflistung der von Deutschland vorläufig angewendeten bi- und multilateralen Verträge in Annex 1 und 2. 1470 Zur Eingrenzung des verfassungsrechtlichen Problems auf die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung siehe Kapitel 3 A.III. 1471 Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 108 – 109; Thomas Kleinlein, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 80), 383; Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 200 – 201.
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Kompetenzen des Gesetzgebers eingreifen könnte, wird auch von der Exekutive anerkannt.1472 Das Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung wird nicht bereits dadurch behoben, dass Art. 25 I WVK die Möglichkeit zur vorläufigen Anwendung vorsieht und der deutsche Gesetzgeber dem Abschluss der Wiener Vertragsrechtskonvention zugestimmt1473 hat. Nach dem Grundgesetz stellt Art. 59 II 1 GG einen unverzichtbaren Sondervorbehalt dar, weshalb die Legislative der Regierung auch keine pauschale Ermächtigung zum Abschluss bestimmter Vertragstypen erteilen kann.1474 Entsprechend kann trotz des Vertragsgesetzes zur Wiener Vertragsrechtskonvention auch die in Art. 25 I WVK vorgesehene Möglichkeit, die vorläufige Anwendung nicht näher bezeichneter Verträge zu vereinbaren, keine pauschale Ermächtigung der Regierung darstellen.1475 Insofern stellt sich für das deutsche Recht die Frage, ob eine verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung zulässig ist. Dies wäre nicht der Fall, wenn die vorläufige Anwendung zustimmungsbedürftiger Verträge ihrerseits zustimmungsbedürftig wäre. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Frage gibt es bislang nicht, da die vorläufige Anwendung erst einmal Gegenstand einer Verfassungsgerichtsentscheidung war und das CETA-Verfahren1476 nur die besondere Konstellation einer vorläufigen Anwendung durch die Union betraf. Auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur wurde die Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung bislang erst in wenigen Beiträgen eingehender untersucht. Dabei wird die vorherige Zustimmungsbedürftigkeit vereinzelt abgelehnt (I.), wohingegen die Mehrheit ein Zustimmungserfordernis befürwortet (II.). Allerdings leiden alle Ansätze an der Schwäche, dass sie die vorläufige Anwendung ihrerseits als Vertrag einordnen und damit nicht beantworten können, ob diese auch zustimmungsbedürftig wäre, wenn man von einer anderen Rechtsnatur ausgeht (III.).
I. Vereinzelte Ablehnung der vorherigen Zustimmungsbedürftigkeit Nach einer Auffassung kann die Regierung die vorläufige Anwendung eines zustimmungsbedürftigen Vertrages auch ohne vorherige Beteiligung der Legislative auslösen. Während ein Vertreter dieser Ansicht gänzlich auf ein Zustimmungser1472 Siehe hierzu § 12 IX RvV, (Fn. 1165); Federal Republic of Germany, Information Regarding the „Provisional Application of Treaties“ in the Commission’s Programme of Work, (Fn. 87), 1. 1473 Gesetz zu dem Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge, in: BGBl. 1985 II 926. 1474 Bundesverfassungsgericht, Deutsch-französische Wirtschaftsabkommen, (Fn. 1170), 395; Rüdiger Wolfrum, Kontrolle der auswärtigen Gewalt, (Fn. 1239), 46 – 47. 1475 So auch Georg Ress, Verfassung und völkerrechtliches Vertragsrecht, (Fn. 93), 820. 1476 BVerfGE 143, 65, (Fn. 108).
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fordernis verzichtet (1.), soll nach einem anderen Vertreter zumindest eine nachträgliche Zustimmung der Legislative erforderlich sein (2.). 1. Gänzliche Zustimmungsfreiheit Montag geht davon aus, dass die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung eines Vertrages ihrerseits einen Vertrag im Sinne des Art. 59 II GG darstellt. Die Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung hängt für ihn daher davon ab, ob sie parallel zur Zustimmungsbedürftigkeit des anzuwendenden Vertrages verläuft oder die Vereinbarung stets als nicht zustimmungsbedürftiges Verwaltungsabkommen im Sinne des Art. 59 II 2 GG behandelt wird.1477 Dabei vertritt Montag, dass die vorläufige Anwendung eines zustimmungsbedürftigen Vertrages ihrerseits nicht dem Art. 59 II 1 GG unterfällt. Hierfür führt er vor allem drei zentrale Argumente an:1478 Das erste ist der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit.1479 Da Art. 59 II 1 GG es nicht ausdrücklich verbiete, die vorläufige Anwendung anders als den Vertragsschluss zu behandeln, komme es für seine Auslegung auf den Verfassungsgrundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit an. Dieser solle dem Völkerrecht durch völkerrechtsfreundliche Auslegung größtmögliche Effektivität in der deutschen Rechtsordnung verschaffen, dem deutschen Recht die Anpassung an Entwicklungen auf Ebene des Völkerrechts ermöglichen und Widersprüche zwischen den Rechtsordnungen vermeiden. Daher müsse bei der Auslegung des Art. 59 II 1 GG berücksichtigt werden, dass in der völkerrechtlichen Praxis und insbesondere im Bereich des Wirtschaftsvölkerrechts ein unabweisbares Bedürfnis nach der Möglichkeit zur vorläufigen Anwendung von Verträgen bestehe. Mit seinem zweiten Argument zur Verfassungswirklichkeit wehrt Montag ein mögliches Gegenargument ab.1480 Zwar dürfe die Legislative nicht ihr Mitwirkungsrecht in Bezug auf den Abschluss von Verträgen verlieren, doch sei eine solche Gefahr angesichts der Verfassungswirklichkeit gering. In der Praxis würden die auswärtigen Beziehungen schließlich ohnehin vorwiegend von der Regierung gestaltet, wohingegen die Rolle des Parlaments auf die in Art. 59 II 1 GG vorgesehene Mitwirkung am Vertragsschluss beschränkt sei. Zudem besteht laut Montag keine Gefahr, dass das Parlament durch die vorläufige Anwendung präjudiziert wird.1481 Schließlich könne die vorläufige Anwendung nach Art. 25 II GG wieder einseitig 1477 Siehe Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 178 – 179, 201 – 202. 1478 Für die vollständige Argumentation von Montag siehe Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 209 – 218. 1479 Für die Argumentation Montags zum Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit siehe Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 210 – 212. 1480 Für die Argumentation Montags zur Verfassungswirklichkeit siehe Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 212 – 215. 1481 Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 217.
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beendet werden könne. Zudem sei die Parlamentsmehrheit durch ihre Verbindung zur Regierung ohnehin bereits politisch präjudiziert. Als drittes Argument verweist Montag auf die alternativen Handlungsoptionen der Regierung. In der Praxis weiche die Regierung vermehrt auf soft law aus, welches dem Einfluss der Parlamente fast vollständig entzogen sei. Insofern sei es für die Parlamente vorteilhafter, wenn sich Regierungen aufgrund der Möglichkeit zur vorläufigen Anwendung für den Abschluss eines letztendlich zustimmungsbedürftigen Vertrages entscheiden würden als wenn sie auf das nicht kontrollierbare soft law ausweichen würden.1482 Aufgrund dieser Argumente kommt Montag zum Ergebnis, dass die vorläufige Anwendung zustimmungsbedürftiger Verträge nicht selbst nach Art. 59 II 1 GG zustimmungsbedürftig ist. Während die Regierung somit nach außen hin auch ohne vorherige Beteiligung des Parlaments handeln könnte, soll die innerstaatliche Durchführung des Vertrages einer gesetzlichen Ermächtigung bedürfen, zumal die Rechtssetzungsfunktion klar dem Parlament zugewiesen sei.1483 Dem damit verbundenen Auseinanderfallen der völkerrechtlichen und innerstaatlichen Rechtslage könne entgegengewirkt werden, wenn die Regierung im jeweiligen Einzelfall dazu ermächtigt werde, den Vertrag bis zum Ende der vorläufigen Anwendung innerstaatlich durchzuführen.1484 2. Erfordernis nachträglicher Zustimmung Eine andere Lösung schlägt Kloepfer vor. Ihm zufolge setzt die vorläufige Anwendung zustimmungsbedürftiger Verträge keine vorherige, sondern lediglich eine nachträgliche Zustimmung des Gesetzgebers voraus, die durch die spätere Zustimmung zum Vertragsschluss erfolgt.1485 Denn der Wortlaut des Art. 59 II 1 GG ermögliche auch solch eine nachträgliche Zustimmung. Dem Vertragsgesetz, mit dem der Gesetzgeber dem Abschluss des Vertrages zustimmt soll daher im Falle der vorläufigen Anwendung eine (partielle) Rückwirkung zukommen. Legitimiert werde die Rückwirkung dadurch, dass häufig übergeordnete Gründe des Gemeinwohls vorlägen. Für seine Auffassung führt Kloepfer auch an, dass das völkerrechtsfreundliche Grundgesetz den völkerrechtlich anerkannten Mechanismus der vorläufigen Anwendung wohl kaum ausschließen wolle.
1482 Für die Argumentation Montags zum Ausweichen auf andere Handlungsformen siehe Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 215 – 217. 1483 Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 220 – 223, 252. 1484 Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 222 – 223. 1485 Für die vollständige Argumentation von Kloepfer siehe Michael Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen (1974), 154 – 158.
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Kloepfer ist bewusst, dass seine Ansicht das Mitwirkungsrecht der Legislative schwächen könnte, was er durch weitere Vorgaben aufzufangen versucht.1486 Bei irreparablen Folgen soll die vorläufige Anwendung ausgeschlossen sein, da das Mitwirkungsrecht des Gesetzgebers sonst vollständig leerlaufen würde. Doch auch in allen anderen Fällen sollen einige einschränkende Voraussetzungen zu beachten sein. Sofern möglich, soll die Pflicht zur vorläufigen Anwendung innerstaatlich zu einer Pflicht zum Abwarten umgedeutet werden. Im Rahmen dieses Abwartens werden dann z. B. durch Nichtanwendung bestehenden Rechts lediglich die „Anwendungschancen“ des Vertrages gesichert, wohingegen der Vertrag erst nach Zustimmung des Gesetzgebers rückwirkend angewendet wird. Weiterhin soll die vorläufige Anwendung zu beenden sein, sobald erkennbar wird, dass das Parlament dem Vertrag nicht zustimmen wird. Zudem leitet Kloepfer bei vorläufiger Anwendung aus dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue eine Vorlagepflicht der Regierung ab.
II. Mehrheitliche Annahme der Zustimmungsbedürftigkeit Entgegen den beiden dargestellten Auffassungen wird mehrheitlich davon ausgegangen, dass auch die vorläufige Anwendung eines zustimmungsbedürftigen Vertrages der vorherigen Zustimmung bedarf. Bereits Krenzler, der als Erster die Vereinbarkeit der vorläufigen Anwendung mit dem Grundgesetz untersuchte, kam wegen der Rechtsverbindlichkeit der vorläufigen Anwendung und der möglichen Umgehung der parlamentarischen Mitwirkungsrechte zu diesem Ergebnis.1487 Seine Meinung wird von einigen anderen Stimmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur geteilt, die häufig ohne nähere Ausführungen davon ausgehen, dass die vorläufige Anwendung ihrerseits einen Vertrag im Sinne des Art. 59 II 1 GG darstellt und daher zustimmungsbedürftig ist.1488 Eingehender begründet wird die Zustimmungsbedürftigkeit lediglich von Kempen und Schiffbauer, die sich in einem gemeinsamen Aufsatz ausführlich mit der Argumentation von Montag auseinandersetzen.1489 Zwei der drei Argumente von Montag verwerfen sie von vornherein, da sie der Praxis der Bundesregierung und realpolitischen Erwägungen in der rechtlichen Argumentation keine große Bedeutung beimessen. Mit dem Argument der Völkerrechtsfreundlichkeit setzen sie sich 1486
Für die vollständigen Ausführungen von Kloepfer zu diesem Aspekt siehe Michael Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, (Fn. 1485), 156 – 158. 1487 Horst Günter Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 101), 105 – 106. 1488 So z. B. Martin Nettesheim, Art. 59 GG, in: Dürig/Herzog/Scholz, (Fn. 1172), Rn. 95; Paulina Starski, Art. 59 GG, in: Münch/Kunig (2021), (Fn. 1250), Rn. 46; Thomas Kleinlein, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 80), 383 – 384. 1489 Für die Argumentation von Kempen und Schiffbauer zur verfassungsrechtlichen Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung siehe Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 109 – 113.
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hingegen intensiv auseinander. Sie erkennen zwar an, dass die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen erhalten werden muss, sehen hierin aber kein überzeugendes Argument gegen die Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung. Bei Vorliegen eines politischen Willens sei durch das Zustimmungsverfahren keine Verzögerung zu erwarten, wohingegen beim Fehlen eines politischen Willens das Verfahren anerkanntermaßen nicht rechtsmissbräuchlich umgangen werden dürfe. Die Völkerrechtsfreundlichkeit müsse hinter dem Demokratieprinzip zurückstehen und könne nicht zur Vermeidung von kontroversen parlamentarischen Auseinandersetzungen im Bundestag dienen, die wichtiger Teil des Demokratieprinzips sind. Vielmehr sei die vorläufige Anwendung stets auf eine vertragliche Vereinbarung zurückzuführen1490 und unterfalle damit als de facto Vertragsschluss, ähnlich wie der Vertragsbeitritt, dem Art. 59 II GG. Die einseitige Beendbarkeit der vorläufigen Anwendung könne sie nicht von der Zustimmungsbedürftigkeit befreien, zumal sie nur ex nunc wirke und der Bundestag sie rechtlich nicht selbst herbeiführen könne. Daher genüge die einseitige Beendbarkeit weder der Kontroll- noch der Vollzugssicherungsfunktion des Art. 59 II 1 GG und könne die vorläufige Anwendung nicht von dessen Anwendungsbereich ausnehmen. Da der Regelungsinhalt des Vertrages und der vorläufigen Anwendung identisch sei, müsse die Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung akzessorisch zu der des jeweiligen Vertrages sein, um Wertungswidersprüche zu vermeiden.
III. Vertragsnatur als gemeinsame Schwäche der Ansätze Im Völkerrecht ist die Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung nach wie vor nicht abschließend geklärt.1491 Insofern ist es bemerkenswert, dass alle dargestellten Ansichten davon auszugehen scheinen, dass die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung grundsätzlich einen Vertrag darstellt und damit in den Anwendungsbereich des Art. 59 II 1 GG fällt. Selbst die beiden Autoren, die keine vorherigen Zustimmung durch die Legislative verlangen, begründen dies nicht mit dem Anwendungsbereich, sondern mit der inhaltlichen Auslegung des Art. 59 II GG.1492 1490 Bereits auf der völkerrechtlichen Ebene gehen Kempen und Schiffbauer davon aus, dass die vorläufige Anwendung unabhängig von der Art ihrer Vereinbarung auf zwei oder mehr übereinstimmenden völkerrechtlichen Erklärungen beruht und daher einen Vertrag darstellt, siehe Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 104 – 105. 1491 Für die verschiedenen Ansichten zur Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung siehe Kapitel 2 B.V. 1492 Montags Argumentation zielt darauf ab, die vorläufige Anwendung zustimmungsbedürftiger Verträge Satz 2 statt Satz 1 des Art. 59 II GG zuzuordnen, wohingegen Kloepfer Art. 59 II 1 GG als Erfordernis einer nachträglichen Zustimmung deutet, Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 178 – 179, 201 – 202; Michael Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, (Fn. 1485), 155 – 156.
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Die einhellige Einordnung der vorläufigen Anwendung als Vertrag ist argumentativ von Bedeutung und dürfte erklären, warum mehrheitlich die vorherige Zustimmung der Legislative verlangt wird. Denn wer die vorläufige Anwendung als Vertrag einordnet und trotzdem keine vorherige Zustimmung verlangt, muss das widersprüchliche Ergebnis rechtfertigen, dass die vorläufige Anwendung zwar einerseits einen Vertrag darstellen, andererseits aber von Art. 59 II GG anders als ein Vertrag mit identischem Inhalt behandelt werden soll. Denn bei Verträgen, die unter Art. 59 II 1 GG fallen, ist wegen der Kontroll- und Vollzugssicherungsfunktion nach ganz überwiegender Ansicht keine nachträgliche, sondern eine vorzeitige Zustimmung erforderlich.1493 Darüber, ob ein Vertrag Art. 59 II 1 GG zugeordnet und damit dem Erfordernis vorheriger Zustimmung unterworfen wird, entscheidet wiederum der Inhalt des Vertrages. Entsprechend liegt in der Tat der Vorwurf eines Wertungswiderspruchs nahe, wenn Auffassungen die vorläufige Anwendung eines zustimmungsbedürftigen Vertrages trotz ihrer angeblich gleichen Rechtsnatur und ihrer im wesentlichem gleichen Wirkungen anders als den Abschluss des jeweiligen Vertrages behandeln wollen.1494 Insofern erscheint es schlüssiger, wenn die Gegenansicht vertritt, dass die vorläufige Anwendung eines zustimmungsbedürftigen Vertrages ihrerseits zustimmungsbedürftig ist. Doch auch hier stellt die Einstufung der vorläufigen Anwendung als Vertrag eine Schwäche dar. Sofern man nicht annimmt, dass der verfassungsrechtliche vom völkerrechtlichen Vertragsbegriff abweicht,1495 beruht die Argumentation auf einer Prämisse, die völkerrechtlich nicht eindeutig geklärt ist. Entsprechend kann der vorherrschende Ansatz die Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung nicht mehr begründen, wenn man für diese eine andere Rechtsnatur annimmt. Dies ist keine kleine Schwachstelle. Denn da das Bundesverfassungsgericht den Anwendungsbereich des Art. 59 II 1 GG gegenständlich auf den Abschluss völkerrechtlicher Verträge beschränkt,1496 liegt die Herausforderung gerade darin, die Zustimmungsbedürftigkeit anderer völkerrechtlicher Akte zu begründen.
1493
Statt vieler Martin Nettesheim, Art. 59 GG, in: Dürig/Herzog/Scholz, (Fn. 1172), Rn. 145; Ulrich Fastenrath/Thomas Groh, Art. 59 GG, in: Berliner Kommentar, (Fn. 1314), 57 Rn. 83. 1494 Diesen Wertungswiderspruch führen Kempen und Schiffbauer als zentrales Argument für ihre Auffassung an, dass die Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung derjenigen des vorläufig anzuwendenden Vertrages folgt, siehe Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 112 – 113. 1495 Kempen und Schiffbauer z. B. gehen ausdrücklich davon aus, dass sich der verfassungsrechtliche nicht vom völkerrechtlichen Vertragsbegriff unterscheidet, siehe Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 106. 1496 Für eine eingehendere Darstellung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 59 II 1 GG siehe Kapitel 5 C.I.
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Somit stellt es bei allen bislang vertretenen Ansichten eine Schwäche dar, dass sie die vorläufige Anwendung als Vertrag einstufen.
C. Analyse der Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung Angesichts der gemeinsamen Schwäche der bislang vertretenen Auffassungen soll die Analyse der Zustimmungsbedürftigkeit in der vorliegenden Arbeit mit der Frage beginnen, ob die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung überhaupt einen „Vertrag“ im Sinne des Art. 59 II GG darstellt (1). Lehnt man dies ab, ist im Anschluss aufgrund der Ähnlichkeiten zwischen vorläufiger Anwendung und Vertrag die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG zu prüfen (II.).
I. Kein Abschluss eines Vertrages im Sinne des Art. 59 II 1 GG Das Zustimmungserfordernis aus Art. 59 II 1 GG betrifft nur den Abschluss politischer und gesetzesinhaltlicher Verträge, wohingegen andere Verträge sowie nichtvertragliche Akte außerhalb seines Anwendungsbereichs liegen.1497 Insofern stellt sich zunächst die Frage, ob es sich bei der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung überhaupt um den Abschluss eines Vertrages handelt. Der verfassungsrechtliche Vertragsbegriff des Art. 59 II GG bezieht sich auf Verträge als Rechtsquelle des Völkerrechts und entspricht daher dem völkerrechtlichen Vertragsbegriff.1498 Aufgrund dieses Verweises auf den völkerrechtlichen Vertragsbegriff ist zu klären, ob das Völkerrecht die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung als den Abschluss eines Vertrages betrachtet.1499 Dass die Gleichsetzung von Vertragsschluss und vorläufiger Anwendung völkerrechtlich keineswegs zwingend ist, zeigt bereits der Umstand, dass die vorläufige Anwendung in der Wiener Vertragsrechtskonvention nicht beim Vertragsschluss in „Section 1: Conclusion of Treaties“ geregelt ist. Vielmehr wird ihre Sonderstellung betont, da sie gemeinsam mit dem Artikel zum Inkrafttreten von Verträgen die „Section 3: Entry
1497
BVerfGE 90, 286 (358), (Fn. 1201); BVerfGE 1, 68 (85), (Fn. 617). Martin Nettesheim, Art. 59 GG, in: Dürig/Herzog/Scholz, (Fn. 1172), Rn. 63; Philip Kunig/Uerpmann-Wittzack, Völkerrecht und staatliches Recht, (Fn. 1354), 107 Rn. 63; Ondolf Rojahn, Art. 59, in: Münch/Kunig (2012), (Fn. 1187), 2647 Rn. 3. 1499 Für eine Darstellung der verschiedenen Ansätze, die in der völkerrechtlichen Diskussion vertretenen werden, siehe Kapitel 2 B.V. 1498
Kap. 6: Vorläufige Anwendung in der deutschen Rechtsordnung
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Into Force and Provisional Application of Treaties“ bildet und in der Überschrift als eigenständiges Rechtsinstitut genannt wird.1500 Die bislang in der deutschen Literatur vertretenen Ansichten gehen dennoch einhellig vom Vertragscharakter der vorläufigen Anwendung aus, wählen zur Begründung aber zwei unterschiedliche Konstruktionen. Laut Kempen, Schiffbauer und Montag handelt es sich bei der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung um einen zweiten Vertrag, der vom anzuwendenden Hauptvertrag unterschieden werden muss.1501 Dies entspricht der international bislang wohl vorherrschenden Ansicht1502 und erscheint mit Blick auf den weiten völkerrechtlichen Vertragsbegriff zunächst plausibel.1503 Auch das Bundesverfassungsgericht nimmt unabhängig von Form und Bezeichnung einen völkerrechtlichen Vertrag an, wenn mindestens zwei Völkerrechtssubjekte eine Übereinkunft treffen, welche auf eine Änderung der Rechtslage gerichtet ist.1504 Hierunter kann die vorläufige Anwendung subsumiert werden, da sie typischerweise auf zwei schriftlichen und mit Rechtsbindungswillen abgegebenen Willenserklärungen beruht.1505 Der Nachteil dieser Konstruktion ist jedoch, dass die vorläufige Anwendung auch Unterschiede zu klassischen Verträgen aufweist, was Hilfskonstruktionen erforderlich macht. So wird der Umstand, dass die vorläufige Anwendung inhaltlich auf einen Vertrag verweist und mit dessen Inkrafttreten endet, damit erklärt, dass sie bis zum Inkrafttreten des akzessorischen Hauptvertrages befristet sei.1506 Solche Hilfskonstruktionen wirken künstlich und zeigen, dass die Behauptung von zwei unterschiedlichen Verträgen der engen Verbindung zwischen der vorläufigen Anwendung und dem anzuwendendem Vertrag nicht gerecht wird.1507 1500 Mit diesem systematischen Argument grenzt auch Quast Mertsch die vorläufige Anwendung vom Vertragsschluss ab, siehe Anneliese Quast Mertsch, Provisional Application of Treaties and the Internal Logic of the 1969 Vienna Convention, (Fn. 229), 328. 1501 Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 104 – 105, 112 – 113; Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 178. 1502 Siehe z. B. Mauro Gatti, Provisional Application of EU Trade and Investment Agreements: A Pragmatic Solution to Mixity Issues, (Fn. 501), 48; Daniel Vignes, Une notion ambiguë: L’application à titre provisoire des traités, (Fn. 500), 192; Michael Thaler, Enthält das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge verfassungsändernde Bestimmungen?, (Fn. 208), 690 – 691. 1503 Für nähere Ausführungen zum völkerrechtlichen Vertragsbegriff und seinen Bestandteilen siehe Duncan B. Hollis, Defining Treaties, in: Hollis, Duncan B., The Oxford Guide to Treaties (2020), 19 – 32. 1504 BVerfGE 104, 151 (199 – 200), (Fn. 1292); BVerfGE 90, 286 (359), (Fn. 1201). 1505 Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 104 – 105. 1506 So z. B. Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 104 – 105, 110 – 111. 1507 So auch Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties with Special Reference to Arms Control, Disarmament and Non-Proliferation Instruments, (Fn. 396), 54; Michael Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, (Fn. 1485), 151.
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Sofern die vorläufige Anwendung bereits im anzuwendenden Vertrag selbst vorgesehen ist, wählen Krenzler und Kloepfer daher im Einklang mit einer weiteren international vertretenen Auffassung1508 eine andere Begründung für den Vertragscharakter der vorläufigen Anwendung. Sie sehen die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung dann nicht als eigenständigen Vertrag, sondern als Bestandteil des vorläufig anzuwendenden Vertrages, quasi als „Sonderregelung des (materiellen) ,Inkrafttretens‘“.1509 Dass sie sich hierfür auf Art. 24 IV WVK stützen, demzufolge Schlussbestimmungen bereits vor Inkrafttreten gelten, ist allerdings nicht unproblematisch. Schließlich reichen die materiell-rechtlichen Wirkungen der vorläufigen Anwendung weiter als dies bei den Schlussbestimmungen, die Art. 24 IV WVK üblicherweise erfasst, der Fall ist.1510 Am überzeugendsten erscheint es vor diesem Hintergrund, die vorläufige Anwendung als vertragsbezogenes und vertragsähnliches Rechtsinstitut sui generis zu betrachten, dessen Existenz auf dem übereinstimmenden Willen der Staaten beruht.1511 Hierfür spricht, dass zwischen der vorläufigen Anwendung und dem Inkrafttreten eines Vertrages durchaus Unterschiede bestehen. Ein erster Unterschied besteht darin, dass die vorläufige Anwendung anders als Verträge niemals allein existieren kann, da ihre Hauptpflicht stets auf den Inhalt eines Vertrages verweist. Zudem ist anerkannt, dass einige der Regelungen für in Kraft getretene Verträge nicht1512 oder nur mutatis mutandis für die vorläufige Anwendung gelten,1513 was ihre Sonderstellung verdeutlicht. Entsprechend unterliegt die vorläufige Anwendung zwar weitgehend, aber nicht vollständig denselben Regeln wie völkerrechtliche Verträge. So ist das Vorbehaltsregime nicht in derselben Weise wie bei Verträgen 1508 Siehe z. B. m. w. N. Andrew Gordon Michie, The Provisional Application of Treaties with Special Reference to Arms Control, Disarmament and Non-Proliferation Instruments, (Fn. 396), 54. 1509 Dies vertreten Kloepfer und Krenzler. Siehe Michael Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, (Fn. 1485), 151, 155; Horst Günter Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 101), 40 – 41. 1510 Anneliese Quast Mertsch, Provisionally Applied Treaties: Their Binding Force and Legal Nature, (Fn. 67), 158. 1511 In diesem Sinne ist wohl auch Quast Mertsch zu verstehen, nach der es allein darauf ankommt, dass Staaten der vorläufigen Anwendung Rechtswirkungen beimessen, siehe Ibid. Für eine eingehendere Auseinandersetzungen mit den verschiedenen Auffassungen siehe Kapitel 2 B.V. 1512 In ihrem Kommentar zu Guideline 6 stellt die Völkerrechtskommission klar, dass die vorläufige Anwendung von in Kraft getretenen Verträgen zu unterscheiden ist und nicht allen Regelungen aus dem Recht der Verträge unterliegt, siehe Völkerrechtskommission, Draft Guidelines and Draft Annex Constituting the Guide to Provisional Application of Treaties, with Commentaries thereto, (Fn. 510), 79 Rn. 6. 1513 Vgl. z. B. Draft Guideline 7 I und Draft Guideline 9 III in Völkerrechtskommission, Texts and Titles of the Draft Guidelines Adopted by the Drafting Committee on First Reading, (Fn. 511), 2; Catherine Brölmann/Guido den Dekker, Treaties, Provisional Application (2020), (Fn. 40), Rn. 17; International Centre for Settlement of Investment Disputes, Ioannis Kardassopoulos v. Georgia, (Fn. 511), 58 – 59 Rn. 220 – 221.
Kap. 6: Vorläufige Anwendung in der deutschen Rechtsordnung
273
anwendbar1514 und auch eine vorläufige Anwendung der vorläufigen Anwendung existiert naturgemäß nicht. Der wohl wichtigste und bekannteste Unterschied ist allerdings, dass die vorläufige Anwendung leichter als ein Vertrag wieder beendet werden kann.1515 Dass gerade der letzte Unterschied eine Differenzierung zwischen dem Abschluss eines Vertrages und seiner vorläufigen Anwendung rechtfertigen könnte, zeigt auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses entschied 2016 über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die vorläufige Anwendung von CETA. Anders als beim Vertragsschluss üblich, führte es hier keine summarische Prüfung der Rechtslage, sondern lediglich eine Folgenabwägung durch, da durch die vorläufige Anwendung noch keine „endgültige völkerrechtliche Bindung“ eintrete.1516 Somit unterschied das Bundesverfassungsgericht zumindest auf der verfassungsprozessualen Ebene zwischen dem Abschluss eines Vertrages und seiner vorläufigen Anwendung, was an anderer Stelle noch eingehender erörtert werden wird.1517 Neben den rechtlichen Unterschieden zu Verträgen spricht vor allem der Zweck der vorläufigen Anwendung dafür, sie in ihrer Rechtsnatur von Verträgen zu unterscheiden. Da Staaten die Möglichkeit erhalten sollen das zeitintensive innerstaatliche Vertragsschlussverfahren zu überbrücken,1518 wäre es aus völkerrechtlicher Sicht kontraproduktiv, die vorläufige Anwendung als Vertrag zu betrachten. Denn wenn schon das Völkerrecht keinen Unterschied zwischen dem Abschluss eines Vertrages und seiner vorläufigen Anwendung machen würde, könnte es dies wohl kaum vom innerstaatlichen Vertragsschlussverfahren erwarten. Insofern ist auch aufschlussreich, dass einige Staaten die Einladung des Völkerrechts, von ihrem innerstaatlichen Vertragsschlussverfahren abzuweichen,1519 annehmen.1520 Folglich ist die Rechtsnatur der vorläufigen Anwendung aus Sicht des Völkerrechts sui generis und von Verträgen zu unterscheiden. Da der verfassungsrechtliche dem völkerrechtlichen Vertragsbegriff entspricht,1521 kann die vorläufige Anwendung somit entgegen den bislang vertretenen Ansichten nicht als Abschluss eines 1514 Bei der vorläufigen Anwendung übernehmen typischerweise Beschränkungserklärungen die Funktion von Vorbehalten. Für die Unterschiede zu Vorbehalten siehe Kapitel 4 A.III.3. 1515 Für eingehendere Ausführungen zur leichteren Beendbarkeit siehe Kapitel 2 D.II.3. 1516 Vgl. BVerfGE 143, 65 (87 – 88), (Fn. 108). 1517 Siehe hierzu infra Kapitel 8 D.II. 1518 Für eingehendere Ausführungen zur Funktion der vorläufigen Anwendung siehe Einleitung A.III.2. 1519 Danae Azaria, Provisional Application of Treaties, (Fn. 483), 242. 1520 Für eingehendere Ausführungen und Beispiele zu Staaten, welche die vorläufige Anwendung innerstaatlich anders behandeln als den Vertragsschluss, siehe Kapitel 4 A.I.1. 1521 Martin Nettesheim, Art. 59 GG, in: Dürig/Herzog/Scholz, (Fn. 1172), Rn. 63; Philip Kunig/Uerpmann-Wittzack, Völkerrecht und staatliches Recht, (Fn. 1354), 107 Rn. 63; Ondolf Rojahn, Art. 59, in: Münch/Kunig (2012), (Fn. 1187), 2647 Rn. 3.
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Teil 2: Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot
Vertrages im Sinne des Art. 59 II GG gesehen werden. Wenngleich dadurch die direkte Anwendung des Art. 59 II 1 GG von vornherein ausscheidet, ist damit noch nicht abschließend geklärt, ob die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung eines Vertrages zustimmungsbedürftig ist.
II. Zustimmungsbedürftigkeit durch analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG Wenn die vorläufige Anwendung keinen Vertrag darstellt und daher von der Verfassung nicht ausdrücklich geregelt wird, hängt die Beteiligung des Gesetzgebers von der Verteilung der auswärtigen Gewalt ab. Diese liegt vorrangig bei der Regierung, welche völkerrechtliche Handlungen auch ohne Beteiligung des Gesetzgebers vornehmen kann, sofern das Grundgesetz nichts anderes bestimmt.1522 Aus dieser vorrangigen Zuständigkeit der Regierung für die auswärtigen Beziehungen könnte – wie in anderen Staaten1523 – folgen, dass ihr auch die Entscheidung über die vorläufige Anwendung zugewiesen ist. Andererseits sieht das Grundgesetz beim Abschluss von bestimmten Verträgen eine Beteiligung der Legislative vor. Diese Vorgabe muss ernstgenommen und gegebenenfalls durch analoge Anwendung vor einer Umgehung geschützt werden.1524 Wie in Kapitel 5 bereits dargelegt wurde, ist ein Analogieschluss bei Art. 59 II 1 GG verfassungsrechtlich nicht verboten, zumal das grundsätzliche Bedürfnis für eine Rechtsfortbildung durch den nachträglich eingetretenen Strukturwandel im Völkerrecht ausgelöst wurde.1525 Insofern ist die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG möglich, sofern mit einer planwidrigen Regelungslücke und einer vergleichbaren Interessenlage auch die übrigen Analogievoraussetzungen vorliegen. Dies ist der Fall, da systematische, teleologische und historische Erwägungen für eine Planwidrigkeit der Regelungslücke in Bezug auf die vorläufige Anwendung sprechen (1.). Zudem ist trotz der rechtlichen Unterschiede zwischen der vorläufigen Anwendung und dem Vertragsschluss die Interessenlage bei beiden Situationen vergleichbar (2.). Auch die Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes steht der analogen Anwendung des Art. 59 II 1 GG auf die vorläufige Anwendung nicht entgegen (3.).
1522
Für eine eingehendere Begründung dieses Ergebnisses siehe Kapitel 5 E. In der Schweiz z. B. wurde die Kompetenz der Regierung zur Entscheidung über die vorläufige Anwendung früher aus ihrer allgemeinen Zuständigkeit für auswärtige Angelegenheiten abgeleitet, siehe Permanent Mission of Switzerland to the United Nations, Observations et informations concernant l’application provisoire des traités, (Fn. 576), 1 – 2. 1524 Für eine eingehendere Begründung dieses Ergebnisses siehe Kapitel 5 E.II. 1525 Für eingehendere Ausführungen zur Frage, ob der analogen Anwendung des Art. 59 II 1 GG ein Analogieverbot entgegensteht, siehe Kapitel 5 E.II.1. 1523
Kap. 6: Vorläufige Anwendung in der deutschen Rechtsordnung
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1. Planwidrige Regelungslücke Hinsichtlich der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung existiert eine Regelungslücke, da diese keinen Vertrag im Sinne des Art. 59 II GG darstellt und auch keine andere Regelung ersichtlich ist. Interessanter ist die Frage, ob die Regelungslücke planwidrig ist. Wie an anderer Stelle bereits eingehender dargelegt wurde,1526 ist mit Calliess1527 die Planwidrigkeit einer Regelungslücke zutreffender Weise an den folgenden Maßstäben zu messen: Im Grundsatz ist anzunehmen, dass das Fehlen eines speziellen parlamentarischen Mitwirkungsrechts in Bezug auf Akte der auswärtigen Gewalt nicht planwidrig ist, da der Bundestag stets über die funktionsadäquateren allgemeinen Beteiligungs- und Kontrollrechte verfügt. Widerlegt wird die Vermutung für die Planmäßigkeit der Regelungslücke jedoch, wenn die Zustimmungsfreiheit des Akts das verfassungsrechtlich vorgesehene Zustimmungsrecht des Parlaments beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge gefährdet. Denn es kann nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Verfassungsgeber durch die Nichtregelung einer Kompetenzfrage die von ihm ausdrücklich geregelte Kompetenzverteilung bei Verträgen unterminieren wollte. Eine Gefährdung des parlamentarischen Zustimmungsrechts aus Art. 59 II 1 GG liegt dabei vor, wenn ein Völkerrechtsakt eine Umgehungsgefahr erzeugt, indem er ein funktionales Äquivalent zum Abschluss eines politischen oder gesetzesinhaltlichen Vertrags bietet.1528 Die vorläufige Anwendung von Verträgen gefährdet das Zustimmungsrecht der Legislative im Vertragsschlussverfahren. Denn die vorläufige Anwendung deckt sich zumindest teilweise mit dem Inhalt eines Vertrages und der Bundestag kann grundsätzlich weder die Vorlage des Vertrages noch die Beendigung der vorläufigen Anwendung herbeiführen.1529 Dass die vorläufige Anwendung eines Vertrages dessen Abschluss funktional ersetzt und damit die Parlamentsbeteiligung im Vertragsschlussverfahren entbehrlich macht, ist nicht bloß eine theoretische Möglichkeit. Obwohl die vorläufige Anwendung dem Namen nach nur als vorübergehender Zustand gedacht ist, finden sich in der Vertragspraxis einige Fälle, in denen sie über Jahrzehnte andauert.1530 Im Vergleich zu Vertragserweiterungen oder soft law, die ihrerseits als mögliche Fälle für eine analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG angesehen werden,1531 dürfte 1526
Siehe Kapitel 5 E.II.2. Zu den Voraussetzungen für eine planwidrige Regelungslücke auf dem Gebiet der auswärtigen Gewalt siehe Christian Calliess, Auswärtige Gewalt, (Fn. 650), 616 – 617 Rn. 48. 1528 Siehe hierzu Kapitel 5 E.II.2. 1529 Zu den Wirkungen der vorläufigen Anwendung und dem Umstand, dass völkerrechtlich weder Vorlage- noch Beendigungspflichten bestehen, siehe Kapitel 2 C. und Kapitel 2 D.II.2. 1530 Ein Beispiel für die jahrzehntelange vorläufige Anwendung eines Vertrages ist der Meeresgrenzvertrag zwischen den USA und Kuba. Dieser Fall wird in Kapitel 3 A.IV.2. eingehender dargestellt. Für Beispiele aus der deutschen Vertragspraxis siehe Kapitel 6 A. 1531 So z. B. in Christian Calliess, Auswärtige Gewalt, (Fn. 650), 617 Rn. 48. 1527
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Teil 2: Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot
die Umgehungsgefahr bei der vorläufigen Anwendung mit Blick auf Umfang und Wirkungen sogar noch größer sein. Dies gilt umso mehr als sich die Umgehungsgefahr bei Vertragserweiterungen und soft law nur darauf bezieht, dass hypothetisch auch ein zustimmungsbedürftiger Vertrag abgeschlossen werden könnte, wohingegen die Umgehungsgefahr bei der vorläufigen Anwendung sogar einen bereits konkret vorliegenden Vertrag betrifft. Somit sprechen verfassungssystematische und teleologische Gründe für das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke in Bezug auf die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes, welches im Jahr 1949 in Kraft trat. Die Praxis der vorläufigen Anwendung war schon seit dem westfälischen Frieden von 1648 bekannt,1532 der häufig als Geburtsstunde des modernen Völkerrechts genannt wird.1533 Trotzdem wurde sie im Rahmen des Entstehungsprozesses des Grundgesetzes soweit ersichtlich nie diskutiert.1534 Dies dürfte auch daran liegen, dass die Bedeutung und Sichtbarkeit der vorläufigen Anwendung erst mit der Verabschiedung der Wiener Vertragsrechtskonvention Ende der 1960er Jahre zunahm,1535 wie eine vom Sekretariat der Vereinten Nationen erstellte Grafik zeigt.1536 Denn obwohl bei den Vereinten Nationen bereits seit 1946 vereinzelt „provisional applications actions“ registriert wurden, ist deren Anzahl seit 1969 um ein Vielfaches höher als in den Jahren davor.
1532
Robert E. Dalton, Provisional Application of Treaties, (Fn. 84), 221. Für eine differenziertere Einordnung des Westfälischen Friedens in die Geschichte des Völkerrechts siehe Bardo Fassbender, Peace of Westphalia (1648) (2011), Rn. 18 – 22, online: https://opil.ouplaw.com/view/10.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e739? rskey=PsfIwm&result=1&prd=OPIL (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 1534 Für einen Überblick über die Entstehungsgeschichte des Art. 59 GG siehe Peter Häberle, Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes: Neuausgabe des Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Band 1 (2. Aufl. 2010), 413 – 416. 1535 Auch der Sonderberichterstatter Gómez-Robledo hebt hervor, dass die vorläufige Anwendung im Zeitraum nach Inkrafttreten der Wiener Vertragsrechtskonvention zugenommen hat. Siehe Gómez-Robledo, siehe Völkerrechtskommission, Fourth Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 659), 23 Rn. 110. 1536 Für die Grafik zu „provisional application actions“, die von der Vertragsabteilung des Bereichs für Rechtsangelegenheiten des Sekretariats der Vereinten Nationen erstellt wurde, siehe Völkerrechtskommission, Fourth Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 659), 23 Rn. 109. 1533
Kap. 6: Vorläufige Anwendung in der deutschen Rechtsordnung
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Abbildung 2: Die vom Sekretariat der Vereinten Nationen erstellte Grafik zeigt die Anzahl der „provisional application actions“, die nach Art. 102 der Charta der Vereinten Nationen registriert wurden.1537
Somit sprechen neben den oben genannten systematischen und teleologischen Erwägungen auch die Vorarbeiten zum Grundgesetz und der erst später eingetretene Bedeutungsgewinn der vorläufigen Anwendung für das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke. 2. Vergleichbarkeit der Interessenlage Die zweite Voraussetzung für die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG ist, dass die Interessenlage bei dem von ihm geregelten Abschluss eines Vertrages mit derjenigen bei der ungeregelten vorläufigen Anwendung vergleichbar ist. Auf den ersten Blick spricht viel für eine solche Vergleichbarkeit, da die Pflicht zur vorläufigen Anwendung sich stets auf den Inhalt eines Vertrages bezieht und viele Regelungen des Vertragsvölkerrechts mutatis mutandis anwendbar sind. Insofern weist die vorläufige Anwendung unbestritten eine große Nähe zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge auf. Zugleich gibt es aber einige Unterschiede, die oben bereits bei der Abgrenzung zum Vertrag angesprochen wurden.1538 Für die Vergleichbarkeit der Interessenlage kommt es daher darauf an, ob die vorläufige Anwendung trotz dieser Unterschiede dem Abschluss eines Vertrages in denjenigen Punkten ähnelt, die für die Wertung des Art. 59 II 1 GG maßgeblich sind.1539
1537 Völkerrechtskommission, Fourth Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 659), 23 Rn. 109. 1538 Zu den Unterschieden zwischen der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung und dem Abschluss eines Vertrages siehe Kapitel 6 C.I. 1539 Vgl. Karl Larenz/Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, (Fn. 1279), 202.
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Teil 2: Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot
Das Zustimmungserfordernis in Art. 59 II 1 GG soll der Legislative vor Eintritt der völkerrechtlichen Bindungen eine effektive Kontrolle der Exekutive ermöglichen, ein hinreichendes demokratisches Legitimationsniveau erzeugen und sicherstellen, dass Verträge innerstaatlich erfüllt werden können.1540 Diese Interessenlage besteht grundsätzlich auch bei einer Vereinbarung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages, da diese rechtsverbindlich ist und eine Pflicht zur Anwendung des Vertragsinhalts erzeugt.1541 Die Vergleichbarkeit der Interessenlage kann selbst dann vorliegen, wenn die Pflicht zur vorläufigen Anwendung einmal nicht den gesamten Vertrag, sondern nur einzelne Vertragsbestimmungen umfasst. Schließlich löst auch beim Abschluss von Verträgen schon eine einzelne politische oder gesetzesinhaltliche Vertragsbestimmung die Zustimmungsbedürftigkeit aus.1542 Von den rechtlichen Unterschieden zwischen der vorläufigen Anwendung und dem Vertragsschluss, könnte daher nur die fristlose und damit deutlich erleichterte Beendigungsmöglichkeit gegen eine vergleichbare Interessenlage sprechen.1543 Allerdings kann die Beendigung nach Art. 25 II WVK vom Parlament nicht rechtlich, sondern allenfalls über politischen Druck auf die Regierung herbeigeführt werden und wirkt selbst dann lediglich ex nunc.1544 Daher kann die leichtere Beendbarkeit weder eine effektive Kontrolle der Regierung noch den Vollzug des Vertrages im selben Maße gewährleisten wie die vorherige Zustimmung1545 Folglich besteht zwischen vorläufiger Anwendung und Vertragsschluss kein rechtlicher Unterschied, der mit Blick auf die Kontroll- und Vollzugssicherungsfunktion eine andere Bewertung ermöglichen würde. Dasselbe gilt für das Niveau an demokratischer Legitimation, das durch das Zustimmungserfordernis erzeugt wird. Denn wenn bei der vorläufigen Anwendung die Input-Legitimation entfällt, wird dies nicht durch eine Output-Legitimation kompensiert.1546 Somit entspricht die Interessenlage bei der vorläufigen Anwendung grundsätzlich derjenigen beim Abschluss eines Vertrages.
1540 BVerfGE 141, 1 (18 – 19, 22), (Fn. 112); Bernhard Kempen, Art. 59 GG, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, (Fn. 1181), 1545 – 1546 Rn. 37 – 38. 1541 Zur Rechtsverbindlichkeit der vorläufigen Anwendung siehe Kapitel 2 C.I. 1542 Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments/Sebastian Graf von Kielmansegg, Ratifikation völkerrechtlicher Verträge: Eine rechtsvergleichende Perspektive, (Fn. 816), 20. 1543 Zur einseitigen Beendbarkeit der vorläufigen Anwendung siehe Kapitel 2 D.II.; dieser misst auch Montag in seiner Argumentation einige Bedeutung bei, siehe Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 217. 1544 Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 111 – 112. 1545 Ibid. 1546 Für eingehendere Ausführungen zum Legitimitätsdefizit bei der vorläufigen Anwendung siehe Kapitel 3 D.I.2.
Kap. 6: Vorläufige Anwendung in der deutschen Rechtsordnung
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3. Vereinbarkeit mit der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes Gegen eine Vergleichbarkeit der Interessenlage könnte allerdings sprechen, dass das Grundgesetz eine völkerrechtsfreundliche Verfassung ist. Schließlich wird sogar bei der Einstufung der vorläufigen Anwendung als Vertrag vertreten, dass es in der Völkerrechtspraxis ein Bedürfnis für die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung gebe und der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit daher verbiete, sie durch Gleichbehandlung mit dem Vertragsschluss faktisch auszuschließen.1547 Im Ergebnis trifft dieser Einwand allerdings nicht zu. Denn der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit verlangt nur die Befolgung bestehender Völkerrechtspflichten und nicht, dass die Effektivität des Völkerrechtsverkehrs gesteigert wird (a)). Daher streitet er als Harmonisierungsgebot sogar für die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG auf die vorläufige Anwendung, da nur so ein Auseinanderfallen der völkerrechtlichen und der innerstaatlichen Rechtslage vermieden werden kann (b)). a) Kein allgemeines Gebot zur Steigerung der Effektivität des Völkerrechtsverkehrs Laut Montag spricht der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit sogar dann gegen die Anwendung des Art. 59 II 1 GG, wenn man die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung ihrerseits als Vertrag einstuft. Denn der Grundsatz solle dem Völkerrecht größtmögliche Effektivität verschaffen und der Verfassung ermöglichen, sich an völkerrechtliche Entwicklungen anzupassen. Da die vorläufige Anwendung für die Effektivität mancher völkerrechtlicher Verträge unverzichtbar sei, wolle das Grundgesetz Deutschland den Rückgriff auf die vorläufige Anwendung auch im Interesse der internationalen Zusammenarbeit nicht versagen.1548 Ein ähnliches Argument findet sich bei Kloepfer demzufolge das Grundgesetz als völkerrechtsfreundliche Verfassung die in der Völkerrechtspraxis anerkannte Möglichkeit zur vorläufigen Anwendung nicht ausschließen will.1549 Demgegenüber halten Kempen und Schiffbauer den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit zwar für ein wichtiges Argument bei der Auslegung des Art. 59 II 1 GG, sehen dieses aber am Demokratieprinzip scheitern. Denn wenn der politische Wille zum Abschluss eines Vertrages bestehe, sei keine die Effektivität des Vertrages beeinträchtigende Verzögerung durch den Bundestag zu erwarten. Sei der politische Wille hingegen ungewiss, dürfe die vorläufige Anwendung nicht dazu genutzt werden, die dem Demokratieprinzip inhärente politische Auseinandersetzung zu umgehen. Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit finde hier also wie 1547
211.
Vgl. Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80),
1548 Für die Argumentation von Montag zum Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit siehe Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 210 – 211. 1549 Michael Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, (Fn. 1485), 156.
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in der Treaty Override-Entscheidung1550 des Bundesverfassungsgerichts seine verfassungsrechtliche Grenze im Demokratieprinzip.1551 Anders als die dargestellten Auffassungen nahelegen, steht der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit der (analogen) Anwendung des Art. 59 II 1 GG auf die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung schon nicht entgegen. Zutreffend ist, dass die Verfassung mit der Völkerrechtsfreundlichkeit eine Leitlinie vorgibt, die bei der Auslegung der einzelnen völkerrechtsrelevanten Verfassungsbestimmungen berücksichtigt werden muss.1552 Allerdings erzeugt der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit nur bestimmte Rechtsfolgen. Er soll durch Harmonisierung der Rechtsordnungen Völkerrechtsverstöße verhindern und zielt daher nur auf die Einhaltung der für Deutschland bereits bestehenden Völkerrechtspflichten ab.1553 Zu dem Zeitpunkt in dem sich die Frage stellt, ob Art. 59 II 1 GG auf die vorläufige Anwendung analog angewendet werden muss, besteht für Deutschland aber noch keine völkerrechtliche Pflicht. Schließlich soll gerade erst geklärt werden, unter welchen innerstaatlichen Voraussetzungen Deutschland von der völkerrechtlichen Option Gebrauch machen kann, sich zur vorläufigen Anwendung zu verpflichten. Dass der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit über eine Harmonisierung mit der völkerrechtlichen Rechtslage hinaus auch darauf abzielt, dass Deutschland die Effektivität völkerrechtlicher Handlungsformen erhält oder steigert, ist nicht ersichtlich. Zwar ist in der Literatur von einem Effektivitätsgebot die Rede, doch wird dieses typischerweise nur auf die bestmögliche Umsetzung bestehender Völkerrechtspflichten bezogen.1554 Insofern macht der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit keine normativen Vorgaben für die Fortentwicklung des Völkerrechts, sondern betrifft nur die Befolgung des bestehenden Völkerrechts. Daher steht er der analogen Anwendung des Art. 59 II 1 GG auf die vorläufige Anwendung nicht entgegen. b) Harmonisierungsgebot als Argument für die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit spricht als Harmonisierungsgebot sogar für die (analoge) Anwendung des Art. 59 II 1 GG, da nur so ein Auseinanderfallen von Völkerrecht und innerstaatlichem Recht vermieden werden kann. 1550
BVerfGE 141, 1, (Fn. 112). Für die Argumentation von Kempen und Schiffbauer zum Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit siehe Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 110. 1552 Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, (Fn. 1252), 476. 1553 Christian Tomuschat, Staatsrechtliche Entscheidung für die internationale Offenheit, (Fn. 1343), 8 Rn. 9 – 10; für eingehendere Ausführungen zum Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit siehe Kapitel 5 F.I.2.a). 1554 Vgl. z. B. Ondolf Rojahn, Art. 24 GG, in: Münch/Kunig (2012), (Fn. 1353), 1633 Rn. 4; Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band I, (Fn. 1252), 476. 1551
Kap. 6: Vorläufige Anwendung in der deutschen Rechtsordnung
281
Art. 59 II 1 GG soll durch die vorherige Zustimmung des Gesetzgebers nicht nur die innerstaatliche Durchführung von Verträgen sichern, sondern verschafft ihnen mit dem Vertragsgesetz auch bereits innerstaatliche Geltung.1555 Wäre die vorläufige Anwendung gesetzesinhaltlicher Verträge anders als deren Abschluss auch ohne vorheriges Vertragsgesetz zulässig, bestünde die Gefahr, dass die deutsche und die völkerrechtliche Rechtsordnung auseinanderfallen. Denn wegen des Vorbehalts des Gesetzes können die Pflichten aus der vorläufigen Anwendung hier nicht von der Exekutive, sondern nur durch ein Gesetz der Legislative erfüllt werden.1556 Anders als bei Verträgen bestünde für den Gesetzgeber auch keine Pflicht zum Erlass eines Umsetzungsgesetzes, da es an einer entsprechenden Selbstverpflichtung durch die Zustimmung fehlen würde und die vorläufige Anwendung auch noch keine innerstaatliche Geltung erlangt hätte.1557 Folglich würde durch das Auseinanderfallen der völkerrechtlichen Pflichten und der innerstaatlichen Rechtslage das Risiko eines Völkerrechtsverstoßes steigen. Dies widerspricht dem auf Harmonisierung der Rechtsordnungen gerichteten Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit, der folglich nicht gegen, sondern sogar für die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG streitet. Somit ist die vorläufige Anwendung eines zustimmungsbedürftigen Vertrages grundsätzlich analog Art. 59 II 1 GG zustimmungsbedürftig. Damit würde Deutschland zu denjenigen Staaten zählen, welche die vorläufige Anwendung nach dem Ausschlussmodell nur unter denselben Voraussetzungen wie den Vertragsschluss zulassen.1558
D. Beteiligungsrechte der Legislative bei ausnahmsweisem Entfall des Zustimmungserfordernisses Mit dem Ergebnis, dass Art. 59 II 1 GG analog anwendbar ist, ist die Analyse der Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung allerdings noch nicht abgeschlossen. Denn wie sich zeigen wird, gibt es zwei Ausnahmesituationen, in denen ein zustimmungsbedürftiger Vertrag auch vor Zustimmung des Gesetzgebers vorläufig angewendet werden kann. So können die Voraussetzungen für die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG ausnahmsweise wegen Funktionsgerechtigkeitserwägungen und der Verfassungsentscheidung für internationale Zusammenarbeit entfallen (I.). Praktisch bedeutsamer sind hingegen Beschränkungsklausel und -erklärung, die das Zustimmungserfordernis ebenfalls beseitigen können, sofern sie die Rechte des Gesetzgebers mit hinreichender Sicherheit schützen (II.). In diesen 1555 1556
220. 1557
Rudolf Streinz, Art. 59 GG, in: Sachs, (Fn. 697), Rn. 60. Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 218 –
Zu den innerstaatlichen Wirkungen von Verträgen siehe Kapitel 5 F.II.1. Für Ausführungen und Beispiele zu Ausschluss- und Ausgestaltungsmodell siehe Kapitel 4 A.I.1.a). 1558
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beiden Ausnahmefällen wird das Beteiligungsrecht des Gesetzgebers im Vertragsschlussverfahren dadurch gesichert, dass sich aus dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue Informations-, Vorlage- und Beendigungspflichten für die Regierung ergeben (III.).
I. Entfall des Zustimmungserfordernisses in seltenen Ausnahmefällen Die vergleichbare Interessenlage als Voraussetzung für die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG könnte in bestimmten Situationen entfallen. Wenngleich Montags Argument zur Völkerrechtsfreundlichkeit aus den oben genannten Gründen nicht überzeugen kann, hebt er zutreffend hervor, dass die Praxis der vorläufigen Anwendung die Antwort auf ein unabdingbares Bedürfnis der internationalen Zusammenarbeit darstellt.1559 In der Tat lässt sich nicht bestreiten, dass die Staaten es in der Praxis in manchen Fällen für sinnvoll oder gar erforderlich halten, einen Vertrag bereits vor seinem Inkrafttreten anzuwenden. Dieses Bedürfnis könnte verfassungsrechtlich über die Verfassungsentscheidung für internationale Zusammenarbeit berücksichtigt werden. Diese verlangt von der öffentlichen Gewalt, dass sie bei der Lösung von Problemen die zwischenstaatliche Zusammenarbeit erwägt und anstrebt.1560 Wenn im Einzelfall wegen der Dauer des völkerrechtlichen Vertragsschlussverfahrens eine effektive zwischenstaatliche Zusammenarbeit nur durch die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung möglich ist, könnte das Grundgesetz der Regierung daher diese Handlungsmöglichkeit eröffnen wollen. Letztendlich reicht die abstrakte Verfassungsentscheidung für internationale Zusammenarbeit für sich genommen jedoch nicht aus, um zu begründen, dass gerade die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung möglich sein muss. Da die öffentliche Gewalt bei der Erfüllung des Verfassungsauftrags über ein weites politisches und rechtliches Ermessen verfügt,1561 dürfte sie meist nicht speziell auf die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung angewiesen sein. Dies gilt umso mehr, als die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG die vorläufige Anwendung eines Vertrages nur ausschließt, solange das Vertragsschlussverfahren noch nicht durchlaufen wurde. Folglich spricht die Verfassungsentscheidung für internationale Zusammenarbeit nur dann gegen die Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung, wenn andere Mittel – inklusive der vorläufigen Anwendung nach Zustimmung des Gesetzgebers – unzureichend sind. 1559
211. 1560
Vgl. Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80),
Ondolf Rojahn, Art. 24 GG, in: Münch/Kunig (2012), (Fn. 1353), 1636 Rn. 8; für eingehendere Ausführungen zur Verfassungsentscheidung für internationale Zusammenarbeit siehe Kapitel 5 F.I.2.b). 1561 Ondolf Rojahn, Art. 24 GG, in: Münch/Kunig (2012), (Fn. 1353), 1636 Rn. 9.
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Eine zusätzliche Einschränkung besteht darin, dass die Ungeeignetheit anderer Mittel nicht auf Verzögerungen beruhen darf, die sich aus politischen Kontroversen in Parlament und Öffentlichkeit ergeben. Da politische Auseinandersetzungen Teil des Demokratieprinzips sind, kann ein ungeschriebener Verfassungsgrundsatz nicht so weit gehen, die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung zu ihrer Umgehung zu erlauben.1562 Somit spricht die Verfassungsentscheidung für internationale Zusammenarbeit nur für die Zustimmungsfreiheit der vorläufigen Anwendung, wenn im Einzelfall keine anderen effektiven Mittel für eine internationale Zusammenarbeit zur Verfügung stehen und dies nicht lediglich am Fehlen eines politischen Willens liegt. Eine weiterreichende Befugnis der Regierung zur alleinigen Entscheidung über die vorläufige Anwendung könnte sich allerdings aus Funktionsgerechtigkeitserwägungen ergeben. Denn die vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten Kriterien der Funktionsgerechtigkeit und Organadäquanz sind auch im Rahmen der analogen Anwendung des Art. 59 II 1 GG zu berücksichtigen,1563 insbesondere bei der Frage, ob eine vergleichbare Interessenlage vorliegt. Das Bundesverfassungsgericht begründet die Vorrangstellung der Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt mit einer funktionsgerechten Gewaltenteilung und der außenpolitischen Handlungsfähigkeit Deutschlands. Dabei betont es, dass typischerweise nur die Regierung über die personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen für eine schnelle Reaktion auf außenpolitische Lagen verfügt.1564 Diese Erwägungen sprechen dafür, dass die Regierung auch bei der Entscheidung über die vorläufige Anwendung eines Vertrages der geeignetste Akteur ist, zumal diese gerade ein schnelles völkerrechtliches Handeln in zeitlich drängenden Situationen ermöglichen soll. Anders als bei der Verfassungsentscheidung für internationale Zusammenarbeit stellt das Demokratieprinzip hier keine Grenze dar, da es die funktionsgerechte Gewaltenteilung des Grundgesetzes nicht abändern kann.1565 Somit stehen sich bei der Frage, ob die Interessenlage bei der nicht geregelten vorläufigen Anwendung mit derjenigen beim nach Art. 59 II 1 GG zustimmungsbedürftigen Vertragsschluss vergleichbar ist, zwei widerstreitende Vorgaben aus dem Gewaltenteilungsprinzip gegenüber: Einerseits verlangt die Gewaltenteilung, dass das gesetzgeberische Zustimmungsrecht im Vertragsschlussverfahren durch die Ausdehnung auf die vorläufige Anwendung vor seiner Umgehung geschützt wird. Anderseits sprechen Funktionsgerechtigkeitserwägungen dafür, die vorläufige Anwendung der alleinigen Entscheidung der Regierung zu überlassen. Dieser Konflikt zwischen zwei wider1562 Vgl. Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 110. 1563 Vgl. Ondolf Rojahn, Art. 59, in: Münch/Kunig (2012), (Fn. 1187), 2659 – 2660 Rn. 21. 1564 BVerfGE 1, 68 (86 – 87), (Fn. 617); für eine eingehendere Darstellung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Vorrangstellung der Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt siehe Kapitel 5 C.I. 1565 Vgl. hierzu die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 59 II 1 GG, die in Kapitel 5 C.I.2.b) eingehender dargestellt wird.
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streitenden Vorgaben aus verfassungsrechtlichen Prinzipien muss durch Abwägung im Einzelfall aufgelöst werden.1566 Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob ein besonderes staatliches Interesse daran besteht, dass durch die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung ein schnelles Handeln ermöglicht wird. Umgekehrt muss aber auch berücksichtigt werden, ob wegen politischen Kontroversen eine erhöhte Gefahr besteht, dass die Mitwirkung des Gesetzgebers im Vertragsschlussverfahren umgangen werden soll. Das besondere staatliche Interesse an der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung dürfte typischerweise fehlen, wenn die internationale Zusammenarbeit auch auf andere Weise erfolgen kann. Entsprechend dürfte die Abwägung in der Praxis lediglich in extremen Ausnahmefällen, wie z. B. bei der Reaktion auf sich schnell verschärfende internationale Krisen, dazu führen, dass die Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung entfällt. In den allermeisten Fällen sollte es für die zwischenstaatliche Problemlösung jedoch ausreichen, wenn die vorläufige Anwendung erst nach Zustimmung des Gesetzgebers erfolgt. Schließlich können dadurch bereits alle Verzögerungen vermieden werden, die nicht aus dem deutschen Vertragsschlussverfahren resultieren. Dies ist meist ausreichend, da das deutsche Vertragsschlussverfahren grundsätzlich zügig durchlaufen werden kann.1567 So zeigt eine Studie zum deutschen Vertragsschlussverfahren anhand des Vertrages über den Europäischen Stabilitäts-Mechanismus und einiger anderer Beispiele, dass die Ratifikation eines Vertrages manchmal bereits innerhalb von sechs bis acht Monaten erfolgen kann.1568 Als Extremfall nennt die Studie den Zwei-Plus-Vier-Vertrag, wo das deutsche Vertragsschlussverfahren wegen des besonderen politischen Drucks sogar nur einen Monat in Anspruch nahm.1569 Wenngleich das deutsche Vertrags-
1566
Unabhängig davon, ob Alexys Prinzipientheorie auf Kompetenzfragen anwendbar ist, ergibt sich die Möglichkeit zur Abwägung vorliegend aus einer Sonderkonstellation: Ob Art. 59 II 1 GG analog anzuwenden ist, muss für jeden Fall der vorläufigen Anwendung einzeln geprüft werden. Für die Vergleichbarkeit der Interessenlage mit derjenigen beim Vertragsschluss spricht dabei grundsätzlich die Überlegung, dass das parlamentarische Zustimmungsrecht im Vertragsschlussverfahren vor seiner Umgehung geschützt werden muss. Andererseits sind im Bereich der Gewaltenteilung jedoch auch Funktionsgerechtigkeitserwägungen anzustellen, die im Einzelfall den Ausschlag geben können. Zu Alexys Prinzipientheorie siehe Robert Alexy, Theorie der Grundrechte (8. Aufl. 2018), 75 – 77. Zur Anwendbarkeit der Prinzipientheorie auf Rechtsstaats- und Demokratieprinzip siehe Sondervotum der Richterin König, BVerfGE 141, 44 (45), (Fn. 1418). 1567 Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 110. 1568 Für die Ausführungen der Studie zur Verfahrensdauer siehe Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments/Sebastian Graf von Kielmansegg, Ratifikation völkerrechtlicher Verträge: Eine rechtsvergleichende Perspektive, (Fn. 816), 40 – 41. 1569 Vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments/Sebastian Graf von Kielmansegg, Ratifikation völkerrechtlicher Verträge: Eine rechtsvergleichende Perspektive, (Fn. 816), 40 – 41.
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schlussverfahren meist mehr als ein Jahr dauert,1570 zeigen diese Beispiele, dass bei Bedarf auch schnellere Entscheidungen möglich sind. Angesichts dessen, dass zwischen Unterzeichnung und Inkrafttreten eines multilateralen Vertrages durchschnittlich drei bis fünf Jahre vergehen,1571 kann die vorläufige Anwendung also selbst dann zu einem erheblichen Zeitgewinn führen, wenn sie erst nach Abschluss des deutschen Vertragsschlussverfahrens erfolgt. Entsprechend führt auch eine Einzelfallabwägung der widerstreitenden Vorgaben aus dem Gewaltenteilungsprinzip nur in seltenen Ausnahmefällen dazu, dass die Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung entfällt.
II. Entfall des Zustimmungserfordernisses durch hinreichend sichere Beschränkungsklauseln Die Frage, ob die vorläufige Anwendung zustimmungsbedürftiger Verträge ihrerseits der vorherigen Zustimmung des Gesetzgebers bedarf, darf die Praxis Deutschlands nicht außer Acht lassen. Diese besteht darin, dass vor der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung entweder die Zustimmung des Gesetzgebers eingeholt oder eine Beschränkungsklausel in die Vereinbarung aufgenommen wird.1572 Eine solche Beschränkungsklausel sieht vor, dass ein Vertrag nur insoweit vorläufig angewendet wird als dies mit dem innerstaatlichen Recht vereinbar ist.1573 Bislang gehen Literatur und Verfassungspraxis einhellig davon aus, dass Beschränkungsklauseln das Zustimmungserfordernis entfallen lassen.1574 Auf den ersten Blick erscheint diese Auffassung plausibel. Bei gesetzesinhaltlichen Verträgen würde die vorläufige Anwendung keine Änderung des innerstaatlichen Rechts mehr verlangen und dadurch ihren gesetzesinhaltlichen Charakter verlieren.1575 Bei politischen Verträgen wiederum würden diejenigen Bestimmungen ausgenommen werden, die wegen der analogen Anwendung des Art. 59 II 1 Alt. 2 GG nicht ohne die vorherige 1570
Ibid. Zu diesem Ergebnis kam Roucounas bei der Auswertung der 486 multilateralen Verträge, für die der UN-Generalsekretär im Zeitraum bis einschließlich 1996 als Depositar fungierte. Siehe Emmanuel Roucounas, Uncertainties Regarding the Entry Into Force of Some Multilateral Treaties, (Fn. 45), 183 – 185. 1572 § 12 IX RvV, (Fn. 1165); Federal Republic of Germany, Information Regarding the „Provisional Application of Treaties“ in the Commission’s Programme of Work, (Fn. 87), 1. 1573 Für eingehendere Ausführungen zu Beschränkungsklauseln siehe Kapitel 4 A.III. 1574 Vgl. z. B. Federal Republic of Germany, Information Regarding the „Provisional Application of Treaties“ in the Commission’s Programme of Work, (Fn. 87), 1; Stefan Talmon/ Anneliese Quast Mertsch, Germany’s Position and Practice on Provisional Application of Treaties (2021), (Fn. 529), 5; Martin Nettesheim, Art. 59 GG, in: Dürig/Herzog/Scholz, (Fn. 1172), Rn. 146; Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 201; Horst Günter Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 101), 140. 1575 Vgl. Martin Nettesheim, Art. 59 GG, in: Dürig/Herzog/Scholz, (Fn. 1172), Rn. 146. 1571
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Zustimmung des Gesetzgebers vorläufig angewendet werden dürfen. Somit spricht für ein Entfallen der Zustimmungsbedürftigkeit, dass die vorläufige Anwendung durch die Beschränkungsklauseln auf diejenigen Vertragsbestimmungen beschränkt wird, bei denen die Exekutive auch allein über den Vertragsschluss entscheiden könnte.1576 Rechtstechnisch könnte dadurch die vergleichbare Interessenlage und damit die Voraussetzung für die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG entfallen. Allerdings vertrauen diese Überlegungen darauf, dass die Beschränkungsklausel wie gewünscht wirkt. Dieses Vertrauen erweist sich in der Realität nicht immer als berechtigt. Vielmehr erzeugt die Bezugnahme auf das innerstaatliche Recht Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Reichweite der Pflicht zur vorläufigen Anwendung eines Vertrages.1577 Wie das Yukos-Schiedsverfahren gezeigt hat, kann eine Beschränkungsklausel nach dem Alles-oder-nichts-Ansatz auch dahingehend verstanden werden, dass nur der Mechanismus der vorläufigen Anwendung als solcher mit dem Verfassungsrecht vereinbar sein muss.1578 Da das deutsche Recht die vorläufige Anwendung nicht allgemein ausschließt, wäre die Beschränkungsklausel bei dieser Auslegung nicht geeignet, die Funktionen des Art. 59 II GG und die Rechte des Gesetzgebers zu sichern. Vor diesem Hintergrund sprechen die Kontroll- und Vollzugssicherungsfunktion des Art. 59 II 1 GG dagegen, dass Beschränkungsklauseln stets die Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung beseitigen. Denn sie können in der Praxis nicht garantieren, dass keine völkerrechtlichen Pflichten entstehen, die eigentlich der vorherigen Kontrolle durch den Gesetzgeber bedurft hätten oder nur durch Gesetz erfüllt werden können. Insofern entfällt die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG nur, wenn eine Beschränkungsklausel mit hinreichender Sicherheit gewährleistet, dass die vorläufige Anwendung ihren gesetzesinhaltlichen oder politischen Charakter verliert. Ob dies der Fall ist, hängt davon ab, wie viel Auslegungsspielraum die Beschränkungsklausel bietet. Die Richtlinien des Auswärtigen Amtes für die Behandlung völkerrechtlicher Verträge zeigen bereits ein Bewusstsein dafür, dass an Beschränkungsklauseln gewisse inhaltliche Anforderungen gestellt werden müssen.1579 Zwar erlauben sie, dass zustimmungsbedürftige Verträge vor Zustimmung des Gesetzgebers angewendet werden, sofern eine Beschränkungsklausel vereinbart wurde, doch machen sie immerhin noch zusätzliche Vorgaben. So wird anerkannt, dass klassische Beschränkungsklauseln den Umfang der vorläufigen Anwendung nicht genau erkennen lassen und daher „im Einzelfall einer Erläuterung hierzu bedürfen“. Zudem soll angestrebt werden, dass ausdrücklich benannt wird, welche Vertragsbestimmungen von der vorläufigen Anwendung ausgenommen sind. Die Einhaltung dieser Vorgaben 1576
So z. B. Horst Günter Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 101), 140. 1577 Zu den Nachteilen von Beschränkungsklauseln siehe Kapitel 4 A.III.1.e). 1578 Für eine eingehendere Darstellung zum Alles-oder-nichts-Ansatz des Schiedsgerichts in Yukos siehe Kapitel 4 A.III.1.a). 1579 Für die Vorgaben zur vorläufigen Anwendung siehe § 12 IX RvV, (Fn. 1165).
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dürften dazu beitragen, die Funktionen des Art. 59 II 1 GG und die Rechte des Gesetzgebers hinreichend zu sichern. Dennoch ist für jeden Einzelfall zu prüfen, ob die konkrete Beschränkungsklausel die vergleichbare Interessenlage und damit die Zustimmungsbedürftigkeit durch analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG tatsächlich entfallen lässt. Bei selbstausführenden Beschränkungsklauseln müsste man wohl vor dem Hintergrund des Yukos-Verfahrens verlangen, dass eine Auslegung nach dem binären Alles-oder-nichts-Ansatz1580 ausgeschlossen ist. Schließlich bestünde dann die Gefahr, dass andere Staaten oder ein (Schieds-)gericht davon ausgehen, dass die Pflicht zur vorläufigen Anwendung des Vertrages im vollen Umfang besteht. Auf Englisch, der verbreitetsten authentischen Vertragssprache, könnte eine hinreichend sichere Beschränkungsklausel z. B. wie folgt formuliert werden: For any signatory which applies the Treaty provisionally the scope of provisional application does not encompass provisions whose provisional application is inconsistent with the signatory’s constitution, laws or regulations. Provisions which are thereby excluded from provisional application include but are not limited to the provisions indicated in [Annex I / a separate declaration].
Die hier vorgeschlagene Formulierung der Beschränkungsklausel würde klarstellen, dass die Vereinbarkeit einer Vertragsbestimmung mit der vorläufigen Anwendung für jede Vertragsbestimmung einzeln zu prüfen ist. Die deklaratorische Auflistung derjenigen Vertragsbestimmungen, die von der vorläufigen Anwendung ausgenommen sind, würde dies unterstreichen und zudem Rechtsunsicherheiten im Zusammenhang mit dem Umfang der vorläufigen Anwendung reduzieren. Ob die Auflistung in einem Annex zum Vertrag oder einer separaten Erklärung durch die einzelnen Staaten erfolgen soll, könnte davon abhängig gemacht werden, ob die betroffenen Vertragsbestimmungen vor Annahme des Vertragstextes bereits bekannt sind. Da die Auflistung der Vertragsbestimmungen nicht abschließend ist, werden die Rechte des Gesetzgebers besser als bei prozeduralisierten Beschränkungsklauseln geschützt.1581 Soll statt der hier vorgeschlagenen selbstausführenden Beschränkungsklausel eine prozeduralisierte Beschränkungsklausel vereinbart werden, müsste man sicherstellen, dass die auszunehmenden Bestimmungen vollständig benannt werden können. Ob dies der Fall ist, dürfte vom in der Klausel vorgesehenen Verfahren und der Komplexität des Vertrages abhängen. Ist die im Vertrag enthaltene Beschränkungsklausel unzureichend, können die verbleibenden Auslegungsrisiken auch auf andere Weise geschlossen werden. Da die Regelungen zu Vorbehalten mutatis mutandis auf die vorläufige Anwendung anwendbar sind,1582 könnten verbleibende Schwächen einer Beschränkungsklausel z. B. 1580
Für eingehendere Ausführungen zu den verschiedenen Ansätzen für die Auslegung von Beschränkungsklauseln siehe Kapitel 4 A.III.1.a). 1581 Siehe hierzu Kapitel 4 A.III.2. 1582 Völkerrechtskommission, Fifth Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 406), 18 – 19 Rn. 67 – 68; Völker-
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mithilfe eines Vorbehalts behoben werden. Dieser könnte klarstellen, dass durch die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung keine Pflichten entstehen, für die das deutsche Verfassungsrecht beim Abschluss von Verträgen die vorherige Zustimmung der Legislative verlangt.1583 Zusätzlich könnte man im Vorbehalt die jeweils betroffenen Vertragsbestimmungen aufführen oder bei komplexeren Verträgen zumindest die wichtigsten Fallgruppen des Zustimmungserfordernisses benennen, wie dies z. B. in der RiVeVo1584 geschieht. Wenn keine Beschränkungsklausel vorgesehen ist oder Vorbehalte ausgeschlossen sind, kann auch eine einseitige Beschränkungserklärung abgegeben werden. Solche einseitigen Beschränkungserklärungen können selbst beim Ausschluss von Vorbehalten nicht nur statt, sondern auch neben Beschränkungsklauseln abgegeben werden und diese modifizieren.1585 Auch eine einseitige Beschränkungserklärung kann den politischen oder gesetzesinhaltlichen Charakter einer vorläufigen Anwendung und damit die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG entfallen lassen. Somit lässt sich als Endergebnis festhalten, dass die vorläufige Anwendung eines zustimmungsbedürftigen Vertrages analog Art. 59 II 1 GG grundsätzlich der vorherigen Zustimmung der Legislative bedarf. Diese Zustimmungsbedürftigkeit kann ausnahmsweise entfallen, allerdings nur, wenn sich dies in seltenen Fällen aus Funktionsgerechtigkeitserwägungen ergibt oder wenn im Einzelfall eine hinreichend sichere Beschränkungsklausel oder -erklärung existiert.
III. Informations-, Vorlage- und Beendigungspflicht aus dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue Wenn andere Staaten die vorläufige Anwendung abweichend vom Vertragsschlussverfahren ohne vorherige Zustimmung des Gesetzgebers ermöglichen, sichern sie dessen Rechte oftmals durch besondere Pflichten für die Regierung ab.1586 So kann vorgesehen sein, dass die Regierung das Parlament über die Entscheidung zur vorläufigen Anwendung informiert.1587 In einigen Staaten löst die vorläufige rechtskommission, Fourth Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 659), 8 Rn. 36 – 37. 1583 Während solch ein pauschaler Vorbehalt beim Abschluss eines Vertrages nicht unproblematisch wäre, ist er bei der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung zulässig. Abgesehen davon, dass die Regelungen für Vorbehalte hier ohnehin nur mutatis mutandis angewendet werden, sind derartige Klauseln oder Erklärungen bei der vorläufigen Anwendung schließlich nicht unüblich. 1584 Vgl. Richtlinien 1.1.2 und 1.1.3 RiVeVo, (Fn. 1168), zur Erforderlichkeit eines Vertragsgesetzes. 1585 Für eingehendere Ausführungen zu einseitigen Beschränkungserklärungen siehe Kapitel 4 A.III.3. 1586 Für Beispiele und nähere Ausführungen siehe Kapitel 4 A.I.2.d). 1587 Eine Informationspflicht existiert z. B. in Spanien, vgl. Art. 15 I Ley 25/2014, (Fn. 864).
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Anwendung zustimmungsbedürftiger Verträge für die Regierung sogar eine Pflicht aus, dem Parlament den Vertrag zur Zustimmung vorzulegen.1588 Bei Ablehnung des Vertrages durch das Parlament kann wiederum eine Pflicht zur völkerrechtlichen Beendigung der vorläufigen Anwendung vorgesehen sein.1589 In Deutschland gibt es keine speziellen Regelungen zur vorläufigen Anwendung. Allerdings könnten sich Informations-, Vorlage- und Beendigungspflichten im Falle der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung aus dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue ergeben.1590 Diese Überlegung ist nicht ganz neu. So wurde bei verschiedenen Fragen der auswärtigen Gewalt bereits versucht, eine restriktive Auslegung des Art. 59 II 1 GG durch Informationspflichten aus der Verfassungsorgantreue abzumildern.1591 Auch Kloepfer, der für die vorläufige Anwendung ein nachträgliches Zustimmungserfordernis genügen lässt, versuchte die Rechte des Gesetzgebers durch verschiedene Vorgaben abzusichern. Dabei nahm er unter anderem an, dass für die Regierung eine interorganschaftliche Vorlagepflicht besteht und, dass die vorläufige Anwendung abgebrochen werden muss, wenn sich eine Ablehnung durch den Gesetzgeber abzeichnet.1592 Diese Auffassung wurde in der Literatur soweit ersichtlich nicht diskutiert. Daher soll im Folgenden erörtert werden, ob sie zutrifft und auf die beiden Fälle übertragen werden kann, in denen die Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung ausnahmsweise entfällt. Schließlich müssten die Rechte des Gesetzgebers im Vertragsschlussverfahren nicht durch neue Regelungen geschützt werden, wenn sich aus dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue bereits Informations-, Vorlage- und Beendigungspflichten für die Regierung ergeben würden. Der Grundsatz der Verfassungsorgantreue integriert die einzelnen gleichrangigen Verfassungsorgane um der staatlichen Einheit willen, indem er ihr Verhältnis dem Grundsatz loyaler Zusammenarbeit unterstellt und ihnen gegenseitige Rücksichtnahme abverlangt.1593 Der dem Prinzip zu Grunde liegende Gedanke kommt in einigen Verfassungsbestimmungen zum Ausdruck. Hierzu gehören z. B. die Zitier- und Informationsrechte von Bundestag und Bundesrat aus Art. 43 I bzw. 53 S. 1, 3 GG sowie das Recht der Bundesregierung aus Art. 43 II bzw. 53 S. 2 GG, in Bundestag 1588 Eine solche Vorlagerecht sieht z. B. das schweizerische Recht vor, vgl. Art. 7b II RVOG, (Fn. 860). 1589 Eine Pflicht der Regierung zur Beendigung der vorläufigen Anwendung ist z. B. im spanischen Recht vorgesehen, vgl. Art. 15 III Ley 25/2014, (Fn. 864). 1590 So auch Michael Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, (Fn. 1485), 157 – 158. 1591 Siehe z. B. die Ausführungen von Cremer während eines Vortrags und im Rahmen der daran anschließenden Diskussion, Hans-Joachim Cremer, Das Verhältnis von Gesetzgeber und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: eine kritische Bestandsaufnahme, (Fn. 1247), 31, 36 – 38. 1592 Vgl. Michael Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, (Fn. 1485), 157 – 158. 1593 Zum Grundgedanken und der Funktion der Verfassungsorgantreue siehe Wolf-Rüdiger Schenke, Die Verfassungsorgantreue (1977), 26 – 29.
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und Bundesrat gehört zu werden.1594 Rechtlich kann die Verfassungsorgantreue zur Auslegung von Kompetenzen herangezogen werden, als Missbrauchsschranke Kompetenzen begrenzen oder ungeschriebene Verhaltenspflichten aufstellen. Die genaue Abgrenzung der drei Funktionsmodalitäten voneinander ist dabei nicht immer möglich.1595 Vor diesem Hintergrund lässt sich aus der Verfassungsorgantreue tatsächlich eine Informations-, Vorlage- und Beendigungspflicht für die Regierung ableiten. Diese ungeschriebenen Verhaltenspflichten finden ihre Rechtfertigung darin, dass in besonderem Maße auf die Rechte des Gesetzgebers Rücksicht genommen werden muss, wenn zustimmungsbedürftige Verträge ohne seine vorherige Zustimmung vorläufig angewendet werden. Schließlich entfällt die Zustimmungsbedürftigkeit hier nur ausnahmsweise und es kann nie mit absoluter Sicherheit garantiert werden, dass nicht doch ein mit Art. 59 II 1 GG unvereinbarer Zustand eintritt. Daher verlangt der Grundsatz der Verfassungsorgantreue, dass das stets verbleibende Restrisiko durch eine Informations-, Vorlage- und Beendigungspflicht weiter minimiert wird. Komplementär zur Beendigungspflicht besteht im Vorfeld eine Pflicht für die Regierung, sicherzustellen, dass die vorläufige Anwendung einseitig und ohne große Verzögerung beendet werden kann. Zwar besteht eine solche Beendigungsmöglichkeit im Regelfall ohnehin, doch könnte sie im Einzelfall durch Sonderregelungen zu Laufzeit oder Beendigung ausgeschlossen sein.1596 Somit kann das Zustimmungserfordernis bei der vorläufigen Anwendung zustimmungsbedürftiger Verträge zwar in Ausnahmefällen entfallen, doch unterliegt die Regierung dann im Gegenzug für ihre alleinige Entscheidungsbefugnis gewissen Pflichten aus dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue. Dadurch wird die vorläufige Anwendung zu einem Zwischenstadium,1597 welches vom parlamentarischen Gesetzgeber den situationsbedingten Druck zu einer schnellen Entscheidung über den Vertragsschluss nimmt und zugleich seine Rechte in Bezug auf diese später zu treffende Entscheidung wahrt.
1594
Zur Positivierung der Verfassungsorgantreue und deren Grenzen siehe Wolf-Rüdiger Schenke, Die Verfassungsorgantreue, (Fn. 1593), 35 – 37. 1595 Zu den drei Funktionsmodalitäten der Verfassungsorgantreue und ihrer Abgrenzung siehe Wolf-Rüdiger Schenke, Die Verfassungsorgantreue, (Fn. 1593), 41 – 48. 1596 Für eingehendere Ausführungen zu Sonderregelungen zu Laufzeit oder Beendigung siehe Kapitel 2 D.III. 1597 In ähnlicher Weise bezeichnet Geslin die vorläufige Anwendung ganz allgemein als Kompromiss zwischen dem einfachen und dem zusammengesetzten Vertragsschlussverfahren, siehe Albane Geslin, La mise en application provisoire des traités, (Fn. 395), 23.
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E. Ausreichende Regelung der vorläufigen Anwendung durch das bestehende Verfassungsrecht Manche Staaten haben anders als Deutschland spezielle Regelungen für die vorläufige Anwendung erlassen.1598 Abschließend soll daher untersucht werden, ob dies auch für Deutschland empfehlenswert wäre. Dabei wird sich zeigen, dass das bestehende Verfassungsrecht schon jetzt einen angemessenen Umgang mit der vorläufigen Anwendung ermöglicht. Insofern besteht weder hinsichtlich der innerstaatlichen Wirkungen der vorläufigen Anwendung (I.) noch hinsichtlich des Verfahrens zu ihrer Vereinbarung (II.) Bedarf für neue Regelungen.
I. Kein Regelungsbedarf in Bezug auf die innerstaatlichen Wirkungen In manchen Staaten werden die innerstaatlichen Wirkungen der vorläufigen Anwendung ausdrücklich geregelt,1599 doch scheint dies in Deutschland nicht geboten zu sein. Auf den innerstaatlichen Bereich gerichtete Pflichten aus der vorläufigen Anwendung sind unproblematisch, wenn sie mit den Handlungsformen der Exekutive – insbesondere Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften – erfüllt werden können.1600 Bei der vorläufigen Anwendung gesetzesinhaltlicher Verträge würde sich hingegen eine Regelung der innerstaatlichen Wirkungen empfehlen, wenn anderenfalls die völkerrechtliche und innerstaatliche Rechtslage auseinanderfallen könnten. Ein solches Auseinanderfallen und das damit einhergehende Risiko eines Völkerrechtsverstoßes könnte entstehen, wenn man mit Montag oder Kloepfer die vorläufige Anwendung auch ohne vorheriges Vertragsgesetz zulassen würde.1601 Denn selbst wenn die Regierung die vorläufige Anwendung allein vereinbaren darf, ist sie wegen des Vorbehalts des Gesetzes bei der Erfüllung auf den Gesetzgeber angewiesen.1602 Dieser ist anders als bei Verträgen aber nicht zur Erfüllung verpflichtet, da er mangels Vertragsgesetz weder eine Selbstverpflichtung eingegangen ist noch den Pflichten aus der vorläufigen Anwendung zur innerstaatlichen Geltung verholfen hat.1603
1598 1599 1600 1601 1602
220.
Für Beispiele siehe Kapitel 4 A.I.1.a). Für Beispiele siehe Kapitel 4 A.I.2.e). Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 219. Für eine Darstellung der Auffassungen von Montag und Kloepfer siehe Kapitel 6 B.I. Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 218 –
1603 Zur verfassungsrechtlichen Begründung der Erfüllungspflicht bei Verträgen siehe Kapitel 5 F.III.1.
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Das Auseinanderfallen der völkerrechtlichen und der innerstaatlichen Rechtslage könnte auch nicht ohne Weiteres behoben werden. Da eine generelle Ermächtigung zur Erfüllung per Rechtsverordnung nur schwer mit Art. 80 I GG zu vereinbaren wäre, müsste eine solche Ermächtigung wohl für den jeweiligen Einzelfall erteilt werden.1604 Folgt man hingegen der in der vorliegenden Arbeit vertretenen Ansicht, dass Art. 59 II 1 GG analog auf die vorläufige Anwendung zustimmungsbedürftiger Verträge anwendbar ist, ist es nicht erforderlich, die innerstaatlichen Wirkungen der vorläufigen Anwendung speziell zu regeln.1605 Vielmehr entsprechen die Wirkungen der vorläufigen Anwendung den Wirkungen eines in Kraft getretenen Vertrages.1606 Dies bedeutet, dass das Vertragsgesetz den völkerrechtlichen Pflichten aus der vorläufigen Anwendung innerstaatliche Geltung verleiht. Entsprechend muss der Gesetzgeber ein Ausführungsgesetz erlassen, um die innerstaatliche Anwendungsfähigkeit des Vertragsgesetzes herbeizuführen, wenn dies erforderlich ist.
II. Kein dringender Regelungsbedarf in Bezug auf Kompetenzverteilung und Verfahren Hinsichtlich des innerstaatlichen Verfahrens für die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung findet das deutsche Verfassungsrecht eine differenzierte und damit angemessene Lösung. Indem die vorläufige Anwendung bei zustimmungsbedürftigen Verträgen grundsätzlich ebenfalls der Zustimmung der Legislative unterworfen wird, werden die Umgehung der legislativen Beteiligung im Vertragsschlussverfahren sowie die damit einhergehenden Folgeprobleme vermieden. Trotzdem verliert die vorläufige Anwendung für Deutschland nicht ihren Nutzen. Da sie bei Verwaltungsabkommen sowie nach Erlass eines Vertragsgesetzes unbeschränkt möglich ist, kann mit ihr auf alle Verzögerungen reagiert werden, die nicht auf dem deutschen Vertragsschlussverfahren beruhen. Das deutsche Vertragsschlussverfahren wiederum dürfte typischerweise nicht zu großen Verzögerungen führen,1607 da es grund-
1604 Montag schlägt aus diesen Gründen vor, die Regierung im jeweiligen Einzelfall für die Dauer der vorläufigen Anwendung zur Durchführung per Rechtsverordnung zu ermächtigen, Frank Montag, Völkerrechtliche Verträge mit vorläufigen Wirkungen, (Fn. 80), 222 – 223. 1605 Dies gilt auch für die Fälle, in denen die Zustimmungsbedürftigkeit der vorläufigen Anwendung ausnahmsweise entfällt. Soweit die Setzung innerstaatlichen Rechts hier zur Erfüllung der völkerrechtlichen Pflichten überhaupt erforderlich ist – was Beschränkungsklauseln z. B. bereits ausschließen sollen – würde ein Auseinanderfallen der innerstaatlichen und der völkerrechtlichen Rechtslage durch die Vorlage- und Beendigungspflicht jedenfalls zeitlich begrenzt werden. 1606 Zu den Wirkungen des Vertragsschlusses siehe Kapitel 5 F. 1607 So auch Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 110.
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sätzlich schnell durchgeführt werden kann.1608 Folglich dürfte die vorläufige Anwendung den Bedürfnissen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit genügen, obwohl die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung grundsätzlich ausgeschlossen ist. Weitere Flexibilität erhält die Regierung dadurch, dass die Zustimmungsbedürftigkeit ausnahmsweise entfallen kann, wenn im Einzelfall ein besonderes Interesse an der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung besteht.1609 Zudem ermöglicht ihr das Verfassungsrecht die vorläufige Anwendung zustimmungsbedürftiger Verträge, sofern sie diese mittels einer hinreichend sicheren Beschränkungsklausel auf diejenigen Vertragsbestimmungen beschränkt, die ihrer alleinigen Kompetenz unterliegen. Bei diesen Ausnahmen werden die Rechte des Gesetzgebers nach der hier vertretenen Ansicht durch ein Rücksichtnahmegebot aus der Verfassungsorgantreue abgesichert. Dieses Rücksichtnahmegebot verdichtet sich zu ungeschriebenen Verhaltenspflichten in Gestalt einer Informations-, Vorlage- und Beendigungspflicht.1610 Da das Zustimmungsrecht mit der binären Wahl zwischen Zustimmung und Ablehnung nur ein „grobes Werkzeug“ darstellt und sein Einfluss im parlamentarischen Regierungssystem ohnehin begrenzt ist,1611 sollte sein Entfall in den genannten Ausnahmefällen nicht überbewertet werden. Denn wenngleich die Mitwirkung des parlamentarischen Gesetzgebers hier in informellere Bahnen gelenkt wird, dürften die Informations-, Vorlage- und Beendigungspflicht der Regierung sicherstellen, dass er bei Bedarf dennoch effektiven Einfluss auf die Entscheidung über die vorläufige Anwendung nehmen kann. Schließlich soll die vorläufige Anwendung typischerweise ein Übergangsstadium zum Inkrafttreten darstellen und wird daher für die Regierung unattraktiv, wenn sie erkennbar nur von kurzer Dauer wäre, weil eine zu ihrer Beendigung führende Ablehnung des Vertrages durch den parlamentarischen Gesetzgeber absehbar ist. Somit sind für das innerstaatliche Verfahren zur Vereinbarung der vorläufigen Anwendung keine neuen Regelungen zur Kompetenzverteilung notwendig, da das Verfassungsrecht bei der oben vertretenen Auslegung bereits einen differenzierten Ausgleich zwischen den Rechten des Gesetzgebers und der internationalen Handlungsfähigkeit Deutschlands ermöglicht. Folglich erscheint es nicht erforderlich, dass Deutschland dem Beispiel anderer Staaten folgt und die vorläufige Anwendung speziell regelt. Dies gilt umso mehr als
1608 Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments/Sebastian Graf von Kielmansegg, Ratifikation völkerrechtlicher Verträge: Eine rechtsvergleichende Perspektive, (Fn. 816), 40 – 41. 1609 Für eingehendere Ausführungen zu den engen Voraussetzungen siehe Kapitel 6 D.I. 1610 Für eingehendere Ausführungen zur Informations-, Vorlage- und Beendigungspflicht aus dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue siehe Kapitel 6 D.III. 1611 Frank Schorkopf, Grundgesetz und Überstaatlichkeit, (Fn. 1326), 289 – 290.
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die meisten der gängigen Regelungselemente ohnehin bereits von der vorgeschlagenen Verfassungsauslegung nachgebildet werden.1612 Obwohl neue Regelungen nicht unbedingt erforderlich sind, könnten sie sinnvoll sein, um die Rechtslage ausdrücklich festzuhalten und einzelne Punkte, wie z. B. eine Frist für die Vorlagepflicht, zu konkretisieren. Zudem könnten auf diese Weise Regelungselemente eingeführt werden, die sich anders als die Informations-, Vorlage- und Beendigungspflichten nicht im Wege der Verfassungsauslegung nachbilden lassen. So könnte z. B. das Zustimmungserfordernis bei der vorläufigen Anwendung wie in der Schweiz durch ein Einspruchsrecht des Parlaments oder eines Ausschusses ersetzt werden.1613 Ein praktisches Bedürfnis hierfür ist gegenwärtig jedoch nicht ersichtlich.
F. Zusammenfassung Seit Gründung der Bundesrepublik hat Deutschland bei mindestens 85 Verträgen die vorläufige Anwendung oder ein vorläufiges Inkrafttreten vereinbart. Dabei handelt es sich um ca. 1,04 % der von Deutschland abgeschlossenen Verträge. Die vorläufige Anwendung kommt in absoluten Zahlen häufiger bei bilateralen Verträgen, relativ gesehen aber häufiger bei multilateralen Verträgen zum Einsatz. Während von Deutschland vorläufig angewendete Verträge meist innerhalb weniger Jahre in Kraft treten, gibt es auch einige Fälle, in denen die vorläufige Anwendung bereits seit mehr als zehn Jahren andauert. Verfassungsrechtlich problematisch ist auch in Deutschland nur die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung, also die vorläufige Anwendung zustimmungsbedürftiger Verträge vor Abschluss des innerstaatlichen Vertragsschlussverfahrens. In der rechtswissenschaftlichen Literatur wird mit deutlicher Mehrheit davon ausgegangen, dass die vorläufige Anwendung eines zustimmungsbedürftigen Vertrages ihrerseits nach Art. 59 II 1 GG zustimmungsbedürftig ist. Isoliert geblieben sind hingegen die beiden Auffassungen, dass eine Zustimmung nachträglich möglich oder sogar gänzlich entbehrlich ist. Gemeinsam ist allen Ansichten die Grundannahme, dass die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung ihrerseits einen Vertrag darstellt. Diese völkerrechtlich nicht eindeutig geklärte Prämisse wirkt sich auf die Begründungslast aus. Während der Abschluss politischer und gesetzesinhaltlicher Verträge grundsätzlich dem Art. 59 II 1 GG unterfällt, wird eine Ausdehnung dieses Zustimmungsrechts auf andere völkerrechtliche Akte jedenfalls vom Bundesverfassungsgericht bislang abgelehnt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass das Bundes1612 Für eine Darstellung der wiederkehrenden Elemente in innerstaatlichen Regelungen zur Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung siehe Kapitel 4 A.I.2. 1613 Vgl. Art. 152 III bis ParlG, (Fn. 902); Art. 7b I RVOG, (Fn. 860).
Kap. 6: Vorläufige Anwendung in der deutschen Rechtsordnung
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verfassungsgericht auf verfassungsprozessualer Ebene bereits zwischen dem Abschluss eines Vertrages und der Vereinbarung der vorläufigen Anwendung differenziert hat. Eine eingehendere Untersuchung der Zustimmungsbedürftigkeit der verfassungsrechtlichen vorläufigen Anwendung bestätigt, dass die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung nicht als Abschluss eines Vertrages im Sinne des Art. 59 II 1 GG eingestuft werden kann. Hintergrund ist, dass der verfassungsrechtliche Vertragsbegriff auf den völkerrechtlichen Vertragsbegriff verweist. Auf Ebene des Völkerrechts ist die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung jedoch nicht als Abschluss eines Vertrages einzustufen, da insoweit einige Unterschiede bestehen. Auch kann das Völkerrecht die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung schon deshalb nicht als Abschluss eines Vertrages ansehen, weil die vorläufige Anwendung den Staaten gerade die Überbrückung ihres zeitintensiven innerstaatlichen Vertragsschlussverfahrens ermöglichen soll. Wenn schon das Völkerrecht keinen Unterschied zwischen dem Abschluss eines Vertrages und seiner vorläufigen Anwendung machen würde, könnte es dies wohl kaum vom innerstaatlichen Vertragsschlussverfahren erwarten. Wenngleich die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung somit nicht den Abschluss eines Vertrages im Sinne des Art. 59 II 1 GG darstellt, muss dieser Artikel auf die vorläufige Anwendung als funktionales Äquivalent des Vertragsschlusses analog angewendet werden. Das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke ergibt sich dabei neben historischen Erwägungen auch aus systematischen und teleologischen Argumenten. Eine vergleichbare Interessenlage liegt grundsätzlich ebenfalls vor, da die Wirkungen der vorläufigen Anwendung in den für die Wertung des Art. 59 II 1 GG maßgeblichen Punkten denen des Vertragsschlusses entsprechen. Der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit lässt die Vergleichbarkeit der Interessenlage nicht entfallen. Schließlich zielt er nicht allgemein auf die größtmögliche Effektivität des Völkerrechts, sondern dient nur der Harmonisierung der deutschen Rechtslage mit bereits bestehenden völkerrechtlichen Pflichten. Im Zeitpunkt der Entscheidung über die vorläufige Anwendung besteht aber noch keine völkerrechtliche Pflicht, mit der die deutsche Rechtslage harmonisiert werden müsste, da die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung stets freiwillig ist. Vielmehr spricht der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit sogar für die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG auf die vorläufige Anwendung, da nur so einem Auseinanderfallen der völkerrechtlichen und der deutschen Rechtslage entgegengewirkt werden kann. Die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung bedarf also grundsätzlich analog Art. 59 II 1 GG der Zustimmung des Parlaments. Allerdings entfallen Analogie und Zustimmungsbedürftigkeit in zwei Fällen: Der erste Fall sind Situationen, in denen das staatliche Interesse an der vorläufigen Anwendung im Rahmen einer Einzelfallabwägung gegenüber der Umgehungsgefahr für die Rechte des Gesetzgebers überwiegt. Schließlich verlangen Funktionsgerechtigkeitserwägungen und die
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Teil 2: Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot
Verfassungsentscheidung für internationale Zusammenarbeit, dass die für schnelles Handeln besonders geeignete Regierung in besonderen, eilbedürftigen Situationen über eine effektive Möglichkeit zur internationalen Zusammenarbeit verfügt. In den allermeisten Fällen dürfte allerdings die Umgehungsgefahr gegenüber dem staatlichen Interesse an der vorläufigen Anwendung überwiegen. Denn typischerweise kann den Bedürfnissen der internationalen Zusammenarbeit auch Rechnung getragen werden, wenn die vorläufige Anwendung erst nach Zustimmung des Gesetzgebers erfolgt, da diese in der Praxis innerhalb relativ kurzer Zeit eingeholt werden kann. Der zweite Fall, in denen zustimmungsbedürftige Verträge ohne Zustimmung des Gesetzgebers vorläufig angewendet werden können, liegt vor, wenn der Umfang der vorläufigen Anwendung durch eine Beschränkungsklausel oder -erklärung auf den Inhalt eines zustimmungsfreien Verwaltungsabkommens begrenzt wird. Erforderlich ist jedoch, dass Auslegungsrisiken minimiert und die Rechte des Gesetzgebers mit hinreichender Sicherheit geschützt werden. In beiden Ausnahmefällen wird die Zustimmung des Gesetzgebers zur vorläufigen Anwendung zustimmungsbedürftiger Verträge entbehrlich, doch werden im Gegenzug seine Rechte in Bezug auf den Abschluss von Verträgen durch besondere Pflichten für die Regierung gesichert. Da sich eine Beeinträchtigung der Rechte des Gesetzgebers nie völlig ausschließen lässt, entstehen aus dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue Informations-, Vorlage- und Beendigungspflichten für die Regierung. Dadurch wird die vorläufige Anwendung zu einem Zwischenstadium, welches vom parlamentarischen Gesetzgeber den situationsbedingten Druck zu einer schnellen Entscheidung über den Vertragsschluss nimmt und zugleich seine Rechte in Bezug auf diese später zu treffende Entscheidung wahrt. Somit erlaubt das deutsche Verfassungsrecht bei der vorgeschlagenen Auslegung einen differenzierten Umgang mit der vorläufigen Anwendung, welcher nicht nur die Rechte des Gesetzgebers im Vertragsschlussverfahren schützt, sondern auch die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands in eilbedürftigen Situationen erhält. Insofern ist es nicht erforderlich dem Beispiel anderer Staaten zu folgen und spezielle Regelungen für die vorläufige Anwendung zu schaffen, zumal die meisten Regelungselemente bereits durch die vorgeschlagene Verfassungsauslegung nachgebildet werden. Zwar können einzelne Regelungselemente, wie z. B. ein parlamentarisches Einspruchsrecht nicht im Wege der Verfassungsauslegung nachgebildet werden, doch ist für sie gegenwärtig auch kein praktisches Bedürfnis ersichtlich. Spezielle Regelungen wären daher nur sinnvoll, um die Rechtslage ausdrücklich festzuhalten und in einzelnen Punkten zu konkretisieren.
Kap. 7: Frustrationsverbot in der deutschen Rechtsordnung
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Kapitel 7
Frustrationsverbot in der deutschen Rechtsordnung Wie in Kapitel 3 dargestellt wurde, ist das Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung beim Frustrationsverbot nicht identisch mit demjenigen bei der der vorläufigen Anwendung. Daher soll zunächst die verfassungsrechtliche Problemlage beim Frustrationsverbot mit derjenigen bei der vorläufigen Anwendung verglichen werden (A.). Anschließend stellt sich die Frage, ob das Frustrationsverbot über Art. 25 GG mit Übergesetzesrang Eingang in die deutsche Rechtsordnung findet (B.). Was die Beteiligung der Legislative angeht, so ist die Auslösung des Frustrationsverbotes nur dann analog Art. 59 II 1 GG zustimmungsbedürftig, wenn es sich ausnahmsweise mit einer zentralen Vertragspflicht überschneidet (C.). Dennoch lässt sich das Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung im Rahmen des bestehenden Verfassungsrechts lösen (D.).
A. Vergleich der verfassungsrechtlichen Problemstellung mit derjenigen bei der vorläufigen Anwendung In der deutschen Praxis wird eine vor der Ratifikation erforderliche Zustimmung der Legislative in der Regel erst eingeholt, nachdem der Vertrag von der Exekutive unterzeichnet wurde.1614 Völkerrechtlich wird mit der Unterzeichnung nach Art. 18 WVK jedoch bereits das Frustrationsverbot ausgelöst, welches dem Unterzeichnerstaat verbietet, Ziel und Zweck des Vertrages zu vereiteln. Insofern stellt sich bei zustimmungsbedürftigen Verträgen unabhängig vom genauen Umfang dieser Pflicht das verfassungsrechtliche Problem, dass die Exekutive ohne die beim Vertragsschluss vorgeschriebene Zustimmung der Legislative eine gewisse Bindung an den Vertrag auslöst.1615 Für das deutsche Verfassungsrecht wurde dieses Problem zwar von Frau1616 und Ress1617 bereits angesprochen, anders als in der US-amerikanischen Literatur1618 aber noch nicht vertieft erörtert. Der Grund lässt sich leicht nachvollziehen. Wenn man vor allem darauf abstellt, dass die Pflicht aus dem Frustrationsverbot sich im Einzelfall mit zentralen Vertragspflichten decken kann, ist das Pro1614
Für eingehendere Ausführungen zum Ablauf des innerstaatlichen Vertragsschlussverfahrens siehe Kapitel 5 A. 1615 Robert Frau, Der Gesetzgeber zwischen Verfassungsrecht und völkerrechtlichem Vertrag, (Fn. 109), 8; Georg Ress, Verfassung und völkerrechtliches Vertragsrecht, (Fn. 93), 819. 1616 Robert Frau, Der Gesetzgeber zwischen Verfassungsrecht und völkerrechtlichem Vertrag, (Fn. 109), 8 – 10. 1617 Georg Ress, Verfassung und völkerrechtliches Vertragsrecht, (Fn. 93), 818 – 821. 1618 Siehe z. B. David H. Moore, The President’s Unconstitutional Treatymaking, (Fn. 110); Curtis A. Bradley, Unratified Treaties, Domestic Politics, and the U.S. Constitution, (Fn. 110).
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blem bei der umfangreicheren vorläufigen Anwendung parallel gelagert und deutlich drängender.1619 Diese Sichtweise greift allerdings zu kurz. Wie in Kapitel 3 eingehender darstellt wurde kann es zwar auch beim Frustrationsverbot zu einer Überschneidung mit einer Vertragspflicht kommen, doch besteht das praktisch bedeutsamere Problem darin, dass die Gesetzgebungstätigkeit der Legislative durch Unterlassungspflichten beeinträchtigt wird.1620 Dieses Problem ist in der deutschen Rechtsordnung von Interesse, da es durch die vom Grundgesetz vorgegebene Normenhierarchie sogar noch verschärft werden könnte. Auf den ersten Blick – und vorbehaltlich einer näheren Untersuchung im nächsten Abschnitt – könnte das Frustrationsverbot eine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG darstellen. Damit würde es von Art. 25 GG mit Übergesetzesrang in die deutsche Rechtsordnung einbezogen werden, weshalb mit ihm unvereinbare Gesetze nichtig oder jedenfalls unanwendbar wären.1621 Während der Gesetzgeber von völkerrechtlichen Verträgen in gewissen Grenzen abweichen kann, wäre er folglich an die Pflichten aus dem Frustrationsverbot gebunden, wenn man dieses als allgemeine Regel des Völkerrechts einstuft.1622 Somit liegt das verfassungsrechtliche Problem beim Frustrationsverbot nicht lediglich parallel zu demjenigen bei der vorläufigen Anwendung, sondern weist eine zusätzliche Dimension auf. Wie bei der vorläufigen Anwendung besteht es allerding nur solange die Legislative die Exekutive noch nicht zum Vertragsschluss ermächtigt und damit den völkerrechtlichen Bindungen zugestimmt hat.
B. Kein Übergesetzesrang nach Art. 25 S. 1 GG Wie bereits erwähnt, spricht auf den ersten Blick vieles dafür, dass das Frustrationsverbot als allgemeine Regel des Völkerrechts nach Art. 25 GG mit Übergesetzesrang in die deutsche Rechtsordnung einbezogen wird. Solche allgemeine Völkerrechtsregeln sind alle gewohnheitsrechtlichen Normen oder allgemeinen Rechtsgrundsätze, deren Geltung von der überwiegenden Anzahl der Staaten anerkannt wird.1623 Das Verbot, Ziel und Zweck eines Vertrages zu vereiteln, wird grundsätzlich von allen Staaten anerkannt. Insofern ist das völkerrechtliche Frustrationsverbot nicht nur eine Ausprägung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes von 1619
So wohl Ress, der das Frustrationsverbot und die vorläufige Anwendung daher auch zusammen untersucht, siehe Georg Ress, Verfassung und völkerrechtliches Vertragsrecht, (Fn. 93), 818 – 821. 1620 Für eine ausführliche Darstellung und Beispiele aus der Praxis siehe Kapitel 3 B. 1621 Für eingehendere Ausführungen zu Art. 25 GG siehe Kapitel 5 F.III.3. 1622 Für eingehendere Ausführungen zum Umfang der Bindung des Gesetzgebers an völkerrechtliche Pflichten siehe Kapitel 5 F.III. 1623 Vgl. BVerfGE 141, 1 (17 – 18), (Fn. 112); nach anderer Ansicht sind allgemeine Rechtsgrundsätze hingegen nicht umfasst, so z. B. Walter Rudolf, Völkerrecht und deutsches Recht, (Fn. 1334), 255 – 257.
Kap. 7: Frustrationsverbot in der deutschen Rechtsordnung
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Treu und Glauben, sondern spiegelt auch universelles Gewohnheitsrecht wieder.1624 Dass zugleich mit Art. 18 WVK auch eine parallele vertragliche Norm existiert ist unschädlich, da eine allgemeine Völkerrechtsregel selbst nach ihrer Kodifikation innerstaatlich auf ihrer ursprünglichen Ranghöhe fortbestehen bleibt.1625 Das gewohnheitsrechtliche Frustrationsverbot hingegen ist sogar die spätere und damit die völkerrechtlich vorrangige Norm.1626 Somit wird das Frustrationsverbot als allgemeine Völkerrechtsregel grundsätzlich von Art. 25 GG mit Übergesetzesrang in die deutsche Rechtsordnung einbezogen werden. Dieses Ergebnis wird jedoch von Cremer zu Recht abgelehnt. Weil er das Frustrationsverbot als eine Vorwirkung des unratifizierten Vertrages ansieht, möchte er es Art. 59 II GG zuordnen oder seinen innerstaatlichen Rang durch eine teleologische Reduktion des Art. 25 S. 2 GG absenken.1627 Wenngleich Cremer seine Auffassung nicht eingehender begründet, liegen die Argumente auf der Hand. Es wäre in der Tat paradox, wenn das deutsche Recht den Vorwirkungen eines unratifizierten Vertrages innerstaatlich einen höheren Rang zuweisen würde als dem Inhalt eines in Kraft getretenen Vertrages, der nur im Gesetzesrang steht. Zudem könnte – wie der Vorschlag einer teleologischen Reduktion andeutet – der Übergesetzesrang beim Frustrationsverbot sogar dem Zweck des Art. 25 S. 2 GG zuwiderlaufen. Denn das Grundgesetz differenziert nicht ohne Grund zwischen allgemeinen Regeln des Völkerrechts und Verträgen. Während gewohnheitsrechtliche Normen aufgrund ihres langsamen Entstehungsprozesses die über lange Zeit gewachsenen Werte und Erfahrungen der Staatengemeinschaft verkörpern, sind die meisten Verträge rechtsgeschäftliche Austauschbeziehungen und reagieren vor allem auf zeitnahe Bedürfnisse.1628 Die Gründe für die verfassungsrechtlich verankerte Unterscheidung zwischen allgemeinen Völkerrechtsregeln und Verträgen sprechen daher dafür, das vertragsbezogene Frustrationsverbot wie letztere zu behandeln. Dies gilt umso mehr als die Einbeziehung von allgemeinen Regeln des Völkerrechts zu Gefahren für die Autorität des Gesetzgebers und die Rechtssicherheit führen kann,1629 da der ungeschriebene Inhalt der Regeln manchmal nicht eindeutig feststeht und sie auch den Gesetzgeber binden.1630 Diese Gefahren hat der Verfassungsgeber nur akzeptiert, weil er mit weltweit geltenden Rechtsstandards einen zivilisatorischen Mindest1624
Für eingehendere Ausführungen zur Rechtsnatur des Frustrationsverbotes siehe Kapitel 1 A. 1625 Vgl. Christian Tomuschat, Art. 25 GG, in: Bonner Kommentar, (Fn. 1426), 52 Rn. 76 – 77. 1626 Zum Verhältnis, in dem die drei Rechtsquellen des Frustrationsverbotes zueinander stehen, siehe Kapitel 1 A.V. 1627 Hans-Joachim Cremer, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, (Fn. 1380), 384 Rn. 23. 1628 Stefanie Schmahl, Das Verhältnis der deutschen Rechtsordnung zu Regeln des Völkerrechts, 53 Juristische Schulung (2013) 961, 966; Christian Tomuschat, Art. 25 GG, in: Bonner Kommentar, (Fn. 1426), 31 Rn. 35. 1629 BVerfGE 23, 288 (317), (Fn. 1380). 1630 Für eingehendere Ausführungen zur Bindung des Gesetzgebers siehe Kapitel 5 F.III.3.
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Teil 2: Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot
standard in die deutsche Rechtsordnung einbeziehen wollte.1631 Das Frustrationsverbot hingegen kann in Bezug auf jeden bi- oder multilateralen Vertrag bestehen und geht damit in seinen Wirkungen weit über einen zivilisatorischen Mindeststandard hinaus. Eine Angleichung des Frustrationsverbotes an die innerstaatlichen Wirkungen von Verträgen könnte erreicht werden, indem man eine Parallele zum Umgang mit dem Grundsatz pacta sunt servanda zieht. Dieser Grundsatz stellt zwar selbst eine allgemeine Regel des Völkerrechts dar, kann aber nicht die jeweiligen Verträge in allgemeine Völkerrechtsregeln im Sinne des Art. 25 GG verwandeln.1632 Anderenfalls würde die verfassungsrechtliche Unterscheidung zwischen Verträgen (Art. 59 II GG) und allgemeinen Völkerrechtsregeln (Art. 25 GG) unterlaufen, die auch hinsichtlich des innerstaatlichen Ranges der jeweiligen Normen von Bedeutung ist.1633 Aus diesem Grund wird auch die gewohnheitsrechtliche Wiedergutmachungspflicht im Recht der Staatenverantwortlichkeit nicht über Art. 25 S. 1 GG in die deutsche Rechtsordnung einbezogen, da der Sekundärpflicht sonst paradoxerweise innerstaatlich ein höherer Rang als der Primärpflicht zukäme.1634 Überträgt man diese Erwägungen auf das Frustrationsverbot, können auch hier die Pflichten, die sich aus der Anwendung der allgemeinen Völkerrechtsregel auf einen konkreten Vertrag ergeben, nicht über Art. 25 S. 1 GG Eingang in die deutsche Rechtsordnung finden. Denn nur so kann das paradoxe Ergebnis vermieden werden, dass die vorvertraglichen Pflichten einen höheren Rang als die vertraglichen Pflichten einnehmen. Zwar können nach dieser Lösung weder das gewohnheitsrechtliche Frustrationsverbot noch das Frustrationsverbot aus Treu und Glauben innerstaatliche Wirkungen erzeugen.1635 Dennoch ist kein Auseinanderfallen von völkerrechtlicher und innerstaatlicher Rechtslage zu befürchten. Denn das vertragliche Frustrationsverbot aus Art. 18 WVK wurde nach Art. 59 II 1 GG über das Vertragsgesetz zur Wiener Vertragsrechtskonvention1636 mit Gesetzesrang in die deutsche Rechtsordnung einbezogen. Dadurch kommt es zu einem normhierarchischen Gleichlauf der innerstaatlichen Wirkungen vor und nach Inkrafttreten eines Vertrages. Darüber hinaus
1631
Frank Schorkopf, Staatsrecht der internationalen Beziehungen, (Fn. 824), 151 Rn. 11. M. w. N. BVerfGE 141, 1 (20), (Fn. 112); Hans-Joachim Cremer, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, (Fn. 1380), 383 Rn. 22. 1633 Hans-Joachim Cremer, Allgemeine Regeln des Völkerrechts, (Fn. 1380), 383 Rn. 22. 1634 Matthias Herdegen, Art. 25 GG, in: Dürig, Günter/Herzog, Roman/Scholz, Rupert, Grundgesetz Kommentar (2021), 95. EL, Rn. 13. 1635 Für eingehendere Ausführungen zu den verschiedenen Rechtsquellen des Frustrationsverbotes Kapitel 1 A. 1636 Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (26. 10. 1987) BGBl. 1987 II 757; Gesetz zu dem Wiener Übereinkommen vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge (03. 08. 1985) BGBl. 1985 II 926. 1632
Kap. 7: Frustrationsverbot in der deutschen Rechtsordnung
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kann dem Frustrationsverbot auch im Rahmen der völkerrechtsfreundlichen Auslegung von entgegenstehenden Gesetzen Rechnung getragen werden.1637 Somit haben die Pflichten, die sich aus dem Frustrationsverbot in Bezug auf einen konkreten Vertrag ergeben, entgegen dem ersten Anschein im Ergebnis keinen Übergesetzesrang nach Art. 25 S. 2 GG.
C. Ausnahmsweise Zustimmungsbedürftigkeit des Frustrationsverbotes Die deutsche Vertragspraxis, zustimmungsbedürftige Verträge regelmäßig schon vor Zustimmung der Legislative zu unterzeichnen,1638 ist auf den ersten Blick problemlos mit Art. 59 II 1 GG vereinbar. Schließlich verlangt dieser die vorherige Zustimmung der Legislative grundsätzlich bei keinem anderen völkerrechtlichen Akt als dem Abschluss bestimmter Verträge.1639 Der Vertragsschluss setzt einen Bindungswillen des jeweiligen Staates voraus, welcher im zusammengesetzten Verfahren erst mit der Ratifikation ausgedrückt wird.1640 Somit erscheint es grundsätzlich folgerichtig Art. 59 II 1 GG dahingehend auszulegen, dass die Zustimmung des Gesetzgebers grundsätzlich nur vor der Ratifikation, nicht aber vor der Unterzeichnung eingeholt werden muss. Dieses Ergebnis dürfte auch im Verfassungsrecht anderer Staaten ähnlich ausfallen. Schließlich entstand das zusammengesetzte Verfahren im Völkerrecht überhaupt erst, weil viele Staaten zwischen Unterzeichnung und Ratifikation ihr innerstaatliches Vertragsschlussverfahren durchführen.1641 Angesichts des oben dargestellten Spannungsverhältnisses zwischen dem Frustrationsverbot und dem deutschen Verfassungsrecht, erscheint es allerdings denkbar, dass Art. 59 II 1 GG auch hier analog angewendet werden muss, um die Rechte des Gesetzgebers im Vertragsschlussverfahren zu schützen. Die hierfür erforderliche Regelungslücke liegt vor, da das Verfassungsrecht weder die Unterzeichnung zustimmungsbedürftiger Verträge noch die Auslösung des Frustrationsverbotes regelt. Planwidrig wäre diese Regelungslücke allerdings nur, wenn das Fehlen eines Zustimmungserfordernisses das verfassungsrechtlich vorgesehene Zustimmungsrecht der Legislative im Vertragsschlussverfahren gefährden würde.1642 Bereits im Jahr 1637 Der Verweis auf die völkerrechtsfreundliche Auslegung von Gesetzen entspricht der Lösung, die Herdegen für den Fall der Wiedergutmachungspflicht als sachgerecht ansieht. Siehe Matthias Herdegen, Art. 25 GG, in: Dürig/Herzog/Scholz, (Fn. 1634), Rn. 13. 1638 Vgl. § 27 I lit. c), II RvV, (Fn. 1165). 1639 Für eine eingehendere Begründung dieses Ergebnisses siehe Kapitel 5 E.I. 1640 Vgl. Art. 14 WVK; für nähere Ausführungen zum zusammengesetzten Vertragsschlussverfahren siehe Einleitung A.I. 1641 Zur Geschichte des zusammengesetzten Vertragsschlussverfahrens siehe Einleitung A.I.1. 1642 Vgl. Christian Calliess, Auswärtige Gewalt, (Fn. 650), 616 – 617 Rn. 48.
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Teil 2: Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot
1952 hat sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Unterzeichnung eines Vertrages die Rechte des Gesetzgebers beeinträchtigt.1643 Damals lehnte es den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Unterzeichnung des Generalvertrags zur Ablösung des Besatzungsrechts und der Zusatzverträge ab, da die Unterzeichnung der fraglichen Verträge „weder staatsrechtliche noch völkerrechtliche Wirkungen“ erzeuge.1644 Allerdings sollte diese Aussage nicht überbewertet werden, da sie sich wohl vor allem auf den konkreten Fall bezog.1645 Auch war die völkerrechtliche Rechtslage 1952 noch eine andere als heute, da es jedenfalls Art. 18 WVK und das auf ihm basierende gewohnheitsrechtliche Frustrationsverbot noch nicht gab.1646 Zudem hat das Bundesverfassungsgericht inzwischen die Geltung des Frustrationsverbotes ausdrücklich anerkannt. So hielt es 2003 eine Auslieferung nach Indien für möglich, da wegen des Frustrationsverbotes für Indien bereits seit Unterzeichnung des deutsch-indischen Auslieferungsabkommens ein Verbot bestehe, den Beschwerdeführer menschenunwürdig zu behandeln.1647 Wenngleich das Frustrationsverbot in diesem Fall auf Indien bezogen wurde, dürfte das Bundesverfassungsgericht heute wohl nicht mehr davon ausgehen, dass die Unterzeichnung für Deutschland keinerlei völkerrechtliche oder staatsrechtliche Wirkungen hat. Dass das Bundesverfassungsgericht der Unterzeichnung auch im CETA-Verfahren Wirkungen für die Antragsteller absprach,1648 dürfte vor allem daran gelegen haben, dass diese nicht mit dem Frustrationsverbot argumentiert hatten. Die Wirkungen des Frustrationsverbotes gefährden im Regelfall jedoch nicht die Rechte des Gesetzgebers im Vertragsschlussverfahren. Denn anders als die vorläufige Anwendung stellt das Frustrationsverbot kein funktionales Äquivalent zum Vertragsschluss dar. Da das Frustrationsverbot keine Vertragserfüllung verlangt, sondern nur die Vereitelung des Vertragszwecks verbietet, kommt den Bestimmungen des abzuschließenden Vertrages nur eine beschränkte und indirekte Rolle im Rahmen der Ermittlung des Vertragszwecks zu.1649 Angesichts dessen, dass die Pflichten aus dem Frustrationsverbot sich somit im Regelfall in Inhalt und Umfang von den Pflichten nach Inkrafttreten des Vertrages unterschieden, wird das Recht der Legislative, später frei über den Abschluss des Vertrages zu entscheiden, grundsätzlich nicht gefährdet.1650 1643
Vgl. BVerfGE 1, 281 (281 – 283) – Generalvertrag zur Ablösung des Besatzungsrechts und der Zusatzverträge (1952). 1644 Bundesverfassungsgericht, Generalvertrag zur Ablösung des Besatzungsrechts und der Zusatzverträge, (Fn. 1643), 283. 1645 Georg Ress, Verfassung und völkerrechtliches Vertragsrecht, (Fn. 93), 821. 1646 Zur Entstehungsgeschichte des Frustrationsverbotes siehe Kapitel 1 A.II. 1647 BVerfGE 108, 129 (140 – 141) – Auslieferung nach Indien (2003). 1648 BVerfGE 143, 65 (89), (Fn. 108). 1649 Anneliese Quast Mertsch, Provisional Application of Treaties and the Internal Logic of the 1969 Vienna Convention, (Fn. 229), 313. 1650 So auch Georg Ress, Verfassung und völkerrechtliches Vertragsrecht, (Fn. 93), 821.
Kap. 7: Frustrationsverbot in der deutschen Rechtsordnung
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Eine Gefährdung der verfassungsrechtlich vorgesehenen Beteiligung des Gesetzgebers im Vertragsschlussverfahren könnte allerdings vorliegen, wenn sich die Pflichten aus dem Frustrationsverbot im Ausnahmefall mit zentralen Vertragspflichten überschneiden.1651 Hier wird das Zustimmungsrecht der Legislative im Vertragsschlussverfahren gefährdet, da ähnlich wie bei der vorläufigen Anwendung ein Vertragsschluss überflüssig werden oder die Zustimmung des Gesetzgebers präjudiziert werden kann. So ergab sich z. B. beim SALT II Vertrag, der von Russland und den USA letztendlich nie ratifiziert wurde, die zentrale Unterlassungspflicht bereits aus dem Frustrationsverbot.1652 Somit besteht aus ähnlichen Gründen wie bei der vorläufigen Anwendung1653 eine Gefährdung der Beteiligungsrechte des Gesetzgebers im Vertragsschlussverfahren und damit eine planwidrige Regelungslücke, wenn das Frustrationsverbot sich ausnahmsweise mit einer zentralen Pflicht aus dem Vertrag deckt. Schwieriger ist die Frage, ob eine vergleichbare Interessenlage und damit die zweite Voraussetzung für die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG vorliegt. Für eine vergleichbare Interessenlage spricht, dass rechtsverbindliche Pflichten erzeugt werden, die sich mit einem Teil des Vertragsinhalts überschneiden. Andererseits unterscheiden sich die Pflichten aus dem Frustrationsverbot in ihrem Umfang von denen aus dem Vertrag und können leichter wieder beendet werden. In dieser Hinsicht bestehen Ähnlichkeiten zur vorläufigen Anwendung, doch sind die Unterschiede zwischen Vertrag und Frustrationsverbot sogar noch stärker ausgeprägt als diejenigen zwischen Vertrag und vorläufiger Anwendung. So können die Pflichten aus dem Frustrationsverbot nie genau denselben Umfang annehmen wie diejenigen aus dem Vertrag selbst, da das Frustrationsverbot sich anerkanntermaßen stets merklich von der Vertragserfüllung unterscheiden muss.1654 Die Beendigung des Frustrationsverbotes wiederum kann durch die Rücknahme der Unterschrift erfolgen und ist deutlich einfacher als die Beendigung eines Vertrages.1655 Wie schon bei der vorläufigen Anwendung sprechen die Unterschiede bei Umfang und Beendigung allerdings nicht gegen die Vergleichbarkeit der Interessenlage.1656 Schließlich wird auch das Zustimmungserfordernis bei Verträgen bereits 1651 Ress geht ebenfalls davon aus, dass die Pflichten aus dem Frustrationsverbot grundsätzlich mit Art. 59 II GG vereinbar sind. Auch er nimmt bei dieser Aussage jedoch den „Extremfall“ aus, in dem die Pflichten aus dem Frustrationsverbot zu einem ähnlichen Ergebnis wie die Ratifikation führen. Siehe Georg Ress, Verfassung und völkerrechtliches Vertragsrecht, (Fn. 93), 819, 821. 1652 Zu diesem Ergebnis kam der Rechtsberater Roberts Owen in seinem am 21. 02. 1980 datierten Memorandum. Dieses ist abgedruckt in: Robert F. Turner, Legal Implications of Deferring Ratification of SALT II, (Fn. 178), 769. 1653 Zu den Gründen für die Planwidrigkeit der Regelungslücke bei der vorläufigen Anwendung siehe Kapitel 6 C.II.1. 1654 Hierzu ausführlicher Kapitel 1 B.I.3. 1655 Für eingehendere Ausführungen zum unsigning siehe Kapitel 1 D.I.1. 1656 Für die entsprechenden Ausführungen zur vorläufigen Anwendung siehe Kapitel 6 C.II.2.
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Teil 2: Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot
durch eine einzige zustimmungsbedürftige Vertragsbestimmung ausgelöst.1657 Das unsigning wiederum beseitigt die Pflichten aus dem Frustrationsverbot nur für die Zukunft und führt daher hinsichtlich der Vollzugssicherungs- und Kontrollfunktion des Art. 59 II 1 GG zu keiner anderen Interessenlage. Folglich ist in Fällen, in denen sich die Pflichten aus dem Frustrationsverbot mit zentralen Vertragspflichten aus zustimmungsbedürftigen Verträgen überschneiden, die Interessenlage mit derjenigen beim Abschluss politischer oder gesetzesinhaltliche Verträge vergleichbar. Voraussetzung ist lediglich, dass die Pflicht aus dem Frustrationsverbot isoliert betrachtet auch beim Abschluss eines Vertrages das Zustimmungserfordernis auslösen würden. Somit ist Art. 59 II 1 GG analog auf die Unterzeichnung anwendbar, sofern das dadurch ausgelöste Frustrationsverbot sich ausnahmsweise mit einer zentralen Pflicht aus dem zustimmungsbedürftigen Vertrag überschneidet.
D. Ausreichen der bestehenden verfassungsrechtlichen Regelungen Das Spannungsverhältnis zwischen dem Frustrationsverbot und der innerstaatlichen Gewaltenteilung macht keine neuen Regelungen erforderlich, sondern lässt sich mit dem bestehenden Verfassungsrecht lösen. In der deutschen Vertragspraxis erfolgt die Unterzeichnung zustimmungsbedürftiger Verträge mit einer Ausnahme bereits vor Zustimmung des Gesetzgebers. Nur wenn ein zustimmungsbedürftiger Vertrag keine Ratifikation vorsieht, verlangen die Richtlinien des Auswärtigen Amtes, dass das Vertragsgesetz abgewartet wird oder die Unterzeichnung nur unter dem Vorbehalt der späteren Ratifikation erfolgt.1658 Wie die Untersuchung des Verfassungsrechts gezeigt hat, kann die Unterzeichnung im Regelfall weiterhin erfolgen, bevor der Gesetzgeber dem Abschluss des Vertrages zugestimmt hat. Damit kann Deutschland die Unterzeichnung eines Vertrages und die damit einhergehende politische Signalwirkung bereits vor Durchlaufen des innerstaatlichen Zustimmungsverfahrens nutzen.1659 Etwas anderes gilt lediglich, wenn sich das Frustrationsverbot ausnahmsweise mit zentralen Vertragsbestimmungen überschneidet. Dann darf eine Unterzeichnung erst erfolgen, wenn das Vertragsgesetz in Kraft getreten ist. Um das Problembewusstsein zu er1657 Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments/Sebastian Graf von Kielmansegg, Ratifikation völkerrechtlicher Verträge: Eine rechtsvergleichende Perspektive, (Fn. 816), 20. 1658 Siehe hierzu § 27 I lit. c) RvV, (Fn. 1165). 1659 Für eingehendere Ausführungen zur rechtlichen und politischen Bedeutung der Unterzeichnung siehe Einleitung A.I.2.
Kap. 7: Frustrationsverbot in der deutschen Rechtsordnung
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höhen, sollte auch diese Fallgruppe in die Richtlinien des Auswärtigen Amtes für die Behandlung völkerrechtlicher Verträge aufgenommen werden. Ansonsten ist kein Bedürfnis für neue Regelungen ersichtlich. Vielmehr kann das Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung bereits dadurch reduziert werden, dass das Frustrationsverbot eng ausgelegt wird.1660
E. Zusammenfassung Das verfassungsrechtliche Problem beim Frustrationsverbot liegt nicht vollständig parallel zu demjenigen bei der vorläufigen Anwendung, sondern weist gewisse Besonderheiten auf. Zwar kann es auch beim Frustrationsverbot zu einer Überschneidung mit einer Vertragspflicht kommen, doch besteht das praktisch bedeutsamere Problem darin, dass die Gesetzgebungstätigkeit der Legislative durch Unterlassungspflichten beeinträchtigt wird. Wie bei der vorläufigen Anwendung beschränkt sich das verfassungsrechtliche Spannungsverhältnis allerdings auf zustimmungsbedürftige Verträge, zu deren Abschluss das Parlament seine Zustimmung noch nicht erteilt hat. Eine besondere Bedeutung gewinnen die Unterlassungspflichten aus dem Frustrationsverbot dadurch, dass die Beeinträchtigung der Legislative durch die Normenhierarchie des Grundgesetzes sogar verschärft werden würde, wenn man das Frustrationsverbot als allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG ansieht. Schließlich würde es dann mit Übergesetzesrang in die deutsche Rechtsordnung einbezogen. Es würde den Gesetzgeber dann sogar stärker binden als ein in Kraft getretener Vertrag, der lediglich den Rang des Vertragsgesetzes teilt und durch spätere Gesetze grundsätzlich überschrieben werden kann. Dieses paradoxe Ergebnis, dass die vorvertraglichen Pflichten einen höheren Rang einnehmen als die Vertragspflichten nach Inkrafttreten des Vertrages, lässt sich durch eine differenzierende Auslegung vermeiden. Zwar stellt das Frustrationsverbot grundsätzlich eine allgemeine Regel des Völkerrechts dar, doch verleiht Art. 25 S. 2 GG den Pflichten, die sich in Bezug auf konkrete Verträge ergeben, keinen Übergesetzesrang. Eine andere Auslegung würde weit über den auf einen völkerrechtlichen Mindeststandard gerichteten Zweck des Art. 25 GG hinausgehen. Insofern muss wie beim Grundsatz pacta sunt servanda im Rahmen des Art. 25 GG zwischen der völkerrechtlichen Norm und ihrer Wirkung in Bezug auf konkrete Verträge unterschieden werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Anwendung des Frustrationsverbotes auf konkrete Verträge innerstaatlich keine Wirkungen erzeugt. Vielmehr stehen die entsprechenden Pflichten innerstaatlich im Rang eines Gesetzes, 1660 Für eingehendere Ausführungen zur engen Auslegung des Frustrationsverbotes als Lösungsansatz für das Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung siehe Kapitel 4 B.II.
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Teil 2: Vorgaben des deutschen Rechts für Frustrationsverbot
da das vertragliche Frustrationsverbot aus Art. 18 WVK durch das Vertragsgesetz zur Wiener Vertragsrechtskonvention in die deutsche Rechtsordnung einbezogen wurde. Was die Auslösung des völkerrechtlichen Frustrationsverbotes angeht, so bedarf diese nicht der Zustimmung des Gesetzgebers, da die Unterzeichnung eines Vertrages nicht unter Art. 59 II 1 GG fällt. Anders als bei der vorläufigen Anwendung scheidet eine analoge Anwendung von Art. 59 II 1 GG grundsätzlich aus, da die Pflichten aus dem Frustrationsverbot sich inhaltlich von denen aus dem Vertrag unterscheiden und die Interessenlage nicht mit derjenigen beim Vertragsschluss vergleichbar ist. Etwas anderes gilt lediglich, wenn das Frustrationsverbot sich ausnahmsweise mit einer Pflicht aus dem zustimmungsbedürftigen Vertrag überschneidet. Wie schon bei der vorläufigen Anwendung spricht hier insbesondere die Umgehungsgefahr in Bezug auf die Rechte des Gesetzgebers für das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke. In diesem Ausnahmefall ist dann auch die Interessenlage vergleichbar. Dass die Überschneidung beim Frustrationsverbot allenfalls einzelne Vertragspflichten betreffen kann, ist unbeachtlich, da auch beim Abschluss von Verträgen bereits eine einzige politische oder gesetzesinhaltliche Vertragsbestimmung zur Zustimmungsbedürftigkeit führt. Im Ergebnis erweist sich somit auch der Umgang des deutschen Verfassungsrechts mit dem Frustrationsverbot als differenziert. Die vor allem politisch wichtige Unterzeichnung kann nach dem Aushandeln eines Vertrages grundsätzlich zeitnah vorgenommen werden. Nur in dem seltenen Ausnahmefall, dass sie sich inhaltlich mit einer die Zustimmungsbedürftigkeit des Vertragsschlusses auslösenden Pflicht aus dem Vertrag überschneidet, muss die Zustimmung des Gesetzgebers zum Vertragsschluss abgewartet werden.
Teil 3
Verträge der Europäischen Union als Sonderfall Kapitel 8
Vorläufige Anwendung und Frustrationsverbot bei Verträgen der Europäischen Union Heute entstehen völkerrechtliche Bindungen für Deutschland nicht mehr nur aus den von Deutschland selbst abgeschlossenen Verträgen. Denn wenn die Europäische Union mit Drittstaaten völkerrechtliche Verträge schließt, binden diese gemäß Art. 216 II AEUV neben den Unionsorganen auch die Mitgliedstaaten. Dabei gilt für Verträge der Union das einschlägige Völkergewohnheitsrecht, welches im Wesentlichen den Regelungen entspricht, die nach der Wiener Vertragsrechtskonvention für Verträge zwischen Staaten gelten.1661 Denn diese Regelungen werden für internationale Organisationen im Wiener Übereinkommen von 1986 über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen Organisationen („WVK IO“)1662 nachgebildet. Dieses Übereinkommen ist zwar noch nicht in Kraft getreten, spiegelt aber überwiegend das geltende Gewohnheitsrecht wider.1663 Vor diesem Hintergrund können das Frustrationsverbot (Art. 18 WVK IO) und die vorläufige Anwendung (Art. 25 WVK IO) auch Verträge der Union betreffen. Dies soll im Folgenden näher untersucht werden. Hierfür werden zunächst Unionsrecht und Praxis zur vorläufigen Anwendung von Verträgen dargestellt (A.). Anschließend wird untersucht, wie das deutsche Verfassungsrecht mit der vorläufigen Anwendung von Verträgen der Union umgeht (B.). Im darauffolgenden Abschnitt wird dann die unions- und verfassungsrechtliche Rechtslage in Bezug auf das völkerrechtliche Frustrationsverbot dargestellt (C.). Dabei wird sich zeigen, dass die Rechte des deutschen Gesetzgebers auch ausreichend geschützt sind, wenn das Frustrations1661 Jörg Philipp Terhechte, Art. 218 AEUV, in: Becker, Ulrich/Hatje, Armin/Schoo, Johann/Schwarze, Jürgen, EU-Kommentar (4. Aufl. 2019), Rn. 1. 1662 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen (21. 03. 1986), BGBl. 1990 II 1415 (nachfolgend: „WVK IO“). 1663 Malgosia Fitzmaurice, Treaties (2021), Rn. 21, online: https://opil.ouplaw.com/view/1 0.1093/law:epil/9780199231690/law-9780199231690-e1481?rskey=JD1LLh&result=12 &prd=OPIL (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022).
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Teil 3: Verträge der Europäischen Union als Sonderfall
verbot oder die vorläufige Anwendung Verträge der Union betreffen. Schwächen bestehen nur bei der verfassungsgerichtlichen Durchsetzung dieser Rechte, doch könnten auch diese ohne neue Regelungen behoben werden (D.).
A. Unionsrecht und -praxis bei Verträgen der Union Zunächst soll ein kurzer Überblick über die Praxis der Union und ihrer Mitgliedstaaten bei der vorläufigen Anwendung von Verträgen gegeben werden (I.). Ähnlich wie im deutschen Recht stellt sich anschließend die Frage, in welchem Umfang das Europäische Parlament an der Entscheidung über die vorläufige Anwendung beteiligt werden muss (II.). Darüber hinaus ist bei Verträgen der Union allerdings auch die Kompetenzverteilung zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten von großer Bedeutung. Dies gilt insbesondere, wenn Union und Mitgliedstaaten Verträge mit Drittstaaten gemeinsam abschließen (sog. gemischte Abkommen). Daher wird abschließend dargestellt, wie bei der vorläufigen Anwendung von gemischten Abkommen die mitgliedstaatlichen Kompetenzen geschützt werden (III.).
I. Vorläufige Anwendung in der Praxis der Union und ihrer Mitgliedstaaten Völkerrechtlich ergibt sich die Fähigkeit der Union zum Abschluss von Verträgen daraus, dass sie nach Art. 47 EUV über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügt und ihre Vertragspartner sie als Völkerrechtssubjekt anerkennen.1664 Allerdings ist die Völkerrechtsfähigkeit der Union funktional durch ihre Aufgaben und Kompetenzen begrenzt, da internationale Organisationen anders als Staaten keine originären, sondern lediglich abgeleitete Völkerrechtssubjekte sind.1665 Folglich schließt die Union nur in denjenigen Bereichen völkerrechtliche Übereinkommen, in denen sie auch über Aufgaben und Kompetenzen verfügt. Die Verbandskompetenz der Union für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge unterliegt dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung aus Art. 5 I 1, II EUV und besteht daher nur soweit sie sich aus dem europäischen Primärrecht ergibt.1666 1664 Rudolf Mögele, Art. 216 AEUV, in: Streinz, Rudolf, EUV/AEUV (3. Aufl. 2018), Rn. 3 – 4. 1665 Silja Vöneky/Britta Beylage-Haarmann, Art. 216 AEUV, in: Grabitz, Eberhard/Hilf, Meinhard/Nettesheim, Martin, Das Recht der Europäischen Union (2021), 74. EL, Rn. 5; Rudolf Geiger, Art. 47 TEU, in: Geiger, Rudolf/Khan, Daniel-Erasmus/Kotzur, Marcus, European Union Treaties (2015), 171 Rn. 5 – 6. 1666 Marise Cremona, Who Can Make Treaties? The European Union, in: Hollis, Duncan B., The Oxford Guide to Treaties (2020), 120; Rudolf Mögele, Art. 216 AEUV, in: Streinz, (Fn. 1664), Rn. 13.
Kap. 8: Vorläufige Anwendung und Frustrationsverbot bei Verträgen der EU
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Nach der in Art. 216 I AEUV kodifizierten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union können solche Vertragsschlusskompetenzen allerdings auch anhand gewisser Kriterien implizit aus den europäischen Verträgen abgeleitet werden.1667 Gegenwärtig ist die Union Vertragspartei von mehr als 1.000 völkerrechtlichen Verträgen, die von ihr oder der Europäischen Gemeinschaft als ihrer Vorgängerin1668 abgeschlossen wurden.1669 Seit 2009 wird im Durchschnitt eines von drei Abkommen der Union vorläufig angewendet und auch davor gab es bereits mindestens 280 Fälle der vorläufigen Anwendung.1670 Damit kommt die vorläufige Anwendung in der Vertragspraxis der Union um ein Vielfaches häufiger zum Einsatz als im internationalen Durchschnitt. Denn von allen bei den Vereinten Nationen registrierten Verträgen wurden laut einer Studie nicht einmal 1.000 und damit weniger als 3 % vorläufig angewendet.1671 Als Erklärung für die herausragende Rolle der vorläufigen Anwendung in der Vertragspraxis der Union kommen vor allem zwei Gründe in Betracht: Der erste ist, dass die Union von vornherein vor allem in Bereichen aktiv ist, in denen häufiger auf die vorläufige Anwendung zurückgegriffen wird. Als internationale Organisation hat die Union anders als Staaten keine umfassende Kompetenz zum Abschluss von Verträgen.1672 Von ihrer Vertragsschlusskompetenz umfasst sind nach Art. 207 III AEUV jedoch Übereinkommen auf dem Gebiet der gemeinsamen Handelspolitik. Mit Wirtschaftsabkommen betrifft die Vertragspraxis der Union damit von vornherein ein Sachgebiet, in dem besonders häufig auf die vorläufige Anwendung zurückgegriffen wird.1673 Auch der zweite Grund dafür, dass die Union besonders häufig auf die vorläufige Anwendung zurückgreift, hängt mit ihrer begrenzten Vertragsschlusskompetenz zusammen. Denn das Bedürfnis der Union für die vorläufige Anwendung wird nicht zuletzt durch gemischte Abkommen gesteigert, da 1667 Für eingehendere Ausführungen zur AETR-Rechtsprechung und den in Art. 216 I AEUV genannten Kriterien siehe Silja Vöneky/Britta Beylage-Haarmann, Art. 216 AEUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, (Fn. 1665), Rn. 2 – 18. 1668 Zur Frage, wie sich die Rechtsnachfolge unions- und völkerrechtlich vollzieht, siehe Rudolf Mögele, Art. 216 AEUV, in: Streinz, (Fn. 1664), Rn. 12. 1669 Marc Bungenberg, Artikel 218 AEUV, in: Groeben, Hans von der/Schwarze, Jürgen/ Hatje, Armin, Europäisches Unionsrecht (7. Aufl. 2015), Rn. 1. 1670 Ricardo Passos, Some Issues Related to the Provisional Application of International Agreements and the Institutional Balance, in: Czuczai, Jenö/Naert, Frederik/Czuczai, Jenö, The EU as a Global Actor – Bridging Legal Theory and Practice (2017), 381 Fn. 4; vgl. zu den aktuellen Zahlen auch Merijn Chamon, Provisional Application of Treaties: The EU’s Contribution to the Development of International Law, 31 European Journal of International Law (2020) 883, 889. 1671 Albane Geslin, La mise en application provisoire des traités, (Fn. 395), 347. 1672 Silja Vöneky/Britta Beylage-Haarmann, Art. 216 AEUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, (Fn. 1665), Rn. 5. 1673 Für eingehendere Ausführungen und Beispiele zur vorläufigen Anwendung von Wirtschaftsabkommen siehe Kapitel 2 A.I.2.
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Teil 3: Verträge der Europäischen Union als Sonderfall
deren Abschluss sehr zeitintensiv ist.1674 Bei gemischten Abkommen werden auf Unionsseite neben der Union auch die Mitgliedstaaten Vertragspartei, da der Vertragsinhalt über die der Union übertragenen Kompetenzen hinausgeht. In der Praxis vergehen hier zwischen Unterzeichnung und Abschluss ca. 3 Jahre, da neben dem europäischen Vertragsschlussverfahren zudem die Vertragsschlussverfahren aller Mitgliedstaaten durchlaufen werden müssen.1675 Wenngleich die vorläufige Anwendung häufig Wirtschaftsabkommen oder gemischte Abkommen betrifft,1676 ist sie nicht auf diese beschränkt. Vielmehr kann sie auch andere Verträge, wie z. B. bilateralen Fischereiabkommen1677 betreffen.1678 Letztendlich scheint die vorläufige Anwendung immer dann zum Einsatz zu kommen, wenn eine Verzögerung den wirtschaftlichen und politischen Interessen der Union entgegenstehen würde, weshalb Art und Inhalt der betroffenen Verträge sehr vielfältig sind.1679 Somit spielt die vorläufige Anwendung in der Vertragspraxis der Union eine wichtige Rolle.
II. Beteiligung des Europäischen Parlaments bei Unterzeichnung und vorläufiger Anwendung Das europäische Vertragsschlussverfahren ist in Art. 218 AEUV geregelt. Im Vergleich zum deutschen Art. 59 GG sind die dort genannten Regelungen deutlich detaillierter, zumal sie auf die einzelnen Stadien des Vertragsschlussverfahrens eingehen. Daher soll zunächst dargelegt werden, in welchem Umfang das Euro1674 Gregor Schusterschitz, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge in der Praxis Österreichs, (Fn. 68), 139. 1675 Frank Hoffmeister, Curse of Blessing? Mixed Agreements in the Recent Practice of the European Union and its Member States, in: Hillion, Christophe/Koutrakos, Panos, Mixed Agreements Revisited (2010), 256. 1676 Ein Beispiel für die vorläufige Anwendung eines gemischten Abkommens ist die vorläufige Anwendung des Rahmenabkommens mit Australien, siehe Beschluss (EU) 2017/ 1546 des Rates vom 29. September 2016 über die Unterzeichnung des Rahmenabkommens zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Australien andererseits im Namen der Europäischen Union und über die vorläufige Anwendung des Abkommens, CELEX Nr. 32017D1546, ABl. L 237/5 vom 15. 09. 2017. 1677 Vgl. z. B. Beschluss (EU) 2018/1069 des Rates vom 26. Juli 2018 über die Unterzeichnung – im Namen der Union – und die vorläufige Anwendung des Protokolls zur Umsetzung des partnerschaftlichen Fischereiabkommens zwischen der Europäischen Union und der Republik Côte d’Ivoire (2018 – 2024), CELEX Nr. 32018D1069, ABl. L 194/1 vom 31. 7. 2018. 1678 Marc Maresceau, A Typology of Mixed Bilateral Agreements, in: Hillion, Christophe/ Koutrakos, Panos, Mixed Agreements Revisited (2010), 13. 1679 Für nähere Ausführungen zur Praxis der EU bei der vorläufigen Anwendung von Verträgen siehe Catherine Flaesch-Mougin/Isabelle Bosse-Platière, L’application provisoire des accords de l’union européenne, in: Lannon, Erwan/Govaere, Inge/van Elsuwege, Peter/ Adam, Stanislas, The European Union in the World (2013), 296 – 297.
Kap. 8: Vorläufige Anwendung und Frustrationsverbot bei Verträgen der EU
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päische Parlament nach dieser Vorschrift an der Entscheidung über die vorläufige Anwendung beteiligt werden muss und wie diese Regelung historisch entstanden ist (1.). Manche Stimmen in der Literatur halten die gegenwärtige Rechtslage für unzureichend und vertreten daher, dass das parlamentarische Zustimmungserfordernis beim Vertragsschluss analog auf die vorläufige Anwendung übertragen werden kann, was jedoch abzulehnen ist (2.). Vielmehr steht dem Europäischen Parlament nur sein Informations- und Stellungnahmerecht aus Art. 218 X AEUV zu (3.). Diese Rechtslage darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Parlament in der Praxis erheblichen Einfluss auf die Entscheidung über die vorläufige Anwendung ausübt (4.). 1. Umfang und Geschichte der Beteiligung des Europäischen Parlaments Nach Art. 218 VAEUV „erlässt [der Rat] auf Vorschlag des Verhandlungsführers einen Beschluss, mit dem die Unterzeichnung der Übereinkunft und gegebenenfalls deren vorläufige Anwendung vor dem Inkrafttreten genehmigt werden“. Diese Vorschrift weist dem Verhandlungsführer, also je nach Abkommensgegenstand der Kommission oder dem Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik (vgl. Art. 218 Abs. 3 AEUV),1680 das Initiativrecht und dem Rat die Entscheidungsbefugnis zu.1681 Das Europäische Parlament hingegen wird im Zusammenhang mit der Entscheidung über die Unterzeichnung und vorläufige Anwendung eines Abkommens nicht erwähnt. Dies bildet einen scharfen Kontrast zum Abschluss von völkerrechtlichen Übereinkünften, wo das Parlament seit dem Vertrag von Lissabon über weitreichende Beteiligungsrechte verfügt.1682 Nach Art. 218 VI lit. b) AEUV muss das Europäische Parlament – außer im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik – jedenfalls angehört werden, bevor der Rat den Abschluss eines Übereinkommens beschließt. In den fünf in Art. 218 VI lit. a) AEUV genannten Fallgruppen ist sogar seine vorherige Zustimmung erforderlich. In der Praxis sind diese Fallgruppen so umfangreich, dass die Zustimmungsbedürftigkeit den Regelfall darstellt und das Parlament nur im Ausnahmefall lediglich durch eine Anhörung beteiligt wird.1683 1680 Gernot Haidenhofer, Die parlamentarische Mitwirkung im Hinblick auf die vorläufige Anwendung von gemischten Abkommen der EU und ihrer Mitgliedstaaten, 24 Journal für Rechtspolitik (2016) 324, 327. 1681 So z. B. Thomas Giegerich, Art. 218 AEUV, in: Pechstein, Matthias/Nowak, Carsten/ Häde, Ulrich, Frankfurter Kommentar zu EUV, GRC und AEUV (2017), Rn. 73; nach anderer Ansicht soll der Rat über die vorläufige Anwendung hingegen auch ohne vorherigen Vorschlag des Verhandlungsführers entscheiden können, siehe Catherine Flaesch-Mougin/Isabelle BossePlatière, L’application provisoire des accords de l’union européenne, (Fn. 1679), 300 – 301. 1682 Gernot Haidenhofer, Die parlamentarische Mitwirkung im Hinblick auf die vorläufige Anwendung von gemischten Abkommen der EU und ihrer Mitgliedstaaten, (Fn. 1680), 327. 1683 Marc Bungenberg, Artikel 218 AEUV, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, (Fn. 1669), Rn. 64.
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Teil 3: Verträge der Europäischen Union als Sonderfall
Obwohl der Vertrag von Lissabon die parlamentarischen Befugnisse beim Abschluss von Übereinkommen ausdehnte, wurden die Rechte des Parlaments bei der vorläufigen Anwendung nicht gestärkt.1684 Vorgesehen ist lediglich ein Informationsrecht für alle Phasen des Vertragsschlussverfahrens aus Art. 218 X AEUV, welches das Europäische Parlament für die vorläufige Anwendung bereits im Vertrag von Amsterdam durchgesetzt hatte.1685 Hintergrund des Informationsrechts ist, dass der Rat schon seit 1976 immer wieder auf vorläufige Anwendung zurückgriff, obwohl es dafür im Primärrecht zunächst noch keine Rechtsgrundlage gab.1686 Diese Praxis stieß beim Europäischen Parlament auf Kritik, da es in der vorläufigen Anwendung eine Beeinträchtigung seiner Rechte in Bezug auf den Finanzhaushalt und den Abschluss von Verträgen sah.1687 Daher drängte das Europäische Parlament auf eine ausdrückliche Regelung der vorläufigen Anwendung, die – nicht zuletzt wegen der Unterstützung Deutschlands – mit dem Vertrag von Amsterdam dann auch tatsächlich geschaffen wurde.1688 Der neue Art. 300 II EG-Vertrag sah vor, dass der Rat auf Vorschlag der Kommission mit qualifizierter Mehrheit die Unterzeichnung und die vorläufige Anwendung eines Abkommens beschließen kann. Wurde die vorläufige Anwendung beschlossen, musste das Europäische Parlament nach Unterabsatz 3 „unverzüglich und umfassend“ unterrichtet werden. Mit diesem Informationsrecht, das vom niederländischen Recht1689 zur vorläufigen Anwendung inspiriert worden war, schuf der Vertrag von Amsterdam einen Kompromiss zwischen dem Erhalt der Handlungsfähigkeit in eilbedürftigen Situationen und der Parlamentsbeteiligung.1690
1684
Ricardo Passos, Some Issues Related to the Provisional Application of International Agreements and the Institutional Balance, (Fn. 1670), 383. 1685 Zur historischen Entwicklung der europäischen Regelungen zur vorläufigen Anwendung siehe Catherine Flaesch-Mougin/Isabelle Bosse-Platière, L’application provisoire des accords de l’union européenne, (Fn. 1679), 295 – 305. 1686 Vgl. Frank Hoffmeister, Curse of Blessing? Mixed Agreements in the Recent Practice of the European Union and its Member States, (Fn. 1675), 257 – 258. 1687 Catherine Flaesch-Mougin/Isabelle Bosse-Platière, L’application provisoire des accords de l’union européenne, (Fn. 1679), 296; Gregorio Garzón Clariana, L’application provisoire des accords internationaux de la Communauté, in: Demaret, Paul/Govaere, Inge/Hanf, Dominik, 30 Years of European Legal Studies at the College of Europe/30 ans d’études juridiques européennes au Collège d’Europe (2005), 482. 1688 Catherine Flaesch-Mougin/Isabelle Bosse-Platière, L’application provisoire des accords de l’union européenne, (Fn. 1679), 296. 1689 Vgl. Section 15 Kingdom Act on the Approval and Publication of Treaties (07. 07. 1994); für eine englischsprachige Darstellung des Inhalts siehe Permanent Mission of the Kingdom of the Netherlands to the United Nations, Comments in Response to General Assembly Resolution 70/236, (Fn. 556). 1690 Ausführlicher hierzu Gregorio Garzón Clariana, L’application provisoire des accords internationaux de la Communauté, (Fn. 1687), 484 – 485.
Kap. 8: Vorläufige Anwendung und Frustrationsverbot bei Verträgen der EU
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2. Kein parlamentarisches Zustimmungserfordernis durch analoge Anwendung des Art. 218 VI lit. a) AEUV Im Vertrag von Amsterdam war ein bloßes Informationsrecht noch nachvollziehbar, wenn man unzutreffender Weise davon ausging, dass die vorläufige Anwendung fast ausschließlich Handelsabkommen betreffen würde, an deren Abschluss das Parlament ohnehin nicht beteiligt war.1691 Jedenfalls seit dem Vertrag von Lissabon klafft allerdings eine unübersehbare Lücke zwischen den ausgeweiteten Rechten des Europäischen Parlaments beim Abschluss von Übereinkommen und seinen begrenzten Rechten in Bezug auf die vorläufige Anwendung.1692 Einzelne Stimmen in der deutschsprachigen Literatur argumentieren daher, dass jedenfalls bei Übereinkommen, die nach Art. 218 VI lit. a) AEUV zustimmungsbedürftig sind, auch für die vorläufige Anwendung ein parlamentarisches Zustimmungsrecht besteht oder zumindest denkbar ist. Begründet wird dies damit, dass anderenfalls die Gefahr besteht, dass die Rechte des Europäischen Parlaments in Bezug auf die innerunionale Rechtsetzung oder den Abschluss von Verträgen umgangen werden.1693 Methodisch wird als Lösung vorgeschlagen, Art. 218 VI AEUV und das darin vorgesehene Zustimmungserfordernis analog auf den Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung anzuwenden.1694 Nach Lorenzmeier ist eine Analogie im Unionsrecht zwar nicht unproblematisch, wird vom Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung und dem übrigen Primärrecht aber nicht ausgeschlossen, sofern sie nur Organkompetenzen betrifft und das Verhältnis zu den Mitgliedstaaten unberührt lässt.1695 Auch die übrigen Voraussetzungen der Analogie sollen laut Lorenzmeier vorliegen.1696 Hinsichtlich des Ratsbeschlusses über die vorläufige Anwendung soll eine Regelungslücke bestehen, da Art. 218 V AEUV keine Aussage über die Parlamentsbeteiligung treffe. Die Interessenlage wiederum sei mit 1691 Catherine Flaesch-Mougin/Isabelle Bosse-Platière, L’application provisoire des accords de l’union européenne, (Fn. 1679), 303. 1692 Gernot Haidenhofer, Die parlamentarische Mitwirkung im Hinblick auf die vorläufige Anwendung von gemischten Abkommen der EU und ihrer Mitgliedstaaten, (Fn. 1680), 327. 1693 So z. B. Thomas Giegerich, Art. 218 AEUV, in: Pechstein/Nowak/Häde, (Fn. 1681), Rn. 77; Marc Bungenberg, Artikel 218 AEUV, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, (Fn. 1669), Rn. 58. 1694 Eine solche analoge Anwendung des Art. 218 VI AEUVauf den Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung erwägen jedenfalls Stefan Lorenzmeier, Art. 218 AEUV, in: Grabitz, Eberhard/Hilf, Meinhard/Nettesheim, Martin, Das Recht der Europäischen Union (2021), 74. EL, Rn. 42c; Thomas Giegerich, Art. 218 AEUV, in: Pechstein/Nowak/Häde, (Fn. 1681), Rn. 77. 1695 Stefan Lorenzmeier, Art. 218 AEUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, (Fn. 1694), Rn. 66a; zur Zulässigkeit der Analogie im Unionsrecht siehe auch m. w. N. Stefan Ulrich Pieper, Rechtsetzung und Vollzug des EG-Rechts, in: Dauses, Manfred A./Ludwigs, Markus, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts (2021), 54. EL, Rn. 185. 1696 Für die vollständige Argumentation von Lorenzmeier zur analogen Anwendung des Art. 218 VI AEUV auf den Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung siehe Stefan Lorenzmeier, Art. 218 AEUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, (Fn. 1694), Rn. 42c.
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Teil 3: Verträge der Europäischen Union als Sonderfall
Art. 218 VI AEUV vergleichbar, da dieser die Verteilung der Organkompetenz im Außenbereich weitgehend parallel zu derjenigen im Innenbereich gestalte.1697 Es seien keine sachlichen Gründe erkennbar, warum hiervon bei der vorläufigen Anwendung abgewichen werden sollte, zumal dies die demokratische Legitimation schwächen und Rechte des Europäischen Parlaments gefährden würde.1698 Diese Auffassung, die in der Literatur bislang allenfalls kurz und ohne eingehendere Auseinandersetzung mit den Analogievoraussetzungen diskutiert wurde,1699 kann mit Blick auf Wortlaut und Systematik von Art. 218 V, VI und X AEUV nicht überzeugen. Anders als der deutsche Art. 59 II GG1700 enthält der deutlich jüngere Art. 218 AEUV schon keine unbeabsichtigte Regelungslücke in Bezug auf die vorläufige Anwendung. Denn er enthält nicht nur ausdifferenzierte Vorschriften für die einzelnen Phasen des Vertragsschlussverfahrens, sondern regelt in Art. 218 V AEUV auch ausdrücklich das Verfahren für die vorläufige Anwendung. Wenn das Europäische Parlament in Art. 218 V AEUV anders als in Art. 218 VI AEUV nicht erwähnt wird, ist dies folglich kein Versehen, sondern die bewusste Entscheidung, dem Parlament hier keine besonderen Rechte einzuräumen. Hierfür spricht auch, dass das Europäische Parlament nie völlig außen vor gelassen wird, da es nach Art. 218 X AEUV ohnehin in allen Phasen des Vertragsschlussverfahrens über ein Informationsrecht verfügt.1701 Doch auch über Wortlaut und Systematik hinaus ist es nicht überzeugend, bei Art. 218 VAEUVeine planwidrige Regelungslücke anzunehmen. Schließlich hat die vorläufige Anwendung für die Union nicht nur eine erhebliche praktische Bedeutung,1702 sondern wurde ursprünglich auch gerade ausdrücklich geregelt, weil das Europäische Parlament ihr gegenüber kritisch eingestellt war.1703 Insofern ist es kaum vorstellbar, dass das europäische Parlament bei der Ausgestaltung von Art. 218 V AEUV übersehen wurde. Vielmehr ist davon auszugehen, dass – nicht zuletzt wegen der praktischen Bedeutung der vorläufigen Anwendung für die Union – an dem im Vertrag von Amsterdam gefundenen Kompromiss festgehalten werden sollte. Ohne
1697
Ibid. Ibid. 1699 Für kurze Ausführungen zur analogen Anwendung des Art. 218 VI AEUV auf die vorläufige Anwendung siehe Thomas Giegerich, Art. 218 AEUV, in: Pechstein/Nowak/Häde, (Fn. 1681), Rn. 77; Gernot Haidenhofer, Die parlamentarische Mitwirkung im Hinblick auf die vorläufige Anwendung von gemischten Abkommen der EU und ihrer Mitgliedstaaten, (Fn. 1680), 327. 1700 Für eingehendere Ausführungen zur Regelungslücke bei Art. 59 II 1 GG siehe Kapitel 6 C.II.1. 1701 Für eingehendere Ausführungen zum Informationsrecht des Europäischen Parlaments siehe Kapitel 8 A.II.3. 1702 Zur Praxis der vorläufigen Anwendung bei Verträgen der Union siehe Kapitel 8 A.I. 1703 Für eingehendere Ausführungen zur Entstehungsgeschichte des Art. 218 V AEUV siehe Kapitel 8 A.II.1. 1698
Kap. 8: Vorläufige Anwendung und Frustrationsverbot bei Verträgen der EU
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planwidrige Regelungslücke scheidet eine analoge Anwendung des Art. 218 VI AEUV aus, unabhängig davon, ob die Interessenlage vergleichbar ist. Jedenfalls aber fehlt es an einer vergleichbaren Interessenlage. Anders als vereinzelt vertreten, ergibt sich dies nicht bereits daraus, dass die vorläufige Anwendung leicht wieder beendet werden kann und die Bindungen daher noch nicht endgültig sind.1704 Vielmehr sprechen zwei andere Gründe dagegen, die vorläufige Anwendung gleich wie den Abschluss einer Übereinkunft zu behandeln: Erstens hängt die völkerrechtliche Handlungsfähigkeit der Union in besonderem Maße davon ab, dass sie auf die vorläufige Anwendung zurückgreifen kann. Denn wie bereits dargelegt wurde, gibt es Gründe dafür, dass die Union in der Praxis sehr viel häufiger auf die vorläufige Anwendung zurückgreifen muss als Staaten.1705 Vor diesem Hintergrund war die vorläufige Anwendung auch schon im Vertrag von Amsterdam anders als der Abschluss eines Übereinkommens behandelt worden. Zweitens erscheint das Europäische Parlament auch weniger schutzbedürftig als z. B. der Deutsche Bundestag. Denn wie später noch dargelegt werden wird, hat sich das Europäische Parlament mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln in der Praxis bereits einen erheblichen Einfluss auf die vorläufige Anwendung gesichert.1706 Folglich sprechen das besonders große praktische Bedürfnis für die vorläufige Anwendung und die geringere Schutzbedürftigkeit des Europäischen Parlaments dagegen, die vorläufige Anwendung wie den Abschluss eines Übereinkommens zu behandeln. Somit fehlt für die analoge Anwendung des Art. 218 VI AEUV auf die vorläufige Anwendung nicht nur die planwidrige Regelungslücke, sondern auch eine vergleichbare Interessenlage. Insofern ist es nicht überraschend, dass die vorherrschende Auffassung1707 nicht von einem parlamentarischen Zustimmungsrecht bei der vorläufigen Anwendung ausgeht.
3. Informations- und Stellungnahmerecht des Europäischen Parlaments aus Art. 218 X AEUV Nach Art. 115 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments (GOEP)1708 kann das Parlament nach seiner Unterrichtung den Rat, die Kommission oder den 1704
So aber wohl Thomas Giegerich, Art. 218 AEUV, in: Pechstein/Nowak/Häde, (Fn. 1681), Rn. 77; dies ist aber schon deshalb nicht überzeugend, weil die Beendigung nur ex nunc wirkt und vom Parlament nicht selbst herbeigeführt werden kann, vgl. hierzu Kapitel 6 C.II.2. 1705 Für die Praxis der Union und die Gründe aus denen die Union besonders häufig auf die vorläufige Anwendung zurückgreift siehe Kapitel 8 A.I. 1706 Für eingehendere Ausführungen zum Einfluss des Europäischen Parlaments auf die Entscheidung über die vorläufige Anwendung siehe Kapitel 8 A.II.4. 1707 Statt vieler Rudolf Mögele, Art. 218 AEUV, in: Streinz, Rudolf, EUV/AEUV (3. Aufl. 2018), Rn. 12. 1708 Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments für die 9. Wahlperiode (2019 – 2024) (Juli 2019) (nachfolgend: „GOEP“).
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Teil 3: Verträge der Europäischen Union als Sonderfall
Hohen Vertreter zur Abgabe einer Erklärung über die geplante vorläufige Anwendung eines Abkommens auffordern. Über diese Erklärung erfolgt dann eine Aussprache im Plenum. Zudem kann das Parlament gem. Art. 115 GOEP eine unverbindliche Empfehlung abgeben, ein Übereinkommen nicht vorläufig anzuwenden, bevor es nicht seine Zustimmung erteilt hat. Somit zeigt die Geschäftsordnung, dass auch das Europäische Parlament selbst seine Zustimmung zur vorläufigen Anwendung nicht als rechtsverbindliche Voraussetzung ansieht, sondern vielmehr von einem Informations- und Stellungnahmerecht ausgeht.1709 Das Informationsrecht ist in Art. 218 X AEUV verankert und verlangt, dass die anderen Unionsorgane das Europäische Parlament in allen Verfahrensphasen unverzüglich und umfassend unterrichten. Dies gilt unabhängig davon, ob der Vertragsschluss nach Art. 218 VI AEUV der Mitwirkung des Parlaments bedarf. Das Informationsrecht beinhaltet daher auch Übereinkünfte, die ausschließlich die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik betreffen.1710 Da die Unterrichtungspflicht für alle Phasen des Verfahrens gilt, umfasst sie die Ratsbeschlüsse über Unterzeichnung und vorläufige Anwendung.1711 Die Unterrichtung des Europäischen Parlaments soll diesem ermöglichen, nicht nur die Geeignetheit der angegebenen Rechtsgrundlage zu prüfen, sondern auch „seine eigenen Befugnisse in voller Kenntnis des gesamten jeweiligen auswärtigen Handelns der Union aus[zu]üben“.1712 Insofern hat das Europäische Parlament auch das Recht zur Abgabe einer unverbindlichen Stellungnahme.1713 Problematischer ist allerdings die Frage, ob die anderen Unionsorgane das Parlament so frühzeitig über die beabsichtigte vorläufige Anwendung informieren müssen, dass vor dem Ratsbeschluss noch genügend Zeit zur Abgabe und Berücksichtigung der Stellungnahme verbleibt. Dies vertritt Passos, da Art. 218 X AEUV bei einer Auslegung nach dem effet utile-Grundsatz verhindern solle, dass das Parlament vor vollendete Tatsachen gestellt wird und dem Abkommen deshalb später seine Zustimmung verweigert.1714 Zur Vermeidung solcher Situationen müsse zudem
1709 So auch Gernot Haidenhofer, Die parlamentarische Mitwirkung im Hinblick auf die vorläufige Anwendung von gemischten Abkommen der EU und ihrer Mitgliedstaaten, (Fn. 1680), 327 – 328. 1710 Europäischer Gerichtshof, Parlament/Rat (Mauritius) (2014), Rs. C–658/11, Rn. 85; vgl. auch Kirsten Schmalenbach, Art. 218 AEUV, in: Calliess, Christian/Ruffert, Matthias, EUV/AEUV (6. Aufl. 2022), Rn. 18. 1711 Europäischer Gerichtshof, Parlament/Rat (Tansania) (2016), Rs. C–263/14, Rn. 75 – 76. 1712 Europäischer Gerichtshof, Parlament/Rat (Tansania), (Fn. 1711), Rn. 71. 1713 Für allgemeine Ausführungen zu Befassungskompetenz und Stellungnahmerecht des Europäischen Parlaments siehe Peter Michael Huber, Art. 14 EUV, in: Streinz, Rudolf, EUV/ AEUV (3. Aufl. 2018), Rn. 22 – 23. 1714 Ricardo Passos, Some Issues Related to the Provisional Application of International Agreements and the Institutional Balance, (Fn. 1670), 383 – 384.
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der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen den Unionsorganen aus Art. 13 II AEUV berücksichtigt werden.1715 Diese Argumentation geht rechtlich allerdings zu weit. Da bei Scheitern eines bereits vorläufig angewendeten Abkommens Schäden für die außenpolitischen Beziehungen und die begünstigten privaten Akteure drohen,1716 ist eine frühzeitige Unterrichtung des Parlaments politisch sicherlich sinnvoll. Trotzdem verlangt die Rechtslage nicht, dass der Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung erst erfolgt, nachdem das Parlament die Möglichkeit zur Stellungnahme hatte. Dies wäre bei einem echten Anhörungsrecht der Fall,1717 doch wird ein Recht auf vorherige Anhörung von Art. 218 VI lit. b) AEUV gerade nur für den Vertragsschluss vorgesehen. Insofern verbieten Wortlaut und Systematik des Art. 218 AEUV, dass das allgemeine Informationsrecht aus Art. 218 X AEUV inhaltlich genau so weit reicht wie das besondere Anhörungsrecht beim Abschluss von Verträgen. Hieran kann auch der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit nichts ändern. Denn anerkanntermaßen spielt dieser zwar bei der Auslegung der Zuständigkeits- und Verfahrensregeln in Art. 218 AEUV eine wichtige Rolle, kann die konkreten Regeln aber nicht überschreiben.1718 Somit muss das Parlament zwar so früh wie möglich, aber nicht unter allen Umständen vor dem Ratsbeschluss informiert werden. Dies dürfte auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs stehen. Die Pflicht zur „unverzüglichen“ Unterrichtung bedeutet demnach nicht, dass das Parlament nicht unter bestimmten Umständen erst nach einigen Tagen informiert werden kann. Eine Verspätung von 9 Tagen wurde allerdings als Verstoß gewertet.1719 Für die Erfüllung der Unterrichtungspflicht aus Art. 218 X AEUV genügt es jedoch nicht, wenn der entsprechende Ratsbeschluss im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wird, da diese Veröffentlichung einen anderen Zweck verfolgt.1720 Denn während die Veröffentlichung nach Art. 297 AEUV für das Inkrafttreten unionsrechtlicher Akte erforderlich ist, soll die Unterrichtung des Parlaments eine demokratische Kontrolle des Außenhandelns der Union ermöglichen.1721 Wenngleich das allgemeine Informationsrecht aus Art. 218 X AEUV somit dem Europäischen Parlament nicht die Möglichkeit einer rechtzeitigen Stellungnahme 1715
Ibid. Auf diese möglichen Schäden verweist auch Passos im Rahmen seiner Argumentation, siehe Ricardo Passos, Some Issues Related to the Provisional Application of International Agreements and the Institutional Balance, (Fn. 1670), 384. 1717 Zur rechtlichen Bedeutung von Anhörungsrechten des Europäischen Parlaments siehe Peter Michael Huber, Art. 14 EUV, in: Streinz, (Fn. 1713), Rn. 17. 1718 Zur Rolle des Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit bei der Auslegung des Art. 218 AEUV siehe Thomas Giegerich, Art. 218 AEUV, in: Pechstein/Nowak/Häde, (Fn. 1681), Rn. 15. 1719 Europäischer Gerichtshof, Parlament/Rat (Tansania), (Fn. 1711), Rn. 81 – 82. 1720 Europäischer Gerichtshof, Parlament/Rat (Mauritius), (Fn. 1710), Rn. 79. 1721 Ibid. 1716
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garantiert, ist die Rechtslage im Verhältnis zur Kommission eine andere. Denn für das Verhältnis von Kommission und Europäischem Parlament werden die Unterrichtungspflicht und ihr Zeitpunkt zusätzlich in einer Rahmenvereinbarung1722 geregelt. Nach Nr. 24 dieser Vereinbarung wird jedenfalls der zuständige Ausschuss des Parlaments so rechtzeitig unterrichtet, dass das Parlament erforderlichenfalls eine Stellungnahme abgeben und die Kommission diese berücksichtigen kann. Diese Vorgaben werden für die Unterzeichnung und die vorläufige Anwendung in Nr. 7 des Anhang III noch näher konkretisiert. Demnach informiert die Kommission das Parlament ausführlich, wenn die der Unterzeichnung vorausgehende Paraphierung eines Übereinkommens erfolgt. Beabsichtigt die Kommission zudem, dem Rat die vorläufige Anwendung vorzuschlagen, unterrichtet sie das Parlament „so früh wie möglich“ über diese Absicht und den Anlass für die vorläufige Anwendung, sofern sie hieran nicht aus Gründen der Dringlichkeit gehindert wird. Somit besteht jedenfalls im Verhältnis von Kommission und Parlament grundsätzlich die Pflicht, das Parlament so früh über die vorläufige Anwendung zu informieren, dass es eine Stellungnahme abgeben und die Kommission diese berücksichtigen kann.1723 Somit hat das Parlament hier nicht nur ein Informationsrecht, sondern auch die Möglichkeit zu einer rechtzeitigen Stellungnahme. 4. Erheblicher Einfluss des Europäischen Parlaments in der Praxis Anders als die Rechtslage vielleicht vermuten lassen würde, hat das Europäische Parlament in der Praxis einen erheblichen Einfluss auf die Entscheidung über die vorläufige Anwendung. Ein wichtiger Grund hierfür ist das Informationsrecht, dessen rechtliche Bedeutung keinesfalls unterschätzt werden sollte. Art. 218 X AEUV ermöglicht den Völkern der Mitgliedstaaten über die sie im Europäischen Parlament vertretenden Personen an der Ausübung hoheitlicher Gewalt teilzuhaben und ist damit Ausdruck eines der grundlegenden demokratischen Prinzipien, auf denen die Union beruht.1724 Insofern handelt es sich bei Art. 218 X AEUV um eine wesentliche Formvorschrift im Sinne des Art. 263 II AEUV, deren Verletzung zur Nichtigkeit des betroffenen Rechtsaktes führt.1725 Entsprechend konnte das Europäische Parlament in der Vergangenheit bei einem Verstoß gegen Art. 218 X AEUV bereits erfolgreich Nichtigkeitsklage gegen den damit behafteten Ratsbeschluss zur
1722 Rahmenvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission (20. 10. 2010). 1723 Aus den oben genannten Gründen kann eine solche Pflicht für den Rat nicht ohne Einschränkungen aus Art. 218 X AEUVabgeleitet werden, wenngleich dies so wohl von Passos vertreten wird. Siehe Ricardo Passos, Some Issues Related to the Provisional Application of International Agreements and the Institutional Balance, (Fn. 1670), 391 – 392. 1724 Europäischer Gerichtshof, Parlament/Rat (Mauritius), (Fn. 1710), Rn. 80 – 81. 1725 Kirsten Schmalenbach, Art. 218 AEUV, in: Calliess/Ruffert, (Fn. 1710), Rn. 18.
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Unterzeichnung erheben, mit dem in einem Fall auch eine vorläufige Anwendung einherging.1726 Darüber hinaus ist das Informationsrecht aber auch in der politischen Praxis von großer Bedeutung. Aufgrund der politischen Rahmenbedingungen verleiht es dem Europäischen Parlament einen Einfluss auf Vertragsinhalt und Vertragsschlussverfahren, der denjenigen vieler nationaler Parlamente sogar übersteigen dürfte. Da es in der Union keine von einer Parlamentsmehrheit gestützte Regierung gibt, müssen Rat und Kommission sich wechselnde Mehrheiten beschaffen, indem sie auf die Vorstellungen des Parlaments eingehen.1727 Verstärkt wird der politische Druck dadurch, dass das Europäische Parlament selbst dann nicht davor zurückschreckt, seine Zustimmung zum Abschluss eines Abkommens nicht oder jedenfalls nicht ohne Bedingungen zu erteilen, wenn dieses bereits vorläufig angewendet wird.1728 So folgte es z. B. 2011 den Empfehlungen des Haushalts- und des Entwicklungsausschusses1729 und verweigerte dem bereits vorläufig anwendbaren Protokoll zum Fischereiabkommen mit Marokko seine Zustimmung.1730 Vor diesem Hintergrund wird das Europäische Parlament in der Praxis häufig an der Entscheidung über die vorläufige Anwendung beteiligt, obwohl dies rechtlich nicht vorgeschrieben ist.1731 Schon seit 1994 gab es immer wieder Fälle, in denen das Parlament vor der Entscheidung über die vorläufige Anwendung konsultiert wurde.1732 Ein Beispiel hierfür ist der Ratsbeschluss zur Unterzeichnung und vorläufigen Anwendung des Energiecharta-Vertrages durch die Europäische Gemein-
1726 Vgl. Europäischer Gerichtshof, Parlament/Rat (Tansania), (Fn. 1711); Europäischer Gerichtshof, Parlament/Rat (Mauritius), (Fn. 1710). 1727 Thomas Giegerich, Art. 218 AEUV, in: Pechstein/Nowak/Häde, (Fn. 1681), Rn. 199. 1728 Für einige Fälle, in denen das Europäische Parlament seine Zustimmung zum Abschluss von bereits vorläufig angewendeten Übereinkommen hinausschob oder verweigerte, siehe Catherine Flaesch-Mougin/Isabelle Bosse-Platière, L’application provisoire des accords de l’union européenne, (Fn. 1679), 305 – 306. 1729 Für die Stellungnahmen von Entwicklungs- und Haushaltsausschluss, welche anders als der federführende Fischereiausschuss die Verweigerung der Zustimmung empfahlen, siehe Fischereiausschuss des Europäischen Parlaments, Empfehlung zu dem Entwurf eines Beschlusses des Rates über den Abschluss eines Protokolls zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko zur Festlegung der Fangmöglichkeiten und der finanziellen Gegenleistungen nach dem partnerschaftlichen Fischereiabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Marokko (29. 11. 2011), A7 – 0394/2011, 11 – 18. 1730 Vgl. Europäisches Parlament, Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. Dezember 2011 zu dem Entwurf eines Beschlusses des Rates über den Abschluss eines Protokolls zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko zur Festlegung der Fangmöglichkeiten und der finanziellen Gegenleistung nach dem partnerschaftlichen Fischereiabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Marokko (14. 12. 2011), P7_TA(2011)0569, ABl. C 168 E/155 vom 14. 06. 2013. 1731 Rudolf Mögele, Art. 218 AEUV, in: Streinz, (Fn. 1707), Rn. 12. 1732 Gregorio Garzón Clariana, L’application provisoire des accords internationaux de la Communauté, (Fn. 1687), 483.
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schaft.1733 Bereits der Vorschlag der Kommission wies auf die Zustimmungsbedürftigkeit des Vertragsschlusses hin und schlug für die vorläufige Anwendung ein „flexibleres Verfahren“ in Gestalt einer einfachen Stellungnahme vor.1734 Heute wiederum wird die vorläufige Anwendung in der Praxis sogar regelmäßig von der vorherigen Zustimmung des Europäischen Parlaments abhängig gemacht.1735 Insofern hat sich die Beteiligung des Parlaments inzwischen nicht nur verstetigt, sondern geht mit dem faktisch bestehenden Zustimmungserfordernis auch über eine bloße Stellungnahme hinaus. Üblich ist diese Art der Parlamentsbeteiligung vor allem bei der vorläufigen Anwendung von Handelsabkommen. So gab Cecila Malmström bei ihrer Befragung als designierte Handelskommissarin an,1736 dass sie die Praxis ihres Vorgängers De Gucht fortführen wolle, politisch wichtige Handelsabkommen erst nach Zustimmung des Europäischen Parlaments vorläufig anzuwenden. Bei sehr technischen oder dringlichen Angelegenheiten solle hingegen die Zustimmung des Europäischen Parlaments nicht abgewartet, dafür aber der Vorsitzende des Ausschusses für internationalen Handel informiert und konsultiert werden. Auch die neue Kommissionspräsidentin von der Leyen1737 und der neue Handelskommissar Hogan1738 gaben an, dass sie die vorläufige Anwendung von Handelsabkommen von der vorherigen Zustimmung des Europäischen Parlaments abhängig machen wollen. In der Praxis wird die Beteiligung des Europäischen Parlaments dadurch erreicht, dass die Kommission dem Rat neben dem Vorschlag über die Unterzeichnung und vorläufige Anwendung eines Übereinkommens auch gleich einen zweiten Vorschlag 1733 Vgl. Beschluss des Rates vom 15. Dezember 1994 betreffend die vorläufige Anwendung des Vertrags über die Energiecharta durch die Europäische Gemeinschaft, 94/998/EG, ABl. L 380/1 vom 31. 12. 1994. 1734 Vgl. Kommission, Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zur Unterzeichnung und vorläufigen Anwendung des Vertrages über die Europäische Energiecharta durch die Europäischen Gemeinschaften (21. 09. 1994), Dok. Nr. 51994DC0405, Rn. 3 – 4. 1735 Rudolf Mögele, Art. 218 AEUV, in: Streinz, (Fn. 1707), Rn. 12; Jelena Bäumler, Vom Vertragstext zum Inkrafttreten: Das Vertragsschlussverfahren im Mehrebenensystem am Beispiel CETA, 51 Europarecht (2016) 607, 625. 1736 Für die Befragung von Cecilia Malmström durch das Europäische Parlament siehe Europäisches Parlament, Beantwortung des Fragenkatalogs des Europäischen Parlaments durch das designierte Kommissionsmitglied Cecilia Malmström (Handel) (2014), online: http: //www.europarl.europa.eu/hearings-2014/resources/questions-answers/Hearings2014_ Malmstr%C3%B6m_Questionnaire_de.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022), 5. 1737 Ursula von der Leyen, Politische Leitlinien für die künftige Europäische Kommission 2019 – 2024: Eine Union, die mehr erreichen will – Meine Agenda für Europa (2019), 20, online: https://ec.europa.eu/info/sites/default/files/political-guidelines-next-commission_de.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 1738 Answers to the European Parliament Questionaire to the Commissioner-Designate Phil Hogan, Commissioner-designate for Trade (2019), 7 – 8, online: https://ec.europa.eu/commis sion/commissioners/sites/comm-cwt2019/files/commissioner_ep_hearings/answers-ep-question naire-hogan.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022).
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zu dessen Abschluss übermittelt. Dabei macht der erste Vorschlag den Beginn der vorläufigen Anwendung davon abhängig, dass das Parlament seine Zustimmung zum Vertragsschluss erteilt, was technisch z. B. durch ein Notifikationserfordernis erreicht werden kann.1739 Als Präzedenzfall für dieses Vorgehen gilt das 2010 unterzeichnete Freihandelsabkommen mit Südkorea,1740 bei dem der Rat die Auslösung der vorläufigen Anwendung von der vorherigen Zustimmung des Parlaments zum Vertragsschluss abhängig machte.1741 In der Praxis geht der Einfluss des Europäischen Parlaments auf die Entscheidung über die vorläufige Anwendung von politisch wichtigen Übereinkommen damit so weit, dass manchmal sogar von einem faktischen Vetorecht gesprochen wird.1742 Somit findet auch das Unionsrecht einen differenzierten Ausgleich zwischen den Rechten des Parlaments beim Abschluss von Verträgen und dem praktischen Bedürfnis für die vorläufige Anwendung. Dieser Ausgleich ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Recht und Praxis. Rechtlich haben Kommission und Rat einen großen Handlungsspielraum bei der vorläufigen Anwendung, da die Beteiligungsrechte des Europäischen Parlaments nur schwach ausgeprägt sind. Trotzdem dürfte das Risiko gering sein, dass durch die vorläufige Anwendung die Rechte des Parlaments im Vertragsschlussverfahren beeinträchtigt werden. Schließlich wird die Zustimmung zum Vertragsschluss in der Praxis regelmäßig schon eingeholt, bevor die Pflicht zur vorläufigen Anwendung überhaupt ausgelöst wird. Ist dies einmal nicht der Fall, kann sich das Europäische Parlament bei Bedarf über sein Informations- und Stellungnahmerecht selbst in den Entscheidungsprozess einschalten und politischen Druck ausüben. Folglich wird auf Unionsebene sowohl den Beteiligungsrechten des Europäischen Parlaments als auch dem Bedürfnis nach außenpolitischer Handlungsfähigkeit Rechnung getragen.
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Zu dieser Praxis und einigen Beispielen siehe Ricardo Passos, Some Issues Related to the Provisional Application of International Agreements and the Institutional Balance, (Fn. 1670), 387 – 391; Catherine Flaesch-Mougin/Isabelle Bosse-Platière, L’application provisoire des accords de l’union européenne, (Fn. 1679), 307 – 309. 1740 David Kleimann/Gesa Kübek, The Signing, Provisional Application, and Conclusion of Trade and Investment Agreements in the EU: The Case of CETA and Opinion 2/15 (2016), 17, online: https://cadmus.eui.eu/handle/1814/43948 (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022); Frank Hoffmeister, Aktuelle Rechtsfragen in der Praxis der europäischen Außenhandelspolitik, 16 Zeitschrift für Europarechtliche Studien (2013) 385, 398 – 399. 1741 Vgl. Rat der Europäischen Union, Mitteilung an die Presse (16. 09. 2010), Dok. Nr. 13705/10, online: https://europa.eu/rapid/press-release_PRES-10-244_de.htm (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 1742 So spricht z. B. Gatti von einer „de facto veto power regarding the provisional application of, at least, the most ,polically important‘ agreements“, siehe Mauro Gatti, Provisional Application of EU Trade and Investment Agreements: A Pragmatic Solution to Mixity Issues, (Fn. 501), 58.
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III. Schutz der mitgliedstaatlichen Kompetenzen bei der vorläufigen Anwendung von gemischten Abkommen Übereinkommen, die lediglich ausschließliche Zuständigkeiten der Union betreffen, müssen von ihr nach Art. 2 I AEUV ohne Beteiligung der Mitgliedstaaten geschlossen werden.1743 Bei solchen sog. EU-only-Abkommen hat die Union dann erst Recht die Befugnis, allein über die vorläufige Anwendung zu entscheiden.1744 Betrifft ein Übereinkommen hingegen auch Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten, muss es als sog. gemischtes Abkommen von Union und Mitgliedstaaten gemeinsam abgeschlossen werden. Dem Gutachten des Europäischen Gerichtshofs zum Freihandelsabkommen mit Singapur nach zu urteilen, machen nicht nur ausschließliche Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten, sondern sogar geteilte Zuständigkeiten den Abschluss als gemischtes Abkommen erforderlich.1745 Für die Union und die Mitgliedstaaten haben solche gemischten Abkommen den Vorteil, dass eine starre Kompetenzabgrenzung entbehrlich wird und Abkommen der Union nicht diejenigen Bereiche ausklammern müssen, für die es der Union an einer unbestrittenen Zuständigkeit fehlt.1746 Der Nachteil besteht jedoch darin, dass sich der Abschluss des Vertrages erheblich verzögert und an jedem einzelnen Mitgliedstaat scheitern kann, da neben der Union auch alle Mitgliedstaaten ihr innerstaatliches Vertragsschlussverfahren durchlaufen müssen.1747 Entsprechend vergehen bei gemischten Abkommen zwischen Unterzeichnung und Abschluss in der Praxis ca. 3 Jahre,1748 wohingegen das Vertragsschlussverfahren der Union bereits 1743 Europäischer Gerichtshof, Gutachten 2/91 (1993) Slg. 1993 S. I–1061, Rn. 8; Rudolf Mögele, Art. 216 AEUV, in: Streinz, (Fn. 1664), Rn. 15. 1744 Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 114. 1745 Laut dem Gutachten des Europäischen Gerichtshofs zum Freihandelsabkommen mit Singapur können die unter die geteilte Kompetenz fallenden Vertragsbestimmungen „nicht von der Union allein genehmigt werden“, siehe Europäischer Gerichtshof, Gutachten 2/15 (2017), Rn. 243 – 244, 282, 304; zum ursprünglichen Streitstand und der Frage, ob die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs auf alle völkerrechtlichen Übereinkünfte der Union übertragen werden können, siehe Fachbereich Europa Deutscher Bundestag, Das Gutachten des EuGH zum EU-Freihandelsabkommen mit Singapur (EUSFTA): Zur Zuständigkeitsverteilung zwischen Europäischer Union und Mitgliedstaaten sowie der Beteiligung des Bundestages am Zustandekommen von EU Freihandelsabkommen der „neuen Generation“ (10. 07. 2017), PE 6 – 3010 – 044/17, 10 – 12. 1746 Mauro Gatti, Provisional Application of EU Trade and Investment Agreements: A Pragmatic Solution to Mixity Issues, (Fn. 501), 46. 1747 Franz C. Mayer, Die Beteiligung des Deutschen Bundestages an gemischten völkerrechtlichen Abkommen der EU: Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung, Deutscher Bundestag, Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz, Mittwoch, 13. Januar 2016 (2016), 2 Rn. 1 – 3, online: https://www.bundestag.de/resource/blob/401472/918b0901910dd75ea5fc c9aa9d99d2e8/mayer-data.pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022) 1748 Frank Hoffmeister, Curse of Blessing? Mixed Agreements in the Recent Practice of the European Union and its Member States, (Fn. 1675), 256.
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innerhalb einiger Monate durchlaufen werden kann.1749 Da die Ratifikationsdauer die Effektivität des Unionshandelns – insbesondere im Bereich der Handels- und Investitionspolitik – beeinträchtigen kann, greift die Union immer wieder auf die vorläufige Anwendung zurück.1750 Angesichts dessen, dass gemischte Abkommen von der Union und den Mitgliedstaaten gemeinsam geschlossen werden, wirft ihre vorläufige Anwendung einige Fragen zur Kompetenzverteilung auf. So muss zunächst geklärt werden, ob und unter welchen Voraussetzungen die Union allein über die vorläufige Anwendung entscheiden kann (1.). Zudem stellt sich die Frage, ob es für die Mitgliedstaaten völker- oder unionsrechtliche Konsequenzen hat, wenn die Union ihre Kompetenzen überschreitet (2.). Abschließend ist zu klären, ob einzelne Mitgliedstaaten ein eigenes Recht zur Beendigung der vorläufigen Anwendung haben (3.) oder immerhin von der Union die Beendigung verlangen können, falls die Ratifikation des gemischten Abkommens endgültig scheitert (4.). 1. Umfang der Unionskompetenz zur vorläufigen Anwendung Hinsichtlich der vorläufigen Anwendung von gemischten Abkommen durch die Union stellt sich zunächst die Frage, ob und in welchem Umfang der Rat nach Art. 218 V AEUV allein über diese entscheiden kann. Die Antwort hängt dabei von der vertikalen Kompetenzverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten ab. Denkbar wäre zunächst, dass der Rat allein über die vorläufige Anwendung des gesamten gemischten Abkommens entscheiden kann, die Kompetenz der Union zur vorläufigen Anwendung also weiter reicht als ihre Kompetenz zum Abschluss des Übereinkommens. Dies vertreten Kleimann und Kübek, denen zufolge der Rat nach Art. 218 V AEUV auch die vorläufige Anwendung von Vertragsbestimmungen beschließen kann, die eine geteilte oder sogar ausschließliche Kompetenz der Mitgliedstaaten betreffen. Als Begründung führen sie an, dass der Rat in der Vergangenheit auch solche Vertragsbestimmungen vorläufig angewendet hat, was für eine entsprechende Rechtsüberzeugung des Rates und der dort versammelten Vertreter der Mitgliedstaaten spreche.1751 Diese Ansicht hat in der rechtswissenschaftlichen Literatur jedoch keine Mehrheit gefunden und kann auch inhaltlich nicht überzeugen. Anerkanntermaßen regelt Art. 218 AEUV nicht die Verbandskompetenz der Union, sondern nur die Organzuständigkeiten innerhalb der Union und das unionsinterne Vertragsschluss1749 David Kleimann/Gesa Kübek, The Signing, Provisional Application, and Conclusion of Trade and Investment Agreements in the EU (2016), (Fn. 1740), 10. 1750 Vgl. Mauro Gatti, Provisional Application of EU Trade and Investment Agreements: A Pragmatic Solution to Mixity Issues, (Fn. 501), 43 – 44. 1751 David Kleimann/Gesa Kübek, The Signing, Provisional Application, and Conclusion of Trade and Investment Agreements in the EU (2016), (Fn. 1740), 17, 19.
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verfahren.1752 Daher würde der Rat unzulässigerweise die Kompetenzen der Union überschreiten und auch Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten ausüben, wenn er ein gemischtes Abkommen ohne Einschränkungen vorläufig anwendet.1753 Aus der Praxis des Rates und der Mitgliedstaaten kann keine gegenteilige Rechtsüberzeugung abgeleitet werden. Abgesehen davon, dass der Umgang der Mitgliedstaaten mit ihren Kompetenzen oftmals vor allem von politischen und wirtschaftlichen Interessen geleitet wird,1754 ist die Praxis des Rates auch zu uneinheitlich. Denn es gibt auch einige Fälle,1755 in denen der Ratsbeschluss die vorläufige Anwendung ausdrücklich auf diejenigen Bereiche beschränkt hat, die in der Zuständigkeit der Union lagen.1756 Tatsächlich scheint bei gemischten Abkommen – anders als bei EU-only-Abkommen – in der Praxis die teilweise vorläufige Anwendung zu überwiegen.1757 Somit verleiht Art. 218 V AEUV dem Rat keine Befugnis, ein gemischtes Abkommen ohne kompetenzbedingte Beschränkungen vorläufig anzuwenden. Da die meisten Bestimmungen in Handels- und Investitionsschutzabkommen aber ohnehin in die Zuständigkeit der Union fallen und damit vorläufig anwendbar sind, sollte dies die Handlungsfähigkeit der Union jedenfalls bei solchen Übereinkommen nicht allzu sehr einschränken.1758
1752 Kirsten Schmalenbach, Art. 218 AEUV, in: Calliess/Ruffert, (Fn. 1710), Rn. 1 – 2; Thomas Giegerich, Art. 218 AEUV, in: Pechstein/Nowak/Häde, (Fn. 1681), Rn. 1; Rudolf Geiger, Art. 218 TFEU, in: Geiger, Rudolf/Khan, Daniel-Erasmus/Kotzur, Marcus, European Union Treaties (2015), 791 Rn. 1. 1753 Mauro Gatti, Provisional Application of EU Trade and Investment Agreements: A Pragmatic Solution to Mixity Issues, (Fn. 501), 50 – 51. 1754 Catherine Flaesch-Mougin/Isabelle Bosse-Platière, L’application provisoire des accords de l’union européenne, (Fn. 1679), 311. 1755 Vgl. z. B. Art. 3 in Beschluss (EU) 2018/104 des Rates vom 20. November 2017 über die Unterzeichnung im Namen der Union und die vorläufige Anwendung des Abkommens über eine umfassende und verstärkte Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Armenien andererseits, CELEX Nr. 32018D0104, ABl. L 23/1 vom 26. 01. 2018; vgl. Art. 3 I und Erwägungsgrund 5 in Beschluss (EU) 2017/434 des Rates vom 13. Februar 2017 über die Unterzeichnung – im Namen der Union – und die vorläufige Anwendung des Kooperationsabkommens über Partnerschaft und Entwicklung zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Islamischen Republik Afghanistan andererseits, CELEX Nr. 32017D0434, ABl. L 67/1 vom 14. 03. 2017. 1756 Aus diesem Grund sieht Gatti die Praxis des Rates sogar als Beleg für seine Ansicht, dass die vorläufige Anwendung durch die Union nur Unionskompetenzen betreffen darf, vgl. Mauro Gatti, Provisional Application of EU Trade and Investment Agreements: A Pragmatic Solution to Mixity Issues, (Fn. 501), 51. 1757 Catherine Flaesch-Mougin/Isabelle Bosse-Platière, L’application provisoire des accords de l’union européenne, (Fn. 1679), 311. 1758 Vgl. Mauro Gatti, Provisional Application of EU Trade and Investment Agreements: A Pragmatic Solution to Mixity Issues, (Fn. 501), 52.
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Anders wäre dies jedoch, wenn die Union bei gemischten Abkommen ohne die Zustimmung der Mitgliedstaaten keine einzige Vertragsbestimmung vorläufig anwenden dürfte. So argumentieren Kempen und Schiffbauer, dass die Union nicht einmal dann allein über die vorläufige Anwendung entscheiden darf, wenn sie über die ausschließliche Zuständigkeit für die betroffenen Vertragsbestimmungen verfügt.1759 Sie sehen die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung als Abschluss eines zweiten Vertrages, der akzessorisch zum gemischten Abkommen als dem Hauptvertrag ist. Wie beim gemischten Abkommen selbst wären die Mitgliedstaaten damit Vertragspartei und ihre Zustimmung daher Voraussetzung für den Abschluss des akzessorischen Vertrages. Dies würde selbst dann gelten, wenn die vorläufige Anwendung nur den Unionsteil des gemischten Abkommens betreffend soll. Denn die vorläufige Anwendung des Unionsteils kann laut Kempen und Schiffbauer nicht wie ein eigenständiges EU-only-Abkommen behandelt werden, da sie als solches einen ultra vires-Akt darstellen würde. Zwar könnte die Union den Unionsteil theoretisch auch als EU-only-Abkommen allein abschließen, doch würde es hierfür an dem Verhandlungsmandat fehlen, das nach Art. 218 II, III AEUV für ein zweites eigenständiges Abkommen erforderlich wäre. Diese Argumentation kann nicht überzeugen, da sie auf der unzutreffenden Annahme beruht, dass die vorläufige Anwendung mit dem Abschluss eines Vertrages gleichzusetzen ist. Warum dies im Völkerrecht und im deutschen Verfassungsrecht nicht der Fall ist, wurde bereits an anderer Stelle ausgeführt.1760 Für das Unionsrecht muss jedoch nicht einmal auf die dort genannten Argumente zurückgegriffen werden. Vielmehr zeigt bereits Art. 218 V AEUV, dass das Unionsrecht zwischen dem Abschluss eines Vertrages und seiner vorläufigen Anwendung unterscheidet. Denn dieser Artikel regelt die vorläufige Anwendung neben der Unterzeichnung als eine mögliche Phase des Vertragsschlussverfahrens, also gerade nicht als den Abschluss eines zweiten eigenständigen Vertrages. Wenn die vorläufige Anwendung jedoch lediglich einen Bestandteil des Vertragsschlussverfahrens darstellt, ist auch kein eigenständiges Verhandlungsmandat erforderlich. Vielmehr umfasst das Verhandlungsmandat für das gemischte Abkommen implizit auch die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung, da diese lediglich ein Minus zum angestrebten Inkrafttreten darstellt.1761 Folglich handelt die Union nicht ultra vires, wenn sie ohne die Mitgliedstaaten die Entscheidung trifft, den Unionsteil vorläufig anzuwenden. Doch auch aus Gründen der Kompetenzverteilung muss es der Union möglich sein, allein über die vorläufige Anwendung von Vertragsbestimmungen zu entscheiden, die ihrer ausschließlichen Zuständigkeit unterliegen. Wäre hier die Zu1759 Für die gesamte Argumentation von Kempen und Schiffbauer siehe Bernhard Kempen/ Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 116 – 121. 1760 Für Ausführungen zur Frage, ob die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung eines Vertrages aus Sicht des deutschen Verfassungsrechts ihrerseits als Abschluss eines Vertrages einzustufen ist, siehe Kapitel 6 C.I. 1761 Stefan Lorenzmeier, Art. 218 AEUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, (Fn. 1694), Rn. 42b.
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stimmung der Mitgliedstaaten erforderlich, würden diese unzulässigerweise wieder selbst Kompetenzen ausüben, die sie der Union bereits zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung übertragen haben.1762 Am überzeugendsten ist damit die vorherrschende Auffassung, dass der Rat die vorläufige Anwendung allein beschließen kann, allerdings nur für Vertragsteile, die der Zuständigkeit der Union unterliegen.1763 Für den mitgliedstaatlichen Teil des gemischten Abkommens hingegen muss die Entscheidung über die vorläufige Anwendung von den Mitgliedstaaten getroffen werden.1764 In der Praxis bleibt es bei gemischten Abkommen meist bei der teilweisen vorläufigen Anwendung durch die Union.1765 Dies kann zu Rechtsunsicherheit für den Vertragspartner und die wirtschaftlichen Akteure führen, da die genaue Kompetenzabgrenzung und damit der Umfang der vorläufigen Anwendung häufig unklar bleiben.1766 Nicht zuletzt aus diesem Grund sprechen politische und wirtschaftliche Erwägungen manchmal dafür, ein gemischtes Abkommen in seiner Gesamtheit vorläufig anzuwenden.1767 In der Vergangenheit kam es daher bei Open-Skies-Abkommen zum Luftverkehr zu hybriden Beschlüssen, also Ratsbeschlüssen durch die sowohl der Rat als auch die dort versammelten Vertreter der Mitgliedstaaten der vorläufigen Anwendung zustimmten.1768 Diese Praxis hat der Europäische Gerichtshof inzwischen zu Recht für rechtswidrig erklärt, da sie unzulässigerweise zwei unterschiedliche Rechtsakte und deren Verfahren miteinander verschmilzt.1769 Denn die vorläufige Anwendung im Namen der Union muss nach Art. 218 VAEUV allein vom Rat beschlossen werden, wofür nach Art. 218 VIII AEUV eine qualifizierte Mehrheit genügt. Der Rat wiederum darf nicht an der vorläufigen Anwendung durch die Mitgliedstaaten beteiligt sein, die der Zustimmung aller Mitgliedstaaten bedarf. Wenn hybride Beschlüsse unzulässig sind und die vorläufige Anwendung sich meist auf den Unionsteil beschränkt, muss geklärt werden, wo genau die Grenze der 1762
Rudolf Mögele, Art. 218 AEUV, in: Streinz, (Fn. 1707), Rn. 35. Siehe statt vieler Fachbereich Europa Deutscher Bundestag, Das Gutachten des EuGH zum EU-Freihandelsabkommen mit Singapur (EUSFTA), (Fn. 1745), 25; Stefan Lorenzmeier, Art. 218 AEUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, (Fn. 1694), Rn. 42b. 1764 Frank Hoffmeister, Curse of Blessing? Mixed Agreements in the Recent Practice of the European Union and its Member States, (Fn. 1675), 258. 1765 Catherine Flaesch-Mougin/Isabelle Bosse-Platière, L’application provisoire des accords de l’union européenne, (Fn. 1679), 311. 1766 Hierzu ausführlicher Ricardo Passos, Some Issues Related to the Provisional Application of International Agreements and the Institutional Balance, (Fn. 1670), 384 – 386; vgl. auch Merijn Chamon, Provisional Application of Treaties: The EU’s Contribution to the Development of International Law, (Fn. 1670), 908. 1767 Catherine Flaesch-Mougin/Isabelle Bosse-Platière, L’application provisoire des accords de l’union européenne, (Fn. 1679), 313. 1768 Catherine Flaesch-Mougin/Isabelle Bosse-Platière, L’application provisoire des accords de l’union européenne, (Fn. 1679), 313. 1769 Für die Argumentation des Europäischen Gerichtshofs siehe Europäischer Gerichtshof, Kommission/Rat (2015), Rs. C–28/12, 49 – 53. 1763
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Kompetenzverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten verläuft. Mit Blick auf die Art der Unionszuständigkeit stellt sich die Frage, ob die Union wie beim Abschluss von Übereinkommen bereits dann nicht ohne die Mitgliedstaaten handeln kann, wenn eine geteilte Zuständigkeit betroffen ist.1770 Für die Union würde dies den Umfang der vorläufigen Anwendung und damit deren Nutzen schmälern. Zudem würde die Union bei geteilten Zuständigkeiten keine völkerrechtliche Pflicht eingehen, die sie nach der internen Kompetenzverteilung nicht auch ohne die Mitgliedstaaten erfüllen könnte. Schließlich haben bei geteilten Kompetenzen gemäß Art. 2 II 2 AEUV die Maßnahmen der Union Vorrang. Allerdings spricht der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung dagegen, die vorläufige Anwendung anders zu behandeln als den Vertragsschluss. Da Art. 218 V AEUV die Verbandskompetenz der Union zur vorläufigen Anwendung nicht regelt, gibt es in den europäischen Verträgen keinen Hinweis darauf, dass die Befugnis der Union zur vorläufigen Anwendung über diejenige zum Vertragsschluss hinausgehen soll. Daher verläuft die Kompetenzverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten parallel zu derjenigen beim Abschluss von Verträgen, wo die Union nur allein handeln kann, wenn lediglich ihre ausschließlichen Zuständigkeiten betroffen sind. Somit kann der Rat für die Union die vorläufige Anwendung eines gemischten Abkommens beschließen, doch muss sich diese auf Vertragsbestimmungen in der ausschließlichen Zuständigkeit der Union beschränken. 2. Konsequenzen einer unionalen Kompetenzüberschreitung für die Mitgliedstaaten In der Praxis kam es bei der vorläufigen Anwendung gemischter Abkommen durch die Union bereits zu möglichen Kompetenzüberschreitungen. Bekannte Fälle, in denen die vorläufige Anwendung zumindest umstrittene Zuständigkeiten betraf, sind die Handelsabkommen mit Peru und Kolumbien sowie mit Südkorea. In beiden Fällen wurden auch Bestimmungen zu Portfolioinvestitionen vorläufig angewendet,1771 obwohl diese zumindest aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten unterliegen.1772 1770 Fachbereich Europa Deutscher Bundestag, Das Gutachten des EuGH zum EU-Freihandelsabkommen mit Singapur (EUSFTA), (Fn. 1745), 25. 1771 Vgl. Art. 3 I des jeweiligen Ratsbeschlusses: Beschluss des Rates vom 31. Mai 2012 zur Unterzeichnung – im Namen der Union – des Handelsübereinkommens zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits und über die vorläufige Anwendung dieses Übereinkommens, CELEX Nr. 32012D0735, ABl. L 354/1 vom 21. 12. 2012; Beschluss des Rates vom 16. September 2010 über die Unterzeichnung – im Namen der Europäischen Union – und die vorläufige Anwendung des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits, CELEX Nr. 32011D0265, ABl. L 127/1 vom 14. 05. 2011; Mauro Gatti, Provisional Application of EU Trade and Investment Agreements: A Pragmatic Solution to Mixity Issues, (Fn. 501), 52 – 53.
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Eine Kompetenzüberschreitung muss von der Union nicht einmal beabsichtigt sein, da die Abgrenzung der Kompetenzen schwierig und im Einzelfall sogar umstritten sein kann. In der Praxis kann daher unklar sein, wie weit die vorläufige Anwendung eines gemischten Vertrages durch die Union überhaupt reicht.1773 Denn manchmal weist der Ratsbeschluss nur allgemein auf die kompetenzbedingte Beschränkung der vorläufigen Anwendung hin,1774 wodurch das Risiko auf den Vertragspartner abgewälzt wird.1775 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, welche Folgen es für die Mitgliedstaaten hat, wenn die Union bei der vorläufigen Anwendung ihre Kompetenzen überschreitet. Völkerrechtlich haften Union und Mitgliedstaaten für gemischte Abkommen normalerweise als Gesamtschuldner, wenn sie gegenüber ihrem Vertragspartner die Kompetenzverteilung nicht offenlegen.1776 Dasselbe gilt für die vorläufige Anwendung, wenn diese sowohl im Namen der Union als auch der Mitgliedstaaten erfolgt.1777 Wird die vorläufige Anwendung hingegen nur durch die Union erklärt, ist für den Vertragspartner klar erkennbar, dass nur die Union die völkerrechtlichen Verpflichtungen eingeht.1778 Da die Mitgliedstaaten einer internationalen Organisation mit eigenständiger Rechtspersönlichkeit grundsätzlich nicht für deren Verbindlichkeiten haften,1779 hat eine Kompetenzüberschreitung der Union für ihre Mitgliedstaaten keine völkerrechtlichen Auswirkungen. Auch unionsrechtlich entsteht in solchen Fällen für die Mitgliedstaaten keine Pflicht, die fragliche Vertragsbestimmung anzuwenden, um die völkerrechtliche 1772 BVerfGE 143, 65 (93 – 94), (Fn. 108); allerdings findet auch die gegenteilige Auffassung der Kommission durchaus Unterstützung, siehe Frank Hoffmeister, Aktuelle Rechtsfragen in der Praxis der europäischen Außenhandelspolitik, (Fn. 1740), 390. 1773 Ricardo Passos, Some Issues Related to the Provisional Application of International Agreements and the Institutional Balance, (Fn. 1670), 384. 1774 Vgl. z. B. Art. 4 in Beschluss des Rates vom 21. November 2008 über die Unterzeichnung und vorläufige Anwendung des Interim-Wirtschaftspartnerschaftsabkommens zwischen Côte d’Ivoire einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits, ABl. L 59/1 vom 03. 03. 2009. 1775 Andreas J. Kumin/Bittner Philip, Die „gemischten“ Abkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dritten Völkerrechtssubjekten andererseits, 47 Europarecht Beiheft (2012) 75, 86. 1776 Statt vieler Silja Vöneky/Britta Beylage-Haarmann, Art. 216 AEUV, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, (Fn. 1665), Rn. 3; Frank Hoffmeister, Curse of Blessing? Mixed Agreements in the Recent Practice of the European Union and its Member States, (Fn. 1675), 263. 1777 Gernot Haidenhofer, Die parlamentarische Mitwirkung im Hinblick auf die vorläufige Anwendung von gemischten Abkommen der EU und ihrer Mitgliedstaaten, (Fn. 1680), 333. 1778 Gernot Haidenhofer, Die parlamentarische Mitwirkung im Hinblick auf die vorläufige Anwendung von gemischten Abkommen der EU und ihrer Mitgliedstaaten, (Fn. 1680), 332. 1779 Für nähere Ausführungen zur Haftung von internationalen Organisationen und ihren Mitgliedstaaten siehe James Crawford, Brownlie’s Principles of Public International Law, (Fn. 7), 171 – 173.
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Haftung der Union zu verhindern. Denn die Bindung an Verträge der Union nach Art. 216 II AEUV reicht nur soweit wie die Vertragsschlusskompetenz der Union und die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit aus Art. 4 III AEUV darf die Kompetenzverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten nicht unterlaufen.1780 Somit ist eine Kompetenzüberschreitung der Union bei der vorläufigen Anwendung eines gemischten Abkommens für die Mitgliedstaaten völker- und unionsrechtlich unschädlich. 3. Kein Beendigungsrecht einzelner Mitgliedstaaten Bei CETA gaben Deutschland und Österreich eine Erklärung zu Protokoll, der zufolge „sie als Vertragsparteien des CETA“ das in Art. 30.7 III lit. c) CETA vorgesehene Recht zur Beendigung der vorläufigen Anwendung ausüben können.1781 Hintergrund war, dass die Bundesregierung im CETA-Verfahren mit der Beendigungsmöglichkeit gegen den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung argumentiert hatte, obwohl das Beendigungsrecht seinem Wortlaut nach nur den Vertragsparteien zusteht. Da das Bundesverfassungsgericht es nicht als zwingend ansah, dass Deutschland das Beendigungsrecht allein ausüben kann, gab es der Bundesregierung auf, ihre Auffassung durch eine völkerrechtserhebliche Erklärung abzusichern.1782 In der Literatur hingegen wird bezweifelt, ob ein einzelner Mitgliedstaat die vorläufige Anwendung eines gemischten Abkommens beenden kann, wenn diese lediglich im Namen der Union erfolgt.1783 Würde man die vorläufige Anwendung eines gemischten Vertrages mit Kempen und Schiffbauer als zweiten, zum Hauptvertrag akzessorischen Vertrag sehen, wären auch die Mitgliedstaaten Partei. Es wäre dann nur konsequent, wenn ein Mitgliedstaat als actus contrarius zu seiner Zustimmung zur vorläufigen Anwendung diese auch wieder beenden könnte.1784 Diese Auffassung würde allerdings die Verlässlichkeit der vorläufigen Anwendung und
1780 Ausführlicher hierzu Gernot Haidenhofer, Die parlamentarische Mitwirkung im Hinblick auf die vorläufige Anwendung von gemischten Abkommen der EU und ihrer Mitgliedstaaten, (Fn. 1680), 332 – 334. 1781 Ratsprotokollerklärung Nr. 21 von Deutschland und Österreich, abgedruckt in Generalsekretariat des Rates, Erklärungen für das Ratsprotokoll (CETA) (27. 10. 2016), 13463/1/16 REV 1, online: http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-13463-2016-REV-1/de/pdf (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 1782 BVerfGE 143, 65 (100 – 101), (Fn. 108). 1783 So z. B. Stefan Lorenzmeier, Art. 218 AEUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, (Fn. 1694), Rn. 42d; Merijn Chamon, Provisional Application of Treaties: The EU’s Contribution to the Development of International Law, (Fn. 1670), 913. 1784 Vgl. Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 116 – 120.
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damit ihren Nutzen erheblich reduzieren, da neben der Union auch jeder Mitgliedstaat sie innerhalb kurzer Zeit wieder beenden könnte.1785 Anders ist die völkerrechtliche Rechtslage, wenn man wie in der vorliegenden Arbeit davon ausgeht, dass die vorläufige Anwendung durch die Union nur Rechtsbeziehungen zwischen dieser und dem Drittstaat begründet. Schließlich gilt im Völkerrecht der pacta tertiis-Grundsatz, demzufolge Vereinbarungen für Dritte grundsätzlich weder Rechte noch Pflichten begründen.1786 Insofern ist nicht ersichtlich, warum die Union und der Drittstaat in ihrer Vereinbarung den Mitgliedstaaten ein Beendigungsrecht einräumen sollten. Vor diesem Hintergrund bezieht sich der Begriff „Vertragspartei“ in Beendigungsbestimmungen wie Art. 30.7 III lit. c) CETA grundsätzlich nur auf die Parteien der vorläufigen Anwendung. Statt der Unionsseite mit Union und Mitgliedstaaten kann also lediglich die Union gemeint sein. Der Wortlaut „Vertragspartei“ darf hier nicht überbewertet werden. Schließlich verwenden die nach Art. 30.11 CETA ebenfalls authentischen englischen und französischen Vertragsfassungen das weniger auf den Vertrag festgelegte Wort „Party“ bzw. „Partie“. Vor allem aber zeigen die Systematik von Art. 30.7 III CETA und die für die Auslegung relevante Praxis der Vertragsparteien, dass die Parteien der vorläufigen Anwendung nicht mit denen des Vertrages identisch sein müssen.1787 Denn es wurde nie bestritten, dass die vorläufige Anwendung nur im Namen der Union erklärt werden kann, obwohl Art. 30.7 III lit. a) CETA diese Möglichkeit ebenfalls nur für die „Vertragsparteien“ vorsieht. Somit können Beendigungsrechte wie in Art. 30.7 III lit. c) CETA grundsätzlich nicht von einzelnen Mitgliedstaaten ausgeübt werden, wenn die vorläufige Anwendung nur im Namen der Union erfolgt. Anders könnte die Rechtslage jedoch sein, wenn ein Mitgliedstaat eine völkerrechtserhebliche Erklärung zu seinem Beendigungsrecht abgegeben hat. Obwohl Vorbehalte und Auslegungserklärungen bei Verträgen und Vereinbarungen zur vorläufigen Anwendung grundsätzlich möglich sind,1788 wird in der Literatur manchmal bestritten, dass sie einem Mitgliedstaat ein Beendigungsrecht einräumen können.1789 Dies überzeugt, wenn man die Erklärung des Mitgliedstaats auf die 1785 Mauro Gatti, Provisional Application of EU Trade and Investment Agreements: A Pragmatic Solution to Mixity Issues, (Fn. 501), 54. 1786 Vgl. Art. 34 WVK und WVK IO; Internationaler Gerichtshof, North-Sea Continental Shelf (Federal Republic of Germany/Denmark; Federal Republic of Germany/Netherlands), (Fn. 155), 25 – 26 Rn. 28. 1787 Vgl. Art. 31 III lit. b) WVK und WVK IO; Internationaler Gerichtshof, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States of America), Jurisdiction and Admissibility, 1984 ICJ Reports 392, 411 Rn. 42. 1788 Vgl. Art. 19 WVK und WVK IO i. V. m. Art. 2 lit. d) WVK und WVK IO; Völkerrechtskommission, Fifth Report on the Provisional Application of Treaties by Special Rapporteur Juan Manuel Gómez-Robledo, (Fn. 406), 18 – 19 Rn. 67 – 68. 1789 So z. B. Martin Nettesheim, Das CETA-Urteil des BVerfG: eine verpasste Chance?, 69 Neue Juristische Wochenschrift (2016) 3567, 3569.
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Vereinbarung der vorläufigen Anwendung zwischen der Union und dem Drittstaat bezieht. Hier ist es ausgeschlossen, dass sich ein unbeteiligter Mitgliedstaat einseitig ein Beendigungsrecht einräumt. Eine konkludente Vereinbarung mit Union und Drittstaat anzunehmen dürfte wiederum zu weit gehen, selbst wenn diese der Erklärung des Mitgliedstaates nicht widersprechen. Allerdings kann die Erklärung des Mitgliedstaates auch auf das gemischte Abkommen bezogen werden, zu welchem er ab Unterzeichnung Vorbehalte und Auslegungserklärungen formulieren kann.1790 Wenn das Abkommen seine eigene vorläufige Anwendung wie im Falle von CETA ausdrücklich regelt, lässt es sie nur unter den dort festgelegten Rahmenbedingungen zu. Die Erklärung des Mitgliedstaates kann daher so verstanden werden, dass das Abkommen die vorläufige Anwendung nur unter der Voraussetzung zulässt, dass dem Mitgliedstaat ein Beendigungsrecht zusteht. Für eine solche Modifikation genügt es völkerrechtlich bereits, dass der Drittstaat keinen Widerspruch gegen die Erklärung des Mitgliedstaates einlegt.1791 Somit kann eine völkerrechtserhebliche Erklärung des Mitgliedstaates ihm ein Beendigungsrecht sichern. Doch selbst wenn es einem einzelnen Mitgliedstaat völkerrechtlich möglich wäre, die vorläufige Anwendung durch die Union zu beenden, würde er damit gegen Unionsrecht verstoßen. Die Beendigung einer von der Union erklärten vorläufigen Anwendung ist im Unionsrecht nicht speziell geregelt. Sie müsste jedoch als actus contrarius durch die Union erfolgen und nach Art. 218 V AEUV vom Rat beschlossen werden.1792 Auch wenn man stattdessen die Vorschriften über die Beendigung von Verträgen aus Art. 218 IX AEUV (analog) anwendet, würde dies zu keinem anderen Ergebnis führen.1793 Da die Union und die Mitgliedstaaten von dem Entscheidungsverfahren, das in den EU-Verträgen vorgesehen ist, nicht abweichen dürfen,1794 kann auch die Erklärung des Mitgliedstaates nichts an dieser unionsrechtlichen Rechtslage ändern. In jedem Fall würde ein Mitgliedstaat, der ohne Abstimmung mit der Union von einer völkerrechtlichen Beendigungsmöglichkeit Gebrauch macht, seine Loyalitätspflichten gegenüber der Union verletzen.1795 Somit hat ein einzelner Mitgliedstaat grundsätzlich schon kein völkerrechtliches Recht, die vorläufige Anwendung eines gemischten Abkommens durch die Union zu 1790 1791 1792
3569.
Vgl. Art. 19 WVK und WVK IO i. V. m. Art. 2 lit. d) WVK und WVK IO. Vgl. Art. 21 I, III WVK I und WVK IO. Martin Nettesheim, Das CETA-Urteil des BVerfG: eine verpasste Chance?, (Fn. 1789),
1793 Auf diese Vorschrift stellen Kleimann und Kübeck für die Beendigung der vorläufigen Anwendung ab, siehe David Kleimann/Gesa Kübek, The Signing, Provisional Application, and Conclusion of Trade and Investment Agreements in the EU (2016), (Fn. 1740), 20 – 21. 1794 Europäischer Gerichtshof, Kommission/Rat, (Fn. 1769), Rn. 42. 1795 Mauro Gatti, Provisional Application of EU Trade and Investment Agreements: A Pragmatic Solution to Mixity Issues, (Fn. 501), 56.
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beenden. Jedenfalls aber könnte er ein solches Recht nicht unionsrechtskonform ausüben. 4. Keine unionsrechtliche Beendigungspflicht bei endgültigem Scheitern der Ratifikation Verwandt mit den Erwägungen zur Beendigung ist die Frage, welche völker- und unionsrechtlichen Folgen das endgültige Scheitern der Ratifikation durch einen Mitgliedstaat für die vorläufige Anwendung eines gemischten Abkommens hat. Da jedenfalls gemischte Abkommen mit bilateraler Erfüllungsstruktur typischerweise erst nach der Ratifikation durch alle Parteien in Kraft treten,1796 scheitert schließlich das gesamte Abkommen, wenn ein Mitgliedstaat die Ratifikation endgültig ablehnt.1797 Völkerrechtlich führt das endgültige Scheitern des Vertragsschlusses nicht automatisch zur Beendigung der vorläufigen Anwendung, da für diese typischerweise1798 eine schriftliche Notifikation erforderlich ist.1799 Auch in diesem Fall endet die vorläufige Anwendung also nur, wenn die Union ihr Beendigungsrecht ausübt. Allerdings wird in der Literatur manchmal davon ausgegangen, dass es für die Union eine unionsrechtliche Pflicht gibt, die von einem Mitgliedstaat gewünschte Beendigung herbeizuführen.1800 In ähnlicher Weise gab der Rat beim Ratsbeschluss zu CETA mit Blick auf das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zu Protokoll, dass die vorläufige Anwendung von CETA beendet werden „muss und wird“, sofern die Ratifikation durch einen Mitgliedstaat endgültig scheitert.1801 Die naheliegendste Grundlage für eine solche Beendigungspflicht wäre wohl Art. 4 III EUV, der Union und Mitgliedstaaten zur loyalen Zusammenarbeit verpflichtet. Gegen einen Beendigungsanspruch eines Mitgliedstaates aus dieser Pflicht spricht jedoch, dass die vorläufige Anwendung durch die Union nur deren (aus1796
Vgl. z. B. Art. 30.7 I, II CETA. Für Vorschläge, wie das endgültige Scheitern eines gemischten Abkommens in einem solchen Fall noch abgewendet werden könnte, siehe David Kleimann/Gesa Kübek, The Signing, Provisional Application, and Conclusion of Trade and Investment Agreements in the EU (2016), (Fn. 1740), 23 – 24. 1798 Vgl. Art. 25 II WVK und WVK IO; auch wenn die Beendigung wie in Art. 30.7 III lit. c) CETA speziell geregelt ist, wird typischerweise eine schriftliche Notifikation verlangt. 1799 David Kleimann/Gesa Kübek, The Signing, Provisional Application, and Conclusion of Trade and Investment Agreements in the EU (2016), (Fn. 1740), 22. 1800 So scheint z. B. Gatti implizit von einer Beendigungspflicht auszugehen, wenn er betont, dass die Beendigung durch die Union nicht unmittelbar erfolgen muss, weil sich die Meinung des Mitgliedstaats noch einmal ändern kann. Vgl. Mauro Gatti, Provisional Application of EU Trade and Investment Agreements: A Pragmatic Solution to Mixity Issues, (Fn. 501), 56. 1801 Vgl. Ratsprotokollerklärung Nr. 21 durch den Rat, abgedruckt in Generalsekretariat des Rates, Erklärungen für das Ratsprotokoll (CETA), (Fn. 1781). 1797
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schließliche) Kompetenzen betrifft.1802 Zwar muss sie bei der Ausübung ihrer Kompetenzen auf die Mitgliedstaaten Rücksicht nehmen,1803 doch werden diese nicht beeinträchtigt, wenn die vorläufige Anwendung nur durch die Union erfolgt. Schließlich könnte die Union den Unionsteil auch als EU-only-Abkommen schließen und selbst wenn die vorläufige Anwendung einmal über den Unionsteil hinausgeht, hat dies für die Mitgliedstaaten weder völker- noch unionsrechtliche Konsequenzen.1804 Aufschlussreich ist auch der Vergleich mit dem Schicksal des gemischten Abkommens. Hier wird sogar vertreten, dass ein Mitgliedstaat den Vertragsschluss nicht komplett ablehnen darf, wenn er stattdessen für sein Staatsgebiet durch Vorbehalt die Anwendung derjenigen Vertragsbestimmungen ausschließen kann, die nicht in der ausschließlichen Zuständigkeit der Union liegen.1805 Nach dieser Auffassung hätte die Union wohl erst recht keine Pflicht, die vorläufige Anwendung des Unionsteils zu beenden. Eine Beendigungspflicht könnte jedoch ausnahmsweise bestehen, wenn der Rat wie bei CETA eine entsprechende Erklärung zu Protokoll gegeben und damit möglicherweise eine Selbstverpflichtung ausgelöst hat. Allerdings sprechen die besseren Argumente dagegen, hier aus Vertrauensschutzerwägungen eine Beendigungspflicht abzuleiten. Schließlich ist der Rat gar nicht befugt, allein über die Beendigung zu entscheiden, da die Beendigung als actus contrarius zur Vereinbarung der vorläufigen Anwendung nur auf Initiative der Kommission1806 erfolgen kann.1807 Auch ohne unionsrechtliche Pflicht dürfte es für die Union allerdings in ihrem politischen und wirtschaftlichen Interesse liegen, die vorläufige Anwendung eines gescheiterten gemischten Abkommens zu beenden und stattdessen ein EU-onlyAbkommen abzuschließen. Denn die vorläufige Anwendung hat gegenüber dem 1802 Vgl. Fachbereich Europa Deutscher Bundestag, Fragen zur vorläufigen Anwendung des EU-Ukraine Assoziierungsabkommens (11. 04. 2016), PE 6 – 3000 – 60/16, 8. 1803 Zu den Rücksichtnahmepflichten der Union siehe Wolfgang Kahl, Art. 4 EUV, in: Calliess, Christian/Ruffert, Matthias, EUV/AEUV (6. Aufl. 2022), Rn. 172 – 174. 1804 Zu den völker- und unionsrechtlichen Konsequenzen der vorläufigen Anwendung eines gemischten Abkommens durch die Union siehe Kapitel 8 A.III.2. 1805 David Kleimann/Gesa Kübek, The Signing, Provisional Application, and Conclusion of Trade and Investment Agreements in the EU (2016), (Fn. 1740), 23 – 24. 1806 Wie in Kapitel 8 A.II.1. dargelegt wurde, kann der Rat nach Art. 218 V AEUV nur auf Initiative der Kommission über die vorläufige Anwendung eines Vertrages entscheiden. Nach anderer Ansicht kann der Rat hingegen auch eine vorläufige Anwendung beschließen, die vom Verhandlungsführer nicht vorgeschlagen würde. Siehe z. B. Catherine Flaesch-Mougin/Isabelle Bosse-Platière, L’application provisoire des accords de l’union européenne, (Fn. 1679), 300 – 301. Konsequenterweise müsste man es bei dieser Ansicht auch für möglich halten, dass der Rat ohne Initiative der Kommission über die Beendigung entscheidet. 1807 Fachbereich Europa Deutscher Bundestag, Zur rechtlichen Wirkung der Protokollerklärungen anlässlich der Ratsbeschlüsse über die Unterzeichnung und vorläufige Anwendung des CETA (08. 12. 2016), PE 6 – 3000 – 156/16, 23.
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Vertragsschluss einige Nachteile. Insbesondere bietet sie den Parteien und wirtschaftlichen Akteuren weniger Rechts- und Planungssicherheit, weil sie leicht beendet werden kann.1808 Bei gemischten Abkommen kommt noch die Unsicherheit über die Reichweite der vorläufigen Anwendung hinzu, die durch die kompetenzbedingte Beschränkung ihres Umfangs erzeugt werden.1809 Außerdem kann die teilweise vorläufige Anwendung den Inhalt des Vertrages fragmentieren und dadurch das sorgsam ausgehandelte vertragliche Gleichgewicht beeinträchtigen.1810 Somit hat die Union zwar keine unionsrechtliche Pflicht zur Beendigung der vorläufigen Anwendung, wenn die Ratifikation eines gemischten Abkommens durch einen Mitgliedstaat endgültig scheitert, doch kann die Beendigung hier in ihrem Interesse liegen.
B. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die vorläufige Anwendung von Verträgen der Union Für die europäische Integration enthält das Grundgesetz mit Art. 23 GG besondere Regelungen. Entsprechen wird auch die vorläufige Anwendung von Verträgen der Union anders behandelt als dies in Kapitel 6 für Verträge Deutschlands dargestellt wurde. Wie sich zeigen wird, kann die vorläufige Anwendung von Verträgen der Union Wirkungen im Unionsrecht und darüber hinaus auch in der deutschen Rechtsordnung erzeugen (I.). Was die Beteiligungsrechte des deutschen Gesetzgebers an der vorläufigen Anwendung durch die Union angeht, so hat dieser nach Art. 23 II, III GG ein Informations- und Stellungnahmerecht (II.). Soweit bei einem gemischten Abkommen auch Deutschland die vorläufige Anwendung erklären möchte, ist analog Art. 59 II 1 GG die vorherige Zustimmung des Gesetzgebers erforderlich (III.).
I. Wirkungen im Unionsrecht und der deutschen Rechtsordnung Völkerrechtlich sind die Union und ihre Mitgliedstaaten an die von ihnen abgeschlossenen Übereinkommen gebunden, weil für sie als Völkerrechtssubjekte die
1808 Mauro Gatti, Provisional Application of EU Trade and Investment Agreements: A Pragmatic Solution to Mixity Issues, (Fn. 501), 54; Frank Hoffmeister, Curse of Blessing? Mixed Agreements in the Recent Practice of the European Union and its Member States, (Fn. 1675), 258 – 259. 1809 Ricardo Passos, Some Issues Related to the Provisional Application of International Agreements and the Institutional Balance, (Fn. 1670), 384. 1810 Catherine Flaesch-Mougin/Isabelle Bosse-Platière, L’application provisoire des accords de l’union européenne, (Fn. 1679), 312.
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in Art. 26 WVK und WVK IO kodifizierte Pflicht zur Vertragserfüllung gilt.1811 Auf Ebene des Unionsrechts wiederum stellt Art. 216 II AEUV klar, dass Union und Mitgliedstaaten an die von der Union geschlossenen Übereinkommen gebunden sind. Entsprechend geht der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Verträge der Union von ihrem Inkrafttreten an einen „integrierenden Bestandteil“ der Gemeinschafts- bzw. Unionsrechtsordnung bilden.1812 Dies wird in der Literatur überwiegend als monistisches Verständnis von Völker- und Unionsrechtsordnung gedeutet, demzufolge Völkerrecht auch ohne Transformationsakt Teil der Unionsrechtsordnung wird.1813 Doch auch über völkerrechtliche Verträge hinaus ist die Union nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs an das Völkerrecht – insbesondere das Völkergewohnheitsrecht – gebunden.1814 Da diese Bindungswirkung anders als bei völkerrechtlichen Übereinkommen von den europäischen Verträgen nicht ausdrücklich vorgeschrieben wird, deutet auch diese Rechtsprechungslinie auf ein monistisches Verständnis von Völker- und Unionsrecht hin.1815 Wenn nicht nur völkerrechtliche Übereinkommen, sondern auch andere Völkerrechtsquellen Wirkungen im Unionsrecht entfalten können, muss dies auch für die vorläufige Anwendung gelten. Denn unabhängig von ihrer genauen Rechtsnatur ist anerkannt, dass die vorläufige Anwendung rechtsverbindliches Völkerrecht darstellt.1816 Insofern ist es wenig überraschend, dass neben der Literatur1817 auch die Rechtsprechung davon ausgeht, dass die Rechte und Pflichten aus der vorläufigen Anwendung Bestandteil der Unionsrechtsordnung werden. Diese Auffassung der Rechtsprechung zeigte sich im Fall Hellenische Republik v. Kommission. Hier begründeten das Gericht Erster Instanz und später auch der Europäische Gerichtshof eine Haftung Griechenlands unter anderem mit der vorläufigen Anwendung eines nicht ratifizierten Vertrages.1818 Obwohl es sich dabei um einen internen Vertrag zwischen der Union und ihren Mitgliedstaaten handelte, ist nicht davon auszugehen, 1811 Silja Vöneky/Britta Beylage-Haarmann, Art. 216 AEUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, (Fn. 1665), Rn. 25. 1812 M. w. N. Europäischer Gerichtshof, Sevince (1990), Rs. C–192/89 Slg. 1990 S. I–3461, Rn. 8; Europäischer Gerichtshof, Haegeman (1974), Rs. 181/73 Slg. 1974 S. 449, Rn. 2/6. 1813 Siehe hierzu m. w. N. zu den verschiedenen Ansichten Silja Vöneky/Britta BeylageHaarmann, Art. 216 AEUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, (Fn. 1665), Rn. 27. 1814 Vgl. m. w. N. Europäischer Gerichtshof, Intertanko (2008), Rs. C–308/06, Rn. 51; Europäischer Gerichtshof, Poulsen und Diva (1992), Rs. C–286/90 Slg. 1992 S. I–6048, Rn. 9. 1815 Kirsten Schmalenbach, Art. 216 AEUV, in: Calliess, Christian/Ruffert, Matthias, EUV/ AEUV (6. Aufl. 2022), Rn. 32. 1816 Für eingehendere Ausführungen zur Rechtsverbindlichkeit der vorläufigen Anwendung siehe Kapitel 2 C.I. 1817 So z. B. Mauro Gatti, Provisional Application of EU Trade and Investment Agreements: A Pragmatic Solution to Mixity Issues, (Fn. 501), 49; Gregorio Garzón Clariana, L’application provisoire des accords internationaux de la Communauté, (Fn. 1687), 488 – 490. 1818 Europäischer Gerichtshof, Hellenische Republik v. Kommission, (Fn. 189), Rn. 61; Gericht Erster Instanz, Hellenische Republik v. Kommission, (Fn. 173), Rn. 101.
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dass das Ergebnis bei der vorläufigen Anwendung eines Vertrages mit einem Drittstaat anders ausfallen würde.1819 Somit können nicht nur in Kraft getretene, sondern auch vorläufig angewendete Verträge Bestandteil des Unionsrechts werden. Die vorläufig anwendbaren Vertragsbestimmungen können dabei grundsätzlich sogar unmittelbar anwendbar sein.1820 In der Praxis wird die unmittelbare Anwendbarkeit allerdings oftmals vom jeweiligen Ratsbeschluss zur vorläufigen Anwendung ausdrücklich ausgeschlossen.1821 Bei der vorläufigen Anwendung von gemischten Abkommen ist zu beachten, dass diese nur insoweit Bestandteil der Unionsrechtsordnung werden als es sich um eine vorläufige Anwendung durch die Union handelt. Denn selbst bei bereits in Kraft getretenen gemischten Abkommen wird der mitgliedstaatlichen Vertragsteil nicht Bestandteil des Unionsrechts, da anderenfalls die in den europäischen Verträgen festgelegte Kompetenzordnung verschoben würde.1822 Diese Erwägung überzeugt und muss auch auf die vorläufige Anwendung übertragen werden. Sofern neben der vorläufigen Anwendung durch die Union auch eine vorläufige Anwendung durch die Mitgliedstaaten erfolgt, wird diese folglich nicht Bestandteil der Unionsrechtsordnung. Wenn völkerrechtliche Übereinkommen der Union Teil des Unionsrechts werden, nehmen sie auch an dessen Anwendungsvorrang gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten teil.1823 Dasselbe gilt, wenn ein Übereinkommen durch die Union vorläufig angewendet wird.1824 1819 Catherine Flaesch-Mougin/Isabelle Bosse-Platière, L’application provisoire des accords de l’union européenne, (Fn. 1679), 319. 1820 Mauro Gatti, Provisional Application of EU Trade and Investment Agreements: A Pragmatic Solution to Mixity Issues, (Fn. 501), 49. 1821 Vgl. z. B. Art. 7 in Rat der Europäischen Union, Beschluss des Rates vom 25. Juni 2012 über die Unterzeichnung – im Namen der Union – des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Zentralamerika andererseits und die vorläufige Anwendung des Handelsteils (Teil IV), 2012/734/ EU, ABl. L 346/1 vom 15. 12. 2012; Art. 7 in Beschluss des Rates vom 31. Mai 2012 zur Unterzeichnung – im Namen der Union – des Handelsübereinkommens zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits und über die vorläufige Anwendung dieses Übereinkommens, (Fn. 1771); Art. 4 in Beschluss (EU) 2016/1623 des Rates vom 1. Juni 2016 über die Unterzeichnung – im Namen der Europäischen Union – und die vorläufige Anwendung des Wirtschaftspartnerschaftsabkommens zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und den SADC-WPAStaaten andererseits, CELEX Nr. 32016D1623, ABl. L 250/1 vom 16. 09. 2016. 1822 So z. B. Silja Vöneky/Britta Beylage-Haarmann, Art. 216 AEUV, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, (Fn. 1665), Rn. 32 – 33; Kirsten Schmalenbach, Art. 216 AEUV, in: Calliess/ Ruffert, (Fn. 1815), Rn. 43. 1823 Kirsten Schmalenbach, Art. 216 AEUV, in: Calliess/Ruffert, (Fn. 1815), Rn. 52; Rudolf Mögele, Art. 216 AEUV, in: Streinz, (Fn. 1664), Rn. 60. 1824 Fachbereich Europa Deutscher Bundestag, Fragen zur vorläufigen Anwendung des EU-Ukraine Assoziierungsabkommens, (Fn. 1802), 6.
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Die Bindungswirkung der vorläufigen Anwendung entfällt in der deutschen Rechtsordnung jedoch, wenn ihre Grundlage ein ultra-vires-Akt ist.1825 Aus Sicht der deutschen Rechtsordnung beruht die Geltung des Unionsrechts schließlich auf den Vertragsgesetzen zu den EU-Verträgen, weshalb die Bindung nur soweit reichen kann wie Deutschland ihr zugestimmt hat und verfassungsrechtlich zustimmen durfte.1826 Daher ist Unionsrecht in der deutschen Rechtsordnung nur verbindlich, wenn es die Grenzen der Ermächtigung durch den deutschen Gesetzgeber nicht überschreitet.1827Allerdings nimmt das Bundesverfassungsgericht einen solchen ultra vires-Akt nur bei einem hinreichend qualifizierten Verstoß an, also wenn ein Akt offensichtlich kompetenzwidrig ist und zu einer strukturell bedeutsamen Kompetenzverschiebung zulasten der Mitgliedstaaten führt.1828 Da die ultra-viresKontrolle nur europafreundlich ausgeübt werden darf, muss dem Europäischen Gerichtshof zudem im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens die Gelegenheit gegeben werden, sich zur Auslegung und Gültigkeit der fraglichen Unionsmaßnahmen zu äußern.1829 Bislang hat das Bundesverfassungsgericht diese engen Voraussetzungen erst einmal1830 als erfüllt angesehen und einen ultra-vires-Akt angenommen. Weiterhin kann die Anwendbarkeit von Unionsrecht in der deutschen Rechtsordnung daran scheitern, dass die verfassungsrechtliche Grenze in Gestalt des unantastbaren Kerngehalts der Verfassungsidentität nach Art. 23 I 3 GG i. V. m. Art. 79 III GG nicht gewahrt wird.1831 Auch in einem solchen Fall würde die vorläufige Anwendung eines Vertrages keine Wirkungen in der deutschen Rechtsordnung entfalten. Sofern die vorläufige Anwendung eines Übereinkommens durch die Union jedoch innerhalb dieser Grenzen bleibt, wird sie als Bestandteil des Unionsrechts auch Teil der deutschen Rechtsordnung und genießt dort Anwendungsvorrang.
II. Beteiligung des deutschen Gesetzgebers durch ein Informations- und Stellungnahmerecht Für den Bereich der Europäischen Union verleiht Art. 23 GG dem Parlament besondere Beteiligungsrechte, um die im Zuge der Europäisierung erfolgte Kom-
1825 Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 121. 1826 BVerfGE 123, 267 (402) – Lissabon (2009). 1827 BVerfGE 89, 155 (188) – Maastricht (1993), (Fn. 1232). 1828 BVerfGE 126, 286 (304, 309) – Honeywell (2010). 1829 BVerfGE 126, 286 (303 – 304), (Fn. 1828). 1830 BVerfGE 154, 17 – PSPP (2020). 1831 BVerfGE 123, 267 (354), (Fn. 1826).
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petenzverschiebung zugunsten der Exekutive zu kompensieren.1832 Nach Art. 23 II GG wirken Bundestag und Bundesrat in „Angelegenheiten der Europäischen Union“ mit und müssen hier von der Bundesregierung so früh wie möglich und umfassend unterrichtet werden. Wirkt die Bundesregierung an „Rechtsetzungsakten der Europäischen Union“ mit, muss sie dem Bundestag nach Art. 23 III GG i. V. m. § 8 EUZBBG vorher Gelegenheit zur Stellungnahme geben und diese berücksichtigen. Hinsichtlich der vorläufigen Anwendung eines Abkommens durch die Union ist anerkannt, dass der entsprechende Ratsbeschluss nicht nur eine Angelegenheit, sondern auch einen Rechtsetzungsakt der Union darstellt. Folglich hat der Bundestag ein Informations- und Stellungnahmerecht, wenn der deutsche Vertreter an einem Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung eines Übereinkommens mitwirken soll.1833 Wie auch § 8 IV 6 EUZBBG zeigt, ist die Bundesregierung nicht strikt an die Stellungnahme gebunden, sondern kann auch eine abweichende Entscheidung treffen. Stärkere Beteiligungsrechte und -pflichten sollen nach einer Ansicht bestehen, wenn die Entscheidung über die vorläufige Anwendung den Unionsteil eines gemischten Freihandelsabkommens der neuen Generation betrifft. So vertritt Weiß, dass sich das Befassungsrecht des Bundestages hier aufgrund seiner Integrationsverantwortung sogar zu einer Befassungspflicht verdichtet.1834 Schließlich seien solche Freihandelsabkommen von besonderer politischer Bedeutung, da sie nicht mehr nur klassische Handelsthemen betreffen und Vertragsorgane vorsehen, durch die sie sich dynamisch fortentwickeln können. Zudem betreffe die Entscheidung des Rates über die Reichweite der vorläufigen Anwendung auch die Kompetenzverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten und könne bei Überdehnung auch den Entscheidungsbereich des deutschen Gesetzgebers berühren. Dieser Auffassung ist teilweise zuzustimmen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet die Integrationsverantwortung die deutschen Verfassungsorgane auf die Einhaltung des Integrationsprogrammes hinzuwirken, wenn ein hinreichend qualifizierter Kompetenzverstoß vorliegt oder die Verfassungsidentität verletzt wird.1835 Insofern erscheint es naheliegend, dass der Bundestag sich auch mit einer Entscheidung über die vorläufige Anwendung befassen muss, wenn diese erkennbar zu einem hinreichend qualifizierten Kompe1832
Siehe hierzu BVerfGE 131, 152 (196 – 198), (Fn. 1243). Fachbereich Europa Deutscher Bundestag, Fragen zu der Mitwirkung des Bundestages bei der vorläufigen Anwendung und dem Abschluss von Freihandelsabkommen der EU (13. 04. 2016), PE 6 – 3000 – 53/16, 12. 1834 Für die vollständige Argumentation von Weiß siehe Wolfgang Weiß, Verfassungsprobleme der vorläufigen Anwendung von EU-Freihandelsabkommen (Gutachten), 5, 7, online: https://www.researchgate.net/publication/299512975_Verfassungsprobleme_der_vorlaufigen_ Anwendung_von_EU_Freihandelsabkommen (zuletzt geprüft am 26. 02. 2022). 1835 BVerfGE 151, 202 (298 – 301) – Bankenunion (2019); BVerfGE 142, 123 (211) – OMTVorlagebeschluss (2016). 1833
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tenzverstoß oder einer Verletzung der Verfassungsidentität führen würde.1836 Obwohl der Bundestag hinsichtlich der Art und Weise seiner Reaktion über ein weites Ermessen verfügt, handelt es sich dabei nicht nur um eine politische Pflicht.1837 Denn abgesehen davon, dass auch bei grundrechtlichen Schutzpflichten ein weites Ermessen besteht, kann sich die Pflicht aus der Integrationsverantwortung unter bestimmten Voraussetzungen zu einer konkreten Handlungspflicht verdichten.1838 Allerdings kann eine Befassungspflicht nicht pauschal vor jedem Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung eines Freihandelsabkommens der neuen Generation angenommen werden. Ob überhaupt ein hinreichend qualifizierter Kompetenzverstoß oder eine Verletzung der Verfassungsidentität möglich ist, hängt schließlich vom Inhalt des jeweiligen Abkommens und dem Umfang seiner vorläufigen Anwendung ab. Somit verdichtet sich das Stellungnahmerecht des Bundestages nur in bestimmten Fällen zu einer Befassungspflicht. Laut Weiß soll die Integrationsverantwortung bei der vorläufigen Anwendung von Freihandelsabkommen der neuen Generation weiterhin dazu führen, dass aus dem bloßen Stellungnahmerecht ein parlamentarisches Zustimmungserfordernis wird.1839 Hierfür verweist er darauf, dass Freihandelsabkommen wie CETA Vertragsorgane einsetzen, die im Zusammenhang mit dem Vertrag rechtserhebliche Entscheidungen treffen können und damit ihrerseits Hoheitsrechte ausüben. Sofern die Kompetenz der Union zu ihrer Einrichtung nicht bereits eine verfassungswidrige Blankettermächtigung darstelle, müsse der Bundestag aufgrund seiner Integrationsverantwortung an der Ausübung solch einer wenig bestimmten Kompetenz mitwirken. Ein solches Zustimmungsrecht kann aus der Integrationsverantwortung allerdings nicht abgeleitet werden. Denn auch in Angelegenheiten der Union hat die Exekutive grundsätzlich eine Vorrangstellung, zumal auch sie Träger der Integrationsverantwortung ist.1840 Zudem existiert durch die Zustimmung des Gesetzgebers zu den Europäischen Verträgen bereits ein Ermächtigungsrahmen, den die besonderen Beteiligungsrechte aus Art. 23 GG lediglich sichern und ergänzen sollen.1841 Eine erneute Zustimmung des Gesetzgebers ist daher nur in besonderen Fällen erfor-
1836 Vgl. Fachbereich Europa Deutscher Bundestag, Fragen zu der Mitwirkung des Bundestages bei der vorläufigen Anwendung und dem Abschluss von Freihandelsabkommen der EU, (Fn. 1833), 9 – 10. 1837 So aber wohl Ibid. 1838 Vgl. BVerfGE 142, 123 (210 – 213), (Fn. 1835). 1839 Für die vollständige Argumentation von Weiß siehe Wolfgang Weiß, Verfassungsprobleme der vorläufigen Anwendung von EU-Freihandelsabkommen (Gutachten), (Fn. 1834), 6 – 7. 1840 Vgl. Rupert Scholz, Art. 23 GG, in: Dürig, Günter/Herzog, Roman/Scholz, Rupert, Grundgesetz Kommentar (2021), 95. EL, Rn. 153. 1841 Vgl. Frank Schorkopf, Art. 23 GG, in: Kahl, Wolfgang/Waldhoff, Christian/Walter, Christian, Bonner Kommentar zum Grundgesetz (2011), 153. EL, Rn. 129 – 131; Rupert Scholz, Art. 23 GG, in: Dürig/Herzog/Scholz, (Fn. 1840), Rn. 153.
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derlich.1842 Die vorläufige Anwendung durch die Union ist kein solcher Fall. Denn sie ist von Art. 218 V AEUV ausdrücklich vorgesehen und kann inhaltlich nur Kompetenzen betreffen, deren Ausübung mit Zustimmung des Gesetzgebers ausschließlich der Union zugewiesen wurde.1843 Folglich überschreitet die vorläufige Anwendung den vom Gesetzgeber gesetzten Ermächtigungsrahmen im Regelfall nicht, weshalb die in Art. 23 II, III GG vorgesehenen Mitwirkungsrechte zur Wahrnehmung der Integrationsverantwortung ausreichen. Würde man trotzdem ein Zustimmungsrecht annehmen, würde dies nicht nur die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung beschränken, sondern auch die vom Grundgesetz bewusst vorgenommene funktionsgerechte Gewaltenteilung unterlaufen.1844 Ohnehin muss bei der vorläufigen Anwendung kein Zustimmungsrecht konstruiert werden, um eine vermeintlich mangelhafte Parlamentsbeteiligung zu kompensieren, da zumindest das Europäische Parlament bereits über ein faktisches Zustimmungsrecht verfügt.1845 Somit hat der Bundestag nur das in Art. 23 II, III GG vorgesehene Informationsund Stellungnahmerecht. Ein Zustimmungsrecht besteht hingegen nicht und eine Pflicht zur Befassung mit der vorläufigen Anwendung entsteht nur in bestimmten Fällen.
III. Beteiligungsrechte in Bezug auf den mitgliedstaatlichen Teil gemischter Abkommen Üblicherweise wird bei gemischten Abkommen der mitgliedstaatliche Teil von Deutschland nicht vorläufig angewendet.1846 Soll jedoch auch Deutschland die vorläufige Anwendung erklären, stellen sich hier ähnliche Fragen zur Beteiligung des deutschen Gesetzgebers wie beim Abschluss von gemischten Abkommen. Zunächst einmal ist daher zu klären, ob sich die Beteiligungsrechte nach Art. 59 II GG oder nach Art. 23 I GG richten. So vertritt Pautsch, dass der Abschluss gemischter Abkommen nicht nur bei politischen oder gesetzesinhaltlichen Verträgen im Sinne des Art. 59 II 1 GG, sondern wegen Art. 23 II 2 GG stets ein Zustim1842
Martin Nettesheim, Die Integrationsverantwortung – Vorgaben des BVerfG und gesetzgeberische Umsetzung, 63 Neue Juristische Wochenschrift (2010) 177, 178. 1843 Wie in Kapitel 8 A.III.2. dargelegt wurde, hat eine weiterreichende vorläufige Anwendung durch die Union weder völker- noch unionsrechtliche Konsequenzen für die Mitgliedstaaten. 1844 Fachbereich Europa Deutscher Bundestag, Fragen zu der Mitwirkung des Bundestages bei der vorläufigen Anwendung und dem Abschluss von Freihandelsabkommen der EU, (Fn. 1833), 11 – 12. 1845 Thomas Kleinlein, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 80), 384 – 385. 1846 Fachbereich Europa Deutscher Bundestag, Das Gutachten des EuGH zum EU-Freihandelsabkommen mit Singapur (EUSFTA), (Fn. 1745), 28 – 29.
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mungsgesetz erfordert. Dies begründet er damit, dass die Ratifikation der Schließung von Kompetenzlücken dient und damit immer eine implizite Übertragung von Hoheitsrechten darstellt.1847 Diese Argumentation kann jedoch nicht überzeugen. Da der mitgliedstaatliche Vertragsteil nie Bestandteil des Unionsrechts wird, ist auch keine implizite Übertragung von Hoheitsrechten an die Union ersichtlich.1848 Überzeugender ist daher die Auffassung, dass sich die Zustimmungsbedürftigkeit des Vertragsschlusses nach Art. 59 II 1 GG bestimmt.1849 Ob ein gemischtes Abkommen nach Art. 59 II 1 GG zustimmungsbedürftig ist, richtet sich allerdings nicht nur nach dem mitgliedstaatlichen Teil, sondern nach dem gesamten Abkommen. Dies ist nicht nur für die Praxis einfacher, sondern trägt auch dem Umstand Rechnung, dass Deutschland ohne Offenlegung der Zuständigkeitsverteilung als Gesamtschuldner für das gesamte Abkommen haftet.1850 Diese Überlegungen lassen sich auch auf die vorläufige Anwendung des mitgliedstaatlichen Teils übertragen. Wenn neben dem Unionsteil auch der mitgliedstaatliche Vertragsteil vorläufig angewendet wird entsteht schließlich ein Zustand, der dem Inkrafttreten des gemischten Abkommens sehr ähnlich ist. Somit sind für die Frage, ob die vorläufige Anwendung eines gemischten Abkommens durch Deutschland analog Art. 59 II 1 GG1851 zustimmungsbedürftig ist, auch die von der Union vorläufig angewendeten Vertragsbestimmungen zu berücksichtigen. Mit von Arnauld ist weiterhin davon auszugehen, dass im Vorfeld des Vertragsschlusses Unterrichtungspflichten der Regierung aus Art. 23 II 2 GG bestehen und sich auf den gesamten Vertrag beziehen.1852 Schließlich ist Art. 23 II GG nach der
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Arne Pautsch, Der Abschluss des Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) als „gemischtes Abkommen“: Ein Anwendungsfall des Art. 23 I GG, 35 Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (2016) 1294, 1295. 1848 Bernd Grzeszick, Völkervertragsrecht in der parlamentarischen Demokratie: CETA als Präzedenzfall für die demokratischen Anforderungen an völkerrechtliche Verträge, 35 Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (2016) 1753, 1759. 1849 So z. B. Andreas von Arnauld, Beteiligung des Deutschen Bundestages an gemischten völkerrechtlichen Abkommen, (Fn. 1174), 273; Wolfgang Weiß, Verfassungsprobleme des Abschlusses und der vorläufigen Anwendung des CETA Freihandelsabkommens mit Kanada: Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie des Deutschen Bundestages am 5. September 2016 (31. 08. 2016), Ausschussdrucksache 18(9)926, 24. 1850 Wolfgang Weiß, Verfassungsprobleme des Abschlusses und der vorläufigen Anwendung des CETA Freihandelsabkommens mit Kanada: Stellungnahme zur Öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie des Deutschen Bundestages am 5. September 2016, (Fn. 1849), 25 – 26; Franz C. Mayer, Die Beteiligung des Deutschen Bundestages an gemischten völkerrechtlichen Abkommen der EU (2016), (Fn. 1747), Rn. 20. 1851 Für eingehendere Ausführungen zur Frage, warum Art. 59 II 1 GG auf die vorläufige Anwendung nicht direkt, sondern analog angewendet wird, siehe Kapitel 6 C. 1852 Andreas von Arnauld, Beteiligung des Deutschen Bundestages an gemischten völkerrechtlichen Abkommen, (Fn. 1174), 272.
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ESM-Informationsrechte-Entscheidung1853 des Bundesverfassungsgerichts auch auf Verträge anwendbar, die in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Unionsrecht stehen.1854 Hierzu zählen gemischte Abkommen, da diese hybriden Verträge von Union und Mitgliedstaaten nicht nur gemeinsam durchgeführt werden, sondern ihnen auch unter Überwindung der Kompetenzgrenzen die Verfolgung eines gemeinsamen Ziels ermöglichen.1855 Somit steht Bundestag und Bundesrat während des Vertragsschlussverfahrens ein Informationsrecht aus Art. 23 II 2 GG in Bezug auf den gesamten Vertrag zu. Soll ein Teil des gemischten Abkommens durch Deutschland vorläufig angewendet werden, bedarf dies analog Art. 59 II 1 GG der vorherigen Zustimmung des Gesetzgebers.
C. Frustrationsverbot bei Verträgen der Union Auch bei Verträgen der Union lösen die Unterzeichnung oder die Ratifikation gewisse Bindungen für Union und Mitgliedstaaten aus. Diese Wirkungen können sich aus dem Frustrationsverbot oder dem europäischen Grundsatz des Vertrauensschutzes ergeben (I.). Insofern stellt sich auch hier die Frage danach, ob und in welchem Umfang auf unionaler oder mitgliedstaatlicher Ebene die Parlamente beteiligt werden (II.).
I. Wirkungen des völkerrechtlichen Frustrationsverbotes bei Verträgen der Union Vorvertragliche Pflichten können sich im Unionsrecht neben dem völkerrechtlichen Frustrationsverbot auch aus dem europäischen Grundsatz des Vertrauensschutzes ergeben, weshalb die Unterschiede zwischen beiden Pflichten herausgearbeitet werden sollen (1.). Anschließend stellt sich die Frage nach den Wirkungen des völkerrechtlichen Frustrationsverbotes bei gemischten Abkommen (2.).
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Für den relevanten Abschnitt siehe BVerfGE 131, 152 (199 – 202), (Fn. 1243). Andreas von Arnauld, Beteiligung des Deutschen Bundestages an gemischten völkerrechtlichen Abkommen, (Fn. 1174), 272. 1855 Andreas von Arnauld, Beteiligung des Deutschen Bundestages an gemischten völkerrechtlichen Abkommen, (Fn. 1174), 272; a. A. Bernd Grzeszick/Juliane Hettche, Zur Beteiligung des Bundestages an gemischten völkerrechtlichen Abkommen: Internationale Freihandelsabkommen als Herausforderung des deutschen Europa- und Außenverfassungsrechts, 141 Archiv des öffentlichen Rechts (2016) 225, 244 – 249. 1854
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1. Vergleich des völkerrechtlichen Frustrationsverbotes und des europäischen Grundsatzes des Vertrauensschutzes Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist die Union als Völkerrechtssubjekt nicht nur an ihre Übereinkommen, sondern auch an das sonstige Völkerrecht – insbesondere das Völkergewohnheitsrecht – gebunden.1856 Dieses wird damit auch ohne einen Transformationsakt Teil der Unionsrechtsordnung.1857 Dass speziell das völkerrechtliche Frustrationsverbot auch für die Union gilt, ist in Literatur1858 und Rechtsprechung bereits anerkannt. Der wichtigste Fall hierzu ist Opel Austria,1859 in welchem das Gericht Erster Instanz eine Verordnung der Europäischen Gemeinschaft für nichtig erklärte. Diese neue Verordnung hatte für den Grenzübertritt von Waren eine finanzielle Abgabe erhoben, obwohl das Inkrafttreten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, welches Zölle sowie Abgaben gleicher Wirkung untersagte, schon absehbar war. In seiner Urteilsbegründung führte das Gericht unter anderem aus, dass der gewohnheitsrechtliche Grundsatz von Treu und Glauben in Art. 18 WVK kodifiziert wird und auch für die Europäische Gemeinschaft verbindlich ist.1860 Diese Aussage wurde inzwischen in einer späteren Entscheidung nochmals bestätigt.1861 Im Fall Opel Austria hatte selbst der Rat nicht bestritten, dass das Frustrationsverbot für die Union verbindlich ist. Vielmehr argumentierte er, dass keine Verletzung des Frustrationsverbotes vorliege und Individuen die zwischenstaatliche Norm ohnehin nicht vor Gericht geltend machen könnten.1862 Statt sich mit dieser Argumentation zum Frustrationsverbot auseinanderzusetzen, wich das Gericht auf seine Rechtsprechung zum Grundsatz des Vertrauensschutzes aus und wendete diese auf den Abschluss von Verträgen an.1863 Demzufolge ist der Grundsatz des Vertrauensschutzes Teil des Gemeinschaftsrechts und kann von jedem Wirtschaftsteilnehmer vorgebracht werden. Voraussetzung ist allerdings, dass das Inkrafttreten des Vertrages bereits bekannt ist und die Handlungen der Gemeinschaft gegen Vertragsbestimmungen verstoßen, die nach Inkrafttreten unmittelbare Wirkungen für den Einzelnen entfalten. Somit zeigt Opel Austria, dass sich die Wirkungen von noch nicht in Kraft getretenen völkerrechtlichen Verträgen in der Unionsrechtsordnung
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Vgl. m. w. N. Europäischer Gerichtshof, Intertanko, (Fn. 1814), Rn. 51; Europäischer Gerichtshof, Poulsen und Diva, (Fn. 1814), Rn. 9. 1857 Vgl. Kirsten Schmalenbach, Art. 216 AEUV, in: Calliess/Ruffert, (Fn. 1815), Rn. 32. 1858 Jörg Philipp Terhechte, Art. 218 AEUV, in: Schwarze, (Fn. 1661), Rn. 14; Marc Bungenberg, Artikel 218 AEUV, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, (Fn. 1669), Rn. 56. 1859 Gericht Erster Instanz, Opel Austria (1997), Rs. T–115/94 Slg. 1997 S. II–00039. 1860 Gericht Erster Instanz, Opel Austria, (Fn. 1859), Rn. 90 – 91. 1861 Gericht Erster Instanz, Hellenische Republik v. Kommission, (Fn. 173), Rn. 85 – 87. 1862 Gericht Erster Instanz, Opel Austria, (Fn. 1859), Rn. 84 – 86. 1863 Für die Ausführungen des Gerichts siehe Gericht Erster Instanz, Opel Austria, (Fn. 1859), Rn. 93 – 94.
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nicht nur aus dem Frustrationsverbot, sondern auch aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes ergebenen können. Insofern stellt sich die Frage, ob und inwiefern sich das völkerrechtliche Frustrationsverbot vom europäischen Grundsatz des Vertrauensschutzes unterscheidet. Ein Unterschied besteht nicht bereits bei der Frage, ob sich auch Individuen auf die jeweilige Norm berufen können, da dies nach der hier vertretenen Ansicht auch beim Frustrationsverbot der Fall ist.1864 Auffällig ist jedoch, dass beim unionsrechtlichen Vertrauensschutz geringere Anforderungen an die Verletzungshandlung gestellt werden. Denn während beim Frustrationsverbot grundsätzlich ein Abstand zur Vertragserfüllung bestehen muss,1865 soll der europäische Grundsatz des Vertrauensschutzes bereits durch Handlungen verletzt werden, „die gegen Bestimmungen dieses Abkommens verstossen“.1866 Im Gegenzug ist dafür der Anwendungsbereich deutlich enger als beim völkerrechtlichen Frustrationsverbot. Der europäische Vertrauensschutz greift nach der Rechtsprechung nicht bereits wegen der Unterzeichnung eines Vertrages, sondern erst, wenn das Vertragsschlussverfahren abgeschlossen und sogar schon der Zeitpunkt des Inkrafttretens bekannt ist.1867 Allerdings gibt es auch eine Entscheidung des Gerichts Erster Instanz, die auf eine Angleichung der Anwendungsbereiche von Frustrationsverbot und Vertrauensschutz hindeuten könnte. In Griechenland v. Kommission stützte das Gericht Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem Bau einer Botschaft ebenfalls auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes, obwohl Griechenland die entsprechende Zusatzvereinbarung anders als die ursprüngliche Grundsatzvereinbarung lediglich unterzeichnet hatte.1868 Gegen eine Angleichung der Anwendungsbereiche spricht allerdings, dass der Vertrauensschutz in diesem Fall neben der Unterzeichnung auch auf einige andere Umstände gestützt wurde. Schließlich betonte das Gericht, dass durch die Ratifizierung der ursprünglichen Grundsatzvereinbarung besondere Kooperationsund Solidaritätspflichten entstanden seien und Griechenland sich über längere Zeit wie ein vollwertiger Projektteilnehmer verhalten und dadurch auch die Projektkosten erhöht habe.1869 Letztendlich bleibt es also dabei, dass der europäische Grundsatz des Vertrauensschutzes einen engeren Anwendungsbereich als das Frustrationsverbot hat, dafür aber im Umfang seiner Wirkungen über dieses hinausgehen kann.
1864 Für eingehendere Ausführungen zur Frage, ob sich aus dem Frustrationsverbot Rechte für Individuen ergeben können, siehe Kapitel 1 C.II.2. 1865 Für eingehendere Ausführungen zum grundsätzlich anerkannten Abstand zwischen Frustrationsverbot und Vertragserfüllung siehe Kapitel 1 B.I.3. 1866 Gericht Erster Instanz, Opel Austria, (Fn. 1859), Rn. 93. 1867 Vgl. Gericht der Europäischen Union, Tisza Erömü v. Commission (2014), Rs. T–468/ 08, Rn. 321; Gericht Erster Instanz, Opel Austria, (Fn. 1859), Rn. 94. 1868 Vgl. Gericht Erster Instanz, Hellenische Republik v. Kommission, (Fn. 173), Rn. 87, 97, 99. 1869 Gericht Erster Instanz, Hellenische Republik v. Kommission, (Fn. 173), Rn. 87 – 99.
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Somit können sich im Unionsrecht die Wirkungen von noch nicht in Kraft getretenen Verträgen nicht nur aus dem völkerrechtlichen Frustrationsverbot, sondern auch aus dem europäischen Grundsatz des Vertrauensschutzes ergeben. Ein Spannungsverhältnis zu den Beteiligungsrechten des Europäischen Parlaments oder des deutschen Gesetzgebers dürfte typischerweise allerdings nur beim völkerrechtlichen Frustrationsverbot bestehen. Schließlich greift der Grundsatz des europäischen Vertrauensschutzes im Regelfall erst ein, wenn das Inkrafttreten eines Vertrages absehbar, das Vertragsschlussverfahren also bereits abgeschlossen ist. Insofern werden sich die weiteren Ausführungen auf das für die vorliegende Arbeit relevantere Frustrationsverbot beschränken. 2. Wirkungen des völkerrechtlichen Frustrationsverbotes bei gemischten Abkommen Bei gemischten Abkommen stellt sich die Frage, ob und inwieweit die Unterzeichnung durch die Union auch zu Rechtspflichten für die Mitgliedstaaten führen kann. In der Praxis nehmen Union und Mitgliedstaaten die Unterzeichnung von gemischten Abkommen typischerweise zur selben Zeit vor, wenngleich dies rechtlich nicht zwingend ist.1870 In diesem Fall haben beide Teile die relevante Handlung vorgenommen, weshalb es lediglich um die Abgrenzung der Verantwortlichkeitssphären geht. Insofern erscheint es naheliegend, eine Parallele zur Haftung nach Inkrafttreten zu ziehen.1871 Folglich haften Union und Mitgliedstaaten für die Pflichten aus dem Frustrationsverbot als Gesamtschuldner, sofern sie die Kompetenzverteilung nicht offengelegt haben. Wurde die vorvertragliche Bindung hingegen nur durch eine Handlung der Union ausgelöst, wird auch nur sie völkerrechtlich verpflichtet. Wie bei der vorläufigen Anwendung eines gemischten Abkommens durch die Union müssen die Mitgliedstaaten dann unionsrechtlich nur insoweit an der Erfüllung der völkerrechtlichen Pflichten der Union mitwirken, als sich diese im Rahmen der Unionskompetenzen bewegen. Nach dem Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung kann die Mitwirkungspflicht der Mitgliedstaaten nur bei ausschließlichen Zuständigkeiten der Union bestehen. Schließlich gibt es in den EU-Verträgen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kompetenz der Union zur Auslösung des Frustrationsverbotes über diejenige zum Abschluss eines Vertrages hinausgeht. Somit treffen die völkerrechtlichen Pflichten aus dem Frustrationsverbot nur die Union, unabhängig davon, ob sie diese nach der internen Kompetenzverteilung überhaupt erfüllen kann. 1870 Ivan Smyth, Mixity in Practice: A Member State Practicioner’s Perspective, in: Hillion, Christophe/Koutrakos, Panos, Mixed Agreements Revisited (2010), 313. 1871 Zur völkerrechtlichen Haftung für gemischte Abkommen siehe m. w. N. Frank Hoffmeister, Curse of Blessing? Mixed Agreements in the Recent Practice of the European Union and its Member States, (Fn. 1675), 263.
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Insofern stellt sich die Frage, ob die interne Kompetenzverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten auch den Umfang der völkerrechtlichen Pflichten aus dem Frustrationsverbot begrenzen kann. Für das Völkerrecht ist die interne Zuständigkeitsverteilung grundsätzlich unbeachtlich, sofern kein offenkundiger Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift von grundlegender Bedeutung vorliegt.1872 Der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung ist für die Union eine Rechtsvorschrift von grundlegender Bedeutung, was schon seine prominente Stellung als fünfter Artikel des EUV zeigt. Für Drittstaaten ist dabei offenkundig, dass der Einhaltung des Frustrationsverbotes durch die Union von der internen Kompetenzverteilung gewisse Grenzen gesetzt werden. Denn die Union schließt das Übereinkommen schließlich als gemischtes Abkommen, weil sie nicht über alle erforderlichen Kompetenzen verfügt. Andererseits ist es für den Drittstaat ohne Offenlegung der Kompetenzverteilung meist nicht offenkundig, wo genau die Kompetenzen der Union enden, da die Kompetenzabgrenzung zwischen Union und Mitgliedstaaten sehr komplex ist. Somit kann nur im jeweiligen Einzelfall ermittelt werden, ob offenkundig ist, dass eine bestimmte Pflicht aus dem Frustrationsverbot nicht von den Kompetenzen der Union gedeckt ist. Somit sind dem völkerrechtlichen Frustrationsverbot durch die Union gewisse Grenzen gezogen, doch lässt sich nur im Einzelfall sagen, wo genau diese verlaufen. Da das von der Union ausgelöste Frustrationsverbot Teil des Unionsrechts ist, findet es grundsätzlich über dieses mit Anwendungsvorrang Eingang in die deutsche Rechtsordnung. Soweit das Frustrationsverbot bei gemischten Abkommen hingegen durch eine Unterzeichnung Deutschlands ausgelöst wird, kann es seine Wirkungen nur über Art. 25 GG entfalten.
II. Beteiligung des Europäischen Parlaments oder des Bundestages Die Verteilung der Organ- und Verbandskompetenzen bei der Auslösung des Frustrationsverbotes bei Verträgen der Union entspricht derjenigen bei der vorläufigen Anwendung. Auf Ebene der Union ergeben sich Organkompetenzen und Verfahren schließlich ebenfalls aus Art. 218 V AEUV, der neben der vorläufigen Anwendung auch die Unterzeichnung regelt. Demnach beschließt der Rat die Unterzeichnung auf Initiative des Verhandlungsführers, wohingegen dem Europäischen Parlament nur ein Informationsrecht aus Art. 218 X AEUV zusteht.1873 Auch hier kann dem Parlament nicht durch die analoge Anwendung des Art. 218 VI lit. a) AEUVein Zustimmungsrecht verschafft werden. Dies halten „aufgrund der 1872
Vgl. Art. 27 und 46 WVK und WVK IO; für eingehendere Ausführungen zur grundsätzlichen Irrelevanz der internen Zuständigkeitsverteilung für das Völkerrecht siehe Kapitel 4 A.I.3.a). 1873 Thomas Giegerich, Art. 218 AEUV, in: Pechstein/Nowak/Häde, (Fn. 1681), Rn. 63.
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begrenzten rechtlichen Wirkungen der Unterzeichnung“ nicht einmal Stimmen in der Literatur für erforderlich, die sich bei der vorläufigen Anwendung für eine solche Analogie aussprechen.1874 Während dieses Argument auf die Vergleichbarkeit der Interessenlage gerichtet sein dürfte, fehlt es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Denn die ausdrückliche Regelung der Unterzeichnung und die Systematik des Art. 218 AEUV sprechen gegen eine planwidrige Regelungslücke. Somit verfügt das Europäische Parlament in Bezug auf den Ratsbeschluss über die das Frustrationsverbot auslösende Unterzeichnung nur über sein allgemeines Informations- und Stellungnahmerecht.1875 Anders als bei der vorläufigen Anwendung ist auch keine Praxis von Rat und Kommission ersichtlich, vor der Unterzeichnung bereits die Zustimmung des Parlaments zum Vertragsschluss einzuholen. Was die Beteiligung des Bundestages angeht, so steht diesem jedenfalls das in Art. 23 II 1 GG vorgesehen Informationsrecht zu. Zweifelhafter erscheint hingegen, ob der Ratsbeschluss über die Unterzeichnung auch einen „Rechtssetzungsakt“ im Sinne des Art. 23 III 1 GG darstellt, der das Stellungnahmerecht des Bundestages auslöst. Schließlich hat die Unterzeichnung vor allem eine politische Bedeutung und löst nicht im selben Maße Rechtswirkungen aus wie die vorläufige Anwendung.1876 Ausschlaggebend ist jedoch, dass überhaupt Rechtswirkungen ausgelöst werden, was bei der Unterzeichnung schon aufgrund des Frustrationsverbotes stets der Fall ist. Somit hat der Bundestag auch in Bezug auf die Unterzeichnung durch die Union ein Informations- und Stellungnahmerecht gegenüber der Regierung. Bei gemischten Abkommen stellt sich zusätzlich die Frage, inwieweit der deutsche Gesetzgeber an der Entscheidung über die Unterzeichnung durch Deutschland beteiligt werden muss. Hierbei ergeben sich grundsätzlich keine wesentlichen Unterschiede zur Entscheidung über die Unterzeichnung von Verträgen Deutschlands, weshalb auf die entsprechenden Ausführungen verwiesen werden kann.1877
D. Schwächen bei der verfassungsgerichtlichen Durchsetzung des grundsätzlich ausreichenden Verfassungsrechts Auch wenn die vorläufige Anwendung oder das Frustrationsverbot sich auf Verträge der Union beziehen, bietet das deutsche Verfassungsrecht den Rechten des 1874
Vgl. Stefan Lorenzmeier, Art. 218 AEUV, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, (Fn. 1694), Rn. 42, 42c. 1875 Thomas Giegerich, Art. 218 AEUV, in: Pechstein/Nowak/Häde, (Fn. 1681), Rn. 63; Frank Hoffmeister, Aktuelle Rechtsfragen in der Praxis der europäischen Außenhandelspolitik, (Fn. 1740), 398. 1876 Für eingehendere Ausführungen zur rechtlichen und politischen Bedeutung der Unterzeichnung siehe Einleitung A.I.2. 1877 Für die Ausführungen zur Beteiligung des deutschen Gesetzgebers an der Entscheidung über die Unterzeichnung eines von Deutschland angestrebten Vertrages siehe Kapitel 7 C.
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Gesetzgebers ausreichend Schutz (I.). Schwächen bestehen hingegen bei ihrer verfassungsgerichtlichen Durchsetzung, wie das Beispiel des CETA-Verfahrens zeigt (II.).
I. Ausreichende Regelung von vorläufiger Anwendung und Frustrationsverbot Wenngleich der Bundestag bei der Auslösung von Frustrationsverbot oder vorläufiger Anwendung durch die Union nur ein Informations- und Stellungnahmerecht hat, werden seine Beteiligungsrechte in Bezug auf den Vertragsschluss dadurch ausreichend geschützt. Schließlich hätte er auch beim Abschluss des entsprechenden Vertrages keine darüberhinausgehende Rechte. Diese schwächer ausgeprägten Beteiligungsrechte sind Ausdruck der vertikalen Integration Deutschlands in die Union, weshalb sie sich qualitativ von den Beteiligungsrechten unterscheiden, die bei nur von Deutschland geschlossenen Verträgen oder gemischten Abkommen bestehen.1878 Jedenfalls bei der vorläufigen Anwendung von Verträgen durch die Union geht die geringere Beteiligung der mitgliedstaatlichen Parlamente auch nicht zu Lasten der demokratischen Kontrolle, da das Europäische Parlament hier in der Praxis über eine Vetomöglichkeit verfügt.1879 Hätten die mitgliedstaatlichen Parlamente vergleichbare Rechte, würde dies das Entscheidungsverfahren erheblich erschweren und die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Union gefährden.1880 Zudem verlangt auch das deutsche Demokratieprinzip keine umfangreichere Beteiligung des Bundestages an der vorläufigen Anwendung von Verträgen durch die Union. Denn aus Sicht des deutschen Verfassungsrechts kann die über Regierung und Bundestag vermittelte demokratische Legitimation durch das Europäische Parlament als weitere Legitimationsquelle abgestützt werden.1881 Dass die Legitimationsvermittlung durch die im Rat der Europäischen Union vertretene und vom Bundestag kontrolliert Bundesregierung gewisse Schwächen aufweist, kann daher durch das effektive Mitwirkungsrecht des Europäischen Parlaments kompensiert werden.1882 Die schwächer ausgeprägten Beteiligungsrechte des deutschen Gesetzgebers erscheinen auch dann unproblematisch, wenn die Union ein gemischtes Abkommen 1878 Vgl. David Kleimann/Gesa Kübek, The Signing, Provisional Application, and Conclusion of Trade and Investment Agreements in the EU (2016), (Fn. 1740), 2 – 3. 1879 Mauro Gatti, Provisional Application of EU Trade and Investment Agreements: A Pragmatic Solution to Mixity Issues, (Fn. 501), 57 – 58. 1880 Vgl. David Kleimann/Gesa Kübek, The Signing, Provisional Application, and Conclusion of Trade and Investment Agreements in the EU (2016), (Fn. 1740), 3, 25. 1881 Vgl. BVerfGE 151, 202 (290), (Fn. 1835); BVerfGE 123, 267 (368), (Fn. 1826). 1882 Vgl. Peter M. Huber, Demokratische Legitimation in der Europäischen Union, (Fn. 844), 376 – 377.
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vorläufig anwendet. Denn selbst wenn die vorläufige Anwendung durch die Union in kompetenzwidriger Weise nicht auf die Vertragsbestimmungen in der ausschließlichen Zuständigkeit der Union beschränkt wäre, würden dadurch weder völkernoch unionsrechtliche Pflichten für die Mitgliedstaaten entstehen.1883 Zudem könnte ein solcher ultra-vires-Akt in der deutschen Rechtsordnung auch keine Geltung erlangen.1884 Folglich erscheint es unproblematisch, dass der Bundestag auch hier nicht über ein Zustimmungsrecht, sondern nur über das Informations- und Stellungnahmerecht aus Art. 23 II, III GG verfügt. Stärker beteiligt wird der deutsche Gesetzgeber hingegen, wenn bei einem gemischten Abkommen der mitgliedstaatliche Teil durch Deutschland vorläufig angewendet werden soll. Hier verfügt er unter denselben Voraussetzungen wie bei der vorläufigen Anwendung anderer völkerrechtlicher Verträge durch Deutschland analog Art. 59 II 1 GG über ein Zustimmungsrecht. Folglich ist er hier nicht schlechter gestellt als wenn die vorläufige Anwendung einen Vertrag betrifft, an dem die Union nicht beteiligt ist. Bei gemischten Verträgen verfügt der deutsche Gesetzgeber aufgrund des besonderen Näheverhältnisses zum Unionsrecht sogar über ein Informationsrecht aus Art. 23 II 2 GG. Dieses geht in Umfang, Zeitpunkt und Intensität über das allgemeine Informationsrecht im Vorfeld eines Vertragsschlusses hinaus, welches in der Literatur aus der Verfassungsorgantreue abgeleitet wird und auf die zur sinnvollen Aufgabenwahrnehmung erforderlichen Informationen beschränkt ist.1885 Somit enthält das deutsche Verfassungsrecht differenzierte und sachgerechte Vorgaben für die Beteiligung des Bundestages bei der vorläufigen Anwendung von Verträgen der Union. Dasselbe gilt für die Rechtslage beim auf Verträge der Union bezogenen Frustrationsverbot. Obwohl das Europäische Parlament bei dessen Auslösung anders als bei der vorläufigen Anwendung nicht über ein faktisches Vetorecht verfügt, muss dies nicht durch eine stärkere Beteiligung der mitgliedstaatlichen Parlamente kompensiert werden. Denn das Europäische Parlament hat in Bezug auf die Unterzeichnung nicht nur ein Informations- und Stellungnahmerecht, sondern kann auch politischen Druck ausüben. Damit kann es im Bedarfsfall Einfluss auf die Entscheidung über die Unterzeichnung nehmen, durch die das Frustrationsverbot ausgelöst wird, zumal es sich auch bei der vorläufigen Anwendung seinen Einfluss selbst erstritten hat. Folglich hat das Europäische Parlament in Bezug auf die Auslösung des Frustrationsverbotes keine schwächere Stellung als der deutsche Gesetzgeber bei Verträgen Deutschlands. Denn dieser ist an der Entscheidung über die Unterzeichnung grundsätzlich nicht beteiligt und muss ihr nur in Ausnahmefällen analog Art. 59 II 1 1883
Für eine eingehendere Begründung siehe Kapitel 8 A.III.2. Siehe hierzu Kapitel 8 B.I. 1885 Zum allgemeinen Informationsrecht und seinem Verhältnis zu demjenigen aus Art. 23 II 2 GG siehe Bernd Grzeszick/Juliane Hettche, Zur Beteiligung des Bundestages an gemischten völkerrechtlichen Abkommen, (Fn. 1855), 246 – 249. 1884
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GG seine vorherige Zustimmung erteilen.1886 Vor diesem Hintergrund erscheint es unproblematisch, dass der Bundestag bei der Unterzeichnung eines Vertrages durch die Union nur über ein Informations- und Stellungnahmerecht aus Art. 23 II, III GG verfügt. Wird das Frustrationsverbot dadurch ausgelöst, dass Deutschland ein gemischtes Abkommen unterzeichnet, entsprechen die Beteiligungsrechte des deutschen Gesetzgebers grundsätzlich denen bei der Unterzeichnung von Verträgen, an denen die Union nicht beteiligt ist. Zusätzlich besteht allerdings auch hier wegen des besonderen Näheverhältnisses zum Unionsrecht die besondere Unterrichtungspflicht der Regierung aus Art. 23 II 2 GG. Somit trifft das deutsche Verfassungsrecht auch bei Verträgen der Union differenzierte und sachgerechte Regelungen für die Beteiligung des Bundestages an den Entscheidungen über die Unterzeichnung und die vorläufige Anwendung. Ein Bedarf für neue Regelungen ist hier daher ebenso wenig ersichtlich wie wenn Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung nur Verträge Deutschlands betreffen.
II. Schwächen bei der verfassungsgerichtlichen Durchsetzung am Beispiel des CETA-Verfahrens Schwächen weist allerdings die verfassungsgerichtliche Durchsetzung auf, wie das CETA-Verfahren1887 vor dem Bundesverfassungsgericht zeigt. Die Argumente, mit denen das Bundesverfassungsgericht in diesem Fall den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ablehnte, dürften auf andere Fälle der vorläufigen Anwendung übertragbar sein (1.). Dadurch entsteht bei der vorläufigen Anwendung völkerrechtlicher Verträge eine Rechtsschutzlücke, die das Bundesverfassungsgericht allerdings durch eine Weiterentwicklung seiner Rechtsprechung selbst wieder beheben könnte (2.). Ein ähnliches Problem besteht auch beim einstweiligen Rechtsschutz gegen das Frustrationsverbot, doch könnte auch diese Rechtsschutzlücke vom Bundesverfassungsgericht selbst geschlossen werden (3.). 1. Bedeutung der Ablehnung des einstweiligen Rechtsschutzes für andere Fälle Im CETA-Verfahren lehnte das Bundesverfassungsgericht im Oktober 2016 Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Die Anträge waren darauf gerichtet, dem zuständigen deutschen Regierungsmitglied die Zustimmung zu den 1886
Für eingehendere Ausführungen zur Beteiligung des deutschen Gesetzgebers an der Entscheidung über die Unterzeichnung eines von Deutschland angestrebten Vertrages siehe Kapitel 7 C. 1887 BVerfGE 143, 65, (Fn. 108).
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Ratsbeschlüssen über Unterzeichnung, vorläufige Anwendung und Abschluss von CETA zu untersagen. Die CETA-Entscheidung legt nahe, dass Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die vorläufige Anwendung von Verträgen allgemein nur geringe Erfolgsaussichten haben. Denn in den entscheidenden Punkten stützte sich die Argumentation des Bundesverfassungerichts weniger auf das konkrete Abkommen als auf die Besonderheiten der vorläufigen Anwendung. Dies zeigte sich bereits an der Entscheidung zum Prüfungsmaßstab für die vorläufige Anwendung. Richtet sich ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen ein Vertragsgesetz, führt das Bundesverfassungsgericht nicht nur eine Folgenabwägung durch, sondern prüft ausnahmsweise sogar summarisch die Erfolgsaussichten in der Hauptsache.1888 Obwohl sich die Wirkungen von Vertragsschluss und vorläufiger Anwendung ähneln, entschied sich das Bundesverfassungsgericht jedoch dafür, bei der vorläufigen Anwendung lediglich eine Folgenabwägung durchzuführen. Dies begründete es damit, dass anders als bei Vertragsschluss keine endgültigen völkerrechtlichen Bindungen eintreten, da die vorläufige Anwendung von CETA durch eine Notifikation wieder beendet werden kann.1889 Zudem wies es darauf hin, dass eine summarische Prüfung auch an der mangelnden Konkretisierung des angegriffenen Aktes scheitert. Schließlich sei die Kompetenzverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten auch mit Blick auf ein ausstehendes Gutachten des Europäischen Gerichtshofs noch nicht geklärt und es müsse auch noch festgelegt werden, welche Vertragsbestimmungen von der vorläufigen Anwendung letztendlich ausgenommen werden. Während letzteres Argument wohl allenfalls auf die vorläufige Anwendung anderer gemischter Abkommen der Union übertragbar sein dürfte, betrifft der Verweis auf die Beendigungsmöglichkeit so gut wie alle Fälle der vorläufigen Anwendung. Schließlich besteht hier grundsätzlich eine Beendigungsmöglichkeit.1890 Da das Bundesverfassungsgericht entgegen der hier vertretenen Auffassung eine Ausübung des Beendigungsrechts durch die Bundesregierung selbst bei gemischten Verträgen für möglich hält,1891 dürfte es typischerweise lediglich bei der vorläufigen Anwendung von EU-only-Abkommen an einem von Deutschland ausübbaren Beendi1888 Siehe hierzu m. w. N. Walter, der dieser Ausnahme für völkerrechtliche Verträge kritisch gegenübersteht: Christian Walter, § 32 BVerfGG, in: Walter, Christian/Grünewald, Benedikt, Beck’scher Online-Kommentar Bundesverfassungsgerichtsgesetz (2021), 12. EL, Rn. 64 – 65. 1889 Für die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zur Frage des maßgeblichen Prüfungsmaßstabs siehe BVerfGE 143, 65 (87 – 89), (Fn. 108). 1890 Für eingehendere Ausführungen zur Rechtsnatur der einseitigen Beendbarkeit der vorläufigen Anwendung siehe Kapitel 2 D.II.1. Im Einzelfall kann sich allerdings durch Auslegung der Vereinbarung über die vorläufige Anwendung ergeben, dass die Möglichkeit zur einseitigen Beendigung durch eine abweichende Regelung ausgeschlossen werden soll, siehe Kapitel 2 D.III. 1891 In der vorliegenden Arbeit wird ein Beendigungsrecht der Mitgliedstaaten abgelehnt, siehe Kapitel 8 A.III.3. Das Bundesverfassungsgericht hingegen scheint ein Beendigungsrecht für möglich zu halten, vgl. BVerfGE 143, 65 (100 – 101), (Fn. 108).
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gungsrecht fehlen. Insofern ist davon auszugehen, dass das Bundesverfassungsgericht sich allenfalls bei der vorläufigen Anwendung von EU-only-Abkommen nicht auf eine bloße Folgenabwägung beschränken würde. Die Argumentation in der CETA-Entscheidung zeichnet zudem vor, dass bei einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die vorläufige Anwendung eines Vertrages die Folgenabwägung typischerweise zugunsten der Regierung ausfallen dürfte. Die Folgenabwägung erfolgt nach der sog. Doppelhypothese. Dabei werden die prognostizierten Nachteile bei Nichterlass der einstweiligen Anordnung und Obsiegen in der Hauptsache mit den prognostizierten Nachteilen bei Erlass der einstweiligen Anordnung und späterem Unterliegen verglichen.1892 Bei CETA ging das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass der Allgemeinheit schwere Nachteile drohen würden, wenn die von den Antragstellern beantragte einstweilige Anordnung erlassen würde, sie aber später in der Hauptsache unterlägen.1893 Schließlich stelle die Verweigerung der vorläufigen Anwendung ein starkes Indiz für das endgültige Scheitern des Abkommens dar, zumal die ihr zu Grunde liegenden inhaltlichen Bedenken automatisch auch den Abschluss betreffen würden. Ein solches Scheitern würde über den konkreten Fall hinaus die Verlässlichkeit Deutschlands und der Union in Zweifel ziehen und dadurch deren außenpolitische Handlungs- und Entscheidungsfreiheit beeinträchtigen. Die Nachteile bei Nichterlass der einstweiligen Anordnung und Obsiegen der Antragsteller in der Hauptsache hielt das Bundesverfassungsgericht demgegenüber für weniger schwerwiegend.1894 Zwar könnten die von den Antragstellern behaupteten Verfassungsverstöße nicht ausgeschlossen werden, doch sei es möglich, die dadurch drohenden Nachteile auf verschiedene Weise abzuwenden. Zwei der drei genannten Möglichkeiten hingen speziell mit der vorläufigen Anwendung zusammen. So betonte das Bundesverfassungsgericht unter anderem, dass die Bundesregierung alle Vertragsbestimmungen von der vorläufigen Anwendung ausnehmen werde, die nicht zweifelsfrei unter Kompetenzen der Union fallen. Zudem hob es die Möglichkeit zur Beendigung der vorläufigen Anwendung durch Deutschland hervor und gab der Bundesregierung auf, ihre Auslegung der entsprechenden Vertragsbestimmung in völkerrechtserheblicher Weise abzusichern. Somit beruht die Folgenabwägung der CETA-Entscheidung auf Argumentationsmustern, die sich auf andere Fälle der vorläufigen Anwendung übertragen lassen. So dürfte die Verweigerung der vorläufigen Anwendung stets zu außenpolitischen Schäden und damit zu schweren Nachteilen für die Allgemeinheit führen können. Auch die beiden Maßnahmen, die aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts die 1892
Christian Walter, § 32 BVerfGG, in: Walter/Grünewald, (Fn. 1888), Rn. 48. Für die vollständige Argumentation des Bundesverfassungsgerichts zu den Nachteilen bei Erlass der einstweiligen Anordnung siehe BVerfGE 143, 65 (89 – 93), (Fn. 108). 1894 Für die vollständigen Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zu den Nachteilen bei Nichterlass der einstweiligen Anordnung und den Maßnahmen zu ihrer Vermeidung siehe BVerfGE 143, 65 (93 – 101), (Fn. 108). 1893
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Nachteile für die Antragsteller mindern, werden in den meisten Fällen möglich sein. Schließlich sind sowohl die einfache Beendbarkeit als auch die Möglichkeit zur teilweisen vorläufigen Anwendung geradezu charakteristisch für die vorläufige Anwendung. 2. Bestehen einer vom Bundesverfassungsgericht behebbaren Rechtsschutzlücke Aus den soeben dargestellten Gründen dürfte es beim einstweiligen Rechtsschutz gegen die vorläufige Anwendung regelmäßig bei einer bloßen Folgenabwägung bleiben, die dann typischerweise zugunsten der Regierung ausfällt. Entsprechend dürfte es dem Gesetzgeber im Regelfall nicht gelingen, vorläufigen Rechtsschutz zu erlangen. Damit fehlt es bei der vorläufigen Anwendung jedoch an einer effektiven Rechtsschutzmöglichkeit. Effektiver Rechtsschutz ist auch bei verfassungsgerichtlichen Verfahren geboten, wenngleich sich dies nicht aus Art. 19 IV GG, sondern dem Rechtsstaatsprinzip ergibt.1895 Denn die von der Verfassung vorgesehenen Kompetenzen der Verfassungsorgane dürfen in einem Rechtsstaat nicht dadurch leer laufen, dass die Entscheidung des zum „Hüter“ der Verfassung eingesetzten Verfassungsgerichts zu spät kommt.1896 Insofern muss der einstweilige Rechtsschutz auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren sicherstellen, dass durch die Entscheidung in der Hauptsache noch effektiver Rechtsschutz gewährt werden kann.1897 Dies ist in Bezug auf die vorläufige Anwendung bei Fortführung der bisherigen Rechtsprechung jedoch nicht der Fall. Zwar kann der Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren eine dauerhafte Verletzung der Rechte des Gesetzgebers verhindern, doch wird dies allein der Problematik der vorläufigen Anwendung nicht gerecht. Schließlich ist die vorläufige Anwendung von Ausnahmen abgesehen kein langfristiger Zustand, sondern eher ein Zwischenstadium bis zum Inkrafttreten. Dabei werden die Rechte des Gesetzgebers bereits dadurch gefährdet, dass seine Beteiligung zeitweise umgangen und seine Entscheidungsfreiheit in Bezug auf den Abschluss des Vertrages beeinträchtigt werden kann.1898 Zudem können trotz der Möglichkeit zur einseitigen Beendigung der vorläufigen Anwendung bereits irreversible Folgen eintreten.1899 Solche irreversiblen Folgen vor der Hauptsacheent1895
Karin Graßhof, § 32 BVerfGG, in: Schmidt-Bleibtreu, Bruno/Klein, Franz/Bethge, Herbert, Bundesverfassungsgerichtsgesetz – Kommentar (2021), 61. EL, Rn. 2, 6. 1896 Karin Graßhof, § 32 BVerfGG, in: (Fn. 1895), Rn. 6. 1897 Christian Walter, § 32 BVerfGG, in: Walter/Grünewald, (Fn. 1888), Rn. 1 – 2; Rüdiger Zuck, § 32 BVerfGG, in: Lechner, Hans/Zuck, Rüdiger, Bundesverfassungsgerichtsgesetz: Kommentar (8. Aufl. 2019), Rn. 4. 1898 Vgl. Thomas Kleinlein, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 80), 378, 381. 1899 Staatspolitische Kommission des Ständerates, Parlamentarische Initiative – Vorläufige Anwendung von völkerrechtlichen Verträgen: Bericht der Staatspolitischen Kommission des Ständerates, (Fn. 665), 768 – 769; Bernhard Kempen/Björn Schiffbauer, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge im internationalen Mehrebenensystem, (Fn. 500), 111.
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scheidung zu vermeiden, wäre gerade die Aufgabe des einstweiligen Rechtsschutzes.1900 Wenn einstweiliger Rechtsschutz in Bezug auf die vorläufige Anwendung typischerweise keine Aussicht auf Erfolg hat und das Hauptsacheverfahren mehrere Jahre dauert, besteht somit eine Rechtsschutzlücke. Auch hier kann die vorläufige Anwendung von CETA als Beispiel dienen, da auch mehr als fünf Jahre nach der Entscheidung über den einstweiligen Rechtsschutz noch kein Urteil in der Hauptsache ergangen ist. Diese Rechtsschutzlücke ist im parlamentarischen Regierungssystem Deutschlands besonders problematisch. Schließlich ist die Regierung hier mit der Parlamentsmehrheit verbunden, weshalb sie vor allem von der Opposition kontrolliert wird, die als Minderheit auch auf den Weg zum Verfassungsgericht angewiesen ist.1901 Die Rechtsschutzlücke, die sich aus der Kombination von Verfassungsprozessrecht und den materiell-rechtlichen Besonderheiten der vorläufigen Anwendung ergibt, könnte allerdings auf Ebene des Verfassungsprozessrechts auch wieder geschlossen werden. Hierzu wäre es nicht einmal erforderlich, dass das Bundesverfassungsgericht sich der Literaturmeinung anschließt, die allgemein fordert, die Folgenabwägung zugunsten einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache aufzugeben.1902 Vielmehr würde es genügen, wenn das Bundesverfassungsgericht seine in ständiger Rechtsprechung praktizierte Ausnahme, der zufolge beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge eine summarische Prüfung erfolgt, auch auf die vorläufige Anwendung erstreckt. Beim Abschluss von Verträgen wird die summarische Prüfung insbesondere damit begründet, dass anderenfalls bereits völkerrechtliche Bindungen eingegangen werden würden und die Verfassungsgerichtsentscheidung in der Hauptsache daher zu spät käme.1903 Dass das Bundesverfassungsgericht die vorläufige Anwendung anders als den Abschluss eines Vertrages behandelt, weil sie leicht beendbar ist und damit keine endgültigen Bindungen erzeugt,1904 kann allenfalls auf den ersten Blick überzeugen. Denn auch bei der vorläufigen Anwendung kommt die Verfassungsgerichtsentscheidung zu spät, wenngleich aus anderen Gründen. Hier tritt der hauptsächliche Schaden schon damit ein, dass die Beteiligungsrechte des Gesetzgebers zeitweise umgangen werden und dadurch Fakten geschaffen werden, die seine 1900
Christian Walter, § 32 BVerfGG, in: Walter/Grünewald, (Fn. 1888), Rn. 1; Rüdiger Zuck, § 32 BVerfGG, in: (Fn. 1897), Rn. 4. 1901 Vgl. Udo Di Fabio, Gewaltenteilung, in: Isensee, Josef/Kirchhof, Paul, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2 (3. Aufl. 2004), Rn. 20; Karl Doehring, Allgemeine Staatslehre, (Fn. 811), Rn. 416 – 418. 1902 So z. B. Friedrich Schoch/Rainer Wahl, Die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts in außenpolitischen Angelegenheiten, in: Klein, Eckart, Grundrechte, soziale Ordnung und Verfassungsgerichtsbarkeit: Festschrift für Ernst Benda (1995), 292 – 309. Für eine Verteidigung der Folgenabwägung siehe hingegen Karin Graßhof, § 32 BVerfGG, in: (Fn. 1895), Rn. 83 – 89, 152 – 154. 1903 Vgl. z. B. BVerfGE 132, 195 (233) – Europäischer Stabilitätsmechanismus (2012). 1904 Vgl. BVerfGE 143, 65 (88), (Fn. 108).
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Entscheidung über den Abschluss des Vertrages präjudizieren.1905 Die gegenwärtige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstärkt diesen Schaden sogar eher noch, da die Regierung mit dem Abschluss des Vertrages nun bis zu der Entscheidung in der Hauptsache wartet und Deutschland solange im Stadium der vorläufigen Anwendung verharrt. Natürlich kann nicht geleugnet werden, dass eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gegenüber einer bloßen Folgenabwägung auch gewisse Nachteile aufweist. Diese werden typischerweise in einem größeren Fehlentscheidungsrisiko, inhaltlichen Herausforderungen bei der summarischen Prüfung von Verfassungsrechtsstreitigkeiten und der Schwierigkeit, die Hauptsacheentscheidung des achtköpfigen Richterkollegiums zu prognostizieren, gesehen.1906 Jedenfalls im Fall der vorläufigen Anwendung sprechen diese Nachteile jedoch nicht gegen eine summarische Prüfung. Schließlich zeigt bereits die Praxis der Verwaltungsgerichte beim vorläufigen Rechtsschutz gegen Großvorhaben, dass eine summarische Prüfung auch bei komplexen Entscheidungen praktikabel ist.1907 Für die Verfassungsgerichtsbarkeit kann nichts anderes gelten. Schließlich dürfte die summarische Prüfung bei der vorläufigen Anwendung kaum größere Herausforderungen aufwerfen als beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge, wo sie ohnehin bereits in ständiger Rechtsprechung praktiziert wird. Sollte das Bundesverfassungsgericht seine Rechtsprechung in der vorgeschlagenen Weise weiterentwickeln wollen, müsste es dazu nicht einmal seiner CETAEntscheidung widersprechen, sondern könnte neue Entscheidungen leicht von diesem Fall abgrenzen. Schließlich hatte es eine summarische Prüfung im CETAVerfahren zu Recht auch deshalb abgelehnt, weil die Kompetenzverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten und damit zusammenhängend der Umfang der vorläufigen Anwendung noch unklar gewesen waren.1908 Sofern diese besonderen Unklarheiten bei anderen Fällen nicht bestehen, ließe sich gut rechtfertigen, warum anders als im CETA-Verfahren eine summarische Prüfung vorzunehmen ist. Falls das Bundesverfassungsgericht sich hingegen auch zukünftig auf eine Folgenabwägung beschränken möchte, sollte es zumindest die Prüfung der Sicherungsmaßnahmen verschärften. Es sollte also näher prüfen, ob Beschränkungen des Umfangs der vorläufigen Anwendung oder etwaige Beendigungsmöglichkeiten die vorgebrachten Rechte der Antragsteller tatsächlich mit hinreichender Sicherheit schützen können. Zwar handelt es sich dabei um rechtliche Erwägungen, doch sind diese unverzichtbar, um die möglichen Folgen des Nichterlasses einer einstweiligen Anordnung realistisch einzuschätzen und abzuwägen. 1905
Vgl. Thomas Kleinlein, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, (Fn. 80), 378, 381. 1906 Karin Graßhof, § 32 BVerfGG, in: (Fn. 1895), Rn. 83. 1907 Friedrich Schoch/Rainer Wahl, Die einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts in außenpolitischen Angelegenheiten, (Fn. 1902), 304 – 305. 1908 Vgl. BVerfGE 143, 65 (88 – 89), (Fn. 108).
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3. Problemlage und Lösungsmöglichkeit beim Frustrationsverbot Beim einstweiligen Rechtsschutz gegen das Frustrationsverbot ist die Situation ähnlich wie bei der vorläufigen Anwendung, wenngleich hier sogar noch ein anderes Problem hinzutritt. Denn in Bezug auf die Unterzeichnung von CETA hatte das Bundesverfassungsgericht die Anträge auf einstweilige Anordnung schon deshalb abgelehnt, „weil von der Unterzeichnung keine unmittelbaren Rechtswirkungen für die Antragsteller ausgehen“.1909 Dies entspricht auch einer Entscheidung von 1952 zum Generalvertrag zur Ablösung des Besatzungsrechts und der Zusatzverträge, wo der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Unterzeichnung ebenfalls mit der Begründung abgelehnt wurde, dass diese „weder staatsrechtliche noch völkerrechtliche Wirkungen“ erzeuge.1910 Allerdings sollte die Aussagekraft beider Urteile im Hinblick auf das Frustrationsverbot nicht überbewertet werden, da sich insbesondere die Aussage von 1952 vor allem auf den konkreten Fall bezog.1911 Auch war die völkerrechtliche Rechtslage 1952 noch eine andere, da es jedenfalls Art. 18 WVK und das auf ihm basierende gewohnheitsrechtliche Frustrationsverbot noch nicht gab.1912 Im CETA-Verfahren hingegen existierte das Frustrationsverbot bereits, wurde aber soweit ersichtlich von den Antragstellern nicht vorgebracht. Im konkreten Fall wären auch keine relevanten Rechtswirkungen aus dem Frustrationsverbot ersichtlich gewesen, da dieses nur die Vereitelung des Vertragszwecks verbietet und eine solche nicht absehbar war. Insofern trifft die Aussage des Bundesverfassungsgerichts zwar im CETA-Verfahren zu, bedeutet aber nicht zwingend, dass in anders gelagerten Fällen ein einstweiliger Rechtsschutz von vornherein ausscheidet. Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht die Existenz des Frustrationsverbotes bereits ausdrücklich anerkannt. So hielt es 2003 eine Auslieferung nach Indien für möglich, da wegen des Frustrationsverbotes für Indien bereits mit Unterzeichnung des deutsch-indischen Auslieferungsabkommens ein Verbot zur menschenunwürdigen Behandlung des Beschwerdeführers bestehe.1913 Wenngleich das Frustrationsverbot in diesem Fall auf Indien bezogen wurde, dürfte das Bundesverfassungsgericht heute kaum vertreten können, dass die Unterzeichnung für Deutschland stets keinerlei völkerrechtliche oder staatsrechtliche Wirkungen hat. Sofern ein Antrag auf einstweilige Anordnung gegen die das Frustrationsverbot auslösende Unterzeichnung nicht von vornherein ausscheidet, dürften die Erwägungen zur vorläufigen Anwendung übertragbar sein. Auch beim Frustrationsverbot könnte das Bundesverfassungsgericht unter Verweis auf die Beendigungsmöglichkeit seinen Prüfungsmaßstab bei einer bloßen Folgenabwägung belassen. Diese 1909
BVerfGE 143, 65 (89), (Fn. 108). BVerfGE 1, 281 (283), (Fn. 1643). 1911 Georg Ress, Verfassung und völkerrechtliches Vertragsrecht, (Fn. 93), 821. 1912 Für eingehendere Ausführungen zur Entstehungsgeschichte des gewohnheitsrechtlichen Frustrationsverbotes siehe Kapitel 1 A.II. 1913 BVerfGE 108, 129 (140 – 141), (Fn. 1647). 1910
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Folgenabwägung würde im Grundsatz wohl auch ähnlich wie bei der vorläufigen Anwendung ausfallen. Denn auch das Scheitern der Unterzeichnung dürfte auf ein endgültiges Scheitern des Abkommens hindeuten und damit die internationale Handlungsfähigkeit von Deutschland und der Union beeinträchtigen. Die Nachteile für die Antragsteller wiederum würden auch beim Frustrationsverbot durch die Beendbarkeit abgeschwächt. Insofern entstünde auch beim Frustrationsverbot eine problematische Rechtsschutzlücke. Daher sollte das Bundesverfassungsgericht auch bei Anträgen auf einstweilige Anordnung gegen eine das Frustrationsverbot auslösende Unterzeichnung eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache vornehmen. Somit gibt es für den deutschen Gesetzgeber zwar mögliche Schwierigkeiten bei der verfassungsgerichtlichen Durchsetzung seiner Rechte in Bezug auf Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung, doch könnten diese vom Bundesverfassungsgericht selbst und damit ohne Änderung der Rechtslage ausgeräumt werden.
E. Zusammenfassung Völkerrechtliche Verträge mit Wirkungen für Deutschland können heute nicht mehr nur von Deutschland selbst, sondern im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch von der Europäischen Union abgeschlossen werden. Die Union greift dabei in ungefähr jedem dritten Fall und damit im internationalen Vergleich besonders häufig auf die vorläufige Anwendung zurück. Im unionsinternen Vertragsschlussverfahren ist die Organkompetenz für die Entscheidung über die Unterzeichnung und vorläufige Anwendung eines Vertrages ausdrücklich geregelt. Nach Art. 218 V AEUV entscheidet auf Vorschlag des Verhandlungsführers allein der Rat über die vorläufige Anwendung und die das Frustrationsverbot auslösende Unterzeichnung. Trotzdem wird vereinzelt die Auffassung vertreten, dass die vorläufige Anwendung analog Art. 218 VI lit. a) AEUV ebenso wie der Abschluss bestimmter Verträge die vorherige Zustimmung des Europäischen Parlaments erfordert. Dies kann nicht überzeugen. Angesichts der ausdrücklichen Regelung der vorläufigen Anwendung fehlt es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke, was auch der Wortlaut, die Systematik und die Entstehungsgeschichte des Art. 218 V AEUV bestätigen. Obwohl dem Europäischen Parlament in Art. 218 AEUV kein ausdrückliches Zustimmungsrecht eingeräumt wird, kann es in der Praxis dennoch effektiv Einfluss auf die Entscheidung über die vorläufige Anwendung nehmen. Hierfür steht ihm nicht nur ein Informations- und Stellungnahmerecht aus Art. 218 X AEUV, sondern auch die glaubhafte Drohung, dem späteren Abschluss des Abkommens seine Zustimmung zu verweigern, zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund lässt die Union die
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vorläufige Anwendung in der Praxis im Regelfall erst beginnen, wenn das Europäische Parlament dem Abschluss des jeweiligen Übereinkommens bereits zugestimmt hat. Für die Entscheidung über die das Frustrationsverbot auslösende Unterzeichnung steht dem Europäischen Parlament nach Art. 218 VAEUVebenfalls kein besonderes Beteiligungsrecht zur Verfügung. Das allgemeine Informations- und Stellungnahmerecht aus Art. 218 X AEUV ermöglicht dem Europäischen Parlament jedoch rechtzeitig Einfluss auf die Entscheidung über die Unterzeichnung zu nehmen, falls sich das Frustrationsverbot ausnahmsweise mit einer inhaltlichen Pflicht aus dem Vertrag überschneiden würde. Somit trifft das Unionsrecht einen Ausgleich zwischen der internationalen Handlungsfähigkeit der Union und den Interessen des Europäischen Parlaments. Während Kommission und Rat bei der Entscheidung über Unterzeichnung und vorläufige Anwendung rechtlich viel Spielraum verleibt, verfügt das Europäische Parlament in der Praxis über die rechtlichen und politischen Mittel, um die Umgehung seiner Rechte in Bezug auf den Abschluss von Verträgen zu verhindern. Besonders häufig kommt die vorläufige Anwendung bei gemischten Abkommen zur Anwendung. Hier stellt sich die Frage, inwieweit die Union ohne Zustimmung der Mitgliedstaaten die vorläufige Anwendung vereinbaren kann. Entgegen weitergehenderer und engerer Ansichten verläuft die Kompetenzverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten hier entlang der Kompetenzen beim Abschluss des gemischten Abkommens. Insofern kann die Union über die vorläufige Anwendung von Vertragsbestimmungen (nur) allein entscheiden, soweit diese in ihrer ausschließlichen Zuständigkeit liegen. Erklärt die Union die vorläufige Anwendung von darüber hinausgehenden Vertragsbestimmungen, hat dies für die Mitgliedstaaten weder völker- noch unionsrechtliche Wirkungen. Umgekehrt können die Mitgliedstaaten die Beendigung der vorläufigen Anwendung durch die Union aber auch weder selbst erklären noch durch eine endgültige Verweigerung der Ratifikation des Abkommens herbeiführen. Was das von der Union ausgelöste Frustrationsverbot angeht, so kann sich dieses bei gemischten Abkommen nur auf diejenigen Vertragsteile beziehen, die in der ausschließlichen Zuständigkeit der Union liegen. Solange nur die Union einen Vertrag unterzeichnet hat, treffen die Pflichten aus dem Frustrationsverbot nur sie. Haben hingegen auch bereits die Mitgliedstaaten unterzeichnet, haften die Union und ihre Mitgliedstaaten wie nach Inkrafttreten als Gesamtschuldner, sofern die Kompetenzabgrenzung nicht nach außen erkennbar ist. Auf verfassungsrechtlicher Ebene richtet sich die Mitwirkung des deutschen Gesetzgebers nicht nach den allgemeinen Regeln zur auswärtigen Gewalt, sondern ist in Art. 23 GG besonders ausgestaltet. Hinsichtlich der Mitwirkung des deutschen Vertreters an der Entscheidung über die Unterzeichnung oder vorläufige Anwendung eines Übereinkommens im Rat hat der Bundestag daher kein Zustimmungs-, sondern
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lediglich die in Art. 23 II, III GG vorgesehenen Informations- und Stellungnahmerechte. Entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht verdichtet sich das Stellungnahmerecht nicht stets zu einer Befassungspflicht und zu einem parlamentarischen Zustimmungsrecht, wenn bei gemischten Freihandelsabkommen der neuen Generation der Unionsteil vorläufig angewendet werden soll. Vielmehr ergibt sich aus der Integrationsverantwortung des Bundestages nur in bestimmten Fällen eine Befassungspflicht. Ein parlamentarisches Zustimmungserfordernis wiederum ist bereits deshalb abzulehnen, weil es die funktionsgerechte Gewaltenteilung in Art. 23 GG unterlaufen und die außenpolitische Handlungsfähigkeit des Bundes schmälern würde. Sollen neben dem Unionsteil auch die mitgliedstaatlichen Teile eines gemischten Vertrages vorläufig angewendet werden, setzt dies eine entsprechende Erklärung der Mitgliedstaaten voraus. Das verfassungsrechtliche Verfahren hierfür entspricht in Deutschland grundsätzlich demjenigen für die vorläufige Anwendung anderer völkerrechtlicher Verträge. Zusätzlich besteht während der Vertragsverhandlungen jedoch das Informationsrecht des Bundestages aus Art. 23 II GG. Letztendlich ist auch bei Verträgen der Union der Umgang des deutschen Verfassungsrechts mit der Unterzeichnung und der vorläufigen Anwendung differenziert und interessengerecht. Die Beteiligungsrechte des Bundestages sind geringer als wenn über die vorläufige Anwendung von Verträgen durch Deutschland entschieden wird. Dies ist jedoch wegen der mit Zustimmung des Gesetzgebers erfolgten Kompetenzübertragung an die Union gerechtfertigt, zumal auf europäischer Ebene bereits eine effektive Kontrolle durch das Europäische Parlament erfolgt. Schwierigkeiten ergeben sich für den deutschen Gesetzgeber jedoch bei der verfassungsgerichtlichen Durchsetzung seiner Rechte. Dies zeigt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Anträge auf einstweilige Anordnung im Zusammenhang mit der Unterzeichnung und vorläufigen Anwendung von CETA. Hier nahm das Bundesverfassungsgericht anders als beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge keine summarische Prüfung der Rechtslage, sondern eine bloße Folgenabwägung vor, die zugunsten der vorläufigen Anwendung ausfiel. Die dafür vorgebrachten Gründe treffen typischerweise auch auf alle anderen Fälle der vorläufigen Anwendung zu, so dass bei Fortsetzung der Rechtsprechung ein erfolgreicher Eilrechtsschutz gegen die vorläufige Anwendung nahezu ausgeschlossen erscheint. Dies stellt im parlamentarischen Regierungssystem ein erhebliches Problem dar, da die Rechte des Parlaments gegenüber der Regierung vor allem von der Opposition geltend gemacht werden und diese als Minderheit dafür auch auf effektiven Rechtsschutz angewiesen ist. Vor diesem Hintergrund sollte das Bundesverfassungsgericht in Zukunft auch bei der vorläufigen Anwendung eine summarische Prüfung vornehmen. Sofern hingegen weiterhin nur eine Folgenabwägung vorgenommen wird, sollte zumindest näher geprüft werden, ob Beschränkungen des Umfangs der vorläufigen Anwendung oder etwaige Beendigungsmöglichkeiten die
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vom Antragsteller vorgebrachten Rechte tatsächlich mit hinreichender Sicherheit schützen können. Beim Frustrationsverbot wiederum liegt ein mögliches Problem für den Rechtsschutz bereits darin, dass das Bundesverfassungsgericht bislang noch nie einen ausschließlich gegen die Unterzeichnung gerichteten Rechtsbehelf für zulässig befunden hat. Allerdings wurde bislang soweit ersichtlich auch noch nie mit dem Frustrationsverbot argumentiert, dessen Existenz das Bundesverfassungsgericht anerkannt hat. Problematischer erscheint hingegen, dass die Argumentation zur bloßen Folgenabwägung bei der vorläufigen Anwendung auch auf das Frustrationsverbot übertragen werde könnte. Somit schützt das deutsche Verfassungsrecht die Rechte des Gesetzgebers zwar auch im Vorfeld des Vertragsschlusses, dürfte im Eilrechtsschutz aber nur schwer durchsetzbar sein. Dieses Problem könnte allerdings vom Bundesverfassungsgericht selbst und damit ohne Änderung der Rechtslage behoben werden.
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Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse In der vorliegenden Arbeit wurde untersucht, inwieweit das völkerrechtliche Frustrationsverbot und die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge in einem Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung stehen. Dabei hat sich für das deutsche Verfassungsrecht gezeigt, dass dieses auch ohne spezielle Regelungen einen angemessenen Umgang mit diesem Spannungsverhältnis finden kann. Denn es bietet ausreichend Auslegungsspielraum für eine differenzierte Lösung, welche sowohl die Rechte des Gesetzgebers als auch die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands erhält.
A. Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auf internationaler Ebene Im völkerrechtlichen Vertragsschlussverfahren entstehen rechtliche Bindungen im oftmals langen Zeitraum zwischen Unterzeichnung und Inkrafttreten nur aus dem Frustrationsverbot oder der vorläufigen Anwendung des Vertrages. Das Frustrationsverbot verbietet ab der Unterzeichnung alle Handlungen, die Ziel und Zweck des Vertrages vereiteln und schützt damit seinen Kern. Dadurch erzeugt es einen Ausgleich zwischen der bis zum Inkrafttreten fortbestehenden Handlungsfreiheit des einzelnen Staates und den Interessen seiner Kooperationspartner. Soll darüber hinaus in eilbedürftigen Situationen schon vor Inkrafttreten eine rechtsverbindliche Pflicht bestehen, den Inhalt eines Vertrages ganz oder teilweise anzuwenden, können zwei oder mehr Staaten seine vorläufige Anwendung vereinbaren. Damit tragen sowohl das Frustrationsverbot als auch die vorläufige Anwendung den praktischen Bedürfnissen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit Rechnung. Denn sie reagieren auf die zeitliche Lücke zwischen Unterzeichnung und Inkrafttreten und tragen damit dazu bei, dass völkerrechtliche Verträge trotz dieser ein effektives Handlungsinstrument darstellen können.
I. Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung Das völkerrechtliche Frustrationsverbot und die vorläufige Anwendung von Verträgen stehen in einem Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltentei-
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lung. In vielen Staaten wird das Parlament an der innerstaatlichen Entscheidung über den Abschluss bestimmter Verträge beteiligt und muss frei darüber entscheiden können, ob es seine Zustimmung zur völkerrechtlichen Ratifikation erteilt. Aus verfassungsrechtlicher Sicht kann es daher problematisch sein, wenn die Exekutive vor Vertragsschluss völkerrechtliche Pflichten eingeht, die sich ganz oder teilweise mit einem Vertrag decken. Ein Spannungsverhältnis zwischen den vorvertraglichen völkerrechtlichen Pflichten und der Gewaltenteilung im innerstaatlichen Vertragsschlussverfahren besteht allerdings nur, wenn der Abschluss des jeweiligen Vertrags der Beteiligung des Parlaments bedarf und diese nicht bereits erfolgt ist. Eine Überschneidung mit Vertragspflichten tritt vor allem bei der vorläufigen Anwendung auf, wo die Nichtbeteiligung des Parlaments verschiedene Probleme verursachen kann. Wenn ein Vertrag bereits vor Parlamentsbeteiligung vorläufig angewendet wird, können dadurch die für den Abschluss des Vertrages vorgesehenen Rechte des parlamentarischen Gesetzgebers auf Mitwirkung und Kontrolle unterlaufen werden. Tatsächlich gibt es in der Praxis viele Fälle, in denen bi- oder multilaterale Verträge über mehr als 15 Jahre hinweg vorläufig angewendet wurden, oftmals gerade, weil die Ratifikation aus innerstaatlichen Gründen nicht möglich war. Weiterhin können die durch die vorläufige Anwendung erzeugten Normen unter Umständen an einem Legitimationsdefizit leiden. Bei der vorläufigen Anwendung von Verträgen, die auf den innerstaatlichen Bereich gerichtet sind, kommen noch weitere mögliche Probleme hinzu. Hier muss sich das Parlament zwischen dem Erlass der zur Erfüllung erforderlichen Gesetze und einem Völkerrechtsverstoß entscheiden, was seine Entscheidungsfreiheit beeinträchtigen und das Risiko eines Völkerrechtsverstoßes erhöhen kann. Zudem könnte die vorläufige Anwendung der Exekutive hier die Erzeugung von innerstaatlichen Rechtswirkungen ermöglichen, was beim Abschluss von Verträgen gerade nicht ohne Beteiligung des parlamentarischen Gesetzgebers möglich sein soll. Beim Frustrationsverbot wiederum kann es in Ausnahmefällen ebenfalls zu einer Überschneidung mit einzelnen Vertragspflichten kommen, wenngleich hier stets ein deutlicher Abstand zu der erst mit Inkrafttreten geschuldeten Erfüllung des gesamten Vertrages bestehen muss. Während theoretisch also ähnliche Probleme wie bei der teilweisen vorläufigen Anwendung auftreten können, liegt das wichtigere Problem beim Frustrationsverbot darin, dass es den Erlass bestimmter Gesetze verbieten und dadurch die Gesetzgebungstätigkeit der Legislative beeinträchtigen kann. Anders als die vorläufige Anwendung wird das Frustrationsverbot in der Praxis allerdings selten bewusst von der Exekutive gegen die Legislative ausgespielt, wenngleich es jedenfalls in den USA auch hierfür bereits Beispiele gab. Dafür gibt es aber immer wieder Fälle, in denen sich Individuen vor innerstaatlichen Gerichten auf das von der Exekutive ausgelöste Frustrationsverbot berufen. Dabei manifestiert sich das Spannungsverhältnis zu den Rechten des Gesetzgebers, da die Individuen entweder von einer Regelung aus einem noch nicht in Kraft getretenen Vertrag profitieren oder die Anwendung eines für sie ungünstigen Gesetzes verhindern wollen.
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Welches Ausmaß das Spannungsverhältnis zwischen den vorvertraglichen völkerrechtlichen Pflichten und der innerstaatlichen Gewaltenteilung in einem Staat annimmt, hängt nicht zuletzt von innerstaatlichen Faktoren ab. So dürfte in Präsidialsystemen ein größerer Anreiz zur Vermeidung der Parlamentsbeteiligung als in parlamentarischen Regierungssystemen bestehen. Die Unterscheidung von monistischen und dualistischen Systemen hingegen hat keine Aussagekraft für das Ausmaß des Spannungsverhältnisses.
II. Lösungsansätze im Umgang mit dem Spannungsverhältnis In Bezug auf die vorläufige Anwendung gibt es verschiedene Lösungsansätze für das Spannungsverhältnis zur innerstaatlichen Gewaltenteilung, die mal auf der völkerrechtlichen und mal auf der innerstaatlichen Ebene ansetzen. Einige der Lösungsansätze sind isoliert betrachtet unzureichend oder führen zu neuen Problemen. So wird das Spannungsverhältnis z. B. nicht bereits dadurch beseitigt, dass im Regelfall die Möglichkeit besteht, die vorläufige Anwendung zeitnah einseitig zu beenden. Denn ein solches Beendigungsrecht kann weder vom Parlament ausgeübt werden noch bereits entstandene Pflichten rückwirkend beseitigen. Ebenfalls keine ideale Lösung bieten selbstausführende Beschränkungsklauseln und -erklärungen, denen zufolge die vorläufige Anwendung nur nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts und damit nur in einem von diesem begrenzten Umfang erfolgt. Wie die Yukos-Entscheidung des Ständigen Schiedsgerichtshofs zeigte, können sie in der Praxis in einer Weise ausgelegt werden, die den Rechten des Gesetzgebers keinen effektiven Schutz bietet. Zudem führen sie zu neuen Problemen, da sie die Rechtsverbindlichkeit der vorläufigen Anwendung schwächen, sowie ungleiche Bindungen und Rechtsunsicherheit erzeugen können. Durch eine schwächere und ungleiche Bindung kann für Staaten zudem ein Anreiz bestehen, im Stadium der vorläufigen Anwendung zu verharren. Vorzugswürdig sind daher prozeduralisierte Beschränkungsklauseln. Diese stellen ein Verfahren bereit, in welchem Staaten im Austausch miteinander ausdrücklich benennen können, welche Vertragsbestimmungen von der vorläufigen Anwendung ausgenommen bleiben sollen. Dabei verleibt jedoch ein Risiko, dass nicht alle Vertragsbestimmungen, die die Kompetenzen des Gesetzgebers beeinträchtigen können, identifiziert und von der vorläufigen Anwendung ausgenommen werden. Ein absoluter Schutz für die Rechte des Gesetzgebers besteht lediglich dann, wenn Staaten die Pflicht zur vorläufigen Anwendung überhaupt erst eingehen, wenn nach innerstaatlichem Recht auch der Abschluss des jeweiligen Vertrages möglich wäre. Entsprechend schließt das innerstaatliche Recht einiger Staaten die sog. verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung aus, indem es die vorläufige Anwendung nur unter denselben Voraussetzungen wie den Vertragsschluss zulässt. Das Völkerrecht steht dem nicht entgegen. Allerdings kann ein Staat bei diesem innerstaatlichen Lösungsansatz erheblich an außenpolitischer Handlungsfähigkeit ein-
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büßen, sofern sein eigenes Vertragsschlussverfahren nicht relativ zügig durchlaufen werden kann. Schließlich kann er dann selbst bei eilbedürftigen Situationen mit der vorläufigen Anwendung nur diejenigen Verzögerungen vermeiden, die aus der Sphäre der anderen Staaten stammen. Aus diesem Grund gibt es einige Staaten, die die verfassungsrechtliche vorläufige Anwendung zumindest unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich zulassen. Im Gegenzug wird das Beteiligungsrecht des Parlaments im Vertragsschlussverfahren dann durch prozedurale und inhaltliche Voraussetzungen möglichst umfassend geschützt. Diese Vorgehensweise dürfte grundsätzlich am besten geeignet sein, um einen sinnvollen Ausgleich zwischen den Rechten des Gesetzgebers im innerstaatlichen Vertragsschlussverfahren und der internationalen Handlungsfähigkeit eines Staates zu schaffen. Durch Informations-, Vorlage- und Beendigungspflichten für die Exekutive kann dabei sichergestellt werden, dass ein zustimmungsbedürftiger Vertrag nicht dauerhaft ohne die Zustimmung der Legislative vorläufig angewendet werden kann. Über einen solchen Mindestschutz hinaus, erscheint ein parlamentarisches Einspruchsrecht als besonders geeignet, um die Rechte der Legislative in Bezug auf den Vertragsschluss zu schützen, ohne die außenpolitische Handlungsfähigkeit der Exekutive übermäßig einzuschränken. Für das Spannungsverhältnis zwischen dem Frustrationsverbot und dem innerstaatlichem Recht gibt es demgegenüber – soweit ersichtlich – noch keine speziellen innerstaatlichen Regelungen. Da die das Frustrationsverbot auslösende Unterzeichnung rechtliche und politische Vorteile mit sich bringt, wäre es für Staaten unattraktiv, sie bei zustimmungsbedürftigen Verträgen erst nach Zustimmung des Gesetzgebers vorzunehmen. Die Möglichkeit zur Beendigung wiederum bietet den Rechten des Gesetzgebers auch hier keinen ausreichenden Schutz, da sie vom Parlament nicht selbst herbeigeführt werden kann. Die beste Lösung für das Spannungsverhältnis zwischen dem Frustrationsverbot und der innerstaatlichen Gewaltenteilung ist daher, dass das Frustrationsverbot von vorherherein eng ausgelegt wird. Dabei ist das Frustrationsverbot dahingehend zu verstehen, dass es von einem Staat lediglich verlangt, dass er nicht verhindert, dass der Vertragszweck durch eine fällige Vertragserfüllung erreicht werden kann. Man mag bedauern, dass ein derart eng verstandenes Frustrationsverbot insbesondere bei multilateralen rechtsetzenden Verträgen keine hohen Anforderungen an das Staatenverhalten stellt, weil solche Verträge aufgrund ihrer abstrakten Ziele nur schwer frustriert werden können. Doch wird dieses enge Verständnis des Frustrationsverbotes bereits vom Wortlaut des Art. 18 WVK und der Systematik der Wiener Vertragsrechtskonvention vorgegeben. Art. 18 WVK ist für den Inhalt des Frustrationsverbotes maßgeblich, zumal das gewohnheitsrechtliche Frustrationsverbot erst aus diesem Artikel heraus entstanden und inhaltlich mit ihm identisch ist. Allenfalls das Frustrationsverbot aus Treu und Glauben könnte einen anderen, weitreichenderen Inhalt haben, tritt im Konfliktfall aber als lex anterior hinter das vertragliche und das mit ihm identische gewohnheitsrechtliche Frustrationsverbot zurück.
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Somit ist das in Art. 18 WVK angelegte enge Verständnis des Frustrationsverbotes nicht nur rechtsdogmatisch überzeugend, sondern stellt auch die beste Lösung für die Verringerung des Spannungsverhältnisses zur innerstaatlichen Gewaltenteilung dar. Schließlich sind die Bindungen des parlamentarischen Gesetzgebers dann vor Inkrafttreten eines Vertrages von vornherein geringer.
B. Umgang des deutschen Verfassungsrechts mit dem Frustrationsverbot und der vorläufigen Anwendung Das Grundgesetz regelt weder das Frustrationsverbot noch die es auslösende Unterzeichnung. Auch für die vorläufige Anwendung von Verträgen gibt es in Deutschlands anders als in einigen anderen Staaten keine spezielle Regelung, obwohl sie in der Praxis regelmäßig zum Einsatz kommt. Allerdings kann das deutsche Verfassungsrecht in einer Weise ausgelegt werden, die einen differenzierten Umgang mit dem Frustrationsverbot und der vorläufigen Anwendung ermöglicht. Ausgangspunkt sind dabei grundsätzliche Überlegungen zur Rolle des Gesetzgebers im Rahmen der auswärtigen Gewalt. Nach der zutreffenden Ansicht des Bundesverfassungsgerichts weist das Grundgesetz die auswärtige Gewalt vorrangig der Exekutive zu, die daher Entscheidungen auf diesem Gebiet grundsätzlich allein treffen darf. Etwas anderes gilt für den Abschluss von politischen und gesetzesinhaltlichen Verträgen, der gemäß Art. 59 II 1 GG nur mit der vorherigen Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaften erfolgen darf. Diese Vorschrift ist vor dem Hintergrund der vom Grundgesetz vorgenommenen Gewaltenteilung im Bereich der auswärtigen Gewalt eng zu verstehen, muss andererseits aber auch vor einer Umgehung geschützt werden. Sofern völkerrechtliche Handlungen das parlamentarische Zustimmungserfordernis im Vertragsschlussverfahren zu unterlaufen drohen, muss daher die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG erwogen werden, zumal eine solche Analogie vom Grundgesetz nicht verboten wird.
I. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die vorläufige Anwendung Die vorläufige Anwendung eines zustimmungsbedürftigen Vertrages fällt nicht unter Art. 59 II 1 GG, da sie entgegen einer bislang in der Literatur wohl einhellig vertretenen Ansicht nicht als Abschluss eines Vertrages eingestuft werden kann. Zwar handelt es sich um eine Übereinkunft von mindestens zwei Völkerrechtssubjekten, die auf eine Änderung der Rechtslage gerichtet ist, doch bestehen neben allen Ähnlichkeiten zum Vertragsschluss auch einige rechtliche Unterschiede. Zudem verweist der verfassungsrechtliche auf den völkerrechtlichen Vertragsbegriff. Das Völkerrecht kann die vorläufige Anwendung jedoch schon deshalb nicht mit
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dem Abschluss eines Vertrages gleichsetzen, weil es Staaten mit ihr gerade die Möglichkeit eröffnen möchte, einen Vertrag auch schon vor Durchlaufen des zeitintensiven innerstaatlichen Vertragsschlussverfahrens anzuwenden. Wenngleich Art. 59 II 1 GG somit die vorläufige Anwendung nicht umfasst, muss er aus Sicht des Verfassungsrechts analog angewendet werden, da die Wirkungen der vorläufigen Anwendung denen eines in Kraft getretenen Vertrages ähneln. Angesichts der daraus resultierenden Umgehungsgefahr für die Mitwirkung des Gesetzgebers beim Vertragsschluss, sprechen neben historischen Erwägungen auch systematische und teleologische Argumente für das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke. Auch eine vergleichbare Interessenlage liegt grundsätzlich vor, da die Wirkungen der vorläufigen Anwendung in den für die Wertung des Art. 59 II 1 GG maßgeblichen Punkten denjenigen des Vertragsschlusses entsprechen. Die Vergleichbarkeit der Interessenlage entfällt auch nicht wegen des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit. Dieser ist schließlich nicht allgemein auf eine größtmögliche Effektivität des Völkerrechts gerichtet, sondern dient nur der Harmonisierung der deutschen Rechtslage mit bereits bestehenden völkerrechtlichen Pflichten. Im Zeitpunkt der Entscheidung über die vorläufige Anwendung besteht aber noch keine völkerrechtliche Pflicht, mit der die deutsche Rechtslage harmonisiert werden müsste, da die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung stets freiwillig ist. Vielmehr spricht der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit sogar für die analoge Anwendung des Art. 59 II 1 GG auf die vorläufige Anwendung, da nur so einem Auseinanderfallen der völkerrechtlichen und der deutschen Rechtslage entgegengewirkt werden kann. Wenngleich die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung somit grundsätzlich analog Art. 59 II 1 GG der Zustimmung des Parlaments bedarf, entfallen Analogie und Zustimmungsbedürftigkeit in zwei Fällen: Der erste Fall sind Situationen, in denen das staatliche Interesse an der vorläufigen Anwendung im Rahmen einer Einzelfallabwägung gegenüber der Umgehungsgefahr für die Rechte des Gesetzgebers überwiegt. Schließlich verlangen Funktionsgerechtigkeitserwägungen und die Verfassungsentscheidung für internationale Zusammenarbeit, dass die für schnelles Handeln besonders geeignete Regierung in besonderen, eilbedürftigen Situationen über eine effektive Möglichkeit zur internationalen Zusammenarbeit verfügt. In den allermeisten Fällen dürfte allerdings die Umgehungsgefahr gegenüber dem staatlichen Interesse an der vorläufigen Anwendung überwiegen. Denn typischerweise kann den Bedürfnissen der internationalen Zusammenarbeit auch Rechnung getragen werden, wenn die vorläufige Anwendung erst nach Zustimmung des Gesetzgebers erfolgt, da diese in der Praxis innerhalb relativ kurzer Zeit eingeholt werden kann. Der zweite Fall, in denen zustimmungsbedürftige Verträge ohne Zustimmung des Gesetzgebers vorläufig angewendet werden können, liegt vor, wenn der Umfang der vorläufigen Anwendung durch eine Beschränkungsklausel oder -erklärung auf den Inhalt eines zustimmungsfreien Verwaltungsabkommens begrenzt wird. Erforderlich ist allerdings, dass Ausle-
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gungsrisiken minimiert und die Rechte des Gesetzgebers mit hinreichender Sicherheit geschützt werden. In beiden Ausnahmefällen wird die Zustimmung des Gesetzgebers zur vorläufigen Anwendung zustimmungsbedürftiger Verträge entbehrlich, doch werden im Gegenzug seine Rechte in Bezug auf den Abschluss von Verträgen durch besondere Pflichten für die Regierung gesichert. Da sich eine Beeinträchtigung der Rechte des Gesetzgebers nie völlig ausschließen lässt, entstehen aus dem Grundsatz der Verfassungsorgantreue Informations-, Vorlage- und Beendigungspflichten für die Regierung. Dadurch wird die vorläufige Anwendung zu einem Zwischenstadium, welches vom parlamentarischen Gesetzgeber den situationsbedingten Druck zu einer schnellen Entscheidung über den Vertragsschluss nimmt und zugleich seine Rechte in Bezug auf diese später zu treffende Entscheidung wahrt. Somit erlaubt das deutsche Verfassungsrecht bei der vorgeschlagenen Auslegung einen differenzierten Umgang mit der vorläufigen Anwendung, welcher nicht nur die Rechte des Gesetzgebers im Vertragsschlussverfahren schützt, sondern auch die außenpolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands in eilbedürftigen Situationen erhält. Insofern ist es nicht erforderlich, dem Beispiel anderer Staaten zu folgen und spezielle Regelungen für die vorläufige Anwendung zu schaffen, zumal die meisten Regelungselemente bereits durch die vorgeschlagene Verfassungsauslegung nachgebildet werden. Zwar können einzelne Regelungselemente, wie z. B. ein parlamentarisches Einspruchsrecht nicht im Wege der Verfassungsauslegung nachgebildet werden, doch ist für sie gegenwärtig auch kein praktisches Bedürfnis ersichtlich. Spezielle Regelungen wären daher nur sinnvoll, um die Rechtslage ausdrücklich festzuhalten und in einzelnen Punkten zu konkretisieren.
II. Verfassungsrechtliche Vorgaben für das Frustrationsverbot Zwar stellt das Frustrationsverbot grundsätzlich eine allgemeine Regel des Völkerrechts dar, doch verleiht Art. 25 S. 2 GG den Pflichten, die sich in Bezug auf konkrete Verträge ergeben, dennoch keinen Übergesetzesrang. Ein anderes Ergebnis würde weit über den auf einen völkerrechtlichen Mindeststandard gerichteten Zweck des Art. 25 GG hinausgehen. Zudem würde das paradoxe Ergebnis eintreten, dass Pflichten aus dem Frustrationsverbot innerstaatlich einen höheren Rang einnehmen als Pflichten aus dem in Kraft getretenen Vertrag. Insofern muss wie beim Grundsatz pacta sunt servanda im Rahmen des Art. 25 GG zwischen der völkerrechtlichen Norm und ihrer Wirkung in Bezug auf konkrete Verträge unterschieden werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Anwendung des Frustrationsverbotes auf konkrete Verträge innerstaatlich keine Wirkungen erzeugt. Vielmehr stehen die entsprechenden Pflichten innerstaatlich im Rang eines Gesetzes, da das vertragliche Frustrationsverbot aus Art. 18 WVK durch das Vertragsgesetz zur Wiener Vertragsrechtskonvention in die deutsche Rechtsordnung einbezogen wurde.
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Was die Auslösung des völkerrechtlichen Frustrationsverbotes angeht, so bedarf diese nicht der Zustimmung des Gesetzgebers, da die Unterzeichnung eines Vertrages nicht unter Art. 59 II 1 GG fällt. Auch eine analoge Anwendung von Art. 59 II 1 GG scheidet grundsätzlich aus, da die Pflichten aus dem Frustrationsverbot sich inhaltlich von denen aus dem Vertrag unterscheiden und die Interessenlage nicht mit derjenigen beim Vertragsschluss vergleichbar ist. Etwas anderes gilt lediglich, wenn das Frustrationsverbot sich ausnahmsweise mit einer Pflicht aus dem zustimmungsbedürftigen Vertrag überschneidet. Wie bei der vorläufigen Anwendung spricht hier insbesondere die Umgehungsgefahr in Bezug auf die Rechte des Gesetzgebers für das Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke. In diesem Ausnahmefall ist dann auch die Interessenlage vergleichbar. Dass die Überschneidung beim Frustrationsverbot allenfalls einzelne Vertragspflichten betreffen kann, ist unbeachtlich, da auch beim Abschluss von Verträgen bereits eine einzige politische oder gesetzesinhaltliche Vertragsbestimmung zur Zustimmungsbedürftigkeit führt. Im Ergebnis erweist sich somit auch der Umgang des deutschen Verfassungsrechts mit dem Frustrationsverbot als differenziert. Die vor allem politisch wichtige Unterzeichnung kann nach dem Aushandeln eines Vertrages grundsätzlich zeitnah vorgenommen werden. Nur in dem seltenen Ausnahmefall, dass sie sich inhaltlich mit einer die Zustimmungsbedürftigkeit des Vertragsschlusses auslösenden Pflicht aus dem Vertrag überschneidet, muss die Zustimmung des Gesetzgebers zum Vertragsschluss abgewartet werden.
C. Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung bei Verträgen der Europäischen Union als Sonderfall Völkerrechtliche Verträge mit Wirkungen für Deutschland können heute nicht mehr nur von Deutschland selbst, sondern im Rahmen ihrer Zuständigkeiten auch von der Europäischen Union abgeschlossen werden. Dabei wird ebenfalls das Frustrationsverbot ausgelöst und in ungefähr jedem dritten Fall die vorläufige Anwendung vereinbart. In beiden Fällen werden nicht nur völkerrechtliche Bindungen für die Union und die Mitgliedstaaten erzeugt. Vielmehr können Frustrationsverbot und vorläufige Anwendung auch Wirkungen im Unionsrecht entfalten und an dessen Vorrang gegenüber dem mitgliedstaatlichen Recht teilnehmen.
I. Unionsrechtliche Regelungen Für das unionsinterne Vertragsschlussverfahren wird die Verteilung der Organkompetenzen für die Entscheidung über die Unterzeichnung und vorläufige Anwendung eines Vertrages ausdrücklich geregelt. Nach Art. 218 V AEUV entscheidet auf
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Vorschlag des Verhandlungsführers allein der Rat über die vorläufige Anwendung und die das Frustrationsverbot auslösende Unterzeichnung. Die Ansicht, dass die vorläufige Anwendung analog Art. 218 VI lit. a) AEUV ebenso wie der Abschluss bestimmter Verträge die vorherige Zustimmung des Europäischen Parlaments erfordert, kann nicht überzeugen. Angesichts der ausdrücklichen Regelung der vorläufigen Anwendung in Art. 218 VAEUV kann das Fehlen eines besonderen parlamentarischen Beteiligungsrechts nicht als planwidrige Regelungslücke gesehen werden, was auch Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der Norm bestätigen. In der Praxis kann das Europäische Parlament trotzdem effektiv Einfluss auf die Entscheidung über die vorläufige Anwendung nehmen. Hierfür steht ihm nicht nur ein Informations- und Stellungnahmerecht aus Art. 218 X AEUV, sondern auch die glaubhafte Drohung, dem späteren Abschluss des Abkommens seine Zustimmung zu verweigern, zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund lässt die Union die vorläufige Anwendung in der Praxis im Regelfall erst beginnen, wenn das Europäische Parlament dem Abschluss des jeweiligen Übereinkommens bereits zugestimmt hat. Für die Entscheidung über die das Frustrationsverbot auslösende Unterzeichnung steht dem Europäischen Parlament nach Art. 218 V AEUV ebenfalls kein Beteiligungsrecht zur Verfügung, das über sein allgemeines Informations- und Stellungnahmerecht aus Art. 218 X AEUV hinausgeht. Das allgemeine Informations- und Stellungnahmerecht ermöglicht dem Europäischen Parlament allerdings, rechtzeitig Einfluss auf die Entscheidung über die Unterzeichnung zu nehmen, falls sich das Frustrationsverbot ausnahmsweise mit einer inhaltlichen Pflicht aus dem Vertrag überschneiden würde. Somit wird auch im Unionsrecht ein Ausgleich zwischen der internationalen Handlungsfähigkeit der Union und den Interessen des Europäischen Parlaments getroffen. Denn rechtlich lässt das unionsinterne Vertragsschlussverfahren Kommission und Rat bei der Entscheidung über Unterzeichnung und vorläufige Anwendung viel Spielraum. Zugleich stellt es dem Europäischen Parlament aber auch rechtliche und politische Mittel zur Verfügung, mit denen dieses verhindern kann, dass seine Rechte in Bezug auf den Abschluss von Verträgen unterlaufen werden. Bei gemischten Abkommen stellt sich weiterhin die Frage, inwieweit die Union ohne Zustimmung der Mitgliedstaaten die vorläufige Anwendung vereinbaren kann. Entgegen weiterer und engerer Ansichten verläuft die Kompetenzverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten hier entlang der Kompetenzen beim Abschluss des gemischten Abkommens. Insofern kann die Union über die vorläufige Anwendung von Vertragsbestimmungen (nur) allein entscheiden, soweit diese in ihrer ausschließlichen Zuständigkeit liegen. Geht die von der Union erklärte vorläufige Anwendung über den Unionsteil hinaus, hat dies für die Mitgliedstaaten weder völker- noch unionsrechtliche Wirkungen. Umgekehrt können die Mitgliedstaaten die Beendigung der vorläufigen Anwendung durch die Union aber auch weder selbst
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erklären noch durch eine endgültige Verweigerung der Ratifikation des Abkommens herbeiführen. Das von der Unterzeichnung der Union ausgelöste Frustrationsverbot kann sich bei gemischten Abkommen nur auf diejenigen Vertragsteile beziehen, die in ihrer ausschließlichen Zuständigkeit liegen. Solange nur die Union einen Vertrag unterzeichnet hat, treffen die Pflichten aus dem Frustrationsverbot nur sie. Haben hingegen auch bereits die Mitgliedstaaten unterzeichnet, haften die Union und ihre Mitgliedstaaten wie nach Inkrafttreten als Gesamtschuldner, sofern die Kompetenzabgrenzung nicht nach außen erkennbar ist.
II. Vorgaben des deutschen Verfassungsrechts Auf verfassungsrechtlicher Ebene richtet sich die Mitwirkung des deutschen Gesetzgebers nicht nach den allgemeinen Regeln zur auswärtigen Gewalt, sondern ist in Art. 23 GG besonders ausgestaltet. Hinsichtlich der Mitwirkung des deutschen Vertreters an der Entscheidung über die Unterzeichnung oder vorläufige Anwendung eines Übereinkommens im Rat hat der Bundestag daher kein Zustimmungs-, sondern lediglich die in Art. 23 II, III GG vorgesehenen Informations- und Stellungnahmerechte. Entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht verdichtet sich das Stellungnahmerecht nicht stets zu einer Befassungspflicht, wenn bei gemischten Freihandelsabkommen der neuen Generation der Unionsteil vorläufig angewendet werden soll. Vielmehr ergibt sich nur in bestimmten Fällen eine solche Befassungspflicht aus der Integrationsverantwortung des Bundestages. Weiterhin kann die Integrationsverantwortung nicht dazu führen, dass sich das Stellungnahmerecht zu einem parlamentarischen Zustimmungserfordernis verdichtet. Schließlich würde eine solche Auslegung die funktionsgerechte Gewaltenteilung in Art. 23 GG unterlaufen und die außenpolitische Handlungsfähigkeit des Bundes schmälern. Sollen neben dem Unionsteil auch die mitgliedstaatlichen Teile eines gemischten Vertrages vorläufig angewendet werden, setzt dies eine entsprechende Erklärung der Mitgliedstaaten voraus. In Deutschland entspricht das verfassungsrechtliche Verfahren hierfür grundsätzlich demjenigen für die vorläufige Anwendung anderer völkerrechtlicher Verträge. Allerdings greift wegen des Ergänzungs- und Näheverhältnis zum Unionsrecht während der Vertragsverhandlungen zusätzlich das Informationsrecht des Bundestages aus Art. 23 II GG. Somit sind die Beteiligungsrechte des Bundestages bei Entscheidungen über die vorläufige Anwendung von Verträgen durch die Union geringer als wenn über die vorläufige Anwendung von Verträgen durch Deutschland entschieden wird. Dies wird durch die mit Zustimmung des Gesetzgebers erfolgte Kompetenzübertragung an die Union gerechtfertigt, zumal auf europäischer Ebene bereits eine effektive Kontrolle durch das Europäische Parlament erfolgt. Somit ist auch bei Verträgen der
Teil 4: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
371
Union der Umgang des deutschen Verfassungsrechts mit der Unterzeichnung und der vorläufigen Anwendung differenziert und interessengerecht.
D. Schwierigkeiten bei der verfassungsgerichtlichen Durchsetzung Alles in allem ist das deutsche Verfassungsrecht damit offen für eine Auslegung, die einen differenzierten Ausgleich zwischen den Rechten des deutschen Gesetzgebers beim Abschluss von Verträgen und der außenpolitischen Handlungsfähigkeit von Deutschland und der Union ermöglicht. Schwierigkeiten ergeben sich für den deutschen Gesetzgeber jedoch bei der verfassungsgerichtlichen Durchsetzung seiner Rechte. Dies zeigt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Anträge auf einstweilige Anordnung im Zusammenhang mit der Unterzeichnung und vorläufigen Anwendung von CETA. Hier nahm das Bundesverfassungsgericht anders als beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge keine summarische Prüfung der Rechtslage, sondern eine bloße Folgenabwägung vor, die zugunsten der vorläufigen Anwendung ausfiel. Die dafür vorgebrachten Gründe – insbesondere die einfache Beendbarkeit, der beschränkte Umfang und die außenpolitischen Schäden im Falle ihrer Untersagung – treffen typischerweise auch auf alle anderen Fälle der vorläufigen Anwendung zu. Somit wäre es bei Fortsetzung dieser Rechtsprechung nahezu ausgeschlossen, dass erfolgreich Eilrechtsschutz gegen die vorläufige Anwendung erwirkt werden kann. Dies stellt im parlamentarischen Regierungssystem ein erhebliches Problem dar, da die Rechte des Parlaments gegenüber der Regierung vor allem von der Opposition geltend gemacht werden und diese als Minderheit dafür auch auf effektiven Rechtsschutz angewiesen ist. Vor diesem Hintergrund sollte das Bundesverfassungsgericht in Zukunft auch bei der vorläufigen Anwendung eine summarische Prüfung vornehmen. Sofern hingegen weiterhin nur eine Folgenabwägung vorgenommen wird, sollte zumindest näher geprüft werden, ob Beschränkungen des Umfangs der vorläufigen Anwendung oder etwaige Beendigungsmöglichkeiten die vom Antragsteller vorgebrachten Rechte tatsächlich mit hinreichender Sicherheit schützen können. Beim Frustrationsverbot wiederum liegt ein mögliches Problem für den Rechtsschutz bereits darin, dass das Bundesverfassungsgericht bislang noch nie einen Rechtsbehelf für zulässig befunden hat, der ausschließlich gegen die Unterzeichnung gerichtet war, da es an unmittelbaren Wirkungen für den Antragsteller fehle. Diese Problematik sollte allerdings nicht überbewertet werden, da bislang soweit ersichtlich auch noch nie mit dem völkerrechtlichen Frustrationsverbot argumentiert wurde, obwohl das Bundesverfassungsgericht dessen Existenz ausdrücklich anerkannt hat. Problematischer erscheint hingegen, dass die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts zur bloßen Folgenabwägung bei der vorläufigen Anwendung auch auf das Frustrationsverbot übertragen werde könnte. Schließlich
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Teil 4: Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse
kann dieses formlos und damit sogar noch leichter als die vorläufige Anwendung wieder beendet werden. Somit schützt das deutsche Verfassungsrecht die Rechte des Gesetzgebers zwar auch im Vorfeld des Vertragsschlusses, dürfte im Eilrechtsschutz aber nur schwer durchsetzbar sein. Dieses Problem könnte allerdings vom Bundesverfassungsgericht selbst und damit ohne Änderung der Rechtslage behoben werden.
Annex 1
Vorläufige Anwendung bilateraler Verträge durch Deutschland Name des Vertrages
Vertragspartner Zeitpunkt der vorläufigen Anwendung
Zeitpunkt des Inkrafttretens
Abkommen vom 26. 11. 2015 Albanien über kulturelle Zusammenarbeit
26. 11. 2015 (Bek. 08.12.15) BGBl. 2016 II 32, 33, 36
Abkommen vom 17. 11. 2010 Kroatien über die Anrechnung von in der Bundesrepublik Deutschland gelagerten Beständen des Amtes für Mindestvorräte an Erdöl und Erdölerzeugnissen der Republik Kroatien
17. 11. 2010 02. 03. 2011 (Bek. 20.01.11) (Bek. 04.07.11) BGBl. 2011 II 213, 214 BGBl. 2011 II 731
Abkommen vom 27. 02. 2009 Angola über die Kooperation in den Bereichen Kultur, Bildung und Wissenschaft
27. 02. 2009 08. 08. 2012 (Bek. 31.03.09) (Bek. 08.08.14) BGBl. 2009 II 436, 437 BGBl. 2014 II 528
Vereinbarung vom 11. 02. Belarus 2009 über die Bedingungen der Erholungsaufenthalte für die minderjährigen Bürger der Republik Belarus in der Bundesrepublik Deutschland
07. 09. 2009 (Bek. 10.06.10) BGBl. 2010 II 833
24. 12. 2010 (Bek. 22.03.12) BGBl. 2012 II 288
Abkommen vom 10. 11. 2005 China über kulturelle Zusammenarbeit
10. 11. 2005 (Bek. 28.11.05) BGBl. 2006 II 36
26. 07. 2007 (Bek. 11.12.08) BGBl. 2009 II 97
Abkommen vom 30. 12. 2004/17. 03. 2005 über die automatische Auskunftserteilung über Zinserträge in Form von Zinszahlungen
Anguilla (Vereinigtes Königreich)
25. 03. 2019 (Bek. 10.05.19) BGBl. 2019 II 485
01. 07. 2005 – (Bek. 30.03.10) BGBl. 2010 II 505, 506
374
Annex 1: Vorläufige Anwendung bilateraler Verträgedurch Deutschland
Name des Vertrages
Vertragspartner Zeitpunkt der vorläufigen Anwendung
Zeitpunkt des Inkrafttretens
Abkommen vom 30. 12. 2004/11. 04. 2005 über die Besteuerung von Zinserträgen
Britische Jungferninseln (Vereinigtes Königreich)
01. 07. 2005 – (Bek. 30.03.10) BGBl. 2010 II 507, 508
Abkommen vom 30. 12. 2004/07. 04. 2005 über die Besteuerung von Zinserträgen
Montserrat (Vereinigtes Königreich)
01. 07. 2005 05. 12. 2013 (Bek. 30.03.10) (Bek. 17.01.14) BGBl. 2010 II 498, 499 BGBl. 2014 II 127
Abkommen vom 30. 12. 2004/01. 04. 2005 über die Besteuerung von Zinserträgen
Kaimaninseln (Vereinigtes Königreich)
01. 07. 2005 24. 02. 2012 (Bek. 30.03.10) (Bek. 17.01.14) BGBl. 2010 II 490, 491 BGBl. 2014 II 126
Abkommen vom 30. 04. 2004/01. 03. 2005 über die Besteuerung von Zinserträgen
Turks- und Caicosinseln (Vereinigtes Königreich)
01. 07. 2005 – (Bek. 30.03.10) BGBl. 2010 II 481, 482
Abkommen vom 26. 05. 2004/27. 08. 2004 über die automatische Auskunftserteilung im Zusammenhang mit Zinserträgen (für die Niederländischen Antillen)
Niederlande
01. 07. 2005 – (Bek. 30.03.10) BGBl. 2010 II 534, 535
Abkommen vom 26. 05. 2004/ 09. 11. 2004 über die automatische Auskunftserteilung im Zusammenhang mit Zinserträgen (für Aruba)
Niederlande
01. 07. 2005 – (Bek. 30.03.10) BGBl. 2010 II 537, 538
Abkommen vom 21. 07. 2004 Bosnien und über Zusammenarbeit in den Herzegowina Bereichen der Kultur, Bildung und Wissenschaft
21. 07. 2004 (Bek. 16.09.04) BGBl. 2004 II 1442
04. 01. 2006 (Bek. 15.03.06) BGBl. 2006 II 278
Abkommen vom 10. 12. 2003 Russland über die Erleichterung des Reiseverkehrs von Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland und Staatsangehörigen der Russischen Föderation
01. 01. 2004 (Bek. 21.01.04) BGBl. 2004 II 138
09. 12. 2004 (Bek. 21.01.04) BGBl. 2006 II 357
Annex 1: Vorläufige Anwendung bilateraler Verträgedurch Deutschland Name des Vertrages
Vertragspartner Zeitpunkt der vorläufigen Anwendung
375
Zeitpunkt des Inkrafttretens
Abkommen vom 09. 10. 2003 Russland über die Hilfeleistung bei der Eliminierung der von der Russischen Föderation zu reduzierenden Atomwaffen durch Entsorgung der von den Seestreitkräften Russlands außer Dienst gestellten AtomUnterseeboote im Rahmen der Realisierung der Vereinbarungen über die Globale Partnerschaft gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und -material
09. 10. 2003 (Bek. 01.12.03) BGBl. 2003 II 1661
15. 05. 2005 (Bek. 08.11.05) BGBl. 2005 II 1240
Abkommen vom 09. 10. 2003 Russland über den Transit von Wehrmaterial und Personal durch das Hoheitsgebiet der Russischen Föderation im Zusammenhang mit Beiträgen der Bundeswehr zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau Afghanistans
09. 10. 2003 (Bek. 24.10.03) BGBl. 2003 II 1620
17. 11. 2004 (Bek. 03.12.04) BGBl. 2005 II 16
Abkommen vom 09. 04. 2003 Libanon über die kulturelle Zusammenarbeit
09. 04. 2003 (Bek. 30.04.03) BGBl. 2003 II 529
08. 04. 2015 (Bek. 10.12.15) BGBl. 2016 II 41
Abkommen vom 16. 09. 2002 über die Rückführung und Übernahme von Personen, die im Hoheitsgebiet des anderen Staates die Voraussetzungen für die Einreise oder den Aufenthalt nicht erfüllen und Protokoll zur Durchführung des Abkommen
01. 11. 2002 (Bek. 30.10.02) BGBl. 2002 II 2762, 2767
01. 04. 2003 (Bek. 14.01.04) BGBl. 2004 II 146
13. 09. 2002 (Bek. 22.11.02) BGBl. 2003 II 8
18. 12. 2002 (Bek. 27.01.03) BGBl. 2003 II 186
Jugoslawien (Heutige Vertragsparteien laut Fundstellennachweis B: Montenegro und Serbien)
Vereinbarung vom 13. 09. Kroatien 2002 über die Beschäftigung von Arbeitnehmern kroatischer Unternehmen mit Sitz in der Republik Kroatien zur Ausführung von Werkverträgen
376
Annex 1: Vorläufige Anwendung bilateraler Verträgedurch Deutschland
Name des Vertrages
Vertragspartner Zeitpunkt der vorläufigen Anwendung
Zeitpunkt des Inkrafttretens
Vereinbarung vom 13. 09. Kroatien 2002 über die Beschäftigung von Arbeitnehmern zur Erweiterung ihrer beruflichen und sprachlichen Kenntnisse (Gastarbeiter-Vereinbarung)
13. 09. 2002 (Bek. 22.11.02) BGBl. 2003 II 10
18. 12. 2002 (Bek. 27.01.03) BGBl. 2003 II 185
Abkommen vom 14. 06. 2002 Slowakei über den grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr auf der Straße
14. 06. 2002 (Bek. 24.07.02) BGBl. 2002 II 2355
02. 03. 2003 (Bek. 28.02.03) BGBl. 2003 II 292
Abkommen vom 18. 10. 2001 Bosnien und über den grenzüberschreiten- Herzegowina den Personen- und Güterverkehr auf der Straße
18. 10. 2001 (Bek. 12.11.01) BGBl. 2001 II 1654
24. 03. 2003 (Bek. 26.09.03) BGBl. 2003 II 1557
Abkommen vom 18. 12. 2000 Slowenien über die Anrechnung in der Bundesrepublik Deutschland gelagerter Bestände an Erdöl und Erdölerzeugnissen der Republik Slowenien
18. 12. 2000 (Bek. 31.01.01) BGBl. 2001 II 228
14. 07. 2001 (Bek. 16.08.01) BGBl. 2001 II 936
Abkommen vom 30. 09. 1999 Tschechien über kulturelle Zusammenarbeit
30. 09. 1999 (Bek. 08.11.99) BGBl. 1999 II 1057
15. 06. 2001 (Bek. 10.12.01) BGBl. 2002 II 76
Abkommen vom 16. 02. 1999 Lettland über die Aufhebung der Visumpflicht
01. 03. 1999 (Bek. 25.03.99) BGBl. 1999 II 376
17. 08. 1999 (Bek. 14.02.00) BGBl. 2000 II 613
Abkommen vom 16. 02. 1999 Estland über die Aufhebung der Visumpflicht
01. 03. 1999 (Bek. 25.03.99) BGBl. 1999 II 374
04. 08. 1999 (Bek. 14.02.00) BGBl. 2000 II 612
Abkommen vom 15. 02. 1999 Litauen über die Aufhebung der Visumpflicht
01. 03. 1999 (Bek. 25.03.99) BGBl. 1999 II 378
03. 08. 1999 (Bek. 14.02.00) BGBl. 2000 II 613
Abkommen vom 18. 09. 1998 Europäische zwischen der Regierung der Zentralbank Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Zentralbank über den Sitz der europäischen Zentralbank
09. 12. 1998 (Bek. 12.01.99) BGBl. 1999 II 81
04. 04. 1999 (Bek. 18.03.99) BGBl. 1999 II 367
Annex 1: Vorläufige Anwendung bilateraler Verträgedurch Deutschland Name des Vertrages
Vertragspartner Zeitpunkt der vorläufigen Anwendung
377
Zeitpunkt des Inkrafttretens
Abkommen vom 28. 08. 1997 Turkmenistan über kulturelle Zusammenarbeit
28. 08. 1997 (Bek. 16.12.99) BGBl. 2000 II 471
19. 06. 2002 (Bek. 16.12.99) BGBl. 2002 II 2493
Protokoll vom 14. 02. 1997 über die Identifizierung und die Rückübernahme
01. 11. 1999 (Bek. 04.12.03) BGBl. 2004 II 16
12. 05. 2006 (Bek. 02.11.06) BGBl. 2006 II 1144
Abkommen vom 22. 12. 1995 Aserbaidschan über kulturelle Zusammenarbeit
22. 12. 1995 (Bek. 16.12.99) BGBl. 2000 II 186
–
Abkommen vom 21. 12. 1995 Armenien über kulturelle Zusammenarbeit
21. 12. 1995 (Bek. 16.12.99) BGBl. 2000 II 18
–
Abkommen vom 11. 10. 1995 Moldau über kulturelle Zusammenarbeit
11. 10. 1995 (Bek. 16.12.99) BGBl. 2000 II 208
–
Abkommen vom 22. 08. 1995 Tadschikistan über kulturelle Zusammenarbeit
22. 08. 1995 (Bek. 16.12.99) BGBl. 2000 II 225
18. 06. 2003 (Bek. 18.07.03) BGBl. 2003 II 744
Abkommen vom 16. 05. 1995 Rumänien über kulturelle Zusammenarbeit
12. 08. 1996 (Bek. 16.12.99) BGBl. 2000 II 216
–
Abkommen vom 16. 12. 1994 Kasachstan über kulturelle Zusammenarbeit
16. 12. 1994 (Bek. 16.12.99) BGBl. 2000 II 462
05. 06. 2003 (Bek. 18.07.03) BGBl. 2003 II 744
Abkommen vom 03. 03. 1994 Belarus über kulturelle Zusammenarbeit
03. 03. 1994 (Bek. 16.12.99) BGBl. 2000 II 194
–
Abkommen vom 01. 03. 1994 Ungarn über kulturelle Zusammenarbeit
01. 03. 1994 (Bek. 16.12.99) BGBl. 2000 II 479
07. 06. 2005 (Bek. 06.07.05) BGBl. 2005 II 788
Abkommen vom 23. 08. 1993 Kirgisistan über kulturelle Zusammenarbeit
05. 04. 1994 (Bek. 05.07.00) BGBl. 2000 II 1139
22. 07. 2002 (Bek. 20.03.03) BGBl. 2003 II 423
Abkommen vom 21. 07. 1993 Litauen über kulturelle Zusammenarbeit
05. 08. 1994 (Bek. 02.11.05) BGBl. 2006 II 13
–
Algerien
378
Annex 1: Vorläufige Anwendung bilateraler Verträgedurch Deutschland
Name des Vertrages
Vertragspartner Zeitpunkt der vorläufigen Anwendung
Zeitpunkt des Inkrafttretens
Abkommen vom 25. 06. 1993 Georgien über kulturelle Zusammenarbeit
23. 12. 1994 (Bek. 16.12.99) BGBl. 2000 II 202
–
Abkommen vom 07. 05. 1993 Polen über die Zusammenarbeit hinsichtlich der Auswirkungen von Wanderungsbewegungen
15. 05. 1993 Vgl. Bulletin der Bundesregierung vom 12. Mai 1993, Nr. 37 – 93, S. 326
14. 04. 1994 (Bek. 11.08.97) BGBl. 1997 II 1734
Abkommen vom 29. 04. 1993 Estland über kulturelle Zusammenarbeit
13. 06. 1994 (Bek. 16.12.99) BGBl. 2000 II 445
15. 08. 2002 (Bek. 28.02.03) BGBl. 2003 II 340
Abkommen vom 28.04. 1993 Usbekistan über kulturelle Zusammenarbeit
13. 04. 1994 (Bek. 16.12.99) BGBl. 2000 II 233
20. 02. 2002 (Bek. 11.04.02) BGBl. 2002 II 1159
Abkommen vom 20. 04. 1993 Lettland über kulturelle Zusammenarbeit
07. 09. 1994 (Bek. 16.12.99) BGBl. 2000 II 454
–
Abkommen mit Spanien über Spanien den internationalen Straßenverkehr vom 17. 01. 1980
16. 02. 1980 (Bek. 06.02.80) BGBl. 1980 II 111
03. 12. 1980 (Bek. 21.07.81) BGBl. 1981 II 577
Abkommen vom 08. 09. 1977 Türkei über den grenzüberschreitenden Personen- und Güterverkehr auf der Straße
23. 10. 1977 (Bek. 10.10.77) BGBl. 1977 II 1172
24. 05. 1978 (Bek. 27.06.78) BGBl. 1978 II 920
Vertrag vom 28. 06. 1977 über Mali die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen
28. 06. 1977 RA Nr. 22/77 vom 21.09.77 – BAnz. Nr. 194/77
16. 05. 1980 (Bek. 19.05.80) BGBl. 1980 II 695
Vertrag vom 17. 09. 1974 über Malta die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen sowie Briefwechsel (mit Protokoll und Briefwechsel vom 07. 04. 1973)
17. 09. 1974 RA Nr. 63/74 vom 09. 10. 1974 – BAnz. Nr. 201/74
14. 12. 1975 (Bek. 16.12.75) BGBl. 1976 II 137
Abkommen vom 05. 07. 1974 Ägypten über die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen mit Ägypten
05. 07. 1974 Vgl. 1977 BGBl. II 1145, 1154
22. 07. 1978 (Bek. 27.09.78) BGBl. 1978 II 1247
Annex 1: Vorläufige Anwendung bilateraler Verträgedurch Deutschland Name des Vertrages
Vertragspartner Zeitpunkt der vorläufigen Anwendung
379
Zeitpunkt des Inkrafttretens
Vertrag vom 03. 10. 1973 über Singapur die Förderung und den gegenseitigen Schutz von Kapitalanlagen sowie Briefwechsel vom 26./27./28. 09. 1973
03. 10. 1973 RA Nr. 44/73 vom 17.10.73 – BAnz. Nr. 208/73
01. 10. 1975 (03.11.75) BGBl. 1975 II 1781
Abkommen vom 18. 03. 1969 Kongo über Technische Zusammenarbeit und Ausbildung
18. 03. 1969 (Bek. 15.11.78) BGBl. 1978 II 1386
04. 08. 1975 (Bek. 15.11.78) BGBl. 1978 II 1386
Abkommen über Kapitalhilfe Uganda mit Uganda vom 20. 03. 1964
20. 03. 1964 RA Nr. 33/66 vom 11.08.66 – BAnz. Nr. 167/66
24. 11. 1964 RA Nr. 33/66 vom 11.08.66 – BAnz. Nr. 167/ 66
Handelsabkommen mit Somalischer Republik vom 19. 01. 1962
Somalia
19. 01. 1962 BAnz. Nr. 113/62
23. 08. 1962 RA Nr. 46/62 vom 07.12.62 – BAnz. Nr. 241/ 62
Abkommen mit Italien über Kriegsgräber vom 22. 12. 1955
Italien
22. 12. 1955 Vgl. BGBl. 1957 II 1277, 1284
16. 01. 1958 (Bek. 06.02.58) BGBl. 1958 II 92
29. 12. 1949 (Bek. 14.03.50) BGBl. 1950 79
07. 02. 1950 (Bek. 14.03.50) BGBl. 1950 79
Abkommen über Wirtschaft- USA liche Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland vom 15. 12. 1949
Annex 2
Vorläufige Anwendung multilateraler Verträge durch Deutschland Name des Vertrages
Zeitpunkt der vorläufigen Anwendung
Zeitpunkt des Inkrafttretens
Vertrag vom 02. 04. 2013 über den Waffenhandel
02. 04. 2014 (Bek. 08.04.14) BGBl. 2014 II 353
24. 12. 2014 (Bek. 01.12.14) BGBl. 2014 II 1283
Übereinkommen vom 09. 12. 2011 über den Internationalen Suchdienst und der Partnerschaftsvereinbarung über die Beziehungen zwischen dem Bundesarchiv der Bundesrepublik Deutschland und dem Internationalen Suchdienst
01. 01. 2013 (Bek. 30.01.13) BGBl. 2013 II 272, 273
01. 04. 2016 (Bek. 19.04.16) BGBl. 2016 II 520
Änderung vom 02. 10. 2008 des Übereinkommens vom 03. 09. 1976 [über die Internationale Organisation für Satellitenkommunikation]
06. 10. 2008 – (Bek. 16.06.11) BGBl. 2011 II 739
Protokoll Nr. 14 vom 13. 05. 2004 zur Konvention zum 01. 06. 2006 Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die (Bek. 06.07.09) Änderung des Kontrollsystems der Konvention BGBl. 2009 II 823
01. 06. 2010 (Bek. 01.10.10) BGBl. 2010 II 1196
Übereinkommen vom 27. 09. 1996 aufgrund von Artikel 11. 03. 1999 K.3 des Vertrags über die Auslieferung zwischen den (Bek. 24.06.99) Mitgliedstaaten der Europäischen Union BGBl. 1999 II 707 Übereinkommen vom 10. 03. 1995 auf Grund von Artikel K.3 des Vertrags über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union
11. 03. 1999 – (Bek. 12.03.99) BGBl. 1999 II 357
Übereinkommen vom 28. 07. 1994 zur Durchführung des 16. 11. 1994 Teiles XI des Seerechts-Übereinkommens der Vereinten (Bek. 15.05.95) Nationen vom 10. 12. 1982 BGBl. 1995 II 479
28. 07. 1995 (Bek. 10.09.96) BGBl. 1996 II 2511
Annex 2: Vorläufige Anwendung multilateraler Verträge durch Deutschland
Zeitpunkt des Inkrafttretens
Name des Vertrages
Zeitpunkt der vorläufigen Anwendung
Übereinkommen vom 13. 11. 1991 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vollstreckung ausländischer strafrechtlicher Verurteilungen
09. 12. 1997 – (Bek. 30.03.98) BGBl. 98 II 896
Vertrag vom 19. 11. 1990 über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) und Protokoll über die vorläufige Anwendung einiger Bestimmungen des KSEVertrages
17. 07. 1992 (Bek. 05.08.92) BGBl. 1992 II 1036
Abkommen vom 26. 05. 1989 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vereinfachung und Modernisierung der Verfahren zur Übermittlung von Auslieferungsersuchen
08. 06. 1995 – (Bek. 26.09.95) BGBl. 1995 II 969
Zusatzprotokoll Nr. 4 vom 25. 04. 1989 zu der Revidier- 01. 05. 1989 ten Rheinschifffahrtsakte (Bek. 31.10.91) BGBl. 1991 II 1119
381
09. 11. 1992 (Bek. 10.11.92) BGBl. 1992 II 1175
01. 08. 1991 (Bek. 31.10.91) BGBl. 1991 II 1119
Übereinkommen vom 25. 05. 1987 zwischen den Mit20. 09. 1999 – gliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über das (Bek. 16.01.02) Verbot der doppelten Strafverfolgung BGBl. 2002 II 600 Europäisches Währungsabkommen vom 05. 08. 1955 und 26. 08. 1959 Protokoll vom 05. 08. 1955 über die vorläufige Anwen- (11. 09. 1959) dung des Europäischen Währungsabkommens BGBl. 1959 II 1016
–
Abkommen zu dem am 06. 05. 1882 geschlossenen in- 03. 06. 1955 ternationalen Vertrag über die polizeiliche Regelung der Vgl. Fischerei in der Nordsee BGBl. 1957 II 213
20. 05. 1958 (Bek. 25.07.58) BGBl. 1958 II 322
Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT) vom 01. 10. 1951 30. 10. 1947 in der Fassung der Schlussakte und des (Bek. 05.10.51) Protokolls von Torquay vom 21. 04. 1951 BGBl. 1951 II 200
01. 01. 1995 (Bek. 18.05.95) BGBl. 1995 II 456
Abkommen über die Gründung einer Europäischen Zahlungsunion vom 19. 09. 1950
–
19. 09. 1950 Vgl. BGBl. 1951 II 31
Annex 3
Vorläufiges Inkrafttreten multilateraler Verträge Deutschlands Name des Vertrages
Zeitpunkt des vorläufigen Inkrafttretens
Zeitpunkt des Inkrafttretens
Internationales Kaffee-Übereinkommen von 1994 01. 10. 1994 vom 31.03. 1994 Fundstellennachweis B (2021), 970
–
Übereinkommen vom 25. 09. 1990 zur Regelung bestimmter Fragen in Bezug auf Berlin
13. 09. 1994 (21.10.94) BGBl. 1990 II 3703
03. 10. 1990 (28.10.90) BGBl. 1990 II 1273
Internationales Kakao-Übereinkommen von 1986 20. 01. 1987 vom 25. 07. 1986 Fundstellennachweis B (2021), 901
–
Internationales Kaffee-Übereinkommen von 1983 01. 10. 1983 vom 01. 01. 1983 Fundstellennachweis B (2021), 875
11. 09. 1985 (Bek. 16.12.85) BGBl. 1986 II 11
Internationales Jute-Übereinkommen von 1982
09. 01. 1984 26. 08. 1986 1346 UNTS 60, Fn. 1 (Bek. 15.01.87) BGBl. 1987 II 131
Internationales Kakao-Übereinkommen von 1980 01. 08. 1981 vom 19. 11. 1980 Fundstellennachweis B (2021), 862
–
Internationales Naturkautschuk-Übereinkommen von 1979 vom 06. 10. 1979
23. 10. 1980 (Bek. 16.03.82) BGBl. 1982 II 404
15. 04. 1982 (Bek. 15.04.82) BGBl. 1982 II 973
Internationales Kaffee-Übereinkommen von 1976 01. 10. 1976 vom 31. 01. 1976 (Bek. 31.05.77) BGBl. 1977 II 621
01. 08. 1977 (Bek. 04.10.77) BGBl. 1977 II 1167
Annex 3: Vorläufiges Inkrafttreten multilateraler Verträge Deutschlands Name des Vertrages
Zeitpunkt des vorläufigen Inkrafttretens
Internationales Kakao-Übereinkommen von 1975 01. 10. 1976 vom 10. 11. 1975 (Bek. 09.06.78) BGBl. 1978 II 985
383
Zeitpunkt des Inkrafttretens 07. 11. 1978 (Bek. 01.02.79) BGBl. 1979 II 237
5. Internationales Zinn-Übereinkommen von 1975 01. 07. 1976 14. 06. 1977 1014 UNTS 44, Fn. 1 (Bek. 07.09.77) BGBl. 1977 II 1138 Internationales Kakao-Übereinkommen von 1972 30. 06. 1973 UNTS 68, Fn. 1
–
Protokolle zur fünften Verlängerung der Internationalen Weizen-Übereinkunft von 1971, bestehend aus dem Weizenhandels-Übereinkommen von 1971 und dem Nahrungsmittelhilfe-Übereinkommen von 1971
23. 06. 1979 bzw. 01. 07. 1979 (10.06.81) BGBl. 1981 II 505
21. 06. 1979 (10.06.81) BGBl. 1981 II 505
Internationales Kaffee-Übereinkommen von 1968 01. 10. 1968 vom 18. 03. 1968 (Bek. 23.10.68) BGBl. 1968 II 927
30. 12. 1968 (Bek. 15.02.69) BGBl. 1969 II 587
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264, 350 ff.
Demokratieprinzip 225, 236, 253 f., 268, 279, 283 Dualismus 154 ff., 243, 250 f. Einseitige Völkerrechtsakte 101 Einstweilige Anordnung 350 ff. Energiecharta-Vertrag 35, 82, 108, 136 ff., 185 ff., 211
Estoppel 52 f., 75, 196 Exekutivabkommen 131, 182 Folgenabwägung 351 f. Frustrationsverbot – Beendigung 81 ff., 210 ff. – Funktion 30 ff. – Geschichte 42 ff. – Innerstaatlicher Rang 298 ff. – Rechtsnatur 40 ff. – Unsigning 210 f. – Wirkungen 57 ff. – Zustimmungsbedürftigkeit 301 ff. Funktionsgerechtigkeit 225, 229, 241 f., 275, 283, 340 Gemischte Abkommen 309 f., 322 ff., 336, 338 ff., 345 ff. Gesetzesinhaltliche Verträge 220 Harvard Draft 42, 44 Hochpolitische Verträge
219 f.
Informationspflicht 170, 174, 176, 288 ff., 293 f. Inkrafttreten 27 ff. Integrationsverantwortung 338 ff. Internationale Zusammenarbeit 246 f., 282 f. Irrelevanz innerstaatlichen Rechts 176 ff. Kernwaffenteststopp-Vertrag Kombinierte Gewalt 229 f.
145 f.
Legitimität 74, 157 ff., 173 f., 221, 226, 237, 278, 348 Loyale Zusammenarbeit 317, 329, 331 f. Monismus
154 ff., 335
Organadäquanz
225, 233, 241 f., 283
Stichwortverzeichnis Pacta sunt servanda 105, 107, 176, 252, 254, 300 Parlamentarisches System 153 f., 354 Präsidialsystem 153 f. Ratifikation 23 f., 27 f., 85 f. Ratifikationsbezogene Pflichten 24, 112 ff. Rechtsetzende Verträge 62 f., 65 f., 73 f. Rechtsgeschäftliche Verträge 62 f. Rom-Statut 81, 146 f., 211 Soft law 105 f., 266, 276 Spannungsverhältnis – Eingrenzung bei Frustrationsverbot 298 – Eingrenzung bei vorläufiger Anwendung 129 ff. – Frustrationsverbot und Gewaltenteilung 33 f., 142 ff. – Vorläufige Anwendung und Gewaltenteilung 33 f., 127 ff., 129 Summarische Prüfung 351, 354 f. Transformationstheorie 244 Treaty Override 227 f., 252 ff. Treu und Glauben 50 ff., 75, 196 f., 199, 210, 343 Ultra vires 325, 337, 349 Umgehungsbegriff 231 Unmittelbare Anwendbarkeit 244, 336 Unsigning 76, 81 f. Unterzeichnung 23 ff., 208 f. Verbot des Rechtsmissbrauchs 50 f., 53, 69, 75 Verfassungsidentität 337 Verfassungsorgantreue 267, 289 f., 293, 349 Vertragsbegriff 270 Vertragsschlussverfahren – Geschichte 23 f. – im Völkerrecht 22 f., 26 – in Deutschland siehe Art. 59 II GG
415
– in Europäischer Union siehe Art. 218 AEUV – Innerstaatlich 24 f. Vertrauensschutz 50 ff., 65, 69, 72, 75, 80 f., 196, 210, 343 ff. Verwaltungsabkommen 131, 220, 248, 250 f. Völkerrechtsfreundlichkeit 245 f., 250 f., 265, 267 f., 279 ff. Völkerrechtskommission – Vertragsrechtskonvention 23, 34, 45 f., 107 – Vorläufige Anwendung 35, 99, 107, 111, 163, 178 Vollzugslehre 244 Vorbehalt 204 ff., 209 f. Vorlagepflicht 113 f., 170, 174 ff., 267, 289 f., 293 f. Vorläufige Anwendung – Beendigung 117 ff., 183 f., 266, 268, 278, 329 ff. – Beschränkungserklärung 203 ff. – Beschränkungsklauseln 105 f., 110 f., 185 ff. – Funktion 32, 88 ff. – Geschichte 31 – Innerstaatliche Regelungen 163 ff. – Opt-in 98 f., 183 – Opt-out 98, 183, 193 f. – Rechtsnatur 94, 102 ff. – Verfassungsrechtliche 129 f. – Wirkungen 105 ff. – Zustimmungsbedürftigkeit 263 ff., 313 ff., 339 f. Wesentlichkeitstheorie 230, 234 f., 237 f. Wiener Vertragsrechtskonferenz 34, 47, 94, 107, 143, 183 Wiener Vertragsrechtskonvention 1969 41 Wiener Vertragsrechtskonvention 1986 307 Yukos-Schiedsverfahren
35, 137 ff., 186 ff.