Vorträge aus dem Warburg-Haus: Band 15 Vorträge aus dem Warburg-Haus 9783110746099, 9783110745948

The fifteenth volume of lectures from the Warburg House brings together contributions whose spectrum of content ranges f

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Inhalt
Ein unfehlbarer Bau
Umgekehrte Intentionalität
Mars regiert
Durch Distanz
Maschinenästhetik
Anmerkungen
Bildnachweise
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Vorträge aus dem Warburg-Haus: Band 15 Vorträge aus dem Warburg-Haus
 9783110746099, 9783110745948

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Vorträge aus dem Warburg -Haus Band 15

Herausgegeben von Uwe Fleckner, Margit Kern, Birgit Recki und Cornelia Zumbusch



Vorträge aus dem Warburg-Haus Band 15 Mit Beiträgen von Pascal Dubourg Glatigny Emmanuel Alloa Alexander Honold Birgit Recki Gertrud Koch

Inhalt

   7

Pascal Dubourg Glatigny Ein unfehlbarer Bau Die Kuppel des Petersdoms im Widerstreit der Ideologien

  31

Emmanuel Alloa Umgekehrte Intentionalität Über emersive Bilder

  53

Alexander Honold Mars regiert Aby Warburg und das Planetarium des Krieges

  77

Birgit Recki Durch Distanz Hans Blumenberg über Technik und Kunst

  91

Gertrud Koch Maschinenä sthetik Animation durch Technik, Animation der Technik

109 121

Anmerkungen Bildnachweise

Pascal Dubourg Glatigny

Ein unfehlbarer Bau Die Kuppel des Petersdoms im Widerstreit der Ideologien

Aby Warburg hat uns gelehrt, die Vielzahl von Blickperspektiven auf Werke der Bildenden Kunst zu analysieren und die verschiedenen, bisweilen einander sogar widersprechenden Symbolschichten zu verstehen, welche die Bedeutung der vom Bild an uns übermittelten Botschaft konstituieren. Die Untersuchungen zur Architektur, seit jeher vor allem an der materiellen Beschaffenheit ihres Gegenstandes interessiert, haben sich von diesen Überlegungen jedoch kaum betroffen gefühlt. Nichtsdestotrotz weisen Bauwerke und deren Architektur genauso wie die Bilder eine gewisse Spannbreite von Bedeutungen und Interpretationsmöglichkeiten auf, die sich je nach dem Blick des Betrachters ändern. Die Kuppel des Petersdoms in Rom ist bereits seit langer Zeit Teil kanonischer Interpretationen der Architekturgeschichte. Auf den ersten Blick scheint sie nicht mehr viel Neues herzugeben, gehört sie doch zu den großen Klassikern der Bau- und Kunstgeschichte. Unser Blick auf diese Klassiker wird jedoch getrübt durch eine Reihe festgefahrener Auffassungen, von denen sich einige als Vorurteile erweisen. Bei der Kuppel des Petersdoms handelt es sich um die geräumigste Kuppel des Abendlandes, wenngleich die Kuppeln von Santa Maria del Fiore in Florenz und des römischen Pantheons ihr hinsichtlich des reinen Durchmessers überlegen sind (Abb. 1). Die Kuppel des Petersdoms ist bekannt als Meisterwerk Michelangelos, aber ihr endgültiger Bauplan und dessen Ausführung lagen 1593 in der Verantwortung von Giacomo della Porta und Domenico Fontana. Sie gilt heute als ein Modell architektonischer und liturgischer Perfektion; jedoch wurden ihre von Bramante errichteten Grundmauern bereits nach wenigen Jahren scharfer Kritik unterzogen, vor allem durch Sebastiano Serlio.1 Obwohl der Petersdom das wichtigste Bauwerk der katholischen Kirche ist und das Vorbild für andere Kirchenbauten darstellte, wurde doch anfangs während eines ganzen Jahrhunderts heftig darüber gestritten, welche Art von Grundriss für ihn am geeignetsten sei: Der Grundriss einer Basilika erfordert eine andere Liturgie als ein zentrierter Grundriss. Außerdem

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1  Sankt Peter im Vatikan, Rom (Vatikanstadt), 1506–1626 (Fotografie: Wolfgang Stuck, 2004)

musste der Petersdom innerhalb der römischen Kurie zunächst um die Vorherrschaft mit der Lateranbasilika kämpfen, musste sich durchsetzen gegenüber der Kathedrale des römischen Bischofs, des Papstes. Die gesamte Bauperiode des neuen Petersdoms, der sich seine historische Stellung erst noch erwerben musste, war durchzogen von Konflikten: Das monumentale Bauvorhaben wurde kritisiert und löste – bisweilen durchaus berechtigte – Befürchtungen hinsichtlich seiner Stabilität aus, was wegen seiner auch symbolischen Bedeutung für die katholische Kirche als äußerst problematisch empfunden wurde. 2 Als zu zwei verschiedenen Augenblicken starke Zweifel an der Standfestigkeit des Bauwerks aufkamen, wurde die Diskussion darüber im öffentlichen Raum geführt, außerhalb des engen Kreises der Spezialisten, zu dem die Architekten und die Ingenieure gehörten. Diese Statikprobleme, die auf den ersten Blick eine rein technische Frage scheinen mögen, beschäftigten sehr rasch alle intellektuellen und politischen Sphären der damaligen Gesellschaft: Wenn der neue Petersdom als Symbol der katholischen Kirche dienen sollte, dann würde ein Mangel an baulicher Stabilität die Kontinuität der religiösen Institution gefährden, und eventuell bei der Konzeption und Ausführung des Bauvorhabens begangene Fehler

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würden – falls solche entdeckt werden sollten – einen Schatten werfen auf dessen Auftraggeber, der sich nicht mit weniger als architektonischer Perfektion zufrieden geben konnte. Obwohl der Petersdom als Bauwerk dem kollektiven Bewusstsein vertraut erscheint, handelt es sich bei ihm architekturgeschichtlich gesehen um eine komplexe historische Konstruktion. Seine Errichtung wurde geleitet von einem Ministerium der Kurie, der Fabbrica di San Pietro genannten Dombauhütte. Deren Aufgabe bestand zunächst einmal darin, für die Finanzierung der Baumaßnahmen zu sorgen. Die dazu aufgewendeten Gelder stammten keineswegs nur aus dem Ablasshandel, wie vom Protestantismus im Gefolge Luthers behauptet wurde, sondern auch und vor allem vom Kreuzzugszehnten, hauptsächlich aus Spanien. Die Fabbrica di San Pietro wählte dann auch die Architekten und die Arbeiter aus, organisierte die Baustelle und kümmerte sich anschließend um die Verschönerung und Konservierung des Bauwerks. An ihrer Spitze stand ein Kardinalskollegium, das die wichtigsten Entscheidungen traf: Entscheidungen institutioneller, finanzieller, architektonischer und technischer Natur.

Architektonische und die symbolische Bedeutungsschicht Je nach Betrachtungsweise kann man in der Kuppel des Petersdoms entweder ein technisches Meisterwerk sehen – denn die eigentliche Kuppel wurde in nur zwei Jahren errichtet –, oder aber ihre symbolische und spirituelle Bedeutung hervorheben. Diese Ambivalenz des Bauwerks wurde noch deutlicher erkennbar, als die ersten Probleme auftraten. Mehr oder weniger große Risse waren nicht nur auf der Umrandung des Tambours, sondern auch auf der Innenseite der Kuppel stets sichtbar gewesen. Im 18. Jahrhundert waren manche davon so breit, dass ein ausgewachsener Mann durch die Spalte zwischen den beiden Kuppelschalen passte und genügend Regenwasser daraus heruntertropfte, um Berninis Baldachin zu füllen. Dennoch gab es Zeiten, in denen man sich wegen dieser Schäden keine Sorgen machte, sondern auf die Stabilität des Bauwerks und die Kompetenz seiner Bauherren vertraute. Während anderer Perioden wurden die römische Kurie und die Öffentlichkeit von panischer Angst ergriffen, weil man das komplette Absacken der Struktur fürchtete. Diese Zeiten der Ängstlichkeit hängen bezeichnenderweise zusammen mit Augenblicken des Wechsels oder der Instabilität politischer oder künstlerischer Autoritäten. Der erste derartige Moment lässt sich in den Jahren nach 1680 konstatieren, unmittelbar nach dem Tod von Bernini. Die zweite Welle der Besorgnis entsteht ab 1740, nach der Wahl von Benedikt XIV. zum Papst. Zur Beilegung dieser Krisen mussten nicht nur Veränderungen im Bereich der Technik und Verwaltung vorgenommen werden, sondern auch die Institution der Dombauhütte musste von Grund auf reformiert werden, bei gleichzeitiger Informierung der Öffentlichkeit, um diese zu

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beruhigen. Deshalb wurden die Berichte und Gutachten der Mitarbeiter der Fabbrica di San Pietro nicht geheim gehalten, sondern zahlreiche Mitwirkende äußerten sich: Architekten, Ingenieure und Maurermeister, aber auch Prälaten, Gelehrte, Ärzte, Theologen, und viele andere mehr. Durch deren unterschiedliche Kompetenzen und Ansätze wurde der Blick der Öffentlichkeit auf den Petersdom weitaus vielgestaltiger; das Bauwerk wurde keineswegs nur nach technischen und architektonischen Kriterien beurteilt, sondern ebenso aus der Perspektive anderer Fachgebiete sowie des Glaubens. 1680, kurz vor dem Tod Berninis, verbreiteten sich düstere Gerüchte in der Kurie, die von einem gerade erst bekannt gewordenen Bericht eines Architekten aus dem Jahre 1636 ausgelöst wurden. Darin wurde Innozenz XI. mit der folgenden Äußerung gegenüber dem Sekretär der Fabbrica di San Pietro zitiert: »Unsere Epoche ist der Schauplatz aller Arten von Unheil. Nachdem in der Vergangenheit der Palazzo della Cancelleria zerstört wurde und neu aufgebaut werden musste, müssen wir heutzutage den Einsturz der Kuppel des Petersdoms befürchten.«3 Deshalb beauftragte dieser Papst den Dominikaner Giuseppe Paglia, der zuvor Borromini bei der Errichtung des Palazzo di Propaganda Fide assistiert hatte, mit einer erneuten Inspektion der Kuppel. Die Risse auf deren Innenseite waren größer geworden und Paglia gab die Schuld daran Bernini, weil dieser Treppen in die Hohlräume der Vierungspfeiler hatte einbauen lassen. Ihm widersprach jedoch Carlo Fontana, der als Architekt um den guten Ruf seines Meisters Bernini kämpfte und der Paglias Vorwürfe als üble Nachrede qualifizierte. Auch die Fabbrica di San Pietro fühlte sich durch Paglias Gutachten als zuständige Institution angegriffen. Zur Verteidigung ihrer Reputation schuf sie den Posten des custode della cupola, wobei nicht recht klar ist, ob dessen Hauptaufgabe die technische Kontrolle des Bauwerks war oder aber die Beruhigung der Öffentlichkeit. Sollte dieser Kuppelwächter die Entwicklung der Schäden überwachen oder sollte er verhindern, dass unerwünschte Besucher besorgniserregende strukturelle Schwächen beobachten und weitererzählen konnten? Indem sie Fontana beim Verfassen seines monumentalen, aus verlegerischen Gründen erst 1694 erschie­ nenen Werks Il Tempio Vaticano e sua origine unterstützte, schuf die Dombauhütte eine Art von Schutzmauer, um daran jede Art von Kritik an eventuellen Konstruktionsfehlern abprallen zu lassen (Abb. 2). Dieses Werk verfolgt das Ziel, den Petersdom als perfektes Bauwerk zu präsentieren, dem die Rolle eines Vorbilds von erzieherischem Wert zukomme. Die historische und technische Komplexität seiner Errichtung wird dabei zugunsten erbaulicher Vereinfachung vernachlässigt. Laut den offiziellen Dokumenten der damaligen Zeit besaß Il ­Tempio Vaticano e sua origine »zwei großherzige und noble Funktionen«: »Erstens [soll das Buch] das majestätischste Bauwerk aller Zeiten [zeigen], das von Bedeutung ist für die gesamte Christenheit. Zweitens soll es allen studiosi der edlen Kunst der Architektur von Nutzen sein, welche vom Beispiel und den Berechnungen der bedeutendsten Vertreter dieser Kunst im Lauf der Jahrhunderte profitieren können,

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2  Carlo Fontana: Il Tempio Vaticano e sua origine, Rom: Giovanni Francesco Buagni 1694, Titelblatt

so dass auf der Grundlage dieser ewig gültigen Vorbilder eine öffentliche Schule für die Jugend gegründet werden kann. […] [Diese] Akademie wird den Namen ›San ­P ietro in Vaticano‹ tragen und die hauptsächliche Aufgabe besitzen, die richtigen Normen der zivilen Architektur zu lehren, vor allem die wahren Voraussetzungen aller Maße und Regeln für alle Arten von Bauvorhaben und Verzierungen.« 4 Dass zur Fertigstellung dieser Publikation fünfzehn Jahre nötig waren, liegt an der Mitwirkung der Fabbrica di San Pietro an diesem ehrgeizigen Verlagsprojekt, das eine Art von papierener Akademie verkörpern sollte. Die lange Dauer liegt in der Unentschlossenheit der Kurie begründet, die Baugeschichte der Öffentlichkeit offiziell zu präsentieren, sowie die Schwierigkeit, diesbezüglich einen institutionellen Konsens zu finden. Denn die Kritik an Bernini hatte auch die Dombauhütte getroffen; indirekt wurden damit die architektonischen Entscheidungen des Kardinalskollegiums der Fabbrica di San Pietro ebenfalls in Frage gestellt. Trotz seiner umfassenden Zielsetzung ging das Buch nicht direkt auf das Problem der Stabilität der Kuppel ein und berücksichtigte auch nicht die präzisen technischen

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Hinweise von Paglia. Nur zwei Seiten, inmitten von allgemeinen Informationen zur Konstruktion der Kuppel, nennen die angeblichen »Gründe, weshalb kein Zweifel an der Solidität und Stabilität der Kuppel des Vatikans bestehen kann«. 5 Das kurze Kapitel beruft sich dabei auf die Frage der Autorität: Wie schon im Exordium des Buches wird auch hier behauptet, dass es sich niemand so ohne weiteres erlauben dürfe, derart »großartige Bauwerke« (»fabbriche magnifiche«) zu beurteilen. Die Besonderheit derartiger Konstruktionen bestehe darin, dass sich zu ihnen nur dazu ermächtigte Autoren in einer spezifischen Form äußern dürften. Es sei folglich nicht zulässig, über diese Bauwerke zu diskutieren, und schon gleich gar nicht, dies in polemischer Form zu tun. Laut Fontana ist der im Stützpfeiler zu sehende Riss einzig und allein auf das Absacken nach dem Entfernen des Gerüsts zurückzuführen.6 Mit Il Tempio Vaticano e sua origine erprobte die Fabbrica di San Pietro nicht nur einen neuen Weg, ihr Image in der Öffentlichkeit zu pflegen, sondern entwarf auch die Grundzüge eines offiziellen Narrativs, das auf einem komplexen Verhältnis zur geschichtlichen Wahrheit beruhte. Dieses Narrativ setzte sich aus den verschiedenen Bedeutungs­ schichten des Ortes zusammen, wobei sich die architektonische und die symbolische Schicht gegenseitig die führende Rolle streitig machten. Hinzu kam die Überzeugung von der Exzellenz des neuen Petersdoms, der von seiner Zentralstellung aus sternförmig mit anderen »großartigen Bauwerken« in Bezug gesetzt, jedoch stets als ihnen allen überlegen betrachtet wurde.

Empirie und New tonsche A xiomatik Trotz dieser Bemühungen im Bereich der Public Relations kamen zur Zeit von Benedikt XIV., der 1740 zum Papst gewählt wurde, erneut öffentliche Befürchtungen bezüglich der Kuppel auf. Dass nunmehr wieder relativ frei über dieses Thema gesprochen werden konnte, hing auch mit der Persönlichkeit dieses Papstes zusammen, der nach Jahren des Obskurantismus plötzlich Debatten innerhalb der Kirche zuließ, einen öffentlichen Dialog mit den Jesuiten und den Jansenisten führte, sowie eine Reihe päpstlicher Akademien gründete, die zwar immer noch ein katholisches Wissenschaftsverständnis hatten, das sich jedoch vom Dogmatismus der Glaubenskongregationen unterschied. In diesem Rahmen setzte sich Benedikt XIV. beispielsweise auch sehr für die Anerkennung der physikalischen und mathematischen Lehren Newtons durch die Kirche ein. Die Probleme mit der Kuppel stellten in seinen Augen eine hervorragende Gelegenheit dar, um den praktischen Nutzen der empirischen Methode zu demonstrieren. Die diesbezügliche Erwartungshaltung in der Stadt war sehr groß, aber gleichzeitig machten sich die schlimmsten Befürchtungen breit. Nach seiner Wahl hatte Benedikt XIV. auf Anraten Luigi Vanvitellis, des zweiten Architekten der Fabbrica di San Pietro, eine Kommission aus Kardinälen gebildet, die den Auftrag erhielt, sich Klarheit über

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den baulichen Zustand des Petersdoms zu verschaffen. Diese Kommission gab ihrerseits mehrere Inspektionen vor Ort in Auftrag, vor allem im Tambour, in der Kuppel und in der Dachlaterne. Für die Untersuchung der Stützpfeiler und des Mauerwerks war hingegen die Erlaubnis einer anderen Institution nötig, des Kapitels von Sankt Peter, das nicht nur über die Liturgie innerhalb des Bauwerks wachte, sondern auch über die Konser­v ierung der in den Pfeilern befindlichen Reliquien, sowie – als dessen logische Konsequenz – auch über die gesamte Basilika als deren materielle und spirituelle Hülle. Deshalb musste sich die Untersuchung auf eine oberflächliche Inaugenscheinnahme beschränken; die Substanz des Gebäudes durch tieferreichende Stichproben zu prüfen, war verboten. Die Teilnehmer dieser Kontrollbesuche waren keineswegs nur Kleriker oder Architekten, man hatte dazu auch einen Historiker eingeladen, einen Bibliothekar, einen Mathematiker sowie einen Spezialisten für Hydrologie. Obwohl die Schäden am Bauwerk damals bereits deutlich erkennbar waren, fiel es dieser heterogenen Gruppe schwer, sich auf die Notwendigkeit eines Eingriffs zu einigen. Manche ihrer Mitglieder waren der Überzeugung, dass alle Kuppelkonstruktionen früher oder später Risse bekommen. Andere relativierten deren Größe angesichts der riesigen Ausmaße des Gesamtgebäudes. Im Spätsommer 1742 enthüllte jedoch ein neuer Untersuchungsbericht alarmierende Zustände.7 Die Dachlaterne wies einen durchgehenden horizontalen Riss auf, und breite Spalten waren auch im Mauerwerk auf den Seiten erkennbar, vor allem dort, wo die beiden Kuppelschalen sich trennen; Risse in den Segmentflächen verliefen vom unteren Rand der Dachlaterne bis zum Sockel des Tambours. Dort, im Tambour, waren die Architrave, die Fenstergesimse und das Strebewerk »in tausend Stücke zerbrochen«. 8 Ein sehr breiter Riss umgab auch ringsum den Sockel oberhalb des Tambourkorridors. Die dem Korridor gegenüberliegende Wand lag nicht mehr auf dem Boden auf und schien in der Luft zu schweben, während die Türnischen der Travertinpforten nach oben hin nichts mehr zu stützen hatten. Oberhalb des Pfeilers der Heiligen Simon und Judas waren besonders viele Risse im Tambour zu sehen, was die Frage nach seiner Stabilität aufwarf. Der Untersuchungsbericht endete mit der Feststellung, dass sich die Kuppel ausgedehnt habe, sich die Dachlaterne gesenkt habe und das Tympanon breiter geworden sei: der Zustand der Gesamtstruktur sei so, »dass alles jederzeit einstürzen kann«. 9 Diese Schlussfolgerungen bestärkten jedoch die Skeptiker, angeführt von einer Gruppe von Jansenisten, in ihrer Verweigerungshaltung; sie widersetzten sich einem Eingriff in das Bauwerk hauptsächlich aus drei Gründen. Der erste davon war moralischer Natur: Sie hielten die Architekten, die Vorschläge zur Restaurierung formulierten, für Karrieristen, die sich bei der Sanierung des Petersdoms einen Namen machen wollten. Der zweite Grund war theologischer Natur: Die neue Basilika, die von Urban VIII. 1626 geweiht wurde, war sozusagen gewaltsam auf dem Fundament des alten, von Kaiser Konstantin erbauten Petersdoms errichtet worden; mit ihr sollte eine neue Ära beginnen, in welcher der Stein die Ewigkeit der katholischen Kirche symbolisierte. Der dritte Grund ist heutzutage am schwierigsten nachzuvollziehen und hängt mit dem kanoni-

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3  Michelangelo (mit Überarbei­ tungen von Luigi Vanvitelli): Modell der Kuppel des Petersdoms, 1557–1743, Holz, Rom, Fabbrica di San Pietro

schen Recht zusammen. Die Berichte über die Schäden des Bauwerks bezogen sich unweigerlich auch immer auf bestimmte Perioden seiner Konstruktion und damit auf die seinerzeit verantwortlichen Architekten. Deshalb hatte man bereits 1680 die Existenz von Problemen geleugnet, weil dies eine Kritik an Bernini impliziert hätte. Analog dazu wollten bestimmte Kreise im 18. Jahrhundert keine Kritik an Bramante, Michelangelo oder della Porta zulassen. Da diese Architekten von der Fabbrica di San Pietro, einem vom Papst höchstpersönlich zusammengestellten Kardinalskollegium, ausgewählt worden waren, war es unvorstellbar, dass ihnen Fehler hätten unterlaufen können. Angesichts dieser Kausalkette wäre eine Kritik am Bauwerk als Zweifel an der Unfehlbarkeit des ­P apstes aufgefasst worden. Der Papst, der Sekretär der Fabbrica di San Pietro und deren Architekt Vanvitelli erkannten recht bald, dass es nicht genügen würde, über die beste Art der Restaurierung

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4  Michelangelo (mit Überarbeitungen von Luigi Vanvitelli): Modell der Kuppel des Petersdoms (Ausschnitt), 1557–1743, Holz, Rom, Fabbrica di San Pietro

zu diskutieren. Zuvor war noch Überzeugungsarbeit zu leisten bezüglich der Existenz dieser Schäden, deren fortschreitendem Charakter und der Notwendigkeit einer Intervention. Ihnen war klar, dass es nicht einfach sein würde, dies zu demonstrieren; sie kamen schließlich auf die Idee, dies mit Hilfe eines konkreten historischen Anschauungsobjekts zu versuchen. Sie würden dafür das riesige Holzmodell verwenden, das Michelangelo einst geschaffen hatte, um Pius IV. seine Idee für die Kuppel vor Augen zu führen. Leider war dieses Modell in einem schlechten Zustand; die äußere Kalotte und die Dachlaterne waren verschwunden. Vanvitelli und die Schreiner der Dombauhütte hatten viel zu tun, um dem Modell wieder ein vorzeigbares Aussehen zu verleihen: Über der Innenkalotte von Michelangelo brachten sie die maßstabgerecht verkleinerte Doppelkalotte von della Porta an, entsprechend der von diesem errichteten Kuppel (Abb. 3–4). Gleichzeitig versuchte der Papst, die Debatte über dieses Thema nicht nur in den Händen der Kurie zu lassen, und gab deshalb eine Art von externem Gutachten in Auftrag. Er wählte dafür Gelehrte von außerhalb des Mikrokosmos des Vatikans aus, die nicht zur Kirchenhierarchie gehörten; noch erstaunlicher war jedoch die Tatsache, dass sie weder Architekten noch Ingenieure waren. Der Papst ließ an zwei französische Patres im Konvent der Trinità dei Monti schreiben, François Jacquier und Thomas Le Seur, um »die Meinung der besten Mathematiker einzuholen, nicht so sehr bezüglich der in der Basilika zu

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beobachtenden Schäden, als vielmehr bezüglich deren Beseitigung, damit anschließend die Architekten die dringendsten Maßnahmen ergreifen können«.10 Die zum Minimitenorden gehörenden Mathematiker Jacquier und Le Seur stellten ein einzigartiges Paar von Gelehrten dar, deren Renommee auf einer Kritik an der Physik von Descartes und dessen berühmter Wirbeltheorie beruhte. Die beiden Männer waren in wissenschaftlichen Kreisen bekannt geworden durch ihren wenige Jahre zuvor in Genf erschienenen Kommentar zu den Principia von Newton; das Werk des englischen Naturforschers stand damals auf dem römischen Index. Die Spannbreite ihrer physikalischen und mathematischen Interessen war sehr groß, jedoch ist von ihnen nur eine einzige Stellungnahme zur Architektur bekannt. Es handelt sich um zustimmende Bemerkungen zu einem Traktat des spanischen Architekten José de Hermosilla y Sandoval, im ­R ahmen derer Jacquier eine Verbesserung der mathematischen Kenntnisse der Architekten fordert: »Es wäre wünschenswert, dass die Architekten sich auskennen würden in der Theorie der Geometrie und der Mechanik, denn nur so findet man bei der Konstruktion das richtige Maß und die erforderliche Kraftanwendung, weder zu viel noch zu wenig. Leider werden diese schönen und nützlichen Wissenschaften von den meisten Architekten schändlicherweise verachtet.«11 Jacquier und Le Seur fassen die Mathematik als regulierendes Element auf, das von außen einer Aktivität mit schwankender Praxis das nötige Gleichgewicht verleiht; auf dieser Grundlage erstellten sie auch ihr Gutachten zur Kuppel des Petersdoms. Die beiden Minimiten holten sich dazu die Unterstützung eines jungen Gelehrten aus Dalmatien, des Jesuiten Ruđer Boškovi´c , dessen Schriften bereits in ganz Europa zirkulierten und der seine Sympathie für die Wissenschaft Newtons nicht verbarg, dessen Theorie der Erdanziehungskraft er öffentlich verteidigt hatte. Jacquier, Le Seur und Boškovi´c gaben ihre Schlussfolgerungen bereits Ende Dezember 1742 bekannt, nach einer rasch durchgeführten Untersuchung, die nur einen Monat gedauert hatte. Ihr Publikation Parere di tre mattematici sopra i danni, che si sono trovati nella cupola di S. Pietro fand damals weite Verbreitung; darin beschreiben sie in kategorischem Stil die vorgefundenen Probleme und schlagen dafür eine einzige Lösung vor.12 Die drei Mathematiker bekunden, nur »innerhalb der Grenzen ihrer eigenen Disziplin« argumentieren zu wollen, und gehen dabei zweigleisig vor: Einerseits verbinden sie die »mit eigenen Augen gemachten Beobachtungen mit einer guten Theorie der Mechanik«, andererseits behaupten sie aber auch, alle bis dahin präsentierten Projekte berücksichtigt zu haben. Ihre Darstellung ist in drei Teile gegliedert; im ersten beschreiben sie den gegenwärtigen Zustand des Bauwerks und seiner Risse, was sich weitgehend mit den jüngsten Berichten der Fabbrica di San Pietro deckt, in allerdings deutlich dramatischerem Ton. Dabei versuchen sie auch, »durch einen Vergleich mit dem Zustand der Kuppel

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in der Vergangenheit« die Entwicklung der Schäden zu bestimmen, sowie ob diese strukturell bedingt sind oder durch äußere Einflüsse.13 Besonders große Bedeutung schreiben sie dem Riss zu, der am Veronika-Pfeiler beginnt und »Generalriss« (»spaccatura generale«) oder »Universalriss« (»in orbem«) genannt wird.14 Der zweite Teil ihrer Darstellung beginnt mit der Präsentation ihres »Systems« – ein für Newton typischer Begriff –, dessen Angemessenheit für die vorgefundene Situation, sowie mit den für die Erstellung eines Lösungsvorschlags notwendigen Berechnungen. Der dritte Teil enthält diese Lösung, das Ergebnis der Konfrontation ihres Systems mit der Wirklichkeit. Bei ihrer Argumentation spielen auch ästhetische Kriterien eine Rolle, die allerdings nie genau definiert werden; sie beschränken sich darauf, zu erwähnen, dass sie eine Lösung suchen, welche »den Charme und die Annehmlichkeiten des Bauwerks« bewahrt, was bei den früheren Vorschlägen zur Restaurierung nicht immer der Fall gewesen sei.15 Der Darlegung ihres Systems schicken die drei Mathematiker einige »Hypothesen« im Sinne Newtons voran, also theoretische Vorüberlegungen. Diese betreffen die Berechnung des Schwerpunkts und deren praktische Auswirkungen, die Frage der Schwerkraft, sowie den Horizontalschub.16 Ihre Haltung gegenüber der Kuppel besteht darin, ein Kunstwerk auf einen mathematisch erfassbaren Gegenstand zu reduzieren, was insofern paradox ist, als bei der Architektur eine Vielzahl von Faktoren zusammenspielen, die nicht alle rein mathematisch erklärbar sind. Das von den drei Mathematikern ausgedrückte Bedauern, dass es unmöglich sei, die Qualität und Regelmäßigkeit der durchgeführten Maurerarbeiten genau einzuschätzen, ist ein weiterer Beleg ihrer Tendenz, die materielle Beschaffenheit ihres Untersuchungsgegenstandes isoliert von künstlerischen Faktoren zu betrachten. Ihre Methode besteht darin, ein theoretisches Axiom auf die Realität anzuwenden; dies wiederholen sie mehrfach hintereinander, um zu einer immer komplexeren Beschreibung der vorgefundenen Situation zu gelangen. Diese Vorgehensweise widerspricht jedoch ihrer Ankündigung, zunächst Beobachtungen vor Ort zu machen und erst dann eine Analyse des Problems zu versuchen. Zusammengefasst könnte man sagen, dass die drei Mathematiker von Prinzipien nach dem Vorbild Newtons ausgehen, um dann im Stil von Leibniz fortzufahren. Anschließend wagen sie eine zahlenmäßige Einschätzung des Gesamtsystems. Sie evaluieren die Masse der verwendeten Materialien, um die Masse des Gebäudes und die von ihm ausgeübten Kräfte zu errechnen. Zwar werden dabei sehr präzise numerische Angaben verwendet, beispielsweise bezüglich der Widerstandsfähigkeit von Eisen, jedoch gelangen die Autoren bei der Ermittlung der Bewegung, von der die vorgeschlagene Lösung abhängt, von einem theoretischen Schema direkt zu einem Ergebnis, ohne vermittelnde Instanz. Die Schlussfolgerung ihrer Berechnungen gibt zur Verwunderung Anlass: Während man bei ihrer Empfehlung nach all dem Vorherigen genaue Zahlen erwartet hätte, raten sie einfach dazu, vorsichtshalber für eine Verdoppelung der Reak­ tionskräfte zu sorgen, »damit beim Einstürzen eines Teils der Struktur durch einen

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unvorhergesehenen Zwischenfall wenigstens der andere Teil widersteht«.17 Eine derart grob geschätzte Vorsichtsmaßnahme widerspricht ihrem Anspruch, alles numerisch unter Kontrolle zu haben. Die Präsentation der Ergebnisse ihrer Arbeit fand in einem öffentlichen Rahmen statt, bei einer wissenschaftlichen Demonstration, der eine umfangreiche Kommission beiwohnte. Die mathematischen Erläuterungen von Jacquier und Le Seur wurden begleitet von einer Visualisierung anhand des von Michelangelo hergestellten Holzmodells der Kuppel. Nach dessen Restaurierung hatte Vanvitelli auf ihm das Netzwerk von­ Rissen eingezeichnet, die vor Ort beobachtet worden waren. Die Beschädigung von Michelangelos ursprünglichem Projekt wurde dadurch allen Zuschauern bewusst; was die Mathematiker als Gegenmaßnahme vorschlugen, entsprach weitgehend dem, was der Architekt bereits zuvor befürwortet hatte. Aber all diese Bemühungen, die Öffentlichkeit von der Richtigkeit der geplanten ­Vorgehensweise zu überzeugen – zuerst die Publikation über den praktischen Nutzen von Newtons neuer Wissenschaft, dann das Spektakel rund um das Holzmodell, mit dem die mit der Restaurierung betrauten Architekten sich als Bewahrer des Erbes von Michelangelo inszenierten –, erwiesen sich als Fehlschlag. Das vom Papst in Auftrag gegebene Gutachten, erstellt von externen Experten, hatte insofern unerwünschte Folgen, als die Diskussion über die Kuppel nun mit größter Heftigkeit in der Öffentlichkeit weitergeführt wurde.

Das Bauwerk al s Organismus Innerhalb weniger Jahre erschienen rund vierzig Bücher und Pamphlete zu diesem Thema, einige mit der Namensangabe des Autors, andere anonym, was die Debatte zusätzlich vergiftete. Dabei konzentrierte man sich keineswegs nur auf die technischen Probleme des Petersdoms, sondern nutzte diese als Vorwand für polemische Überlegungen zur Architektur, zum Nutzen der Mathematik für die Künste, zum Erkenntnisgewinn durch die Naturwissenschaften, sowie über das richtige oder fehlerhafte Funktionieren der päpstlichen Institutionen. Der im Verborgenen dem jansenistischen Glauben anhängende Giovanni Bottari, einer der einflussreichsten Akteure in den Kulissen der damaligen römischen Kulturpolitik, nutzte die Kuppelaffäre dazu, seine Netzwerke zu verfestigen und seinen Einfluss zu vergrößern. In seiner Rede nach der wissenschaftlichen Demonstration von Jacquier, Le Seur und Boškovi´c formulierte er eine Anklage gegen die drei Mathematiker, die er auf wissenschaftlicher, finanzieller und moralischer Ebene angriff, und sprach sich gegen jede Art von Eingriff in die Kuppel aus.18 Bottaris Stellungnahme war nur ein Vorgeschmack der unzähligen Reaktionen, die der Bericht der Mathematiker hervorrief. Dabei wurden die unterschiedlichsten theoretischen Referenzen verwendet, aus allen Strömungen der damaligen Wissenschaft:

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vom zu jenem Zeitpunkt noch weit verbreiteten Cartesianismus bis hin zur Neoscholastik, sowie auch stärker empirisch ausgerichtete und modernere Ansätze. Die Diskus­ sionsteilnehmer zögerten nicht, sich bei ihren Stellungnahmen zur Kuppel bei einer Vielzahl von Fachgebieten zu bedienen, weil diese als materieller Gegenstand dafür bestens geeignet schien. Ich zitiere hier nur zwei Beispiele, das eine aus der Medizin, das andere aus der Biologie. Saverio Brunetti war ein damals bekannter Mathematiker, der für seine populärwissenschaftlichen Kurse respektiert, von den Fachleuten aber auch als Dilettant betrachtet wurde. Er verkehrte im Umfeld des Papstes, und der römische Adel schätzte seine Lehrmethoden, mit denen er die Mathematik auf verständliche und zugängliche Weise erklärte. Brunetti schlug eine Art von rascher Restaurierung vor, die laut ihm »ohne Maschinen oder große Ausgaben und binnen weniger Minuten« durchführbar sein ­w ürde.19 Sie bestand darin, hinter jedem der sechzehn Strebepfeiler dicke Eisenstangen zu platzieren und diese durch Seile mit der gegenüberliegenden Seite zu verbinden. ­D iese Seile müsse man dann nur noch mit Wasser tränken; anschließend würde eine »un­­ vergleichliche Kraft« auf die Pfeiler einwirken, und »unter diesem kurzen aber ausreichenden Druck würden die Mauern wie gewünscht nachgeben«. 20 Dieser Vorschlag, der im Folgenden »die Technik der feuchten Seile« genannt wurde, beruhte auf einer einfachen Hypothese. 21 Brunetti war keineswegs eine marginale Figur. Im Herbst 1742 hatte er die Leitung einer der offiziellen Untersuchungen der Kuppel inne gehabt. In den Schriften von John Wallis, eines alten Mathematikers aus Oxford, der sich mit der Infinitesimalrechnung beschäftigt hatte, war Brunetti auf das Experiment »Inflata vesica pondus elevare« von 1662 gestoßen. 22 Er benutzte diesen Hinweis als argumentative Unterstützung für sein System der zweiunddreißig feuchten Seile, welche die schwankende Kuppel anheben und sie in »ihren ursprünglichen Zustand« zurückversetzen sollten. 23 Die Analogie war gewagt, beruhte aber auf der Idee, dass die Schalen der Kuppel eine Art von Membran bildeten, deren mechanisches Verhalten dem der Eingeweide vergleichbar sei. Das System aus Seilen sollte eine Art von zweiter Haut auf dem Gebäude bilden, denn »die aus zahlreichen Hanffäden hergestellten Seile würden viele Serien kleiner Blasen bilden«. 24 Das in die Fasern eindringende Wasser würde dieselbe chemische Wirkung erzeugen wie das Blut in den Muskeln. Diese organische Vorstellung von Architektur, welche die Teile immer im Zusammenhang mit dem Ganzen betrachten wollte, bezog sich zur Bildung dieser Parallele nicht nur auf menschliche und tierische Lebewesen, sondern auch auf Pflanzen. Der Übergang vom biologischen Organismus als Metapher der Architektur zur Analogie mit einem lebenden Organismus wurde erleichtert durch das medizinische Vokabular, das im Bereich der Gebäuderestaurierung gebräuchlich war. In den Debatten über die Kuppel fanden sich Formulierungen wie »die Krankheit wurde mit Sicherheit nachgewiesen und sie ist gefährlich«. 25 Mathematiker aus Neapel verwendeten eine Metapher

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aus der Chirurgie: »Die Menschen lassen sich häufig ein Körperteil amputieren, um sich vor dem Tod zu retten, denn sie bewahren lieber das Ganze und verzichten dafür auf einen fehlerhaften und verdorbenen Teil, wie dies die Dachlaterne des Vatikans ist.«26 Für den Jesuiten Giovanni Battista Faure »sind die Risse, Löcher und Spalten in einem Bauwerk auf gewisse Weise vergleichbar mit den Verletzungen eines lebendigen Körpers«. 27 Und der Künstler Lelio Cosatti formulierte einen ebenfalls vitalistischen Vergleich: »[…] die Strebepfeiler sind wie die Knochen und die Nerven der Kuppel«. 28 Auch heute noch ist dieses medizinische Vokabular bei der Restaurierung von Gebäuden üblich. Den Materialien, aus denen die Kuppel bestand, wurde eine Atmung zugeschrieben wie die eines Lebewesens, veränderlich im Laufe der Jahreszeiten. Für Cosatti »sind die Knochen, das heißt die Rippen, weitgehend in Ordnung, während das Fleisch, das heißt die Segmentflächen, zerbrochen und zerrissen sind«. 29 Laut Faure drang die Feuchtigkeit kalter und regnerischer Jahreszeiten in den Kalk des Mauerwerks ein, aber die Hitze des Sommers, welche »die Temperatur der Kuppel verdoppelte, entfernte die Feuchtigkeit, was nötig war, um schlimmere Schäden zu vermeiden«. 30 Man sagte dazu, die Kuppel »schwitze«. 31 Faure stützte seine Darlegungen auf die Studien des englischen Physiologen Stephen Hales vom Anfang des 18. Jahrhunderts. Dessen Werk Vegetable Staticks von 1727 entwarf ein damals neuartiges Bild von der Welt der Pflanzen, in der mechanische Mittel den Lebewesen eine Struktur verleihen (Abb. 5). Das Wachstum, das Leben und das Verwelken der Pflanzen werden von ihm verglichen mit der Errichtung, der Stabilität und dem Einstürzen eines Hauses. Die Parallelsetzung der Statik von Pflanzen mit der Statik von Baumaterialien, die auf der Vorstellung basiert, dass Mineralien pflanzlichen Ursprungs seien, wird »botanische Architektur« genannt. Diese Auffassung war damals sehr verbreitet, sogar in akademischen Kreisen, wenngleich sie in geschichtlichen Darstellungen des 18. Jahrhunderts kaum vorkommt, weil darin das ganze Augenmerk rationalen Theorien im Sinne der Aufklärung gilt. Der kroatische Arzt Giorgio Baglivi, Professor für theoretische Anatomie an der Universität La Sapienza, war einer der bekanntesten Vertreter dieser Strömung und erfreute sich um das Jahr 1700 herum in Rom großer Aufmerksamkeit. Auch die Pariser Akademie der Wissenschaften stand dieser Hypothese sehr aufgeschlossen gegenüber und begann ihre eigenen Forschungen ausgehend von den Meerespflanzen: »Diese Annahme […] zur Entstehung der Korallen kann auf alle steinigen Pflanzen des Meeres angewandt werden. [Man] glaubt sogar, dass sie für die echten Steine ­g ültig sein könnte, denn diese haben eine konstant organische Struktur […]. Im Lauf der Zeit und durch zusätzliche Experimente muss diese Idee noch verifiziert werden, aber in jedem Fall ist es so, dass bestimmte Tendenzen der Natur weithin wirksam sind: Da es steinige Pflanzen gibt, ist es für die Physik eine akzeptable Hypothese, dass auch die Steine Pflanzen sein könnten.«32

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5  Unbekannter Künstler: Darstellung von Baumstrukturen, Kupferstich, aus Stephen Hales: Statical essays, containing vegetable staticks, London 1738, Taf. 11

Bei einer Forschungsexpedition nach Kreta hatten die Mitglieder der Pariser Akademie die Stützmauern eines unterirdischen Labyrinths untersucht und dabei einen scheinbaren Beweis für die Verbindung zwischen der Architektur und der Welt der Pflanzen gefunden: »Die Steine wachsen und werden deutlich größer, ohne dass man dahinter einen Eingriff von außen im Sinne der Hinzufügung von Material vermuten könnte.«33 Faure nahm diese Vorstellung bei seiner Untersuchung der Risse in der Kuppel als Ausgangspunkt, um damit zu erklären, weshalb je nach Jahreszeit die Risse größer oder kleiner wurden, je nachdem, ob das Mauerwerk vollgesogen mit Wasser oder ausgetrocknet war. Aus dieser Perspektive betrachtet, war das Auftreten von Rissen ein ganz normales Phänomen, das zu keiner Sorge Anlass gab, denn es entsprach der organischen Natur der Kuppel.

Der Architekt und der Philosoph Obgleich das Bauwerk als mineralischer oder tierischer Organismus beschrieben wurde, versuchte man, es mit den rationalen Instrumenten der Mathematik zu erfassen. Dafür musste man die Bewegungen der Körper in geometrische Formen übertragen, die Mechanik der Bewegungsabläufe identifizieren und sie in Begriffe des Bauwesens übersetzen.

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6  Luigi Vanvitelli: Arcone della catedra, um 1740–1750, Rom, Istituto nazionale per la grafica, Taf. II

Die damalige Debatte war überaus vielgestaltig. Es wäre sehr schwierig, alle dabei vertretenen Meinungen kurz zusammenzufassen, zumal diese sich ja untereinander uneins waren. Angesichts der ausufernden Polemik mit bisweilen sehr aggressiven Stellungnahmen, die durch das Gutachten von Jacquier und Le Seur ausgelöst worden war, beschloss der Papst, einen Gelehrten von außerhalb Roms, der sich an diesen Streitigkeiten bis dahin nicht beteiligt hatte, als Berater heranzuziehen. Dies war Giovanni Poleni, Professor für Experimentalphilosophie an der Universität Padua, der in seinen Arbeiten jede Art von Dogmatismus ablehnte und sich bei seinen Überlegungen auf Erkenntnisse sowohl der antiken als auch der modernen Wissenschaften stützte. Außerdem besaß Poleni konkrete Erfahrungen im Bauwesen, denn er hatte Hydraulikarbeiten geleitet und Gutachten zu Gebäuden der Republik Venedig verfasst. Der Papst bat Poleni folglich, Vanvitelli bei der Prüfung aller bisher zur Kuppel erstellten Berichte zu unterstützen. Er lud ihn nach Rom ein, um vor Ort eine Woche lang Untersuchungen durchzuführen und dann zusammen mit dem Architekten ein Programm für die Restaurierung zu erstellen. Um die beste Position für die Verkettungen zu errechnen, mit denen der Zusammenhalt der Kuppel verbessert werden sollte, fand Poleni eine raffinierte Lösung. Er schlug

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7  Luigi Vanvitelli: Scale nel tamburo della cupola, um 1740–1750, Neapel, Archivio Storico di San Martino

ein neues Analyseinstrument vor, eine Kette wie die einer Oberleitung, mit flacher, nicht algebraischer Krümmung; diese an beiden Enden aufgehängte Kette bestand aus Elementen untereinander gleichen Gewichts. Damit wird noch bis heute die Krümmung von Kuppeln berechnet. In Großbritannien war gegen Ende des 17. Jahrhunderts diese Theorie erstmals auf das Bauwesen angewandt worden. Dort hatte man lange nach der Form der idealen Kurve gesucht, in der alle Kräfte im Gleichgewicht sein sollten und die auch geometrisch darstellbar sein sollte. Der schottische Mathematiker David Gregory, ein Anhänger der Lehren Newtons, zeigte die Verbindung zwischen dieser Art von Kette und einem dünnen Mauerbogen. Da auf beide Bestandteile bei der Umkehr der Kurve dieselbe Kraft wirksam wurde, war das Modell im Bauwesen verwendbar. Poleni schlug vor, dies als Lösung für die Restaurierung des Petersdoms zu verwenden: Durch die Bestimmung der idealen Krümmung von dessen Kuppel konnte man die Stellen finden, an denen die Unterstützung durch Verkettungen am dringendsten nötig war. Durch die Korrespondenz zwischen dem in Padua ansässigen Poleni und dem in Rom weilenden Vanvitelli ist ihre Zusammenarbeit außergewöhnlich gut dokumentiert. Der Architekt schickte dem Philosophen eine Reihe von Skizzen, welche das gesamte Netzwerk von Rissen in der Kuppel zeigen (Abb. 6–7). In ihnen verwendete Vanvitelli eine Art von zeichnerischer Rhetorik, die er für diesen Zweck speziell entwickelt hatte. So wurden seine Striche breiter, wenn er die wachsende Breite der Risse zeigen wollte; er wechselte zwischen mit der Feder gezogenen Linien, mit denen die offen sichtbaren ­R isse gezeigt werden, und mit dem Rötelstift gezogenen Linien, die auf die vermuteten

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8  Kuppel des Petersdoms (Außenansicht mit eingetragenen Rissen), aus Giovanni Poleni: Memorie istoriche della gran cupola del Tempio Vaticano, Padua 1748: Stamperia del Seminario, Taf. I

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9  Kuppel des Petersdoms (Innenansicht mit eingetragenen Rissen), aus Giovanni Poleni: Memorie istoriche della gran cupola del Tempio Vaticano, Padua 1748: Stamperia del Seminario, Taf. XVI

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Ausläufer dieser Risse innerhalb des Mauerwerks verweisen. Auch die Zeichnung der architektonischen Elemente wurde von ihm modifiziert, um Probleme mit der Statik sichtbar zu machen. In der Tat wies das gesamte Bauwerk Schäden auf, und Vanvitelli bildete diese mit seinen Zeichnungen alle ab. Was aus dem Briefwechsel zwischen den beiden Männern auch noch hervorgeht, das sind die Verständnisschwierigkeiten aufgrund ihres unterschiedlichen diskursiven Hintergrunds: Der eine war ein Architekt, vertraut mit Zeichnungen und Geometrie, der andere ein Physiker, der empirische Beobachtungen und deren mathematische Umsetzung gewohnt war. Die visuellen Codes, die Vanvitelli verwandte, waren für Poleni keineswegs immer unmittelbar verständlich, so dass er ihn regelmäßig um Erläuterungen bat. Nach dem Ende der Restaurierungsarbeiten gab die Fabbrica di San Pietro bei Poleni eine Publikation in Auftrag, welche gegenüber der Öffentlichkeit dieselbe Rolle spielen sollte, wie dies im 17. Jahrhundert Il Tempio Vaticano e sua origine von Fontana getan hatte. Der Gelehrte aus dem Veneto bediente sich dafür der zuvor angefertigten Zeichnungen Vanvitellis; für den nunmehr nach außen gerichteten offiziellen Diskurs wählte er jedoch einen völlig anderen grafischen Ausdruck. Der Inhalt bleibt prinzi­piell  der­ selbe, nun aber sollen die Zeichnungen eine andere Botschaft transportieren (Abb. 8–9). Die Risse werden nur als Aufdruck auf dem Bild eines intakten Gebäudes präsentiert, so dass die Schäden außerhalb desselben zu bleiben scheinen. Der Verlauf der Risse innerhalb des Mauerwerks ist sogar verschwunden; zwar hatte er nur auf einer Hypothese von Vanvitelli beruht, aber seine Bestimmung war nötig gewesen für die ­Planung der Eingriffe. An den Stellen der von Vanvitelli rot markierten internen Risse finden sich bei Poleni nunmehr diskret gepunktete Linien. Die Dicke des Striches ist jetzt überall gleich, so dass nur noch der Ort und nicht die Schwere des Problems angezeigt wird. Die gesamte Darstellung wirkt wissenschaftlicher und zurückhaltender; von der Beunruhigung der noch wenige Jahre zuvor geführten Debatten ist hier nichts mehr zu spüren. In den Jahren und den Jahrhunderten nach der von Vanvitelli und Poleni geleiteten Restaurierung traten neue Schäden zu Tage, und weitere Interventionen mussten vorgenommen werden, ohne dass je mit Sicherheit klar geworden wäre, ob die ab 1743 ergriffenen Maßnahmen wirklich notwendig oder ausreichend waren. Dieses Beispiel macht deutlich, dass bestimmte gelehrte Inhalte nur in ihrem historischen Kontext sowie unter Berücksichtigung des Urhebers und des Empfängers der Botschaft verständlich sind. Der Streit um die Kuppel, der lange Zeit von der Architekturgeschichte außer Acht gelassen wurde, zeigt meines Erachtens, wie schwierig es noch heute ist, ein derartiges Thema innerhalb der Grenzen der traditionellen Wissenschaftsdisziplinen zu behandeln, welche die Diskurse und die Aktionen fragmentieren. Er zeigt auch, wie ungenügend in einem solchen Fall ein ausschließlich soziologischer Ansatz wäre, der diese Affäre auf Kämpfe um Macht und Einfluss reduzieren würde. Hinter der Analyse eines einsturzgefährdeten und berühmten Bauwerks wie des Petersdoms zeigt sich eine Vielzahl von einander widersprechenden Konzeptionen von Architektur, einige eher altmodisch,

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andere sehr modern. Diese Konzeptionen werden vertreten von Individuen mit einzigartigen Biografien, die sich hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen und kulturellen Identität nicht so einfach klassifizieren lassen. Natürlich geht es dabei auch um Macht: Die Mitwirkung dieser Personen am Streit um die Kuppel bedeutet ein Risiko für ihre Karrieren, ihr Netzwerk von Beziehungen oder ihre Reputation. Nicht zufällig verzichten damals viele prominente Akteure aus dem Feld der Architektur darauf, sich zur Kuppel zu Wort zu melden. Diese Polemik zeigt auch, dass in der argumentativen Rhetorik jener Zeit Inhalte verknüpft wurden, die im Rahmen unserer heutigen Fachgebiete schwer zu fassen sind. Der auf den ersten Blick nur technische Belange berührende Streit um die Kuppel demonstriert, wie wissenschaftliche Auffassungen instrumentalisiert und zweckentfremdet werden konnten, so dass eine Verschiebung von Fragen der Statik und des Bauwesens hin zu fremden Anliegen außerhalb dieses Feldes stattfand. Erkennbar werden die leidenschaftlich vertretenen und sehr heterogenen Auffassungen von Architektur im Rom des Jahres 1740. In der Tat gibt es damals derartig unterschiedliche Architekturverständnisse, dass man überspitzt sagen könnte, dass die Mitwirkenden an dieser Kontroverse – Architekten, Maurermeister, Mathematiker, Gelehrte und Prälaten – niemals dieselbe Kuppel im selben Augenblick gesehen haben. Die Intervention der Mathematik in einer Disziplin, die sich ihrem handwerklichen und humanistischen Erbe verpflichtet fühlte, führte keineswegs zu jenem Konsens und zu jener Sicherheit, welche die moderne Wissenschaft anstrebt. Die von den Minimitenpatres vorgeschlagene Algebraisierung der Geometrie wurde zurückgewiesen; statt zum materiellen Zusammenhalt eines Bauwerks beizutragen, sorgte sie für eine konzeptuelle Explosion.

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Anhang : Giovanni Bot tari Rede beim Studientag im Quirinalspalast, 22. Januar 1743 Biblioteca Apostolica Vaticana, Raccolta di scrittori sulla cupola di San Pietro, Cicognara V-3849

Parere detto in voce nel congresso antecedente da Giovanni Bottari. Per ubbidire a cenni veneratissimi del Nostro Signore che mi comandano di dire il mio parere sopra i risarcimenti della cupola di San Pietro coerentemente alla scrittura dispensata de’ tre dottissimi mattematici, dico, che avendolo letto mi pare, che contenga quattro parti, due di fatto, e due di speculazione, le quali due ultime posano sulle prime come sopra loro fondamento. La prima parte descrive i danni presenti della cupola, la seconda i danni antichi paragonati con li odierni. La terza spiega il sistema generale della cagioni di essi, e la quarta rigetta i vari rimedi progettati, e ne propone uno più efficace, e sicuro. Per dare anche un debole giudizio di questo sistema, e dire anche qualcosa sopra il risarcimento necessario, bisogna avere i primi due punti certi, e sicuri, ed evidentemente e chiaramente stabiliti, perchè questi sono come gli assiomi, o i primi elementi nella dimostrazione d’un teorema. Ora la descrizione de’ danni presenti, compresa nella prima parte e divisa in 32 punti, quantunque sia fatta con molto ingegno e molta cura e sia bastante a chi ha visitato attentamente più volte la cupola come avranno fatto gli autori della scrittura tuttavia non dà sufficiente lume a chi non ha fatta questa ispezione onde bisognerebbe per questi notarvi moltissime distinzioni essenziali, ed esprimerle con termini più precisi, e non indeterminati, perchè non si formi un immaginazione confusa il male di questa fabbrica, ne si creda maggiore assai, ne assai minore di quello che è. Per esempio, le molte aperture si numerano fino in 37 nella cupola esteriore e 39 nell’interiore, ma ciò si dice per averlo in vero dire, non con certezza. Queste si desidererà da molti, che sieno contate, e misurato la loro lunghezza, e molto più la loro larghezza, la quale si dice essere once 22 o 24 sommato insieme, il che non fa formare concetto adequato. Non si dice parimente, se queste aperture sieno state misurate sulla crosta de’mosaici e della calce, o nell’interno della muraglia, il che ognun vede far diversità notabilissima. I pilastri, il tamburo sbilanciano, o pendono in fuora, cosa importantissima per molte ragioni, ma non si dice quanto pendano se non a un circa, ne si dice quanti di essi sbilancino, e quali sieno, cioè da qual parte della cupola. Come anche altri che pendono in dentro de’ quali eziandio non si dice, quali, e quanti, e quanto pendano par l’appunto, e questo sbilanciare si riferisce sull’altrui relazione. La persona, che avrà fatta questa relazione suppongo che sia d’intera fede, ma noi non sapendo chi sia è di mestieri credere ciecamente, cosa aliena dalla geometria, tanto più quando si puo, riscontrare ocularmente. Al n° 28 si nota essere rotti e distaccati alcuni marmi a coda di rondine messi in questi ultimi anni

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attraverso alle spaccature per vedere se la fabbrica faceva moto. Sarebbe bene in punto tanto importante sapere quanti sono questi marmi, perchè se sono molti, e tutti rotti cresce il timore, se son molti, e rotto n’è uno, o due non fa tanto caso. Sapere dove sono collocati, se sulle spaccature orizzontali, o sulle verticali, o sopra ambedue per assicurarsi per qual verso spinga la cupola. Sapere il tempo un poco più precisamente in cui furono posti, perchè rispetto a una fabbrica cominciata da Giulio II e finita da Sisto V per ultimi tempi vi sarà chi prenderà il Pontificato d’Innocenzo XI e chi quello di Clemente XII, che se fossero stati posti nel tempo di quest’ultimo, come so che alcuni sono stati posti, è circostanza che aggrava. Sapere se distaccati vuol dire, che sieno usciti della loro incassatura, o pure semplicemente rotti. Se la rottura fa apertura notabile, se una parte si sia abbassata, o pure sieno rimasi al contatto, e cosi discorrendo degli altri punti. Venendo alla seconda parte, che contiene il confronto co’ danni antichi e fargli giustamente come suppongo che avranno fatto questi dottissimi Padri bisognerebbe anche a noi avere le relazioni vecchie come quella di Mattia de Rossi citata dal Fontana o quella citata in questa scrittura de 12 novembre 1680: non si potendo quietare i geometri alle congetture in cose, di cui si può avere il riscontro di fatto, tanto più che questi Padri con somma onestà confessano, non sapere con certezza, quando questi danni sieno cominciati. Il Baldinucci è uomo di grande autorità, ma scrive la vita del Bernino, e non fa una relazione ex professo, e dice pochissimo, e poi ci potrebbe essere obiettato quello che egli medesimo quivi ci lasciò scritto che siccome allora si affaticavano molti a dire che le crepature erano nuove, e non era vero, così seguisse adesso, e però bisogna aver tanto in mano da provare le novità sicuramente. La terza parte, che spiega il sistema di questi eccellenti mattematici è ammirabile, e ingegnosissima, e piena di profondissime speculazioni, e quantunque varie difficoltà possano essere promosse particolarmente in everenza alle obiezioni, che eglino medesimi si fanno, tuttavia fin che non sono stabiliti gli altri punti, è superfluo il parlarne. Venendo alla quarta, che rigetta i progetti degli architetti, non essendo qui riportate le ragioni, sulle quali essi avranno saviamente appoggiati i progetti suddetti, non si può pienamente giudicare de’ medesimi e specialmente perchè questa parte è più da architetti, che da geometri, come ingenuamente confessano questi Padri, i quali dicono di non aver nè pure avuto sotto l’occhio tutto quello che hanno proposto gli architetti ma averlo inteso riferire par non avere tutti messo in carta. Senza tutte queste notizie non posso far altro, che sottoscrivermi ciecamente al parere dottissimo di questi tre uomini insigni ai quali ho tutta la fede e tutta la stima, ma non potrò interporre il mio sentimento circa poi al progetto adottato da questi Padri egli è appoggiato da tante ragioni, e tante speculazioni, ed è tanto coerente al loro sistema, che se regge questo pare che debba reggere anche il remedio da loro proposto. Ma dall’altro canto, quando io mi figuro di vederlo posto in esecuzione, e tanti, e tanti artefici percuotere, e traforare la cupola e diroccare i contraforti, da una parte appuntellare, da un altra murare e crescer pesi, e far altre simili violentissime operazioni, mi spavento, parendomi, che se la cupola non avesse movimento, lo dovesse fare in questa occasione. Concludo per tanto, che crederei necessario il

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rifare une relazione de’ danni presenti più minuta, e più precisa, ricercare gli stati antichi della cupola, e far distendere agli architetti le ragioni, con cui sostengono i loro progetti, e mandar tutte queste scritture per manus, che in un altro congresso si potrebbe parlare con più di certezza, non essendo mai troppe le diligenze in un caso come il nostro, in cui si teme d’una rovina tanta importante e di spendere qualche centinaro di migliara di scudi per ripararla, la quale anche si potrebbe accelerare giusto per avere speso qualche centinaro di migliara di scudi, quando non si avessero tutte le avvertenze.

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Emmanuel Alloa

Umgekehrte Intentionalität Über emersive Bilder

» Bewusstes Distanzschaffen zwischen sich und der Außenwelt darf man wohl als den Grundakt menschlicher Zivilisation bezeichnen.«1 Diese Aussage, mit der der Bilder­atlas Mnemosyne eingeleitet wird, gehört vermutlich zu den meistrezipierten Gedanken Aby Warburgs. Distanzgewinnung wird hier als kulturstiftender Gründungsakt ins Feld geführt, mit dem dann Stichworte wie Entlastung, Sublimierung und die Befreiung unmittelbarer Reizerfüllung einhergehen; institutionalisierte Distanz gewährt Verlässlichkeit und Verbindlichkeit und setzt dem Geist neue Räume frei. Der Raum der Kultur gilt dann gleichsam als ein Raum, der gegen die triebgesteuerte Natur, aber auch gegen die mythische Vorstellung fremdregierten Handelns oder das Einwirken magischer »Gestirnsmächte« gewonnen ist. Gleichwohl kommt in Warburgs Aussage nicht nur eine kulturanthropologische Behauptung zum Ausdruck: Der Satz besitzt auch einen be­­ schwörenden Unterton, so als habe diese als zivilisatorische Kardinalsgeste gefeierte Distanzschaffung keineswegs nur in grauer Vorzeit stattgefunden, sondern müsste dem Leben immer wieder aufs Neue abgerungen und gegen widrige Gegenkräfte behauptet werden. Aby Warburgs im Anspruch universalistisches und in der Ausführung so idiosynkratisch daherkommendes Projekt einer »Allgemeinen Kulturwissenschaft als Lehre vom bewegten Menschen« – so hat er es 1924 Ernst Cassirer gegenüber einmal charakterisiert – übt eine bis heute nicht abreißende Faszinationskraft auf viele Lesende und Forschende aus. 2 Einen nicht unerheblichen Anteil daran mag die Tatsache haben, dass Warburgs Theoriegebäude so eng mit konkreten historischen aber auch biografischen Umständen verwoben ist, von denen es kaum und wenn dann nur gewaltsam loszulösen ist. Die Forderung an den Kulturhistoriker, zum »Seismografen« für kaum mehr spür­ bare Erschütterungen aus der Vergangenheit zu werden, leistet Warburg selbst exemplarisch Folge und führt wie kein zweiter vor, was es heißt – um Ernst Gombrichs Bild zu

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bemühen –, unter »Mitschwingungszwang« zu leiden. 3 Dieser »mitschwingende« Mensch, den Warburg wissenschaftlich zu erforschen gedachte, ist zunächst für viele niemand anders als er selbst, und dieser Sachverhalt mag erklären, warum einflussreiche Warburg-Studien über weite Strecken als intellektuelle Biografien angelegt wurden. 4 Den Ruf des Exzentrikers, den Warburg ohnehin schon lange genoss, hat die Beschäftigung mit Warburgs eigener Seelengeschichte, mit seinen abwechselnd heroischen wie tragischen Episoden, von der Reise ins Land der Hopi-Indianer 1895–1896 über die Einlieferung in die psychiatrische Klinik Bellevue bis hin zum Vortrag über das Schlangenritual, in einigen Regionen der Geistes- und Sozialwissenschaften tendenziell eher noch besiegelt. 5 Obwohl heute niemand mehr ernsthaft in Abrede stellen würde, dass von Warburg entscheidende Impulse für ein Nachdenken über das visuelle und symbolische kulturelle Gedächtnis Europas ausgingen, bleibt eine systematische Auseinandersetzung mit seinem Denken aber dennoch vielfach aus. Was für diverse Disziplinen gilt (und streckenweise sogar für die Kunstgeschichte selbst) trifft auf die Philosophie erst recht zu. Wer sich fragt, welche Konsequenzen Warburgs Werk für philosophisches Denken haben kann, stellt rasch fest, dass innerhalb der disziplinären Philosophie zwei Haltungen vorherrschen: Entweder wird Warburgs eigenwillige rhapsodische Prosa mit ihren Geistesblitzen aus heiterem Himmel als philosophisch nicht satisfaktionsfähig eingeschätzt und gar nicht erst diskutiert; oder aber man belässt es dabei, einige allgemeine Theoriesätze zu isolieren, wie auch jene Überlegungen zum »bewussten Distanzschaffen« als zivilisatorischem Grundakt, die sich mit anderen Positionen der philosophischen Anthropologie verquicken lassen. Die evolutionäre Kulturanthropologie eines Hans Blumenberg etwa scheint hier bruchlos anzuschließen. Wenn Blumenberg den gesamten Prozess der Menschwerdung auf die Distanzgewinnung zurückführt, so verträgt sich das in der Tat sehr gut mit einigen Gedanken Warburgs, wonach der »Erwerb des Distanz­ gefühls zwischen Subj[ekt] und Obj[ekt] die Aufgabe der sogenannten Bildung und das Kriterium des Fortschritts des Menschengeschlechts« darstellt.6

Ein ex zentrisches Denken Wenn es um das Verhältnis zu Aby Warburg geht, haben sich philosophisch Arbeitende meist einem dieser beiden Lager zugeschlagen, das jeweils bequeme Lösungen anbietet, um sich mit Warburgs Exzentrik – oder dem, was als solche durchgeht – nicht beschäftigen zu müssen. Dabei missachten beide Haltungen einen entscheidenden Aspekt: Exzentrizität sollte bei Warburg weniger als individualpsychologisches Motiv aufgefasst werden; es dient ihm vielmehr als Schlüssel für das Verständnis dessen, worin der moderne Erfahrungshaushalt besteht. Es geht, kurz gesagt, weniger um das Denken eines Exzentrikers, als vielmehr um die Einübung in ein buchstäblich exzentrisches

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1  Christoph Leibfried: Orbium planetarum dimensiones, et distantias per quinque regularia corpora geometrica exhibens, 1597, Kupferstich, aus: Johannes Kepler: Mysterium Cosmographicum [1596], Tübingen 1621, Taf. III

Denken. Was damit gemeint ist, lässt sich vorzugsweise an Warburgs Interpretation von Keplers astronomischen Forschungen darlegen. Als »kopernikanische Wende« versteht man seit Immanuel Kant den erkenntniskritischen Umschwung, wonach sich Erkenntnis nicht mehr an der Struktur der Dinge ausrichtet, sondern an der Struktur menschlicher Erkenntnisvermögen abgelesen werden muss. Anders als Kant machte Warburg nicht Nikolaus Kopernikus zum Gewährsmann für die tiefschürfende wissenschaftstheoretische »Umänderung der Denkart«, sondern

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2  Aby Warburg: Bilderatlas Mnemosyne, um 1927–1929, Taf. C, Fotografie, London, Warburg Institute Archive

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3  Gerhard Langmaack (Entwurf ): Lese- und Vortragssaal der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg mit elliptischem Oberlicht, Fotografie, um 1926–1928, Hamburg, Warburg-Haus, Archiv

einen anderen Astronomen, nämlich Johannes Kepler. 7 Um nachweisen zu können, dass sich die Sonne nicht um die Erde, sondern die Erde um die Sonne dreht, musste Kopernikus auf eine hochgradig spekulative Theorie der sogenannten Epizyklen zurückgreifen, für die seine empirischen Beobachtungen keinerlei Grundlage lieferten. Erst Kepler erbrachte den Nachweis, dass sich die Sonne tatsächlich im kopernikanischen System nie im Mittelpunkt befindet, sondern vielmehr einen Brennpunkt in einer elliptischen Umlauf bahn darstellt. Am Beispiel der Lauf bahn des Mars vermochte Kepler zu zeigen, dass Kopernikus sich zwar mit einem Fuß schon in einem neuen Zeitalter, mit dem anderen aber noch im alten befand, und zwar deshalb, weil sein Bild der Planetenzyklen noch einer platonischen Geometrie verhaftet war. In seiner 1609 veröffentlichten Schrift Astronomia nova, mit dem Untertitel De motibus stellae Martis (Über die Bewegung des Marssterns) versehen, bringt Kepler eine neue geometrische Form ins Spiel, die Platon gegenüber beispiellos ist: die Ellipse. Die klassische, statische Ordnung hat Warburg auf der dritten Tafel seines Mnemosyne-Atlas am Beispiel des berühmten Kupferstichs aus Keplers Mysterium Cosmographicum von 1596 veranschaulicht: In diesem frühen Werk kommt noch die thomistische Kosmologie, mit den ineinander verschachtelten Himmelssphären zum Ausdruck (Abb. 1–2). Diese

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Vorstellung kann auf den platonischen Timaios zurückgeführt werden, wo der Kreis als die Vollkommenste aller geometrischen Formen gepriesen wird, derer sich der göttliche Demiurg bedient hat. Doch mit dem in der Astronomia Nova vollzogenen Durchbruch stellt sich heraus, dass sich die Himmelskörper nicht mehr auf den immer gleichen ­Bahnen bewegen und sich in ewiger Stetigkeit im Kreis drehen, sondern fortan Anziehungskräften und Fallgesetzen ausgeliefert sind. Die Kreisgestalt stellt nicht länger den Normalfall, sondern vielmehr die Ausnahme dar, die lediglich dann eintritt, wenn die Brennpunkte der Ellipse in eins fallen. Welche Bedeutung Warburg dieser Entdeckung der bipolaren Ordnung der kosmologischen Trajekte zumaß, das lässt sich daran ablesen, dass er darauf bestand, seinem Lese- und Forschungssaal in der Hamburger Heilwig­ strasse den gleichen elliptischen Grundriss zugrunde zu legen (Abb. 3). Anders als der Kreis besitzt die Ellipse keinen Mittelpunkt und ist damit ihrer Bipolarität wegen prinzipiell exzentrisch. Der Architekt Fritz Schumacher, dem Warburg anfangs die Planung des Neubaus der K.B.W. anvertraut hatte, überliefert in seinen Memoiren ein dafür ­einschlägiges Gespräch mit Warburg: »Für Plato sei der Kreis das Symbol der Vollkommenheit gewesen, sozusagen die schöpferische Figur für den Begriff des Weltalls. In Wahrheit sei die Ellipse diese schöpferische Figur, denn die doppelten Pole dieser Figur seien charakteristisch für das Weltall.« 8 Diese »keplersche« Wende, wie man sie in Anlehnung an Kants Gedanken von der kopernikanischen Wende bezeichnen könnte, verlangte tatsächlich ein radikales Umdenken mit Blick auf die Himmelsmechanik. Warburg äußerte sich hierzu wie folgt: »Es war eben eine auf die Mathematik angewandte primitive Schau zu überwinden, die Himmelskörper nicht nach den Idealen oder Anforderungen irdischer Menschenmäßigkeit zu konstruieren.« 9 Ernst Cassirer, der sich mit den frühneuzeitlichen Quellen dieses Themas in seinem Werk Individuum und Kosmos in der Philosophie der Renaissance von 1927 eingängig befasste, hat die Bedeutung der epochemachenden Entdeckung ein Jahr nach Warburgs Tod so charakterisiert, dass Kepler der erste gewesen sei, welcher »den Schritt von der Einheit der Gestalt zur Einheit des Gesetzes gewagt hat.«10 Abschließend hält Cassirer fest: »Nicht die Gleichmäßigkeit eines geometrischen Gebildes, sondern die Einheitlichkeit bestimmter erzeugender Prinzipien gilt fortan als das Maß, an dem das Denken sich selbst, und mit welchem es die Welt mißt.«11 Schon 1924, bei seinem Besuch in der Kreuzlinger Klinik, hatte Cassirer Warburgs Einschätzung von der Ellipsenentdeckung als »Markscheide der Kulturepochen« bestätigt.12 Kepler dient Warburg denn auch als »Übergangstype zwischen mythischem und mathematischem Denken«.13 Erstens beglaubigte sein astronomisches Werk, dass die Ellipse »eine an und für sich dem Kreis an Vollkommenheit nicht untergeordnete mathematische Vorstellung« sei und zweitens könne nun, durch die Ellipse, »die Unendlichkeit des Weltraums physikalisch gesetzmäßig erschlossen werden«.14 Mit dieser astronomieund allgemein wissenschaftsgeschichtlichen Einschätzung steht Warburg nicht allein; ähnlich beschreibt auch Alexandre Koyré später Keplers Durchbruch, und selbst in

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4  Albert Einstein: Skizze zur Erläuterung der Berechnung der Umlauf bahn des Mars, 1928, London, Warburg Institute Archive

Edmund Husserls Schrift Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie heißt es 1936, die Mathematisierung der Natur gehe mit einer Loslösung von der platonischen Welt der Idealitäten einher.15 Warburg selbst erhält für seine Deutung von niemand Geringerem als Albert Einstein Bestätigung, dem er am 4. September 1928 einen Besuch abstattet, und der sogar eine unlängst wiederentdeckte Skizze anfertigt, um ihm Keplers Entdeckung der elliptischen Himmelsbahn zu erläutern (Abb. 4). Im Unterschied zu den gerade genannten Wissenschaftlern allerdings, und selbst noch im Unterschied zu Cassirers Kepler-Interpretation, stehen bei der Entdeckung der elliptischen Planetenbahnen weit mehr als nur Probleme frühneuzeitlicher Physik auf dem Spiel: Für Warburg geht es um nichts weniger als um ein Gesetz der Psychodynamik allgemein. Die klassische Vorstellung prästabilierter Harmonie und der damit verknüpfte Monotheismus der Kreisform machen einem neuen Kräftefeld Platz, in dem der doppelte Brennpunkt ein polares Spannungsgefüge einrichtet. In Fritz Saxls Worten: »Kepler, der an die Stelle des Kreises die geometrische Ellipse gesetzt und damit die Marsbahn bestimmt hat, ist Warburg eine symbolische Gestalt jener Kräfte, die den Denkraum schaffen.«16

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Auf den ersten Blick hin ließe sich der Durchbruch zur Elliptik passgenau in das Narrativ der Distanzgewinnung einfügen, und zwar dahingehend, dass mit der Verdop­ pelung des Brennpunkts ein Zwischenraum freigestellt wird, der die Abstandnahme erlaubt. Befürwortet wird eine derartige Lesart durch Äußerungen von Warburg selbst, wonach Keplers Ellipsenentdeckung einen entscheidenden Beitrag zur »Entdämoni­ sierung und Entanthropomorphisierung des Himmels« leistete.17 Das phobisch-mythische Kapitel der Menschheitsgeschichte, das seine Ängste und Wünsche auf das Himmelsgewölbe projiziert, kommt zum Ende und ein wissenschaftliches Zeitalter wird eingeläutet – so will es ein apollinisch-abgeklärter Warburg, der alle Hoffnungen in die Abstrak­t ionsleistungen der Ratio setzt. Im August 1929, und damit zwei Monate vor ­seinem Tod, gab er dem Kuratorium der frisch eingerichteten Kulturwissenschaftlichen Bibliothek den Denkweg vor, den er an Keplers Marsbahnkalkulationen meinte ablesen zu können: »Von der mythisch-fürchtenden zur wissenschaftlich errechnenden Orientierung des Menschen sich selbst und dem Kosmos gegenüber«.18 In den Bildunterschriften zur Tafel C des Mnemosyne-Atlas ist von einem Fortschritt vom Bild zum Zeichen die Rede, und von der Einrichtung eines »harmonikalen Systems«.19 Doch bei genauerer Betrachtung stellt man fest, dass eine derartige lineare Entwicklungslogik hin zu mehr Stabilität und Abstraktion nur ein Teil der Geschichte ist. Mars steht nicht nur für eine neugefundene Harmonie, sondern auch für Gewalt: Mit dem Namen verbindet sich nicht allein ein Planet, sondern schließlich auch der Kriegsgott, der bei der Sternentaufe Pate stand. Entsprechend sind auf dem dritten Bild der Tafel die Marskinder zu sehen, in der Darstellung einer Tübinger Kalender-Handschrift aus dem 15. Jahrhundert, darunter Perseus, halb als Sternbild, halb als europäischer Krieger aufgefasst (Abb. 5). Man mag in dem Bildarrangement einen Hinweis auf Warburgs Interesse am Nachleben antiker Prägeformen vermuten, und darauf, dass hier so etwas fortwirkt wie eine magische Gestirnsmacht, kurzum, dass der Prozess der Modernisierung nie ganz abgeschlossen ist. Eine andere Auslegung muss aber auch zulässig sein, und zwar solch eine, die der Exzentrizität ihre ambitionierteste Ausdehnung gewährt. Anstatt in der Ellipse eine vollkommenere geometrische Form zu vermuten, die sich als kräftemäßig stabiler erweist als der freischwebende Kreis, muss der Dipol als das erkannt werden, was er ist: ein Dynamogramm, das keine letztgültige Rückführung mehr in sich erlaubt. Im Sinne von Heinrich Hertz’ elektrischem Dipol mit seinen offenen Schwingkreisen ist das polare Gefüge der Ellipse spannungsgeladen und kann durch die geringste Veränderung im Kräftefeld kippen. Das wollte eingangs angedeutet sein, als es um die bewusste Distanzschaffung als Gründungsakt menschlicher Zivilisation ging: Der vielrezipierte Satz aus der Einleitung zum Mnemosyne-Atlas ist, aus Warburgs Perspektive, gleichermaßen Behauptung wie Beschwörung; zu sehr bleibt der Begründer der K.B.W. der Tatsache eingedenk, dass die Geschichte voller Pendelschläge ist. Im Abspann zum Vortrag Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten klingt dies dann so: »Athen will eben immer

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5  Planetengott Mars mit seinen Kindern, Miniatur, aus: Astronomisch-geoman­t ische Sammelhandschrift (sogenanntes »Tübinger Hausbuch«), süddeutsch, kompiliert vor 1470, Tübingen, Univer­sitätsbibliothek, Ms. M. d. 2, fol. 269r

wieder neu aus Alexandrien zurückerobert sein«. 20 Warburgs Denken führt in dieser Perspektive wie kein anderes vor, inwiefern die ästhetische Kontemplation – dieser »Denkraum der Besonnenheit«, wie Warburg ihn nennt – keine Selbstverständlichkeit ist, und warum das Studium des visuellen Formenvokabulars sich seiner affektivpathischen Komponente nie ganz entledigen kann. 21 Warburgs Laboratorium kulturwissenschaftlicher Bildgeschichte gab maßgebliche Impulse für die spätere Ästhetik und Bildwissenschaft; doch nicht wenige derjenigen, die Warburgs Impulse für eine Ikonologie zu einem methodologischen und institutionalisierten Programm ausbauten, ließen dabei geflissentlich außer acht, dass Warburgs Wissenschaft vom ikonischen Logos aus dem Geiste des Pathos gewonnen ist. Über Warburgs Bedeutung für die Philosophie – und zumal für die Bildphilosophie – nachzudenken, muss heißen, diese Verbindung stets mitzubedenken. Das Bild, das wir uns von einer Sache machen, verdankt sich nie ganz unserem eigenen Vermögen; wer vor einem Bild steht, ist nie ganz bei sich, sondern beginnt immer schon anderswo – darin liegt die dezentrierende Wirkung in der Bild­ erfahrung.

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Im Folgenden soll es darum gehen, mögliche Brückenschläge zwischen Warburgs polarem Denken einerseits und der phänomenologischen Tradition andererseits anzudeuten. Obwohl es zwischen der »Warburg-Schule« und der »Husserl-Schule« verhältnismäßig wenige direkte historische Bezüge gab, lassen sich dennoch zahlreiche systematische Übergangspunkte ausmachen, deren Herausarbeitung bis heute aussteht. Ohne diesen Vergleich hier auch nur annähernd zufriedenstellend ausformulieren zu können, soll es zunächst darum gehen, zu fragen, welche konzeptionelle Werkzeuge für eine Analyse bildlicher Erfahrung aus einer kreuzweisen Lektüre zu gewinnen wären. Zentral ist dabei das phänomenologische Grundmotiv der Intentionalität. Im Anschluss an den Gedanken, dass es bei Bilderfahrungen vielfach zu einer »Umkehrung« des intentionalen Strahls kommt, wird das Konzept der »emersiven Bildlichkeit« konturiert.

Alles was im R ahmen bleibt Wie lässt sich die Spezifik des Bildersehens beschreiben? Zunächst sei an einige Grundzüge erinnert, die sich aus einer Phänomenologie visueller Erfahrung herauskristallisieren lassen, um auf dieser Basis zu versuchen, das Spezifische am Bildersehen zu erschließen. Es gibt – das kann gleich eingangs festgehalten werden – kein Sehen im Allgemeinen, jedes Sehen ist stets bedingt und erwirbt kraft dieser Bedingtheit seine Bestimmtheit. Etwas zu sehen, bedeutet dabei jeweils, aus einer bestimmten Perspektive heraus solches zu betrachten, das sich vor der Folie von anderem zeigt, welches wiederum unthematisch in den Hintergrund versinkt. Jedwedes Sehen ist somit zwangsläufig beschränkt, es zeigt die Dinge immer nur in einer bestimmten Hinsicht und mit den damit verbundenen, situativen Abschattungen, die den Dingen ihre Prägnanz verleihen, aber auch ihren Verschattungen, wodurch andere Aspekte ausgeblendet werden. Dass etwas Bestimmtes in den Vordergrund tritt ist nur zum Preis zu haben, dass anderes unbestimmt bleibt: Sichtbarkeit korreliert – mit anderen Worten – mit einer jeweiligen Unsichtbarwerdung. Jedes Mal wenn sich vor dieser diffusen Erfahrungskulisse Gegenstände abheben und hervortreten, wenn sie also »als Etwas« in Erscheinung treten, bestätigt sich eine Grundkategorie phänomenologischer Analyse, nämlich die intentionale Struktur von Wahrnehmungsvollzügen. Etwas wahrnehmen heißt, auf etwas bezogen zu sein, das sich in seiner Jeweiligkeit so und nicht anders zeigt. Sichtbare Gegenstände, Ereignisse oder Sachverhalte sind im terminologischen Sinne »intendiert«, womit weniger eine Absicht gemeint ist als vielmehr die gespannte Bezogenheit (intentio) auf etwas, das über die Immanenz des Erfahrungsbewusstseins hinausweist. Zu sagen, jedes Sehen weise eine intentionale Struktur auf, besagt zunächst nichts anderes als soviel, dass jedes Sehen perspektivisch orientiert und referentiell gerichtet ist. Diese knappe Erinnerung an einige Grundmerkmale jeder Phänomenologie der Wahr­ ­nehmung mag vielleicht fürs Erste genügen, um nun mit diesen Minimaldefi­nitionen

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ausgerüstet ein paar Überlegungen zum Bildersehen anzustellen. Denn was für das Sehen allgemein gilt, gilt für das Bildersehen erst recht: Was dabei zu sehen ist, ist nie unendlich, sondern stets beschränkt. Aus dem ständigen Ablauf sich wandelnder Phänomene wird eine bestimmte Ansicht herausgenommen und isoliert, übliche Geltungen werden suspendiert und gleichsam in einen bestimmten exklusiven Rahmen gebracht; die Bildauffassung verdankt sich, wenn man so will, einer regelrechten Bildeinfassung. Während jede Erscheinung folglich in ihrer aspekthaften Ansichtigkeit beschränkt ist, sind Erscheinungen im Bild sozusagen doppelt beschränkt: Sie verdanken sich einer künstlichen Begrenzung. Nur solches, was sich im Binnenraum des Bildausschnitts befindet, kann als Bilderscheinung gelten; alles andere ist dem Bild äußerlich. Jene Prägnanz, die Bilderscheinungen oft zugebilligt wird, ist folglich unmittelbar durch eine ­derartige Beschneidung bedingt. Bildliche Verknappung und Zuspitzung gehen also zu Kosten der offenen Ränder des Gesichtsfelds. Edmund Husserl hat diesen Zusammenhang in seinen Beobachtungen zum Bildbewusstsein wie folgt beschrieben. Das »Gesichtsfeld« reicht »weiter als das Bildfeld«, weil die künstliche Rahmung fehlt; durch den Rahmen allerdings wird eine Bilderscheinung vom Wahrnehmungskontinuum abgesondert und herauspräpariert, sie lässt eine bestimmte Gestalt hervortreten. 22 Dieser Umstand vermag auch das besondere Interesse der ­husserlschen Phänomenologie an der Bildlichkeit zu erläutern, eben weil Bilder dem ­Philosophen zufolge in besonderer Weise dazu geeignet sind, Wesenheiten zu veranschaulichen: Es handelt sich gleichsam um materialgewordene eidetische Reduktionen. Das Bildbewusstsein entledigt sich aller kontingenten Umstände, und hebt auf die wesenhafte, morphologische Eigenheit der Dinge selbst ab, die nun markant ins Bild gesetzt werden. Husserls eidetische Absicht – also die phänomenologische Herausarbeitung von Wesenszügen unter Absehung ihrer okkasionellen Ereignishaftigkeit – weist hier, trotz aller Unterschiede, durchaus Berührungspunkte mit einer bestimmten Ikonologie der »Warburg-Schule« auf, wenn sich diese für das gleichbleibende Formenregister des europäischen Bildvokabulars interessiert. Möglich wird diese Isolierung der reinen Form allerdings nur durch eine konsequente Einklammerung jener Erfahrungsbedingungen, die allererst zu deren Anschauung führte. Praktische Geltungen werden gegen künstlich gesetzte Geltungsfenster eingehandelt. Wenn es eines Beispiels bedürfte, worin diese Ausradierung des praktischen Zusammenhangs besteht, um dadurch eine typologische Reinform freizulegen, ließe sich das fotografische Werk von Bernd und Hilla Becher anführen (Abb. 6). Als Archäologen verlassener Industrielandschaften dokumentierte das Künstlerpaar unzählige Fördertürme, Hochöfen, Wassertürme oder Gasometer und montierten die daraus entstandenen Aufnahmen zu strukturalistisch-morphologischen Tafeln. Die dabei eingesetzte Großformatkamera hielt typologische Baudetails minutiös fest, während die gewählte Lichteinstellung dafür sorgte, dass der Hintergrund zurücktritt. Vor diesen menschenleeren und zufallsbereinigten Szenerien bleibt dann einzig die Gestalt jener Relikte europäischer

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6  Bernd Becher und Hilla Becher: Wassertürme, 1988, Silbergelatinedruck, 172 × 140 cm, New York, Museum of Modern Art

Großindustrialisierung zurück, die nun ihre Familienähnlichkeit unter Beweis stellen. Bernd und Hilla Bechers Fotoarbeiten – prominent in der Reihe Typologien – mag als Veranschaulichung jenes Verfahrens herangezogen werden, das im Pathos der Sachlichkeit auf die Erfassung von Wesenheiten zielt. Von »bewusstem Distanzschaffen« ist bei Warburg die Rede; von der Einklammerung der natürlichen Haltung bei Husserl, um zu einer neuen, reflexiven Einstellung vorzustoßen. Beides erinnert an ein Konzept, das in der ästhetischen Tradition eminente Bedeutung erlangte, nämlich an das Konzept der Kontemplation. Ästhetische Schauen gilt dahingehend als kontemplativ, als das damit verbundene Sehen aus unmittelbaren

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Zweckmittelzusammenhängen befreit ist. Der Weltlauf wird zeitweise angehalten, um sich dieser reinen Betrachtung hinzugeben, die keine einbrechenden Meldungen oder einschneidenden Ereignisse stören sollen. Voraussetzung ist dafür, dass ein Schnitt gemacht wird, auf den der Ausdruck des Kontemplativen etymologisch verweist: contemplari belegt lateinisch die Tätigkeit des Astronomen, der durch einen Deckenausschnitt hindurch die Sterne beobachtet. Dabei kann sich die ästhetische Kontemplation nicht ganz ihrer religiös-kultischen Herkunft entledigen, weist doch die lateinische contemplatio selbst wiederum zurück auf das griechische templum und damit auf diesen Ausschnitt, den der antike Haruspex mit einem Stab in den Sand ritzte, an einer Tierleber beschrieb oder virtuell in den Himmel zeichnete, und der dann zeitweise als jener Bereich galt, in dem die göttlichen Zeichen zu empfangen sind. Der Kontemplation, selbst der ästhetischen, haftet dann stets noch etwas von diesem antiken témenos an, von diesem heiligen Bezirk, der von den Verunreinigungen des Profanen freigehalten werden muss. Kontemplative Betrachter nehmen sich heraus und beanspruchen für sich eine Sonderstellung; die ästhetische Intentionalität steht unter dem Zeichen der Loslösung und der Absonderung, die dann wiederum verspricht, den Kern der Sache bar aller sonstigen Verstrickungen herauspräparieren zu können. Mit Blick auf die Fotoserie der Bechers wäre von einem solchen »extraktiven« Ansatz zu sprechen: Der Extraktion der Rohstoffe, auf welche die dargestellten Industriebrachen ursprünglich einmal abzielten, entspricht auf bildreferentieller Ebene die Extrak­ tion formaler Wesenheiten. Die intentionale Struktur wird zum Förderband, der die Wesenheiten ans Tageslicht bringt, zum Transmissionsriemen, das die Sache selbst ins Bild überführt. Die derart freigelegten Extrakte verschleiern dabei freilich, auf welchen Wegen ihre Gewinnung vonstattenging; die morphologischen Grundzüge verdecken, dass dabei mitunter noch ganz andere Triebkräfte am Werk waren. Oder noch einmal anders ausgedrückt: Nicht alle Bilderscheinungen sind mit Fassung zu nehmen.

Was ins Auge springt Intentionalität benennt klassischerweise die Gerichtetheit auf die Dinge, sodass bildliche Intentionalität folglich den Aufmerksamkeitsstrahl auf Bilderscheinungen hin meint. Allerdings erschöpft diese Beschreibung nur einen Teil unseres Erfahrungshaushalts mit Bildern. Nicht alles, was wir in den Blick nehmen, verdankt sich einer vorgängigen freiwilligen Zuwendung, vielmehr wird unsere Aufmerksamkeit vielfach gewaltsam in Anspruch genommen. Bilder sind nicht zwangsläufig dienlich, um sich etwas vor Augen zu führen oder aber etwas »als Etwas« in den Blick zu nehmen: Etliche Male wird die Transparenz der Bilder getrübt, wenn etwas an ihrer Oberfläche plötzlich ins Auge sticht, und ihre transitive Verwendung ins Stocken gerät. Immer wieder passiert es, dass visuelle Artefakte den gewohnten Gang der Dinge unterbrechen und den Blick nicht

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mehr auf Anderes freigeben, sondern diesen auf sich selbst lenken. Immer wieder kommt es vor, dass uns Bilder gefangen halten, uns fesseln und faszinieren. Es sind oft ungewollte Geiselnahmen, die unversehens geschehen: Man kann bei einigen Bildern schlechterdings nicht wegschauen, und als Aufmerksamkeitsmagneten verlangen sie, dass man ihnen Beachtung schenkt. Es scheint für Bilder geradehin zu gelten, was Nietzsche über die Gedanken sagte: Sie kommen wann sie wollen und nicht wann ich will. Bilder, die sich einmal eingebrannt haben, gehen einem nicht mehr aus dem Sinn; selbst wer sich vom Schauspiel losreißt, wird darum noch nicht gleich die Bilder los: Unter Umständen geistern diese noch unbefristet im Kopf herum. Im Anschluss an Husserl haben einige Autoren dessen eidetischen Ansatz noch gesteigert, allen voran Jean-Paul Sartre, für den die kontemplative Haltung des Bildbewusstseins eine Frage willentlicher Entscheidung ist, bei der alle anderen Regungen ausgeschaltet werden. 23 Einen anderen Weg beschritten hingegen Autoren wie Maurice Merleau-Ponty, Erwin Straus, Emmanuel Levinas, Maurice Blanchot, Henri Maldiney, und im deutschsprachigen Kontext Bernhard Waldenfels. Ihre Texte verbindet die Absicht, eben jenen unwillkürlichen Auslösern von Aufmerksamkeit den nötigen systematischen Raum zu geben. 24 Wenn »intentional« gleichbedeutend ist mit »gerichtet«, dann steht einer Anwendung des Intentionalitätsbegriffs auf erscheinende Dinge erst einmal nichts im Wege. Hannah Arendt hat ganz nüchtern zu bedenken gegeben, man könne »mit der gleichen Berechtigung von der Intentionalität der Erscheinungen und der ihnen grundsätzlich eigenen Subjektivität sprechen.« Und weiter heißt es: »Alle Objekte verweisen auf ein Subjekt, weil sie erscheinen, und genau wie jeder subjektive Akt sein intentionales Objekt hat, so hat jedes erscheinende Objekt sein intentionales Subjekt.« 25 Bezeichnenderweise waren es dabei gerade die Analysen zum Bildbewusstsein, die eine tiefergreifende Revision des Intentionalitätsbegriffs veranlassten, wobei hier eher an den Husserl der passiven Synthesen angeknüpft wurde. Dieser andere, zweite Weg nimmt darin seinen Ausgang, dass das Wort »Anblick« in seiner Doppelbedeutung ernstgenommen wird. Der Anblick der Dinge ist, wie Merleau-Ponty betont, nicht nur im Objekt- sondern auch im Subjektgenitiv zu verstehen. Schon bei Paul Valéry steht: »Die Dinge, die ich sehe, sehen mich ebenso wohl, wie ich sie sehe.« 26 Es ist nicht damit getan, solcherlei Erfahrungen in den Bereich des Pathologischen zu schieben, denn immer wieder haben nicht nur Literaten und Künstler dieses Phänomen geschildert; der stumme Blick der (nicht nur bildlichen) Dinge gehört durchaus der Ordnung des Alltäglichen an. Dennoch hilft der Umweg über die klinischen Untersuchungen. Henri Maldiney, der vielleicht am prominentesten den Gedanken einer inversen Intentionalität betonte, beruft sich selbst dabei auf den Schweizer Psychiater Roland Kuhn, der in seinen klinischen Forschungen zur Psychose von einer »Umkehrung der Intentionalität« sprach. 27 Psychotische Patienten fühlen sich von Details aus ihrer Umgebung, oder aber von ihrer Umgebung überhaupt in einer Weise angeblickt, die sich bis zum Verfolgungswahn steigern kann. Vielfach wird aber auch die Situation der Faszination durch Dinge

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7  Caravaggio (Michelangelo Merisi): Medusa, 1597, Öl auf Leinwand, auf Holz aufgezogen, 60 × 55 cm, Florenz, Gallerie degli Uffizi

oder einzelne Bilder festgehalten, aus der Maldiney dann eine allgemeine Theorie der umgekehrten Intentionalität entwickelt. Wer vor einem Bild steht, kann gelegentlich diesen Blick aus dem Bild verspüren; diesen stummen Anspruch, der sich an das betrachtende Subjekt richtet. Anders als in der klassischen Intentionalitätsstruktur zielt die Bezugnahme nicht auf einen Gegenstand, das Erfahrungssubjekt wird selbst zur Zielscheibe. Friedrich Nietzsche scheint etwas dergleichen im Sinn gehabt haben, wenn es in einem seiner Fragmente aus dem Nachlass heißt: »›Ich‹, ›Subjekt‹ als Horizont-Linie. Umkehrung des perspektivischen Blicks.« 28 Entscheidend ist hierbei für Maldiney, dass diese umgekehrte Intentionalität jene Distanz kollabieren lässt, die in der klassischen phänomenologischen Einstellung Voraussetzung war. Im Anschluss an Maurices Blanchots Überlegungen über das Ergriffenwerden durch Bilder, unterstreicht Maldiney, wie vorherige Zielsetzungen und Absichten in Anbetracht des Faszinosums kollabieren. 29 Wo es zu Faszinationsphänomenen kommt, greift die herkömmliche Intentionalität nicht mehr. Faszination setzt vielmehr eine bestimmte distanzlose »Nichtdualität voraus, eine ganzheitliche Hineinprojizierung in den Gegenstand der Faszination«. 30 Sich im Bannkreis einer faszinierenden Erscheinung zu bewegen, zieht das Modell einer stets über sich selbst verfügenden Subjektivität in Leidenschaft und zeugt von der Wirkungsmacht pathischer Widerfahrnisse. Anstelle eines souveränen Blicks, der sich nach Wunsch in die Kunst- oder Bildwerke vertiefen, zu diesen aber auch auf Distanz gehen kann, geht es hier um ein Blickgeschehen, das einer anfänglichen Beunruhigung geschuldet ist. Die Bilder stellen dann weniger Sichtbarkeitsangebote dar, die angenommen oder ausgeschlagen werden könnten, sondern sticheln und provozieren einen

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8  Pere Borrell del Caso: Flucht vor der Kritik, 1874, Öl auf Leinwand, 75,7 × 61 cm, Madrid, Banco de España

unwillkürlichen Blickaufschlag. Ähnlich wie uns bestimmte Erfahrungen die Sprache verschlagen, verschlagen uns bestimmte Bilder den Blick. Mit Lacan gesprochen: »[…] das, was ich erblicke, [ist] nie das, was ich sehen will«31. Es ist ein sehr klassisches Gemälde, und doch darin unübertroffen: Caravaggios Darstellung vom Schild der Medusa (Abb. 7). Hält man sich hier an den mythischen Stoff, so stellt der Künstler jenen Augenblick dar, in dem die Medusa mit Schrecken erkennt, dass sie mit ihren eigenen Waffen geschlagen wurde: Die Gefahr, die vom versteinernden Blick ausgeht, bannt Perseus listenreich dadurch, dass er sich der Gorgo hinter dem vorgehaltenen Schild der Athena nähert. An dem glattpolierten Metall des Schildes prallt der Blickstrahl ab und wird an die Quelle zurückgespiegelt. Im Augenblick der Selbst­ erkenntnis, wenn die Medusa nämlich in ihr eigenes Spiegelbild blickt, erstarrt sie vor

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Schrecken, gleichsam als Prolepse im Wissen um die Wirkung, die ihr eigener Blick unvermeidlich auslöst. Eine schlagartige Erkenntnis, die darin besteht, sich selbst als Zielpunkt des eigenen Blicks zu erfahren. Man könnte sagen, die Gorgo erstarrt, weil sie sich als bereits Betroffene erkennt; es findet gleichsam eine Versteinerung vor der bevorstehenden Versteinerung statt, was zu der paradoxen Situation führt, dass die Antwort diejenige Wirkung vorwegnimmt, auf die sie zuallererst reagiert. Metonymisch verlagert sich die Macht des Gorgoneions auf die Macht des Affekt­ bildes: In einem merkwürdigen Vexierspiel, das immer neue Verschiebungen erzeugt, blickt man dem Faszinosum selbst entgegen, das allerdings nie als Ursache der Faszination erscheint, sondern immer schon als deren Wirkung. In Caravaggios Darstellung des Medusenhaupts, das selbst bereits in Bildform entgegentritt – nämlich im Kreisrund des Schildes –, wird dem Zuschauer eben jene Wirkung entgegengehalten, welches die Augen der Gorgo bei jedem auslöst, der ihren Blick kreuzt. Das Reflexivwerden der ­Zuschauerschaft geschieht im Augenblick höchsten Schreckens; die Einsicht in den eigenen Zustand findet gleichsam im exzentrischen Austreten des Subjekts statt. Zurück zum Thema der umgekehrten Intentionalität, und der Frage, welcher Bild typ  dieser Erfahrung des Getroffenwerdens entspricht. Faszinierende Bilder – und ­C aravaggios Gemälde ließe sich mit guten Gründen dazu rechnen – sind jedenfalls Bilder, die die Fassung verloren haben und denen der rahmende Betrachtungskontext fehlt. Als Betrachter ist man rückhaltlos einem Anblick ausgeliefert, der einen fest im Griff hat. Getilgt wird dabei die schützende Distanz der kontemplativen Schau, es nimmt einen das Schauspiel in Beschlag, das man vor Augen hat. Bei Schrecken und Faszination bleibt alles andere außen vor, und die Zuschauer gehen ganz im Bild auf. Für Bilder, denen der Rahmen fehlt, gibt es bereits ein Begriffsangebot: man spricht von »immer­siven Bildern«. 32 Im Falle von Bildern, die einen in Bann schlagen, von »immersiven Bildern« zu sprechen, wäre allerdings fehl am Platz, denn das Eintauchen hat nichts mit einem allmählichen Versinken in den Gegenstand zu tun. Als alternativer Gegenbegriff sei daher an dieser Stelle folgende Kategorisierung vorgeschlagen: anstelle von »immersiven Bildern« wäre treffgenauer von »emersiven Bildern« zu sprechen, von Bildern also, die ihren angestammten Platz immer schon auf ihre Betrachter hin verlassen. 33 Diese Emersion aus dem Bildgrund heraus, dieses Emporkommen aus dem Binnenraum und das Sprengen des zugewiesenen Rahmens wären dann einige Merkmale einer gleichsam ikonischen Gegenintentionalität. Diese nämlich zeichnet emersive Bilder allgemein aus, insofern sie sich in ihrer Übergriffigkeit äußern, als überwältigende und überschüssige Erscheinungsereignisse, die – anders als es das ästhetische Ideal der reflexiven Selbstbezüglichkeit verlangt – nicht an sich halten, sondern ekstatisch aus sich heraustreten und das Erfahrungssubjekt aus dem Gleichgewicht bringen. Dieser Ausstieg der Bilderscheinung aus dem vertraut-verlässlichen Rahmen und auf die Zuschauer hin, das hat der katalanische Künstler Pere Borrell del Caso in seinem Trompe-l’œil Flucht vor der Kritik geradezu buchstäblich ins Werk gesetzt (Abb. 8).

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Ausl assungspunkte »Bewusstes Distanzschaffen zwischen sich und der Außenwelt darf man wohl als den Grundakt menschlicher Zivilisation bezeichnen.«34 Die Aussage, die Aby Warburg seinem Mnemosyne-Atlas voranstellt, darf nicht nur als Ausdruck eines unverbrüch­ lichen Kulturoptimismus gedeutet werden, es liegt darin auch ein unüberhörbar be­­ schwörender Ton. Der Prozess der Symbolisierung und Sublimierung ist für sich genommen niemals abgeschlossen, vor allem aber ist die theoretisch-distanzierte Haltung selbst noch als das zu werten, was sie in Warburgs Augen darstellt: als eine Bändigung des affektiv Reizhaushalts. Was Nietzsche einst als »Pathos der Distanz« charakteri­ sierte, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als eine Distanzierung im Pathos. Selbiges gilt auch für die Kunst. Nie ganz vermag sich Kunst, und zumal die bildende, ihrer apotropäischen Aufgabe entledigen, die bedrohlichen Kräfte zu bannen. Ihre prophylak­ tische Funktion liegt nicht zuletzt auch darin, noch in der reflektiertesten, distanziertesten Herangehensweise der affizierenden Grundsituationen eingedenk zu bleiben und ihre Wirkung in wohldosierten Portionen zu verabreichen. Das Bild stellt bestenfalls ein Pharmakon dar; es schützt vor den Erschütterungen, verweist allerdings immer auch auf den Entzündungsherd zurück, insofern es von dorther seine immunisierende Wirkung erhält. Bildliche Objektivität verdankt sich mithin, so Warburg, einer Objektivierung phobischer Restenergien: »Durch das ersetzende Bild wird der eindrückende Reiz objektiviert und als Objekt der Abwehr hergestellt.«35 Hierin schlägt sich der Sinn der Ellipse wieder nieder, darin nämlich, dass Ansteckung und Abwehr, Einwirkung und Gegenstoß sich polar bedingen, in Gestalt eines »ewigen Wechsel[s] von dynamischer Entladung und intentionaler Spannung am historischen Präparat«. 36 In den Fragmenten aus Warburgs Studienzeit, den Grundlegenden Bruchstücken zu einer pragmatischen Ausdruckskunde, findet sich diese aufschlussreiche Charakterisierung des Kunstwerks »als etwas in Richtung auf den Zuschauer feindlich bewegtes«. 37 Derlei Charakterisierung kann zum besseren Verständnis des berühmten Mottos herangezogen werden, unter welches Warburg seine Fragmente gestellt hat: »Du lebst und thust mir nichts.«38 In diesem Motto schwingt nicht nur die Spur eines unbeirrbaren Rest-Animismus mit, sondern auch eine regelrechte Erleichterung darüber, dass die Bedrohung, die vom Bild ausgeht, behelfsweise gebannt ist. Denn tatsächlich fügt Warburg am 21. September 1896 noch diese handschriftliche Notiz hinzu: »Darin liegt schon eine Ahnung von der ›Distanzirung‹ als Grundprinzip.«39 Das Prinzip elliptischbipolaren Denkens, das erst Jahre später systematisiert und im Grundriss des Lesesaals der K.B.W. greif bare Gestalt annimmt, ist hier gewissermaßen schon vorweggenommen, und zwar im Feld der Psychodynamik als Terrain auseinanderstrebender und doch aufeinander bezogener Kräfte. Damit wird zwischen den doppelten Polen ein Zwischenraum geöffnet, den der Kunsthistoriker dann für seine Ikonologie der Intervalle urbar zu machen wusste. Warburgs vielbemühter »Denkraum« ist seiner Selbstauskunft

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zufolge aufgespannt zwischen »den Grenzpolen des psychischen Verhaltens« und verstärkt abwechselnd »die Tendenz zur ruhigen Schau oder orgiastischen Hingabe«.40 Bei Warburg ist die ganze europäische Seelengeschichte geradezu zwei­geteilt und zwar in Phasen des Selbstverlusts und solche der Selbstgewinnung durch distanzierte Besonnenheit. In einem Brief an den Bruder Paul vom 27. Juli 1924 ist die Rede von der K.B.W. als einer seismografischen Warte, die die »menschliche[n] Schwingungen« aufzeichnet, von der virtus (dem »blutigen Handeln«) zur contemplatio (der »reinen Schau«) und zurück. Zwischen Warburgs eigenen verschlungeneren Pfaden, um an der Kulturwis­sen­ schaft­­lichen Bibliothek neben dem »Wortschatz« historischer Semantik auch dem ­»Leid­­­schatz« bildlicher Erfahrungen freizulegen, und einer Phänomenologie der Bildwahrnehmung (zumal solch einer, die auf die leiblich-affektiven Dimensionen abhebt) bestehen frappierende Parallelen. Die historischen Bezüge bleiben verhältnismässig dünn, wiewohl mittlerweile etabliert ist, dass sich Husserl und Warburg ausführlich am 15. August 1923 im Sanatorium Bellevue unterhielten, woraufhin Warburg sogar eine (nie umgesetzte) Einladung an Husserl für einen Vortrag an der K.B.W. aussprach.41 Schon im Vorjahr hatte ein Vortrag Ludwig Binswangers »Über Phänomenologie« im Rahmen des »psychiatrischen Kränzchens« der Klinik Warburgs Interesse an der phänomenologischen Methode geweckt.42 Aufschlussreicher bleiben gleichwohl die systematischen Bezüge, deren Erforschung bis heute ein Desiderat bleibt. Die vorangegangenen Überlegungen sollten plausibilisieren, wo es Berührungspunkte gibt und Übergänge möglich werden. Ähnlich wie Warburg die Kunstgeschichte davor warnte, sich lediglich mit ornamentaler Bewegung zu befassen – mit dem also, was er das »ungefährlich Bewegte« nannte –, lässt sich aus der philosophischen Tradition der umgekehrten Intentionalität die Empfehlung an die philosophische Ästhetik ableiten, das Thema der bildlichen Widerfahrnisse beherzter anzugehen. Testfälle einer solchen Aufmerksamkeitsverschiebung wären dann bestimmte Inkunabeln der modernen Kunst, wie Édouard Manets Malerei etwa. Man kann dessen »Flachheit« feststellen, wie das von den Zeitgenossen (kritisch) bis Michel Foucault (anerkennend) geschah, ohne die Flachheit bereits mit Selbstbezüglichkeit oder Autonomie zu verwechseln; dass Warburg gerade Manet als Paradebeispiel übergriffiger Malerei interpretierte, sollte aufhorchen lassen.43 Anstelle des klassischen ut pictura poesis wäre einem anderen Prinzip Rechnung zu tragen, dem ut pictura kinesis: auch Bilder setzen in Bewegung. Zuschauerschaft resultiert nicht allein aus einer willentlichen Hinwendung, einem Zu-Schauen, sondern vielfach auch aus einer gewaltsamen Umkehr intentionaler Bezogenheit auf ein Zu-Schauendes, im Sinne eines imperativischen Gerundiums. Besonders eingängig sind einige Holzstiche von Bertall, von dem Warburg sagt, sie hätten ihn als Sechs- oder Siebenjährigen bis in seine Fieberträume hinein verfolgt.44 Auf einem dieser Bilder, die eine Ausgabe von Honoré de Balzacs Petites misères de la vie conjugale illustrieren, ist ein Auge in Nahansicht dargestellt (Abb. 9). Der Holzstich ist überschrieben mit »Les révélations brutales« (Brutale

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9  Bertall (Charles Albert d’Arnoux): Brutale Enthüllungen, Holzstich aus: Honoré de Balzac: Petites misères de la vie conjugale, Paris 1846, S. 273

Enthüllungen): Zwei groteske Teufelsgestalten ziehen gewaltsam an den Lidern und zwingen das Auge gleichsam, weiter hinzusehen. Über emersive Bildlichkeit nachzudenken bedeutet dann, Bilder von ihrer Adressierung her zu reflektieren. Es braucht dabei keineswegs irgendeine Bildmagie bemüht zu werden oder irgendwelche obskure Macht animistischer Artefakte. In der anthropologisierenden Rede vom »Blick« des Bildes offenbart der Genitivus subiectivus als synthetische Metonymie dessen Wirksamkeit. Bildmacht verdankt sich dann der Tatsache, dass dem Bildgegenstand selbst rückübertragen wird, was mit dem responsiven Eingehen auf die Appellwirkung des Bildgegenstands einsetzte. Offensichtlich gibt es so etwas wie einen bildlichen Appellcharakter, eine ikonische Affordanz, deren Verbindlichkeit sich nicht zuletzt daran ablesen lässt, wie darauf – oftmals wider Willen – eingegangen wird. Von emergenten beziehungsweise emersiven Bildern zu sprechen, setzt damit ein Gegen­ gewicht zu den sogenannten immersiven Bildern, in die sich spätmoderne Zuschauer (und daran anschließend ihre Theoretiker) so gern vertiefen. Gerade zeitgenössische Formen algorithmischer Bildlichkeit bauen die Fähigkeit sukzessive aus, die Blickbewegungen der Rezipienten über entsprechende kinetische Sensoren miteinzubeziehen oder diese durch gezielte Sichtbarkeitsangebote anzustacheln und zu lenken. Wir schauen

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nicht mehr auf Bilder – so hat es der Netzkünstler Trevor Paglen provokativ zugespitzt –, vielmehr sind es die Bilder, die uns anschauen.45 Diesseits immersiver Räume, diesen medialen Tauf becken für betrachtungsblasierte Zeitgenossen, erinnern die emersiven Bilder an den Stachel, der in ikonischen Artefakten liegt und immer wieder neue Antworten provoziert. Wenn es aber stimmt, dass solche Blickforderungen unausweichlich sind, und noch das dezidierte Wegschauen (etwa bei Gewaltbildern) deren Wirksamkeit bestätigt, so ist damit noch keinem Reizdeterminismus das Wort geredet. Dass es unmöglich ist, auf derlei Blickforderungen nicht einzugehen, heißt noch nicht, dass bereits festläge, auf welche Weise darauf einzugehen sei. Dass von Bildern ein Blickpfeil ausgeht, der das Subjekt besticht, legt noch nicht umfassend fest, welcher Umgang damit zu finden wäre.46 Es ist dieser zweite, andere Sinn der Ellipse, auf den abschließend noch hingewiesen sein soll. Dasjenige Bild, das wir uns von einem Sachverhalt machen, beginnt selten bei uns, sondern nimmt – darauf hat Warburg unermüdlich den Nachdruck gelegt – in der Regel anderswo und früher seinen Ausgang. Wenn die Übertragung eines Ausdrucks Helmuth Plessners auf Bildlichkeit zulässig ist, so wäre hier wohl von einer »exzentrischen Posi­ tionalität« von Bildern zu sprechen. Nie ganz hier und nie ganz dort, drängen sie stets anderswohin und bringen die klassischen topologischen Zuschreibungen durcheinander. Dieser Drang, oder auch diese Dynamik, liegt an ihrer elliptischen Verfasstheit, weil der ruhende Mittelpunkt fehlt. Nie ganz verfügen Bildbetrachter über ihre eigenen Bilder; umgekehrt ruhen Bilder nie völlig in sich: Von Bildern ohne jeden Betrachter zu ­sprechen, ist ohnehin einigermaßen paradox. Im Gegenzug bedeutet dies aber auch, dass Bilder eine inhärent unvollständige Konstitution aufweisen, und im ikonischen Appell auch ein Aufruf an die Wiederaufnahme und Vervollständigung liegt. Die von der philosophisch-theologischen Tradition seit Platon immer wieder beanstandete Unzulänglichkeit der Simulakren trifft in ihrer bilderfeindlichen Diagnose dennoch etwas Wahres: Den Bildern ist der Mangel konstitutiv eingeschrieben. Als die antiken griechischen Astronomen bemüht waren, die exorbitant langgezogene Lauf bahn bestimmter Sterne zu beschreiben, griffen sie daher zu einem Wort, deren Erfolgsgeschichte sie vermutlich selbst nie im Verdacht hatten: elleipsis, was wiederum nichts anderes heißt als »Mangel«. Von der elliptischen Umlauf bahn in der Astronomie unterscheidet sich die Elliptik der Bilder freilich dahingehend, dass sich die Pole, um die sie kreisen, nicht so unzweideutig angeben lassen. In dieser Hinsicht stellen Bilder eher im rhetorischen Sinne Ellipsen dar: Sie sagen und zeigen nicht alles. Wie ihre Leerstellen kreativ gefüllt werden können und auf ihre Blickforderungen erfinderisch entgegnet werden kann, bleibt offen. Ob wir auf das eingehen, was uns schon im Griff hat, das steht nicht unserer Macht, wohl aber wie wir damit umgehen. Daher: Bei aller Betonung unabweisbarer Aufmerksamkeitsfor­ derungen, die von den Bildern ausgehen, sind Aby Warburgs Werk und darüber hinaus sein raumgewordener elliptischer Bibliotheksentwurf das beste Beispiel dafür, dass viele Spielarten denkbar sind, um auf den Stachel der Bilder zu antworten.

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Alexander Honold

Mars regiert Aby Warburg und das Planetarium des Krieges

Der Erste Weltkrieg firmiert bei Historikern als die »Urkatastrophe« des 20. Jahrhunderts.1 Dies schon deshalb, weil er ein bis dahin nie gekanntes Ausmaß technischer Zerstörungsgewalt und massenhaften, sinnlosen Sterbens mit sich brachte; weiterhin, weil er ursächlich oder kollateral eine ganze Serie von weiteren politischen Destabilisierungen und ideologischen Radikalisierungen auslöste, deren Folgen die Völker Europas bis weit über die Jahrhundertmitte in Schrecken hielten. Als eine »Ur-«, und das heißt dann eben auch »Elementar«-Katastrophe verdienen die Kriegsereignisse von 1914 bis 1918 schließlich deshalb apostrophiert zu werden, weil sich in diesen Jahren eine immense Ausweitung der Kriegsführung vollzog, die sukzessive auch den Luftraum über den Schlachtfeldern, die Tiefen unter dem Meeresspiegel und die Schächte und Gräben im Innern der Erde für ihre hostilen Zwecke in Anspruch nahm. Das Schwirren der Telegrafendrähte, die Schwaden der Giftgaswolken und der Ausgriff ins statistische Kalkül von Trefferwahrscheinlichkeiten verwandelten das althergebrachte heraldische Gesicht des Krieges in die bizarre Mixtur eines, wie Karl Kraus es nannte, »technoromantischen Abenteuers«. 2 Der Krieg verstärkte Tendenzen, die vorher schon begonnen hatten sich in die Signatur der Moderne einzuschreiben. Hierzu zählen etwa die rapide zunehmende Bedeutung von Maschinentechnik und Feuerkraft, von Menschenmassen und kalkulierten Zufallseffekten, von fragmentierten Sinneseindrücken und kommunikativen Störanfälligkeiten. 3 Auch die verkehrstechnischen Innovationen der Fliegerei und der Unterseebote wurden nicht erst durch Kriegsentwicklungen aufgebracht, aber doch massiv beschleunigt und in ihrem Stellenwert erhöht. Dass derlei wundersame Vehikel als Zeittendenzen gewissermaßen »in der Luft« lagen, ist indizienartig etwa an der verblüffend intuitiven Studie über Luftschiff und Tauchboot abzulesen, die Aby Warburg am 2. März 1913 im Hamburger Fremdenblatt veröffentlichte, und in welcher er den technischen Phantasien

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der Ballonfahrt und der Unterseetauchglocke in Darstellungen des Alexander-Stoffes auf burgundischen Gobelins des Spätmittelalters nachgeht.4 Fahrzeuge, die in die Tiefen des Meeres hinabsteigen oder sich in die Weiten der Atmosphäre erheben konnten, waren als technische Attribute den sagenhaften Eroberergestalten beigesellt worden, damit der mythische Alexander oder auch der frühneuzeitliche Dr. Faust mithilfe solcher Elementar-Abenteuer das Ausmaß ihres Willens zur Weltdurchdringung demonstrieren konnten. Würde es dem »modernen Aviatiker« der Gegenwart nicht eine kuriose Bereicherung seines Tuns bedeuten, wenn er erführe, sein »geistiger Stammbaum« sei »in direkter Luftlinie« über Karl den Kühnen bis zum großen Alexander zurückzuverfolgen?5 So überlegte Aby Warburg im Frühjahr 1913 am Ende seiner Studie in ironisch gedämpfter Aktualisierungsgeste. Die zeitgenössischen Pendants zu den imaginären Welt-Fahrzeugen des Mittelalters blieben selbst in der Kriegsdekade noch Provisorien. Insofern stellten die sporadischen Streifzüge, die während des Krieges von U-Booten oder Zeppelinen in die elementaren Nachbarschaftsräume der menschlichen Ökumene unternommen wurden, letztlich nur flankierende Experimente dar; »technoromantische« Szenarien, die das Zeitalter einer den Erdboden verlassenden Menschheit anhand kleiner, symbolischer Probefahrten antizipierten. Eines der letzten Großprojekte Warburgs markiert Ende der zwanziger Jahre eine Art Gegenfigur zu der Studie Luftschiff und Tauchboot von 1913; gemeint ist die Verknüpfung seiner astrologischen und astronomischen Sammlungsbestände mit der 1928 beschlossenen Errichtung des Hamburger Planetariums. Hier ergriff Warburg die Möglichkeit, zusätzlich zur Einrichtung seiner Kulturwissenschaftlichen Bibliothek noch eine zweite institutionelle Plattform kulturpoetischer Forschungs- und Bildungsarbeit zu etablieren. Im Hamburger Stadtpark, unweit von Warburgs Wohn- und Arbeitsstätte gelegen, sollte die imposante Anlage des 1915 nach Plänen Oscar Menzels fertiggestellten Wasserturms eine spektakuläre Umnutzung erfahren durch den Einbau jenes Planetariums, das die Stadt Hamburg Mitte der zwanziger Jahre bei der Firma Carl Zeiss in Jena bestellt hatte.6 Warburg greift die Idee auf und beteiligt sich intensiv an den Planungsgeschäften, da er hier sogleich die Perspektive gegeben sieht, eine Hauptlinie seiner kunstund wissensgeschichtlichen Forschungen einzubringen. Denn wo konnte die kulturelle Bedeutung astronomischer Phänomene sinnfälliger aufgezeigt werden als im Zusammenspiel mit der Vorführkuppel eines Planetariums? Mechanische Apparaturen zur räumlichen Nachbildung von Planetenbewegungen und Sternbildsphäre sind in der Geschichte der Astronomie weit zurückreichende technische Hilfsmittel. Etwas grundlegend Neues hingegen waren Geräte mit optischem Projektionsmechanismus, wie sie die Firma Carl Zeiss in Jena ab 1919 unter der Leitung des Physikers Walther Bauersfeld zu entwickeln begonnen hatte. 7 Im Falle des Planetariums wurden nicht mehr die Bewegungen der Himmelskörper mithilfe eines mechanischen Modells gegenüber einem hierzu distanziert bleibenden Publikum nachgebildet,

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sondern es wurde nun der Betrachter selbst mitten in das astronomische Geschehen hineinversetzt und in vollendeter Illusionskunst von einer virtuellen Himmelshemisphäre umgeben. Optisch beruhte der Projektionsmechanismus auf der »Umkehrung des Prinzips eines Astrographen«; statt also die Lichtstrahlen der Gestirne photomechanisch aufzuzeichnen und kartografisch zu dokumentieren, wurden sie als Lichtpunkte von einer zentralen Projektionsquelle aus in einen halbrunden Kuppelraum geworfen. 8 Architektonisch setzte diese Simulationstechnik eine »Anwendung der Schalenbauweise« auf großräumige Kuppelbauten voraus. 9 Erst diese Verbindung von Rauminstallation und Projektionsapparat ermöglichte in der Institution des Planetariums eine »Integration aller astronomischen Lichterscheinungen in einem hyperrealen Environment«, für dessen kollektive Suggestionseffekte offenbar gerade die deutsche Bevölkerung des Nachkriegsjahrzehnts ein interessiertes Publikum bot.10 Tatsächlich waren erste Konzeptideen eines Planetariums zwischen Oskar von Miller, dem Leiter des Deutschen Museums in München, und den Jenaer Zeiss-Ingenieuren bereits im März 1914 besprochen worden, fielen dann jedoch den anders gearteten technisch-industriellen Prioritäten der Kriegsjahre zum Opfer.11 Umso energischer wurde ab 1919 die Entwicklung der Planetariumstechnologie weiterbetrieben, so dass innerhalb weniger Jahre bereits die ersten Prototypen besichtigt werden konnten. Zuerst hatte 1923 die Zeiss-Stadt Jena ein Planetarium errichtet, 1925 erhielt das Deutsche Museum in München einen Kuppel-Projektor, es folgten Wuppertal-Barmen (1926), dann Mannheim, Nürnberg und Wien (1927), und nach Hannover und Stuttgart (1928) schließlich Hamburg. Innerhalb des auffällig schmalen Zeitkorridors weniger Jahre also leisteten sich etliche deutsche Städte die durchaus aufwendige Einrichtung eines eigenen Planetariums, und erst gegen Ende des Jahrzehnts zogen internationale Metropolen wie Rom und Mailand, Stockholm, Chicago und Moskau nach. Die Apparatur des Projektions-Planetariums stellte die Möglichkeiten zur räumlichen Darstellung von Gestirns- und Planetenbewegungen auf eine ganz neue, nun gewissermaßen kinematografisch aufgerüstete Grundlage.12 Bis dahin pflegte man Abstände, Bahnebenen und Bewegungsformen der Himmelskörper durch Astrolabien zu erfassen und vor allem durch jene Armillarsphären zu visualisieren, wie wir sie etwa von der Amateur-Astronomin Makarie aus Goethes Wanderjahren kennen, die innerhalb des Netzwerks der Figuren als eine »lebendige Armillarsphäre« fungiert: »Makarie befindet sich zu unserm Sonnensystem in einem Verhältnis, welches man auszusprechen kaum wagen darf. Im Geiste, der Seele, der Einbildungskraft hegt sie, schaut sie es nicht nur, sondern sie macht gleichsam einen Teil desselben; sie sieht sich in jenen himmlischen Kreisen mit fortgezogen, aber auf eine ganz eigene Art; sie wandelt seit ihrer Kindheit um die Sonne, und zwar, wie nun entdeckt ist, in einer Spirale, sich immer mehr vom Mittelpunkt entfernend und nach den äußeren Regionen hinkreisend.«13

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Wenn ausgerechnet die zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts, in Deutschland durch die politisch instabile Übergangsphase der Weimarer Republik ausgefüllt, zur eigentlichen Gründungsdekade der Projektionsplanetarien avancierten, so weist dieses Phänomen über einen kontingenten technikgeschichtlichen Entwicklungsabschnitt weit hinaus. Recht auffällig sind allein schon die Parallelen der von Zeiss vertriebenen planetarischen Schauprojektionen zur Konjunktur des Kinozeitalters. Sowohl die Kinoprojektoren wie auch diejenigen des Planetariums waren mit zukunftsweisenden Installationen zur Simulation optischer Virtualität versehen. Beide Apparaturen sorgten durch mediale Aufrüstung für Ablenkung, indem sie ihr Publikum in die imaginären Szenerien ferner und fremder Welten entrückten, führten aber zugleich unterschwellige, symptomatische Echos der jüngst vergangenen kollektiven Psychohistorie mit sich. Denn wie das Kino mit dem leichten Grundzittern seiner bewegten Bilder rezeptionsästhetisch an die Shellshock-Traumatisierungen aus den Schützengräben des Krieges zu erinnern schien, so nahm auch das Planetarium eine geschichtliche Spur des Gewesenen auf, indem es die Betrachter aus ihren bürgerlichen Orientierungsmustern herauslöste und unter das isolierte Diktat überirdischer Schicksalsinstanzen versetzte.14 Das Planetarium übernahm gleichsam stellvertretend die ästhetische Bearbeitung unabgegoltener Transzendenz­ fragen, nachdem diese in der Kriegsdekade gründlich missbraucht und korrumpiert worden waren. »Nichts unterscheidet den antiken so vom neueren Menschen, als seine Hingegebenheit an eine kosmische Erfahrung, die der spätere kaum kennt«.15 So schrieb Walter Benjamin 1926 im Schlussabschnitt seines Essaybandes Einbahnstraße, den er demonstrativ mit der wegweisenden Überschrift Zum Planetarium versah. Es waren Autoren wie Warburg und Benjamin, deren kulturdiagnostische Beiträge zum Ersten Weltkrieg mit einer erheblichen Faszination für die scheinbar zeitentrückten Schauspiele der Himmelssphäre einhergingen. Die geistige Nachbarschaft von historiografischer Perspektive und Himmelsvision erscheint bemerkenswert. Sie soll hier als Ausgangspunkt einiger assoziativer Überlegungen zum Zusammenhang von kulturellen Kriegsdiskursen und astrosemantischer Geschichtsdeutung genutzt werden, wie er sich in der kulturellen Gründungsdekade der Planetarien und insbesondere auch an den mit ihr verbundenen ikonografischen Kosmos-Studien Aby Warburgs aufweisen lässt. Dabei ist die »zweiseitig« ausstrahlende Vermutung leitend, dass einerseits die kollektive emotionale Partizipation der Mobilmachungsphase des Ersten Weltkriegs von Impulsen eines metaphysischen Begehrens nach dem Elementaren durchsetzt war, und dass andererseits die symbolische Adressierung kosmischer Urgewalten ihrerseits als ein zeitbedingter Reflex moderner Kontingenzerfahrungen zu verstehen ist. Im Krieg konnte sich (zumindest vorübergehend) eine Erlebnisqualität schrankenloser Teilhabe manifestieren, die von fern an die von Benjamin evozierte urtümliche Ganzheitserfahrung unter dem nächt­ lichen Sternenzelt erinnerte. Die ideologisch wohl gefährlichste Analogie zwischen

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Kriegsbegeisterung und kosmischer Naturfrömmigkeit bestand in der auf beiden Wegen dem Individuum auferlegten Schicksalsergebenheit. Während die fatale Propagandamaschinerie nationalistischer Kriegstreiber im Sommer 1914 auch von kosmopolitisch gesonnenen Gelehrten nicht aufzuhalten gewesen war (vielmehr war genau das Gegenteil eingetreten), so ließen sich hingegen aus der Sicht Warburgs die schicksalsträchtigen Verhängnisse der Astrologie effektvoll mit dem entschiedenen Gegenzauber aufgeklärter Sternkunde beantworten.16 Vordergründig präsentieren sich die Planetariums-»Mode« der deutschen zwanziger Jahre und die Erschütterungen der vorausgegangenen Kriegsdekade als voneinander unabhängige, unterschiedlichen Wirklichkeitsbereichen angehörende Phänomene. Und mindestens ebenso weit scheint der Abstand zwischen Warburgs eigenem propagandistischen Engagement im Kriege und seiner Leidenschaft für die kulturhistorischen Erscheinungsformen der Sternkunde. Im Fluchtpunkt der hier vorgestellten Überlegungen steht nun die Vermutung, dass nicht nur die gesellschaft­ lichen Zeitphänomene »Krieg« und »Planetarium« in einer symptomalen Verbindung miteinander stehen, sondern dass überdies die verstärkte wissenschaftliche Hinwendung Warburgs zur Bildgeschichte der Astronomie einer tiefgreifenden persönlichen Selbstrevision Ausdruck gibt, indem sie die Instrumente bildkritischer Aufklärung dezidiert auf die suggestivsten Formen mythischer Sinnstiftung anwendet, nämlich auf die Illusion einer Führung durch metaphysische Mächte.

»… Schauer echter kosmischer Erfahrung« Als Augenzeuge der ersten Mobilmachungstage des Ersten Weltkrieges in Berlin hielt der österreichische Schriftsteller Robert Musil im August 1914 seine Eindrücke zum Zeitgeschehen in ein paar flüchtig hingeworfenen Tagebuchnotizen fest. Musil zeigt sich in durchaus ambivalenter Weise beeindruckt von der Ausnahmesituation und den in die Öffentlichkeit getragenen Erregungskurven; so registriert der Schriftsteller die publizistische »Stimmung, wie es von allen Seiten herbrach«, ebenso wie auch das »häßliche Singen in den Cafés« oder – fast schon im Stile eines Karl Kraus – die »Aufgeregtheit, die zu jeder Zeitung ihr Gefecht haben will«.17 Doch angesichts der rasch pulsierenden Ereignisse verfällt auch der Literat in die hektische Aufgeregtheit einer Ausnahmesituation: »Ich hänge mich einem ziemlich rasch fahrenden Automobil ins Dach um ein Extrablatt zu erlangen.«18 Von jener forcierten geistigen Mobilmachung, mit der Gelehrte, Künstler und Intellektuelle im Herbst 1914 die deutsche Kriegsführung unterstützen und ihr eine kulturelle Programmatik verleihen wollten, ist in Musils Notizen der ersten Augusttage noch nicht viel zu sehen. Aus einem der Einträge aber lässt sich schon erahnen, dass angesichts der euphorisch bewegten Massen die intellektuelle Reflexionsfähigkeit des abwägenden Individuums erheblich in Mitleidenschaft gezogen zu werden drohte. Denn von den

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zahlreichen Proklamationen und Aufrufen, mit welchen sich im August 1914 die verschiedensten Gruppierungen zu Wort meldeten, zitiert Musil in seinen Notizen ausgerechnet jenen der Schauspielervereinigung, welcher mit der Parole endet: »Apollo schweigt und Mars regiert die Stunde«.19 Apollo schweigt und Mars regiert die Stunde: Die Formulierung benennt die Zeitstimmung ebenso präzise wie gravitätisch. Der Herr der Musen unterstellt sich schweigend dem Gott des Krieges: Damit beschreibt die Proklamation der Schauspielervereinigung die militarisierte zeitgeschichtliche Situation als Konstellation von mythischer Schicksalshaftigkeit. Als »Konstellation« auch in jenem bildgenauen Sinne verstanden, wie er sich aus dem augenblickshaften Zusammentreten von Gestirnen zu einer gemeinsamen, flüchtigen Gestalt herleitet, bei welcher die konstruktive Phantasie der irdischen Betrachter die einzelnen Punkte mit gedachten Linien verbindet und zu den Umrissen eines Tieres oder eines antiken Sagenhelden ergänzt. Wenn in Musils Geschichtsformel aus dem August 1914 der losgelassene Kriegsgott gegenüber der zum Schweigen gebrachten Vernunft obsiegt, so drückt sich darin auch das ahnungsvolle Eingeständnis aus, wider besseres Wissen unwillkürlich in eine Abwärtsspirale sich wechselseitig verstärkender Ressentiments geraten zu sein. Denn mit nur wenigen Ausnahmen wandelten sich die Schriftsteller und Gelehrten unter dem euphorisierenden Schub der Mobilmachung zu Verfechtern kriegerischer Entschlossenheit und chauvinistischer Aggression; sie durchliefen oder propagierten eine ideologische Vergemeinschaftung, die vordergründig zwar nationalistischem Hegemoniestreben diente, hintergründig aber von einer diffusen Sehnsucht nach Entgrenzung, nach Teilhabe an einem Elementargefühl getragen war. Der Gedanke, dass in der kosmischen Überhöhung des Krieges nicht nur eine propagandistische Volte der Ideologen wirksam wurde, sondern auch ein tiefsitzendes Bedürfnis nach ästhetischer Sinnstiftung zum Tragen kam, findet sich am prägnantesten im Werk des Literaturgelehrten und Kulturtheoretikers Walter Benjamin elaboriert. Wie schon Georg Lukács, der dieser Auffassung in seiner während der Kriegsjahre entstandenen Theorie des Romans vorgearbeitet hatte, so sah auch Benjamin den Verlust jener »urbildlichen Landkarte«, nämlich des Sternenhimmels der nautisch erfahrenen Griechen der Antike, als eine Chiffre für die (von Lukacs formelhaft so benannte) »transzendentale Obdachlosigkeit« des Menschen der Moderne an: »Selig sind die Zeiten, für die der Sternenhimmel die Landkarte der gangbaren und zu gehenden Wege ist und deren Wege das Licht der Sterne erhellt.« 20 Die Verlassenheit des modernen Subjekts, dem das Sinngewölbe einer urvertrauten Himmelswelt nicht mehr zur Verfügung stand, konnte entweder durch eine moralische Selbstkonstituierung im Sinne von Kants zweiter Kritik kompensiert werden, in der das Sittengesetz zumindest rhetorisch noch aus dem Kontrast zur Unerreichbarkeit des gestirnten Himmels abgeleitet worden war; oder sie musste vermehrt durch Mittel und Wege eines technisch bewaffneten Zugriffs in die überirdische Sphäre »pariert« werden,

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wie es etwa im Fortschreiten der Stück für Stück von Teleskopen kartografierten Himmelsquadranten der Fall war. Aber war die damit einhergehende »Entzauberung« (wie sie Max Weber in Umkehrung eines Poems von Stefan George diagnostiziert hatte) wirklich schon das letzte Wort zum Stand der Dinge? 21 Aus der diagnostischen Retrospektive Walter Benjamins hatten die im jüngst vergangenen Kriege freigesetzten affektiven Sehnsüchte letztlich auf eine Restitution des symbolischen Einklangs von kleiner und großer Welt, von Leben, Geschichte und Weltlauf abgezielt. In der emotionalen Bereitschaft zum Krieg wäre somit das (nur vordergründig »politische«) Manifest eines metaphysischen Begehrens festzustellen, welches sich nicht mehr mit begrifflichen Abstraktionen begnügt, sondern die den irdischen Rahmen durchbrechende Welt-im-Ganzen als unmittelbare sinnliche Erfahrung wiederzugewinnen sucht. Am vergangenen Krieg konnte Benjamin aus der Halbdistanz Mitte der zwanziger Jahre genau diese verblüffende Komponente erkennen; er bezeichnet ihn als »Versuch zu neuer, nie erhörter Vermählung mit den kosmischen Gewalten«. 22 Benjamin legt das Augenmerk darauf, dass unter anderem durch den Einsatz neuartiger technischer Mittel und Vehikel innerhalb der Kriegsführung eine folgenreiche Entgrenzung des menschlichen Erfahrungs- und Handlungsraums begonnen und diese die Menschen damit vor eine ungeahnte anthropologische Herausforderung gestellt habe. Nicht allein »im Felde« hatte der Kriegszustand geherrscht, sondern gleichzeitig auch darunter und darüber, zu Wasser wie in den Lüften, in physischer Konkretion wie in unsichtbaren Strahlungsenergien. Benjamin evoziert diese Entgrenzung mit spürbarer emotionaler Beteiligung: »Menschenmassen, Gase, elektrische Kräfte wurden ins freie Feld geworfen, Hoch­f re­ quenzströme durchfuhren die Landschaft, neue Gestirne gingen am Himmel auf, Luftraum und Meerestiefen brausten von Propellern, und allenthalben grub man Opferschächte in die Muttererde.«23 Der Krieg, so das Argument, hatte erstmals die unter­schiedlichsten naturalen Aggregatformen und medialen Trägerschichten des Planeten erfasst, er vollführte seine Zerstörungsorgien nicht sowohl auf der Basis von elementaren Schauplätzen, sondern war in gewisser Weise auch gegen diese selbst gerichtet, wie in Benjamins Formulierung von den Grabungen und Opferschächten in der Muttererde anklingt. Gleichwohl ist die Akzentuierung dieses Traktats keine ökologische im wertkonservativen Sinne, der es um die Einhegung möglichst naturbelassener Schutzzonen zu tun wäre. Was Benjamin im Gegenteil fordert, ist eine auf der Höhe zeitgenössischer Produktivkraft sich vollziehende Übereinkunft von Natur und Technik, welche an die Stelle der im Weltkrieg fälschlich vollzogenen Gebärden gewaltsamer Unterwerfung treten solle, um damit eine neue Phase des Mensch-Natur-Verhältnisses einzuleiten. In den Kriegsjahren habe sich das »große Werben um den Kosmos«, so Benjamin, »zum ersten Male […] in planetarischem Maßstab, nämlich im Geiste der Technik« vollzogen. Getrieben und missbraucht aber von der »Profitgier der herrschenden Klasse« habe sich die Technik ihrerseits gegen ihre Benutzer gewandt »und das Brautlager in ein Blutmeer verwandelt.« 24

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Wie es rund zehn Jahre später Benjamins Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter ­seiner technischen Reproduzierbarkeit mit seinem Ideal einer »zweiten Technik« weiterzudenken versucht, die ihre Weiterentwicklung in einer dialogischen Wechselwirkung mit den Naturkräften vollziehen würde, so gibt er auch hier schon dem revolutionären Konzept einer gewaltfreien Form technischer Bemeisterung Raum, bei welchem Technik eben nicht mehr mit »Naturbeherrschung« einhergeht, sondern allenfalls auf »Beherrschung« des Verhältnisses von Natur und Menschheit abzielt, auf eine Austausch- und Wechselbeziehung also. Während die menschliche Physis seiner Prognose zufolge ihre Entwicklungsmöglichkeiten mittlerweile ausgereizt habe, stehe die Menschheit als Ganzes erst am Beginn neuer, durch technische Weiterentwicklungen naherückender Verheißungen. Es sei nur, so eine von Benjamins Vorausdeutungen, »an die Erfahrung von Geschwindigkeiten zu erinnern, kraft deren nun die Menschheit zu unabsehbaren Fahrten ins Innere der Zeit sich rüstet, um dort auf Rhythmen zu stoßen, an denen Kranke wie vordem auf hohen Gebirgen oder an südlichen Meeren sich kräftigen werden.« 25 Es ist schon bemerkenswert, welche euphorische Tonart Benjamin hier anschlägt. Doch haben die Sehnsüchte des Zeitreisens in der Schreibgegenwart des Betrachters auf zumindest einem Wege bereits gewisse Evidenz erlangt, nämlich in der faszinierenden apparativen Simulationsgewalt jener Planetarien, denen Benjamin das Schlussstück seiner Einbahnstraße widmet. Mittels der Rechenkapazität und Projektionsleistung eines Zeiss-Planetariums war es durchaus möglich, nicht nur den Istzustand des nächtlichen Firmaments mitteleuropäischer Himmelsbeobachter selbst zu jeder sonnenhellen Tagesstunde oder wolkenbedeckten Nacht täuschend ähnlich darzustellen; es ließen sich darüber hinaus auch Himmelskonfigurationen von Orten anderer Breiten- und Längengrade simulieren und sogar diejenigen, welche sich den Menschen Jahrhunderte oder Jahrtausende früher an diesem oder jenem Orte geboten hatten. Was die Illusionskunst der Zeiss-Projektionen hingegen nur partiell vermitteln konnte, war jener »Schauer echter kosmischer Erfahrung«, wie ihn Benjamin mit staunenswerter Beharrlichkeit den grundstürzenden Zerstörungsgewalten des Krieges zuschreibt: »In den Vernichtungsnächten des letzten Krieges erschütterte den Gliederbau der Menschheit ein Gefühl, das dem Glück der Epileptiker gleichsah. Und die Revolten, die ihm folgten, waren der erste Versuch, den neuen Leib in ihre Gewalt zu bringen.« 26 In der ersten Hälfte seines Traktates Zum Planetarium hielt Benjamin Rückschau auf diejenigen kulturgeschichtlichen Entwicklungslinien, die dazu geführt hatten, dass sich bei der Pflege der Himmelskunde ein wissenschaftlich-rationales Ordnungsmodell von einem mythisch-partizipativen hatte ablösen können. Die Diskreditierung affektiver Semantisierungen des Stern- und Planetenhimmels hatte sich schon mit der »Blüte der Astronomie zu Beginn der Neuzeit« angekündigt. Hierzu bemerkt Benjamin:

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»Kepler, Kopernikus, Tycho de Brahe waren gewiß nicht von wissenschaftlichen Impulsen allein getrieben. Aber dennoch liegt im ausschließlichen Betonen einer optischen Verbundenheit mit dem Weltall, zu dem die Astronomie sehr bald geführt hat, ein Vorzeichen dessen, was kommen mußte. Antiker Umgang mit dem Kosmos vollzog sich anders: im Rausche. Ist doch Rausch die Erfahrung, in welcher wir allein des Allernächsten und des Allerfernsten, und nie des einen ohne des andern, uns versichern.« 27 Neuzeitliche Astronomie, so das Argument, steht für eine visuelle Ordnung des Wissens, die ihre Gegenstände, zumindest seit Durchsetzung der Zentralperspektive, nach Maßgabe quantitativer und proportionaler Regelhaftigkeit untergliedert und erfasst. Das Erkennen und Berechnen der Himmelsphänomene war bei unbewaffnetem Auge mit gewisser Präzision nur durch akribische Langzeitbeobachtungen möglich, und das heißt: über viele Jahrhunderte hin mit möglichst gleichbleibenden Rahmenbedingungen und Parametern. Wie also war es den frühen Hochkulturen gelungen, zu ihren staunenswert umfassenden astronomischen Erkenntnissen vorzudringen? Indem sie ein System kultureller Muster und Ausdrucksformen entwickelt hatten, das aus möglichst prägnanten Zeichen, Bildern und mythischen Episoden bestand. Hierzu gehörten zunächst die Sternbilder selbst, vor allem die Zeichen des Tierkreises, sodann die Figurationen der Planeten, von Sonne und Mond, sowie die mit diesen Protagonisten verbundenen Geschichten und Handlungsaufforderungen. So schuf beispielsweise die symbolische Assoziation eines bestimmten Tierkreiszeichens mit dem Bild des Stiers eine Zeitmarke, an die sich wiederum praktische Vorstellungen des Pflugs und der Aussaat knüpfen konnten. 28 Die Fundamente dieser semantischen Anreicherung und Gliederung des Himmels waren durch die Astronomie der Babylonier, Ägypter und Griechen gelegt worden, denen die Naturwissenschaften unter anderem die Einführung des Sexagesimalsystems und seine Abbildung auf die geometrische Figur des Kreises verdanken, das sich wiederum beispielsweise in der Zwölf-Stunden-Gliederung der Zifferblätter neuzeitlicher Uhren erhalten und weiterentwickelt hat. Dass die Mythen und Figurationen des Himmels von konkreten Beobachtungserlebnissen abgelöst werden konnten, machte sie generationsübergreifend tradierbar und garantierte somit für lange Zeitläufe die stabile Weitergabe von Relevanzkriterien und Sorgfaltsregeln der Sternkunde. Was aus moderner Sicht als astrologisches Pseudowissen oder illusionäre Projektion beurteilt wird, hatte über viele Epochen hin zunächst als kulturell sedimentierte Reflexion astronomischer Verfahrensfragen gedient. Erst durch die vergleichende Kulturforschung des späten 18. Jahrhunderts (auf der wiederum die Mythenforschung von Warburgs Lehrer Hermann Usener fußte) reifte allmählich die Einsicht heran, dass die kosmogonischen Mythen, religiösen und kultischen Dokumente zur Sternkunde ursprünglich nichts anderes darstellen als je kultur-

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spezifische Verarbeitungen einer kollektiven astronomischen Bezugsordnung, aus der fast sämtliche Rhythmen menschlichen Wirtschaftens abgeleitet werden konnten. 29 Die Maße für Stunde und Tag, für Monat und Jahr waren allesamt aus der Beobachtung des Himmels gewonnen. Daraus wiederum ergab sich, dass Astrologie und Astronomie, in der Moderne zu feindlichen Brüdern geworden, in wissensgeschichtlicher Hinsicht aus einem beiden gemeinsamen praxeologischen Ursprung zu erklären waren. 30

My thischer Sterngl aube und mathematische Konstruktion Für Aby Warburg, der sich über Jahrzehnte hin mit den kulturellen Manifestationen von magischem Denken und Schicksalsgläubigkeit beschäftigt hatte, stellte die Überlagerung der antiken Sternkunde mit Formen magischen Analogiedenkens einen intrinsischen Mangel der gesamten kosmologischen Gelehrsamkeitstraditionen dar. Wiederholt vertrat Warburg die Auffassung, die Hypostasierung magischer Wirkursachen bezüglich der Deutung und Lenkung von Himmelseinflüssen, bis hin zur gegenwärtigen ­A strologie, sei letztlich auf eine verfehlte wissensgeschichtliche Weichenstellung durch die »alexandrinisch-hellenistische Wahrsagetechnik« der Spätantike zurückzuführen, deren Erbe dann auch für die Renaissance wieder prägend geworden war. 31 Die Kritik der Astrologie, so Warburg, habe insofern nicht allein von szientifischer Warte aus zu erfolgen, sondern sie müsse primär historisch, erst in zweiter Linie dann allerdings auch normativ argumentieren: »Bringen wir […] die alexandrinisch-hellenistische Wahrsagetechnik an die Stelle ihres entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhanges, so ist sie dadurch nicht allein in ihrer natürlichen Bedingtheit gekennzeichnet, sondern sie erlaubt auch dem, der dem inneren Gang des Bildmaterials folgt, die Astrologie als eine geistesgeschichtliche Phase vorzuführen, deren Kritik ohne jede Polemik dem wirklich gebildeten Menschen zufällt, weil er eben an unserer Bilderreihe erfahren muß, daß zwei Urteilsformen der Menschheit miteinander kämpfen: die triebhaft-religiös bildhafte und die kontemplative zeichenmäßig-mathematische.«32 Mit seiner kulturgeschichtlich weit zurückgreifenden Bilderreihe, die Warburg für das Hamburger Planetarium konzipierte (und zuvor alternativ zeitweilig auch dem ­Deutschen Museum in München als Installation vorgeschlagen hatte), suchte der Gelehrte sinnfällig zu machen, dass in der vom Orient ins Abendland führenden Geschichte der Sternkunde »zwei Urteilsformen der Menschheit miteinander kämpfen: die triebhaft-religiös bildhafte und die kontemplative zeichenmäßig-mathematische«. Trotz dieses perpetuierlichen Mit- beziehungsweise Gegeneinanders sieht Warburg dabei den

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1  Aby Warburg: Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde, Abt. XVII: Kepler (1571–1630) und Abt. XVI: Luther und der Sternglaube, Hamburg, Planetarium, 1930, Fotografie, London, Warburg Institute Archive

»Orientierungsprozeß« der Astronomie betreibenden Menschheit in klarer teleologischer Ausrichtung »vom phantastischen Weltenei« der Frühgeschichte »bis zu Keplers exakter Ellipse« verlaufen, dem figürlich eleganten Ergebnis einer aufwändigen jahrelangen Neuberechnung der Planetenbahnen. 33 Für Warburgs Überlegungen bildet die Gestalt Johannes Keplers insofern eine stra­ tegische Schlüsselstelle, als sich im Weltbild und in der Arbeitsweise des barocken Hofastronomen nochmals beide Traditionslinien ineinander verschlungen zeigten, das magisch-prognostische und das geometrisch-mathematische Verständnis der Himmelsbewegungen. 34 Die Kommentartafel zu dem Kepler gewidmeten Ausstellungsteil (Abb. 1), nach Warburgs Vorgaben von seinen Mitarbeitern formuliert, gibt dazu folgende Erläuterung: »Kepler hat als erster erkannt, daß die Planeten sich nicht, wie Griechen, Araber und das europäische Mittelalter angenommen hatten, in Kreisbahnen bewegen, sondern in Ellipsen. Durch diese Entdeckung war der Weg zu einer rechnerischen Sternkunde

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2  Planetengott Mars mit seinen Kindern, Miniatur, aus: Astronomischgeomantische Sammelhandschrift (sogenanntes »Tübinger Hausbuch«), süddeutsch, kompiliert vor 1470, Tübingen, Universitätsbibliothek, Ms. M. d. 2, fol. 269r (von Aby Warburg verwendete fotografische Reproduktion, Universität Hamburg, Wissenschaftliche Sammlungen)

gebahnt. / Kepler selbst war in seiner Jugend sterngläubig – er hat Wallenstein das Horoskop gestellt, seine Ermordung aber nicht vorhergesagt – wandte sich aber später vornehmlich der mathematischen Astronomie zu. 35 Johannes Kepler, dessen Wirken in Graz, Linz und Prag zu Beginn des 17. Jahrhunderts noch in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges hineinragte, erscheint als eine Figur des geschichtlichen Übergangs und der kulturellen Überlagerung. In der Reihe der Bildertafeln folgen die Dokumente zu Kepler auf die Beiträge zum »Ausklang der orientalisch-mittelalterlichen Überlieferung« und zur Fortwirkung der Planetenkinder, zum berühmten Kupferstich Melencolia I Albrecht Dürers von 1514 und zu jenen apokalyptisch gestimmten Prognostiken, mit welchen sich Martin Luther kritisch auseinanderzusetzen hatte. Ähnlich wie im Falle der Schaltstellen Dürer und Luther, die als historische Persönlichkeiten zugleich aus ihrer Zeitbindung herausragten, verortet Warburg auch die Gestalt Johannes Keplers als diejenige eines Denkers im Zwiespalt, der den widerstreitenden Tendenzen von Beharrung und Progress, von religiöser Demut und rebellischem Wissensdrang ausgesetzt war.

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3  Unbekannter Maler: Bildnis Johannes Kepler, frühes 20. Jh. (nach dem Original von 1619–1620, Straßburg, Fondation St. Thomas), München, Deutsches Museum (von Aby Warburg verwendete fotografische Reproduktion, Universität Hamburg, Wissenschaftliche Sammlungen)

4  Planetenbahnen, nach Johannes Kepler: Astronomia nova, Heidelberg 1609 (von Aby Warburg verwendete Schemazeichnung, Universität Hamburg, Wissenschaftliche Sammlungen)

Schon durch die Komposition der drei diesem bedeutenden Astronomen gewidmeten Bilddokumente wird Keplers Zwischenstellung gewissermaßen als ein bildräumlicher Effekt inszeniert (Abb. 2–4). 36 Auf der linken Seite des dreigliedrigen Arrangements befindet sich eine Darstellung des Planetengottes Mars, die dessen Stellung und Funk­ tion als Kriegsgott veranschaulicht durch ein von vielen Einzelfiguren bevölkertes ­Tableau. Mars selbst tritt hierbei im Habitus eines mittelalterlichen Ritters auf, von Helm und Rüstung geschützt und mit Speer und Hellebarde bewaffnet. Ihn flankieren die ikonisch kanonisierten Symbole der Tierkreiszeichen Waage und Jungfrau, die ihm innerhalb der sphärischen Ordnungsmuster als korrespondierende Sternbilder zugewiesen sind. In der unterhalb dieser astronomischen Götterwelt sich ausbreitenden Handlungsebene der Irdischen herrscht unverkennbar ein durch die Kriegsbegierde des Mars angezettelter Zustand fortdauernder Gewalttätigkeit; sichtlich ungehemmt »treiben die Marskinder ihr zerstörendes und blutiges Werk, töten Menschen und schlachten Tiere, vollführen Krieg und Mord, Raub und Brandschatzung«. 37 Die beschriebene Miniatur des 15. Jahrhunderts belegt damit musterhaft die sogenannte Einflusslehre, der zufolge sich irdische Zustände und insbesondere die menschlichen Taten und Leiden auf das Einwirken der über ihre Geschicke bestimmenden

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­ lanetengötter zurückführen lassen. Wenn Mars regiert, das heißt, gegenüber anderen P und mit ihm um die Lenkungsmacht konkurrierenden Planetengottheiten die Oberhand behält, dann ist das Erdengeschehen durch die Mechanismen des Kriegerischen bestimmt, durch Aggression und Vergeltung, durch Feindseligkeit und Zerstörungslust. In der Mittelposition des Arrangements befindet sich die Kopie eines um 1619–1620 entstandenen Bildnisses des Astronomen. Das ursprünglich in Öl auf Leinwand gemalte Porträt Keplers, von dessen Freund Matthias Bernegger später der Universität Straßburg zum Geschenk gemacht, diente schon zu Lebzeiten etlichen anderen Kepler-Bildnissen zur Vorlage. Das Porträt postiert den Gelehrten neben einem Himmelsglobus und mit einem Zirkel in der linken Hand; es definiert dadurch mit weitreichenden und rezep­ tionslenkenden Konsequenzen die Persönlichkeit des Dargestellten, indem es ihn zum Protagonisten der rationalen, analytisch vorgehenden Naturerkenntnis stilisiert. Von der bei dem Schenkungsakt hinzugefügten Inschrift in der linken oberen Bildecke wird diese Lesart unterstrichen, indem sie Kepler als kaiserlichen Mathematiker apostrophiert. Die Arbeitsweise Keplers und sein wichtigster Erkenntnisgewinn werden durch die rechts von dem Porträt angebrachte Schemazeichnung illustriert, auf der sich die Orbitalkurven von Erde und Mars abgebildet finden. Beide Bahnen weisen eine nicht kreisrunde, sondern gestreckte Form auf und haben die Sonne nicht in ihrem Mittelpunkt. Kernbotschaft des Schemas ist Keplers durch mühevolle Auswertung immenser Beobachtungsdaten gewonnene Erkenntnis, dass sich die seltsamen Schleifen- und Kurvenbewegungen des Mars nur dann in ein stimmiges Bahnmodell integrieren ließen, wenn man als Grundform der planetaren Umlauf bahn nicht mehr den heliozentrischen Kreis, sondern die auf zwei Brennpunkte ausgerichtete Ellipse annahm. Keplers Herleitung der elliptischen Bahn mitsamt der auf ihr wirksamen Kräfte und Geschwindigkeiten war der eigentliche Durchbruch des neuzeitlichen astronomischen Denkens; auf mathematischgeometrischem Wege gewann Kepler damit den entscheidenden Ansatzpunkt für die Jahrzehnte später durch Isaac Newton erfolgende Entdeckung des im Sonnensystem wie auf der Erde wirksamen Gravitationsgesetzes. Warum Kepler sich dabei so überaus lange ausgerechnet mit den Berechnungsschwierigkeiten der Marsbahn aufgehalten hatte, diese Frage wird in Warburgs Bilderreihe implizit auf zweifache Weise beantwortet. Einmal durch den Umstand, dass der Mars als nächstgelegener Bahnnachbar der Erde in seinem Bewegungsverhalten für irdische Beobachter die größten Parallaxeneffekte aufwies und insofern denkwürdige Störungen des Kopernikanischen Kreisschemas verursachte. Zum anderen aber stand Keplers astronomisches Wirken auch in einem figurativen Sinne im Zeichen des Mars, soll heißen: im Zeichen der Wirrnisse des großen, europäischen Kriegsgeschehens, in dem Kepler gelegentlich auch als Verfertiger astrologischer Horoskope und Prognostika gefragt war. ­Kepler, so legt die Komposition dieses Triptychons nahe, blieb kulturhistorisch und wissenschaftlich einer zwiefältigen Ausrichtung verhaftet. Er schien wenig Anstoß daran zu nehmen, das gedankliche Objekt »Mars« sowohl als Planetengottheit wie auch als

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­ allistisch prozessualen Bahnkörper aufzufassen, als allegorische Personifikation der die b Zeit schicksalhaft bestimmenden Kriegsverhältnisse wie auch als den Protagonisten eines mathematischen Enigmas, welchem der ausdauernde Forscher am Ende erfolgreich zu Leibe gerückt war. Für Aby Warburg, und in ähnlicher Weise auch für Walter Benjamin, wurde die Beschäftigung mit dem historisch-kulturellen »Denkraum« der frühen Neuzeit, jenem langen und vielschichtigen Übergangszeitraum zwischen Renaissance und Barockzeit, gerade in den zwanziger Jahren zu einer an Dringlichkeit kaum zu übertreffenden Obsession. Als den entscheidenden Kreuzungspunkt, von dem her überhaupt erst eine Aus­ differenzierung der mathematisch-wissenschaftlichen Erfassung von Himmelsbewegungen in ihren Regularitäten möglich wurde, identifiziert Warburg mit Recht die astronomische Diskurswelt der Keplerzeit, mithin der Epoche des Dreißigjährigen Krieges. Während Warburg die Sammlung astrologischer und astronomischer Quellen von den frühen Hochkulturen her über das Mittelalter und die frühe Neuzeit bis hin zu jener mit Kepler gegebenen Weichenstellung führt, an der mythischer Sternglaube und mathematische Konstruktion letztmalig noch in einer Art von Dialog stehen, kommt Benjamin in seinem Text Zum Planetarium gleichfalls auf die sich in Keplers Astronomie überkreuzenden und sodann auseinanderlaufenden Linien von kosmischer Teilhabe und analytischer Zergliederung zu sprechen und skizziert dabei zwei gegensätzliche Haltungen gegenüber dem Himmelsgeschehen. Tycho Brahe und Johannes Kepler hatten, indem sie der optischen Beobachtungsund Messkunst den Vorrang gaben, Benjamins Ansicht zufolge schon die »Vorzeichen« in Richtung einer wissenschaftlichen und technischen Objektivierung der Himmels­ anschauung gesetzt und damit die Abkehr der wissenschaftlichen Praxis von den partizipativen Bedürfnissen der Religion und des Rausches eingeleitet. In dem urtümlichen Gefühl einer Teilhabe an den kosmischen Geschehnissen, so Benjamin, sei hingegen eine bedeutsame Form von Gemeinschaftsbildung am Werk gewesen. Und er moniert: »Es ist die drohende Verirrung der Neueren, diese Erfahrung für belanglos, für abwendbar zu halten und sie dem Einzelnen als Schwärmerei in schönen Sternennächten anheimzustellen.«38 Fast zeitgleich zu den Essays der Einbahnstraße hatte Benjamin seine breit angelegte Untersuchung zum barocken Trauerspiel fertiggestellt und damit einer dramatischen Gattung zu neuer Aufmerksamkeit verholfen, deren überwiegend protestantische Autoren die Kräfte geschichtlichen Handelns noch unter die Herrschaft allegorischer Instanzen gestellt sahen. Es bezeichnet die Konvergenzlinien dieser gleichzeitigen Studien­ gebiete Benjamins, dass sich die scharf gezogene Trennlinie zwischen Diesseits und Ewigkeit im barocken Trauerspiel vor dem Hintergrund des um sich greifenden Kriegsgeschehens herausgebildet hatte. Auch Hugo von Hofmannsthals Drama Der Turm, das in mehreren Anläufen und Fassungen aus der europäischen Kriegslandschaft die Dia­ gnose einer umfassenden Sprach- und Wertkrise zieht, spielte Mitte der zwanziger

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Jahre für Benjamins Überlegungen zum Zerfall allegorischer Souveränität eine wichtige Rolle. 39 Wer ungeachtet der geschichtlichen Differenzen nach Parallelen zwischen den Zeiten suchte, fand hierfür zahlreiche Anhaltspunkte. Auch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war Europa über weite Landstriche hin verheert, waren Lebensgrundlagen und Zukunftsperspektiven aufgezehrt; es kollabierten große Reiche und komplizierte Bündnissysteme, und militante Glaubensanhänger zerstoben in unterschiedlichste ideologische Richtungen, so dass kaum noch Ansätze eines gemeinschaftlichen Zusammenhalts erkennbar waren. Kein Wunder also, dass die kulturgeschichtlichen Standortbestimmun­ gen der zwanziger Jahre den großen europäischen Krieg der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts als eine ihrer eigenen Erfahrungswelt korrespondierende Deutungsfolie verstanden.

Der Himmel al s sphärischer Resonanzr aum des Schicksal s Auch der von Robert Musil zitierte Aufruf der Schauspielervereinigung aus den Augusttagen 1914 greift in seiner Charakterisierung des aktuellen Enthusiasmus auf vertraute literaturgeschichtliche Bestände zurück. Denn bei der Devise »Apollo schweigt und Mars regiert die Stunde« handelt es sich um ein partielles, abgewandeltes Zitat aus Friedrich Schillers einschlägigem Geschichtsdrama um den böhmischen Feldherrn ­A lbrecht Eusebius Wenzel von Waldstein, genannt Wallenstein (1583–1634). Im ersten Aufzug des letzten Teils, Wallensteins Tod, führt gleich die erste Szene – eine Begegnung zwischen Wallenstein und seinem Hofastronomen Seni – in ein zu »astrologischen Arbeiten« eingerichtetes Zimmer, das »mit Sphären, Karten, Quadranten und anderm astronomischen Geräte versehen« ist und insofern eine Art von astronomischem Kabinett darstellt, dessen Apparate zur Vergegenwärtigung und Ausdeutung der Himmelsbewegungen geeignet sind.40 Die Deutung der Gestirne und Planeten ist gerade zu Kriegszeiten durchaus keine müßige Übung, doch kürzt Feldherr Wallenstein die Erwägungen seines sternkundigen Beraters brüsk ab, indem er auf die Dringlichkeit der anstehenden militärischen Herausforderungen hinweist: »Laß es jetzt gut sein, Seni. Komm’ herab. Der Tag bricht an, und Mars regiert die Stunde. Es ist nicht gut mehr operieren. Komm! Wir wissen gnug.« 41 Wallensteins Ungeduld, einer differenzierten astrologischen Unterweisung Folge zu leisten, paart sich beim Feldherrn mit einem entschiedenen Willen, den Himmelszeichen nach eigenem Gusto die gewünschte Vorbedeutung abzuringen. Der Protagonist kann trotz seines selbstherrlich dezisionistischen Machtgebarens nicht ablassen von der

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tiefen Fixierung auf die am Sternhimmel vermuteten Schicksalszeichen. Wallenstein, »die Figur auf der Tafel betrachtend«, spricht: »Glückseliger Aspekt! So stellt sich endlich Die große Drei verhängnisvoll zusammen, Und beide Segenssterne, Jupiter Und Venus, nehmen den verderblichen, Den tück’schen Mars in ihre Mitte, zwingen Den alten Schadenstifter mir zu dienen.« 42 Schiller hat in diese Betrachtung die ganze Verkennungstragik von Wallensteins dramaturgischer Krisensituation hineingelegt: Sowohl die durch Jupiter repräsentierte höchste Machtposition wie auch die in Venus angelegte Liebesdynamik gedenkt der Feldherr sich dienstbar zu machen, um mit ihrer Hilfe die Gunst des Kriegsgottes herbeizuzwingen. Doch weder aus seinen zwiespältigen Verhandlungen mit dem Kaiser noch aus der Liebesgeschichte zwischen Thekla und Max Piccolomini erwächst dem General tatsächlich die erhoffte Unterstützung; im Gegenteil tragen beide Konstellationen zur fortschreitenden Destabilisierung der Macht Wallensteins bei. Wallensteins Scheitern trägt im Geschichtsdrama teils historisch objektive, teils persönlich subjektive Züge. Schillers Kunstgriff besteht darin, die Rolle der Astrologie innerhalb des Spielgeschehens ambivalent zu halten, indem sie genau auf der Kippe zwischen wahnhaftem Aberglauben und dramaturgischer Niedergangs-Semantik gehalten wird. Wie das Stück selbst, so ist auch sein Titelheld progressiv genug, gegenüber dem astrologischen Schicksalsglauben eine Art der doppelten Buchführung an den Tag zu legen.43 Ein aufstrebender Geist und kalkulierender Stratege wie Wallenstein ist längst darauf aus, sich seine Glückszeichen arbiträr und manipulativ zu verschaffen. Man befragt den Stand der Sterne nicht mehr, um hieraus vermeintlich prädestinierte geschichtliche Entwicklungen oder gar konkrete Sachverhalte herauszulesen. Wallenstein umgibt sich mit den astrologischen Sinnzeichen vielmehr deshalb, weil er die semantische Aufladung des Himmelsschauspieles und seiner mythischen Akteure als einen würdigen und schicksalsträchtigen sphärischen Resonanzraum seines eigenen geschichtlichen Handelns benötigt. Denn der Akteur, den Schiller auf die Bühne stellt, ist bei aller Betriebsamkeit und inmitten seiner ganzen lärmenden Entourage durch und durch einsam, im Stich gelassen, gottverloren. Wallensteins Astrologie ist, in der Perspektive Schillers jedenfalls, kein Beleg für den vormodernen Irrationalismus des Protagonisten, sondern emblematischer Ausdruck einer Zwischenzeit, in der die epistemischen Ordnungsmuster von Mythos und Logos auseinanderklaffen. Wallensteins Planlosigkeit und die »wankelmütige Fortuna« sind personifizierte Darstellungen einer Öffnung des Zukunftshorizontes für Erfahrungen der Kontingenz. Der Riss geht mitten durch die Allegorien der Zeit und der Zeitlichkeit

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hindurch. Der Umstand, dass just ein führender Astronom wie Kepler dem krisen­ geschüttelten General das Schicksal aus den Sternen gelesen hatte, kommt in den skizzierten Aspekten der Planetengötter bei Schiller zumindest indirekt zum Tragen. Mars gab als sonnenabgewandter Nachbar der Erde den entscheidenden Probierstein für die Geltung des neuen physikalischen Weltbilds; zugleich dient er im barocken Denken noch als allegorische Verkörperung jenes Kriegsglückes, das Wallenstein vergebens zu zwingen hofft, der hier insofern selbst in Opposition zum erfolgreichen Kepler rückt. Ob schwere Stunde oder glücklicher Aspekt, darüber wird nicht am Himmel entschieden, sondern auf offener Bühne verhandelt. Schillers Wallenstein und Warburgs Kepler lesen dem Stand der Planeten ein Schicksal ab, das sie selbst nach den Regeln sternkundiger Gelehrsamkeit an die himmlische Sphäre projizierten. In der barocken Konjunktion astronomischer Berechnungsmodi und astrologischer Auslegungsformen ist die Dissoziation beider Disziplinen schon angelegt, aber noch nicht vollzogen. Und wie die allegorische Begrifflichkeit in Sternbild- und Planetennamen letztlich bis in die Gegenwart hinein fortwirken konnte, so verharrt auch die Optik des Planetariums in der anthropozentrischen Illusion einer Wissensordnung, die das Himmelsschauspiel auf manifeste und versteckte Botschaften hin befragt hatte. Einen Himmel, wie ihn Sternkarten und Planetariums-Projektionen zeigen, gibt es ohnehin nur auf Erden und für phantasiebegabte Betrachter.

Die Austreibung magischen Denkens Warburgs Initiative, die Einrichtung des Hamburger Planetariums im ehemaligen Wasserturm mit einer ständigen Begleitausstellung zur Entwicklungsgeschichte von Sternglaube und Sternkunde zu unterstützen, war freilich ebenfalls mit der Hypothek einer illusionären Kosmosvorstellung belastet, indem sie an die Eindrücklichkeit und Erhabenheit dieses doppelt artifiziellen Nachthimmels anschloss, um ihr Publikum zu erreichen (Abb. 5).44 Als Lehrmittel zur didaktischen Unterweisung in praktischer Astronomie konnte das Planetarium zunächst nur die subjektive und gleichsam naturwüchsige Sichtweise reproduzieren, die sich in sternklaren Nächten dem unbewaffneten Blick bot. Die für astronomische Phänomene so bezeichnende Kluft zwischen Augenschein und physikalischen Gesetzmäßigkeiten war bereits in der Antike als Paradebeispiel zur Schulung der erkenntniskritischen Reflexion genutzt worden.45 Dieser Traditionslinie folgend, würde es auch im Betrieb eines zeitgenössischen Planetariums darum gehen müssen, Gestalt und Bedeutung ebenso wohl aufeinander beziehen wie voneinander ablösen zu lernen. Im August 1928 erläuterte Aby Warburg seinem Bruder Max die Auffassung, »daß das Planetarium erst dann zu einem wirklich erfolgreichen und innerlich machtvollen Instrument der Selbsterziehung werden könne, wenn mit diesem zugleich durch eine Ausstellung (Bild und Wort) der Werdegang der modernen mathematisch-

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5  Ehemaliger Wasserturm im Hamburger Stadtpark, Ansichtskarte, Fa. Knackstedt & Co., 1930, Hamburg, Archiv Uwe Fleckner

kosmologischen Orientierung veranschaulicht und dem Publikum als dauernde Ausstellung vorgeführt werde«.46 Die populäre, quasi »cineastische« Illusionswirkung des Planetariums, das den Zuschauer noch vollständiger umfing als ein konventionelles Theater und insofern einen maximalen Immersionseffekt erzielte, war per se noch kein Instrument aufklärerischen Denkens. Umso mehr, folgt man Warburg, bedurfte die geneigte Öffentlichkeit eines das

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Spektakel begleitenden Studienangebots. Anhand der kosmologischen Bilderreihen seiner Sammlung, so hoffte der Gelehrte, konnte detailliert und in konsekutiver Linie auf­gerollt werden, wie sich die Menschheit mit den kosmischen Wirkkräften auseinan­­­ der­zusetzen begonnen hatte. Auf verschiedensten kulturellen Feldern – von den Planetenkindern des Mittelalters bis zu den Regentänzen der Hopi – hatte Warburg den Mechanismen und Erscheinungsformen »symbolischer Ursachensetzung« nachgespürt, die vor der Durchsetzung naturwissenschaftlich-technischer Verfahrensweisen das Weltbild kosmischer Beziehungen bestimmt hatten.47 Den politisch verantwortlichen Herren der Hamburgischen Bürgerschaft führte Warburg, nachdem diese im August 1928 die baulichen Gegebenheiten des stillgelegten Wasserturms im Stadtpark in Augenschein genommen hatten, einige der zur Begleitausstellung infrage kommenden Bestände seiner Bibliothek in der nahegelegenen Heilwigstraße vor: »Ich versuchte, den Einsichtswert, den eine genaue Betrachtung der astronomischastrologischen Bilder aus Dürers Werkstatt mit sich führt oder in sich birgt, herauszustellen und konnte sehen, daß die psychagogische Wertigkeit von den Herren mit freudiger Zustimmung erkannt und aufgenommen wurde.« 48 Doch zog sich aufgrund einiger bautechnischer Komplikationen und auch wegen gewisser Bedenken bezüglich der Vermischung öffentlicher und privater Verantwortlichkeiten bei diesem Projekt die Planungsphase soweit in die Länge, dass es erst nach Aby Warburgs Ableben Ende Oktober 1929 zur definitiven Verwirklichung des Vorhabens kam und dann am 15. April 1930 die Einweihung des Planetariums erfolgte. Warum jedoch sollte das archivalische Material jener Studien über seine fachlichen Belegfunktionen hinaus nochmals vergegenwärtigt, für das zeitgenössische Publikum zugänglich gemacht werden? Eigens und vornehmlich deshalb, so lautete Warburgs beharrlich wiederholte Begründung, um damit auch die Scheidung zwischen abergläubischen und wahrheitsfähigen Denkformen als eine permanente und weiterhin geforderte Aufgabe präsent zu halten: »Denn es handelt sich darum, daß der Weg an sich von der bildhaft-religiösen Ursachensetzung bis zur begriffsmäßig-mathematischen in der ganzen Tragik, oder wenn man will, unendlichen Entwicklungsfähigkeit seines gesetzmäßigen Kreislaufes eingeprägt werden kann, um dadurch vor allem der pseudomystischen Willkür ein Bollwerk entgegenzusetzen, das, besonders wenn der Wasserturm auch noch die Möglichkeit bietet, sich mit den Grundzügen der astronomischen Observation vertraut zu machen, nicht mehr aus dem Bewußtsein eines verantwortungswilligen Menschen hinauseskamotiert werden kann.« 49

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Diese Formulierungen, mit denen Warburg die Wirkungsabsicht seiner Bildersammlung umreißt, sind trotz ihrer Emphase von einer bemerkenswerten Ambivalenz durchzogen. Unterstellt wird einerseits der Zeitstrahl eines progressiven Entwicklungsganges, der folgerichtig vom bildhaft-mythischen Denken zur rationalen Analyse führt; andererseits aber ist von Tragik die Rede und von einem Kreislauf sich wiederholender Problemstellungen. Als ein »Bollwerk« gegen den Irrationalismus, der sich zum Ende der zwanziger Jahre auf verschiedenen Schauplätzen der instabilen deutschen Republik erhob, empfahl sich der Turm im Hamburger Stadtpark schon aufgrund seiner massiven und herausragenden Konturen, die das Sichtfeld der Parkanlage und auch die nahegelegenen Wohnquartiere dominierten. Die »strenge Feierlichkeit« des nach Plänen des Dresdner Architekten Oscar Menzel 1915 errichteten Bauwerks, das mit kantigen Pfeilern einen kuppelbekrönten Rundturm markiert, nimmt durch die dramatisch aufragende Vertikale das Prinzip jener antiken Observatorien auf, die sich dem Himmel demonstrativ entgegenstreckten. 50 Ganz zurecht fordert Warburg deshalb, neben den Projektionsvorführungen auch eine Einführung in astronomische Beobachtungstechniken anzubieten, mithin also die Funktionen von Planetarium und Sternwarte in einer gemeinsamen Institution zu bündeln. Inwiefern allerdings die astronomische Propädeutik hierbei selbst nach dem Muster eines »gesetzmäßigen Kreislaufes« von statten gehen sollte, wie es Warburg postuliert, so dass die zyklischen Abläufe des Naturgeschehens in die Form historischer Reminiszenzen übersetzbar würden, erschließt sich auch verständnisvollen Interpreten der Bilderreihen nicht auf den ersten Blick. Es sind diese eher kryptisch gehaltenen Bemerkungen womöglich so aufzufassen, dass sie auf etwas Ausgespartes, im toten Winkel der Auf bietung kollektiver Gedächtnisleistungen Liegendes rekurrieren. Einem Hinweis Uwe Fleckners zufolge war vor der Idee des Planetariums ein vom Hamburger Oberbaudirektor Fritz Schumacher lancierter Vorschlag diskutiert worden, »Fassade und Wasserparterre« im Stadtpark »zu einem Denkmal der Erinnerung an den Krieg umzugestalten.«51 Der außer Funktion gesetzte Wasserspeicher erfüllte implizit ohnehin schon drei maßgebliche Funktionen eines kulturellen Monuments; erstens durch seine pragmatische Dekontextualisierung, zweitens durch seine herausragende architektonische Statur, drittens durch seine residuale Herkunft aus der Kriegsdekade. Es ist insofern nicht abwegig, auch die Einrichtung des Planetariums mitsamt der Beigabe von Warburgs Bildersammlung auf diesen Memorialaspekt zu beziehen. Hier wird Erhabenheit zitiert, versachlicht, vermessen, als Effekt kosmologischer Sinndeutung durchschaubar gemacht. Die Leidenschaft, mit der sich Warburg bis zu seinem frühzeitigen Ableben für die Ausstellung im Planetarium engagierte, gibt hohe methodologische Ambitionen und eine starke emotionale Involviertheit des Initiators zu erkennen. Auf persönlicher Ebene war die Biografie Warburgs sowohl mit dem epochalen Kriegseintritt Deutschlands wie mit der grundstürzenden Niederlage von 1918 eng ­verknüpft gewesen; die Chronologie seiner existentiellen Betroffenheit reicht von dem

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akribischen Zeitungsdokumentationsdienst, mit dem Warburg und seine Mitarbeiter die ideologische Feindpropaganda zu widerlegen suchten, bis zum vollständigen nervlichen Zusammenbruch 1918 und der mühevollen Regeneration des Patienten in Ludwig Binswangers Kreuzlinger Klinik. Gerade am kulturgeschichtlich weit zurückreichenden Phänomen des Sternglaubens hoffte Warburg materialiter die Geister scheiden, eine ­k lare Trennung zwischen mythischer Überhöhung und rationaler Durchdringung der auf Mensch und Natur wirkenden Kräfte vornehmen zu können. Geht man also fehl in der Annahme, dass sich in Warburgs fulminantem Eintreten für eine informierte Himmelsbetrachtung die stellvertretende Geste einer Austreibung magischen Denkens artikulierte? Und dass der späte Warburg vom Ende der zwanziger Jahre im Hinblick auf die Sternkunde eine scharfe Differenzlinie zwischen mythischer Ursachensetzung und wissenschaftlicher Analyse zu ziehen vermochte, die auszusprechen ihm erst nach der erfolgreichen Kreuzlinger Selbsttherapie anhand seiner ethnologischen Studien möglich war? Wenn es aber zutrifft, dass Warburgs wissenschaftliches und volkspädagogisches Engagement für das Hamburger Planetarium auch eine implizit selbstkritische Refle­ xionskomponente enthielt, mit welcher der Gelehrte verspätet dem ideologischen Resonanzraum der Kriegsjahre entsagte, so darf dabei nicht außer Acht bleiben, dass zu den Konsequenzen der hier anvisierten Materialarbeit auch eine höchst skeptische Haltung gegenüber der suggestiven Macht des Bildes gehörte. Das eidetische Medium, welches gerade in der Frühgeschichte astronomischen Wissens eine so konstitutive Rolle gespielt hatte, sollte Warburgs Erläuterungen zufolge als eine dem Mythos affine Vorstellungsart aus der späteren Entwicklungsstufe einer wissenschaftlich-mathematischen Weltdurchdringung kritisch herausgefiltert und verabschiedet werden. Denn die für die Dauerausstellung im Planetarium von Warburg selbst noch getroffene Anordnung der auf Schautafeln reproduzierten Dokumente würde in ihrer Reihenfolge eine klare und einsinnige Entwicklungstendenz zum Ausdruck bringen: den »Weg von der bildhaft-mythischen zur zeichenmäßig-mathematischen Orientierung im Weltenraum«, kurzgefasst also von der Herrschaft des Bildes zu jener der Zahl. 52 Die ästhetische Wirkungssphäre des Bildes zu verlassen, beziehungsweise sie aus der Methodik der eigenen Arbeitsweise kategorisch auszuschließen, zu einem solchen Schritt konnte sich Warburg als Kunstgelehrter und Augenmensch allerdings keinesfalls entschließen. Doch stellt seine Arbeit mit den aus Einzelillustrationen komponierten Schautafeln, auf denen Warburg sämtliche technischen Register der intervenierenden Montage, des Ausschnitts, der maßstabsveränderten Reproduktion und vor allem der Stiftung nachbarschaftlicher Beziehungen zur Anwendung brachte, eine besondere Art von eingedämmter, domestizierter Bildlichkeit dar, bei der die Bannkraft des Einzel­ bildes je schon durch seine Pluralisierung und reproduktionstechnische Abnutzung in demonstrativer Weise gebrochen war. Im Effekt einer dezidierten Entauratisierung kommt Warburgs späte Bildstrategie wiederum der vergesellschaftenden Reproduk­

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tionstheorie Walter Benjamins nahe, wie beispielhaft ein Kuriosum aus der zur Einrichtung des astronomisch-astrologischen Kabinetts geführten Korrespondenz belegt. Den Vertretern der Hamburger Institutionen war es im Vorfeld der Eröffnung des Planetariums zunächst gar nicht recht verständlich geworden, worin eigentlich die Werthaltigkeit der von Aby Warburg zur Verfügung gestellten Bestände liegen sollte; deshalb hielt sich hartnäckig das Missverständnis, es handele sich um eine Zustiftung bibliophiler Kostbarkeiten und kunsthistorischer Unikate. Die Bedeutung der Sammlung, die Warburg der Öffentlichkeit und insbesondere den Planetariumsbesuchern zu vermachen gedachte, bestand nicht etwa im finanziellen Gegenwert einzelner materieller Objekte. Der von Warburg in jahrelanger Sucharbeit gehäufte und nun weitergege­ bene Schatz repräsentierte zuvörderst einen ideellen Erkenntnisgewinn. Insofern verbarg sich der Wert der Sammlung gewissermaßen im Abstand und Proportionsgefüge zwischen den Bildern, im analytischen Zugriff, mit dem Warburgs Kompositionsweise jede einzelne Tafel zu einer dramaturgisch durchdachten virtuellen »Hängung« der Exponate arrangiert hatte. In dieser Hinsicht kann zuletzt die Konsultation gleichgerichteter Überlegungen Benjamins noch einmal hilfreich sein. Denn während Warburg in seinen Sternkunde­ tafeln die Verhältnisse zwischen astrologischer und astronomischer Wissensordnung vorwiegend negativ markiert sehen wollte, nämlich als möglichst trennscharfe Scheidung des ikonografischen Anschauungsmaterials von der Zugriffsweise mathematisch-proportionaler Raumerfassung, lässt sich mithilfe von Benjamins Konzept der Konstellation die ursprüngliche wissensgeschichtliche Einheit beider Linien, also der astrologischen und der astronomischen Traditionswege, wiederherstellen. Der für Warburgs kulturgeschichtliches Denken besonders prägnante Bilderatlas Mnemosyne, aber auch die kombinatorische Reihe der astrologischen und astronomischen Reproduktionen, die Warburg für die Ausstellungsräume im Hamburger Planetarium zusammenstellte, bekunden eine bemerkenswerte methodische Innovation, eine ars combinatoria neuen Typs, bei welcher die sukzessive beschrittenen Forschungswege komparatistischer Bildbetrachtungen sich im Ergebnis zu einer simultanen Schau zusammengefasst finden, dabei trotz der Einheit des Tableaus zugleich als ein Spielfeld der Fragmente arrangiert. Synoptische Montage also statt mythischer Bildsuggestion. Damit, so eine vorläufig letzte Windung des verschlungenen Ineinanders von Mimesis und Konstruktion, näherte sich Warburgs Verfahren in methodologischer Hinsicht jenen Einsichten, die Walter Benjamin in der erkenntniskritischen Vorrede seines Buches Ursprung des deutschen Trauerspiels, ebenfalls um die Mitte der zwanziger Jahre entstanden, anhand eines Sternbild-Gleichnisses plausibel zu machen versucht hatte. Benjamin erweist sich dabei als ein Verteidiger jener astrologischen Residuen, durch die das astronomische Denken seine eigene Geschichtlichkeit und seinen praktischen Sinn bewahrt. Schon in ihren gemeinsamen Berner Studientagen hatte Benjamin seinen Freund Gerhard Scholem mit der These verblüfft, der Beginn des Lesens und der Schrift

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sei anzusetzen mit der »Entstehung der Sternbilder als Konfigurationen auf der Himmelsfläche«. 53 Voraussetzung des (als Formulierung bei Hofmannsthal entlehnten) Vermögens, »was nie geschrieben wurde«, zu lesen, ist die Hypothese einer zeichenhaften Konvergenz von Buchstabenschrift und geometrisch-piktorialen Figuren. In der Einleitung zu seinem Buch möchte Benjamin sodann seinem philologischen Fachpublikum darlegen, dass die zur Analyse des Materials herangezogenen Begrifflichkeiten keineswegs als literaturgeschichtliche Objektivationen zu nehmen waren (als gäbe es etwa das »Trauerspiel« im Sinne einer literaturgeschichtlichen Realität), sondern zur Schärfung der ideellen Kontur des erst durch den Interpreten konstruierten Gegenstandes dienten. Die begrifflichen Ideen stehen zu den wirklichen Dingen, so das Gleichnis Benjamins, wie die »Sternbilder zu den Sternen«. 54 Die Idee ist mehr und anderes als die Phänomene selbst, sie zeigt sich als Konstellation, sichtbar nur in einem gestalthaften Zusammenhang. Keinem der Sterne haftet die Bildgestalt jenes Sternzeichens an, zu dem sie als gemeinsame Erscheinung zusammentreten. Begriffe, Ideen, Konfigurationen ­leisten Entscheidendes bei der »Einsammlung der Phänomene«. 55 Sie stiften dasjenige, was erst die Erscheinungen lesbar macht, ihre bildhaft »einleuchtende« Gestalt. Deshalb lassen sich Ideen ebenso wenig beweisen wie Sternbilder, weil ihnen kein gegenständliches Sein außerhalb der Betrachterperspektive zukommt. In der außermenschlichen Natur Gestalthaftes vorzufinden und etwa am Sternhimmel, in Wolkengebilden oder an Felsvorsprüngen die Umrisse von Tieren, von Heldenoder Göttergestalten wiederzuerkennen, in derartigen Impulsen sind seit jeher schon projektive Formen der Bildgebung wirksam. Als wäre die Welt ein von menschlichen Leuchtmustern illuminiertes Planetarium. Was eine Figur wie Kepler innerhalb der ­A stronomiegeschichte so interessant macht, sind seine mühevollen und beharrlichen Versuche, die Suggestion eines anthropomorphen, der menschlichen Auffassungsgabe entgegenkommenden Kosmos mit der Logik komplexer Bahnbewegungen zu vereinbaren. Keine seiner astronomischen Berechnungen konnte ihn letztlich daran hindern, in Kriegszeiten weiterhin an die Schicksalskraft von Sternbildern oder Planeten zu glauben. Ausgerechnet das Planetarium mit der Mission einer Entzauberung astrologischer Mythen zu betrauen, das war nun wiederum Aby Warburgs späte Form der Paradoxie. Denn noch nie, weder in Platos Höhle noch vor der Leinwand eines Kinos oder an den Bildschirmen virtualisierter Kommunikation, hat sich die Macht der Bilder durch Einsichten besseren Wissens unterbinden lassen, außer in den bildhaften Argumenten selbst. Weder Benjamin noch Warburg allerdings hätten sich eine Welt vorzustellen vermocht, in der die Zeitgenossen manchen Erscheinungsformen des digitalisierten Krieges so gebannt und begriffslos gegenüberstehen wie die Menschen vor knapp einhundert Jahren dem Lichterzauber in der Kuppel eines Planetariums.

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Birgit Recki

Durch Distanz Hans Blumenberg über Technik und Kunst

Hans Blumenberg hat sich seinen Namen in der Philosophie – und dabei von Anfang an auch in den befreundeten Geisteswissenschaften, von der Theologie über die Geschichtswissenschaft bis in die Philologien – zuerst durch historische Untersuchungen gemacht, mit denen allerdings ein hoher systematischer Anspruch einhergeht: Seine ersten veröffentlichten Monografien enthalten ideengeschichtliche Untersuchungen im Grenzgebiet von Theologie und Philosophie, die unter dem traditionell bevorzugten Epitheton »neuzeitlich« die Absicht verfolgen, das Selbstverständnis des modernen Menschen zu rechtfertigen.1 Mit Blick auf die Anlage dieser frühen Beiträge als Rekonstruktion des Dramas epochaler Orientierung im Spannungsfeld zwischen Erbe und Erblastverweigerung, zwischen Epochenkonstanten und Epochenumschwüngen, mit Blick auch auf die eindrucksvolle Eindringlichkeit im Umgang mit dem historischen Material (es soll immer noch Zeitgenossen geben, die in solchen Fällen von »stupender Gelehrsamkeit« sprechen) haben ihn manche Leser für einen reinen Historiker der Ideengeschichte gehalten. Wer mit Sinn und Verstand las und mitdachte, hatte immer schon die Erwartung, dass Blumenbergs philosophisches Werk auf eine Anthropologie hinauslaufen müsse. Und tatsächlich haben wir unter dem Titel Beschreibung des Menschen inzwischen eine Anthropologie Hans Blumenbergs, zehn Jahre nach seinem Tod 2006 aus dem in Marbach am Neckar verwahrten Nachlass publiziert vorliegen. 2 Auf den 900 Seiten dieses Werkes, das er als nahezu druckfertiges Textkonvolut zurückgehalten hatte, denkt Blumenberg nach über das Gattungswesen Mensch, das mit dem aufrechten Stand und Gang, ausgesetzt vor einem geteilten Horizont (er spricht von »Visibilität«), zu einem System von Maßnahmen der Selbstbehauptung genötigt und darin zunehmend virtuos wurde. Dass Blumenberg den Menschen daraufhin als »eine überraschende und inkonsequente Nebenlösung des Gesamtproblems der Selbstbehauptung des Lebens auf der Erde« begreifen will, wirkt gerade mit Blick auf die unberechenbare

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Mischung aus Überraschungspotential und Inkonsequenz als ein Kokettieren mit der Nüchternheit. 3 Der Mensch ist – so Blumenbergs Tribut an das anthropologische Leitmotiv von natura noverca und Mängelwesen – darauf angewiesen und so darauf angelegt, mittels intelligenter Selbstbestimmung seine Verhältnisse so zu gestalten, dass er es in der Welt aushalten kann.4 Und indem er sich darauf notgedrungen einlässt, werde er »durch das, was er macht, immer präziser und stringenter das, was er ist«. 5 Mit dieser Formel ist der Bogen geschlagen vom ersten Auftreten des Menschen bis in die Hochkultur. Die Beschreibung des Menschen macht es aber auch möglich, den Bogen über Blumenbergs gesamtes Lebenswerk zu schlagen. Das Buch bringt retrospektiv die systematische Klärung in mehr als einer Hinsicht. Allem voran macht die Anthropologie eines sichtbar: Was dieses vielseitige Programm gelehrter Forschung systematisch zusammengehalten hat, war immer schon die Frage nach der prekären Situation des Menschen zwischen Mangel und Überfluss, zwischen der Notwendigkeit der Selbstbehauptung unter widrigen Bedingungen und den Möglichkeiten der produktiven Selbststeigerung in einer Wirklichkeit, in der es sich nur dann und nur in dem Maße leben lässt, wie es gelingt, sie zu gestalten. Schon 1966 in dem frühen Buch über Die Legitimität der Neuzeit, in dem es um die theologische Erblast des Mittelalters und den Perspektivenwechsel geht, den die Wissenschaft der Neuzeit für das Selbstbewusstsein und das Selbstverhältnis des Menschen erbracht hat bei dem Versuch, seine Stellung im Kosmos zu verstehen, steht der Satz, der das anthropologische Erkenntnisinteresse seines Autors dokumentiert: »Selbsterhaltung ist ein biologisches Merkmal, und insofern der Mensch als ein mangelhaft ausgerüstetes und angepaßtes Lebewesen auf die Bühne der Welt getreten ist, bedurfte er von Anfang an der Hilfsmittel, Werkzeuge und technischen Verfahren zur Sicherung seiner elementaren Lebensbedürfnisse.« 6 Von hier aus gibt es eine systematische Verbindungslinie zur Arbeit an der Rezep­ tionsgeschichte des Mythos, in welchem Blumenberg den Schlüssel für das Selbstverständnis der abendländischen Menschheit sieht: des Mythos vom Feuerraub des Prometheus, an dem sich exemplarisch zeigen lässt, was es heißt und wie es im Einzelnen zugeht, wenn der Mensch sich gegen den Absolutismus der Wirklichkeit mythischer Mächte behauptet. 7 Ein Komplement stellt im nämlichen Erscheinungsjahr das Buch dar, das die Metapher des methodischen Optimismus im Titel führt: Die Lesbarkeit der Welt handelt 1979 von der gleichermaßen epistemologischen wie metaphysischen Relevanz der Arbeitshypothese vom Entgegenkommen der Welt gegenüber dem menschlichen Anspruch, sie zu erkennen und zu verstehen. 8 Und in Schiff bruch mit Zuschauer aus derselben Zeit, dem Büchlein, das Blumenberg den Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Darmstädter Akademie der Wissenschaften eingebracht hat, führt er anhand der »Daseinsmetapher« des Schiff bruchs den menschlichen Selbstanspruch vor, aus dem Anblick der Katastrophen Anderer zu lernen. 9 Zehn Jahre später geht es in Höhlenausgänge abermals in einer Metapher von holistischer Appetenz um die menschliche Situation; um die Situation der menschlichen Erkenntnis zwischen Eingeschlossenheit

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in der Enge und den Formen, die dem gegenüber immer wieder der neugierige Auf bruch annimmt, der über die Schwelle der »Höhle« ins Freie zu führen verspricht. Benannt sind damit Stationen eines Denkens, dessen leitendes Motiv mit der Beschreibung des Menschen einen retrospektiven Prägnanzgewinn erfährt, eines Denkens, dem es in allem um die Bestimmung des Menschen geht, um die Dimensionen des Problems, das in der Situation des Menschen gegeben ist, und seines Mitwachsens mit seinen Lösungen. Grundlegend für dieses anthropologische Denken ist das Distanzmotiv, das Blumenberg mit allen philosophischen Anthropologien des 20. Jahrhunderts teilt, mit Max Scheler, Ernst Cassirer, Helmuth Plessner, Arnold Gehlen, Hans Jonas und anderen, dem er aber mit unerhörter phänomenologischer Konsequenz besonders eindringliche Geltung zu verschaffen weiß.10 In Beschreibung des Menschen ist ein Gedankengang entwickelt, der für alles, woran der Mensch hängt und was ihn ausmacht – seine Selbstbehauptung, Selbstbestimmung, Selbststeigerung –, die Distanz als Bedingung des Gelingens betont: »Eine Antwort auf die Frage, wie der Mensch möglich sei, könnte daher lauten: durch Distanz.«11 Bei Blumenberg ist mit Distanz jeglicher Modus von Abstand gemeint: der räumliche Abstand ebenso wie das kognitive, das emotionale, das mentale Zurücktreten vor dem Phänomen, der Verzicht auf dessen direkte Berührung, das Dazwischenschieben von Methoden und Maßnahmen aller Art.12 Das pragmatische Korrelat der so verstandenen Distanz ist die Angewiesenheit auf Medialität, die sich von der Nutzung und Erzeugung von Werkzeugen und anderen instrumentellen Hilfsmitteln über die Ausgrenzung von Zonen der gesteigerten Bedeutsamkeit (religio), über die Fähigkeit zu Begriff und Theorie, bis hin zur Ausbildung von entlastenden Institutionen entfaltet. Alles in allem: als das komplexe System der Kultur mit der überdies hervorgebrachten Eigendynamik seiner Bereiche, für die Blumenberg den Plural der Wirklichkeiten, in denen wir leben geprägt hat.13 Diese kulturelle Dimension, in der sich die Distanzbedingung für den Menschen in einer Vielfalt von Formen und Modi ausprägt, expliziert Blumenberg auch in der Metapher des Umwegs. Die programmatische Aussage, der Mensch sei möglich durch Distanz, lässt sich auch so übersetzen: Der Mensch braucht Umwege. Und beides zielt auf die Unverzichtbarkeit der Kultur: »Nur wenn wir Umwege einschlagen, können wir existieren. Gingen alle den kürzesten Weg, würde nur einer ankommen. Von einem Ausgangspunkt zu einem Zielpunkt gibt es nur einen kürzesten Weg, aber unendlich viele Umwege. Kultur besteht in der Auffindung und Anlage, der Beschreibung und Empfehlung, der Aufwertung und Prämiierung der Umwege. […] Die Umwege sind es aber, die der Kultur die Funktion der Humanisierung des Lebens geben. Die vermeintliche ›Lebenskunst‹ der kürzesten Wege ist in der Konsequenz ihrer Ausschlüsse Barbarei.«14

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Die Technik – Umweg aller Umwege Die Erwähnung von Werkzeugen, von Hilfsmitteln aller Art, von Methoden und Maßnahmen enthält bereits den einschlägigen Hinweis: Es ist die Technik, die Blumenberg als den ersten, den ebenso grundlegenden wie weitreichenden und den fruchtbarsten Umweg zur Kultur und in der Kultur begreift, als den Umweg, von dem sich alles weitere erst abzweigen musste, um sich in seiner elaborierten Umwegigkeit zu entfalten. In dem ersten veröffentlichten Text zur Technik heißt es 1951:

»Der Mensch ist ein technisches Wesen: die technische Realität ist das Äquivalent eines Mangels seiner natürlichen Ausstattung. Die moderne Technik ist daher nicht eine einzigartige Erscheinung der menschlichen Geschichte, sondern nur das ins Bewußtsein gerückte, willentlich ergriffene Durchvollziehen einer im Wesen des Menschen verwurzelten Notwendigkeit.«15 Blumenberg spricht dabei von der Technik, die wir alle kennen, er fasst den Umfang des Begriffs vom ersten okkasionellen Werkzeug, das er später unter dem Primat der Selbstbehauptung in der Verteidigungswaffe erkennen sollte, über die Handwerkzeuge, die demgegenüber menschliche Erfindung sind, und über die Maschinen sowie die hochtechnologische Automation bis zur Nukleartechnik (Abb. 1–2). Er legt Wert darauf, die Technik in unserem Reden und der darin artikulierten Einstellung nicht zu verdinglichen, sondern wesentlich als einen funktionalen Prozess zu begreifen. Technik ist nicht das, was im Geräteschuppen oder im Maschinenpark steht, sondern, so seine Formulierung, »phänomenal ein Reich von Mechanismen«.16 An diesen Mechanismen, die von Menschen instrumentell eingesetzt werden, ist ihm das Entscheidende, dass sie als Methode zur praktischen Problembewältigung taugen. Als Methode aber hat die Technik, so betont Blumenberg einer Einsicht Edmund Husserls folgend, per se die Tendenz, sich gegen ihren ursprünglichen Problemkontext zu verselbständigen und sich gleichsam weitere Anwendungsgebiete zu »suchen«. Diese Eigendynamik gehört somit zum Charakter der Technik als solcher. Technik ist verselbständigte Methode zur instrumentellen Problembewältigung im Handeln.17 Das Bemerkenswerte an diesem Technik-Begriff: Er bietet durch die gleichzeitige Betonung der funktionalen Prozessualität und der Verselbständigungstendenz von vornherein die begriffliche Handhabe zur Diagnose einer konstitutiven Ambivalenz. Die Technik ist für Blumenberg so ambivalent wie die ihr zugrundeliegende und an ihr hängende menschliche Freiheit: »Die technische Bestimmung der Freiheit erschöpft sich nicht darin, den Menschen als ein Wesen zu begreifen, das technische Gebilde hervorbringt, sondern als ein Wesen, das sich selbst technisch verwirklicht, dessen ›Wahrheit‹ im Grunde technisch ist.« Denn: »Der Mensch verdankt sich wesentlich sich selbst, er ist

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1  Faustkeil, Paläolithikum, Feuerstein, H. 16, 5 cm, London, British Museum

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Kernkraftwerk Grafenrheinfeld, 2013

›autotechnisch‹; – er ›hat‹ nicht nur Arbeit, er ›ist‹ auch Arbeit«, sagt Blumenberg und beruft sich in diesem Zusammenhang auf Sartre, der in seinem Essay Der Existentialismus ist ein Humanismus betont hat: Der Mensch »ist ›nichts anderes als wozu er sich macht‹.«18 Bei aller Einsicht in die grundlegende Bestimmung des homo sapiens als homo faber hat Blumenberg, der immer Wert darauf gelegt hat, sich sowohl lebensweltlich wie auch philosophisch als Realist zu positionieren, einen Sensus für die Problematik der Technik.19 Schon 1946 hatte er einen Text verfasst unter dem Titel Atommoral – Ein Gegenstück zur Atomstrategie, der damals unveröffentlicht blieb und erst aus dem Nachlass publiziert werden konnte. Für Blumenberg ist es »die apokalyptische Uraufführung des Atomkrieges« über Hiroshima im Hochsommer 1945, 20 die mit einer unvordenklichen Herausforderung sowohl an das Wirklichkeitsverständnis wie an die Moralphilosophie appelliert. Es ist eben das Problem der Verselbständigung von Technik gegen den Verfügungsanspruch ihrer menschlichen Urheber, das er hier aufwirft, und damit die vermeintliche »Autonomie der technischen Gebilde«. 21 Aber Blumenberg hält nichts von der Konsequenz, aus der Verselbständigungstendenz gleich auf Autonomie zu schließen; er hält auch nichts von der nur scheinbar naheliegenden Dämonisierung der Technik. Er legt Wert darauf, dass der Mensch Herr seiner Schöpfungen zu bleiben hat und verbindet mit der besorgten Erörterung der Gefahr einer destructio in nihilum aus angemaßter Omnipotenz die Erinnerung daran, dass es nicht die Dämonie der Technik ist, sondern

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die der menschlichen Akteure, die es unter Kontrolle zu bringen gilt. Seine Erinnerung an den unaufgebbaren Anspruch auf verantwortliche Selbstbestimmung nach den Maßstäben einer Normativität, die er aus dem Faktum der menschlichen Kultur ableiten will, ist nicht weniger als die Forderung nach der radikalen Erneuerung einer Ethik der Autonomie. 22 Blumenberg geht also, wie diesem frühen Manifest der humanen Verfügung über die menschlichen Möglichkeiten zu entnehmen ist, im Begriff der Technik als humanum ebenso sehr von der Technik als konstitutivem Merkmal des Menschen wie von der Einsicht in deren ursprüngliche Ambivalenz aus. Seine Reflexionen nehmen deshalb nicht selten sarkastischen Charakter an: »– Wir müssen doch nicht alles machen, was wir können. – Nein, wir müssen es nicht. – Aber? – Aber wir werden es machen. – Und weshalb? – Weil wir nicht ertragen, wenn der kleinste Zweifel bleibt, ob wir es wirklich können.« 23 Auch hier will Blumenberg am Problem der Technik, das von vielen kritischen Zeitgenossen als deren über die Köpfe der Menschen hinweg und hinter deren Rücken sich abspielende Eigendynamik begriffen wird, in einer kleinen phänomenologischen Spekulation den aktiven Anteil der menschlichen Akteure kenntlich machen, und damit den Punkt, dass diese nicht aus der Verantwortung entlassen werden können. In den Fokus rückt damit die Verführung durch Machbarkeit. Die Bezeichnung des kleinen Textes in Dialogform als Soliloquium mag preziös anmuten; für die Frage nach der sachlichen Position, die hier bezogen wird, ist dieser Titel indessen höchst aufschlussreich, da der Ausdruck »Soliloquium« (Selbstgespräch) das Verständnis des Autorsubjekts für beide Seiten der Reflexion anzeigt. Die Frage danach, welche von den hier diskursiv ins Gespräch versetzten Positionen wohl nach der Anlage des Textes Recht haben solle, erübrigt sich: Zweifelsreserve (»Wir müssen es nicht«) und Begründung für die Unweigerlichkeit, mit der gleichwohl das Machbare gemacht werden wird (»Aber wir werden es machen«), gehören als komplementäre Reflexionsperspektiven integral zu der Einstellung des Plurals (»Wir«), die damit umschrieben ist; es ist somit das kollektive »Wir« der Menschheit, das in dieser arbeitsteiligen Gegenüberstellung der Standpunkte eines im Selbstgespräch begriffenen Sprechers virtuell vollständig repräsentiert sein soll. Die These, die in dieser Reflexion auf die volle Ambivalenz der menschlichen Position enthalten ist, ist eben die anthropologische Annahme, die Blumenberg von Anfang an und bis in die Beschreibung des Menschen vertritt: »Der Mensch ist das auf Technik beruhende Wesen.« So heißt es dann, ganz im Sinne des Soliloquiums:

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»Es ist Unfug zu glauben, der Mensch hätte den technisch möglich gewordenen Flug zum Mond genauso gut unterlassen können; genauso wie es Unfug ist zu meinen, er würde jemals auf einen der erreichbaren sportlichen Rekorde verzichten, welches auch immer der Preis dafür sein würde. Der Mensch macht vom Prinzip der Distanz auch sich selbst gegenüber Gebrauch, indem er seine Belastbarkeit experimentell objektiviert. Er kann sich selbst gegenüber zum Zuschauer werden.« 24 Keine Frage, dass in der so beschriebenen Disposition auch ein Potential der kritischen Selbstreflexion enthalten ist – und damit eine Chance.

Technik und Kunst – Leonardo al s T ypus – Nachahmung der Natur Schon in dem frühen technikphilosophischen Aufsatz von 1951 findet sich auch das Interesse an der bildenden Kunst artikuliert. Es heißt da: »Die gewonnenen Einsichten über den geschichtlichen Zusammenhang, aus dem diese moderne Technik als ein unvergleichliches Phänomen hervorgegangen ist, bestätigen sich, wenn man versucht, den weiteren Umkreis der Vorstellungen und Begriffe, die den Beginn der Neuzeit markieren, als Sinneinheit zu verstehen. Hierher gehört der Streit der Renaissance um das Wesen der Kunst als imitatio oder inventio; der Begriff der Erfindung, später ein Specificum des technischen Bereiches, wird zuerst in diesem Zusammenhang bedeutsam. Eine Schlüsselgestalt der beginnenden Neuzeit wie Leonardo, der nicht zufällig Künstler und Techniker zugleich war, bestätigt die Einheit des Ursprunges.« 25 Bemerkenswert ist diese Betonung der »Einheit des Ursprunges« – gemeint ist der gemeinsame Ursprung von Kunst und Technik und damit auch der gemeinsame Ursprung von imitatio und inventio, von Nachahmung der Natur (wie sie lange Zeit als Aufgabe der Kunst gesehen wurde) und genuiner Erfindung –, ein Statement, in dem es offenbar darum geht, vor einer falschen Alternative zu warnen. Ebenso bemerkenswert aber ist zum einen, dass sich Blumenberg zufolge durch die Einsicht in den gemeinsamen Ursprung nicht die Frage nach einem Primat erübrigt. Man kann ja der hohen Wertschätzung Leonardos, die sich dort ausspricht, wo er als exemplarische Figur des technisch-künstlerischen Ingeniums behandelt wird – womit Blumenberg nicht allein und originell, sondern in einer höchst respektablen Traditionslinie dasteht – gleichwohl etwas Entscheidendes entnehmen. 26 Mit dem Begriff einer Leonardo-Welt, wie ihn 1992 der Wissenschaftstheoretiker und Kulturphilosoph Jürgen Mittelstraß geprägt hat, geht der Anspruch einher, die abendländische Kultur als das Produkt der Synergieeffekte aus dem Zusammenwirken

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3  Leonardo da Vinci: Maschine zum Anheben von Wasser und Pumpe, um 1480–1482, Feder und teils lavierte Tusche, Codex Atlanticus, fol. 26r, Mailand, Biblioteca Ambrosiana

von Wissenschaft, Technik und Kunst besser zu verstehen als durch andere programmatische Konzepte. 27 Das hängt in hohem Maße daran, dass wir in der Gestalt Leonardos vor allem den Künstler sehen, durch den uns die Arbeitseinheit von Wissenschaft und Technik, die er für sein Werk einzusetzen verstand, auf lustvolle Weise anschaulich und damit akzeptabel und bemerkenswert wird (Abb. 3). So versteht sich auch Blumenbergs Zugriff. Er geht im Kontext der zitierten Stelle so weit, den Charakter der Erfindung – also das, was durch selbständige Leistung grundsätzlich das Humane am Menschen ausmacht – als genuinen Beitrag der Kunst (einer wissenschaftlich-technisch eingebetteten Kunst) zum modernen Selbstverständnis auszuzeichnen, und betont, Erfindung sei erst »später ein Specificum des technischen Bereiches« geworden. Doch einige Jahre danach zeigt sich in dieser Frage des Primats ein anderer Befund. Denn während Blumenberg zunächst die Erfindung in der poiesis des künstlerischen Menschen entspringen sieht, hat sich seine Sicht schon kurz darauf gedreht: »Es ist von unschätzbarer signifikativer Bedeutung, daß hier das ganze Pathos des schöpferischoriginären Menschen und der Bruch mit dem Nachahmungsprinzip beim technischen, nicht beim künstlerischen Menschen hervortreten.« 28

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Was ist da geschehen? Was hat diese Akzentverschiebung nötig und möglich gemacht? Die Stelle ist dem Aufsatz von 1957 über die Vorgeschichte der Idee des schöpferischen Menschen entnommen, die Blumenberg unter dem Topos »Nachahmung der Natur« skizziert. Da entdeckt er in De mente des Nikolaus von Kues aus dem Jahr 1450 die Figur des idiota, des Laien, in der Dialogform des Textes ins Gespräch gebracht mit dem Philosophen, der den Geist der Scholastik repräsentiert, und dem Rhetor, der den Humanismus repräsentiert. Der idiota verkörpert ein neues Selbstbewusstsein, die »Prägung des Menschen […], der sich selbst aus dem heraus versteht und seine Geltung rechtfertigt, was er tut und kann – aus seiner ›Leistung‹«, so Blumenberg. 29 Und worin besteht diese Leistung? Er ist Handwerker, sein Handwerk ist die »Löffelschnitzerei«, wie es im Text heißt, und die Pointe, auf die Blumenberg Wert legt, stellt sich wie folgt dar: »Die Formen von Löffeln, Töpfen, Tellern, die der ›Laie‹ herstellt, sind rein technische Formen«, die nicht aus dem Prinzip der Nachahmung der Natur erklärt werden können, weil es – anders als für die Sujets der Werke, die Maler und Bildhauer hervorbringen – für sie in der Natur keine Präzedenz gibt. Blumenberg schließt: »Zwar ist auch diese ›Kunst‹ Nachahmung, aber nicht Nachahmung der Natur, sondern Nachahmung der ars infinita Gottes selbst, und zwar insofern diese originär, urzeugend, schöpferisch ist […]. Der Löffel, kein Hochprodukt gerade der Kunst, ist doch etwas absolut Neues.«30 Da haben wir es, das Selbstverständnis des modernen Menschen, und es artikuliert sich deutlich vor Leonardo aus dem Mund des stilisierten Handwerkers, dem Nikolaus von Kues das Wort erteilt. Von hier aus entwickelt Blumenberg entlang der ereignisreichen Problemgeschichte des Topos von der Nachahmung der Natur (in seinem Oszillieren zwischen natura naturata und natura naturans) den Ansatz einer Theorie der Kreativität, wie sie sich in der technischen Erfindung und im künstlerischen Schaffen mit seinem technischen Anteil begrifflich fassen lässt. Was ihn an Technik und Kunst dabei aber – jenseits der Frage nach dem Huhn und dem Ei – anhaltend interessiert: In Technik und Kunst haben wir Modelle der Bewältigung von Wirklichkeit durch deren Gestaltung.

Ä sthetik – Die Valéry-Aufsätze Der frühe Aufsatz ist auch insofern signifikant, als er das Motiv für Blumenbergs Interesse an der Kunst kenntlich macht: Es bezieht sich in erster Linie auf den Menschen in seiner demiurgischen Eigenschaft als Produzent, als Schöpfer. Der Gesichtspunkt der ästhetischen Wirkung spielt dabei keine Rolle. Zwei Texte aus den sechziger Jahren sind es dann, Sokrates und das »objet ambigu« von 1964, in dem sich Blumenberg mit der Figur des antiken Philosophen in Paul Valérys Eupalinos ou l’architecte von 1923 ausein­ andersetzt, sowie dessen konzise theoretische Quintessenz in dem Essay über Die essentielle Vieldeutigkeit des ästhetischen Gegenstandes von 1966, die auf den ersten Blick den

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Eindruck vermitteln könnten, als wäre ihr Autor nunmehr auf dem Weg zu einer philosophischen Ästhetik. 31 Jedenfalls lassen sie in der Explikation der ästhetischen Erfahrung durch die spielerisch in der Schwebe bleibende Reflexion angesichts eines vieldeutigen Objekts erkennen, dass Blumenberg sich auf der Höhe der philosophischen Ästhetik bewegt. Er beanstandet an dem auf Kants Begriff der ästhetischen Idee zurückgehenden Modell der spielerischen Reflexion den Mangel an sachhaltiger Dialektik: Gewiss konstituiert sich das Objekt zum ästhetischen Gegenstand nur für und durch ein Subjekt in ästhetischer Einstellung. Doch ist es diesseits einer rezeptionsästhetischen Fokussierung der subjektiven Einstellung auf den Gegenstand, der eben durch sie zum ästhetischen Gegenstand wird, nicht auch dessen reale Verfassung, die in der Formel von der »essentiellen Vieldeutigkeit« zum Thema wird und zur Herausforderung an die ­T heorie werden sollte? So in Kürze der Duktus des Gedankens, und dementsprechend macht Blumenberg grundsätzlich geltend: »Disposition zur Vieldeutigkeit ist immer auch etwas an der Sache selbst.«32 Kein Zweifel: Hier artikuliert ein Autor sein Problembewusstsein von einer der grundlegenden Fragen der ästhetischen Theorie, dem ontologischen Problem des Kunstwerks. Doch ebenso zweifelsfrei ist den Texten zu entnehmen, dass ihn das Ästhetische als solches nicht interessiert, eben weil es der systematische Ort von Vieldeutigkeit ist. Als exemplarischen Fall für die Tradition des Topos von der »essentiellen Vieldeutigkeit« des ästhetischen Gegenstandes führt Blumenberg das objet ambigu an, jenes geheimnisvolle Fundstück, das die literarische Gestalt des Sokrates in Valérys Eupalinos bei seinem Strandspaziergang am Gestade von Attika findet. Wir kennen die Konsequenz aus der Irritation, in die diesen Sokrates die Unbestimmbarkeit eines Gegenstandes versetzt, dem sich nicht ansehen lässt, ob er Naturding oder Kunstwerk ist: Nach einer gewissen Spanne der Irritation schafft er es sich aus den Augen, indem er es kurzerhand ins Meer zurückwirft. Hans Blumenberg deutet diesen Kraftakt mit erkennbarer Affirmation als den Akt der biografischen Entscheidung des Sokrates für die Philosophie – und gegen die Kunst. 33 Was damit nahegelegt ist, ist nicht zuletzt eine Konzeption von Philosophie, in der es keinen Ort für das vieldeutig in der Schwebe Bleibende gibt und mithin keine philosophische Ästhetik. Es sieht ganz so aus, als hätte sich Blumenberg in der Aufnahme des Theorems von der ästhetischen Idee und dem freien Spiel der Erkenntniskräfte, das eben nicht in der erfolgreichen Arbeit des Begriffs terminiert, nur einen halbierten Kant angeeignet: Dass der ästhetische Gegenstand gerade in seiner Unbestimmbarkeit »viel zu denken gibt« und darin der Tätigkeit der Gedanken diesseits des Versprechens auf eindeutige Resultate immerhin Anregung gibt, bleibt unberücksichtigt. 34 Und tatsächlich dokumentieren es die missmutigen, ja, geradezu maliziösen Bemerkungen, die Blumenberg in seinen Texten gelegentlich fallenlässt: Vom Projekt einer philosophischen Ästhetik hat er nichts gehalten. An der Ästhetik, an der ästhetischen Erfahrung und dem ästhetischen Urteil, stört ihn ebenso sehr die übertriebene Erwartung an die Kunst, wie sie in der Folge des deutschen Idealismus kultiviert wurde, wie

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die methodische Akzeptanz von Vagheit, die mit der »essentiellen Vieldeutigkeit des ästhetischen Gegenstandes« programmatisch in Kauf genommen ist. Man sollte es deshalb entschieden genauer nehmen, als es der Herausgeber der thematisch einschlägigen Aufsätze Hans Blumenbergs – offenbar in der selbstverständlichen Konzession an die zeitgenössisch geläufige Verschleifung der Terminologie – genommen hat: Wo wir ganz überwiegend synonym von Ästhetik und Philosophie der Kunst sprechen, besteht für Blumenberg noch ein Unterschied. Was als Ästhetische und metaphorologische Schriften zusammengestellt worden ist, hätte mit Rücksicht auf dessen dokumentierte Abneigung gegen die Ästhetik als Zufluchtsort der begrifflichen Unbestimmtheit unter dem Titel Kunstphilosophische und metaphorologische Schriften herausgegeben werden sollen. 35 Hans Blumenbergs Abneigung gegen die Ästhetik hat ihn indessen keineswegs daran gehindert, die Künste als Sphäre demiurgischer Gestaltung wie auch als Leistung spezifischer Erkenntnis hochzuschätzen und sich insbesondere mit der Literatur eingehend auseinanderzusetzen. 36

Blumenberg und Warburg Spätestens mit diesem Hinweis auf Blumenbergs Würdigung der Kunst bei Abneigung gegen die Ästhetik ist man bei der Frage angelangt, die sich im Kontext von Vorträgen aus dem Warburg-Haus unausweichlich stellt: Steht das, was Blumenberg über Kunst zu sagen hat, eigentlich in irgendeinem bemerkenswerten Verhältnis zu Aby Warburg? Hat Blumenberg sich auf Warburg bezogen? Ist eine Nähe zu Warburg erkennbar? In den Namensregistern seiner gelehrten Monografien sucht man Warburg vergebens. Für Arbeit am Mythos, wo man einen Rekurs auf den kulturwissenschaftlichen Grenzgänger am ehesten erwartet hätte, ist das bei näherem Hinsehen nicht so enttäuschend, wie es auf den ersten Blick wirkt. Denn entgegen einem hartnäckigen Gerücht soll in diesem Buch keine allgemeine Theorie des mythischen Bewusstseins vorgelegt werden, wie es etwa Ernst Cassirer mit dem zweiten Teil der Philosophie der symbolischen Formen beansprucht. 37 Blumenbergs Buch widmet sich vielmehr der Auswertung der rezeptionsgeschichtlichen Tropismen eines einzigen Mythos: dem Feuerraub des Prometheus, in dem der Autor einen Schlüssel zum Verständnis der abendländischen Kultur sieht. Der Befund lautet also: In den großen Monografien findet sich keine namentliche Erwähnung Warburgs. Dass Blumenberg den Begründer der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek indessen mehr als beiläufig kannte, ist gleichwohl belegt. Zum einen durch seine Rede zur Verleihung des Kuno-Fischer-Preises 1974, die er Ernst Cassirer, dem ersten Preisträger von 1914, gewidmet hat, und in der es heißt: »In Hamburg gab es die Bibliothek Warburg, ein singuläres Dossier des Unentdeckten. Die Theorie dieser Bibliothek, wenn man es so sagen darf, später des gleichnamigen Instituts, war Cassirers dreibändige Philosophie der symbolischen Formen«. 38 Die Kenntnis und hohe Wertschätzung

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von Warburgs Lebenswerk gibt sich zum anderen durch das gelegentliche Auftauchen eines höchst charakteristischen Ausdrucks zu erkennen, so etwa markant im Kontext von Blumenbergs kritischen Reflexionen auf Hannah Arendts 1963 veröffentlichtes Buch Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen. Da heißt es mit Bezug auf Arendt: »Sie möchte seine [Adolf Eichmanns] Figur in einer menschheitlichen Perspektive sehen, weil sie dem Zionismus diese nicht lassen mag. Ihre Pathosformel ist großartig, verfehlt aber alles an dem Vorgang, was wesentlich ist.«39 Der Text, der erst 2015 das Licht der Öffentlichkeit erblickt hat, ist vom Autor auf das Jahr 1988 datiert worden.40 Zu diesen hochsensiblen und hochbrisanten Reflexionen wäre vieles zu sagen. Was hier interessiert, ist das Verfahren der freundlichen Übernahme einer terminologischen Prägung, die eindeutig dafür spricht, dass Blumenberg die Schriften Aby Warburgs gelesen hat.41 Vor dem Hintergrund solcher Beglaubigung der Bekanntschaft mit dem anderen Autor darf man die auffällige systematische Nähe zwischen Blumenberg und Warburg im Denken über die Kunst, ja, im methodischen Habitus einer möglichen Theorie der Kunst ernst nehmen. Systematisch ist Blumenberg dem Hamburger Kulturhistoriker darin nahe, dass auch ihn an den Werken der Kunst das Denken interessiert, das in ihnen Form angenommen hat. Ästhetische Erfahrung und deren Theorien – Theorien der ­spielerisch entlasteten Einstellung auf den ästhetischen Gegenstand, Theorien der ­E rfahrung von lustvoll erlebter Vieldeutigkeit, die dabei immer auch Theorien der Empfindung und des selbstgenügsam reflektierten Gefühls im Angesicht der Dinge sind – interessieren ihn nicht. Wie Warburg finden wir Blumenberg vielmehr im Club derjenigen, für die Kunst wesentlich ein Medium der Erkenntnis ist. Eingebettet ist dieser kunsttheoretische Kognitivismus allerdings in das starke Interesse an allen möglichen Modi und Formen der menschlichen Produktivität. Für den Anthropologen, der dem Autor Hans Blumenberg immer schon die Hand geführt hat, spielen natürlich nicht allein die kognitiven, die mentalen und emotiven Elemente des Weltverhältnisses eine Rolle, kurz: die Formen der epistemischen Einstellung, der theoretischen und mentalen Leistung, die der Erkenntnistheoretiker für konstitutiv für das Haben von Wirklichkeit und Welt hält. Auch die poietisch-praktischen Weisen des Umgangs mit der Wirklichkeit, das produktive und insbesondere das technische Handeln, aus dem die Formen und Werke der Kultur hervorgehen, müssen eine philosophische Anthropologie interessieren, deren Thema die Selbstbehauptung und Selbstentfaltung des Menschen ist. Wie ist der Mensch möglich? Durch Distanz. Nicht weil Distanz ein Selbstzweck wäre, sondern weil sie das Medium des instrumentellen Umgangs mit Dingen und Sachverhalten ist, das Medium der Erkenntnis wie des freien Schaltens und Waltens, in dem es ebenso gut gelingen kann, sich die Probleme der äußeren Welt vom Leib zu halten, wie auch die Dinge und Werke zu schaffen, durch die man die äußere Welt mehr und mehr in eine human akzeptable Schutz- und Komfortzone umgestaltet: Kultur. Wie ist der

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Mensch möglich? Durch die produktive Gestaltung der Welt, für deren Hervorbringung Distanz die elementare Bedingung ist. Aby Warburg prägt, wo es um die hierzu erforderliche reflexive Distanz geht, die Metapher vom »Denkraum der Besonnenheit«.42 Für diese ursprüngliche Einsicht stehen in den kunstphilosophischen Erörterungen Blumenbergs auch die Fokussierung auf den Künstler als produktiv Schaffenden und die Betonung der Angewiesenheit von Kunst auf Technik. In Arbeit am Mythos steht der Satz: »Es kann im Bild nichts so schrecklich sein wie in Worten«.43 Ein Satz, der über alle Maßen schockierend wirkt und überdies mindestens die Frage auf den Plan ruft: Gibt es bei Hans Blumenberg eine Theorie der Bilder? Mit Blick auf die sprachlichen Bilder erübrigt sich die Frage. Dass Blumenberg eine Theorie der Metapher auf den Weg gebracht hat, und dass wichtige Bücher wie Die Lesbarkeit der Welt und Schiff bruch mit Zuschauer großen Metaphern gewidmet sind, wissen wir. Die Frage hat sich angesichts der Gegenüberstellung von Worten und Bildern auf die nichtsprachlichen Bilder zu beziehen. Aber gibt es bei Hans Blumenberg eine Theorie der nicht-sprachlichen Bilder? Mit der Verneinung, die hier auf dem Fuß folgen muss, ist erst die halbe Strecke durchmessen. Kann es im Rahmen von Blumenbergs Philosophie auch keine Theorie der Bilder geben? Die Antwort muss hier anders ausfallen: Die Phänomenologie, der sich Blumenberg zeit seines philosophischen Schaffens verpflichtet wusste, die Phänomenologie als erkenntnistheoretische Lehre vom Haben der Gegenstände im Bewusstsein lässt eine Theorie der Bilder durchaus zu. Doch darf von dem, was die jüngst erschienenen Schriften zur Literatur, in denen Blumenbergs Auseinandersetzung mit der sprachlichen Kunst dokumentiert ist, extrapoliert werden: Wenn Hans Blumenberg eine Theorie der Bilder (gehabt) hätte, dann wäre dies eine von der Bildsemantik ausgehende Theorie der sprachlich repräsentierbaren Bedeutung von Bildern: eine Ikonologie? eine Ikonografie? Und darin darf selbst bei aller Differenz, wie sie zutage tritt in Blumenbergs Primat der Wörter vor den Bildern, wo es um die psychische Energie, die Wirkmacht über das menschliche Bewusstsein geht, wohl seine bemerkenswerte Nähe zu Aby Warburg gesehen werden.

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Gertrud Koch

Maschinenästhetik Animation durch Technik, Animation der Technik

Schlägt man am Morgen die Zeitung auf, dann kann man sich leicht um 150 Jahre zurückversetzt fühlen: Maschinen bedrohen unsere Zukunft! Ungeheurer noch als der Mensch, treten sie sein fragwürdiges Erbe an. Die Natur, die der Mensch ausgebeutet und zerstört hat, schlägt in seinem apparativ verlängerten Wiedergänger zurück, nach der natürlichen Welt werden jetzt Lebenswelt und Kultur zerzaust. Abstinenz, neue Askese, Entzug von der Technisierungsdroge, die unseren Alltag kapert, wird zur dringenden Selbstoptimierung empfohlen, vor allem in jenen Zonen, in denen technische Medien menschliche Kommunikationsverhältnisse infiltrieren. Unter dem launigen Titel Handyabrechnung warnt die Leitglosse der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im Feuilleton, »von keiner Ideologie, keiner Droge werden wir mehr beherrscht« als von dem »totalitärsten Produkt der Menschheitsgeschichte«, dem »Mobiltelefon«. Aufgefordert wird zur »staatlichen Sanktionierung der Surfzeit«. Denn: »Sonst verbrennen wir weiter, jeden Tag ein bisschen mehr.«1 Der satirische Unterton, der zum Genre der Glosse gehört, entbindet in der Sache nicht von der in ihr angemahnten Dringlichkeit der Problemlösung im Umgang mit Technologie. In einer anderen Zeitung, in der Sparte »The Week in Tech« informiert der zuständige Redakteur der New York Times über neue Erkenntnisse zur Frage »Are Robots Coming For Your Job?« und gibt sogleich die Antwort: »Probably«. Der Autor schlägt den Bogen zur »Artificial Intelligence« als dem dunklen Monster im Hintergrund: »Forecasts of technology’s impact on jobs run the spectrum from apocalyptic to sanguine, depending largely on the pace of progress in artificial intelligence.« 2 Wann wir »verbrannt« sein werden, wann wir durch Maschinen endgültig ersetzt werden, das wird sich in der Zukunft weisen. Prognosen nehmen schnell prophetische Züge an: ob dystopische Jeremiaden oder die utopische Ankunft des Messias beschworen wird, entscheidet sich in Stellungsgräben, die im Hier und Jetzt ausgehoben werden. Schon auf was sich das klagende »wir«

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bezieht, ist höchst umstritten: Verbrennen wir als Gattung, als Spezies, die von animierten technischen Wesen abgelöst wird, weil diese intelligenter und schneller eine Welt entwickeln können, in die sie besser passen als »wir«? Wer diese sozialdarwinistische Variante des 19. Jahrhunderts vom »surviving of the fittest« als aktuelle Prognostik ernst nimmt, könnte das so sehen. Wer aber die Evolutionstheorie in ihrer aktuellen Ausrichtung, die die Antagonismen des 19. Jahrhunderts längst abgestreift hat, überzeugender findet, wird sich mit diesem simplen Verdrängungsschema nicht abspeisen lassen wollen. Verwirrend, dass noch im dystopischsten Entwurf ex negativo Instanzen und Akteure beschworen werden, die im Feld menschenmöglichen Handelns verortet werden, das vorher zur verbrannten Erde deklariert wurde. Insgesamt aber sind die komplexer werdenden interdisziplinären Diskurse zur künstlichen Intelligenz dabei, die Art unseres Umgangs mit Technologien zu verschieben, indem sie dieses Verhältnis neu zu denken beginnen.

»Freiheit« durch Automatisierung Das Zeitalter der großen Maschinerien des 19. Jahrhunderts wurde von der Vorstellung begleitet, dass die Maschinen uns als Körper verschlingen, dass die Hand, der starke Arm der Arbeiter am Ende von der Maschine ergriffen und zu ihrem Anhängsel gemacht wird, Mensch und Maschine werden zu einem Rädchen im Getriebe kapitalistischer Produktionsweisen. Diesen Zusammenschluss von Körpern und Maschinen zum Automaten, der sich selbst bewegt und damit zu einer Version des »unbewegten Bewegers« wird, der sich als höhere Macht nicht mehr von außen lenken lässt, beschreibt eindringlich Andrew Ure, ein Beobachter, der seine Schrift als Philosophie des manufactures 1836 in Brüssel veröffentlichte, eine der zahllosen Quellen, die Marx im Kapitel zum »Maschinenfragment« in den Grundrissen der politischen Ökonomie zitiert hat: »Fabrik bedeutet das Zusammenwirken von Arbeitern mehrerer Altersklassen, von erwachsenen und nicht erwachsenen, die mit Geschick und Pünktlichkeit einem mechanischen produktiven System Folge leisten, das beständig von einer zentralen Kraft angetrieben wird. […] Diese härteste Fassung des Begriffs entwickelt die Vorstellung eines riesigen Automaten, der aus zahlreichen mechanischen und mit Verstand begabten Organen zusammengesetzt ist, die in Übereinstimmung und ohne Unterbrechung tätig sind, wobei all diese Organe einer treibenden Kraft unterworfen sind, die sich von selbst bewegt.«3 Die innere Logik des Automaten ist jedoch nicht die Maschine selbst und auch nicht die lebendige Arbeitskraft mit Hirn und Hand begabter Organismen, sondern das ökonomische Kapital, das sie in Gang setzt: Sie verschmilzt zum »Maschinengott«, zur »machina ex Deus capitalis«.

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Karl Marx beschreibt in seinem sogenannten »Maschinenfragment«, wie sich die Produktion des Automaten dahingehend auswirkt, dass im gleichen Maße, wie mit Hilfe der Maschinen immer mehr produziert wird, auch die von Arbeit freigestellte Zeit anwächst, und beide zunehmend in Abhängigkeit zueinander definiert werden: »Es [das Kapital] ist so, malgré lui, instrumental in creating the means of social disposable time, um die Arbeitszeit für die ganze Gesellschaft auf ein fallendes Minimum zu reduzieren und so die Zeit aller frei für ihre eigne Entwicklung zu machen.« 4 Diese innere Dialektik der Verdichtung von Arbeitszeit durch Automation bei gleichzeitiger Freisetzung von Arbeitszeit, führt zu einer Umwertung: »[…] so wird einerseits die notwendige Arbeitszeit ihr Maß an den Bedürfnissen des gesellschaftlichen Individuums haben, andrerseits die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft so rasch wachsen, daß, obgleich nun auf den Reichtum aller die Produktion berechnet ist, die disposable time aller wächst. Denn der wirkliche Reichtum ist die entwickelte Produktivkraft aller Individuen. Die Arbeitszeit als Maß des Reichtums setzt den Reichtum selbst als auf der Armut begründet und die disposable time nur existierend im und durch den Gegensatz zur Surplusarbeitszeit oder Setzen der ganzen Zeit des Individuums als Arbeitszeit und Degradation desselben daher zum bloßen Arbeiter, Subsumtion unter die Arbeit.«5 Die Bedingungen der Arbeit unter der »großen Industrie« akkumuliert die Produktivkräfte der Maschine und der Arbeit gleichermaßen, so dass der dadurch entstehende Reichtum nicht mehr nur auf der Stundenleistung von Maschine und Arbeiter basiert, sondern eine Summe all jener Arbeit von Ingenieuren, Planern, Designern, Handwerkern, Wissenschaftlern und Künstlern ist, die eine solche Möglichkeit erschaffen haben durch ihre Ideen, Erfindungen, Entdeckungen oder praktischen Erprobungen. Entsprechend schreibt Marx: »Wie mit der Entwicklung der großen Industrie die Basis, auf der sie ruht, Aneignung fremder Arbeitszeit, aufhört, den Reichtum auszumachen oder zu schaffen, so hört mit ihr die unmittelbare Arbeit auf, als solche Basis der Produktion zu sein, indem sie nach der einen Seite hin in mehr überwachende und regulierende Tätigkeit verwandelt wird; dann aber auch, weil das Produkt aufhört, Produkt der vereinzelten unmittelbaren Arbeit zu sein, und vielmehr die Kombination der gesellschaftlichen Tätigkeit als der Produzent erscheint.« 6 Bereits zu Anfang des 19. Jahrhunderts haben die Frühsozialisten auf die Drehung aufmerksam gemacht, dass die Automatisierung zu einer Intensivierung der Arbeitszeit führt, die wiederum den Arbeitern nicht zugutekommt, sondern akkumuliert wird, während gleichzeitig der Arbeitsanteil der Arbeiter schrumpft, so dass sie mehr arbeiten

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müssen, um sich selbst reproduzieren zu können. Lässt man die auf die Arbeitszeit bezogene Werttheorie einmal außer Acht, dann erscheint Marx’ Analyse als gar keine so schlechte Beschreibung gegenwärtiger Phänomene. Ihre tatsächlichen Auswirkungen lassen sich täglich beobachten quer zu den Schichten und Formationen diverser Arbeitsund Lebenswelten: Die Schrumpfung der Arbeitsplätze in der Schwerindustrie im Zuge der Automation führt zur Ausweitung der Leichtlohnjobs, sie führt von der Handarbeit am Fließband weg zur visuellen Überwachung von Bedienungsarmaturen, zur Qualitätskontrolle der Endprodukte, die mit der physischen Produktion selbst nur noch vermittelt zu tun haben, und der Produktionsprozess wird an einem Steuerungscomputer überwacht. »Harte«, »schmutzige« Handarbeit wird hingegen der Sichtbarkeit entzogen durch die Auslagerung auf andere Kontinente, wo Arbeitszeit noch so billig ist, dass sich die maschinelle Optimierung von Arbeitszeit nicht lohnt. Auf der anderen Seite entstehen im Freizeitbereich Fernsehformate, die sich von den USA bis zu den europäischen Privatsendern etabliert haben, die in nichts Anderem bestehen, als das Leben der Reichen und Superreichen als einen ewigen Sonntag zu zeigen, der damit ausgefüllt wird, Freizeitmaschinen wie Oldtimer, Yachten, Hightech gesteuerte Villenanlagen und anderes mehr als Unterhaltungsmedien vorzuführen, die nichts weiter produzieren müssen außer Beschäftigungen für die freie Zeit. Reichtum wird allein als Freiheit von Arbeit und Notwendigkeiten vorgezeigt; die Arbeit, die ihm zugrunde liegt, existiert nicht mehr. Die Welt der TV-Shows reproduziert so die Aufspaltung in Arbeitszeit und Freizeit, in dem sie selbst eine Arbeitsmaschine, ein Automat geworden ist, der die Freizeit anderer in produktive Arbeitszeit kapitalisiert. Insofern diese freie Zeit einzig in Funktion zur Arbeitszeit gedacht wird, bleibt sie bloß negative Freiheit, Freiheit von der Arbeit. Diese frei gestellte Zeit unter einen umfassenderen Freiheitsbegriff zu stellen, den nämlich einer positiven Freiheit zu etwas, bleibt, das ist meine hier zu entfaltende These, dem ästhetischen Umgang mit Maschine und Technik überlassen. Erst dort wird eine Techno-Ästhetik möglich, die sich von der sozialdarwinistischen Dualität, entweder die Technik oder »wir«, völlig lossagt.

Saturnalien der Maschine Es wird leicht vergessen, dass bereits im 19. Jahrhundert die Maschinen selbst einen Schauwert hatten. Es gab touristische Veranstaltungen, in denen Fabriken besucht wurden, um dort die »große Maschinerie« zu bestaunen und keineswegs die Arbeiter (Abb. 1). Auch in den Industriegemälden der Zeit, etwa bei Adolph Menzel, wird weniger auf die Arbeit mit und an der Maschine Gewicht gelegt, als vielmehr auf den Gesamteindruck (Abb. 2). 7 Wenn in einem der ersten Filme überhaupt, Auguste Lumières Arbeiter verlassen die Fabrik, eine Kamera aufzeichnet, wie bei Werksschluss die Arbeiter aus der Lumière gehörenden Fabrik herausgehen, dann wird dieser Film fast unmittelbar zu

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1  Lewis W. Hines: Innenansicht der Magnolia Cotton Mills Spinnerei, Magnolia, Miss., 1911, Fotografie, College Park, U.S. National Archives

2  Adolph Menzel: Eisenwalzwerk (Moderne Cyklopen), 1875, Öl auf Leinwand, 158 × 254 cm, Berlin, Staatliche Museen, Alte Nationalgalerie

3  Louis Lumière: La Sortie de l’usine Lumière à Lyon, Frankreich 1895, Filmstill

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einem generischen Motiv (Abb. 3). Diese »factory-gate«-Filme hatten eine doppelte Funktion: Sie warben für die Möglichkeiten des Films, sie wurden aber auch systematisch eingesetzt von showmen, die damit warben, in ihren reisenden Vorführungen jeweils einen Film anzubieten, der Arbeiter zeigte, wie sie die örtliche Fabrik verließen. Sie warben also mit der Möglichkeit, sich selbst auf der Leinwand sehen zu können, ebenso wie mit der technischen Rarität und Novität des Films und seiner Apparate. 8 Es waren also die Filme, die das Außen der Fabrik zeigten, die der Masse eine eigene Repräsentation versprachen. Die Frage, »wohin gehen die Arbeiter, wenn sie die Fabrik verlassen?«, führte also direkt in den Kinosaal. Diese enge Verbindung von Maschinenfabrik und Entertainment Industries zieht ihre ästhetische Dynamik aus einer neuen Visibilität, die Bewegung sehen lässt, die Bewegung der Maschinen und schließlich die einer bewegten Welt. Schon Marx hatte gesehen, dass die innere Logik des Maschinen-Modells seine eigene Implosion riskiert, wenn die lebendige, menschliche Arbeitskraft dem Ideal der Maschine immer weiter angepasst wird und als solche schließlich ganz aus ihr ausgetrieben werden würde. Eine Maschine, die nicht mehr auf den Wert der menschlichen Arbeitskraft hin kalkuliert produziert, wäre das Ende des Kapitalismus; eine Diagnose, der in vielen Varianten heute wieder in Bezug auf die Roboterisierung der Produktion nachgehangen wird: Die Selbstabschaffung des Menschen durch die Maschine wäre das Ende eines Systems, das auf medialem Tausch basiert, auf dem von Zeit und Waren gegen Geld. Gut dreißig Jahre nach Marx’ »Maschinenfragment« beschreibt Friedrich Nietzsche die Entwicklung der Maschine als Verwandler von Natur als Machtkampf, den positiv zu entscheiden es möglicherweise des Sozialismus bedürfe: »[…] also wie bei einer Naturmacht, zum Beispiel dem Dampfe, welcher entweder von dem Menschen in seine Dienste, als Maschinengott, gezwungen wird, oder, bei Fehlern der Maschine, das heisst Fehlern der menschlichen Berechnung im Bau derselben, sie und den Menschen mit zertrümmert. Um jene Machtfrage zu lösen, muss man wissen, wie stark der Socialismus ist, in welcher Modification er noch als mächtiger Hebel innerhalb des jetzigen politischen Kräftespiels benutzt werden kann; unter Umständen müsste man selbst Alles thun, ihn zu kräftigen. Die Menschheit muss bei jeder grossen Kraft – und sei es die gefährlichste – daran denken, aus ihr ein Werkzeug ihrer Absichten zu machen.« 9 In dieser Passage beharrt Nietzsche auf dem Ursprung des Maschinengottes aus menschlichem Planen. Wie in Ludwig Feuerbachs Argument aus den Vorlesungen zur Religion Gott selbst als menschliche Projektion, so erscheint hier der Maschinengott als eine Projektion, eine geometrische, mathematische, die menschlichen Ursprungs ist und deren Fehler darum auf die Gattung selbst zurückschlagen können: Erschlagen von der Maschine, die er in die Welt gesetzt hat. In dieser doppelten Perspektive fällt die Maschine, wo sie dem Menschen gefährlich wird, als sein eigener Fehler im wörtlichen Sinne auf

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ihn zurück. Weil er sich fehlerhaft in die Maschine projiziert hat, wird sie ihm zum Verhängnis, aber auch, weil er sich ihr unterwirft. Im Umgang mit der Maschine fehlt es dem Menschen an techné, er kann seine eigene Technik nicht handhaben, sie ist ihm aus der Hand entglitten. Nietzsche unterscheidet stark zwischen Maschine und Technik, und dies in signifikanter Weise.10 Den Begriff der Technik verwendet Nietzsche meist ganz im Sinne der techné, eines Verfahrens zur gelingenden Herstellung, einer artistischen Operation, wenn er in Bezug auf die Tragödie schreibt: »Von der Tragödie begehrt das Volk eigentlich nicht mehr, als recht gerührt zu werden, um sich einmal ausweinen zu können; der Artist dagegen, der die neue Tragödie sieht, hat seine Freude an den geistreichen technischen Erfindungen und Kunstgriffen, an der Handhabung und Vertheilung des Stoffes, an der neuen Wendung alter Motive, alter Gedanken. Seine Stellung ist die ästhetische Stellung zum Kunstwerk, die des Schaffenden; die erstbeschriebene, mit alleiniger Rücksicht auf den Stoff, die des Volkes.«11 Technik hat neben dem funktionalistischen Sinn, in dem der Begriff meist gebraucht wird, bei Nietzsche einen ästhetischen Sinn, es ist die Arbeit des Künstlers, seine Bearbeitung und Durchdringung des Materials, des Stoffes, mit dem er umgeht und der schließlich mit der technischen Verarbeitung so verschränkt ist, dass der »naive« Zuschauer zwischen dem Stoff und seiner technischen Präparierung nicht zu unterscheiden weiß. Die Technik arbeitet verborgen im Inneren der Maschine, als ihr innerer Maschinist. Der Begriff der Maschine wird metaphorisch meist im Sinne des Apparates verwandt, ob im Sinne des Regierungsapparats, des Staatsapparats oder auch des eigenen Denkapparats, als der der ganze Körper gedacht wird. So schreibt Nietzsche in einem Brief: »Ich weiß nie, wo ich eigentlich mehr krank bin, wenn ich einmal krank bin, ob als Maschine oder als Maschinist.«12 Die Untrennbarkeit von Körper und Wille lässt ihn Krankheit denken als ein Leiden, das die Person als Ganzes befällt, nicht nur den Körper, Maschine und Maschinist sind untrennbar miteinander verwoben. Technik wirkt in der Maschine als ihr implementierter Wille. Die Begriffe Maschine und Technik sind also keineswegs einfach austauschbar, sondern werden von Nietzsche unterschiedlich perspektiviert. Daraus ergeben sich Konsequenzen für eine Technikphilosophie, die diese in Relation setzt zu den menschlichen, verkörperten Wahrnehmungsfähigkeiten in der Kommunikation mit Technik und Maschinen. Friedrich Nietzsche ist von Friedrich Kittler als Denker einer Medienphilosophie erfunden worden, die sich in der Auseinandersetzung mit einer Maschine entfaltet hat: Fast erblindet kann Nietzsche nicht mehr schreiben und lässt sich eine der ersten Schreibmaschinen besorgen, eine Malling Hansen Schreibkugel, zu der Kittler notiert:

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»Hans Rasmus Johann Malling Hansen (1835–1890), Pastor und Vorstand des kgl. Dovstummeinstitut Kopenhagen entwickelte seine Skrivekugle / Schreibkugel / Sphère écrivante aus der Beobachtung, daß die Fingersprache seiner Taubstummen schneller lief als Handschrift. Die Maschine nahm also ›nicht auf die Bedürfnisse des Geschäftslebens Rücksicht‹, sondern sollte physiologische Defizite ausgleichen.«13 Nietzsche selbst gibt ab und zu Bericht über seine Arbeit an der Maschine, die sich als wetterfühlig und reparaturanfällig erweist: »Diese Maschine ist delicat wie ein kleiner Hund und macht viel Noth – und einige Unterhaltung.«14 Vielleicht im Umgang mit einer Maschine, die wie ein Haustier in eine direkte Kommunikation mit dem Herrn verstrickt wird, zeigt sich aber auch eine andere Dimension der Maschine, die ihre eigene Negation aus sich hervortreibt. So schreibt Nietzsche über die weniger delikaten Maschinen: »Die Maschine controlirt furchtbar, daß alles zur rechten Zeit und recht geschieht. Der Arbeiter gehorcht dem blinden Despoten, er ist mehr als sein Sklave. Die Maschine erzieht nicht den Willen zur Selbstbeherrschung. Sie weckt Reaktionsgelüste gegen den Despotismus – die Ausschweifung, den Unsinn, den Rausch. Die Maschine ruft Saturnalien hervor.«15 Wenn der Arbeiter nicht einfach der Sklave der Maschine ist, wird er auch ihr destruktiver Herr, der sie entgleisen lassen kann. Wenn die sensomotorische, organische Einheit mit der Maschine eine willentlich erbrachte Synchronisierung mit der Zeit ist, dann kann jederzeit die Eigenzeit des Einzelnen sich gegen die Maschine wenden. In einer der meistgesehenen und dennoch verharmlosend übersehenen Sequenzen der Stummfilmära wird eine solch Nietzscheanische Saturnalie sichtbar. In Charles Chaplins Modern Times ist die Fabrik eine hierarchisch organisierte Abfolge von Maschinen: Oben kotrolliert der Fabrikherr am Überwachungsbildschirm die Produktion, das getaktete Zusammenspiel von organischen und Maschinenkörpern an einem Fordistischen Fließband ebenso wie die »freie« Zeit der Pausen, die mit Toillettengängen und Nahrungsaufnahme in den Produktionsprozess eingebaut sind. Chaplin am Band kommt aus dem Takt, er gerät in die Maschine und kommt aus dieser wieder hervor als Tänzer (Abb. 4–7). Die rätselhafte Transformation findet hier im Inneren der Maschine statt, die den menschlichen Körper keineswegs zerstückelt, sondern sanft durch die Zahnräder gleiten lässt, als sei sie eigens für ihn maßgeschneidert. Die visuelle Metaphorik, der sich diese Einstellung bedient, ist also weit davon entfernt einen wütenden Maschinenstürmer zu entwerfen, vielmehr wird eine zweite Ordnung errichtet, in der die Hebel der Maschinen zu einem filmischen Gesamtkörper in Chaplins Choreographie werden, in der sich der tänzerische Köper wie auf einer Musicalbühne bewegt. Eine Transformation, die Jean-Louis Comolli in einem Essay als die der Kino-Maschine beschreibt: »[…] through

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4 –7  Charlie Chaplin: Modern Times, USA 1936, Filmstills

machines, there is play within work, and that it is in the play with this machine par excellence, the cinema, that the boldest venture of Man’s share still lies. The work of spectacle can replace the impossible spectacle of work.«16 Das Phantasma einer tänzerischen Transformation, in der alle Schwere der Maschine und der Arbeit zu einer schwebenden Bewegung wird, erschließt sich als eine bewegte Metapher vom Maschinisten, der in der Maschine sitzt und nach seinem eigenen Willen mit dieser zusammenspielt. Die tranceartige Aussetzung der metrischen Arbeits- und Produktionszeit wird hier zum Traum einer Maschine, deren Innerstes ein Mensch ist oder – folgt man Comolli, vielmehr Chaplin – der Regisseur im Inneren der Kinomaschine, die ihn als Komiker in Bewegung setzt. In dieser Nietzscheanischen Saturnalie ist das Verhältnis von Maschine und Mensch nicht antagonistisch gedacht, sondern als eine Skala von Möglichkeiten und Interaktionen. Der innere Maschinist ist der Regisseur der Maschine, die ihn hervorbringt, der unbewegte Beweger, der sich durch die von ihm selbst erfundene Welt bewegen lässt. Ein anderer Theoretiker der Maschinen, Gilbert Simondon, hat für dieses Verhältnis von Mensch und Maschine als einer performativen

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Einheit, als ein gemeinsam aufzuführendes Stück, die Metapher des Dirigenten vorgeschlagen: »Weit entfernt davon, der Aufseher eines Trupps Sklaven zu sein, ist der Mensch der ständige Organisator einer Gesellschaft der technischen Objekte, die seiner bedürfen, wie Musiker eines Dirigenten bedürfen. Der Dirigent kann die Musiker nur dirigieren, weil er wie diese und mit gleicher Intensität wie diese das aufgeführte Stück spielt: Er mäßigt ihr Tempo oder treibt sie an, aber er wird auch von diesen gemäßigt oder angetrieben.«17

Maschinendialektik Auf einer wesentlich abstrakteren Stufe als Chaplin operiert das moderne Tanztheater von William Forsythe, der jüngst in einer großen Halle der Gagosian Gallery in Le Bourget am Rande von Paris, ein Tanzstück für Roboter gezeigt hat, Black Flags, Teil seiner Serie Choreographic Objects. Zwei Industrieroboter mit riesigen schwarzen Seidenfahnen in den Greifern sind auf je einer Platte montiert und werden über einen Computer so gesteuert, dass sie die Fahnen in choreographierten Bewegungen schwingen, und das geschieht mit einer atemberaubenden Präzision, die aus menschlichen Bewegungsfolgen heraus nicht zu erreichen wäre (Abb. 8). Die ästhetische Faszination dieser Bewegungen resultiert aus einer mimetischen Operation, die Forsyth im Interview gleichzeitig thematisiert und zu minimieren versucht, indem er auf die Maschinenhaftigkeit der Roboter verweist, die nicht anthropomorph zu verstehen seien, gleichzeitig aber – und deutlich im Zwiespalt – ihre Ähnlichkeit zu Armen einräumt; die Roboter sind keine Arme, wir sehen aber Arme in ihnen: »While conceding that the robots emulate certain human attributes, I also tried to deanthropomorphize their interactions so that they would be perceived more as pure compositional entities. I’m striving to make a formal statement in the way that music hangs in the air.« 18 Ausgangspunkt war das menschliche Flaggenschwingen, das hier in einer Dimen­ sion stattfindet, die nur maschinell erreichbar ist: »Perfection isn’t my foremost concern here. […] given the scale of the exercise, the sheer demands of force that the imagination of the choreography requires, with that material on that scale and in that space, is humanly impossible. So with the robots I am providing an augmented human practice.«19 Forsythes Arbeit steht an der Schnittstelle zwischen Externalisierung menschlicher Arbeit (die Körper der Tänzer werden durch Roboter ersetzt) und ihrer Internalisierung in das Werk (der Künstler/Ingenieur programmiert und steuert die Maschine, den Computer): »I’m providing an augmented human practice.« 20 In diesen technisch produzierten und technisch animierten Objekten wird eine Möglichkeit sichtbar, wie Technik als ästhetische techné auf diese zurückwirkt. Die Lösung der ökonomischen Verklammerung der

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8  William Forsythe: Black Flags, 2014, Industrieroboter, Seidenfahnen, Fahnenstangen, Kohlefaser und Stahl, Maße variabel, Installationsansicht, Le Bourget, Gagosian Gallery

Maschinen als erweiterte Arbeitskraft erlaubt einen neuen Blick auf sie, sie werden Instrumente einer Bewegungsimagination, die sich materiell realisiert und doch abstrakt bleibt. Max Weber hat auf den Umstand hingewiesen, dass die eiserne Faust der industriellen Produktion der Maschine nicht bereits in ihre Wiege gelegt worden ist, wenn er schreibt: »Die ökonomische Orientiertheit der heute sog. technologischen Entwicklung an Gewinnchancen ist eine der Grundtatsachen der Geschichte der Technik. Aber nicht ausschließlich diese wirtschaftliche Orientierung, so grundlegend wichtig sie war, hat der Technik in ihrer Entwicklung den Weg gewiesen, sondern z. T. Spiel und Grübeln weltfremder Ideologen, z. T. jenseitige oder phantastische Interessen, z. T. künstlerische Problematik und andre außerwirtschaftliche Motive.« 21 Ich möchte aber keineswegs auf eine bloße historische Kontinuität hinweisen, in der das Verhältnis von Kunst zu Instrumenten, Maschinen und Apparaturen sich darstellen lässt und dabei die Rolle von Kontingenz und Differenz zum Verschwinden bringen. Zwischen der aus zurechtgeschnittenen Röhren zusammengebundenen Flöte des Pans und den digital erweiterten Arbeiten eines Bill Viola oder William Forsythe liegen Welten,

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9  Jean Tinguely: Mengele – Totentanz, 1986, Metallschrott, Erntemaschinen der Firma Mengele, Nilpferdschädel und Elektromotoren, 300 × 440 × 420 cm, Basel, Museum Tinguely

die auch durch die unterschiedlichen Technologien bestimmt sind, in deren Zeichen sie sich entwickeln. Die Verbindung von Kunst und Technik steht auch keineswegs im euphorischen Gestus der gesteigerten Produktivität, oft zeigt die Kunst die destruktiven, raum- und körperverletzenden Seiten auf. Die technische Animation der Dinge streut in viele Dimensionen, sie kann eine mimetische Wiederkehr älterer ritueller Praktiken der Einritzung zur Markierung von Körpern evozieren, wie sie in Kafkas grausiger Maschine der Straf kolonie (1919) wirkt, in der die Maschine die souveräne Macht über den Körper  gewinnt, indem sie ihn zu Tode schreibt, oder in der dystopischen Sozialphantasie von Fritz Langs Metropolis (1927) und all den Science-Fiction-Filmen, die auf ihn folgen sollten. Das Spiel mit der Maschine führt auf alle Fälle zu Perspektiven auf die Technik, die nahezu unbegrenzt erscheinen. Die dadaistische Produktion von Maschinen, deren einzige Funktion die Erzeugung ästhetischen Witzes und Grauens ist, hat Jean Tinguely zur Perfektion gesteigert. In seiner kinetischen Plastik Mengele – Totentanz (1986) ruft Tinguely die Tötungsmaschinerie der nationalsozialistischen Vernichtungslager auf, in denen Josef Mengele seine tödlichen Experimente an menschlichen Körpern exekutierte (Abb. 9). Mengele ist in der Form von Erntemaschinen als materielles Objekt präsent, von Maschinen aus der Fabrikation der Augsburger Firma, die der Vater des SS-Lagerarztes betrieb. Im zweiten Motiv der Arbeit, dem Totentanz, ruft er aber im gleichen Atemzug rituelle Formen der Bewältigung des Todes auf. In dieser Doppelung wird die Ambivalenz des Animationsgedankens ausgespannt: Totes wird verlebendigt, in einem Tanz

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10  Peter Fischli und David Weiss: Der Lauf der Dinge, 16-mm-Film (auf Video kopiert), 1987, Videostill

wird der Toten gedacht, die im Theater der Erinnerung ihre Abwesenheit präsent machen. Belebte Wesen sterben, Maschinen verrotten, und die technische Reanimation, in der sich scheinbar autonom bewegende Maschinen in animierte Skelette verwandeln, reanimiert die Gespenster der Vergangenheit in Zeichen, deren Materialität selbst vom Verfall bedroht erscheint: Sie rosten, ächzen und quietschen und wirken gerade darum lebendig. Ganz in dieser Tradition einer Dialektik der Maschine zwischen Destruktion und Produktion, die mit Tinguelys Arbeiten sich materialisiert, steht auch die Arbeit Der Lauf der Dinge (1987) von Peter Fischli und David Weiss, uraufgeführt auf der Documenta 8 in Kassel (Abb. 10). Dieser 16-mm-Film, der später auf Video als Galerie-Format umkopiert worden ist, zeigt die Dialektik aus Zerstörung und Fortschreiten in einer Folge slapstick-artiger Ereignisse, in denen Objekte der Alltagswelt durch ihre Vorwärtsbewegung durch Raum und Zeit eine Kette von Zerstörungen, Feuern, Explosionen, Zusammenstößen initiieren. In streng kausalistischer, narrativer Abfolge, die wie ein negatives physikalisches Experiment verläuft, in dem die Elemente Feuer, Wasser und Luft mediale Momente liefern, scheint die mechanische Verbindung der Objekte eine einzige Maschine zu bilden. Doch dies nur scheinbar, denn die Perfektion der Destruktion ist keine der natürlichen Welt, deren Kausalismus ad absurdum geführt würde, sondern verdankt sich allein der filmischen Technik, die es erlaubt, Handlungsfolgen durch Montagen und Kameraeinstellungen als fortlaufende Bewegung erscheinen zu lassen, die in ihrer installativen Realität vor der Kamera in lauter einzelne Momente zerfällt, die keinerlei gegenseitige Wirkung aufeinander haben. Der Eindruck einer perfekten Maschine

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11  Jean Tinguely: Pit-Stop, 1984, Autoteile, Metallschrott, 16-mm-Filmprojektoren, 360 × 600 × 600 cm, Basel, Museum Tinguely

ist hier also eine technisch erzeugte Illusion: der Maschinentraum einer Maschine und ihres Maschinisten. Comolli hat diese Dimension des Maschinenhaften des Films zu einer eigenen Poetik verdichtet: »[…] the cinema is, to begin with, a machine that is heir to other machines, haunted and as if fascinated by them. The dialogue of machines. The attraction and seduction that involves the emphasis of plastic and choreographic dimensions in the representations of work. The cult of surface and of movement as quintessence of spectacle. Witness the industrial films, the commercials, reportage, the televised news; the length of shots, the careful framing, the flow tracking shots convey something like a cameraman’s delight in filming mechanical tools, cranes, car bodies, presses – all that moves in the sheen of metal, everything that slides, strikes, rises and falls in the immutable cadence of the metronomic beat. The eroticism of machines is captured to perfection by the cinerotic machine.« 22

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12  Fritz Lang: Metropolis, Deutschland 1927, Filmstill

Eine Poetik wird hier entworfen, die auch Tinguelys große kinetische Installation Pit-Stop (1984) charakterisiert, die als Auftragswerk von Renault entstanden ist und nicht nur Teile von Formel-1-Wagen und Eisenschrott, sondern auch vier 16-mm-Filmprojektoren installiert, die auf die Wände projizieren (Abb. 11).

Technik al s Medium einer Innen/AuSSen -Rel ation Comollis Argument, dass im Film eine Auseinandersetzung mit und über Maschinen stattfindet, hat zwei Komponenten. Zum einen attestiert er den Maschinen eine ästhetische Dimension, die in ihrer Materialität liegt, den haptischen Qualitäten der Metalle, den skulpturalen Effekten ebenso wie den sonoren, ihrem rhythmisch organsierten Klang, und vor allem ihrer Mobilität, die sie von außen als ein Perpetuum Mobile erscheinen lässt; ein Bild, das Fritz Lang in der Eröffnungssequenz von Metropolis metaphorisch überhöht – die Maschine wird ein Arrangement von Dampf austossenden Orgelpfeifen (Abb. 12). Zum anderen aber wird die äußere Maschine von der Maschine des Films zur Gänze in eine kinetische, sensomotorisch affizierende Fließbewegung aufgesogen und zum Inneren des Films.

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Diese Doppelbewegung von Außen und Innen, die Comolli für den Film reklamiert, hat Ernst Cassirer in seinem Aufsatz zu Form und Technik (1930) als grundlegend für die Interaktion von Mensch und Technik bestimmt: »In diesem Sinne gilt es auch vom technischen Wirken, daß es keineswegs auf die Gewinnung eines bloßen ›Draußen‹ gerichtet ist, sondern daß es eine eigentümliche Innenwendung und Rückwendung in sich schließt. Auch hier handelt es sich nicht darum, den einen Pol vom andern loszureißen, sondern vielmehr darum, beide in einem neuen Sinne durch einander zu bestimmen.« 23 In dieser Hinsicht ist Technik nicht ein bloßes Instrument zur externen Aneignung von Naturstoffen, sondern immer auch ein Entwurf, der projektiv auf die Erkenntnis der eigenen Welt- und Körperbezüge zurückwirkt, sich in diese zurückbiegt. Technik als Medium dieser Innen/Außen-Relation ist insofern nicht nur – oberflächlich gesehen – für die Kunst zuständig, vielmehr muss man davon ausgehen, dass gerade in der Kunst diese Relation zentral wird: Kunst ist auch eine Ausfächerung der Idiosynkrasien, misslingender und spielerischer Experimente mit unserer eigenen Technizität. Man kann dieses Verhältnis, wie ich es am Anfang getan habe, als Arbeits- oder Produktionsmodell begreifen, man kann es aber auch als eine auf ihm basierende Anthropologie begreifen. Es gibt keine gerade Linie, die von organischen Frühformen menschlicher Tätigkeiten zu höheren Formen der externalisierten Technik führt, die dann im letzten Stadium die organische Gattungskomponente hinter sich lässt. Vielmehr ist die technische Ausstülpung eine primäre Operation, mit der sich der Mensch (und vielleicht auch das Tier) zur Welt verhält. Die Kunst demontiert, auch da wo sie scheinbar andächtig Technisches fetischisiert (Fritz Lang negativ, Richard Wagner positiv), den falschen Dualismus, indem sie Maschinen und Instrumente neu orchestriert, sie ihrer eigenen Technik einverleibt. Darin macht sie unmissverständlich deutlich, dass die Technik, selbst wenn sie von ganz außen kommt, auf ein Inneres verweist, das man mit Willen, Bewusstsein und/oder Praxis verbinden könnte. Ernst Cassirer hat das am Schärfsten formuliert: »Gehen wir dieser Bestimmung nach, so zeigt sich, daß zunächst das Wissen vom Ich in einem ganz besonderen Sinne an die Form des technischen Tuns gebunden zu sein scheint. Die Grenze, die das rein organische Wirken von diesem technischen Tun trennt, ist zugleich eine scharfe und klare Demarkationslinie innerhalb der Entwicklung des Ich-Bewußtseins und der eigentlichen ›Selbst-Erkenntnis‹. Nach der rein physischen Seite stellt sich dies darin dar, daß dem Menschen das bestimmte und deutliche Bewußtsein der eigenen Leiblichkeit, das Bewußtsein seiner körperlichen Gestalt und seiner körperlichen Funktionen, erst dadurch erwächst, daß er beides nach außen wendet und gewissermaßen aus dem Reflex der äußeren Welt zurückgewinnt.« 24

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13  Polixeni Papapetrou: Stelarc, Performance Artist, 1990, Pigmentdruck, 85 × 85 cm, Auf lage 5 plus 2 A.P.

Von frühen Technik-Philosophien wie der von Ernst Kapp unterscheidet sich Cassirer durch den entscheidenden Schritt, der ihn vom Anthropozentrismus reiner Organverlängerungstheorien trennt. 25 Technik ist nicht einfach eine Ausstülpung des Körpers nach Außen, sondern »Reflex der äußeren Welt« im Bewusstsein, anthropomorph aber nicht anthropozentrisch. Die Maschinen und Roboter der Kunst reagieren hierauf. Sie versuchen sich ihrer humanen Kondition zu entledigen und als Maschine autonom zu werden – und doch träumen ihre Maschinen menschliche Träume. Der australische Medien- und Performancekünstler Stelarc (Abb. 13) nicht weniger als William Forsythe müssen sich in ihren eigenen Körpern als epistemische und sensorische Medien in Erfahrung bringen, um sich als eine Maschine zu entäußern, die von Außen kommt, wie die Industrieroboter, die Forsythe bewusst aus der Industrie- in die Kunsthalle deplaziert. Für sich genommen, sagt er, sind sie tödlich, weil sie nicht von selbst aufhören können; wie die Lemminge arbeiten sie unaufhörlich ihrem Untergang entgegen, bis sie jemand ausschaltet. Ihr Außen ist die Animation durch die metaphorisch erweiterbaren Maschinisten, durch Maschinisten, die Maschinen animieren, die uns animieren, sie zu animieren.

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Anmerkungen

Ein unfehlbarer Bau  Die Kuppel des Petersdoms im Widerstreit der Ideologien Aus dem Französischen übersetzt von Thomas Stauder.   1 Sebastiano Serlio: Il terzo libro, Venedig 1540, S. XXXIX. 2  Zur konfliktreichen Rezeptionsgeschichte des Bauwerks vgl. Pascal Dubourg Glatigny: L’architecture morte ou vive, les infortunes de la coupole de Saint-Pierre de Rome au XVIIIe siècle, Rom 2017. 3  Carlo Vespignani: Prima visita […] intorno alli peli o siano crepature vecchie della cuppola di S. Pietro, 1680, Rom, Archivio della Fabbrica di San Pietro (AFSP), Arm. 12, D, 3a, fol. 241. 4 

Ibid., fol. 241v–242v.

5 

Carlo Fontana: Il tempio Vaticano e sua origine, Rom 1694, S. 353 f.

6 

Vgl. ibid.

7  Vgl. Saverio Brunetti: Discorso intorno ai pericoli che minacciano la cupola, 22. September 1742, Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana, It. IV 661-5522; Giovanni Poleni: Memorie istoriche della gran cupola del Tempio Vaticano, Padua 1748, § 253–259. 8 

Ibid.

9 

Ibid.

10  Brief von Giovanni Francesco Olivieri an François Jacquier und Thomas Le Seur, 21. November 1742, FSP, Arm. 50, B, 17, fol. 997r. 11  José de Hermosilla y Sandoval: Architectura civil, Madrid, Biblioteca Nacional de España, MSS/7573; vgl. Pascal Dubourg Glatigny: François Jacquier et l’architecture, in: François Jacquier, un savant des Lumières entre le cloître et le monde (hrsg. v. Gilles Montègre u. Pierre Crépel), Nancy 2018, S. 331–338.

109  |  Ein unfehlbarer Bau

12  Vgl. François Jacquier, Thomas Le Seur u. Ruđer Boškovi´c : Parere di tre mattematici sopra i danni, che si  sono trovati nella cupola di S.  Pietro sul fine dell’anno MDCCXLII dato per ordine di Nostro Signore Papa Benedetto XIV, Rom o. J. [1743]. 13 

Ibid, S. XXXV.

14 

Poleni 1748, § 296, §299, §322–323, §388 u. §434.

15 

Vgl. Jacquier, Le Seur u. Boškovi´c [1743], S. XXXVI.

16 

Vgl. ibid.

17 

Ibid.

18 

Vgl. das hier im Anhang abgedruckte Dokument.

19 

Brunetti 1742.

20 

Ibid.

21  Brief von Antonio Leprotti an Giovanni Gaetano Bottari, 20. Oktober 1742, Rom, Biblioteca Corsiniana, Carteggio Bottari (32E21), fol. 63r. 22 

Vgl. John Wallis: Opera mathematica, Oxford 1695, Bd. I, S. 1056 ff.

23 

Brunetti 1742.

24 

Ibid.

25  Gaetano Chiaveri: Breve discorso circa i danni riconosciuti nella portentosa cupola di San Pietro di Roma, Pesaro 1767, S. 7. 26  Bericht von Bartolomeo Intieri, Giuseppe Orlandi u. Pietro di Martino, Venedig, Biblioteca Nazionale Marciana, It. IV 667-5528; Poleni 1748, § 397– 403. 27  Giovanni Battista Faure: Sentimenti di un filosofo, in: Scritture concernenti i danni della cupola di San Pietro di Roma e i loro rimedi, Venedig [recte: Florenz] o. J. [1745], S. 96. 28  Lelio Cosatti: Rif lessioni […] sopra il sistema dei tre RR. P mattematici e suo parere circa il patimento e risarcimento della gran cupola di San Pietro, Rom 1743, S. 10. 29 

Ibid.

30 

Faure [1745], S. 96.

31 

Ibid., S. 79.

32  Anonym: Sur les plantes de mer, in: Histoire de l’académie des sciences pour l’année MDCC, Paris 1761, S. 68–69. 33  Joseph Pitton de Tournefort: Description du Labyrinthe de Candie. Avec quelques observations sur l’accroissement et la génération des pierres, in: Mémoires de mathématique et de physique [de] l’académie des sciences. De l’année MDCCII, Paris 1743, S. 217–234.

110  |  Ein unfehlbarer Bau

Umgekehrte Intentionalität  Über emersive Bilder 1  Aby Warburg: MNEMOSYNE. Einleitung, in: id.: Der Bilderatlas Mnemosyne (hrsg. v. Martin Warnke u. Claudia Brink), Berlin, 2. Aufl. 2003 (Gesammelte Schriften. Studienausgabe, Bd. 2.1), S. 3–6, S. 3. 2  Vgl. Brief von Aby Warburg an Ernst Cassirer, 15.4.1924, in: Ernst Cassirer: Ausgewählter wissenschaftlicher Briefwechsel (hrsg. v. John Michael Krois), Hamburg 2009 (Nachgelassene Manuskripte und Texte, Bd. 18), S. 67. 3 

Zitiert nach Ernst H. Gombrich: Aby Warburg. An intellectual biography, London 1970, S. 255.

4  Neben Gombrich (1970) wären zu erwähnen: Robert Galitz u. Brita Reimers (Hrsg.): Aby M. Warburg: »ekstatische Nymphe … trauernder Flussgott«. Portrait eines Gelehrten, Hamburg 1995 (Schriftenreihe der Hamburgischen Kulturstiftung, Bd.  2); Bernd Roeck: Der junge Aby Warburg, München 1997; Charlotte Schoell-Glass: Aby Warburg und der Antisemitismus. Kulturwissenschaft als Geistespolitik, Frankfurt am Main 1998; Philippe-Alain Michaud: Aby Warburg et l’image en mouvement, Paris 1998; Karen Michels: Aby Warburg. Im Bannkreis der Ideen, München 2008; Georges Didi-Huberman; Das Nachleben der Bilder. Kunstgeschichte und Phantomzeit nach Aby Warburg, Berlin 2010; Marie-Anne Lescourret: Aby Warburg ou la tentation du regard, Malakoff 2013. 5  Vgl. Ludwig Binswanger u. Aby Warburg: Die unendliche Heilung. Aby Warburgs Krankengeschichte (hrsg. v. Chantal Marazia u. Davide Stimilli), Zürich u. Berlin 2007; Aby Warburg: Bilder aus dem Gebiet der Pueblo-Indianer in Nord-Amerika. Vorträge und Fotografien (hrsg. v. Uwe Fleckner), Berlin u. Boston 2018 (Gesammelte Schriften. Studienausgabe, Bd. III.2). 6  Aby Warburg: Fragmente zur Ausdruckskunde (hrsg. v. Ulrich Pfisterer u. Hans Christian Hönes), Berlin u. Boston 2015 (Gesammelte Schriften. Studienausgabe, Bd. IV), S. 162; vgl. Hans Blumenberg: Beschreibung des Menschen (hrsg. v. Manfred Sommer), Frankfurt am Main 2006, S. 570: »Eine Antwort auf die Frage, wie der Mensch möglich sei, könnte daher lauten, auf Distanz.« 7  Der Ausdruck »Umänderung der Denkart« findet sich in Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, B XVI. 8  Fritz Schumacher: Aby Warburg und seine Bibliothek, in: id.: Selbstgespräche. Erinnerungen und Betrachtungen, Hamburg 1949, S. 299–303, S. 301. 9  Aby Warburg: Die Einwirkung der Sphaera barbarica auf die kosmischen Orientierungsversuche des Abendlandes [1925], in: id.: Bilderreihen und Ausstellungen (hrsg. v. Uwe Fleckner u. Isabella Woldt), Berlin u. Boston 2012 (Gesammelte Schriften. Studienausgabe, Bd. II.2), S. 24 – 48, S. 41. 10  Ernst Cassirer: Keplers Stellung in der europäischen Geistesgeschichte [1930], in: id.: Aufsätze und kleine Schriften. 1927–1931, Hamburg 2004 (Gesammelte Werke. Hamburger Ausgabe, Bd. 17), S. 385–395, S. 387. 11 

Ibid., S. 392.

12  Zitiert nach Horst Bredekamp u. Claudia Wedepohl: Warburg, Cassirer und Einstein im Gespräch. Kepler als Schlüssel der Moderne, Berlin 2015, S. 34. 13 

Ibid., S. 54.

14 

Warburg 2012, S. 41.

15  Vgl. Alexandre Koyré: Leonardo, Pascal und die Entwicklung der kosmologischen Wissenschaft (übers. v. Horst Gunther), Berlin 1994, S.  24 –26; Edmund Husserl: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie [1936], Den Haag 1976, S. 20 f.

111  |  Umgekehrte Intentionalität

16  Brief von Fritz Saxl an den Verlag B. G. Teubner, Leipzig [um 1930], in: Warburg 2000, S. XIX. 17  Hartmut Böhme: Aby M. Warburg (1866–1929), in: Axel Michaels (Hrsg.): Klassiker der Religionswissenschaft. Von Friedrich Schleiermacher bis Mircea Eliade, München 1997, S.  133–156, S. 142. 18  Aby Warburg: Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg. Vor dem Kuratorium [1929], in: id.: Ausgewählte Schriften und Würdigungen (hrsg. v. Dieter Wuttke), Baden-Baden, 3. Aufl. 1992, S. 307–309, S. 307. 19 

Warburg 2003, S. 12.

20  Aby Warburg: Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten [1920], in: id.: Die Erneuerung der Heidnischen Antike. Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Geschichte der europäischen Renaissance (hrsg. v. Horst Bredekamp u. Michael Diers), Berlin 1998 (Gesammelte Schriften. Studienausgabe, Bd. I.2), S. 487–558, S. 534. 21 

Der Ausdruck »Denkraum der Besonnenheit« findet sich ibid.

22  Edmund Husserl: Phantasie, Bildbewußtsein, Erinnerung. Zur Phänomenologie der anschaulichen Vergegenwärtigungen. Texte aus dem Nachlaß (1898–1925) (hrsg. v. Eduard Marbach), Dordrecht 1980, S. 46. 23  Vgl. Jean-Paul Sartre: Das Imaginäre. Phänomenologische Psychologie der Einbildungskraft, Reinbek bei Hamburg 1980, S. 355 ff. 24  Für eine eingehendere Auseinandersetzung mit diesen Positionen vgl. Emmanuel Alloa: Das durchscheinende Bild. Konturen einer medialen Phänomenologie, Zürich 2018, Kap. IV. 25 

Hannah Arendt: Vom Leben des Geistes. Das Denken, München 1979, S. 55.

26  Paul Valéry. Tel Quel, in: id.: Œuvres (hrsg. v. Jean Hytier), Bd.  II, Paris 1960, S.  473–783, S. 729 (Analecta, LXVII). 27  Vgl. Roland Kuhn: Über Maskendeutung im Rorschachschen Versuch [1944], Basel u. New York, 2. Aufl. 1954. 28  Friedrich Nietzsche: Nachgelassene Fragmente 1885–1887 (Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden), München 1980, Bd. 12, S. 91. 29  Vgl. Maurice Blanchot: Die zwei Fassungen des Imaginären, in: Emmanuel Alloa (Hrsg.): Bildtheorien aus Frankreich. Eine Anthologie, München 2010, S. 89–102. 30  Henri Maldiney: Bild und Kunst, in: Emmanuel Alloa (Hrsg.): Bildtheorien aus Frankreich. Eine Anthologie, München 2010, S. 221–271, S. 244. 31  Jacques Lacan: Das Seminar. Buch XI. Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse [1964], Weinheim 1996, S. 81. 32  Für einen guten Überblick über das Phänomen der Immersion in bildlichen Welten vgl. ­C hristiane Voss u. Gertrud Koch: Fiktionale Immersion, in: Christiane Voss (Hrsg.): »Es ist, als ob«. Fiktionalität in Philosophie, Film- und Medienwissenschaft, Paderborn 2009, S. 127–138. 33  Im Nachgang des Vortrags wies mich Thomas Hensel (Pforzheim) dankenswerterweise darauf hin, dass der Begriff des »emergenten« Bildes schon von dem Filmwissenschaftler Michael Fürst verwendet worden ist. Für viele zahlreiche Beispiele von übergriffigen Bildern in der zeitgenössischen Kunst, aber auch vor allem in der Populärkultur und im Genrekino (speziell im Horrorfilm), vgl. Michael Fürst: Emersive Bilder. Angriff der Bilder auf ihr Publikum, Paderborn 2017. 34 

Warburg 2003, S. 3.

112  |  Umgekehrte Intentionalität

35 

Zit. nach Gombrich 1970, S. 218.

36  Brief von Aby Warburg an Franz Boas, 13. Dezember 1924, zitiert nach Benedetta Cestelli Guidi: Two Letters from the Warburg Archive. The Correspondence between Franz Boas and Aby Warburg (1924–25), in: RES. Anthropology and Aesthetics 52/2007, S. 221–230, S. 227. 37  Warburg 2015, S. 40 (Notiz vom 27. August 1890). Schon ein paar Monate früher ist die Rede vom »Kunstwerk als feindliches Object«, ibid. S. 35 (Notiz vom 20. März 1890). 38  Ibid., S.  5 (Notiz vom 13. Februar 1888). Zur Tragweite dieses Mottos vgl. Cornelia Zumbusch: Wissenschaft in Bildern. Symbol und dialektisches Bild in Aby Warburgs Mnemosyne-Atlas und Walter Benjamins Passagen-Werk, Berlin 2004 (Studien aus dem Warburg-Haus, Bd. 8), S. 216 ff; Frank Fehrenbach: »Du lebst und thust mir nichts«. Aby Warburg und die Lebendigkeit der Kunst, in: Johannes Endres u. Hartmut Böhme (Hrsg.): Der Code der Leidenschaften. Fetischismus in den Künsten, München 2010, S.  124 –145; Caroline van Eck: »Du lebst und thust mir nichts«!: Fear, empathy and projection, in: Frank Fehrenbach u. Cornelia Zumbusch (Hrsg.): Aby Warburg und die Natur. Epistemik, Ästhetik, Kulturtheorie, Berlin u. Boston 2019, S. 91–102. 39 

Warburg 2015, S. 5 (Nachträgliche Randnotiz vom 21. September 1896).

40 

Warburg 2003, S. 3.

41  Thomas Vongehr: Am Bodensee 1923. Husserl und die Psychiatrie. Husserl trifft Ludwig Binswanger und Aby Warburg, in: Mittelungsblatt für die Freunde des Husserl Archivs 33 (2010), S. 11–16. 42  Ludwig Binswanger u. Aby Warburg, Die unendliche Heilung. Aby Warburgs Krankengeschichte, hg. v. Chantal Marazia u. Davide Stimilli, Berlin/Zürich, diaphanes, 2007, S. 70 und 106. 43 

Vgl. Aby Warburg: Manet und die italienische Antike [1929], in: id. 2012, S. 367–386.

44  Vgl. Aby Warburg: Reise-Erinnerungen aus dem Gebiet der Pueblo-indianer [1923], in: id. 2018, S.  105–127, S.  111 u. S.  124 (Kommentar); zur Bedeutung dieser Holzstiche vgl. DidiHuberman 2010, S. 460 ff. 45  Vgl. Trevor Paglen: Invisible Images. Your Pictures Are Looking at You, in: Architectural Design 89-1/2019, S. 22–27. 46  Vgl. Emmanuel Alloa: Vom Stachel der Bilder, in: Internationales Jahrbuch für Medienphilosophie 3-1/2017, S. 137–162.

Mars regiert  Aby Warburg und das Pl anetarium des Krieges Der Beitrag basiert auf einem Vortrag, der im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Politische Emotionen« im Juli 2018 am Hamburger Warburg-Haus gehalten wurde; ich bin dieser Einrichtung und ihrem gesamten Team zu großem Dank verpflichtet für den Forschungsaufenthalt, den ich dort verbringen konnte. 1  Vgl. George F. Kennan: The Decline of Bismarck’s European Order. Franco-Russian Relations. 1875–1890, Princeton 1979, S. 3 (»the great seminal catastrophe of this century«). 2 

Karl Kraus: Das technoromantische Abenteuer, in: Die Fackel 474-483/1918, S. 41– 45.

3 

Vgl. Julia Encke: Augenblicke der Gefahr. Der Krieg und die Sinne. 1914–1934. München 2006.

113  |  Mars regiert

4  Vgl. Aby Warburg: Luftschiff und Tauchboot in der mittelalterlichen Vorstellungswelt [1913], in: id.: Werke in einem Band (hrsg. v. Martin Treml, Sigrid Weigel u. Perdita Ladwig), Berlin 2010, S. 415– 423. 5 

Ibid., S. 422.

6  Die Geschichte der astronomisch-astrologischen Bildersammlung Warburgs und der Ausstellung im Hamburger Planetarium ist dokumentiert in: Uwe Fleckner et al. (Hrsg.): Aby M. Warburg. Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde im Hamburger Planetarium, Hamburg 1993; vgl. Aby Warburg: Bildersammlung zur Geschichte von Sternglaube und Sternkunde, in: id.: Bilderreihen und Ausstellungen (hrsg. v. Uwe Fleckner u. Isabella Woldt), Berlin 2012 (Gesammelte Schriften. Studienausgabe, Bd. II.2), S. 389–395 (Kommentar: Uwe Fleckner). 7  Zu den technischen Voraussetzungen und die Imaginationsgeschichte des Planetariums vgl. Boris Goesl, Hans-Christian von Herrmann u. Kohei Suzuki (Hrsg.): Zum Planetarium. Wissensgeschichtliche Studien, Paderborn 2018. 8 

Helmut Werner: Die Sterne dürfet ihr verschwenden, Stuttgart 1953, S. 33.

9  Joachim Krausse: Sternenschau und Schalenbau. Die Doppelerfindung des Zeiss-Planetariums, in: Goesl, von Herrmann u. Suzuki 2018, S. 43–68, S. 43. 10 

Hans-Christian von Herrmann: Zum Planetarium, ibid., S. 13– 40, S. 23.

11 

Vgl. ibid., S. 17.

12 

Zu den Beziehungen zwischen Planetariums- und Filmprojektion vgl. ibid., S. 30.

13  Johann Wolfgang von Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre (hrsg. v. Gerhard Neumann u. Hans-Georg Dewitz), Frankfurt am Main 1989 (Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche, I. Abteilung, Bd. 10), S. 734; vgl. ibid., S. 736. 14 

Vgl. Anton Kaes: Shell Shock Cinema. Weimar Culture and the Wounds of War, Princeton 2010.

15  Walter Benjamin: Einbahnstraße (hrsg. v. Detlev Schöttker u. Steffen Haug), Frankfurt am Main 2009 (Werke und Nachlaß. Kritische Gesamtausgabe. Bd. 8), S. 75. 16  Zur Kriegspropaganda der Intellektuellen, Künstler und Wissenschaftler in der Anfangs­ phase  des Ersten Weltkriegs vgl. Kurt Flasch: Die geistige Mobilmachung. Die deutschen Intellek­ tuellen und der Erste Weltkrieg. Ein Versuch, Berlin 2000. 17 

Robert Musil: Tagebücher (hrsg. v. Adolf Frisé), Reinbek 1983, 2 Bde. Bd. 1, S. 298.

18 

Ibid.

19 

Ibid.

20 

Georg Lukács: Die Theorie des Romans [1920], Darmstadt u. Neuwied 1971, S. 21.

21  Vgl. Norbert Bolz: Auszug aus der entzauberten Welt. Philosophischer Extremismus zwischen den Weltkriegen, München 1989, S.  145–155; Stefan Breuer: Ästhetischer Fundamentalismus. ­Stefan George und der deutsche Antimodernismus, Darmstadt 1995, S. 114 –118. 22 

Benjamin 2009, S. 75.

23 

Ibid., S. 75 f.

24 

Ibid., S. 76.

25 

Ibid.

114  |  Mars regiert

26 

Ibid.

27 

Ibid., S. 75.

28  Zur Geschichte des Kalenders vgl. Gerald J. Whitrow: Die Erfindung der Zeit [1988], Hamburg 1991; Hannes E. Schlag: Ein Tag zuviel. Aus der Geschichte des Kalenders, Würzburg 1998; Jörg Rüpke: Zeit und Fest. Eine Kulturgeschichte des Kalenders, München 2006. 29  Zu Warburg und Usener vgl. Ernst H. Gombrich: Aby Warburg. Eine intellektuelle Biographie [1970], Hamburg 2012, S. 62 ff. 30  Nachdem in Frankreich seit Mitte des 18. Jahrhunderts systematisch an der Entschlüsselung orientalischer Sprachen und Schriften gearbeitet wurde, begann man in den antiken Götterfiguren und Fabelwesen das astronomische Wissen der vorderasiatischen und ägyptischen Antike wiederzuentdecken. Den Ursprung der Sternbilder wie auch der Planetengottheiten und weiterer religiöser Instanzen musste man, einer Abhandlung des Astronomen und Religionsforschers CharlesFrançois Dupuis aus dem Jahr 1781 zufolge, in den kulturellen Praktiken aufsuchen, die sich aus der antiken Himmelsbeobachtung entwickelt hatten; vgl. Charles-François Dupuis: Mémoire sur l’origine des constellations, et sur l’explication de la fable, par le moyen, de l’astronomie, Paris 1781. 31  Brief von Aby Warburg an das Deutsche Museum in München, 25. Juli 1927, zitiert nach Fleckner et al. 1993, S. 38. 32 

Ibid.

33 

Ibid.

34  Kepler besetzte daher für Warburg die epistemische Übergangsstelle zwischen dem Paradigma der Planetengottheiten und der analytischen Arbeit mit physikalisch-mathematischen Größen; vgl. Horst Bredekamp u. Claudia Wedepohl: Warburg, Cassirer und Einstein im Gespräch. Kepler als Schlüssel der Moderne, Berlin 2015, S. 37–39. 35 

Anonym: Erläuterung zu Abt. XVII: Kepler (1571–1630), in: Fleckner et al. 1993, S. 302.

36  Vgl. ibid., S. 302 f.; Warburg 2012, S. 452 f.; zum Einsatz der Fotografien in der Hamburger Bildersammlung vgl. Uwe Fleckner: La valeur éducative des reproductions photographiques. La »Collection d’images sur l’ histoire de l’astrologie et de l’astronomie« d’Aby Warburg au planétarium de Hambourg, in: Transbordeur photographie. Histoire – Sociéte (Themenheft »Photographie et exposition«) 2/2018, S. 78–91. 37 

Anonym: Erläuterung zu Abt. XVII: Kepler (1571–1630), in: Fleckner et al. 1993, S. 303.

38 

Benjamin 2009, S. 75.

39  Vgl. Marcus Twellmann: Das Drama der Souveränität. Hugo von Hofmannsthal und Carl Schmitt, München 2004. 40  Friedrich Schiller: Wallenstein (hrsg. v. Frithjof Stock), Frankfurt am Main 2000 (Werke und Briefe. Bd. 4), S. 155, I, 1. 41 

Ibid., Vers 1– 4.

42 

Ibid., Vers 11–16.

43  Festzuhalten ist, dass sich Schillers Geschichtsdrama Wallenstein schon auf der Ebene des historischen Gegenstandes (erst recht in der Epoche seiner literarischen Bearbeitung) mit einer epistemischen »Umstellung des Zeitdenkens« konfrontiert sieht, die mit einem »Zerfall prognostischer Deutungssysteme« einhergeht (Peter-André Alt: Klassische Endspiele. Das Theater Goethes und Schillers, München 2008, S. 157 f.).

115  |  Mars regiert

44  Insofern kann vermutet werden, dass die Aufstellung der Bildtafeln als bewusst aufklärerisches Gegenprogramm zum immersiven Suggestionscharakter der Projektionswelten des Planetariums gedacht war, um den »distanzlosen beziehungsweise ›magischen‹ Umgang mit dem Planetarium« zu konterkarieren (Kohei Suzuki: »… den Ruach in den Maschinenkloss bringen«. Aby Warburg und das Zeiss-Planetarium, in: Goesl, von Herrmann u. Suzuki 2018, S. 365–306, S. 293). 45  So etwa bei Platon im Timaios (in der Übersetzung von Friedrich Schleiermacher): »Gott habe das Sehvermögen uns ersonnen und verliehen, damit wir beim Erschauen der Kreisläufe der Vernunft am Himmel sie für die Umschwünge unserer eigenen Denkkraft benutzten, welche jenen, die regellosen den geregelten, verwandt sind, und, nachdem wir sie begriffen und zur naturgemäßen Richtigkeit unseres Nachdenkens gelangten, durch Nachahmung der durchaus von allem Abschweifen freien Bahnen Gottes unsere eigenen, dem Abschweifen unterworfenen danach ­ordnen möchten«; zitiert nach Platon: Timaios (hrsg. v. Walter F. Otto, Ernesto Grassi u. Gert ­Plamböck), Reinbek 1957 (Sämtliche Werke), Bd. 5, S. 141–213, 47c. 46  Brief von Aby Warburg an Max Warburg, 26. August 1928, zitiert nach Fleckner et al. 1993, S. 36. 47 

Ibid., S. 37.

48 

Ibid.

49  Brief von Aby Warburg an Karl Umlauf, 13. Oktober 1928, zitiert nach Fleckner et al. 1993, S. 61. 50  Vgl. Uwe Fleckner: Warburg als Erzieher. Bemerkungen zu einem »Erziehungsmittel für Gebildete und Ungebildete«, in: id. et al. 1993, S. 316–341, S. 319. 51 

Ibid.

52  Brief von Aby Warburg an Karl Umlauf, 13. Oktober 1928, zitiert nach Fleckner et al. 1993, S. 60. 53  Gershom Scholem: Walter Benjamin – die Geschichte einer Freundschaft, Frankfurt am Main 1975, S. 80. 54  Walter Benjamin: Der Ursprung des deutschen Trauerspiels (hrsg. v. Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser), Frankfurt am Main 1972 (Gesammelte Schriften, Bd. 1), S. 214. 55 

Ibid., S. 215.

Durch Distanz  Hans Blumenberg über Technik und Kunst 1  Vgl. Hans Blumenberg: Die kopernikanische Wende, Frankfurt am Main 1965; id.: Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt am Main 1966; id.: Der Prozeß der theoretischen Neugierde, Frankfurt am Main 1973; id.: Die Genesis der kopernikanischen Welt, Frankfurt am Main 1975. 2  Vgl. Hans Blumenberg: Beschreibung des Menschen (hrsg. v. Manfred Sommer), Frankfurt am Main 2006. 3 

Blumenberg 2006, S. 585.

4  Gemäß seiner Unterscheidung in Anthropologien des reichen und des armen Wesens Mensch darf Blumenbergs eigener Beitrag den letzteren zugeordnet werden, vgl. Hans Blumenberg: Anthro­ pologische Annäherung an die Aktualität der Rhetorik [1971], in: Ästhetische und metaphorolo­ gische Schriften (hrsg. v. Anselm Haverkamp), Frankfurt am Main 2001, S. 406– 431, S. 406.

116  | Durch Distanz

5 

Blumenberg 2006, S. 588.

6 

Blumenberg 1966, S. 91.

7  Vgl. Hans Blumenberg: Arbeit am Mythos, Frankfurt am Main 1979; vgl. auch Birgit Recki: Am Anfang war das Feuer, in: Brandbücher / Aschebücher. Perspektiven auf Hannes Möllers künstlerische Intervention in der Anna-Amalia-Bibliothek Weimar (hrsg. v. Reinhard Laube), Weimar 2020 (Konstellationen, Bd. 1), S. 40– 47. 8 

Vgl. Hans Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt am Main 1979.

9  Vgl. Hans Blumenberg: Schiff bruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher, Frankfurt am Main 1979. 10  Vgl. Birgit Recki: Auch eine Rehabilitierung der instrumentellen Vernunft. Hans Blumenberg über Technik und die kulturelle Natur des Menschen, in: Erinnerung an das Humane. Beiträge zur phänomenologischen Anthropologie Hans Blumenbergs (hrsg. v. Michael Moxter), Tübingen 2011, S. 39–61. 11 

Blumenberg 2006, S. 570.

12  Den Eindruck, dass dieser Bestimmung in der gegenwärtigen Krisensituation gesteigerte Aktualität zukommt, kann man nur billigend in Kauf nehmen; vgl. Birgit Recki: Die Krise als Chance? Gedanken über Distanz und Lebens-Kunst, in: Journal. Das Magazin der Hamburgischen Staatsoper 5-6/2020 (Themenheft »Weißt du, was du sahst?«), S. 60–61. 13  Vgl. Hans Blumenberg: Wirklichkeiten in denen wir leben. Aufsätze und eine Rede, Stuttgart 1981; zur Interpretation dieses Plurals vgl. Birgit Recki: Der Mensch und seine Wirklichkeiten. Hans Blumenberg über die Eigendynamik der Kultur, in: Weiter denken. Journal für Philosophie 1/2020, S. 4–9. 14 

Hans Blumenberg: Die Sorge geht über den Fluß, Frankfurt am Main 1987, S. 137.

15  Hans Blumenberg: Das Verhältnis von Natur und Technik als philosophisches Problem [1951], in: id.: Schriften zur Technik (hrsg. v. Alexander Schmitz u. Bernd Stiegler), Berlin 2015, S. 17–29, S. 18. 16 

Blumenberg 1981, S. 50.

17  Vgl. Hans Blumenberg: Lebenswelt und Technisierung unter Aspekten der Phänomenologie [1963], in: id. 2015 (Schriften zur Technik), S. 163–202. 18  Hans Blumenberg: Technik und Wahrheit [1953], in: id. 2015 (Schriften zur Technik), S. 42–50, S. 49. 19 

Vgl. Hans Blumenberg: Realität und Realismus (hrsg. v. Nicola Zambon), Berlin 2020.

20  Hans Blumenberg: Atommoral. Ein Gegenstück zur Atomstrategie [1946], in: id. 2015 (Schriften zur Technik), S. 7–16, S. 7. 21 

Ibid., S. 11.

22  Vgl. Hans Blumenberg: Ist eine philosophische Ethik gegenwärtig möglich?, in: Studium Generale 6/1953, S. 174–184; vgl. auch Birgit Recki (Hrsg.): Welche Technik?, Dresden 2020. 23  Hans Blumenberg: Alles über Futurologie. Ein Soliloquium, in: id.: Ein mögliches Selbstverständnis. Aus dem Nachlaß, Stuttgart 1997, S. 29. 24 

Blumenberg 2006, S. 591.

117  | Durch Distanz

25 

Blumenberg 1951, S. 27.

26  Vgl. exemplarisch Ernst Cassirer: Form und Technik [1930], in: id.: Aufsätze und kleine Schriften 1927–1931, Hamburg 2004 (Gesammelte Werke. Hamburger Ausgabe (hrsg. v. Birgit Recki), Bd. 17), S. 139–183, S. 174 ff. 27  Vgl. Jürgen Mittelstraß: Leonardo-Welt. Über Wissenschaft, Forschung und Verantwortung, Frankfurt am Main 1992; id.: Schöne neue Leonardo-Welt. Philosophische Betrachtungen, Berlin 2013; vgl. auch Birgit Recki: Natur und Technik. Eine Komplikation, Berlin 2021 (De Natura, Bd. 8). 28  Hans Blumenberg: »Nachahmung der Natur«. Zur Vorgeschichte der Idee des schöpferischen Menschen [1957], in: id. 2001, S. 9– 46, S. 14. 29 

Ibid., S. 58.

30 

Ibid., S. 58 f.

31  Vgl. Hans Blumenberg: Sokrates und das »objet ambigu«. Paul Valérys Auseinandersetzung mit der Tradition der Ontologie des ästhetischen Gegenstandes [1964], in: id. 2001, S. 74 –111; id.: Die essentielle Vieldeutigkeit des ästhetischen Gegenstandes [1966], ibid., S. 112–119. 32  Hans Blumenberg: Wirklichkeitsbegriff und Wirkungspotential des Mythos [1971], in: id. 2001, S. 327– 405, S. 329. 33  Vgl. Birgit Recki: Hans Blumenbergs ungeschriebene Ästhetik, in: Thomas Ebke u. Tatjana ­Sheplyakova (Hrsg.): Die Ästhetiken der Philosophischen Anthropologie, Berlin u. Boston 2020 (Internationales Jahrbuch für Philosophische Anthropologie, Bd. 9), S. 95–110. 34  Immanuel Kant: Kritik der Urtheilskraft [1790], in: id.: Akademie-Ausgabe, Bd. 5, § 49, S. 314. Vgl. dazu die Interpretation, die im von Kant pointierten Prozess der Auseinandersetzung mit der »ästhetischen Idee« den methodischen Nukleus der Hermeneutik erkennt, bei Rudolf A. Makkreel: Imagination and Interpretation in Kant. The Hermeneutical Import of the Critique of Judgment, London u. Chicago 1990; deutsche Ausgabe: Einbildungskraft und Interpretation. Die hermeneutische Tragweite von Kants »Kritik der Urteilskraft«, Paderborn 1997. 35  Im Inneren scheint der von Anselm Haverkamp besorgte Aufsatzband (Blumenberg 2001) dieser Besonderheit dann doch Rechnung tragen zu wollen. Das Inhaltsverzeichnis ist nämlich gegliedert in die Abteilungen »Poetik« – »Metapher« – »Rhetorik«. 36  Vgl. Hans Blumenberg: Schriften zur Literatur 1945–1958 (hrsg. v. Alexander Schmitz u. Bernd Stiegler), Berlin 2017; Recki 2020 (Hans Blumenbergs ungeschriebene Ästhetik). 37  Vgl. Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. Zweiter Teil: Das mythische Denken [1925], Hamburg 2002 (Gesammelte Werke. Hamburger Ausgabe (hrsg. v. Birgit Recki), Bd. 12). 38 

Blumenberg 1981, S. 165.

39  Hans Blumenberg: Rigorismus der Wahrheit. »Moses der Ägypter« und weitere Texte zu Freud und Arendt (hrsg. v. Ahlrich Meyer), Berlin 2015, S. 18. Die Formulierung bezieht sich auf Hannah Arendts Überzeugung, dass Eichmann nicht vor ein israelisches Gericht hätte gestellt werden dürfen, sondern von einem internationalen Gerichtshof hätte verurteilt werden müssen. 40  Die Datierung des Textes ist indessen fragwürdig. Der Herausgeber Ahlrich Meyer bestätigt sie zwar in seiner Editorischen Notiz, weist aber zugleich auf datierte Vorarbeiten hin, die »zumeist im Jahr 1978« erfolgt seien (Blumenberg 2015, S.  131). Auch ein Zitat aus einem Brief Blumenbergs aus dem Jahr 1988 spricht dafür, dass die Kenntnis des Buches und die Auseinandersetzung mit ihm deutlich vorher eingesetzt haben muss; vgl. Hannes Bajohr: Der Preis der Wahrheit. Hans ­B lumenberg über Hannah Arendts »Eichmann in Jerusalem«, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 792/2015, S. 52–59, S. 59.

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41  Es gibt für solche Übernahmen ohne jede Referenz auf den Urheber Präzedenzen, so zum Beispiel im Falle Ernst Cassirers: In Beschreibung des Menschen spricht Blumenberg ganz umstandslos vom Menschen als einem animal symbolicum (Blumenberg 2006, S. 614). Ich halte das nicht für ein Problem, weil die Formel allgemein viel zu bekannt ist, als dass Verwechslungsgefahr hinsichtlich ihres Urhebers aufkommen könnte; so spricht aus diesem Gestus der Selbstverständlichkeit außer einer Komplizenschaft des Autors mit dem mutmaßlich belesenen Leser ein Maximum an Anerkennung des ungenannt zitierten Autors. Denn in welchem Gestus erfolgen solche selbstverständlichen »Übergriffe«? Man bewegt sich in einem Element, in dem man einander kennt und geläufigen Umgang pflegt. Nicht zuletzt ist zu berücksichtigen, dass die Notizen unter dem Arbeitstitel »Moses der Ägypter« vom Autor nicht für die Veröffentlichung vorgesehen waren. 42  Aby Warburg: Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten, in: id.: Die Erneuerung der Heidnischen Antike. Kulturwissenschaftliche Beiträge zur Geschichte der europäischen Renaissance (hrsg. v. Horst Bredekamp u. Michael Diers), Berlin 1998 (Gesammelte Schriften, Bd. I.2), S. 487–535, S. 534. 43  Blumenberg 1979 (Arbeit am Mythos), S. 75. Der Primat der Worte vor den Bildern macht sich auch bemerkbar in der wie selbstverständlichen Anwendung von Warburgs Terminus »Pathosformel« auf die Sphäre des sprachlichen Ausdrucks, während es sich bei ihrem Urheber doch um einen bildpragmatischen Begriff handelt. Könnte Blumenberg diesen Satz wiederholen angesichts der traumatischen Erfahrungen der Cleaner in den sozialen Plattformen des World Wide Web? Hätte er ihn aufrechterhalten können angesichts der Bilder, die Didi-Huberman in seinem Buch Bilder trotz allem bespricht (vgl. Georges Didi-Huberman: Bilder trotz allem, Paderborn 2007)?

Ma schinenä sthetik  Animation durch Technik, Animation der Technik 1  Simon Strauss: Handyabrechnung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. September 2018, Nr. 226, S. 9. 2  Steve Lohr: Are Robots Coming For Your Job? Probably, in: New York Times, 23. September 218, S. B5. 3  Zitiert nach Karl Marx: Grundrisse der politischen Ökonomie [1857–1858], Berlin 1983 (MarxEngels-Werke, Bd. 42), S. 590; vgl. Andrew Ure: Philosophie des manufactures, ou économie industrielle de la fabrication du coton, de la laine, du lin et de la soie […], Brüssel 1836, 2 Bde. 4 

Marx 1983, S. 604.

5 

Ibid.

6 

Ibid.

7  Werner Busch hat darauf hingewiesen, dass in Menzels Darstellung eine externe BeobachterPerspektive eingebaut ist: »Doch der Fluchtpunkt selbst ist im Eisenwalzwerk sehr spezifisch vermerkt, er findet sich im Kopf des Dirigenten. So weit er sich auch im Hintergrund befindet, nicht nur laufen die sich verkürzenden Linien auf ihn zu, vielmehr unterscheidet er sich in doppelter Hinsicht von allem übrigen Personal. Er trägt nicht Arbeits-, sondern bürgerliche Straßenkleidung mit ›bowler hat‹, hat die nicht arbeitenden Hände auf dem Rücken verschränkt, schlendert durch die Halle, während die Arbeiter in jeder Hinsicht angespannt sind« (Werner Busch: Adolph Menzel. Leben und Werk, München 2004, S. 112).

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8  Vgl. Tom Gunning: Pictures of Crowd Splendor. The Mitchell and Kenyon Factory Gate Films, in: Vanessa Toulmin, Patrick Russell u. Simon Popple (Hrsg.): The Lost World of Mitchell and Kenyon. Edwardian Britain on Film, London 2004, S. 49–58. 9 

Friedrich Nietzsche: Menschliches Allzumenschliches [1878], I.446.

10  Vgl. Volker Gerhardt: Nietzsche und die Technik. Auf dem Weg zu einer Theorie des Bewusstseins, in: Sarah Bianchi (Hrsg.): Auf Nietzsches Balkon III. Beiträge aus der Villa Silberblick, Kromsdorf u. Weimar 2018 (Schriften aus dem Kolleg Friedrich Nietzsche), S. 110–123. 11 

Nietzsche 1878, I.66.

12  Brief von Friedrich Nietzsche an Heinrich Romundt, 15. April 1876, zitiert nach: Digitale Kritische Gesamtausgabe, BVN, 1876, Nr. 521, http://www.nietzschesource.org/#eKGWB/ BVN-1876 (31. Juli 2020). 13 

Friedrich Kittler: Grammophon, Film, Typewriter, Berlin 1986, S. 294 f.

14  Brief von Friedrich Nietzsche an Franz Overbeck, 17. März 1882, zitiert nach: Digitale Kritische Gesamtausgabe, BVN, Nr. 1882, Nr. 210, http://www.nietzschesource.org/#eKGWB/BVN1876 (31. Juli 2020). 15  Friedrich Nietzsche: ohne Titel (nachgelassenes Fragment), zitiert nach: Digitale Kritische Gesamtausgabe, NF, Nr. 1879, Nr. 40 [4], http://www.nietzschesource.org/#eKGWB/ NF-1879,40 (31. Juli 2020). 16  Jean-Louis Comolli: Mechanical Bodies, Ever More Heavenly, in: October 83/1998, S. 19–24, S. 24. 17  Gilbert Simondon: Die Existenzweise technischer Objekte, Zürich 2012, S. 11. Als »Dirigent« wurde der Ingenieur bezeichnet, der für das Zusammenspiel der Maschinen zuständig war. 18  William Forsythe (Interview mit Louise Neri), in: Gagosian Quarterly, 4/2017, https://gagosian.com/quarterly/2017/09/01/william-forsythe-louise-neri/ (31. Juli 2020). 19 

Ibid.

20 

Ibid.

21  Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie [1921–1922] (hrsg. v. Johannes Winckelmann), Tübingen, 5. Aufl. 1980 (Studienausgabe), S. 33. 22 

Comolli 1998, S. 19 f.

23  Ernst Cassirer: Form und Technik [1930], in: id.: Symbol, Technik, Sprache. Aufsätze aus den Jahren 1927–1933 (hrsg. v. Ernst Wolfgang Orth u. John Michael Krois), Hamburg 1985, S. 39–91, S. 71. 24 

Ibid.

25  Vgl. Ernst Kapp: Grundlinien einer Philosophie der Technik. Zur Entstehungsgeschichte der Cultur aus neuen Gesichtspunkten, Braunschweig 1877.

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Maschinenästhetik

Bildnachweise Beitrag Dubourg Glatigny Abb. 1 © Wolfgang Stuck Abb. 2–9 Archiv des Autors Beitrag Alloa Abb. 1, 7–9 Universität Hamburg, Kunstgeschichtliches Seminar Abb. 2, 4 © London, Warburg Institute Archive Abb. 3 Hamburg, Warburg-Haus, Archiv Abb. 5 Universität Hamburg, RRZ/MCC, Arvid Mentz Abb. 6 © Estate of Bernd Becher and Hilla Becher 2020 Beitrag Honold Abb. 1 © London, Warburg Institute Archive Abb. 2– 4 Universität Hamburg, RRZ/MCC, Arvid Mentz Abb. 5 Hamburg, Archiv Uwe Fleckner Beitrag Recki Abb. 1 © The Trustees of the British Museum Abb. 2 © Avda, Wikimedia Commons Abb. 3 © Mailand, Biblioteca Ambrosiana Beitrag Koch Abb. 1 © College Park, U.S. National Archives: 2020 Abb. 2 © Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Fotografie: Andres Kilger Abb. 3–7, 10, 12 Archiv der Autorin Abb. 8 © William Forsythe / Fotografie: Thomas Lannes Abb. 9 © Basel, Museum Tinguely Abb. 11 © Basel, Museum Tinguely / Donation Niki de Saint Phalle Abb. 13 © Polixeni Papapetrou, 2020

121  |  Bildnachweise

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