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German Pages 188 Year 1967
Volkswirtschaftliche Auswirkungen eines kostensparenden technischen Fortschritts Ein Beitrag zur Theorie der Wirtschaftspolitik
Von
Werner Noll
Duncker & Humblot . Berlin
WERNER NOLL
Volkswirtschaftliche Auswirkungen eines kostensparenden technischen Fortschritts
Volkswirtschaftliche Auswirkungen eines kostensparenden technischen Fortschritts Ein Beitrag zur Theorie der Wirtschaftspolitik
Von
DR. WERNER NOLL Privatdozent an der Universität Göttingen
DUNCKER
&
HUMBLOT/BERLIN
Als Habilitationsschrift der Göttinger Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Fakultät im Herbst 19S5 vorgelegt
Alle Rechte vorbehalten © 1967 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1967 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany
Meinem Lehrer Gisbert Rittig
Inhaltsübersicht
Einführung
9
Erstes Kapitel Die Möglichkeit volkswirtschaftlicher Verluste bei privatwirtschaftlicher Investitionsentscheidung
13
A. Problem und Zielstellung
13
B. Bedeutung und Messung des technischen Fortschrittes in einer konkreten Wirtschaft
24
C. Die Aktualität des Problems
33
Zweites Kapitel Die Grenzen der Lösungsversuche zur Kapitalwertbestimmung für die Messung von Kapitalverlusten
35
A. Der Kapitalbegriff
36
B. Produktivkapital als elementarer Produktionsfaktor
39
C. Die Messung des Produktivkapitals
42
1. Die Messung des Produktivkapitals in einer stationären Wirtschaft
43
2. Messungsversuche des Kapitalbestandes bei statischer bzw. komparativstatischer Betrachtungsweise
51
a) Messungsversuch von Knut Wicksell
51
b) Messungsversuch von John Maynard Keynes
59
c) Zusammenfassung
66
3. Messungsversuch des Kapitalbestandes unter dynamischem Aspekt
67
a) Joan Robinson
68
b) Nicholas Kaldor
72
c) Robert M. Solow
80
4. Ergebnisse und Folgerungen
93
Inhaltsverzeichnis
8
Drittes Kapitel Die „volkswirtschaftliche Profitrate des Kapitals" als Investitionskriterium
102
A. Die privatwirtschaftliche Profitrate des Kapitals
102
B. Die volkswirtschaftliche Profitrate des Kapitals
110
C. Umfang und Ausrichtung eines optimalen Spar- und Investitionsvolumens . . . . 116
Viertes Kapitel Analyse der volkswirtschaftlichen Auswirkungen eines kostensparenden technischen Fortschrittes mit Hilfe der volkswirtschaftlichen Profitrate
124
A. Vorhergesehene kostensparende technische Fortschritte
129
B. Unvorhergesehene kostensparende technische Fortschritte
136
C. Ergänzungen und Kontrolle
156
1. Learning by Döing
156
2. Unsichere Erwartungen
157
Fünftes Kapitel Reaktionen auf Fehlentwicklungen im marktwirtschaftlichen System A. Konzernierung des der Verlustgefahr ausgesetzten Kapitals
160 160
1. Die Diffusion des technischen Fortschrittes in einer monopolistischen Wirtschaft 164 2. Auswirkungen auf den Produktionsfaktor Arbeit
167
B. Steuerung durch die Geldmenge
173
Literaturverzeichnis
183
Einführung Die Formulierung „kostensparender technischer Fortschritt" läßt auf Anhieb zweierlei erkennen: 1. Das Hauptgewicht liegt auf technischen Fortschritten, die eine Verschiebung der Produktionsfunktion zur Folge haben. 2. Produktschaffende und produktverbessernde technische Fortschritte stehen nicht im Vordergrund. Wenn sie aber dennoch gelegentlich behandelt werden, so mehr aus dem demonstrativen Zweck, die generelle Gültigkeit der abgeleiteten Aussagen zu zeigen; so S. 127. Das verführt allerdings dazu, die Sortimentbetrachtung des Sozialprodukts zugunsten der Globalbetrachtung zu vernachlässigen. Die Diversifizierung — sicherlich eine nützliche Grundlage zum Aufbau einer Theorie der Wirtschaftspolitik — bleibt so außer acht. Andererseits darf die Formulierung den Leser nicht zu dem Schluß verleiten, daß hier die Diskussion um die bekannten beschäftigungs- und konjunkturtheoretischen Aspekte des technischen Fortschritts wieder aufgewärmt wird. Im I. Kapitel wird zwar das Für und Wider skizziert, doch ausschließlich, um die Problemverschiebung von der Faktor- zur Sozialproduktbetrachtung in der vorliegenden Arbeit deutlich werden zu lassen. Durch diese Problemverschiebung wird also das Sozialprodukt und seine globale Entwicklung zum bestimmenden Beurteilungskriterium erhoben. In diesem Zusammenhang wird die These aufgestellt, daß Fortschrittsinvestitionen volkswirtschaftlich nur unter ganz bestimmten Bedingungen rentabel sind; vgl. Seite 23. Im zweiten Kapitel konzentriert sich das Interesse auf die Messung des volkswirtschaftlichen Kapitalbestandes. Das darf nicht als ein Abrücken vom Beurteilungskriterium Sozialprodukt und dessen Entwicklung angesehen werden, denn es gibt eine Beziehung zwischen beiden Größen (S. 35). Geplant war zunächst, die volkswirtschaftlichen Auswirkungen am Vergleich der Gleichgewichte vor und nach Einführung des technischen Fortschritts erkennbar zu machen. Am ehesten wurde noch so ein Ergebnis erwartet. Aber es stellte sich heraus, daß es unmöglich ist, eine invariante Maßzahl des Kapitalbestandes zu finden. Das Problem ist nicht
10
Einführung
so sehr ein Index-Problem, es würde auch bestehen, wenn der Kapitalbestand völlig homogen wäre; vgl. S. 58. Es ist vielmehr ein Problem der allgemeinen Determinierung des Preissystems. Denn wäre das Preissystem determinierbar, wäre damit gleichzeitig auch das Problem der Aggregation überwunden. Da jedoch die Mikroökonomiker die Determinierung des Preissystems außer im stationären bzw. quasistationären Zustand nicht lösen konnten, können sie den Makroökonomikern folglich auch nicht vorwerfen, sie arbeiteten mit aggregierten Größen, ohne das Problem der Aggregation gelöst zu haben. Also beide — Mikro- wie Makroökonomiker — arbeiten mit demselben ungelösten Problem und tun so, als ob es nicht existiert. Es zeigt sich, daß ein intensives Studium zu den alten Problemen und Kapitaltheorien zurückführt, die beispielsweise von der Grenzproduktivitätstheorie nur überspielt wurden (S. 69 ff.). Die Grenzproduktivitätstheorie fußt nicht auf Kapital als originärem, sondern als abgeleitetem Produktionsfaktor. Spricht man von Grenzproduktivität des Kapitals, so ist die Maßeinheit, in der Kapital gemessen wird, nicht mit der, in welcher Konsumgüter gemessen werden, verträglich. Autoren, die eine Lösung des Problems versuchten bzw. Wege zur Vermeidung der Schwierigkeiten anboten, lassen sich — wie auf Seite 36 näher ausgeführt — in drei Gruppen gliedern. Dieser bloße Hinweis mag hierzu überblickend genügen. Bei der Suche nach einer Lösung mußte ich feststellen, daß Keynes seine monetäre Zinstheorie in der Hauptsache konzipiert hatte, nicht um eine seiner Ansicht nach richtige Zinstheorie aufzustellen, sondern um die zur Determinierung des Preissystems fehlende Größe aufzuspüren. Seine Kritiker versuchten dann aber, die Liquiditätstheorie durch Einbau realer Momente auf gesunde Beine zu stellen. Dadurch ergab sich das paradoxe Bild, daß die Liquiditätstheorie zwar „richtiger" wurde, aber damit den von Keynes gewollten Zweck verlor, nämlich einen unabhängigen Kapitalisierungsfaktor für die Messung des Kapitalbestandes einer Volkswirtschaft zu liefern (S. 60, 61). Ab Kapitel I I I wendet sich die Analyse wieder der Sozialproduktbetrachtung zu. Die Untersuchung wäre zum Scheitern verurteilt gewesen, wenn nicht eine Rückbesinnung auf das Ziel der Arbeit erfolgt wäre. Ziel war nicht, eine „richtige" Kapital- und Zinstheorie zu konzipieren (S. 103), sondern diese sollte nur das Kriterium für eine zeitlich richtig dosierte Einführung kostensparender technischer Fortschritte liefern.
Einführung
Die Untersuchung konnte nur deshalb weitergeführt werden, weil Verfasser sich von der Ergebnisbetrachtung abwandte, also nicht die volkswirtschaftlichen Auswirkungen aus der Warte des neuen Gleichgewichts nach Einführung des technischen Fortschritts zu beurteilen suchte (S. 125). Von da an verschiebt sich das Interesse auf den Anfang des Prozesses, auf die Investitionsentscheidung; wenn nämlich diese richtig ist, können die Folgewirkungen nicht falsch sein. Als Grundlage für die volkswirtschaftlich richtige Investitionsentscheidung wird der Begriff der „volkswirtschaftlichen Profitrate" eingeführt; vgl. S. 110 ff. Er unterscheidet sich von der privatwirtschaftlichen Profitrate dadurch, daß der gesamte Sozialproduktzuwachs dem verursachenden Faktor, der Investition, zugeordnet wird und nicht nur der Teil, der ihm verteilungstheoretisch aufgrund der Knappheits-Preisverhältnisse zufällt. Die beiden Begriffe sind nur im Gleichgewicht inhaltsgleich, sonst jedoch keineswegs. Im Ungleichgewicht differieren — wie man sagen könnte — produktionstheoretischer und verteilungstheoretischer Zinssatz. Trotzdem tut die MikroÖkonomie bei Verwendung des Marginalprinzips so, als wenn nie Diskrepanzen entstehen könnten. Deshalb sollte für eine Theorie der Wirtschaftspolitik, die sich ihrer Natur nach mit Ungleichgewichten beschäftigt, der produktionstheoretische Zinssatz immer dann zum Beurteilungskriterium gemacht werden, wenn die Wirtschaftspolitik mit dem Ziel der Maximierung des Sozialprodukts betrieben wird (S. 116). Daraus ergibt sich die Erkenntnis, daß die Makroökonomie in ihrer nichtmarginalen Betrachtungsweise das geeignetere Instrument für eine Theorie der Wirtschaftspolitik abgeben würde. Die Makroökonomie wurde so nicht als eine allgemeine, sondern als eine spezifische Wirtschaftstheorie identifiziert, genauso wie die MikroÖkonomie, die im Gegensatz dazu nicht auf den produktionstheoretischen, sondern auf den verteilungstheoretischen Zinssatz abstellt. Weiter wird im Kapitel I I I anhand der volkswirtschaftlichen Profitrate der Kapitalbildungsprozeß analysiert. Es zeigt sich, daß die Kapitalbildung unteroptimal ist, solange nicht der von ihr hervorgerufene Zuwachs der volkswirtschaftlichen Lohnsumme mit in die Sparentscheidung einbezogen wird. Nach der volkswirtschaftlichen Profitrate sollte stets entschieden werden, ob via Kapitalwertveränderung ein volkswirtschaftlicher Verlust eintritt oder nicht (S. 125). Die Bedeutung dieses Beurteilungskriteriums
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Einführung
wird an kostensparenden technischen Fortschritten im IV. Kapitel exemplifiziert und bestätigt. Das abschließende Kapitel V zieht einige spezielle Folgerungen. Es liefert eine theoretische Begründung für das Überwiegen arbeitssparender technischer Fortschritte (S. 172) und für die Remanenz von Preisführerschaften (S. 173). Schließlich wird durch Umdefinierung des Begriffs „neutrales Geld" eine nuancierte Geldpolitik des konstanten Preisniveaus bei kostensparenden technischen Fortschritten vorgeschlagen. Bei einer solchen Preispolitik werden den Kapitalbesitzern in ihrer Gesamtheit keine Kapitalverluste zugefügt. Die Arbeit versucht, die Theorie der Wirtschaftspolitik zu vereinheitlichen. Zwar werden expressis verbis nur Vermögens- und Entwicklungspolitik genannt (S. 115, 123), doch haben die Aussagen genauso Gültigkeit für die Standorts- und Außenhandelstheorie. In den letztgenannten beiden Bereichen ist Wirtschaftspolitik schon immer (List-Argument für Schutzzölle) nach der volkswirtschaftlichen Profitrate betrieben worden. Es muß verwundern, daß Schutzzölle zur Vermeidung von Kapitalverlusten im internationalen Handel als Argument gelten, dasselbe Argument innerhalb einer Region oder auf eine Unternehmung bezogen bislang aber nicht ins Feld geführt wurde. In dieser Arbeit heben sich solche Widersprüchlichkeiten der einzelnen Sparten der Theorie der Wirtschaftspolitik auf.
Erstes Kapitel Die Möglichkeit volkswirtschaftlicher Verluste bei privatwirtschaftlicher Investitionsentscheidung A. Problem und Zielstellung
Wenn bisher in der Wirtschaftstheorie die Auswirkungen der Einführung eines kostensparenden technischen Fortschrittes diskutiert wurden, so geschah das vornehmlich unter beschäftigungspolitischem Aspekt. Es ging um das Für und Wider der Freisetzungs- und Kompensationstheorie. Diese Auseinandersetzung soll nicht wieder aufgegriffen werden 1. Dennoch wird eine Skizze der Diskussion gebracht und zwar nicht, um einen weiteren Beitrag zu liefern, sondern weil anhand dieser Diskussion für die vorliegende Arbeit die Problemverschiebung von der Faktor- zur Sozialproduktsbetrachtung deutlich wird. Zweck der Analyse der volkswirtschaftlichen Auswirkungen eines kostensparenden technischen Fortschrittes ist die Bestimmung des optimalen Zeitpunktes der Einführung des technischen Fortschrittes. Wann er vorliegt, soll mit Hilfe der Veränderung des Sozialproduktes während der Ubergangsphase entschieden werden, wobei die Ubergangsphase mit der Installation des besten technischen Wissens und Erreichung des neuen Gleichgewichts abgeschlossen ist. Sollte sich das Sozialprodukt absolut vermindern oder optisch eine stärkere Steigerung erfahren als realiter, müßte man von volkswirtschaftlichen Verlusten bzw. Scheingewinnen sprechen, die zeitlich eine Streckung der Einführung nicht nur wünschenswert, sondern zur Vermeidung volkswirtschaftlicher Verluste geradezu erforderlich machen. Den Gedanken einer Beurteilung von hier und aus der Sicht des Sozialproduktes hatte an sich schon Pigou, wenn er schreibt: „Some writers unaccustomed to mathematical analysis have imagined that, when impro1 M. E. hat Alfred Kahler bereits 1933 die wesentlichen Argumente überzeugend dargestellt, vgl.: „Die Theorie der Arbeiterfreisetzung durch die Maschine" (Diss.), Leipzig 1933, S. 75—80, 125—131.
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Die Möglichkeit volkswirtschaftlicher Verluste
ved methods of producing some commodities are introduced, the value of the marginal social net product of the resources invested in developing these methods is less than the value of the marginal net product, because there is not included in the latter any allowance for the depreciation which the improvement causes in the value of existing plant; and, as they hold, in order to arrive at the value of the marginal social net product, such allowance ought to be included2." Pigou beschäftigt sich offenbar mit der Möglichkeit, daß die privatwirtschaftlichen Entscheidungen der Einführung des technischen Fortschrittes zu volkswirtschaftlichen Verlusten führen könnten. Er läßt diesen Gedanken aber wieder fallen, weil er meint, bei genauer Überlegung wäre eine Divergenz zwischen privatem und volkswirtschaftlichem Grenzprodukt aus logischen Gründen unmöglich. Pigou argumentiert wie folgt: Gleichgültig, welchen Verlust die alten Unternehmer durch Preissenkung erleiden, er wird aufgewogen durch die Gewinne der Konsumenten, entstanden aus eben dieser Preissenkung. Unmittelbar plausibel ist diese generelle Behauptung, wenn die Preissenkung es erlaubt, daß neben den Betriebskosten noch ein Teil der fixen Kosten im Erlös entgolten wird. Die alten Betriebe halten ihre Produktion aufrecht3. Hierin wird ein Beweis für die These gesehen, daß privat- und volkswirtschaftlich die Einführung des technischen Fortschrittes zu befürworten ist. Wird hingegen die Produktion völlig eingestellt, erscheint die Antwort auf den ersten Blick zweifelhaft. Macht man sich aber klar, daß die Produktion deshalb eingestellt wird, weil die Kostensenkung und in ihrem Gefolge die Preissenkung ein derartiges Ausmaß haben, daß nicht einmal teilweise die fixen Kosten der alten Anlage im Preis ersetzt werden, daß also der Produktpreis mindestens um den Anteil der fixen Kosten abgesunken ist, erscheint audi der extreme zweite Fall eindeutig. Pigou sieht damit als erwiesen an, daß den Verlusten auf der Produzentenseite gleichwertige Gewinne auf der Konsumentenseite gegenüberstehen. Den neuen Unternehmern die Verluste der alten Produzenten anzurechnen, sei deshalb eine Doppelrechnung. 2 Vgl. sein berühmtes Kapitel: „Divergencies between marginal social net product and marginal private net product", in „The Economics of Welfare", 4. Aufl., rpr., London 1950, S. 188—190. 3 Pigou geht davon aus, daß der technische Fortschritt sich in einer Senkung der fixen Kosten bei konstanten Betriebskosten pro Stück bemerkbar macht.
Problem und Zielstellung
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Die Kritiker 4 beschränken sich auf eine Analyse des zweiten Falles. Die Überlegungen zum ersten Fall mochten noch hingenommen werden. Schließlich war hier davon ausgegangen, daß die alten Betriebe ihr Produktionsvolumen aufrecht hielten. Daß aber auch in dem viel tiefergreifenden zweiten Falle eine Erhöhung des privaten Grenzproduktes eine gleich große Erhöhung des volkswirtschaftlichen Grenzproduktes bedeuten solle, stand im krassen Widerspruch zur Empirie. Der gegen Pigou erhobene entscheidende Einwand ist jedoch, er habe nur langfristige Gleichgewichtslagen im Auge, übersehe aber die Auswirkungen in den Übergangsperioden. Die Kritiker glauben, den Nachweis erbringen zu können, daß bei kurzfristiger Betrachtungsweise sich privatwirtschaftliche und volkswirtschaftliche Interessen nicht immer decken. Damit ist jedoch nicht gemeint, daß der einzelne Unternehmer sich bewußt volkswirtschaftsschädlich verhält. Diskrepanzen treten ein, weil er die Sekundärwirkungen einfach nicht überblicken kann, durch die möglicherweise seine eigene Investition zu einer Fehlinvestition wird. Die Kritiker sind der Ansicht, der Argumentation Pigous nur dann ohne Bedenken zustimmen zu können, wenn 1. alle Produktionsfaktoren vollbeschäftigt bleiben und 2. die Preise der Produktionsfaktoren in der Relation erstarren, die Grundlage für die Neu-Investitionsentscheidung war. (1) Im allgemeinen werden durch die Einführung eines kostensparenden technischen Fortschrittes Produktionsfaktoren freigesetzt. Diese Aussage gilt auch dann, wenn von der Nachfrageseite vorerst keine Auswirkungen zu erwarten sind; d. h., wenn die Nachfrageelastizität für den die Verbesserung einführenden Bereich gleich eins ist. Voraussetzungsgemäß bleibt in diesem Falle die Erlössumme konstant, und der Preis des einzelnen Produktes erreicht maximal die Höhe des früheren Lohnkostenanteils, da sonst die alte Anlage nicht aufzugeben wäre. Würde das Produkt mit Hilfe eines Produktionsverfahrens hergestellt, das kein Kapital erfordert, könnte die Lohnsumme um den Betrag der periodisch angefallenen alten Kapitalkosten steigen. Ein solches Verfahren ist aber in einer modernen Wirtschaft undenkbar. Deshalb wird notwendig ein Teil des Erlöses dem durch das neue Verfahren bedingten Kapital zukommen. Dieser Teil wird mindestens die Höhe der alten Kapitalkosten ausmachen. Er wird in der Regel durch das Produkt von 4 Adolf Löwe, „The Social Productivity of Technical Improvements", The Manchester School, Vol. V I I I , 1937, S. 109—124.
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Die Möglichkeit volkswirtschaftlicher Verluste
Einsatzmenge und Wertgrenzproduktivität des Kapitals bestimmt. Die Einsatzmenge ist kurzfristig gegeben. Sollte dieser Teil auf Grund der Wertgrenzproduktivität des Kapitals kleiner sein, würde die Preisbestimmung des Produktionsfaktors Kapital nach der Wertgrenzproduktivität durch ein monopolistisches Element außer Kraft gesetzt, welches dadurch wirksam wird, daß Kapital zu einem bestimmten Zeitpunkt in bestimmten Mengen und Formen auftritt. Ist die Nachfrageelastizität kleiner oder größer als eins, treten allein von der Nachfrageseite gesamtvolkswirtschaftlich gesehen Freisetzungen auf. Da es den Kritikern bisher nur um diesen Nachweis geht, kann deren erneuter Beweis von der Produktionsseite unterbleiben. Es sei schon hier daran erinnert, daß es sich nur um Freisetzungen des Produktionsfaktors Arbeit handeln kann, die den volkswirtschaftlichen Gewinn verringern. Denn bislang wurde nie bestritten, daß die Kapitalverluste durch Realeinkommenszuwächse der Konsumenten aufgewogen werden. Demnach müßte der Freisetzungseffekt dann am größten sein, wenn ein arbeitssparender technischer Fortschritt in einem Bereich eingeführt wird, in welchem die Nachfrageelastizität größer als eins ist. Wegen der Freisetzung von Arbeitskräften wird es auf dem Arbeitsmarkt als Folge zu Lohnsenkungen kommen. Ob diese Lohnsenkungen hinreichend sein können und die Arbeiter anderweitig wieder in den Produktionsprozeß eingliedern, ist Problem. Das hängt davon ab, ob der Grenzproduktivitätstheorie kurzfristig Aussagekraft beigemessen werden kann oder anders gesagt: ob die Grenzproduktivitätstheorie auch kurzfristig gilt. Es ist zuzugeben, daß in einer modernen Volkswirtschaft die freigesetzten Arbeitskräfte in irgendeiner Form mit fixem Kapital auszustatten sind. Wenn die Grenzproduktivitätstheorie die Wiedereingliederung erklären soll, muß sie zeigen, daß der vorhandene Kapitalbestand in der Lage ist, bei entsprechend der Grenzproduktivität sinkenden Lohnsätzen die Arbeitslosen aufzunehmen. Eine genauere Überlegung zeigt jedoch, daß nicht nur der Lohn beliebig flexibel, sondern auch das Kapital in jede beliebige Form verwandelbar sein muß. Letzteres ist jedoch nur bei Auftreten von Kapital in Geldform der Fall. Hat sich der Unternehmer auf Grund herrschender Marktpreise für Kapital und Arbeit zu einem bestimmten Investitionstyp entschieden, dann ist das Geldkapital in die reale Form einer bestimmten Technik überführt und kann kurzfristig nicht wieder herausgezogen werden.
Problem und Zielstellung
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Für das Ergebnis ist es gleichgültig, ob gesagt wird, die Grenzproduktivitätstheorie stimmt kurzfristig nicht oder die Grenzproduktivität der Arbeit ist kurzfristig nahe Null. Auf jeden Fall kann die Eingliederung der freigesetzten Arbeitskräfte nur sukzessiv und in Abhängigkeit von der Kapitalbildung erfolgen. Damit wäre erwiesen, daß der volle volkswirtschaftliche Gewinn eines technischen Fortschrittes erst nach einer längeren Zeitdauer und zwar erst dann, wenn alle freigesetzten Arbeiter wieder eingesetzt sind, zu Buche schlägt. Dem halten die Anhänger der Kompensationstheorie entgegen, daß auch bei nichtbeliebiger Verwendbarkeit des vorhandenen Kapitalbestandes die Kompensation gelingen wird. Denn Geldkapital in Höhe des Bruttosparvolumens steht zur freien Verfügung. Dieses Argument ist nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen; vor allem dann nicht, wenn man bedenkt, daß das Realeinkommen der Konsumenten sich infolge der Preissenkung erhöht hat und von daher ein erhöhtes Sparen zu erwarten ist. Ob die Verfügungsmasse zur Wiederbeschäftigung aller Produktionsfaktoren ausreicht, wird von der Zahl der freigesetzten Arbeiter und dem Verlauf der Grenzproduktivitätskurve abhängen. Die Bruttosparsumme darf aber in ihrer Bedeutung nicht überschätzt werden. Schließlich handelt es sich um eine Strömungsgröße, die bei Umwandlung in fixes Kapital je nach Kapitalintensität ein Vielfaches dessen an Kapital bindet, was an Kapital erforderlich wäre, wenn dieses sich in einer Periode umschlagen würde. Die Anhänger der Kompensationstheorie argumentieren weiter: durch die Lohnsenkung würden Industrien mit relativ arbeitsintensiver Produktion begünstigt. Die Richtigkeit dieser Behauptung hängt von zwei schwer zu beweisenden Annahmen ab. Erstens müssen die freigesetzten Arbeitskräfte in jedem Beruf und an jedem Ort einsetzbar sein, eine Annahme, die bei der berufsmäßigen und regionalen Spezialisierung in einer modernen Wirtschaft nicht ohne weiteres zu verifizieren ist. Zweitens wird die Nachfrage der Konsumenten ausschließlich als vom Angebotspreis abhängig angesehen und unterstellt, daß sie sich gerade dorthin wendet, wo sie nach den technischen Bedingungen für eine Beseitigung der Arbeitslosigkeit erforderlich ist. Wenn diese Annahme richtig wäre, hinge die Nachfrageelastizität allein von den technischen Bedingungen der Produktion ab. Daß das nicht zutrifft, ist unmittelbar einsichtig. 2 Noll
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Die Möglichkeit volkswirtschaftlicher Verluste
Es kann deshalb gefolgert werden: Komplementarität der Produktionsfaktoren und Spezialisierung der Arbeit nach Beruf und Ort lassen es als problematisch erscheinen, ob kurzfristig mit Hilfe des frei fungiblen Bruttosparvolumens eine Kompensation stets gelingt. Deshalb besteht der Satz zu Recht: Es ist möglich, wenn auch nicht notwendig, daß der volle Gewinn aus der Einführung eines kostensparenden technischen Fortschrittes erst sukzessiv und nach einer Reihe von Übergangsperioden im neuen Gleichgewicht der Volkswirtschaft zugute kommt. (2) Die Vernachlässigung der Übergangsperioden hat nach Ansicht der Kritiker Pigous eine weitere wichtige Konsequenz: Nur solange Lohn und Zins in der Höhe bestehen bleiben, welche für die Kalkulation der Fortschrittsinvestitionen maßgeblich war, kann davon gesprochen werden, daß die Investitionen privat- und volkswirtschaftlich gerechtfertigt sind. Demgegenüber wurde unter (1) die Tendenz zum Absinken der Löhne abgeleitet. Des weiteren wurde eine erhöhte Nachfrage nach Sparmitteln nachgewiesen. Dem stand allerdings ein erhöhtes Angebot an Sparmitteln gegenüber, da die Unternehmer im Bereich des technischen Fortschrittes zusätzliche Gewinne machten bzw. die Realeinkommen der Konsumenten stiegen. Wie groß die Erhöhung des Sparmittelangebotes ist, hängt von der Bedürfnisstruktur dieser beiden Gruppen ab. Da aber die Bedürfnisstruktur psychologisch-soziologischer Natur ist, kann von vornherein keine Aussage darüber gemacht werden, welche der beiden Tendenzen überwiegt oder ob die beiden Tendenzen sich aufheben. Wahrscheinlich ist eine Lohnsenkung bei Zinserhöhung. Bereits deshalb erweisen sich die neuen Anlagen nicht mehr als optimal. Vom volkswirtschaftlichen Standpunkt rechneten die Unternehmer während der Herstellungszeit der neuen Anlagen mit einem zu niedrigen Zinssatz. Die Folge war ein zu hohes Investitionsvolumen. Wäre es geringer geblieben, so wären auch Lohnsenkung und Zinssteigerung nach Einsatz der neuen Anlagen geringer. Darum sind beide Stadien vom sozialen Optimum her unökonomisch. Da Lohn- und Zinsänderung generell für die gesamte Volkswirtschaft gelten, sind auch die Fehlinvestitionen ein ganz allgemeines volkswirtschaftliches Phänomen. Es mag eingewandt werden, daß in einer dynamischen Wirtschaft alle Investitionsentscheidungen unter dem Risiko unvorhersehbarer Änderungen stehen. Das ist zwar richtig. Aber es bleibt zu bedenken, daß die skizzierten Veränderungen nicht unabhängig vom Produktionsprozeß er-
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folgten, sondern im Gegenteil gerade von ihm verursacht wurden. Deshalb müssen diese Sekundäreffekte in eine Buchhaltung über Vor- und Nachteile eines technischen Fortschrittes aufgenommen werden. Bei Erwägung der Wichtigkeit dieses zweiten Punktes erhebt sich die Frage, ob die geschilderten Faktorpreisveränderungen auf die alten Anlagen eine erhaltende Wirkung haben; das um so mehr, als die Lohnkosten den größten Teil der variablen Kosten ausmachen. Die Grenzkosten der alten Anlagen bewegen sich somit in Richtung auf ein niedrigeres Niveau. Die Kostensteigerung in Form von Zinserhöhungen schlägt für die alten Anlagen nicht zu Buche, weil sie hauptsächlich als Kostenelement in den fixen Kosten auftreten, die nach Ausscheiden der alten Anlagen aus dem Produktionsprozeß als Verlust der Unternehmer angesehen werden mußten. Auf Verluste muß aber kein Zins gezahlt werden. Es spricht deshalb einiges für die zumindest teilweise Wiederaufnahme der Produktion seitens der alten Anlagen. Diese Rückeingliederung wird durch die Tatsache unterstützt, daß die neuen Anlagen durch die Faktorpreisveränderungen bereits inoptimal geworden sind. Dadurch wird der Produktpreis der Tendenz nach steigen. Die Menge der freigesetzten Produktionsfaktoren wird auf diesem Wege verringert. Bei angenommenem u-förmigem Grenzkostenverlauf erfolgt die Wiedereingliederung allerdings nicht proportional zu der der Betriebe, da durch diesen rückläufigen Prozeß die Ausgangslage nicht erreicht wird. Zu erwarten ist lediglich eine teilweise Rückerstattung der fixen Kosten. In diesem Ausmaß bekommen die alten Anlagen nun auch wieder einen Wert. Unwahrscheinlich ist, daß die Inoptimalität einen solchen Grad erreicht, der die neuen Anlagen zum Ausscheiden aus dem Produktionsprozeß zwingt. Dieses Argument gegen die Freisetzungstheoretiker führt bereits Wiekseil 5 gegen Ricardo ins Feld. Anhand eines Zahlenbeispiels beweist er, daß das physisch mögliche Maximum des Produktionsvolumens dann erreicht ist, wenn eine Teilung der Produktion zwischen der alten und neuen Produktionsweise in den betrachteten Ubergangsperioden erfolgt. Trotz dieser Einschränkung trifft auch der zweite Einwand der Freisetzungstheoretiker im Grundsätzlichen zu. Die bisherigen Überlegungen haben gezeigt, daß der volle volkswirtschaftliche Gewinn eines technischen Fortschrittes aus zwei Gründen erst nach einer Reihe von Übergangsperioden realisiert wird: 5 Knut Wickseil, „Vorlesungen über Nationalökonomie auf der Grundlage des Marginalprinzips", Bd. 1, Jena 1913, S. 199—202.
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(1) Produktionsfaktoren werden zeitweilig freigesetzt und (2) die optimale Allokation der Produktionsfaktoren wird durch nachträgliche Farktorpreisänderungen systembedingt verhindert. Was besagt das Ergebnis? Es besagt, daß das Sozialprodukt hätte größer sein können, als es in Wirklichkeit ist. Hayek 6 hat deshalb nicht recht, wenn er meint, ein intelligenter Wirtschaftsdiktator könnte sich nicht anders entscheiden, als das zu tun, was die Konkurrenzwirtschaft von selbst besorgt. Der zitierte Wirtschaftsdiktator würde die geschilderten Sekundäreffekte in seine Überlegungen mit einbeziehen. Er würde sein Entscheidungskalkül auf die langfristigen Tendenzen des Systems ausrichten. Es mag darüber gestritten werden, ob diese Vorteile es wert sind, gegen die Vorteile eines freien Marktsystems eingetauscht zu werden. Immerhin sollte man wissen, was das Konkurrenzsystem volkswirtschaftlich kostet. Das Ergebnis besagt nicht, daß während der Übergangsperioden gesamtvolkswirtschaftlich ein Verlust auftritt. Davon könnte nur gesprochen werden, wenn das Sozialprodukt kleiner als in der Ausgangslage geworden ist. Das hängt entscheidend davon ab, ob die Ausbringungsmenge allein im Bereich des technischen Fortschrittes gestiegen oder gesunken ist. Freisetzungen außerhalb dieses Bereichs kommen nur aufgrund von Konsumentenentscheidungen zustande. Sie können deshalb nicht grundsätzlich mit negativem Vorzeichen versehen werden. Der technische Fortschritt läßt sich als Produktion der gleichen Ausbringungsmenge mit geringerem Faktoreinsatz definieren. Ohne weiteren Beweis kann dann daraus geschlossen werden, daß das Sozialprodukt nicht abgesunken sein kann. Werden das Sozialprodukt und die Sozialproduktentwicklung — nicht der Umfang der Beschäftigung des Produktionsfaktors Arbeit — zum zentralen Beurteilungskriterium gewählt, muß der Streit zwischen den Anhängern der Freisetzungstheorie und denen der Kompensationstheorie demnach als ein Streit um das Ausmaß des zusätzlichen Gewinnes einer Volkswirtschaft gedeutet werden. Keinesfalls tritt allein durch den technischen Fortschritt ein gesamtvolkswirtschaftliches Defizit ein.
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Friedrich A. Hayek, „Technischer Fortschritt und Überkapazität", österreichische Zeitschrift für Bankwesen, Bd. 1—3, 1936—38, S. 15.
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Dieser Schluß mag vor allem die Freisetzungstheoretiker verwundern. Bereits Ricardo 1 — der sich in diesem Zusammenhang als Anhänger der Freisetzungstheorie ausweist — behauptete das Gegenteil. So scheint hier aufgrund der vorhergehenden Überlegungen die Widerlegung gelungen, und zwar nicht mit den Argumenten der Kompensationstheoretiker 8, sondern allein in eigenständiger Art und Weise. Dennoch steht das Auftreten größerer volkswirtschaftlicher Verluste als die zusammenfassend unter (1) und (2) geschilderten außer Zweifel. Es ist möglich, daß der technische Fortschritt konjunkturverursachende monetäre, strukturelle oder psychologische Faktoren im Gefolge hat, wenn nur die Freisetzung weit gestreut ist und lange genug andauert. Damit würde sich die Darstellung auf das weite Feld einer Theorie der Konjunkturzyklen begeben. Es kann aber nicht Aufgabe dieser Arbeit sein, monetäre und psychologische Konjunkturtheorien oder die Disproportionalitätsthese auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. In der vorliegenden Arbeit wird ein neuer Ansatz gesucht. Die Kritik an dem vorangestellten Zitat aus Pigous „The Economics of Weifare" setzt bereits früher ein. Es wird nämlich die These angezweifelt, daß die Kapitalentwertung alter Anlagen allein keinen volkswirtschaftlichen Verlust auslösen kann. Die hier zu diskutierenden Probleme entstehen also nicht aus der Notwendigkeit, neue Kapitalanlagen aufzubauen, sie entstehen vielmehr aus der vorzeitigen Veralterung der Kapitalanlagen. Die Kapitalentwertung ist ein allgemeines Phänomen. Sie erfolgt immer dann, wenn unvorhergesehene oder unvorhersehbare negative Veränderungen auftreten. Der Fall des technischen Fortschrittes wurde lediglich herausgegriffen, weil hier die Veränderungen prozeßabhängig erfolgen. Aber die Kapitalentwertung ist nicht beschränkt auf Situationen, in denen ein Totalverlust auftritt. Es sind auch partielle Kapitalverluste möglich. Da die vorliegende Arbeit Kapitalverluste grundsätzlich zum Thema hat, kann die von Pigou vorgenommene Unterscheidung von partiellen und totalen Kapitalverlusten aufgegeben werden. Auch Pigou scheint seiner Sache nicht ganz sicher. Denn er erörtert einen Einwand 9 , nämlich: „ I f expensive plant is liable to have its earnings 7
David Ricardo, „The Principles of Political Economy and Taxation", zitiert nach „Grundsätze der Volkswirtschaft und Besteuerung", Ausgabe Waentig (Sammlung sozialwissenschaftlicher Meister), Bd. 5, 3. Aufl., Jena 1923, 31. Kapitel. 8 Walter Eucken, „Kapitaltheoretische Untersuchungen" in Schriftenreihe „Probleme der theoretischen Nationalökonomie", Heft 1, Jena 1934, Teil I I I . ö Arthur Cecil Pigou, „The Economics of Weifare", a.a.O., S. 189 ff.
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reduced at short notice by new inventions, will not the building of such plant be hindered? Would not the introduction of improved processes on the whole be stimulated, if they were in some way guaranteed against too rapid obsolescence through competition of processes yet further improved?" Er hält diese Frage nur solange für offen, als keine Korrelation zwischen Einführung und Erfindung technischer Verbesserungen bestehe. Es sei aber eine Tatsache, daß mehr Erfindungen anfallen, wenn stets der neueste Stand der Technik angewendet wird 1 0 . Deshalb bedeute eine restriktive Investitionspolitik zweierlei: die Volkswirtschaft arbeitet nicht mit der bestmöglichen Technik, und die Chance der Erfindung von besseren Produktionsmethoden wird gemindert. Folglich liegt es nach Pigou nicht im Interesse der Volkswirtschaft, wenn der Unternehmer bei Einführung des technischen Fortschritts auch die Verluste ins Auge faßt, die hierdurch anderen Unternehmern auswirkungsweise drohen. Zur Erhärtung seiner These hat er gleich ein recht krasses Beispiel zur Hand: Wahrscheinlich hätte sich das elektrische Licht auf Kosten der Gaslampe niemals durchgesetzt, wenn die fortschrittlichen Unternehmer nach diesen Vorstellungen gedacht und gehandelt hätten. Auch Hayek 11 bleibt Jahre später bei der von Pigou entwickelten These und führt seinerseits als bedeutsames Beispiel die Konkurrenz zwischen Automobil und Eisenbahn an. Von den Freisetzungstheoretikern aus den vorgenannten Gründen einmal abgesehen, ist der von Pigou vertretene Gedanke auch heute noch unwidersprochener Bestandteil der allgemeinen Wirtschaftstheorie. In der Tat ist es schwer, die gegenläufigen Tendenzen von Kapitalverlust und zukünftigen Chancen neuer Erfindungen volkswirtschaftlich in Vor- und Nachteil gegeneinander abzuwägen. Sicher hat der unbeschränkte Wettbewerb zu Erfindungen angeregt. Andererseits müßte wei10 Einen extremen Standpunkt in dieser Richtung vertritt heute Arrow, wenn er meint, daß jede Ausbringungseinheit einen Beitrag zur Erhöhung der zukünftigen Produktion leistet. Vgl. K. J. Arrow, „The Implications of Learning by Doing", Review of Economic Studies, Juni 1962, S. 155—173. 11 Friedrich A. v. Hayek , „Technischer Fortschritt und Überkapazität", a.a.O., S. 13. Obwohl J. A. Hobson dieser vergleichenden Argumentation bereits im Jahre 1913 überzeugend entgegentrat. Siehe J. A. Hobson, „Gold, Prices and Wages", London, Methuen & Co., 1913, pp. 107—108. Vgl. auch K. William Kapp, „Social Costs of Business Enterprise". Zuerst unter dem Titel „The Social Costs of Private Enterprise" 1950. Second Edition, extensively revised rewritten. Asia Publishing House, London, 1963, pp. 189—190.
Problem und Zielstellung
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ter die kalkulatorische Risikoprämie für unvorhergesehene Kapitalverluste im Einzelfall hinreichend bekannt sein, um zu einer ausreichenden Beurteilung zu gelangen. Diesem zweiten Gesichtspunkt scheint aber wachsende Bedeutung zuzukommen, und zwar deshalb, weil Spezialisierung und Unbeweglichkeit der Produktionsfaktoren immer weiter voranschreiten. Hinzu kommt, daß mit erhöhtem Konsumniveau auch die Nachfrageelastizität steigt, da die lebenswichtigen Güter an Bedeutung verlieren. Dieser Behauptung steigender Gefahr von Kapitalverlusten in einer wachsenden Volkswirtschaft ließe sich indessen entgegenhalten, daß sie eine durch nichts bewiesene, rein subjektiv gewonnene Arbeitshypothese sei. Unter diesem Gesichtspunkt würde dann jedes weitere, rein gedankliche Argument entfallen. Der Streit könnte allein durch Fallstudien entschieden werden. Demgegenüber läßt sich gegen Pigou aber noch ein zugkräftigeres logisches Argument anführen. Seiner Argumentation zufolge steht bei Einführung des technischen Fortschrittes dem Gewinn volkswirtschaftlich der Kapitalverlust gegenüber. Somit scheint unter dieser Gegenüberstellung die Einführung des technischen Fortschrittes wertneutral. Da nach Pigou aber die verbesserte Produktionsmethode die Chance der Weiterentwicklung und das Auffinden neuer Verfahren intensiviert, gibt er der Einführung des technischen Fortschrittes den unbedingten Vorzug. Damit sagt Pigou letztlich aber nichts weiter, als daß dem Gewinn außer den Kapitalverlusten auch noch entgangene Erfindungschancen als Passivposten gegenüberzustellen sind. Er hat demnach das Investitionskriterium nur verfeinert, nicht aber den logischen Nachweis über die bedingungslose Einführung des technischen Fortschrittes als Vorteil der Volkswirtschaft geführt. Die vorliegende Arbeit setzt sich das Ziel, die Rentabilität der Fortschrittsinvestitionen volkswirtschaftlich nur dann anzuerkennen, wenn sie folgende zwei Voraussetzungen erfüllen: 1. Deckung des Kapitalverlustes an sich und der auf das Altkapital zu zahlenden Zinsen abzüglich eines Ausgleiches — in Anlehnung an Pigou — für die Verringerung der Erfindungschancen. 2. Verbleib eines marktgerechten Zinses auf das Neukapital nach Abzug der unter 1. genannten Verluste.
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Die Möglichkeit volkswirtschaftlicher Verluste
Es wird nicht behauptet, daß die zwangsläufig auftretenden privaten Kapitalverluste stets zu volkswirtschaftlichen Verlusten führen müssen. Hingegen wird die These von der Möglichkeit volkswirtschaftlicher Verluste vertreten.
B. Bedeutung und Messung des technischen Fortschrittes in einer konkreten Wirtschaft
Problem und Zielstellung der vorliegenden Arbeit sind nicht nur wirtschaftstheoretischer Art. Ihnen kommt auch erhebliche praktische Bedeutung zu. Allerdings ist es unmöglich, den Einfluß des technischen Fortschrittes aus den statistischen Daten exakt zu isolieren. Am ehesten wäre das noch in einer vom Faktoreinsatz her stationären Wirtschaft möglich. Wird der technische Fortschritt als Zuwachs der Ausbringung pro Einsatzeinheit definiert, könnte in diesem Falle der gesamte Sozialproduktzuwachs der Verbesserung von Produktionsmethoden zugerechnet werden. Für Modellkonstruktionen ist die Wahl dieses Ausgangspunktes sinnvoll. Hier geht es aber um die Messung des technischen Fortschrittes in einer konkreten Wirtschaft. Dafür jedoch ist die stationäre Wirtschaft unrealistisch. Die empirische Bedeutung des technischen Fortschrittes kann nur mit groben und künstlichen Annahmen geschätzt werden. Im allgemeinen wird dabei wie folgt vorgegangen: Zunächst werden die Faktoreinsätze, aufgeteilt auf die beiden Gruppen Kapital und Arbeit, zusammengestellt. Kapital wird durch die Produktionskosten, Arbeit mit Hilfe von Arbeitsstunden gemessen. Bei Vollständigkeit dieser Liste muß die Ausbringungsmenge eine Funktion dieser Einsatzmengen sein. Auf die Problematik der Messung des Kapitalbestandes wird später ausführlich einzugehen sein. Es sei nur soviel schon jetzt bemerkt: bislang ist noch keine befriedigende Lösung gefunden worden. Aus der bloßen Kenntnis von absoluten und relativen Einsatzmengen kann noch nicht auf den Beitrag jeder der beiden Gruppen zum Sozialprodukt geschlossen werden. Es müssen zusätzlich die Grenzproduktivitäten der Produktionsfaktoren in der Zeit bekannt sein. Damit sind dann die Faktoreinsätze zu gewichten. In den Untersuchungen wurde davon ausgegangen, daß die Grenzproduktivitäten sich zu eins addieren, d. h.,
Bedeutung und Messung in einer konkreten Wirtschaft
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es wurde eine linear-homogene Produktionsfunktion ersten Grades vorausgesetzt. Ist unter diesen Annahmen die tatsächliche Entwicklung des Sozialproduktes bekannt, wird ein Restzuwachs bleiben, der nicht weiter aufgeteilt werden kann. Diese Größe ist dann der Beitrag, den der technische Fortschritt zum Sozialproduktwachstum liefert. Sie könnte als Grenzproduktivität des technischen Fortschrittes aufgefaßt werden. Unter Anwendung dieser Methode stellte Solow 12 fest, daß rund 8 7°/ 0 der Produktionssteigerung pro Arbeitsstunde in den USA von 1909 bis 49 dem technischen Fortschritt und nur 13 °/ 0 dem vermehrten Kapitaleinsatz pro Arbeitsplatz zu verdanken sind. Bei der soeben skizzierten Methode zur Messung des technischen Fortschrittes wird davon ausgegangen, daß Bewegungen entlang einer Produktionsfunktion von denen einer Verschiebung der Produktionsfunktion scharf getrennt werden können. Die Richtigkeit dieser Annahme versucht Ott 1 3 anhand eines Beispiels zu demonstrieren: es ist „wenig sinnvoll zu fragen, zu wieviel Prozent der Gewinn einer Unternehmung auf die Gewinnspanne und zu wieviel Prozent er auf den Umsatz zurückzuführen ist. Das ist aber anders, wenn man nach der Veränderung der betreffenden Größe fragt Die Ursachen der Veränderung können nämlich sehr wohl ermittelt werden; sie gehen hervor aus der Formel des totalen Differentials". Hier handelt es sich „genau um ein solches Problem . . O t t bringt zur Verdeutlichung in Anlehnung an Solow u umstehende Abbildung: Die Kurve I stellt die ursprüngliche Produktionsfunktion bei Variation eines Faktors (r) und Konstanz aller übrigen Faktoren dar. Die Verschiebung der Kurve I in die Lage I I repräsentiert den technischen Fortschritt. Dazu ist folgendes zu sagen: Bei totaler Differentiation muß stets vom Punkt Pf ausgegangen werden, dem Punkt, der die ursprüngliche Höhe des Sozialproduktes markiert. Durch Differentiation nach dem Faktoreinsatz wird der Zuwachs 12
Robert M. Solow , „Technical Change and the Aggregate Production Function", Review of Economics and Statistics, Vol. 39, August 1957. 13 Alfred E. Ott , „Produktionsfunktion, technischer Fortschritt und Wirtschaftswachstum", in: Schriften des Vereins für Socialpolitik, Neue Folge Bd. 17, „Einkommensverteilung und technischer Fortschritt", Hrsg. Erich Schneider, Berlin 1959, S. 168. 14 Robert M. Solow , „Technical Change and the Aggregate Production Function", a.a.O., S. 313.
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Die Möglichkeit volkswirtschaftlicher Verluste
p j P\ gefunden. Wird nach dem technischen Fortschritt differenziert, ist das Ergebnis der Zuwachs . Demnach wird mit Hilfe des totalen Differentials ein Gesamteffekt in Höhe von P j P* + p [ PY errechnet. Daß dieser Gesamtzuwachs aufgrund der vorliegenden Kurven I und I I nicht dem tatsächlichen Zuwachs gleich zu sein braucht, ist unmittelbar einsichtig. Abweichungen entstehen dadurch, daß bei den beiden partiellen Ableitungen mit der ceteris-paribus-Annahme gerechnet wird. Die Interdependenz der beiden den Zuwachs des Sozialproduktes beeinflussenden Größen „vermehrter Faktoreinsatz" und „verbesserte Produktionsmethode" wird demnach nicht beachtet. Ob diese Annahme gesamtvolkswirtschaftlich erlaubt ist, bleibt fraglich. Der entscheidende Einwand ist aber der: Aus den statistischen Daten sind das Sozialprodukt am Anfang und Ende der betrachteten Periode und mit einem gewissen Ungenauigkeitsgrad auch die Variation des Faktoreinsatzes bekannt. Die totale Differentiation ist nun keinesfalls eine Methode, die Kurvenverläufe I und I I zu finden. Wie gezeigt, wird bei dieser Methode abwechselnd mit konstanten Grenzproduktivitäten und konstantem Niveau des technischen Wissens bzw. der Beibehaltung der alten Produktionsmethode gearbeitet. Das mag bei kurzen Perioden noch angehen. Bei Zeitabschnitten von 10 bis 40 Jahren — wie in den bisherigen Untersuchungen — müssen aber die gesamten Kurvenverläufe als bekannt vorausgesetzt werden. Denn erst ihre Kenntnis erlaubt, den
Bedeutung und Messung in einer konkreten Wirtschaft
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technischen Fortschritt entweder geometrisch zu messen (s. Abb. 1) oder wenigstens annäherungsweise analytisch zu errechnen. Durch die totale Differentiation bleibt höchstens das Aufzeichnen der Kurvenverläufe auf Millimeterpapier erspart. Damit ist aber nichts gewonnen. Es fehlt weiterhin die Kenntnis über den wahren Verlauf der Grenzproduktivitätskurve bei Variation eines Faktors. Erst wenn bekannt ist, wie groß die Grenzproduktivität des variierten Faktors ohne technischen Fortschritt gewesen wäre, kann die Wirkung des technischen Fortschrittes auf das Sozialprodukt empirisch gemessen werden 15. Die Analyse läßt sich verfeinern. In bezug auf die beiden genannten kritischen Einwände scheint das allerdings nicht möglich. E. F. Denison 16 hat die Untersuchung in anderer Richtung weitergetrieben. Er unterscheidet die Anzahl der Arbeitsstunden nach drei Qualitätskriterien: Erziehung, effektivere Frauenarbeit und steigende Arbeitsproduktivität durch Arbeitszeitverkürzungen. Uber die statistischen Methoden läßt sich streiten. Das Ergebnis ist nicht anders als zu erwarten: Der um diese Qualitäten korrigierte Faktoreinsatz war entschieden höher als der nach einfachen Arbeitsstunden gemessene. Danach mußte im Gegensatz zur Untersuchung von Solow dem erhöhten Faktoreinsatz 2 / 3 des Sozialproduktwachstums zugerechnet werden, und es blieb weniger als V 3 für Wachstum aus technischem Fortschritt übrig. Auf diese Weise ist es möglich, jeden technischen Fortschritt zum Verschwinden zu bringen. Was jedoch nicht besagt, daß es keinen technischen Fortschritt gibt. Vielmehr werden die Wissenschaftler in die Produktionsfunktion als besonderer Produktionsfaktor aufgenommen und zwar mit einer bestimmten Grenzproduktivität, die eben der technische Fortschritt ist. Im Ergebnis kann folgendes festgehalten werden: Inwieweit der technische Fortschritt zum Sozialproduktwachstum beiträgt, kann in der Praxis nicht exakt bestimmt werden. Ist die Bedeutung nur halb so groß wie von Solow gemessen, sind immer noch über 4 0 % des Wachstums auf den technischen Fortschritt zurückzuführen. Vgl. zur weiteren Kritik: Joan Robinson, „The Choice of Models", Journal of the Royal Statistical Society, Serie A., Bd. 123, 1960. 16 Zitiert nach Robert M. Solow, „Capital Theory and the Rate of Interest", Professor Dr. de Vries Lectures, Amsterdam 1963, S. 38.
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Die Möglichkeit volkswirtschaftlicher Verluste
Bei oberflächlicher Betrachtung bietet sich aus dem Vorhergehenden der Schluß an, daß die Einführung technischer Fortschritte kontinuierlich erfolgt und zwar in dem Ausmaß wie annäherungsweise mit 4 0 % des Sozialproduktzuwachses angegeben. Folglich könnten kaum unvorhergesehene technische Fortschritte auftreten. Jedoch ist zu bedenken, daß es sich bei der angegebenen Zahl um eine Handzahl für die Gesamtsumme aller technischen Fortschritte handelt. Somit können die technischen Fortschritte immer noch vereinzelt und unregelmäßig auftreten, wenn sie sich auch insgesamt kompensieren. Daß auch die einzelnen technischen Fortschritte in der Regel kontinuierlich anfallen, ist unwahrscheinlich. Jöhr 17 schreibt dazu: „Wohl wird auf zahlreichen Gebieten dauernd und mit Erfolg geforscht; aber es läßt sich doch nicht leugnen, daß es vielfach zufällige Entdeckungen sind, welche den Forschern jene Kenntnisse verschaffen, die man als ,Erfindung' bezeichnet oder welche einer bereits gemachten Erfindung jene Gestalt verleihen, die sie als technisch realisierbar, ja sogar als ökonomisch vorteilhaft erscheinen läßt. Das bedeutet, daß das technische Wissen nicht stetig wie eine Pflanze, sondern ruckweise wächst." Dieser Ansicht ist zuzustimmen. Denn es kann nicht — wie oben bereits ausgeführt — davon ausgegangen werden, daß die Wissenschaftler als Produktionsfaktoren regelmäßig eine genau bestimmbare Grenzproduktivität in Form von schöpferischen Einfällen haben. Die neue Technik kann deshalb nur mehr oder weniger sprunghaft und ohne exakte Voraussage eingeführt werden. Die oben angegebene Handzahl läßt vermuten, daß enorme Kapitalverluste auftreten können. Jedoch gibt es aus einzelwirtschaftlicher Sicht eine Reihe von Einwendungen, die geeignet sind, die Bedeutung gesamtwirtschaftlicher Kapitalverluste durch technische Fortschritte herabzusetzen. Denn es ist nicht so, daß die Kapitalverluste den einzelnen Unternehmer völlig ahnungslos treffen. Vielmehr weiß der Unternehmer um diese Unsicherheit und Möglichkeit von Kapitalverlusten, sei es aus theoretischen Erwägungen oder aus praktischer Erfahrung. Würde es sich um eine meßbare Wahrscheinlichkeit des Risikoeintrittes handeln, könnte er sich dagegen mit Hilfe der Versicherungsmethode recht einfach schützen: entweder durch Schaffung einer Versicherungsge17 Walter, Adolf Jöhr, „Die Konjunkturschwankungen", Theoretische Grundlagen der Wirtschaftspolitik, Band I I , Tübingen, Zürich, 1952, S. 183.
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sellschaft oder durch Existenz eines stillschweigenden Preiskartelles in der Art, daß der Preis auf einem Niveau gehalten wird, der eine Risikoprämie für Kapitalverluste erlaubt. Vermutlich besteht aber über den Zeitpunkt des Eintreffens technischer Fortschritte und über das Maß ihrer Auswirkungen völlige Ungewißheit. Bei dieser Art von Ereignissen — deren Wahrscheinlichkeit des Eintreffens nicht meßbar ist — muß der Unternehmer andere Wege zur Abdekkung der Verlustgefahr finden. Es sei erlaubt, die in der Literatur entwickelten Methoden in Anlehnung an Jöhr ls diskussionslos zu übernehmen 19: 1. Meisterung der Ungewißheit mit Hilfe von Wahrscheinlichkeitswerten a) Vergleich der Werte der mathematischen Erwartungen b) Vergleich der Gewißheitsäquivalente c) Ungewißheit als Wahrscheinlichkeitsverteilung von Wahrscheinlichkeitsverteilungen 2. Meisterung der Ungewißheit mit Hilfe des Prinzips der potentiellen Überraschung 3. Meisterung der Ungewißheit mit Hilfe des Prinzips des kleinsten Bedauerns. In einer kritischen Würdigung dieser fünf Methoden kommt Jöhr zu folgendem Schluß20: „Alle fünf behandelten Lösungen entwickeln ja ein Kalkül, durch das die Ungewißheit im eigentlichen Sinne des Wortes — jene Ungewißheit, die Knight dem Risiko gegenübergestellt hat — eliminiert wird und mit dessen Hilfe sich der Unternehmer eine eindeutige Grundlage für seine Entscheidung verschafft. Aber in der Wirklichkeit ist es dem Unternehmer infolge der großen Zahl der ungewissen Faktoren gar nicht möglich, sich eine solche eindeutige Grundlage seiner Entscheidung zu verschaffen. Ja, er verliert auch nicht seine Zeit und Kraft in dem Bemühen, eine solche Basis seines Handelns aufzustellen, sondern er entschließt sich zum Wagnis und beschreitet einen der möglichen Wege in das Dunkel der Zukunft." « Walter Adolf Jöhr , „Die Konjunkturschwankungen", a.a.O., S. 384—408. 19 Vgl. auch Hans Rudin , „Kapitalentwertung und Kapitalverluste als Folge technischer Fortschritte und wirtschaftlicher Integration", Winterthur 1958, S. 81—82. 20 Walter Adolf Jöhr , „Die Konjunkturschwankungen", a.a.O., S. 411.
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Die Möglichkeit volkswirtschaftlicher Verluste
Letztlich sind die entwickelten fünf Methoden nichts anderes als der Versuch, den Posten Ungewißheit zugunsten des meßbaren Risikos zu verkleinern. Der Unternehmer hat demzufolge Vorkehrungen zur Vermeidung oder wenigstens Verminderung von Verlusten zu treffen. Er erhebt eine Risiko- oder Ungewißheitsprämie. Die beiden Prämienarten treten in der Regel zusammengefaßt in Form einer allgemeinen Unterbemessung der wirtschaftlichen Lebensdauer der Anlagen auf 21 . Aus betriebswirtschaftlicher Sicht werden durch die vorzeitige Rückgewinnung der Kapitalien Reserven zur Deckung der eventuellen Verluste gebildet. Aus dieser Warte wird argumentiert, der mögliche Netto-Kapitalverlust sei bedeutend geringer oder verschwinde ganz22. Die Richtigkeit dieser Argumentation soll an einem Beispiel überprüft werden: Es sei angenommen, die Lebensdauer einer Anlage betrage ohne technischen Fortschritt n Jahre. Durch Berücksichtigung der Gefahr von Kapitalentwertungen aufgrund eines technischen Fortschrittes werde die Lebensdauer um fünf Jahre auf n-5 verkürzt. Jetzt müssen die Abschreibungsbeträge, die auf die letzten fünf Jahre entfallen wären, zusätzlich in n-5 Perioden hereinkommen. Der Produktpreis muß sich entsprechend erhöhen. Damit werden die Reserven, die das Unternehmen bilden konnte, letztlich von den Konsumenten aufgebracht. Nehmen wir im Extremfall an, daß dem Unternehmen eine Selbstversicherung gelingt. Dann erleidet das Unternehmen selbst keinen Kapitalverlust. Damit läßt sich volkswirtschaftlich der Kapitalverlust jedoch nicht leugnen. Betriebswirtschaftlich sind nur außerhalb des Unternehmens Wirtschaftssubjekte gefunden, die den Kapitalverlust tragen. Diese Folgerung ist auch schlüssig, wenn die Argumentation Pigous in Erinnerung gebracht wird. Er stellte den Kapitalverlusten gleich hohe Realeinkommenszuwächse der Konsumenten gegenüber. Jetzt sind den Unternehmern aber keine Kapitalverluste entstanden, und man kann fortfahren: weil die Realeinkommenszuwächse der Konsumenten entsprechend gesunken sind. Den Realeinkommenszuwächsen der jetzigen Periode stehen in dem angenommenen Fall gleich hohe Realeinkommensminderungen der Wirtschaftssubjekte in den vorhergehenden Perioden 21 Nicholas Kaldor, „ A New Modell of Economic Growth", Review of Economic Studies, 1962. Kaldor nimmt in seinem Modell für die Investitionsentscheidungen an, daß die Abschreibungsbeträge mindestens in h Jahren zurückgewonnen sein müssen. 22 Hans Rudin, „Kapitalentwertung und Kapitalverluste . . . a.a.O., S. 207.
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gegenüber. Wird die Zeitdimension außer acht gelassen, ist die Bilanz der Konsumenten ausgeglichen. Solange per Saldo keine Realeinkommenssteigerung für die Gesamtheit der Konsumenten zu verzeichnen ist, muß die Einführung des technischen Fortschrittes als vorschnell bezeichnet werden. Nach dem Gesagten hätte sich die Argumentation wieder mehr an die der Freisetzungstheoretiker anzulehnen: Es ist zwar weiterhin das Sozialprodukt in der Periode der Einführung des technischen Fortschrittes keinesfalls geringer als ohne ihn. Wird aber die betrachtete Periode um den Zeitraum verlängert, der zur Bildung betriebswirtschaftlicher Reserven erforderlich war, so muß das niedrigere Sozialprodukt in den Vorstadien bedacht werden. Dieser vorgetragene Gedanke wirkt bei analoger Heranziehung und Betrachtung der alltäglichen Vorfälle in der Versicherungspraxis fast wie selbstverständlich. Denn brennt ein Haus ab oder sinkt beispielsweise ein Schiff, so entsteht dem betroffenen Eigentümer ein Realkapitalverlust in entsprechender Höhe. Ist er gegen diesen Schadensfall voll versichert, erleidet er keinen Vermögensverlust. Der Erstellungswert wird ihm in Form von Geldmitteln ersetzt. Daß jedoch ein volkswirtschaftlicher Verlust entstanden ist, wird indessen niemand bestreiten wollen. Denn: Haus oder Schiff existieren nicht mehr. Zu ihrer Wiederherstellung werden Produktionsfaktoren benötigt, die sonst an anderer Stelle zusätzlich verfügbar wären. Aus dieser Sicht und gerade unter Berücksichtigung der Auffassung von der Zweckmäßigkeit der Einführung des technischen Fortschrittes um jeden Preis muß um so mehr die fehlende Konsequenz der Kompensationstheoretiker entsprechend dem gebrachten alltäglichen Beispiel erstaunen. Denn was dort gilt und von niemandem ernstlich bezweifelt wird, ist bezüglich der hier eintretenden Kapitalverluste doch auch die unvermeidlich notwendige Konsequenz. Demzufolge hätten die Kompensationstheoretiker die Selbsthilfe der Unternehmer logisch auch nicht dulden dürfen. Zu dieser Schlußfolgerung sind sie jedoch nicht durchgedrungen. Damit ist natürlich nicht gesagt, daß die Selbsthilfe der Unternehmer keine volkswirtschaftliche Bedeutung hat. Sie ist aus dreierlei Sicht erkennbar:
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Die Möglichkeit volkswirtschaftlicher Verluste
(1) Es ist denkbar, daß der technische Fortschritt wertmäßig größer als der hiermit verbundene Kapitalverlust ist. Das hätte eindeutig ein gesamtwirtschaftliches Plus zur Folge. In diesem Fall wäre die Einführung des technischen Fortschrittes davon abhängig zu machen, ob aus dem erzielten Plus ein marktgerechter Zins auf das Investitionsobjekt gezahlt werden kann. Werfen die Investitionen diesen marktgerediten Zins ab, sollten sie in jeder Wirtschaftsordnung durchgeführt werden. Denn sie werden trotz Risiko- und Unsicherheitsprämie rentabel bleiben. Das gilt vor allem auch in der Marktwirtschaft. (2) Die Einführung eines technischen Fortschrittes wird durch Risiko und Ungewißheit retardiert. Denn der Fortschrittsunternehmer muß bei Einführung weiterer Fortschritte durch andere seinerseits mit der vorzeitigen Kapitalentwertung rechnen. Das könnte ihn von vornherein zur Aufgabe seiner Vorhaben veranlassen. Bei anderen wären damit Kapitalverluste vermieden. Gesamtwirtschaftlich ist ein solcher Verzicht zu begrüßen und zwar deshalb, weil dieser Unternehmer nicht einmal in der Lage wäre, die Prämien zusätzlich zu erwirtschaften, geschweige denn — wie volkswirtschaftlich für richtig erachtet — den vollen Schaden zu tragen. Insoweit kommt die praktizierte Selbsthilfe den Freisetzungstheoretikern entgegen. (3) Die Reaktion der Unternehmer auf die Gefahr von Kapitalverlusten ist ein Notbehelf zur Minimierung der Verluste in der Unternehmung selbst. Da jedes Unternehmen Realkapital einsetzt, das seine Plastizität verloren hat, muß jedes Produkt mit einer Risiko- und Ungewißheitsprämie belastet werden; gleichgültig, ob in der betreffenden Branche später ein Kapitalverlust auftritt oder nicht. Sofern kein technischer Fortschritt eingeführt wird, entstehen für die Unternehmer Gewinne im Ausmaß der Prämienzahlungen. Die Kehrseite sind gleich hohe Verluste der Konsumenten. Tritt jedoch unvorhergesehen ein technischer Fortschritt auf, so machen umgekehrt die Konsumenten in Höhe der Netto-Kapitalverluste Gewinne. Sollten im Extremfall die in der Investitionsperiode gebildeten Reserven zur Abdekkung des Kapitalverlustes ausreichen, so bleibt dennoch ein volkswirtschaftlicher Verlust: Der Versuch zur Verlustabdeckung muß vor Einführung des technischen Fortschrittes gemacht werden. Zu dieser Methode ist der Unternehmer in der Marktwirtschaft gezwungen. Denn die Konkurrenten würden dem Unternehmer, den die Verluste treffen, eine spätere Rückgewin-
Die Aktualität des Problems
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nung nicht gestatten. Das geschieht nicht etwa aus Böswilligkeit. Vielmehr ergibt sich die Situation zwanglos durch die Vielzahl von Konkurrenten, die nicht mit Kapitalverlusten belastet sind und deshalb zu niedrigeren Preisen anbieten können. Würde das gesamte Sozialprodukt einer Volkswirtschaft allein in einer Unternehmung geschaffen, so brauchte dieser Unternehmer keine Vorbeugungsmaßnahmen zu treffen. Er könnte bis zur tatsächlichen Vorlage einer Erfindung warten und ihre Einführung dann von der Bereitschaft der Konsumenten zur Abdeckung seines Verlustes abhängig machen. Zusammenfassend kann gesagt werden: Die Selbsthilfe hat den Vorteil, die Einführung technischer Fortschritte zu bremsen (vgl. Punkt 2), soweit sie gesamtwirtschaftlich nicht zu befürworten sind (vgl. Punkt 1). Sie hat den Nachteil, perioden- und branchenmäßig Kosten und Nachfrage zu verzerren (vgl. Punkt 3). Es bleibt die Behauptung stehen, daß die Selbsthilfeaktionen der Unternehmer keine Lösung zur Vermeidung von Kapitalverlusten bringen. Ob Kapitalverluste durch Reservebildung betriebswirtschaftlich abgedeckt sind, ist volkswirtschaftlich völlig belanglos. Kein Unternehmer wird die Einführung eines technischen Fortschrittes davon abhängig machen, ob sein Konkurrent genügend Reserven gebildet hat. So gesehen erübrigt sich jede weitere Diskussion von Schutzmaßnahmen. Auf welche Abwege sie führt, zeigt Rudin 23, wenn er vorschlägt: „Der Fiskus sollte im Hinblick auf den technischen Fortschritt die Bildung von steuerfreien Erneuerungsfonds zulassen". Dadurch würde dem technischen Fortschritt ein noch ungehemmterer Einlaß in die Volkswirtschaft gewährt. An dieser Stelle muß innegehalten werden. Die ganze Problematik von Kapitalverlusten infolge unvorhergesehener technischer Fortschritte kann erst entwickelt werden, wenn die Kapitalverluste selbst genauer analysiert sind. Das wird im folgenden Kapitel versucht. Eingangs aber seien Bemerkungen über die Akualität des Problems erlaubt. C. Die Aktualität des Problems
Unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbs der Wirtschaftssysteme zwischen Ost und West bekommt das hier behandelte Problem seine besondere Aktualität 24 . 23
Hans Rudin, „Kapitalentwertung und Kapitalverluste . . a . a . O . , S. 211. Wolfgang Michalski, „Technischer Fortschritt und Wirtschaftsordnung", Hamburger Jahrbuch für Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, 1962, S. 151—172. 24
3 Noll
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Die Möglichkeit volkswirtschaftlicher Verluste
In einem Konkurrenzsystem steht die sofortige Einführung kostensparender technischer Fortschritte außer Zweifel. Denn für den Fortschrittsunternehmer erbringen sie ex definitione einen höheren Profit. Profitmaximierung ist aber das Investitionskriterium einer Marktwirtschaft. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist die privatwirtschaftlich errechnete Brutto-Profitrate zu hoch. Wie gezeigt, nimmt der Unternehmer in seine Rentabilitätsrechnung nur jene Vor- und Nachteile auf, die den ihm zufallenden Gewinn beeinflussen. Die infolge der Durchsetzung der technischen Neuerungen bei anderen Unternehmungen eintretenden Kapitalverluste werden in seiner Rentabilitätsrechnung nicht beachtet. Viel weniger noch interessieren ihn die möglicherweise im Gefolge auftretenden anderen externen Wirkungen wie technologische Arbeitslosigkeit, induzierte Kapitalverluste etc. Diese Auswirkungen können volkswirtschaftlich zwar ganz erheblich sein, sind aber im privatwirtschaftlichen Kalkül nicht vertreten. Die volkswirtschaftliche Profitrate ist deshalb niedriger. So liegt der Schluß nahe, daß in einem marktwirtschaftlich organisierten System der technische Fortschritt zu schnell eingeführt wird. Denn in einer Planwirtschaft könnten die volkswirtschaftlichen Wirkungen mit berücksichtigt werden. Sollten im Verlauf der Arbeit keine neuen Gesichtspunkte zugunsten der Marktwirtschaft mehr auftauchen, müßte die Überlegenheit der Planwirtschaft im Hinblick auf den technischen Fortschritt anerkannt werden. Natürlich läßt sich in der vorliegenden Darstellung kein endgültiges Urteil über die Marktwirtschaft fällen. Das kann niemals unter Herausarbeitung nur eines Faktums geschehen. In einem wertenden Vergleich müssen auch die positiven Positionen mit einbezogen werden. Die Ausweitung der Analyse auf Fragen der Wirtschaftsordnung wird deshalb nicht vollzogen.
Zweites Kapitel Die Grenzen der Lösungsversuche zur Kapitalwertbestimmung für die Messung von Kapitalverlusten Im vorhergehenden Kapitel wurde der Entwicklung des Sozialproduktes die entscheidende Rolle als Beurteilungskriterium für den richtigen Zeitpunkt bzw. für die richtige zeitliche Verteilung der Einführung kostensparender technischer Fortschritte zugewiesen. Sollte sich nämlich herausstellen, daß eine eventuelle Steigerung des Sozialproduktes nur scheinbar vorliegt, müßte die Einführung zeitlich gestreckt werden. Andererseits konzentrierte sich in diesem ersten Kapitel das Interesse bereits schon auf die Kapitalverluste. Das ist kein Widerspruch. Denn es besteht eine Beziehung zwischen diesen beiden Größen. Betrachtet man die menschliche Arbeit etwas pietätlos nur als Produktionsfaktor unter anderen, also ohne die übliche Sonderstellung in Sozialbindung, dann müßte der Arbeit außer dem Lohn auch ein Wert beigegeben werden, genauso und in demselben Sinn wie schon immer den produzierten Produktionsmitteln. Bei dieser Betrachtungsweise läßt sich der Wert des volkswirtschaftlichen Kapitalbestandes als die Summe der Werte aller Produktionsfaktoren auffassen. Sie ist ganz einfach die Summe aller in der Zukunft maximal möglichen Konsumgütervolumina, diskontiert auf die Gegenwart. Folglich kann gesagt werden: wenn dieser so bestimmte Kapitalwert gestiegen ist, muß auch das Sozialprodukt als Ausdruck der maximal möglichen Konsumvolumina gestiegen sein. Natürlich kann auch umgekehrt aus einer Sozialproduktsteigerung auf einen Kapitalgewinn geschlossen werden, ohne auf den Ursprung eingehen zu müssen, ob er sich vom güterwirtschaftlichen oder menschlichen Leistungsbeitrag herleiten läßt. Wenn also in diesem Kapitel eine Kapitalwertmessung versucht wird, so ist das nur eine indirekte Methode, um auf die Entwicklung des Sozialproduktes schließen zu können. Beurteilungskriterium für die zeitgerechte Einführung des technischen Fortschrittes bleibt letztlich die Sozialproduktentwicklung, wenn auch im folgenden von Kapitalwerten und Kapitalverlusten die Rede ist. 3*
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Die Grenzen der Lösungsversuche zur Kapitalertbestimmung
Aus diesem Ansatz heraus ist zunächst einmal eine Erörterung dessen, was unter Kapital zu verstehen ist, erforderlich. Ich beschränke mich dabei aber auf die güterwirtschaftliche Seite des Kapitalbegriffs und zwar aus dem zuvor genannten Grunde, weil Arbeit und güterwirtschaftliches Kapital als Produktionsfaktoren letztlich gleichwertig sind und als solche auch genau derselben Betrachtung unterliegen. Es ist zu vermuten, daß die Messung des Kapitalbestandes sich vereinfacht, wenn Kapital als güterwirtschaftliche Kategorie kein selbständiger Produktionsfaktor ist, also auch keinen selbständigen Preis hat, sondern sich auf Arbeitsmengen zurückführen läßt. Dann könnte das so verstandene Kapital mit Hilfe der Maßeinheit Arbeitsmenge aggregiert werden. Deshalb wurde nach der Begriffsfestlegung die Vorfrage geklärt, ob das güterwirtschaftliche Kapital ein originärer Produktionsfaktor ist. Schließlich wird dann zum Problem der Messung des Kapitals übergegangen. Zunächst wird sie in einer stationären Wirtschaft versucht. Es mag widerspruchsvoll klingen, bei einem Thema über technischen Fortschritt, dessen Analyse damit zwangsläufig dynamisch zu sein hat, die Kapitalwertmessung in einer stationären Wirtschaft überhaupt zu diskutieren. Es geht hier aber darum, zunächst einmal das Problem am einfachsten Fall darzustellen, um so die Schwierigkeiten sichtbar zu machen. Anhand der Literatur werden dann die Messungsversuche in komparativ-statischer und dynamischer Analyse erörtert. Hierbei können die Autoren in drei Gruppen eingeteilt werden: a) diejenigen, die eine Kapitalwertmessung natural wie Wicksell oder wie Keynes monetär versuchen, b) die wie Kaldor durch Ignorierung und Solow durch Schaffung eines neuen und seiner Ansicht nach arbeitsfähigen Begriffes auch ohne Kapitalwertmessung auskommen zu können glauben und schließlich c) Joan Robinson in Richtung eines Kompromisses des Sowohl-Als auch.
A . Der Kapitalbegriff
Über Inhalt und Umfang des Kapitalbegriffes ist viel gestritten worden 25 . Die Auseinandersetzungen haben hauptsächlich auf dem Gebiet der Verteilungstheorie stattgefunden. „Kapital hat man in der Distributionstheorie das Ding genannt, das den Kapitalzins hervorbringt. Daher gibt 25
Beispielhaft sei hier nur auf von Böbm-Bawerks „Kapital und Kapitalzins" 4. Aufl., Jena 1921, 2. Abt. Positive Theorie des Kapitales, S. 17 ff., hingewiesen.
Der Kapitalbegrif f
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es so viele Kapitalbegriffe, wie es Typen von Zinstheorien gibt 26 ." Die Zinstheorien lassen sich gemeinhin in zwei Gruppen einteilen: in naturalökonomische und monetäre Zinstheorien. Da in der vorliegenden Arbeit die Geldseite soweit wie möglich außer Betracht bleiben soll, liegt die Wahl eines naturalökonomischen Kapitalbegriffs nahe. Damit befindet sich die Analyse im Einklang mit der Kapitaltheorie, soweit sich diese mit Fragen des volkswirtschaftlichen Produktionsapparates, dessen Bildung, Struktur und Wachstum befaßt. Die Wahl eines naturalökonomischen Kapitalbegriffes ist auch deshalb sinnvoll, weil durch den technischen Fortschritt die realen Bedingungen der Produktion verbessert werden. Daß der geldliche Kapitalbegriff sich zeitweise in den Vordergrund schob, lag wohl mehr an einer Interessenverlagerung zur Konjunkturtheorie hin. Heute wendet sich die Wirtschaftstheorie wieder stärker Fragen des wirtschaftlichen Wachstums zu. Diesen Modellen liegt ein realwirtschaftlicher Kapitalbegriff zugrunde. Der Streit um den Kapitalbegriff soll nicht wieder aufgegriffen werden. Deshalb mögen diese kurzen Hinweise genügen. I n dieser Arbeit soll „Kapital" problem-orientiert definiert werden, so daß möglichst alle wesentlichen Auswirkungen infolge technischer Fortschritte erfaßt sind. Eine solche operationale Begriffsbildung im Hinblick auf ein bestimmtes wie hier zu lösendes Problem hat den Nachteil einer möglichen Kollision mit bereits bestehenden Definitionen des gleichen Begriffsträgers. Dadurch werden Verständigungsmöglichkeiten erschwert. Es wird aber der Vorteil eingehandelt, den Kapitalbegriff im Sinn einer leichteren Lösung anstehender Probleme zu bestimmen. Wer den teilweise sophistisch geführten Streit 27 um den Kapitalbegriff verfolgt hat, ist erfreut und ernüchtert zugleich durch den Satz von Joan Robinson 28: „Capital is not what capital is called, it is what its name is called." Sie versteht unter Kapitalgütern alle in einem bestimmten Augenblick existierenden Güter. Damit sind nicht alle Gegenstände der Umwelt gemeint. Vielmehr interessieren den Ökonomen Gegenstände nur dann, wenn sie einen Wert 26 Erich Preiser, „Der Kapitalbegriff und die neuere Theorie", Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik, Bd. 165, 1953, S. 258. 27 Vgl. den mehr bibliographischen Aufsatz von B. lschboldin, „Die Theorien von den drei Kapitalarten", Schmoller Jahrbuch, Bd. 75, 1955, S. 279—302. 28 Joan Robinson, „The Production Function and the Theory of Capital", Review of Economic Studies, Bd. 21, 1953/54, S. 83.
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Die Grenzen der Lösungsversuche zur Kapital Wertbestimmung
haben. Das Charakteristische an Gütern ist demnach allein die Tauschwertfunktion. Diese Tatsache wird am besten durch eine contradictio in adjecto hervorgehoben: Güter sind wirtschaftliche Güter. In dieser Generalisierung ist Kapital ein Sammelbegriff für Güter der verschiedensten Art, vom Hochofen über den Mantel zum Ei. Jedoch haben die genannten drei Güter sehr spezifische Merkmale: Aus dem Ei kann nur einmal und auch nur von einer Person Nutzen gezogen werden; aus dem Mantel wiederholt und möglicherweise von mehreren Personen. Der Hochofen schließlich wirft nur mittelbar über die Erträge sukzessiven Nutzen ab. Zudem ist hierfür die Kombination der Produktionsfaktoren Arbeit und Boden Voraussetzung. Nach Darlegung dieser Charakteristika läßt sich der Kapitalbegriff weiter aufgliedern. Die Gruppierung ist eine Frage der Zweckmäßigkeit. Sie soll hier nach den Funktionen der Güter in der Volkswirtschaft und weiterhin danach erfolgen, welchem Umstand sie ihre Existenz verdanken. Soweit sich Güter vorstellen lassen, die nicht selbst wieder produziert werden, scheiden sie aus der Betrachtung aus. Für das hier zu behandelnde Problem von Kapitalverlusten interessieren Güter nur dann, wenn sie ihre Existenz einem Konsumverzicht verdanken. Denn nur in diesem Falle liegt bei Kapitalvernichtung eine Realeinkommensminderung vor. Hätten die Konsumenten in vorhergehenden Perioden nicht auf Konsum verzichtet, so wäre nach Einführung produktionsverbessernder Maßnahmen ihr Realeinkommen nicht durch unproduktives Sparen geschmälert worden. In dem so verstandenen Sinne umfaßt die Definition des Kapitals sämtliche in einer Volkswirtschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandenen produzierten Güter. Aber für die Zielsetzung hier ist auch diese Abgrenzung noch zu weit. Der gefundene Kapitalbegriff kann in Produktiv- und Konsumtivkapital weiter untergliedert werden. Von Stackelberg 29 versteht unter Produktivkapital produzierte Güter „höherer Ordnung", die nicht unmittelbar Nutzen abwerfen. Unter den Begriff Konsumtivkapital werden von ihm alle produzierten Güter mit Konsumreife subsumiert. Konsumtivkapital kann sich in Form von Vorräten sowohl im Bereich der Produktion als auch dem der Konsumtion befinden. Produktivkapital ist auf jeder Stufe der Produktion tätig: „Gebäude, Maschinen, Apparate, Werk2 ® Heinrich v. Stackelberg, 2. Aufl., Tübingen 1951, S. 6.
„Grundlagen der theoretischen Volkswirtschaftslehre*,
Produktivkapital als elementarer Produktionsfaktor
39
zeuge, Rohstoffe, Kraftstoffe, Hilfsstoffe usw. Diese produzierten Produktionsmittel' bilden neben der Arbeit und dem Boden die Grundlage für jeden produktiven Vorgang 30 ." Die Höhe des Bestandes an Konsumtivkapital beeinflußt die Nachfrageelastizität nach Produkten und die Angebotselastizität des Produktionsfaktors Arbeit. Zweifellos können Kapitalverluste beim Konsumtivkapital auftreten, die dann die beiden angegebenen Größen beeinflussen. Folgende Frage steht hier im Vordergrund: Wie wirken Kapitalverluste auf die optimale Kombination der Produktionsfaktoren, auf die Höhe und das Wachstum des Sozialproduktes? Unter diesen Gesichtspunkten tritt der Nutzenaspekt des Kapitals zurück. Derjenige Teil des Kapitals, der sich nicht mehr unmittelbar im Produktionsprozeß befindet, verliert an Interesse. Es wird deshalb vom Produktivkapital im oben definierten Sinne ausgegangen. Zu den Fragen der Definition des Kapitals abschließend noch zwei Bemerkungen: Sicher kann auch dann von Kapitalbildung gesprochen werden, wenn menschliche Fertigkeiten und Fähigkeiten geschult werden (bereits Walras und Pareto vertraten diese Ansicht). Auch ist der genannte Ausgangspunkt der Außerachtlassung der Geldseite problematisch. Beide Voraussetzungen seien aber vorläufig erlaubt. Der geldliche Aspekt wird in die Diskussion von Kapitalverlusten auf späterer Stufe der Arbeit einbezogen. Kapitalverluste in Form von „Schulungsverlusten" werden in dem Kapitel über Reaktionen des marktwirtschaftlichen Systems auf Kapitalverluste mitzubehandeln sein. B. Produktivkapital als elementarer Produktionsfaktor
Bevor zum Problem der Messung des Kapitalwertes übergegangen wird, stellt sich die Vorfrage, ob Kapital in dem hier definierten Sinn als Produktivkapital ein elementarer Produktionsfaktor ist. Sollte sich das Produktivkapital in die beiden originären Produktionsfaktoren Arbeit und Boden auflösen lassen, wäre die Messung des Kapitalwertes wesentlich einfacher. Von der Kostenseite könnte sie ganz einfach durch Addition der beiden Faktormengen, multipliziert mit den jeweiligen Preisen, erfolgen. Spielt hingegen das Produktivkapital eine eigenständige Rolle, dann ist sein Beitrag zum Sozialprodukt etwas Essentielles, nicht weiter Rück30 Heinrich v. Stackelberg,
„Grundlagen . . .
a.a.O., S. 5.
40
Die Grenzen der Lösungsversuche zur Kapitalertbestimmung
führbares. Für die Nutzung des Kapitals muß in diesem Falle ein gesonderter Preis gezahlt werden, der für den Wert des Kapitals wiederum einen Kostenbestandteil darstellt. Es besteht die Gefahr einer Bewegung im Kreis. In den Produktionskosten des Kapitals ist der Preis für die Nutzung des Kapitals bereits enthalten. Keine der beiden Größen — weder Kapitalwert noch Kapitalzins — ist unabhängig vom Produktionsprozeß exogen bestimmbar. Produktivkapital wird gern als „vorgetane Arbeits- und Bodenleistung" definiert. Besagt diese Begriffsbestimmung aber nicht mehr, als daß Kapitalgüter eine Kombination von Arbeit und Boden sind? Aus ökonomischer Sicht ist die Frage zu verneinen. Um über diesen Punkt Klarheit zu gewinnen, sollen die Bedingungen der tatsächlichen Produktion anhand eines Beispiels von CarelP 1 untersucht werden: „Bis zum Fertigwerden eines Konsumgutes vergeht Zeit. Wenn der Bäcker Brot backt, so ist der von ihm durchgeführte Umwandlungsprozeß von Mehl in Brot nur der letzte Teil des gesamten Produktionsprozesses ,Brotherstellung'. In Wahrheit beginnt dieser Produktionsprozeß schon beim Bauern, genau gesehen sogar bei der Herstellung von Pflügen, Sensen und allen anderen für die Bodenbearbeitung benötigten Kapitalgütern. Werden Pflüge und Sensen hergestellt, die ,zukünftig* der Herstellung des Konsumgutes Brot dienen, so wird von den bei der Herstellung von Pflügen und Sensen tätigen Arbeitern laufend Brot verbraucht, obgleich das mit Hilfe der von ihnen gegenwärtig* hergestellten Pflügen und Sensen zu erzeugende Brot erst viel später ,zukünftig* zur Verfügung stehen kann." Diesem Beispiel kann folgendes entnommen werden: Die beiden originären Produktionsfaktoren Arbeit und Boden können unmittelbar oder über den Umweg der Schaffung produzierter Produktionsmittel zur Produktion von Konsumgütern eingesetzt werden. Soweit sie mittelbar eingesetzt werden, können sie in der betrachteten Periode natürlich nicht gleichzeitig Konsumgüter herstellen. Entscheidend ist die zur Produktion von Kapitalgütern erforderliche Zeit. In der Bedeutung gerade des Zeitmomentes für die Produktion ist der Grund dafür zu suchen, daß Produktionskapital notwendig den anderen beiden Produktionsfaktoren als zusätzlicher Produktionsfaktor zur Seite gestellt werden muß. Während der Herstellungszeit des Kapitalgutes müssen die darauf verwandten Produktionsfaktoren auf Konsum verzichten. Allerdings kann 31 Erich Carell, „Allgemeine Heidelberg 1961, S. 75—76.
Volkswirtschaftslehre",
neunte, verbesserte
Aufl.,
Produktivkapital als elementarer Produktionsfaktor
41
in einer Tauschwirtschaft das unvermeidliche Warten auch von anderen übernommen werden. Wer wartet, ist letztlich gleichgültig. Hier genügt allein die Feststellung, daß die Funktion des Wartens auf die Konsumgüter notwendige Voraussetzung für die Herstellung des produzierten Produktionsmittels ist. Handelt es sich um dauerhafte Kapitalgüter, kommt hinzu, daß die Leistungen in Form von Konsumgütern nur sukzessiv abgegeben werden. In der Regel ist jedoch die Nutzungszeit des Kapitalgutes noch ungleich länger als die Herstellungszeit. Das Warten „ist offenbar eine persönliche Leistung ganz besonderer Art, die nicht wieder in andere aufgelöst werden kann, sondern wahrlich als,elementar' bezeichnet werden muß" 32 . Damit der geschilderte Produktionsumweg auch tatsächlich eingeschlagen wird, muß er nicht nur durch Warten ermöglicht werden. Es müssen auch Produzenten zum Einschlagen des Produktionsumweges bereit sein. Durch den zur Verfügung gestellten Zeitraum haben Arbeit und Boden Gelegenheit gehabt, sich in Formen zu kleiden, die ihnen im Rohzustand verweigert waren. Von Böhm-Bawerk hat zur Genüge auf die größere Produktivität von Produktionsumwegen hingewiesen. So gesehen ist es letztlich nicht das Kapital, sondern die Zeit, welche die größere Produktivität bewirkt. Denn diese wird dadurch hervorgerufen, daß das Endziel allen wirtschaftlichen Handelns, die Konsumtion, auf einen späteren Zeitpunkt verlegt wird. Als Ergebnis kann festgehalten werden: Produktivkapital ist ein notwendiger und elementarer Produktionsfaktor. Wie oben bereits angedeutet, wird dadurch die Messung des Kapitalwertes ungleich schwieriger. Denn wertbestimmend für Kapitalgüter sind nicht mehr allein Arbeitsund Bodenleistungen, sondern auch das Warten selbst, wofür gleichfalls ein Preis zu zahlen ist. Der so gefundene Kapitalwert ist für die Errechnung der Zinshöhe ungeeignet, weil im Kapitalwert der Zins bereits enthalten ist. Damit aber noch nicht genug. Es baut sich eine weitere Schwierigkeit auf. Bei der Suche nach einem hier geeigneten Kapitalbegriff mußte festgestellt werden, daß zumindest in entwickelten Volkswirtschaften die originären Produktionsfaktoren Arbeit und Boden niemals in reiner Form eingesetzt werden. Auf jeder Stufe der Produktion wirken Kapitalgüter mit. Damit schließen die Kosten des Kapitalgutes seinen Preis mit 32 Gustav Cassel, „Theoretische Sozialökonomie", vierte verbesserte und wesentl. erweiterte Aufl., Leipzig 1927, S. 184.
42
Die Grenzen der Lösungsversuche zur Kapitalertbestimmung
ein. Die Preise für Nutzung und Herstellung des Kapitalgutes sind also bereits im gesuchten Kapitalwert enthalten. Es scheint ganz so, als ob der Wirtschaftstheorie eine Bestimmungsgleichung fehlt, um den Kapitalwert ohne Zirkelschluß errechnen zu können. Auf diese Frage hin soll im folgenden die vorliegende Literatur überprüft werden. C. Die Messung des Produktivkapitals
Wollte man das Produktivkapital einer Volkswirtschaft in einer Liste aufführen, so enthielte diese zunächst Mengen von Kapitalgütern der verschiedensten Art. Die Liste wäre voluminös und nicht leicht zu handhaben. Sollen die Mengen der aufgeführten Kapitalgüter in einem einzigen Ausdruck zusammengefaßt werden, müssen sie vergleichbar gemacht, d. h. bewertet werden. Doch warum sollte eine Maschine nicht eine Maschine, ein Gebäude nicht ein Gebäude sein? Zwei Gründe lassen sich dagegen anführen, ein deskriptiver und ein operationaler. 1. Soll der Kapitalbestand in zwei aufeinanderfolgenden Perioden oder in zwei Regionen verglichen werden, soll also eine Aussage über das Ausmaß der Netto-Investitionen oder die Wachstumsrate des Kapitalbestandes im Vergleich zu der von Arbeit gemacht werden, so ist eine vorausgehende Bewertung des jeweils vorhandenen Kapitalbestandes unerläßlich. Daraus können sich Konsequenzen für die Wirtschaftspolitik ergeben, wenn die Fragestellungen zunächst auch nur rein deskriptiver Natur sind. 2. Der operationale Grund ist aus der Tatsache herzuleiten, daß die Kapitalgüter Produktivkraft sowohl für die Unternehmen als auch für die Volkswirtschaft besitzen. Es gilt daher, diesen Produktionsfaktor so einzusetzen, daß er den größtmöglichen Ertrag erbringt und damit den größtmöglichen Kapitalwert erlangt. Am klarsten tritt der zweite Grund in Erscheinung, wenn lediglich Konsumverzicht vorliegt, dieser sich aber noch nicht in konkreten Kapitalgütern kristallisiert hat. Denn in der Theorie der Investition wird davon ausgegangen, daß von alternativen Verwendungsmöglichkeiten diejenige ausgewählt wird, die den höchsten Kapitalwert verspricht. Auch bei dem hier zu behandelnden Thema muß sowohl aus deskriptivem als aus operationalem Grunde eine Bewertung des Kapitalbestandes vorgenommen werden.
Die Messung des Produktivkapitals
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Einmal gilt es, den Kapitalverlust in seiner absoluten Höhe zu bestimmen. Wird von der Gleichung / = S ausgegangen, muß der Kapitalbestand in den Einheiten gemessen werden, in denen erlaubt ist, die Gleichung S = / aufzustellen, nämlich in Realeinkommenseinheiten. Tritt ein totaler Kapitalverlust ein, ist die Antwort leicht. Ohne Konsumverzicht und Kapitalbildung wäre die neue Lage die gleiche. Insgesamt hat die Volkswirtschaft einen Realeinkommensverlust ( = Kapitalverlust) in Höhe von S erlitten. Leider ist die Lage jedoch nicht immer so einfach. Es können auch partielle Kapitalverluste eintreten. Weit schwieriger wird die Situation aber dadurch, daß Kapitalverluste Faktorpreisveränderungen zur Folge haben, von denen jedes einzelne Kapitalgut betroffen wird. Nachträglich gesehen war dann die Faktorkombination zur Herstellung des Kapitalgutes stets inoptimal. Zweitens soll überprüft werden, ob in einer marktwirtschaftlich orientierten Volkswirtschaft der technische Fortschritt systembedingt zu schnell eingeführt wird. Damit werden Fragen der Allokation und des optimalen Wachstums angeschnitten. Deshalb muß in der vorliegenden Arbeit auch aus operationalem Grunde eine Bewertung erfolgen. 1. D i e M e s s u n g d e s P r o d u k t i v k a p i t a l s in einer stationären W i r t s c h a f t Der in der Volkswirtschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandene Bestand an Kapitalgütern verdankt seine Existenz der Höhe und Zusammensetzung nach den Erwartungen der Vorperioden. Diese Erwartungen erweisen sich aber teilweise als falsch. Darum hat der Kapitalwert keinen eindeutigen Bezug mehr zu den Kosten, und es entstehen, wie bereits angedeutet, Schwierigkeiten der Messung. Immanente Schwierigkeiten treten nicht auf, wenn die Erwartungen sich jederzeit erfüllen, also vollkommene Voraussicht besteht und die Profitrate des Kapitals über die Zeit konstant bleibt. Um die Schwierigkeiten klar erkennbar machen zu können, seien beide Annahmen erlaubt. Es soll vom einfachsten Fall ausgegangen werden, dem der stationären Wirtschaft. Altersaufbau und Größe des Kapitalstocks bleiben gleich. Die Profitrate des Kapitals ist gleich dem Marktzins. Die Faktormengen und deren Preise sowie die Bedürfnisstruktur sind konstant. Ein Arbeiter benötige zur Herstellung eines Kapitalgutes sieben Monate (T = Herstellungszeit). Der Unternehmer zahlt am Anfang jedes Monats den Monatslohn. Soll das fertige Kapitalgut verkauft werden,
44
Die Grenzen der Lösungsversue zur Kapitalertbestimmung
muß der Unternehmer auf die Rückvergütung des ersten Monatslohnes sieben Monate warten, auf den zweiten Monatslohn sechs Monate usw. Die bis zur Herstellung des Kapitalgutes aufgewandten Löhne und die Wartezeit mag die folgende Abbildung veranschaulichen:
2 r 2U 2 r-l'T
l'T
l tf
t¿
tj
¿5
tg
t7
Abb. 2
Beispielsweise muß der Unternehmer nach der vierten Herstellungsperiode auf die Rückvergütung von vier Monatsgehältern noch vier Monate warten. Bis dahin betrug die Wartezeit insgesamt zehn Monate. Drei Monatsgehälter müssen bis zur Fertigstellung des Kapitalgutes noch ausgezahlt werden. Nach der fünften Herstellungsperiode muß der Unternehmer auf die Rückvergütung des fünften Monatslohnes noch drei Monate warten, auf die des sechsten zwei Monate und auf die des siebten einen Monat. Wie ersichtlich, stellt der Block in Abb. 2 die Anzahl der WarteMonate dar, die mit ^ / • T 2 errechenbar sind 33 . Die Summe der Monatslöhne beträgt l • T. Hinzu kommen bei einfacher Zinsrechnung Zinszahlungen in Höhe von i • r • l • 7 2 . Bei Berüdksichti. 1 gung von Zinseszinsen erhöhen sich die Zinszahlungen um - • r 2 • l • T 3 . £
33 D i e Darstellung erfolgte in Anlehnung an Joan Robinson, „The Accumulation of Capital", Diagrams: The Value of Invested Capital, pp. 422—425, London 1956. Die Zinsleistungen lassen sich durch Integration errechnen:
Joan Robinson integriert irrtümlicherweise die ganze Fläche.
Die Messung des Produktivkapitals
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Bei Zinseszinsrechnung betragen die Kosten des Kapitalgutes demnach: K = l • T +\r-l-Tl + l-r2'l-T3
In einer stationären Wirtschaft sind die Kosten des Kapitalgutes gleich seinem Kapitalwert zu Beginn der Nutzungsperioden. Wäre dem nicht so, müßte die Voraussetzung Marktzins gleich Profitrate des Kapitals aufgegeben werden. Damit befänden wir uns aber schon in einer dynamischen Wirtschaft. Nun sind aber nicht alle Kapitalgüter in einer stationären Wirtschaft neuwertig, sondern nur der zur Aufrechterhaltung des Kapitalbestandes neu geschaffene Teil. Seine Größe ist genau bestimmbar, wenn zusätzlich von der Annahme ausgegangen wird, daß die Volkswirtschaft bei einer Lebensdauer der Kapitalgüter von T Jahren sich bereits T Jahre im stationären Zustand befand. Diese Voraussetzung wird im folgenden gemacht. Dann wird ^ der Kapitalgüter in jeder Nutzungsperiode erneuert. Deren Wert ist gleich den Abschreibungsbeträgen infolge Abnutzung. Die Abschreibungssumme ist gleich den Herstellungskosten, die wiederum mit dem Kapitalwert identisch sind. rn
i
Es verbleibt die Aufgabe, den Wert der restlichen Kapitalgüter zu bestimmen. Wäre der Zinssatz Null, würden die Kapitalgüter einer jeden Altersstufe den Bruchteil ihres Neuwertes repräsentieren, der als Restlebensdauer in ihnen noch enthalten ist. Der Wert des volkswirtschaftlichen Kapitalbestandes würde in Abhängigkeit von der Lebensdauer auf die halbe Summe der Herstellungskosten aller vorhandenen Kapitalgüter herabgedrückt 34. Um nicht völlig unrealistisch zu werden, muß die Existenz eines Zinssatzes — wenn auch in bestimmter Höhe — angenommen werden. Jetzt ist es nicht mehr gleichgültig, wie Kosten und Erlöse auf die Nutzungsperioden verteilt sind. Doch seien wiederum vereinfachende Annahmen erlaubt: Die Anschaffungskosten fallen bei Produktionsbeginn an; die Erlöse kommen stetig und pro Nutzungsperiode in gleicher Höhe herein. 34 Ein Beispiel: Beträgt die Lebensdauer fünf Jahre, so ist der volkswirtschaftliche Kapitalwert
Jlk
. Jlk 1 + i x
A + JLk A + JLk l
=
w 5 5 w 5 5 w 5 5 w 5 5 5 25 "' Ab einer Lebensdauer von 25 Jahren ist der volkswirtschaftliche Kapital wert nahe der Hälfte der summierten Neuwerte.
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Die Grenzen der Lösungsversuche zur Kapitalertbestimmung
Zur Messung des Kapitalwertes in der so skizzierten stationären Volkswirtschaft wird von der Frage ausgegangen, wie hoch die Quasi-Renten (Bruttoerlös minus variable Kosten) sein müssen, um die Investition rentabel erscheinen zu lassen. Sind die Quasi-Renten gefunden, so brauchen diese lediglich noch über die Lebensdauer T integriert zu werden. Die gefundene Größe ist dann der Kapitalwert. Sicher müssen die Quasi-Renten Abschreibungsbeträge in Höhe von ? pro Nutzungsperiode enthalten, damit am Ende der Lebensdauer des Kapitalgutes die Re-Investition K durchgeführt werden kann. Zu bedenken bleibt, daß auf die jeweils noch im Kapitalgut steckende Investitionssumme pro Nutzungsperiode ein Zins zu zahlen ist. Diese Zinsleistungen haben im Anfang eine Höhe von Zinssatz r mal Anschaffungskosten K. Da K im Laufe der Zeit sich auf Null hin entwickelt, betragen die Zinsleistungen am Ende der Nutzungsperioden gleich Null. Somit sind insgesamt Zinsleistungen in Höhe von \r-K*T erforderlich. An¿t dererseits erzielt der Amortisationsfonds Zinserträge, zu Beginn von Null, nach Ablauf von T Jahren von r • K. Die Zinserlöse betragen ebenfalls insgesamt \ r-K*T. Abb. 3 stellt die Entwicklung der Zinsausgänge (linkes Dreieck) und Zinseingänge (rechtes Dreieck:) dar.
Abb. 3
Eine einfache Aufrechnung der Zinseingänge und -ausgänge ist nicht erlaubt, da die Zinsleistungen in ihrem Großteil den Zinserträgen zeitlich vorweggehen. Damit Investitionen durchgeführt werden, müssen die Quasi-Renten außer den Abschreibungsbeträgen ^ eine Gegenleistung für die zeitlich vorgelagerten Zinsleistungen enthalten.
Die Messung des Produktivkapitals
47
Zur Bestimmung dieser Gegenleistung geht Joan Robinson 35 wie folgt vor:
I n Abbildung 4 ist die Lebensdauer T des Kapitalgutes durch OR dargestellt. Zum Zeitpunkt Q hat der Amortisationsfonds die Hälfte der Anschaffungskosten erreicht. Würde der Unternehmer von Anfang bis Ende der Lebensdauer als Entgelt für das Zeitintervall, um das die Zinsleistungen den Zinserträgen vorgelagert sind, \ r • K pro Periode verlan¿t gen, so würde bis zum Zeitpunkt Q ein Zinsüberschuß von OPQ zu zahlen sein. Von da ab erhielte der Unternehmer seinerseits einen Zinsüberschuß von QRS. Die beiden Dreiecke sind kongruent. Ihre Fläche läßt sich durch ]-']-r - K = )- r - K - 7 bestimmen. OM ist l OQ und stellt den Schwer2 2
2
8
3
punkt des Dreieckes OPQ dar 36 . Ebenso ist QN gleich | QR. Das Zeitintervall, in welchem die Zinseingänge die Zinsausgänge übersteigen, ist folglich MN = \ T. Da der Überschuß der Zinsverpflichtungen OPQ 1 • - vT - K ausmacht, betragen die vom Unternehmer zusätzlich zu er8
bringenden Zinsleistungen bei einfacher Zinsrechnung (2T \ 3
r • T • K\ 8 /
=
r 2 - T2 • K 12
Zur Realisation einer Investition ist deshalb erforderlich, daß in jeder Nutzungsperiode folgende Beträge durch Quasi-Renten rückerstattet werden: T
+
2
r
'
KK i+
r 2
'
T
'
K
—l2~
Joan Robinson, „The Accumulation of Capital", Diagrams, a.a.O., S. 425. Mathematisch nicht ganz exakt.
48
Die Grenzen der Lösungsversuche zur Kapital Wertbestimmung
Dieser Formelausdruck kann in zwei Teile zerlegt werden. — ist die Summe, die in jeder Periode t re-investiert werden muß, um den Kapitalbestand intakt 3 7 zu halten. Dadurch werden die nichtdauerhaften Kapitalgüter in die Lage versetzt, das Einkommen ständig auf einem höheren Niveau zu halten, als es ohne sie möglich wäre. Wickseil 38 schreibt dazu: „Daß nun aber die verbrauchbaren Güter, d. h. Güter, die in einer begrenzten Reihe von Gebrauchsakten ihren ganzen Nutzgehalt erschöpfen oder zu erschöpfen scheinen, dennoch ,kapitalistisch' angewendet werden können, so daß ihr ganzer Wert dem Eigentümer aufbewahrt bleibt und sie ihm dennoch Einkommen schaffen, diese scheinbar paradoxe Erscheinung, dieses Perpetuum mobile des Volkswirtschaftsmechanismus bildet, wie früher gesagt, den eigentlichen Kern der Kapitaltheorie, . . Der Überschuß nach der Re-Investition von ^ zur Aufrechterhaltung des Kapitalbestandes ist -z • r • K + r T K . Dieser zweite Teil des Formelausdruckes ist gleich der Profitsumme P s auf den gesuchten Kapitalwert der stationären Volkswirtschaft. Da die Profitsumme weiterhin für die ganze Zukunft, also für beliebig viele Jahre erworben wird, kann der Kapitalwert K w durch die Summenformel der unendlichen geometrischen Reihe ausgedrückt werden 39 : K-w
=
Ps' q — i
^
—
qn)
Wird die Identität q — 1 = r beachtet und nimmt n analog einer ewigen Rente unbegrenzt zu, so läuft der Ausdruck ~ gegen Null. Daq mit ergibt sich die bekannte Kapitalisierungsformel:
Die Handhabung der Kapitalisierungsformel ist im vorliegenden Modell erlaubt: In der stationären Volkswirtschaft ist der Wert eines Kapitalgutes gleich der Summe der diskontierten Werte aller Nutzungen. 37 Friedrich A. Hayek, „The Pure Theory of Capital", 3. Aufl., London 1952, S. 54. 38 Knut Wickseil, „Über Wert, Kapital und Rente nach den neueren nationalökonomischen Theorien", Jena 1893, S. 73. 39 Heinrich v. Stackelberg, „Grundlagen . . . ", a.a.O., S. 289.
Die Messung des Produktivkapitals
49
Wäre der Gegenwartswert der Gesamtnutzung größer als der Wert des Kapitalgutes, würde sich die Produktion zusätzlicher Kapitalgüter lohnen, da diese mit Gewinn abgesetzt werden könnten und umgekehrt. Der stationäre Zustand der Volkswirtschaft wäre aufgehoben. Im vorliegenden Modell kann folglich der Wert der in der Produktion beschäftigten Kapitalgüter ganz einfach durch Kapitalisierung des zweiten Formelausdruckes festgestellt werden:
wobei der Index N anzeigen soll, daß es sich um eine Wertbestimmung der in Nutzung befindlichen Kapitalgüter handelt. Die Größe K ist das Symbol für die Herstellungskosten (Neuwert) der Kapitalgüter. Nun bestehen die Herstellungskosten nicht nur aus der Summe der Monatslöhne. Auch die Herstellung erfordert — wenn auch ungleich weniger — Zeit, die in Form von Zinsleistungen entgolten werden muß. Die Formel für die Bestimmung der Herstellungskosten wurde oben entwickelt. Wird in der Produktionsmittelindustrie ebenfalls ein gleichmäßiger Altersaufbau vorausgesetzt, so müssen auch dort
Ka-
pitalgüter (Index H soll anzeigen, daß T hier für die Herstellungszeit steht) in jeder Periode ersetzt werden. Der Kapitalwert der in der Herstellung befindlichen Kapitalgüter läßt sich in gleicher Weise durch Kapitalisierung des dortigen Uberschusses berechnen:
Demnach ist der Kapitalwert aller in einer stationären Volkswirtschaft vorhandenen Kapitalgüter:
Wie leicht zu sehen, deckt sich dieses Ergebnis mit dem unter der Voraussetzung Zins gleich Null abgeleiteten, wenn in den Formeln r = O eingesetzt wird. Der Kapitalwert sinkt dann auf die Hälfte der Anschaffungskosten. Demnach steigt der Kapitalwert mit der Größe des Zinssatzes. Je nachdem, ob das Produkt von r • T größer oder kleiner als eins ist, wird der Kapitalwert die Hälfte der Anschaffungskosten um mehr oder weniger als 4 Noll
überschreiten.
50
Die Grenzen der Lösungsversuche zur Kapital Wertbestimmung
Die entwickelten Formeln lassen die wertbestimmenden Größen des Produktivkapitals klar erkennen: Herstellungs- und Nutzungszeit, Anschaffungskosten, Lohnhöhe und Zinssatz. Diese heterogenen Komponenten machen die Substanz des Produktivkapitals aus. Sie bleiben in einer stationären Wirtschaft über die Zeit für das einzelne Kapitalgut absolut und relativ konstant. Die Größen dürfen deshalb als bekannt vorausgesetzt werden. Damit steht einer Messung des Kapitalwertes nichts entgegen. Die so gefundene Größe hat jedoch nur heuristischen Wert, wenn von der Aufgabenstellung ausgegangen wird, Kapital in einer zusammenfassenden Größe neben die beiden originären Produktionsfaktoren stellen zu wollen. Wie zu sehen, enthält der Kapitalwert die Bestandteile Anschaffungskosten des Kapitals und Zinssatz. Folglich kann aus ihm der Zinssatz nicht selbständig abgeleitet werden. Hinzu kommt, daß der Kapitalwert ein Knappheitsverhältnis der Produktionsfaktoren zueinander ausdrücken soll. Da der Lohn als Bestimmungsgrund des Kapitalwertes in ihm schon enthalten ist, ist auch das unmöglich. Der gefundene Kapitalwert ist also keine selbständige operationale Größe, sondern bereits das Ergebnis des Tauschprozesses. Dieser Schluß kann nicht weiter verwundern, weil Kapital wertmäßig aufgefaßt wurde. Bei den elementaren Produktionsfaktoren kommt man in diese Klemme nicht, weil sie als technische Einheiten gemessen werden. Es liegt deshalb der Schluß nahe, zur Übereinstimmung zwischen sämtlichen Produktionsfaktoren von technischem Kapital auszugehen. Allerdings würde Kapital dann wieder in so viele Kategorien zerfallen, wie es Arten von Kapitalgütern gibt. Damit steht die Analyse wieder am Ausgangspunkt. Sie drehte sich im Kreise. Zusammenfassend kann folgendes festgestellt werden: Der Kapitalwert ist keine selbständige Bezugsgröße. Vielmehr ist er stets aus den ihm fremden Einheiten Boden und Arbeit sowie aus sich selbst zusammengesetzt. Es muß deshalb ein vergebliches Unterfangen bleiben, einen Kapitalwert als selbständige operationale Größe aus den eigenen Reproduktionskosten ableiten zu wollen. Wie gezeigt, ist das nur in einer stationären Wirtschaft möglich oder ganz allgemein in einer Wirtschaft, die sich im Gleichgewicht befindet und bereits so viele Perioden darin verharrte, wie das längstlebige Kapitalgut an Perioden genutzt wird. Sofern die Erwartungen der Wirtschaftssubjekte von Periode zu Periode stets realisiert werden, entsteht niemals die Frage nach der Verwendung des einzelnen Kapitalgutes. Es wird immer für den Zweck
Knut Wickseil
51
eingesetzt, für den es produziert wurde. In einer so beschriebenen Volkswirtschaft ist es unproblematisch, den Kapitalbestand in einer Größe zusammenzufassen und als „Datum" zu verwenden. Leider ist die Kapitalwertbestimmung in einer gleichgewichtigen Wirtschaft nicht nur unproblematisch, sondern auch überflüssig. Erst in einer dynamischen Wirtschaft mit unvorhergesehenen Veränderungen, wie sie beispielsweise durch den technischen Fortschritt verursacht werden, könnte das „Datum" von Nutzen sein. Aber genau in diesem Zusammenhang ist es nicht erlaubt, den Kapitalbestand in einer Größe zu beschreiben. Als erster hat m. W. Wicksell 40 die Schwierigkeiten gesehen. Er schreibt: „Dagegen wäre es ja ziemlich sinn- oder zwecklos, wenn auch nicht ganz undenkbar, dem Kapitale schon im voraus, ehe Gleichgewicht zwischen Produktion und Konsumtion eingetreten ist, eine gewisse unveränderliche Größe zuerteilen zu wollen.... Doch sogar dann, wenn wir hier das Kapital genetisch auffassen, in ihm eine in verschiedenen Jahrgängen aufgespeicherte bestimmte Menge an Arbeitskraft und Bodenkraft sehen, würde ja eine Veränderung des Tauschwertes der Waren auch ihre Produktionsbedingungen verändern und dadurch eine größere oder geringere Veränderung in der Zusammensetzung des Kapitals herbeiführen müssen." Im folgenden soll deshalb untersucht werden, ob Wickseil eine Lösung anzubieten vermag. 2. M e s s u n g s v e r s u c h e des K a p i t a l b e s t a n d e s bei s t a t i s c h e r bzw. k o m p a r a t i v - s t a t i s c h e r Betrachtungsweise a) Messungsversuch von Knut Wickseil Bei Wickseil standen zwei Probleme der Kapitaltheorie im Vordergrund: (1) Bestimmung der Investitionspläne des einzelnen Unternehmers (mikroökonomische Analyse) und nach Lösung dieses Problems (2) die Wirkungen des Kapitalvolumens auf Zins- und Lohnhöhe (makroökonomische Analyse). In beiden Arbeitsrichtungen unterschied er sich wesentlich von den meisten früheren und späteren Kapitaltheoretikern. In der Theorie der Firma (1) ging es ihm nicht nur um das Ausmaß des Investitionsvolumens, sondern zusätzlich um die Erklärung von Kapi40 Knut Wicksell, 4*
„Vorlesungen ...«, a.a.O., S. 272—273.
52
Messungsversuche in statischer bzw. komparativ-statischer Analyse
taltiefe und -breite 41 . Bei Kapitalakkumulation kann der Zuwachs in einer vorgestellten Volkswirtschaft entweder durch Ausrüstung einer größeren Anzahl von Arbeitern mit gleichartigem Kapital genutzt werden oder durch Erhöhung des Kapitalbestandes pro Kopf. Bei vorgegebener Größe des Produktionsfaktors Arbeit läßt sich der erste Weg nur bei Existenz von Arbeitsreserven beschreiten. Sind diese ausgeschöpft, bliebe letztlich nur noch die Möglichkeit, daß spezielle Branchen ihren zusätzlichen Bedarf durch Abzug von Arbeitskräften aus anderen Branchen befriedigen. Es soll hier nicht diskutiert werden, ob in einer so beschriebenen Volkswirtschaft sich jede Kapitalvermehrung geradlinig in einer Kapitalvertiefung Einsatzmöglichkeiten schafft (dagegen spricht die hervorgerufene Veränderung des gesamten Preissystems). Tatsache bleibt, daß je nach Zeitdimension unterschiedliche Effekte auf Ausbringungsmenge und Reinvestition erzielt werden. Jedenfalls können Begriffe wie Kapitalintensität und Kapitalkoeffizient die von Wickseil vorgetragene Unterscheidung nicht ersetzen, da sie letztlich keine bestimmenden, sondern resultierende Größen sind. Bei der Behandlung des zweiten Problems (2) ging es Wicksell um die Darstellung der Rolle des Kapitalvolumens in einer allgemeinen Gleichgewichtsanalyse. Er wollte letzten Endes die Ausstrahlungen des Kapitalbestandes auf das gesamte relative Preissystem einer Volkswirtschaft zeigen. Damit war das Ziel viel weiter gesteckt als bei den meisten früheren und späteren Kapitaltheoretikern. Wicksell begnügte sich nicht mit der Zinsbestimmung, resultierend aus der Gesamtheit der Investitionspläne und dem Sparvorhaben der Einkommensbezieher, sondern behandelte beispielsweise gleichzeitig die Wirkungen einer Kapitalvermehrung auf den Lohnsatz. Er war der Ansicht, daß ein Teil der investierten Sparbeträge durch Lohnsteigerung infolge veränderter Knappheitsverhältnisse der Produktionsfaktorten absorbiert würde oder — von der output-Seite gesehen — „der durch Kapital verursachte Produktionszuwachs würde nur teilweise dem Kapital selber, teilweise aber auch den übrigen Produktionselementen zugute kommen 42 ". 41 Wicksell spricht in diesem Zusammenhang von vertikaler und horizontaler Dimension des Kapitals. Obige Terminologie ist seit R. G. Hawtrey, „Capital and Employment", London 1937, S. 36, üblich. 42 Knut Wicksell, „Vorlesungen . . . a.a.O., S. 222. Mathematische Ableitung S. 247. Dieser Gedanke ging in die Literatur als Wicksell-Effekt ein. Vgl. Carl G.
Knut Wicksell
53
Danach bliebe nur ein mehr oder weniger großer Restbetrag zur Verlängerung des Produktionsprozesses übrig. Eine Vergrößerung der Zeitdimension würde eine überproportionale Erhöhung des investierten Betrages erforderlich machen. Aus diesem Grund hat Wicksell die Produktionsfunktion niemals als Funktion des eingesetzten Kapitals (K), sondern als die der Investitionsperiode (t) beschrieben. Kapital und Investitionsperiode sind nicht synonym zu verstehen. l, p und t. Ist der Lohnsatz auf der Ordinate gegeben, so wird der Zinssatz bei der Investitionsperiode maximiert, welche durch Zeichnung der Tangente vom Lohnsatz ausgehend an die Produktionsfunktion gefunden wird. Die Zinshöhe wird geometrisch durch das Auszeichnen der Tangente bis zum Schnittpunkt mit der negativen Abszisse bestimmt. Wäre der Lohnsatz bei-
Knut Wicksel
55
spielsweise höher, würde die Investitionsperiode länger und der interne Zinsfuß niedriger (denn | würde größer) sein. Durch Elimination von z aus den Gleichungen (1) und (2) erhält man: d p
(3)
p-l+tdt«
Da weiter der Wert des investierten Kapitals pro Arbeiter im Durchschnitt ^ beträgt, kann die Gleichung ¿t (4)
K=A-l'\
aufgestellt werden, worin K für das gesamte Kapital und A für die Gesamtzahl der Beschäftigten in der Volkswirtschaft steht. Wird l aus Gleichung (3) eliminiert und in Gleichung (4) eingesetzt, kann die Gleichung für die Bestimmung des Kapitalwertes in Abhängigkeit von den Veränderlichen t, p und aufgestellt werden: « - f b - ' - f f ) Da p und Funktionen der Zeit sind, kann der Kapitalwert errechnet werden, wenn t, die Investitionsperiode, bekannt ist oder umgekehrt: Bei Kenntnis über die Größe des Kapitalwertes läßt sich die optimale Investitionsperiode mit Hilfe von Gleichung (5) bestimmen. ß) Das makroökonomische Modell Wicksells Theorie der Firma kann unter bestimmten Annahmen leicht in ein makroökonomisches Modell umgewandelt werden. Er 4 4 schreibt selbst: „Wenn wir nach dem Vorgang Böhm-Bawerks als erste Annäherung innerhalb aller Geschäftszweige dieselbe Produktivität und dieselbe Zunahme der Produktivität bei zunehmender Verlängerung der Produktionsperiode annehmen dürfen, so können offenbar unsere obigen Gleichungen als für die ganze Volkswirtschaft zutreffend betrachtet w e r d e n . . I n diesem Falle sind die Symbole £, p, l und z ganz einfach makroökonomisch aufzufassen. Es gelten weiterhin die Gleichungen (4) und (5). Mit ihrer Hilfe wird der Gleichgewichtsprozeß von Wickseil wie folgt beschrieben: "
Knut Wickseil,
„Ober Wert, Kapital und Rente . . . a , a.a.O., Seiten 101—102.
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Messungsversue in statischer bzw. komparativ-statiser Analyse
Vom Gesichtspunkt des Einzelunternehmers ist die Lohnhöhe Parameter, von dem der gesamten Volkswirtschaft aber Variable. Dennoch sei für den Augenblick der Trick erlaubt, den Lohnsatz als bekannt vorauszusetzen. Bei bekanntem Lohnsatz und gegebenem Verlauf der Produktionsfunktion werden die Unternehmer die Produktionsperiode wählen, die den internen Zinsfuß maximiert. Kennt man den Wert des verfügbaren Kapitalbestandes, dann bestimmt Gleichung (4), wieviel Arbeitskräfte zu dem herrschenden Lohnsatz und der daraufhin angepaßten Investitionsperiode beschäftigt werden können. Ist die Anzahl der vorhandenen und beschäftigten Arbeitskräfte gleich, wurde auf Anhieb vom Gleichgewichtslohnsatz ausgegangen. Wären nicht alle Arbeitskräfte eingegliedert worden, hätte der Wettbewerb unter den Arbeitern zu einer Senkung des Lohnsatzes geführt. Bei niedrigerem Lohn ist eine kürzere Investitionsperiode optimal, wie Abb. 5 deutlich zeigt. Aus zwei Gründen tritt eine Erhöhung der Beschäftigungszahl ein: der Lohn ist niedriger geworden und die Investitionsperiode kürzer. Gleichung (4) zeigt, daß beide Tendenzen auf eine Erhöhung der Beschäftigtenzahl hinwirken. Bei im Vergleich zum Wert des Kapitalbestandes zu hoher Nachfrage nach Arbeitskräften nimmt der Prozeß den umgekehrten Verlauf. Höherer Lohnsatz und längere Investitionsperiode werden optimal. Die Wicksellsche Theorie demonstriert recht deutlich die makroökonomischen Interdependenzen von Lohnhöhe, internem Zinssatz und der Investitionsperiode. Diese drei Größen werden im Modell durch die in der Volkswirtschaft vorhandene Arbeitsmenge, den bekannten Verlauf der Produktionsfunktion und — was für die vorliegende Arbeit wichtig ist — durch eine angenommene Wertgröße des Kapitalbestandes bestimmt. Im System von Wicksell ist Kapital keine Variable, sondern Parameter. Bei gegebenem Wertzuwachs des Kapitals können aus Gleichung (4) auch die Wirkungen der Kapitalbildung abgelesen werden. Ist die Beschäftigungszahl konstant, muß ein gestiegener Kapitalwert der Volkswirtschaft ebenfalls steigende Löhne zur Folge haben. Wie aus Abb. 5 zu sehen ist, zwingen gestiegene Löhne den Unternehmer zur Verlängerung der Investitionsperiode. Die Verlängerung der Investitionsperiode zieht wiederum eine Senkung des internen Zinsfußes nach sich.
Knut Wicksell
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y) Kritik des Wicksell-Modelles Beim Studium des Wicksell-Modelles fallen zwei kritische Punkte sofort auf: (1) Kennzeichnend für eine moderne Volkswirtschaft ist die Existenz dauerhafter Kapitalgüter. Oder um im Beispiel Wicksells zu bleiben: auch in der Landwirtschaft kann nicht ohne fixes Kapital gewirtschaftet werden. (2) Die Verwendung des Begriffes der durchschnittlichen Produktionsperiode ist äußerst problematisch 45. In einer ausführlichen Besprechung46 des Buches von Äkerman „Realkapital und Kapitalzins" hat Wicksell sein Modell erweitert und die beiden genannten Einwendungen aus dem Wege geräumt. Er führt die Axt als Beispiel fixen Kapitals ein. Die Herstellungszeit bleibt unberücksichtigt, da sie im Vergleich zur Nutzungszeit minimal sei und deshalb der Fehler nicht allzu groß würde. Diskrete Prozesse werden ausgeschlossen. Mit dem Einbau des fixen Kapitals in das Modell tritt gleichzeitig die Frage auf, wie die vorhandene Menge an Arbeitskräften auf direkte und indirekte Verwendungsmöglichkeiten verteilt werden soll. Zur Bestimmung dieser Relation führt Wicksell eine zusätzliche Gleichung ein, die gesamtvolkswirtschaftliche Produktionsfunktion. Er nimmt an, daß sie linear-homogen sei (Typ Cobb-Douglas)47. Der Begriff der durchschnittlichen Produktionsperiode wird durch Einführung einer technischen Beziehung zwischen Lebensdauer des fixen Kapitalgutes und indirektem Arbeitseinsatz sowie einer Annahme über das Produkt von Lebensdauer (t) und Zinssatz (z) umgangen (t • z = const.). Bei näherer Durchleuchtung der Prämissen sind die Folgerungen jedoch nicht mehr so verblüffend, wie es auf Anhieb scheinen mag. Das Spezifische erkennt Wicksell selbst, wenn er schreibt, daß die Aussagen nur bei « John R. Hicks, „Value and Capital", Kapitel 15—17, S. 191—226, Oxford 1939. Paul A. Samuelson, „Foundations of Economic Analysis", Cambridge Mass. 1948, S. 188. John D. Sargan, „The Period of Production", Econometrica, Bd. 23, Nr. 2, April 1955, S. 151—165. Conrad A. Blyth, „The Theory of Capital and its Time Measure", Econometrica, Bd. 24, Nr. 3, Okt. 1956, S. 467—479. Eine Umformulierung und Erweiterung des Problems versucht Hans Brems in: „Output, Employment, Capital, and Growth", New York 1959, Kapitel 19, S. 212—226. 46 Knut Wicksell, „Realkapital och kapitalränta", Ekonomisk Tidsskrift, Bd. 25, Nr. 5—6, 1923, S. 145—180. Dieser glänzende Besprechungsaufsatz wurde in der englischen Übersetzung seiner Lectures, Bd. I, als zweiter Anhang, S. 258—299, London 1934, wieder abgedruckt. 47 M. W. hat Wicksell als erster mit der linear-homogenen Produktionsfunktion gearbeitet. Der Besprechungsaufsatz erschien 1923!, also drei Jahre vor der Veröffentlichung von Cobb und Douglas.
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kleinen Veränderungen Gültigkeit beanspruchen könnten 48 . Verfolgt man die heutige Literatur, so entsteht der Eindruck, daß die kleinen Veränderungen immer größer wurden und die Einschränkung schließlich ganz in Vergessenheit geriet. Die Darstellung des erweiterten Wicksell-Modelles würde hier zu weit führen. Im Ergebnis kommt auch er zu der Feststellung, daß der Kapitalwert einer Volkswirtschaft austauschbar als Funktion einer der Variablen des Systems ausgedrückt werden kann: als Funktion der Lebensdauer £, des Lohnsatzes pro Jahr /, des Wertes der Nutzungen des Kapitalgutes p oder des Zinssatzes z. Wickseil wählt die Lebensdauer als unabhängige Variable. Der Kapitalwert der Volkswirtschaft kann dann errechnet werden. Damit wird deutlich, daß auch Wicksell die unabhängige Kapitalwertbestimmung nicht gelingen konnte. Das Spiel kann von neuem beginnen: Ist der Zinssatz gegeben, liegt der Kapitalwert fest. Ist der Kapitalwert bekannt, kann der Zinssatz daraus abgeleitet werden. Zur Bestimmung des Preissystems konnte auch Wicksell die noch fehlende Gleichung nicht liefern. Wie das obige Zitat 4 9 zeigte, hat Wicksell zwar die Einsicht gehabt, daß vom Kapitalwert als Datum nicht ausgegangen werden darf, vermochte sie aber nicht in sein System einzubauen. Auf anderer Ebene ist auch die Problematik der durchschnittlichen Produktionsperiode wieder aufgetaucht. Wicksell nimmt an, daß es nur eine Art von Kapitalgütern gibt, nämlich Äxte. Die Zielsetzung der Maximierung des internen Zinssatzes ergibt in Abhängigkeit von den anderen Variablen des Systems eine ganz bestimmte Lebensdauer £. Wird aber davon ausgegangen, daß die Volkswirtschaft mehrere Arten von Kapitalgütern besitzt, dann liegen so viele t 0pt vor, wie Arten von Kapitalgütern vorhanden sind. Um die Werte der topt vergleichbar zu machen, müßten sie gewichtet werden. Da sie unterschiedlich in ihrer Zeitdimension sind, liegt es nahe, sie mit dem Zinssatz zu gewichten. Zusammenfassend kann folgendes festgehalten werden: Könnte der Zinssatz unabhängig vom naturalökonomischen Prozeß bestimmt werden, würden zwei Probleme mit einem Schlage gelöst: 1. Das Preissystem wäre determiniert und 2. wäre damit der Gewichtungsfaktor heterogener mikroökonomischer Größen zu gesamtvolkswirtschaftlicher Aggregation gefunden. 48 Knut Wicksell, „Lectures", Vol. I, a.a.O., S. 288. « Vgl. S. 51 dieser Arbeit.
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Der oben erörterte Zirkelschluß und das Problem der Aggregation wären überwunden, wenn nachgewiesen werden könnte, daß der Marktzinssatz rein monetär bestimmt wird. Im folgenden soll deshalb die Keynessche Zins- und Beschäftigungstheorie auf ihren Wahrheitsgehalt hin überprüft werden. Zwar ist Keynes nicht der einzige Vertreter einer monetären Zinstheorie. Die Liquiditätstheorie des Zinses hat Vorläufer, und sie ist in der nachfolgenden Diskussion weiter ausgebaut worden. Dennoch genießt sie eine Sonderstellung, weil allein Keynes ganz eindeutig die hier interessierende Problematik der Kapitalwertmessung gesehen hat und eine Lösung über die Liquiditätstheorie des Zinses versuchte.
b) Messungsversuch von John Maynard Keynes Die bisherige Argumentation wurde realwirtschaftlich geführt. Wenn daher vom Zins — oder im Einklang mit der althergebrachten Terminologie — vom internen Zins gesprochen wurde, so war damit nicht der Preis für das Ausleihen von Geld gemeint. Der realwirtschaftliche Zins entspricht vielmehr dem, was in der klassischen englischen Nationalökonomie mit Profit oder im Deutschen mit Urzins bezeichnet wurde. Er ist identisch mit der „marginal efficiency of capital" bei Irving Fisher 50 und Keynes 51 oder dem natürlichen Zins bei Wickselfi 2. Da bei Keynes der monetäre Aspekt eine wichtige Rolle spielt, muß im weiteren Verlauf zwischen beiden Arten von Zinssätzen streng unterschieden werden. Unter Zins wird ganz einfach der Geld- oder Marktzins verstanden. Wenn nicht, wird vom internen Zinssatz oder der Profitrate des Kapitals gesprochen. Keynes definiert als Profitrate des Kapitals den Diskontierungsfaktor aller erwarteten zukünftigen Erlöse, welcher diese Summe den Herstellungskosten gleichmacht. Alle Größen sind Wertgrößen. Da zukünftige Erlöse zu diskontieren sind, werden über diesen Weg die Erwar50
Armen A. Alcbian, „The Rate of Interest, Fisher's Rate of Return over Costs and Keynes* Internal Rate of Return", The American Economic Review, Vol. X L V , No. 5, Dec. 1955, S. 938—943; sowie Replik von Romney Robinson , ebenda, Vol. X L V I , No. 5, Dec. 1956, S. 972—973. 61 John M. Keynes , „General Theory of Employment, Interest and Money", Macmillan, London, 1961, S. 135; 1. Ausg. 1936. 52 Knut Wickselly „Geldzins und Güterpreise", Jena 1898, übersetzt ins Englische als „Interest and Prices", Macmillan, London 1936, S. 102.
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tungen in die Wirtschaftstheorie eingebaut. Bewußt werden diesen Erlösen nicht die Anschaffungskosten gegenübergestellt, da sie als Marktpreis ein Profitelement enthalten. Denn es ist zu entscheiden, ob ein Kapitalgut bestimmter Art produziert, d. h. ob investiert werden soll. Durch Kapitalbildung sinkt die Profitrate des Kapitals, teils, weil die erwarteten zukünftigen Erlöse sinken und teils, weil die Produktionsmöglichkeiten sich verschlechtern. Der erste Grund wirkt sich überwiegend kurzfristig, der zweite eher langfristig aus. Auf diese Weise gelangt Keynes zu einer Funktion zwischen Investitionsvolumen und resultierender Profitrate des Kapitals. Zweifellos stellt diese Kurve gleichzeitig die Nachfrage nach Investitionsmitteln bei sich verändernder Profitrate des Kapitals dar. Nach Keynes schleichen sich an dieser Stelle Irrtümer in die Auffassung der neoklassischen Schule ein. Deren Vertreter nehmen an, daß das Geldeinkommen von Periode zu Periode konstant ist. Unter dieser Voraussetzung wird der Teil der monetären Ausgabe, der nicht auf Konsumgüter verwandt wird, zwangsläufig und automatisch zu einer Nachfrage nach Investitionsgütern. Sonst würde die Prämisse konstantes Geldeinkommen verletzt. Der Investitionsfunktion wird das Sparvolumen als Funktion des Zinssatzes gegenübergestellt. Die Preise (einschließlich Zins) werden auf die gleiche Weise wie in der reinen Tauschwirtschaft bestimmt. Angebot an und Nachfrage nach Finanzierungsmitteln für Investitionen sind stets gleich. Profitrate und Zinssatz können nicht voneinander abweichen. Keynes bestreitet nicht, daß der unter der Voraussetzung konstantes Geldeinkommen gezogene Schluß richtig ist. Jedoch seien die Überlegungen nur für die Beschreibung einer Gleichgewichtssituation hinreichend. Bei gleichbleibenden Erwartungen hat kein Wirtschaftssubjekt Veranlassung, seinen Status zu ändern. Folglich bleibe das Geldeinkommen ebenfalls, unverändert. Marktzins und Profitrate würden gleichzeitig durch den Schnittpunkt der beiden Funktionen bestimmt. Aber „to make this into a theory of the rate of interest or to derive the rate of interest from it involves a circular argument, as Marshall discovered after he had got half-way into giving an account of the rate of interest along these lines. For the ,marginal efficiency of capital' partly depends on the scale of current investment, and we must already know the rate of interest befor we can calculate what this scale will be 53 ." 53 John M. Keynes , a.a.O., S. 184.
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Keynes sieht die Problematik der Kapitalwertmessung also ganz genau und folgert, daß der Kapitalisierungsfaktor der erwarteten zukünftigen Erlöse im außernaturalen Bereich gesucht werden muß 54 . Eine Reihe von Bemerkungen läßt vermuten, daß Keynes nicht zuletzt wegen der anstehenden Problematik das Verhältnis von Sparen und Investieren neu durchdacht hat. Hinzu kam wohl noch, daß nach seiner Vorstellung ein Stimulans zu gesteigerter Ausbringungsmenge nur von einer Erhöhung der Profitrate im Vergleich zum Marktzins ausgehen kann 55 . Die Quelle für eine Investitionsanregung würde verschüttet, wenn der Marktzins im gleichen Ausmaß wie die Profitrate steigt. Damit zeichnet sich der weitere Weg der Keynesschen Analyse ab. Die Profitrate des Kapitals behält ihr Merkmal, Funktion des Investitionsvolumens zu sein. Als Diskontierungsfaktor wird sie durch einen rein monetär bestimmbaren Zinssatz ersetzt. Da ferner Profitrate und Marktzins nicht zwangsläufig gleich sind, können Differenzen zwischen Herstellungskosten und Summe der diskontierten zukünftigen Erlöse entstehen. Im Keynesschen System ist es Aufgabe des einzelnen Unternehmers, diese mögliche Differenz zu maximieren, nicht die Profitrate des Kapitals 56 . Keynes Kritik zielt auf die Voraussetzung konstanten Geldeinkommens. Sie ist inkonsistent mit der weiteren Annahme, daß die Kurven von Angebot an und Nachfrage nach Investitionsmitteln sich unabhängig voneinander verschieben können. Wird die Investitionsfunktion aufgrund gestiegener Erwartungen (etwa durch technischen Fortschritt) nach rechts verschoben, muß auch das Geldeinkommen steigen. Folglich kann bei gegebenem Einkommen das Sparvolumen nicht als Funktion des Zinssatzes betrachtet werden. Vielmehr ist das Einkommen die entscheidende Determinante zur Erreichung der Gleichheit von Spar- und Investitionsvolumen. Die traditionelle Theorie hat übersehen, daß die Höhe des Einkommens vom Ausmaß des Investitionsvolumens abhängig ist. 5* John M. Keynes, a.a.O., S. 138. 55 John M. Keynes, a.a.O., S. 143. 56 Im stationären Gleichgewicht führen beide Kriterien zum gleichen Ergebnis. Sobald das Gleichgewicht aber nicht stationär ist, treten Diskrepanzen auf. Je nachdem, welches Kriterium vom Unternehmer zur Investitionsentscheidung herangezogen wird, ergeben sich unterschiedliche Wirkungen auf Investitions-„Tiefe" und -„Breite". Die Frage nach dem richtigen Investitionskriterium ist von Friedrich A. Lutz wiederholt gestellt worden, aber bislang ohne Echo geblieben. F. A. und Vera Lutz, „The Theory of Investment of the Firm": Princeton 1951, Kapitel 2, S. 16—48. F. A. Lutz, „Essentials of Capital Theory", a.a.O., S. 6.
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Demnach wird bei Keynes dem nominellen Volkseinkommen anstelle des Zinses die zentrale Rolle zugewiesen. Unabhängige Variable ist im Keynesschen System zunächst einmal die psychologische Erwartung über die zukünftigen Erlöse. Damit liegt die Investitionsfunktion vor. Die Sparfunktion kann noch nicht gezeichnet werden. Der Hang zum Verbrauch wird zwar auch als bekannt vorausgesetzt. Aber die zuzuordnende Höhe des Volkseinkommens muß noch gesucht werden. Dazu stellt Keynes folgende Überlegungen an: Wäre der Zinssatz gegeben, könnte das Investitionsvolumen und damit auch das Volkseinkommen bestimmt werden. Denn die Investitionsfunktion erlaubt zwar keine Aussage über die Höhe des Zinssatzes. Von ihr kann aber abgelesen werden, wie hoch das Volkseinkommen wäre, wenn von anderer Stelle gesagt werden könnte, wie hoch der Zinssatz ist. Hier liegt der Angelpunkt für die Liquiditätstheorie des Zinses. Sie hat zwei Aufgaben zu erfüllen: (1) Einmal muß sie die Quelle für Veränderungen des nominellen Volkseinkommens zeigen und (2) zum anderen muß sie den Marktzins rein monetär bestimmen. (1) Nach Keynes besteht für das einzelne Wirtschaftssubjekt nicht nur die Möglichkeit, den nach Abzug der Konsumausgaben verbleibenden Restbetrag seines monetären Einkommens zur Investition im engen klassischen Sinne zu verwenden. Dieser Betrag kann auch in Kasse „investiert" werden. Obwohl das Horten keinen direkten — oder im Augenblick des Hortens nur einen psychologischen — Ertrag abwirft, kann diese Art der Einkommensverwendung dennoch vorteilhaft sein, weil unvorhergesehene Marktchancen schnell ausgenutzt werden können. Im Gegensatz zur Gesamtwirtschaft besteht das Vermögen des einzelnen Wirtschaftssubjektes aus Gütern, Wertpapieren und Geld. Jedes Wirtschaftssubjekt wird den Sparbetrag auf den Kauf von Investitionsgütern und Wertpapieren sowie das Horten von Geld derart verteilen, wie es das bei der Investition im engeren Sinne zur Maximierung seines Einkommens tun würde, nämlich so, daß die erwarteten Erlöse in jeder Verwendungsrichtung die gleichen sind. Jede Veränderung der relativen Ertragsaussichten würde zu einer Umverteilung des Vermögens führen. Daraus folgt, daß Geld passiviert und reaktiviert werden kann. Es ist leicht zu sehen, daß unabhängig von der Profitrate des Kapitals und der Konsumneigung das Volkseinkommen sich ändern kann, schon deshalb, weil die relative Nachfrage nach den einzelnen Vermögensteilen geändert wurde.
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Seit Cantillon und Hume 57 ist es eine bekannte und nie bestrittene Tatsache, daß infolge Veränderung der Geldmenge oder der Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes Profitrate und Marktzins voneinander abweichen können. Sparen und Investieren sind dann nicht mehr gleich groß. Folglich ändert sich auch das Geldeinkommen. Wicksell glaubte, diese eintretenden Komplikationen durch eine Politik der konstanten Geldmenge vermeiden zu können58. (2) Die Besonderheit bei Keynes liegt darin, daß nach seiner Ansicht der Zins rein monetär bestimmt wird, durch Geldmenge und Nachfrage nach Kasse. Ändert sich bei konstanter Geldmenge die Nachfrage nach Kasse, ändert sich im gleichen Zuge auch das Volkseinkommen. Da die Lage der Konsumfunktion dann bekannt ist, wird auf diese Weise der Zinssatz bestimmt. Wie zu sehen, muß also geprüft werden, ob die Nachfrage nach Kasse ein rein monetäres Phänomen ist. Nach Keynes ist der Zins der Preis für die Bereitschaft, Kasse aufzugeben. Das Zusammenspiel von Zins, Geldmenge und Kassebedürfnis (Liquiditätspräferenz) kann wie folgt beschrieben werden: Der Zins muß eine solche Höhe haben, daß die Wirtschaftssubjekte wünschen, den Betrag an Geld als Liquiditätsreserve zu halten, der nicht für laufende Transaktionszwecke benötigt wird. Dieser Wunsch, Geld zu halten, kann durch eine Nachfragekurve nach Geld zum Ausdruck gebracht werden, die das Kassebedürfnis für verschiedene, hypothetische Zinssätze widerspiegelt (liquidity preference curve). Allerdings genügt es nicht, eine solche Kurve zu zeichnen und bereits daraus zu schließen, daß der Zins ausschließlich monetär von der Geldmenge und der Liquiditätspräferenz abhängt. Ein derartiges Vorgehen würde nicht mehr besagen, als daß der Preis (hier: Zins) von Angebot und Nachfrage abhängt. Dem Inhalt der Kurven muß nachgegangen werden. Die Liquiditätspräferenz enthält zwei Elemente: 1. Nachfrage nach Geld aus dem Umsatzbedürfnis. Sie ist bei Keynes durch institutionelle Faktoren festgelegt und wird annäherungsweise als ein bestimmter Prozentsatz des Volkseinkommens betrachtet. Die Nachfrage nach Geld aus dem Umsatzmotiv legt die Lage der Kurve fest. 67 Richard Cantillon, „Essai sur la nature du commerce en général", 1754, TeilI I I , Kap. 7—8. David Hume, „Essays Moral, Political, and Literary", 1752, Teil I I , Essay I V , „On Interest". m Knut Wickseil, „Vorlesungen . . . ", Bd. 2: Geld und Kredit, Jena 1922, Derselbe, „Geldzins und Güterpreise", a.a.O.
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2. Die Nachfrage nach Geld zu Spekulationszwecken bestimmt die Krümmung der Kurve. Ihre Rechtsneigung kommt zustande, weil „je höher der Zinssatz, d. h. je niedriger der Kurs der Forderungen ist, um so mehr werden Publikum und Banken geneigt sein, zinstragende Forderungen zu kaufen, d. h., aus spekulativen Gründen gehaltene Kasse gegen Wertpapiere umzutauschen59".
Zins
Abb. 6
Die Liquiditätstheorie hat eine heftige, kritische Diskussion ausgelöst, die sich vornehmlich gegen den Ausschluß des Produktivitätselementes wandte 60 . Dieser Kritik wird hier nicht gefolgt. Denn Keynes könnte zu seiner Verteidigung anführen, daß das Sparvolumen vom Zinssatz unabhängig ist 61 . Wird diese Aussage als Erfahrungstatsache akzeptiert, wird das Angebot an Sparmitteln aus zwei Quellen gespeist: Ein durch die Produktivität hervorgelocktes konstantes Angebot plus ein veränderliches in Abhängigkeit von der (monetären) Liquiditätspräferenz. Es soll hier nicht geprüft werden, ob das produktivitätsorientierte Angebot an Sparmitteln trotz seiner Konstanz einen Einfluß auf den Preis hat. Vielmehr soll die Argumentation aus dem Keynesschen System heraus erfolgen. 59 Erich Schneider, „Einführung in die Wirtsdiaftstheorie", 8. Aufl., Tübingen 1964, S. 81. «o Friedrich A. Hayek , „The Pure Theory of Capital", a.a.O., S. 361 bis 362. Friedrich A. Lutz, „Zinstheorie", Zürich 1956, S. 121. John M. Keynes, „The General Theory . . . ", a.a.O., S. 182.
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Wie unter 1. gezeigt, ist die für Transaktionszwecke benötigte Geldmenge (Umsatzmotiv) von der Höhe des Volkseinkommens abhängig. Das gesuchte Einkommen wird bei Keynes durch ein simultanes Gleichgewichtssystem gefunden, in welchem alle Variablen gleichzeitig bestimmt werden. Wie Keynes selbst sagt, sind aber mehrere Gleichgewichte denkbar. Deshalb bleibt zu fragen, welches Gleichgewichtseinkommen gemeint ist. Zweitens muß Keynes zugeben, daß im Ungleichgewicht der Zins nicht allein durch die Liquiditätspräferenz bestimmt wird. Die Ungleichgewichtssituation ist aber typisch für eine reale Volkswirtschaft, und — wie bereits oben nachgewiesen62 — allein in dieser Situation ist die Messung des Kapitalwertes problematisch. Schließlich ist drittens nicht einzusehen, warum im Gleichgewicht die Liquiditätspräferenz überhaupt eine Rolle spielt. Zwar können auch da die Erwartungen noch ungewiß sein. Aber der gleiche Grad von Ungewißheit wird von Periode zu Periode weitergetragen, und es ist unbedeutend, wann Kasse investiert wird, denn sie ist in jeder Periode mit dem gleichen Risiko behaftet. Sollten einzelne Wirtschaftssubjekte sich dennoch unterschiedlich verhalten, so müßte das Gesetz der großen Zahl einen Ausgleich bringen. Im Gleichgewicht wird auf jeden Fall die gesamtwirtschaftliche Liquiditätspräferenz unverändert bleiben. Folglich wird das Sparvolumen nur vom Produktionssparen im klassischen Sinne gespeist. Daher bliebe also der Geltungsbereich der Liquiditätstheorie auf Situationen beschränkt, in welchen die Nachfrage nach Geld völlig elastisch ist. Wie Abb. 6 zeigt, spielt im horizontalen Bereich der Kurve die Höhe des Einkommens keine Rolle. Verschiebungen der Investitionsfunktion haben keinen Einfluß auf die Höhe des Zinssatzes. Durch die genannten Merkmale wird der extreme Fall des Keynesschen Unterbeschäftigungsgleichgewichts gekennzeichnet. In dieser Wirtschaftslage sind die Produktionsfaktoren nicht knapp. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, daß der Wert des Kapitals steigt, wenn die Nachfrage danach sich erhöht. Denn Kapital ist in jeglicher Form im Uberfluß. Es ist verwunderlich, daß Kapital überhaupt einen Preis hat. Bei Keynes werden denn auch die Preise nicht erklärt, sondern als historisch fix hingestellt. Das ist sicher nicht ein Fall, auf den die Wirtschaftstheorie aufbauen darf, wenn sie generelle Gültigkeit beansprucht. «2 Vgl. S. 46/47 dieser Arbeit. 5 Noll
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Messungsversuche in statischer bzw. komparativ-statischer Analyse
c) Zusammenfassung Es wurde nachgewiesen, daß Wicksell und Keynes eine unabhängige Kapitalwertbestimmung nicht gelang, obwohl beide Autoren bewußt eine Lösung anstrebten. Wickseil konnte den beschriebenen Zirkelschluß nicht vermeiden; seinem System fehlt eine Bestimmungsgleichung. Keynes versuchte, sich diese Gleichung im außernaturalen Bereich durch Konstruktion einer monetären Zinstheorie zu holen. Wie gesagt, ist deren Geltungsbereich zumindest63 auf Situationen beschränkt, in denen keine echten Knappheitspreise existieren, sondern historisch fixierte, also Preise, die nicht durch Angebot und Nachfrage zustande kommen. Wird von dieser Annahme ausgegangen, ist eine monetäre Zinstheorie zur unabhängigen Kapitalwertbestimmung überflüssig. Dann kann ohne Umwege durch Addition der Preise ein zusammenfassender monetärer Ausdruck für den vorhandenen Bestand der Kapitalgüter errechnet werden. Durch Abkoppelung der Preise von den Knappheitsverhältnissen ging jedoch gleichzeitig jeder ökonomische Bezug verloren. Allerdings wäre auch ein echter Marktpreis schwerlich zu finden. Denn der gegenwärtige Besitz eines Kapitalgutes setzt voraus, daß eine bestimmte Finanzierungssumme zum Erwerb in der Vergangenheit aufgewendet wurde. Es ist nicht möglich, das reale Kapitalgut und dessen Wertausdruck in Form der Finanzierungsmittel gleichzeitig zu besitzen. Die Schwierigkeiten einer Kapitalmessung entstehen gerade durch die so gekennzeichnete Zeitdifferenz. Sie werden ausgelöst durch unvorhergesehene Ereignisse, seien sie ganz einfach Nachfrageverschiebungen oder ein technischer Fortschritt. Wiederverkaufspreise sind ebenfalls kein Behelf. Einmal ist der Markt dafür viel zu eng. Zum anderen müßte der Käufer zur Bestimmung eines vertretbaren Angebotspreises die erwarteten zukünftigen Erlöse summieren und mit dem im Markt herrschenden Zinssatz diskontieren. Er könnte lediglich triumphierend zeigen, daß die gegenwärtig erwartete Profitrate dem gegenwärtigen Marktzins stets gleich ist; eine nicht gerade überraschende Aussage, wenn man bedenkt, daß die Begriffsinhalte bereits identisch gesetzt wurden. 63 Es wurden nur problemorientierte Einwendungen vorgebracht. Vgl. des weiteren W. Noll, „Pigou", Handwörterbuch der Sozial Wissenschaften, Achter Band 1964, S. 306.
Zusammenfassung
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Wie oben bereits abgeleitet, ist die Kapitalwertmessung in einer stationären Wirtschaft unproblematisch, weil ex definitione Marktzins und realisierte Profitrate stets gleich sind. Diese Aussage kann jetzt erweitert werden. Wenn keine unvorhergesehenen Ereignisse auftreten und Erwartung und Erfahrung sich dadurch decken, wird eine Kapitalwertmessung immer möglich sein. Es bleibt allerdings zu prüfen, ob die Aussage auch bei Wegfall dieser Bedingung aufrechterhalten werden kann. Damit liegt eine dynamische Analyse nahe.
3. M e s s u n g s v e r s u c h e des K a p i t a l b e s t a n d e s unter dynamischem Aspekt Die Kapitaltheorie ist im wesentlichen auf zwei Wegen dynamisiert worden. Der eine nimmt seinen Ausgang bei den Arbeiten Wicksells, der andere bei denen von Keynes. In den letzten zwei Jahrzehnten ist die makroökonomische Analyse Keynesscher Prägung vorherrschend geworden. Aus ihr ist eine Vielfalt von Wachstumsmodellen hervorgegangen, die nach Art und Zweck stark differieren. In die „neuere" Wachstumstheorie wurde die Produktionsfunktion explizit eingeführt. Weil wirtschaftliches Wachstum außer durdi Faktorvermehrung auch durch technischen Fortschritt verursacht sein kann, begnügte man sich des weiteren nicht länger mit einer einfachen Produktionsfunktion. Sie mußte vielmehr dergestalt sein, daß in ihr der technische Fortschritt miterfaßt wird. In makroökonomischen Modellen wird mit Aggregaten gearbeitet. Mikroökonomische Größen dürfen zu makroökonomischen zusammengefaßt werden, wenn deren Bestandteile auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können. Demnach setzt die Handhabung makroökonomischer Modelle die Lösung des hier anstehenden Problems der Messung des Kapitalbestandes voraus. Es ist interessant zu prüfen, inwieweit das gelungen ist. Natürlich können nicht alle vorgelegten Modelle daraufhin untersucht werden. Bisweilen ist das Problem ganz und gar in Vergessenheit geraten. Einige Autoren interessiert die Faktorpreisbestimmung nicht, andere lassen zumindest den Einfluß der Faktorpreise auf die Wahl der Technik außer acht. In jüngerer Zeit haben wohl Joart Robinson, Kaldor und Solow dem Problem die größte Aufmerksamkeit gewidmet und Lösungsmöglichkeiten bzw. Wege zur Vermeidung; der Schwierigkeiten angeboten. 5*
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Die Rolle der Messungsversuche unter dynamischem Aspekt
Es sei deshalb erlaubt, den Standpunkt dieser drei Autoren als repräsentativ darzulegen, zu kommentieren und wenigstens auf Ansätze für eine unabhängige Kapitalwertbestimmung zu prüfen. a) Joan Robinson** Am ehesten mag noch eine Lösung von Joan Robinson zu erwarten sein. Denn ihre Veröffentlichungen fußen teils auf derWicksellschen Tradition. Wie bereits ausgeführt, war Wicksell der Ansicht, daß ein gegebener Wertausdruck an gesparten und investierten Konsumgütern nicht in voller Höhe als Netto-Kapitalwachstum zu betrachten sei. Im Ausmaß des Lohnsummenzuwachses würden Sparbeträge absorbiert. Deshalb wich Wicksell auf eine Produktionsfunktion aus, in welcher an Stelle von K im Sinne von gesparten Konsumgütern die Zeitdimension als Variable fungierte. Die aus mikroökonomischer Analyse abgeleiteten Ergebnisse wurden für richtig befunden. Einzelwirtschaftlich gesehen, kann die Zeit als Variable in die Produktionsfunktion eingeführt werden. Gesamtwirtschaftlich hingegen ergaben sich Bedenken. Denn hier mußte Wicksell mit dem Begriff der durchschnittlichen Produktionsperiode arbeiten, die zweifellos vom Zins abhängig ist. Die makroökonomische Produktionsfunktion als Mittel zur unabhängigen Faktorpreisbestimmung mußte deshalb verworfen werden. Dennoch waren die Ergebnisse einleuchtend: Je größer der Kapitalbestand, um so länger die Investitionsperiode, um so niedriger der Zins und um so höher der Lohn. Joan Robinson beschäftigt sich zentral mit dem hier interessierenden Problem in dem Aufsatz „The Production Function and the Theory of Capital". Sie schreibt: „The student of economic theory is taught to write O = / (Z,, C) where L is a quantity of labour, C a quantity of capital and O a rate of output of commodities. He is instructed to assume all workers alike, and to measure L in man-hours of labour; he is told something about the index-number problem involved in choosing a unit of output; and then he is hurried on to the next question, in the hope that he will forget to ask in what units C is measured 65." 64 Die folgenden Ausführungen beziehen sich in der Hauptsache auf den Artikel „The Production Function and the Theory of Capital", The Review of Economic Studies, Vol. X X I , 1953—1954, pp. 81—103. Von der gleichen Autorin erschien: „The Accumulation of Capital", Macmillan London, 1956, siehe insbes. pp. 122—3. 65 Joan Robinson , „The Production Function and the Theory of Capital", a.a.O., S. 81.
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Stellt man sich eine gesamtvolkswirtschaftliche Produktionsfunktion vom Typ des Ertragsgesetzes vor, in der allein der Kapitalbestand als Veränderliche betrachtet wird, so ist es üblich, das Faktorpreisverhältnis ganz einfach von der Produktionsfunktion abzulesen. Das Niveau der Produktionsfunktion spiegelt den Stand des technischen Wissens wider. Gesamtwirtschaftlich ist das Faktoreinsatzverhältnis zu jedem Zeitpunkt gegeben. Damit ist der Punkt auf der Produktionsfunktion bestimmt, in welchem die Volkswirtschaft gerade arbeitet. Doch auf welche Weise werden die einzelnen physischen Kapitalgüter in einer einzigen Größe sinnvoll zusammengefaßt? Joan Robinson stellt dazu folgende Überlegungen an: 1. Der Natur nach muß Kapital als in der Vergangenheit aufgewendete Arbeitszeit aufgefaßt werden. Sparen erlaubt, Arbeiter in Produktionsprozessen zu beschäftigen, deren Ergebnisse erst in der Zukunft reifen. In der Zwischenzeit werden die Arbeiter mit den gesparten Konsumgütern entlohnt. In der Tat besteht die Produktivität des Kapitals darin, daß in der Vergangenheit aufgewendete Arbeitszeit produktiver ist als die laufende. Danach müßte das Faktoreinsatzverhältnis als Relation von gegenwärtiger zu vergangener Arbeitszeit aufgefaßt werden. Doch hier wird an die Wurzel des Problems geführt. Arbeitszeit wird in keiner Verwendungsrichtung in reiner Form eingesetzt, stets nur in Assistenz der einen oder anderen Art von Gütern. 2. Aber auch dann, wenn Kapital einfach in Arbeitszeit gemessen werden könnte, bliebe beispielsweise die Frage nach dem Nettokapitalwachstum unbeantwortet. Kapitalbildung setzt Konsumverzicht voraus. Deshalb liegt es nahe, Kapital unter diesem Aspekt zu messen, nämlich in Konsumgütereinheiten. Unter dem Gesichtspunkt der Produktivität interessiert wiederum nicht, wieviel Konsumgütereinheiten die Produktion einer Maschine kostet, sondern wieviel Arbeitszeit darauf verwandt wurde. So gesehen stellt sich folgendes Dilemma ein: Wird die veränderliche Größe des Kapitalbestandes in Konsumgütereinheiten gemessen, muß der Lohn bekannt sein, um auf Arbeitszeiteinheiten umrechnen zu können. Denn nur sie sind letztlich produktiv. Wird die Messung des Kapitalwachstums in Arbeitszeiteinheiten vorgenommen, muß die Lohnhöhe ebenfalls bekannt sein. Erst dann kann festgestellt werden, auf wie viele Konsumgütereinheiten für ein Kapitalwachstum bestimmter Größe verzichtet werden muß.
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Da die Lohnhöhe sich bei Variation des Faktoreinsatzverhältnisses ändert, müßte Joan Robinson zu deren Bestimmung auf eine Kapitaltheorie zurückgreifen, deren Ergebnisse unabhängig von einer gesamtwirtschaftlichen Produktionsfunktion gefunden wurden. Stattdessen nimmt sie Zuflucht zu einem Trick, der nicht neu ist und schon einmal in der Literatur angewandt wurde, nämlich von Wickseil 66: Kapital wird in Arbeitszeit gemessen. Diese Methode wird noch am ehesten verständlich, wenn — entgegen den Vorstellungen von Joan Robinson — unter Kapitalbildung Verzicht auf Konsumgüter verstanden wird, die erst gar nicht hergestellt werden. Dann kann die Zahl der Arbeiter, die in der Produktion von Konsumgütern der Zukunft eingesetzt wird, eindeutig festgestellt werden. Aber dem Mitwirken des Zinses kann dennoch nicht aus dem Wege gegangen werden. Die so bekannte Zahl der eingesetzten Arbeiter in der Investitionsgüterindustrie wird für nach Art der Herstellungs- und Nutzungszeit unterschiedliche Investitionsgüter gebraucht. Deshalb müssen die Kosten des Kapitalgutes, in Arbeitszeiteinheiten berechnet, auch als Funktion des Zinssatzes angesehen werden. Je höher der Zinssatz ist, um so größer muß der Kapitalwert einer Volkswirtschaft sein, gleicher Aufwand von Arbeitszeit in der Investitionsgüterindustrie vorausgesetzt. Joan Robinson stellt daran anschließend folgende Überlegungen an: Angenommen, die Volkswirtschaft sei mit einem bestimmten Produktionsapparat ausgestattet, der entsprechend dem Kapitalwachstum altersmäßig zusammengesetzt ist. Jetzt wird ein vernünftigerweise möglicher Zinssatz aus der Luft gegriffen, mit dem dann die Kosten der Kapitalgüter (in Arbeitseinheiten gemessen) gewichtet werden. Daraus resultiert ein bestimmter Wert der Kapitalgüter. Deckt sich der realisierbare Profit, bezogen auf den so errechneten Kapitalwert, mit dem Marktzins, wurde zufällig und glücklicherweise vom richtigen Marktzins ausgegangen. Anderenfalls müßte die Rechnung von vorn beginnen, bis schließlich einmal die Gleichheit getroffen wird 6 7 . Im Bereich vernünftiger Zinsschwankungen wird für jeden Zinssatz getrennt eine Produktionsfunktion aufgestellt. Ist man auf die soeben beschriebene Weise auf einer bestimmten Produktionsfunktion gelandet, so erfolgt ein weiteres Kapitalwachstum, gemessen in Arbeitszeiteinheiten und gewichtet mit dem für diese Produktionsfunktion maßgeblichen Zins«« Vgl. S. 56 dieser Arbeit. Vgl. Joan Robinson, „The Production Function . . a . a . O . , S. 91.
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satz, bis Lohnerhöhungen zu einer Senkung des Zinssatzes zwingen. In diesem Punkt springt die sich realisierende Produktionsfunktion auf eine andere hypothetisch gezeichnete Produktionsfunktion über, die unter der Annahme des jetzt im Markt geltenden niedrigeren Zinssatzes konstruiert wurde. Die tatsächliche gesamtvolkswirtschaftliche Produktionsfunktion ist demnach eine bizarre Kurve, die je nach Zahl der möglichen Entwicklungsstadien Linkssprünge aufweist. Das Ausmaß der Zinssenkung bestimmt den Grad der Linksabweichung. Denn sie ist ein Maß dafür, um wieviel der Konsumverzicht gemindert werden kann, wenn ein Kapitalgut bestimmter Art gewünscht wird. Die Kritik, wie sie gegenüber Wickseil vorgetragen wurde, braucht hier nicht wiederholt zu werden. Soll das ganze nicht in ästhetisierende Graphik ausarten, muß die Kapitaltheorie unabhängig von einer bereits vorliegenden gesamtwirtschaftlichen Produktionsfunktion zu Rate gezogen werden. Joan Robinson tut das streckenweise. Wenn sie jedoch ihre Ausführungen in das Schaubild hineininterpretiert wissen will, ist nidit mehr recht verständlich, warum die Produktionsfunktion überhaupt noch gezeichnet wird. Die auf Wickseil fußende Kapitaltheorie ist der ihr bekannten Kritik ausgesetzt. Wäre die Kapitaltheorie geschlossen, fehlte also keine Bestimmungsgleichung, bedürfte es nicht der Diskussion um die Produktionsfunktion, um die Faktorpreisverhältnisse unabhängig zu bestimmen. Die Produktionsfunktion wäre dann lediglich ein zusammenfassender Ausdruck der Ergebnisse der Kapitaltheorie. Einen weitergehenden Zweck, nämlich den, die fehlende Bestimmungsgleichung zu liefern, kann sie in der von Joan Robinson konstruierten Art nicht erfüllen. Man ist geneigt zu sagen, daß der wesentliche Unterschied zur klassischen Produktionsfunktion darin liegt, daß die Substitutionsprozesse nicht kontinuierlich, sondern punktweise erfolgen. Wie bereits mehrfach ausgeführt, ist die Messung des Kapitalbestandes, also hier die Aufstellung einer gesamtwirtschaftlichen Produktionsfunktion, überflüssig, wenn von einer gleichgewichtigen Volkswirtschaft ausgegangen wird. Aber nur unter dieser Bedingung sind die Ausführungen von Joan Robinson verständlich. Für die vorliegenden Zwecke scheitert die Brauchbarkeit ihrer Erörterungen schließlich und letztlich an folgendem: Wenn Kapital in Arbeitszeiteinheiten gemessen wird, gewichtet mit einem irgendwie gegebenen Zinssatz, so sagt diese so gefundene Wertgröße noch nichts über deren
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Die Rolle der Messungsversuche unter dynamischem Aspekt
Produktivität in Zusammenwirkung mit dem laufenden Arbeitseinsatz in der Zukunft aus. In der Vergangenheit aufgewandte Arbeitszeit hat nur dann Relevanz, wenn sie später entsprechend nachgefragt wird. Darüber aber entscheidet die gegenwärtige wirtschaftliche Konstellation, die infolge von Nachfrageverschiebungen, technischen Fortschritten usw. ganz anders sein kann, als sie im Zeitpunkt der Herstellung der Kapitalgüter erwartet wurde. Es ist also eine gegenwarts- und zukunftsorientierte Kapitaltheorie für das interessierende Problem der Messung von Kapitalverlusten erforderlich. b) Nicholas Kaldor** Der Forderung nach einer gegenwarts- und zukunftsorientierten Theorie genügt Kaldor in seiner jüngsten Veröffentlichung durch Aufstellung eines Entscheidungsmodelles. Kaldor geht sogar noch einen Schritt weiter: er glaubt, den Schwierigkeiten der Messung des Kapitalbestandes einer Volkswirtschaft ganz und gar aus dem Wege gehen zu können. Ein solcher Versuch ist dann als gelungen anzusehen, wenn das, was aus dem Kapitalwert abgeleitet werden soll, anderweitig gefunden werden kann. Im vorliegenden Zusammenhang interessiert insbesondere die Bestimmung von Faktorpreisen und Kapitalverlusten. Die nachstehenden Ausführungen sind auf den Artikel „ A New Model of Economic Growth" bezogen. Die darin enthaltenen Aussagen lehnen sich an früher von Kaldor aufgestellte Wachstumsmodelle an. Abgesehen von einer Akzentverschiebung ist der bemerkenswerteste Unterschied der, daß Kaldor sich in der Zwischenzeit von der Unmöglichkeit der Messung des Kapitalbestandes überzeugt hat. Die historischen Kosten des bestehenden Produktionsapparates seien irrelevant und deren Wert abzüglich Abschreibungen fragwürdig. Die Summe der Abschreibungen kann nicht unabhängig von allen anderen volkswirtschaftlichen Größen wie etwa der Profit- und Wachstumsrate bestimmt werden. Deshalb macht Kaldor den bis dato ungewöhnlichen Schritt, in seinem Modell die Begriffe Kapitalbestand und Wachstumsrate des Kapitalbestandes zu vermeiden. Hingegen werden alle anderen makroökonomischen Begriffe beibehalten. 68
Nicholas Kaldor, „Alternative Theories of Distribution", Review of Economic Studies, 1955—1956, „ A Model of Economic Growth", Economic Journal, 1957, „Capital Accumulation and Economic Growth", in: „The Theory of Capital", ed. by Hague, Macmillan London, 1961, pp. 177—220. Nicholas Kaldor with James A. Mirrlees, „ A new Model of Economic Growth", Review of Economic Studies, Vol. X X I X , 1962, pp. 174—192.
Nidiolas Kaldor
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Im folgenden soll das Modell in möglichst unmathematischer Form skizziert werden. Da es zunächst um das Verständnis des Kaidorschen Modelles geht, werden, soweit Lücken vorhanden sind, Interpretationen erforderlich sein, die die Annahmen und Konsequenzen rechtfertigen. Das Modell ist makroökonomischer Natur, wenn auch einige mikroökonomische Züge nicht zu verkennen sind. Gleich den Keynesschen Modellen spielt das Sparen eine lediglich passive Rolle. Nicht vermehrtes Sparen, sondern erhöhte Nachfrage nach Konsumgütern ist der Impuls für die Investitionsanregung. Das Bruttoinvestitionsvolumen hängt von den Entscheidungen des Einzelunternehmers ab, nicht vom Sparvolumen. Es wird eine Volkswirtschaft postuliert, in der die Einkommensverteilung sich solange verändert, bis ein Sparvolumen entsteht, welches dem davon unabhängigen Investitionsvolumen gleich wird. Damit wird von der realistischen Annahme ausgegangen, daß es verschiedene Gruppen von Einkommensbeziehern mit unterschiedlicher Sparneigung gibt. DasBrutto-Investitionsvolumen schafft sich die erforderliche Nachfrage selbst. Kaldor will in seinem Modell zeigen, unter welchen Bedingungen eine Volkswirtschaft im Gleichgewicht wächst. Bei gleichgewichtigem Wachsen müssen Bruttoinvestitionsvolumen und -sparvolumen in jeder Periode gleich werden. Ob diese Identität bei einer Einkommensverteilung vorliegt, bei der alle Produktionsfaktoren vollbeschäftigt sind, wird nicht untersucht, aber vorausgesetzt. Im Unterschied zu neoklassischen Modellen werden Löhne und Bruttogewinne (alle Nicht-Lohneinkommen) nicht durch die Grenzproduktivitäten oder Grenzraten der Substitution bestimmt. Die reale Ausbringungsmenge und deren Wertausdruck von einer einmal installierten Produktionsanlage werden von Periode zu Periode über die ökonomisch zu bestimmende Lebensdauer als konstant angenommen. Der Lohn bildet sich durch Konkurrenz der Unternehmer auf dem Arbeitsmarkt. Grenzproduktivitäten der Produktionsfaktoren können nur langfristig, das will sagen, wenn alle Produktionsfaktoren beliebig transformiert werden können, festgestellt werden. Sie sind also nur bestimmbar für Brutto-Investitionen, die geplant sind, also noch nicht in realen Kapitalgütern ihren Niederschlag gefunden haben. Sie entscheiden darüber, ob noch Arbeiter in alten Anlagen, d. h. mit anderer Faktorkombination hergestellt, arbeiten. In einmal installierten Anlagen ist eine eindeutige Zurechnung nicht mehr möglich. Solange sie aber noch produzieren, entscheiden Knappheitsverhältnisse über die Lohnhöhe, die ihre Leitlinie von den Brutto-Investitionen ableiten.
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Die Rolle der Messungsversuche unter dynamischem Aspekt
Jeder Unternehmer „investiert" den neuesten Stand des technischen Wissens. Der Ertrag pro eingesetzter Arbeitskraft hängt also vom Alter der Produktionsanlage ab. Liegt das Übergewicht beispielsweise bei den relativ neuen Anlagen, ist gesamtwirtschaftlich der Ertrag pro Arbeitskraft und Periode größer als bei Gleichmäßigkeit des Altersaufbaus. Durch das Ausmaß der Brutto-Investitionen wird die Lohnhöhe interdependent bestimmt. Denn daraus resultiert einerseits die Intensität der Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt und damit die Lohnhöhe. Andererseits legt der Grad der Lohnsteigerung fest, wieviel Arbeitskräfte für die durch das Brutto-Investitionsvolumen geschaffenen neuen Anlagen zur freien Verfügung bereitstehen. Der Gewinn wird definiert als Differenz von konstant angenommener wertmäßiger Produktion und der vom Betrieb zu zahlenden Lohnsumme. Die Produktionsschwelle wird unterschritten, sobald die Lohnsumme den Wert der Produktion übersteigt. Die Zahl der frei verfügbaren Arbeitskräfte hängt vom Wachstum der Bevölkerung sowie dem Ausmaß der physischen Vernichtung (Feuer usw.) und wirtschaftlichen Veralterung ab. Die beschriebene Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt wird in einer spezifischen Investitionsfunktion zum Ausdruck gebracht. Sie beruht auf einem empirisch beobachteten Verhaltensprinzip der Unternehmer, nämlich nur dann zu investieren, wenn mindestens die Erträge der ersten h Jahre nach dem Zeitpunkt der Investition ausreichen, um das Kapitalgut ohne Verlust abzuschreiben. Da die Summe der erwarteten Quasi-Renten von den zukünftigen Lohnsteigerungen abhängt, muß der Unternehmer bei Investitionsentscheidungen seine Vorstellungen über erwartete Lohnsteigerungen in der für ihn relevanten Zeit konkretisieren. Alle Unternehmer schätzen die Lohnentwicklung unter Bezug auf die frühere Wachstumsrate und die wirtschaftlich durch die Lohnentwicklung selbst bestimmte Lebensdauer der Produktionsanlage gleich gut oder schlecht ein. Das Risiko der Fehlschätzung wird durch die Minimalforderung gedeckt, daß die Finanzierungssumme in h Jahren vom Markt zurückerstattet sein muß. Durch das postulierte Verhaltensprinzip der Unternehmer wird der Marktzins als Diskontierungsfaktor aus der Betrachtung ausgeschlossen. Nach Kaldor wird im Gleichgewicht die Minimalforderung zur realisierten. In seinem Gleichungssystem wird deshalb die Ungleichung zur Gleichung, mit der er fortan rechnet. Alle mathematisch abgeleiteten Ergebnisse haben aus diesem Grunde nur bei Gleichgewichtsbetrachtungen Aussagewert.
N i o l a s Kaldor
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Da das Verhältnis von Finanzierungssumme des Kapitalgutes und dessen Produktionswert pro Periode als Kapitalkoeffizient definiert ist, muß der Kapitalkoeffizient in einer gleichmäßig wachsenden Wirtschaft annahmegemäß konstant sein. Seine Größe ist durch das postulierte Verhaltensprinzip festgelegt. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn Kaldor aufgrund eines großen Formelaufwandes zu diesem Teilergebnis kommt. Wird neutraler technischer Fortschritt als Konstanz des Verhältnisses von Kapital zu Output definiert, sagt Kaldor mit seiner Annahme über die Investitionsgleichung implizite, daß in einer gleichmäßig wachsenden Volkswirtschaft nur neutraler technischer Fortschritt zum Tragen kommt. Weder die Konstanz des Kapitalkoeffizienten noch die Einführung von technischen Fortschritten lediglich neutraler Art in dem oben definierten Sinne bei einer gleichmäßig wachsenden Wirtschaft dürfen also entgegen der Darstellung von Kaldor als Ergebnisse hingenommen werden. Die Aussagen ergeben sich zwangsläufig aus der Annahme, daß die Verhaltensweise der Unternehmer unverändert bleibt. Am meisten zu interessieren hat jedoch im vorliegenden Zusammenhang die technische Fortschrittsfunktion. Denn durch ihre Aufstellung soll nach Kaldor dem Problem der Messung des Kapitalbestandes mit Erfolg ausgewichen werden. Die Funktion des technischen Fortschritts stellt deshalb keine Produktionsfunktion dar, keine Beziehung zwischen den aggregierten Größen Ausbringungsmenge, Kapitalbestand und Zahl der vorhandenen Arbeitskräfte. Sie ist vielmehr mit einer technologischen Investitionsfunktion vergleichbar, bei der die Wachstumsrate der Bruttod i
Investitionen pro frei verfügbarem Arbeiter dt und die daraus resultiei
dp
rende Wachstumsrate des Ertrages pro frei verfügbarem Arbeiter d t in
Abb. 7
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Die Rolle der Messungsversuche unter dynamischem Aspekt dp
/d i\
Der technischen Fortschrittsfunktion d j = f ( d l ) p
werden folgende
Vi/
Eigenschaften zugewiesen: (l)
f (o) > o ,
(2)
f > o,
(3)
f'
o 2 — ot. Nach Einführung des kostensparenden technischen Fortschrittes sinkt der Produktpreis auf die neuen niedrigeren Stückkosten c2 + o 2 . Diesen Erlös pro Stück erzielen auch die alten Produktionsanlagen. Werden davon die variablen Kosten des alten Verfahrens abgezogen, so erhält man den Teil des Erlöses, der noch dem alten fixen Kapital zufällt, in der Symbolsprache c 2 + o 2 — ov Da voraussetzungsgemäß o 2 > o± ist, werden im Preis Amortisationsbeträge zurückerstattet, die größer als c 2 sind. Der Überschuß beträgt o2 — ov Das ist andererseits genau der Betrag, der wegen Erhöhung der variablen Kosten benötigt wird. Worin liegt dann die Chance einer Freisetzung von Produktionsfaktoren? Sie liegt in der Verringerung der Investitionsperiode. Durch Umwandlung fixen Kapitals in variables wird die Umschlagsgeschwindigkeit des Kapitals erhöht. Bei einer zehnjährigen Investitionsperiode werden ^ der überschüssigen Amortisationsbeträge frei. Sie sind Sparmitteln gleichzusetzen, die jetzt für andere Zwecke zur Verfügung stehen. Die verbleibenden ^ der überschüssigen Amortisationsbeträge werden periodisch fortlaufend als Umlaufskapital benötigt. Wird fixes Kapital mit Realkapital und variables Kapital mit einem Fonds identifiziert, aus dem die Nachfrage nach Arbeitskräften gespeist wird, beginnt ein Substitutionsprozeß. Die Nachfrage nach Arbeitskräften erhöht sich, während die nach Realkapital sinkt. In abgeschwächter Form wird aber das Phänomen bestehen bleiben, wonach die Summe der im Fortschrittsbereich investierten Netto-Sparbeträge kleiner ist als die Summe derjenigen Sparbeträge, die durch Verkürzung der Investitionsperiode frei werden. Die Kostenersparnis im Fortschrittsbereich führt deshalb zu einer verstärkten Kapitalbildung der gesamten Volkswirtschaft. Fall 2: Der soeben behandelte Fall wird in der Realität allerdings selten vorkommen. Viel wahrscheinlicher ist, daß die variablen Kosten des neuen Verfahrens nicht höher sind als die des alten. Angenommen, die variablen Kosten sind in beiden Verfahren gleich groß, o 2 = ov Dann
Unvorhergesehene kostensparende technische Fortschritte
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kann die Kostenersparnis nur in den niedrigeren fixen Kosten des neuen Verfahrens liegen, c 2 < q . Dieser Fall wird üblicherweise ebenfalls als kapitalsparend angesehen. Jedoch kann leicht gezeigt werden, daß bei Gleichheit der variablen Kosten beider Verfahren keine Sparbeträge freigesetzt werden. Vielmehr werden per Saldo Netto-Sparbeträge im Fortschrittsbereich in dem Umfang aufgesogen, wie zur Ausdehnung der Produktion erforderlich war. Sie verschwinden dort und gehen den anderen Bereichen verloren. Der Erlös pro Stück sinkt auch hier auf die neuen niedrigeren Stückkosten c 2 + o 2 . Da annahmegemäß o 2 = oly wird den Unternehmern mit veralteter Produktionstechnik gerade eine solche Amortisationssumme im Preis zurückerstattet, wie sie für transformative Re-Investitionen zur Aufrechterhaltung einer konstanten Produktionsmenge erforderlich ist, nämlich c 2 . Um die Produktionsmenge erhöhen zu können, müssen Produktionsfaktoren durch Netto-Sparen aus anderen Bereichen abgezogen werden. Wahrscheinlich wird die Nachfrage nach Arbeitskräften relativ steigen, weil sie nicht nur zum Aufbau der neuen Produktionstechnik, sondern zusätzlich als variabler Faktor zur Produktionsausdehnung im Fortschrittsbereich benötigt werden. Denn die Gleichheit von oi = o2 besagt doch nur, daß die variablen Kosten pro Stück bei altem und neuem Verfahren konstant geblieben sind. Fall 3: Sind die variablen Kosten des neuen Verfahrens niedriger als die des alten o 2 < ol9 so erhalten die Unternehmer mit veralteter Produktionstechnik die investierte Finanzierungssumme im Erlös nicht zurück. Die Amortisationsbeträge reduzieren sich auf c 2 + o 2 — ot < q . Nur die im linken Ausdruck der Ungleichung stehende Summe verbleibt den Unternehmern für transformative Re-Investitionen. Fall 4: In Ergänzung zu Hayek wäre noch ein weiterer Fall anzuschließen, nämlich der, in welchem die variablen Kosten des alten Verfahrens über den Gesamtkosten des neuen Verfahrens liegen, ox > c 2 + ö 2 . Hier werden die veralteten Anlagen sofort aus dem Produktionsprozeß herausgezogen. Es ist offenkundig, daß technische Fortschritte nur über Netto-Sparen eingeführt werden können. Die genannten vier Fälle haben deutlich gezeigt: Im marktwirtschaftlichen Anpassungsprozeß geht der Produktpreis sofort auf die neuen niedrigeren Stückkosten zurück. Dadurch entsteht optisch der Eindruck, als wäre die Kostenersparnis durch technischen Fortschritt volkswirtio*
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Fortschrittsinvestitionen und volkswirtschaftliche Profitrate
schaftlich unmittelbar voll zur Geltung gekommen. Dieses Bild trügt jedoch. Denn der neue Gleichgewichtspreis war nur über investierte NettoSparbeträge sofort zu erreichen; ausgenommen der höchst unrealistische Fall, in welchem die variablen Kosten des neuen Verfahrens höher sind als die des alten. Dagegen ist die volkswirtschaftliche Kostenersparnis nur sukzessiv, produktionsperiodisch im Ausmaß freier Kapazitäten der vorgelagerten Industrie, zu erreichen. Erst die Summe der produktionsperiodischen Freikapazitäten über die Investitionsperiode der veralteten Anlagen kann die volkswirtschaftliche Kostenersparnis voll zutage fördern. Die Frage nach dem Zeitpunkt der Einführung kostensparender technischer Fortschritte muß deshalb so gestellt werden: Sollten technische Fortschritte zusätzlich mit Hilfe von Netto-Sparbeträgen eingeführt werden? Oder soll ihre sofortige Einführung auf den Umfang begrenzt werden, der durch die Kapazitäten der vorgelagerten Industrie möglich ist? Sicher werden in einem marktwirtschaftlichen System Netto-Sparbeträge zu Hilfe genommen. Je nach Art des technischen Fortschrittes wird einer der vier aufgezählten Fälle eintreten. In den realistischeren Fällen 2—4 steigt die Nachfrage nach Sparmitteln. Dadurch entsteht das etwas paradox erscheinende Bild, daß die üblicherweise als kapitalsparende technische Fortschritte bezeichneten Prozesse den Zinssatz erhöhen und den Lohn senken. Wie sich später zeigen wird, kann damit natürlich noch nichts über die Entwicklung von Zins- und Lohnquote ausgesagt werden. Nach den bisherigen Überlegungen kann als Zwischenergebnis festgehalten werden: 1. Die vorliegende Literatur schloß aus der Tatsache von Realeinkommenssteigerungen, daß der technische Fortschritt sofort im marktwirtschaftlich möglichen Umfange einzuführen sei. Dieser Beweis wurde hier nicht als hinreichend angesehen. Es hätte die zusätzliche Frage beantwortet werden müssen, ob bei marktwirtschaftlicher Verwertung der technischen Fortschritte die Realeinkommenssteigerung maximiert wird. 2. Abgesehen von dem zweifelsfreien Fall völlig starrer Nachfrage nach den Produkten des Fortschrittsbereiches ist die Einführung kostensparender technischer Fortschritte dann mit der Investition von Netto-Sparbeträgen verbunden, wenn die Produktionsmenge ausgedehnt werden soll. Im Anschluß an dieses Zwischenergebnis wird die Frage nach dem volkswirtschaftlich richtigen Zeitpunkt der Einführung von kostensparenden technischen Fortschritten umformuliert und so gestellt: Ist unter
Unvorhergesehene kostensparende technische Fortschritte
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gesamtwirtschaftlichem Aspekt die Verwendung von Netto-Sparbeträgen im Fortschrittsbereich überhaupt sinnvoll? Wird eine Nachfrageelastizität von 1 unterstellt, erhalten die Unternehmer einen um die Kostenersparnis reduzierten Amortisationsbetrag im Preis zurück. Andererseits sind die Konsumenten bei derartigem Verhalten aber nicht in der Lage, den Differenzbetrag zu den alten Reproduktionskosten — und damit zu dem alten Preis — zum Kauf der freigesetzten Produktionsfaktoren in der vorgelagerten Industrie einzusetzen. Denn sie haben den durch Preissenkung gewonnenen Uberschuß ihrer monetären Ausgabe zum Kauf zusätzlicher Konsumgütereinheiten verwandt. Für den Kauf der freigesetzten Produktionsfaktoren steht also keine Kaufkraft zur Verfügung. Fraglich bleibt, was mit den freigesetzten Produktionsfaktoren geschieht. Durch Netto-Sparen ist im Fortschrittsbereich zusätzlich Realkapital gebildet worden, das die von den Konsumenten zusätzlich nachgefragten realen Konsumgütereinheiten produziert. Dieses Realkapital unterliegt wie alle Realkapitalgüter dem physischen Verschleiß. Durch Produktion gehen fortlaufend Realkapitalteilchen in die Konsumgüter ein. Soll der Realkapitalbestand unverändert bleiben, muß die Produktion in der vorgelagerten Industrie ausgedehnt werden. Ist die Nachfrageelastizität 1 und die Investitionsperiode nach altem und neuem Verfahren gleich, werden die freigesetzten Produktionsfaktoren durch Reproduktion des zusätzlichen Realkapitals gerade voll beschäftigt. Ihre Aufgabe besteht jetzt nicht mehr darin — wie im Falle der völlig starren Nachfrage —, die durch Vergangenheitssparen entstandenen volkswirtschaftlichen Verluste sukzessiv wettzumachen, sondern den mit einem Schlage erhöhten Kapitalbestand im Fortschrittsbereich aufrechtzuerhalten. Folglich sind die in der vorgelagerten Industrie freigesetzten Produktionsfaktoren nicht in der Lage, sukzessiv die Netto-Sparbeträge aus dem Fortschrittsbereich abzulösen. Denn sie sind hier endgültig integriert und für die übrige Volkswirtschaft damit verloren. Welche Funktion die freigesetzten Produktionsfaktoren in Wirklichkeit wahrnehmen, ist ihnen nicht anzusehen. Sie produzieren Investitionsgüter mit neuer Produktionstechnik, sei es zur Reproduktion oder zur Ablösung der Netto-Sparbeträge im Fortschrittsbereich. Um stärker zu akzentuieren, was bei Produktionsausdehnung im Fortschrittsbereich vorgegangen ist, soll folgendes Gedankenexperiment gemacht werden: Den freigesetzten Produktionsfaktoren in der vorgelagerten Industrie wird die Aufgabe zugewiesen, die Sparbeträge abzulösen. Dieser Aufgabe
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Fortschrittsinvestitionen und volkswirtschaftliche Profitrate
können sie bei unterstellter Nachfrageelastizität von 1 voll gerecht werden. Dann stellt sich nach Abnutzung des zusätzlich gebildeten Realkapitals heraus, daß keine Ersatzgüter bereitstehen. Das zusätzliche Realkapital ist durch Kapitalverzehr an die Konsumenten verlorengegangen. Soll die erhöhte Produktmenge im Fortschrittsbereich aufrechterhalten bleiben, muß die Investition von Netto-Sparbeträgen wiederholt werden. Das Gedankenexperiment zeigt, daß die Realeinkommenssteigerung im Fortschrittsbereich im Ausmaß der Bindung von Netto-Sparbeträgen auf Kapitalverzehr beruht. Das volkswirtschaftliche Plus ist deshalb nur in einer positiven Differenz zwischen Realeinkommenssteigerung der Konsumenten und dem Kapitalverzehr zu suchen. Es ist jedenfalls niedriger, als es den Anschein hat. Denn daß eine Realeinkommenssteigerung durch Kapitalverzehr kurzfristig immer möglich ist, steht äußer Zweifel. Kurzfristig kann das Realeinkommen auch steigen, ohne daß ein technischer Fortschritt Voraussetzung wäre. Die vorzeitige Einführung kostensparender technischer Fortschritte im Sinne der Investition von Netto-Sparbeträgen ist deshalb nur vertretbar, wenn bei Anrechnung des Kapitalverzehrs noch ein positiver Saldo verbleibt. Worin kann dieser bestehen? Sicher wäre das Realeinkommen langfristig höher, wenn den freigesetzten Produktionsfaktoren in der vorgelagerten Industrie Zeit gelassen würde, den Kapitalbestand mit neuer Produktionstechnik sukzessiv aufzubauen. Die Netto-Sparbeträge würden dann für anderweitige Investitionszwecke zur Verfügung stehen und auch verfügbar bleiben, während die Lücke im Fortschrittsbereich durch die freigesetzten Produktionsfaktoren allmählich geschlossen würde. Wie kann ein volkswirtschaftliches Plus überhaupt zustande kommen, wenn bei Investition von NettoSparbeträgen das Konsumgütervolumen langfristig niedriger ist? Umformuliert lautet die Frage: In welche Richtung sollen die durch Netto-Sparen freigesetzten Produktionsfaktoren gelenkt werden? Wird zur Beantwortung der Frage das Kriterium Sozialproduktsteigerung herangezogen, dürfen die Produktionsfaktoren im Fortschrittsbereich nicht verwendet werden. Andererseits entstehen im Fortschrittsbereich Differentialgewinne. Werden sie wie in der Marktwirtschaft zum Kriterium gemacht, müßte umgekehrt gerade dort investiert werden. Wieviel Produktionsfaktoren in den Fortschrittsbereich gehen, hängt von den Wertschätzungen der Konsumenten ab. Denn beispielsweise bei völlig starrer Nachfrage könnte die Alternative gar nicht entstehen. Die Netto-Sparbeträge würden in anderen Bereichen zur einfachen Kapital-
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Vermehrung eingesetzt. Folglich schätzen die Konsumenten den Nutzen, den der Produktionszuwachs im Fortschrittsbereich bei einer größeren Nachfrageelastizität ergibt, höher ein als den Nutzenentgang durch Verknappung anderer Produkte. Wäre es anders, würden keine Produktionsfaktoren umgelenkt. Die Gewinnsituation beweist, daß die Produktionsfaktoren im Fortschrittsbereich knapper sind. Soll der Satz nicht auf den Kopf gestellt werden, daß die Knappheitspreise prinzipiell geeignet sind, eine optimale Allokation der Produktionsfaktoren herbeizuführen, muß der ökonomisch sinnvolle Einsatz der Produktionsfaktoren bei Konsumentensouveränität zugegeben werden. Wie bereits betont, ist der durch unvorhergesehene technische Fortschritte eintretende Kapitalverlust ein echter volkswirtschaftlicher Verlust, wenn auch die Reduktion der Amortisationsbeträge ein monetäres Phänomen ist. Im Umfang der Kostenersparnis ist Konsumverzicht der Vorperioden vergeblich gewesen. Dieses Defizit ist irreparabel und muß von der Volkswirtschaft, also der Gesamtheit der Konsumenten, getragen werden. Außer durch Kostenersparnis kann das Defizit auch anhand der zusätzlich investierten Netto-Sparbeträge gemessen werden. Bei unterstellter Nachfrageelastizität von 1 bleiben die monetären Einnahmen und Ausgaben im Fortschrittsbereich konstant. Wäre Vergangenheitssparen dem gegenwärtigen Sparen gleichwertig, brauchte keine Netto-Investition zu erfolgen. Daraus ist zu sehen, daß die investierten Netto-Sparbeträge nur den volkswirtschaftlichen Verlust ausgleichen. Dieses NettoSparen ist Verzicht auf gegenwärtige Konsumgüter und drückt folglich den volkswirtschaftlichen Verlust durch vorzeitiges Sparen ebenfalls aus. Sind die Konsumenten zur freiwilligen Wiederholung von Konsumverzicht nicht bereit, wird der volkswirtschaftliche Verlust fortlaufend mitgeschleppt. Er drückt sich dann wie folgt aus: Amortisationsquoten, die in anderen Bereichen anfallen, werden wegen der erhöhten Rendite in den Fortschrittsbereich umgelenkt. Hier sinken die Produktpreise, während sie in den geschrumpften Branchen steigen. Der volkswirtschaftliche Gewinn aus der Preissenkung muß — wie oben angegeben — den volkswirtschaftlichen Verlust aus der Preiserhöhung überkompensieren. Sonst würde die richtige Lenkung der Produktionsfaktoren durch die Knappheitspreise geleugnet. Diese Überlegungen machen deutlich, daß Höhe und Struktur des Kapitalbestandes nach Ablauf der volkswirtschaftlichen Reaktionen, die durch Einführung eines kostensparenden technischen Fortschrittes in
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Fortschrittsinvestitionen und volkswirtschaftliche Profitrate
Gang gesetzt werden, von den Wertschätzungen der Konsumenten abhängen. In einem ersten Stadium führt die Einführung des kostensparenden technischen Fortschrittes nur zu monetären Reaktionen mit der Verlagerung eines konstanten Realeinkommens. Dadurch kommen andere Konsumenten mit ihrer Bedürfnisstruktur stärker zum Zuge. Ist ihre Bedürfnisstruktur gleich derjenigen der Unternehmer, die im gleichen Ausmaß Einkommensverluste hinnehmen mußten, ist der Prozeß bereits abgeschlossen. Die in der vorgelagerten Industrie freigesetzten Produktionsfaktoren gehören jetzt den Konsumenten, und sie schließen mit deren Hilfe sukzessiv die volkswirtschaftliche Defizitlücke. Der volkswirtschaftliche Verlust besteht darin, daß die Konsumenten während der Ubergangsperioden ihr Realeinkommen wegen des Aufbaues der neuen Produktionstechnik nicht erhöhen können. Ihre Nachfrageelastizität ist starr, was nichts anderes besagt, als daß sie während der Investitionsperiode im Ausmaß der Kostenersparnis sparen und die freigesetzten Produktionsfaktoren nicht zur Erhöhung des Verbrauches ausnutzen. Ist die Nachfrageelastizität gleich 1, verzichten die Konsumenten während der Übergangsperioden nicht auf die mögliche Realeinkommenssteigerung im Fortschrittsbereich. Sie kommen allerdings nur dadurch sofort in den vollen Genuß der Kostenersparnis, daß in anderen Bereichen die Produktion eingeschränkt wird, sei es durch Netto-Sparen oder Verzicht auf Reproduktion anderenorts. Deshalb wird die Realeinkommenssteigerung im Fortschrittsbereich teilweise mit Kapitalverzehr oder andersmöglicher Kapitalvermehrung bezahlt. Volkswirtschaftlich ist die Steigerung des realen Sozialproduktes geringer, als es vom Fortschrittsbereich her den Anschein hat. Der Realeinkommenssteigerung hier muß die Senkung des realen Einkommens in anderen Bereichen angerechnet werden. In der Konkurrenzwirtschaft werden die Sparbeträge dort investiert, wo sie die größte Grenzproduktivität erzielen. Im allgemeinen wird dabei stillschweigend vorausgesetzt, daß durch diese Art der Investitionslenkung auch das Sozialprodukt maximiert wird. Bei Lenkung des Faktoreinsatzes nach diesem Prinzip wird nicht gefragt, wodurch die Grenzproduktivitäten in einem Bereich höher sind als in dem anderen. Sind aber die Fälle einfache Kapitalvermehrung und kostensparender technischer Fortschritt von hier aus gesehen identisch? Nur wenn die Frage bejaht werden kann, darf in beiden Fällen das gleiche Lenkungsprinzip anerkannt werden.
Unvorhergesehene kostensparende technische Fortschritte
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Die Frage muß jedoch verneint werden. Im Gegensatz zum Fall einfacher Kapitalvermehrung werden bei kostensparenden technischen Fortschritten die Freisetzungsmöglichkeiten von Produktionsfaktoren in der vorgelagerten Industrie verschüttet. Denn die produktionsperiodisch freiwerdenden Produktionsfaktoren während der Investitionsperioden der veralteten Anlage werden sofort wieder zur Reproduktion der investierten Netto-Sparbeträge eingesetzt. Sie sind deshalb nicht in der Lage, die im Fortschrittsbereich investierten Netto-Sparbeträge abzulösen. Dieses Phänomen taucht bei einfacher Kapitalvermehrung nicht auf. Im Fall einfacher Kapitalvermehrung ist der resultierende Sozialproduktzuwachs eine echte Steigerung des realen Sozialproduktes. Er drückt die Mehrergiebigkeit des Produktionsumweges aus. Im Gegensatz dazu werden kostensparende technische Fortschritte im Fortschrittsbereich in dem Umfange eingeführt, als wenn die Mehrergiebigkeit der Produktionsumwege das Ausmaß hätte, welches durch die Realeinkommenssteigerung in diesem Bereich angegeben wird. Im Unterschied zum Fall einfacher Kapitalvermehrung gerät folglich hier das Prinzip der Lenkung von Produktionsfaktoren nach ihren Knappheiten in Widerspruch zur Lenkung der Produktionsfaktoren nach der Mehrergiebigkeit. Es wird die These gewagt, daß die Netto-Sparbeträge nach dem Prinzip der Mehrergiebigkeit der Produktionsumwege gelenkt werden sollten. Danach dürften kostensparende technische Fortschritte nur in dem Umfange zugelassen werden, wie sie im Rahmen der Kapazität der vorgelagerten Industrie durchführbar sind. Das ist genau der Umfang, in dem volkswirtschaftlich und produktionsperiodisch die Kostenersparnis anfällt. Dadurch wird es in Abhängigkeit von der Nachfrageelastizität zu Produktpreissenkungen kommen. Sie sind aber nur eine monetäre Erscheinung, die gesamtwirtschaftlich nicht negativ zu beurteilen ist. Denn es interessiert keine irgendwie gelagerte Wertminderung, sondern nur die Realeinkommenssteigerung. Der volkswirtschaftliche Verlust durch Vergangenheitssparen besteht bei dem angegebenen dosierten Wachstum des Fortschrittsbereiches darin, daß die Konsumenten nicht sofort in den vollen Genuß der durch Kostenersparnis möglichen Realeinkommenssteigerung kommen. Sie müssen sich mit produktionsperiodisch erst allmählich steigenden Realeinkommen zufriedengeben.
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Fortschrittsinvestitionen über den angegebenen Umfang hinaus sind nur dann erlaubt, wenn ihre Mehrergiebigkeit abzüglich des Kapitalverzehrs noch so groß ist, daß sie mindestens dem herrschenden Kapitalmarktzins gleichkommt. Diese Netto-Mehrergiebigkeit, die volkswirtschaftliche Mehrergiebigkeit der Netto-Sparbeträge, sollte für die Investitionsentscheidung bestimmend sein. Bei derartigem Vorgehen wird natürlich die Konsumentensouveränität beiseite geschoben. Damit drängt sich die Frage auf, ob eine solche Investitionspolitik überhaupt vertretbar ist. Dagegen spricht die von den Konsumenten gewünschte, kurzfristig stärkere Steigerung des Realeinkommens, wenn die Produktionsfaktoren nach dem Knappheitsprinzip gelenkt werden. Aus zwei Gründen erscheint die vorgeschlagene Investitionspolitik dennoch gerechtfertigt: 1. Der Kapital verzehr geht unbemerkt von den Konsumenten vor sich. Die Preissenkung im Fortschrittsbereich bringt eine Kostenersparnis zum Ausdruck, die volkswirtschaftlich nicht vorhanden ist. 2. Die Nettosparer erhalten einen Zins in Abhängigkeit von der Mehrergiebigkeit der Investitionen im Fortschrittsbereich. Die Konsumenten als Sparer glauben, zumindest in diesem Ausmaß zur Sozialproduktsteigerung beigetragen zu haben. In Wirklichkeit aber wurde der Kapitalbestand nicht um das Sparen vermehrt. Denn die Konsumenten haben auf der anderen Seite zugleich Kapital verzehrt, so daß die Realeinkommenssteigerung auf lange Sicht niedriger ist als erwartet. So gesehen stellt sich die Frage, welche Konsumentensouveränität den Vorrang verdient, die des Sparers oder die des Verbrauchers. Bisher wurde vorausgesetzt, daß der unvorhergesehene technische Fortschritt einmalig auftritt. Dabei zeigte sich, daß zu seiner Einführung Netto-Sparbeträge als Investitionsgrundlage erforderlich sind. Diese Netto-Sparbeträge bedeuten Verzicht auf Konsum und vermindern somit das gegenwärtig konsumierbare Einkommen. Wird jetzt die Voraussetzung der Einmaligkeit fallen gelassen und statt dessen unterstellt, daß unvorhergesehene technische Fortschritte fortlaufend eintreten, so erweist sich die Richtigkeit des herausgestellten Prinzips: Die Einführung eines kostensparenden technischen Fortschrittes sollte von der gesamtwirtschaftlichen Mehrergiebigkeit — und nicht von der partiellen des Fortschrittsbereiches — abhängig gemacht werden. Treten in den nachfolgenden Produktionsperioden unvorhergesehen wiederum neue technische Fortschritte auf, die die vorperiodischen technisch veralten lassen, so werden mit ihrer Einführung und zu ihrer Finan-
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zierung, wie gezeigt, gleichfalls Konsumverzichtsleistungen erforderlich. Das aber hätte einen permanenten Abbau des konsumierbaren Einkommens zur Folge, ohne daß gesamtwirtschaftlich der Konsument je in den Genuß der Vorteile der eingeführten technischen Fortschritte käme. Dieser Prozeß könnte schließlich so weit getrieben werden, daß letztlich das konsumierbare Einkommen unter das Niveau ohne jegliche Erfindungen absinkt. Die Reduktion des Einkommens ist auch meßbar. Sie hat die Größe des nutzlos investierten Netto-Sparens für vorausgegangene, aber inzwischen überholte technische Neuerungen. Das Postulat der Bestimmung des Investitionsumfanges und der Investitionsrichtung nach der Mehrergiebigkeit wurde in dem Kapitel über einfache Kapitalvermehrung abgeleitet. Exemplifiziert an kostensparenden technischen Fortschritten, wird seine Bedeutung erneut bestätigt: 1. In einer Volkswirtschaft unter den Idealbedingungen vollständiger Konkurrenz erfolgt die Einführung unvorhergesehener technischer Fortschritte zu schnell. Denn sie richtet sich ausschließlich nach der BruttoMehrergiebigkeit des Fortschrittsbereiches und braucht sich nicht den im gleichen Zuge stattfindenden Kapitalverzehr anrechnen zu lassen. Hingegen wurde im Rahmen dieser Arbeit das Knappheitsprinzip als Einführungskriterium zur Lenkung der technischen Fortschritte verworfen. Statt dessen wurde die Netto-Mehrergiebigkeit, die gesamtwirtschaftliche Mehrergiebigkeit, also die Brutto-Mehrergiebigkeit abzüglich Kapitalverzehr, als das volkswirtschaftlich richtige Lenkungsprinzip erkannt. 2. Die Einführung unvorhergesehener technischer Fortschritte enthält das Element der Kapitalvermehrung, soweit diese über Netto-Sparen finanziert wird. Einfache Kapitalbildung erfolgt in einem marktwirtschaftlichen System wegen der external economies zu langsam. Folglich werden auch technische Fortschritte bei Inanspruchnahme von NettoSparen dementsprechend zu langsam und in zu geringem Umfange durchgeführt. Andererseits wiederum — wie unter Punkt 1 — werden sie von der Brutto-Mehrergiebigkeit her marktwirtschaftlich doch zu schnell eingeführt. Zwei gegenläufige Kräfte sind also am Werk. Wie das Tauziehen ausgehen wird, kann nicht ohne weiteres gesagt werden. Nur bei Gleichheit von Kapitalverzehr und external economies werden unvorhergesehene technische Fortschritte marktwirtschaftlich auch im volkswirtschaftlich richtigen Umfange eingeführt.
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Fortschrittsinvestitionen und volkswirtschaftliche Profitrate
C. Ergänzungen und Kontrolle
Die Analyse der volkswirtschaftlichen Auswirkungen kostensparender technischer Fortschritte wurde mit Hilfe des herausgearbeiteten Unterschiedes zwischen volkswirtschaftlicher und privatwirtschaftlicher Profitrate des Kapitals vorgenommen. Selbstverständlich wirken im Zuge der Einführung kostensparender technischer Fortschritte auch alle die Diskrepanzen mit, welche ohne technische Neuerungen vorhanden sind, wie etwa die economies of scale. Es sei abschließend jedoch noch auf zwei Divergenzen in den Profitraten hingewiesen, die sich allein durch den technischen Fortschritt auftun. 1. L e a r n i n g b y D ö i n g 1 1 4 Bereits Pigou hat darauf aufmerksam gemacht, daß die Chance von Erfindungen wahrscheinlich größer ist, wenn stets der neueste Stand der Technik angewandt wird. Arrow hat diesen Gedanken wieder aufgegriffen, indem er die Voraussetzung in sein Modell einbaute, daß technische Fortschritte nur durch Erfahrungen zustande kommen, die durch und im Rahmen von Brutto-Investitionen gesammelt werden. Danach sind technische Fortschritte keine Funktion der Zeit, wie üblicherweise in Cobb-Douglas-Produktionsfunktionen impliziert, sondern solche des Brutto-Investitionsvolumens. Werden keine Brutto-Investitionen vorgenommen, bleibt der Stand des technischen Wissens konstant. Steigt hingegen das Investitionsvolumen, wird durch gesammelte Erfahrungen die Chance von Erfindungen größer, wovon alle zukünftigen Investitionen profitieren: Sie werden produktiver sein. Dieser Effekt des Learning by Döing kommt einer indirekten Erhöhung der Profitrate des Kapitals gleich. Allerdings gelingt es dem Einzelunternehmer in einem System vollständiger Konkurrenz nicht, diesen Zuwachs an Produktivität für alle zukünftigen volkswirtschaftlichen Investitionen, den seine Einzelinvestition schafft, für sich zu reservieren. Er kann das zusätzliche Wissen nicht verkaufen. Vielmehr wird es automatisch Allgemeingut aller Unternehmer. Insofern ist die sich durch den Wettbewerbsprozeß einstellende privatwirtschaftliche Profitrate des Kapitals niedriger als die volkswirtschaftliche. Folglich werden unter dem Aspekt des Learning by Döing die einzelnen Unternehmer weniger investieren als volkswirtschaftlich er114 Vgl. S. 22—24 dieser Arbeit.
Ergänzungen und Kontrolle
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wünscht. Von hier aus gesehen wäre eine staatliche Unterstützung der industriellen Forschung zu rechtfertigen, wenn die privaten Unternehmer sich nicht zu einer Gemeinschaftsforschung bereitfinden können, an deren Ergebnissen alle Unternehmer gleichermaßen partizipieren 115 . 2. U n s i c h e r e
Erwartungen
Des weiteren wird die Ubereinstimmung von privater und volkswirtschaftlicher Profitrate des Kapitals durch die Reaktion der einzelnen Unternehmer auf die unsicheren Erwartungen des Anfallens von technischen Fortschritten gestört. Wesentliche Größen einer Investitionsentscheidung gehören der Zukunft an und beruhen mithin auf Erwartungen. Der eingangs der Arbeit 116 festgestellte unregelmäßige und nicht voraussehbare Anfall technischer Fortschritte bedeutet, daß die Realisation der Erwartungen unsicher ist. Deshalb geht der Unternehmer bei positiver Investitionsentscheidung notwendig das Wagnis eines Verlustes ein. Er weiß um diese Unsicherheit und versucht, sich darauf einzustellen. In der Literatur sind eine Reihe von Methoden entwickelt worden, um die Schwierigkeiten zu meistern. Seit Knight ist es üblich, zwischen dem Risiko — der meßbaren Wahrscheinlichkeit — und der ,wahren' Ungewißheit — der Unmeßbarkeit des Eintreffens eines Ereignisses — zu unterscheiden. Weitergehend versuchte u. a. Shackle 117 zu zeigen, daß Investitionsentscheidungen nicht einmal dann nur intuitiv und irrational sein müssen, wenn keine Berechenbarkeit der Wahrscheinlichkeit des Eintreffens von Ereignissen vorliegt. Es ist nicht erforderlich und liegt auch (nicht im Rahmen dieser Arbeit, auf die Theorie der Investitionsentscheidungen bei unsicheren Erwartungen näher einzugehen. Hier genügt allein die Feststellung, daß weder Risiko noch Unsicherheit wirtschaftlicher Art in praxi 1 1 8 versicherbar sind und der Unternehmer folglich zur Selbsthilfe greifen muß. 115 In den meisten entwickelten Volkswirtschaften ist dem Rechnung getragen. So wurde beispielsweise in der BRD im Jahre 1954 die Arbeitsgemeinschaft Industrieller Forschungsgemeinschaften gegründet (AIF). Siehe S. 28. 117 G. L. Shackle , „Expectations in Economics", 2 n d ed., 1952. Siehe auch: B. S. Keirstead, „Capital, Interest and Profits", Oxford, Basil Blackwell, 1959, p. 28 etc., insbes. p. 29. R. A. Egerton , „Investment Decissions under Uncertainty", Liverpool, University Press, 1960. Iis Abgesehen von der zumindest teilweise aus anderen Gründen geschaffenen Arbeitslosenversicherung.
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Fortschrittsinvestitionen und volkswirtschaftliche Profitrate
Die privatwirtschaftliche Profitrate des Kapitals wird deshalb als Bestandteil eine Risiko- und Ungewißheitsprämie enthalten. Wie die Diskussion um die Meisterung von Risiko und Ungewißheit zeigt, können die Prämien durch pooling nach dem Prinzip der Versicherung gesenkt werden. Aus diesem Grunde werden volkswirtschaftliches Risiko und volkswirtschaftliche Ungewißheit in der Tendenz niedriger sein als die entsprechenden privatwirtschaftlichen Größen, was nichts anderes besagt, als daß die volkswirtschaftliche Mehrergiebigkeit höher ist als die privatwirtschaftlich einzukalkulierende. Es könnte jedoch daran gedacht werden, daß der private Unternehmer sich eine Art Eigenversicherung durch Erweiterung der Zeitdimension aufbaut und so zu einer Senkung der Prämien auf das volkswirtschaftliche Maß gelangt. Je größer die Zeitdimension ist, um so größer wird die Zahl seiner Investitionsentscheidungen, so daß schließlich ein versicherbarer Bestand herauskommen könnte. Diese Möglichkeit bleibt dem privaten Unternehmer aber verschlossen, weil seine Investitionsentscheidung mit dem Spiel des Russischen Rouletts vergleichbar ist. Verliert der Unternehmer, ohne vorher die erforderlich gewordenen Reserven ansammeln zu können, geht das zu Lasten seines Vermögens, womit ihm gleichzeitig das Mandat für weitere Investitionsentscheidungen entzogen wird. Wenn langfristig Vermögensverluste und Vermögensgewinne sich auch ausgleichen mögen, so gilt doch der Ausspruch von Keynes, daß auf lange Sicht alle tot sind. Da es keine Versicherungsunternehmen gibt, die außer dem technischen auch das wirtschaftliche Risiko und analog die Ungewißheit zu tragen bereit sind, sei es gesamtwirtschaftlich oder branchenmäßig, werden volkswirtschaftliche und privatwirtschaftliche Profitrate des Kapitals nicht übereinstimmen. Die Diskrepanz wird allerdings um so kleiner sein, je größer die Chance einer Eigenversicherung durch Konzernierung des dem Risiko und der Ungewißheit ausgesetzten Kapitals und je extensiver die Möglichkeit des Verlustvortrages in der Bilanz durch die Steuergesetzgebung ist. Die Identität der Profitraten aus der Perspektive unsicherer Erwartungen wäre dann erreicht, wenn das gesamte Sozialprodukt von einer Einzelunternehmung geschaffen würde. Wie zu Beginn der Arbeit festgestellt 119, wäre es in diesem Falle nicht einmal sinnvoll, Vorbeugungsmaßnahmen zu treffen. Der volkswirtn» Siehe S. 33.
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schaftlich orientierte Unternehmer könnte abwarten, wo, wann und in welchem Ausmaß technische Neuerungen anfallen und ihre Einführung dann davon abhängig machen, ob die Konsumenten zu Prämienzahlungen bereit sind, die seinen Verlust abdecken. Die Prämienzahlungen müßten den Kapitalverzehr entgelten. Folglich sind die Kapitalverluste Kostenbestandteil und nicht schon durch die Konsumentengewinne aufzuwiegen. Dadurch bestätigt sich erneut, daß technische Fortschritte im marktwirtschaftlich möglichen Umfange nur dann eingeführt werden sollten, sofern sie bei Anrechnung des Kapitalverzehrs noch profitabel sind.
Fünftes Kapitel Reaktionen auf Fehlentwicklungen im marktwirtschaftlichen System A. Konzernierung des der Verlustgefahr ausgesetzten Kapitals
Die bisherigen Ergebnisse wurden unter der Voraussetzung vollständiger Konkurrenz abgeleitet. In Übereinstimmung mit der vorliegenden Literatur wurde festgestellt, daß durch unvorhergesehene technische Fortschritte bedingte Vermögensverluste der Unternehmer nicht negativ zu beurteilen sind, weil ihnen gleich große Realeinkommensgewinne der Konsumenten gegenüberstehen. Da wohlfahrtstheoretische Überlegungen aus der Betrachtung ausgeschlossen bleiben, kann die Einkommensumverteilung — denn anders sind die Kapitalverluste im Verhältnis zu den Realeinkommensgewinnen letztlich nicht aufzufassen — nicht als Argument für oder wider die sofortige Einführung eines kostensparenden unvorhergesehenen technischen Fortschrittes herangezogen werden. Beurteilungskriterium kann danach nur der Sozialproduktzuwachs sein. Wie sich zeigte, ist der Sozialproduktzuwachs niedriger, als es vom Fortschrittsbereich her den Anschein hat. Denn sofern die Konsumneigung der Konsumenten höher ist als die der Unternehmer, nutzen die Konsumenten ihre Realeinkommenssteigerung zu verstärkter Nachfrage nach Konsumgütern aus, was nur auf Kosten des zukünftigen Kapitalbestandes möglich ist. Kurzfristig ist aber auch ohne technische Fortschritte eine Realeinkommenssteigerung im Ausmaße des Kapitalverzehrs denkbar. Deshalb muß vom Sozialproduktzuwachs der Kapitalverzehr abgezogen werden, will man die isoliert durch den technischen Fortschritt zustande gekommene Mehrergiebigkeit berechnen. Eine Differenz zwischen der optischen und tatsächlichen Mehrergiebigkeit stellt sich immer dann ein, wenn das für Sparzwecke vorgesehene Einkommen durch Umverteilung zugunsten der Konsumenten dem Verbrauch zugeführt wird. Die über diesen Weg erfolgten Verbrauchsausgaben sind Kapitalverzehr. Damit schließt die Argumentation wieder an die Autoren an, welche fordern, daß in die Kalkulation derjenigen Unter-
Konzernierung des der Verlustgefahr ausgesetzten Kapitals
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nehmer, die den technischen Fortschritt bei sich einführen, die Kapitalverluste anderer Unternehmer als negative externe Effekte einzugehen haben. Wie ausführlich dargelegt, wird in einer Wettbewerbswirtschaft mit freiem Zugang zum Markt der Produktpreis sofort auf die neuen niedrigeren Stückkosten herabgedrückt und das ohne Rücksicht auf die im Gefolge auftretenden privaten Vermögensverluste der Unternehmer mit veralteter Produktionstechnik. Unternehmer, die sich volkswirtschaftlich richtig verhalten, wenn sie die Einführung des kostensparenden technischen Fortschrittes so lange hinausschieben, bis die Kostenersparnis durch das neue Verfahren auch bei Abzug des Kapitalverlustes die Netto-Investition profitabel werden läßt, würden bei der Marktform vollkommener Konkurrenz aus dem Markt gedrängt. Denn die nicht mit Altanlagen belasteten Fortschrittsunternehmer wären ihnen überlegen. Bereits früher wurde festgestellt, daß der wirksamste Schutz gegen Vermögensverluste in der Konzernierung des der Verlustgefahr ausgesetzten Kapitals liegt. Das kann in der loseren Form durch Errichtung von Verkaufssyndikaten oder straffer durch Monopolbildung erfolgen. Wichtig ist nur, daß der Marktpreis durch Regulierung des Angebotes und Blockierung des freien Zuganges zum Markt von einer Stelle beherrscht wird. Im folgenden sollen die volkswirtschaftlichen Auswirkungen eines kostensparenden technischen Fortschrittes unter der Voraussetzung geprüft werden, daß das Angebot von Gütern auf dem primär betroffenen Sektor von einem einzigen Produzenten gestellt wird. Der Produzent ist Monopolist. Seine Lage wird durch den Zusammenfall seiner individuellen konjekturalen Preis-Absatzkurve mit der kollektiven Nachfragekurve gekennzeichnet. Der Monopolist, der eine kostengünstigere Anlage kaufen kann oder selber entwickelt hat, wird sich nur dann für den sofortigen Einsatz des neuen Verfahrens entscheiden, wenn er hierdurch unter Anrechnung der damit verbundenen Kapitalverluste noch eine Kostenersparnis erzielen kann. Das Gewicht der Kapitalverluste in der Wirtschaftlichkeitsrechnung des Monopolisten wird durch den Restwert der veralteten Anlagen bestimmt. Er wird in der Regel niedriger als der Neuwert der ursprünglichen Investition sein und in der stationären Wirtschaft mit einem Zins von Null gerade die Hälfte der Anschaffungskosten der veralteten Anlage ausmachen119*1. Diese Angaben verdeutlichen, daß die Kapitalverluste recht erheblich sein können und somit der augenblicklichen Einführung des technischen Fortschrittes stark entgegenwirken. nöa Siehe Seite 49 dieser Arbeit. 11 Noll
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Reaktionen auf Fehlentwicklungen im marktwirtschaftlichen System
So kann der Monopolist den Kapitalverlusten bei sofortigem Ersatz der alten noch gebrauchsfähigen Anlagen nicht ausweichen. Das ist leicht zu sehen, wenn man sich beispielsweise vorstellt, daß die ursprüngliche Investition mit Krediten finanziert wurde. Zweifellos werden Zins- und RückZahlungsverpflichtungen fällig, unabhängig davon, ob die alte Anlage durch eine neue ersetzt wurde oder nicht. Bei rationalem Verhalten des Investors gilt das gleiche für alle anderen Finanzierungsmöglichkeiten. Der Monopolist wird das neue Verfahren spätestens dann einführen, wenn der Restwert der veralteten Anlagen auf Null gesunken ist. In diesem Falle ist die Brutto-Kostenersparnis gleich der Netto-Kostenersparnis, da keine Kapitalverluste anfallen. Diese Aussage ist fast zu selbstverständlich, als daß sie noch ausgesprochen werden muß. Erinnert sei aber an die Argumentationen von Pigou und Hayek und ihre Behauptung, daß das Gaslicht wohl nie durch elektrisches Licht ersetzt worden wäre, wenn die Kapitalverluste hätten in Rechnung gestellt werden müssen120. Der Zeitpunkt der Einführung des kostensparenden technischen Fortschrittes hängt also bei der Marktform des Monopols von der BruttoKostenersparnis und dem Umfang der noch nicht reproduzierten Kosten der alten Anlage ab. Mit jeder Produktionsperiode wird ihr Restwert und damit der potentielle Kapitalverlust geringer. Sobald die Differenz der beiden angegebenen Größen positiv ist, wird das neue Verfahren eingeführt. Der dann noch verbleibende Restwert der veralteten Anlage wird den neuen niedrigeren Kosten zugeschlagen121, die zwar auch jetzt noch immer niedriger sind als die alten höheren Stückkosten. Danach sind zwei Phasen monopolistischer Preispolitik zu unterscheiden: Der Monopolist setzt zunächst einen Monopolpreis für die Interferenzperiode an, in der die neuen niedrigeren Stückkosten noch mit den Kapitalverlusten belastet sind. Erst wenn der Restwert der veralteten Anlagen über den so gefundenen Monopolpreis eingebracht ist, wirkt sich die definitive Kosteneinsparung voll aus. Von diesem Zeitpunkt an wird der Monopolpreis allein von den neuen niedrigeren Kostenkurven und der konjekturalen Preis-Absatzkurve bestimmt. Diese Verhaltensweise
120 Arthur Cecil Pigou , „Economics of Welfare", a.a.O., S. 188 und Friedrich A. Hayek , „Technischer Fortschritt und Uberkapazität", a.a.O., S. 13. 121 William Fellner, „The Influence of the Market Structure on Technological Progress", The Quarterly Journal of Economics, Vol. L X V I , 1951, p. 556—7.
Konzernierung des der Verlustgefahr ausgesetzten Kapitals
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kann der Monopolist sich definitionsgemäß erlauben, weil er allein durch sein Angebot den Marktpreis bestimmt. Er erleidet also durch die Einführung des kostensparenden technischen Fortschrittes keinen Verlust. Denn er wird die alten Anlagen erst dann ersetzen, wenn der mögliche Monopolgewinnzuwachs größer als die verbleibenden Kapitalverluste ist. Sofern Netto-Kosteneinsparung auch links von der Grenzerlöskurve vorliegt, wird sein Monopolgewinn stets erhöht und damit seine Monopolstellung noch verstärkt. Mit anderen Worten, bei der Marktform des Monopols findet kein kapitalzerstörender Wettbewerb statt. Es wird erst dann auf das neue Verfahren umgestellt, wenn die Kosteneinsparung die durch Preissenkung eintretenden Einkommensverluste des Monopolisten überkompensiert. Deshalb wird die Einführung eines kostensparenden technischen Fortschrittes in einer monopolistisch ausgerichteten Wirtschaft tendenziell langsamer vonstatten gehen, als in einer Wettbewerbswirtschaft. Wie zuvor nachgewiesen, ist diese Tendenz unter volkswirtschaftlichem Aspekt zu begrüßen. Der Zeitpunkt der monopolistischen Einführung des technischen Fortschrittes entspricht genau dem volkswirtschaftlich erwünschten Zeitpunkt, wenn davon ausgegangen werden kann, daß die Realeinkommenssteigerungen in der Wettbewerbswirtschaft von den Konsumenten ausschließlich zu verstärkter Nachfrage nach Konsumgütern ausgenutzt werden, demnach nicht zu zusätzlichem Sparen führen. Aus dieser Sicht ist die Konzernierung des Kapitals, die von den Kapitalbesitzern als sicherste Methode des Selbstschutzes gegen Kapitalverluste betrieben wird, volkswirtschaftlich nicht nur zu vertreten, sondern geradezu erstrebenswert. Jedoch lassen sich gegen die Monopolbildung eine Reihe von Einwendungen vorbringen, die diesen Weg der volkswirtschaftlich richtigen Regulierung des technischen Fortschrittes zweifelhaft erscheinen lassen. Zunächst sei auf die Punkte hingewiesen, die man beim Studium der Preistheorie allgemein kennenlernt: Beeinträchtigung der Allokation der Produktionsfaktoren, des Volkswohlstandes und der Einkommensverteilung zugunsten der Monopolisten. Die Argumentation ist zu bekannt, als daß sie hier wiederholt werden müßte 122 . Die anschließende Darstellung beschränkt sich deshalb auf speziell durch den technischen Fortschritt be122 Arnold C. Harbergert „Monopoly and Resource Allocation", American Economic Review, Vol. X L I V , May 1954, Nr. 2, Papers and Proceedings, pp. 77—87 und Joseph A. Schumpeter, „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie", Bern 1946, insbes. die Kapitel 7 und 8. Beide Autoren versuchen, das kraß gezeichnete Bild etwas zu korrigieren.
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Reaktionen auf Fehlentwilungen im marktwirtschaftlichen System
dingte negative Auswirkungen. Zwei Aspekte schieben sich hierbei in den Vordergrund: 1. Die Diffusion des technischen Fortschrittes in einer monopolistischen Wirtschaft und 2. die Auswirkungen auf die anderen Produktionsfaktoren, namentlich den Produktionsfaktor Arbeit. 1. D i e D i f f u s i o n des t e c h n i s c h e n F o r t s c h r i t t e s in einer monopolistischen W i r t s c h a f t Die Beherrschung des Marktpreises durch den Monopolisten, die bei Einführung des technischen Fortschrittes die Fortschrittsinvestitionen im positiven Sinne reguliert, erweist sich nach Abschluß der Interferenzperiode, wenn die definitive Kosteneinsparung voll wirksam wird, als Nachteil. An der Wettbewerbswirtschaft wurde bislang lediglich der Zeitpunkt seiner Einführung kritisiert, nicht der klassische123 Mechanismus als solcher, der langfristig die Früchte des technischen Fortschrittes über sinkende Preise weitergibt. Bei Vorliegen einer monopolistischen Marktform wird auch langfristig die Kostenverbilligung nur teilweise in sinkende Preise übertragen. Das Ausmaß der Preissenkung hängt im wesentlichen von der Elastizität der kollektiven Nachfragekurve ab. Hat beispielsweise die Preis-Absatzkurve einen linearen Verlauf und sind die variablen Stückkosten konstant — was besagt, daß die Grenzkosten gleich diesen Stückkosten sind —, so ist die Optimalerzeugung des Monopolisten genau die Hälfte der bei vollkommenem Wettbewerb erzeugten Menge 124 . Daraus folgt, daß jede Senkung der Stückkosten im Linearfall den Monopolpreis nur um die Hälfte der Kostenersparnis senkt. Kurz gesagt: Der Monopolist gibt die Früchte des technischen Fortschrittes nur zur Hälfte weiter. Zwar wird die Ausbringungsmenge erhöht und der Preis gesenkt. Die vollständige Diffusion des technischen Fortschrittes wird aber durch seine Verhaltensweise verhindert. Bislang wurde angenommen, daß die Kostenersparnis dank technischer Fortschritte nur zu Preissenkungen führen kann. Möglich und zu erwarten ist aber, daß sich die Arbeitnehmerseite organisiert und versucht, die Kostenersparnis in höhere Löhne umzusetzen. Theoretisch könnten die Gewerkschaften die volle Kostensenkung in Lohnsteigerungen ummünzen, so daß letztlich die Kosten des Monopolisten vor und nach Einfüh123 Adam Smith , „Wealth of Nations", ed. E. Cannan, London 1904, Book I, chapt. 11, „Effects of the Progress of Improvement upon the Real Prices of Manufactures". 124 Fritz Machlup , Stichwort „Monopol" im Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, 7. Bd., Göttingen 1961, S. 438.
Diffusion des technischen Fortschritts
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rung des technischen Fortschrittes gleichgeblieben sind. Der Kostenunterschied ist zu einer Einkommenssteigerung der Arbeitnehmer, allerdings speziell der des Monopolisten, geworden. Damit sind zwei Wege der Weitergabe der Fortschrittsfrüchte aufgezeigt: 1. Produktpreissenkung in der Wettbewerbswirtschaft und 2. steigende Geldeinkommen der Arbeitnehmer im monopolistischen Fortschrittsbereich. Ist einem der beiden der Vorzug zu geben? Joan Robinson vertritt die These, es sei gleichgültig, welcher von beiden Wegen begangen wird, wenn sie schreibt: „ . . . for entrepreneurs may prefer (within limits) to accept a cut in margins rather than to alter their price policy. In so far as this occurs, real-wage rates rise. I f by this means real wages can be made to rise as fast as output per man the root of the trouble is cut, and the economy can accumulate capital and increase total product at the rate appropriate to the pace at which technical improvements are being introduced, just as though competition were still active 1 2 5 / Ihre Aussage deckt sich nicht ganz mit der möglichen Antwort auf die hier formulierte Frage. Sie erstreckt sich auf das Stadium der Einführung des technischen Fortschrittes, dessen Erörterung im vorliegenden Zusammenhang bereits abgeschlossen ist und zu dem Ergebnis führte, daß die monopolistische Marktform im ganzen gesehen die Einführung des technischen Fortschrittes richtig dosiert. Deshalb sollten Lohnforderungen seitens der Gewerkschaften erst nach Abschluß der Interferenzperiode aktuell werden. Der verbleibenden Teilaussage kann nur dann zugestimmt werden, wenn 1. die technischen Fortschritte nach Art und Umfang auf alle Bereiche gleichmäßig verteilt sind, 2. in den verschiedenen Bereichen gleiche Monopolgrade vorliegen oder 3. die unter den Punkten 1 und 2 genannten Kräfte sich so kompensieren, daß die relativen Faktor- und Produktpreise konstant bleiben. Wird unterstellt, daß in den verschiedenen Bereichen unterschiedliche Monopolgrade vorliegen, ändert sich zwangsläufig das Bild. Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen des technischen Fortschrittes hängen zusätzlich von der gewerkschaftlichen Lohnpolitik ab. Zunächst sei angenommen, daß die Arbeitnehmer der Volkswirtschaft in ihrer Gesamtheit nicht verbandlich koaliert, sondern branchenmäßig organisiert sind. Unter den drei Voraussetzungen gleichmäßigen Anfalls technischen Wissens, unterschiedlicher Monopolgrade und branchenorientierter Gewerkschafts125 Joan Robinson, „The Accumulation of Capital", a.a.O., chapt. 9, „Technical Progress", p. 94.
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Reaktionen auf Fehlentwicklungen im marktwirtschaftlichen System
politik zeigen sich erhebliche Divergenzen zwischen wettbewerbswirtschaftlichen Preissenkungen und monopolistischen Faktorpreiserhöhungen. In Anlehnung an die Empirie sei beispielhaft davon ausgegangen, daß in der Industrie die Marktform des Monopols und im Ernährungssektor die Marktform der Konkurrenz vorherrscht. Dann werden im industriellen Sektor die Früchte des technischen Fortschrittes zu konstanten Produktpreisen bei steigendem Faktoreinkommen weitergegeben, während die landwirtschaftlichen Erzeugnisse nach dem klassischen Mechanismus zu den niedrigeren Wettbewerbspreisen abgesetzt werden. Bei Betrachtung der Interrelation der beiden Tendenzen wird ersichtlich, daß sie nicht miteinander, sondern gegeneinander arbeiten. Die beiden Sektoren tauschen Konsum- und Produktionsgüter untereinander aus und sind zudem durch die Faktorpreise wechselseitig verbunden. Die terms of trade verschlechtern sich für den landwirtschaftlichen Bereich. Denn dieser kauft die industriellen Produktions- und Konsumgüter zu konstanten Preisen, während er die eigenen Güter nur zu sinkenden Preisen abgeben kann. Schon bei gleichmäßiger Verteilung der technischen Fortschritte über alle Branchen wird der Agrarsektor von den Kosten- und Absatzpreisen in die Zange genommen, weil der industrielle Fortschritt nicht diffusioniert. Das Bild des klassischen Mechanismus wird noch stärker verzerrt, wenn außer der unterschiedlichen Marktform auch noch verschiedene Fortschrittsraten in den beiden betrachteten Sektoren vorausgesetzt werden. Ist der technische Fortschritt in der Industrie stärker, müßten in einer generellen Wettbewerbswirtschaft dort auch die Produktpreise relativ stärker als im Agrarsektor sinken. Die industrie-monopolisierte Volkswirtschaft bewirkt aber gerade das Gegenteil: Die landwirtschaftlichen Produktpreise sinken, und die Produkte des industriellen Sektors bleiben konstant 126 . Die vorgeführte Branchenanalyse hat gezeigt, daß eine gewerkschaftliche Lohnpolitik der Absorption des technischen Fortschritts durch Einkommenssteigerungen einseitig zugunsten der Arbeitnehmer, die Vorteile einer Konkurrenzwirtschaft nach Abschluß der Interferenzperiode nur unter zwei höchst unrealistischen Voraussetzungen bringt, wenn 1. die 126
Dieser sektorale Vergleich wurde nicht nur um seiner selbst willen oder als theoretisch spitzfindiges Gedankenspiel betrieben. Er wurde vielmehr ganz bewußt gewählt zur Verdeutlichung der tatsächlichen Schwierigkeiten in der Landwirtschaft innerhalb der westlichen Welt. Eine Korrektur dieses Widerspruches wäre über die gleichgradige Monopolisierung beider Sektoren denkbar. Vgl. die allerdings nur rein methodischen Überlegungen der Theorie des Zweitbesten.
Auswirkungen auf den Produktionsfaktor Arbeit
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Volkswirtschaft in allen Branchen den gleichen Monopolgrad hat und 2. der technische Fortschritt sich generell auf alle Teile der Volkswirtschaft bezieht. Dieses Ergebnis wandelt sich, sobald eine die Gesamtwirtschaft umfassende Universalgewerkschaft für alle Branchen besteht. Dann werden die Lohnforderungen weniger an den sektoralen Produktivitätssteigerungen als an denen der gesamten Volkswirtschaft orientiert. Die Lohnsteigerungen in den Sektoren mit überdurchschnittlicher Fortschrittsrate sind niedriger als der Produktivitätssteigerung entspricht, so daß graduelle Veränderungen in den relativen Preisen möglich sind. In dieser Mischform gleichzeitiger Lohnsteigerungen wie Preissenkungen kommt der technische Fortschritt nicht nur den im Fortschrittsbereich zufällig tätigen Arbeitnehmern zugute, sondern wenigstens teilweise auch der Gesamtheit der Konsumenten. Dadurch erhält der Monopolist jedoch wieder jenen gewissen Spielraum, der zuvor kritisch erörtert wurde. 2. A u s w i r k u n g e n a u f d e n P r o d u k t i o n s f a k t o r
Arbeit
Bisher konzentrierten sich die Ausführungen auf Kapital in Form von produzierten Produktionsmitteln. Von diesem materiellen Kapital ist das immaterielle zu unterscheiden, das genauso durch „vorgetane Arbeitsleistung" geschaffen wird 1 2 7 . Wenn Arbeitskräfte sich nicht sofort nach Abschluß der allgemeinen Schulausbildung in den Wirtschaftsprozeß eingliedern oder zeitweise wieder ausscheiden, um sich durch Kurse, Studien usw. zusätzliche Fertigkeiten und zusätzliches Wissen anzueignen, so verzichten sie für diesen Zeitraum auf Entlohnung. Der Einkommensverzicht ist einer Kapitalbildung immaterieller Art gleichzusetzen. Soweit damit Qualifikationen im Hinblick auf eine bestimmte Produktion gewonnen werden, ist das immaterielle Kapital der gleichen Gefahr der Entwertung ausgesetzt wie das Produktivkapital. Sinken die Preise der betreffenden Branche, so werden auch die Entschädigungen für besondere Qualifikationen geringer, wodurch der Wert des immateriellen Kapitals ganz oder teilweise auf Null sinkt. Andererseits müssen Wissen und Fertigkeiten für das neue Verfahren erworben werden, so daß im Zuge der Vernichtung immateriellen Kapitals gleichzeitig neues immaterielles Kapital gebildet werden muß 128 . 127 Von psychischem Kapital (Kapital der sozialen Einbettung) soll abgesehen werden. Vgl. Rtidin, „Kapitalentwertung und Kapitalverluste als Folge technischer Fortschritte . . a . a . O . , S. 119—120. 128 Das Problem der Arbeitslosigkeit infolge technischer Fortschritte bleibt aus der Betrachtung ausgeschlossen. Vgl. S. 21 dieser Arbeit.
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Reaktionen auf Fehlentwicklungen im marktwirtschaftlichen System
Sofern die technischen Veränderungen die Zahl der Beschäftigten verringern und die Arbeitslosen nicht in anderen Branchen am gleichen Ort in den Wirtschaftsprozeß wieder eingegliedert werden können, werden außer den immateriellen Kapitalverlusten auch noch Kosten für Umstellung und Wohnungswechsel auftreten. Das sind jedoch nur die Verluste, welche die Arbeitskräfte primär treffen. Hinzu kommen sekundäre, nicht minder erhebliche Auswirkungen. Von dem Wechsel des Wohnortes werden auch Hauseigentümer und die Kommunen selbst betroffen. Durch die verringerte Nachfrage nach Wohnungen sinken die Mieten, was ebenfalls eine Kapitalentwertung — hier zu Lasten der Hauseigentümer — bedeutet. Und sogar die Infrastruktur kann sich als Fehlinvestition erweisen. Am neuen Wohnort andererseits stehen den umgezogenen Arbeitskräften die Hauseigentümer als Quasi-Monopolisten gegenüber, und die so überlaufenen Kommunen müssen zusätzlich investieren. Es bedarf keines besonderen Hinweises, daß die soeben skizzierten Auswirkungen nicht in die privatwirtschaftliche Rentabilitätsrechnung eingehen. Sie sind unter dem Begriff ,soziale Kosten' genügend bekannt 129 . Der Tendenz nach setzt sich die Vorstellung durch, daß die sozialen Kosten nicht von den Betroffenen zu zahlen sind. Zumindest teilweise werden sie von der Arbeitslosenversicherung durch Erweiterung des Aufgabengebietes übernommen. Ein vorbildliches Fünf-Punkte-Programm hat die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl aufgestellt 130. Diese Entwicklung ist aber nur ein Schritt weg von den Betroffenen. Das anzustrebende Ziel, die Verursacher der sozialen Kosten zu treffen, ist damit noch nicht erreicht. Sicher ist das Abwälzen der sozialen Kosten auf bestimmte Arbeitnehmer oder durch die Arbeitslosenversicherung auf die Gesamtarbeiterschaft oder über Steuern auf die Allgemeinheit kein Spezifikum des Monopolisten. Eher trifft es zu, daß die sozialen Kosten in einer Wettbewerbswirtschaft in noch größerem Maße auftreten als in der Marktform des Monopols. Denn schließlich bremst der Monopolist zur Vermeidung eigener Kapitalverluste die Einführung technischer Fortschritte. Der Umfang der Fortschrittsinvestitionen ist also bei monopolistischer Verhaltensweise geringer als in der Wettbewerbswirtschaft, im Linearfall der Kurven nur halb so groß. 129 K. William Kapp, „Social Costs of Business Enterprise", a.a.O., p. 191. 130 Bulletin from the European Community for Coal and Steel, Luxemburg, Juli/ August 1956, No. 17.
Auswirkungen auf den Produktionsfaktor Arbeit
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Die zeitliche Verzögerung bei Einführung des technischen Fortschrittes bedeutet jedoch nur einen Aufschub des Anfalls der sozialen Kosten. Hingegen kann die Verminderung des Umfanges der Fortschrittsinvestitionen ein volkswirtschaftliches Plus sein. Ein Vergleich an dieser Stelle ist jedoch problematisch. Wird trotz aller Bedenken einmal unterstellt, daß der Unterschied zwischen Monopolpreis und Kosten, multipliziert mit der Absatzmenge des Monopolisten, den volkswirtschaftlichen Verlust ausmacht, so muß diese dem Monopolgewinn gleiche Größe den sozialen Kosten gegenübergestellt werden. Fällt der Vergleich positiv aus, ist dem Monopol der Vorzug zu geben. Aber auch diese Aussage gilt nur zeitbedingt. Denn langfristig sollte jeder technische Fortschritt in marktwirtschaftlich möglichem Umfange eingeführt werden. Das oben abgeleitete Prinzip der Mehrergiebigkeit der Produktionsumwege wurde ausschließlich als Kriterium für den volkswirtschaftlich richtigen Zeitpunkt der Einführung herausgestellt. Mit der Anerkennung dieses Prinzips wurde hingegen nicht gefordert, daß das Produktivkapital und, in Erweiterung, das immaterielle Kapital vor Einführung eines neuen Verfahrens völlig amortisiert sein muß. Des weiteren — und das ist hier entscheidend — sollten die über den Preis erzielten Abschreibungsbeträge nicht zur Beibehaltung des veralteten Verfahrens benutzt werden. Bei derartigem Vorgehen verringern sich im Verlauf der Zeit nicht nur die materiellen, sondern auch die immateriellen Kapitalverluste, so daß wahrscheinlich vor völliger Umwandlung des fixen in flexibles Kapital der produktionsperiodisch anzustellende Vergleich zwischen Kostenersparnis und Kapitalvernichtung den Ubergang zum neuen Verfahren aus volkswirtschaftlicher Sicht in marktwirtschaftlich möglichem Umfange erforderlich macht. Zudem gerät die Vorzugsstellung des Monopolisten gegenüber dem Wettbewerbsunternehmer ins Schwanken, wenn die Art der Kostenersparnis einer eingehenden Analyse unterzogen wird. Der einzelne Unternehmer in vollkommener Konkurrenz rechnet mit den ihm vorgegebenen Lohn- und Zinssätzen, die er nicht manipulieren kann. Deshalb ist es ihm gleichgültig, welchen Charakter das neue Verfahren hat, ob es sich arbeitsoder kapitalsparend auswirkt. Sein Ziel ist allein die Verminderung der Kosten. Er wird sich indifferent gegenüber Kostenersparnis bei variablem Faktor Arbeit oder fixem Faktor Kapital verhalten, vorausgesetzt, die Kostenersparnis ist in beiden Fällen gleich groß, und er sieht keinen Trend in der Veränderung der Faktorpreisverhältnisse.
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Reaktionen auf Fehlentwilungen im marktwirtschaftlichen System
Im Gegensatz zu dieser Indifferenz des Wettbewerbsunternehmers wird der Monopolist sich eindeutig für das arbeitssparende Verfahren entscheiden, und zwar obwohl interessanterweise nur er aus volkswirtschaftlicher Sicht eine echte Entscheidungsfreiheit hat. Denn im Kapitel vorher wurde gezeigt, daß — abgesehen von höchst unrealistischen Fällen— in der Wettbewerbswirtschaft keine kapitalsparenden Prozesse vorkommen, weil im Umfang der Einsparung von Kapital gleichzeitig Kapital vernichtet wird. Demgegenüber wurde als positive Seite monopolistischer Verhaltensweise hervorgehoben, daß der Monopolist die Kapitalverluste zu vermeiden sucht, weil sie nicht als external economies auftreten, sondern ihn selbst treffen würden. Der Monopolist wird also nicht davon ausgehen, daß das gegenwärtige Faktorpreisverhältnis konstant bleibt. Vielmehr wird er die durch seine eigene Verhaltensweise hervorgerufenen Veränderungen in die Wirtschaftlichkeitsrechnung mit aufnehmen. Zwar bedeutet Kostengleichheit der Verfahren, daß bei Einführung eines jeden der wahlweise zur Verfügung stehenden Prozesse ein Abzug wegen Kapitalentwertung zu machen ist, wodurch der Zeitpunkt der Fortschrittsinvestition möglicherweise hinausgeschoben wird. Doch bringt die Einführung des arbeitssparenden Prozesses den Vorzug der absoluten oder wenigstens relativen Preissenkung des Produktionsfaktors Arbeit mit sich. Der kapitalsparende Prozeß hätte zwar denselben Effekt, in diesem Falle den der absoluten oder relativen Zinssenkung. Jedoch wird dem Monopolisten eine Lohnsenkung und die damit verbundene relative Verknappung des Kapitals gelegener sein, weil von der Lohnsteigerung bei Einführung des kapitalsparenden Prozesses nur die Arbeitnehmer profitieren, er als Kapitalbesitzer sich hingegen selbst schädigen würde. Durch das arbeitssparende Verfahren erhöht sich der Gewinn des Monopolisten in dreifacher Weise: 1. Die ursprüngliche Kostenersparnis steigert den Gewinn des Monopolisten, 2. die Freisetzung von Arbeitskräften führt in der Folge zu einem verschärften Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt, wodurch der Lohn sinkt. Es folgt also von hier aus eine sekundäre Kostensenkung. Und schließlich 3. wird Kapital relativ knapper, wodurch der Monopolist bei Identität von Unternehmer und Kapitalbesitzer nochmals profitiert. Die Ausgangsannahme der Kostengleichheit beider Verfahren ist nicht nur aus methodischen Gründen sinnvoll. Sie wurde auch deshalb gewählt, weil kein überzeugender Beweis dafür vorliegt, daß technischeFortschritte ihrer Natur nach mehr arbeits- oder kapitalsparend sind. Wird beiden
Auswirkungen auf den Produktionsfaktor Arbeit
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Verfahrenstypen die gleiche Chance der Erfindung eingeräumt, so wird bei Vorliegen der Marktform des Monopols dennoch die Einführung des arbeitssparenden Prozesses systematisch begünstigt sein. Mit anderen Worten, der Monopolist neigt in verstärktem Umfang zur Durchführung von Fortschrittsinvestitionen zu Lasten der Arbeitnehmerseite. Im Extremfall liegt für ihn schon bei Umverteilung der Kosten lediglich in der Art eine Kostenersparnis vor, wenn etwa die Lohnkostenersparnis gleich der Zinskostenerhöhung ist. Die beiden Kostenelemente sind für ihn nicht von gleichem Gewicht. Denn an der Kostenerhöhung durch Zinssteigerung partizipiert er als Kapitalbesitzer, während eine Erhöhung der Löhne ausschließlich den negativen Effekt der Kostensteigerung und damit der Einkommenseinbuße hat. Dieses Ergebnis kann sich nur graduell ändern, wenn die Entscheidung des Wettbewerbsunternehmers nicht auf der Konstanz der gegenwärtigen Faktorpreise fußt, sondern auf den erwarteten zukünftigen Faktorpreisen. Weiß er aus Erfahrung, daß die Wachstumsrate des Kapitals größer als die der Arbeit ist, so wird er die zukünftige Veränderung der Faktorpreise bei seiner Investitionsentscheidung sicherlich berücksichtigen. Fellner 131 schließt aus diesem Erfahrungssatz, der Unternehmer verhalte sich in vollkommener Konkurrenz so, als ob er gegenüber dem Faktormarkt Monopsonist wäre. Aus zwei Gründen ist diese Argumentation nicht ganz stichhaltig: 1. Der Konkurrenzunternehmer kann nur die allgemeine Entwicklung der Volkswirtschaft abschätzen. Ex definitione ist er nicht der Ansicht und auch nicht in der Lage, zu dieser Entwicklung wesentlich beizutragen. Demgegenüber weiß der Monopolist, wie die Faktorpreise durch sein Verhalten verändert werden. Er verhält sich also nicht nur wie ein Monopsonist, er ist es auch. 2. Fellner hat in seiner Argumentation nicht die Kehrseite der Zinserhöhung einbezogen, die Zinseinkommenssteigerung. Dieser zweiten Seite der Faktorpreisveränderung kommt aber gerade in einer monopolistischen Volkswirtschaft wachsende Bedeutung zu. Da der Monopolist Kapitalverluste vermeidet, wird die Rolle des Abschreibungsfonds wieder stärker in den Vordergrund gerückt. Die Eigenkapitalbasis vergrößert sich dadurch und zusätzlich noch durch die Gewinnsteigerung. Dennoch ist zuzugeben, daß bei Kostengleichheit beider 131 William Fellner , „Trends and Cycles in Economic Activity", An Introduction to Problems of Economic Growth, Henry H o l t and Comp., New York, 1956 pp. 222—223. Ders., „Propositions in the Theory of Induced Innovations", Economic Journal, Vol. L X X I , 1961, p. 307.
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Verfahren vor Einführung des technischen Fortschrittes erwartete Lohnsteigerungen auch den Wettbewerbsunternehmer veranlassen, die arbeitssparende Methode anzuwenden. Durch Korrektur der Faktorpreise kann aber wieder dieselbe Situation konstruiert werden: Bringen die alternativen Verfahren unter Zugrundelegung nicht der gegenwärtigen, sondern der erwarteten Faktorpreise die gleiche Kostenersparnis, so wird der Wettbewerbsunternehmer sich indifferent verhalten, während der Monopolist aus den vorgetragenen Gründen das arbeitssparende Verfahren wählt. Danach bleibt festzuhalten, daß der Monopolist systematisch arbeitssparende technische Fortschritte bevorzugt, Kapitalverluste zwar durch Wahl des geeigneten Zeitpunktes bei sich vermeidet, sie aber anderen in verstärktem Maße zuschiebt. Vorliegend wurden bisher nur zwei extreme Marktformen analysiert, die des reinen Monopols und die der vollständigen Konkurrenz. In der Theorie sind weiter bestimmte Zwischenformen durchdacht worden, die der Empirie näherkommen. Sie können aber aus der dieser Arbeit gesetzten grundsätzlichen Betrachtung ohne weiteres ausgeklammert werden. Denn sie stellen lediglich graduelle Abstufungsformen in der einen oder anderen Richtung dar und sind als solche in dieser Annäherung nur differenzierte Anhängsel der aufgezeigten extremen Fälle. Nur vielleicht hier noch ein Wort zum Oligopol mit Preisführer als dem interessanten Mittelfall beider Extreme: Der oligopolistische Preisführer kann seine Stellung als Beherrscher des Marktpreises nicht beliebig monopolartig ausnutzen. Sonst würde er die bisher für die Preisbildung unerheblichen Mitanbieter am Markt zum Wachstum in andere Größenordnungen auffüttern und von hier aus seiner eigenen Stellung als Preisführer den Boden entziehen. Bei Kenntnis des technischen Fortschrittes seitens aller Marktteilnehmer kann er aber dennoch wie ein Monopolist bestimmen, wann er den technischen Fortschritt bei sich einführen will, weil alle ähnlich vom Kapitalverlust bedroht sind. Dadurch bleiben den Kleinanbietern aber nicht etwa Kapitalverluste erspart. Denn der Preisführer wird ohne Rücksicht auf sie zeitlich den technischen Fortschritt immer dann einführen, wenn für ihn damit Vermögensverluste nicht mehr verbunden sind. Das schließt jedoch Kapitalverluste bei den Kleinen nicht aus, ausgenommen den Zufall, daß die Re-Investitionszeitpunkte von Preisführer und Kleinanbietern übereinstimmen.
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Folglich bleiben durch diese Abhängigkeit die wirtschaftlich schwächeren Kleinanbieter dennoch zur Einkalkulierung von Risiko- und Ungewißheitsprämien gezwungen, denn ihr Wagnis enthält letztlich zwei Elemente: Das des Anfalles neuen technischen Wissens und das demgegenüber allerdings abgeschwächte der wohl regelmäßigen Abhängigkeit in der zeitlichen Bestimmung der Einführung. Dadurch ist selbst bei Produktionskostengleichheit keine Gleichheit der Startchancen gewährleistet. Wegen dieses Risikos bleibt ihnen das Aufrücken in wirtschaftliche Konkurrenzgröße zum Preisführer versagt. Die Schwächeren bleiben also die Schwächeren. B. Steuerung durch die Geldmenge Bei den vorhergehenden Erörterungen wurde die monetäre Seite vernachlässigt. Abschließend soll sie als letzter Baustein in die Betrachtung eingefügt werden. Wenn von Inflation gesprochen wird, sollte darunter eine Geldmengenvermehrung über den Umfang des neutralen Geldes verstanden werden. Damit konzentriert sich das Interesse auf die Frage, welche Geldpolitik bei Vorliegen technischer Fortschritte als neutral anzusehen ist. Inflation in dem soeben definierten Sinn kann auch vorübergehend als Merkmal einer Aufschwungsperiode der Konjunktur auftreten. Dieser Typ temporärer Inflation soll hier nicht behandelt werden. Das vorliegende Untersuchungsobjekt ist ein anderes; schon deshalb, weil in dieser Arbeit im Zusammenhang mit dem technischen Fortschritt auftretende konjunkturelle Phänomene bewußt ausgeschlossen wurden und damit auch ausgeschlossen bleiben sollen. Vielmehr soll geprüft werden, ob die im mehr „realwirtschaftlichen" Teil dieser Arbeit nachgewiesenen Mängel des marktwirtschaftlichen Systems wenigstens durch Manipulierung der Geldmenge gemildert werden können. Ob eine derart ausgerichtete Handhabung der Geldpolitik letztlich als inflationär zu bezeichnen ist, wird der weitere Verlauf der Analyse zu zeigen haben. Zunächst die Auseinandersetzung mit dem Begriff des neutralen Geldes: Wickseil wird heute als derjenige angesehen, der den Begriff konzipiert hat. Er verstand darunter einen solchen Gebrauch des Geldes, der „nur als Einkleidung eines Vorganges, der, rein begrifflich gesprochen, sich ebensogut ohne Geld hätte vollziehen können . . . " 1 3 2 . 132 Knut Wickseil , „Geldzins und Güterpreise", Jena, 1898, S. 95.
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Dieser Begriffsbestimmung kann nicht gefolgt werden, denn ihr liegt offensichtlich die Vorstellung zugrunde, daß bei neutralem Geld die Austauschverhältnisse in einer Geldwirtschaft die gleichen seien wie in einer Tauschwirtschaft. Bei Gleichheit von Geld- und Tauschwirtschaft könnte mit Recht gesagt werden, daß die Rolle des Geldes überflüssig ist. Es ist jedoch unbestreitbar, daß durch das Geld eine so weitgehende Differenzierung und Spezialisierung der Produktion ermöglicht wird, daß der Gedanke an sich schon schwerfällt, sich den Zustand einer geldlosen Wirtschaft überhaupt vorzustellen. „Ungleichheit der Verhältnisse und Neutralitätsbegriff schließen einander nicht aus, sondern bedingen sich sogar gegenseitig133." Neutralisierung des Geldes bedeutet deshalb, daß die Wirkungen des Geldes auf jenes erwünschte Mindestmaß von elementaren Funktionen, um die die geldlich organisierte Wirtschaft einer Tauschwirtschaft überlegen ist, beschränkt werden 134 . Diese Arbeit macht es sich nicht zur Aufgabe, auf die mannigfaltigen Erörterungen über die Funktionen des Geldes einzugehen. Letzten Endes lassen sich wohl alle auf die beiden elementaren Funktionen des Tausches und Wertmessers zurückführen 135. Dogmenhistorisch wurde zunächst der Wertmesserfunktion die größere Beachtung geschenkt. In Anlehnung an die physischen Maßeinheiten wurde gefordert, daß auch die ökonomische Recheneinheit, die Geldeinheit, einen konstanten „Realwert" repräsentieren müsse. Dabei pflegte konstanter Realwert mit wertbeständigem Geld, mit konstantem Preisniveau, identifiziert zu werden. Gegen solche einseitige Auffassung von der Neutralität des Geldes hat Koopmans 136 zwei unwiderlegbare Argumente vorgebracht: 1. Die Forderung wertstabilen Geldes setzt voraus, daß die Wertvorstellungen der Wirtschaftssubjekte durch die Erwartung unveränderter durchschnittlicher Preise geprägt sind. Wäre das nicht der Fall, könnte die Stabilisierung des Preisniveaus eine Divergenz zu den Wertvorstellungen ergeben. 2. Das einzelne Wirtschaftssubjekt interessiert sich nicht für die Kon133 Rudolf Walter Paede, „Das neutrale Geld", Dundter & Humblot, Berlin 1957, S. 27. 134 Walter Egle, „Zur Frage des neutralen Geldes"Zeitschrift für Nationalökonomie, I X . Bd.,1939, S. 13, Harald Braeutigam, „Konjunkturpolitik und neutrales Geld", Schmollers Jahrbuch, 78. Jg., 1958, I I . Halbband, S. 51. 135 Vgl. Rudolf Walter Paede, „Das neutrale Geld", a.a.O., S. 29. 136 Johan G. Koopmans, „Zum Problem des ,neutralen' Geldes", in: Beiträge zur Geldtheorie, Hrsg. Friedrich A. Hayek, Wien, Julius-Springer-Verlag, 1933,S. 251 bis 255.
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stanz des gewogenen oder ungewogenen Durchschnitts sämtlicher Preise, sondern nur für die Preiskonstanz der persönlich relevanten Güter. Punkt 2 dieser Argumentation Koopmans verdeutlicht am besten den Widersinn der Auffassung vom neutralen Geld anhand der Wertmesserfunktion: Es müßte der Preisausschnitt eines jeden Wirtschaftssubjektes stabilisiert werden. Da die Preisausschnitte aller Wirtschaftssubjekte zusammen den Preiskosmos ausmachen, müßten folgerichtig alle Preise relativ und absolut konstant bleiben. In einer sich verändernden Volkswirtschaft — und nur dort gibt es ein Problem des neutralen Geldes — gerät eine solche Forderung jedoch in Widerspruch zum wirtschaftlichen Prinzip. Die Neutralität des Geldes nach der Wertmesserfunktion kann deshalb nur annäherungsweise durch Stabilisierung des allgemeinen Preisniveaus und nicht der individuellen Preise verwirklicht werden. Dabei liegt zudem die Annahme zugrunde, daß bei stabilem Preisniveau die Differenzen zwischen den Wertvorstellungen der Wirtschaftssubjekte und den tatsächlichen Preisen geringfügiger sind als bei Preisniveauschwankungen. Da, wie nachgewiesen, eine vollständige Neutralität des Geldes nach der Wertmesserfunktion ohnehin Wunschdenken bleibt, wandte sich die Aufmerksamkeit dem Problemkreis des neutralen Geldes nach der Tauschmittelfunktion zu 1 3 7 . Danach soll im Preis nicht mehr und nicht weniger als das reale Austauschverhältnis zweier Güter zum Ausdruck gebracht werden. Ändert sich ein Datum der Volkswirtschaft, so dürfen bei Neutralität des Geldes im Sinne der Tauschmittelfunktion Preisveränderungen nur bei solchen Gütern auftreten, deren Angebots- und Nachfragefunktionen von der spezifischen Veränderung betroffen sind 138 . Die Preise aller anderen Güter müssen konstant bleiben. Dadurch ist gewährleistet, daß die Volkswirtschaft auf kürzestem Weg dem neuen Gleichgewicht zustrebt. Wird hingegen ein System der Geldwertstabilisierung praktiziert, so haben die durch Realkostenänderung hervorgerufenen Produktpreisverschiebungen kompensatorische Änderungen auch bei den übrigen Preisen zur Folge, obwohl von den Realkosten her dazu keinerlei spezifische Veranlassung vorliegt. Die kompensatorischen Preisvariationen sind zwecklos. Sie haben keine ökonomische Funktion und erschweren nur die Anpassung an das neue Gleichgewicht. 137
Johan G. Koopmans, „Zum Problem des ,neutralen' Geldes", a.a.O., S. 252. 138 Derselbe, „Zum Problem des »neutralen' Geldes", a.a.O., S. 343.
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Diese Bemerkungen zur Literatur mögen genügen, um die Frage zu diskutieren, wie eine Geldpolitik bei Veränderung des Datums „technisches Wissen" aussehen muß, will sie zumindest dem Neutralitätspostulat möglichst nahe kommen. Sicher hängen die Maßstäbe für eine dieserart sinnvolle Geldpolitik von den Bedingungen ab, unter denen der technische Fortschritt eingeführt wird. Deshalb werden solche Typen technischen Fortschrittes wieder aufgegriffen, die zuvor bereits analysiert wurden. Es wurden zwei Hauptgruppen technischer Fortschritte unterschieden: 1. Vorhersehbare und 2. unvorhergesehene. Die zweite Gruppe wurde unterteilt in technische Fortschritte partieller Art, deren Einführung dann durch Umlenkung gerade freigewordener Abschreibungsbeträge finanziert wird, und solche globaler Art, die in der Regel nur durch Einsatz von Netto-Sparbeträgen zum Zuge kommen können. Diese Unterteilung wurde wieder fallen gelassen, weil beide Fälle im Prinzip auf das gleiche hinauslaufen: Der technische Fortschritt kann sofort jeweils nur dann in marktwirtschaftlich möglichem Umfang eingeführt werden, wenn Sparbeträge zusätzlich dem Fortschrittsbereich zufließen. Nur dann wird auch der Produktpreis sofort auf die neuen niedrigeren Stückkosten gesenkt. Im Prinzip ist es gleichgültig, woher die Sparbeträge kommen. Beim Netto-Sparen erzwingt der Sparer die Umlenkung der Produktionsfaktoren, und beim Unterlassen der Re-Investition im NichtFortschrittsbereich nimmt sie von der Unternehmerentscheidung her ihren Ausgang. In Anlehnung an die Ausführungen im Kapitel zuvor wird aus der zweiten Gruppe nur die Einführung kostensparender technischer Fortschritte über Netto-Sparen diskutiert. Zu 1: Dieser Fall wurde in seinen Auswirkungen unter einer Reihe sehr vereinfachender Annahmen untersucht. Es wurde unterstellt, daß die Ertragsbedingungen in allen Produktionsbereichen die gleichen sind, keine Unterschiede in der Zusammensetzung des Kapitals bestehen, die Elastizität der Nachfrage überall die gleiche ist und unter solchen Bedingungen von der Faktorproduktivität her in allen Branchen im gleichen Umfang neutrale technische Fortschritte auftreten. Diese drastischen Annahmen laufen darauf hinaus, daß in der Volkswirtschaft von einer Unternehmung nur ein Produkt hergestellt wird. Weiterhin wurde vorausgesetzt, daß kein Netto-Sparen vorliegt. Unter solchen Bedingungen kann der technische Fortschritt sich nur allmählich durchsetzen. Es können nur diejenigen Unternehmer nach Anfall des neuen technischen Wissens sofort die neue Produktionsmethode
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einführen, deren Kapitalbestand wegen physischen Verschleißes ohnehin ersetzt werden müßte. Diese Fortschrittsunternehmer können jetzt mit dem gleichen Faktoraufwand eine größere Produktmenge erstellen. Die realen Kosten haben sich bisher nur bei jenem Bruchteil des volkswirtschaftlichen Kapitalbestandes verbessert, der erneuert wurde. Folglich darf zur Wahrung der Neutralität des Geldes nach der Tauschmittelfunktion nicht mehr und nicht weniger als diese bruchteilige Realkostensenkung im Produktpreis auf dem Markt zum Ausdruck kommen. Die fehlende Plastizität des alten Realkapitalbestandes verhindert, daß die durch den technischen Fortschritt mögliche Realkostensenkung sofort voll durchschlägt. Die Produktpreissenkung führt bei den veralteten Anlagen zu einer Kapitalentwertung. Die rückständigen Unternehmer erleiden Einkommensverluste. Diese bleiben jedoch in voller Höhe im Unternehmerbereich. Denn die fortschrittlichen Unternehmer erzielen kompensatorisch und in gleicher Höhe Gewinne 139 . Ihre Produktionskosten sind niedriger als der neue Marktpreis, weil auch ihr Produktangebot nur einen Bruchteil des gesamtwirtschaftlichen Angebots ausmacht. Die Konsumenten profitieren von der Produktpreissenkung in dem Ausmaß, in welchem eine Realkostensenkung tatsächlich vorliegt. Der so beschriebene Prozeß wiederholt sich produktionsperiodisch, bis auch die letzte veraltete Anlage ausgemustert ist. Die Tauschmittelfunktion wird unter den angegebenen Bedingungen in voller Reinheit gewahrt und zwar durch eine Politik der konstanten Geldmenge. Es ist jedoch nützlich, sich klarzumachen, wodurch dieses Ergebnis erreicht wurde. Einmal war die Konsumtion des Realeinkommenszuwachses vorausgesetzt und nicht deren Investition über Sparen. Eine Erhöhung des Kapitalbestandes erfolgte also nicht. Zum anderen führte die Produktpreissenkung lediglich zur Einkommensverlagerung in der Produzentensphäre, hier unter der Voraussetzung einer investiven Verwendung ihrer Gewinne im Bereich der Fortschrittsunternehmer. Damit gleichen sich Kapitalverluste und -gewinne aus. Folglich arbeitet das technisch neue System mit dem gleichen Aufwand an Kapital und Arbeit. Also wird das neue Gleichgewicht ohne eine den Produktionsaufwand berührende Datenänderung erreicht. Aus dieser Darstellung kann der Umkehrschluß auf einen äußerst beschränkten, höchst unrealistischen Geltungsbereich der Politik einer kon«9 Vgl. Zahlenbeispiel S. 131—132 dieser Arbeit. 12 Noll
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stanten Geldmenge gezogen werden. Unbestritten dürfte sie nur bei einer Volkswirtschaft im Gleichgewicht sein oder in Entwicklung dahin, ohne die Datenkonstellation zu verändern. Die Politik der konstanten Geldmenge ist deshalb essentiell statischer Natur und kann nur aus der Warte des Gleichgewichtes verstanden werden. Der Widerspruch zur anderen Auffassung über die Neutralität des Geldes, zu der nach der Wertmesserfunktion, ist offensichtlich, aber nicht auflösbar. Es bleibt nur zu fragen, welche Art von Neutralität den Vorzug verdient. Autoren, die der Wertmesserfunktion nur zweitrangige Bedeutung zuerkennen wollen, begründen das meist mit der von v. Mises uo vertretenen Theorie der Inflation. Hiernach werden Preissteigerungen zur Aufrechterhaltung eines konstanten Preisniveaus zunächst immer von einem beschränkten Wirtschaftssektor ihren Ausgang nehmen und sich erst allmählich über die ganze Volkswirtschaft ausbreiten. Das bewirke im Regelfall außer einer Erhöhung der absoluten Produktpreise zugleich auch eine Verschiebung in den Produktpreisrelationen. Unterstellt man, daß eine Geldmengen Vermehrung einen störenden Einfluß auf die relativen Produktpreise ausübt, so kann die Behauptung doch nicht mehr beweisen, als daß beide Arten von Neutralität in einer dynamischen Volkswirtschaft nicht gleichzeitig zu verwirklichen sind. Ein Nachweis für die Höherwertigkeit der Tauschmittelfunktion ist damit noch nicht erbracht. Es ist hier nicht der Ort, die Frage auszudiskutieren, welche der Alternativen primär und mithin anzustreben ist. Dogmenhistorisch rückte die Tauschmittelfunktion in den Mittelpunkt des Interesses, weil unbestritten Neutralität des Geldes nach der Wertmesserfunktion idealtypisch sich nicht verwirklichen läßt. Mit dieser Feststellung soll es hier aber genug sein. Zu 2: Die Einführung kostensparender technischer Fortschritte über Netto-Sparen muß aus der zuvor aufgezeigten Wirkungsgleichheit von Investition durch Netto-Sparen und Abschreibungssumme wohl als der Regelfall angesehen werden. Dieser Erscheinungsform gilt nunmehr das Interesse. Dabei sind zwei Daten Veränderungen miteinander verkettet: Verbesserung des technischen Wissens und Erweiterung des volkswirtschaftlichen Kapitalbestandes. Vorweg ein klärendes Wort zum methodischen Vorgehen: Aus der Themenstellung für die Gesamtarbeit mag die Einführung des vorher140
Ludwig y. Mises , „Theorie des Geldes und der Umlaufmittel", 2. Auflage, München 1924, S. 119 ff. Vgl. auch Johan G. Koopmans , „Zum Problem des »neutralen' Geldes", a.a.O., S. 220.
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gesehenen technischen Fortschrittes ohne Netto-Sparen in der geradezu provokatorischen Isoliertheit verwundert und sich die Frage nach dem denknotwendigen Warum gestellt haben. Die Rechtfertigung dieses Vorgehens ergibt sich jedoch aus dem Zusammenwirken zweier Wachstumsreihen: Der Einführung des technischen Fortschrittes ohne Neukapitalbildung als an sich schon impliziertes volkswirtschaftliches Wachstumselement und der Neukapitalbildung diesmal ohne technische Fortschritte gleichfalls als unabhängiges Wachstumselement. Damit wurde in dieser scheinbar zusammenhanglosen, isolierenden Selbstzweckbetrachtung tatsächlich schon die eine der beiden Wachstumsreihen als notwendige Voraussetzung einer Verkettung beider Elemente vorweggenommen. Für sie ergab sich aus dem Postulat der Neutralität des Geldes nach der Tauschmittelfunktion als Ergebnis eine Politik der konstanten Geldmenge. Somit bleibt die gleichfalls isolierte Analyse eines durch Neukapital bedingten Wachstums ohne technische Fortschritte methodisch anzuschließen, um schließlich in einem gedanklichen dritten Akt durch Verbindung beider isolierten Ergebnisse zu Aussagen über die Geldmengenpolitik bei Einführung technischer Fortschritte durch Netto-Sparen zu kommen. Bisher wurde in der Literatur durch fehlende Isolierung im methodischen Vorgehen das Zusammenspiel beider in sich schon Wachstum schaffender Reihen verkannt und dadurch der Weg zu einer denkgerechten Lösung verbaut. Um die Untersuchung eines intensiven Wachstums durch Neukapitalbildung zu erleichtern, sei angenommen, daß die Umstellung der Produktionsfaktoren ohne Schwierigkeiten vonstatten geht und die Faktorund Produktpreise konstant bleiben. Dann werden die zusätzlichen Kapitalgüter mit dem gleichen Faktoraufwand hergestellt wie zuvor die bereits im Produktionsprozeß befindlichen. Da die Neukapitalbildung durch Netto-Sparen lediglich eine branchenmäßige Umverteilung der Einkommen bedeutet, weil die im Konsumgüterbereich ausfallenden Einkommen dem Investitionsgüterbereich zuwachsen, bleibt das nominelle Volkseinkommen konstant. Sobald diese Neukapitalbildung abgeschlossen ist, und die Nachfrage sich wieder mehr den Konsumgütern zugewandt hat, tritt als Folge dem konstant gebliebenen nominellen Volkseinkommen, der konstanten monetären Nachfrage, ein größeres Sozialprodukt gegenüber. Die Produktpreise müssen sinken. Dadurch wird ein Mißverhältnis zwischen Produkterlös und Kosten herbeigeführt 141. Die zum Produk141 Alexander Mahr , „Neutrales oder wertstabiles Archiv, 38. Bd., 1933, I I , S.21.
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Geld",
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tionsfaktor Kapital zurückfließenden Erlöse decken nidit mehr seine historischen Anschaffungskosten. Folglich müssen die Besitzer von Realkapital Realkapitalverluste hinnehmen, die sich bei den Konsumenten als reale Einkommenssteigerung niederschlagen. Das so den Unternehmern verlorengehende Kapital wird also von den Konsumenten verzehrt. An dieser Stelle könnte der Einwand erhoben werden, daß die Produktpreissenkung eine entsprechende Kapitalgüterpreissenkung nach sich ziehe und der Unternehmer demzufolge nur seinen niedrigen Wiederbeschaffungspreis einzukalkulieren brauche. Diese Argumentation trifft jedoch nicht den Kern des Phänomens. Zwar erlangt der Unternehmer nach Abschluß der Kapitalintensivierung — technische Fortschritte noch ausgeklammert — einen Erlös, der die neuen niedrigeren Herstellungskosten des Kapitalgutes deckt. Doch erzwingen kontraktgebundene Vergütungen der Produktionsfaktoren — wie etwa auf den nominellen Wert lautende Bankverpflichtungen — eine Erlösminderung beim Unternehmer zu Lasten des Erneuerungsfonds. Nur wenn alle Kostenelemente der veränderten Situation prompt angepaßt werden, ist der Einwand stichhaltig. Es mag weiter argumentiert werden, daß die Begründung rein im Technischen liege. Wären nämlich die Banken bereit, den Zinssatz anzugleichen, die nominellen Bankschulden entsprechend der Geldwerterhöhung auf eine nominell niedrigere Summe umzuschreiben etc., gäbe es in der Tat die beschriebenen Schwierigkeiten nicht. Wäre dann aber das Ausmaß der Geld Versorgung überhaupt noch ein Problem? Hayek, als entschiedener Verfechter einer Politik der konstanten Geldmenge, erklärt die Preissenkungen für volkswirtschaftlich nützlich, weil erst die Preiskonkurrenz einen sinnvollen Einsatz der Sparmittel garantiere 142 . Er übersieht allerdings, daß durch sie nicht nur Fehlinvestitionen ausrangiert werden, sondern im gleichen Zuge auch Kapital verzehrt wird. Aber der Kapitalverzehr wird bei einer Geldmengenpolitik, die darauf abzielt, das Preisniveau konstant zu halten, vermieden. Dadurch wird der geldliche Ausdruck der Produktmenge in Einklang mit den dabei aufgewendeten Kosten gebracht und die durch Umverteilung der Produktionsfaktoren entstandene Lücke geschlossen. Der Gesamterlös 142 Friedrich A. Hayek, „Gibt es einen Widersinn des Sparens?", Zeitschrift für Nationalökonomie, Bd. I, Wien 1929. Derselbe , „Preise und Produktion", JuliusSpringer-Verlag, Wien 1931.
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ist in einem bestimmten Zeitabschnitt wieder gleich den Gesamtkosten. Wird dieser Satz als Postulat einer richtigen Wirtschaftsführung anerkannt, so liegt auch eine Übereinstimmung mit dem unter Punkt 1) abgeleiteten Ergebnis vor: Eine Geldmengenpolitik hat dafür zu sorgen, daß die Faktorbestände der Volkswirtschaft absolut und in ihrer Relation unberührt bleiben. Es erübrigt sich, besonders zu betonen, daß damit kein Plädoyer für die Werterhaltung jedes einzelnen Kapitalgutes abgegeben wird. Zu erwarten ist vielmehr, daß sich die zusätzliche Geldmenge solchen Bereichen zuwendet, die von den Konsumenten als vorrangig angesehen werden. Dadurch werden dort Kapitalgewinne erscheinen, die jedoch nur die Kapitalverluste anderenorts kompensieren. Als Ergebnis der isolierten Analyse der zweiten Wachstumsreihe, der Kapitalintensivierung ohne technische Fortschritte, erweist sich die Wertstabilität des Geldes als notwendig. Die Begründung hierfür erfolgt weniger aus der Geldillusion der Wirtschaftssubjekte als aus der Sicht der Aufrechterhaltung der Faktorbestände der Gesamtwirtschaft. Dadurch wird — wie bisher völlig verkannt — die Position der Wertmesserfunktion als Kriterium für neutrales Geld aufgebessert. In diesem Sinne ist der herkömmliche Begriff der Neutralität des Geldes aufzulockern und derart zu erweitern, daß die bloßen Kriterien neutralen Geldes „Unschädlichkeit" und „Vermeidbarkeit" beinhalten, um hier mit Haberler zu sprechen143. Erst jetzt ist die Symbiose beider Wachstumsreihen transparent und gedanklich überhaupt zu erfassen: 1. Die Geldmenge hat konstant zu bleiben, wenn der Produktionszuwachs a) auf der besseren Verwendung der im Ersatzzeitpunkt freien Produktionsfaktoren beruht oder b) auf die höhere Effizienz der durch Sparen umgelenkten Produktionsfaktoren zurückzuführen ist. 2. Der Teil des Produktionszuwachses, der durch Kapitalwachstum auch ohne verbesserte Produktionstechnik entstanden wäre, muß durch Geldschöpfung abgesichert werden. Sofern diese vorgeschlagene Geldmengenpolitik verfolgt wird, werden zwar immer noch Kapitalgewinne und -Verluste unvermeidlich sein. Sie gleichen sich aber innerhalb der Produzentensphäre aus und verhindern somit den als schädlich nachgewiesenen Kapitalverzehr. 143
Gottfried Haberler, „Die Kaufkraft des Geldes und die Stabilisierung der Wirtschaft", Schmollers Jahrbuch, Jhrg. 55, 1931, I I . Halbband, S. 33 ff.
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Die Rolle des Kapitalverzehrs nach Einführung kostensparender technischer Fortschritte wurde bislang nidit gesehen oder doch zumindest gewaltig unterschätzt 144. Denn sonst hätten alle Autoren, die bei Kapitalintensivierung für eine Geldmengenvermehrung eintreten, das auch bei Vorliegen technischer Fortschritte unbedingt tun müssen. Denn begründen können die Anhänger eines wertstabilen Geldes ihren Standpunkt nur unter Hinweis auf die sonst stattfindenden Kapitalverluste, die Ausdruck des Kapitalverzehrs sind. Abschließend noch der Hinweis auf eine aufschlußreiche Konsequenz, die sich aus den Überlegungen von zuvor für die Keynes'sche Vollbeschäftigungspolitik ergibt. Keynes 145 glaubt das Gleichgewicht dann als gewahrt, wenn die laufende Investition sich mit den Ersparnissen deckt. Demgegenüber wurde hier gezeigt, daß zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes die Geldmenge erhöht werden muß. Geschieht das nicht, kann es leicht zu Krisen kommen. In solchen Situationen aber empfiehlt Keynes die Geldschöpfung. So läßt sich nach den vorhergehenden Erörterungen sagen, daß das empfohlene Mittel zwar richtig ist, nur eben zu spät kommt. Es hätte zur Vermeidung von Kapitalverlusten in der Produzentensphäre schon vorher eingesetzt werden müssen und nicht erst, wenn der Patient fast tot ist.
144 Johan G. Koopmans , „Zum Problem des ,neutralen' Geldes", a.a.O., S. 350—51. IM John Maynard Keynes , „Vom Gelde", München, Leipzig, 1932, S. 149.
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