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German Pages 362 Year 2014
Michael Schönhuth, Markus Gamper, Michael Kronenwett, Martin Stark (Hg.) Visuelle Netzwerkforschung
Sozialtheorie
Michael Schönhuth, Markus Gamper, Michael Kronenwett, Martin Stark (Hg.)
Visuelle Netzwerkforschung Qualitative, quantitative und partizipative Zugänge
Der Forschungscluster der Universitäten Trier und Mainz »Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke« wird gefördert durch die Forschungsinitiative des Landes Rheinland-Pfalz.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Visuelle Netzwerkforschung. Eine thematische Annäherung
Michael Schönhuth und Markus Gamper | 9 „Das Unsichtbare sichtbar machen“. 30 Jahre Erfahrungen mit qualitativen Netzwerkanalysen
Florian Straus | 33 Landkarten sozialer Beziehungen. Partizipativ-visuelle Datenerhebung mit haptischen und elektronischen Werkzeugen: Entwicklungen – Typen – Möglichkeiten – Grenzen
Michael Schönhuth | 59
KONZEPTE DER VISUELLEN ERHEBUNG VON E GONETZWERKEN Netzwerk und Narration. Erfahrungen mit der computergestützten Erhebung qualitativer Egonetzwerke
Anika Noack und Tobias Schmidt | 81 Papier trotz Laptop? Zur wechselseitigen Ergänzung von digitalen und haptischen Tools bei der qualitativen sozialen Netzwerkanalyse
Claudia Olivier | 99 Touchscreen-gesteuerte Instrumente zur Erhebung egozentrierter Netzwerke
Betina Hollstein, Jürgen Pfeffer und Laura Behrmann | 121 Die Konstitution personaler Netzwerke. Ein psychologischer Ansatz
Holger von der Lippe und Nina-Sophie Gaede | 137
V ISUALISIERUNG VON NETZWERKEN IM ÖKNONOMISCHEN K ONTEXT Co-Leadership Success by Sharing Local and Global Information Networks
Rolf D. Schlunze, Michael Plattner and Weiwei Ji | 161 Netzwerke in und zwischen Finanzdienstleistungsunternehmen am Beispiel der genossenschaftlichen FinanzGruppe
Anna Poser | 179 Erhebung und Analyse informeller Firmennetzwerke
Eva Maria Eckenhofer | 205
V ISUALISIERUNG VON NETZWERKEN IM SOZIALEN KONTEXT Armutspolitische Netzwerke lokaler Parteien und sozialer Träger. Eine quantitative Studie mit Hilfe der visuellen Datenerhebung mit VennMaker
Isabelle Borucki | 227 Transnationale Unterstützungsnetzwerke von Migranten. Eine qualitative Studie zu Spätaussiedlern aus der ehemaligen UdSSR
Markus Gamper und Tatjana Fenicia | 249 Net-Map. A Tool to Understand How Actors Shape the Governance of Small Reservoirs in Northern Ghana
Eva Schiffer, Jennifer Hauck and Moses Abukari | 277
V ISUALISIERUNG VON NETZWERKEN IM HISTORISCHEN K ONTEXT Von der Akte zum Netzwerk. Erfahrungsberichte aus der Werkstatt des Historikers
Daniel Reupke und Claudia Volk | 297
Hilfe für Verfolgte während des Nationalsozialismus. Ein systematischer Vergleich von Egonetzwerken
Marten Düring | 317 „Persilschein“-Netzwerke. Bruchlosigkeit in Umbruchzeiten
Katrin Hirte | 331
Autorinnen und Autoren | 355
Visuelle Netzwerkforschung Eine thematische Annäherung M ICHAEL S CHÖNHUTH UND M ARKUS G AMPER „Dass der Mann kein Verschwörungstheoretiker war, sondern im Gegenteil detektivisch genau recherchierte, beweist die Wirkung seiner Bilder. Ein Journalist des Wall Street Journal, der über die Bush-bin-Laden-Connection recherchierte, soll geschlagene vierzig Minuten vor einer Grafik Lombardis verbracht haben und immer wieder „Oh, mein Gott“ gemurmelt haben“. HOLGER LIEBS – SÜDDEUTSCHE ZEITUNG MAGAZIN, 16. JANUAR 2004
1.
V ISUALISIERUNG
IN DER
1
N ETZWERKFORSCHUNG
Der Wall Street-Journalist, der vor den Netzwerkbildern Lombardis verharrte, steht mit seiner Faszination nicht allein. Das Denken in Bildern und über Bilder gewinnt in einer medial vermittelten Welt immer stärker an Relevanz. Gottfried Boehm, einer der Väter der „ikonografischen Wende“, die einen Paradigmenwechsel in den Wissenschaften weg vom Sprachlich-Logozentrischen einläutete,
1
Liebs ist Kunsthistoriker und war zu der Zeit Redakteur bei der Süddeutschen. Mark Lombardi war ein – im Jahr 2000 verstorbener – New Yorker Künstler, der mit händisch gefertigten Soziogrammen politisch-ökonomische Machtstrukturen in akribischer und besonders ästhetischer Form darstellte (vgl. auch Hobbs/Lombardi 2003; Dank an Stephan Thiel für den Buchhinweis).
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spricht schon in den 1990er Jahren von einer Wiederkehr der Bilder. Moderne Kultur, so Boehm, manifestiert sich geradezu im Visuellen (Boehm 1994). So verwundert es nicht, dass Visualisierung auch in der Wissenschaft inzwischen zu einem unverzichtbaren Instrument der Produktion und Verbreitung von Wissen geworden ist (vgl. Schnettler/Pötzsch 2007: 2) und dabei ganz unterschiedliche Disziplinen erfasst hat: „From their origins in disciplines like social anthropology and sociology, visual research methods are now firmly entrenched in major fields of inquiry, including sociology, health and nursing studies, educational research, criminology, human and cultural geography, media and cultural studies, discursive and social psychology, management and organisation studies, political science and policy analysis.“ (Knoblauch et al. 2008)
In der Netzwerkanalyse spielte die Visualisierung schon in ihrer Entstehungsphase eine wichtige Rolle. Bereits der Begründer der Soziometrie, Jakob Moreno, analysierte mit Hilfe seiner Soziogramme soziale Selektionsprozesse (Moreno 1934; Freeman 2000). Mit den Möglichkeiten moderner bildgebender Verfahren ist es der formalen Netzwerkanalyse inzwischen gelungen, selbst komplexe Beziehungsgeflechte einer großen Menge von Akteuren oder auch Dynamiken von Beziehungen und ihren Strukturen abzubilden (Krempel 2005; 2010). Von Moreno bis zu den heutigen Netzwerkforschern dient die Visualisierung von Netzwerken nicht nur der (Re-)Präsentation quantitativ erhobener Netzwerkdaten. Sie unterstützt auch den Erkenntnisprozess durch das „Veranschaulichen“ komplexer Netzwerkstrukturen. Die Datenvisualisierung kann Beziehungen sichtbar machen, die sonst aufgrund der großen Datenmenge verborgen bleiben bzw. sich aus Datenmatrizen nicht unmittelbar erschließen würden (vgl. Jütte 2006: 207). Heutige Visualisierungssoftware bietet etwa über sogenannte Spring Embedder-Verfahren2 die Option, Akteure gemäß ihrer Zentralität im Netzwerk neu zu arrangieren bzw. über das Aus- und Einblenden von Netzwerkeigenschaften und Akteuren die Möglichkeit zur Fokussierung auf bestimmte Netzwerkkonstellationen.
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Der Spring Embedder basiert auf einem mathematischen Algorithmus: Die Knoten sind über sogenannte „Federn“ (engl.: spring) miteinander verbunden. Diese können sich, je nach Beziehung, gegenseitig anziehen oder auch abstoßen. Für jeden Knoten werden nun die jeweiligen Beziehungen berechnet. Dadurch wird jeder Knoten durch Anziehung und Abstoßung in eine bestimmte Richtung gedrückt. Am Ende erreicht jeder Knoten eine feste Position in einem Netzwerk.
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Der Schwerpunkt der vorliegenden Anthologie liegt nicht auf der „klassischen Netzwerkanalyse“, bei der Visualisierung am Ende der Datenerhebung steht, sondern auf den bisher kaum berücksichtigen Möglichkeiten der Einbindung von visuellen Prozessen während des Forschungsablaufs (siehe Abbildung 1). Dabei können Visualisierungen zum einen der Strukturanalyse durch den Forscher dienen. Dies ist etwa bei der Visualisierung von nicht-visuell erfassten historischen Daten der Fall. Zum andern können sie als Instrument der Datengewinnung und der Validierung von Daten eingesetzt werden. Anders als bei den klassischen Verfahren werden die Forschungsteilnehmer3 hier in die Strukturentwicklung ihres Netzwerkes eingebunden und somit zu (Mit-)Produzenten ihrer eigenen Netzwerkbilder. In diesem Prozess entstehen Diagramme oder Karten sozialer Beziehungen, die dann als Narrationsgeneratoren genutzt werden und entlang derer die Forschungsakteure navigieren, Aspekte vertiefend analysieren oder das erhobene Netzwerk insgesamt validieren können. Der Sammelband basiert auf Ergebnissen einer mit Hilfe zweier Trierer Forschungsverbünde4 Ende 2010 ausgerichteten Tagung zum Einsatz haptischer und digitaler Netzwerkbilder und -karten in der Netzwerkforschung. Die Tagung kann in einer Linie mit den jüngsten Entwicklungen einer qualitativen sozialen Netzwerkanalyse (Hollstein/Straus 2006) und mit dem Einsatz haptischer „bildgebender“ Verfahren gesehen werden, wie sie sich schon in den 1980er Jahren unabhängig voneinander in der sozialpsychologisch orientierten Familien- und Gesundheitsforschung (Straus in diesem Band) bzw. in der beratungsorientierten Entwicklungsforschung (Schönhuth in diesem Band) entwickelt haben. Anlässlich einer Tagung der AG „Netzwerkforschung“ in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2009 trafen diese beiden Linien aufeinander und stehen seither in einem fruchtbaren wechselseitigen Dialog, der sich auch im vorliegenden Sammelband fortsetzt. Daneben schlägt der Band auch eine Brücke zur historischen Netzwerkanalyse (Reitmayer/Marx 2010) und der aktuellen Diskussion um die Einbindung visueller Hilfsmittel zur Erklärung historischer Prozesse (Düring/ Keyserlingk 2010).
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Im Folgenden wird, der Einfachheit halber und soweit nicht anders erwähnt, die männliche Form genutzt. Gemeint sind beide Geschlechter.
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Das Forschungscluster der Universitäten Trier und Mainz „Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke“ sowie der SFB 600 „Fremdheit und Armut“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft, denen an dieser Stelle für ihr finanzielles und logistisches Engagement gedankt sei.
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2.
W OZU „V ISUELLE N ETZWERKFORSCHUNG “?
Während die Münchner Tagung den Schwerpunkt auf die „Visualisierung sozialer Netzwerke“ bzw. die Potentiale und Grenzen visueller Darstellungen bei der Untersuchung sozialer Netzwerke legte (Häußling et al. 2013), wollen wir mit diesem Band die Grenzen etwas weiter öffnen und vorschlagen, die bildgebenden Verfahren in der sozialen Netzwerkforschung in den größeren Kontext visueller Forschungsmethoden (Margolis/Pauwels 2011) zu stellen. Damit öffnen sich diese Verfahren auch den erkenntnistheoretischen Debatten der visuellen Wissensforschung, die in der Visuellen Anthropologie systematisch seit Mitte des letzten Jahrhunderts (Bateson/Mead 1942) und in der Visuellen Soziologie seit den späten 1960er Jahren (Mannheim 1964; Schnettler/Pötzsch 2007) verfolgt werden.5 Mit der – auch den Möglichkeiten neuer elektronischer Verfahren geschuldeten – stärkeren Rolle der Visualisierung in der quantitativen Netzwerkanalyse (Freeman 2000; Krempel 2001) und vor allem auch in der qualitativen Netzwerkforschung (Hollstein/Straus 2006) der letzten 15 Jahre werden auch die damit verbundenen offenen methodologischen Fragen drängender. Die für das narrative Interview in den 1970ern geführte Diskussion über die legitime Annahme einer Strukturhomologie zwischen Erzähltem und Erlebtem (Schütze 1977) stellt sich analog auch für jede Form der visuellen Wissenserhebung – und damit auch für die Frage, was Netzwerkzeichnungen bzw. Netzwerkkarten repräsentieren (Scheibelhofer 2006).6 Lösen Netzwerkkarten das Darstellungsproblem komplexer Netzwerkstrukturen bei Interviews? Stellen sie gleichwertige oder gar bessere Rekonstrukte der subjektiven Perspektive von Befragten dar? Bietet die Triangulation beider Verfahren in einer einzigen Erhebungsrunde einen Erkenntnisvorteil oder erhöht sich die Validität der Daten nur in einer Kombination qualitativer Interviews und quantitativer Netzwerkanalyse (Diaz-Bone 2007)? Sprechen Netzwerkkarten am Ende für sich selbst? Repräsentieren sie „Räume der Visualität“, die keine nachträgliche Interpretation oder Rechtfertigung durch die Sprache benötigen (vgl. Boehm 2000: 45)? Welches Maß an Partizipation im Forschungsprozess gewährleistet noch Wissenschaftlichkeit? Welche Intervieweffekte werden durch das
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Gerade der Boom der Visuellen Soziologie in den letzten Jahren, der neben zahlreichen Publikationen (zuletzt Lucht 2013) jüngst sogar einen eigenen Masterstudiengang in Wien hervorgebracht hat, zeigt den Bedarf und die Anschlussfähigkeit der Thematik.
6
Im Englischen in der Unterscheidung zwischen innerem (image) und äußerem Bild (picture) sichtbar (vgl. Mitchell 1990: 19-24 sowie Schnettler/Pötzsch 2007: 5).
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Arbeiten mit Zeichnungen und haptischen oder elektronischen Karten generiert – von Bild- und Technikaffinitätsfragen bis hin zu kritischen Legitimationsfragen, mit denen wissenschaftsaffine Forschungsteilnehmer den mit Bildern arbeitenden Forscher konfrontieren? Müssen aus der Sicht eines „Ego“ entwickelte Netzwerke immer egozentriert sein, zumal wenn der Forschungsteilnehmer eine Platzierung außerhalb der Mitte präferiert? Was geschieht beim Übergang von haptischer zu elektronischer Visualisierung, wenn diese (bei der Erhebung bzw. bei der wissenschaftlichen Aufbereitung) nacheinander geschaltet werden (dazu Olivier in diesem Band)? Wenn individuelle Netzwerkkonstruktionen auf kollektive Wissensrepräsentationen treffen, eröffnen sich im Kontext organisationellen Wissensmanagements neue Anwendungsfelder und Fragen für die visuelle Netzwerkforschung. Eine in der Entwicklungs- und Organisationsforschung genutzte Form ist die von Projektakteuren oder Mitgliedern einer Organisationseinheit realisierte Visualisierung der Stakeholdernetzwerke bzw. handlungsrelevanten Akteure7, die in einem moderierten Aushandlungsprozess zu einer kognitiven Karte8 zusammengefügt werden. Was geschieht in diesem zirkulären Prozess wechselseitiger Beeinflussung subjektiver Wirklichkeitskonstruktionen? Wie vollzieht sich die Verwandlung individueller Sichtweisen in eine „organisationale Wissenslandkarte“ (vgl. Klimecki et al. 1995: 9f.)? Wie werden dabei fast zwangsläufig auftretende intermittierende Machtfaktoren kontrolliert? Ist in diesem Fall das „Merging“ individuell erstellter Netzwerkkarten zu einem intersubjektiven Gesamtbild, das mit modernen digitalen Netzwerkprogrammen wohl bald möglich wird, die Lösung, frei nach dem Motto: „Die Wahrheit ist der Schnittpunt aller unabhängiger Lügen.“? „Hinzu kommt, dass mit neuen Softwarelösungen auch Standards in der Darstellung von Netzwerken gesetzt werden, welche die allgemeine Vorstellung von Netzwerken prägen“ (AG Netzwerkforschung 2009). Das heißt, neue Visualisierungstechniken wirken auf die Alltagswahrnehmung zurück. Wie beeinflusst dies die Art und Weise, in der Probanden ihre Netzwerke visualisieren? Folgt Visualität kulturellen Sehkonventionen, wie dies die Visuelle Anthropologie (Banks/Morphy 1997; Pink 2007) und die mit Bildern arbeitende partizipative Entwicklungsforschung nahelegen (Bradley 1995; Robinson-Pant 1995), oder
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Für die Entwicklungsforschung vgl. Schiffer et al. in diesem Band, für die Organisationsforschung Schönhuth (2007).
8
Zum Cognitive Mapping-Ansatz vgl. Eden (1988) und Tergan (1986). Eine interessante Verbindung des „cognitive mappings“ mit klassischer Netzwerkanalyse in organisationellen Transformationsprozessen liefern Klimecki et al. (1995).
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folgt sie zumindest im Zeitalter globalisierter Sehgewohnheiten einem universalen Muster? Dasselbe gilt für Relevanzsetzungen durch die Forscher: Funktionieren qualitative oder fixe Stimuli z.B. für „Wichtigkeit“ von Akteuren im Netzwerk, aber auch die Farbwahl in Karten oder Diagrammen „kulturfrei“ oder doch entlang einer kulturellen Logik?9 Solche Fragen, die auch in den vorliegenden Beiträgen thematisiert werden, führen uns zu dem Vorschlag einer zukünftigen programmatischen und perspektivischen Erweiterung der Visualisierung sozialer Netzwerke in Richtung einer umfassenden „Visuellen Netzwerkforschung“. Dabei ist das Projekt einer visuellen Netzwerkforschung weder rein qualitativ noch ausschließlich partizipativ orientiert, obwohl sie beiden Forschungstraditionen empirisch eng verbunden ist.10 Strukturierte und standardisierte Netzwerkkarten lassen sich auch quantitativ auswerten.11 Methodologisch verschiebt die visuelle Netzwerkforschung den Fokus von der Unterscheidung zwischen qualitativer und quantitativer Netzwerkanalyse bzw. dem vermeintlichen Königsweg eines „Mixed Method-Designs“ (Hollstein/Dominguez 2013) hin zur zentralen Rolle, die in diesem Prozess der visuellen Wissenserzeugung und Wissenskommunikation zukommt. Über den Schritt der Visualisierung öffnet sie den Fokus von der Erkenntnisproduktion ausschließlich durch den Wissenschaftler hin zur Option einer breiteren aktiven Partizipation der Forschungsteilnehmer im Forschungsprozess. Das reicht bis hin zu einer in jüngster Zeit wieder verstärkt diskutierten Form der partizipatorischen qualitativen Forschung (Bergold et al. 2012) bzw. einer an der anthropologischen Tradition orientierten, „dialogischen Forschung“ (Dwyer 1979). Partizipatorische Forschung impliziert einerseits einen stärkeren Handlungsbezug. Die Beiträge von Eva Schiffer et al. sowie von Anika Noack und Tobias Schmidt in diesem Band sind dafür gute Beispiele. Andererseits entstehen dadurch neue Fragen, zum Beispiel nach dem Zeitpunkt und dem Ausmaß der Partizipation der „Forschungspartner“. Formen, Stufen und Folgen der Beteiligung sind auch innerhalb des partizipativen Forschungsparadigmas alles andere als geklärt, und sie berühren Machtfragen, Fragen nach „Ownership“ im For-
9
Schiffer, Hauck und Abukari in diesem Band.
10 Zur Geschichte Straus in diesem Band. 11 Bei einer starken Standardisierung – hier werden bei der Messung jeweils die gleichen visuellen Elemente für die jeweils gleichen Merkmalsausprägung verwendet – wird eine statistische Auswertung und damit eine quantitative Vergleichbarkeit zwischen den jeweilig erhobenen Netzwerkabbildungen erst möglich (Gamper/Kronenwett 2012).
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schungsprozess12 und insbesondere ethische Fragen (von Unger/Narimani 2012; Finnis 2004). Neben den qualitativ-partizipativ orientierten Visualisierungen ergibt sich auch die Option der standardisierten visuellen Datenerhebung. Hier fungiert die Netzwerkkarte als eine Art quantitativer Fragebogen. Die vom Forscher vorgegebenen visuellen Elemente werden in diesem Fall mit Merkmalsausprägungen versehen, die für jeden Interviewten gleich sind. Damit entsteht die Opportunität, die Daten mit statistischen Programmen auszuwerten und zu quantifizieren. Beispiele für ein solches quantitatives Vorgehen in der visuellen Netzwerkforschung sind die Beiträge von Isabelle Borucki, Holger von der Lippe und Nina-Sophie Gaede sowie teilweise auch von Eva Maria Eckenhofer in diesem Band. Auch wenn dieses Datenerhebungsverfahren im Vergleich zum qualitativen Vorgehen noch relativ neu ist, konnten Herz und Gamper in einer Pilotstudie zeigen, dass visuelle Befragungen im Vergleich zu einem Papierfragebogen als nutzerfreundlicher bewertet werden. Zugleich weisen die Ergebnisse darauf hin, dass beide Verfahren bei bestimmten Maßzahlen unterschiedliche Ergebnisse erzeugen (Herz/Gamper 2012). Mit dieser neuen Erhebungsform der quantitativvisuellen Erhebung entwickeln sich jedoch wieder neue Fragen, beispielsweise nach dem Beeinflussungseffekt von Farben auf den Interviewten oder der optimalen Zuweisung von Attributen auf bestimmte Merkmale (Krempel 2005; Gamper/Kronenwett 2012) – Fragen, die auch in einem breiteren Kontext visueller Wissensforschung diskutiert werden können.
3.
Z UR V ERORTUNG VON I NSTRUMENTEN V ISUELLEN N ETZWERKFORSCHUNG IM F ORSCHUNGSPROZESS
DER
Der Einfluss von Visualisierung und Partizipation der Beforschten auf die jeweilige Methodologie im Forschungsprozess lässt sich mit Hilfe einer ZweiAchsengrafik veranschaulichen (Abbildung 1). Auf der X-Achse ist der idealtypische Forschungsablauf von der Konstruktion der Fragestellung bzw. des Forschungsziels, über die Festlegung des Forschungsdesigns, der eigentlichen Datenerhebung, der Datenauswertung bzw. -interpretation bis hin zur Datenvisualisierung und der Präsentation der Ergebnisse abgebildet. Der Grad der Standardisierung des empirischen Vorgehens ist auf der Y-Achse abgetragen. Das Spekt-
12 Dazu jüngst Cook (2012) und von Unger (2012); für die Entwicklungsforschung Schönhuth (2005) sowie Caspari (2006).
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rum der Standardisierung reicht dabei vom klassischen standardisierten Design, bei dem der Proband keine aktive Rolle übernimmt, bis hin zur dialogischen, partizipativen Forschung, in der Beforschte zu Forschungsbeteiligten werden und der Forschungsprozess gemeinsam vorangetrieben wird. Die Position des jeweiligen Netzwerkerhebungs- oder -analyseinstruments wird durch diese Parameter näher bestimmt, ebenso der Zeitpunkt der Visualisierung. Die Pfeile beschreiben unterschiedliche Wege im Forschungsprozess, bei denen die Netzwerkvisualisierung eine wesentliche Rolle spielt. Dabei stehen die schwarzen durchgezogenen Pfeile für die in den hier versammelten Beiträgen verfolgten Schritte, die angegrauten beschreiben aus der Literatur bzw. über andere Projekte bekannte Alternativen. Der grau markierte Bereich am unteren Ende der Grafik zeigt den klassischen Ablauf einer Visualisierung in der „herkömmlichen Netzwerkanalyse“. Hier werden standardisierte Daten eruiert, visualisiert und analysiert (z.B. Burt 1992; Obradovic 2012).13 Netzwerkzeichnungen entsprechen am ehesten mentalen Landkarten, also Repräsentationen subjektiver Netzwerkwahrnehmung. Das offene Vorgehen (z.B. die aktive Partizipation von Beforschten) setzt früh im Forschungsprozess ein und ist durch das kaum vorstrukturierte Design auch relativ ausgeprägt. In sozialwissenschaftlichen Studien kann der Forschungsteilnehmer beispielsweise Farben, Formen, die Art der Beziehungen und die Positionen der Akteure selbst bestimmen sowie deren subjektive Sinnzuschreibung selbst vornehmen (Gamper/Kronenwett 2012; Straus 2002). Im engeren Sinn generiert er sein soziales Umfeld, indem er dieses nach seiner Vorstellung rekonstruiert. Eine quantitative Auswertung ist aufgrund der fehlenden Standardisierung nicht möglich.
13 Eine Trennung von Visualisierung und Analyse ist in der Praxis nicht immer möglich, da beide Prozesse eng mit einander verwoben sind.
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Quelle: Eigene Darstellung
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Abbildung 1: Elemente der Visuellen Netzwerkforschung im Forschungsprozess
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Eine weitere Visualisierungsform sind Netzwerkkarten. Sie unterscheiden sich von der Netzwerkzeichnung durch mehr oder weniger starke Vorgaben bei der Zuweisung von Attributen seitens des Forschers, d.h. im Grad ihrer Strukturierung und Standardisierung. Sie können – z.B. durch konzentrische Kreise – visuell strukturiert, aber nicht standardisiert sein. Es geht dann um die Erhebung subjektiver Relevanzsetzungen (z.B. durch den Generator „Wichtigkeit“).14 Die konzentrischen Kreise um das Ego bekommen in diesem Fall vom Forscher vorab keine diskreten Qualitäten zugewiesen (Hollstein/Pfeffer 2010; Gamper/ Schönhuth/Kronenwett 2012). Teilstandardisierung bedeutet, dass visuelle Items (konzentrische Kreise, Sektoren) für die Forschungsteilnehmer mit eindeutigen Merkmalsausprägungen belegt werden (z.B. „sehr nahe stehend“, „nahe stehend“, „gut bekannt“, „entfernt bekannt“). Durch die Standardisierung über fixe Stimuli kann die subjektive Beschreibung des Probanden nicht mehr eingefangen, die Daten stattdessen quantitativ ausgewertet werden (vgl. Hollstein/Pfeffer 2010: 4).15 Netzwerkkarten können auch visuell strukturiert und völlig standardisiert sein. Damit gehen auch die subjektiven Zuweisungen zu Beziehungen und personenbezogenen Attributen verloren. Ziel ist es, quantitative Daten zu erheben, die im Anschluss mit Statistikprogrammen (z.B. R, SPSS, STATA) ausgewertet werden. Diese Art der visuellen Erhebung kommt einer Fragebogenerhebung am nächsten.16 Anders als beim Fragebogen, bei dem der Forscher die Strukturen auf Basis der angegebenen Beziehungen analysiert, kann der Befragte die Struktur des Netzwerkes im Verlauf der Visualisierung jedoch reflektieren und gegebenenfalls Veränderungen vornehmen. Es kommt zu einer Art „strukturellen Validierung“. Zu den forscherkontrollierten Instrumenten gehören auch alle Formen der standardisierten Netzwerkerhebung sowie die formale Analyse von relationalen Daten in zeitgenössischen oder historischen Dokumenten wie Padgett und Ansells berühmt gewordene Analyse der Heirats- und Wirtschaftsnetzwerke der Florentiner Medicifamilie (Padgett/Ansell 1993) oder auch in literarischen Texten (Schweizer/Schnegg 1998; Hennig 2006). Eine Visualisierung findet hier erst nach der Eingabe der relationalen Daten in eine Datenbank und der Analyse mit
14 Auf die Problematik solcher qualitativer Stimuli im interkulturellen Kontext weisen Schiffer, Hauck und Abukari in diesem Band hin. 15 Vgl. zu einer Einteilung der Netzwerkerhebungsinstrumente nach dem Grad ihrer Standardisierung und Strukturierung auch Hollstein et al. in diesem Band. 16 Zu den Unterschieden zwischen Fragebogen- und visueller Erhebung vgl. auch Herz und Gamper (2012).
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dem Blockmodellverfahren17 statt. Im vorliegenden Band nehmen Daniel Reupke und Claudia Volk, Marten Düring sowie Katrin Hirte in ihren historischen Beiträgen ebenfalls die Daten in einer Datenbank auf. Im Unterschied zu den vorher genannten Studien werden die Knoten und Kanten jedoch durch die Autoren selbst visualisiert. Ihr Vorgehen lehnt sich hierbei eher an das SoziogrammVerfahren Morenos (1934) an. Die Informationen aus der Datenbank werden bei den hier vorliegenden Sammelbandbeiträgen zum Teil mit zusätzlichen qualitativen Daten ergänzt und durch andere Aspekte visuell erweitert, interpretiert und/oder mit anderen Quellen validiert. Quellenkritik und -interpretation des Historikers fungieren somit ähnlich wie bei einer narrativen Netzwerkerstellung (Düring et al. 2011). Mit Visualisierungen umgeht man die in interviewbasierten Erhebungen auftretende Erinnerungsfalle, d.h. die Tatsache, dass einmal genannte Akteure und Beziehungen im Fortgang des Interviews gegenüber neu hinzukommenden in den Hintergrund treten. Durch die Visualisierung ist eine Bezugnahme auf sie in jedem Moment möglich. Sie funktioniert als eine Art „kognitive Stütze“ (Hollstein et al. in diesem Band). Schwer erinner- und evozierbare Sachverhalte werden „veranschaulicht“ und für die Beteiligten während der gesamten Dauer des Interviews sichtbar festgehalten. Im Unterschied zur klassischen Netzwerkanalyse kann der Interviewte die Struktur seines Netzwerkes somit jederzeit überschauen. Interviewer und Interviewte erhalten so ein „Gemeinsames Drittes“, eine „objektivierte“ Kommunikationsfolie, über die sie sich während des Interviews verständigen und auf die sie immer wieder Bezug nehmen können (Schönhuth in diesem Band). Rekonstruktionen erster und zweiter Ordnung treten hier in einen beständigen Dialog. Straus beschreibt diesen Moment als „besonderen partizipativen Akt zwischen Interviewten und Interviewer/in. Im Unterschied zum schriftlichen Fragebogen und auch zum normalen qualitativen Interview entsteht etwas Neues aus gemeinsamer Tätigkeit, das im nächsten Schritt wieder zum Ausgangspunkt reflexiver Akte werden kann“ (Straus in diesem Band, S. 52).
So werden aus diachronen Erzählprozessen synchron interpretierbare und navigierbare Karten. Dieses Moment der „kommunikativen Validierung“18 (Lech-
17 Zum Thema Blokmodellanalyse vgl. Heidler (2006). 18 „Dies ist der Dialog-Konsens, in dem das Erkenntnisobjekt dem vom Erkenntnissubjekt Verstandenen zustimmt; da es bei jedem Verstehen unvermeidbar um eine Interpretation und damit Rekonstruktion geht, wird durch den Dialog-Konsens die Rekonstruktionsadäquanz des Verstehens gesichert […]. Diese Sicherung der Rekon-
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ler 1982; Scheele/Groeben 1988; Groeben/Scheele 2000) ist bei den sozialwissenschaftlichen Studien vorzufinden, während es bei historischen Ansätzen, die sich nicht Methoden der Oral History bedienen oder Zeitzeugeninterviews stützen, keine Rolle spielt. Die Vorteile der Validierung werden insbesondere in Beratungssituationen relevant, wo weniger das Netzwerkergebnis, als die Entstehungszusammenhänge bzw. Entwicklungspotentiale des Netzwerks im Fokus stehen, weshalb diese Form speziell im psychologischen, pädagogischen (vgl. Straus 2002: 196f.) und im Entwicklungsberatungsbereich (Chambers 1985; Schiffer et al. in diesem Band) Verbreitung gefunden hat. Dass diese Vorteile auch im unternehmerischen Setting nutzbar sind, davon legen die im ökonomischen Feld angesiedelten Beiträge von Rolf Dieter Schlunze, Michael Plattner und Weiwei Ji, Anna Poser und Eva Maria Eckenhofer im zweiten Teil des Bandes Zeugnis ab.19
4.
AUFBAU
4.1
Überblick
UND
S TRUKTUR
DES
S AMMELBANDES
Der erste Teil des Sammelbandes gibt einen Überblick über die visuelle Netzwerkforschung und die Vorteile und die Grenzen dieses Verfahrens. Im Mittelpunkt von Florian Straus’ Beitrag stehen Erfahrungen und Einschätzungen innerhalb eines Forscher- und Praktikernetzwerkes um den Münchener Sozialpsychologen Heiner Keupp, die seit nunmehr 30 Jahren qualitativ Netzwerkforschung betreiben und mit Visualisierungen in der Erhebungs- und Validierungsphase experimentieren. Der Fokus des Autors liegt auf der Verbindung der visuellen Erhebung mit einem qualitativen Vorgehen und den unterschiedlichen Versuchen, neue Inhalte und funktionale Aspekte für die Datengewinnung zu integrieren. Straus betont den Mehrwert dieses Ansatzes für die Praxis (z.B. Fallanalysen im psychologischen und pädagogischen Bereich), warnt jedoch auch vor der entstehenden Komplexität, die sich wiederum nachteilig auf die Analyse von Netzwerkarten auswirken kann.
struktionsadäquanz (des Verstehens) wird nach einem Vorschlag von Lechler (1982) ‚kommunikative Validierung‘ genannt“ (Groeben/Scheele 2000). 19 Methodisch stehen diese Formen den partizipatorischen und subjekt-orientierten Ansätzen in der Visuellen Forschung nahe, sei dies bei der Erstellung partizipativer Videos (Mitchell/Lange 2011), beim Einsatz partizipativer geografischer Informationssysteme (PGIS; Collins 2011), oder autoethnografischer Methoden (Chaplin 2011).
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Michael Schönhuth nähert sich dem gleichen Thema mit einer 20jährigen Erfahrung des Einsatzes partizipativer Visualisierungstechniken in der Entwicklungsforschung. Neben einer Typologie zu Netzwerkkarten und -zeichnungen liegt ein Schwerpunkt seines Beitrages auf den Vor- und Nachteilen haptischer und digitaler Karten. Auch wirft er die Frage der Forschungsethik und den Umgang mit sensiblen Netzwerkdaten auf. 4.2
Konzepte der visuellen Erhebung von Egonetzwerken
Im zweiten Teil stehen Beiträge im Fokus, die sich mit unterschiedlichen Konzepten der Visualisierung egozentrierter Netzwerke befassen. Den Anfang macht der Beitrag von Anika Noack und Tobias Schmidt. Die Autoren diskutieren die Potentiale von narrativen Interviewtechniken im Rahmen einer computergestützten Erhebung von relationalen Daten. In der Studie wurden sogenannte „Raumpioniere“ sowie die Stadtteile, in denen diese aktiv werden, mit einem ethnografischen Forschungsdesign untersucht. Das methodische Repertoire umfasst dabei problemzentrierte Interviews mit Akteuren, teilnehmende Beobachtungen in ausgewählten Gruppen sowie Diskursanalysen zu gesammelten Dokumenten und eine visuelle Netzwerkanalyse mit der Netzwerksoftware VennMaker. Dabei wurde ein offener Zugang ohne Standardisierung verwendet, in dem nur das in der Mitte platzierte Ego (die interviewte Person) und dessen Aussagen als Interviewgrundlage dienten. Die Autoren stellen heraus, dass die Interpretation der visuell erhobenen Daten und deren subjektiven Gehalte die realen sozialen Beziehungsstrukturen sehr gut abbilden. Ferner erlauben die visuelle Erhebung und die parallel geführten narrativen Interviews, die Entstehungszusammenhänge und die Dynamiken sowie Entwicklungen der individuellen Netzwerke nachzuvollziehen. Claudia Olivier untersucht mit Hilfe von Netzwerkkarten ghanaische Remigranten aus Deutschland. Im Fokus stehen die deskriptiven Beschreibungen der Migrationsbiographien und der persönlichen Netzwerke sowie deren Wechselbeziehungen. Auf der Ebene des methodischen Vorgehens zeigt die Autorin, wie eine Kopplung von digitalen und haptischen Instrumenten in den unterschiedlichen Phasen des Forschungsprozesses gestaltet werden kann. Bei der Durchführung der visuellen Netzwerkforschung griff sie auf VennMaker und eine PapierVariante zurück. Die Netzwerkkarten waren nur schwach strukturiert sowie in Ausnahmen auch standardisiert und dienten als Interviewgrundlage. Die Studie zeigt, dass mit Stift auf Papier erhobene Netzwerkvisualisierungen und die gewählte Kombination von digitaler und Papierkarte jeweils situationsabhängig sinnvolle Verfahren darstellen.
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Betina Hollstein, Jürgen Pfeffer und Laura Behrmann eruieren die Vor- und Nachteile der Verwendung von sogenannten Touchscreen-Computern bei der Erhebung von Netzwerkdaten. Dazu adaptierten sie die von ihnen entwickelte Netzwerk-Software EgoNet.QF (Pfeffer et al. 2008) für den Einsatz mit Touchscreen, in Richtung einer der Erhebungssituation angepasste Netzwerkkarte, das Trichter-Instrument. Hierbei greifen die Autoren auf mehr als hundert Nachbarschaftsnetzwerke zurück, die mit strukturierten und zum Teil auch standardisierten Netzwerkkarten erhoben wurden. Die Autoren stellen fest, dass gerade die unmittelbare Kommunikation zwischen Mensch und Computer, ohne den Umweg einer Computermaus, die Interaktion bzw. Datenerhebung erleichtert. Der Touchscreen-Computer wird auch von älteren Personen positiv angenommen. Holger von der Lippe und Nina-Sophie Gaede untersuchen die familialen und außerfamilialen Beziehungen junger Erwachsener sowie die subjektive Beziehungswahrnehmung der Personen untereinander. Im Fokus stehen beispielsweise die subjektive Wichtigkeit von sozialen Netzwerken und deren strukturelle Zusammensetzung sowie die Unterscheidung der Beziehungsqualitäten. Für ihre statistische Analyse griffen die Autoren auf standardisierte und strukturierte Netzwerkkarten zurück, die mit dem VennMaker erstellt wurden. 4.3
Visualisierung von Netzwerken im ökonomischen Kontext
Nahm der zweite Teil einen methodologische Fokussierung auf egozentrierten Netzwerke vor, so machen die Studien im dritten Teil exemplarisch deutlich, wie mit Hilfe visueller Ansätze ökonomische Strukturen und Beziehungen erhoben und analysiert werden können. Auffallend ist, dass die Autoren dabei vor allem auf strukturierte und teilweise standardisierte Netzwerkkarten zurückgegriffen haben. Den Anfang machen Rolf Dieter Schlunze, Michael Plattner und Weiwei Ji, die sich in ihrer Studie dem Thema des erfolgreichen „Netzwerkens“ und dem „transcultural co-leadership“ von Führungskräften in Wirtschaftsunternehmen widmen. Mit Hilfe schwach strukturierter und standardisierter digitaler Netzwerkkarten führten sie semi-strukturierte Interviews mit einem japanischen und französischen Manager, die beide in Tokio leben und sich auch persönlich und beruflich seit langem verbunden sind. Den Netzwerkkarteninterviews vorangeschaltet sind explorative Interviews zum generellen Netzwerkverhalten interkulturell agierender Manager. Ziel der Studie war es, komparative Vorteile kooperativer Netzwerkstrategien in interkulturellen Arbeitssettings aufzuzeigen. An der Einzelfallstudie zeigt sich in faszinierender Weise, wie diese beiden Manager ihre Netzwerkstrategien kunstvoll kombinieren, um in den lokalen und globalen
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Geschäftsumwelten erfolgreich zu agieren. Ein nicht zu unterschätzendes Nebenprodukt der Untersuchung war die Erkenntnis, dass die visuelle Netzwerkforschung geeignet ist, die Aufmerksamkeit von Interviewten über einen Zeitraum von knapp zwei Stunden aufrecht zu erhalten. Anna Poser eruiert mit Hilfe von strukturierten und teilweise standardisierten Netzwerkkarten die sozialen Netzwerke in deutschen Genossenschaftsbanken. Mit digitalen egozentrierten Netzwerkkarten wurden sowohl quantitative wie auch qualitative Daten erhoben, visualisiert und analysiert. Für ihre Befragung wählte die Autorin Akteure aus, die als wichtige Bestandteile (Stakeholder) des Netzwerks angesehen werden konnten. Am Ende wurden die einzelnen egozentrierten Netzwerke zu einem großen Netzwerk verbunden. Poser stellt fest, dass eine ausgeprägte Kommunikationskultur innerhalb der untersuchten Einheiten besteht und es zu einem Informationsaustausch unter den Bankangestellten kommt. Mit Hilfe der Netzwerkanalyse konnten jedoch auch Konflikte sichtbar gemacht werden. Das aufwändige visuelle Vorgehen ist besonders gut geeignet, kontextnahe, attributive und strukturelle Daten zu verbinden und einen detaillierten Einblick in Organisationsstrukturen zu geben. Auch Eva Maria Eckenhofers Beitrag widmet sich den informellen Netzwerken und Beziehungen in Unternehmen. Im Fokus steht die Frage, inwieweit sich „gezieltes Networking“ auf den Unternehmenserfolg auswirkt. Dazu wurden die Mitarbeiter mit einem Online-Fragebogen und mit einer teilweise strukturierten und sehr schwach standardisierten digitalen Netzwerkkarte befragt und die Probanden dabei in den Datenerhebungsprozess einbezogen. Es zeigte sich, dass die visuelle Netzwerkforschung für die Teilnehmer als ansprechend beurteilt wird und die Ergebnisse mit den Befragten unmittelbar analysiert und besprochen werden können. Allerdings war eine tiefgreifende Auswertung der Daten nur mit Hilfe quantitativer Analysesoftware möglich. 4.4
Visualisierung von Netzwerken im sozialen Kontext
Im vierten Teil widmen sich die Autoren der Visualisierung von Netzwerken in sozialen Kontexten von Migration und Politik. Anders als im vorangegangenen Kapitel reicht die Spannweite hier von offenen und partizipativen bis hin zu stark strukturierten und standardisierten Zugängen. Isabelle Boruckis Beitrag fokussiert auf die Kooperationsnetzwerke von lokalen Parteien und sozialen Trägern in Jena und Trier bei der Armutsbekämpfung. In ihrer triangulativ angelegten Studie greift die Autorin auf strukturierte und zum Teil standardisierte Netzwerkkarten zurück. Mit Hilfe des VennMakers werden Stakeholder zu ihren Kooperationen im Bereich der Armutsbekämpfung
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befragt. In der quantitativen Auswertung kann Borucki unterschiedliche Strategien verdeutlichen und Unterschiede zwischen den Netzwerken z.B. hinsichtlich ihrer Größe oder des Homophiliewertes aufzeigen. Auch bei Borucki zeigt sich, dass die visuelle Datenerhebung von den Interviewten positiv angenommen wurde und die Methode gut geeignet ist, quantitative und qualitative Datenerhebung zu kombinieren. Markus Gamper und Tatjana Fenicia gehen der Frage nach, inwieweit (Spät-) Aussiedler auf transnationale Unterstützungsnetzwerke zurückgreifen. Dabei zeigen die Autoren, dass der Begriff des Netzwerks in der Transmigrationsforschung kaum über eine metaphorische Verwendung hinausreicht. Vor diesem Hintergrund kommen strukturierte und standardisierte Netzwerkkarten zum Einsatz. Bei der Analyse werden die visualisierten Netzwerke anhand bestimmter Merkmale in idealtypische Transmigrationsnetzwerkkarten unterschieden und mit Hilfe von Leitfadeninterviews vertiefend eruiert. Es zeigt sich, dass das Instrumentarium der Netzwerkanalyse und die visuelle Erhebung sehr gut geeignet sind, das Phänomen „Transmigration“ abzubilden und zu analysieren. Eva Schiffer, Jennifer Hauck und Moses Abukari analysieren den politischen Einfluss von Stakeholdern in einer der ärmsten Regionen Ghanas. Ausgangsgrundlage war ein Entwicklungsprogramm, welches die Optimierung der landwirtschaftlichen Wasserversorgung und angemessenen politischen Partizipation zum Ziel hatte und dessen Fortgang laufend begleitet wurde. Zur Visualisierung der komplexen Netzwerkstruktur der beteiligten Akteure kam hier mit „NetMap“ ein neuartiges haptisches Erhebungsinstrument zum Einsatz, das zusätzlich eine dritte Dimension (in diesem Fall die Höhe der „Knoten“, die auf gestapelten Spielsteinen sitzen) in der Darstellung einführt. Die offen gestalteten Netzwerkmodelle wurden später mit einem Softwareprogramm analysiert und ausgewertet. Befragt wurden offizielle Amtsträger und lokale Wassernutzer (z.B. Fischer). Über die Netzwerkmodelle konnten nicht nur existierende Macht- und Entscheidungsgefälle herausgearbeitet, sondern auch Optionen zur Verbesserung der Kommunikations- und Entscheidungsstruktur diskutiert werden. Neben der interkulturellen Einsetzbarkeit visueller Netzwerkforschung zeigt das Autorenteam auch, dass ein partizipatives Forschungsvorgehen „ermächtigende“ Effekte im Rahmen politischer Beteiligungsprozesse haben kann.
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4.5
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Visualisierung von Netzwerken im historischen Kontext
Die im Band versammelten historischen Arbeiten stellen einen Sonderfall in der visuellen Netzwerkforschung dar. Hier werden Daten (z.B. Personen, Relationen) aus historischen Quellen herausgefiltert, in eine Datenbank eingetragen oder direkt in die Netzwerkkarten eingezeichnet. Anders als bei den anderen Beiträgen muss der Historiker die Informationen in den Netzwerkkarten selbst visualisieren. Eine Validierung erfolgt durch die Hinzunahme anderer Quellen bzw. mit Sekundärliteratur. Im Gegensatz zur klassischen Netzwerkanalyse wird dabei auf mathematische Verfahren wie z.B. Spring Embedder verzichtet. Im Beitrag von Daniel Reupke und Claudia Volk wird anhand von Erfahrungen aus zwei Forschungsprojekten erläutert, wie der Geschichtswissenschaftler von der historischen Quelle zu Netzwerken gelangt und wie Visualisierungssoftware bei der Datendarstellung und -gewinnung eingesetzt werden kann. Anhand von „Gläubiger-Schuldner-Beziehungen“ werden Strukturen und Mechanismen mit schwach strukturierten und schwach standardisierten Netzwerkkarten untersucht, nach denen in einer ländlichen Grenzregion im 19. Jahrhundert Kredite vergeben wurden. Die Autoren stellen fest, dass soziale Netzwerke der Schlüssel zum Verständnis der Mechanismen am Kreditmarkt sind. Die visuelle Netzwerkforschung unterstützte die Forscher bei der Datenstrukturierung, aber insbesondere die für Historiker so wichtige Verbindung von Zeit und Raum in Netzwerkvisualisierungen sehen sie bei bisherigen Softwarelösungen nicht optimal gelöst. Am Beispiel von Hilfsnetzwerken für Verfolgte während des Nationalsozialismus untersucht Marten Düring die Möglichkeiten und Grenzen der visuellen Netzwerkforschung für die historische Netzwerkanalyse. Historische Quellen wurden mit zum Teil strukturierten und standardisierten Netzwerkkarten aufbereitet und visualisiert. Der Autor betont, dass die Übersetzung von historischen Quellen in relationale Daten hilft, von einer isolierten Betrachtung von Einzelfällen auf eine Vergleichsebene zu gelangen und mittels der Standardisierung und Vereinfachung soziale Strukturen sichtbar und dadurch vergleichbar darzustellen. Katrin Hirte beleuchtet in ihrem Beitrag, wie deutsche Professoren der Agrarpolitik und Agrarökonomie Vernetzungsstrategien nutzten, um sich um das Jahr 1945 aus dem Umfeld des Nationalsozialismus zu lösen und sich als angesehene Wissenschaftler zu etablieren. Am Beispiel von Peter-Heinz Seraphim zeigt die Autorin, dass es diese spezielle „Reinwaschung“ vom Vorwurf der nationalsozialistischen Gesinnung sowie die Inklusion in bestimmte Karrierenetzwerke nach 1945 sind, die den eigenen Karriereaspirationen förderlich waren.
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Zur Analyse griff Katrin Hirte auf standardisierte und strukturierte Netzwerkkarten zurück, in denen sie die Dokumentinformationen visualisierte. Wie auch Marten Düring stellt die Autorin fest, dass die visuelle Netzwerkforschung hilft, komplexe Sachverhalte sichtbar zu machen und damit in einen größeren Kontext zu stellen.
5.
P ERSPEKTIVEN
Welche Perspektiven eröffnen sich für eine visuelle Netzwerkforschung vor dem Hintergrund fortschreitender technischer Möglichkeiten? Auf der Visualisierungsebene formuliert Florian Straus die entscheidende Frage: „Wie einfach müssen Netzwerkkarten sein, wie komplex dürfen Netzwerkkarten werden: Wann wird das sichtbar Gewordene wieder unsichtbar? Die paradoxe Anforderung lautet: Wir brauchen komplexere und zugleich einfachere Visualisierungen, die auch noch besser erklärt werden.“ (Straus in diesem Band, S. 51)
Auf einer erkenntnisleitenden Ebene erscheint der Mehrwert der Visualisierung von Netzwerkdaten über digitale Karten für Netzwerkforscher, die mit Primäroder Sekundärdaten arbeiten und die die Visualisierung erst nach der eigentlichen Analyse einsetzen, bisher noch begrenzt. Allerdings ist es durchaus möglich, die nach einer formalen Analyse oder Interpretation visuell aufbereiteten Daten den Befragten oder Experten für eine nachträgliche kommunikative Validierung, bzw. als Narrationsgenerator vorzulegen, wie dies z.B. Richard Heidler (2011) jüngst bei der Untersuchung der Forschungskooperationen von Astrophysikern gezeigt hat, indem er die Visualisierung der quantitativ erhobenen Netzwerke als Stimulus für anschließende vertiefende qualitative Interviews mit den Akteuren im Netzwerk nutzte. Insbesondere für Historiker wäre die Visualisierbarkeit von Zeitreihen notwendig. Eine Lösung wären dynamische Netzwerkarten, welche die Visualisierung von räumlichen und zeitlichen Veränderungen ermöglichen. Hier müsste der Dialog mit den Digital Humanities ansetzen. Diejenigen, die visuelle Instrumente im Rahmen der Erhebung oder der kommunikativen Validierung einsetzen, sollten von einem Einklinken in die Diskussionen der visuellen Wissensforschung insbesondere der visuellen Soziologie und Anthropologie sowie der partizipativen Forschung profitieren. Der vorliegende Sammelband versteht sich als ein Schritt in diese Richtung.
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„Das Unsichtbare sichtbar machen“ 30 Jahre Erfahrungen mit qualitativen Netzwerkanalysen F LORIAN S TRAUS
Die qualitative Netzwerkforschung hat in den letzten Jahren einen Aufschwung erfahren. Etwas euphemistisch könnte man auch von einem Durchbruch sprechen (Hollstein/Straus 2006, Schönhuth et al. 2011). Aus einem versprengten Häuflein von WissenschaftlerInnen, die abseits des sozialwissenschaftlichen Mainstreams Netzwerkanalysen durchgeführt haben, ist eine eigene Szene geworden. Typische Merkmale sind hierfür eine Zahl steigender Publikationen und Treffen, eine neue Sektion „Soziologische Netzwerkforschung“ in der DGS sowie aktuell auch eine geplante, neue deutschsprachige Zeitschrift (Journal für Netzwerkforschung). Allerdings – und das kann, muss aber keine Einschränkung sein – sind die qualitativen NetzwerkforscherInnen Teil der gesamten, d.h. quantitativ wie qualitativ orientierten Szene der sozialwissenschaftlich orientierten Netzwerkforscher im deutschsprachigen Raum. Der folgende Artikel beschreibt den Weg, der bis zu diesem Durchbruch geführt hat. Er tut dies aus einer sehr subjektiven Perspektive, im Mittelpunkt stehen die Erfahrungen und Einschätzungen meiner eigenen nunmehr 30jährigen Geschichte mit qualitativen Netzwerkanalysen im Münchner Kreis der NetzwerkforscherInnen.1
1
Gemeint ist ein loses Netzwerk aus ForscherInnen, PraktikerInnen und StudentInnen um Heiner Keupp und dem IPP, die in unterschiedlichsten Konstellationen und Bereichen seit 30 Jahren qualitativ mit Netzwerken forschen und experimentieren.
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1.
D IE 1980 ER J AHRE – V IELE ZUM ERSTEN „B OOM “
KLEINE
S CHRITTE
BIS
Es war ein typischer Anfang. Jemand hat eine Idee, es gab einen geeigneten Rahmen und ein fesselndes Vorbild. In einem 1979 begonnenen Projekt zum Hilfesuchverhalten von sogenannten bildungsfernen Familien gab uns Prof. Dr. Heiner Keupp, der als externer Berater dieses Projekt begleitete, den Tipp das Hilfesuchverhalten auch unter einer Netzwerkperspektive zu analysieren (Buchholz et al 1984; 1987). Auf der Suche, was man sich unter der damals unbekannten Netzwerkperspektive vorstellen kann stießen wir auf die Arbeit(en) von Elizabeth Bott (1955; 1957; 1971). Ihr Ansatz, der eine Abgrenzung von den damals üblichen Strukturfunktionalistischen Vorgehen beinhaltete, vor allem aber ihr konsequent qualitatives Vorgehen überzeugten uns. 1.1
Elizabeth Bott – die Mutter qualitativer Netzwerkanalyse
„As best I can see, ego-centered network analysis began with Bott“ (Wellman 1993: 432). Diese Einschätzung von Barry Wellman macht deutlich, dass von Elizabeth. Botts Arbeit und der daraus entstehenden Veröffentlichung „Family and social network“ (Bott 1957) wichtige Impulse weit über die Familienforschung hinaus erfolgt sind. Elizabeth Botts auch heute noch lesenswerte Studie besticht durch zwei Linien: Die erste zeigt den Gewinn der Netzwerkanalyse gegenüber dem damals klassischen Vorgehen. Bott beschreibt überzeugend die Unzufriedenheit mit den Möglichkeiten des damals vorherrschenden strukturfunktionalistischen Ansatzes. Statt den Blick auf Normen, Rollen und soziale Systeme zu richten, interessiert sie sich, beeinflusst von Lewins Feldtheorie, stärker für das Verhalten und die dahinter stehenden sozialen Beziehungen. Bott übernahm den Netzwerkbegriff, weil er weit besser als der Gruppenbegriff in der Lage war, die empirische Realität der Familienbeziehung zu beschreiben. Wie zentral die Netzwerkperspektive für ihre Analyse wurde, erkennt man, wenn man sich ihr konkretes Vorgehen vor Augen führt. So stellen fünf der sechs gewählten Forschungsperspektiven die Netzwerkperspektive in den Mittelpunkt der Interpretation und lediglich die sechste greift eine der ursprünglich gewählten Perspektiven wieder auf.
„D AS U NSICHTBARE SICHTBAR
MACHEN “
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Abbildung 1: Forschungsstrategien der Studie von Bott (1957/1971)
Quelle: Bott 1957/1971
Die zweite besondere Note ihrer Arbeit ist die Nutzung einer qualitativen Methode. Die Bott’sche Netzwerkanalyse erweist sich als der Prototyp qualitativer Netzwerkanalysen. Durch ihre Verknüpfung mit dem methodischen Repertoire der Netzwerkanalyse sehe ich diese Studie, ähnlich wie die Studie von Marienfeld, als einen historischen Meilenstein qualitativer Sozialforschung. Besonders hervorzuheben ist dabei die ausführliche Exploration und Reflexion ihres eigenen empirischen Vorgehens. Die herausragende methodische Stellung ihrer Arbeit ist nur zum Teil anerkannt worden. Zu einseitig ist in der Rezeption der Bott’schen Arbeit ihre Hauptthese zum Zusammenhang von Netzwerktypus und ehelicher Arbeitsteilung diskutiert und wiederum nur quantitativ überprüft worden. Hier spiegeln sich typische Übersetzungsschwierigkeiten zwischen qualitativen Ergebnissen und quantifizierenden Überprüfungen. Trotz der Kritik an der Bott’schen Hauptthese hat ihre Studie wesentlich dazu beigetragen, die
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Netzwerkperspektive aus einem bloß metaphorischen und zufälligen Gebrauch eines Begriffes zu einem systematischen und vielschichtigen Analysewerkzeug zu entwickeln. Für unser Projekt war es der Startschuss für die Verknüpfung einer qualitativen Methode mit dem für uns damals neuen Ansatz der Netzwerkanalyse. 1.2
Jenseits des Mainstreams – eine dreifache Diaspora
Diese qualitative Netzwerkanalyse fand allerdings für mich in einer dreifachen Diaspora statt. Mit Diaspora meine ich eine Situation, in der man sich permanent in einer Minderheitssituation befindet und für die Abweichung gegenüber dem Mainstream rechtfertigen muss. Die erste Minderheitenposition war bereits mit der Wahl des qualitativen Erhebungsansatzes gegeben. In den 70er Jahren fand die qualitative Forschung noch in kleinen Außenseiterzirkeln statt. In diesen wurde sowohl an den Grundlagen qualitativen Vorgehens gearbeitet als auch an den Begründungen, warum man sich gegen das damals nahezu allmächtige quantitative Vorgehen entschieden hat. Die zweite Diaspora fand in der Gemeinde der NetzwerkforscherInnen statt. Diese war in Deutschland und vor allem in den USA nahezu ausschließlich quantitativ aufgestellt. In den 1970er Jahren begann im amerikanischen Raum der „Siegeszug“ der formalen Netzwerkanalyse. Die englischen qualitativen Wurzeln von Barnes und Bott wurden zwar rezipiert, konnten aber den Methodenkanon nicht prägen. Die dritte Diaspora war zugleich die schwierigste. Sie vollzog sich innerhalb der sich neu bildenden Gruppe der qualitativen Forscher. Diese war gerade in den Anfängen stark narrativ geprägt und für viele was es nur schwer vorstellbar, wie man innerhalb eines qualitativen Interviews mit einem strukturierenden Instrument wie der Netzwerkkarten arbeiten kann, ohne damit den Narrationsfluß zu stören. 1.3
Die Komplexität sozialer Netzwerke braucht Visualisierungen
Neben der Methode an sich war es vor allem die Frage der Visualisierung sozialer Netzwerkbeziehungen, die uns in den Anfängen stark beschäftigte hatte. Zunächst hatten wir, ähnlich wie Bott, die sozialen Beziehungen noch ohne jegliche Form der Visualisierung sozialer Netzwerke erhoben. Es war im Interview und dann aber auch im Transkript sehr schwierig den Überblick zu den Personen
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zu bekommen. Man konnte zwar Listen anlegen, aber die genaue Zuordnung, vor allem die aus der Sicht des Interviewten, war kaum möglich. Die Lektüre von Botts Vorgehen bot hier ebenfalls keine Hilfe an. Das Buch enthält keine Abbildung der Netzwerke. Allerdings hatte sie zwei Jahre, bevor sie das Buch herausgebracht hat, einen Artikel geschrieben in der eine Visualisierung in idealtypisierter Weise vor kam. Auf der Suche nach Visualisierungshilfen stießen wir auf strukturell ähnliche Visualisierungen aus dem Bereich der Gesundheits- (Curtis 1979) und der Beratungsforschung (Attneave 1975). Die Entwicklung dieser Vorlagen zu einem Modell mit konzentrischen Kreisen, einer Sektorenbildung und der Steckmethode in der Erhebungssituation erfolgte durch schlichtes Ausprobieren. Später habe ich dann über einen von Linton Freeman 2000 veröffentlichten Artikel die Verwandtschaft zu einem Vorgehen entdeckt, das Northway mit MitarbeiterInnen zwischen 1940 und 1952 entwickelt hatte. Gute Ideen haben eben oft viele Geburtsstunden.2 Abbildung 2: Idealtypische Netzwerke nach Bott
Quelle: Bott 1955: 256
2
In der Reihe der qualitativen Geburtshelfer werden immer wieder auch Kahn/Antonucci genannt, die ihre Adaption der konzentrischen Kreise zum ersten Mal 1980 veröffentlicht haben. Allerdings haben sie das Kreismodell nicht erfunden und die Karten nicht in einem qualitativen Sinn genutzt.
Quelle: Curtis 1979; Attneave 1975
Abbildung 3: Netzwerk von Curtis und Attneave
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1.4
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Ein erster, noch bescheidener Netzwerkboom
Diese methodischen Entwicklungen fanden in einer Zeit statt, in der das Netzwerkthema eine erste Konjunktur erlebte. Der Begriff Netzwerk war bis dahin in weiten Teilen der Scientific Community wie auch in der Alltagssprache nahezu unbekannt. Dass sich dies nach 1980 langsam änderte war vor allem drei sehr unterschiedlichen Entwicklungen zu verdanken. Die erste Entwicklung fand ihren Ausgangspunkt in der zunehmenden Aufmerksamkeit für die Rolle der sozialen Unterstützung. Innerhalb weniger Jahre wurde weltweit eine sehr große Zahl von Studien durchgeführt, in denen zu sehr vielen Effekten (vom allgemeinen Wohlbefinden über diverse Krankheitsverläufe bis zur psychischen Gesundheit), auf den positiven Einfluss der Prozesse sozialer Unterstützung und die diese generierenden Netzwerke hingewiesen wurde. Allerdings fehlt es in den social support Studien meist an geeigneten Instrumenten dieses Generierungsnetzwerk adäquat darstellen bzw. erheben zu können (siehe Röhrle 1994). Der zweite Grund für diesen ersten Netzwerkboom lag in der Zunahme sozialer Einrichtungen, die nach den 1968er Jahren in vielen sozialen Feldern gegründet worden waren. Nach dem der Gründungsboom vorüber war, wurde die fachpolitische Forderung lauter, die verschiedenen Einrichtungen des psychosozialen Feldes besser miteinander zu vernetzen. Im Mittelpunkt stand die Sorge vor einem unproduktiven Nebeneinander. Mit dem Ziel, den fachlichen Austausch zu verbessern und mehr Synergien für die Anliegen des Klientels zu erreichen, wurden in dieser Zeit erste Formen von psychosozialen Arbeitsgemeinschaften und Kooperationsverbünden gegründet. Der dritte Grund für diesen ersten Netzwerkboom war die Hoffnung über netzförmige Formen der Zusammenarbeit einen Schlüssel für nicht entfremdete, selbstbestimmte Formen des Arbeitens und der Kooperation zu finden. In vielen Städten Deutschlands kam es zu netzartigen Gründungen von Arbeitszusammenhängen (Keupp 1988). Alle drei Entwicklungen haben das Thema Netzwerk zu einer gewissen Popularität verholfen, waren in sich aber zu heterogen, als dass damit auch das methodische Arbeiten mit Netzwerkinstrumenten in den Mittelpunkt geraten wäre. Von einer Konjunktur netzwerkanalytischer Verfahren kann man trotz dieses ersten Netzwerksbooms in diesen Jahren in keinem Fall sprechen.
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2.
D IE 90 ER : N ETZWERKANALYSEN NOCH IMMER „H OBBY “ ALS ANERKANNTE M ETHODE
EHER
Dies änderte sich auch Anfang der 1990er Jahr nicht. Im Grunde genommen lag es zu dieser Zeit am besonderen Interesse einzelner ForscherInnen (fast könnte man von einer Art Hobby sprechen), wenn damals Netzwerkanalysen durchgeführt wurden. Vier Erfahrungen erscheinen für mich, neben dieser Grunderfahrung für dieses Jahrzehnt prägend: Die latente Streitfrage, ob sich Netzwerkanalyse und qualitative Vorgehen vertragen, konnte empirisch geklärt werden. Wir machten zudem ermutigende Erfahrungen qualitative Netzwerkanalysen auch offensiv nach außen zu präsentieren. In der Umsetzung der wissenschaftlichen Ergebnisse in die Praxis psychosozialer Arbeit gab es auch Erfahrungen mit der Visualisierung von Netzwerken und das offene Experimentieren mit dem Setting qualitative Netzwerkanalyse führte zu einer Erweiterung des methodischen Repertoires. 2.1
Qualitativer Grenzgang – Stört das Netzwerk nicht die Narration?
Auch zu Beginn der neunziger Jahre war es immer noch schwierig, selbst bei den eigenen KollegenInnen Netzwerkanalysen als Bestandteil qualitativer Interviews durchzusetzen. Die zentrale Frage war damals, ob man das Netzwerk als ganzes im Anschluss an das qualitative Interview erhebt oder ob man die Netzwerkkarten als integraler Bestandteil in das qualitative Interview einbettet. Die erste Position ging davon aus, dass für den Narrationsfluss das Nacheinander besser sei, die zweite, dass auch in der Erhebungssituation selbst nicht nur das Netzwerk gesteckt wird, sondern jeder dieser Akte selbst noch einmal reflexive und damit oft auch narrative Impulse setzen kann. Die Möglichkeit diese Fragen ausführlich zu testen, bot uns ein Längsschnittprojekt im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 333. Im Kern des Projektes ging es um die Entwicklung eines theoretischen Modells der Identitätsentwicklung (Keupp et al 1999). Im empirischen Teil wurde über einen sechs Jahre dauernden Längsschnitt mit drei Erhebungszeitpunkten die Entwicklung der Identität vor allem auf den Einfluss der Berufseinmündungsphase und mit einem besonderen Blick auf den Stellenwert der sozialen Netzwerke analysiert. Der Umstand, dass der Beginn des Projekts mit der deutsch-deutschen Wende zusammenfiel, führte zu vier verschiedenen Erhebungsorten und zu einem großen Team von KollegenInnen in München und Leipzig und damit auch vielen Netzwerkinterviews.
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Die Auswertung der Varianten, wie man die Netzwerkkarte in das Interview einbetten kann zeigte, dass das Instrument schrittweise erstellt die Narration nicht stört, sondern sogar selbst narrative Impulse setzen kann. In diesem Projekt wurde auch ein erstes Manual vorgelegt und ein erster Standard für diese Form der Erhebung einer qualitativen egozentrierten Netzwerkanalyse formuliert (EgoNet.QF, Straus 1994): • Ziel ist eine möglichst umfassende Darstellung des sozialen Netzwerks einer
Person zu ermöglichen • Es soll im Interview und vor allem auch in der Auswertung dem Intervie-
• •
•
•
wer/Auswerter helfen, auch komplexe Beziehungen zu identifizieren und richtig zu bewerten. Es gestaltet sich von der Handhabung her einfach und lässt sich schicht- und sprachunabhängig einsetzen lassen. Es hat dialogische Qualitäten, d.h. es lässt sich in den Interviewdialog so einbauen, dass das Gespräch ohne störende Unterbrechung weitergeführt werden kann bzw. darüber hinaus hilft, das Gespräch über die Qualität sozialer Beziehungen zu vertiefen. Es besitzt für die Interviewten selbstreflexive Anteile, d.h. durch die Art der Erstellung hilft es dem/r Interviewten, sich zu seinen Sozialbeziehungen in Bezug zu setzen. Es ist flexibel anwendbar, d.h. es ermöglicht bei Gewährleistung der Vergleichbarkeit dennoch verschiedene Formen der Anwendung und Vertiefung.
2.2
Qualitative Netzwerkforschung als neue und unbekannte Methode für Gutachter
Wir haben in den zehn Jahren dieses Sonderforschungsprojekts diese Methode natürlich nicht verschwiegen, sondern immer wieder auch in Präsentationen und auch bei Begutachtungen genutzt. Soziale Beziehungen über Netzwerkkarten zu erheben und als egozentrierte Netzwerke darzustellen, war dabei eine Art „unbekanntes Wesen“. Die Gutachter kannten damals nahezu ausnahmslos dieses Verfahren einer qualitativen Netzwerkanalyse nicht, wie generell das Thema Netzwerk in der damaligen Forschungslandschaft weder in Psychologie noch in der deutschen Soziologie eine relevante Rolle spielte. Die Erfahrungen in den Präsentationen waren überwiegend positiv. Abgesehen von einer Ausnahme (die allerdings beinahe mit dem Aus für das Projekt verbunden war) fanden wir eher interessierte, teils auch faszinierte ZuhörerInnen bzw. GutachterInnen. Es wurde damals schon offensichtlich, dass diese Visuali-
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sierungsform sich nicht nur gut für das exemplarische Fallverstehen und die typologische Analyse sozialer Beziehungen eignet. Vor allem aber überzeugte das Verfahren in seinen Potenzialen die komplexe Dynamik sozialer Beziehungen abzubilden. 2.3
Netzwerkanalysen als Methode für Forschung und Praxis – ein Experiment
Eine weitere Herausforderung war auch sinnvolle Ergebnisse für die konkrete Praxis psychosozialer Beratung und Begleitung zu schaffen. Wir waren damals überzeugt: Netzwerkanalysen sind ein Schritt zur Reduktion komplexer Strukturen, die auch PraktikerInnen helfen zu verstehen, wie die Netzwerke ihrer Klienten aussehen und „funktionieren“. Gerade das Arbeiten mit Netzwerkkarten erschien uns ein taugliches Beispiel für einen erfolgreichen Transfer Wissenschaft-Praxis. Wir hatten bereits Ende der 80er Jahre ein Schwerpunktprogramm der DFG genutzt, um diese Transferbedingungen näher zu untersuchen (Keupp/Straus/ Gmür 1989a und 1989b). Ausgangspunkt war unsere Erfahrung, dass viele PraktikerInnen von den Netzwerkanalysen zwar beeindruckt waren, diese jedoch trotzdem nicht in ihrem Alltag angewandt haben. Unsere Analyse dieses Problems im Rahmen des Schwerpunktprogramms „Verwendung sozialwissenschaftlichen Wissens in der Praxis“ hatte zwei Bedingungen erfolgreicher Implementierung herausgestellt: • Das sozialwissenschaftliche Wissen muss in ein Handwerkszeug transferiert
werden. Nur wenn es, nahezu theoriefrei wie eine Methode anwendbar ist, hat es Chancen im Alltag auch genutzt zu werden. • Eine Methode muss im Kanon der jeweils herrschenden Ausbildungs-/Therapie-Institute als sinnvoll und notwendig kodifiziert und in den einschlägigen Schulungen/Trainings gelehrt werden. Da letzteres für Forscher kaum zu bewerkstelligen ist, haben wir eine Möglichkeit genutzt, die sich uns im Rahmen der vierjährigen Implementierung der Sozialpädagogischen Familienhilfe (SpFH) in Bayern geboten hatte. Der ministerielle Auftrag zur Implementierung sah auch die regelmäßige berufsbegleitende Fort- und Weiterbildung der mit der SpFH betrauten PraktikerInnen vor, sodass wir im Rahmen der Ausbildung die Netzwerkanalyse als methodisches Instrument einführen und zu einem festen Bestandteil systemischen Handelns erklären sowie zum Pflichtbestandteil der Abschlussprüfungen machen konnten.
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Erwartungsgemäß gab es zweierlei Effekte. Netzwerkanalysen wurden als moderne und sinnvolle Erweiterung der bisherigen Analysemethoden (Genogramm) gesehen und regelmäßig für Fallanalysen eingesetzt. Und sie gerieten einige Jahre nach dem Ende unseres Implementierungsauftrags und dem Einzug systemischer Ausbildungen in den Alltag der Familienhelferinnen wieder in Vergessenheit. Denn mit einer kleinen Ausnahme3 hat keine der damals einflussreichen Beratungs- und Therapieschulen die Netzwerkperspektive in ihren Methodenkanon aufgenommen. So paradox es war, die eigene Analyse behielt Recht: Ohne die Weihen einer einflussreichen Ausbildungsinstitution hat die Netzwerkanalyse in der Praxis nur geringe Realisierungschancen. 2.4
Offenes Experimentieren mit der Netzwerkkarte
Diese Jahre waren zugleich auch eine Zeit des Ausprobierens, eines spielerischen Umgangs mit der Netzwerkkarte.4 Dies betraf die Inhalte in Netzwerkvisualisierungen. Wir haben damit experimentiert was man alles sinnvollerweise auf der Karte einzeichnen kann: Objekte, Tiere, Gegenstände und Werte/Themen als Beispiele für Zugehörigkeits- und Beziehungsexplikationen, die jenseits eines menschlichen Wesens liegen, sehr wohl aber äquivalente Funktionen haben können.5 Eine zweite Entwicklungsebene betraf die Veränderung der von uns so genannten Basiskarte. Diese wurde im Interview nun immer häufiger ergänzt um zahlreiche Formen von gemeinsamen Auswertungsschritten mit den Interviewten. In diesen ging es darum, entweder die Struktur eines Netzwerks um seine funktionalen Aspekte zu ergänzen, beispielsweise jene Beziehungen zu markieren, die aktuell durch Konflikte gekennzeichnet sind oder jene, die in konkreten
3
Eine Ausnahme bildet die Integrative Psychotherapie von Hilarion Petzold und Wolfgang Hass. (Vgl. Hass/Petzold 1999)
4
Hilfreich war für uns hier der universitäre Kontext, an ine das IPP und unsere Projekte angebunden waren. und die Zusammenarbeit mit verschiedenen KollegenInnen, die wir anregen konnten mit der Netzwerkkarte zu experimentieren. Damit konnte auch jenseits von finanzierten Forschungsprojekten mit verschiedenen Formen von Netzwerkkarten experimentiert werden.
5
Anregungen in den Interviews und Netzwerkkarten mehr als nur andere Menschen zu zu lassen verdanke wir nicht nur Interviewpartnerinnen, die das einfach getan haben, sondern auch der Actor-Network-Theory (Latour 1998).
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Abbildung 4: Netzwerkkarte mit Auswertungskarten
Quelle: Eigene Darstellung
definierten Situationen Unterstützung geleistet hatten, oder es wurden – wie in Abbildung 4 – vordefinierte Ergänzungskarten genutzt, um die Funktion von Bereichen sichtbar zu machen. Der/die Interviewte konnte die Karten auf bestimmte Bereiche legen, für die die jeweilige Aussage zutraf. Abbildung 4 zeigt etwa die Karte „Da geht es mir am besten“ auf dem Familienbereich oder die Karte „So geschätzt wie ich bin“ auf keinem der Bereiche, weil der Interviewte dies in keinem der Netzwerkbereiche als ausreichend realisiert ansah. Unser Ziel war es dabei, nicht zu viel Komplexität zu erzeugen. Beeindruckend war, dass es oft ganz einfache Auswertungsideen waren, die in Kombination mit der Visualisierung eine schnelle Auswertung ermöglichten. Im Beispiel der Studie von Manfred Hintermair zur Rolle von Unterstützungsnetzwerken von Eltern mit hörgeschädigten Kindern (Abbildung 5) sieht man eine solche einfache und zugleich aussagekräftige Form der Visualisierung. Dargestellt wird die vom Ego empfangene Unterstützung über die Pfeilrichtung. Je stärker sie ist, desto mehr deutet der Pfeil in Richtung Ego, ist sie neutral geht er nach unten, wird sie eher als kontraproduktiv erlebt geht er nach außen.
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Eine ganz andere experimentelle Richtung beschäftigte sich mit der Auflösung der klassischen Anordnung einer egozentrierten Netzwerkkarte (vgl. auch Straus 2010). Dies betraf vor allem die zentrale Stellung von EGO. In eigenen und in Studien von KollegInnen und StudentInnen wurden verschiedene Formen von Netzwerkkarten eingesetzt, die keine Vorgaben zum Ort des EGOs machten und auch auf die Vorgaben der konzentrischen Kreise verzichteten. Interessanterweise zeigen aber auch eher freie Zeichnungen zwei typische Anordnungen: Das Ich wird mittig oder oben auf dem Blatt gezeichnet und die wichtigen Personen (wie beim konzentrischen Kreismodell) um das Ich gruppiert oder quasi hierarchisch darunter gezeichnet. Diese Erfahrung hat uns in der Auffassung bestärkt, dass eine egozentrierte Karte nicht nur aus logischen Gründen das Ego in der Mitte hat, weil für alle gezeichneten Personen es in der Regel nur einen gemeinsamen Bezug gibt, eben jenes EGO, sondern es für Subjekte in der Regel auch die naheliegendste Form der Darstellung ist.
Abbildung 5: Netzwerkkarte mit Auswertungssymbolen
Quelle: Eigene Darstellung
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Wie variabel die Möglichkeiten sind, zeigt das folgende Beispiel: Die Netzwerkkarte selbst zeigt aber nicht das äußere Netzwerk einer Person, sondern quasi das innere Netzwerk einer jungen Frau, die unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung leidet. Abbildung 6 zeigt die Primärperson6 Imka und 14 weitere Personen, die drei Bereichen zugeordnet werden (Kindern, verantwortlichen Personen und Helferpersonen). Die Pfeile symbolisieren den Kontakt zwischen den einzelnen Personen. Oft ist es ein sexueller Missbrauch, der bei den Betroffenen in einem ersten Schritt der Bearbeitung des Traumas zu einem innerpsychischen Mechanismus der Aufspaltung in viele Persönlichkeiten führt. Abbildung 6: MPS Netzwerk „Imka“
Quelle: Kraus 1999
6
Unter Primärperson versteht sie jene Persönlichkeit, die aktuell den Körper besetzt und besitzt. „Sie erledigt in der Regel die Alltagsgeschäfte und zeigt sich in der Öffentlichkeit. Sie wird auch die „Gastgeberin“ genannt.“ (Kraus 1999: 77)
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Im Vordergrund der meisten Studien in den 1990er Jahren stand die Nutzung der Netzwerkkarte als reflexives Instrument im Interview. In einigen Studien wurden die Netzwerkkarten auch für eigene Auswertungsschritte herangezogen bzw. nachträglich von den AuswerterInnen unter einer bestimmten Auswertungsperspektive verändert (vgl. Straus/Höfer 2010: 204).
3.
D IE Z EIT
NACH 2000 – N ETZWERKANALYSEN GEWINNEN AN N ORMALITÄT
Manuell Castells veröffentlichte zwischen 1996 und 1998 seine monumentale Trilogie über das neue Zeitalter der Informationsgesellschaft. Der Auftaktband trägt den programmatischen Titel „Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft“ (Castells 1996). Obwohl selbst kein klassischer Netzwerkforscher, finden sich in seinen Analysen die Wurzeln dessen, was ich als zweiten Boom der Netzwerkidee bezeichnen möchte. Castells begründet diesen Trend zur Netzwerkgesellschaft mit drei Entwicklungen: • dem Bedürfnis der Wirtschaft nach flexiblem Management und globalisiertem
Kapital, • einem Bedürfnis der Menschen nach individualisierten Werten und offener
Kommunikation • und außerordentlichen Fortschritten der Computertechnologie und der Tele-
kommunikation. Vor allem die neuen computergestützten Möglichkeiten der globalisierten Informationswelt führen zu Veränderungen, die sich oftmals nicht mehr mit den alten Nationalstaats- bzw. auch klassischen Organisationskonzepten, sondern nur noch sinnvoll über die Heuristik der Netzwerkmetapher und ihrer theoretischen Bezüge (Castells 2000) erklären lassen. 3.1
Akzeptanz und Bestellung – Netzwerkanalysen werden normal(er)
In den Jahren nach 2000 tritt etwas ein, auf das viele NetzwerkforscherInnen lange gewartet haben. Ihre Perspektive und Analyseverfahren werden nachgefragt, netzwerkanalytisches Know How ist explizit gewünscht. Allerdings scheint mir weniger die Netzwerkforschung selbst dafür verantwortlich zu sein. Es sind die oben beschriebenen netzförmiger gewordenen Strukturen, die den
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Wandel zu einer zumindest teilweisen Normalität der Netzwerkanalyse eingeleitet haben. Deutlich wird diese Normalität beispielsweise an jenen Programmen und Projekten, in denen Netzwerke nun eine wichtige Rolle einnehmen. Weil öffentliche Programme (wie beispielsweise ENTIMON, EQUAL, Soziale Stadt) in ihren Ausschreibungen nach Netzwerkbildung verlangen und die Projektanbieter dies dann in unterschiedliche Formen einer Netzwerkpraxis umsetzen, taucht zwangsläufig auch in der Evaluation die Frage auf, welche Art von Netzwerk sich gebildet hat bzw. ob die Netzwerkbildung erfolgreich ist oder mit welcher Qualität von Netzwerken diese einhergeht. Aber auch dort, wo kein Programm die Netzwerkbildung zur Förderbedingung macht, gewinnen Fragen nach dem Nutzen und den Vorteilen einer praktizierten Netzwerkperspektive an Bedeutung. Vor allem in unseren Praxisforschungsprojekten taucht die Netzwerkperspektive nun regelmäßig auf. Und anders als früher, nicht weil wir es zusätzlich vorschlagen, sondern die Auftraggeber es explizit wünschen. 3.2
Die Auswertungsfrage gewinnt eine neue Dimension
Diese neuen Fragen nach der Qualität von Netzwerken und ihren Effekten hat nicht nur die empirische Anwendung von Netzwerkanalysen befruchtet, sondern auch an die Auswertung qualitativer Netzwerke neue Anforderungen gestellt. Vor 2000 war für uns der Einsatz von Netzwerkkarten im Rahmen von EgoNet.QF überwiegend mit dem Ziel gekoppelt, das reflexive Potenzial im Interview zu erhöhen. Auswertung umfasste hier zum einen den gemeinsamen reflexiven Akt mit dem/r Interviewten. Zum anderen ging es um die Nutzung der Netzwerkkarte in der Ergänzung zum Transkript. Die Frage, inwieweit man die Netzwerkkarte eigens auswerten kann, sie also jenseits der transkribierten Klammer zum Interviewtext Aussagekraft besitzt, wurde nun intern wie extern zunehmend häufiger gestellt. Hinzu kommt mit dem Blick auf die neuen sozialen Figurationen der Netzwerkbildung die Frage, woran man die Qualität von Netzwerken erkennen kann bzw. ob es sich bei der analysierten Figuration überhaupt um ein Netzwerk handelt. Solange es primär um informelle Netzwerke einer Person ging, war dies kein Thema. Je selbstverständlicher und inflationärer der Begriff in der Praxis der Kooperationsgeflechte genutzt wird, desto mehr kommt es auch zum Etikettenschwindel und zur Auswertungsfrage: wo ist Netzwerk drin und wo steht Netzwerk nur drauf (Straus 2010a).
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EDV orientierte Programme werden auch für die qualitativen Netzwerkanalysen relevant
Die neuen Potenziale der computergestützten Welt des 21. Jahrhunderts wurden überraschend lange von der qualitativen Netzwerkanalyse nicht genutzt. Während sich die formale Netzwerkanalyse bereits früh der elektronischen Hilfen bei der Berechnung und dann auch Visualisierung komplexer, drei-dimensionaler Netzwerkbilder bediente, blieb die qualitative Netzwerkanalyse lange der kommunikativen und papiergestützten Variante treu. Erst in den letzten Jahren wurden Möglichkeiten entwickelt, Netzwerkkarten zu digitalisieren. In unterschiedlichen Softwarelösungen finden sich Möglichkeiten, Netzwerkkarten nicht nur darzustellen und auszuwerten, sondern auch direkt digitalisiert zu erheben. • Jürgen Pfeffer hat in einem interdisziplinären Methodenprojekt mit Betina
Hollstein auf der Basis von EgoNet.QF (Straus 1994; 2002) eine Software entwickelt, die sowohl die Datenerhebung als auch die weitere Datenbearbeitung von akteurszentrierten Netzwerkdaten unterstützt. Diese Software zeichnet sich dadurch aus, dass sie für ein weites Feld von Gegenstandsbereichen und Fragestellungen eingesetzt werden kann: für persönliche Netzwerkdaten ebenso wie für informelle Netzwerke in Organisationen oder Netzwerke zwischen Organisationen. Sie ermöglicht statistische Auswertungen sowie die Verbindungsmöglichkeit mit gängigen Softwarepaketen der Sozialen Netzwerkanalyse (Pajek, UCINET).7 • Zeitlich parallel wurde der VennMaker als ein Softwaretool zur partizipativen Erhebung und Darstellung egozentrierter Netzwerke von einem Team des Forschungsclusters der Universitäten Mainz und Trier entwickelt. Das Programm zielt auf eine kommunikative Erhebung und Validierung persönlicher Netzwerke ebenso wie auf eine Visualisierung von Innen- und Außenbeziehungen von Arbeitsgruppen, Kollegien oder Projekten sowie für die klientenzentrierten Beratungsarbeit ab. Der VennMaker kombiniert visuelle Erhebungs- und Fragebogentechniken, die es dem Probanden ermöglichen Netzwerke zu visualisieren, qualitativ zu bewerten und gemeinsam mit dem Forscher retrospektiv oder auf gewünschte Änderungen hin zu reflektieren. Er erhebt auch den An-
7
Diese Software steht als Freeware zur Verfügung. Der Download samt Manual findet sich unter http://www.pfeffer.at/egonet/.
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spruch „den bisher fehlenden Link zwischen quantitativer und der erst kürzlich etablierten qualitativen Netzwerkanalyse zu schließen“.8 9 • Eher für den Praxisbereich gedacht ist die Software EasyNWK. Sie wurde am Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung der FH St. Pölten unter der wissenschaftlichen Leitung von Peter Pantucek und Sabine Sommer von Nikolaus Kelis entwickelt und wird derzeit in einer Reihe von Forschungs- und Praxisprojekten getestet. • Ebenfalls eher für den Praxisbereich gedacht ist CANA von Thomas Feuerstein (2010). Allerdings handelt es sich hier weniger um eine Software, als vielmehr um Word und Powerpoint gestützte Hilfen bei der Erstellung von Netzwerkkarten. 3.4
An den Grenzen der zweidimensionalen Netzwerkvisualisierung
So groß der Fortschritt und die Vorteile der qualitativen Analyse sozialer Beziehungen durch Netzwerkkarten sind, so deutlich setzt die Zweidimensionalität der Paper and Pencil-Variante doch auch Grenzen für die Darstellung und Analyse der Komplexität sozialer Beziehungen. Die eine Grenze liegt in der Umkehrung des Vorteils der Visualisierung, wenn zu viele Auswertungskategorien auf das Papier übertragen werden. Legt man nur wenige Auswertungskategorien an die Basiskarte, so hilft diese die Komplexität deutlich zu reduzieren. Die zu zeigenden Unterschiede werden in der Tat „augenfällig“ und helfen InterviewerIn und Interviewten bei der Reflexion. Je mehr Auswertungsdimensionen man versucht auf der Karte zu markieren, desto unübersichtlicher wird es und man erkennt zunehmend weniger. Ein Problem, das übrigens auch die quantitativen Netzwerkanalysen gut kennen, wenn sie versuchen die Zusammenhänge in einem zweidimensionalen Bild widerzugeben. Der Versuch über durchdachte und raffinierte Symbol- und Farbgebung (Krempel 2005) einen Ausweg zu schaffen, führt nur teilweise zu zwingenden Lösungen. Die zweite, typische Grenze zeigt sich bei der Analyse der Dimensionen von Position und Macht. Hier müsste man eigentlich die strukturelle Egozentrierung der Karte aufgeben. Um dies zu vermeiden, gibt es bereits seit längerem die Möglichkeit, unterschiedlich hohe „Personenmarker“ zu verwenden. In diesem
8
Eine Testversion kann unter http://www.vennmaker.com/download/ bezogen werden.
9
Sie steht zum freien Download zur Verfügung.
Zitat online unter: http://www.vennmaker.com/beschreibung/ [22.10.2012].
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Quelle: Straus 2009
Abbildung 7: Dreidimensionales Netzwerk
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Sinne wurde beispielsweise beim Familienbrett (einer frühen netzwerkorientierten Spielvariante) und auch in der Net-Map Toolbox von Schiffer (2007) gearbeitet. Im VennMaker und beim EgoNet.QF gibt es die Möglichkeit, Personen je nach Einfluss und Stellung durch die Größe der Personenpunkte zu markieren. In einer anderen Variante haben wir auf die ebenfalls eher einfache Möglichkeit zurückgegriffen Netzwerkteile zusätzlich nach anderen (hier Positionsgesichtspunkten) zu gruppieren. Das Beispiel zeigt für zwei Netzwerksegmente (Freunde und Arbeit), wie aus Sicht der Befragten hier Macht und Einfluss verteilt sind. Es ist anzunehmen, dass in Zukunft solche Möglichkeiten durch die softwarebasierte Lösungen deutlich steigen und dreidimensionale, rotierbare Varianten entstehen, die auch durch Ein- und Ausblendungen von Personen und Strukturen viele weitere Erkenntnismöglichkeiten schaffen werden.
4.
F AZIT UND P ERSPEKTIVE – V IER AUSGEWÄHLTE E NTWICKLUNGSLINIEN
Auch unabhängig davon wie lange der entwicklungsfördernde allgemeine Netzwerkboom noch dauert, kann man annehmen, dass es innerhalb der qualitativen Netzwerkforschung zahlreiche Weiterentwicklungen geben wird. Auf vier zentrale auch zukünftig wichtige Entwicklungslinien der qualitativen Netzwerkforschung möchte ich abschließend näher eingehen. 1. Visualisierung Qualitative Netzwerkforschung ist immer auch visualisierende Netzwerkanalyse. Wichtige Fortschritte im methodischen Setting qualitativer Netzwerkanalyse finden nach wie vor auf der Visualisierungsebene statt. Die entscheidende Frage lautet: Wie einfach müssen Netzwerkkarten sein, wie komplex dürfen Netzwerkkarten werden? Wann wird das sichtbar gewordene wieder unsichtbar? Die paradoxe Anforderung lautet: Wir brauchen komplexere und zugleich einfachere Visualisierungen, die auch noch besser erklärt werden. Pfeffers Forderung „schöne Netzwerke [zu] zeichnen“ (Pfeffer 2010: 237) geht weg von der rein technischen Realisierbarkeit hin zum Ziel einer besseren visuellen Kommunikation. Meines Erachtens hängt die Zukunft der Visualisierung qualitativer Netzwerke eng mit der auch von Pfeffer beklagten, bislang zu geringen ästhetischen Kreativität der Netzwerkvisualisierer ab, aber auch von den zukünftigen softwarebasierten Möglichkeiten komplexe Informationen auf un-
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terschiedlichste Weise (durch Ausblenden von Netzwerkteilen und -funktionen, durch Rotieren, Ein- und Auszoomen, …) verdeutlichen zu können. 2. Der partizipative, tätige Akt der Netzwerkanalyse Eine besondere Qualität der visualisierenden Netzwerkanalyse ist, dass sie dem/der Interviewten hilft, sich selbst sein/ihr Netzwerk überhaupt vorstellen zu können. Anders als durch einen Fragebogen oder die durch Namensgeneratoren erzeugten Listen entsteht mit der Netzwerkkarte ein gemeinsames visuelles Gegenüber. Im Akt des qualitativen Netzwerkinterviews kommt es damit zu einem besonderen partizipativen Akt zwischen Interviewten und Interviewer/in. Die Interviewer werden zu Assistenten, welche die Interviewten bei der Erstellung des Netzwerks unterstützen. Im Unterschied zum schriftlichen Fragebogen und auch zum normalen qualitativen Interview entsteht etwas Neues aus gemeinsamer Tätigkeit, das im nächsten Schritt wieder zum Ausgangspunkt reflexiver Akte werden kann. Die Netzwerkanalyse in dieser Form symbolisiert faktisch das, was Claude Fischer als Typik moderner Netzwerke formuliert hat: der Mensch als Baumeister seiner sozialen Beziehungen. Diese Form der Netzwerkanalyse stellt zudem eine Mischung zwischen Interview und teilnehmender Beobachtung dar. Neben der Assistenten- und Interviewerrolle wird man als Interviewer/in auch Zeuge der tätigen Erstellung bzw. der damit verbundenen Überlegungen des/der Interviewten. Diese gemeinsame Handlungsebene hat Elemente von Partizipation; aus der primär reaktiven Interviewsituation wird etwas aktiv Handelndes. Die Erfahrung zeigt, dass dieses Element auch wegen des haptischen Aktes (siehe Schönhuth in diesem Band) von den Interviewten positiv empfunden und in der Regel gerne angenommen wird. Bislang ist diese besondere Erstellung unter methodischen Gesichtspunkten in seinen Chancen aber auch Grenzen noch kaum näher analysiert worden. 10 3. Papier und Laptop – vom Nebeneinander zur Touchscreen-Lösung Das Thema dieser Tagung gibt ja bereits eine Richtung vor, die ich ebenfalls für unumkehrbar halte. In einer Welt, in der computerbasierte Technologien weite Teile des Alltags mitprägen und in der Kinder von Beginn an mit Handys, Spielkonsolen und Computern aufwachsen, ist es mehr als wahrscheinlich, dass die elektronische Netzwerkkarte die papierene Netzwerkzeichnung und -karte ablösen wird. Drei Einschränkungen sind allerdings noch zu machen: Die Erste betrifft die Lösungen, die ohne horizontale Touchscreen-Lösungen auskommen, d.h. am PC werden vom Interviewten alleine Netzwerk-
10 Am ehesten noch scheint mir dies bei den ethnografisch, organisationssoziologischen Arbeiten der Trierer Gruppe der Fall zu sein.
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karten mit der Maus erstellt. Der partizipative Charakter geht hier weitgehend verloren und sie erreicht technikfremde Menschen nicht. Die zweite Einschränkung gilt den Generationen, die nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit mit elektronischen Lösungen aufgewachsen sind wie viele junge Menschen in der westlichen Welt. Dieser Gruppe fehlt nicht nur die alltägliche Selbstverständlichkeit in der Nutzung. Diese Generationen haben gegenüber dem Computer und der digitalen Erfassung auch eine gewisse Grundskepsis. Für diese Zielgruppen und in bestimmten Anwendungssituationen (gruppendynamische Situationen) bleibt die papierne Netzwerkkarte als Zusatzmöglichkeit auch weiter sinnvoll. Die dritte Einschränkung betrifft die Handhabbarkeit. Solange die digitalen Helfer (Bildtisch) wie aktuell noch beim VennMaker zu schwer oder beim EgoNet.QF von der Bildschirmfläche her zu klein sind, reduziert sich deren Attraktivität und flexible, mobile Nutzbarkeit. Eine weitere Einschränkung bleibt zunächst noch ohne Wirkung: Netzwerkkarten sind nicht immer leicht zu anonymisieren. Und die Missbrauchsanfälligkeit netzwerkorientierter Daten erhöht sich mit ihrer Digitalisierung (Schönhuth et al. 2011).11 4. Zur Identität der qualitativen Netzwerkforschung in der Verknüpfung mit quantitativen Ansätzen „Das Netzwerkparadigma ist keineswegs in Eins zu setzen mit einer bestimmten theoretischen Ausrichtung, oder gar mit einem bestimmten empirischen Zugang. So lässt sich von einer strukturalistischen Position ebenso Netzwerkforschung betreiben wie von der Position des Methodologischen Individualismus oder einer systemtheoretischen Position. Auch im Hinblick auf den empirischen Zugang stellt die Netzwerkanalyse keinesfalls eine Vorentscheidung für qualitative oder quantitative Sozialforschung dar.“ (DGS-Sektion Soziologische Netzwerkforschung)
Diese programmatische Aussage der neuen Sektion „Soziologische Netzwerkforschung“12 ist wichtig, weil die Geschichte der Netzwerkforschung schon einmal aus einer Parallelität ethnologisch qualitativer und soziologisch quantitativer Ansätze den Mainstream der formalen Netzwerkanalyse hat werden lassen. Der eingangs apostrophierte Durchbruch beinhaltet ein Miteinander
11 Die zunehmende marktorientierte Nutzung beispielsweise von Facebook Daten könnte die Sensibilität gegenüber der Preisgabe personenorientierter Daten durchaus zu einem Akzeptanzproblem aller Netzwerkanalysen machen. Zur Frage ethischer Grenzen der Netzwerkanalyse vergleiche auch Schönhuth in diesem Band. 12 Online unter: http://www.soziologie.de/index.php?id=424 [22.10.2012].
„D AS U NSICHTBARE SICHTBAR
MACHEN “
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beider Methodenrichtungen und basiert auf einer Akzeptanz und Anerkennung der gegenseitigen Vor- und Nachteile im methodischen Vorgehen. Es ist der qualitativen Netzwerkforschung zu wünschen, dass deren quantitative Brücken (immer mehr Verfahren kennen auch die Möglichkeit qualitativ erhobene Daten quantitativ auszuwerten) auch umgekehrt beantwortet werden.13 Nur über eine Pluralität im methodischen Spektrum können die jeweiligen Grenzen der einzelnen methodischen Ansätze überwunden werden. Erst dann wird auch der zweite Teil der programmatischen Botschaft der Netzwerksoziologen Wirklichkeit werden. Die Netzwerkanalyse „kann problemlos zwischen Mikro- und Makroebene vermitteln; sie besitzt Anschlussfähigkeit zu verschiedenen theoretischen Positionen […]; die bisherigen netzwerkanalytischen Zugänge weisen nicht die sonst oftmals übliche Kluft zwischen Theorie und Empirie auf“ (ebd.).
L ITERATUR Attneave, Carolyn (1975): Family network map, Seattle: Attneave. Buchholz, Wolfgang/Gmür, Wolfgang/Höfer, Renate (1984): Lebenswelt und Familienwirklichkeit, Frankfurt a.M.: Campus. Bott, Elizabeth (1955): „Urban Families: Conjugal Roles and social Networks“. In: Human Relations 8, S. 345-383. Dies. (1957): Family and Social Network, London: Tavistock. Dies. (1971): Family and Social Network. Roles, Norms, and External Relationships in Ordinary Urban Families, New York: The Free Press. Castells, Manuel (1996): The Rise of the Network Society, Oxford: Blackwell. Ders. (2000): „Materials for an exploratory theory of the network Society“. In: British Journal of Sociology. London 51, 1, S. 5-24. Curtis, W. Robert (1979): The future use of social networks in mental health, Boston: Social Matrix Research. Feuerstein, Thomas J. (2010): Computerunterstützte Netzwerkanalyse (CANA©) und Netzwerkförderung. Ein flexibles Verfahren für die Ausbildung und Praxis Sozialer Arbeit, Wiesbaden. Online unter: http://www.hs-rm.de/sw/ue
13 So gibt es nur sehr wenige mir bekannte Studien, in denen sich quantitative NetzwerkforscherInnen mit qualitativen Netzwerkmethoden beschäftigt haben (Hogan/Carrasco/Wellman 2007) bzw. eine Kombination versucht haben (Jütte 2006). Vielleicht bieten auch Ansätze, wie der der „Fuzzy Set Qualitativ Comparative Analysis“ hier neue Möglichkeiten an (vgl. Wagemann/Schneider 2003; Hollstein/Wagemann 2011).
56 | FLORIAN STRAUS
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MACHEN “
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Landkarten sozialer Beziehungen Partizipativ-visuelle Datenerhebung mit haptischen und elektronischen Werkzeugen: Entwicklung – Typen – Möglichkeiten – Grenzen M ICHAEL S CHÖNHUTH
1.
L ANDKARTEN
SOZIALER
B EZIEHUNGEN
In der Geschichte der sozialen Netzwerkanalyse war das Instrument der Visualisierung die längste Zeit auf die Ebene der Auswertung von Primärdaten beschränkt, die über Netzwerkfragebögen oder mit Hilfe anderer Quellen vom Forscher zuvor gewonnen worden waren. Zwar gehen erste Versuche der Visualisierung egozentrierter Netzwerke schon auf Elizabeth Bott (1957) zurück, aber erst ab Ende der 1970er Jahre – jedoch noch bedeutend vor der Mainstream-Wende zur so genannten qualitativen Netzwerkanalyse (Hollstein/Straus 2006) – wird die visuelle Datenerhebung gemeinsam mit den Probanden über Netzwerkbilder oder Netzwerkkarten von einzelnen Forschern in Nischenbereichen konsequenter verfolgt.1 Dabei bringen die Probanden die Beziehungen zu ihren wichtigsten Bezugspersonen entweder in Form einer freien Zeichnung zu Papier (Netzwerkbilder), oder sie bekommen eine – oft in Form eines Kreismodells strukturierte – Netzwerkkarte vorgelegt, innerhalb derer die Kontaktpartner je nach ihrer empfundenen emotionalen Nähe zu Ego eingetragen bzw. abgelegt werden.
1
Vgl. Curtis (1979) und Attneave (1975); Kahn/Antonucci (1980); Schönhuth/Kievelitz (1993); Straus (1994; 2002); Holstein/Pfeffer (2010) sowie auch die Ausführungen von Straus in diesem Band.
60 | M ICHAEL SCHÖNHUTH
Mit Hilfe nicht-standardisierter Interviews werden diese Netzwerkkarten bzw. Netzwerkbilder dann kommunikativ ausgewertet oder narrativ interpretiert, um die qualitativen Informationen, die „Geschichten hinter den Knoten und Kanten“ zu erheben. Sie können als Landkarten sozialer Beziehungen gelesen werden, mit denen Individuen ihre sozialen Netzwerke bildlich darstellen und entlang derer Interviewer und Interviewter navigieren und kommunizieren. Das Interesse gilt dabei den subjektiven Bedeutungen, die den Netzwerkakteuren zugeschrieben werden sowie der Interpretation ihrer Beziehungen (White 1992 und 2002; Emirbayer/Goodwin 1994). In der Regel werden Netzwerkbilder und -karten als egozentrierte (der Befragte ist der Bezugspunkt für das Netzwerk) bzw. nicht-egozentrierte (Ego ist ein Knoten im Netz) Darstellungen in Einzelinterviews (z.B. Kolip 1993; Krumbein 1995; diverse Beiträge in Hollstein/Straus 2006) erstellt. Im Rahmen der Organisations- und Projektberatung bzw. der Dorfentwicklung werden sie aber auch als Gesamtnetzwerke mit ausgewählten (oder allen) Vertretern des jeweiligen Systems erhoben (Schönhuth 2007; Schiffer 2007). Sie ergeben dann die gemeinsam erarbeitete Sicht der Beteiligten auf das jeweilige System (je nach Fragestellung mit, oder ohne Darstellung der Außenbeziehungen).
2.
M EILENSTEINE IN DER PARTIZIPATIVEN V ISUALISIERUNG VON N ETZWERKEN
Im Lauf der letzten 30 Jahre haben sich ganz unterschiedliche Instrumente zur partizipativen Visualisierung von Netzwerken etabliert. Die einzelnen Methoden unterscheiden sich zuallererst im Grad ihrer Strukturierung und Standardisierung. Entsprechend handelt es sich eher um freihändige Netzwerkbilder (so besonders bei Kolip und Reisbeck) oder um Netzwerkkarten, die eine stärkere Rahmung und Vorstrukturierung durch den Forscher erfahren. Es kommt auf die Fragestellung und das Erkenntnisinteresse an, für welche man sich entscheidet. Explorative, Eigenlogiken erhebende Settings sprechen tendenziell eher für Netzwerkbilder, Settings, die schon bekannt sind oder Vergleichbarkeit zum Ziel haben, eher für vorstrukturierte Karten. Vor- und Nachteile der jeweiligen methodologischen Zugänge sind in Tabelle 2 tabellarisch zusammengestellt.
L ANDKARTEN SOZIALER B EZIEHUNGEN
| 61
Tabelle 1: Synopsis wichtiger Meilensteine in der partizipativen Visualisierung von Netzwerken 9HUIDKUHQ
=HLWUDXP
$XWRUHQ
(JR]HQWULHUWH.UHLVIRUPHQ
$WWQHDYH&XUWLV
(JR]HQWULHUWHV.UHLVPRGHOO
±KHXWH
.DKQ$QWRQXFFL+ROOVWHLQ
'RUI9HQQ'LDJUDPPHLQGHU(=
±
&KDPEHUV6FK|QKXWK
(JR1HW%DVLVYDULDQWH
±
6WUDXVHWDO
)UHLH=HLFKQXQJ
±
.ROLS5HLVEHFNHWDO
(JR1HW4)
±KHXWH
.UXPEHLQ.HXSS.UDXV6WUDXV
2UJDQLVDWLRQVGLDJUDPPH
±
6FK|QKXWKXD
*7=$NWHXUVPDSSLQJ
=LPPHUPDQQHWDO
1HW0DS
,)35,6FKLIIHU+DXFN
Quelle: Eigene Darstellung, basierend auf Straus 2002: 213
Tabelle 2: Vor- und Nachteile von Netzwerkbildern/Netzwerkkarten 9HUIDKUHQ
9RUWHLOH
1DFKWHLOH
1HW]ZHUNELOGHU
•
•
*HVWDOWXQJVIUHLKHLW9HUNQSIXQJ XQWHUVFKLHGOLFKHU'LPHQVLRQHQ 7KHPHQ2UWH3HUVRQHQ
•
6\PEROWUlFKWLJH0HWDSKHUQ
•
LGLRJUDILVFKH(OHPHQWH
•
HPSLULVFKELVKHUPLWZHQLJ 9DULDQ]lQGHUWVLFKGHU]HLW
•
SHUV|QOLFKNXOWXUHOO •
JHULQJH9HUJOHLFKEDUNHLWHKHU JHVWDOWSV\FKRORJLVFK
X8:LGHUVWlQGHJHJHQIUHLHV =HLFKQHQ0RGHOOLHUHQ
H[SORUDWLY%LQQHQORJLNHQ ]XODVVHQG
1HW]ZHUNNDUWHQ
•
9HUJOHLFKEDUNHLW
•
5HSOL]LHUEDUNHLW
•
JHULQJHUH:DKOIUHLKHLWGXUFK 6WDQGDUGLVLHUXQJ
•
HPSLULVFKHUSUREW
•
•
DQDO\VHRULHQWLHUW
•
NXOWXUVSH]LILVFK
•
4XDQWLIL]LHUXQJP|JOLFK
9RUHQWVFKHLGXQJHQGXUFK
•
OHQNEDU
,QWHUYLHZHU
NRJQLWLYÄIHVWJH]XUUW³
Quelle: Eigene Darstellung, basierend auf Straus 2002: 239
2
Diesen Hinweis verdanke ich Florian Straus (vgl. auch Straus in diesem Band).
62 | M ICHAEL SCHÖNHUTH
Drei ideale Kartentypen lassen sich grundsätzlich unterschieden: • mit Papier und Stift (Paper and Pencil: zwei Raumdimensionen, nur wenige
Ausprägungen visualisierbar); • Papier, Stifte und „Bausteine“ (Paper and Toolkit; vgl. Schiffer/Hauck 2010)
die durch die Raumdimension eine zusätzliche Ausprägung haben sowie • digitale Netzwerkkarten (zwei Raumdimensionen, Entstehungsprozess erfass-
bar, Prozess reversibel, mehr Ausprägungen visualisierbar, Filter- und Analysefunktionen). Die „Paper and Pencíl“-Methode ist der verbreitetste Netzwerkkartentyp. In ihrer bekanntesten Form rekurriert sie auf das egozentrierte Kreismodell von Kahn/Antonucci (1980), wobei ähnliche Ansätze in der Beratungs- bzw. Gesundheitsforschung auch schon früher entwickelt wurden (Attneave 1975; Curtis 1979; vgl. Straus in diesem Band). Ego ist dabei mittig platziert und die Interaktionspartner werden je nach emotionaler Wichtigkeit innerhalb konzentrischer Kreise um Ego herum gesetzt. Eine komplexere Variante, die sich bei den EgoNet.QF Karten von Straus et al. (2002), aber auch in etlichen Beiträgen in Holstein/Straus (2006) findet, ist die Unterteilung der konzentrischen Kreise in lebensweltlich relevante Sektoren (z.B. Arbeit, Familie, Freunde) oder aber die Anlage mehrerer Karten, mit denen unterschiedliche qualitative Dimensionen einer Beziehung (Wichtigkeit, Nähe, Unterstützung) erhoben werden. EgoNet.QF arbeitet auch zusätzlich mit Markierungsnadeln und Heftetiketten, die es erlauben, einmal gesetzte Akteure wieder zu verschieben.
L ANDKARTEN SOZIALER B EZIEHUNGEN
| 63
Abbildung 1: Umzeichnung einer mit Korkplatte und Markierungsnadeln arbeitenden EgoNet.QF-Karte (links); Freundschaftsnetzwerk eines 17jährigen Jungen (rechts)
Quelle: Höfer/Keupp/Straus 2006: 283 (links); Straus 2002: 210 (nach Kolip 1993: 108; rechts)
Einen ähnlichen Weg gehen die „Venn-Diagramme“ (Chambers 1985), die seit den 1980er Jahren in der internationalen Entwicklungsberatung im Rahmen sogenannter Rapid (Rural) Appraisal-Methoden (Schönhuth/Kievelitz 1993) eingesetzt werden und die sich nach meiner Kenntnis völlig unabhängig und ohne wechselseitige Wahrnehmung der in der pädagogischen Forschung eingesetzten Kreismodelle und Beratung entwickelt haben. Venn-Diagramme sind ein Instrument in einer ganzen Toolbox rascher partizipativer Erhebungsmethoden, die mit teilweise nicht-literaten ländlichen Gruppen zum Einsatz kommen, um in einem partizipativen Prozess den Status Quo und die Entwicklungschancen für lokale Settings zu eruieren (Schönhuth/Kievelitz 1995). Diese Netzwerkkarten werden im selben Beratungssetting oft bewusst zeitgleich in alters-, status-oder geschlechtshomogenen Gruppen erstellt, weil deren Wahrnehmung der relevanten Systemakteure naturgemäß voneinander abweicht (vgl. Abbildung 2).
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Abbildung 2: Chapati/VennDiagramm relevanter Akteure in einem indischen Dorf (Mascarenhas 1991) aus der Sicht der Männer (links) und aus der Sicht der Frauen (rechts)3
Quelle: Schönhuth/Kievelitz 1995: 53f.
Abbildung 3: Nach Wichtigkeit und Performance platzierte Akteure in einem tanzanisch-deutschen Entwicklungsprojekt (links), mit Zukunftsszenario (durch Pfeile markiert) und mit Verbesserungsvorschlägen für Akteure mit problematischer „Performance“ (rechts)
Quelle: Eigene Darstellung
3
Die in geschlechtergetrennten Gruppen generierten relevanten Netzwerkakteure variieren nicht nur in der Menge, sondern auch im Typ (Männer: eher technik- und Rechtsfragen-affine, Frauen eher bildungs- und gesundheitsrelevante Netzwerkpartner.
L ANDKARTEN SOZIALER B EZIEHUNGEN
| 65
Abbildung 4: Paper and Toolkit: „Influence Mapping of Social Networks“
Quelle: Eva Schiffer (Abdruck mit frdl. Genehmigung)
Die Namen/Symbole der generierten Akteure werden gemäß der ihnen zugeschriebenen Wichtigkeit für den Systemerhalt auf unterschiedlich große Papierkreise geschrieben und dann entsprechend ihrer Zugänglichkeit oder „Performance“ für das System näher oder entfernter zum Zentrum (Dorf/Projekt etc.) platziert. „Große“ Akteure weit weg vom Zentrum sind kritische Akteure, weil sie für das Überleben wichtig, andererseits aber nur schwer erreichbar sind bzw. ihre Ressourcen nur suboptimal bereitstellen. Für diese problematisch wahrgenommenen Alteri mit kritischer Performance können dann gemeinsam mit dem Berater Strategien für eine verbesserte Zusammenarbeit entworfen werden. Die Sozialwissenschaftlerin Eva Schiffer hat 2007 unabhängig von den bisher vorgestellten Werkzeugen für das International Food Policy Research Institute (IFPRI) eine Methode der Netzwerkvisualisierung entwickelt, die mit Hilfe von Spielsteinen eine dritte Dimension in die Karte einführt und den wahrgenommenen „Einfluss“ (influence) von Akteuren nicht durch die Akteursgröße, wie beim Venn-Diagramm, sondern durch die Höhe der aufgeschichteten Spielsteintürme darstellen lässt (vgl. Abbildung 4). Auch diese Lösung hat Vorläu4 fer.
4
Die Nutzung der dritten Dimension bei partizipativ erstellten Karten findet sich z.B. schon bei Rambaldi/Callosa-Tarr (2000).
66 | M ICHAEL SCHÖNHUTH
3.
V OR - UND N ACHTEILE DER „P APER P ENCIL “/T OOLKIT -V ARIANTEN
AND
Die Vorteile der „Paper and Pencil“/Toolkit-Varianten sind evident. Durch ihre einfache und intuitive Anwendbarkeit und die haptische Komponente sind sie Probanden leicht zu vermitteln. Führen die Probanden selbst den Stift, trägt das Diagramm in größerem Maße als bei jeder Form von elektronisch vermittelter Visualisierung ihre persönliche Handschrift, was insbesondere in psychologischen Befragungs- und Auswertungssettings von Bedeutung ist. Sensibel eingesetzt, lassen sich „Paper and Pencil“/Toolkit-Methoden und deren Varianten auch erfolgreich in fremdkulturellen Zusammenhängen (Schönhuth/Kievelitz 1993) und mit Personen aus unterschiedlichsten Bildungsschichten und beruflichen Settings nutzen.5 Sie sind von Energiequellen weitgehend unabhängig und daher in fast jeder Feldsituation einsetzbar (vgl. auch Olivier in diesem Band). Die Materialkosten sind gering. Damit wird eine Durchführung von Netzwerkinterviews auch für Studien mit einer geringen Budgetausstattung möglich. Neben den Vorteilen zeigen sich aber auch Nachteile: Erstens müssen die so gewonnenen Daten bei einer quantitativen Auswertung entweder zeitaufwändig ausgezählt bzw. bezüglich bestimmter Strukturmaße (Dichte, Zentralität) zunächst in Statistikprogramme übertragen werden. Diese Übertragung ist zeitintensiv und fehleranfällig. Auch eine visuelle Darstellung auf Basis von mathematischen Berechnungen (z.B. die Darstellung durch einen Spring Embedder, der die Akteure entsprechend ihrer Zentralität im Netz neu positioniert) kann nur im Nachhinein durch manuelle Übertragung der Daten in Softwareprogramme wie zum Beispiel UCINET oder SIENA erfolgen. Des Weiteren kommt es bei der Nachvisualisierung mithilfe von Softwareprogramm zu Ungenauigkeiten, da eine Übertragung der visuellen Darstellung der Probanden nicht eins zu eins möglich ist. Diese Abweichungen spiegeln sich nachträglich auch in der statistischen Auswertung wider.6 Drittens können qualitative Informationen durch mündliche Aussagen, die während des Zeichnens getätigt wurden, nicht direkt mit der jeweiligen Darstellung von Beziehungen und Akteuren gekoppelt werden. Dies bedeutet einen hohen Zeitaufwand bei der Transkription, da die Aussagen des Interviews mit der Visualisierung von Informationen abgeglichen werden müssen. Mit anderen
5
Für den Einsatz in der Organisationsplanung mittelständischer Betriebe vgl. Schönhuth 2007.
6
Wie eine solche Übertragung auch erkenntnisgewinnbringend eingesetzt werden kann, zeigt Olivier in ihrem Fallbeispiel in diesem Band.
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Worten: eine präzise Kopplung von Visualisierung und gesprochenen Aussagen findet nicht statt. Schließlich können einmal fixierte Netzwerkkarten nicht mehr verändert werden, ohne die Netzwerkkarte neu zu erstellen. Auch eine Weitergabe von Netzwerkkarten oder eine Nachbearbeitung durch Dritte (zum Beispiel durch andere Forschungsteams) ist arbeits- und zeitaufwändig.
4.
D IGITALE N ETZWERKKARTEN
In seinem Rückblick auf 30 Jahre Erfahrung mit qualitativen Netzwerkanalysen konstatiert Straus: „Während sich die formale Netzwerkanalyse bereits früh der elektronischen Hilfen bei der Berechnung und dann auch Visualisierung komplexer, drei-dimensionaler Netzwerkbilder bediente, blieb die qualitative Netzwerkanalyse lange der kommunikativen und papiergestutzten Variante treu. Erst in den letzten Jahren wurden Möglichkeiten entwickelt, Netzwerkkarten zu digitalisieren.“ (Straus in diesem Band, S. 48)
Es gibt inzwischen einige wenige Softwarelösungen, mit deren Hilfe Netzwerkkarten digitalisiert erhoben werden können. Die Eigenschaften sowie Vor- und Nachteile von digitalen Netzwerkkarten sollen hier anhand des Einsatzes der Software VennMaker innerhalb eines Forschungsprojektes zur Integration von Spätaussiedlern dargestellt werden, in dessen Verlauf auch die Netzwerkstruktur sowie die soziale Unterstützung der Befragten erhoben werden sollte (Fenicia/Schönhuth/Gamper 2010; vgl. auch Gamper/Schönhuth/Kronenwett 2012). Eine quantitativ angelegte Netzwerkbefragung mittels Papierfragebogen und Namensgeneratoren ergab, dass soziale Netzwerke von Spätaussiedlern stark familienzentriert sind und eine hohe ethnische Homophilie aufweisen. Es wurde aber auch deutlich, dass die Anzahl der Familienmitglieder bzw. der Verwandten je nach Art der sozialen Unterstützung variieren. Beispielsweise werden emotionale Unterstützung oder Unterstützung im Krankheitsfall hauptsächlich von Familienangehörigen geleistet, während bei der Arbeitssuche hauptsächlich auf Einheimische zurückgegriffen wird. In einem zweiten Schritt wurde deshalb mit Hilfe digitaler Netzwerkkarten genauer untersucht, welche Gründe von Aussiedlern angeführt werden, weshalb sie auf bestimmte soziale Beziehungen zurückgreifen und bestimmte soziale Beziehungen nicht existent sind. Gerade für die Untersuchung solcher „missing
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Abbildung 5: Digitale Netzwerkkarte auf einem elektronischen Whiteboard mit Touchscreen-Bedienung
Quelle: Eigene Darstellung
links“ eignet sich der Einsatz der digitalen Netzwerkkarte, verbunden mit einem problemzentrierten Leitfadeninterview (Witzel 1982). Schon während der Visualisierung des Netzwerkdiagramms sieht der Interviewer bestimmte missing links oder spezielle Strukturen, die sich von der quantitativen Erhebung unterscheiden. Hier können die Gründe gezielt und nahezu zeitgleich zur Erhebung im Gespräch erfragt werden. Für die Erhebung wurde ein digitaler Akteursgenerator und -interpretator verwendet, der für alle Probanden gleich gestaltet war. Die Netzwerkkarte war in Teilen standardisiert und strukturiert, um Vergleichbarkeit und eine quantitative Datenauswertung zu ermöglichen. Damit ähnelte die Erhebung mit der digitalen Netzwerkkarte der quantitativen Erhebung mit einem Papierfragebogen. Allerdings wurden bestimmte Attribute direkt durch das Zeichnen auf der Netzwerkkarte erhoben. Diese konnten im Gegensatz zur „Paper und Pencil“-Variante, wo die Daten erst in den Computer übertragen werden müssen, direkt nach der Befragung mit weiteren Softwareprogrammen verarbeitet werden. Damit die digitalen Netzwerkkarten so einfach zu bedienen sind wie eine Papiernetzwerkkarte, wurde ein elektronisches Whiteboard (vgl. Abbildung 5) eingesetzt. Dies ähnelt einer herkömmlichen Schiefer- oder Weißwandtafel, mit dem Unterschied, dass das Tafelbild von einem Beamer projiziert wird und Sensoren die Stift- oder Fingerbewegung auf der Tafeloberfläche erkennen. Die Sensoren melden die Eingabe an einen Computer, der die Informationen weiterverarbeitet. Das Ergebnis wird anschließend wieder an die Tafel projiziert. Der Vorteil bei der Verwendung eines elektronischen Whiteboards bzw. Touchscreens liegt darin, dass sich der Interviewte besser auf das Interview konzentrieren kann. Er kann direkt auf der dargestellten digitalen Netzwerkkarte
Quelle: Eigene Darstellung
Abbildung 6: Netzwerkkarte einer 29jährigen Migrantin
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arbeiten, der Umweg über Mauseingabe entfällt. Intervieweffekte, die durch Probleme im Umgang mit technischen Eingabegeräten, wie Maus oder Tastatur entstehen, werden so minimiert. VennMaker ist ein Softwareprogramm, das die gemeinsame und zeitgleiche Erhebung qualitativer und quantitativer Daten im Rahmen eines Mixed MethodsDesigns (Hollstein/Straus 2006) innerhalb eines Interviews erlaubt. Während der Interviewpartner sein persönliches Netzwerk visualisiert und dabei gleichzeitig im Gespräch näher beschreibt, können qualitative Daten visuell oder/und mittels Audioaufzeichnung und Kommentarfunktion erhoben werden. Quantitative Daten lassen sich direkt auf der digitalen Netzwerkkarte oder parallel dazu mit einem zuschaltbaren elektronischen Fragebogen erfassen. Der Interviewer kann im Vorfeld der Erhebung den digitalen Fragebogen und die digitale Netzwerkkarte konfigurieren und somit an die jeweilige Fragestellung anpassen. Bei einer nicht standardisierten Befragung, z.B. einem narrativen Interview, lassen sich alle Netzwerkkarten-Einstellungen auch während der Befragung durchführen: Abbildung 6 zeigt beispielsweise Informationen über lokale, nationale und transnationale Beziehungen und im Rahmen einer Präsentation später hinzugefügte Zusatzinformationen, wie z.B. der Hinweis auf Verstorbene, die von der Probandin als für sie noch wichtige Bezugspersonen im Netzwerkinterview genannt und deren (gestrichelte) Kante erst während des Interviews als zusätzliche Karteneigenschaft generiert wurde. Bei der visuellen Erhebung durch digitale Netzwerkkarten lautet das Prinzip „von der Grafik zu den Daten“, das bedeutet, dass alles, was auf der digitalen Netzwerkkarte gezeichnet wird, für weitere Auswertungen verwendet werden kann. Jede Aktion auf der digitalen Netzwerkkarte wird durch das Softwareprogramm protokolliert und kann nachträglich abgerufen und mit den Audioaufzeichnungen synchron wiedergegeben werden. Es besteht die Möglichkeit, relationale und auch nicht-relationale Attribute grafisch oder textuell darzustellen. Hinzu kommt, dass Knoten und Kanten in ihrer Darstellung frei konfigurierbar sind. Visuelle Variablen wie Größe, Form, Farbe und Textur können mit Attributwerten assoziiert und auf die Knoten und Kanten abgebildet werden. Neben den Knoten und Kanten lassen sich zusätzliche grafische Elemente, wie z.B. konzentrische Kreise, Sektoren, Kreisdiagramme und Landkarten hinzuschalten (Kronenwett 2010). Damit erweitert VennMaker die herkömmlichen Netzwerkkarten und schriftlichen bzw. mündlichen Befragungen und kombiniert beide Methoden. Auch lassen sich im Nachgang zum Interview die Netzwerkkarten im Rahmen wissenschaftlicher Präsentationen oder von Veröffentlichungen zur Hervorhebung zentraler oder dichter Information leicht weiterbearbeiten.
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5.
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V OR -
UND N ACHTEILE DIGITALER N ETZWERKKARTEN
Ein Vorteil digitaler Netzwerkkarten wie VennMaker ist, dass unterschiedliche Möglichkeiten für die Darstellung und Speicherung von Netzwerkkarten existieren. Beispielsweise können die Größe, Farben und Formen der Alteri fast unbegrenzt festgelegt werden. Auch Relationen zwischen Ego und Alter oder zwischen Alter und Alter sind fast unbegrenzt veränderbar. Damit sind die digitalen Netzwerkkarten flexibel an die jeweilige Interviewer-Situation anzupassen. Zweitens werden mit den visuellen Darstellungen parallel Audiodateien angelegt. Dies hat den Vorteil, dass während des Zeichnens alle gesprochenen Aussagen mit gespeichert werden. Bei der Analyse kann das Interview wie bei einem Film abgespielt und damit der Verlauf eins zu eins nochmals nachvollzogen werden. Dies erlaubt es, bestimmte Situationen erneut detailliert zu analysieren. Drittens können Zeitabschnitte mit digitalen Netzwerkkarten einfacher erhoben werden. Die Daten werden nicht dauerhaft fixiert, sondern können bei einem weiteren Interview zum Zeitpunkt X nochmals abgerufen und verändert werden. Viertens können die digitalen Netzwerkkarten sowie die erhobenen Daten sehr einfach per E-Mail an Dritte versendet werden. Dies erlaubt es, den Datensatz an verschiedenen Orten zu analysieren und auszuwerten. Fünftens werden während des Zeichens auch quantitative Daten aufgezeichnet. Diese können im Anschluss des Interviews statistisch ausgewertet werden. Es besteht also die Möglichkeit standardisiert vorzugehen und eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse (eine gewisse Größe der Stichprobe vorausgesetzt) zu erzeugen. Sechstens können digitale Netzwerkkarten für jede Form der öffentlichen Präsentation und Wissensvermittlung (bei Vorträgen oder im Rahmen von Publikationen) leicht eingebunden oder auch mit Zusatzinformation versehen werden. Die Nachteile digitaler Karten spiegeln sich in den Stärken der haptischen Erhebung: Nicht für jeden Interviewten sind digitale Netzwerkkarten gleichermaßen handhabbar. Für Personen aus bildungsfernen Schichten, ältere Menschen sowie Personen, für die der Umgang mit Computern eine Herausforderung darstellt, sind diese eher ungeeignet. Dasselbe gilt für Studien im ländlichen Entwicklungskontext Auch hier muss beachtet werden, für welche Personengruppen („Stakeholder“) die Handhabung eines Computers eine Hürde darstellt (bei Zielgruppen tendenziell Stadtferne, Ältere, bei den Projektmitarbeitern tendenziell statusniedrigere, wenig technikaffines Personal), aber auch, wo er sich gut eignet (z.B. für die Kommunikation zwischen Projektleitung und Mitarbeitern, im Rah-
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men von Projektübergaben, Evaluationen oder „politischen“ Veranstaltungen/ Präsentationen bei Entscheidungsträgern). Auch stellen sich profane logistische und technische Fragen. Man benötigt einen oder mehrere Computer bzw. Notebooks mit der richtigen Hardware. Diese technische Ausstattung erfordert vorhandene finanzielle Mittel, die in die Forschung eingepreist werden müssen. Auch spielt die örtliche Umgebung bei der Erhebung mit einem mobilen Gerät eine Rolle. Erhebungen digitaler Netzwerkkarten bei hellem Tageslicht im Freien werden zum Geduldsspiel für Befrager und Befragte, da das Display bei Sonneneinstrahlung spiegelt und die herrschenden Kontraste das Entziffern von Formen, Farben, Schrift und Positionen erschwert. Im Rahmen ethnologischer Feldforschungssituationen im Ausland wird der sichere Transport und die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des Notebooks, das für kommunikatives Arbeiten mindestens einen Durchmesser von 15 Zoll haben sollte, zu einer logistischen Herausforderung, sei dies aus Gewichtsgründen, möglichen Erschütterungen denen das Gerät beim Transport ausgesetzt ist, drohendem Diebstahl/Raub oder aufgrund der begrenzten Akkukapazität, die zeitnahen Zugang zu Stromquellen erfordert. Der Vorteil des haptischen Eindrucks bei interaktiven Whiteboards bzw. Touchscreens gegenüber der Eingabe mit einer Bildschirmmaus und Tastatur vermindert sich in Gruppenprozessen durch den vertikalen Aufbau der Erhebungsinstallation. Während die Partizipationschancen am Tisch mit Packpapier und verschiebbaren Knoten (Akteuren/Alteri) potentiell für alle Teilnehmer in gleichen Maß gegeben sind, hat an einer Tafel in der Regel immer nur eine Person gleichzeitig Zugriff auf das Netzwerkbild/die Netzwerkkarte. „Rede-“ und Entscheidungsanteile im Gruppenprozess werden dann wieder stärker über im Hintergrund wirksame Machthierarchien gesteuert.
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Abbildung 7: Viele Hände bringen sich ein
Quelle: Eigene Darstellung
Abbildung 8: Wer hält den Stab?
Quelle: Eigene Darstellung
Aus den Vorteilen der Aufzeichnungsdichte, der verschiedenen Aufzeichnungsebenen sowie der leichten Zugänglichkeit, Verarbeitbarkeit und elektronischen Versendbarkeit der Datensätze entstehen gleichzeitig die größten Probleme bezüglich der visuell vom Probanden verarbeitbaren Komplexität solcher Karten und auch bezüglich ethischer Herausforderungen. Für die Frage der Übersichtlichkeit solcher elektronischen Karten fragt Straus zu Recht: „Wie einfach müssen Netzwerkkarten sein, wie komplex dürfen Netzwerkkarten werden: Wann wird das sichtbar Gewordene wieder unsichtbar? Die paradoxe Anforderung lautet: Wir brauchen komplexere und zugleich einfachere Visualisierungen, die auch noch besser erklärt werden“ (Straus in diesem Band, S. 51).
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6.
F AZIT
UND EIN ETHISCH INFORMIERTER
AUSBLICK
Von Hand oder digital? Handgezeichnete Netzwerkkarten und -bilder werden immer ihre Funktion und ihren komparativen Vorteil behalten, wo Aushandlungsprozesse und das qualitativ-partizipative Moment im Vordergrund stehen, Gruppendynamik gefragt ist, das Klientel technikfern ist, „Haptik“ Teil des Erhebungsprozesses ist, die Kriterien wenig westlich sind, Nicht-Alphabetisierung kein Hinderungsgrund sein soll und allgemein die Bedingungen im Feld technikavers sind. Elektronische Visualisierung lohnt sich bei technikaffinem Klientel, wenn Vergleichbarkeit erforderlich ist, wenn viele Probanden befragt werden sollen (Massendaten), wenn Speicherung für einen späteren Vergleich (Monitoring und Evaluierung) wichtig ist, wenn Interviewsätze verschickt werden, wenn der Prozessablauf genauestens rekonstruierbar sein und wenn Bild und „O-Ton“ synchron ausgewertet werden sollen. Der Beitrag von Olivier in diesem Band zeigt, dass die beiden Erhebungs- und Auswertungsformen auch innerhalb unterschiedlicher Schritte im Forschungsprozess beide zum Einsatz kommen, und sich dabei sinnvoll ergänzen können. Für die Frage des Verlustes an Interaktivität bei vertikalen digitalen Lösungen arbeitet das Trierer Forschungsteam in Zusammenarbeit mit dem Team um Prof. Manfred Brill von der FH Kaiserslautern in einer Forschungsstudie derzeit an einer Alternative, das elektronische Tool in die Horizontale zurück zu bringen: Der interaktive Bildtisch oder Medientisch, wie er seit 2010 auf dem Markt ist, bietet sich als Hardware dafür an (vgl. Abbildung 9). Allerdings sprechen Preis und Gewicht dieser technischen Lösung derzeit noch nicht für einen Einsatz außerhalb von Forschungslaboren. Veröffentlichte Ergebnisse von Netzwerkanalysen werfen aufgrund ihres meist informellen Gegenstands schon bisher ethische Fragen auf (Borgatti/Molina 2003; Kadushin 2005). Die Missbrauchsanfälligkeit erhöht sich bei digital und audio-visuell erhobenen partizipativen und qualitativen Daten noch beträchtlich. Informierte Zustimmung, Anonymisierung und Datenschutz sind daher ganz zentrale Felder der weiteren Entwicklung digitaler Netzwerktools. So wären ethische „Gretchenfragen“ bei visueller Datenerhebung zumindest in folgenden, den Forschungsprozess begleitenden Schritten vom Forscher zu beantworten: Wer erhebt in wessen Auftrag, mit wessen Wissen und Zustimmung wessen Netzwerke, mit Hilfe welcher Quellen, mit welchem Ziel, zu wessen Nutzen und mit welchen Folgen? Wer bekommt in welcher Form die Ergebnisse und kann in welcher Weise darüber verfügen?
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Abbildung 9: VennMaker am interaktiven Bildtisch
Quelle: Eigene Darstellung
Bezogen auf ethische Fragen profitieren historisch arbeitende Netzwerkforscher – salopp gesprochen – von der „Gnade der späten Geburt“. Die Archivsperrzeiten nehmen ihnen einen Gutteil der Verantwortung für die Veröffentlichung sensibler Netzwerkdaten ab. Für manche gegenwartsorientierte Netzwerkforschungsfragen genügt es, auf bereits veröffentlichte Datensätze zuzugreifen, so wie z.B. FAS Research in Österreich, die auch für ihre geschäftliche Tätigkeit einen eigenen Ethik-Code für Netzwerkforscher entworfen haben. Auch in diesem Fall erwächst die Verantwortung nur aus dem unter Umständen brisanten Ergebnis der Zusammenführung vorher unvernetzt vorhandener, öffentlich zugänglicher Information. Für die sich in digitalen visuellen Erhebungsprozessen verstärkt aufdrängenden ethischen Fragen arbeitet die Trierer VennMaker-Forschungsgruppe an „technischen“ Lösungen. Zum einen besteht die Möglichkeit, zu jedem Zeitpunkt der Datenerfassung und -verarbeitung Klarnamen in Zahlen umzuwandeln. In einem weiteren Schritt können entweder die gespeicherten Datensätze insgesamt oder der Schritt der Rückführung in Klarnamen auf der Bildebene mit einem Pin-Code versehen werden. Je nach Setting verbleibt dieser Code beim erhebenden Wissenschaftler (Typ: Forschungssetting), oder aber beim Klienten (Typ: Beratungssetting), der diesen dann auch nur für die Zeit der Beratungen freigibt. Dies können jedoch nur erste Schritte in einer weitergehenden Debatte zur Ethik der Netzwerkanalyse im Informationszeitalter sein, die innerhalb der Netzwerkforscher/Innengemeinschaft noch viel zu wenig geführt wird.
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Konzepte der visuellen Erhebung von Egonetzwerken
Netzwerk und Narration Erfahrungen mit der computergestützten Erhebung qualitativer Egonetzwerke A NIKA N OACK UND T OBIAS S CHMIDT
Trotz einer deutlichen Dominanz von methodischen Beiträgen gegenüber der viel beklagten Theoriearmut in der Netzwerkforschung (vgl. Haas/Mützel 2008: 52), sind praxisbezogene Methodenberichte selten. Was fehlt, sind methodische Erfahrungsberichte, die den Forschungsprozess in seiner Gesamtheit – von der Vorbereitung über die Datenerhebung bis hin zur Analyse schildern und so einer kritischen Diskussion zugänglich machen. Notwendig erscheint dies insbesondere bei qualitativ und narrativ gewählten Zugängen, die inzwischen zwar zunehmend Akzeptanz innerhalb der Scientific Community genießen (Hollstein/ Straus 2006), sich aber deshalb umso mehr einer kritischen Betrachtung auszusetzen haben. Dies gilt vor allem für offen konzipierte, explorative Herangehensweisen. Um hier Verlässlichkeit und Plausibilität empirischer Befunde einschätzen zu können, sollte die Reflexion von methodischen Ansätzen und Auswertungsstrategien besonders sorgfältig erfolgen. Vor diesem Hintergrund diskutiert der Beitrag Potentiale narrativer Interviewtechniken im Rahmen einer computergestützten Erhebung von relationalen Netzwerkdaten. Auf der Basis eines ethnografischen Forschungsdesigns wird zunächst gefragt, wie ein Netzwerkerhebungsinstrument konzipiert sein muss, um die Befragten zu kognitiven narrativen Strukturierungsleistungen über ihre Netzwerkbeziehungen zu motivieren. Nachfolgend wird transparent gemacht, auf welche Weise relationale, narrationsgestützte Daten im Feld erhoben und ausgewertet wurden. Darin integriert ist die Darstellung eines eigenen, neuartigen Auswertungsdesigns für narrativ erhobene qualitative Netzwerkdaten, die erstmals unter kommunikationsanalytischen Gesichtspunkten hermeneutisch gedeu-
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tet wurden. Darüber hinaus werden abschließend Möglichkeiten und Grenzen narrativer Erhebungstechniken für die Rekonstruktion egobezogener Netzwerkbilder kritisch zusammengefasst.
1.
Q UALITATIVE , NARRATIONSGESTÜTZTE N ETZWERKERHEBUNG IM P ROJEKT „R AUMPIONIERE IM S TADTQUARTIER “
Das Projekt „Raumpioniere im Stadtquartier – Zur kommunikativen (Re-)Konstruktion von Räumen im Strukturwandel“ verfolgt einen wissenssoziologischen Ansatz. Es fragt, inwiefern in Stadtteilen mit besonderen Problemlagen so genannte Raumpioniere mit ihren spezifischen Handlungspotenzialen Raumkonstruktionsprozesse beeinflussen können. Eine entscheidende Frage ist dabei auch, weshalb Raumpioniere mit ihren eigenen Raumbildern vergleichsweise mehr Resonanz erzeugen können als andere Akteure und Akteursgruppen. Raumpioniere sind zu verstehen als solche Akteure und Akteursgruppen, die raumbezogen engagiert sind und damit Wirkmächtigkeit erzeugen. Sie werden ‚raumwirksam‘, indem sie mit eigenen raumbezogenen Vorstellungen, Ideen oder Konzepten andere bzw. bereits bestehende Sichtweisen auf Räume irritieren. Insofern können sie mit ihrem Engagement sozialräumliche Veränderungspotenziale eröffnen, zum Beispiel wenn es um die Verbesserung von Lebensqualität oder Identitäts- und Imagebildungsprozesse eines Stadtteils geht. Die Raumpioniere sowie die Stadtteile und Quartiere, in denen sie aktiv sind, werden mit einem ethnografischen Forschungsdesign untersucht. Dessen methodisches Repertoire umfasst problemzentrierte Interviews mit Einzelakteuren, teilnehmende Beobachtungen in ausgewählten Gruppen sowie Diskursanalysen zu gesammelten Dokumenten. Darüber hinaus wird ein eigener, qualitativer Netzwerkforschungsansatz verfolgt, um die engagementbezogenen Netzwerkbeziehungen einzelner Raumpioniere zu untersuchen. Einen wesentlichen Ausgangspunkt bildet dabei die Annahme, dass Raumpioniere offenbar nicht nur einfach in Netze ‚verwoben‘ sind, in denen sie mit verschiedenen Raumwissensbeständen konfrontiert werden; vielmehr sind Netzwerke grundsätzlich auch als kommunikative Foren für Raumpioniere und andere Akteure zu betrachten, in denen (nicht nur raumbezogenes) Wissen generiert, vermittelt und anschlussfähig gemacht wird (Christmann/Büttner 2011). Durchsetzungskraft und Handlungspotentiale von Raumpionieren werden zum einen auf Basis attributiver Merkmale untersucht, hinsichtlich ihrer Handlungsmotivationen, ihres Kommunikationsstils, ihres Bildungs- oder ökonomi-
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schen Kapitals, zum anderen auf Basis relationaler Beziehungsmerkmale, wie beispielsweise der Form, des Umfangs oder der spezifischen Positionen innerhalb von Beziehungsnetzwerken im Rahmen ihres Engagements. Wenn wir mithin das Handeln von Raumpionieren besser verstehen wollen, müssen wir neben ihren Handlungsmotiven, Relevanzsetzungen und Erwartungen gleichsam die Kontexte ihres Handelns mit rekonstruieren. Erst ihre Einbettung in Beziehungskontexte lässt nämlich erkennen, wie die Raumpioniere über ihre eigenen Raumbilder auf kollektive Wissensbestände einwirken, damit potentiell das Raumwissen als Grundlage sozialen Handelns anderer Akteure beeinflussen und Raumwirksamkeit entfalten. Dass sich das Handeln von Akteuren in Abhängigkeit von verschiedenen Beziehungskontexten unterscheidet, hat schließlich schon Georg Simmel betont, dessen Argumentation wir hiermit aufgreifen (Simmel 1983). Die Netze der Pioniere geben uns darüber hinaus Aufschluss über ihre Handlungsspielräume, ihre handlungsleitenden Logiken und Orientierungen. Als Sinnstrukturen, deren Knoten Schnittpunkte zwischen divergierenden Anteilen kultureller Wissensvorräte bilden, machen die Netze der Pioniere aufmerksam auf die spezifischen Settings an Sinn- und Weltdeutungsschemata der Individuen (vgl. Fuhse 2008: 2936). In diesem Sinn müssen relationale Merkmale mit einfließen, wenn geklärt werden soll, weshalb bestimmte Raumpioniere erfolgreicher sind als andere, warum gerade sie Ideen leichter verwirklichen und Veränderungsprozesse anregen können. Aus ihnen lassen sich Ressourcenpotenziale in Form von Sozialkapital generieren (vgl. Bourdieu 1983: 191).
2.
Z UR E NTWICKLUNG DES I NSTRUMENTS
2.1
Vorüberlegungen und Konzeptualisierung
Um Aussagen über potentielle Handlungskapazitäten oder wichtige Informationskanäle machen zu können, war es wichtig, relevante Netzwerkschnittstellen, die Raumpionieren zur Verfügung stehen, zu identifizieren. Eine relationale Perspektive vermag auch auf Fragen nach zum Teil latenten Machtstrukturen Antwort zu geben. Prinzipiell wäre es denkbar, im Untersuchungsfeld Stadtquartier eine Topographie feldspezifischer Gesamtnetzwerke mit formalen Netzwerkanalysen zu erheben und auszuwerten (beispielsweise mit Hilfe der Blockmodellanalyse, um zentrale Positionen lokal engagierter Akteure zu identifizieren). Auf eine Erhebung von Gesamtnetzwerken sowie eine formale Netzwerkanalyse wurde je-
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doch aus zweierlei Gründen verzichtet: Zum einen ließ bereits der ethnografische Ansatz des Projekts begründete Rückschlüsse darauf erwarten, ob ein Raumpionier beispielsweise über besondere Durchsetzungskraft hinsichtlich seiner Raumbilder verfügt. Darüber sollten mit Hilfe eines triangulativen Vorgehens1 im Sinne einer fokussierten Ethnografie (Knoblauch 2001) neben problemzentrierten Einzelinterviews insbesondere umfangreiche teilnehmende Beobachtungen im Feld und Diskursanalysen zu gesammelten Dokumenten Auskunft geben. Dieses qualitative Vorgehen war uns wichtig, denn erst „[m]it der qualitativen Netzwerkanalyse erschließt man das Netzwerk der Interaktionen, wie es sich aus der Sicht des befragten Akteurs ergibt. Genau diese Sicht liegt auch seinen Interventionen zu Grunde.“ (Häussling 2006: 148) Quantitative Ansätze und Befragungen einer Vielzahl von Alteri hätten zum zweiten einen erheblichen empirischen Mehraufwand bedeutet. Vor allem aber würden bei der quantitativen Untersuchung von Gesamtnetzwerken neben dem Problem einer validen Abgrenzung „Beziehungen außerhalb der untersuchten Menge nicht berücksichtigt“ (Schnegg/Lang 2001: 7). „Es wäre also zu klären, ob die Forschungsfrage auf Aussagen über ein abgegrenztes soziales System abzielt oder über die soziale Einbettung von bestimmten Akteuren.“ (ebd.: 13) Da unsere Netzwerkerhebung zum Ziel hatte, etwaige individuelle Handlungsoptionen von Raumpionier-Akteuren möglichst im Kontext ihrer sozialen Einbettung zu rekonstruieren, lag die Entscheidung, egozentrierte Netzwerke in den Blick zu nehmen, auf der Hand. 2.1.1 Leitfadenentwicklung Das qualitativ ausgerichtete Netzwerkkonzept legte für die Entwicklung eines entsprechenden Leitfadens nahe, diesen auf die systematische Erschließung der relevanten Beziehungen, ihrer Semantik und die Rekonstruktion der handlungsleitenden Akteursperspektiven auszurichten. Die Vernetzungsaspekte sollten in den Leitfaden des problemzentrierten Interviews Eingang finden, um die Vorteile narrativer, sinnrekonstruierender Erhebungstechniken auch für die Erfassung netzwerkbezogener Daten zu nutzen – aber auch, um zusätzliche Erhebungstermine zu vermeiden. Wie das problemzentrierte Interview hatte dann auch die Konzeption eines Leitfadenabschnitts zur Netzwerkerhebung näherungsweise den idealtypischen Phasen eines narrativen Interviews zu genügen (vgl. Rosenthal 2005: 143ff.), um Befragte nach Nennung ihrer Projektkontakte über die
1
Zu „Möglichkeiten der Triangulation quantitativer und qualitativer Methoden in der Netzwerkanalyse“ vgl. auch den Beitrag unter diesem Titel von Franke/Wald in Hollstein/Straus 2006.
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„Zugzwänge des Erzählens“ (Rosenthal 2005: 141) zur weiteren Erläuterung und Plausibilisierung ihrer Sicht auf die sozialen Beziehungen zu diesen Alteri anzuregen. Unter Aufforderung zum lauten Nachdenken sollte die Externalisierung subjektiver Sinnsetzungsprozesse im Rahmen des Gesprächs erfolgen. Diese Gespräche sollten dann per Audioaufzeichnung einer hermeneutischen Analyse zugänglich gemacht werden Auf vorstrukturierende Elemente bei der Erhebung, wie beispielsweise Kreissegmente (Kahn/Antonucci 1980), wurde dabei bewusst verzichtet, ebenso auf klassische Namensgeneratoren wie von Burt (1984) oder Fischer (1982). Schließlich sollten die Strukturierungsleistungen stärker bei den Befragten verbleiben und sich möglichst eng entlang deren Relevanzstrukturen bewegen. Der Interviewleitfaden diente als grobe thematische Leitlinie, mit der der Interviewer abhängig vom Gesprächsverlauf offen umzugehen hatte. Interessierende Fragen – etwa zu lokalen Schlüsselfiguren – waren entsprechend über offene Fragen zu operationalisieren („Wenn sie hier ein Projekt oder eine Idee vor Ort umsetzen wollen – wen halten sie da für besonders wichtig?“). Sie hatten nach Möglichkeit situativ angepasst und den Relevanzsetzungen der Befragten angemessen zu erfolgen. Im Fall größerer Schwierigkeiten von Befragten, beispielsweise die Beziehungsqualitäten zu charakterisieren, war geplant, zunächst möglichst offen formulierte Fragen zu stellen (wie zum Beispiel „Wie würden sie das Verhältnis zu der genannten Person/Institution beschreiben?“). Gegebenenfalls sollten jedoch einige auf theoretischen Vorüberlegungen beruhende Kategorisierungen vorgeschlagen werden (freundschaftlich, ideell nah bzw. fern, hinderlich/blockierend, kooperativ, strategisch wichtig, finanzieller Bezug, hilfreich, ambivalent). Durch (Nach-)Fragen zu Projektzusammenhängen und dem raumbezogenen Engagement der Befragten sollten bereits die ersten Teile des problemzentrierten Interviews Narrationen ansteuern, insofern relevante Netzwerkkontakte im Projektkontext genannt wurden. Dies sollte Einstiegsstimuli in ein sogenanntes Netzwerkspiel2 als interne Nachfragen ermöglichen, indem die Probanden thematische Sequenzen zu Personen, Orten oder Institutionen, die im vorangegangenen Interview bereits angesprochen worden waren, nochmals unter Netzwerkaspekten aufgreifen konnten. Ziel war es, vertiefende Erzählungen zu stimulieren
2
Erste Inspirationen konnte hier ein einfaches, in Interviews integriertes Legespiel auf Papier bieten, das am SFB 580 „Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch“, Teilprojekt C4 an der Friedrich Schiller Universität Jena genutzt wurde (Corsten 2007).
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oder gegebenenfalls Nennungen von Alteri mit ähnlicher oder komplementärer Beziehungsqualität zu generieren. An Erzählungen und Generierung von Alteri in Form einzelner Personen, Institutionen und Orte sollten sich kurze Reflexionsphasen anschließen, die dem Befragten Zeit zum Nachdenken und dem Interviewer wiederholt Gelegenheit zum internem Nachfragen anhand von Notizen gaben. 2.1.2 Vom Papier zum Laptop Bei der Entwicklung eines feldtauglichen, narrativ eingebetteten Erhebungsinstruments mit den erforderlichen Qualitäten konnte kaum auf bestehende Konzepte zurückgegriffen werden. Anvisiert wurde zunächst eine technisch einfache, interaktive Konstruktion egozentrierter Netzwerkkarten auf einem weißen Blatt Papier mit Hilfe von Klebepunkten und Farbstiften. Auf einem leeren Bogen Papier sollten Klebepunkte und Quadrate unterschiedlicher Farben für Ego, seine Alteri sowie für Orte und Institutionen bereit gestellt, die Beziehungsqualität während der interaktiven Erstellung des Netzwerks durch handgezogene, farbliche Linien gekennzeichnet werden (beispielsweise rote Klebepunkte für personale Einzelakteure mit einer roten Verbindungslinie zwischen Ego und jenen Alteri, mit denen Ego sich in einer konflikthaften Beziehung sieht). Das fertige Egonetzwerk-Bild sollte fotografisch, das gesamte Interaktionsgeschehen als Audioaufnahme dokumentiert werden.3 Seit Mitte 2009 lag jedoch im Projekt eine frühe Testversion der Software VennMaker vor. VennMaker wurde entwickelt, um insbesondere akteurszentrierte qualitative Netzwerkdaten computergestützt erheben, darstellen und auswerten zu können.4 Das Programm erlaubt die Audio-Aufnahme der InterviewKonversation simultan zu einer Videodokumentation des Bildschirmgeschehens während der Netzwerkkonstruktion5 – was, wie angestrebt, eine hermeneutische, sequenzielle Analyse von Konversationsgeschehen und Netzwerkkonstruktion gestattet.
3
Eine Videoaufzeichnung wurde verworfen, um für die Befragten eine möglichst entspannte Gesprächsatmosphäre sicher zu stellen und mögliche Interviewabbrüche zu vermeiden.
4
Das Tool VennMaker wurde im Rahmen des Forschungsclusters „Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke“ an der Universität Trier entwickelt.
5
Da während eines Großteils der Erhebungsphase lediglich eine Betaversion der Software vorlag, konnte auf die integrierte Audioaufnahmefunktion des Programms nicht von Anfang zurückgegriffen werden. Stattdessen wurden für den Audiomitschnitt externe Aufnahmegeräte genutzt.
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Um in der kommunikationsintensiven Erhebungssituation dennoch annähernd eine Flexibilität wie mit Stift und Papier zu erreichen, wurde im Projekt die Programmoberfläche von VennMaker über den Modus „Free Network Drawing“ gemäß der ursprünglich anvisierten Papierversion für die Interviewer vorkonfiguriert. Eine auch während des Zuhörens und Sprechens noch einfach zu bedienende Menüleiste umfasste als Items hinsichtlich der Namensgeneratorfunktion die Akteurstypen Ego, Einzelakteure, Gruppen/Institutionen und Orte.6 Ebenso wie hinsichtlich der Nennung der Alteri war auch hinsichtlich der Namensinterpretation bei narrativen Erhebungstechniken damit zu rechnen, dass sich die Qualitäten vieler der sozialen Beziehungen mitunter unmittelbar aus dem Gespräch heraus erschließen würden. Für eine schnelle (vorläufige) Klassifizierung wurden dem Interviewer deshalb vorab Buttons mit einfachen Kategorien über die Menüleiste zur Verfügung gestellt, um den Befragten nicht im Erzählfluss unterbrechen zu müssen. Derartige Kategorien waren allerdings flexibel und manuell jederzeit der Einschätzung der Befragten anpassbar. So wurden diese Kategorisierungen häufig gemeinsam mit den Befragten im Interview selbst modifiziert, neue hinzugefügt und die Menüauswahl so im Forschungsverlauf empirienah erweitert.
3.
E RHEBUNGSSITUATION UND U NTERSUCHUNGSAUFBAU
In der Erhebungssituation schließlich zeigt ein Blanko, das den Befragten zum Einstieg ins Netzwerkspiel als an die Wand projiziertes Bild präsentiert wird, lediglich eine Ego-Figur auf einer planen Fläche. Vor dem Beamerbild stehend oder sitzend, instruiert der Befragte den Interviewer am Laptop, welche Items
6
Raum verstehen wir als relationales Gefüge. Dabei folgen wir relationalen Raumtheorien, wie sie (in Erweiterung von Giddens’ Strukturationstheorie) insbesondere von Löw 2001 vorgelegt wurden (dies. Raumsoziologie, Frankfurt am Main 2001). Insofern dabei Orte gewissermaßen auch die sozioräumlichen ‚Umschlagplätze‘ von Raumwissen darstellen, wurden sie als relevante soziale Brennpunkte in die Erhebung des Netzwerkspiels einbezogen (das können dann aber beispielsweise auch Internetforen sein).
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Abbildung 1: Untersuchungsaufbau
Quelle: Eigene Darstellung
(Einzelakteure, Gruppen/Institutionen, Orte) in welchen Konstellationen zueinander ins Netzwerkbild aufzunehmen sind. In einem zweiten Schritt erfolgt die narrative Klärung der jeweiligen Beziehungsqualitäten von Ego zu den einzelnen genannten Alteri. Die Elizitierung subjektiven Sinns seitens des Befragten wurde im Konstruktionsprozess des Netzwerkes in der Situation des Gespräches über regelmäßige Aufforderungen zum lauten Denken (Huber/Mandl 1994; Richardson 1996) zusätzlich angeregt. Befragte waren außerdem dazu angehalten, genannte Items in der Art nach Nähe und Distanz zu (re)arrangieren, damit die entstehende Topografie des Netzwerkbildes die Nähe abbildet, die dem Befragten zwischen sich und den einzelnen Alteri aus seiner Sicht angemessen erscheint. Auch hierbei war es weniger Ziel, Kategorien vorzugeben, die zur Einschätzung der Nähe (oder eben Ferne) heranzuziehen sind.
4.
E INE FALLREKONSTRUKTIVE AUSWERTUNGSSTRATEGIE
Die weitgehende Vermeidung vorgegebener Kategorien im Datenerhebungsprozess wird bei der Datenauswertung wieder relevant. Hier muss es innerhalb einer Forschergruppe darum gehen, Intersubjektivität herzustellen, um subjektivistische Fehlschlüsse in der Analyse nach Möglichkeit auszuschließen. Im Sinne ei-
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ner Angabe gültiger Prüfkriterien soll deshalb auch die fallrekonstruktive Auswertungsstrategie des Projekts geschildert werden. Bei der Auswertung der egozentrierten Netzwerkbilder verbindet sich ein wissenssoziologisch-hermeneutischer Ansatz (Schröer 1997) mit sequentiellen Analysen der Interviewkonversation. In Modifikation dessen, was Arnulf Deppermann für die ethnografische Gesprächsanalyse vorgeschlagen hat (Deppermann 2000; Deppermann/Schmitt 2009), beginnt die Analyse in der Regel über eine Deutung des Netzwerkbildes durch jene Mitglieder der Forschergruppe, die nicht in die Feldexploration und Datenerhebung eingebunden waren. Dieses Ausblenden ethnografischen Vorwissens gewährleistet einen Ausgangspunkt für erste Strukturhypothesen, beispielsweise anhand von Mengenverhältnissen zwischen Einzelkontakten, Kontakten zu Gruppen und Institutionen oder hinsichtlich Auffälligkeiten in Nähe-Distanz-Mustern oder Beziehungsqualitäten. Über globale Hypothesen entstehen erste Systematisierungsversuche anhand der auffälligsten Merkmale. Auf Material erschließende Weise legen sie auch gleichzeitig erste theoretisch begründete Fallvergleiche (theoretical sampling) nahe. Unter Berücksichtigung solcher merkmalsspezifischer Gruppierungen unterschiedlicher Netzwerkbilder erfolgt eine datengeleitete Validierung und Modifizierung der Strukturhypothesen. Dazu wird sukzessive ethnografisches Wissen anderer Mitglieder der Forschergruppe in den Interpretationsprozess einbezogen, Interviewsequenzen herangezogen oder etwa Befunde von Diskursanalysen integriert (Neumann/Schmidt 2011). Das Team kann beispielsweise verstärkt Kategorien der Beziehungsqualität oder das Verhältnis von uni- und multiplexen Beziehungen im Netzwerk betrachten, um Aussagen über die Relation von weak und strong ties zu treffen. Das wiederum lässt Schlussfolgerungen im Hinblick auf das Sozialkapital der Raumpioniere als Voraussetzung für deren Resonanzleistungen im Raum zu. Auch für derartige Fallstrukturhypothesen gilt, dass sie erst unter Bezugnahme auf das weitere ethnografische Material bestätigt, modifiziert oder verworfen werden können. Auf diese Weise lässt sich „im Sinne einer hermeneutischen Spirale zwischen Induktion und Deduktion pendelnd […] – von der strukturhermeneutischen Deutung der Netzwerkbilder ausgehend – eine Grounded Theory (vgl. Mey/Mruck 2007) der Vernetzungs-, Kooperations- und Kommunikationsstrukturen von Raumpionieren in ihren raumbezogenen Projekten entwickeln.“ (Neumann/Schmidt 2011)
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5.
K RITISCHE R EFLEXION ZUR NARRATIVEN N ETZWERKERHEBUNG
Eine Verbindung von Netzwerkforschung und Narration stellt vielfältige Anforderungen. Diese betreffen nicht nur die Konzeption des Namensgenerators, des Leitfadens und die Interviewführung, sondern auch den Umgang mit der Interviewsituation sowie – in diesem Projekt – die Entwicklung der Erhebungssoftware. Den Umgang mit diesen Anforderungen verdeutlicht nun die kritische Reflexion zur narrativen Netzwerkerhebung. Diese spiegelt die Auseinandersetzung mit folgenden Fragen wider: Hat sich das Leitfadenkonzept hinsichtlich narrativer Impulse bei der Netzwerkerhebung als vorteilhaft erwiesen? Wie werden Narrationen von Befragten durch den Interviewer bzw. die konkrete Gesprächssituation beeinflusst? Welche Elemente des Leitfadenkonzepts zur Netzwerkerhebung haben sich als nachteilig bzw. besonders förderlich erwiesen bei dem Bemühen, über Narrationen sinngesättigte Netzwerkdaten erfassen zu können? 5.1
Offenheit des Leitfadens
Aufgrund des Narrationsanspruchs haben wir uns ganz bewusst gegen einen üblicherweise für die Erhebung relationaler Daten verwendeten Namensgenerator entschieden. Burt beispielsweise erzeugt lediglich Netzwerkpersonen, mit denen Ego persönlich wichtige Angelegenheiten der letzten sechs Monate bespricht (vgl. Schenk 1995: 32). Unsere Vermutung war hingegen – und diese hat sich im Ergebnis bestätigt – dass einige Akteure zwischen persönlich-privaten und engagementspezifischen, projektorientierten Kontakten unterscheiden. Ego bezieht folglich gerade nicht automatisch das Besprechen persönlich relevanter Angelegenheiten auf sein raumbezogenes Projekthandeln. Ego kann mit engagementbezogenen Akteuren für ihn persönlich wichtige Dinge besprechen, er muss und tut es jedoch nicht bzw. nicht immer. Darüber hinaus zeigt sich, dass es zur Erhebung projektrelevanter Kontakte nicht sinnvoll ist, sich zeitlich auf einen von vornherein festgelegten Rahmen zu beschränken (wie etwa sechs Monate). Die bewusste Entscheidung gegen Burt und Fischer hat schließlich auch in Bezug auf die Anzahl der Netzwerkkontakte ein offeneres Verfahren ermöglicht. So zeichnen sich egozentrierte, raumbezogene Projektnetzwerke im Durchschnitt durch eine wesentlich größere Anzahl an Netzwerkkontakten aus, als dies bei Burt (Ø 3) und Fischer (Ø 8) (vgl. Schenk 1995: 36) der Fall ist. Dies lässt allgemein den Schluss zu, dass projektbezogene Unterstützungsnetzwerke überdurchschnittlich groß zu sein scheinen, da die Akteure, um Projektideen anschieben
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und ihr Engagement aufrechterhalten zu können, viele, zumeist heterogene Kontaktpersonen benötigen. Ein Namensgenerator, der Ego weitgehend die Strukturierung für ihn wichtiger Netzwerkpartner überlässt, muss auch in ein Interviewformat eingebettet sein, das subjektiven Situationsdeutungen und Argumentationsmustern genügend Raum lässt. Mit dem weitgehenden Verzicht auf standardisierte Vorgaben lässt sich die Reihenfolge und Gestaltung der Fragen flexibel handhaben, so dass den Gesprächspartnern eine größtmögliche Offenheit in ihrem Antwortverhalten zugestanden werden kann (vgl. Lamnek 2005: 352). Die weitgehend offene Interviewführung und das explorative Vorgehen ermöglichen es, bisher unbekannte Sachverhalte zu entdecken und scheinen bei der Erschließung eines neuen Untersuchungsgegenstands wie den Raumpionieren in Stadtquartieren angemessen. Durch diese Vorgehensweise wird eine hohe Inhaltsvalidität und ein tieferer Informationsgehalt der Ergebnisse erreicht, ohne allerdings repräsentative und zahlenmäßige Aussagen machen zu können. Je näher die Methode allerdings an den Relevanzsetzungen der befragten Individuen ansetzt, desto wichtiger werden zum einen forschungsethische Aspekte, die von der Wahrung des Anonymisierungsgebotes bis hin zum vertrauensvollen und datenschutzrechtlich einwandfreiem Umgang mit den Informationen über die Probanden reichen (vgl. Schönhuth 2009: 30f.). Zum anderen stellt die weitgehende Selbstbestimmung des Interviewfokus‘ durch den Befragten (vgl. Lamnek 2005: 21) die Interviewer vor spezifische Herausforderungen. 5.2
Interviewereffekte
Die Interviewführung kann direkte Effekte auf die Ergebnisse einer Befragung haben (vgl. Diekmann 2004: 399 ff.). Angesichts der weitgehenden Offenheit des Leitfadens waren durchaus sehr unterschiedliche Herangehensweisen der Interviewer festzustellen. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass dieser Umstand die Gestalt von Egonetzwerk-Abbildungen mit beeinflusst hat. Ein Teil der instruierten Interviewer hat es zum Beispiel bevorzugt – ähnlich einer klassischen Abfolge von Namensgeneratoren-Fragen – zunächst alle für das Netzwerk relevanten Akteure, Akteursgruppen und Orte zu sammeln, um erst im Anschluss der Reihe nach die Beziehungsinhalte zu qualifizieren. In anderen Interviews wurde der Inhalt der Beziehungskante zwischen Ego und dem jeweiligen Alter direkt im Anschluss an die Nennung des Namens thematisiert. Konsequenz des letzteren Vorgehens mag sein, dass der Befragte aufgrund des sich sofort anschließenden Nachdenkens über die Art der Interaktionsbeziehung zu einem Alter in seinen Kognitionen zu anderen netzwerkrelevanten
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Akteuren unterbrochen wird, so dass diese während des Interviews nicht mehr erinnert und somit auch nicht Teil des Netzwerkes werden. Da sich Ego aber zumindest an zentrale Netzwerkpersonen tendenziell erinnert, ist die Validität dieser Fragetechnik nicht grundsätzlich eingeschränkt. Bei ersterem Vorgehen, d.h. der Nennung der Alteri, ohne sogleich die Beziehungsinhalte anzugeben, war die Entstehung von Interviewpassagen, die einer bloßen Abfrage von Beziehungspartnern gleichen, möglich. In allen Fällen wurden jedoch gute Erfahrungen hinsichtlich der Stimulation von Narrationen gemacht, insofern Beziehungsgeschichten grundsätzlich akteursbezogen reflektiert und damit auch Veränderungen von Sozialbeziehungen nachgezeichnet werden konnten. Denn ungeachtet der Reihenfolge der Fragen stand für die Interviewer der Versuch im Vordergrund, im Gesprächsverlauf primär die Relevanzsetzungen der Befragten und deren Narrationsgewohnheiten zu berücksichtigen. Für die Vergleichbarkeit der Egonetzwerke anhand objektiver Strukturmerkmale bedeutet dies, dass eine vergleichende Analyse einzelner Netzwerkbilder im Auswertungsprozess stets die Konstruktionsbedingungen mit einbeziehen muss. 5.3
Interviewsituation
Auch aus eher technischer Sicht waren Flexibilität und Anpassungsbereitschaft während der Interviewsituation gefordert. Denn so vorteilhaft ein computergestützter Untersuchungsaufbau für Dokumentation und Auswertung von Daten ist, so problematisch kann ein hoher Technisierungsgrad in ethnografischen Erhebungssituationen sein. Zwar konnten beispielsweise fehlende Projektionsflächen für den Beamer oder zu wenige Steckdosen vor Ort durch mitgeführte Papierrollen oder Mehrfachsteckdosen kompensiert werden. Der Einfachheit halber wurde dennoch zunehmend auf eine Beamerprojektion verzichtet und die Netzwerkkonstruktion mit dem Befragten stattdessen am Laptop-Bildschirm vollzogen. Dass die Mehrzahl der Interviewpartner ebenso wie die Interviewer einen akademischen Hintergrund aufwiesen, darf dabei rückblickend als Vorteil gewertet werden. Einerseits war die soziale Distanz damit – von wenigen Ausnahmen abgesehen – vergleichsweise gering. In der Folge wurde so für gewöhnlich ein geringer Sitzabstand zum Interviewer akzeptiert. Zudem fielen Antworten bei eher sensiblen Gesprächsgegenständen – wie das zum Teil auf narrativ zu beantwortende Beziehungsfragen zutrifft – im Allgemeinen weniger verzerrt aus (vgl. Diekmann 2004: 399). Andererseits waren unter den Interviewten nur vergleichsweise geringe Berührungsängste mit dem technisierten Untersuchungsaufbau festzustellen. Dennoch sollte beim Einsatz computergestützter Untersu-
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chungsaufbauten gerade die Technikaffinität unterschiedlicher Kohorten von Anfang an bei der Entwicklung des Instruments berücksichtigt werden. Neben dem Anonymitätsproblem bei der Benennung und Qualifizierung von Netzwerkkontakten stellen sich mit dem vorliegenden Untersuchungsaufbau vor allem in öffentlichen Erhebungssituationen (wie beispielsweise Gaststätten) praktische Probleme. Diskretion ist bei einer Netzwerkkonstruktion mit Hilfe der Beamerprojektion in der Öffentlichkeit kaum möglich. Spontan konnte jedoch unter gemeinsamer Nutzung des Bildschirms ohne Beamer eine vertrauensvollere Gesprächssituation geschaffen werden. Im öffentlichen Raum kann grundsätzlich auch die Anwesenheit Dritter in einzelnen Fällen durchaus zu Verzerrungen im Antwortverhalten der Interviewpartner (vgl. Diekmann 2004: 401) geführt haben. Denn in einigen Erhebungssituationen sind im Verlauf von Interview und Netzwerkspiel dritte Personen hinzugetreten und haben mit der befragten Person kommuniziert. Eine Verzerrung des Antwortverhaltens in Richtung auf soziale Erwünschtheit im Beisein Dritter konnte zwar vermieden werden, da in der Regel das Interview unterbrochen wurde. Die Unterbrechung der Aufnahme stellt allerdings gleichzeitig eine störende Unterbrechung des Narrationsflusses in der Gesprächssituation des Interviews dar. Dies ist ein grundsätzliches Problem bei Interviewerhebungen in einem ethnografischen Rahmen und trifft damit selbstverständlich auch auf die narrative Netzwerkerhebung zu. Leider ließen sich solche Schwierigkeiten im Forschungsprozess nur bedingt kontrollieren. Demgegenüber bieten allerdings nicht zuletzt die Interviewerhebungen im lebensweltlichen Kontext die Chance, ethnografisches Wissen über die Wohn- und Lebensumgebung zu sammeln, was für die Typisierung von Akteur und Netzwerk aufschlussreich sein kann. 5.4
Akteursbezogen statt egozentriert
Als Narrationen einschränkend hat sich die vorgegeben zentrale Stellung des Ego-Akteurs in der Mitte seines Netzwerkbildes erwiesen. Damit wurde eine narrative Selbstpositionierung Egos in seinem Netzwerk als individuelle, egobezogene Strukturierungsleistung systematisch ausgeschlossen und ein aufschlussreicher Blickwinkel auf die Positionierungsleistung Egos verstellt. Denn im Hinblick auf Nähe-Distanz-Konstellationen, Zugehörigkeiten und Eigenbeurteilungen wäre ein Wissen um die Selbstverortung Egos in seinem Netzwerk aufschlussreich gewesen, wenn auch die Zentrierung Egos wohl keine negativen Effekte hinsichtlich der Integration für ihn wichtiger Netzwerkpersonen hatte. Konsequenterweise müsste ein Erhebungsinstrument, das mit der Positionierung von Ego offen umgehen und diese dem Befragten überlassen möchte, egobezo-
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gen statt egozentriert arbeiten. Rekonstruktionen von Egonetzwerken entstehen schließlich aus der Perspektive einer Person, die sich zwar zu ihren Alteri in Beziehung, aber nicht zwangsläufig in den Mittelpunkt ihrer Netzwerkbeziehungen setzt. 5.5
Reflexionsphasen
Eine abschließende Reflexionsphase am Ende des Netzwerkspiels hat sich als in narrativer Hinsicht besonders vorteilhaft erwiesen, da das Netzwerkbild bis zum Abschluss des Gesprächs zu sehen ist und zu vertiefender Reflexion der gesamten Netzwerktopografie einlädt. Auch gezielte Nachfragen des Interviewers anhand der Gesprächsnotizen boten hier nochmals zahlreiche Anknüpfungspunkte über die Gesamtansicht der konkretisierten Netzwerkkontakte. So konnte mit der Erhebung die Selbsteinschätzung des Befragten hinsichtlich seiner Projektbeziehungen nicht nur abstrakt erfragt, sondern unmittelbar plastisch über das entstandene Netzwerkbild mit erfasst werden. Das führte häufig bereits innerhalb der Interviewsituation zu überraschenden – und damit Erzählungen anregenden – Beobachtungen für die Befragten selbst.
6.
N ETZWERKERHEBUNGEN ALS N ARRATIONSGENERATOREN
Rückblickend leistet die narrative Erfassung von Netzwerkkontakten und ihrer Beziehungsqualitäten durchaus eine Einbettung in situative Kontexte und sorgt so bereits für eine gewisse ‚Tiefe‘ der Daten. Denn gegenüber anderen Textsorten wie Argumentation oder Bericht ist die Erzählung grundsätzlich an „eine bestimmte Zeit, einen bestimmten Ort und an eine bestimmte Person gebunden“ und weist damit den „höchsten Indexikalitäs- und Detaillierungsgrad auf“ (Rosenthal 2005: 139). Der Interpretation der erhobenen Netzwerkbilder eröffnet das die subjektiven Gehalte der sozialen Beziehungsstrukturen. In Kenntnis ihres Entstehungszusammenhangs erlaubt das auch Rückschlüsse auf die Dynamik und Entwicklung der individuellen Projektnetzwerke. Dem Anspruch, nicht nur zur Nennung von Namen, sondern zugleich zu Narrationen anzuregen, können vor allem konventionelle Fragebatterien nicht genügen. Will ein Netzwerkerhebungsansatz über punktuelle Erzählungen zu einzelnen Alteri hinaus zu einer umfangreicheren Darstellung von Netzwerkbeziehungen kommen, wäre auch die Notierung netzwerkartiger Sozialbeziehungen im Lauf eines problemzentrierten Interviews grundsätzlich möglich und
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sinnvoll. Eine ex-post-Visualisierung anhand dieser Notizen stellte dann allerdings eine Rekonstruktion des Interviewers dar, in die dessen Relevanzurteile einfließen. Solche Netzwerkbilder könnten natürlich bei begründeten Nachfragen dem Befragten als thematisch fokussierte Reflexionsgrundlage vorgelegt werden. Ein derartiges Vorgehen fiele dann allerdings hinter tatsächlich vom Befragten selbst konstruierte Netzwerkabbildungen zurück und würde insbesondere die heuristisch wertvolle Dokumentation der erläuternden ‚Selbsterklärungen‘ während der interaktiven Netzwerkerstellung verschenken, wie sie im vorliegenden Projektzusammenhang gewonnen werden konnte. Netzwerkerhebung und Narration stehen folglich nicht zwangsläufig in einem Spannungsverhältnis zueinander. Netzwerkerhebungen können im Gegenteil sogar einen partizipatorisch-reflexiven Akt befördern, indem sie zu Narrationen anregen (vgl. Straus in diesem Band). Da sie im Moment der Befragung selbst und nicht kognitiv abgekoppelt davon entstehen, können solche Netzwerkvisualisierungen die Befragten motivieren, ausführlicher über ihre Beziehungspartner zu sprechen (vgl. Hollstein/Pfeffer 2006). Damit wirken Netzwerkerhebungen geradezu als Narrationsgeneratoren.
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Papier trotz Laptop? Zur wechselseitigen Ergänzung von digitalen und haptischen Tools bei der qualitativen sozialen Netzwerkanalyse C LAUDIA O LIVIER
Die soziale Netzwerkanalyse hat sich innerhalb der empirischen Sozialforschung in den letzten Jahren merklich weiterentwickelt. Dominierten bisher formale Formen der Netzwerkanalyse, die auf quantitativen Analysen und Berechnungen der Netzwerkstrukturen beruhen, so ist im letzten halben Jahrzehnt die Zahl der qualitativen Studien enorm angestiegen (Hollstein/Straus 2006). Im Bereich der qualitativen Netzwerkanalyse (QNA) wurde bislang vor allem auf die Ebene der Datenerhebung fokussiert, für die verschiedene Instrumente und Vorgehensweisen angeboten werden. Dabei finden Verfahren Anwendung, die sich in Beratungskontexten im psychologischen und sozialen Bereich oder auch in Feldern der Entwicklungszusammenarbeit (etwa Venn-Diagramm, vgl. Schönhuth 2008) bewährt haben. Gemeinsam ist den Verfahren, dass sie in der Regel eine Kopplung von qualitativen Interviews und Netzwerkvisualisierung anbieten, wobei eine große Spannbreite von offenen bis hin zu standardisierten Tools vorhanden ist. Neben strukturierten Netzwerkkarten (NWK), die zumeist die interpersonale Umgebung eines Akteurs erfassen, also egozentriert aufgebaut sind (Boissevain 1979), und die mittels Papier und Stift oder auch mit Reißzwecken umgesetzt werden, gibt es offenere Verfahren, die entweder mit freien Zeichnungen von Hand auf Papier, als Legeverfahren mit Karten oder auch als Steckverfahren mit Figuren (z.B. Net-Map, vgl. Schiffer 2007 sowie in diesem Band) arbeiten (Straus 2002; Hollstein/Pfeffer 2010; Schönhuth in diesem Band). Bei der Durchführung der qualitativen Netzwerkanalyse bezieht sich die zentrale Frage vor allem darauf, wie der partizipative
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Gedanke in der Erhebungssituation umgesetzt und dabei die akteursspezifische Wahrnehmung und Bewertung adäquat eingefangen werden können. Neben der Fokussierung auf die Erhebung von Netzwerken ist die systematische Auswertung der Netzwerkdaten ein weiterer Bestandteil des Ansatzes der QNA. Die Betrachtung der Auswertungsmethodiken ist jedoch bislang ein kaum thematisierter Gegenstandsbereich, was sich vor allem an der fehlenden Entwicklung eines für die Zwecke der QNA geeigneten Verfahrens zeigt. Es werden bislang klassische qualitative, sozialwissenschaftliche Auswertungsstrategien wie z.B. die Inhaltsanalyse (Mayring 2000), die objektive Hermeneutik (Oevermann 1979), die Auswertung nach dem Forschungsansatz der Grounded Theory (Strauss/Corbin 1996; Glaser/Strauss 1998) oder die biographisch-induktive Analyse (Schütze 1983) herangezogen, um die Narrationsteile der QNA zu analysieren. Für eine Auswertung der Visualisierung, die neben Einzelbeziehungen den Fokus zudem auf die strukturelle Dimension legt, werden quantitative Verfahren verwendet, die mit Hilfe von netzwerkbezogenen Maßzahlen z.B. die Zentralität, die Netzwerkdichte, die Multiplexität und den Kohäsionsgrad berechnen sowie Sub-Gruppen, Cliquen und Cluster wie auch Brücken und Hubs identifizieren (vgl. Jansen 2000: 43ff.). Durch die Datentriangulation von mathematischen Methoden der formalen Netzwerkanalyse und interpretativen Verfahren der qualitativen Sozialforschung (Engler 1997) entstehen jedoch sogenannte „Mixed Methods-Designs“ (Hollstein/Straus 2006). Es ist somit neben der numerischen und objektiven Bewertung der Netzwerkvisualisierungen ein deutliches Defizit bei qualitativ-beschreibenden Verfahren von Netzwerkformationen zu registrieren. Die Entwicklung eines eigenen sukzessiven Analyseverfahrens der QNA, welches das Spannungsverhältnis von Narration (Interview) und Struktur (Visualisierung) aufzulösen vermag, ist bis dato nicht geglückt, was mitunter dem Mangel an geeigneten technischen Arbeitsmitteln geschuldet sein kann. Die technische Entwicklung wurde in den letzten Jahren jedoch verstärkt vorangetrieben. Es wurde an der Etablierung geeigneter computergestützter Tools für die Erhebung, Darstellung wie auch Analyse von Netzwerken gearbeitet. Die Tools VennMaker1 und EgoNet.QF2 sind zurzeit die dafür auf dem deutschen Markt vorherrschenden Programme. Damit stellen sie im deutschsprachigen
1
VennMaker wurde von einer Forschungsgruppe der Universität Trier und Mainz im Rahmen des Forschungsclusters „Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke“ entwickelt.
2
Das Tool EgoNet.QF wurde in einem Methodenprojekt zwischen den Universitäten Wien, München und Hamburg konzipiert.
P APIER TROTZ L APTOP?
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Raum die ersten technischen Hilfsmittel dar, die als Erhebungsinstrumente in der Netzwerkforschung und nicht nur wie bisher als mathematische Analyse- und zumeist Visualisierungstools genutzt werden können (z.B. UCINET, vgl. Borgatti/Everett/Freeman 2002). Die Instrumente ermöglichen neben den Errungenschaften auf der Erhebungsebene auch eine detailliertere Betrachtung der erhobenen Daten in der Auswertung. Somit könnten die digitalen Tools gleichsam dazu dienen, in der triangulativen und qualitativen Datenauswertung neue Wege zu beschreiten. Trotz der Innovationen bestehen jedoch auch weiterhin gute Gründe für die Entscheidung, traditionelle haptische Methoden bei der Erhebung wie auch der Analyse qualitativer Netzwerkdaten heranzuziehen. Der vorliegende Beitrag demonstriert am Beispiel einer Studie zur transnationalen Netzwerken und Migrationsbiographien3von BildungsremigrantInnen eine gekoppelte, sich wechselseitig ergänzende Anwendung von digitalen und haptischen visuellen Elementen zu unterschiedlichen Zeiten des Forschungsprozesses und diskutiert die jeweiligen methodischen Möglichkeiten und Grenzen für die qualitative soziale Netzwerkanalyse.
1.
D IE
EMPIRISCHE
S TUDIE
Die Ausführungen des vorliegenden Beitrages basieren auf den methodischen Erfahrungen, die im Rahmen eines Forschungsprojektes gesammelt wurden, das ghanaische RemigrantInnen aus Deutschland untersucht. Die empirischen Daten der Untersuchung, die im Kontext eines Dissertationsprojektes am DFG-Graduiertenkolleg Transnationale Soziale Unterstützung4 angesiedelt war, wurden von August bis Dezember 2009 in Ghana erhoben. Im Mittelpunkt der Untersuchung
3
Der Begriff der Migrationsbiographie wird umfassend für die Beschreibung der Migrationsgeschichte verwendet. Das zugrundeliegende Verständnis und die methodische Umsetzung unterscheiden sich prinzipiell von dem Ansatz der rekonstruktiven Biographieforschung und der narrativ-biographischen Analyse. Die Migrationsbiographie fokussiert lediglich den Ausschnitt der Gesamtbiographie, der durch Migrationsprozesse gekennzeichnet ist und richtet sich dabei nicht nur auf die Vergangenheit und dem bis dahin zurückgelegten Migrationsverlauf, sondern gleichsam auf die Gegenwart (aktuelle Lebenssituation) und die Zukunft (Zukunftsperspektive).
4
Das Graduiertenkolleg ist auf die empirische Untersuchung transnationaler sozialer Unterstützung ausgerichtet. Der Forschungsfokus richtet sich auf Unterstützungsprozesse im Kontext von Transmigration sowie auf die Rahmung und Initiierung von sozialer Unterstützung durch transnationale Organisationen.
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stand die Forschungsfrage: Welche transnationalen Muster können in Migrationsbiographien und persönlichen Netzwerken von ghanaischen RemigrantInnen beschrieben werden? Welche Bedeutung haben diese für die Akteure und welche Wechselbeziehungen bestehen zwischen den Migrationsbiographien und den sozialen Netzwerkstrukturen? Dabei wurde die Lebensführung sowie die transnationale soziale Einbettung der RemigrantInnen betrachtet. Zur Beantwortung der Forschungsfrage wurde methodisch in einem ersten Erhebungsschritt ein erzählgenerierendes, offenes Leitfadeninterview geführt. Mittels einer offenen Erzählaufforderung5 wurde eine verlaufsbezogene Erzählung ermöglicht und im Anschluss auf einzelne Themenbereiche fokussiert. Erst in einem zweiten Schritt kam die qualitative egozentrierte Netzwerkanalyse zum Einsatz, die in der Studie aus der Kopplung von drei Elementen bestand: Erstens einem semi-strukturiertem Interview, zweitens einer egozentrierten Netzwerkkarte und drittens einem Kurzfragebogen. Insgesamt wurden 32 erzählgenerierende Interviews geführt, 26 visuelle egozentrierte Netzwerkzeichnungen angefertigt und 32 Kurzfragebogen ausgefüllt. Neben der QNA und dem offenen Leitfadeninterview wurde die teilnehmende Beobachtung als Methode genutzt, um Hintergrundinformationen und Kenntnisse über die Lebenssituation der Akteure gewinnen zu können. Die teilnehmende Beobachtung wurde vor allem bei weiteren informellen Treffen mit den InterviewpartnerInnen, sowie bei Seminaren und Alumni-Treffen der RückkehrCommunity in Ghana durchgeführt. Die Feldbeobachtungen erfolgten offen, nicht standardisiert und variierten dabei zwischen einer aktiven und einer eher passiven Rolle im Feld – z.B. bei Vorträgen (Lüders 2001; Hauser-Schäublin 2003). Zusätzlich wurden nach der Erhebung der akteurszentrierten Daten Experteninterviews (Gläser/Laudel 2004) mit zentralen VertreterInnen von nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) geführt, die sich im Sektor der Migrationsund Remigrationspolitik in Ghana engagieren, um erste Ergebnisse zurückspiegeln und die empirischen Daten mit spezifischen Informationen über aktuelle Entwicklungen und Aktivitäten im migrationspolitischen Bereich in Ghana rückkoppeln zu können. Schwerpunkt des vorliegenden Beitrages bilden jedoch die Forschungserfahrungen bei der Erhebung und Analyse qualitativer Netzwerkdaten in diesem Forschungsprojekt.
5
„Ich würde zunächst gerne etwas über Sie und Ihr Leben erfahren. Könnten Sie damit beginnen, wie der Plan entstanden ist, nach Deutschland zu gehen, und die Zeit bis heute beschreiben? Mich interessiert alles, was Sie erzählen möchten und was für Sie wichtig ist.“
P APIER TROTZ L APTOP?
2.
E INSATZ VON HAPTISCHEN IM F ORSCHUNGSPROZESS
UND DIGITALEN
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T OOLS
Bei der Durchführung der Netzwerkanalyse war neben dem Datenformat des gesprochenen Wortes in Form von offenen Leitfadeninterviews die visuelle Darstellung des persönlichen Netzwerkes von zentraler Bedeutung. Im Forschungsprozess kamen zu verschiedenen Zeitpunkten divergente Visualisierungsinstrumente zum Einsatz. Neben der Anwendung von klassischen Netzwerkkarten in Papierform wurde das digitale Tool VennMaker zur Darstellung herangezogen. Bei den Anwendungen der Instrumente im Forschungsverlauf wird im Folgenden zwischen drei Zeitabschnitten unterschieden. 1. Phase der Vorbereitung 2. Phase der Erhebung 3. Phase der Analyse Das elektronische Instrument VennMaker wurde in der Vorbereitungsphase und die Papierform in der Erhebungssituation eingesetzt. In der Analysephase wurden VennMaker und die Papier-Variante in gleichem Maße herangezogen. Im Folgenden werden die einzelnen Phasen sowie der Einsatz und der Umgang mit den jeweiligen Tools genauer beleuchtet. 2.1
Einsatz von VennMaker bei der Vorbereitung
In Phase 1 der Forschung wurde VennMaker genutzt, um die egozentrierte Netzwerkkarte nach dem Social Convoy Model (Kahn/Antonucci 1980) zu entwerfen. Die Karte, die auch als Modell der konzentrischen Kreise (Hollstein/Straus 2006) bekannt ist, wurde jedoch in einer von der ursprünglichen Karte abgewandelten Form verwendet. Die Kreise wurden nicht, wie im Convoy-Modell üblich, mit dem Element Wichtigkeit und die Sektoren nicht mit Personengruppen (Alteri) belegt, um deren soziale Nähe zum Akteur (Ego) und die zusammenhängende Wahrnehmung der Alteri von Ego zu erfassen. Der Fokus wurde stattdessen auf die geografische Distanz und die Nationalität gelegt, um dadurch transnationale und transkulturelle Muster des jeweiligen Ego-Netzwerkes einfangen zu können. Dabei wurde die Karte in drei gleichgroße Sektoren unterteilt, die mit der Variable Nationalität belegt und in Ghanaer, Deutsche und andere Nationalitäten aufgeteilt wurde. Die vier konzentrischen Kreise wurden mit der Dimension räumliche Distanz besetzt, wobei der innerste Kreis für lokal, der zweite für
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Abbildung 1: Digital erstellte egozentrierte Netzwerkkarte
Quelle: Eigene Darstellung (erstellt mit VennMaker)
regional, der dritte für national und der äußerste für Ausland steht (siehe Abbildung 1). VennMaker wurde in der Phase der Vorbereitung somit als eine Art Zeichentool verwendet, um das vordefinierte, egozentrierte Netzwerkgerüst zu konstruieren. 2.2
Einsatz von Papier bei der Erhebung
Statt des Laptops wurde in der Erhebungsphase ein Ausdruck der mit VennMaker entworfenen Karte verwendet. Die Probanden trugen ihre Netzwerkkontakte darin mit farbigen Stiften ein. Nachfolgend werden zunächst Aufbau und Ablauf der QNA bei der Erfassung der Daten erörtert. Anschließend wird anhand der Argumentation über den adäquaten Einsatz von Erhebungsinstrumenten erläutert, warum sich in der Studie gegen eine Erhebung mit Hilfe des Laptop und für die klassische Papier-Version entschieden wurde.
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2.2.1 Durchführung der qualitativen Netzwerkerhebung Um den Übergang des offenen Leitfadeninterviews zur QNA zu gestalten, wurde zunächst ein Themenwechsel von der Fokussierung der Migrationsbiographie hin zu einer Thematisierung sozialer Beziehungen vorgenommen. Zu Beginn wurde die mit VennMaker erstellte und ausgedruckte Karte eingeführt und die Funktionen der Kreise und Sektoren sowie die Karte in ihrer Gesamtheit dem Probanden erläutert.6 Anschließend wurde der/die InterviewpartnerIn nach der eigenen Kategorisierung der Personen gefragt, die er/sie momentan zu seinem/ ihrem Netzwerk zählt (z.B. eigene Familie, erweiterte Familie, Schulfreunde, Alumni-Freunde, Arbeitskollegen etc.). Die Gruppierungen wurden farblich unterschieden und die Informationen auf einem Blatt festgehalten (z.B. eigene Familie: rot; erweiterte Familie: orange; Schulfreunde: braun, Alumni-Freunde: blau etc.). Erst im nächsten Schritt folgte ein Namensgenerator7, der auf die Personen des aktuellen persönlichen Netzwerkes fokussierte. Die genannten Personen wurden nacheinander farblich markiert eingetragen. Der Ablauf des Einzeichnens der Netzwerkkontakte und die weitere Gesprächsführung orientierten sich – obwohl jedes Interview individuell unterschiedlich verlief – an folgendem Ablauf: 1. Nennung und Einzeichnen der Alteri: Zumeist übernahm die Interviewerin am Anfang das Einzeichnen der Alteri, um die Verbindung zum Papier aufzubauen und beispielhaft den Ablauf zu demonstrieren. 2. Erfassung des Namens und der Attribute: Während des Einzeichnens einer Person wurden der Name und die Attribute (Nationalität, Wohnort, Geschlecht) genannt. Die Probanden übernahmen zumeist das Schreiben der Namen der Alteri auf der Karte. Somit war es ein gemeinsamer und verbindender Arbeitsprozess. Auffallend war, dass im Laufe
6
„Im Zentrum steht das Ich, also Sie. Die Kreise auf der Karte stehen für die räumliche Distanz (lokal, regional, national, Ausland). Die Karte ist in drei Bereiche unterteilt: in Ghanaer, Deutsche und andere Nationalitäten. Die Personen werden anhand dieser beiden Merkmale in die Karte eingetragen. Mich interessieren zudem auch weitere Informationen über die Personen und über die Art der Beziehung, die Sie zu den Personen haben. Das bedeutet, dass ich die Karte nun für den Rest unserer Unterhaltung nutzen möchte und wir mit dieser arbeiten können.“
7
„Mit welchen Personen stehen Sie zurzeit in Kontakt?“
Quelle: Eigene Erhebung
Abbildung 2: Von Hand eingezeichnetes Netzwerk auf vorkonstruierter Karte
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der Interviews zumeist die Aktivität des Probanden an der Karte deutlich zunahm. Die Karte wurde nicht nur angenommen, sondern sozusagen übernommen. Die Interviewerin stellte dann ihre Zeichenaktivität ein und partizipierte nur noch in verbaler Form. 3. Generierung von Erzählungen: Im Anschluss wurden durch spezifisches Nachfragen weitere Erzählungen zu den Personen sowie der Art und dem Hintergrund der Beziehungen generiert (z.B. „Seit wann kennen Sie sich?“, „Wie haben Sie sich kennengelernt?“, „Welche Geschichte fällt Ihnen ein, die Sie mit der Person verbindet?“ etc.). Nacheinander wurden so alle für den Akteur relevanten Personen im Netzwerk aufgenommen. 4. Kontakte zu Organisationen: Im Weiteren wurden nach den Beziehungen zu den Individuen auch Kontakte zu Organisationen erfasst. 5. Einzeichnen der Alter-Alter-Beziehungen: Im fortschreitenden Verlauf des Netzwerkinterviews wurden die Beziehungen der Akteure im Netzwerk untereinander, die sogenannten Alter-Alter-Relationen, eingetragen, um die Netzwerkstruktur zu erfassen und Aussagen über den Zusammenhang von Netzwerkstrukturen, Gelegenheitsstrukturen und Handlungsstrategien (Agency) machen zu können (vgl. Diaz-Bone 2007: 26; siehe Abbildung 2). 6. Stellen der Namensinterpretatoren: Es wurden weitere Nachfragen zu sozialen Unterstützungsleistungen, zur Wichtigkeit und Nähe der Personen gestellt, sowie konflikthafte Beziehungen identifiziert und soziale Belastungen thematisiert (z.B. „Wer unterstützt Sie in Ihrer momentanen Lebenssituation?“, „Wer sind für Sie die emotional wichtigsten Personen im Netzwerk?“, „Gibt es jemanden, der Ihre Hilfe benötigt?“ etc.). 7. Reflexion über die Karte: Die Arbeit mit der Karte mündete in eine gemeinsame Reflexion mit der interviewten Person über das eingezeichnete Netzwerk und dessen Konstellationen, was zumeist einen erweiterten Erkenntnisprozess auf beiden Seiten beförderte (z.B. „Wie bewerten Sie Ihr eigenes Netzwerk?“, „Möchten Sie in Zukunft etwas in Bezug auf Ihre sozialen Kontakte ändern?“ etc.). Nach Abschluss der Visualisierung des Netzwerkes folgten Abschlussfragen bezüglich der Bedeutung der Rückkehr und den Zukunftsvorstellungen der Akteure. Die Erhebung endete mit dem Ausfüllen eines Kurzfragebogens, der die so-
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zio-demografischen Daten und die transnationalen Bewegungen der Interviewten beinhaltete. 2.2.2 Adäquater Einsatz von Erhebungsinstrumenten Die Wahl des Erhebungsverfahrens, von Hand oder per Computer, ist von diversen Forschungsfaktoren abhängig. Die Bedingungen des Forschungsfeldes und die zielgruppenspezifischen Merkmale stellen diesbezüglich eine relevante allgemeinere Dimension dar, die im Vorfeld Hinweise geben kann, welches Erhebungsverfahren angemessen ist und herangezogen werden sollte. Zudem gibt es die individuelle Dimension der Interviewsituation, die sich von Interview zu Interview unterscheidet und es im Vorhinein nicht beurteilbar ist, ob die Anwendung des Erhebungsinstrumentes für die Erhebungssituation adäquat sein wird oder nicht. 2.2.3 Forschungsfeld und Zielgruppe Als soziodemografische Merkmale der Zielgruppe sind in der vorliegenden Studie Bildungsstand, Geschlecht, Sprachkenntnisse und Erfahrungen im Umgang mit digitalen Medien zu nennen. Als BildungsmigrantInnen, die in Deutschland ihre Ausbildung absolviert haben und anschließend nach Ghana zurückgekehrt sind, ist die Zielgruppe durch ein hohes Bildungsniveau gekennzeichnet. Die Hälfte des Samples (16 von 32 Personen), hat einen Masterabschluss in Deutschland erworben. Mit zehn Personen stellen die in Deutschland Promovierten die zweitgrößte Gruppe dar. Studierende, die ein Diplom, einen Bachelor oder eine berufliche Weiterbildung erworben haben, bilden mit sechs Personen die Minderheit im Sample. Vier Fünftel der interviewten Personen sind männlich, ein Fünftel weiblich. Aufgrund der zumeist in internationalen englischsprachigen Studiengängen erworbenen Abschlüsse, waren die Englischkenntnisse durchweg gut bis sehr gut, Deutschkenntnisse jedoch nur oftmals geringfügig vorhanden, weshalb der überwiegende Teil der Interviews auf Englisch geführt wurde. Auf Grund der Absolvierung des Studiums in Deutschland konnten grundlegende Erfahrungen im Umgang mit Computern in der Regel erwartet werden. Neben der Zielgruppe prägt das Forschungsfeld, demnach der Länder- und lokale Kontext mit dem Grad der infrastrukturellen und technischen Entwicklung, die anzuwendenden Instrumente. Ghana gehört mit zu den wenigen afrikanischen Staaten südlich des Äquators, die eine relativ gut ausgebildete Infrastruktur aufweisen. In den größeren Metropolen des Landes, wie Accra, Kumasi, Cape Coast und Takoradi, welche die hauptsächlichen Wohnsitze der RückkehrerInnen waren, sind ein Straßennetz, Wasser- und Stromversorgung sowie Tele-
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kommunikationsmöglichkeiten in Form von öffentlichen Telefon- und Mobilfunknetzen, bisweilen auch Internetzugänge, vorhanden. Ein Problem stellte jedoch dar, dass von der Forscherin öffentliche Verkehrsmittel, Taxis oder sogenannte Tro Tros (Minibustaxis) zum Erreichen der Treffpunkte mit den InterviepartnerInnen verwendet wurden. Die Mitnahme eines Laptops hätte dabei potentielle Gefährdungssituationen heraufbeschwören können (Übergriffe, Diebstahl) und auch die notwendige Bewegungsfreiheit und Flexibilität der Forscherin im Feld eingeschränkt. Ein weiteres Problem war eher technischer Art: Die in regelmäßigen Abständen ausfallende Stromversorgung und die begrenzte Akkukapazität hätten den Laptopeinsatz scheitern lassen können. Trotz der relativ guten Voraussetzungen bei der Befragungsgruppe bezüglich technischer Affinität, die für eine Anwendung von VennMaker gesprochen hätten, wurde deshalb letztlich gegen dessen Einsatz optiert. 2.2.4 Die Interviewsituation Die Interviewsituation hat essentiellen Einfluss auf die Durchführung der QNA. Anlass, Zeitpunkt, Dauer/die zeitliche Kapazität des/der Interviewten, weitere Anwesende, die verwendeten Medien, die Rollen und die Art der Beziehung prägen die soziale Situation und können zu unerwünschten Effekten führen (vgl. Friedrichs 1980: 149). Die Interviews in Ghana fanden auf Grund der hohen Qualifikation der Probanden zumeist in einem formellen Rahmen statt. Als Treffpunkte fungierte oft der jeweilige Arbeitsplatz, in der Mehrzahl ein Büroraum. Neben diesen formellen Orten gab es aber auch einige informelle Erhebungssituationen. So luden manche InterviewpartnerInnen die Interviewerin zu sich nach Hause ein, wo der/die EhepartnerIn und die Kinder anwesend waren und z.B. gemeinsam gekocht und gegessen wurde, so dass die Erhebung in diesen informellen Rahmen integriert werden musste. Einige Interviews fanden in lokalen Schnellimbissrestaurants oder bei Ausflügen zusammen mit Freunden statt. Auffallend war, wie schnell und überraschend sich formelle Settings zu informellen wandelten, indem das Interview etwa für einige Zeit unterbrochen und zu einem späteren Zeitpunkt an einem anderen Ort unter anderen Gegebenheiten, wie z.B. im Auto, fortgeführt wurde. Diese notwendige Flexibilität und Mobilität während einiger Interviewsituationen hätte das Befördern und den Einsatz eines Laptops erschwert bzw. unmöglich gemacht. Da die Interviews gelegentlich in Anwesenheit mehrerer Personen durchgeführt wurden (Ehepartner, Familienmitglieder, Freunde etc.), entstanden Anwesenheitseffekte, die die egozentrierte, visuelle Erhebung im Generellen zwar er-
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schwerten (Reuband 1987), sie jedoch zumeist nicht verhinderten. Obwohl die Netzwerkkarte an sich ein Element darstellt, welches lediglich auf eine Interviewperson fokussiert, konnten mittels des Papiers, welches waagerecht und für alle gut einsehbar auf dem Tisch lag, andere, schon während des Leitfadeninterviews anwesende Personen, weiterhin mit einbezogen werden. Mitunter förderten die haptischen Erhebungsmaterialien sogar die Teilnahme anderer Beteiligter. Beispielsweise nahm ein Kind eines Interviewpartners während des Interviews die Stifte und malte bzw. schrieb mit diesen auf das Blatt, auf dem die Kategorisierung der Personengruppen stand. Im Gegensatz dazu hätte der Laptop durch seine senkrechte Bildschirmposition die Beteiligung anderer Personen nicht in gleichem Maße ermöglicht. Durch die Anwesenheit und Interaktion von Kindern hätte es bei einer Erhebung mittels Laptops zudem zu erheblichen technischen Problemen kommen können. Exkludierende Gegebenheiten beeinflussen Interaktionen sowie die Erhebungssituation und hätten zu Spannungen und Konflikten zwischen den beteiligten Personen führen können. Im Weiteren prägen die Medien, die zur Aufzeichnung der Daten genutzt werden (Tonband, Papier, Laptop), die Echtheit der Situation und können das Verhalten der Probanden beeinflussen (vgl. Friedrichs 1980: 150). Eine auffallende Verhaltensweise war das oftmals zögerliche Einlassen auf die visuelle Darstellung des persönlichen Netzwerkes. Dabei lösten das Blatt und die Stifte oft eine Art Blockade aus, die zunächst überwunden werden musste. Einige Personen zeigten zudem Desinteresse oder Unvermögen sich bei der gemeinsamen Arbeit an der Karte zu beteiligen (Esser 1973). Der Prozess des sich Einlassens auf das Medium der Karte und die Übernahme des Einzeichnens der einzelnen Netzwerkpersonen wurde somit nicht von allen InterviewpartnerInnen vollzogen. Ein Laptop anstelle von Papier und Stiften hätte vermutlich noch eine größere Hürde und Störung darstellen können, vor allem wenn kaum oder nur wenig Übung im Umgang mit Computern vorhanden gewesen wäre. Gegenteilig stellten die Stifte im Verlauf des Interviews ein Instrumentarium dar, welches nicht nur von anderen anwesenden Personen (z.B. von Kindern) selbstbestimmt eingesetzt, sondern oftmals auch von dem Probanden selbst genutzt wurde, um verbal vermittelte Informationen schriftlich für die InterviewerIn zu veranschaulichen (siehe schriftliche Notiz in der rechten, oberen Ecke der Karte in Abbildung 2). Auch Intervieweffekte wären durch den Einsatz eines PCs nicht auszuschließen, da die Verwendung von technischem Equipment persönliche Befangenheiten bei dem/der ForscherIn erzeugen könnte. Dies wiederum könnte sein/ihr Verhalten (Nervosität und Anspannung anstatt Ruhe und Offenheit), die InterviewerIn-Interviewte-Beziehung und somit die gesamte Interviewsituation stark lenken (vgl. Friedrichs 1980: 216).
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Aus diesen nicht im Vorfeld der Forschung abschätzbaren Faktoren ergibt sich für die zu Grunde liegende Studie, dass das Papier ein geeigneteres Erhebungs-Medium darstellte, um angemessen und flexibel auf die Breite der verschiedenen Forschungssituationen reagieren zu können. 2.3
Einsatz von Papier und VennMaker bei der Analyse
Für die Analyse der Netzwerke wurden VennMaker und die Papier-Version kombiniert. Dazu wurde die von Hand erhobene Netzwerkkarte (siehe Abbildung 3) mit VennMaker digitalisiert. Als Grundlage diente das bereits in der ersten Phase digital konstruierte Netzwerkgerüst, in welches die Netzwerkkontakte aus den Papier-Karten mittels des Computerprogramms eingetragen wurden. Obwohl das Digitalisieren der Netzwerkkarte lediglich die Absicht verfolgte, die Papier-Vorlage zu übertragen, entstand keine deckungsgleiche Abbildung. Beim Abzeichnen veränderte sich die Originalkarte und somit die im Netzwerk vorhandenen Informationen (siehe Abbildung 4). Es findet somit ein Übersetzungsprozess bei der Umwandlung von Datenformaten statt. Durch den Wechsel des Darstellungsmediums kommen beim Schritt der Digitalisierung einerseits Informationen visueller Art in Form von Geschlechtssymbolen (weiblich Ƃ, männlich ƃ), Beziehungsinformationen (Ego-Alter-Verbindungen) und Strukturdaten (durch die komplette Verbindung aller Alteri, die miteinander in Kontakt stehen, anstatt lediglich der Kennzeichnung anhand eines Kreises) hinzu, andererseits gehen gleichzeitig Inhalte, wie die Handschrift, Markierungen (wie der Kreis) und Notizen (wie „Zeugen Jehovas“) verloren. Manche Informationen sind auf der digitalen Karte besser zu erkennen, wie die Rollenzugehörigkeit und damit insbesondere die Erkennbarkeit multiplexer Rollen (durch farbliche Kennzeichnung um die Alteri). Andere Daten sind wiederum digital auf Grund des begrenzten Darstellungsraumes vor allem im innersten Kreis nur schwer ermittelbar, wie die in den Kanten dargestellten Beziehungsinformationen. Im inneren Kreis ist in Abbildung 4 zum Beispiel kaum ersichtlich, welche Alteri Beziehungen zueinander haben und welche Beziehungsausprägung vorherrscht. Paarbeziehungen, die in der Papierkarte durch ein +Zeichen an der Linie gekennzeichnet sind, sind dort eindeutig wahrzunehmen, während in der digitalisierten Karte die blau-gestrichelte Linie, die dasselbe Merkmal abbildet, nur mühsam auszumachen ist. Durch die Digitalisierung der Netzwerkkontakte entsteht somit neben einem Informationszugewinn auch ein visueller Informationsverlust.
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Abbildung 3: Von Hand eingezeichnetes Netzwerk
Quelle: Eigene Erhebung
Um der Unübersichtlichkeit durch zu viele Informationen und einer damit verbundenen Fehlerhaftigkeit entgegenzuwirken, ist es demnach sinnvoll, beide Karten zur Analyse heranzuziehen und im Weiteren die Möglichkeiten, die das digitale Tool zur Verfügung stellt, zu nutzen. Durch eine spezielle Filterfunktion können weitere digitale Karten des gleichen Netzwerkes erzeugt werden, die jeweils andere, ausgewählte und füreinander relevante Informationen beinhalten. Dieses Feature verhilft, die visuelle Datenfülle zu minimieren und dadurch Komplexität zu reduzieren, indem gezielt Akteure und Beziehungen in verschiedenen Karten ein- oder ausgeblendet werden können. Dadurch wird es etwa möglich,
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Abbildung 4: digitalisiertes Netzwerk
Quelle: Eigene Darstellung (erstellt mit VennMaker, Aufbau vgl Abb. 1)
die Ego-Alter-Beziehungen, die in einem egozentrierten Netzwerk stets vorhanden sind, herauszunehmen oder nur diese Relationen anzeigen zu lassen, bei denen eine besondere Beziehungsausprägung, wie Konflikthaftigkeit oder Paarkonstellationen, vorliegen (siehe Abbildung 5). Filter-Optionen ermöglichen im Weiteren die Entwicklung von qualitativ-beschreibenden Analyseverfahren, die nicht nur die Analyse von Einzelbeziehungen, sondern auch die Auswertung der Strukturebene beleuchten. In der vorliegenden Studie wurde zur Identifikation der transnationalen Muster in den persönlichen Netzwerken der RemigrantInnen die Aufmerksamkeit unter anderem auf transnationale Akteure im Netzwerk gelegt (Herz/Olivier 2012).
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Abbildung 5: Filtern der Ego-Alter-Beziehungen
Quelle: Eigene Darstellung (erstellt mit VennMaker, Aufbau vgl. Abb. 1)
Da die transnationalen Akteure jedoch nicht notwendigerweise die Personen sind, die sich im Ausland befinden, also im äußersten Kreis eingezeichnet sind, sondern diejenigen, die am meisten grenzüberschreitende Beziehungen aufwiesen, müssen diese erst durch die Analyse identifiziert werden. Dabei wurden immer mehr Personen aus dem Netzwerk gelöscht, die für diese Position nicht in Frage kommen, indem die Verbindungslinien gezählt wurden, die den dritten und vierten Kreis überschreiten. Durch die Selektion und das Herauslösen können so die transnationalen vernetzten Akteure ohne mathematische Berechnungsverfahren bestimmt werden (siehe Abbildung 6).
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Abbildung 6: Filtern zur Identifikation der transnationalen Akteure
Quelle: Eigene Darstellung (erstellt mit VennMaker, Aufbau vgl. Abb. 1)
Durch die strukturelle Analyse der Netzwerkkarten anhand der Identifikation von transnationalen Akteuren wie auch von Sub-Clustern können so nicht nur Aussagen über die Transnationalität von Netzwerken getroffen, sondern zudem Strukturhypothesen, die an das Interviewmaterial gerichtet sind, entwickelt werden. Sie dienten im Weiteren einer Fokussierung der Analyse der Narrationsteile der QNA, die mittels der Grounded Theory ausgewertet wurden. Somit wurde die Visualisierung mittels VennMaker in der Studie genutzt, um ein qualitativbeschreibendes Analyseverfahren, welches eine gekoppelte Auswertung von Visualisierungen und Narrationen ermöglicht, zu entwickeln. Die Filteroption und die Erstellung von selektiven Karten mit je unterschiedlichem Informationsgehalt können somit einen Bewusstwerdungs- und Erkenntnisprozess bei der Analyse sozialer Netzwerke generieren. Wichtig ist jedoch,
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dass die Komplexität der digitalisierten Karten sukzessive reduziert wird, um den Blick fokussieren zu können. Geschieht dies nicht, kann der angestrebte Erkenntnisgewinn nicht nur ausbleiben, sondern sogar verhindert werden, indem zu viele Informationen Chaos statt Klarheit und Struktur induzieren. Mehrere digital entworfene Karten stellen dabei jedoch keinen Ersatz für das auf Papier erhobene Originalnetzwerk dar, denn dieses beinhaltet Informationen über den Akteur und dessen Wahrnehmung auf sein Netzwerk, die ansonsten verloren gehen würden. Deshalb sollten beide Kartenformate bei der Analyse herangezogen werden.
3.
F AZIT
Die methodischen Forschungserfahrungen bezüglich der Anwendung von digitalen und haptischen Tools haben veranschaulicht, dass auch in Zeiten, in denen die Netzwerkforschung immer mehr dem Trend der Digitalisierung folgt, mithilfe von Stift auf Papier erhobene Netzwerkvisualisierungen ein sinnvolles Verfahren darstellen. Dies nicht nur mit Blick auf die Datenerhebung, sondern auch bezüglich der nachfolgenden Analyse. In Forschungskontexten, in denen die Bedingungen des Forschungsfeldes und der Zielgruppe eine computergestützte Anwendung erschweren, ist ein Einsatz der klassischen Instrumente in der Erhebungsphase unter Umständen nicht nur adäquater, sondern sogar alternativlos. Jedoch gibt es auch unter optimalen Feld- und Zielgruppenkonditionen, die für den Einsatz digitaler Erhebungsverfahren sprechen, wesentliche Gründe, die Papierform nicht außer Acht zu lassen. Erstens weil diese eine größere Offenheit und Flexibilität als der Laptop bei den differenten Interviewsituationen ermöglicht und zweitens weil die Papier-Form einen nicht unbeträchtlichen Mehrwert als akteursrelevante Informationsquelle für die Analyse darstellt. Andererseits bietet auch das digitale Tool als ergänzendes Instrumentarium wesentliche Vorteile bei der Durchführung der QNA. Bei der Vorbereitung der Erhebung stellt das Computerprogramm etwa eine präzise, zeiteffiziente und vervielfältigbare Lösung bei der Erstellung egozentrierter Netzwerkkarten dar. In der Phase der Auswertung kann die ergebnisorientierte Vorgehensweise die Analyse vereinfachen und einen wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn nicht nur auf der Ebene der empirischen Daten, sondern zugleich auf einer allgemeineren methodischen und methodologischen Ebene generieren. Indem die Entwicklung von innovativen, beschreibenden Auswertungsstrategien in der QNA möglich wird, können qualitative Netzwerkstudien dadurch einen eigenständigen Weg zur Analyse der Visualisierungen weisen, ohne
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notwendigerweise auf quantitative Verfahren zurückgreifen zu müssen und sich dadurch zu Mixed Methods-Designs zu wandeln. Der Beitrag versuchte zu zeigen, wie eine fruchtbare Kopplung von digitalen und haptischen Instrumenten in den unterschiedlichen Phasen des Forschungsprozesses gestaltet werden kann. Er verdeutlichte, dass weder der Weg vom Papier zum Laptop noch der umgekehrte Weg Papier anstatt Laptop als eine sich wechselseitig ausschließende Alternative anzusehen ist. Die Empfehlung lautet daher: Papier trotz Laptop.
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Touchscreen-gesteuerte Instrumente zur Erhebung egozentrierter Netzwerke B ETINA H OLLSTEIN , J ÜRGEN P FEFFER UND L AURA B EHRMANN
Die Analyse und Darstellung komplexer sozialer Systeme – zu welchen auch soziale Netzwerke gehören – kommen heutzutage kaum ohne visuelle Darstellungen aus (Pfeffer 2008; Häussling et al. im Erscheinen). Solche Darstellungen sind nicht nur ein wichtiges Instrument der Präsentation von Ergebnissen. Immer häufiger werden bereits bei der Erhebung von Netzwerken visuelle Hilfsmittel, Netzwerkkarten, -zeichnungen und -diagramme, eingesetzt. Sie können die Erhebung des komplexen Konstrukts „Soziales Netzwerk“ sehr erleichtern (Straus 2002; Hollstein/Pfeffer 2008; Straus 2010): Wesentlicher Vorzug einer solchen Visualisierung ist es, dass die Sequenzialität der Befragungssituation um die Gleichzeitigkeit der bildlichen Darstellung ergänzt wird. Die Abbildung dient als kognitive Stütze der Erhebung. Im Rahmen qualitativer Interviews kann die Visualisierung zudem als Narrationsgenerator eingesetzt werden. Thema unseres Beitrags ist die EDV-gestützte Erhebung von Netzwerkkarten. Konkret geht es um die Verwendung von sogenannten Touchscreens. Diese haben wir in einem Projekt zu Nachbarschaftsnetzwerken eingesetzt, in welchem über hundert Netzwerkkarten erhoben wurden (Hollstein 2011b). Um die Erhebung, Aufbereitung und Auswertung des umfangreichen Datenmaterials möglichst effizient zu gestalten, wurde die Netzwerkerhebung EDV-gestützt vorgenommen. Damit entfallen zeitintensive Datenübertragungsarbeiten und zugleich eine mögliche Quelle von Übertragungsfehlern. Wir haben uns für eine Erhebung mit Touchscreen entschieden, da diese Technologie das Selbstausfüllen der Netzwerkkarten durch die Interviewpartner erlaubt. Hierfür haben wir die von uns entwickelte Netzwerk-Software EgoNet.QF (Pfeffer et al. 2008) für den Einsatz mit Touchscreen adaptiert und eine neue, dieser Erhebungssituation angepasste Netzwerkkarte entwickelt: das Trichter-Instrument. In unserem Beitrag
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stellen wir dieses Instrument vor und diskutieren unsere Erfahrungen mit der Touchscreen-basierten Erhebung. Zunächst geben wir einen Überblick über die verschiedenen Typen von Netzwerkkarten, die bei der Erhebung egozentrierter Netzwerke eingesetzt werden, und gehen auf gängige, papier-basierte Verfahren bei der Durchführung ein (1). Danach skizzieren wir die Fragestellung und das methodische Design des Forschungsprojekts „Nachbarschaftsnetzwerke“ (2). Im dritten Abschnitt stellen wir das neu konzipierte Erhebungsinstrument vor, das „Trichter-Instrument“, und erläutern die Umsetzung und Durchführung mithilfe von Touchscreens (3). Abschließend fassen wir unsere Erfahrungen mit dem Trichter-Instrument zusammen (4) und diskutieren Vor- und Nachteile von Touchscreen-gesteuerter Netzwerkerhebung gegenüber papierbasierten Erhebungsformen (5).
1.
E RHEBUNG VON PERSÖNLICHEN N ETZWERKEN MIT N ETZWERKKARTEN
Persönliche Beziehungen – Familien-, Freundschafts-, Bekanntschafts- und Nachbarschaftsbeziehungen – sind grundlegend für die soziale Integration. Sie vermitteln Zugehörigkeit, bieten Orientierung, motivieren und unterstützen (Diewald 1991; Hollstein 2001). Persönliche Beziehungen werden in der Netzwerkforschung in Form von „egozentrierten“ Netzwerken erfasst. Im Unterschied zu „ganzen“ Netzwerken steht bei ego-zentrierten Netzwerken ein Akteur im Zentrum des Netzwerks. Bei der Erhebung solcher Netzwerke werden vermehrt sogenannte Netzwerkkarten eingesetzt (Straus 2002; Hollstein/Pfeffer 2008; Straus 2010). Dies ist insbesondere der Fall, wenn auch qualitative Netzwerkdaten erhoben werden sollen (Hollstein/Straus 2006; Dominguez/Hollstein im Erscheinen): Die Visualisierung dient als Medium, mithilfe dessen über Beziehungspartner und das Netzwerk gesprochen werden kann. Sie erleichtert die Thematisierung der Beziehungen und stimuliert weitere Erzählungen. Geschichten über das Zustandekommen der Beziehungen, die Art des Kontaktes und die Bedeutung der Beziehungen werden fast selbstläufig generiert bzw. können damit sehr leicht in Gang gesetzt werden. Das bekannteste und wohl verbreiteteste Instrument ist die „Methode der konzentrischen Kreise“ (Kahn/Antonucci 1980). Dabei wird den Befragten ein Papier vorgelegt, auf dem drei konzentrische Kreise abgebildet sind, in deren Mitte das Wort „Ich“ steht. Die Befragten werden dann gebeten, die Initialen der Personen, die für sie persönlich wichtig sind, in diese Kreise einzutragen. Ganz
T OUCHSCREEN - GESTEUERTE I NSTRUMENTE
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innen stehen die eng verbundenen, weiter außen weniger eng verbundene Personen. Im Verlauf der Befragung können zu diesen Beziehungen weitere Daten, sogenannte Namensinterpretatoren erhoben werden. Hier kann es sich um konkrete Merkmale (z.B. soziostrukturelle Daten) der Netzwerkpersonen (Alteri) oder der Beziehungen (z.B. Kontaktdauer) handeln, aber auch um offen generierte Darstellungen, etwa zu der Frage, wie man sich kennen gelernt hat oder zur individuellen Bedeutung der Beziehung. Insgesamt werden recht unterschiedliche Netzwerkkarten eingesetzt. Es variiert die Anzahl der Kreise: drei (Kahn/Antonucci 1980), sechs (Bernardi et al. 2006) oder sieben Kreise (Straus 1995). Manchmal werden weitere strukturierende Elemente verwendet: bei Straus (1995) und Höfer, Straus und Keupp (2006) zum Beispiel Sektoren, mit deren Hilfe verschiedene Lebensbereiche abgegrenzt werden können (Familie, Arbeit, Freizeit etc.). Es werden aber auch ganz freie Netzwerkzeichnungen produziert (z.B. Scheibelhofer 2006), bei denen die Befragten aufgefordert werden, ihr Netzwerk graphisch darzustellen. Unseres Erachtens lassen sich drei verschiedene Typen von Netzwerkkarten unterscheiden (Hollstein/ Pfeffer 2008; vgl. Tabelle 1): • unstrukturierte Karten (wie die erwähnten freien Zeichnungen; z.B. Scheibel-
hofer 2006), • Karten, die gewisse Strukturelemente aufweisen (z.B. Kreise, Sektoren), bei
denen diese Elemente jedoch nicht standardisiert sind (also beispielsweise die Sektoren nicht vorab definiert werden bzw. die Kreise nicht mit fixen Stimuli versehen sind) (z.B. Straus 1995), sowie • Karten, die standardisierte Strukturelemente aufweisen. Beispielsweise sind die Kreise beim Instrument von Kahn und Antonucci (1980) klar definiert. Im innersten Kreis stehen die wichtigen, sehr eng verbundenen Personen, im mittleren Kreis die eng verbundenen Personen und im äußeren Kreis Personen, die auch wichtig, aber weniger eng verbunden sind. Diese Typen unterscheiden sich zum einen danach, welche Spielräume die Befragten bei der Gestaltung der Karten haben, zum anderen danach, welche Vergleichsmöglichkeiten die Karten erlauben. So eröffnen freie Zeichnungen den Interviewten größtmöglichen Gestaltungsspielraum. Jedoch sind die Karten selbst zwischen verschiedenen Personen praktisch nicht vergleichbar. Vergleiche können hier über die interpretative Auswertung der Erläuterungen der Befragten zu ihren Zeichnungen nur indirekt gezogen werden. Standardisierte Karten sind
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Tabelle 1: Typen von Netzwerkkarten .DUWHQW\S
XQVWUXNWXULHUW
6WUXNWXULHUXQJGXUFK 6WLOHOHPHQWH.UHLVH QHLQ 6HNWRUHQ 6WDQGDUGLVLHUXQJ ]%GHU%HGHXWXQJ QHLQ GHU.UHLVH 6SLHOUlXPHGHU%H IUDJWHQEHL*HVWDO PD[LPDO WXQJGHU.DUWH 9HUJOHLFKVP|JOLFK NHLWHQ
QLFKWDXI%DVLVGHU .DUWHQDOOHLQHQXU EHU7H[WDQDO\VH
VWUXNWXULHUWDEHUXQ VWDQGDUGLVLHUW
VWUXNWXULHUWXQG VWDQGDUGLVLHUW
MD
MD
QHLQ
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Quelle: Hollstein/Pfeffer 2008
letztlich standardisierte Diagramme ohne Gestaltungsspielraum für die Befragten. Dafür erlauben sie relativ problemlos den intra- und interpersonellen Vergleich der Karten (vgl. Tab. 1). Bei der Erhebung wird, unabhängig vom Kartentyp, üblicherweise mit Papier-Karten gearbeitet. Für die Markierung der Alteri gibt es unterschiedliche Techniken (Straus 1995; 2002). Manchmal werden die Alteri gleich mit Stift eingetragen. Dies hat den Nachteil, dass Positionen nur schwer geändert werden können. Daher werden z.B. Stecknadeln und als Unterlage eine Korkplatte (Straus 1995) verwendet und die Markierungen später mit Klebepunkten fixiert. Zur Markierung der Sektoren verwenden Höfer u.a. (2006) Bindfäden, um die Sektorgröße flexibel anpassen zu können. Erst gegen Ende des Interviews wird die Sektorgröße mithilfe von Stiften fixiert.
2.
D AS P ROJEKT „N ACHBARSCHAFTSNETZWERKE “
Anlass für die Entwicklung und den Einsatz einer software-gestützten Erhebung von Netzwerkkarten war im Grunde ein sehr pragmatischer: ein anstehendes Forschungsprojekt1, in welchem sehr viele Netzwerkkarten erhoben werden soll-
1
„… und meine Strasse wird nicht mehr die gleiche sein“. Eine ethnographische Wirkungsanalyse der Ausstellung „2-3 Straßen“ von Jochen Gerz in Duisburg, Dortmund und Mülheim (RUHR.2010) beauftragt durch das Land Nordrhein-Westfalen. Lei-
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ten. Bei dem Projekt handelt es sich um eine Wirkungsanalyse des partizipativen Kunstprojekts „2-3 Straßen, eine Ausstellung in drei Städten des Ruhrgebiets von Jochen Gerz“, welche im Rahmen von „Ruhr.2010 – Kulturhauptstadt Europa“ durchgeführt wurde. Im Rahmen des Kunstprojekts zogen 80 Kreative für ein Jahr in drei Straßen in Dortmund, Duisburg und Mülheim. Anspruch des Kunstprojektes ist, dass am Ende „meine Straße nicht mehr dieselbe ist“ (Gerz/ Pfütze 2011). In der wissenschaftlichen Begleitforschung (Hollstein 2011) untersuchen wir, ob und auf welche Weise sich die Straßen durch die Ausstellung verändern. Was kommt bei den Bewohnern an? Was verändert sich? Was bleibt, wenn die Kreativen wieder wegziehen? Neben der Frage, wie die BewohnerInnen der Gegend das Kunstprojekt wahrnehmen und beurteilen, liegt ein Schwerpunkt der Begleitforschung auf den sozialen Netzwerken und der sozialräumlichen Integration. Uns interessiert insbesondere die Bedeutung von Nachbarschaft: Wer gehört für die Bewohnerinnen und Bewohner zur Nachbarschaft? Mit wem haben sie Kontakt? Wie gestalten sie ihre Nachbarschaftsbeziehungen? Was konstituiert Nachbarschaft? Welche Rolle spielen die sozialräumliche Gelegenheitsstruktur, räumliche Nähe, zufällige Begegnungen oder gemeinsame Interessen? Bezogen auf das Kunstprojekt fragen wir danach, ob sich durch die Ausstellung Nachbarschaftsbeziehungen und Netzwerke verändern. Werden sie beispielsweise heterogener und durchmischter, etwa hinsichtlich Alter, Bildung, Milieu oder Migrationshintergrund? Werden Kontakte zu den neueingezogenen Kreativen geknüpft; lernt man durch die Aktionen der Kreativen auch alteingesessene Nachbarn neu oder anders kennen? Kann Kunst soziales Miteinander verbessern? Die Feldphase fand im vierten Quartal des Jahres 2010 statt. Die Erhebung bestand aus drei Teilen: (1) Bestandsaufnahme des Sozialraums: Am Anfang stand die Beschreibung der sozialstrukturellen Zusammensetzung der BewohnerInnen der drei Straßen sowie der Infrastruktur. Zum Einsatz kamen Ortsbegehungen, Dokumentenanalysen und Experteninterviews. (2) Die Kreativen und ihre Aktivitäten: Teilnehmende Beobachtungen, Expertengespräche, Ortsbegehungen und Dokumentenanalysen dienten der Bestimmung der Aktivitäten der neu eingezogenen Kreativen. Zu wissen, was die Kreativen machen (Art und Weise der Intervention) ist maßgeblich für die Analyse der Wirkung des Kunstprojektes.
tung: Prof. Dr. Betina Hollstein; Durchführung: Laura Behrmann, Anna Ohrt und Dagmar Zanker; in Kooperation mit Dr. Jürgen Pfeffer.
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(3) Sozialräumliche Kontaktnetzwerke und Kunstwahrnehmung: Zur Analyse der Nachbarschaftsbeziehungen und -netzwerke wurden leitfadengestützte Interviews mit BewohnerInnen der drei Straßen in Duisburg, Dortmund und Mülheim an der Ruhr geführt. Erhoben wurden auch die egozentrierten Netzwerke.
3.
D IE TOUCHSCREEN - GESTEUERTE N ETZWERKERHEBUNG : D AS „T RICHTER -I NSTRUMENT “
Der Hauptteil der Untersuchung bestand aus qualitativen, leitfadengestützten Interviews mit BewohnerInnen der drei Straßen. Insgesamt wurden 126 Interviews geführt. Die sozialstrukturellen Merkmale der befragten BewohnerInnen spiegeln die Vielfalt der sozialen Zusammensetzung des Viertels wider. Es finden sich unterschiedlichste Nationalitäten, Altersgruppen und Bildungsgrade im Sample. Unterstützend wirkten zwei Dolmetscherinnen, die den Zugang zu den beiden größten Migrationsgruppen, der türkischen und russischen, erleichterten. Die Interviews fanden in der Regel in den Wohnungen der Bewohner statt und dauerten zwischen 25 Minuten und eineinhalb Stunden. Der Leitfaden. Der Leitfaden bestand aus drei Teilen: Fragen zur Wahrnehmung des Stadtteils und der Nachbarschaft bildeten den Einstieg. Im Zentrum standen die konkreten Nachbarschaftsbeziehungen und -netzwerke, ihre Wahrnehmung, Gestaltung und subjektive Bedeutung. Den Abschluss bildeten Fragen zur Wahrnehmung und Beurteilung des Kunstprojektes. Namensgeneratoren. Zur Erhebung der Nachbarschaftsbeziehungen wurden zwei Namensgeneratoren eingesetzt: 1. Wenn Sie so insgesamt an die Leute hier denken, haben Sie mit irgendjemanden hier zu tun? Mit wem haben Sie aus der Nachbarschaft etwas zu tun? 2. Jeder bespricht ja von Zeit zu Zeit wichtige Angelegenheiten mit anderen Menschen. Wer sind die Menschen mit denen Sie wichtige persönliche Dinge besprechen (unabhängig von ihrem Wohnort)? Die erste Frage zielt relativ unspezifisch auf Personen in der Nachbarschaft, mit denen man in irgendeinem (später dann näher zu beschreibenden) Verhältnis steht. Bei dem zweiten Namensgenerator handelt es sich um eine Modifikation des Burt-Generators (Burt 1984). Dieser zielt auf persönlich wichtige Personen. Den zweiten Namensgenerator haben wir eingesetzt, um die Stellung der Nach-
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barschaftsbeziehungen im Gesamtnetzwerk bestimmen zu können. Durch die nacheinander geschaltete Verwendung der beiden Namensgeneratoren können zunächst ausführlich die Nachbarschaftsbeziehungen thematisiert werden. Der zweite Namensgenerator ermöglicht die Relationierung und Verortung der Nachbarschaftsbeziehungen im Gesamtnetzwerk der persönlichen Beziehungen. So zeigte es sich, dass bei manchen Bewohnern Nachbarn die einzigen Bezugspersonen sind. Bei anderen spielen Nachbarschaftskontakte im Gesamtnetzwerk nur eine marginale Rolle. Die für den Touchscreen adaptierte Netzwerkkarte: das Trichter-Instrument. Die Erhebung der Netzwerke wurde mit einer Netzwerkkarte unterstützt. In diesem Projekt hatten wir uns aus arbeitsökonomischen Gründen für eine EDVgestützte Erhebung entschieden. Eine weitere, folgenreiche Entscheidung fiel für sogenannte Touchscreen-gesteuerte Computer. Diese bieten die Möglichkeit, dass – ähnlich wie bei papierbasierten Erhebungen – die Interviewpartner die Karte selbst ausfüllen können. Gerade bei Netzwerkkarten ist dies ein wichtiger Aspekt: Da die Alteri nach und nach eingetragen werden, besteht im Verlauf des Interviews häufig das Bedürfnis, Positionen und Relationen der Alteri zueinander zu verändern, anzupassen und nachzujustieren. (Um ein wichtiges Ergebnis an dieser Stelle vorweg zu nehmen: Von dieser Möglichkeit wurde ausführlich Gebrauch gemacht.) Die Entscheidung für Touchscreens war insofern folgenreich, als dass wir für diese spezifische Erhebungssituation ein neues Instrument zur Erhebung der Netzwerkkarten entwickelt haben, das Trichter-Instrument. Hierfür wurde das von uns entwickelte Netzwerkprogramm Egonet.QF (Pfeffer/Straus/Hollstein 2008) speziell an den Einsatz mit Touchscreen adaptiert. Die Erhebung mit Touchscreens impliziert eine andere Perspektive als Erhebungen mit einem herkömmlichen Laptop oder einem Desktopcomputer: Der Touchscreen liegt flach vor dem Interviewten auf dem Tisch. Dadurch entsteht im Gegensatz zum unten und oben herkömmlicher Monitore ein nah und fern. Diese Perspektivenänderung auf nah/fern war der Anlass für die Entwicklung des Trichter-Instruments. Die physische Nähe zum Interviewten in der Darstellung am Bildschirm soll hierbei die kognitive und emotionale Nähe vergegenständlichen. Aus dem EgoKreis in der Mitte des Bildschirms oder der Papier-Netzwerkkarte wird ein Balken in unmittelbarer Nähe des Interviewten (vgl. Abbildung 2 und 5). Der schwarze Balken symbolisiert dabei den Interviewten, der den Computer in der Form vor sich liegen hat. Er sitzt also gewissermaßen hinter dem Balken. Nach dem Pretest wurde das Erhebungsinstrument zu einem Trichter erweitert, um die Perspektive des Interviewten von sich ausgehend hinaus in die Welt zu verstärken.
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Durchführung. Bei der eigentlichen Erhebung werden im ersten Schritt die Alteri mithilfe der beiden Namensgeneratoren gesammelt. Der Interviewer setzt hierbei das Touchscreen-gesteuerte Erhebungsinstrument ein und erzeugt direkt über eine Eingabemaske eine Liste der genannten Personen (vgl. Abbildung 1). Während der Erhebung der Alteri-Namen werden standardisierte Attribute der Alteri zusätzlich festgehalten. Dies geschieht durch Anklicken der jeweiligen Attribute auf der rechten Seite des Bildschirms. Dabei hat sich in der Praxis bewährt, die Erhebung der Attribute der Alteri zu unterschiedlichen Zeitpunkten zu ermöglichen. Interviewte tendieren dazu, neu genannte Alteri mit Beschreibungen die Person oder die Rollenbeziehung betreffend einzuführen (z.B. „mein Bruder Michael, der zwei Straßen weiter wohnt“). Andere Interviewte konzentrieren sich erst auf die Erstellung der Namensliste und schließen die Personenbeschreibungen an. Während des Interviews kann die Erhebung der Attribute jederzeit an die Erzählstruktur des Interviewten angepasst erfolgen. Die Möglichkeit, Eigenschaften stets während ihrer Nennungen abspeichern zu können, verkürzt die anschließende Detailerhebung beträchtlich. Abbildung 1: Das Erhebungsinstrument Blatt 1 „Namen“
Quelle: Eigene Darstellung
Quelle: Eigene Darstellung
Abbildung 2: Das Erhebungsinstrument Blatt 2 „Beziehungen“
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Abbildung 3: Touchscreen-Instrument (3a) und Ziehen der Knoten (3b)
Quelle: Eigene Darstellung
Nach der Erstellung der Namensliste wird zur Netzwerkkartendarstellung (Abbildung 2 und 3) gewechselt und der Computer an den Interviewten mit der Aufforderung übergeben, die Alteri, welche eingangs im grauen Bereich unterhalb des Trichters angeordnet sind, in den Trichter zu schieben. Dabei soll die emotionale Wichtigkeit durch die räumliche Distanz markiert werden: Wichtige Personen sollen zu Ego herangezogen, unwichtigere von Ego weggeschoben werden. Auch während dieser Erhebungsphase können Alteri-Attribute direkt auf der rechten Seite des Instruments angeklickt werden. Eine Zuordnung der Rollenbeziehung verändert zudem die Farbe der Knoten, so dass unterschiedliche Alteri-Gruppen (Familie, Freunde, …) optisch leicht zu unterscheiden sind. Der Vorteil dieser unmittelbaren, bildlich angepassten Darstellung liegt in der Ergänzung der Befragungssituation durch Visualisierung. Sie reduziert die Komplexität des Gegenstandes. Die Verbildlichung generiert zudem weitere Narrationen: Geschichten über das Zustandekommen des Kontaktes und die Art des Kontaktes werden selbstläufig generiert. Diese Informationen ergänzen die standardisiert und strukturiert erhobenen Netzwerke mit qualitativen Daten. An dieser Stelle möchten wir auf einen weiteren Vorteil der gleichzeitigen Erhebung der Alteri-Attribute mit den Positionen hinweisen. In der praktischen Interviewsituation verwenden Interviewte teilweise eine Anonymisierung der Alteri durch Bezeichnungen in der Form Freund 1, Freund 2 u.s.w. Dies erschwert in weiterer Folge die eindeutige Zuordnung dieser Alteri. (Bei Längsschnittbefragungen wird dieser negative Effekt noch verstärkt.)
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| 131
Abbildung 4: Visualisierungs-Varianten der Netzwerkkarte von Frau X
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Quelle: Eigene Darstellung
Durch die unmittelbare Zuordnung von Attributen können die anonymisierten Alteri-Gruppen zu einem späteren Zeitpunkt besser voneinander unterschieden werden. Abbildung 4 zeigt verschiedene Varianten der Visualisierung, bei denen die Einfärbung der Knoten (aufgrund des Schwarz/Weiß-Drucks dieses Bandes durch unterschiedliche Grautöne angedeutet) jeweils unterschiedliche Merkmalsausprägungen symbolisiert. Für unser Projekt waren beispielsweise die Aspekte Rollenbeziehung, Wohndistanz, Kontakthäufigkeit und Kontaktdauer von Interesse. Diese Darstellungen waren wichtige Hilfsmittel bei der ersten Inspektion der Netzwerke, bei der späteren Typenbildung sowie bei der Präsentation von Ergebnissen. In diesem Abschnitt haben wir das neu entwickelte Trichterinstrument zur Erhebung von Netzwerkdaten vorgestellt und die praktische Umsetzung mithilfe von Touchscreens beschrieben. In den abschließenden Abschnitten fassen wir
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die Erfahrungen mit dem Trichter-Instrument und dem Touchscreen zusammen und diskutieren Vor- und Nachteile der beiden Vorgehensweisen.
4.
E RFAHRUNGEN
MIT DEM
T RICHTERINSTRUMENT
Das Trichter-Instrument resultiert aus der veränderten Anwendung durch den Touchscreen-gesteuerten Computer. Es kann im Vergleich zu den in der qualitativen Netzwerkforschung üblichen radialen (in konzentrischen Kreisen angeordneten) Netzwerkkarten wie folgt beurteilt werden: Der wesentliche Vorteil liegt im Platzgewinn für die Anordnung von Alteri in der unmittelbaren Nähe von Ego. Interviewte, welche mehr als zwei oder drei Alteri in unmittelbarer Nähe von sich platzieren wollen, haben im Kreisdiagramm (siehe Abbildung 5) häufig Probleme, diese Alteri tatsächlich anzuordnen, da der dafür nötige Raum schlicht nicht verfügbar ist. Dieser Raum ist im Trichterinstrument auf die gesamte Breite des Ego-Balkens erweitert. Ein weiterer Vorteil des Trichterinstrumentes liegt in der besseren optischen Vergleichbarkeit von Distanzen unterschiedlicher Alteri. Dies betrifft den Vergleich durch die WissenschaftlerInnen, aber auch durch die Interviewten selbst. Im praktischen Einsatz haben wir häufig beobachtet, dass die Interviewten feine Nachjustierungen vornahmen, um zu einer für sie zufriedenstellenden Reihung der Distanzen zu gelangen (vgl. Abb. 3). Abbildung 5: Optischer Vergleich von Kreis- und Trichterinstrument
Quelle: Eigene Darstellung
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Eine Problemstellung beim Einsatz des Trichterinstrumentes betrifft die Wahrnehmung bestimmter Positionen im Kontext graphischer Darstellungen.2 So zeigen Erfahrungen mit Netzwerkvisualisierungen (Pfeffer 2008; Häussling et al. im Erscheinen), dass das Gestaltelement Position besonders dominant ist. Etwas in der Mitte oder oben anzuordnen hat eine wesentliche Auswirkung darauf, dass etwas als wichtig wahrgenommen wird. Beim Trichterinstrument wird diese Bedeutung umgekehrt: Am oberen Rand des Bildschirmes sollen die unwichtigen Alteri angeordnet werden, am unteren die wichtigen. Der Fokus liegt nicht auf der Dichotomie „oben – unten“ sondern auf der Unterscheidung „nah – fern“. Diesem Umstand muss durch eine, an das Instrument angepasste Aufforderung zur Positionierung der Personen im Trichter Rechnung getragen werden, zum Beispiel indem eine „nah – fern“-Formulierung für die Wichtigkeit der Alteri explizit mit der räumlichen Nähe der Darstellung verbunden wird (etwa „Setzen Sie die Personen, die ihnen wichtig sind, näher zum Ich bzw. zum schwarzen Balken und diejenigen, die ihnen weniger wichtig sind, weiter weg.“).3
5.
P APER
AND PENCIL VS .
T OUCHSCREEN
Die Vorteile des Einsatzes von Touchscreens liegen im Wortsinne „auf der Hand“. Zum einen sind es die Vorteile der computerunterstützen Erhebung ge-
2
Hinzuweisen ist auch auf mögliche kulturelle Unterschiede in der Wahrnehmung und Akzeptanz der beiden Instrumente: Von asiatischen KollegInnen bekamen wir zurück gespiegelt, dass sie Vorbehalte dagegen hätten, Ego als geschlossene Einheit in Form eines Knoten darzustellen. Das Trichterinstrument erschien ihnen zugänglicher für ihren Kulturraum, denn es konzipiert Ego als einen Ausgangspunkt für eine Blickrichtung. Auch von der immer wieder ausgelösten Assoziation einer „Zielscheibe“ ist der „Trichter“ frei. Inwieweit sich solche Wahrnehmungen auf den Umgang mit dem Instrument und die Ergebnisse auswirken, wäre noch genauer zu untersuchen.
3
Im Rahmen unseres Projektes hatten wir uns gegen diese Variante entschieden, um auch konfliktbehaftete wichtige Verhältnisse identifizieren zu können. Bei der praktischen Durchführung kam es dadurch gelegentlich zu Fehlinterpretationen der Positionierungsaufforderung. (Wichtige Personen wurden fern, also oben am Bildschirm, positioniert.) Aufmerksame Interviewer können diesen Effekt jedoch durch entsprechende Interventionen korrigieren. Diese Fehlinterpretation trat im Übrigen weniger häufig auf, wenn der Touchscreen flach lag – sei es auf dem Tisch oder einer anderen Unterlage. Unabhängig davon, für welche Variante man sich entscheidet: Bei der Interviewerschulung sollte diesem Aspekt besondere Beachtung geschenkt werden.
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nerell. Hierzu gehören die Möglichkeit, Alteri schneller zu erfassen und zu fixieren sowie insbesondere Änderungen bezüglich der Position und Existenz der Alteri sehr viel leichter vorzunehmen. Wie gerade angesprochen, wurde die Möglichkeit der detaillierten Nachbearbeitung (Verschiebung) der Positionen in unserem Projekt gerne genutzt. Dies scheint zum Teil im Trichterinstrument, aber auch zum Teil im Touchscreen begründet zu sein. Wenn die Karten zu einem späteren Zeitpunkt elektronisch ausgewertet werden sollen, entfallen zum anderen zeitintensive und fehleranfällige Übertragungs- und Datenbereinigungsarbeiten der Karte: Die computergestützte Erhebung ist deutlich ökonomischer als die Paper/Pencil-Methode. Zugleich entfällt eine mögliche Fehlerquelle bei der Übertragung der Karten (Erhöhung der Validität). Nicht zuletzt sind die maschinengeschrieben Namen gut lesbar, was ebenfalls die Fehleranfälligkeit bei der Auswertung reduziert. Vor allem ist eine direkte Aufbereitung und teilweise Auswertung der Karten möglich. Als spezieller Vorteil des Touchscreens kann die Unmittelbarkeit der Mensch/Maschine-Kommunikation gesehen werden. Die Interaktion geschieht nicht über den Umweg einer Computermaus, sondern direkt durch Berührung des Bildschirms. Auch für die meisten älteren Befragten ohne Routine in der Computer-Nutzung war der Umgang mit dem Touchscreen intuitiv. Dies liegt vermutlich daran, dass Touchscreens mittlerweile Teil des Alltagslebens geworden sind (z.B. Fahrkartenautomaten). Dass der Touchscreen horizontal auf dem Tisch oder einer anderen Unterlage liegt, mag dazu beitragen, dass er nicht so sehr als Computer, sondern mehr als Spielzeug, wie eine „Zaubertafel“, wahrgenommen wird. Gab es anfangs eine gewisse Scheu, insbesondere bei älteren Menschen, erwies es sich als hilfreich, zum Spielen und Herum probieren zu motivieren („Probieren Sie es einfach einmal aus.“). Wie wir feststellen konnten, senkte sich damit die Hemmschwelle für ältere und weniger computeraffine Menschen. Eine nicht technische Implikation, die nicht übersehen werden sollte, ist jene des Datenschutzes. Hiermit meinen wir nicht die Verwendung der Daten durch die Forscher (dass diese gerade bei personenbezogenen Daten besondere Aufmerksamkeit und Sorgfalt erfordert, sollte sich von selbst verstehen), sondern, dass computerunterstützte Erhebungen bei den Interviewten zu mehr Ängsten bezogen auf die Anonymität der Befragung führen, als papierbasierte Erhebungen. So wurden wir darauf aufmerksam gemacht, dass die Berührung des Touchscreens mit den Fingern die Befürchtung auslöste, nun sei der persönliche Fingerabdruck abgenommen worden. Diese Hemmschwelle konnte abgebaut werden, indem wir einen Stift verwendeten. Wünschenswert wäre es, den möglichen
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Auswirkungen solcher Aspekte auf die Datenqualität in Zukunft genauer nachzugehen. Die speziellen Beschränkungen der Touchscreen-gesteuerten Instrumente liegen aktuell noch im technischen Bereich. Zum einen betrifft dies die Akkulaufzeit der Geräte und zum anderen die Bildschirmgröße. Geräte, welche im Anschaffungspreis mit den Kosten von Laptops vergleichbar sind, sind aktuell noch auf sehr kleine Bildschirmgrößen (ca. 13 Zoll) beschränkt. Da diese technischen Einschränkungen jedoch mit fortschreitender Entwicklung zunehmend weniger Bedeutung haben werden und die Vorteile die weiteren Einschränkungen überwiegen, ist damit zu rechnen, dass in der Netzwerkforschung zukünftig zunehmend Touchscreen-gesteuerte Instrumente zum Einsatz kommen werden.
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Die Konstitution personaler Netzwerke Ein psychologischer Ansatz H OLGER VON DER L IPPE UND N INA -S OPHIE G AEDE
In der Psychologie lässt sich seit einiger Zeit ein Interesse am sozialwissenschaftlichen Netzwerkkonzept beobachten (Lang 2005; Laireiter 2009; Kühn 2006; Neyer 2005; Straus 2002). Zunächst war das Konzept des „soziales Netzwerks“ in seiner ethnografischen bzw. soziologischen Fassung – von wenigen mitunter kontrovers diskutierten Ausnahmen abgesehen (z.B. Bott 1957; Kahn/ Antonucci 1980; Moreno 1937) – ein schwer zugängliches Konstrukt für die Psychologie geblieben. Die für eine Rezeption insbesondere in Frage kommenden Teildisziplinen wie die Sozial- oder Entwicklungspsychologie fokussierten traditionell andere Beziehungsthemen wie Eltern-Kind-Dyaden, Paarbeziehungen, Triaden, Gruppen oder zuletzt auch Systeme (Heidbrink/Lück/Schmidtmann 2009; Schmidt-Denter 2005; Schneewind 2010). Das soziale Netzwerk stellte lange Zeit ein sperriges und in die Psychologie schwer einzugliederndes Gebilde dar. Auch heute gilt dies weiterhin, da von einem entwickelten psychologischen Netzwerkbegriff bzw. einer intensiven Beschäftigung mit dem Thema nicht die Rede sein kann. Doch scheint sich hier in jüngster Zeit etwas zu verändern. Eine ganze Reihe von (psychometrischen) Erhebungsverfahren trägt inzwischen das „network“ im Titel, z.B. das Network of Relationships Inventory (NSI, Furman/ Buhrmester 1985), die Lubben Social Network Scale (LSNS, Lubben 1988) oder den Social Networks in Adult Life Questionnaire (SNAL, Antonucci/Akiyama 1987), neben vielen anderen, die von social support oder social interaction sprechen, wenn sie im Grunde Netzwerk- oder netzwerkartige Daten erheben. Diese Verfahren werden jedoch nicht nur entwickelt, sondern auch vermehrt eingesetzt, wie eine Recherche zur empirischen Verwendung von Netzwerk- und so-
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cial support-Instrumenten in der internationalen Literaturdatenbank PsycINFO zeigt (vgl. Abbildung 1). Auch der an prominenter Stelle gegebene Hinweis von Asendorpf und Banse (2000: 223), dass das Netzwerk gar das komplexere und umfassendere Beziehungskonstrukt als das der Psychologie inzwischen vertraute „System“ sei, dürfte das Interesse der Disziplin zusätzlich geweckt haben. Gerontopsychologen finden inzwischen, dass die Form der sozialen Einbettung im Alter individuelles Wohlbefinden prädiziert (Fiori/Smith/Antonucci 2008; Huxhold/Mahne/Naumann 2010). Entwicklungspsychologen suchen nach den Mechanismen individueller Beziehungsregulation, indem sie etwa Anzeichen adaptiver Substitution von fehlenden Familienmitgliedern durch Freunde beobachten konnten (Wrzus/ Wagner/Neyer 2011) oder indem sie allgemein Fragen nach individueller Kompensation, Konkurrenz oder Generalisierung zwischen verschiedenen Beziehungsarten stellen (Wendt/Lang/Diewald 2008). Die Erwartungen an die „comparative study of interpersonal relationships“ (vgl. Cook 2010: 37) sind dabei durchaus nicht gering. Abbildung 1: Absolute Zahlen des empirischen Einsatzes von Netzwerkund Support-Instrumenten in der Datenbank PsycINFO über drei Dekaden (dargestellt sind kumulierte Häufigkeiten)1
Quelle: Zacharias 2010: 12
1
Wir danken Luisa Zacharias für die freundliche Überlassung.
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PERSONALER
N ETZWERKE
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Der folgende Beitrag stellt anhand eines empirischen Studienprojekts aus einem psychologischen Masterprogramm vor, wie und wozu Netzwerke mit digitalen Netzwerkkarten – hier mit dem Softwareprogramm VennMaker – erhoben und welche psychologischen Fragestellungen damit behandelt werden können. Der Beitrag knüpft somit auch am Rande an die aktuelle Diskussion zur methodischen Güte der Verwendung digitaler vs. herkömmlicher Netzwerkverfahren an (Gamper/Schönhuth/Kronenwett 2011; McCarty/Molina/Aguilar/Rota 2007), wird sich zentral jedoch mit inhaltlichen Fragen psychologischer Forschung zur Konstitution von egozentrierten Wichtigkeitsnetzwerken befassen. Wir werden hierzu zunächst eine Auswahl aus den psychologischen Fragestellungen unserer Erhebung skizzieren und daran anschließend ausführlich das methodische Design und den Studienablauf vorstellen. Es folgt eine Vorstellung ausgewählter Ergebnisse, die sich zum einen auf die Beantwortung der inhaltlichen Fragen beziehen und zum anderen die Funktionalität der Software thematisieren. Abschließend wird ein Ausblick hinsichtlich wünschenswerter Verbesserungen und dem künftigen psychologischen Einsatz des VennMaker gegeben werden.
1.
B EZIEHUNGS - UND FAMILIENPSYCHOLOGISCHE F RAGESTELLUNGEN IM N ETZWERKKONTEXT
Fragt man in der Psychologie nach personalen Beziehungen und der Relevanz ihrer jeweiligen Verknüpfungen untereinander, wird man mitunter zunächst an sogenannte systemische Ansätze in der Beziehungs- und Familienpsychologie denken. Die Familienpsychologie versteht sich als diejenige Teildisziplin der Psychologie, die sich mit dem individuellen Erleben und Verhalten im Kontext von Familienbeziehungen befasst (Schneewind 2010). Klassische Themen der diesbezüglichen empirischen Forschung beziehen sich beispielsweise auf die Intervention und Prävention bei familialen Entwicklungsübergängen wie z.B. der Geburt von Kindern, der Familienentwicklung bei schulischen Übergängen der Kinder, der Bewältigung von Ehescheidungen oder dem Eingehen von Stiefbzw. Patchwork-Konstellationen. Dass sich das soziale Netzwerk in diese thematische Ausrichtung des Fachs mit Aussicht auf Erfolg einbetten lässt, ist zunächst nicht selbstverständlich. Für die in der Literatur erst in Ansätzen diskutierte Frage nach der Verknüpfung der hergebrachten Beziehungs- und Familienpsychologie mit Netzwerkansätzen gibt es nun seit etwa 10 Jahren theoretisch wie empirisch ermutigende Hinweise. Dabei sind für die Psychologie zunächst vor allem die egozentrierten,
140 | HOLGER VON DER L IPPE UND NINA -S OPHIE GAEDE
unimodalen Netzwerke aus Personen von Interesse. So konnten die interdisziplinär einschlägigen Ergebnisse der Forschungsgruppe um Eric Widmer (Widmer/Kellerhals/Levy 2004; Widmer/Giudici/Le Goff/Pollien 2009) zeigen, dass die subjektive Beziehungszufriedenheit von Ehepaaren nicht nur mit individualpsychologischen Parametern einhergeht (die Psychologie würde hier etwa an individuelle Kommunikations- und Copingstile oder Persönlichkeitsmerkmale denken), sondern dass es auch einen Effekt der Struktur des partnerschaftlichen Netzwerkes gibt. Widmer et al. (2004) finden unter anderem, dass bei einem Netzwerk, in dem beide Partner starke Verbindungen zu familiären und freundschaftlichen Netzwerksegmenten unterhalten, die Paarzufriedenheit und -stabilität höher ist als bei anderen Netzwerkkonstellationen. Die beziehungspsychologische Studie von Wrzus et al. (2011) zeigt ferner, dass junge Erwachsene, deren Netzwerke sich durch eine besonders geringe Anzahl horizontaler Verwandter (das sind z.B. Geschwister und Cousins, also etwa gleichaltrige Verwandte) auszeichnet, subjektiv besonders stark von einer hohen Zahl an Freundschaftsbeziehungen profitieren können. In aktuellen Arbeiten aus der systemischen und Familien-Therapie wird ganz ähnlich thematisiert, dass es für das Verständnis individueller Entwicklungen nicht hinreichend sein könnte, nur die Familienbeziehung (etwa in Form des klassischen „Familienbaums“ oder Genogramms, vgl. McGoldrick/Gerson/Petry 2009) zu kennen, sondern zusätzlich „Freunde, Bekannte, Kollegen usw.“ zu berücksichtigen, um den Einzelnen als „soziale[s] Atom“ adäquater zu verstehen (vgl. Schützenberger 2007: 25). Etwas ungewöhnlich für viele sozialwissenschaftliche Disziplinen mag hierbei der familientherapeutische Standard erscheinen, neben aktuell präsenten Personen auch nach bereits Verstorbenen zu fragen, da bekannt ist, dass sie subjektiv nicht selten über Loyalitäts- oder innere Verpflichtungsbeziehungen auf das individuelle Erleben und Verhalten einwirken können (McGoldrick et al. 2009). Einige Autoren aus der Entwicklungs- und Persönlichkeitspsychologie bemühen sich um die theoretische Fundierung der hier nur grob angedeuteten Entwicklungen. Lang, Asendorpf und Neyer (2005) betonen, dass unter dem für Beziehungsarten übergreifenden Konstrukt der Beziehungsgestaltung oder Beziehungsregulation alle Verhaltensweisen und Kognitionen des Individuums gefasst werden sollen, die auf „die Auswahl, Aktivierung oder Fortführung, Veränderung und Beendigung spezifischer sozialer Beziehungen gerichtet [sind]“ (Neyer 2005: 37). plädiert aus persönlichkeitspsychologischer Perspektive dafür, soziale Beziehungen stärker als bislang auch als Ausdruck der individuellen Persönlichkeit des Einzelnen zu sehen, Merkmale des sozialen Netzwerks einer Person möglicherweise gar als einen Bestandteil der Persönlichkeit zu betrachten. Lang (2005) bemängelt im gleichen Atemzug, dass sich u.a. die Psychologie diesen
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PERSONALER
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Fragen in einer Entwicklungs- bzw. Lebenspannenperspektive bislang vergleichsweise wenig gewidmet hat. Insgesamt hat es also den Anschein, dass das soziale Netzwerk als „Konzept mit der Last der großen Hoffnungen“ (Keupp 1987, zit. n. Keul, 1993: 49) derzeit seinen Einzug in die Psychologie erlebt. Hier wird es vor allem – und im Unterschied etwa zur Soziologie – unter dem Gesichtspunkt individueller Gestaltungsmöglichkeiten und -prozesse sowie seiner Effekte auf die individuelle Entwicklung von Persönlichkeitsbereichen betrachtet. Zu den in der Psychologie empirisch aktuell am stärksten verfolgten Fragen gehören ohne Zweifel jene, ob, wie und mit welchem Ergebnis Individuen zwischen verschiedenen Beziehungen im Netzwerk kompensieren, konkurrieren, generalisieren oder substituieren. Wendt et al. (2008) definieren etwa – und dies wird für den folgenden empirischen Ansatz besonders relevant sein – Kompensation und Substitution als „supportive Leistungspotentiale von Beziehungen, die sich in der Auswahl und Mobilisierung zusätzlicher emotionaler Unterstützung, konkreter Hilfen und informeller Leistungen widerspiegeln“ (ebd.: 460), Konkurrenz als den „Konflikt zwischen subjektiven Bedeutungsstrukturen (Zielen, Orientierungen) und Investitionen (Zeitbudget, -aufteilung)“ (ebd.) sowie Generalisierung als Übertragung negativer oder positiver Ereignisse in einem Teilnetzwerk auf Qualitäten anderer Beziehungen. Sie können empirisch erste Belege für sämtliche dieser hypothetisierten Effekte beim Vergleich von Netzwerkbeziehungen aus dem beruflichen, familialen und Freundschafts-Sektor egozentrierter Netzwerke aufzeigen. Insgesamt erscheint es uns aus dem Gesagten heraus als angemessenes und lohnenswertes Ziel, in einem explorativen und als Pilotstudie konzipierten Studienprojekt die individuelle Konstitution personaler Netzwerke junger Erwachsener grundlegend und umfassend induktiv zu erkunden. Dabei verfolgen wir das Ziel einer möglichst detailreichen und umfassenden Erfassung von aktuell oder in der Vergangenheit als subjektiv wichtig empfundenen familialen und außerfamilialen Beziehungen junger Erwachsener sowie der subjektiven Wahrnehmung der Beziehungen der Personen untereinander (d.h. der kognitiven relationalen Netzwerkstruktur). An eine solch umfassende Netzwerkerhebung kann eine große Zahl sinnvoller Fragestellungen geknüpft werden, an denen wir uns im Folgenden orientieren: 1. Netzwerkstruktur: Wie ist das subjektive Wichtigkeitsnetzwerk junger Erwachsener strukturell zusammengesetzt? 2. Beziehungsdimensionen: Hinsichtlich welcher Beziehungsqualitäten unterscheiden sich Netzwerkbeziehungen, und welche bestimmen das Erleben von subjektiver Relevanz?
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3. Zusammenhangsfragen: Lassen sich Hinweise auf Kompensations-, Konkurrenz-, Substitutions- oder Generalisierungsphänomene in den Netzwerken junger Erwachsener finden? Neben einer Beschreibung des mit VennMaker durchgeführten Studienprojekts möchten wir nachfolgend auch einen Einblick in unsere Beantwortung dieser Fragestellungen bieten.
2.
M ETHODISCHES V ORGEHEN
2.1
Stichprobe und Untersuchungsablauf
Die Erhebung fand mit 92 Teilnehmern aus dem Bachelor-Studiengang Psychologie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg statt. Das mittlere Alter der Teilnehmer lag bei 21,9 Jahren (SD = 3,66 Jahre, range = 18-40 Jahre). Die Datenerhebung erfolgte anonym und standardisiert hinsichtlich Ort und Instruktion als Gruppenerhebung in einem Computerpool des Instituts. Insgesamt wurden acht verschiedene Termine realisiert mit einer durchschnittlichen Teilnehmerzahl von 11,5 pro Erhebung. Die Teilnehmer wurden über den Zweck der Studie aufgeklärt und anschließend durch den Erhebungsleiter (Studierende aus dem Masterprogramm mit Schwerpunkt Familienpsychologie) Schritt für Schritt durch das VennMaker-Interview geleitet. Zunächst waren als Ego Interpreter einige sozio-demografische Fragen, zehn Items zur Kernpersönlichkeit (Big-FiveInventory-10, Rammstedt 2007) und sieben Items zur subjektiven Zufriedenheit mit sozialen Beziehungen (FLZ-Skala „Freunde, Bekannte und Verwandte“, Fahrenberg/Myrtek/Schuhmacher/Brähler 2001) zu beantworten. In der daran anschließenden Instruktion zum Network Generator wurden die Teilnehmer gebeten, bis zu 15 für sie aktuell oder in der Vergangenheit einmal wichtige Personen einzutragen. Wir verwendeten dabei eine schriftlich dargestellte und für die Teilnehmer nachlesbare, gleichwohl sehr komplexe Generatorfrage, die man als einen familienzentrierten Wichtigkeitsgenerator (Burt 1984) bezeichnen kann: „Nun interessieren wir uns für die Menschen, die Dir in Deinem Leben wichtig sind oder waren, die in Deinem Leben aktuell eine wichtige Rolle spielen oder gespielt haben. Das können positive, aber auch negative Beziehungen sein. Zuerst möchten wir Dich bitten, an die wichtigen Personen zu denken, die für Dich zu DEINER FAMILIE gehören oder einmal gehörten. Stell Dir bitte einmal DEINEN FA-
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MILIENSTAMMBAUM vor (z.B. Eltern, Großeltern etc.) und überlege, wer daraus für Dich heute eine wichtige Rolle spielt oder in der Vergangenheit einmal gespielt hat. Dann gibt es vermutlich NOCH WEITERE PERSONEN, die in Deinem Leben wichtig sind oder es einmal waren. Denk bitte einmal an Deinen KREIS VON SOZIALEN BEZIEHUNGEN bzw. DEIN SOZIALES NETZWERK (z.B. Freunde, Kollegen, etc.), wer daraus spielt für Dich heute eine wichtige Rolle oder hat es in der Vergangenheit einmal getan?“
Diese anspruchsvolle Instruktion wird auf Seiten der Methode sicherlich kritisch zu diskutieren sein. An dieser Stelle ist lediglich von Bedeutung, dass sie Elemente des oben genannten familienpsychologischen Genogramms mit solchen des kognitiven Soziogramms verknüpft. Im Anschluss daran (draw network) sollten die Probanden die genannten Alteri per drag and drop auf einer vorbereiteten Netzwerkkarte (Abbildung 2) platzieren. Diese entsprach im großen Ganzen der Kahn und Antonucci’schen Karte (vgl. Abbildung 2) mit konzentrischen Kreisen, wobei die beiden Sektoren „Meine Familie“ und „Andere“ farblich voneinander getrennt wurden (siehe auch Bernardi/Keim/von der Lippe, im Erscheinen). Anschließend wurden die Teilnehmer gebeten, im Uhrzeigersinn bei „neun Uhr“ beginnend durch ihre Abbildung Person für Person durchzugehen und anzugeben, welche Kontakte diese Person in dem vorliegenden Netzwerk zu allen anderen Personen inklusive Ego pflegt. Die Instruktion hierzu lautete: „Jetzt habt Ihr also grafisch dargestellt, wie wichtig die Leute für Euch sind, aber noch nicht, wie wichtig sich die Personen aus Eurer Sicht untereinander finden. (…) Wir möchten Euch nun bitten, so wie Ihr das persönlich wahrnehmt, einmal im Uhrzeigersinn im roten Sektor beginnend, durch alle Personen durchzugehen und zu entscheiden, mit wem aus diesem Netzwerk die erste Person im roten Sektor eine „sehr wichtige“, „wichtige“, „ein wenig wichtige“ oder „konflikthafte“ Beziehung hat. Der Pfeil hat ja eine Spitze, d.h. es geht um Eure Wahrnehmung, wo die erste Person diese Pfeile eintragen würde, wenn wir sie jetzt fragen könnten. (…) Wichtig: die Pfeile sollen auch auf Euch (Ego) zeigen, wenn Ihr selbst auch für die Person wichtig seid. Von Euch selbst sollte aber kein Pfeil eingetragen werden.“
Dazu konnten vier verschiedene, gerichtete relations ausgewählt werden: die Person „ist für X sehr wichtig“, ,,ist für X wichtig“, ,,ist für X ein wenig wichtig“ und ,,ist für X konflikthaft“. In der Terminologie der Soziologie handelte es sich dabei also um die cognitive network structure (Widmer et al. 2004), aus Sicht der systemischen Psychotherapie würde man dies als Antworten auf zirku-
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läre Fragen bezeichnen, eine Kerntechnik der systemischen Psychotherapie (z.B. Pfeffer 2004). Das Interview schloss mit den Namensinterpretatoren ab, in denen die Teilnehmer Fragen zu den angegebenen Personen und ihrer Beziehung zu ihnen beantworteten. Zunächst wurden demografische Variablen wie Alter, Geschlecht und Wohnentfernung der Alteri erfragt sowie der Beziehungsart (Elter, Verwandter, Freund, Partner usw.) eruiert, schließlich folgten 27 psychometrische Items aus den Skalen zu Beziehungskonstrukten zu beantworten, die eigens für diese Untersuchung aus der Literatur ausgewählt und zusammengestellt wurden (siehe dazu den folgenden Abschnitt). Abbildung 2: Die verwendete Netzwerkkarte in Anlehnung an Kahn und Antonucci (1980)
Quelle: Eigene Darstellung
Theory of Adult Siblings Relations (Stewart, Verbrugge & Beilfuss, 1998)
ADF-Self Affirmation-Value
Wenn wir über Einstellungen und Meinungen diskutieren, bringt er/sie Gesichtspunkte ein, die mich die Dinge in einem neuen Licht sehen lassen. Er/sie versteht die persönlichen Ziele und Ideale, die mir am wichtigsten sind, und ermutigt mich, sie weiter zu verfolgen.
Wenn ich an ihn/sie denke, werden bei mir gleich eine Menge von guten Erinnerungen wach.
„Wie sehr schätzen Sie die Dinge, die er/sie tut?“
„Wie sehr haben Sie ihm/ihr gegenüber das Gefühl der Liebe oder Zuneigung?“
./.
Er/sie ist die Art Mensch, die ich sehr vermissen würde, wenn etwas passierte, das unsere Beziehung stören würde.
Wie gut versteht er/sie Sie wirklich?“
./.
„Wie sehr haben Sie ihm/ihr gegenüber das Gefühl der Liebe oder Zuneigung?“ Wie oft fühlen Sie sich von ihm/ihr herabgesetzt?“
„Er/sie ist die Art Mensch, die ich sehr vermissen würde, wenn etwas passierte, das unsere Beziehung stören würde.“
Unser Lebensstil ist im großen Ganzen sehr unterschiedlich.
Beispielitem
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Quelle: Eigene Darstellung
Identität
NRI-Admiration, ASQR-Bewunderung eigene Items (v.d.Lippe & Knie, 2009)
Wertschätzung Reminiszenz
ADF-Stimulation Value
NRI-Affektive Beziehung
Emotionale Nähe
./.
./.
Leidenschaft
Motivation
ADF-Person-qua-Person (Pfisterer, 2006)
Bindung
./.
ASQR-Vertrautheit
psych. Intimität
Zusätzliche Skalen
ASRQ-Feindseligkeit ./.
Konflikt Rivalität
Grounded Theory der Freundschaft (v.d. Lippe & Knie, 2009)
NRI-Affektive Beziehung (Rieger & Buhl, 2004)
NRI-Verbundenheit (Rieger & Buhl, 2004)
Verbundenheit Wärme
ASRQ-Ähnlichkeit(umgepolt) (Heyeres, 2006)
eingesetzte Skala
Autonomie
Dimensionen der psych. Beziehungsqualität (ausgeschlossene Dimension jeweils gestrichen)
Freundschaft
Partnerschaft Triangular Theory of Love (Sternberg, 1986)
Geschwister
Eltern-(erw.) Kind Individuationstheorie (Youniss, 1985)
Beziehungstyp
zugrunde gelegte Theorie bzw. Konzeptualisierung
Tabelle 1: Übersicht über die operationalisierten Beziehungsdimensionen (Quellenangabe jeweils bei Erstnennung des Instruments
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2.2
Zum Problem der Instrumentenwahl bei vergleichenden Beziehungsstudien
In der Untersuchung sollte die Nennung „wichtiger Netzwerkpersonen“ lediglich nach der subjektiven Einschätzung von Ego ohne weitere Einschränkungen erfolgen. Somit konnten Eltern-(erwachsenes)Kind-Beziehungen, Geschwisterund andere Verwandtschaftsbeziehungen sowie Freundschaften, Bekanntschaften oder (Ex-)Partnerschaften genannt werden. Hier schließt sich nun die Frage an, mit welchen standardisierten Instrumenten man all diese verschiedenen Beziehungen in einer gemeinsamen Erhebung bemessen kann. Wir haben uns für einen komparativ-phänomenologischen Weg entschieden. Hierfür wurden für die vier zentralen Beziehungsarten jeweils eigene Theorien bzw. Konzeptualisierungen herangezogen, welche die psychologische Qualität dieser Beziehungart durch mehrere Dimensionen beschreiben (phänomenologisch; siehe Spalte 2 in Tabelle 1). Diejenigen Beziehungsdimensionen, die theoretisch auch bei allen übrigen Beziehungsarten sinnvoll vorliegen können, wurden dann für sämtliche Namensinterpretatoren eingesetzt (komparativ; vgl. Spalte 3 in Tabelle 1). Aus der Literatur wurde hierzu jeweils die kürzeste Skala ausgewählt bzw. durch Kürzung gebildet, welche die jeweilige Dimension auch für alle anderen Beziehungsarten am besten zu erfassen vermochte (vgl. Spalte 4 in Tabelle 1). Zudem erhoben wir mit zwei separaten Skalen probeweise die wahrgenommene Motivation und Identitätsbestätigung durch die Beziehung. In Tabelle 1 wird die Instrumentenauswahl, die wir hier nicht weiter vertiefen können, im Überblick dargestellt. Zur Beantwortung aller Items stand den Befragten jeweils eine 5-Punkt-Likert-Skala zur Verfügung (Rohrmann 1978).
3.
E RGEBNISSE
3.1
Evaluation des empirischen Vorgehens und des Erhebungsinstruments
UND AUSGEWÄHLTE M ETHODENFRAGEN
Alle Studienteilnehmer bewerteten die Arbeit mit dem VennMaker sehr positiv. Dies ist umso erstaunlicher, als Studierende in der Psychologie üblicherweise eine ganz andere Form von „standardisierten Erhebungsumgebungen“ (Labor, Reaktionszeitmessungen, Fragebögen) gewohnt sind und sie bei dieser Erhebungaufgrund des damaligen Entwicklungsstandes der Software sehr viel Eigenleistung und Geduld aufbringen mussten. Beispielsweise sollten alle Teilnehmer per
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Instruktion das Hintergrundbild aus Abbildung 2 während der Erhebung selbst hochladen (die Software unterstützte diese Vorkonfiguration des Interviews noch nicht) oder die Bezeichnung und Art der Relationspfeile per Instruktion eigenständig verändern. Aber offenbar war die Verbindung von grafischen Elementen mit den üblichen Fragebogenitems für die Studierenden recht ansprechend und machte die für diese (hochselektive) Probandengruppe offenbar unerheblichen Software-hassles mehr als wett. Die Mehrzahl der Studienteilnehmer benötigte für das Zeichnen der Netzwerkkarte etwa ein Drittel der Erhebungszeit (ca. 2025 min.). Insgesamt betrug die durchschnittliche Dauer für die gesamte Erhebung etwa 60 Minuten. In Bezug zum Inhalt der Untersuchung zeigte sich, dass auch die komplexe Generatorfrage mühelos von den Studierenden beantwortet wurde. Das Zeichnen der wahrgenommenen Netzwerkbeziehungen erzeugte eine Vielzahl unterschiedlicher Beziehungsgebilde, die teilweise sehr aufwändig skizziert wurden. Dabei erwies sich die Begrenzung der Netzwerkgröße auf 15 zunächst als sehr bedeutsam, da die Grenze zur Unübersichtlichkeit bei den größeren und dichteren Netzwerken annähernd erreicht wurde. Zudem bewährte sich die Funktionalität Abbildung 3: Screenshot der Netzwerkkarte eines Studienteilnehmers
Quelle: Eigene Darstellung
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des VennMakers, auch während des Relationenzeichnens die Alteri noch entlang der Ringe verschieben zu können, als hilfreich. Abbildung 3 stellt eine der komplexeren Netzwerkgebilde aus der Erhebung dar. Bei der Speicherung der Daten ergab sich allerdings ein gravierendes technisches Problem; denn während der Konfiguration des Interviews hatten wir alle Items zu derselben Beziehungsskala (z.B. zu „Intimität“ oder „Wertschätzung“) mit demselben Namen bezeichnet. Das Programm verlangte in der damaligen Version allerdings nach einer Differenzierung der Variablennamen und generierte lediglich eine Variable, in welcher der jeweils letzte eingegebene Wert (d.h. bei einer Drei-Item-Skala des dritten Items) gespeichert wurde. Somit stand für die Auswertung pro Skala immer nur ein Wert zur Verfügung, was so nicht intendiert war. 3.2
Strukturergebnisse
Die 92 Teilnehmer generierten subjektive Wichtigkeitsnetzwerke mit insgesamt 1051 Alteri, das sind im Schnitt 11,4 Netzwerkpersonen pro Ego. Dabei war die Verteilung allerdings bimodal mit einem Gipfel bei n = 9 und einem zweiten bei n = 15 Alteri. Letzterer spricht für einen klaren Deckeneffekt, d.h. die Limitation auf 15 Netzwerkpersonen war zu restriktiv und erzeugte nur einen Ausschnitt aus dem Netzwerk. Methodisch ist dies u.E. als ein trade-off zu bewerten, denn einerseits sollte das Netzwerk nicht zu stark vorab beschränkt werden, andererseits sollte es noch möglich bleiben, die gewünschten Alter-Alter-Relationen grafisch einzutragen. Wir erachten für zukünftige Erhebungen eine Limitation auf 20-25 Alteri als einen vertretbaren Kompromiss. Im Schnitt wurden pro Teilnehmer 5,1 Familienmitglieder, 5,2 Nicht-Verwandte und 1,1 (Ex-)Partner benannt, wobei 8,2 Prozent der (Ex-)Partner in den Familiensektor, die Übrigen in den Bereich „Andere“ eingeordnet wurden. Tabelle 2 fasst weitere strukturelle Netzwerkmaße der Erhebung zusammen. Aus ihr wird ersichtlich, dass das Indegree-Zentralitätsmaß im Schnitt bei knapp 9 eingehenden Verbindungen pro Person lag und im Schnitt 26 Prozent aller eingehenden Beziehungswahlen realisiert wurden.
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Tabelle 2: Mittelwert (M), Standardabweichung (SD) sowie Minimum (min) und Maximum (max) der ermittelten Netzwerkparameter 1:*U|H *HRPHWULVFKH (QWIHUQXQJYRQ(JR ,QGHJUHH(JR ,QGHJUHH VWDQGDUG 'LFKWH
0
6'
PLQ
PD[
Quelle: Eigene Darstellung
3.3
Ergebnisse zu den Beziehungsdimensionen
Verwandte (kin) wurden im Schnitt als etwas wichtiger, d.h. näher zu Ego, in die Karte eingezeichnet (geometrische Entfernung von Ego: M = 38,43, SD = 22,36) als Nicht-Verwandte (non-kin; M = 49,34, SD = 26,23). Aber was bedeutet „Wichtigkeit“ nun für die jungen Studierenden unserer Untersuchung? Wir überprüften dazu die Vermutung, dass es von relationalen Beziehungsmerkmalen abhängt, in welchem Maße eine Person als wichtig bewertet und entsprechend auf der visuellen Ntezwerkkarte platziert wird. Um dies genauer zu verstehen, haben wir die zehn eingesetzten Beziehungsskalen aus Tabelle 1, die – wie gesagt – aufgrund der technischen Problem bei der Datenspeicherung auch zehn Items entsprachen, faktorisiert. Hier ließen sich zwei Beziehungsfaktoren abbilden, die die in der Literatur häufig vertretene Konzeption von zwei distinkten psychologischen Mechanismen bzw. Dimensionen von persönlichen Beziehungen (z.B. Nähe vs. Reziprozität, vgl. Lang 2005; Neyer/Lang 2003) annähernd reproduzieren. Der erste Faktor war in dieser Studie als Emotionale Nähe und Positiven Affekt zu verstehen (erste drei Hauptladungen: Bindung, Reminiszenz, emotionale Nähe), der zweite so etwas wie Psychologisches Spiegeln und Intimen Einblick in der Beziehung wieder (erste drei Hauptladungen: Intimität, Motivation, Identität; Methode: Hauptachsenanalyse mit promax obliquer Rotation mit r = .34 interkorrelierten Faktoren). Beide Faktoren erklärten im Modell mit einem adjustierten multiplen Bestimmtheitsmaß von R² = .58 das Wichtigkeits-Placement der Alteri (Positive Nähe und Affekt: ȕ = .62, p < .001; Spiegeln und Einblick: ȕ = .28, p < .001). Interessant ist ferner, dass diese Beziehungsfaktoren zwischen den Beziehungsarten deutlich differenzieren. Abbildung 4 stellt zunächst die Mediane für die zwei Faktoren jeweils für Verwandtschafts-, Nicht-Verwandtschafts- sowie (Ex-)Partnerschaftsbeziehungen dar. In einer post-hoc multinomialen Regression
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kann nun gezeigt werden, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Alter einer der drei Beziehungsarten angehört, durch die beiden Beziehungsdimensionen signifikant vorhergesagt werden kann (Multinomiale logistische Regression, Basiskategorie: kin, Likelihood Ratio Test: Ȥ²(4) = 72.96, Prob > Ȥ² = 0.000). Beide Beziehungsfaktoren sind für den Effekt jeweils einzeln signifikant (Nähe und Affekt: Likelihood Ratio Test: Ȥ²(2) = 63.64, Prob > Ȥ² = 0.000; Spiegeln und Einblick: Likelihood Ratio Test: Ȥ²(2) = 63.64, Prob > Ȥ² = 0.000).2 Diese Ergebnisse zeigen, dass sowohl die Platzierung in der Netzwerkkarte als auch die Zuordnung von Alteri zu verschiedenen Beziehungsarten in dieser Studie durch zwei Dimensionen der psychologischen Beziehungsqualität vorhergesagt werden kann. Dabei spielen zwei Beziehungsfaktoren in jeweils spezifischer Weise eine entscheidende Rolle.
.5
Abbildung 4: Mediane der zwei Beziehungsfaktoren nach Beziehungsart
-.1
.1
Medianwerte
.3
Nähe Affekt Spiegeln Einblick
kin
non-kin
rom. partner
Quelle: Eigene Darstellung
2
Dieses Verfahren prüft den Unterschied der Modellanpassung eines Modells mit den entsprechenden Kovariaten gegenüber einem sogenannten Null-Modells (alle Kovariate Ł 0) auf Signifikanz.
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3.4
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Zusammenhänge zwischen den Netzwerksegmente
Vor dem Hintergrund der skizzierten beziehungspsychologischen Fragen nach individueller Netzwerkgestaltung junger Erwachsener in Form von Kompensations-/Substitutions-, Konkurrenz- oder Generalisierungsprozessen betrachten wir nun die Platzierung der Alteri in den zwei vorgegebenen Netzwerksektoren (Familie/Andere) genauer. Die Anzahl der eingetragenen Familienmitglieder (kin) und jene der NichtFamilienmitglieder (non-kin) ist zunächst negativ miteinander verknüpft (r = -0,28, p < .01). Aufgrund des Deckeneffekts erscheint dies auf den ersten Blick als ein triviales Methodenartefakt. Denn je mehr Familienmitglieder als Antwort auf den ersten Teil des komplexen Generators eingetragen werden, desto weniger Raum bleibt zwangsläufig für die übrigen Alteri. Dagegen spricht jedoch, dass die Teilnehmer deutlich weniger kin als non-kin nannten (der Modalwert für kin lag bspw. bei drei, jener für non-kin bei sechs Personen), und wenn man die Korrelation nur für jene Fälle berechnet, in denen sich der Deckeneffekt nicht auswirkte (d.h. jene, die weniger als 15 Alteri angaben und somit noch weitere Personen hätten platzieren können), bleibt sie substantiell (r = -.35, p < .01, n = 74). Somit scheinen Beziehungsgestaltungseffekte als Erklärungsmöglichkeit plausibler: wer weniger Familienmitglieder als wichtig erachtet, wird bzw. kann mehr auf Nicht-Verwandte setzen (Kompensation bzw. Substitution), aber auch die geringere Konkurrenz um emotionale oder zeitliche Ressourcen im Netzwerk könnte als Erklärung dienen. Wir fragen nun genauer, wovon es abhängt, wie im Netzwerk die Beziehungssektoren gewichtet sind. Um ein von der Netzwerkgröße unabhängiges Maß für die Gewichtung der Sektoren zu erhalten, bildeten wir zunächst den Quotienten aus der Anzahl Nicht-Verwandter und der Anzahl Verwandter im Netzwerk (n(non-kin) / n(kin); M = 1,38, SD = 0,83, min = 0, max = 4). Wodurch wird dieser Quotient nun bestimmt? Eine plausible Hypothese wäre es, anzunehmen, dass diejenigen, denen Beziehungen in einem Sektor besonders wichtig sind, dort auch besonders viele Kontakte pflegen. Das könnten beispielsweise Familienorientierte sein, die im Familiensektor ihre bedeutendsten und zahlreichsten Kontakte unterhalten – oder vice versa Freundschaftsorientierte. Es zeigt sich nun genau das Gegenteil: Je wichtiger den jungen Erwachsenen im Durchschnitt die Beziehungen in ihrem Nicht-Verwandtschaftssektor im Verhältnis zum Familiensektor sind (wieder wurde ein Quotient zur Vergleichbarkeit gebildet), desto geringer ist dort die Anzahl im Verhältnis (Quotient) bei erneuter Kontrolle des Deckeneffekts (r = -.40, p < .001). Eine genauere Analyse zeigte, dass dieser auf den ersten Blick kontraintuitive Zusammenhang vor allem durch den statistisch signifikanten Ef-
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fekt im Nicht-Verwandtschaftsbereich hergestellt wird: Je wichtiger den jungen Erwachsenen die Beziehungen im Nicht-Verwandtschaftsbereich sind, desto geringer ist ihre Anzahl (r = -.28, p < .05). Fasst man dies zusammen, ergibt sich hier die Hypothese, dass besonders im Nicht-Verwandtschaftsbereich die Devise gilt: „weniger ist mehr“ bzw. umgekehrt formuliert: „mehr ist weniger“. Das würde heißen, dass junge Erwachsene, die emotional nahe und positiv affektive sowie spiegelnde und intimen Einblick nehmende Beziehungen mit Nicht-Verwandten pflegen, davon weniger unterhalten – und umgekehrt. Besonders große Freundschaftsnetzwerke sind im Schnitt aus psychologischer Sicht weniger gehaltvoll im Sinne der beiden genannten Beziehungsdimensionen. Ein anderer Quotient trägt weiterhin, und diesmal intuitiv verständlich, zur Erklärung der sektoralen Zusammensetzung egozentrierter Netzwerke junger Erwachsener bei. Für diesen haben wir die Adjazenz-Matrizen, die der VennMaker berechnet und ausgibt, genauer analysiert. Zur Erinnerung: Wir hatten die Teilnehmer ja gebeten, auch die gerichteten „Beziehungswahlen“ der Alteri untereinander und im Bezug auf Ego selbst aus ihrer Sicht anzugeben. Aus diesen Angaben haben wir nun eine Maßzahl für die relative wahrgenommene Wahl des Egos durch die Alteri gebildet, indem wir die durchschnittliche wahrgenommene Beziehungsstärke, die Ego für seine Alteri im Bezug auf sich selbst angab (von 1 = ein wenig wichtig bis 3 = sehr wichtig), ins Verhältnis zum Schnitt der übrigen Alter-Alter-Relationen setzten. Diese Zahl drückt also aus, wie bedeutend sich Ego im Netzwerk wahrnimmt und zwar relativ zu seinen übrigen Einschätzungen. Wir kontrollieren durch die Verhältnisbildung hier für Fälle, in denen sich Ego als sehr wichtig erachtet – aber auch alle anderen Alter-Alter-Beziehungen als „sehr wichtig“ einschätzt. In diesem Fall wäre das Ergebnis nicht Ego-spezifisch (dasselbe gilt analog auch für „Unwichtigkeit“). Hierzu findet sich wie bereits angedeutet erwartbare Ergebnis. Wer sich in einem Sektor als relativ wichtig für andere empfindet, hat dort etwas mehr Netzwerkpartner (r = .27, p < .05, wieder kontrolliert für den Deckeneffekt, siehe oben). Zudem gibt es einen Hinweis auf einen Generalisierungseffekt: die relative Wichtigkeitseinschätzung korreliert in beiden Sektoren positiv miteinander (r = .66, p < .001). Die Abbildung 5 stellt die Ergebnisse der verschiedenen Regressions- und Korrelationsmodelle im Überblick dar.
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Abbildung 5: Ergebnisse der Zusammenhangsanalysen zur Komposition des subjektiven Wichtigkeitsnetzwerks durch Verwandte und Nicht-Verwandte im Überblick3 Rel. Wahlen d. Nichtverw. Rel. Wahlen d. Verwandt .32** Pos. Nähe Nichtverw. Pos. Nähe Verw.
-.16(*)
-.19(*)
.49***
Spiegeln Nichtverw. Spiegeln Verw.
Anzahl Nichtverw. Anzahl Verw. -.26**
.59*** .15*
R² =.26
-.19(*)
Wichtigk. Nichtverw. Wichtigkeit Verw.
R² =.50
*** p < .01 ** p < .05 * p < .10 (*) p < .20 Quelle: Eigene Darstellung
Um unsere Ergebnisse abzuschließen, kommen wir noch kurz auf die Persönlichkeitsfrage zurück. Aus den Big Five erwies sich lediglich dispositionelle Gewissenhaftigkeit als ein Prädiktor für eine stärkere Favorisierung des Familiensektors (r = -.23, p < .001, bei Kontrolle des Deckeneffekts). Wer ist nun aber mit seinem Netzwerk besonders zufrieden? Hier erweisen sich in der multivariaten Regression (F(3, 67) = 3.37, p > F = 0.023) die Extravertierten tendenziell als eher zufrieden (ȕ = .21, p < .10), die Offenen als eher unzufrieden (ȕ = -.20, p < .10), mit ihren Netzwerken; wer im Nicht-Verwandtschaftssektor im Schnitt besonders wichtige Netzwerkpartner angab, zeigte eine höhere Zufriedenheit (ȕ = .27, p < .05),
3
Es handelt sich bei dieser Abbildung 5 lediglich um eine grafische Darstellung von gefundenen bi- und multivariaten Zusammenhängen, nicht um ein Pfadmodell; dieses ist für weitere Erhebungen intendiert. Die Gerichtetheit der Pfeile ergibt sich somit allein aus theoretischen Überlegungen.
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4.
D ISKUSSION
Die vorliegende Studie hat sich in einem familienpsychologischen Studienprojekt um die induktive und exploratorische Darstellung der Konstitutionsmerkmale egozentrierter Netzwerke von 92 jungen Studierenden bemüht. Dazu wurde die Funktionalität von VennMaker genutzt, durch welche sowohl die grafische Darstellung des Netzwerkes als auch die umfangreiche Erhebung psychometrischer Daten möglich war. Bei allen notwendigen Einschränkungen hinsichtlich des Pilotcharakters der Studie sind die vorliegenden Ergebnisse als ermutigend zu werten, dass eine gültige, ökonomische und dabei umfassende Erhebung sozialer Netzwerke mittels digitalen Netzwerkkarten zu leisten ist. Die vorgestellten Ergebnisse konnten interessante exploratorische Befunde für weitere Forschungsarbeiten generieren. So konnte etwa gezeigt werden, dass die subjektive Wichtigkeit von Personen und die eigene, wahrgenommene relative Beliebtheit entgegengesetzt auf die Zusammensetzung von Netzwerksektoren wirkt. Es hatte den Anschein, als wäre der Aufbau psychologisch bedeutsamer Beziehungen – und wir konnten aufzeigen, was das inhaltlich bedeutet – in der Altersgruppe der Studierenden in der Tat eine ganz entscheidende Beziehungsaufgabe. Wem das gelingt, der hat in diesem Sektor eher weniger als mehr Personen, ist aber schlussendlich auch zufriedener. In wie weit dies mit Persönlichkeits- oder Netzwerkstrukturmerkmalen zusammenhängt, wird die weitere Forschung zeigen müssen. Bei der Anwendung der digitalen Netzwerkkarte sind im Rahmen unserer Studie einige Aspekte hervorgetreten, aus denen sich denkbare sinnvolle Weiterentwicklungen der Software ergeben. Dazu zählt beispielsweise die Zeiterfassung für das Ausfüllen der Netzwerkkarte. Daraus könnte für die Untersuchung abgeleitet werden, ob es den Probanden Probleme bereitete die Beziehungen zwischen den einzelnen Personen anzugeben. Dieser Aspekt wird vor allem für Gruppenerhebungen entscheidend, da der Interviewer nicht bei jeder Person erfassen kann, wie schnell ein Proband seine grafische Darstellung erledigt. Eine weitere Empfehlung aus unserer Sicht bezieht sich auf die festgelegte Reihenfolge der einzelnen Untersuchungsbestandteile, wie dem Netzwerkgenerator oder dem Interview. Wenn der Versuchsleiter im Programm zu den bereits vorhandenen Untersuchungsteilen noch weitere nach Bedarf hinzufügen könnte, dann wäre damit die Möglichkeit geschaffen, innerhalb einer Studie mehrere Netzwerkkarten zu erstellen und gleichzeitig auch einzelne Interviewteile zwischen der grafischen Darstellung einzublenden. Man kann nicht davon ausgehen, dass es anderen Befragten in einer Gruppenerhebung so leicht wie den Studierenden fällt, eine komplexe Generatorfrage kompetent zu handhaben.
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Abschließend lässt sich festhalten, dass wir uns sehr viel vom methodenintegrativen Einsatz digitaler Netzwerkkarten, wie sie etwa der VennMaker operationalisiert, versprechen. Während dieses Studienprojekt lediglich quantitativ vorging, steht es ja inzwischen außer Frage, dass von der Integration qualitativer und quantitativer Methoden ein enormer zusätzlicher Gewinn zu erwarten sein wird.
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Visualisierung von Netzwerken im ökonomischen Kontext
Co-Leadership Success by Sharing Local and Global Information Networks R OLF D. S CHLUNZE , M ICHAEL P LATTNER AND W EIWEI J I
1.
I NTRODUCTION
According to Adler and Gundersen (2008:5) American management scientists often believe that modern management concepts and leadership principles can be uniformly applied to all employees across the globe. However, this efficiencyminded viewpoint is not realistic or even workable in Japan as recently a systematic interview survey about the importance of the cultural adjustment of European leaders of foreign firms in Japan showed (Schlunze 2012). Leadership is defined as the process of influencing employees to direct their efforts toward the achievement of particular goals (Hodgetts/Luthans 2000: 363). Studies about leadership have typically focused on individual-based leadership and group-focused leadership (Wu et al. 2010: 90). Chen et al. (2007: 331) argued that further study about leadership is necessary specifically regarding the dynamic integration between the individuals involved in a team and the team as a whole. In 1999 „Co-leaders: The Power of Great Partnerships“ was published by Heenan and Bennis. They were the first to present this new way of thinking about corporate co-leadership, proposing joint selection, complementary skills and emotional orientations, and mechanisms for coordination as the key factors that should be analyzed (O’Toole et al. 2002: 82). Johne and Harborne (2003) found that paired leadership was more successful than single leadership. Sally (2002) used „co-leadership“ to describe how the Roman Republic embraced a system of co-leadership in ancient times. Pare et al. (2007) found that co-leadership has a clear impact among immigrant entrepreneurs in Canada, which helped for the understanding of co-leadership in the creation and development of social capital used in the management of ethnic firms. Investigating dual leadership
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structures such as paired leadership, Zander and Butler (2010: 261) noted that „co-leadership involves enabling, participative and communicative leadership styles challenging traditional concepts of authority“. Traditionally, Japanese managers are said to have an advantage in maintaining group harmony. Similar to Japan, France is categorized by Hofstede (1991) as a country that maintains a large „power distance“ where subordinates are considerably dependent on their leaders. In this case study, one of the international managers comes from France but he admires German management style and maintains a critical stance towards the American style and shares values that encourage the implementation of corporate governance. This shows that the simplistic approach of viewing cultural differences as uniform within a country or even an individual does not work in every case. In contrast to changing styles in the Western business world, leadership in Asian societies has long functioned according to clearly defined hierarchies. Western managers leading in Asia may need collaboration in order to attain success within Asia. They will need to recruit an equal, not a subordinate, who can in real fact collaborate with them. Finding a suitable equal is a great challenge. On the one hand side, it could be seen as a dilemma situation to have an additional active president or two leaders in the same company. On the other side it could unlock potential synergy in a context driven business environment. Doing business in Japan means building relations with employees, customers, suppliers and other clients in the long term (Adler/Gundersen 2008: 32). Is this way of leadership networking the key for foreign expatriate managers who have constraints regarding their intercultural competence? Through the application of cultural competence, particularly in times of crisis and transition, it is important to create new business opportunities and generate successful strategies. Coordination and work increasingly occur through informal relationship networks rather than through formal structures such as organization charts committed to paper or prescribed work processes in value chains (Plattner 2012). Those „hidden work performances“ at the interpersonal level are invisible at first glance and often referred to as „social capital“. Culturally fluent agents have an underestimated economic effect on the success of corporate organizations, cooperation between companies, as well as business processes and business models (Kaeppeli 2006). Essential for good management and control practices is the inclusion of the social perspective. The „soft facts“ of social interaction can be visualized by social network analysis. Objectified this way they convert into „hard facts“ that can be applied to strategy building. Thus, networks become manageable assets. Network measures such as relational density, personal centrality or collaborative cohesion of subgroups help to identify influential
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roles and critical players in the business network, such as information brokers on the one hand and informational bottlenecks on the other hand. Consequently, the manager is able to reveal weak and strong ties, communication gaps and underutilized employees in the networking activities of organizations. Only through the inclusion of network perspectives in every step of the well-known management process of recognition, planning, action and control, is the manager in the position to propose the right action at the right time. Effective network optimization generates several benefits e.g. fast access to resources, information and knowledge advantages, flexibility and speed to market, as well as credibility and accountability which lead to higher reputation. In the following, an example of good practice based on networks is illustrated. The purpose of this case study is to investigate the network ability of co-leaders who were able to produce inter-cultural synergy among each other and in their workplace. Therefore, the hypothesis of this case study is that: Hypothesis 1: Skillful leaders who are able to share their information network are more able to negotiate satisfactory solutions. Hypothesis 2: Leaders with visions succeed to motivate each other while enthuse the headquarters and the board meeting for their strategic intent as well. This case study should contribute to further methodological developments for the concept of a contextual management appraisal as introduced initially by Eisenhardt (1989).
2.
M ETHODOLOGY
AND
M ATERIAL
A new approach investigating networking behavior of business leaders was developed for this study. In this study we introduce a new analytical tool, called VennMaker that we facilitated for research in the field of management geography. Our academic endeavor is the methodological development and visualization of managerial relations by network analyses with VennMaker. VennMaker is a new software tool for participative visualization and analysis of social networks. The software program allows for comparative analyses of different individual perspectives. It visualizes changes within a network through time. Every step is stored and can be tracked. VennMaker for the first time combines aspects of quantitative and qualitative network analysis. It has been developed within the research cluster at Trier University and Mainz University in Germany. Plattner (2012) presented case studies focusing on business in culturally distant locations
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evaluating dimensions, such as business centrality, brokerage of information across cultural distance, and cultural homophily. Investigating corporate, market and living patterns of foreign or international managers’ integration in a host country, he explained about „bridging cultural distance in geographical proximity“. Out of one hundred European managers based in Tokyo, one exceptional case of co-leadership success and intercultural synergy creation was introduced to us. In contrast to previous interviews we had the opportunity to investigate not only a European manager but his Japanese counterpart. Since we only present one case we do not attempt to generalize to all managers. Rather we hope to describe characteristics that might be important for synergy creation by international managers with different cultural backgrounds who wish to succeed in the intercultural workplace not by competing but through collaboration. Following an actor-centered approach, the two managers were interviewed separately to explain about their personal networks. They indicated crucial contacts for their business success in Tokyo. Initial interviews were conducted to deepen the understanding of the managers’ networking behavior during a workshop on intercultural competence in November 2009 and a workshop on International Human Resource Management in May 2010. A further in-depth interview about their ego-network was conducted on 24th May, 2010. A combined representation of their ego-network and a final in-depth interview in Tokyo with both research subjects took place on 17th September 2010. The evaluations control group consists of 34 European managing directors and presidents based in Tokyo. Accordingly, quantitative data from the onscreen analyses was triangulated with the in-depth interviews to confirm validity (Eisenhardt 1989; Yin 2003). Additionally, the content of this case study was regarded as the most interesting research case by European Business Council (EBC) listed managers – such cases are considered to deepen insight into the research objective and inspire theoretical development (Eisenhardt 1989; Bartunek et al. 2006). Thus, theoretical sampling of single cases is widely used and case study research exploits opportunities to explore a significant phenomenon (Weick 1993; Eisenhardt/Graebner 2007). In the center of the case study, two international managers (Mr. F and Mr. J), both have known each other for more than three decades, building a collegial relationship as co-workers and friends. They started working together in Hong Kong for a leading financial institution headquartered in the US. After that, they progressed as co-presidents of a Japanese insurance company that was purchased
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by a leading French company. Finally they worked as co-CEOs for the second largest French bank in Tokyo. Overall it appears that they succeeded in constructing an excellent relationship promoting each other’s business careers. The two research subjects were exposed to the Venn design, a circle with three sections representing corporate, market and living environments. Distant decay helped to distinguish local, national and international spaces. We asked the manager to indicate the supports crucial for their individual business success in the local work, market and living place. Then we did the same for the national and international level. Each manager needed to state about the importance of the supporter. We distinguished between male and female individual supporters and institutional supporters, among them corporate customers and clients. The strength of the relationship was also indicated by the thickness of the connecting arrow between the interviewee and the supporter. The visualized result of the network analysis was then used to discuss the strength and weakness of the individual network of the manager. Since the network chart in the end could be facilitated as a consulting tool providing instant feedback, it was usually appreciated by the managers interviewed. The options for scientific analysis are as follows.
3.
C ASE
STUDY RESULTS
As Schlunze and Ji (2012) showed in a previous study on mutual acculturation both managers entertain a collectivistic view of doing business in Japan. Mr. F and Mr. J both have universalistic viewpoints although their home cultures are categorized as particularistic cultures (Trompenaars and Hampden-Turner 2006). However, Mr. J the Japanese manager succeeded in making progress in his understanding of Western approaches and therefore sometimes appears to be Western while reconciling Eastern approaches. Both are actually able to compromise and reconcile between collectivism and individualism. They see it as their duty to take care of the staff and also to make sure that their individual credibility is ensured. Concerning emotions – as senior managers who seldom are challenged in a blunt way – they feel that they can insist on the luxury of being affective in their interactions, if necessary despite working in Japan’s low affect environment. The explanation is that they are CEOs from cultures where superiors draw much respect and careful consideration from their subordinates and other stakeholders. Thus, they will act and speak as important managers and show clearly that they are. The only dimension they seem to be opposite to each other is the range of involvement. Mr. J places emphasis on customer relations as in
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the traditional Japanese way, while the French manager – Mr. F – is more specific in his approach emphasizing profitability. However, he does it – in reflection of his cultural environment – by means of cultural reconciliations. The results suggest that the Japanese manager actually succeeded in introducing the diffuse way to his French friend who however resists this unique cultural approach intentionally to show certain professionalism and to get less involved. Therefore Mr. F can simply rely on his Japanese co-CEO in many cases. It is important to note that both of them originate from cultures where affiliation with an elite educational background has quite an importance. However, in their professional life they learned to shed this attitude and to adjust for interaction with their stakeholders in the American influenced global financial business sector. Their common career path working together for an American financial institution let them take advantage of a universalistic approach. Moreover the global business environment itself happened to favor this approach in many locations including Tokyo. Thus, by adjusting to the business environment, their approach merged. Concerning their private interaction as friends, sharing knowledge about particular management approaches gives them freedom to make exceptions and to be tolerant of each other. The interviewed co-leaders told us „We always argue, we never agree with each other.“ However, they informed us that they finally agree to each other when meeting other executives during the board meeting. When we asked them, who is in fact the leader, both exclaimed jokingly „You, you!“ However, it is not merely that they can comfort each other with their humor, but they are actually eager to share all necessary information for good decision making. They genuinely appreciate each other as mutual advisers in the decision making process. They have achieved this, because they worked together for decades, and because they used their joint capability to revive a Japanese insurance company successfully after it was taken over by a French company. It appears that Mr. F and Mr. J do have a quite similar way of viewing and resolving business problems. Differences that separate them derive not necessarily from the influence of their home culture (Schlunze and Ji 2012). Their business success and their success creating intercultural synergy is much influenced by general globalization trends, particularly in the financial industry which has changed not only their individual cultures but perhaps also the cultures where they used to work and live. It is certain that their collaboration in international business is indeed a success story due to their capability to perceive and adjust to changes not only individually but as co-leaders of a corporate organization. Managing the financial institution, their responsibility to the stakeholders guided their decision making and sustained their power. They explained their
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thinking about responsibility: „We didn’t divide responsibilities, his responsibility is my responsibility, and my responsibility is his responsibility. If brain can be divided into right and left side, but we didn’t divide.“ Their efforts to build a good reputation for the business are characterized by providing the utmost reliable information and advanced knowledge regarding their institution by connecting to important actors in a leading financial market. To facilitate this knowledge serving their local organization, they need to function as transcultural actors (Graen et. al. 1997) creating a heterogeneous team at the board meeting level (Earley and Gibson 2002). 3.1
Results – Network Interview: Mr. F
The results of the network analyses will be introduced as follows. First, the analysis of Mr. F’s network is summarized also in Figure 1 and Table 1. 3.1.1 Local level Mr. F’s good friend and co-worker in Tokyo is Mr. J, both know each other from the time when they used to work together in Hong Kong back to the 1970s. Mr. F’s Japanese co-worker is by far the most important element of his business success in the local market of Tokyo. Together with Mr. J, he succeeds in producing intercultural synergy that helps him and his mentor to promote their careers. Additionally, he has been able to count on several other corporate supporters within Tokyo. Within the local market environment he keeps close working contacts with clients as well as friendly yet task-oriented relations with information providers. Within his living environment there is a cyclist friend who is a close young friend and also a mentee. Mr. F has got foreign friends in Tokyo who are involved in cycling sports that respect him and consult with him about various problems. They were important informants to the authors introducing the coCEOs making possible this case study. In total there are about five foreign mentees that consult him about work and private problems. Such problems include business and private life issues such as subordinates, worries about relationships with local and expatriate managers, as well as spouse and family including schooling problems. These mentees come from former employment situations. He gave a simple explanation explaining this achievement by emphasizing, „At the companies I worked for, I developed good relationships.“
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Figure 1: Mr. F network analysis
Source: Own data
Table 1: Mr. F network analysis ,QWHUQDWLRQDO 1DWLRQDO /RFDO
&RUSRUDWH 6XSSRUWHUV&ROOHD JXHV )RUPHUVXSHUYLVRU 0HQWRU0U- 6XSSRUWHUV
0DUNHW (PSOR\HU6XSSRU WHUV 0HGLD &OLHQWV0HGLD &OLHQWV ,QIRUPDWLRQSURYLGHU
/LYLQJ $OXPQL3XEOLVKLQJ )DPLO\ 583URI &\FOLVW
Source: Own data
3.1.2 National level At the national level there are only a few relationships in the market environment: a client and media relations. Media relations became important for his work when he and Mr. J sold a Japanese financial company to an American company. This event was reported in Keizei Shinbun as well as in the Wall
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Street Journal in 2004. Further, he has got a good, old friend that comes from Osaka to Tokyo for dinner meetings to consult him and just to enjoy friendship. This person is a Japanese national indebted to Mr. F since he helped him in the past to overcome serious workplace problems and ultimately to become a CEO of a well-known global insurance company. 3.1.3 International level The most important recent linkage goes to a French university colleague. The contact, meeting for the first time in thirty years, resulted in his being offered „the job of his life“ in a global insurance company. They had known each other during university years taking graduate level business courses at a leading university in Paris. Mr. F told us that he is not a fan of alumni meetings. Thus, he even pulled out of the Alumni of his first assignment with a leading American bank. He told us that his „philosophy is not keeping many, but some important contacts.“ His way of networking is – as a result – very direct and straightforward. Here, he differs widely from his friend and co-worker, Mr. J., who conducts an indirect networking style which includes a lot of even „not yet known“ acquaintances. Mr. F keeps good contacts with three supporters in the UK that help him to connect and communicate financial business globally. Among them is a US lawyer based in London that provides first class information from the financial markets. It appears those linkages between the local and the global business environments are of foremost importance for his success. Thus, a lot of his success is due to the fact that his place of residence is Tokyo. Although he worked for US companies, he did not develop a human network in the US. Thus, his network is much focused on Euro-Asian relations. When he emphasized that his philosophy is not to keep a lot of contacts, but only some important contacts, he revealed that the quality of individuals in the network is a very important criterion for his success. The experience of the two managers described here, implies that traditional leadership concepts should be considered as co-leadership approaches capable to create intercultural synergy. 3.2
Results – Network Interview: Mr. J
Taking an actor-centered approach, we interviewed Mr. J about how his personal network is crucial for his business success in Japan. We began with interpreting the ego-network of Mr. F and Mr. J. The analysis of Mr. J’s network is summarized also in the following matrix.
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Figure 2: Mr. J’s network
Source: Own data
Table 2: Mr. J’s network ,QWHUQDWLRQDO
&RUSRUDWH (PSOR\HU 0HGLD,QIRUPDWLRQ
1DWLRQDO
&OLHQWV 0HGLDLQIRUPDWLRQ &OLHQWV6XSSRUWHUV 0HQWRU0U)
/RFDO Source: Own data
0DUNHW 6XSSRUWHUV6ZLVV &ROOHJH$,(6,6 )UHQFK86)RUPHU VXSHUYLVRU 6XSSRUWHUV&ROOHJH 0HQWRU
/LYLQJ $OXPQL
)DPLO\583URI
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3.2.1 Local Level Both research subjects mention that they are equals but Mr. F is very important for Mr. J as a mentor for global business providing a „somehow“ philosophical approach to practical problems. Additionally, two bi-directional linkages to his mentor/family and the alumni network embed him well in the living sphere. Mr. J and Mr. F were initially employees of competing companies when they met in Hong Kong. Mr. J started the contact with Mr. F by giving him a greeting in French. After a friendship had developed by discussing business issues, Mr. F invited Mr. J to work with him for the same company. Since that time they became a co-worker team. They used to be co-presidents for an insurance company and even after retirement they continued to work as co-CEOs. They confessed this would never have been possible without co-locating. Most of the local interactions done within and outside of the organization that are HR-related are conducted by Mr. J such as dealing with labor union, local clients and customers. In these relations Mr. J’s lawyer-network becomes crucial for his business success. However, Mr. J keeps Mr. F always up-dated on such dealings. For their common business success Mr. J maintains good connections to clients and gained many supporters within the local corporate environment. 3.2.2 National Level On the national level Mr. J is well embedded while Mr. F is more selective, since the Japanese financial industry is concentrated in Tokyo. However, he has some direct relationships with media such as Keizai Shinbun, the leading financial newspaper in Japan. 3.2.3 International Level Unlike his mentor Mr. F, Mr. J appreciates and enjoys his alumni relations. The alumni from his early years of study in Switzerland remain of great importance to his current business activities. During the interview he emphasized that AIE SEC plays an important role in his daily work. He mentioned that he communicates with members from AIESEC every month. He knew detailed information about AIESEC without even checking. AIESEC, an institution represented in over 107 countries and with over 45000 members, is the world’s largest student-run organization. It is an international platform for young people to discover and develop their potential so as to have a positive impact on society. AIESEC alumni are located all over the globe, working in various professions and industries and playing important roles in their communities.
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3.3
Co-leadership networking indicators
In the following section it is shown how both managers skillfully combined their networking activities to succeed in a local and a global business environment respectively. Their common network activities are mapped by the categories introduced below (also see Figure 3 and Table 3). Figure 3: Combined network of Co-leaders
Source: Own data
Table 3: Results of network analysis &LUFOH5HJLRQ &LUFOH1DWLRQ &LUFOH$EURDG 6HFWRU0DUNHW 6HFWRU&RUSRUDWH 6HFWRU/LYLQJ 7RWDO 'HQVLW\ZLWK(JR Source: Own data
0U)
0U-
&R/HDGHU
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3.3.1 Groups and networks Mr. J has got excellent access to stakeholder groups within the domestic work and market environment and his networking behavior appears to be indirect. Mr. F has got strong linkages to few, but influential, business people. The French and Japanese co-presidents replicated their synergy in a board of directors that consists of half international, half host country managers. Density reflects the ratio of the number of actual links in a population to the number of possible links in the same population. Actors in a high-density network are likely to have a greater level of contact than those in a low-density network. Thus, information can be expected to flow more freely among members of a high density network (Scott 1991). The density of Mr. J is higher than Mr. F, after combining their networks, the density of the Co-leaders’ network is 0.12. Mr. J. has got weak but important ties in the local and national market. Mr. F. commented the importance of such weak ties in the domestic market with following words: „Supporters exist everywhere and they are most important“. Both have got linkages that bridge corporate and market environments. Additionally, both have got a network that bridges market and living environment. Although they are of retirement age, they remain able to function as mentors for young foreign business people and bankers based in Tokyo educating and supervising them. Due to their engagement and credibility they are also tasked with CEO positions and still receive employment offers. The real broker role they have achieved is translating US and EU financial banking to the domestic, that is, Japanese, market and vice versa. Herein actually lies their strength that they have learned to market well. With 30 years of work experience in the financial business in Asia they could facilitate their personal intercultural synergy to attain leadership roles and to appear as important consultants in the community of financial practice (Wenger/McDermott/Snyder 2002). 3.3.2 Local versus global network Local networks are most important, but they can be only facilitated via a global network. Intercultural synergy between Mr. J and Mr. F is created throughout the process of communication between local and global communities of practice. Mr. F is a sophisticated broker for the global financial market, whereas Mr. J has got the understanding of global processes, but it is he who primarily acts as a broker to the local community of practice (Wenger et al. 2002). In sum, the local executive operates as a social-emotional leader, while the French national of the foreign firm is operating as a task-oriented leader within the co-leader team. In co-leadership they know how to overcome problems by implementing feasible solutions facilitating the cultural mix in order to gain efficiency.
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3.3.3 Centrality versus power In the financial world person A is likely to be located in New York but person B in London, Tokyo or Dubai. Local clients of Mr. F and Mr. J tend to be disconnected from the global financial business. They rely on Mr. F and Mr. J as a team of brokers connecting them to overseas markets in EU and the US. However, Mr. F and Mr. J are more in favor of consulting their clients about trade with London and other European financial markets where they have got more reliable supports. Another reason for favoring European financial business is the reliability and the transparency of the financial market due to stronger regulation and governmental control. Especially the restructuring process in the EU since the financial crisis is highly valued by them. It appears that such linkages, as provided by AIESEC with the expat community overseas, are very important for Mr. J to connect globally. In Japan he acts in a complementary role and collaborative fashion with Mr. F, facilitating his global and local knowledge. He used a Japanese proverb to emphasize his way of thinking: Nasake ha hito no tame ni narazu. The meaning is „A kindness is never wasted“. He applies this kindness to his friends and to his clients getting the most out of each relationship. For leaders it is crucial to develop their ability through learning from their experience. Leaders have to ride out the recession of the global economic crisis and therefore we need to rethink existing approaches. The network analysis presented here, suggests that co-leaders need to build mutual trust by strong ties such as friendship and by facilitating each other’s weak ties by opportunity with a view to create synergy in the intercultural workplace. They need to create a community that helps to integrate the commitment between foreigners with host country nationals. Through their co-leadership approach, they provide a successful pattern to make us rethink how to share power and knowledge in order to create a positive future for the entire organization. They emphasized such basic points as „Know yourself and your culture well. Have a good idea of your strengths, development needs, and avoid preconceptions“ as a recipe to lead and to compete in an intercultural business environment successfully.
4.
C ONCLUSIONS
The first hypothesis could be verified. The co-leaders share their information network and do not divide responsibilities. We found that an important strategy to succeed was that they always make sure that they reach satisfactory solutions by negotiating with each other about pro and cons of their decisions. We obser-
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ved that the network synergy increasing creativity, flexibility and problemsolving skills with a potential multiple effect for the organization in concern. The co-leaders could create network synergy and function as multipliers within their organization. The foreign leader admitted that it is sometimes hard to pursue decision-making when facing a local problem such as with the labor unions. According to Kaeppeli (2006) the missing cultural knowledge leads to the main obstacle of Western managers in Japan. However, the results from the discussed case infer that a possible solution is that networked leaders are initiating a reflective negotiation process among each other. Hereby they develop possible solutions for their international team enabling them to take on the challenges of an intercultural workplace in an international organization. Achieving outstanding knowledge on global and local financial business issues, they have served their company as information brokers and furthermore started to function as mentors for the international business community based in Tokyo. A strong will to integrate with the local business community while not disconnecting from the global community was an important practice revealing communication gaps. It was helpful for mutual understanding that the Japanese individual often was in favor of a Western approach, while the French manager appreciated Eastern approaches as well. As a result, they apply for decision making a well-known but often not thoroughly implemented management process. The process is based on the principle of mutual and interpersonal trust including such practices as complete information sharing. Their personal credibility and accountability is deeply transferred to the organization, leading to the good reputation and profitability of the entire organization. This is recognized publicly in the financial media in Tokyo and New York which then proves support in attracting new business opportunities to their organization as well as boosting their own career paths as a successful duo of international managers. After their retirement they became CEOs of a leading international financial institution’s subsidiary in Japan. Thus, we also got support from the network data for the second hypothesis that the co-leaders enthuse the headquarters and gives creditability in the local workplace. To conclude, the case infers that the co-leaders are able to make decisions together, and build consensus guiding their team. Through their combined individual network they leverage knowledge of global as well as local resources. Their work is disseminated in the corporate network that gives them the competence and creditability to lead people successfully. Although we had a bigger sample of actor-centered networks, we only presented one case study. The results of the analysis gave us confidence that the case presented is indeed interesting for the Tokyo based European Business
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Community. The approach outlined in this study should be replicated with other co-leaders in other global city locations. We hope that such co-leadership cases help to improve theories on firm resources and sustained competitive advantages.
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Netzwerke in und zwischen Finanzdienstleistungsunternehmen am Beispiel der genossenschaftlichen FinanzGruppe A NNA P OSER
Ökonomischer Erfolg wird auch heutzutage noch zu oft ausschließlich als Folge effizienten Wirtschaftens betrachtet. Insbesondere der Finanzdienstleistungssektor gilt als ein Bereich, der stark wie kaum ein anderer von Zahlen und Fakten geprägt ist und den menschlichen Faktor – wenn überhaupt – nur am Rande erwähnt. Mit Blick auf Geschäftsmodelle und Bankorganisation ist ein Denken in Prozessen und Systemarchitekturen vorherrschend. Auch verbreitete Ansätze des strategischen Managements wie der Market- oder Ressource-based-View begnügen sich überwiegend mit einer markt-strukturellen (bspw. Porter 1985) bzw. prozessual-strukturellen Betrachtung (Schulze 1994). Angesichts verhaltenswissenschaftlicher Ansätze wie beispielsweise die Human Relations-Bewegung, deren Grundstein vor allem die Hawthorne-Experimente (Mayo 1975 [1949]) legten, ist jedoch bekannt, dass der reine Homo oeconomicus nicht existiert. Jegliches Handeln ist eingebettet in soziale Beziehungsgeflechte (Granovetter 1985), die sowohl positiv/unterstützend als auch negativ/hemmend wirken können (vgl. Marx 2010: 160). In jedem Fall scheint die soziale Infrastruktur in und zwischen Unternehmen eine erhebliche ökonomische Relevanz zu besitzen, die es in bestehende Ansätze zu integrieren gilt. Eine ganzheitliche Organisationsbetrachtung sollte daher die sozial-interaktive Perspektive zumindest gleichberechtigt in den Fokus stellen. Dieser Beitrag zeigt an einem konkreten Praxisbeispiel aus dem Sektor der deutschen Genossenschaftsbanken wie mit Hilfe des Softwaretools VennMaker die zwischenmenschliche Ebene in Interviews erhoben, visualisiert und analy-
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siert werden kann. Neben einer quantitativen Analyse der Netzwerkstrukturen werden zugleich durch Dokumentation von Gesprächen auch qualitative Aussagen zu den Beziehungsinhalten der Akteure untereinander in die Analyse mit einbezogen. Im Vergleich zu herkömmlichen Erhebungsinstrumenten liegt der Vorteil dieses partizipativ-interaktiven Vorgehens vor allem auf dem sofortigen Feedback und darin, Lösungsansätze respektive Handlungsempfehlungen gemeinsam mit dem Interviewpartner zu erarbeiten. Die erhobenen individuellen Perspektiven der persönlichen Netzwerke werden anschließend zu einer übergeordneten Sicht auf Organisationsebene verdichtet.1
1.
N ETZWERK
DER GENOSSENSCHAFTLICHEN
F INANZ G RUPPE
Das Netzwerk der genossenschaftlichen FinanzGruppe besteht aus 1.138 lokalen Genossenschaftsbanken – den sog. Volksbanken und Raiffeisenbanken.2 Diese eher kleinen, autonomen Unternehmenseinheiten bilden die Primärebene des Finanzverbunds. Volksbanken Raiffeisenbanken sind Allfinanzinstitute, d.h. sie bieten ihren Kunden eine breite Palette an Finanzdienstleistungen aus einer Hand. Die Offerten der Genossenschaftsbanken, reichen von Hypothekendarlehen über Versicherungen, Leasing, Bausparen bis hin zu Investment- und Immobilienfonds. Unabhängig von ihrer Größe ist jede Genossenschaftsbank somit in der Lage, ihren Kunden alle gewünschten Finanzdienstleistungen anzubieten. Hierfür kommt es zu einer engen Zusammenarbeit zwischen den Verbundpartnern und Spezialinstituten (Abbildung 1). In ihrer Konzeption als Allfinanzanbieter und infolge des Aufbrechens der Wertschöpfungsketten durch kooperatives Outsourcing im Verbund geben die Primärbanken einen Teil ihrer unternehmerischen Souveränität auf, um mittels Kooperation ihre Handlungsmöglichkeiten zu erhöhen („Paradox der Kooperation“, vgl. Boettcher 1974: 42). Mit dieser Struktur soll auf der einen Seite eine Vielfalt gewährleistet werden, ohne auf der anderen Seite den zentralen Steuerungsmechanismus aufzugeben. Ziel ist es, die Komplexität zu reduzieren.
1
Die folgende Fallstudie stellt einen Auszug des Dissertationsprojekts der Autorin dar und ist somit eingebettet in einen weitergehenden empirischen Forschungszusammenhang.
2
Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, Stand 2010.
N ETZWERKE IN UND ZWISCHEN F INANZDIENSTLEISTUNGSUNTERNEHMEN
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Abbildung 1: Netzwerk der genossenschaftlichen FinanzGruppe
(UIROJRGHU 0LVVHUIROJ LVWDEKlQJLJ YRQH[WHUQHQ LQWHUQHQ %H]LHKXQJHQ
Quelle: Eigene Darstellung
Die genossenschaftliche Bankengruppe stellt damit keinen streng hierarchischen Finanzkonzern im formalen Sinne dar, sondern ein strategisches Netzwerk selbstständiger Organisationen. Das Leitmotiv der FinanzGruppe ist die rechtliche und ökonomische Unabhängigkeit der Genossenschaftsbanken auf lokaler Ebene. Die einzelnen Einheiten sind kooperativ-partnerschaftlich miteinander verbunden.3 Funktionen und Rollen sind arbeitsteilig auf die verschiedenen Verbundmitglieder verteilt, wobei die Genossenschaftsbanken als Vertriebsspezialisten an der Kundenschnittstelle auftreten, die Verbundunternehmen sich auf die Produktentwicklung, Infrastruktur oder administrative Aufgaben fokussieren (vgl. Eim 2007: 234f.). Man spricht hier von einer dezentralen Organisation. Historisch gewachsene Basisprinzipien der Genossenschaftsorganisation sind regionale Verwurzlung, Subsidiarität sowie Mitgliederorientierung – nachrangig wird Gewinnorientierung als Ziel genannt. Diese grundlegenden Prinzipien erfüllen als Ordnungsgrößen eine Koordinationsfunktion (vgl. Eim/Lamprecht/
3
Als Verbund stellt die genossenschaftliche FinanzGruppe die größte konsolidierte Bankengruppe Deutschlands nach Eigenkapital dar (FitchRatings 06/2010).
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Wipprich 2006: 56) und prägen die Struktur und Zusammenarbeit im Netzwerk maßgeblich.4 Eine der Stärken des kooperativen Unternehmensnetzwerks resultiert aus der Kombination der Vorteile kleiner, lokaler Einheiten mit denen einer großen starken Gruppe. Die geringe Größe der Primärbanken generiert Wettbewerbsvorteile aus Kundennähe und schneller Entscheidungsfindung (vgl. Bonus et al. 1999: 25ff.). Durch Modularisierung und Bündelung bestimmter Funktionen in größeren zentralen Einheiten wird hingegen die Nutzung von Economies of Scale und Scope ermöglicht (vgl. Payer 2002: 48f.). Vor diesem Hintergrund kann hier von einem komplementären System gesprochen werden, bei dem sich die Elemente gegenseitig in ihren positiven Effekten verstärken und in ihren negativen Effekten versuchen auszugleichen. Wird dieses Potenzial bei der Gestaltung des Systems genutzt, so wird von Konsistenz gesprochen (vgl. Hackethal/Tyrell 1999: 20ff.). Insbesondere für Finanzsysteme sowie die Subsysteme der Banken und Verbände stellt Konsistenz bzw. Nicht-Konsistenz eine wesentliche Eigenschaft und Beurteilungskriterium der Leistungsfähigkeit dar. Positive ökonomische Effekte können vor allem in einem reibungslos funktionierenden System mit aufeinander abgestimmten Elementen realisiert werden. Infolgedessen hängt der Erfolg oder Misserfolg eines Geschäftsmodells – ganz besonders bei einem solch komplexen arbeitsteiligen Gebilde wie der genossenschaftlichen Finanz Gruppe – maßgeblich von der Qualität der Beziehungen zwischen den beteiligten Akteuren ab. Die Fähigkeit, funktionsfähige Netzwerke zu bilden und partnerschaftlich mit anderen zu kooperieren, muss somit selbst zu einer Kernkompetenz werden (vgl. Doppler/Lauterburg 2008: 198f.). Forschungsgegenstand der vorliegenden Studie ist das soziale Netzwerk der externen und internen Beziehungen zwischen Akteuren des kooperativen genossenschaftlichen Banking. Um einen tieferen Einblick in die tatsächliche Zusammenarbeit zu erhalten, ist es nicht ausreichend, die beteiligten Organisationen als aggregierte Akteure zu betrachten. Desgleichen scheint es zudem nicht allein erfolgversprechend, finanzielle oder vertraglich geregelte Beziehungen zu analysieren, da auf diese Weise nur formale Verbindungen auf Unternehmensebene abgebildet werden. Der Fokus dieser empirischen Untersuchung richtet sich vielmehr auf die zwischenmenschliche Ebene, d.h. die sozialen Beziehungsgeflechte der Akteure.
4
Das sogenannte Regionalprinzip begrenzt den Wettbewerb horizontal zwischen den Einheiten, wohingegen das Subsidiaritätsprinzip die Funktionen vertikal koordiniert.
N ETZWERKE IN UND ZWISCHEN F INANZDIENSTLEISTUNGSUNTERNEHMEN
2.
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R ELEVANZ SOZIALER N ETZWERKE FÜR F INANZDIENSTLEISTUNGSUNTERNEHMEN
Der Finanzdienstleistungssektor wird nach wie vor von Kennzahlen, harten Fakten und vor allem dem Finanzkapital dominiert. Im Hinblick auf die Geschäftsmodelle und Bankorganisation ist ein Denken in Prozessen und Systemarchitekturen vorherrschend. Ferner ist die Optimierung der technischen Infrastruktur weit vorangeschritten (Theurl/Werries 2007). Hingegen wird der menschliche Faktor oftmals vernachlässigt und lediglich ansatzweise mit Humankapital-Konzepten einbezogen (vgl. Dürndorfer/Nink/Wood 2005: 11ff.). Soziale Beziehungen und Interaktionen – ökonomisch interpretiert als Sozialkapital – werden wenn überhaupt nur am Rande erwähnt und dann meist in Bezug auf den Kunden bzw. die Beratungssituation. Im Beratungsgeschäft spielt Sozialkapital in Form stabiler Berater-Klienten-Beziehungen eine wesentliche Rolle bei der Leistungserstellung, beim Kundenzugang und bei Folgegeschäften (vgl. Pennings/ Lee 1999: 59ff.). Jedoch kann nicht mehr bestritten werden, dass Netzwerke darüber hinaus für die Organisationen von Wichtigkeit sind. Das schon fast sprichwörtliche „[...] it’s not what you know, but who you know [...]“ (Lin 2001: 41) gilt sowohl für Transaktionen in als auch zwischen Organisationen. In diesem Sinne werden soziale Netzwerke sowohl als Chance als auch als Risiko für Unternehmen verstanden. Zum einen können soziale Strukturen als Störfaktor und Barriere bei jeglichen Maßnahmen wirken, zum anderen eröffnen sie aber auch breitere Handlungsmöglichkeiten und stellen somit einen Erfolgs- bzw. sogar Überlebensfaktor dar (vgl. Marx 2010: 159f.). In jedem Fall besitzt die soziale Infrastruktur in und zwischen Unternehmen eine erhebliche ökonomische Relevanz, die es in bestehende Ansätze zu integrieren gilt. Dass es den reinen Homo oeconomicus auch in der Finanzwelt nicht gibt, wurde ansatzweise in der Erklärung des nicht-rationalen Anlegerverhaltens im Behavioral Finance-Ansatz bewiesen (vgl. Kottke 2005: 20ff.). Jegliches Verhalten und Handeln ist eingebettet in soziale Netzwerke, die den Fluss von Informationen, Wissen und anderen Ressourcen zwischen Individuen und Gruppen steuern (vgl. Krackhardt/Kilduff 2002: 279). Heutzutage sind informelle Ratschläge und freundschaftliche Beziehungen entscheidend für die Ressourcenallokation und Entscheidungsfindung in modernen Organisationen (Krackhardt/Hanson 1993). Folglich müsste auch ein verhaltensgeprägtes, soziales Menschenbild in den Wirtschaftswissenschaften, welches auch strukturelle Abhängigkeiten für das Handeln heranzieht, mit in die Analyse einbezogen werden. Da die formale Organisationsstruktur nur einen „[...] Teilmoment an einem ‚natürlichen‘ Hand-
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lungssystem [...]“ (Luhmann 1964: 27) darstellt, spielen informale Strukturen und soziale Netzwerke eine wichtige Rolle für die möglichst vollständige Erklärung der Handlungen in Organisationen. Verbreitete Management- und Organisationstheorien begnügen sich jedoch mit einer prozessual-strukturellen Betrachtung: So basieren Ansätze der Neuen Institutionenökonomie auf einseitigen Transaktionskostenüberlegungen und ökonomischem Verhalten (vgl. Göbel 2002: 343ff.); wohingegen die Theorien des strategischen Managements zwar Qualitätsaspekte und ein bewussteres Handeln im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmungen heranziehen (siehe bspw. Porters „generic strategies“, 1985), aber dennoch eine Antwort auf verhaltenswissenschaftliche Fragestellungen schuldig bleiben. Studien über den Unternehmensalltag zeigen jedoch, dass das tatsächliche Organisationsverhalten mindestens ebenso stark von informellen wie von formellen Beziehungen beeinflusst wird (Krackhardt/Hanson 1993). Daraus folgt, dass eine ganzheitliche Organisationsbetrachtung immer auch die Analyse sozialer Netzwerke mit einschließen sollte. Nicht nur, aber vor allem auch im beziehungsintensiven Finanzdienstleistungssektor stellt die Untersuchung der sozialen Infrastruktur somit einen elementaren Baustein dar (Koppers/Poser 2010). Die Divergenz zwischen den bewährten Managementtheorien und der praktischen Unternehmenserfahrung, die die Relevanz der insbesondere im Finanzdienstleistungssektor bislang nahezu unerforschten sozial-interaktiven Einflussfaktoren spürbar werden lässt, waren Anlass für die dargestellte Analyse. Denn formale Organigramme, Prozesse und Wertschöpfungsmodelle sind nicht in der Lage den „hidden workplace“ (Cross/Parker 2004) – also die tatsächlichen Kommunikations- und Arbeitsabläufe – abzubilden. Mögliche Störungen bzw. Optimierungspotenziale auf der sozialen Ebene können so nicht aufgezeigt werden. Gerade die Netzwerkforschung rückt diese Beziehungsebene in den Mittelpunkt der Analyse. Intraorganisationale Netzwerke werden als Operationalisierung der ‚informellen Organisation‘ genutzt und damit von der formal festgelegten Hierarchie unterschieden (vgl. Holzer 2009: 668). Auf diese Weise können die gern als sogenannte ‚soft facts‘ bezeichneten sozialen Beziehungen visualisiert, objektiviert und damit ‚härter‘ gemacht werden. Im Gegensatz zu den bisherigen rein strukturellen Analysen auf der Organisationsebene, wird hier durch Verdichtung von Egonetzwerken zu Unternehmensnetzwerken ein kombiniertes Vorgehen aus der Detailtiefe narrativer Einzelinterviews und der Strukturuntersuchung von Gesamtnetzwerken gewählt. Zugleich wird damit der Forderung nach einer Weiterentwicklung des strukturalistischen Determinismus (vgl. Kropp 2008: 146ff.) hin zu einem poststrukturalistischen Paradigma nachgekommen. Bezogen auf die Analyse von Beziehungsstrukturen und Netzwerken beschreibt die Philosophie
N ETZWERKE IN UND ZWISCHEN F INANZDIENSTLEISTUNGSUNTERNEHMEN
| 185
des Poststrukturalismus eine Erweiterung der Denkhaltung des soziologischen Strukturalismus im Sinne einer breiteren theoretischen Fundierung des Netzwerkansatzes (vgl. Kilduff/Tsai 2003: 111ff.).
3.
F ORSCHUNGSMETHODE
UND
E RHEBUNGSTOOL
In der vorliegenden Studie wird keine ‚herkömmliche‘ Gesamtnetzwerkanalyse des intraorganisationalen Beziehungsgeflechts über standardisierte Fragebögen bzw. Akteur-Akteur-Matrizen durchgeführt. Um tiefgehende Erkenntnisse über den Aufbau und die Funktionsweise von Netzwerkstrukturen im kooperativen Privatkundengeschäft zu erhalten, wird ein nachvollziehendes Verstehen der Beziehungsgeflechte aus der Akteursperspektive gewählt. Hierzu werden zunächst egozentrierte Netzwerke in mehrstündigen In Depth-Interviews erhoben, die als Einzelfallstudien der Mikroebene ausgewertet werden und den jeweiligen Akteur, sein Verhalten und Handeln eingebettet in sein Netzwerk beleuchten.5 Unter Egonetzwerk wird das um eine fokale Person (Ego) herum verankerte soziale Netzwerk verstanden. Dabei werden neben den Akteuren (Alteri) und den EgoAlter-Relationen auch die Beziehungen für jedes Pärchen der Alteri erhoben (vgl. Schenk 1995: 15). Im Anschluss werden diese Egonetzwerke zu einer Gesamtsicht der informellen Infrastruktur zusammengesetzt und die gesammelten Informationen zu einem umfassenden Gesamtnetzwerk6 der Mesoebene stellvertretend für die jeweilige Primärbank verdichtet. Da im Rahmen von Egonetzwerkanalysen nicht nur Daten über Ego, sondern auch Informationen über die Alteri als Angaben über Dritte (sog. Proxydaten) erhoben werden, erscheint eine Vollerhebung bei qualitativ guten Daten und entsprechend gewissenhafter Auswahl der Interviewpartner gemäß den im Folgenden weiter ausgeführten methodologischen Überlegungen der Verfasserin zum Sampling nicht zwingend notwendig.7 Aus diesem Grund fiel die Entscheidung für eine Teilerhebung. Die Repräsentativität des gewählten Samples bei mitein-
5
Ergebnisse dieser Studien wurden als Beitrag auf der Konferenz des European Institute for Advanced Studies in Management (EIASM) zu „In-Depth and Case Studies in Entrepreneur-ship and Small Business Management“ am 2./3. Dezember 2010 in Brüssel präsentiert.
6
Auch im Folgenden wird die Mesoebene der zusammengesetzten Egonetzwerke als Gesamtnetzwerkebene bezeichnet.
7
Die Stichprobentheorie bei relationalen Netzwerkdaten ist bislang noch wenig entwickelt.
186 | A NNA POSER
ander verbundenen Elementen kann allerdings nicht durch Ziehung einer hinreichend großen Zufallsstichprobe – wie in der konventionellen empirischen Sozialforschung – gewährleistet werden (vgl. Jansen 2006: 87ff.). Das Sampling der Befragungseinheiten hat der Logik der realen Vernetzung zu folgen, weshalb bei der Auswahl der Interviewpartner besonders sorgfältig vorzugehen ist. In Initialgesprächen mit den verantwortlichen Vorständen als Experten des Untersuchungsfelds wird ein Kern von zu befragenden Akteuren ausgewählt, die als wichtige Bestandteile des Netzwerks angesehen werden (Reputationsmethode, vgl. Jansen 2006: 73). Diese Interviewpartner decken alle Hierarchiestufen ab und sollten durch Kombination ihrer Netzwerke ein möglichst vollständiges Abbild des Beziehungsgeflechts der Gesamtorganisation generieren. Die von einem Ego berichteten direkten Beziehungen werden durch die berichteten direkten Verbindungen der anderen interviewten Mitglieder ergänzt. Auf diese Weise werden komplexe Strukturen erfasst und auch indirekte Beziehungen sichtbar. Entscheidend für eine gute Datenqualität und Verwertbarkeit der Ergebnisse ist die Freiwilligkeit der Teilnahme und Auskunftsbereitschaft der Interviewpartner. Zum Teil werden auch Mitglieder des Betriebsrats mit eingebunden, um Vertrauen aufzubauen und die Akzeptanz zu erhöhen. Erst im Verlauf der Interviews zeigt sich, ob die getroffene Vorauswahl ausreichend ist und die benannten Interviewpartner mit ihren Egonetzwerken bzw. den dort generierten Akteuren das gesamte Netzwerk der Primärbank hinreichend erfassen. D.h. erfolgt über die verschiedenen Interviews hinweg eine Sättigung der Akteure, indem nur noch wenige ‚neue‘ zusätzliche Knoten an der Netzwerkperipherie generiert werden, so scheint das Gesamtunternehmensnetzwerk ausreichend erfasst. Die entscheidenden Akteure des Netzwerks werden in diesem Fall mehrfach von den Probanden genannt und ihre Netzwerke aus den verschiedenen Blickwinkeln beurteilt. Ist das Sampling der Akteure unzureichend und damit die Netzwerkabdeckung durch die bereits durchgeführten Interviews lückenhaft bzw. unplausibel, so werden weitere Alteri, die sich in den bisherigen Netzwerken als zentrale Knoten herauskristallisiert haben und noch nicht interviewt wurden, hinzugezogen und zu ihren Beziehungsgeflechten befragt. Dieses theoretische Sampling nach dem Schneeballprinzip8 wird im Idealfall so lange durchgeführt, bis eine ausreichende Sättigung erreicht wird. Letztendlich wird es hierdurch möglich, nahezu alle Beziehungen zwischen den Mitgliedern
8
Das Schneeballverfahren stellt eine Sonderform der Netzwerkabgrenzung dar bzw. ist eigentlich eine spezielle Methode der Stichprobenziehung, die den relationalen Charakter der Untersuchung berücksichtigt (vgl. Gabler 1992).
N ETZWERKE IN UND ZWISCHEN F INANZDIENSTLEISTUNGSUNTERNEHMEN
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Abbildung 2: Entwicklung des Akteursamples
Quelle: Eigene Darstellung
zu erfassen und gleichzeitig verschiedene Akteurssichten in einem Netzwerk abzugleichen bzw. gegenseitig zu validieren. Abbildung 2 stellt das kombinierte Vorgehen aus der qualitativen Auswahl der Befragungseinheiten durch Experten innerhalb der Primärbank und dem Schneeballverfahren schematisch dar. Begonnen wird die Erhebung mit den vom Vorstand benannten Akteuren des vermuteten Kernnetzwerks (in Abbildung 2 bspw. Ego A, B und C). Im Verlauf der Interviews lassen sich die so generierten einzelnen Egonetzwerke zusammensetzen. Dabei sind die Daten nach bestimmten Regeln zu verdichten (siehe hierzu Abschnitt 4). Wird nach Abschluss der Interviewphase mit den vorausgewählten Akteuren festgestellt, dass das sich ergebende Gesamtnetzwerk weiterhin große Lücken aufweist bzw. die Nennung der Akteure noch keine ausreichende Sättigung erkennen lässt (siehe Situation 3 in Abbildung 2), so sind weitere Interviewpartner zu identifizieren. Ausgehend von den bisherigen Ergebnis-
188 | A NNA POSER
sen wird ein Akteur mit vielen Nennungen9 ausgewählt (Akteur D) und zu seinem Egonetzwerk befragt (siehe Situation 4 der obigen Abbildung). Als Erhebungs- und Analyseinstrument der egozentrierten Netzwerke wird VennMaker10 eingesetzt. Grundlegende Philosophie hinter dem Softwaretool ist die Verbindung von kognitiven Netzwerkkarten (Kahn/Antonucci 1980) mit der klassischen Methode der sozialen Netzwerkanalyse (Wasserman/Faust 1994). Zum einen erlaubt die Erhebung mit Hilfe des VennMakers einen offenen und damit einen eher qualitativen Zugang, zum anderen können mit dem hier gewählten strukturierten und standardisierten Vorgehen auch quantitative Daten gewonnen werden. Die visuelle Erhebung mittels grafischer Benutzeroberfläche kann partizipativ-interaktiv mit dem Interviewpartner erfolgen (Gamper/Schönhuth/Kronenwett 2011). Die gemeinsame, kommunikative Visualisierung bietet die Möglichkeit einer ständigen qualitativen Evaluation und Validierung der Ergebnisse, wodurch sich die Datenqualität erhöht (Hollstein/Pfeffer 2010). Im Verlauf des Interviews werden die Relationen und Attribute aufgezeichnet, kodiert und stehen direkt im Anschluss als Soziomatrix bzw. CSV-Datei zur quantitativen Auswertung zur Verfügung. Dadurch wird ein aufwändiges Bereinigen, Eingeben und Bearbeiten der Daten gegenstandslos. Zusätzlich zu den Strukturen werden auch sämtliche qualitativen Informationen während der Befragung mittels integriertem Audiorecorder in Echtzeit aufgezeichnet. Im Anschluss an die interaktive Netzwerkerhebung können einfache Analysen sogleich mit dem Probanden durchgeführt und ihm auf diese Weise ein sofortiges Feedback gegeben werden. Das Netzwerk bleibt für den Interviewten nicht abstrakt, sondern wird greifbar. Hinzu kommt, dass Lösungsansätze und Handlungsempfehlungen gemeinsam erarbeitet werden können. Die Analyse bietet so auch dem Interviewpartner einen direkten Mehrwert. Allein die Visualisierung bringt einen Erkenntnisgewinn und schafft eine gemeinsame Basis zwischen Interviewtem und Interviewer, auf der weiter aufgebaut werden kann. Für tiefer gehende Analysen und anspruchsvolle Berechnungen können die Daten problemlos exportiert und mit sämtlichen Standardprogrammen wie beispielweise UCINET oder Pajek weiterverwendet werden.
9
Die Darstellung der Knotengröße symbolisiert die Häufigkeit der Akteurswahlen. Je öfter ein Akteur von den Interviewten genannt wird und damit Teil von ihren Netzwerken ist, desto größer die Abbildung des entsprechende Knotens.
10 Software Tool des Forschungsclusters der Universitäten Trier und Mainz „Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke“. Für mehr Informationen siehe www.vennmaker.com.
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Neben einer quantitativen Analyse der Netzwerke werden durch Dokumentation des Gesprächs zugleich qualitative Auswertungen möglich (Gamper/Schönhuth/Kronenwett 2011). Dies ist zur Interpretation der Struktur vor dem jeweiligen spezifischen Kontext von Bedeutung und für ein sinnverstehendes, exploratives Vorgehen unerlässlich. Mit diesen triangulativen Funktionen kann der bisher fehlende Link zwischen quantitativer und der erst unlängst etablierten qualitativen Netzwerkanalyse (Hollstein/Straus 2006) geschlossen werden. Damit gelingt es, das Komplexitätsproblem in diesem Schnittfeld und die Frage der Kombinierbarkeit qualitativer und quantitativer Daten im Forschungs- sowie Beratungsprozess ein stückweit zu lösen (Schönhuth et al. 2009).
4.
M ETHODISCHES V ORGEHEN
4.1
Egozentrierte Netzwerkanalysen als Ausgangsbasis
Für die vorliegende Teilstudie wurden zwölf Mitarbeiter einer regionalen Volksbank – verteilt über alle Hierarchieebenen im Privatkundenbereich – interviewt. Diese Bank erbringt einige ihrer Services im Geschäft mit privaten Kunden in Kooperation mit spezialisierten Partnern der FinanzGruppe. Ausgangspunkt der Untersuchung ist die Überzeugung, dass der Erfolg dieser gemeinsam mit den Verbundpartnern erbrachten Leistungen maßgeblich von den Kommunikationsund Entscheidungsstrukturen bestimmt wird. In dieser Hinsicht besitzen soziale Strukturen, die Personen und Organisationen einschließen, eine „dual quality“: Individuelle Akteure sind miteinander verbunden durch Organisationen und Organisationen wiederum sind miteinander vernetzt über individuelle Akteure (Breiger 1974). Der mit VennMaker durchlaufene Interviewprozess zur Erhebung des Beziehungsgeflechts umfasst vier Stufen (Schönhuth 2010): (1) Verwendung von Namensgeneratoren, um das relevante Akteursset zu identifizieren, (2) Bewertung bzw. Gewichtung der Akteure sowie Erhebung attributiver Daten mittels Namensinterpretatoren, (3) Platzierung der Akteure auf der Netzwerkkarte durch Zuordnung zu Segmenten und konzentrischen Kreisen, (4) Zeichnen und Evaluierung der Relationen.
190 | A NNA POSER
(1) Über die Frage, mit welchen Personen sich Ego über das Thema Privatkundenberatung austauscht,11 wurde ein Großteil der Alteri generiert. Um die Vielschichtigkeit des tatsächlichen Netzwerks erfassen zu können, wurde in der umfassenden Gesamtstudie ein Set von Generatoren12 eingesetzt. Diese Festlegung der zu erhebenden Beziehungen bei Netzwerkanalysen wird an den Generator delegiert und entspricht dem Vorgang der Operationalisierung des theoretischen Konstrukts (vgl. Serdült 2005: 9) – hier den Kommunikations-, Entscheidungs- und Ratgeber-Netzwerken im Privatkundengeschäft. (2) Anschließend wurden über Namensinterpretatoren Attribute zu den einzelnen Akteuren erhoben und visualisiert. Über mehrere Items wurden Beziehungsquantität und Bekanntschaftsdauer, emotionale Verbundenheit, Netzwerkpotenzial, Skills und Know-how, Spannungen und Konflikte sowie die formale Position in der Hierarchie abgefragt. Im nächsten Schritt wurde das Beziehungsgeflecht auf einer digitalen Netzwerkkarte visualisiert. Die Knotensymbole stehen für die Stellung in der Hierarchie und wurden den Attributausprägungen mit Hilfe des digitalen Fragebogens unmittelbar zugewiesen. Die Größe der Akteure zeigt ihre strategische Bedeutung.
11 Abgeleitet vom Burt-Namensgenerator (vgl. Burt 1984: S. 314f.) wurde hier gefragt: „Mit welchen wichtigen Personen tauschen Sie sich über Themen des Privatkundengeschäfts aus?“ 12 Neben dem allgemeinen Burt-Generator werden Kommunikations-, Entscheidungsund Ratgebernetzwerke differenziert erhoben. Bspw. wurden Ratgeber erfragt durch: „An wen wenden Sie sich, wenn Sie eine schwierige Aufgabe zu erledigen haben, die Sie selber nicht lösen können?“ In Anlehnung an Sabatier (1988, 1993 mit JenkinsSmith) werden drei Ebenen normativer Nähe in der Kommunikation unterschieden und mit entsprechenden Fragen abgedeckt: 1) Die Ziele und Prinzipien des ‚deep core‘ werden ermittelt durch „Wen sprechen Sie zu geschäftspolitischen Fragen an?“ 2) Die mittlere Reichweite des ‚near policy core‘ betrifft die Diskussion genereller Überzeugungen in Bezug auf das Privatkundengeschäft: „Wen sprechen Sie bei Entscheidungen an?“ 3) Die Beteiligten bei ‚secondary aspects‘ bzw. der Umsetzung werden hingegen durch diesen Generator ermittelt: „Wen sprechen Sie zu Themen des operativen Vertriebs im Privatkundengeschäft an?“
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Abbildung 3: Beispiel einer strukturierten und standardisierten Netzwerkkarte eines Teamleiters
Quelle: Eigene Darstellung
(3) Im Folgenden wurden die Akteure auf der Netzwerkkarte platziert (siehe Abbildung 3). Ihre Anordnung hinsichtlich der Sektoren hängt von ihrer Zugehörigkeit zu den Bereichen privates Umfeld, eigene Volksbank oder Finanz Gruppe ab. Die Entfernung zu Ego spiegelt die geografische Distanz wider. Die Einteilung der konzentrischen Kreise erfolgte in lokal/regional (im inneren Kreis) versus national/international (im äußeren Kreis). (4) Bei der anschließenden Erhebung der Netzwerkkanten wurde für jede Relation Ego-Alter und für jedes Alteri-Pärchen die Enge bzw. Qualität der Beziehung ermittelt. Die jeweiligen Verbindungen wurden dabei nicht nur binär erhoben, d.h. es sollte nicht nur erfasst werden, ob eine Beziehung vorhanden ist oder
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Quelle: Eigene Darstellung
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