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German Pages 288 Year 2014
Kerstin Brandes Fotografie und »Identität«
Studien | zur | visuellen | Kultur Herausgegeben von Sigrid Schade und Silke Wenk | Band 15
Kerstin Brandes (Dr. phil.) lehrt Kunst- und Medienwissenschaften an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Theorie und Geschichte der Fotografie, kulturwissenschaftliche Geschlechterstudien, Postcolonial Studies, Queer Visual Studies sowie Bildzirkulationen zwischen Mediengeschichte und Transkulturalität.
Kerstin Brandes Fotografie und »Identität«. Visuelle Repräsentationspolitiken in künstlerischen Arbeiten der 1980er und 1990er Jahre
Das vorliegende Buch ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation »Strategien des Ent/Fixierens in foto-künstlerischen Inszenierungen von geschlechtlich und ethnisch-kulturell codierter Identität und Differenz (1984-1996)«, die im Oktober 2008 vom Promotionsausschuss der Kulturwissenschaftlichen Fächer an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg angenommen wurde. Gedruckt mit Unterstützung durch den Deutschen Akademikerinnen Bund. Die Buchherstellung wurde zudem gefördert von Körpersophie Praxis für Körper und Psyche – Birgit Becker, transform design büro sally johnson, beings in business Nicola Brandes Personalmanagement, Institut für Queer Theory – Antke Engel.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Kerstin Brandes, © Hamburg 2010 Lektorat: Kerstin Brandes Satz: Sally Johnson, [email protected] Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-1586-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
für Birgit
Inhalt
Danksagung
Einleitung (You thrive on mistaken identity) ................................................13 Fotografie und ›Identität‹: Zwischen Stillstellen und Bewegen................................................................. 18 Die einzelnen Kapitel ...................................................................................... 24 1. Mistaken Identity: Die Frage der Identität im Feld des Visuellen .............................................29 Identität/Differenz: Problematisierungen und produktive Verschiebungen der Begriffe in der politischen, feministischen und postkolonialen Theorie....................................................31 Inszenieren/Intervenieren: Zum Entwurf einer ›visuellen Handlungsfähigkeit‹...................................... 40 2. Artikulationen von Evidenz: Fototheorie, Fotogeschichte und die Konstruktion des Anderen ............ 49 Fotografischer Diskurs und die komplexe Bestimmtheit des Indexikalischen .......................................................................................... 55 Fotografische Evidenz und das heimliche Begehren nach dem punctum (mit Carrie Mae Weems und Sigrid Schade) ........59 Das Indexikalische als Ausgangspunkt und als Fokus des fotografischen Diskurses .................................................. 69
Das Dokumentarische der Fotografie als diskursive Formation ..................72 Identitätskonstruktionen und Archiv: Die Umkehrung von Evidenz in der Verbrecherfotografie und der anthropologisch-ethnografischen Fotografie ...................................76 Sozialdokumentarische Fotografie: Farm Security Administration, Migrant Mother und die Evidenz ›wahrer Werte‹ ...................................................................... 90 Die strukturellen Grenzen der dokumentarischen Form und die Konzeption einer ›wirklich kritischen‹ fotografischen Praxis .......... 96 Inszenierungen von Un/Sichtbarkeit bei Connie Hatch und Dave Lewis ............................................................... 100 Forced to Disappear: Connie Hatchs ›verschwindende Personen‹ ..... 103 Dave Lewis’ Archiv- und Museumsbesuche.......................................... 107 Zentralperspektivische Dis/Positionierungen ........................................112 Die Evidenz des Fotografischen: Augenblicke des Verzeitlichens........119 Evidenzen: Das fotografische Paradox als medialer Spielraum ................. 124 3. Figurationen des Rahmens in fotografischen Thematisierungen ›schwarzer Weiblichkeit‹: ein Grenz-Diskurs ............................................. 127 Das Bild des Weiblichen als Grenzkörper, Derridas Parergon und das Foto als Schnitt ................................................................................ 128 Rahmen-Spiele bei Carla Williams und Lorna Simpson ..............................133 Mises-en-Abîme: die Kunst des Rahmen(wechseln)s............................ 138 Der ganze-fragmentierte Körper ............................................................ 150 Die Hottentotten-Venus ...........................................................................158 Die ›Grenzen‹ des Rahmens: Zwei Arbeiten von Carrie Mae Weems.......168 Rahmen-Bedingungen: Vom Status-als-Bild zu einem Körperbild-in-Bewegung ..............................181
4. Third Space: Grenzen als Räume des Ent/Fixierens ............................ 183 The suspect is always a black male in his mid 20s ... Vom Stereotyp zum Dritten Raum (mit Pat Ward Williams und Homi K. Bhabha)........... 187 Homi K. Bhabhas Third Space ......................................................................194 Übersetzen: Third Space und visuelle Repräsentation ...............................199 Das Foto als ›Identitätsausweis‹: Stereotyp, Hybridität und (post)koloniale Mimikry .............................199 Verknüpfungen und Auslassungen: Third Space, ›Rasse‹, Geschlecht ...........................................................205 Fotografische Verräumlichungen – Verräumlichung des Fotografischen: Mitra Tabrizians The Blues ..............................................................................211 Diskontinuierliche Bild-Räume und/als Vervielfältigung der Blicke .....215 Hybridisierungen des transzendentalen Bildraums ............................ 224 Die Inszenierung von Weiblichkeit als Metonymie der Präsenz .........229 Third Space: Verräumlichungen der Grenze ............................................... 235 Strategien des Ent/Fixierens, interessierter Blick und Lektüre als Methode ..................................................................................... 237
Literaturverzeichnis .......................................................................................243
Bildnachweise ................................................................................................267
Index ................................................................................................................ 273
Danksagung Dieses Buch ist nicht allein das Ergebnis ausgedehnter und intensiver Denkund Schreibbewegungen; es ist ebenso gespeist aus vielfältigen Gesprächen, Diskussionen und Auseinandersetzungen innerhalb freundschaftlicher und kollegialer, fachwissenschaftlicher und interdisziplinärer Zusammenhänge. Und es ist gekennzeichnet durch krankheitsbedingte Unterbrechungen, die neben anderem auch Prozesse des Überdenkens und Überschreibens mitbedingt haben. Mein ganz herzlicher Dank gilt allen, die das Projekt in unterschiedlichster Weise begleitet und mir geholfen haben! Insbesondere danke ich … … Antke Engel, Linda Hentschel und Regina Brunnett für ihre umfassende und kenntnisreiche Unterstützung, ihre kritische Lektüre, wertvollen Ratschläge und konstruktiven Kommentare bei der Entwicklung von Konzept und Argumentation dieser Arbeit. … Silke Zaun für ihre Freundschaft und Unterstützung in allen Lebenslagen. … Sally Johnson für das Layout und ihren Einsatz in technischen Belangen. … Silke Büttner für hilfreiche Gespräche um Projektgestaltung und Ressourcenmanagement in eigener Sache. … allen Genannten sowie Birgit Meier, Regina Abraham, Ulrike Bergermann, Nicola Brandes und Jan-Ni für pragmatischen Einsatz und praktische Hilfe, Aufmunterungen und Anteilnahme. … Kathrin Heinz, Sigrid Adorf und Sylvia Pritsch für inspirierende Diskussionen. … Silke Wenk und Sigrid Schade für ihre Unterstützung des Projekts, für hilfreiche Gespräche und konstruktive Kommentare. … dem Methodenkolloquium kunst- und kulturwissenschaftliche Geschlechterforschung Oldenburg/Bremen sowie dem Oldenburger Kolleg »Kulturwissenschaftliche Geschlechterstudien« für anregende Auseinandersetzungen um visuelle Kulturen und grenzgängerische Perspektiven. … der Heinrich-Böll-Stiftung für das Promotionsstipendium, welches den eigentlichen Start des Projekts ermöglichte. … Ingrid und Kurt Brandes für ihre vielfältige Unterstützung in jeder Hinsicht, in kleinen wie in großen Dingen. … Birgit Becker, die mir seit vielen Jahren ein empathisches, kritisches und liebendes Gegenüber ist, für ihre Kunst des Sich-Einlassens, ihr Vermögen, Existentielles immer auch als kreative Herausforderung zu denken, ihre Freude an Höhenflügen und ihr Insistieren auf Bodenhaftung. Ihr ›anderer Blick‹ hat seine geheimen Spuren zwischen den Zeilen dieses Buches hinterlassen, und ihre Körperarbeitskurse nach Gindler haben einen ganz eigenen Beitrag zu einem Subjektverständnis geleistet, das ›in Bewegung‹ besteht!
Fotografie und ›Identität‹
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Abb. 1: Barbara Kruger: Untitled (You thrive on mistaken identity), 1981 (Postkarte).
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Einleitung (You thrive on mistaken identity) »Die postmoderne Theorie selbst hat zum theoretischen Umfeld des Multikulturalismus und der Identitätsproblematik beigetragen, indem sie zum Beispiel mithalf, die Erforschung von Identität als zentralem Gegenstand künstlerischer Erkenntnis zu fördern.« (Solomon-Godeau 1992: 23)
Die gesprenkelt erscheinende, mosaikartig strukturierte Oberfläche zeigt schemenhafte Konturen eines menschlichen, vielleicht weiblichen, Kopfes in Profilansicht. In weiße Schriftbalken gesetzt sind am oberen Bildrand die schwarz gedruckten Worte You thrive on, am unteren identity zu lesen. Schräg über die Augenpartie der Figur wurde ein Balken gelegt, wie es bei publizierten Fotografien üblich ist, wenn die Abgebildeten zwar gezeigt werden, aber dennoch anonym bleiben sollen. Hier allerdings ist dieser Balken rot, und darauf steht in weißen Buchstaben das Wort mistaken (Abb. 1). Die unbetitelte plakatartige – und plakative – Foto-Text-Montage stammt von Barbara Kruger. Sie war der von Abigail Solomon-Godeau und Constance Lewallen kuratierten und 1992/93 in verschiedenen Ländern gezeigten Ausstellung Mistaken Identities für die Etappe im Neuen Museum Weserburg, Bremen, hinzugefügt worden. Der sloganartige Schriftzug benennt geradezu lakonisch deren zentrales und titelgebendes Anliegen: geschlechtliche und ›rassisch‹-ethnische Identität(en) als Konstruktion(en) zu verhandeln, die sich je spezifisch in Geschichte, Diskurs und Kontext figurieren (vgl. Solomon-Godeau 1992). Er lässt sich gleichermaßen als eine Pointierung des konstruktivistischen Paradigmenwechsels lesen, mit dem sich im Verlauf der 1980er Jahre essenzialistische Vorstellungen von Identität hin zu Fragen nach den Strukturen und
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Mechanismen ihrer Herstellung und Naturalisierung verschoben haben: You thrive on mistaken identity. Die kritische Auseinandersetzung mit geschlechtlich, ethnisch und/ oder kulturell codierter Identität und Differenz ist im Anschluss an die »Identitätsbewegungen« 1, wie sie sich im euro-amerikanischen Raum vor allem seit den 1970er Jahren herausgebildet und die Arbeits- und Wirkungsweise traditioneller Politikformen generell in Frage gestellt haben, auch in der Kunst zu einem unübersehbaren Thema geworden. Die politische wie die künstlerische Aufmerksamkeit drehte sich dabei immer wieder um eine Problematik der Sichtbarkeit, der Repräsentation, der Selbstrepräsentation und des eigenen Bildes bezüglich einer Positionalität des Anderen. In der Sichtbarkeitsdebatte begegnen sich politische und ästhetische Dimensionen; die Register von Politik und Ästhetik treffen als Frage der Repräsentation aufeinander und werden so miteinander verhandelbar. Im Rahmen künstlerischer und kuratorischer Praxis stand und steht die Frage zur Diskussion, von der auch dieses Buch ausgeht: wie sich Subjekte kritisch zu einem System verhalten können, welches seine Stabilität darüber zu sichern sucht, dass es bestimmte Subjekte als seine Anderen positioniert – und nurmehr in dieser Funktion auch sichtbar macht. Neben Ausstellungen wie Difference: On Representation and Sexuality (1984/85), Identity/Identities (1988), Interrogating Identity (1991), The Politics of Difference. Artists explore Issues of Identity (1992), Black Male – Representations of Masculinity in Contemporary American Art (1994) oder Mirage: Enigmas of Race, Difference and Desire (1995) – um nur einige wenige zu nennen – war Mistaken Identities eines der prägnantesten Projekte, die diese Thematik seit Mitte der 1980er Jahre im Kunstbetrieb präsent gemacht haben. 2 Diese und zahlreiche weitere Ausstellungsprojekte sind, wenngleich konzeptuell durchaus sehr verschieden, im Kontext konstruktivistischer Perspektiven zu verstehen, deren Durchsetzung in den kulturtheoretischen Diskursen seit den 1980er Jahren die Kategorien von Identität und Differenz, Selbst und Anderem, Geschlecht und Ethnizität in Bewegung gebracht und in der Absage an jedwede essenzielle Vorgängigkeit ver-
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»Soziologisch wird der Begriff der Identität benutzt, um eine Vielzahl disparater und heterogener Veränderungen im öffentlichen und privaten Leben zu beschreiben, die insbesondere mit dem historischen Auftauchen neuer sozialer Akteure – den sogenannten Neuen sozialen Bewegungen oder besser: Identitätsbewegungen – verbunden sind« (Hark 1996: 15f.). In dieser Hinsicht können die verschiedenen Formierungen wie auch ihre Theoriebildungen miteinander diskutiert und aufeinander bezogen werden, ohne deswegen jeweilige Spezifika ignorieren oder gleichschalten zu müssen. 2 Eine (unvollständige) Liste von Ausstellungen, die sich Fragen von Identität und Differenz explizit und kritisch gewidmet haben oder bei denen diese integraler Teil des Konzepts waren, findet sich im Anhang. Es sind nur solche aufgeführt, zu denen es nachweislich einen Katalog gab.
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Einleitung
meintliche Stabilitäten und ›natürliche‹ Fixiertheiten als Effekte machtvoller Operationen offengelegt hat. Die Anerkennung, dass ›Identität‹ als sozio-diskursive und psycho-symbolische Konstruktion zu befragen ist, die sich durch und über Repräsentation(en) konstituiert, verlagerte die analytische Perspektive innerhalb feministischer, postkolonialer sowie queertheoretischer Diskurse vom Sein auf ein Werden bzw. ein Gewordensein – von dem Ort, an dem Identität vermeintlich immer schon ›ist‹, auf die Mechanismen, Technologien und Bedingungen ihrer Herstellung, Zuschreibung und Verfestigung.3 ›Identität‹ – als Vorstellung eines selbstidentischen Subjekts wie auch als Signifikation von Zugehörigkeit(en) – bezeichnete nunmehr das eigentlich unmögliche Moment eines Fixierens/ Fixiertseins, welches das permanent vorläufige Produkt eines unabschließbaren Prozesses vielfältiger, widersprüchlicher sowie auch regelgeleiteter Identifikationen darstellt. Denn diese Identifikationsprozesse verlaufen entlang historisch kontingenter und instrumenteller Kategorien wie Geschlecht, ›Rasse‹, Klasse, Ethnizität, Alter usw.; durch sie hindurch ist das Subjekt bezeichnet und intelligibel, Subjektkonstituierung und soziale/kulturelle Identität(en) sind untrennbar ineinander verwoben. All diese Verschiebungen haben im Bereich der visuellen Repräsentationen, von dem die Kunst ein Teil ist, dazu geführt, dass sich der Fokus einer, weitgehend an psychoanalytischen Theorien orientierten, feministischen Kunst- und Kulturwissenschaft auf die Bezeichnungsverfahren verlagert hat, durch die Identität(en) – als Formation ineinandergreifender geschlechtlicher, ethnischer und/oder kultureller Differenz(en) – hervorgebracht, reguliert und naturalisiert werden. Damit rückten die Kategorie des Blicks und seine Strukturierungen in den Vordergrund. Anstatt von fixen Subjekt-Objekt-Positionen auszugehen, wurde nunmehr danach gefragt, wie visuelle Repräsentationen diese Positionen komplementär erzeugen, wie Bild und Blick sich gegenseitig konstituieren, wie Bilder als Spiegel und Projektionsflächen wirksam sind, über die sich vermeintlich stabile Subjekt-Positionen herstellen, und wie Bilder die Blicke, die auf sie geworfen werden, nicht nur (mit)produzieren, sondern wie sie darüber immer auch an den Codierungen des Sehens selbst arbeiten. Das Konstituiertsein von Identität(en)/Subjekt(en) durch Repräsentation(en) bedeutet nicht nur, dass diese allererst produziert, sondern auch, dass sie zugleich positioniert werden. Denn Repräsentation selbst ist von Macht- und Herrschaftsstrukturen durchzogen, die als Fixierungen wirken. Sie sind darin ablesbar, dass die bereitgestellten Subjektpositionen nicht unbedingt von verschiedenen Subjekten beliebig besetzt werden können, zugleich aber die Konstruiertheit der daraus resultierenden
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Vgl. Butler (1991), die diese Debatten konzeptionell zugespitzt hat. Vgl. auch Bhabha (1987).
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Fotografie und ›Identität‹
gesellschaftlichen Verortungen unsichtbar gemacht wird. In diesem Zusammenhang wurde auch ›Differenz‹ verstehbar als etwas, das nicht das Gegenteil von Identität meint, sondern bereits darin eingeschrieben ist; Identitätskonstruktionen verlaufen notwendig über die Setzung von Differenz(en) (– und umgekehrt). ›Identität‹ bezeichnet das Verhältnis zwischen dem, was als selbst/eigen anerkannt und was als anders/fremd ›veräußert‹ – als konstitutives/konstituierendes Außen gesetzt – erscheint. Die Sichtbarkeit marginalisierter, alterisierter – und das heißt i. d. R. nicht-weiß, nicht-männlich und/oder nicht-heterosexuell kategorisierter – Subjekte ist also einerseits als eine Sichtbarkeit ›am Rand‹ bestimmt; andererseits rücken sie dort ins Zentrum, wo sie als ›Bild‹ festgeschrieben, in einem Bild-Status fixiert sind: als Spiegel, als Projektionsf läche und Abgrenzungsfigur, über die sich ein hegemoniales Subjekt konstituiert – das unsichtbar bleibt. Dies wurde für den Bereich des Visuellen vor allem mit der Dekonstruktion der Frau als Bild bzw. dem Bild-Status des Weiblichen verdeutlicht (Schade 1986; 1987; Eiblmayr 1993; Schade/Wenk 1995; 2005). Die daran anschließende Frage, die die Argumentationslinien der hier vorgelegten Studie bestimmen soll, zielt darauf ab, einen produktiven Umgang mit diesem Paradox zu entwickeln: Wie können als ›anders‹ markierte Subjekte ein Bild bekommen oder sich ein Bild geben – wie können sie ins Bild gesetzt werden oder sich ins Bild setzen –, ohne zugleich auf einen Status-als-Bild festgelegt oder in einem Status-als-Bild fixiert zu werden? Im Rekurs auf die politischen Situierungen, diskursiven Verstrickungen, disziplinären Interferenzen und medialen Einsätze des Phänomens Identität greift das Buch theoretische wie künstlerische Fragen gleichermaßen auf: Anhand der Lektüre ausgewählter fotografischer Arbeiten von britischen und us-amerikanischen Künstler/innen, die zwischen Mitte der 1980er und Mitte der 1990er Jahre entstanden sind – von Connie Hatch, Dave Lewis, Carla Williams, Lorna Simpson, Carrie Mae Weems, Pat Ward Williams, James Luna, Mitra Tabrizian und einigen anderen – ist es das Anliegen, eine Perspektive auszuarbeiten und theoretisch zu fundieren, die ästhetische/mediale Strategien als politische Strategien diskutiert und ausdifferenziert. Das bedeutet auch, die Frage nach einer politischen Kunst neu zu stellen. Statt eines – positiven oder negativen – Rückbezugs auf ›klassische‹ kunsthistorische Parameter wie Autor, Werk, künstlerische Intention oder ein bestimmtes (politisches) Bewusstsein, bestimmte Themen/Inhalte richtet sich die Analyse darauf, wie diese Parameter als machtvolle, die Wahrnehmung mitstrukturierende Kriterien durch künstlerische Praktiken auch selbst zur Diskussion gestellt werden.
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Einleitung
Dazu schließe ich methodisch und argumentativ an aktuelle kulturtheoretische Entwicklungen, Debatten und Denkfiguren feministischer und postkolonialistischer Theoriebildung an sowie an Ergebnisse kritischer Bildwissenschaft und der bilderwissenschaftlichen Geschlechterforschung, die im Verlauf der letzten drei Jahrzehnte die Frage der Identität immer wieder problematisiert und ausgestaltet haben. Insbesondere geht es darum, Fotografie – und damit in einem allgemeineren Sinn Medialität –, die in den Debatten um ein Ineinandergreifen von Kunst und Politik, Identität, Differenz, Subjekt und (visuelle) Repräsentation bisher weitgehend unbeachtet geblieben ist, als analytische Kategorie in den visuellen Diskurs einzubringen. 4 Wie ich zeigen werde, liegt gerade in der Verschränkung identitäts- bzw. differenztheoretischer und fototheoretischer/-historischer Diskurse ein Potenzial, Sichtbarkeitskonzepte und ›Bildmöglichkeiten‹ produktiv zu verschieben. Für diesen Zusammenhang, der als ein vieldimensionales Changieren zu verstehen ist, möchte ich den Begriff des Ent/Fixierens vorschlagen und plausibel machen. Die Herausforderung für die Analyse besteht darin, die verschiedenen Segmente und Ebenen dahingehend auszudifferenzieren, dass gezeigt werden kann, wie ein Fixieren funktioniert und nicht funktioniert.5 Wenn ich von kritischer Bildwissenschaft oder Bilderwissenschaft spreche, so ist damit ein theoretisch-methodischer Zugang gemeint, der sich in Abgrenzung zu einer Bildwissenschaft positioniert, welche mit pictorial bzw. iconic turn oder ›anthropologischer Wende‹ seit den 1990er Jahren einen Paradigmenwechsel proklamiert, der sich, neben anderem, gegen einen zeichentheoretischen Ansatz ausspricht. 6 Statt dessen möchte ich eine Verschiebung proklamieren, die sich (wieder) auf ein reflexives und ref lektierendes Lesen von Bildern und Texten als Zeichen und Zeichengefüge konzentriert. Für meine Lektüre sowohl der künstlerischen Arbeiten als auch der theoretischen Texte gehe ich davon aus, dass poststrukturalistisch orientierte Kulturtheorie mit ihrer Fokussierung auf kulturelle, ethnische und geschlechtliche Differenz(en) wie auch mit ihrer Nutzbarmachung von
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Explizit thematisiert wurden die Kategorien Medium und Medialität im Zusammenhang mit Kunst, Kunstgeschichte, Geschlecht und Ethnizität erstmals bei der 7. Kunsthistorikerinnen-Tagung 2002; vgl. Falkenhausen (2004). Vgl. auch Schade/Tholen (1999). 5 Die spezifische Schreibweise bedeutet entsprechend keinen orthografischen Kompromiss, der auf die Vorstellung eines binären »entweder … oder« oder ein Kollabieren von Oppositionen im »sowohl … als auch« rückverweist. Der slash markiert die Lücke zwischen den beiden Polen, einen Raum, in dem sich Akte der (partiellen) Bedeutungsfestschreibung permanent mit Momenten ihrer (partiellen) Auflösung verbinden und auf diese Weise die Option eines Neuen denkbar machen, das daraus hervorgehen kann. 6 Vgl. Schade (2001; 2008); den Beitrag von Sykora sowie die Kommentare von Lange, Georgen, von Bismarck und Werner in kritische berichte (4/2001); FrauenKunstWissenschaft (35/2003); Loreck (2004); Schade/Wenk (2005: 148f.).
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Fotografie und ›Identität‹
Semiologie, Diskurs- und Psychoanalyse als methodische Instrumente ebenso eine Voraussetzung für zeitgenössische künstlerische/politische Bewegungen darstellt, wie diese umgekehrt immer wieder die sogenannte Theorie herausfordern. Unter dieser Prämisse verstehe ich unter Lektüre eine Doppel-Bewegung – die von spezifisch situierten Fragestellungen und Erkenntnisinteressen geleitete Annäherung mit Hilfe eines dafür nutzbar gemachten analytischen Instrumentariums und Methodenspektrums und die daraus resultierende Reflexion eben der Instrumentarien und Methoden. So ist denn – einer eher explorativen Vorgehensweise folgend, die sich eben auch von den Bildern leiten lässt, – meine Diskussion von ›Theorie‹ aus den Bildlektüren heraus motiviert. Insofern das künstlerische Gegenstandsfeld, die fototheoretischen bzw. fotohistorischen Positionen, auf die ich mich beziehe, sowie die feministischen und postkolonialistischen Positionen, entlang derer ich diskutiere, zeitgleich – nämlich in den 1980er/90er Jahren entstanden – und von daher auch gleichermaßen historisch spezifisch sind, stellt die Studie ebenso bereits eine Relektüre solch wechselseitiger Herausforderungen vor, in dem zweifachen Sinn des Noch-einmal-Lesens und des Neu-Lesens. Das Buch untersucht also, wie Identitätsdiskurse und Fotografiediskurse im Modus eines Ent/Fixierens für eine emanzipatorische visuelle Politik eingesetzt werden können, die nicht bei den (zu emanzipierenden) Subjekten, sondern bei den Bildern und den Bild-Blick-Beziehungen ansetzt.
Fotografie und ›Identität‹: Zwischen Stillstellen und Bewegen Die Konzentration auf Fotografie sowie auf fotografische Techniken resultiert aus deren vielfältigem und bevorzugtem Einsatz, der in den künstlerischen Auseinandersetzungen zu beobachten ist, sowie daher, dass Medium und Identitätskonstruktionen ohnehin eng miteinander verf lochten sind. Auf Grund ihrer indexikalischen Verfasstheit, der Möglichkeit, die von einem Gegenstand ausgehenden Lichtstrahlen auf einer lichtempfindlichen Oberfläche einzufangen und zu fixieren, ist die Fotografie seit der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts zum prominenten inszenatorischen Ort der Selbst- und Fremddarstellung geworden: zu einem ›Identitätsausweis‹. »Die PHOTOGRAPHIE«, wie Roland Barthes schrieb, »hat […], historisch gesehen, als Kunst der Person begonnen: ihrer Identität, ihres zivilen Standes, dessen, was man, in jeder Bedeutung des Worts, das An-und-für-Sich des Körpers nennen könnte.« (1989: 89) Diese historisch gewordene Verschaltung von Fotografie und Identitätsthematik, die Modi fotografischer Identitätsfixierung interessieren mich in diesem Zusammenhang in Hinsicht darauf, was sie zu
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Einleitung
einem aktuellen kritischen Visualitätsdiskurs beitragen. Damit schließe ich auch an einen Medienbegriff an, der, mit Marie-Luise Angerer gesprochen, davon ausgeht, dass »[m]ediale Anordnungen […] mehr [sind] als technische Apparaturen, sie sind soziale Maschinen, die das PsychischSoziale nicht nur durchdringen, sondern auf bauen, befestigen, einrichten.« (1999: 70) Es ist ein entscheidender Schritt kunstwissenschaftlicher und künstlerischer Dekonstruktionsarbeit gewesen, die spezifischen Regeln und Mechanismen des Fixierens von Identität und Differenz in ihren vergeschlechtlichten-vergeschlechtlichenden und rassisierten-rassisierenden Strukturierungen und Codierungen aufzudecken.7 Daran anknüpfend geht es mir darum, wie diese Regeln und Mechanismen in einer Weise gestört, unterbrochen oder subvertiert werden können, dass sie auch die Machtverhältnisse, durch die sie eingesetzt sind und an deren Erhalt sie mitarbeiten, nachhaltig irritieren können. Dazu müssen sich Interventionen – so meine These – auf eben jene Prozesse selbst, auf die Bedingtheiten und Technologien richten, die Subjektpositionen schaffen und stabilisieren, die sich aber ebenso über eine Zuweisung oder Verweigerung bestimmter Subjektpositionen vermitteln. Hinsichtlich der Analyse künstlerischer Arbeiten wird es mir von daher zwar auch darum gehen, wie die Konstruiertheit von Identität(en) nachgewiesen oder das Gespaltensein eines sich autonom und kohärent imaginierenden (Betrachter-)Subjekts offengelegt wird. Insbesondere aber wird mich interessieren, wie dieses zerstreute, gespaltene Subjekt als eines visualisierbar sein kann, das zentriert vorgestellt wird und sich in einem permanenten und unabschließbaren Prozess des Werdens befindet. Unter der konzeptuellen Voraussetzung einer Konstruiertheit von Identität, der Dezentriertheit des Subjekts und der Produktivität von Repräsentation(en) geht es mir daher zwar auch darum, wie visuelle Wahrnehmungen und Rezeptionsmuster verstört und die Kategorien ›in Bewegung‹ versetzt werden. Vor allem aber interessiert mich, wie diese Bewegungen aussehen, wie sie beschrieben werden und wie sie machtgesättigte Strukturen identitätsstiftender und identitätsproduzierender Repräsentationsregime ›mobilisieren‹ können. Zur Diskussion steht nicht nur, wie das Hergestellte, Dynamische und Instabile von Subjektpositionen offengelegt werden kann, sondern eine genaue Untersuchung dessen,
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Dekonstruktion meint ein Offenlegen der Konstruktion, ein In-Frage-stellen und Umarbeiten – mit Jacques Derrida: »eine begriffliche Ordnung ebenso wie die nicht-begriffliche Ordnung, an der sie sich artikuliert, umzukehren und zu verschieben« (1988: 350). Das bedeutet, die Konstruiertheit und die Konstruktionsweisen eines Begriffs hinsichtlich seiner manifesten und latenten Bedeutungen herauszuarbeiten und daraus die Möglichkeiten einer Neu-Verwendung, eines Wieder-Einsatzes zu formulieren (vgl. Derrida 1994; vgl. auch Butler 1993).
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wie auf und zwischen verschiedenen Ebenen der Konstruktion/Dekonstruktion gleichzeitig diskursive Verknüpfungen und Ablösungen stattfinden, die die spezifische ›Beweglichkeit‹ des Bild-Status markieren. Die Frage nach einem ent/fixierten Bild-Status zielt mithin weder auf dessen Auf lösung oder Vermeidung, etwa durch die Profilierung eines Ikonoklasmus, 8 noch rekurriert sie auf eine unbedingte Verknüpfung von ›Identität‹ und ›Sichtbarkeit‹. Sie richtet sich auf das ›und‹, welches die Fixiertheit des Bild-Status qualitativ bestimmt. Mit dieser Akzentverlagerung stelle ich zur Diskussion, wie sich durch visuelle/fotografische Strategien ein politischer Raum formieren kann, der das Verhältnis von ›Sichtbarkeit‹ bzw. ›Unsichtbarkeit‹ und ›(eigenem) Bild‹ als ein ent/fixiertes verhandelbar macht. Der potenzielle Nutzen für eine Politik der Repräsentation liegt demnach darin, so möchte ich zeigen, dass Identifikationsprozesse in einer Weise umgeleitet und Identifikationsstrukturen so modifiziert werden, dass sie nicht mehr tradierten kulturellen Normen entsprechen müssen. Abigail Solomon-Godeau hatte in ihrem Katalogtext zu Mistaken Identities von einer »Problematik der Identität« (1992: 29) gesprochen, die sie in den Mechanismen und Komponenten ihrer Zuschreibung oder phantasmatischen Projektion sowie ihren bricolageartigen Formationen einerseits und ihren vermeintlichen Unveränderbarkeiten andererseits festmachte. Barbara Kruger inszeniert diese »Problematik« in ihrer FotoText-Montage, die ich eingangs beschrieben habe, indem sie sie vom zu sehen gegebenen ›Objekt‹ auf das Sehen, das Betrachten, als einem prozessualen Geschehen verschiebt – also auf die Bewegungen der Identifikation, die damit ihrerseits als solche beschreibbar werden. Das Bild verspricht ein Porträt, das keines ist; die fotografierte Person ist zu sehen, aber nicht zu erkennen; sie scheint als weibliche Person erkennbar, aber nicht verifizierbar; sie ist zu sehen gegeben und doch nicht zu sehen, sichtbar und unsichtbar zugleich, Behauptung eines Gegenübers und dessen simultaner Entzug, weder Markierung der Leerstelle noch deren Füllung. Der Text spricht die Betrachtenden mit you direkt an,9 verlangt das ›Ich‹ auf der anderen Seite, behauptet die subjektkonstituierende Funktion von Identität über das Bild des Anderen – oder gar über das Selbst-Bild als Bild des Anderen –, thematisiert die visuelle Repräsentation als identitätsstiftendes Moment. Und all das wird zugleich verunsichert und durchkreuzt durch ein massiv dazwischen geschobenes »verkannt«, durch das ref lexive Verstellen des betrachtenden Blicks, der gerade
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Ikonoklasmus als künstlerische Strategie findet sich z.B. in den Arbeiten von Mary Kelly und ist der Annahme geschuldet, dass Frauen ›ihrem‹ Bild-Status nicht entkommen können. 9 Die Übersetzung von »you« mit dem pluralen »ihr« oder dem allgemeinen »man« ist theoretisch möglich, scheint innerhalb dieser konkreten Arbeit allerdings rhetorisch zu schwach.
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Einleitung
deswegen nicht aufhört – nicht aufhören kann – zu schauen: You thrive on – mistaken – identity – You thrive on – identity – mistaken … Kruger spielt das Ambivalente und Paradoxe aus, durch welches die Fotografie grundsätzlich gekennzeichnet ist, und sie zeigt auch, was künstlerische Praktiken über Medien lehren (können). Das Medium Fotografie ist für das Konzept des Ent/Fixierens von besonderer Bedeutung. Alltagskulturell – und bisweilen in den Wissenschaften – fungieren fotografische Bilder nach wie vor und trotz besseren Wissens als subjektkonstituierender Spiegel par excellence. Zugleich hat ihre vermeintliche Wahrheit und Natürlichkeit historisch wie aktuell auch immer wieder zur Disposition gestanden. In dem doppelten Status als Bild von etwas und als gemachtes Bild, als Spur/Index und als Text/ Zeichen arbeitet Fotografie einerseits der visuellen Festschreibung von ›Identität‹ und ›Differenz‹ zu, sie ist das ultimative Medium des Fixierens und Stillstellens. Der fotografische Schnitt entreißt den Referenten einer kontinuierlich vorgestellten Zeit und überführt ihn in einen Zustand der ›Dauer‹. Andererseits verweist sie gleichermaßen auf die Instabilität solcher Festschreibungen, insofern der Referent nurmehr als Spur eines Gewesenen und der Absenz signifiziert ist. Der Fotografie ist hier eine gewisse ›Bewegung‹ implizit, insofern sie tradierte Zeit-Raum-Strukturen verstört. Zwischen uneinholbarem Verlust und permanentem Aufschub vermittelt sich die paradoxe Präsenz fotografischer Bilder. In ihrer spezifischen Medialität bleibt der Fotografie grundsätzlich (und allen machtvollen Determinierungen zum Trotz) ein Changieren zwischen Sichtbarmachen und Unsichtbarlassen, zwischen Präsenz und Absenz, zwischen der Behauptung von Bedeutung und deren Infragestellung eingeschrieben. Dieses Paradoxe, Doppelte und Ambivalente, das den fotografischen Diskurs und in besonderer Weise fotografische Praktiken der Personenfotografie bestimmt hat und bestimmt, wird in der hier vorgelegten Studie als Interventionsstrategie in visuelle Repräsentationsregime diskutiert und nutzbar gemacht. Dabei, so möchte ich zeigen, kommt dem Indexikalischen eine spezifische Produktivität zu, weil es als Spur eines Dagewesenen keine klare Dichotomie oder Opposition von ›identisch‹ und ›different‹ zu formulieren erlaubt und gerade deswegen möglicherweise auch Begehren und Phantasie in Gang setzt, die mit tradierten Codierungen kollidieren können. Medienhistorische und identitätstheoretische Blicke auf die Fotografie haben diesen im Konzept des Indexikalischen enthaltenen Doppelaspekt mit unterschiedlicher Gewichtung aufgegriffen. So sah etwa der Philosoph und Zeichentheoretiker Roland Barthes das Entscheidende der Fotografie in der Möglichkeit des Fixierens – also darin, das eingefallene Licht chemisch auf dem Bildträger auf Dauer festhalten zu können (1989: 90); hingegen setzte der Psychoanalytiker Jacques Lacan die Fotografie als Metapher für die visuelle Dezentrierung
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des Subjekts ein, womit die zentralperspektivische Organisation des Apparates betont ist.10 Der Soziologe und Kulturwissenschaftler Stuart Hall hat Identität ein »bewegliches Fest« (Hall 1994d: 182) genannt, etwas, das sich »im Verhältnis zu den verschiedenen Arten, in denen wir in den kulturellen Systemen, die uns umgeben, repräsentiert oder angerufen werden, kontinuierlich bildet und verändert« (ebd.: 182f.). Eine umgekehrte Bezeichnung setzte die Anthropologin Elizabeth Edwards für Fotografien ein: Im Rückgriff auf Bruno Latour bezeichnete sie sie als »immutible mobiles« (1997: 57), insofern »die eingeschriebenen Informationen und Erfahrungen über Raum und Zeit hinweg in andere Interpretationsumgebungen übertragen werden, ohne daß die ursprüngliche Wiedergabe irgendwie übersetzt oder transkribiert würde.« (2003: 432) Und der Fotohistoriker Enno Kauf hold personifizierte die Fotografie gleich selbst durch eine kulturell-identitäre – und hochproblematische – Markierung, als er sie den »Neger der Kunst« (1986: 9) nannte. Diese Beispiele verweisen zudem darauf, dass Identität zugleich als eine phantasmatische Einheit und als fragmentarisches Gebilde existiert. Denn Fotografien/fotografische Bilder zeigen Identität als anderes oder sie zeigen andere Identitäten, die Identität von anderen. Das Indexikalische der Fotografie indiziert eben nicht (nur) Identität, Identisches, sondern (ebenso), dass Identität immer auch schon das Andere ist. Mein Anliegen ist es zu untersuchen, wie verschiedene Konstruktionsweisen von Identität, die fotografische Praktiken zur Verfügung stellen, einerseits immer auch ineinandergreifen sowie andererseits in ihren unterschiedlichen Kombinierbarkeiten offengehalten und auf diese Weise wiederum produktiv werden können. Das vorliegende Projekt zielt darauf ab, Fotografie bzw. das Fotografische als einen strategischen Visualisierungsmodus zu konzipieren, der über eine Politik festgefügter Identitäten hinausgeht, und damit zugleich eine Option bereitzustellen, wie eine sich jenseits identifikatorischer Verfestigungen artikulierende Differenzpolitik auch medial vorangetrieben werden kann. Bei der Ausstellung Mistaken Identities ebenso wie auch andernorts ließ sich feststellen, dass die künstlerischen Auseinandersetzungen um Fragen von Identität und Differenz vielfach als Auseinandersetzung mit dem Medium selbst und dessen spezifischer Medialität geführt wurden, ohne dass dies in der Rezeption als solches zum Thema gemacht worden
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Lacan (1978: 113): »[…] – auf dem Felde des Sehens ist der Blick draußen, ich werde erblickt, das heißt ich bin Bild/tableau. Dies ist die Funktion, mit der sich die Institution des Subjekts im Sichtbaren zuinnerst erfassen läßt. Von Grund aus bestimmt mich im Sichtbaren der Blick, der im Außen ist. Durch den Blick trete ich ins Licht, und über den Blick werde ich der Wirkung desselben teilhaftig. Daraus geht hervor, daß der Blick das Instrument darstellt, mit dessen Hilfe das Licht sich verkörpert, und aus diesem Grund auch werde ich […] photo-graphiert.«
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wäre.11 So setzen Künstler/innen, die mit Fotografie arbeiten, vielfach Techniken wie Serialisierung oder Reihung ein, Verfahren der Montage/ Collage, Bild-Text-Verbindungen, Installationen, Mixed-Media-Anordnungen, Farb- und Form-Manipulationen oder verschiedene perspektivische Spielarten. Diese Techniken werden mit Rückgriffen auf ein kulturelles Bildrepertoire, mit der Zitation herkömmlicher Genres wie dem Einzeloder Gruppenporträt, der kriminalistischen oder ethnografischen Frontal- und Profilaufnahme – dem sogenannten mug shot –, dem Aktbild oder dem Filmstill kombiniert. Im inszenatorischen Verweis auf die sich überlagernden Problematiken der Fotografie als Technik der Fixierung, als vermeintliche ›Spur‹ eines Identischen und als Bild naturalisierter Bedeutung(en), als Medium der Identitätskonstruktion zwischen Fremdund Selbst-Benennung oder der Produktion von bedeutungsmächtigen Idealbildern werden tradierte Wirkungsweisen und das spezifische Identifikationspotenzial fotografischer Bilder offen zur Diskussion gestellt. Solche künstlerischen Techniken verweisen darauf, dass Fotografie hier als ›bedeutungproduzierende Kategorie‹ thematisiert ist; in diesen Auseinandersetzungen mit der spezifischen Medialität kann auch das Potenzial eines Ent/Fixierens herausgelockt werden. So wird in Barbara Krugers unbetitelter Foto-Text-Montage – »You thrive on mistaken identity« – ein Zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Figur zu sehen gegeben, ein Changieren zwischen der Behauptung von Identität und deren Infragestellung. ›Verkennen‹ verweist auf das psychoanalytische Konzept der Subjektkonstituierung als imaginärer Inkorporation eines externen Bildes, das doch immer wieder ein distanziertes Anderes bleibt. Fotografie selbst wird thematisiert durch das ›klassische‹ Porträtformat, das durch die Profilstellung des Kopfes auch erkennungsdienstlich-klassifikatorisch konnotiert ist, durch den Augenbalken, der das sensationalistische Zeitungsfoto parodiert, und, indem das klar- und vermeintlich allsichtige Kamera-Objektiv durch nahezu undurchdringliches Glas ersetzt scheint. Kaja Silverman schrieb, dass die Phantasie des zerstückelten Körpers, wie sie nach Lacan oft in den Träumen zum Tragen kommt, das Kollabieren der imaginären Annäherung an ein Idealbild anzeigt, und – so Silverman – »Lacan indicates that this fantasy often surfaces in dreams, which typically show ›the body of the mother as having a mosaic structure like that of a stained-glass
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Solomon-Godeau hatte für Mistaken Identities argumentiert, es seien »die künstlerischen Formen selbst – Foto/Text-Arbeiten, Installationen, Video/Installationen – die man als quintessentiell postmodern betrachten könnte. […] nur ein einziger Maler […] und selbst bei ihm sind die Gemälde aus Texten komponiert, eine Form wörtlichen Zitierens.« Dies hatte sie als Begründung für ihren eigenen theoretischen Ansatz gesehen – »den begrifflichen Rahmen der postmodernen Kunsttheorie als Grundschema für die Ausstellung beizubehalten« (1992: 24). Das Mediale als bedeutungproduzierende und -strukturierende Instanz hingegen sprach sie nicht an.
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window‹ […].« (1996: 20, Herv. KB) In Krugers Montage fällt weder eine imaginäre Annäherung an ein ideales Gegenüber in sich zusammen noch gibt es einen ›zerstückelten Körper‹ zu sehen. Doch werden die identifikatorischen wie fotografischen Nähe-Distanz-Verhältnisse gleichermaßen verdreht und ineinander gekreuzt. Ist es eine Glasscheibe, die die Oberf lächenstruktur des Bildes optisch definiert? Und handelt es sich um eine Figur hinter dieser Scheibe? Oder wurde mit einer speziellen KameraLinse fotografiert? Oder haben wir es eher mit einer Spiegelung – etwa auf einer metallenen Fläche – zu tun? Krugers »Untitled (you thrive on mistaken identity)« inszeniert hier eine Unentscheidbarkeit, mit der das Bild der Person als visuelle Spur erscheint, welche das zu sehen gegebene Bild der Person ist – in der Verkennung.
Die einzelnen Kapitel Mit der Dekonstruktion essenzialistischer Identitätsvorstellungen in den 1980er Jahren war auch der Begriff der Identität selbst als ein ›Spurenträger‹ solcher Essenzialismen in die Diskussion geraten. Das erste Kapitel greift daher noch einmal die verschiedenen Positionen und Problematisierungen um die Identitätsthematik auf. In der Auseinandersetzung mit Stuart Hall plädiere ich dafür, auch weiterhin mit dem Begriff zu arbeiten – und zwar als einem, der gleichermaßen auf diskursive Konstruiertheit und Kontingenz rekurriert und dessen Nützlichkeit für ein Konzept politischer Veränderung in seiner Definition eines strukturellen Ineinandergreifens von unabschließbarer Identifikation und machtvoller Verortung, in der Gleichzeitigkeit von Prozessualität und Fixierung zu suchen ist. Dieser so verschobene Identitätsbegriff wird mit der Frage nach einer Handlungsfähigkeit im Feld des Visuellen neu verknüpft. In Anlehnung an Ernesto Laclau und Chantal Mouffe stelle ich dazu mit der Artikulation eines Politischen eine Formel vor, die helfen soll, die Frage ›politischen Handelns‹ innerhalb eines künstlerischen Agierens als spezifische Praxis der visuellen Bedeutungsproduktion zu begreifen. Mit dem Rekurs auf Gayatri Spivaks Handlungsmodell eines strategischen Essenzialismus und Kaja Silvermans Konzept des produktiven Blicks wird ausgearbeitet, wie solche Praxis als ein Projekt des Ent/Fixierens weitergedacht werden kann, in dem Dekonstruktion und Identifikation einander nicht ausschließen, sondern notwendig zusammenwirken. Das zweite Kapitel geht von der engen historischen Verbindung zwischen Fotografie und Identitätskonstruktionen aus, die aus dem indexikalischen Verhältnis des fotografisch Repräsentierten zum Referenten und einer daraus abgeleiteten fotografischen Evidenz resultiert. Mit der Thematisierung der historischen und diskursiven Konstruktion der
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Fotografie als ›Identitätsausweis‹ wird danach gefragt, wie ein ent/fixierter Bild-Status des Anderen fotografisch formulierbar sein kann. Angesichts der – auch aktuell anhaltenden – Debatten um eine Evidenz fotografischer Bilder hat Tom Holert (2002) dafür plädiert, zwischen verschiedenen Evidenzen zu unterscheiden: Er nennt »Evidenz-Effekte, auf die das Publikum gelassen reagiert, gerade weil sich das ihnen gebotene visuelle Evidente in den Horizont der Erwartungen, der Vorannahmen und des Wissens einfügen lässt« (ebd.: 222), solche, die über Reaktionen des ›Erstaunens‹ und der ›Faszination‹ wirken sowie den »– übliche[n] und machtvolle[n] – Einsatz von Evidenz als arrêt sur l’image oder Stoppsignal.« (224) Eine solche Ausdifferenzierung erscheint sinnvoll, um Bildwirkungen – gerade auch in Bezug auf unterschiedliche Präsentationskontexte und Gebrauchsweisen – erklären zu können, und sie ist berechtigt, insofern Evidenz tatsächlich nicht immer dasselbe sein muss. Allerdings sind die genannten Formen nicht in Bezug auf dieselbe Ebene unterschieden, und außen vor bleibt, was diese symptomatischen Unterschiede wiederum auch verbindet, was ihnen gemeinsam ist. Daher schlage ich vor, statt dessen von Evidenz-Artikulationen zu sprechen, womit die Dimension des Geworden-Seins mitbezeichnet ist und verschieden scheinende Formen gleichermaßen auf ihre Unterschiede und Ähnlichkeiten hin analysiert werden können. Ich gehe von einem ›doppelt gespaltenen‹ fotografischen Diskurs aus – nämlich zum einen in Ansätze, die sich nach den medialen Gebrauchsweisen richten, und solche, die an einem ›Dispositiv‹ Fotografie orientiert sind, und zum anderen in Artikulationen fotografischer Evidenz, die sich auf das ›Objekt‹, und solchen, die sich auf die ›Zeit‹ beziehen. Mit der Relektüre fotohistorischer Analysen zu den Praktiken der fotografischen Konstruktion des sozialen/ kulturellen Anderen – Verbrecherfotografie, anthropologisch-ethnografische Fotografie, (sozial-)dokumentarische Fotografie – wird gezeigt, wie beide Evidenzen stets schon zusammenwirken, aber je nach kategorischer Zuordnung und kontextueller Einbindung von Fotografie(n) unterschiedlich expliziert und gewichtet sind. Mit Connie Hatchs Projekt »A Display of Visual Inequity« (1989–1992) und Dave Lewis’ zehnteiliger unbetitelter Reihe (1995), die die anthropologisch-ethnografische Fotografie und das anthropologische Museum als identitätskonstituierende und alteritätsfixierende Institution befragt, stelle ich dann zwei künstlerische Projekte vor, die die doppelte EvidenzArtikulation der Fotografie – ›Objekt‹ und ›Zeit‹ – miteinander verschalten. Beide Künstler/innen thematisieren und verschieben tradierte Praktiken fotografischer Identitätskonstruktion, indem sie die Fotografie als Medium des Sichtbarmachens und eine Sichtbarkeit des Fotografischen miteinander und gegeneinander changieren lassen.
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In der bildtheoretisch fokussierten Lektüre verschiedener foto-künstlerischer Auseinandersetzungen mit ›schwarzer Weiblichkeit‹ – von Carla Williams, Lorna Simpson, Carrie Mae Weems und einigen anderen – entwickelt das dritte Kapitel einen Körper-Bild-Diskurs des Ent/Fixierens als einen Diskurs über den Rahmen. Denn einerseits, so meine These, ist zwar die Frage, wie (andere) Subjekte aus den Rahmen treten können, innerhalb derer sie zu fixieren gesucht werden, nach wie vor virulent, andererseits kann das aber nicht von einem Blick darauf abgezogen werden, welche Rahmen immer auch zugleich und/oder statt dessen zum Tragen kommen. Es geht daher um die mögliche Produktivität eines Rahmenwechsels und deren Bedingungen; die Frage, wie die Möglichkeiten einen Rahmenwechsel zu vollziehen durch jeweils dominierende Rahmen immer auch mitbestimmt sind und diese sich in diesem Prozess aber auch verändern. Das ist eine andere Perspektive als die, die kürzlich beispielsweise Judith Butler (2008) in ihrer Ref lexion der Folterbilder von Abu Ghraib entworfen hat. In ihrem Versuch, mit einem Konzept des Rahmens, der die »Darstellbarkeit des Mensch-Seins« erlaubt (ebd.: 205), das Verwobensein von politischen und institutionellen Reglementierungen und bildtheoretischen Gegebenheiten, fotografischen Praktiken und medialen Veröffentlichungsstrategien zu fassen zu bekommen, erschien dieser Rahmen relativ eindimensional: einer, der vor allem leitet und lenkt und selbst zumeist unsichtbar bleibt; der aktiv ist, ausgrenzend und zugleich darstellend; der immer nur einrahmt und dadurch eine Wirklichkeit herstellt, für die im Falle des fotografischen Bildes die Kamera als konstituierendes Außen fungiert. Dagegen frage ich nach dem Rahmen als machtvollen, ambivalenten und produktiven Ort der Grenzziehung und Differenzproduktion, der die Trennungen, die er vornimmt, immer auch verunsichert. Dazu mache ich zum einen Jacques Derridas Figur des Parergon nutzbar, das tradierte Dichotomien wie Innen und Außen, Bild/ Werk und Rahmen, Eigentliches und Umgebendes durcheinanderbringt und in ihrer wechselseitigen Bedingtheit zu begreifen erlaubt. Zum anderen schließe ich an die vielfältigen Analysen der kunstwissenschaftlichen Genderforschung zu Körperbildern an, um Figurationen des Rahmens als mehrdimensionalen und flexiblen Grenz-Diskurs auszuarbeiten, bei dem kunst-/kulturgeschichtliche und fotohistorische, materielle und metaphorische Aspekte sowie Momente des Spurhaften und des Manifesten partiell ineinandergreifen. Das vierte Kapitel schließlich diskutiert Arbeiten von Pat Ward Williams, James Luna, Dave Lewis und Mitra Tabrizian in Hinsicht darauf, wie solche Grenzen selbst als Raum eines Ent/Fixierens ausformuliert werden können. Diesen Raum versuche ich in Auseinandersetzung mit Homi K. Bhabhas Modell des Third Space genauer zu definieren.
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An Bhabhas Third Space-Modell ist u.a. kritisiert worden, dass es zu abstrakt sei, um politisch effizient sein zu können. So schrieb etwa die Kulturwissenschaftlerin Doris Bachmann-Medick: »Solche Leitvorstellungen des ›Dritten Raums‹ als einem kulturwissenschaftlichen Konzept [des nicht-festschreibenden Gegenentwurfs von Identitätspolitik; KB] leiden freilich unter einem zu hohen Abstraktionsgrad, selbst wenn sie sich aus den Grenz- und Überlappungszonen postkolonialer Erfahrungen heraus begründen lassen. Mit Blick auf den ›Dritten Raum‹ als ein Medium sozialer Interaktion ließen sich hingegen Anhaltspunkte für eine Konkretisierung finden.« (1998: 23)
Die Erörterung des Dritten Raums entlang der Dichotomie von ›abstrakt‹ und ›konkret‹ prüft eine Anwendbarkeit oder Umsetzbarkeit – von (abstrakter) Theorie in (konkrete) Politik. Ein solcher Ansatz übersieht, dass genau hier aber eine Arbeit des Übersetzens gefordert wäre, welche das Konzept des Dritten Raums selbst auch charakterisiert. BachmannMedick steht hier exemplarisch für die Problematik einer rezeptiven Erwartungshaltung, die den Third Space zwar als Strategiemodell reklamieren will, doch unversehens als Lösungsmodell bewertet. Mir wird es statt dessen darum gehen, den Third Space als ein Strategiekonzept ernst zu nehmen, um Herstellungsprozesse des Alteritären zu beschreiben und zugleich umzuarbeiten. Das bedeutet zum einen also, eine zentrale Denkfigur postkolonialer Kulturtheorie für das Visuelle zu übersetzen und für eine Analyse fotografischer Arbeiten nutzbar zu machen; zum anderen wird umgekehrt ebenso um die Frage zu verfolgen sein, wie dieser Dritte Raum immer auch medial bestimmt ist und fotografisch fassbar sein kann. In der Zusammenfassung der Ergebnisse werde ich abschließend versuchen, Ent/Fixierung als einen konzeptuellen Begriff zu vermitteln, der für wissenschaftliche ebenso wie für künstlerische Praxis als einer politischen Praxis nutzbar sein kann.
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Drei Anmerkungen seien an dieser Stelle eingefügt, die sich auf formale Entscheidungen beziehen: 1. Von all den Vorschlägen, die inzwischen für eine geschlechtersensible Schreibweise in Umlauf sind, bin ich zum Schrägstrich ›zurückgekehrt‹ (ohne zusätzlichen Bindestrich), den ich nun in einem ähnlichen Sinn verstanden haben möchte, wie im Begriff der Ent/Fixierung – als die Markierung eines Raumes, in dem sehr viel möglich ist und der sich (auch) dadurch konstituiert, dass seine Grenzen überschritten werden. 2. Identitätsmarkierende Bezeichnungen sind selbstverständlich als Konstruktionen gemeint. Aus diesem Grund habe ich keine einheitliche Schreibweise verwendet – z.B. heißt es schwarz, schwarz, ›schwarz‹ und Schwarz –, denn mir kam es vor allem darauf an, die angemessene Form für den jeweils diskutierten oder analysierten Zusammenhang oder die zu führende Argumentation zu finden. 3. Der gleichzeitige oder abwechselnde Bezug auf englischsprachige Texte und deutsche Übersetzung hat mehrere Gründe: der entsprechende Textteil ist entstanden, bevor eine Übersetzung der Referenzliteratur zur Verfügung stand, welche dann aber für Be-, Um- und Überarbeitungen berücksichtigt wurde; es ist verschiedenen Argumentationszusammenhängen geschuldet, dass mit den verschiedensprachigen Quellen gearbeitet wurde; ein zitierter Begriff oder Satz erschien für die hier ausgearbeiteten Zusammenhänge in der englischsprachigen Version zutreffender als in der Übersetzung.
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1. Mistaken Identity: Die Frage der Identität im Feld des Visuellen Mit der Durchsetzung konstruktivistischer Sichtweisen in den 1980er Jahren ist eine Relevanz des Identitätsbegriffs verschiedentlich zur Diskussion gestellt worden. Es wurde angeregt, statt dessen von ›Identifikation‹ zu sprechen, um jedweden Essenzialismusverdacht zu vermeiden; ›kollektive Identität‹ wurde als Plastikwort bezeichnet, welches wegen seiner inflationären Instrumentalisierung bei gleichzeitiger Inhaltsleere zu verwerfen sei.1 »Wer braucht ›Identität‹?« fragte Stuart Hall (2004) in seinem gleichnamigen Aufsatz, der von dem Paradox ausging, dass die Diskussion um die Frage der Identität »einen explosiven Aufschwung erlebt« (ebd.: 167) habe, zugleich aber ›Identität‹ selbst ins Zentrum der Kritik gerückt sei. Hall fand eine zweifache Antwort auf seine Frage – darauf, welcher Bedarf für eine weiterführende Debatte um ›Identität‹ vorliegt. Die erste Antwort betrifft die »Reichweite der ›Dekonstruktion‹
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Für diese vornehmlich quantitativ argumentierende Position, vgl. Niethammer 2000; den Begriff »Plastikwort« übernimmt Niethammer von Pörksen (1992). Wie Niethammer schrieb, sei der Begriff der ›kollektiven Identität‹ trotz der »Berge von sozial- und kulturwissenschaftlicher Literatur«, die in den vorangegangenen zwei Jahrzehnten dazu erschienen seien, »ohne ernstzunehmende theoretische Begründung geblieben«, eine »explizierte und auch nur halbwegs tragfähige Theorie kollektiver Identität ist mir nicht begegnet.« (2000: 55) Niethammer macht sich allerdings nicht die Mühe, die Defizite der jeweiligen Literatur aufzuzeigen, oder auszuformulieren, was er von einer solchen Theorie überhaupt erwarten würde. Er verweigert überhaupt jedwede Definition seines Gegenstandes. Damit verpasst er die Chance, konkret nach Grenzen und falschen Versprechen, aber auch nach der möglichen Produktivität eines Begriffs ›kollektiver Identität‹ zu fragen – sei es nun hinsichtlich marginalisierter gesellschaftlicher Gruppen und deren politischer Praxis oder mit Blick auf Lifestyle-Entwürfe in Werbung und so genannten Massenmedien.
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des Essentialismus« (ebd.), womit gemeint ist, dass ›Identität‹ zwar nicht länger in einem solchen essenzialistischen Sinn benutzt, gleichwohl aber weiterhin so gelesen oder verstanden werden könne. In Bezugnahme auf das, was Derrida (1986: 89) ein Denken an der Grenze oder ein doppeltes Spiel der Schrift genannt hat, definierte Hall Identität als einen ›durchgestrichenen‹ Begriff, der »sich im Übergang der Bedeutungen formiert, zwischen seiner Aufhebung und seinem Auftauchen; der nicht mehr in der alten Weise, und zugleich nicht ohne die bisherigen zentralen Fragen daran, gedacht werden kann.«2 Halls zweite Antwort bezog sich auf die nach wie vor zentrale Bedeutung, die der Verknüpfung des Identitätskonzepts mit Politik und Handlungsfähigkeit zukommt, die selbst vielfach problematisierte Kategorien darstellen. »Es sieht so aus, dass in dem Versuch, die Beziehung zwischen [dezentrierten; KB] Subjekten und diskursiven Praktiken [d.h. hier: Handlungsfähigkeit; KB] zu reartikulieren, die Frage nach der Identität wiederkehrt – oder die Frage nach Identifikation, wenn man es vorzieht vom Prozess der Subjektivation durch diskursive Praktiken zu sprechen, wie auch von Politiken des Anschlusses, die scheinbar als Folge solcher Subjektivationen auftreten.« (2004: 168)
Entlang dieser beiden Antworten möchte ich im Folgenden noch einmal zusammenfassend darlegen, wie Konzeptualisierungen von Identität, Identifikation und Differenz sowie ihr Verhältnis zueinander für eine politische Praxis minorisierter und marginalisierter Subjekte und Gruppen sowie für feministische und postkoloniale Theoriebildungen adaptiert und diskutiert worden sind 3 – und, was sich daraus hinsichtlich eines Konzepts des Ent/Fixierens ableiten lässt. Wenn ich vorschlage, weiterhin mit dem Begriff ›Identität‹ zu arbeiten, so bedeutet das, ihn in eine Argumentation einzubinden, die auf diskursive Konstruiertheit und Kontingenz rekurriert. Und wenn ich ebenso auch von Identifikation und Differenz spreche, dann nicht, um die Termini gegeneinander auszuspielen, sie durch einander zu ersetzen oder gleichzustellen. Die Begrif fe beschreiben unterschiedliche diskursive Momente, die sich weder als zeitlich lineare Abfolge noch in Form eines Entweder-Oder erfassen lassen. Ihr Zusammenwirken könnte als Phänomen eines Übergangs verstanden werden, der eben nicht das stringente Hinter-sich-Bringen eines Weges
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Hall (2004: 168). Vgl. auch Derrida: »[E]s ist sinnlos, auf die Begriffe der Metaphysik zu verzichten, wenn man die Metaphysik erschüttern will. Wir verfügen über keine Sprache […], die nicht an dieser Geschichte [der Metaphysik; KB] beteiligt wäre. Wir können keinen einzigen dekonstruktiven Satz bilden, der nicht schon der Form, der Logik, den impliziten Erfordernissen dessen sich gefügt hätte, was er gerade in Frage stellen wollte.« (1994: 425) 3 Für eine zusammenfassende Darstellung, die die Auseinandersetzungen um ›Identität‹ in ihrer Relevanz für queer theory diskutiert, vgl. Jagose (2001); auch Engel (2002).
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von A nach B meint, sondern einen Prozess, bei dem pointiert etwa A- oder B-Formationen entstehen und sich – insgesamt oder in Teilen – wieder verf lüssigen, wobei dann wiederum auch dieses Verf lüssigen entlang seiner Strukturierungen zu untersuchen wäre.
Identität/Differenz: Problematisierungen und produktive Verschiebungen der Begriffe in der politischen, feministischen und postkolonialen Theorie Drei Eckpunkte der Identitätsdebatte verdeutlichen die Problematik ihres Doppelten und treffen in der Frage der Macht aufeinander. Erstens – und das ist auch eine Umkehrung von Halls erster Antwort auf die Frage »Wer braucht ›Identität‹?« –, die ›Reichweite‹ der Konstruktion: Wenngleich kollektive Identitäten – wie Geschlecht oder Ethnie – als konstruiert zu betrachten sind, heißt das keineswegs, dass sie wirkungslos wären. Sie wirken vor allem als Naturalisierungen, die in Folge wiederum die Behauptung oder Verweigerung bestimmter Positionen innerhalb einer sozio-kulturellen Ordnung vermeintlich rechtfertigen und begründen. Aber auch eine Anerkennung des Konstruiertseins – und das (identifikatorische) Bestehen darauf – arbeitet nicht an sich bereits einem Emanzipatorischen oder Subversiven zu oder stellt automatisch eine Absage an präexistent gedachte Subjektinstanzen dar. Wenn ›Konstruktion‹ ein Begriff ist, der eine potenzielle Veränderbarkeit bezeichnet, dann gilt dies in jede Richtung. Konstruktion anzuerkennen bedeutet nicht zwangsläufig schon eine Verstörung bestehender Verhältnisse, sondern kann ebenso zu deren Stabilisierung beitragen, beispielsweise, wenn ›identitätsrelevante‹ Kategorisierungen als normativ vorausgesetzte Instanzen selbst unhinterfragt und als Identifikationsangebote dominant bleiben.4 Der zweite Punkt betrifft die Kontingenz, wonach Identitäten weder ›rein‹ noch transhistorisch oder universal gültig sind. Wie Sabine Hark schrieb: »Begreift man die sozialen Akteure als die Artikulation eines Ensembles von Subjektpositionen, konstruiert innerhalb spezifischer Diskurse und
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Vgl. dazu auch Butler (1995: 24ff.). – Wenn etwa an Subjekte die Erwartung herangetragen wird, sich ihren Konstruktionen z.B. als ›Mann‹ oder als ›Frau‹ entsprechend zu verhalten. In der Voraussetzung eines ›richtigen‹ Bildes, an das sich angepasst werden soll, werden durchaus tradierte Unterschiedlichkeiten (und Wertigkeiten) fortgeschrieben. Sehr verschiedene Beispiele wären das so genannte Diversity-Management, wie es vor allem in internationalen Großkonzernen zu finden ist, und eine kritische Position, wie sie sich etwa in den Schriften von bell hooks analysieren lässt. hooks betont einerseits immer wieder die Konstruiertheit von ›Rasse‹, andererseits gibt sie aber dennoch die Vorstellung einer unverbrüchlichen ›schwarzen‹ Identität nicht auf (vgl. v.a. hooks 1989; 1996).
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immer prekär und temporär genäht an den Kreuzungspunkten dieser Subjektpositionen, erfordert das die Anerkennung der Kontingenz und Ambiguität jeder Identität sowie die Anerkennung des konstitutiven Charakters sozialer Teilungen und Antagonismen. D.h. wir ›besitzen‹ keine kontingenten Identitäten, sondern Identität ist selbst kontingent.« (1996: 56)
In diesem Sinn hatte zum Beispiel Hall eine ›schwarze Politik‹ kritisiert, die sich nicht einfach in der Fokussierung auf Fragen von ›Rasse‹ und Ethnizität entwickelt, sondern unter der simultanen Annahme, »daß die Kategorien von Geschlecht und Sexualität die gleichen bleiben würden, daß sie festgeschrieben und für immer abgesichert seien.« (1994a: 21) Die Frage nach dem schwarzen Subjekt könne jedoch, so Hall, »nicht ohne den Bezug auf die Dimension von Klasse, Geschlecht, Sexualität und Ethnizität gestellt werden.« (Ebd.: 19) Hier wird, drittens, das Problem der Schließung relevant, d.h. die Frage nach In- bzw. Exklusivität: Identität formiert sich in der Abgrenzung, durch die Setzung von Differenz(en) – durch die Konstruktion eines ›konstitutiven Außen‹.5 Solche Schließungen funktionieren ebenso nach ›außen‹ wie ›innerhalb‹ einzelner Identitätskategorien. Die doppelte Bestimmtheit der Differenz besteht darin, dass sie »zur Absicherung sozialer Hierarchien und Machtverhältnisse hervorgebracht und eingesetzt wird, aber zugleich Anlass positiver Identifizierungen ist, dass Differenz gewählt und als Existenzweise gelebt und nicht zuletzt auch als Anfechtung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen aufgerufen wird.« (quaestio 2000: 14f.) Während innerhalb der einzelnen politischen Identitätsbewegungen das Bestehen auf Differenz nach ›außen‹ als Gegen-Positionierung notwendig erschien, wurde die Negation von Differenz nach ›innen‹ in den 1980er Jahren als Fortschreibung eben solcher hegemonialen strukturellen Machtverhältnisse problematisiert. So geriet mit der anfänglichen Suche von Frauen nach einer authentischen Weiblichkeit – die sich in der feministischen Kunst und Kunstwissenschaft als Debatte um eine ›weibliche Ästhetik‹ manifestierte6 – zum einen die Geschlechterdifferenz und darüber die Kategorie Geschlecht selbst als eine Konstruktion rigider, naturalisierter Zweigeschlechtlichkeit in den
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»Identitätskategorien haben niemals nur einen deskriptiven, sondern immer auch einen normativen und damit ausschließenden Charakter« (Butler 1993: 49). Zum Verhältnis von Identität und Differenz, vgl. auch Woodward (1997). Zum Begriff des ›konstitutiven Außen‹ bei Butler und Laclau, vgl. auch Engel (2002: 107–112); Mouffe (2002: 58). 6 Die Frage einer ›weiblichen Ästhetik‹ wurde kritisch zuerst von Silvia Bovenschen (1979) formuliert. Für einen Überblick über die verschiedenen Positionen in der Debatte, vgl. kritische berichte (3/1985); Morell (1993); kritisch zu dem Konzept, vgl. auch Pollock (1988); Eiblmayr (1985); Schade (1985; 1986; 1993c); Lummerding (1994); vgl. auch Lauretis (1985). Analog wurde auch die Frage einer ›schwarzen Ästhetik‹ thematisiert (vgl. Andrews 1987)
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Blick. Zum anderen zeigten die Einsprüche schwarzer Frauen und women of colo(u)r, dass das homogen gedachte feministische Wir – in den Worten von Judith Butler – »stets weiß war und daß es gerade die Ursache für eine schmerzliche Zersplitterung darstellte, obgleich es die Bewegung festigen sollte.«7 In diesem Zusammenhang hatten schwarze Frauen und schwarze schwule Männer auch offen gelegt, wie eine schwarze Identitätspolitik unmittelbar mit einer bestimmten Konzeption schwarzer heterosexueller Männlichkeit verknüpft ist (Hall 1994a: 21). Gegen den Eindruck des Abgeschlossenen und Statischen, den der hier problematisierte Identitätsbegriff vermittelt, bezeichnen Identifikation und différance die Prozessualitäten, welche Subjekt und Identität potenziell ›beweglich‹ halten. Sie arbeiten im Sinne einer Kontingenz und gegen Schließung. Gemeinsam ist ihnen, dass sie durch eine grundsätzliche Problematik des Abstands charakterisiert sind, der sich jeweils in der Figuration einer Raum-Zeitlichkeit bzw. Zeit-Räumlichkeit bestimmt. Auf der Ebene des Imaginären angesiedelt, beschreiben Identifikationen die unbewussten Mechanismen, durch die sich das Ich formt und durch die ein Subjekt die Vorstellung eines Mit-sich-selbst-Identischen, seiner Ganzheit und Kohärenz aufrechtzuerhalten sucht, indem es sich zu externen Instanzen ins Verhältnis setzt. Die imaginäre Ordnung ist in der lacanschen Psychoanalyse bekanntlich durch das Modell des Spiegelstadiums exemplifiziert, welches entwicklungspsychologisch zugleich den Eintritt des Kindes in die Ordnung des Symbolischen markiert. Entscheidend ist dabei, dass das Imaginäre mit dem Symbolischen ko-existent bleibt und es beständig durchdringt, was jedoch nur von einer Position innerhalb des Symbolischen aus erfasst werden kann. Die symbolische Ordnung, die den Bereich der Sprache und der kulturellen Repräsentationen bezeichnet, welche dem Subjekt vorausgehen, bestimmt die Bedingungen, unter denen Subjektkonstituierung stattfindet und stellt auch die Identifikationsangebote bereit.8 Die Vorstellung des Ich, die im Spiegelstadium aus der imaginären Inkorporation des externen Bildes – eines Bildes des Selbst als ein Anderer – resultiert, etabliert zum einen eine Verkennungsstruktur, deren Dynamik sich aus einer suggerierten ›Nähe‹ bei gleichzeitig irreduzibler Distanz ableitet. Zum anderen beschreibt das unausweichliche Verfehlen
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Butler (1993: 49). Zum diskursiven Ausschluss Schwarzer Frauen innerhalb feministischer Bewegungen, Praxen und Theoriebildungen, vgl. Lorde (1994); hooks (1981; 1989; 1996). Anne McClintock (1995: 7) hat darauf hingewiesen, dass es seit den späten 1970er Jahren vor allem von women of colo(u)r Kritik an einem eurozentrischen Feminismus gibt, der eine essenzielle Weiblichkeit proklamiert und Gender über alle anderen Konflikte stellt; vgl. auch James/Sharply-Whiting (2000). Zum Einfluss der unterschiedlichen Traditionen der Frauenbewegungen in den USA und in Deutschland auf deren Umgang mit den Überschneidungen von race und gender, vgl. Gümen (1994). 8 Vgl. Lacan (1975; auch 1978: 71–126); vgl. dazu auch Silverman (1996; auch 1984).
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in dem kontinuierlichen Sich-Entwerfen auf das Idealbild hin eine unendliche Näherung, die als fortlaufende, in ihrer situativen Spezifik sich wandelnde Wiederholung figuriert ist.9 Diese doppelzügige Bewegung der Identifikation, die die Beziehung des Subjekts zu seinem spiegelbildlichen Ideal und im Weiteren zu den Angeboten der symbolischen Ordnung kennzeichnet, ist narzisstisch, insofern sich das Subjekt als eins mit seinem Bild imaginieren kann, und aggressiv, wo das Bild des Anderen als ein vom Selbst abgetrenntes, abgespaltenes vorgestellt wird.10 Sie ist zudem emotional besetzt; wie Kaja Silverman betonte: »It [the subject; KB] loves the coherent identity which the mirror provides. However, because the image remains external to it, it also hates that image.« (1984: 158) In dieser Weise sind alle Beziehungen im Imaginären grundsätzlich durch das beständige Oszillieren zwischen einem ›Identisch-mit‹ und ›Verschieden-von‹ gegenüber demselben Objekt (oder Partialobjekt) charakterisiert. Es ist eine Bewegung, die die Fixierungen kulturell und sozial codierter Identität und Differenz, welche das Symbolische organisieren, einerseits erst ermöglicht und andererseits zugleich sabotiert. Identifikationen verlaufen über die Teilung von Selbst und Anderem, wobei das Andere von diesem Selbst nie völlig getrennt oder verschieden ist, sondern immer Teil des Selbst, welches wiederum in den Blick des Anderen – oder genauer: in den Blick, der auf dem Feld des Anderen imaginiert wird, – eingeschrieben ist. Es gibt keine Grenzen, die Selbst und Anderes, Innen und Außen, Dazugehöriges und Ausgeschlossenes, Identität und Differenz kategorial, definitorisch oder endgültig festlegen. Gewissermaßen von der anderen Seite kommt hier Derridas sprachphilosophisches Modell der différance, das es ermöglicht eine ›Beweglichkeit‹ von Identität durch die Differenz hindurch zu denken. Différance modifiziert Differenz von dem tradierten Verständnis einer starren binären Opposition in ein unendliches Aufschieben.11 In ihrer doppelten Konnotation von Andersheit und Aufschub bezeichnet différance eine Bewegung des Bedeutens, die sich als ein Zwischenraum des Differierens in der fortlaufenden Verkettung von Signifikanten entfaltet, ohne dabei die Spuren anderer, früherer Bedeutungen zu löschen (Derrida 1988: 39).
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»Aber von besonderer Wichtigkeit ist gerade, daß diese Form vor jeder gesellschaftlichen Determinierung die Instanz des Ich (moi) auf einer fiktiven Linie situiert, die das Individuum allein nie mehr auslöschen kann, oder vielmehr: die nur asymptotisch das Werden des Subjekts erreichen wird, wie erfolgreich immer die dialektischen Synthesen verlaufen mögen, durch die es, als Ich (je), seine Nichtübereinstimmung mit der eigenen Realität überwinden muss.« (Lacan 1975: 64). 10 Bhabha (1983) beschreibt diesen Mechanismus als eine Grundlage für die fantasmatische Konstruktion des Stereotyps des ›schwarzen Mannes‹. Darauf komme ich in Kap. 4 genauer zu sprechen. Vgl. auch Griselda Pollock: Frau als Zeichen »not of woman but of that Other in whose mirror masculinity must define itself. That Other is not, however, simple, constant or fixed. It oscillates between signification of love/loss, and desire/death.« (1988: 153) 11 Derrida (1988); vgl. auch Hall (1994a: 22f.; 1994b: 32ff.; 1994c: 74ff.)
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Derrida interveniert mit diesem Konzept in die Vorstellung selbstidentischer und fixer Entitäten, von denen Differenzen als deren (inferiores) Anderes abgeleitet werden könnten. Die différance produziert hier eine »Gleichheit der Verschiedenheit« (ebd.: 43), die die Oppositionalität von Termen und zwischen ihnen gesetzte Hierarchien unterwandert. Identität artikuliert sich, wie Amelia Jones schrieb, zwar als »a mobile series of identifications crossing over gender, class, sexual orientation and race.« (1992: 5) Doch kann es eben nicht darum gehen, anstelle eines Fixen und Fixierenden von Identität nun das Fließende der Identifikation oder der différance zu denken – also das eine einfach durch das andere zu ersetzen. Eine Analyse der Naturalisierung von Identität(en) beziehungsweise von Identitätskategorien sichert die ›Konstruktion‹, insofern die hier wirksamen Machtmechanismen herausgearbeitet werden und die Kategorie anders wieder eingesetzt wird; eine auf die Identifikationen ausgerichtete Frage muss bedenken, wie diese eben nicht einfach ein permanentes Fließen – Lacans Signifikantenkette – bedeuten, sondern ebenfalls machtvoll ›konstruiert‹ – und das heißt kontextualisiert, reguliert und insofern bereits vorstrukturiert und festgeschrieben sind.12 Silverman (1996) hat gezeigt, wie Identifikationen als beständige, unauf hörliche Akte der Projektion und Introjektion sich nicht einfach auf das Selbst beziehen. Vielmehr sind sie immer auch entsprechend der hierarchischen Werteverhältnisse, in denen Identifikationsangebote im Feld der kulturellen Repräsentationen zueinander stehen, codiert bezüglich dessen, was vorzugsweise zu inkorporieren und was zu verwerfen ist, was das Selbst-Gefühl stützen oder was es bedrohen würde.13 Wenngleich Silverman nicht explizit auf einen foucaultschen Machtbegriff rekurriert, pointiert ihre Argumentation, wie hier eine Bedeutungsmächtigkeit von Repräsentationen und Repräsentationsweisen mit sozio-diskursiven Ungleichheitskonstellationen ineinandergreift. Vor allem postkoloniale Perspektiven haben versucht, die Frage der Identität – insbesondere bezogen auf Geschlecht, Sexualität, Ethnizität/ ›Rasse‹, Kultur und Nation – mit Identifikation und différance zusammenzudenken, indem sie die Aufmerksamkeit auf die Momente der Konstituierung und deren jeweilige Bedingungen richteten. Anstatt lediglich Ausgrenzung zu problematisieren, wurde nach einer Produktivität
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Zum Begriff der Naturalisierung, vgl. Barthes (1964). Barthes beschreibt Naturalisierung als Funktionsweise des Mythos, die auf dem Entzug von Geschichte – dem, was historisch geworden ist, – beruht. Der Aspekt, dass auch Identifikationen bzw. Identifikationsmuster ›naturalisiert‹ sind oder sein können, ist bisher vernachlässigt worden. Angesprochen wird er – wenn auch unter einem anders gelagerten Ansatz – von Silverman (1996). 13 Silverman (1996: 169); Silverman konzentriert sich auf den Aspekt der Idealisierung und das Verhältnis von Idealisierung und Identifikation. 14 Vgl. v.a. Bhabha (2000); auch West (1994); Hall/du Gay (1996).
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›interner‹ Differenzen gefragt.14 Diese Differenzen wiederum meinen nicht einfach Unterschiede zwischen Gruppen oder Subjekten, sondern deren Verschränktsein mit der Konstituierung des einzelnen Subjekts selbst als einem immer schon gespaltenen. Halls Entwurf einer Politik der Differenz versuchte, die Bewegung fortlaufender Signifikation und die statische Abgeschlossenheit von Identität(en) zusammenzubringen (1987). Diese Politik meint ein nicht-hierarchisches Umgehen mit Identitätskategorien, die als solche auch kein Essentielles und Ausschließliches bezeichnen, sondern die produziert werden und Identifikationen bereitstellen, die temporär sind; Positionalitäten, die aufgezwungen wie eingenommen werden (können). Worin also kann die Nützlichkeit eines Begriff der Identität für ein Konzept politischer Veränderung bestehen? Hall setzte bei der Unterschiedlichkeit und Vielfältigkeit von Identitäten an, die sich innerhalb der Strukturierungen des sozialen Feldes als gesellschaftliche Unterscheidungen beobachten lassen, als Größen, die durch Konflikte konstituiert, durch Privilegien getrennt und in Dominanzverhältnissen verortet sind.15 Eine Produktivität von ›Identität‹ leitet er genau aus den oben problematisierten Charakteristika der Konstruiertheit, der Kontingenz und der Arbitrarität ihrer Schließungen ab. In Bezug auf das différanceModell beschreibt er ›Identität‹ nun als ein Doppel von Abschließung und Differenz, welches über eine Verschiebung beider Begriffe funktioniert. Die immer unvollendbare Schließung der Identität korrespondiert mit einem Differenz-Begriff, der nicht »eine radikale und unüberbrückbare Trennung« meint, sondern »positional, konditional und konjunkturell« (1994a: 22) bestimmt ist. Damit geht Hall insofern über Derrida hinaus, als er bereits bei einer Heterogenität von Differenzen ansetzte, die nun als mehrdimensionales Netzwerk sich ineinander, miteinander und gegeneinander verschiebender Prozesse erscheinen. Entscheidend ist, dass Differenz als différance eben nicht einfach ein endloses Gleiten des Signifikanten meint, weil damit »das, was Derridas Politik ausmacht, fallengelassen« würde.16 Vielmehr gelte es, genau »die Spannung zwischen dem auszuhalten, was zugleich plaziert und dennoch […] nicht an seinem Platz festgeschrieben ist. […] Positionierung und Bewegung gleichzeitig, zusammen, nicht eine nach der anderen zu denken […].« (Ebd.) »I believe it is an immensely important gain when one recognises that all identity is constructed across difference and begins to live with that politics
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Hall stellt Ethnizität und kulturelle Identität als Bezugsgrößen in den Vordergrund. Hall (1994c: 76). Mit einem bissigen Seitenhieb v.a. auf us-amerikanische Strömungen, die das Konzept der différance als analytisch-dekonstruktiven Ansatz selbst jedes Kontextes entledigt haben, schrieb Hall weiter: »Wir müssen daher über eine derartige Spielerei hinausdenken und uns der wirklich harten Aufgabe widmen, die das Spiel der Differenz für uns geschichtlich bedeutet.« (Ebd.)
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of difference. […] Is it possible for there to be action or identity in the world without arbitrary closure – what one might call the necessity to meaning at the end of the sentence? Potentially, discourse is endless: the infinite semiosis of meaning. But to say anything at all in particular, you do have to stop talking. Of course, every full stop is provisional. […] But just now, this is what I mean; this is who I am. At a certain point in a certain discourse, we call these unfinished closures, ›the self‹, ›society‹, ›politics‹ etc. Full stop. OK. There really (as they say) is no full stop of that kind.«17
In diesem Entwurf simultaner Positionierung und Bewegung tritt ›Identität‹ wiederum als Unterbrechung, als Einschnitt, als eben die Positionierung auf, die Bedeutung produziert, aber damit die Bewegung nicht auf hebt, denn »Bedeutung entfaltet sich über die arbiträre Beendigung hinaus weiter […]. Sie ist immer entweder über- oder unterdeterminiert, entweder ein Überschuß oder eine Ergänzung. Es bleibt immer etwas ›übrig‹.« (Hall 1994b: 34; vgl. auch 1994d) Und das, was ›übrig‹ bleibt, so muss man fortführen, ermöglicht und bedingt fortlaufend neue und/oder andere Positionierungen usw. Das führt zu einem spezifischen Verständnis des Politischen. Eine Politik, die »vom Ende des wesenhaften schwarzen Subjekts ausgeht, stürzt kopfüber in den Strudel einer durchgehend kontingenten politischen Auseinandersetzung und Debatte, die ohne letzte Garantien auskommt: eine kritische Politik, eine Politik der Kritik.« 18 Hall hat die Möglichkeit einer Politik prospektiert, die mit Kontingenz und Unabschließbarkeit arbeitet; einer Politik, die im Prozess der beständigen Ref lexion »wirkungsvoll politische Grenzlinien zieht, ohne welche die politische Auseinandersetzung unmöglich ist, aber dabei die Grenzen nicht verewigt« (1994a: 19); das heißt ein Setzen von Grenzen, die permanent vorläufig und strategisch sind, die sich verschieben und verändern dürfen und müssen und dies auch beständig tun. Er forderte in diesem Sinn: »there has to be a politics of articulation – politics as a hegemonic project.« (1987: 45) Für eine Konzeption des Ent/Fixierens schlage ich vor, diese Forderung ebenso auch umzukehren und zu erweitern – dass es nämlich gleichermaßen die Frage nach der Artikulation eines Politischen braucht, die den paradoxen Charakter der Identität, der Repräsentation, der Politik ›offen‹ hält in dem Bestreben, an dem immer wieder Differenziellen dranzubleiben. Der Begriff der Artikulation, wie ihn Ernesto Laclau und Chantal Mouffe (1991) geprägt haben, bezeichnet jede Praxis, die eine Beziehung
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Hall (1987: 45). Zutreffend ist hier auch die in einem anderen Zusammenhang stehende Formulierung von Trinh T. Minh-ha: »closures need not close off« (1994: 329). 18 Hall (1994a: 18). Eine »Politik ohne Geländer« nannte es Sabine Hark in Bezug auf die Frage lesbischer Identität (1996: 162).
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zwischen Elementen so etabliert, dass ihre Übereinstimmung »als Resultat einer artikulatorischen Praxis modifiziert wird.« (Ebd.: 155) Sie unterscheiden dabei zwischen ›Element‹, das eine nicht diskursiv artikulierte Differenz beschreibt, und ›Moment‹, welches eine differentielle Position ist, die innerhalb eines Diskurses artikuliert erscheint (ebd.). Mit dieser Definition gelingt Laclau/Mouffe zweierlei: eine Beschreibung, wie sich Diskurse durch Prozesse der Diskursivierung verändern, und die Beschreibung einer Form der nicht notwendigen, nicht determinierten, nicht absoluten diskursiven Verkettung von Momenten. Sie verwerfen damit die Annahme einer außerhalb des Diskurses existierenden Wirklichkeit, ohne damit zugleich zu sagen, dass es nichts außerhalb des Diskurses ›gibt‹.19 Der Einsatz, um den es bei Chantal Mouffe dann mit dem Begriff des Politischen geht, ist die Art und Weise, in der Wir/IhrBeziehungen konstruiert werden (2002: 59). Sie unterscheidet das Politische und die Politik, die »ein Set verschiedener Handlungsweisen und Institutionen [meint; KB], um Ordnung zu schaffen, die menschliches Miteinander organisieren soll – aber zu Bedingungen, die stets konfliktreich bleiben, weil sie vom ›Politischen‹ durchkreuzt werden.« (Ebd.: 58) Diese Dimension des Politischen bedeutet nach Mouffe die allgegenwärtige Möglichkeit eines Antagonismus – das heißt, »daß die Wir/Ihr-Beziehung jederzeit in eine Freund/Feind-Beziehung, also […] in eine antagonistische Struktur umschlagen kann. Das passiert, wenn der Andere, bis dato lediglich für verschieden gehalten, plötzlich in einer Weise wahrgenommen wird, die unsere Identität in Frage stellt und unsere Existenz bedroht.« (Ebd.) Diese Konstellation stellt nach Mouffe genau die Voraussetzung dafür dar, dass politische Identitäten überhaupt formiert werden oder sich formieren können. Halls politics of articulation richtete sich, wie wir gesehen haben, auf die Frage der Politik – bzw. die Frage einer Identitätspolitik, die eine Politik der Repräsentation ist, – als prozessorientiertes und damit veränderliches Projekt. Wenn Mouffe mit dem Politischen eine allgegenwärtige Möglichkeit von Antagonismus als Bedingung der Politik setzt, so
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Oder genauer in ihren eigenen Worten: »Unsere Analyse verwirft die Unterscheidung zwischen diskursiven und nicht-diskursiven Praxen und behauptet, daß […] sich jedes Objekt insofern als Objekt eines Diskurses konstituiert, als kein Objekt außerhalb jeglicher diskursiver Bedingungen des Auftauchens gegeben ist […]. Die Tatsache, daß jedes Objekt als Objekt des Diskurses konstituiert ist, hat überhaupt nichts zu tun mit dem Gegensatz von Realismus und Idealismus oder damit, ob es eine Welt außerhalb unseres Denkens gibt. Ein Erdbeben oder der Fall eines Ziegelsteins sind Ereignisse, die zweifellos in dem Sinne existieren, daß sie hier und jetzt unabhängig von meinem Willen stattfinden. Ob aber ihre gegenständliche Spezifik in der Form von ›natürlichen Phänomenen‹ oder als ›Zornesäußerung Gottes‹ konstruiert wird, hängt von der Strukturierung des diskursiven Feldes ab. Nicht die Existenz von Gegenständen wird bestritten, sondern die ganz andere Behauptung, daß sie sich außerhalb jeder diskursiven Bedingung des Auftauchens als Gegenstände konstituieren können.« (Laclau/Mouffe 1991: 157f.)
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meint das zuallererst ein strukturelles Prinzip, das in dieselbe Richtung zielt und ›Bewegung‹ bereits explizit mit einer Dimension des Kritischen verbunden hat. Es bedeutet auch, dass der Antagonismus in seiner Konkretion nicht immer derselbe sein muss und auch nicht sein kann, sondern als etwas zu denken ist, das sich situationsspezifisch fortlaufend neu formiert und ausformuliert. Von einer Artikulation des Politischen zu sprechen, erscheint somit durchaus als Gedoppeltes – als Signifikation einer von zwei Seiten kommenden, parallelen und zugleich ineinander verschlungenen Bewegung, die allerdings dem Versuch geschuldet ist, auch dieses situativ je Spezifische im Blick zu behalten. Was folgt daraus für die Frage der Identität? Laclau und Mouffe argumentieren, dass Grenzziehungen zwischen sozialen Identitäten nicht auf ewig fixiert sind, sondern auf der Basis hegemonialer Verschiebungen immer wieder neu definiert werden (1991: 68f.; 270f.). Gramsci (1991ff.) folgend sind damit soziale Auseinandersetzungen bezeichnet, die darauf abzielen, dass partikulare Werte und Interessen als gesellschaftlich allgemeingültige durchgesetzt und anerkannt werden; oder wie Hall pointiert (re)formulierte: Hegemonie ist die »Artikulation von Differenzen, die nicht verschwinden.« (1994c: 85) Mouffe machte ebenfalls plausibel, dass »die verschiedenen Ausprägungen von Identität« nicht »als ortsabhängig oder als Eigentum« betrachtet werden sollten, sondern »daß sie der Einsatz in einem Machtspiel sind.« (2002: 61) Und wie ein Übereinbringen von Silvermans und Halls analytischer Perspektive liest es sich, wenn sie schreibt: »[…] die Erkenntnis, daß eine solche [wahre; KB] Identität niemals völlig realisiert werden kann und daß sie überhaupt nur vermittels vielfältiger und konkurrierender Formen der Identifikation existiert. Selbstverständlich werden bestimmte Formen der Identifikation durch hegemonistische Strukturen stabilisiert und ihre Bedeutungen lagern sich ab. Wir haben es nicht mit einem konstanten Fluß zu tun.« (Ebd.: 62, Herv. KB)
Die Herausforderung besteht also darin, Identität(en) als fortwährend neue Momente eines Abschließens zu denken, die nicht einfach einer Heterogenität der Subjekte und einer Multiplizität ihrer Identifikationen Rechnung tragen, sondern in ihrer grundsätzlichen Kontingenz als etwas fassbar zu machen sind, das seine kategorialen Grenzen immer schon überschreitet und gleichzeitig die gesetzten Rahmen nie vollkommen ausfüllt. Wenn man also Identität als etwas versteht, das im Moment der Fixierung immer schon ›woanders‹, »nie an demselben Ort, aber immer auf einen Ort bezogen« (Hall 1994c: 83) ist, bedeutet das wiederum aber nicht, dass Identitäten völlig frei wählbar, einsetzbar, willkürlich oder beliebig veränderbar wären; es bedeutet auch nicht, dass sie etwa einer Stillstellung in Macht- und Herrschaftsverhältnissen automatisch ent-
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gehen könnten. Sie lassen sich nach wie vor »nicht aus den politischen und kulturellen Vernetzungen herauslösen, in denen sie ständig hervorgebracht und aufrechterhalten« (Butler 1991: 18) werden. Gefragt werden muss mithin immer auch nach den Ablagerungen, den Sedimentierungen hegemonistischer Strukturen; allerdings nicht nur in Bezug darauf, was diese verhindern, sondern ebenso und vielmehr nach der Qualität, den Effekten und Potenzialen, die sie jeweils bereitstellen. Homi K. Bhabha hat in einer solchen Form der Begegnung mit ›Identität‹ eine Spur des Widerständigen ausgemacht: »Each time, the encounter with Identity occurs at the point at which something exceeds the frame of the image, eludes the eye, evacuates the self as site of identity and autonomy and – most importantly – leaves a resistant trace, a stain of the subject, a sign of resistance. We are no longer confronted with an ontological problem of being but with the discursive strategy of the ›moment‹ of interrogation.« (1987: 6, Herv. KB)
Das ist durchaus im Sinne von Michel Foucaults »Regel der taktischen Polyvalenz der Diskurse« (1992a: 122) verstehbar, die davon ausgeht, dass Widerstand nicht das Gegenteil von Macht, sondern ein Teil davon ist – »ein komplexes und wechselhaftes Spiel, in dem der Diskurs gleichzeitig Machtinstrument und -effekt sein kann, aber auch Hindernis, Gegenlager, Widerstandspunkt und Ausgangspunkt für eine entgegengesetzte Strategie.« (Ebd.) In dieser Konstellation markiert das ›Übrige‹, der ›Rest‹ – auch mit Derridas Terminus des Supplementären beschreibbar – einen Möglichkeitsraum, in dem etwas ›anders‹ werden kann. Ich schlage daher vor, nach der Übersetzbarkeit und den Übersetzungen dieses Möglichkeitsraums, dieses simultanen Zuviel und Zuwenig, dieser Implikation eines Fixierten und Abgegrenzten als verfehlender/verkennender Moment-Aufnahme eines dynamischen Geschehens in und für das Visuelle zu fragen.
Inszenieren/Intervenieren: Zum Entwurf einer ›visuellen Handlungsfähigkeit‹ Die Debatten um Identität, Differenz, Subjekt und Sichtbarkeit waren (und sind) eng mit der Frage einer Handlungsfähigkeit (agency) verknüpft. Mit der Dekonstruktion des cartesianischen Subjekts, welches seit der Aufklärung das Zentrum westlich-moderner Selbst- und Welterkenntnis gebildet hat, ist Handlungsfähigkeit zu einem höchst kontrovers diskutierten Thema geworden.20 Obgleich dieses Subjekt, wie vor allem 20
Für eine kritische Reflexion von agency, der diesbezüglichen Debatten und ein de/konstruktives Weiterdenken des agency-Konzepts, vgl. Lummerding (2005).
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feministische Forschungen gezeigt haben, in seinen scheinbar neutralen und universalen Implikationen männlich, weiß und heterosexuell konnotiert ist,21 hatte die konstruktivistische Umarbeitung von Subjektund Identitätsbegriff in den 1980er Jahren eine ›Identitätskrise‹ der feministischen Theorie selbst ausgelöst, in der sich essenzialistisch motivierte Positionen gegen konstruktivistische Ansätze stellten (Alcoff 1988). Erstere setzten die Dekonstruktion des Subjekts mit dessen Abschaffung gleich. Es wurde darin ein – auch erste emanzipatorische Erfolge negierender – Verlust von Handlungsfähigkeit gesehen sowie eine Entpolitisierung, weil auch die Ebenen der ›persönlichen Erfahrung‹ und der ›sozialen Wirklichkeit‹ ignoriert würden.22 Letztere Ansätze – für die der Name Judith Butler exemplarisch steht – problematisierten die Logik einer Vorgängigkeit und argumentierten, dass Politik nicht ein abgegrenztes, dem Subjekt vorausgehendes Feld sei, auf dem es sich dann einsetzt; vielmehr sei das Subjekt selbst »ein vollständig politisches Phänomen.«23 Wenn ich nun ebenfalls auf ›Handlungsfähigkeit‹ zu sprechen komme, dann setze ich hier an. Es geht es mir darum, wie ein ent/fixiertes bzw. ent/fixierendes Konzept von ›Identität‹, wie ich es oben skizziert habe, mit Entwürfen von Handlungsfähigkeit verbindbar ist; und es geht mir darum, wie dieses Verhältnis in Bezug auf das Visuelle – im Sinne eben einer ›visuellen Handlungsfähigkeit‹ – gedacht werden kann. Die von Lacan und von Foucault vorgestellten Modelle der Subjektbildung fungieren hier als zwei unterschiedlich positionierte, jedoch gleichermaßen ambivalente, Eckpfeiler, insofern sie beide metaphorisch wie auch konkret mit dem Register des Visuellen arbeiten. Lacans Subjekt
21
Vgl. Irigaray (1979); Audre Lorde nannte das Zentrum die mythische Norm, definiert als »white, thin, male, young, heterosexual, christian and financially secure« (1994: 282). In der feministischen Kunstwissenschaft hat die ›Entlarvung‹ des vom traditionellen Kunstgeschichtsdiskurs konstruierten Künstlersubjekts als weiß, heterosexuell und männlich den Paradigmenwechsel von der kunsthistorischen Frauen- zur Geschlechterforschung Ende der 1980er Jahre maßgeblich bestimmt; vgl. zusammenfassend Schade/Wenk (1995; 2005). 22 Vgl. kritisch dazu Lauretis (1987: 22–24); vgl. auch Flax (1990: 218ff.); Braidotti (1991); zusammenfassend Stabile (1996); Grimm/Rebentisch (1996). 23 Butler (1993: 48). »Die Konstruktion des Subjekts als politisches Problem zu begreifen ist nicht dasselbe, wie das Subjekt einfach abzutun. Das Subjekt dekonstruieren heißt nicht, es zu verneinen oder zu verwerfen. Im Gegenteil: die Dekonstruktion beinhaltet lediglich, daß wir alle Bindungen an das, worauf sich der Terminus ›Subjekt‹ bezieht, suspendieren und daß wir die sprachlichen Funktionen betrachten, in denen es bei der Festigung und Verschleierung von Autorität dient. Dekonstruieren meint […] in Frage stellen und […] einen Begriff wie ›das Subjekt‹ für eine WiederVerwendung oder einen Wieder-Einsatz öffnen, die bislang noch nicht autorisiert waren.« (Ebd.) »Das feministische Subjekt erweist sich als genau durch dasjenige politische System diskursiv konstituiert, das seine Emanzipation ermöglichen soll.« (1991: 17) Daher dürfe die »Identität des feministischen Subjekts […] nicht die Grundlage feministischer Politik bilden, solange die Formation des Subjekts in einem Machtfeld verortet ist, das regelmäßig durch die Setzung dieser Grundlage verschleiert wird.« (Ebd.: 22)
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ist gewissermaßen ein Subjekt des Mangels, Identität kann nur als Scheitern und Verfehlung gedacht werden. Sie wird nie erreicht und kann niemals eine stabile, fest umgrenzte, in sich geschlossene Einheit ergeben; sie bleibt ewig unerfüllt, prekär, instabil und phantasmatisch. Die ihr immer schon eingeschriebene Spaltung oder Differenz kann verkannt – verdeckt, verdrängt oder verleugnet –, aber niemals aufgehoben werden. Die Inkorporation eines externen Bildes, wie sie das Spiegelstadium beschreibt (Lacan 1975), und die Internalisierung des präexistenten Blicks, der im Konzept des Blicks als Objekt klein a entwickelt wird (Lacan 1978), sind hier von zentraler Bedeutung. Das Spiegelbild markiert die Schwelle der sichtbaren Welt, das skopische Feld kann nur durch das Spiegelstadium hindurch betreten werden, und visuelle Transaktionen sind immer auch von Narzißmus durchzogen (Silverman 1996). In der modernen Ökonomie einer Bio-Macht, die Foucault beschreibt, arbeiten Techniken der Disziplinierung und die regulierenden Kontrollen der Bio-Politik zusammen an der Produktion gesellschaftlicher Subjekte. Foucaults Konzept der Subjektkonstituierung hebt hervor, dass diese unumgänglich, immer schon determiniert, vorgegeben, aufgezwungen und durchweg machtbestimmt ist (1992a). Im Modell des Panoptismus ereignet sich Sichtbarkeit als Kontrolle und Überwachung (1994). Zugleich erlaubt die Heterogenität der Diskurse, der Macht/ Wissen-Komplexe, der Regeln und Ordnungen der Sichtbarkeit auch, einen Raum zu denken, in dem sich Widersprüche entfalten, die politisch produktiv werden können. Ausgehend davon, dass Identität zwar über Repräsentation konstituiert ist, aber niemals mit ihrer Repräsentation identisch sein kann, hat Hall eine Politik der Repräsentation beschrieben, die eine Vervielfältigung der kulturellen Strategien im Sinne einer Zerstreuung der Einstiegspunkte und einer Heterogenität der Einsätze ist, welche nun auf die Repräsentation selbst und deren Modi der Identitätskonstituierung ref lektieren. Indem sie sich in ihrem Verhältnis zueinander permanent reorganisieren und repositionieren, bleiben diese Strategien gleichwohl aufeinander bezogen. Hier stellt sich Handlungsfähigkeit als eine Frage von Macht, die mit Foucault als »Vielfältigkeit von Kräfteverhältnissen« (1992a: 113) definiert ist. Die Dekonstruktion des Subjekts schreibt ›die Anderen‹ nicht aus einer Handlungsfähigkeit heraus, sondern diese wird als etwas wahrnehmbar, das selbst an die spezifischen Bedingtheiten der sozio-diskursiven und psycho-symbolischen Konstituierung von Subjekten innerhalb von Machtverhältnissen gekoppelt ist. Eine politische Handlungsfähigkeit – oder besser: Handlungsmächtigkeit – meint insofern grundsätzlich die Summe der Möglichkeiten, in diese Verhältnisse zu intervenieren. 24 Zur Diskussion steht, wie von
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verschiedenen – ungleichen und hierarchisch differenten – Positionierungen aus am Feld gesellschaftlicher Sichtbarkeit (um)gestaltend mitgewirkt werden kann. Hall hatte für eine Nutzung von Identitätskategorien als temporäre Schließungen und momenthafte Fixierungen unabhängig davon argumentiert, ob sie sich auf das Selbst, auf nationale Zugehörigkeit, ethnische oder kulturelle Gruppen oder etwa politische Bewegungen beziehen. Als grundsätzlich arbiträre, nicht-ursprüngliche, immer schon konstruierte und unmögliche Kategorie wird ›Identität‹ damit als eine strategische Grenzziehung entworfen, die es möglich macht, die disparaten, vielfältigen und widersprüchlichen Subjektpositionen, sozialen Erfahrungen, Interessen und Identifizierungen anzuerkennen, welche sich unter einem Etikett versammeln. Identitäten können als Kategorien der Identifikation und Solidarität bestehen bleiben, ohne dass eine Heterogenität der sich identifizierenden Subjekte unterdrückt, verdrängt oder ignoriert werden müsste.25 In diesem Sinn schlug Butler in ihrem Versuch, Identität(en) als grundsätzlich zeitlich begrenzte, provisorische Konstrukte im Sinne einer Bündnispolitik zu denken, vor, auch mit den »Divergenzen, Brüche[n], Spaltungen und Splitterungen« (1991: 35) solcher Zusammenschlüsse umzugehen anstatt auf einer Einheitlichkeit zu bestehen. Bereits zuvor hatte Gayatri Spivak (1988) eine Vorstellung von Differenzen und Splitterungen aufgegriffen und versucht, diese im Konzept des strategischen Essenzialismus mit einer Bewegung der Einheitlichkeit zu verbinden. Damit sollte ein als ideologisch und repressiv markiertes Modell von Identität vorläufig und interessegeleitet für eine Arbeit der Dekonstruktion eingesetzt werden – »a strategic use of positivist essentialism in a scrupulously visible political interest.« (Ebd.: 205) Es sollte die pragmatische, temporäre Besetzung einer positiven und einheitlichen Subjektposition als eine Position emanzipatorischen Widerstands ermöglichen.
24
In ihrer diesbezüglichen komplexen Analyse hat Antke Engel (2002) auch auf ein Übersetzungsproblem verwiesen. Der englische Terminus agency sei mit ›Handlungsfähigkeit‹ nur unzureichend wiedergegeben; jedoch habe die daraus resultierende Bedeutungsverschiebung relevante Auswirkungen auf die deutschsprachigen Rezeptionen und Debatten gehabt. Engel schlug vor, den Begriff der ›Handlungsmächtigkeit‹ zu verwenden, der überdies auch ein binäres Schema von ›fähig‹ versus ›unfähig‹ aushebele (2002: 61f.). Mieke Bal (1996: 8) führte den Begriff expository agency für Konstellationen ein, in denen eine Autorschaft nicht mehr wirklich auszumachen ist, um eine Handlungsfähigkeit zu beschreiben, die sich zwar nicht (mehr) an individuelle Intentionen knüpft, gleichwohl aber an Individuen und deren Einbettung in Machtstrukturen gebunden bleibt. 25 Hall (1994a: 19). »You see, I don’t think it’s true that we’ve been driven back to a definition of identity as the ›minimal self‹. Yes, it’s true that the ›grand narratives‹ which constituted the language of the self as an integral entity don’t hold. But actually, you know, it isn’t just the ›minimal selves‹ talking out there with absolutely no relation to one another.« (Hall 1987: 45)
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»Since one cannot be an essentialist, why not look at the ways in which one is essentialist, carve out a representative essentialist position, and then do politics according to the old rules while remembering the dangers in this?«26
Mit dem strategischen Essenzialismus ging es Spivak (1988) darum, die blinden Flecken eines (post-)strukturalistischen Anti-Humanismus sichtbar zu machen, die sie vor allem in Bezug auf so genannte subalterne Subjekte aufgezeigt hat. Gleichermaßen sollte damit eine ref lexive Reaktion auf jene Zentrierung dargestellt werden, mit der die Dekonstruktion im Augenblick ihrer Benennung gegen sich selbst arbeiten muss und an dieser Stelle kollabiert;27 diese Zentrierung sollte zeitweise affirmiert werden. Die Philosophin Anja Rüdiger (1996) hat in ihrer dezidierten Kritik an Spivaks strategischem Essenzialismus herausgearbeitet, wie das formale Moment der doppelten Bewegung, welches die Dekonstruktion ausmacht – ihre »doppelte Geste, die sich notwendigerweise gleichzeitig der Praxis der Kritik und der Konstruktion bedient, die das Risiko der Strategie gegen das Risiko der Kritik ausspielt und umgekehrt« (ebd.: 273) – hier zum einfachen Widerspruch zwischen einem politischen Interesse und einer theoretischen Kritik erstarrt ist.28 Rüdiger schlug vor, dieses doppelte Moment »im Rahmen eines nicht-funktionalistischen Verhältnisses von Dekonstruktion und Konstruktion als irreduzible paradoxe Geste – die sowohl kritisch als auch affirmativ ist und nicht zwischen beiden Momenten nur vermitteln will – weiterzudenken.« (Ebd.: 275) Hinsichtlich der Frage eines Ent/Fixierens geht es mir gleichermaßen um ein solches Weiterdenken, das konsequenterweise nicht auf eine ›Besetzbarkeit‹ von Subjektpositionen ausgerichtet ist, sondern eben auf die Prozesse, deren Effekt auch solche (partiellen) ›Besetzbarkeiten‹ sein können. Daher schlage ich vor, die Bewegungen der Dekonstruktion als sich gleichzeitig immer auch erschließende Konstruktionen zu analysieren. Dekonstruktion und Identifikation, dekonstruktive/dekonstruierende Strategien und Identifikationsangebote – und damit auch Subjektpositionen – verhindern einander nicht kategorisch noch schließen sie sich gegenseitig aus. Für ein politisches Projekt des Ent/Fixierens sind sie konstitutiv.
26 27
Spivak (1990: 45); vgl. auch ebd. (11; 45f.; 51; 109); Spivak (auch 1988: 201). Allerdings kollabiert die Dekonstruktion ja nicht, wenn man auch ihre Benennung wiederum genau im Sinne der Dekonstruktion sieht. 28 Rüdiger legt allerdings auch dar, wie das nicht zuletzt einer simplifizierenden Rezeption von Spivaks Konzept geschuldet ist. Spivak selbst verabschiedete sich Anfang der 1990er Jahre von der Konzeption eines strategischen Essenzialismus, da er als »union ticket to essentialism« missbraucht worden sei (zit. n. Rüdiger 1996: 274, Anm. 54)
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Was bedeutet das nun für eine ›visuelle Handlungsfähigkeit‹? Diese Frage hatte sich in den 1970er/80er Jahren als die nach einer ›eigenen Positionierung‹, der Erfindung ›eigener Bilder‹ oder der eigenen Sichtbarmachung gestellt. Mit der paradigmatischen Verlagerung hin zu einer Politik der Repräsentation, wie sie auch die feministische Kunstwissenschaft vollzogen hat,29 sind diese Fragen keineswegs irrelevant oder gegenstandslos geworden. Doch findet die Auseinandersetzung nunmehr mit den Repräsentationssystemen statt, die auch das, was als ›eigen‹ angenommen wird, immer schon mitproduzieren und mitbestimmen – als Sichtbarmachung der Strukturen und als Interventionen in das, was Kaja Silverman (1996; 1997) den screen oder das ›kulturelle Bildrepertoire‹ genannt hat (1997: 49). Silverman stützt sich dabei auf Lacans Modell des ›Schirms‹ (vgl. Lacan 1978), den sie als das Feld der visuellen/kulturellen Repräsentationen übersetzt, der sowohl das Sehen des Objekts als auch das Gesehenwerden als Objekt vermittelt und für den Silverman eine sozio-historische Dimension und damit eben auch eine Wandelbarkeit und Veränderlichkeit einklagt. Der screen ist auch der Ort, an dem das Subjekt sein Verhältnis zu seinen kulturellen Repräsentationen modelliert. Diese Option beinhaltet für Silverman ein kritisches Potenzial und eröffnet damit eine Arena für politische Auseinandersetzung. Silverman selbst knüpft Handlungsfähigkeit an einen produktiven Blick (productive look), den sie als Option innerhalb des diskursiven Raums der Psychoanalyse ausarbeitete. 30 Dazu stellte sie das Prinzip des ›mit-sich-eins-seienden‹ Körpers in den Mittelpunkt der Varietäten von ›Differenz‹, wie Geschlecht, ›Rasse‹ oder sexuelle Präferenz (1996: 24f.), insofern der Körper eine zentrale Rolle bei der Aufrechterhaltung von Identitätskategorien spiele, die in einer Kultur existieren; er stelle das Terrain dar, auf dem sich das Prinzip von ›Selbstheit‹ organisiert und ablagert (ebd.: 92). Silverman ging es nun darum, wie diese Kategorien – oder allgemeiner gesprochen, kulturell konstruierte Differenzen an sich – auf der Ebene des Körper-Ichs ins Spiel kommen (9f.). Insofern die Identifikationsmöglichkeiten hinsichtlich dessen, was Silverman eine erfolgreiche Verkennung nennt, für das Subjekt von den Bildern abhängig sind, die ihm im Feld der Repräsentation vorausgehen und in denen es in irgendeiner Weise ›eingefangen‹ oder bezeichnet ist, müsse die politische Intervention auf diese Repräsentationen, deren Textualität und 29
Im deutschsprachigen Raum manifestierte sich dieser Wechsel mit dem Publikationsband zur vierten Kunsthistorikerinnen-Tagung (Lindner u.a. 1989). 30 Silvermans Entwurf von Handlungsfähigkeit resultiert aus ihrer Relektüre, Modifizierung und Erweiterung von Lacans Modell der Subjektkonstituierung, das weitestgehend visuell metaphorisiert ist, und ihrer Einbeziehung des Taktilen und Sensorischen, womit das Primat des Visuellen relativiert und zur Diskussion gestellt ist.
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tradierte Bedeutungen abzielen. Wenn das Subjekt durch textuelle – das meint hier vor allem visuelle und imaginäre – Projektionen ermutigt wird, bestimmte körperliche Parameter zu idealisieren, dann könne es, so Silverman, nur die Schaffung und Zirkulation von alternativen Bildern und Worten sein, wodurch dem Subjekt neue identifikatorische Koordinaten zugänglich gemacht werden (81). Damit stellte sie zur Diskussion, wie Identifizierungen und Idealisierungen in einer Weise vorgestellt, umgearbeitet, umgeleitet, unterbrochen und/oder verschoben werden können, dass sie kulturelle normative Vorgaben nicht zwangsläufig bestätigen müssen.31 Unter der vorangestellten These, dass Techniken der Identifikation niemals nur auf das Selbst bezogen, sondern immer auch kulturell befördert sind, sieht Silverman Identifikation als eine »three-way rather than a two-way transaction, requiring a symbolic ›ratification‹.« (1996: 18) Unter Ratifizierung versteht sie eine Instanz der externen Kontrolle und der Bestätigung, woraus sie deren wesentliche Bedeutung auch für eine Umarbeitung von Identifikationsstrukturen herleitet. Zugleich zeigte Silverman, dass Identifikationsprozesse zwar unbewusst ablaufen und Subjekte insofern keine vollständige Verfügungsgewalt darüber haben, aber diesen Prozessen dennoch nicht einfach passiv ausgeliefert sind; denkbar seien beispielsweise die Option eines ›zweiten Blicks‹ – auch im Sinne einer Nachträglichkeit – oder eine Verschiebung des metaphorischen Geometralpunktes, der das Subjekt im Verhältnis zum Bild positioniert. In diesem Zusammenhang versuchte sie auch, Bertolt Brechts Strategie der Verfremdung mit psychoanalytischer Identifikation zusammendenken, indem sie beide Konzepte kritisch hinsichtlich ihrer jeweiligen Nähe-Distanz-Relationen und deren Effekten analysierte.32 Denn im Gegensatz zu den filmtheoretischen Debatten der 1970er Jahre, 33 die Brechts Modell positiv für den Entwurf eines politischen Kinos diskutiert hatten, geht Silverman davon aus, dass die größte Stärke eines solchen Kinos genau in der Identifikation liegt (1996: 85). Gerade, indem sie den Betrachter/die Betrachterin ganz woanders hin ›entführt‹, biete die Identifikation, so Silverman, einen potenziellen Träger für eine Selbst-Entfremdung des Betrachters, welche für eine politische Wirkmächtigkeit und Wahrnehmungsveränderung die Voraussetzung
31
Für eine kritische Auseinandersetzung mit Silverman hinsichtlich eines Konzepts visueller Anerkennung, vgl. Schaffer (2008). 32 Es geht hier eigentlich um eine doppelte Relation bzw. Relativität, insofern ›Nähe‹ selbstverständlich auch eine Distanz bezeichnet, aber eine andere rezeptive Qualität aufweist – sich anders ›anfühlt‹ – als ›Distanz‹. 33 Diese Diskussion wurde vor allem in der Zeitschrift »Screen« geführt, die für die Nutzbarmachung der Psychoanalyse für die Filmtheorie eintrat und der die brechtsche Theatertheorie insofern diametral gegenüberstand (vgl. Screen, Vol. 15, Nr. 2, 1974; Vol. 16, Nr. 4, 1975/76).
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sei (ebd.). Die Herausforderung bestehe vor allem darin, den Ort, die Lokalisierung, von Identifikation zu überdenken, um der Dichotomie von psychischer ›Auflösung‹ des Betrachters im filmischen Szenario einerseits und der (Re-)Instituierung seines Gefühls von Selbst-Sein andererseits zu entkommen (84–92). Silverman arbeitete das zentrale Paradox des brechtschen Theaters darin heraus, dass es einerseits eine Distanzierung des Zuschauers vom Gesehenen bewirken will, indem es eine ›Einheitlichkeit‹ der theatralen Inszenierung aufbricht, andererseits aber zugleich die Grenze zwischen Bühne und Publikum in ein Prinzip der Nähe überführt. Das hält Silverman für problematisch, weil die dort wirksamen identifikatorischen Mechanismen einer Selbst-Entfremdung des Zuschauer-Ichs entgegenstünden und die Vorstellung eines sich selbst als ›vollständig‹ imaginierenden Betrachtersubjekts letztlich unberührt gelassen würde (87). In der Übertragung auf das Kino – oder genauer: das Verhältnis von kinematischem Schauspiel und Publikum – argumentierte Silverman nun dafür, die sogenannte vierte Wand, die Lücke, die den Bereich der Bühne/Leinwand und den Zuschauerraum voneinander trennt und die Brecht als hinderlich für das ›Erkennen‹ angesehen hatte, eben nicht aufzuheben oder unsichtbar zu machen, sondern, im Gegenteil, zu übertreiben (88). Das damit entstehende (umgekehrte/umkehrende) Verhältnis von Distanz und Nähe mache das Prinzip einer identity-at-adistance offenkundig – »the condition or quality of being ›other‹« (15) – und ermögliche so auch, den Blick auf den Anderen zu öffnen, ohne dass dieser nurmehr der eigenen Konstituierung als Subjekt zuarbeiten müsse. Ähnlich, wie Bhabha in der Begegnung mit ›Identität‹ eine widerständige Spur ausmachte, weil sie sich nicht mehr als Problem eines ontologischen Seins stellt, sondern eine diskursive Strategie des Infragestellens bezeichnet, so zeigte Silverman – und darin liegt ein enorm wichtiger Aspekt ihrer Arbeit – eine potentielle Widerständigkeit des Auges auf, die darauf beruht, dass es eben niemals mit dem Blick zusammenfällt (1996: 156). Für künstlerische Arbeit sah sie eine wesentliche Möglichkeit und Aufgabe darin, dies in Richtung eines produktiven Blicks zu fördern; d.h. Angebote zu machen, die exemplarisch Inszenierungsformen erproben und insofern konkret verschobene/verschiebende Identifikationsweisen vorschlagen – etwa, wie schon angedeutet, indem die Bildinszenierung ein Verlassen des geometrischen Punktes befördert, den die tradierte Zentralperspektive vorgibt. Problematisch an Silvermans Vorschlag für das in diesem Buch zur Diskussion stehende Projekt einer Ent/Fixierung, das fotografie- und identitätstheoretische Diskurse wechselseitig durch einander hindurch zu denken versucht, bleibt, dass sie, bei aller Modifizierung der lacanschen Psychoanalyse und Betonung des Medialen, den Weg über die Idealisierung beibehält und Identität (bzw. die/eine Identität des Anderen) zwar at-a-distance situiert, aber dann dort
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belässt. Anders gesagt: In Silvermans Konzept des produktiven Blicks geht es in der Konsequenz (auch) um eine wertende Selbstbezüglichkeit, nämlich, wie man ein ›gutes Subjekt‹ werden kann. Ich möchte daher mit/bei einem anderen Blickwinkel ansetzen. Mir kommt es darauf an, wie künstlerische Projekte mit Verschiebungen tradierter/konventionalisierter Nähe-Distanz-Verhältnisse – auch auf der Ebene des Medialen selbst – arbeiten und darüber Betrachter/innen in je spezifischen Spannungsverhältnissen zwischen ›fixiert‹ und ›beweglich‹ situieren. Damit ist weniger nach einem produktiven, sondern vielmehr nach einem interessierten Blick gefragt – ›interessiert‹ im etymologischen Wortsinn als inter-esse, Dazwischen-Sein, übersetzt als ›teilnehmen‹ oder ›teilnehmen an‹, welches ich in der Dopplung von Positioniert-Sein/ Dabei-Sein und Position-Beziehen/Sich-Einmischen verstanden haben möchte. Eine in diesem Sinn engagierte künstlerische Praxis wird als kritische Arbeit an jenen Systemen zu beschreiben sein, die Bilder scheinbar natürlicher Identität(en) fortwährend neu zu verfestigen suchen. Denn ich gehe davon aus, dass sich die Frage eines ›politischen Handelns‹ innerhalb eines künstlerischen Agierens nicht im ›Gegenstand‹ der Darstellung begründet, sondern in der Art und Weise der Darstellung selbst und in der Rezeption solcher Darstellungen.
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2. Artikulationen von Evidenz: Fototheorie, Fotogeschichte und die Konstruktion des Anderen Fotografie und Identitätskonstruktionen stehen historisch wie aktuell in einer engen Verbindung, die aus dem ›indexikalisch‹ genannten Verhältnis des fotografisch Repräsentierten zum Referenten und einer daraus abgeleiteten fotografischen Evidenz resultiert. Sie kommt innerhalb je spezifisch strukturierter, aber nicht völlig verschiedener Sichtbarkeitsdispositive und Repräsentationspolitiken zum Tragen, deren Gemeinsames die Herstellung und Feststellung – die Fixierung – eines Bildes der Person ist, welches auf die eine oder andere Weise im Zeichen von Selbst- und Differenzbehauptung steht. So wurde (und wird) die fotografische Personenaufnahme gleichermaßen nobilitierend und repressiv eingesetzt; sie diente (und dient) der Selbst- wie der Fremddarstellung, der visuellen Beschreibung eines Individuums wie auch der Einschreibung von Individualität und sozio-kultureller Zugehörigkeit (vgl. Sekula 1989; Tagg 1993). Das fotografische Porträt war im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts zu dem inszenatorischen Ort geworden, an dem die aufstrebende bürgerliche Klasse ihr Selbstbild entwarf (vgl. Sagne 1998); zugleich hatten sich, etwa mit der Verbrecherfotografie oder der ethnografischen Fotografie, systematisierte Praktiken herausgebildet, die das Andere – das gesellschaftlich Auszuschließende, das vermeintlich Primitive, Minderwertige und Fremde – als Bild fixierten und sichtbar machten. Die sich in den 1930er Jahren als eigenständige Gattung etablierende Dokumentarfotografie inszenierte in ihrer ›sozial‹ engagierten Ausprägung wie auch in Gestalt des Fotojournalismus eine aufklärerisch
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intendierte Sichtbarkeit der ›anderen‹, gesellschaftlich marginalisierten Subjekte und Gruppen, die an die bürgerlichen Schichten gerichtet war. Praktiken wie etwa die Arbeiter-Fotografie der 1920er/30er Jahre oder eine so genannte neue linke Fotografie der 1970er Jahre nutzten das Medium als politische Waffe im Klassenkampf für soziale Gerechtigkeit. Hier sollte die fotografische Herstellung einer Gegenöffentlichkeit mit der Schaffung eines ›eigenen Bildes‹ einhergehen – die Selbstrepräsentation derer, die in den bürgerlichen Medien unsichtbar blieben oder mis-repräsentiert waren.1 Kurzum, das Foto als ›Identitätsausweis‹ bezeichnet eines der historisch bedeutsamsten und bis heute wirkungsvollsten Wahrheitsspiele der Fotografie. Doch führt dieses Spiel auf eine zentrale Problematik des fotografischen Diskurses selbst, die genau die fotografische Evidenz – oder besser: die Artikulation fotografischer Evidenz betrifft. Denn diese ist eine doppelte, und als solche bildet sie einen komplexen und komplizierten Teil des fotografischen Diskurses. Jedoch wird sie immer nur partiell ausformuliert, weil und insofern beide Evidenzen innerhalb des Diskurses in zwei unterschiedlich fokussierte Teildiskurse oder Theoreme – so könnte man sie auch bezeichnen – eingebunden sind, die diesen Diskurs grundlegend strukturieren. Das sind auf der einen Seite Positionen, die bei den fotografischen Praktiken bzw. Gebrauchsweisen ansetzen und auch das Verhältnis von Evidenz und Indexikalität in dieser Hinsicht verhandeln – einer auf das Objekt gerichteten fotografischen Beweiskraft, die innerhalb eines Netzwerks sich je wechselseitig bestätigender Diskurse, Praktiken und Institutionen konstituiert ist; dafür stehen Namen, wie Victor Burgin, Martha Rosler, Allan Sekula, Abigail Solomon-Godeau und John Tagg. Auf der anderen Seite sind es Ansätze, die das Indexikalische als mediales Spezifikum und in seiner medialen Spezifik in den Blick nehmen, also von der Singularität des Fotografischen ausgehen; hier seien Rosalind Krauss und Philippe Dubois genannt. Die Evidenz, die hier artikuliert wird, ist vor allem eine, die sich auf die Zeit bezieht. Das Problem besteht nun darin, dass in keinem der beiden Teildiskurse die jeweilige Evidenz restlos aufgeht. In der Zweiteilung des fotografischen Diskurses und der einhergehenden Parallelisierung mit jeweils einer Evidenz findet eine selbstgeschaffene Beschränkung statt, deren Nichtreflexion immer auch der Analyse und Lektüre von Fotografien ihre Grenzen setzt. Das sei exemplarisch verdeutlicht: Im Kontext der obigen kursorischen Aufzählung scheinen das Ausweisfoto als Teil eines amtlichen Identitäts-
1
Für eine umfassende kritische Analyse und Diskussion der vielfältigen Beziehungen zwischen Fotografie und Politik, vgl. Dennet/Spence (1979) und Holland/Spence/Watney (1986). Zur ArbeiterFotografie, vgl. insbesondere Dennet/Spence (1979: 72–117); zu einer daran anschließenden neuen linken Fotografie der 1970er Jahre, vgl. ebd. (124–185).
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Artikulationen von Evidenz
nachweises und das Schnappschuss-Porträt im Familienalbum als Teil einer visuellen (auto)biografischen Erzählung zwei gegensätzliche Formen fotografischer Subjekt- und Identitätskonstruktion zu markieren: auf der einen Seite das verordnete und reglementierte offizielle/öffentliche Dokument und auf der anderen Seite das selbstgemachte, individuelle und für den Privatgebrauch gedachte Bild. Das eine wird für die amtliche Identifizierung und Überprüfung der Person gebraucht, das andere dient vor allem einer Bezeugung von Vergangenem, ist Gedächtnishilfe und Erinnerungsanlass. Bei beiden wirkt eine Evidenzkraft, die – obgleich anerkanntermaßen keine natürliche Eigenschaft der Fotografie – allem Wissen, aller Kritik und allen Zweifeln zum Trotz immer wieder eine subtile Gültigkeit behauptet. Der Unterschied besteht darin, dass Evidenz für das Ausweisfoto hinsichtlich der fotografierten Person – des Objekts – artikuliert wird und vornehmlich auf das Begehren nach einer Objektivität im Modus formalisierter Vergleichbarkeit antwortet, aus der sich das je Individuelle oder Typische dieser Person herauskristallisieren soll. Beim Schnappschuss-Porträt hingegen ist Evidenz vor allem in der zeitlich bestimmten Einmaligkeit des vergangenen fotografierten bzw. fotografischen Moments artikuliert, der wieder präsent erscheinen möge. Für beide Bildkategorien besteht ein Wunsch nach Ähnlichkeit und Wahrheit, die sichtbar – evident – werden soll, doch ist dieser Wunsch unterschiedlich gelagert: bei ersterem ist Ähnlichkeit/Wahrheit vor allem physiognomisch, am Äußeren, orientiert; bei letzterem geht es immer auch um eine Authentizität, die über dieses Äußere hinausweist. Sie sind zudem eingelassen in Ökonomien der Pose, in Standards, Darstellungskonventionen und eine Determinierung durch Vor-Bilder, auf die sie sich in irgendeiner Weise beziehen, hinsichtlich derer sie dann jedoch durchaus verschieden funktionieren und die auch im Verhältnis zueinander jeweils unterschiedlich konfiguriert sind. Ein Abgleichen, das von den Bildkategorien ausgeht, mag die festgestellten Gemeinsamkeiten und Unterschiede irgendwie noch unter das eine oder andere Theorem subsumieren können. Jedoch gelingt das höchstens so lange, wie diese Kategorien selbst – die Bildformen und deren Einsatzorte – unhinterfragt bleiben. Das wird deutlich, wenn etwa das Passbild im Familienalbum erscheint und insofern die Funktion eines Erinnerungsfotos für sich reklamiert, oder, wenn das SchnappschussPorträt für amtliche Identifizierungszwecke verwendet wird. Solche Übernahmen sind historisch wie gegenwärtig eine absolut gängige behördliche, journalistische, wissenschaftliche, private – und auch künstlerische – Praxis. Private Gelegenheitsfotos oder professionelle Studioporträts werden ebenso für Vermisstenanzeigen wie für Fahndungsplakate verwendet. Von der historischen Forschung sind solche Bewegungen allgemein als Bildwanderung thematisiert worden.2 Unthematisiert
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geblieben ist, wie sich mit solcher Wanderung auch die Evidenzartikulationen der Bilder verschieben. Denn was würde herauskommen und was würde ›fehlen‹, wenn man das private Schnappschuss-Porträt einzig als hochcodierten Kreuzungspunkt kultureller, sozialer, politischer und ökonomischer Diskurse liest, und das Passfoto im Personalausweis nurmehr als die Spur eines (abwesenden) Referenten in der Einmaligkeit des fotografischen Moments analysiert? Dabei ist das Problem eigentlich bekannt, aber es wird allgemeiner oder umfassender formuliert – wie etwa zuletzt von Peter Geimer (2009) in seiner Einführung in Theorien der Fotografie, dass nämlich Fotografie immer die »beiden verschiedenen, aber nur mühsam voneinander zu trennenden Bedeutungen ihres Gegenstandsbereichs« (ebd.: 9) meine: zum einen »das allgemeine Phänomen […], die Fotografie als solche, das Abstraktum unabhängig von seiner konkreten Realisierung in zahllosen, einzelnen Bildern – dasjenige also, was Rosalind Krauss ›das Fotografische‹ genannt hat,« und zum anderen aber auch »eine Fotografie, eine bestimmte Aufnahme, deren singuläre Bedeutung nicht mit ›dem Fotografischen‹ als Kollektivsingular zur Deckung kommen muss.« (9f.) Dieses Doppelte lässt nach Geimer den theoretischen Status der Fotografie im Ungewissen und stellt die verschiedenen Theorien der Fotografie vor die Herausforderung, »dass sie von Fotografien ausgehen müssen, andererseits aber die Fotografie in den Blick nehmen wollen.« (10) Wo Geimers eigener Standpunkt einen Kompromiss zwischen den widerstreitenden Positionen zur Fotografie versucht – nämlich ein tradiertes Verständnis von Theorie hinsichtlich des Verhältnisses von Fotografie und Fotografien »eher locker« (ebd.) auszulegen, aber auch keine weitere Geschichte der Fotografie vorzustellen –, möchte ich einen grundlegenden Perspektivwechsel vorschlagen: Der theoretische Status der Fotografie ist genau ihr Doppeltes, die beiden »nur mühsam voneinander zu trennenden Bedeutungen ihres Gegenstandsbereichs« sind genau das, was ihren theoretischen Status ausmacht. Das heißt anzuerkennen und insofern mitzuformulieren, dass eine theoretisierende Rede über die Fotografie ohne eine Rede über (konkrete) Fotografien ebensowenig auskommt, wie eine Analyse fotografischer Bilder ohne eine Vorstellung von der Fotografie. In Folge bleibt damit auch eine Aufteilung in 2
Vgl. z.B. Regener (1999: 12). Mir geht es an dieser Stelle um das einer festen Kategorie/ Bedeutung zugeordnete empirische Foto, welches durch Einfügung in und Angleichung an andere Kontexte mit einer Bedeutungsverschiebung einhergeht. Das ist von dem zu unterscheiden, was Sigrid Schade (1993a; 1996) ›Recycling‹ genannt hat, ein Begriff, der bereits davon ausgeht, dass Bilder bzw. Inszenierungsweisen und Bildbedeutungen aus verschiedenen Bereichen – Kunst, Werbung, Wissenschaft, dem Privaten und dem Öffentlichen – permanent ineinander übergehen, miteinander verschränkt sind und gemeinsam an Vorstellungen von Ähnlichkeit und Differenz, von Eigenem und Anderem, von Männlichkeit oder Weiblichkeit usw. arbeiten – und damit zugleich diese Bereiche auch immer wieder in einer bestimmten Weise definieren.
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Artikulationen von Evidenz
Theorie und Geschichte der Fotografie, bei der das ›und‹ eigentlich ›oder‹ meint, nicht haltbar. Die oben gestellte Frage nach der Artikulation fotografischer Evidenz spitzt das noch weiter zu. Denn sie verweist darauf, dass es eine stillschweigende wechselseitige Abhängigkeit zu geben scheint zwischen bestimmten fotografischen Bild-Kategorien, Bild-Typen oder Bildformen und deren Verortung im fotografischen Diskurs. In den Reden über die Fotografie sind immer schon bestimmte Fotografien vorausgesetzt, von denen aus und auf die hin theoretisiert und definiert wird, was das Fotografische sei, ohne dass dies reflektiert oder benannt würde. Umgekehrt aktivieren bestimmte Fotografien oder fotografische Bildformen geradezu wie selbstverständlich bestimmte fototheoretische Aspekte und bekommen einen entsprechenden Platz innerhalb des fotografischen Diskurses zugewiesen, der nicht weiter hinterfragt wird. Mein Interesse gilt nun dem Raum, der sich mit den beiden Artikulationen, Objekt-Evidenz und Zeit-Evidenz, konstituiert, denn – das ist die These, die ich in diesem Kapitel verfolge, – durch diesen Raum hindurch kann ein ent/fixierter Bild-Status des Anderen fotografisch formulierbar werden. Wenn ich also versuche, entsprechend auch meines vorgeschlagenen Perspektivwechsels, Evidenz-Artikulationen auf der Ebene des fotografischen Diskurses zusammenzudenken, dann bedeutet das keineswegs, wahllos zu vermischen, was die fotohistorische und -theoretische Forschung ausdifferenziert hat. Es bedeutet, die ›interne‹ Strukturierung dieses Diskurses auf ihre Voraussetzungen und Potenziale, wie auch auf ihre Grenzen und Begrenzungen hin anzuschauen. Gezeigt werden soll, wie beide Evidenzen stets schon zusammenwirken, aber je nach kategorischer Zuordnung und kontextueller Einbindung der jeweiligen Fotografie(n) unterschiedlich expliziert und gewichtet sind; bisweilen – und hier kommen die beiden Theoreme oder Teildiskurse entscheidend zum Tragen – schwingt die eine in der anderen nur unbemerkt mit oder sie erscheint irrelevant oder wird gar entschieden ausgeklammert. Das bedeutet umgekehrt auch herauszuarbeiten, wie in den fototheoretischen/-historischen Positionen, die unter dem einen oder anderen Teildiskurs subsumiert sind, Aspekte des jeweils anderen zum Tragen kommen, die aber von ihnen selbst weder ref lektiert noch ausformuliert werden. Diese Herangehensweise möchte nicht zuletzt den Blick (wieder) darauf lenken, dass es sich bei der Fotografie um ein mehrdimensionales, dynamisch und kontingent organisiertes Gebilde handelt, welches Bedingungen und Weisen des Sichtbarseins und des Gesehenwerdens bestimmt und befördert. Denn wie ›normal‹ ein zweigeteilter fotografischer Diskurs geworden ist, zeigt sich mittlerweile auch in der entsprechenden Konzeption fachwissenschaftlicher Publikationen. So hieß es in der Einleitung des zweiten Bandes der von Herta Wolf herausgegebenen
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zweibändigen Anthologie fototheoretischer Texte: »Während der erste Band das Paradigma Fotografie, die Bestimmung der Singularität des Fotografischen als apparatives bzw. mediales Dispositiv und seine Modellfunktion fokussiert, stellt der Band Diskurse der Fotografie die Pluralität der Gebrauchsweisen in den Vordergrund […].« 3 Meine Frage nach dem Ineinander und dem Miteinander dieses Paradigmas und dieser Diskurse zielt also – psychoanalytisch formuliert – auf ein Wiederholen, Durcharbeiten und Neu-Denken des fotografischen Diskurses; oder, mit Foucault gesprochen, auf eine konsequente Weiterführung dessen, was sich ergibt, wenn man Fotografie/n – bzw. hier: das Foto als ›Identitätsausweis‹ in einer medienarchäologischen Perspektive diskutiert. Archäologie bedeutet die erneute Schreibung, die regulierte Transformation des bereits Geschriebenen (Foucault 1992b: 198ff.) – die »systematische Beschreibung eines Diskurses als Objekt« (ebd.: 200); die archäologische Analyse versucht, Diskurse als bestimmten Regeln gehorchende Prak tiken in ihrer jeweiligen Spezifität zu erfassen. An einen medienarchäologischen Ansatz anknüpfen heißt für die Frage eines Ent/Fixierens, die verschiedenen gespaltenen Ebenen des Fotografie-Diskurses hinsichtlich der je wirksamen (medialen) Differenzkonzeptionen zu analysieren und ›anders‹ ins Verhältnis zu setzen. Wenn ich dazu nun einen Weg durch verschiedene Geflechte dieses Diskurses bahne, dann interessiert mich also die jeweilige Positionalität der Fotografie – die Frage, wie sie als Medium und in ihrer spezifischen Medialität von verschiedenen diskursiven und disziplinären Orten aus verhandelt, modifiziert oder nutzbar gemacht worden ist. Zur Diskussion steht die Komplexität und eine Komplizierung des Indexikalischen, um zu verdeutlichen, dass eine Evidenz (oder Evidenzmächtigkeit) der Fotografie anerkannt werden muss – und zwar Evidenz als eine höchst bedingungsvolle und vieldeutige Angelegenheit –, weil sich damit die Möglichkeit von Ent/Fixierung überhaupt eröffnet.
3
Holschbach (2003: 8). Zweiteilungen des fotografischen Diskurses sind z.T. auch anders benannt worden, könnten aber ebenso hier zugeordnet werden. Das verweist darauf, dass es immer auch eine Frage von Ebene und Kontext ist, auf der bzw. innerhalb dessen solche Differenzierungen vorgenommen werden; z.B. unterschied Philippe Dubois für eine »Phase der Dekonstruktion der Codes« eines fotografischen Realismus »eine eher semiologische« Achse (Metz, Eco) und eine »eher ideologiekritische« Achse (Baudry, Cahiers du cinéma) (1998: 50). Geoffrey Batchen (1999) ging davon aus, dass seit der Erfindung der Fotografie auch die Frage ihrer Identität debattiert werde, und unterschied zwei grundsätzliche Positionen, die sich vor allem seit den 1970er Jahren herausgebildet hätten: die »Formalisten«, die nach einem Essenziellen der Fotografie suchen (Greenberg, Bazin, Szarkowski, Galassi), und die »Postmodernisten«, die ein solches Essenzielles grundsätzlich bestreiten (Tagg, Sekula, Burgin, Solomon-Godeau). Obgleich Batchen daraus die These ableitete, dass es in dieser Debatte eigentlich um die Verortung einer Identität der Fotografie ginge, um die Grenzen und Begrenzungen (ebd.: 17), blieb seine Argumentation vor allem an dem Ort stecken, den er hatte problematisieren wollen, nämlich Fotografie ausschließlich als eine Frage von ›Natur‹ oder ›Kultur‹ zu diskutieren.
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Artikulationen von Evidenz
Fotografischer Diskurs und die komplexe Bestimmtheit des Indexikalischen Das indexikalische Verhältnis des fotografisch Repräsentierten zum Referenten ist bekanntlich durch den technischen Modus der Selbstaufzeichnung definiert, bei dem von einem Gegenstand ausgehende Lichtstrahlen mittels des zentralperspektivisch organisierten Apparates eingefangen und auf einer lichtempfindlichen Oberf läche dauerhaft gespeichert werden. Es ist eine Beziehung der physischen Kontiguität; oder nach Charles Sanders Peirce: das, was dargestellt ist, hat selbst einen Abdruck, eine Spur hinterlassen (1978: 159). An diese indexikalische Verfasstheit knüpft sich die grundsätzliche und vielschichtige Beschreibung der Fotografie in Figurationen des Doppelten, Ambivalenten und Paradoxen, die den fotografischen Diskurs von Anfang an bestimmt haben und bis heute bestimmen. Vor allem gehört zu diesen Figurationen der doppelte Status der Fotografie, zugleich ein gemachtes Bild und ein Bild von etwas zu sein, der meist mit einer Einordnung in die Register von Ikon und Index einhergeht. Daran schließen ihre Rezeption als Zeichen (bzw. Text) und als Spur, als Bedeutendes und Berührendes an. Die Fotografie funktioniert als Todesmetapher und Lebensbeweis, ist situiert zwischen Realismus und Traum (bzw. Trauma), zwischen der ›Rationalität‹ ihrer zentralperspektivischen Organisation und dem ›Magischen‹ oder ›Halluzinatorischen‹ in der »Emanation des Referenten« (Barthes 1989: 90) sowie zwischen der unendlichen Reproduzierbarkeit des fotografischen Bildes und der Einmaligkeit des fotografischen Moments. Sie konstituiert paradoxale Raum-Zeit-Beziehungen und gibt Zeit zu sehen durch die Verstellung von Zeit. 4 Die Fotografie sei, wie etwa Sigrid Schade zusammengefasst hat, von Anfang an als ein Medium rezipiert worden, »das Ähnlichkeit, Wahrheit und Authentizität verspricht und gleichzeitig dem Anspruch dieses Versprechens […] den Grund entzieht.« (1996: 67) Rosalind Krauss betonte das Paradoxale darin, dass die Fotografie eine ›falsche Kopie‹ sei, insofern ihre Ähnlichkeit mechanisch hergestellt werde und nicht auf einer inneren, essenziellen Verbindung zum Modell beruhe, aber als ›echte‹ wahrgenommen werde (1990: 21–24). Und Allan Sekula bezeichnete den Diskurs um die Fotografie als ein paradoxes Sprechen »von Disziplin und Freiheit, von strengen Wahrheiten und zügellosen Lüsten.« (2002: 255)
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Zu den vielen Ebenen des Doppelten in der Wahrnehmung und den Gebrauchsweisen der Fotografie, vgl. auch Sekula (2002; 1989). Das sind Charakterisierungen, wie sie sich z.T. schon bei Walter Benjamin finden (1977a: v.a. 49ff.).
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Fotografie und ›Identität‹
Dieser Indexikalität verdankt die Fotografie die zum Teil widerstreitenden Zuschreibungen durch ästhetische, fotohistorische und medientheoretische Diskurse. Das Medium stellt ein gleichermaßen umkämpftes wie umworbenes Terrain dar, auf das verschiedene Kräfte einwirken und auf dem sie mit durchaus disparaten Zielrichtungen agieren. Fotografie(n) und fotografische Praktiken wurden (und werden) einerseits immer wieder in einem Spannungsfeld positioniert, für das Ästhetik und Wissenschaft, Kunst und Politik als normative, einander ausschließende Kategorien die Pole bilden, in dem aber andererseits diese Pole auch immer wieder ineinandergreifen. Ebenso sind die vielfältigen Einsätze der Fotografie als Visualisierungsverfahren in ihrer Indexikalität begründet. Sie gilt als paradigmatisches Medium des Sichtbarmachens, wobei diese Sichtbarkeit wiederum grundsätzlich widersprüchlich strukturiert ist. Als eine supplementäre Apparatur erweitert die Kamera die Möglichkeiten des Sehens; sie hält fest und zeigt, was das ›bloße Auge‹ so nicht erfassen kann; doch tut sie dies – wie Krauss betont hat – »zu ihren Bedingungen« (2000: 161). Die Kamera verändert das Sehen, indem sie immer auch mehr, weniger oder anderes – und anders – zu sehen gibt, als das Auge zu sehen erwartet, wünscht oder zu erkennen in der Lage ist. Sichtbar wird auch das, was Benjamin das »Optisch-Unbewußte« genannt hat, von dem der Mensch erst durch die Kamera erfahre, »wie vom Triebhaft-Unbewußten durch die Psychoanalyse« (1977a: 50). Roland Barthes hat das Paradox der Fotografie als ein strukturales Moment beschrieben, welches die Rezeptionsbedingungen fotografischer Bilder grundlegend darin bestimmt, dass sich eine konnotierte bzw. codierte Botschaft auf der Grundlage einer Botschaft ohne Code – selbst bereits ein paradoxer Begriff5 – entfaltet (1990: 15; 31f.), »obschon Codes selbstverständlich ihre Lektüre steuern« (1989: 99). Die Wirkungsweise dieser doppelten Botschaft arbeitete Barthes auch in der Ausdifferenzierung eines entgegenkommenden und eines stumpfen bzw. dritten Sinns (1990), einer zahmen und einer verrückten Rezeption und, am nachhaltigsten, in der von studium und punctum aus: das Signifikantennetz – also die semiologischen, technischen und sozio-kulturellen Codes – und zugleich immer auch das, was mit diesen nicht erfassbar ist, was entgleitet, ohne völlig abgetrennt zu sein, und durch das Gef lecht der Signifikanten hindurchblitzt (1989). So tritt das strukturale Paradox der Fotografie in »Die Helle Kammer« vor allem auf der Ebene des Begehrens auf – wenn das punctum das studium durchbricht und den Betrachter ›trifft‹. Es artikuliert sich in dem ›Rest‹ oder dem ›etwas‹, wie es Benjamin
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Vgl. Eco (1992) dazu, dass ›ohne Code‹ bereits eine Codierung ist.
Artikulationen von Evidenz
genannt hatte, das sich der Analyse widersetzt und nicht zum Schweigen zu bringen ist.6 Barthes’ Versuch in »Die helle Kammer« (1989), ›das Wesen‹ der Fotografie zu beschreiben, ist wohl eine der klarsten Erfassungen ihres mehrschichtigen und widersprüchlichen Wirkens, wenngleich deren umstrukturierendes Potenzial hinsichtlich eines fotografischen Diskurses selten genug rezipiert worden ist. Im Gegenteil – so eröffnete John Tagg sein eigenes Buch »The Burden of Representation« (1993), in welchem er dafür plädierte, die Frage fotografischer Evidenz nicht als ontologischmediales, sondern als ein historisches Problem zu begreifen, bezeichnenderweise mit einem Missverständnis des Evidenz-Begriffs, den Barthes dort ausarbeitet. Tagg insistierte darauf, dass es sich bei Barthes’ Verschiebung einer fotografischen Zeugenschaft vom Gegenstand auf die Zeit – seinem Diktum, dass »[p]hänomenologisch gesehen« (Barthes 1989: 99) in der Fotografie das Bestätigungsvermögen den Vorrang vor der Fähigkeit zur Wiedergabe habe, – um den Rückfall in einen fotografischen Realismus handele, der die Indexikalität des fotografischen Bildes mit der mimetischen Abbildung einer prä-fotografischen Realität gleichsetzt: »[…] Roland Barthes […] leaves us with a poignant reassertion of the realist position. The camera is an instrument of evidence.« (Tagg 1993: 1) Und hielt dagegen, dass »[t]he indexical nature of the photograph – the causative link between the pre-photographic referent and the sign – is […] highly complex, irreversible, and can guarantee nothing at the level of meaning.« (Ebd.: 3, Herv. KB) Doch wird die Fotografie in »Die helle Kammer«, gerade angesichts all der fotografischen Verzer-
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Barthes (1989: 35). Wie Margaret Iversen gezeigt hat, geht es in Barthes’ »Die helle Kammer« jedoch »nicht um die grenzüberschreitende und gefährliche Dimension des Begehrens, sondern um das Trauma von Trennung, Verlust und Tod« (2002: 111). Einen expliziten Verweis auf Freuds Theorie des Traumas sieht Iversen (2002) bereits auch bei Benjamin in seiner Schilderung eines unwiderstehlichen Zwangs, im Foto einer toten Frau »das winzige Fünkchen Zufall, Hier und Jetzt, zu suchen, mit dem die Wirklichkeit den Bildcharakter gleichsam durchsengt hat, die unscheinbare Stelle zu finden, in welcher, im Sosein jener längstvergangenen Minute das Künftige noch heut und so beredt nistet, daß wir, rückblickend, es entdecken können.« (Benjamin 1977a: 50) Es ist bisher eine offene Frage, inwiefern die Rede vom Indexikalischen der Fotografie als einem ›etwas mehr‹ und ›noch etwas anderes‹, ihrem ›Berührenden‹, mit Feminisierungen verknüpft ist bzw. selbst als Feminisierung funktioniert: So machte Benjamin auch das Neue und Sonderbare, dem man in der Fotografie begegne, und dem nach Iversen Barthes’ Verständnis der Fotografie als Emanation in der Gegenwart der Vergangenheit entspricht, am Foto einer Frau fest: »in jenem Fischweib aus New Haven, das mit so lässiger, verführerischer Scham zu Boden blickt, bleibt etwas, was im Zeugnis für die Kunst des Photographen Hill nicht aufgeht, etwas, was nicht zum Schweigen zu bringen ist, ungebärdig nach dem Namen derer verlangend, die da gelebt hat, die auch hier noch wirklich ist und niemals gänzlich in die ›Kunst‹ wird eingehen wollen.« (Ebd.: 49) Bei Kracauer und Barthes war das Bild der Mutter Auslöser und Mittelpunkt der Überlegungen; Dubois erörterte entscheidende Aspekte des fotografischen Index an Weiblichkeitsbildern. In Barthes’ Rede von der »Art Nabelschnur«, die »den Körper des photographierten Gegenstandes mit meinem Blick [verbindet]« (1989: 91), ist die Mutter-Kind-Metaphorik offensichtlich, und John Tagg hat sein Buch »The Burden of Representation« (1988/93) seiner verstorbenen Mutter gewidmet.
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rungen, die auch Tagg aufzählt, – von bestimmten Darstellungskonventionen, über die Wahl des Objektivs, der Belichtung und des Ausschnitts, über den Entwicklungs- und Vergrößerungsprozess bis hin zu Korrekturen am Positiv und dem Kontext der Präsentation –, keineswegs auf eine phänomenologische Garantie reduziert. Vielmehr führt Tagg damit Kriterien an, die Barthes dem studium zugeordnet hätte, und er teilt mit diesem gar die Ansicht, dass die Indexikalität der Fotografie nichts über die Bedeutung des fotografischen Zeichens aussage. Oder, wie Dubois (1988) ganz im Sinn der »Hellen Kammer« betonte, der fotografische Abdruck meine weder ›Ähnlichkeit‹ noch ›Bedeutung‹, werde aber beständig damit gleichgesetzt oder verwechselt. Und wenn Tagg fortsetzte: »What exceeds representation, however, cannot, by definition, be articulated. More than this, it is an effect of the production of the subject in and through representation to give rise to the phantasy of this something more« (1993: 4) – dann kam er der Argumentation von Margaret Iversen sehr nahe, dass das, was Barthes als phänomenologisch bezeichnet, »durch und durch psychoanalytisch« (2002: 109) verstanden werden müsse. Philippe Dubois verstand »Die helle Kammer« als den Versuch, eine momentane »Kontiguitätsbeziehung zwischen dem Bild und seinem Referenten« in der »Übertragung des Anscheins des Wirklichen auf den empfindlichen Film« zu denken (1998: 39). Problematisch ist daran nach Dubois, dass Barthes diese Idee verabsolutiert (ebd.: 40) und sich in einen Referentialismus verstrickt habe, der letztlich nurmehr das Resultat seines eigenen Subjektivismus sei (53). Kaja Silverman sah in dem erinnernden Blick, den Barthes in Bezug auf die Fotografie entwirft, prinzipiell eine Möglichkeit, die Mechanismen, durch die wir die Welt wahrnehmen, zu verändern. Allerdings kritisierte sie – ähnlich wie Dubois –, dass eine solche Veränderung unter Barthes’ selbst gesetzten Prämissen – der Geltendmachung nurmehr seines eigenen Blicks und der Einmaligkeit des Gefühls, durch das dieser geleitet wird, – begrenzt sei. Ihr zweiter Kritikpunkt verwies auf eine Funktionalisierung der Figuren, die auf den im Buch abgedruckten Fotografien abgebildet sind, insofern sie einzig der Aktivierung von Barthes’ eigenen Erinnerungen dienstbar gemacht werden (1996: 183f.). Rosalind Krauss und Victor Burgin haben dagegen vor allem die Produktivität von Barthes’ subjektiver Selbstpositionierung und der ›Zweckgerichtetheit‹ seines Blicks hervorgehoben. Krauss sah in Barthes’ paradoxem Entwurf einer Wissenschaft von der Fotografie als »die unmögliche Wissenschaft vom einzigartigen Wesen« (Barthes 1989: 81) eine Lockerung der proklamierten Objektivität der Fotografie und eine Neudefinition ihrer Authentizität (1998: 194). Burgin (1987) betonte vor allem die Verschiebung vom Gegenstand auf den Raum zwischen Gegenstand und Betrachter/Leser, die Barthes vornimmt, – einen intertextuellen
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Artikulationen von Evidenz
Raum ohne definierbaren Ursprung und Abschluss. In seiner Auseinandersetzung »mit der sehnsuchtsvollen ›Zielgerichtetheit‹ der Einbildungskraft« (ebd.: 67), die sich an der Fotografie festmache, sei Barthes’ Perspektive vor allem »eine Evokation der Intentionalität«, deren »Bedeutung […] in dem Gewicht [liegt], das so auf die aktive Teilhabe des Betrachters an der Erzeugung der Bedeutung/des Affekts der Fotografie gelegt wird.« (71) Und genau mit dieser aktiven Teilhabe – zu der auch der von Silverman genannte ›erinnernde Blick‹ gehört und für die das punctum eine zentrale Größe darstellt –, so möchte ich fortsetzen, kann sich auch das ent/fixierende Potenzial einer doppelten Evidenz-Artikulation formieren. Dazu möchte ich als nächstes in der Zusammenschau einer fotokünstlerischen und einer fototheoretischen Position, die beide das punctum thematisieren, konkret zeigen, wie die komplexe Bestimmtheit des Indexikalischen in den Modus eines Ent/Fixierens transferierbar sein werden kann.
Fotografische Evidenz und das heimliche Begehren nach dem punctum (mit Carrie Mae Weems und Sigrid Schade) In ihrer 33-teiligen Foto-Text-Reihe »From here I saw what happened and I cried« (1995–96) verwendet die us-amerikanische Künstlerin Carrie Mae Weems gefundene Bilder und zitiert damit auch verschiedene Bildkategorien bzw. fotografische Praktiken.7 Es sind abfotografierte SchwarzWeiß-Aufnahmen von Afro-Amerikaner/innen, die trotz ihrer teilweisen Ausschnitthaftigkeit fotografischen Genres, Kategorien und Herkünften zuordbar erscheinen – anthropologischen Projekten, pornografischer Fotografie, dem Familienalbum, der Atelierfotografie, fotojournalistischen Praktiken sowie Dokumentar- und Kunstfotografie. Die Bilder sind aus ihren jeweiligen Herkunfts- und Bedeutungszusammenhängen herausgelöst und formal vereinheitlicht; sie wurden auf ein für Porträtgemälde übliches Format vergrößert, durchweg in sattem Rot eingefärbt und in runde Passepartouts gesetzt, die wiederum von einem (Holz-)Rahmen eingefasst sind. Ihre Anordnung ist mehr oder weniger chronologisch. Sie stammen hauptsächlich aus dem neunzehnten Jahrhundert, den 1930er Jahren und der Zeit der Bürgerrechtsbewegung, Zeiträume also, die eine historisch und historiografisch herausragende Bedeutung für eine Konstituierung ›schwarzer Identität‹ hatten und haben.
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Ich werde diese Arbeit von Weems in Kapitel 3 noch einmal aufgreifen und dort, aufbauend auf die hier vorgestellte Lektüre, unter dem Aspekt des Rahmens und der Rahmung diskutieren.
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Ungefähr die Hälfte der Bilder sind Einzelporträts, dazu einige Gruppen- und Familienaufnahmen bzw. Ausschnitte aus solchen Fotografien. Das Foto eines ausgepeitschten Sklaven in Rückenansicht ist das einzige, das auf direkte körperliche Gewalt verweist. Einige der Bilder sind konkret identifizierbar: So beginnt die Reihe mit einer Profilaufnahme und drei Frontalansichten, die aus einer von Joseph T. Zealy 1850 angefertigten Daguerreotypien-Serie afrikanischer Sklavinnen und Sklaven der ersten und zweiten Generation stammen (Abb. 2–5). Zealy arbeitete, im Auftrag des seinerzeit bekannten Paläontologen und Plantagenbesitzers Robert W. Gibbes, für den Naturwissenschaftler und Zoologen Louis Agassiz, der diese Bilder als Beweis für seine Theorien über die Polygenese der ›menschlichen Rassen‹ und die ›rassische Minderwertigkeit‹ von Schwarzen einsetzte. 8 Die Porträtaufnahme einer älteren Frau, die Weems verwendet, stammt von Prentice H. Polk aus dem Jahr 1932 und war mit »The Boss« betitelt (Abb. 6, 7). Die pornografische Daguerreotypie einer schwarzen Frau ist unter dem Titel »Nude Study of a Black Woman« (ca. 1850) bekannt (Abb. 8, 9); und Robert Mapplethorpes »Man in Polyester Suit« von 1980 (Abb. 10, 11) ist das einzige Foto in dieser Reihe, das der Kunstfotografie zugerechnet wird und in der Datierung herausfällt. Die Texte bestehen aus einzelnen Wörtern oder Satzfragmenten, die mit Sandstrahltechnik in die aufgelegten Glasscheiben graviert sind. Sie kommentieren im Präteritum die sozialen Rollen von Schwarzen innerhalb einer weißen us-amerikanischen Dominanzgesellschaft, ihre Funktionalisierungen und die auf sie gerichteten phantasmatischen Projektionen. »From here …« bietet einen Blick auf das Historische an, der sich nicht nur auf den ›Inhalt‹ der Darstellung bezieht, sondern diese Inhalte zugleich als Produkte bestimmter fotografischer Praktiken und deren Rezeptionsweisen thematisiert. Ein narrativer Zusammenhang zwischen den einzelnen Formaten wird dadurch forciert, dass die Texte als versatzstückartige Aufzählungen gelesen werden können. So heißt es etwa in der Abfolge der anthropologischen Fotografien und daran anschließenden Einzelporträts: YOU BECAME A SCIENTIFIC PROFILE – A NEGROID TYPE – AN ANTHROPOLOGICAL DEBATE – & A PHOTOGRAPHIC SUBJECT – YOU BECAME MAMMIE, MAMA, MOTHER & AND THEN, YES, CONFIDANT-HA – DESCENDING THE THRONE YOU BECAME FOOT SOLDIER & COOK – HOUSE – YARD – FIELD – KITCHEN […].
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Willis/Williams (2002: 21f.). Polygenese meint im anthropologischen Diskurs des neunzehnten Jahrhunderts die stammesgeschichtliche Herleitung der ›menschlichen Rassen‹ aus mehreren Stammformen; im Gegensatz zur Monogenese, die von einer einzigen, gemeinsamen Urform ausgeht. Die zeitgenössische ›Rassen‹-Debatte basierte auf diesen beiden gegenläufigen Grundannahmen.
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Zum Teil sind geschlechtsspezifische Kontraste bemerkbar – anthropological debate oder field bezeichnen das Porträt einer männlichen, a photographic subject oder kitchen das einer weiblichen Figur. Die Texte verweisen auf Erfahrungen von Unterdrückung und Diskriminierung, auf Überlebensstrategien und Momente des Widerstands. Es wird auch Bezug auf historische, literarische oder biblische Figuren genommen, die für ein Schwarzes (Selbst-)Bild prägend (gewesen) sind: z. B. [Duke] Ellington, Billie [Holiday], Uncle Tom, Daniel. Weems (re-)inszeniert Schwarze Geschichte, indem sie durch eine formale Vereinheitlichung der verschiedenen – insgesamt eher zusammengetragen als streng systematisch ausgewählt wirkenden – Fotografien und deren Kombination mit Text etwas eigentlich Bekanntes neu bündelt und zu einem Gesamtbild zusammenfügt, welches über den Rahmen jedes einzelnen Formats der Reihe hinausgeht. Das Bild, das auf diese Weise entsteht, ist ein mehrfaches, insofern es simultan mehrere gleichwertige Lesarten provoziert. Die Reihe funktioniert, ähnlich einem Familienalbum, als eine Art Zeit-Reise, die die Fotografien als Erinnerungsbilder betont; dies wird noch einmal intensiviert durch die Einfärbung, womit sie verfremdet werden, etwas Surreales bekommen und auch als Traumbilder verstanden werden könnten. Ebenso kann man die Bildfolge als eine (künstlerische) Dokumentation betrachten, die eine gewisse Vielfältigkeit aus dem Archiv der fotografischen Selbst- und Fremdkonstruktionen ›schwarzer Identität‹ oder des ›schwarzen Subjekts‹ versammelt, kommentiert und zur Diskussion stellt. Das wird auch durch das »I saw« des Titels gestützt, das vom ersten Bild der Reihe übernommen ist und die Behauptung einer Augenzeugenschaft markiert. Gleichermaßen wird die Arbeit als ein dekonstruierendes und kritisches Gegen-Bild lesbar, vor allem in der Hinsicht, dass die Bildappropriationen mit dem Textzusatz als subversive Wiederholungen verstehbar sind – ganz deutlich zum Beispiel dort, wo mit der lakonischen Kommentierung der »Nude Study«, welche lautet: YOU BECAME PLAYMATE TO THE PATRIARCH, mehr oder weniger offensichtliche Bildbedeutungen als historische Tatsachen in ihren rassistischen und sexistischen Strukturierungen noch einmal auf den Punkt gebracht werden. Diese Lesarten rufen also unterschiedliche Momente des fotografischen Diskurses auf, die einander ja auch gar nicht ausschließen. Worauf es hier ankommt, ist, dass bei jeder Lektüre ein bestimmtes Spannungsverhältnis zwischen den jeweiligen Einzelbildern und der Gesamtfolge aufgebaut wird. Die vereinheitlichende Aneinanderreihung der Einzelbilder, die Weems vornimmt, destabilisiert deren ›kategoriale Zugehörigkeit‹ – also, ob es sich um eine anthropologisch-ethnografische Aufnahme, ein Porträt, ein Zeitungsfoto usw. handelt –, aber ebnet sie nicht ein. So werden beispielsweise die anthropologische oder die pornografische
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Abb. 2: Carrie Mae Weems: A negroid type. Aus: »From here I saw what happened and I cried«, 1995–96 (C-Print mit sandgestrahltem Text auf Glas, 67 x 57 cm). Abb. 3: Carrie Mae Weems: & a photographic subject. Aus: »From here I saw what happened and I cried«, 1995–96 (C-Print mit sandgestrahltem Text auf Glas, 67 x 57 cm).
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Abb. 4: Joseph T. Zealy: Renty, Congo. On Plantation of B.F. Taylor. Columbia, South Carolina, 1850. Abb. 5: Joseph T. Zealy: Drana, Country Born, Guinea. Daughter of Jack. Plantation of B.F. Taylor. Columbia, South Carolina, 1850.
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Abb. 6: Carrie Mae Weems: You became mammie, mama, mother… Aus: »From here I saw what happened and I cried«, 1995–96 (C-Print mit sandgestrahltem Text auf Glas, 67 x 57 cm). Abb. 8: Carrie Mae Weems: You became playmate. Aus: »From here I saw what happened and I cried«, 1995–96 (C-Print mit sandgestrahltem Text auf Glas, 67 x 57 cm).
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Abb. 7: Prentice H. Polk: The Boss, 1932. Abb. 9: Unbekannter Fotograf: Nude Study of a Black Woman, ca. 1850 (Daguerreotypie).
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Abb. 10: Carrie Mae Weems: Anything but… Aus: »From here I saw what happened and I cried«, 1995–96 (C-Print mit sandgestrahltem Text auf Glas, 67x57 cm). Abb. 11: Robert Mapplethorpe: Man in Polyester Suit, 1980.
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Fotografie zugleich (auch) als ein Erinnerungsbild, Mapplethorpes »Man« zugleich (auch) als Dokumentarfoto oder jedes Einzelporträt zugleich (auch) als ein subversives Bildgebungsverfahren behauptet. Doch erschöpft sich dieses Spannungsverhältnis nicht darin, dass die einzelnen Fotografien verschiedene Kategorien und unterschiedlich situierte fotografische Praktiken bezeichnen, die entlang der möglichen Lektüren verunsichert und neu eingesetzt werden. Vielmehr kommen hier die Evidenz-Artikulationen, mit denen diese Praktiken tradierterweise verknüpft sind, in wechselseitiger Überlagerung und Durchdringung zum Tragen. Sie sind es, die im Gesamtbild des künstlerischen Zu-SehenGebens nachwirken. Aber wie genau? In ihrer Diskussion der Fotografie als einem besonderen Medium der Zeitwahrnehmung stellte Sigrid Schade (1993b; 1996) eine Verbindung zwischen den beiden Evidenz-Artikulationen her, ohne sie allerdings so zu bezeichnen. Sie setzte bei dem Prinzip der Pose an und ging der Frage nach, wie sich die Wahrnehmung fotografischer Entstellung und die Herstellung fotografischer Ähnlichkeit zueinander verhalten. Entstellung meinte hier die Differenz zwischen dem erwarteten und dem tatsächlich zu sehen gegebenen Bild, die aus der fotografischen Besonderheit resultiert, dass sie Erinnerungsbilder einerseits speichert und andererseits immer auch verstellt.9 Gleichermaßen, so zeigte Schade ausgehend von Barthes’ »Die helle Kammer«, ist die fotografische Herstellung von Ähnlichkeit etwas, das immer schon über das Medium selbst hinausgeht und sich zugleich an das Prinzip paradoxaler Zeitlichkeit koppelt, welches sowohl für die verschiedenen Momente von Fotografie – nämlich das Betrachten von Fotografien, das Fotografieren und das FotografiertWerden – zutrifft als auch in unterschiedlichen fotografischen Gebrauchsweisen gleichermaßen virulent ist. Das verdeutlichte sie mit der so genannten privaten bzw. Schnappschuss-Fotografie und mit Charcots Fotografien der Hysterikerinnen in der Salpêtrière, also einer institutionalisierten fotografischen Praxis, die auf die Identifizierung und Klassifizierung eines sozialen Anderen ausgerichtet ist. So wie das private Fotografieren vor allem auf die imaginäre Vorstrukturiertheit des Familienalbums hinsichtlich der Bilder verweist, die darin für die Erzählung der eigenen Geschichte erwartet werden, ist nach Schade auch der Schnappschuss selbst immer schon das Zeugnis einer Vergangenheit, »von der wir uns ein Bild gemacht hatten, bevor wir auf den Auslöser drückten.« (1993b: 288) Die Pose, die Barthes (1989: 19) für den Prozess des Fotografiert-Werdens ein Sich-im-voraus-zum-BildVerwandeln genannt hatte, definierte Schade mit Lacan als das Sichtbar-
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Zum Begriff der Entstellung, vgl. Freud (2000b: 375f.).
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werden eines (imaginierten) Blicks des Anderen, auf den hin sich das Subjekt zu entwerfen suche. Für die Fotografien der Hysterikerinnen zeigte sie auf, wie dort ganz analog die scheinbare Natürlichkeit der Posen – also der Krankheitssymptome, des hysterischen Anfalls – als eine Performance der Fotografierten funktioniert, die die Bilder, die von ihnen erwartet werden, überzeugend nachzustellen suchen. In dem Zusammenwirken des allgegenwärtig imaginierten und unsichtbaren Blicks, wie Schade ihn bei Lacan theoretisiert findet, und eines präexistenten Bildarchivs, welches die Möglichkeiten, die Parameter des Betrachtens, des Bildermachens und des Sich-Entwerfens mit bestimmt, werde Ähnlichkeit »von einem Medienverbund garantiert«, für den u.a. die Kunstgeschichte, das Theater, der Film und die Werbung »die Muster liefern.«10 Entscheidend für den hier diskutierten Zusammenhang ist, dass Entstellung und Ähnlichkeit also nicht etwa Gegensätze darstellen, sondern in einem nicht-oppositionellen Verhältnis stehen. Eher markiert die Erfahrung des Getroffen-Seins durch das punctum deren andere Seite, denn das punctum wird identifiziert als das Sichtbarwerden dieses Blicks des Anderen in der »Nachträglichkeit angehaltener Zeit, die die Photographie darstellt.« (Schade 1993a: 298) Carrie Mae Weems inszeniert in »From here …« eine Sichtbarkeit, die ineinander verwickelt, was in der diskursiven Strukturierung fotografischer Evidenz getrennt scheint, aber eben nicht zu trennen ist. Ihr zitierendes Zusammenfügen spricht von der Evidenz des Objekts, welches das Schwarze Subjekt ist, in Positur gesetzt (Positur als die ›messbare‹, im fotografischen Setting aufgezwungene, ›rationale‹ Form der Pose) – sei es für die ›wissenschaftliche‹ Aufnahme, für das Erinnerungsporträt oder das Gruppenfoto. Die Evidenz von Zeit erscheint in den Bildern erstarrter Gegenwart, welche im je vorangegangenen Moment der Aufnahme bereits als Bild entworfen war, als Zurichtung des Objekts für den Blick des Anderen. Dieser Blick kann beim Betrachten der Reihe ebenfalls als ein vergangener imaginiert werden, weil die verwendeten Fotografien historisch sind, und zugleich als ein vervielfältigter: kontrollierend und überwachend, solidarisch, voyeuristisch, ausbeuterisch, sachlich … Vor allem aber inszeniert Weems darüber – und hier spielen auch das vereinheitlichende ›halluzinatorische Rot‹ und die direkte Anrede durch den Text eine wesentliche Rolle – die Hoffnung auf ein punctum; sie spielt mit dem heimlichen Begehren, getroffen zu werden, sich beim Betrachten in den Bildern wiederzufinden.
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Schade (1996); zur Konzeption der Pose, vgl. ähnlich auch Owens (1994c); Silverman (1997).
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Das Indexikalische als Ausgangspunkt und als Fokus des fotografischen Diskurses Das, was Weems in dem spezifischen Zu-Sehen-Geben der fotografischen Bilder vorstellt, sowie das, was Schade hinsichtlich der Konzepte von Blick, Bildarchiv und Pose miteinander diskutierbar macht, verdeutlicht eine Komplexität des Indexikalischen in der Aufeinanderbezogenheit der beiden Evidenz-Artikulationen des fotografischen Diskurses, die aus jedem der beiden Teildiskurse für sich so nicht formulierbar ist. Beide fototheoretischen Fokussierungen sind maßgeblich aus der Kritik einer Phänomenologie der Fotografie seit Mitte der 1970er Jahre sowie den diskursiven Verwicklungen von Fotografie und Kunst heraus entstanden. Das Indexikalische besetzt dort verschiedene Orte. Die konstruktivistischen und mehr oder weniger diskursanalytisch argumentierenden, an den Gebrauchsweisen orientierten Ansätze äußerten sich vor allem kritisch gegenüber einer Fotografiegeschichtsschreibung, die unref lektiert die Paradigmen der traditionellen Kunstgeschichte übernommen hat.11 Statt dessen wurde dafür plädiert, eine grundsätzliche Heterogenität und Vielschichtigkeit von Fotogeschichte/n anzuerkennen. Die hier zuzuordnenden Positionen setzten bei der indexikalischen Verfasstheit des Mediums an, um Fotografien als spezifische Kreuzungspunkte historischer, politischer, gesellschaftlicher, naturwissenschaftlicher, kunsttheoretischer und/oder ökonomischer Diskurse zu untersuchen. Sie zeigten, wie Bildproduktion – also die Transformation eines Referenten in ein fotografisches Bild – vor allem ein komplexer Akt der Bedeutungsproduktion ist, durch den dieser Referent erst generiert und in einer bestimmten Bedeutung festgeschrieben wird. Rosalind Krauss und Philippe Dubois hingegen thematisierten das Indexikalische selbst. Beide machten deutlich, dass der fotografische Index niemals einen Nullpunkt meint, sondern immer schon gespalten ist und dieses Gespaltensein nicht unbedingt als medialer Mangel verstanden werden muss – im Sinne etwa einer unmöglichen Abbildhaftigkeit –, sondern eine eigene Produktivität entwickeln kann. So ging Krauss (1998; 2000) von einer Kunst des Index aus und proklamierte
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Vor allem in Großbritannien und den USA: Bolton (1989); Burgin (1982/1992); Sekula (1984); Squiers (1990); Tagg (1988/1993); Solomon-Godeau (1991/1997); auch Krauss (1985/2000); für eine Reflexion der Einsetzung der Fotografie in der Anthropologie/Ethnografie als disziplinkonstituierende Praxis, vgl. Edwards (1992; auch 1997/2003; 2001). Die Kritik an einer ›Kunstgeschichtsschreibung‹ der Fotografie richtete sich insbesondere gegen Newhall, Gernsheim und Szarkowski. Vgl. auch Starl (1988; 1997a; 1997b) und McCauley (1997), die zwar ebenfalls damit übereinstimmten, dass die Blickwinkel, unter denen Fotogeschichte geschrieben wird, selbst Gegenstand der Betrachtung sein bzw. werden müssen. Allerdings bieten sie weder ein methodisches Handwerkszeug an noch verweisen sie auf entsprechende Ansätze wie etwa die oben genannten, die bereits zur Verfügung standen.
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das Fotografische als neuen Beschreibungsmodus der Gegenwartskunst, womit sie sich gegen einen ahistorisierenden Stilpluralismus wandte, wie er die zeitgenössische us-amerikanische Kunstgeschichtsschreibung dominierte. Das Fotografische meint nach Krauss ein künstlerisches Prinzip, das nicht auf das Medium Fotografie, konkrete Fotografien oder die Inszenierung eines Verhältnisses von ›Realität‹ und ›Bild‹ beschränkt, sondern grundsätzlich als eine Weise der Bezugnahme auf (vorgängige) Repräsentationen, Zeichen und/oder Codes charakterisiert ist, welche sie zum Paradigma der modernen Kunst erklärte. Indexikalische Implikationen künstlerischer Verfahrensweisen sieht Krauss überall dort, wo Charakteristika des Reproduktiven, der Einschreibung, der Spur, der Aufzeichnung und des Archivs in Erscheinung treten. In diesem Zusammen hang hat sie auch dargelegt, wie dieselbe Fotografie in verschiedenen diskursiven Räumen – namentlich der Kunst und der Wissenschaft – unterschiedlich operieren kann12 und wie fotografische Praktiken das (fotografiehistorische) Bestreben, das Medium in einen, nämlich den ästhetischen/kunsthistorischen Diskurs, einzuordnen, auch unterlaufen können.13 Zu überprüfen wäre, inwieweit das Indexikalische als ein Prinzip der spezifischen Bezugnahme auf Repräsentationen, Zeichen und Codes nicht auch für ›nicht-künstlerische‹ Phänomene paradigmatisch ist. Dubois (1998) konzentrierte sich, auch unter Bezugnahme auf Krauss, auf das Fotografische der Fotografie. Ausgehend von der These, dass es »mit der Fotografie […] nicht mehr möglich [ist], das Bild außerhalb des Aktes zu denken, der es generiert,« (ebd.: 19) propagierte er – allerdings ganz im Sinn eines tradierten Fortschrittsparadigmas – die Indexikalität als Kern einer neuen fotografischen Epistemologie, die sich gleicher maßen in der Abgrenzung zu einem mimetischen Diskurs und in der Kritik o.g. konstruktivistischer Ansätze positioniert. Im Mittelpunkt steht dabei das Foto als die Spur eines Wirklichen, die Augenblicklichkeit und Singularität des fotografischen Moments, die das indexikalische Zeichen bedingt. Den fotografischen Akt beschrieb Dubois als Schnitt durch ein kontinuierlich vorgestelltes Raum-Zeit-Gefüge, der den Referenten entkontextualisiert und in einen Zustand zeitlicher Dauer überführt. Dubois spricht
12 Krauss (2000b) zeigt dies im Vergleich einer Fotografie und einer davon angefertigten Lithografie, die in unterschiedlichen »diskursiven Räumen« publiziert wurden. Wie sehr die Nachvollziehbarkeit der Argumentation gerade hier von der Qualität der Abbildungen abhängt, zeigte sich in einer anderweitigen Veröffentlichung ihres Textes (Krauss 1989), wo die von ihr beschriebenen Unterschiede zwischen den beiden Bildern nicht nachvollziehbar sind, weil anscheinend die Fotografie zweimal abgedruckt wurde. 13 Das zeigte Krauss für den Umgang mit den Fotografien von Eugène Atget: »Das Museum übernahm die Aufgabe, den Code von Atgets Numerierung der Negative zu knacken, um eine ästhetische Seele zu entdecken. Und fand statt dessen – eine Kartei« (Krauss 2000b: 194).
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hier von einem gegenläufigen Doppelprinzip der physikalischen Nähe des Index und der raumzeitlichen Distanz, welche der mehrdimensionale Effekt des Schnitts sei (90f.). In der Betonung eines daraus resultierenden metaphorisch gemeinten Bewegungseffekts, der uns im Weiteren auch als konkreter beschäftigen wird, werde »jede Vorstellung einer Gleichsetzung oder Verschmelzung von Zeichen und Referent« (171) untergraben. Die »Erschütterung, die durch eine solche Trennung ausgelöst wird, untergräbt überdies die Abbildungsgewißheit des Bildes (daher die Halluzination) und bringt das Subjekt buchstäblich auf Trab.« (Ebd.) Die Produktivität des Indexikalischen besteht im Anschluss an Krauss und Dubois also darin, dass es – recht analog zu dem, was ich im ersten Kapitel über ein Neu-Denken von Identität gesagt habe – etwas beschreibt, das in der Beziehung von ›Bild‹ und ›Objekt‹ zugleich zuviel und zuwenig ist, das darüber hinaus geht und nie völlig ausfüllt, das nie identisch werden kann und doch niemals völlig different erscheint.14 Ein nichtoppositionelles Verhältnis von Ähnlichkeit und Entstellung wird durch ein ebenso nicht-oppositionelles Verhältnis von Nähe und Distanz ergänzt, die zusammen die Koordinaten für die ›Bewegungen‹ eines Ent/Fixierens bereitstellen. Gerade weil es sich tradierten Dichotomien und Oppositionen entzieht, kann das Indexikalische möglicherweise Bedeutungen evozieren oder Begehren und Phantasie in Gang setzen, die mit den gewohnten Codierungen kollidieren. Nachfolgend werde ich nun eine kritische Relektüre der Positionen vorstellen, die bei der indexikalischen Verfasstheit des Mediums ansetzen und fotografische Indexikalität im Kontext einer Evidenzproduktion verhandeln, welche an den fotografischen Gebrauchsweisen orientiert ist. Diese Ansätze sind für die Theoretisierung eines ent/fixierten Bild-Status ›anderer Subjekte‹ nicht zuletzt deswegen relevant, weil sie die historischen Praktiken der Personenfotografie mit der Frage nach Machtverhältnissen verknüpft und hinsichtlich der fotografischen Konstruktionsweisen des sozialen/kulturellen Anderen thematisiert haben – Aspekte, die weder bei Krauss noch bei Dubois diskutiert werden. Insofern es darum gehen wird, diese, an den Gebrauchsweisen orientierten, Positionen auf ihre Grenzen hin zu lesen, um im Anschluss an Kraus und Dubois auch hier offenlegen zu können, was mit der Lektüre von Carrie Mae Weems’
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Insofern hat das Indexikalische auch andere Namen und Beschreibungen, die in ihren variierenden Konnotierungen und Gewichtungen eben auch von differierenden, untereinander weder unabhängigen noch völlig verschiedenen, diskursiven Situierungen sprechen: bei Barthes (1989) das Es-ist-so-gewesen, punctum, der Fingerzeig, das von Freud adaptierte Unheimliche oder die Fotografie als Spiegel und Schatten; Derrida (1986) beschreibt es als Spur und auch Supplement; das »kontrapunktische« Verhältnis von Nähe und Distanz, Metonymie und Kontiguität, wie es bei Dubois (1998) heißt; der Begriff des Fotografischen als eine Frage des Abstands, der Index als Shifter und bedeutungslose Bedeutung bei Krauss (2000).
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»From here …« und für Sigrid Schades Thematisierung der Pose bereits gezeigt wurde – wie dabei unausgesprochen(e) paradoxale Konstellationen, Verschiebungen und Aspekte ›fotografischer Singularität‹ zum Tragen kommen –, werde ich als Hilfe einen Begriff des Dokumentarischen einführen.
Das Dokumentarische der Fotografie als diskursive Formation Die konstruktivistische Kritik an einer Fotografiegeschichtsschreibung nach den klassischen kunsthistorischen Mustern von Autorenzentrismus, Meisterschaft und Fortschrittsdenken bezog sich darauf, dass in der resultierenden Polarisierung einer vereinheitlichten kunstfotografischen und einer kontinuierlichen dokumentarischen Tradition zum einen völlig unproblematisiert Umordnungen stattgefunden hätten, indem beispielsweise zeitgenössisch als dokumentarisch aufgefasste Bildkonglomerate retrospektiv in Kunstfotografie umgeschrieben wurden (vgl. v.a. Solomon-Godeau 1997b). Zum anderen seien einige Bereiche fotografischer Praxis völlig ausgelassen worden. Dazu gehören bezeichnenderweise, darauf hat John Tagg (1993: 7f.) hingewiesen, klassifikatorische und identifikatorische Praktiken wie die sogenannte Verbrecherfotografie oder die anthropologisch-ethnografische Fotografie; Praktiken also, die der systematischen und systematisierenden visuellen Erfassung ›sozialer Devianz‹ und ›rassischer Andersartigkeit‹ gewidmet waren.15 Allan Sekula vermutete den Grund für die in Fotogeschichten nurmehr beiläufige Erwähnung der umfassenden Projekte von Alphonse Bertillon und Francis Galton – »Pioniere der wissenschaftlichen Polizeiarbeit und der Eugenik«, die »den Grundriß für die allgemeinen Parameter des bürokratischen Umgangs mit visuellen Dokumenten geschaffen« haben, – in einer »gewissen bürgerlich-akademischen Zurückhaltung in Bezug auf die schmutzige Arbeit der Modernisierung, vor allem, wenn dabei der Status der Fotografie als Kunst auf dem Spiel steht.« (2003: 325) Die weitgehende Nichtberücksichtigung der Polizei auch in der Geschichte der sozialdokumentarischen Fotografie sah er entsprechend in der Gefährdung »eines gewissen liberal-humanistischen Mythos von den durchwegs wohltätigen Ursprüngen der sozial engagierten Fotografie« (ebd.) begründet. In der Konsequenz schlugen diese historiografiekriti-
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Solomon-Godeau erinnert daran, dass auch Tatortfotos der Polizei niemals als Dokumentarfotografie eingeordnet worden sind (1997: xxvii). Vgl. auch den Ausstellungskatalog »Police Pictures. The Photograph as Evidence« (1998).
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Artikulationen von Evidenz
schen Positionen vor, Fotografien, ihre Herstellung und Rezeption innerhalb der jeweiligen historischen Verflechtungen zu analysieren, sich an den fotografischen Einsätzen, Praktiken und ihren Wirkungen zu orientieren sowie nach den je spezifischen Mechanismen der Bedeutungsproduktion zu fragen. Eine solche Perspektive konsequent als historiografische Struktur zu denken, bedeutet eine Absage sowohl an eine polarisierende Einteilung in Kunst- und Dokumentarfotografie als auch an ein Modell, in dem sich ein pluralistisches Nebeneinander fotografischer Praktiken und je konkrete Fallstudien, Fotogeschichte als Geschichte von Einzelfällen, als mögliche Alternativen gegenüberstehen.16 An der Zugangsweise konstruktivistischer Ansätze ist entscheidend, dass die Frage nach einem ›Objekt‹ Fotografie und dessen Komponenten über die Nutzbarmachung von Semiologie, Diskursanalyse und Psychoanalyse in eine Auseinandersetzung mit dem Medium und seinen Bedingungen als diskursive Praxis modifiziert wird.17 Zur Diskussion stand und steht damit die Fotografie als Bezeichnungsverfahren und als Text, der sich vielfältig mit anderen Texten überschneidet und dessen Bedeutungen sich durch diese Intertextualität(en)18 generieren. Eine allgemeine Herausforderung, so möchte ich behaupten, besteht noch immer darin, in diesem Sinn auch die vielen verschiedenen fotografischen Sparten selbst – Kunstfotografie und Dokumentarfotografie, wissenschaftliche Fotografie, Porträtfotografie, Polizeifotografie, Werbefotografie, Landschaftsfotografie, private Fotografie (Familienalbum), Fotojournalismus und Fotoreportage, erotische/pornografische Fotografie, Amateurfotografie, Modefotografie usw. – nicht als feststehende Ordnungskategorien zu begreifen, die für die Bilder einfach bereitstehen und innerhalb derer sie auch ›wandern‹ können; vielmehr sind diese Kategorien
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Dazu, wie schwierig ein historiografisches Denken jenseits solcher Dichotomien ist, vgl. exemplarisch Geimer (2002a), der darauf verwies, dass die »Grenzen und Grenzüberschreitungen […] sehr viel weniger offensichtlich [verlaufen], als es die Trennung von ›künstlerischer‹ und ›wissenschaftlicher‹ Fotografie glauben macht«, die immer auch eine Frage machtvoller Kanonisierung sei (10). Mit seiner Absage an eine vereinheitlichende autonome »Geschichte der Fotografie« entweder als pluralistisches Nebeneinander fotografischer Bilder oder als »Diktum des permanenten Fortschritts« (13) verfängt sich Geimer allerdings in der gleichermaßen problematischen Dichotomie, die er als Konzeption seines Buches vorstellte: dass nämlich dem abgelehnten »Prinzip der großen Zusammenschau« (ebd.) nun die konkrete Fallstudie – und insofern eine singuläre Foto-Geschichte – entgegengesetzt werden soll. Ein übergreifender historiografischer Rahmen, der sich mit der Sammlung von Einzelfällen zufrieden gibt, wäre ähnlich reduktionistisch, wie der, gegen den Geimer sich zu Recht wendet, über den er aber zumindest an dieser Stelle auch nicht hinausgeht. 17 Tagg (1993) war der erste, der explizit Foucaults Diskursanalyse für eine Geschichte der Fotografie nutzbar machte und den fotografischen Evidenzbegriff historisch zu fassen suchte, indem er Fotografie bzw. fotografische Praktiken als und innerhalb von foucaultschen Macht/WissenKonstellationen situierte. 18 Zum Begriff des Intertextuellen, vgl. Kristeva (1977: 195); dazu auch Wenk (1996: 73f.).
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selbst ein Effekt solch komplexer diskursiver Praktiken, inklusive der jeweiligen Präsentationszusammenhänge und Rezeptionsbedingungen. Mit einem analytischen Ansatz, der Fotografie als Bezeichnungsverfahren verhandelt, verschiebt sich die alte (normative) Frage nach einem ›dokumentarischen Wert‹ der Fotografie, der für die Debatten um Sichtbarkeit, Evidenz und die Vorstellung eines fotografischen ›Identitätsausweises‹ entscheidend ist, hin zu einer Frage nach dem Dokumentarischen. Doch was ist das Dokumentarische? »Since documentary«, so Derrick Price, »has been described as a form, a genre, a tradition, a style, a movement and a practice, it is not useful to try to offer a single definition of the word.« (2000: 74) Abigail Solomon-Godeau hat es einst als instabile, untheoretisierte und dubiose Kategorie bezeichnet, die dennoch einen vorherrschenden Platz im fotografischen Diskurs einnimmt, gerade weil »one could argue that insofar as any photographic image expresses an indexical relation to whatever appeared before the lens at the moment of exposure […] no photograph is more or less documentary than any other.« (Solomon-Godeau 1997: 169, Herv. KB) Das Dokumentarische, so kann die Argumentation konstruktivistischer Fotokritik zusammengefasst werden, begründet sich jedoch weder in irgendeiner medialen Eigenschaft noch ist es mit fotografischer Indexikalität hinreichend erklärt. Es lässt sich weder als kategorische fotografische Praxis – sei sie nun ästhetisch oder sozialkritisch bestimmt – noch als klar umgrenztes Bilder- oder Themen-Korpus zufriedenstellend definieren.19 Vielmehr, so möchte ich die Positionen an dieser Stelle zusammenführen, beschreibt das Dokumentarische eine diskursive Formation, die sich zugleich in der Logik des Index und als Effekt komplexer Codierungen situiert. Das heißt, im Zusammenwirken des Index als Spur des Referenten, als Referenz, und Systematiken des Bedeutens. Denn Codes stellen, so Umberto Eco, »die
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Kritisch zum Dokumentarischen als Differenzkategorie und zu Dokumentarfotografie, vgl. Solomon-Godeau (1997c; 2003); auch Tagg (1993: 8ff.; 117–183). Der Terminus documentary als Bezeichnung einer eigenständigen Kategorie wurde 1926 von John Grierson in Bezug auf den Film geprägt und in den 1930ern für die Fotografie übernommen (zu Grierson, vgl. Newhall 1982: 238). Das Konzept des dokumentarischen Films hatte die allgemeine Bildung und Information des Publikums in einer immer unübersichtlicher erscheinenden modernen Welt zum Ziel; es koppelte sich an eine angenommene Transparenz des Mediums und konstituierte sich in untrennbarer Verwebung von realistischen Diskursen und demokratischem Politikverständnis. Für eine kritische Darlegung der Entwicklungsgeschichte der Dokumentarfotografie als ›demokratisches Genre‹, insbesondere in Bezug auf fotojournalistische Praktiken und deren Niederschlag in Zeitschriften und Magazinen, vgl. Morden (1986). Für eine umfassende kritische Reflexion der Dokumentarfotografie als politische Praxis, vgl. Rosler (1989); auch Steyerl (2003). Im Deutschen ist documentary wahlweise mit das Dokumentarische und Dokumentarfotografie übersetzt. Dabei wird zum Teil vereindeutigt, was im Englischen bisweilen auch ineinander verschwimmt: die fotografische Eigenschaft des Aufzeichnens, das Genre und die Bezeichnung einer Intention oder Haltung des Fotografierens.
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Regeln bereit, die im kommunikativen Verkehr Zeichen als konkrete Gebilde generieren. Der klassische Begriff ›Zeichen‹ löst sich also auf in ein hochkomplexes Netzwerk wechselnder Beziehungen.« (1991: 77) In diesem doppelten Eingebundensein bezeichnet der Begriff des Dokumentarischen etwas Wandelbares und Veränderliches, das sich innerhalb historischer Kontexte und Gebrauchsweisen konfiguriert. Es konstituiert sich als Weisen der Realitäts- und Wahrheitsbehauptung innerhalb eines vielschichtigen und von Machtstrukturen durchzogenen Netzwerks von Diskursen und Praktiken. Damit wird auch der ›dokumentarische Wert‹ der Fotografie vor allem als ein Machtgestus erkennbar, der das Medium zu einem Instrument macht, welches allererst herstellt, was es vermeintlich nur aufgezeichnet – dokumentiert – hat, und genau dies leugnet. Die beiden prominenten Formationen des Dokumentarischen, die auch das Wandelbare deutlich nachvollziehbar machen, sind die bereits genannten fotografischen Praktiken der Identifizierung und Klassifizierung, die im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts weitgehend systematisiert wurden, – vornehmlich die sogenannte Verbrecherfotografie und die anthropologisch-ethnografische Fotografie – und die Dokumentarfotografie der 1930er Jahre, für die das Projekt der Farm Security Administration (FSA) als paradigmatisches Beispiel gilt.20 Wenn ich nachfolgend vorstelle, wie diese beiden Formationen aus einer kritisch-konstruktivistischen Perspektive analysiert worden sind, die an den fotografischen Gebrauchsweisen orientiert ist, interessiert mich zum einen, welcher Konnex von Sichtbarkeit, Macht, Wissen und Medialität dort jeweils hinsichtlich der fotografischen Zurichtungen des menschlichen Körpers herausgearbeitet wird. Zum anderen möchte ich zeigen, worauf ich in der kurzen Analyse von Carrie Mae Weems’ »From here …« bereits hingewiesen habe – nämlich wie dabei hinsichtlich des Fotos als ›Identitätsausweis‹ auf verschiedenen Ebenen Mechanismen und Verschiebungen am Werk sind, die aber wiederum aus dieser Perspektive allein nicht zufriedenstellend theoretisiert werden können. Welche Verbindung wird also gezogen zwischen einer Herstellung fotografischer Evidenz und der Erzeugung alteritärer Identität(en) als Formen visuellen Wissens? Welche Evidenz ist gemeint? Und wo geht eine solche analytische Perspektive über ihre eigenen Voraussetzungen auch hinaus?
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Vgl. Tagg (1993); auch Sekula (1989); Green (1986); Solomon-Godeau (1997).
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Identitätskonstruktionen und Archiv: Die Umkehrung von Evidenz in der Verbrecherfotografie und der anthropologisch-ethnografischen Fotografie Die Evidenzfähigkeit der Fotografie ist bezüglich ihrer historischen Einsetzungen für die Produktion visuellen Wissens als ein machtvolles Regelwerk sich wechselseitig bestätigender Verweisungszusammenhänge dekonstruiert worden. Vor allem John Tagg (1993) und Allan Sekula (1989) haben herausgearbeitet, wie diese Evidenz weder auf die physikalischchemische Selbstaufzeichnung noch auf das zentralperspektivisch organisierte optische Modell der Kamera oder den fotografischen Apparat insgesamt reduziert werden kann, sondern selbst historisch und sowohl Teil als auch Produkt eines komplexen Wahrheitsregimes ist. Danach resultierte die Zuschreibung von Evidenz an die Fotografie im neunzehnten Jahrhundert aus dem Zusammenwirken der neuen Techniken von Repräsentation, Regulierung und Überwachung, der Entwicklung eines Netzwerks disziplinarer Institutionen und den Humanwissenschaften, die den Körper und sein Umfeld zu ihrem Forschungsbereich gemacht hatten.21 Das Medium bekam eine wesentliche Funktion innerhalb der modernen Macht/Wissen-Systeme, die Michel Foucault als Grundlegung der Disziplinargesellschaft beschrieben hat (1994: 269); es wurde zu einem Moment innerhalb einer Machtmaschinerie, die den menschlichen Körper »durchdringt, zergliedert und wieder zusammensetzt« (ebd.: 176). Fotografische Dokumente, wie sie etwa Thomas John Barnado von den Jugendlichen in der von ihm geleiteten Erziehungsanstalt anfertigte, Hugh Welch Diamond von den weiblichen Insassen in der von ihm geleiteten psychiatrischen Anstalt, wie sie Jean-Martin Charcot von den Hysterikerinnen in der Salpêtrière in Auftrag gab sowie all die polizeilichen Aufnahmen von Kriminellen und Nichtseßhaften oder die Praktiken der anthropologisch-ethnografischen Fotografie – sie alle gehören demnach zu einem sich beständig erweiternden Bilderfundus, welcher ein visuelles Wissen über genau die (alterisierten, inferiorisierten) Subjekte sammelte und bewahrte, die auf diese Weise allererst produziert wurden. 22
21
Tagg (1993: 66–102). Tagg thematisiert die von Foucault genannten Institutionen Polizei und Gefängnis, Psychiatrie, Krankenhaus, Schule und Erziehungsanstalt. Für eine einführende Zusammenfassung foucaultscher Themen und Argumentationen sowie deren Nützlichkeit für die Formulierung einer kritischen Position zum historischen Zusammenhang von Fotografie, Ideologie und sozialen Machtformen, vgl. auch Green (1997). 22 Vgl. Tagg (1993: 60–102). Zur Fotografie von ›Nichtseßhaften‹, vgl. den Ausstellungskatalog »Wider das Leugnen und Verstellen. Carl Durheims Fahndungsfotografien von Heimatlosen 1852/53« (1998). Durheims Fotografien waren die erste systematische Dokumentation von Menschen ohne festen Wohnsitz in der Schweiz.
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Artikulationen von Evidenz
Die fotografische Hervorbringung des menschlichen Körpers als Wissensobjekt ging mit der Herstellung und Regulierung spezifischer Sichtbarkeiten einher. Dem Selbst-Bild, das sich die bürgerliche Gesellschaft im professionellen Fotoatelier verschaffte, standen die fotografischen Identifizierungs- und Klassifizierungspraktiken der Kriminalistik und Kriminologie, der Anthropologie/Ethnografie23, Medizin und Psychiatrie gegenüber, die das Bild des Anderen fixierten.24 Das Bild des Verbrechers entstand – um Sekulas Beispiel aufzugreifen – als Gegenbild des gesetzestreuen Bürgers in einer auf Besitzstand und Besitzrechten basierenden Gesellschaftsordnung, die es zu schützen und zu verteidigen galt.25 In den gegenläufigen Bewegungen einer ›Privatisierung‹ der bürgerlichen Fotografie und einer generalisierten Sichtbarkeit der (nicht-bürgerlichen) Anderen durch die massenhafte Herstellung, Katalogisierung und Zirkulation ›ihrer‹ Bilder zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts machte Tagg eine foucaultianische Umkehrung der politischen Achse der Repräsentation und ein fast panoptizistisches Wirken der Fotografie fest.26 Sekula hingegen zeigte eine grundsätzliche Instabilität des fotografischen Evidenzdiskurses darin auf, dass die Einsetzung der Fotografie
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Ich benutze den doppelten Begriff, um möglichst das gesamte Bedeutungsspektrum erfassen zu können. Vgl. Berg/Fuchs (1993: 13): Ethnographie war »lange das Stiefkind der Ethnologie und als Synonym für empirisches Arbeiten ›im Feld‹ auf die Funktion eines Dateilieferanten reduziert.« Jetzt werde Ethno-Graphie wieder im Wortsinn »als ursprünglicher Akt der Inskription, in dem die Anderen distanziert und objektiviert werden, als primärer Prozeß der Produktion des Bildes der Anderen thematisiert – im Englischen hat man diesen Akt der Abgrenzung mit dem Neologismus ›othering‹ belegt. Zugleich zeigt sich eine Tendenz, den Begriff der Ethnographie unter der Hand auszuweiten und das Gesamtspektrum der Fremdrepräsentation erfassen zu lassen: Für manche repräsentiert Ethnographie jetzt das gesamte Fach und wird fast zum Synonym von Ethnologie bzw. Anthropologie.« Und: »Statt des im deutschsprachigen Raum üblichen Begriffs ›Ethnologie‹ wird vor allem in der englischsprachigen Literatur der Terminus ›Anthropologie‹ verwendet, der zugleich umfassender ist und deutlichere ontologische und epistemologische Konnotationen besitzt.« (Ebd., Anm. 3) 24 Tagg (1993: v.a. 34–102); Sekula (1989). Die geschlechtlichen und ›rassischen‹ Aspekte oder Implikationen dieser Praktiken führen weder Tagg noch Sekula aus; bei ihnen ist ›soziale Klasse‹ die zentrale Identitätskategorie. 25 Sekula (1989). Zur Geschichte der Konstruktion des Kriminellen, vgl. auch Regener (1999). Leider fehlt Regeners materialreicher Untersuchung darüber, wie sich das Bild des Verbrechers in, mit und durch die Fotografie entwickelt und verselbstständigt hat, jegliche Reflexion des eigenen methodisch-theoretischen Zugangs. Wohl wird auf Autoren wie Foucault, Tagg oder Sekula am Rande verwiesen; statt jedoch deren diskursanalytische Herangehensweise zu übernehmen und mit Hilfe des von ihr zusammengetragenen aufschlussreichen Bildmaterials zu überprüfen und zu erweitern – was nahegelegen hätte –, bleibt Regener einem empirischen Ansatz und einer Vorstellung des Fotos als ›historischem Dokument‹ verhaftet. So reicht das Ergebnis der Studie nicht viel weiter als die zu Beginn formulierte Ausgangsbeobachtung. Dazwischen liegt eine Fülle von Interpretationen, die in der Rhetorik des Vermutens gehalten werden (müssen), weil die Autorin lediglich ebenso bestrebt ist, eine ›Wahrheit‹ des Verbrecherbildes zu finden, wie Polizei und Justiz – nach ihrer Ansicht – ein ›wahres Bild‹ des Verbrechers gesucht haben. 26 Diese Umkehrung war mit angestoßen durch die fortschreitende Industrialisierung und Vereinfachung der fotografischen Technik. Maßgebend waren hier George Eastmans Entwicklung der Kodak-Kamera, die Erfindung des Rollfilms und die Trennung in individuelle Bildaufnahme und industrialisierte Bildentwicklung (vgl. Tagg 1993: 34–59)
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als Medium von Wahrheit, sozialer Kontrolle, Identifizierung und Klassifizierung mit einer »Glaubenskrise in bezug auf den optischen Empirismus« (2003: 286) einherging. Diese habe sich wesentlich darin manifestiert, dass eine ›Wahrheit‹ der Fotografie fortlaufend neu bekräftigt und beständig durch mathematische Verfahren, wie Anthropometrie und Statistik, abgesichert werden musste.27 Von daher stellt für Sekula das Archiv das entscheidende organisatorische Modell für die Dokumentierung von Personen und die Entstehung eines Wahrheitsapparates dar, der das optische Modell der Kamera bereits in ein größeres Gefüge – ein »bureaucratic-clerical-statistical system of ›intelligence‹« (1989: 351) integriert hat. Er definierte es als Ordnungssystem im foucaultschen Sinn, das eine gleichermaßen abstrakte Größe wie konkrete Instanz darstellt und von der das Fotoarchiv wiederum ein Teil ist.28 Historisch basiere es auf dem Paradigma der positivistischmaterialistischen Wissenschaften – vor allem der Anatomie, Physiognomik und Phrenologie –, dass die Oberf läche des Körpers sowie insbesondere Gesicht und Kopf äußere Entsprechungen eines inneren Wesens seien. Indem sie als komparatistische und taxonomische Disziplinen die gesamte Breite ›menschlicher Verschiedenheiten‹ festzuhalten suchten, so Sekula, bildeten diese Wissenschaften genau jenes Archiv aus, das sie vermeintlich nur interpretierten. Mit Erfindung der Fotografie sei dann ein doppeltes System entstanden, in dem sich ein physiognomischer Code der visuellen Interpretation von Körperzeichen und eine Technik der mechanisierten visuellen Darstellung überkreuzten. Dieses System versprach die Erstellung einer umfassenden Ordnung von Körperbildern, die sich im Spannungsfeld von Identischem und Differentem formieren sollte (1989: 347–352). Innerhalb dieses komplexen Gefüges waren (und sind) fotografische Praktiken des Identifizierens und Klassifizierens durch die beiden ineinander verschränkten konzeptionellen Achsen von Individuierung und Typisierung bestimmt, die Sekula mit den gegenläufigen Konzeptionen von Alphonse Bertillon und Francis Galton exemplarisch für den kriminellen Körper spezifiziert: Bertillon steht danach für die Extrahierung des Individuums aus einer ›Spezies‹. Seine minutiös ausgearbeitete Standardisierung von Aufnahmetechnik und Aufnahmemodus sollte das ›Typische‹ eines
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Entgegen der allgemeinen Annahme des mug shot als Musterbeispiel eines machtvollen, unkünstlerischen und vollkommen denotativen Empirismus wurden die frühen Nutzbarmachungen eines fotografischen Realismus auf der Basis eines Erkennens der Unzulänglichkeiten und Begrenzungen des gewöhnlichen visuellen Empirismus systematisiert (Sekula 1989: 353). Zur Instabilität des Systems von Anthropometrie und Statistik sowie der Problematik der Grenzziehungen zwischen Norm und Abnormem, vgl. auch Hanke (2003). 28 Zum Konzept des Archivs, vgl. Foucault (1992b); zur Diskussion der Beziehungen von Museum und Archiv, Kunst und Fotografie, vgl. auch Crimp (1989; 1990; 1996); Foster (2002); Krauss (2000).
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einzelnen Individuums sichtbar machen, eine Vergleichbarkeit von Bildern herstellen und damit die Identifizierbarkeit von Personen optimieren. 29 Die Kombination von Frontal- und Profilbild wurde durch den Zusatz von anthropometrischen Daten und dem portrait parlé 30 ergänzt, so dass fotografische Inszenierung und sprachliche Beschreibung einander ergänzen und sich zugleich wechselseitig bestätigen sollten (Abb. 12). Galton steht für den Versuch, das jeweils ›Repräsentative‹ einer ›Spezies‹ herauszustellen. Mit der Komposit-Fotografie – der Übereinanderprojizierung standardisierter Frontal- oder Profilporträts auf dieselbe Fotoplatte – entwickelte er eine Technik, die über die individuellen Gesichtszüge das ›Typische‹ einer sozialen Klasse oder einer (vorab definierten) Gruppe herausfiltern sollte (Abb. 13). Unter der vorausgesetzten Annahme, dass die Zugehörigkeit zu einer solchen Gruppe biologisch determiniert sei, bestand das Ziel dieses Verfahrens in der Sichtbarmachung sogenannter Wesensmerkmale, die physiognomisch codiert und den zugeordneten Individuen vermeintlich gemeinsam waren.31 Beide Verfahren, so möchte ich im Anschluss an Sekulas Argumentation weiterführen, machen am konkreten Beispiel nachvollziehbar, wie zur Behauptung bzw. Herstellung einer fotografischen Evidenz bildexterne Faktoren des medialen Einsatzes und die Modi des Ins-BildSetzens ineinander verschränkt werden. Sie werden als Strategien analysierbar, die das Unsicherheitspotenzial der Fotografie zu minimieren suchen, gerade indem sie die ›fotografischen Grenzen‹ überschreiten.32 So kann Bertillons Bestreben einer möglichst detailgenauen Sichtbarmachung der Körper- bzw. Gesichtsoberf läche dahingehend verstanden werden, das Medium in einer angestrebten Gleichsetzung von ›Bild‹ und ›Objekt‹ quasi unsichtbar zu machen. Denn der letztendlich gültige Beweis einer ›Wahrheit‹ der Person bindet sich hier weniger an deren bildliche Fixierung an sich, sondern an den Anspruch, die anatomischen Linien des Gesichts am Foto »mit derselben Genauigkeit messen und erläutern [zu können, KB], wie dies direct an den lebenden Personen möglich ist.« (Bertillon 1895: 13) Bei Galton ging es darum, mittels der Fotografie sichtbar zu machen, was sich ›hinter‹ der Körperoberfläche vermeintlich
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Vgl. auch Bertillon (1890) selbst; vgl. auch Ginzburg (1983), der mit dem »Indizienparadigma« das Auftauchen eines neuen epistemologischen Modells gegen Ende des 19. Jahrhunderts beschreibt. 30 Portrait parlé – das gesprochene Porträt – meint die detaillierte und einer präzise vorgegebenen Nomenklatur folgende Beschreibung von Gesicht und körperlicher Erscheinung (Becker 1992: 123f.). 31 Vgl. Sekula (1989: 353); vgl. auch Green (1986); Schmidt (1991). Galton ist hauptsächlich als Begründer der Eugenik bekannt und seine fotografischen Experimente standen auch in diesem Zusammenhang. 32 Vgl. dazu auch Gunnar Schmidt (2001), der herausgearbeitet hat, wie Virchow von Fotografien wieder auf die Zeichnung zurückging, weil sie ›das Entscheidende‹ besser ins Bild setzen könnte als die Fotografie. Hier ist also das Indexikalische bzw. die Fotografie ein Problem, weil ihr Zu-SehenGeben nicht dem entsprach, was gezeigt werden sollte.
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Abb. 12: Bertillon-Methode, Vier Karteikarten des gerichtlichen Erkennungsdienstes, Paris, 1906–1914. Abb. 13: Francis Galton: Zusammengesetzte Porträts mittels überlagerter Aufnahmen, Versuch eines allgemeingültigen Kriminellen-Porträts, 1883.
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verbirgt und somit für das ›bloße Auge‹ unsichtbar bleibt. 33 Das Verschwimmen der Einzel-Physiognomien und der gezielte Verlust fotografischer Detailschärfe durch die multiplen Überblendungen sind darauf angelegt, mit den Grenzen eines ›äußerlich Sichtbaren‹ zugleich die ›Oberflächlichkeit‹ des medialen Bildes zu überwinden. Hier besteht das doppelte Paradox somit darin, dass die Komposit-Fotografien, gerade weil sie sich ganz offensichtlich einer direkten Rückbindung an einen einzelnen konkreten Referenten verweigern, zum auf einen solchen rückführbaren Beweis werden – unter dem Primat seiner Vorab-Zuordnung. Sekula sprach von der Etablierung eines – auch über die Bildkatalogisierung hinausgehenden – archivalischen Paradigmas, welches ein Rationalisierungsmodell ist, das der Narration entgegensteht: Nicht von Sequenz oder einer zwingend erscheinenden Reihenfolge bestimmt, sondern vom Spiel der Substitution, vom Herstellen von Beziehungen zwischen Bildern »auf der Basis einer allgemeinen Äquivalenz« (2003: 286), wobei die »Autorität jeder besonderen syntagmatischen Gestalt […] durch die enzyklopädische Autorität des Archivs untermauert« (ebd.: 327) werde. Insofern lässt sich das Archiv als eine Ordnungsform dessen verstehen, was Kaja Silverman das »kulturelle Bildrepertoire« (1997: 49) genannt hat – den Fundus der Repräsentationen, mit denen eine Kultur die verschiedenen Varietäten von ›Differenz‹ figuriert, durch welche soziale Identität eingeschrieben wird. Krauss hat in ihrer Kritik einer »Originalität der Avantgarde« von der Komplementarität und wechselseitigen Bedingtheit des Singulären und des Repetitiven gesprochen, von der Kopie als dem Original notwendig zugrundeliegende Bedingung. Die Vorgängigkeit und Wiederholung von Bildern, so Krauss, sei Voraussetzung dafür, dass ein Singuläres wahrgenommen werden könne; denn das Erkennen des Singulären sei nur als ein Akt des Wieder-Erkennens möglich (2000: 214). In diesem Sinn, so möchte ich Sekula ergänzen, stellt das Archiv eben auch die Äquivalenz zwischen den Bildern erst her, indem sie als Bild-Typen definiert und damit vergleichbar werden. Mit Blick auf die spezifische Medialität der Fotografie muss man in dieser Hinsicht also vor allem von einer verschobenen Referentialisierung sprechen, die nämlich weniger das fotografierte ›Objekt‹ – die Fotografie von… – betrifft, sondern vielmehr die Bilder des Archivs, die immer schon vorausgesetzt sind. Das Archiv – also auch das Foto-Archiv – ist demnach kein starres, sondern ein durchaus flexibles Gebilde, dessen Komponenten, wie Sekula
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Vgl. dazu auch Edwards (2003: 341): »Die technischen Möglichkeiten des Mediums zur Überlagerung von Bildern nutzend, stellen Galtons Kompositfotografien gelebte Begriffe dar – verkörperte oder konkrete Ideen, die dazu geschaffen wurden, das Ungesehene oder Nichtexistente empirisch wiederzugeben; anders gesagt: Sie sind eine taxonomische Essenz in einer Dialektik des Sichtbaren und des Unsichtbaren.«
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schrieb, »dem spezifischen Charakter alles Fotografierbaren« (2003: 287) unterliegen. Hier erweisen sich Bertillons standardisierte Frontal- und Profilfotos wie auch Galtons Komposit-Bilder – weit über Sekulas Analyse hinausgehend – als eindrückliche Beispiele dafür, wie die Entwicklung von (fotografischen) Bildgebungsverfahren, die Regulierung von Sichtbarkeiten und eine Codierung des Sehens ineinander wirken und sich wechselseitig bedingen. Vor allem Bertillons Modell markiert gewissermaßen den Endpunkt in einem historischen Prozess, der von multiplen Praktiken des Fotografierens verdächtiger oder verurteilter Subjekte zu dem fest institutionalisierten und standardisierten Verfahren der – von ihm so benannten – Gerichtlichen Fotografie geführt hat und durch den sich die (visuelle) Konstruktion des Kriminellen eben als die Zuweisung eines eigenen Bildes bestimmt. Diese fotografische Bild-Werdung des Kriminellen kann entlang zweier Linien verfolgt werden, deren eine von der bürgerlichen Porträtfotografie ausgeht und deren andere mit der anthropologisch-ethnografischen Fotografie korrespondiert. Hatte sich die bürgerliche Porträtfotografie anfänglich selbst an das Adelsporträt angelehnt (vgl. Tagg 1993: 34–59), so orientierte sich die frühe Dokumentierung von Kriminellen sowie Nichtseßhaften (Abb. 14)34 in Pose und beigegebenen Requisiten zunächst am Bild des Bürgers; sie wurde zumeist im Atelier und von professionellen Fotografen durchgeführt. Die Kulturwissenschaftlerin Susanne Regener hat an einer Vielzahl von Beispielen beschrieben, wie bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts die Requisiten aus dem Bild verschwanden und Verhaftete zunehmend im Außenraum, vor der Gefängnismauer oder neutralem Hintergrund, später dann in den neu eingerichteten polizeieigenen Ateliers fotografiert und dabei die Posen immer mehr vereinheitlicht wurden (Abb. 15–17). 35 In diesem Prozess, so muss man Regeners
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Vgl. »Wider das Leugnen und Verstellen« (1998). Durheim inszenierte die ›Heimatlosen‹ ohne Hintergrund, aber mit bemerkenswerten Requisiten. Die Personen sind auf einem Stuhl sitzend aufgenommen, manchmal mit übergezogenem Bauernkittel – als ein Zeichen sozialer Anerkennung zu werten –, und vielfach ruht ein Arm, ganz in bürgerlicher Pose, auf dem beigestellten Tisch; darauf ist bisweilen die Kopfbedeckung abgelegt oder auch ein Buch zu sehen – auch eine Reminiszenz an die bürgerliche Fotografie, da die Fotografierten i.d.R. Analphabeten waren. 35 Vgl. Regener (1999: v.a. 27–130), die diesen Prozess auch als einen europäisch-transnationalen markiert, der allerdings weder linear verläuft noch streng chronologisch fortschreitet oder sich überall zeitlich parallel vollzieht, sondern vor allem durch nationale Ungleichzeitigkeiten bestimmt ist (vgl. dazu bereits auch Tagg 1993: 7). Von den Veränderungen sind auch Präsentation und Aufbewahrung der Fotografien betroffen – die Art des Rahmens, die Verzierung der Bildränder oder die Aufbewahrung der Bilder in/als Alben. Vgl. auch Edwards (2003: 350) zur Transformation von anthropologischethnografischen Bildern und ihren Bedeutungen: »So wurde zum Beispiel eines der frontalen Halbporträts von den Khoisan-Häftlingen im Breakwater-Gefängnis in Natal, die Lawrence und Selkirk nach den Anweisungen Huxleys aufgenommen hatten, von denselben Fotografien für Dr. Wilhelm Bleek, der seinerzeit bei der Anfertigung der anthropometrischen Originalbilder mitgearbeitet hatte, reproduziert und im Stil eines europäischen Porträts vignettiert (vermutlich, um die repressive Maschinerie der Taxonomie zu verschleiern).« Direkt dazu, vgl. auch Godby (1996).
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16 17 Abb. 14: Carl Durheim: Josephine König, 46 Jahre alt, 1852/53. Abb. 15: E. Rye, Odense (Dänemark): Unbekannter Mann, 1860er Jahre (Visitformat). Abb. 16: E. Rye, Odense (Dänemark): Forbryderalbum, 1867–70 (Visitformat). Abb. 17: Verbrecheralbum Polizei Hannover, 1860–65.
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Darstellung analytisch zuspitzen, wurde eine Praxis des Unterscheidens zur Manifestation einer visuellen Differenz, die von der Einpassung in ein Bild des bürgerlichen Subjekts zu der Ausschließung aus eben diesem Bild verlief – eine Art visuelle Exterritorialisierung aus dem Rahmen des Bürgerlichen.36 Es entsteht das andere Bild, welches in seiner Etablierung/ Fixierung als Bild-Typus und unabhängig von der sozialen Existenzweise der konkret Fotografierten den Typus des Kriminellen oder Devianten bezeichnet, mit dem die Betroffenen dann identifiziert – das heisst: vorab gleichgesetzt, ›identisch‹ – werden. Mit der kontinuierlichen Produktion und Reproduktion dieses (anderen) Bildes durch die fotografische Praxis, durch seine Vervielfältigung und Verbreitung etabliert sich dessen visuelle Wahrheit auch in einer Weise, die Silverman das »Vor-Gesehene«37 genannt hat. Das meint beständig wiederholte, mit Nachdruck artikulierte und sich fast zwangsläufig aufdrängende Darstellungsparameter, die in einer Bedeutungsökonomie des ›selbstverständlich Werdens‹ – aus sich selbst heraus verstehbar Werdens – verortet sind. Mir kommt es darauf an, diese Bewegung hier konsequent weiterzudenken. Das bedeutet, sie als eine zu fassen, die das Konzept einer angenommenen fotografischen Evidenz schließlich umgekehrt hat. Rosalind Krauss hat plausibel gemacht, wie die Erfindung der Fotografie eine wesentliche Markierung in einem historischen Prozess bezeichnete, bei dem die Unterscheidung von Realität und Phantasma, Welt und Bild, Original und Kopie zunehmend verwischt und schließlich im Simulacrum kollabiert. Fotografien seien demnach mediale Reinszenierungen einer Realität, die selbst nur als Kopie erfasst werden könne – über deren Rezeption diese Kopie-Realität aber als ›Original‹ konstruiert werde. In diesem Sinn kann man für fotografische Evidenz auch von einem paradoxalen Original-Kopie-Verhältnis sprechen, bei dem ›Original‹ und ›Kopie‹ in einem wechselseitigen Konstituierungsverhältnis stehen und sich zugleich in der Wiederholung ineinander verkehren. Die Fotografie dokumentiert und beweist vor allem die Projektion eines Bildes auf den Körper und dessen disziplinare Einrückung in dieses Bild bzw.
36
An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass selbstverständlich auch die bürgerliche Porträtfotografie weder homogen gewesen oder unverändert geblieben ist. Die ›Ausstellung‹ der zu Fotografierenden in überbordenden szenischen Atelierkulissen, Disdéris Konzept massenproduzierter Cartes-de-Visite oder Nadars Bestreben, allein den charakteristischen Ausdruck der individuellen Persönlichkeit festzuhalten, verweisen auf die Komplexität des ›Unternehmens Fotografie‹; sie zeigen vor allem die Notwendigkeit, die diskursiven, institutionellen und ideologischen Kontexte einzubeziehen, innerhalb derer Bilder/Fotografien hergestellt und benutzt werden. 37 Silverman (1997: 58). Im Englischen schreibt Silverman allerdings »given-to-be-seen«, das Lacans »donner-à-voir« entspricht und im Deutschen anderweitig mit »Zu-Sehen-Geben« übersetzt worden ist. »The full range of representational coordinates which are culturally available at a particular moment in time constitute what I have been calling the ›screen,‹ and those which propose themselves with a certain inevitability the ›given-to-be-seen‹« (Silverman 1996: 221, Herv. KB).
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Angleichung an dieses Bild. Die Konstruktion des Anderen/des Subjekts verläuft mithin als die Konstruktion eines Bildes des Anderen, dessen Bedeutung dann indexikalisch auf die so Bezeichneten zurückfällt. Die Korrespondenzen zwischen der Verbrecherfotografie und der anthropologisch-ethnografischen Fotografie des neunzehnten Jahrhunderts bestehen eher in der Parallelisierung sowie auch darin, dass Bertillons Standardisierungsverfahren selbst auf bereits existierende Vorgaben des anthropometrischen Fotografierens zurückgreifen konnte.38 So folgten etwa die Fotografien von Joseph T. Zealy, die Carrie Mae Weems in »From here …« verwendet hat, bereits einer en face und en profileSystematik, die Bertillon 40 Jahre später perfektionierte. Eine genaue ethnografische Analyse und Klassifikation der aufgenommenen Körper sollte durch die beiden Systeme, die T.H. Huxley und John Lamprey für die Herstellung anthropometrischer Fotografien konzipiert hatten, gewährleistet werden.39 Huxleys Integrierung einer Messlatte und Lampreys Anbringung eines Hintergrundgitters, neben der bzw. vor dem die Subjekte dann fotografiert wurden, sind den Modellen von Bertillon und Galton insofern analog, als sie in der Absicht standen, quantifizierbare Daten direkt am Bild ablesbar zu machen,40 die dann zum Beweis für verschiedene menschliche ›Rassen‹ und ihre Charakteristika bzw. für eine biologisch begründbare Inferiorität bestimmter ›Rassen‹ werden konnten (Abb. 18, 19). Die Abbildung des Individuums knüpft sich hier direkt an die Suche nach dem Typus; in den standardisierten Frontal-, Profil- und oft auch Rückenansichten kam es weniger auf den Einzelnen
38
Vgl. dazu auch Theye (1989a: 23). Gustav Fritsch stellte 1875 Kriterien auf, die die wissenschaftliche Verwendbarkeit von »physiognomischen, anthropometrischen und typologischen Photos von gesunden Körpern« gewährleisten sollten: gerade Projektion mit horizontal installierter Kamera; möglichst entblößter Körper; optimale Ausleuchtung; festgelegtes Format der Negative und Abzüge; Maßstab (Meßlatte oder Bandmaß) im Bild selbst sichtbar machen; möglichst mehrere Ansichten derselben Person bei Porträts oder ganzfigürlichen Aufnahmen; zusätzliche Angaben über Namen, Stamm, Geschlecht, Alter, Farbe von Haar, Haut und Regenbogenhaut, Körpergröße (Wiener 1990: 119). Für eine kritische Reflexion des Verhältnisses von Anthropologie und Fotografie von Seiten der anthropologischen Wissenschaft, vgl. Edwards (1992a). Für eine genauere Analyse der ›Gleichursprünglichkeit‹ von Fotografie und Anthropologie/Ethnografie und deren sich wechselseitig beeinflussenden bzw. strukturierenden Modifikationen, vgl. Pinney (1992). 39 Edwards (1997: 55ff.). Edwards nannte drei Evidenz-Funktionen der Fotografie für die Anthropologie des neunzehnten Jahrhunderts: »Analyse und Klassifikation«, bezogen auf die Herstellung der Fotografien; »Demonstration« meint die Übernahme fotografischer Originaldaten und bereits existierender, anderweitig entstandener Fotografien für eine eigene wissenschaftliche These; und drittens, die »Bestätigung der Interpretation«, die sie an dem »AnthropologischEthnologischen Album in Photographien« des Hamburger Fotografen Carl V. Dammann (1873/74) sowie der englischen Variante dieses Albums »The Races of Man« (1875) darlegte. 40 Vgl. Edwards (1997: 56). Auch die frühe Polizeifotografie hatte z. T. mit der Integrierung einer Messlatte in das Bild gearbeitet. Der ›Vorteil‹ dieses Verfahrens lag darin, dass es von vielen Standardisierungsvorgaben bezüglich Objektivwahl, Kameraentfernung, Vergrößerungsmaßstab usw., die Bertillon später systematisch festlegte, deren Einhaltung aber nicht unbedingt am Bild selbst überprüft werden konnte, unabhängig war.
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18
19 Abb. 18: Unbekannter Fotograf: Two of four views of a South Australian aboriginal female, ‚Ellen‘, aged 22. Photographed according to T.H. Huxley’s ‚photometric‘ instructions, ca. 1870 (Albumindrucke). Abb. 19: John Lamprey: Malayan male. Anthropometrische Aufnahme, ca. 1868/69 (Albumindrucke).
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Abb. 20: August Krämer: Tafel mit sechs aufgeklebten anthropometrischen Aufnahmen von zwei Frauen, Luf, Bismarck-Archipel, um 1906/07. Abb. 21: Max Weiß: Gestalt und Körperbau der Bakulina-Männer, n.d. [vor 1910]. Abb. 22: Carl and Frederick Dammann: Ethnographical Photographic Gallery of the various Races of Men, 1875.
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an, sondern dieser fungierte vielmehr als Repräsentant der gesamten ›Rasse‹ oder ethnischen Gruppe, die damit ihrerseits als eine homogene und geschlossene Einheit vorausgesetzt wurde.41 Deutlich wird dies in den jeweiligen Klassifizierungen, der Zusammenstellung von Fotografien einzelner Subjekte – im Porträt oder ganzfigurig – zu Bildkonglomeraten, die ihre kriminologisch-kriminalistischen Entsprechungen etwa in den Verbrecheralben und -karteien finden. In besonderer Weise zeigt es sich in den sogenannten Reihenaufnahmen (Abb. 20) sowie dort, wo verschiedene Angehörige derselben Gruppe in die standardisierten Körperposen gebracht und in demselben Foto festgehalten werden (Abb. 21). Michael Wiener hatte letzteres Beispiel lediglich als Beleg für ein Defizit anthropologischer Fotopraxis gewertet, dass nämlich verordnete Richtlinien, wie die, möglichst viele Ansichten derselben Person zu machen, »nur in Ausnahmefällen und dann so gut wie nie im erwünschten Umfang berücksichtigt wurden.« (1990: 119f.) Vielmehr jedoch wird hier ein ethnografisch-kategorisierender Blick sichtbar, der – ganz ähnlich Galtons Komposit-Bildern – ein Typisches per se bereits vorausgesetzt hat, das z.B. durch eine Zugehörigkeit der zu Fotografierenden zu demselben Stamm nurmehr zusätzlich garantiert erscheint. Die mehrfigurigen Arrangements suggerieren ein ›Identisches‹, das die erläuternden Bildtitel, die Wiener wiedergibt – etwa: »Gestalt und Körperbau der Bakulina-Männer« (ebd.: 121, Herv. KB) –, dann nicht nur verstärken oder als Behauptung voranstellen, sondern als Betrachtungsweise geradezu einfordern und verdoppeln. Dass die Ineinssetzung des anthropologischen Typen-Bildes mit einem fotografischen Bild-Typus, wie sie hier stattfindet, auch in entgegengesetzter Richtung verläuft, zeigte Elizabeth Edwards (2003) beispielhaft an dem »Anthropologisch-Ethnologischen Album in Photographien« des Hamburger Fotografen Carl V. Dammann (1873/74) und dessen englischer Variante »The Races of Man« (1875). Edwards bezeichnet beide Alben als »stilistisch und material komplexe und hybride Objekte« (ebd.: 345), die unter anderem »einige von Lampreys anthropometrischen Bildern, Gustav Fritschs Fotografien südafrikanischer Typen […] sowie kommerzielle Visitenkartenfotografien« (ebd.) enthalten, welche wiederum verschiedene Formen des Studioporträts mit ›wissenschaftlich‹ codierten Darstellungsweisen kombinieren (Abb. 22). Gerade dieser Eklektizismus, der nicht im Gegensatz zu Sekulas archivalischer Äquivalenz steht, sondern eher auf die Komplexität des Archivs der Bild-Typen verweist, gilt Edwards als Quelle für die Generierung eines Bildes des Fremden,
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Vgl. vor allem Edwards (1997; auch 1992); vgl. auch Theye (1989) und Wiener (1990), die allerdings weitgehend historisch-deskriptiv bleiben.
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die sich – so möchte ich konkretisierend hervorheben – genau innerhalb dessen vollzieht, was sie den »Spielraum zwischen wissenschaftlich produzierten und wissenschaftlich perzipierten Bildern« (347) nennt. Dafür spricht auch, dass Edwards zum einen für die anthropometrieartigen Bilder des deutschen Anatomen und Anthropologen Gustav Fritsch eine ganz ähnliche Beziehung von Wiederholung und ›Wahrheit‹ deutlich macht, wie ich sie für das Verbrecherfoto zu fassen versucht habe: »Die bedrückende Wiederholung des fotografischen Stils tritt in den neun aus je siebzehn bis achtzehn Bildern bestehenden Tafeln des großen ›Albums‹ sehr deutlich zutage. Der Wahrheitseffekt dieser Fotografien kam aber gerade durch ihre Wiederholung zustande. Ein visueller Rhythmus unterstrich die Ähnlichkeit des Typs innerhalb der paradigmatischen Kulturvorstellungen von ›Buschmännern‹ oder ›Zulus‹.« (348)
Zum anderen bezeichnet Edwards die fotografische Evidenzwirkung des zeitgenössisch als ›wissenschaftlich‹ anerkannten Albums darin, dass es gerade auf Grund der verschiedenartigen Bilder in seiner Gesamtheit auch zu einer Projektionsf läche für taxonomische Lektüren geworden sei. Die ›Wissenschaftlichkeit‹ des Albums, so muss man Edwards weiterführen, verdankte sich insofern also einem voreingenommenen Blick, der von einem bestimmten Erkenntnisinteresse – einem Sehen-Wollen – geleitet ist, der zugleich von der internalisierten Kenntnis bestimmter Bild-Typen und deren Referenz- oder Bedeutungsrahmen zeugt, und der in seinem Begehren nach einem Bestimmten passend macht, was gleichwohl als unpassend wahrgenommen wird, und damit wiederum diese ›Wissenschaftlichkeit‹ auch aufs Neue produziert. Dieser Blick wird wiederum gestützt durch die strenge formale Strukturierung des Albums, die die Bilder im ›wissenschaftlich‹ konnotierten Raster anordnet. Damit wird das anthropometrische Raster auf einer zweiten referentiellen Ebene noch einmal wiederholt, das die verschiedenartigen Bilder im enzyklopädisch-substituellen Zusammenhang organisiert.42
42
Edwards (2003: 346). »Gleichwohl sind die Rituale der Wissenschaftlichkeit (die subjektiven kulturellen Handlungen der Wissenschaft) im ganzen Werk spürbar. Die Bilder sind in einem Raster angeordnet, das eine strukturierte wissenschaftliche Präsentation suggeriert und an das anthropometrische Raster erinnert. Das Album erinnert aber auch an das Raster eines fotografischen Familienalbums mit seiner Anordnung persönlicher Erlebnisse.« (ebd.: 345) Und: »Taxonomische Intentionen machen sich allerdings in der Behandlung einiger Bilder bemerkbar. Einige der Negative, von denen die Kopien gezogen wurden, wurden retuschiert, um den Hintergrund des jeweiligen Subjekts und die kulturellen Bezüge zu entfernen. Diese Retuschen schreiben die Bilder fest in ihren Referenzrahmen ein. Sosehr sie auch stilistisch schwanken mögen, so werden sie doch von einem dialektalen in ein wissenschaftliches Genre übersetzt, womit die Aufmerksamkeit des Betrachters auf den in soziopolitisch-taxonomischen Räumen präsentierten Körper des Porträtierten gelenkt wird.« (347)
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Sozialdokumentarische Fotografie: Farm Security Administration, Migrant Mother und die Evidenz ›wahrer Werte‹ Die Dokumentarfotografie der 1930er Jahre, die in ihrer paradigmatischen Form einer auf klärerisch und kritisch intendierten Praxis auch in Abgrenzung zu zeitgleich entstandenen nicht-dokumentarischen Gebrauchsweisen wie der sogenannten Kunstfotografie oder der Werbung definiert ist, situierte ihre Subjekte innerhalb eines Rahmens ›sozialer Problematik‹, zielte auf Reform, Auf klärung und Demokratisierung.43 John Tagg sah im Aufkommen dieser Dokumentarfotografie, für die das Großprojekt der Farm Security Administration (FSA) paradigmatisch steht, vor allem eine historisch komplexe Reaktion auf die zeitgleichen sozio-ökonomischen und politischen Krisen in den kapitalistischen Demokratien Westeuropas und den USA,44 die auf die Veröffentlichung und Verbreitung von Bildern angelegt und von daher untrennbar auch mit der Weiterentwicklung fotografischer Technologie, den expandierenden Bilderzirkulationen und neuen Präsentationstechniken verknüpft war.45 Die Bilder sollten zeigen, was ihren Adressaten nicht selbst zugänglich war oder/ und von einer dominanten Politik unsichtbar gehalten wurde. Strukturell entspricht diese dokumentarische Praxis insofern der ethnografischen Fotografie, wie sie mit dem Aufkommen einer kulturell orientierten Anthropologie zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts entstanden ist,46 dass die Fotografen, so auch die der FSA, ihr Klientel direkt vor Ort aufsuchten und in seiner Umgebung fotografierten. Als Zeuge dessen, was er abgelichtet hat, so betonte Abigail Solomon-Godeau, garantiert der Fotograf eine ›Authentizität‹ des Bildes; er ist dort gewesen
43
Zur historischen Ausdifferenzierung fotografischer Praktiken und deren definitorischer Abgrenzung voneinander, vgl. Solomon-Godeau (1997). Vgl. auch Morden (1986); Tagg (1993: 8ff.; 153–183); vgl. auch Price (2000: 89). Dies steht auch im Unterschied zu einer »straight photography«, die sich über ein Fotografieren nur mit den Mitteln der Fotografie definiert; das heißt programmatisch, keine Manipulation von Negativ oder Positiv, keine Manipulation des Bildausschnitts bei der Vergrößerung, keine Retusche, kein Eingriff in die zu fotografierende Szene, kein Textzusatz. 44 Tagg (1993: 8). Das im Rahmen der us-amerikanischen Politik eines New Deal begründete und in die Fotogeschichte eingegangene FSA-Projekt engagierte Fotografen mit der Aufgabe, die Situation der ländlichen Bevölkerung und der besitzlosen Wanderarbeiter zu dokumentieren, um mit der Veröffentlichung der Bilder Finanzhilfen für die Betroffenen einzuwerben (vgl. Newhall 1982: 238–244; Tagg 1993: 153–183). 45 So gingen etwa die Entstehung eines professionellen Fotojournalismus und die Form der Fotoreportage einher mit den verbesserten Möglichkeiten des direkten Abdrucks von Fotografien in Zeitungen und der Gründung von Foto-Zeitschriften (Morden 1986). 46 Vgl. Clifford (1993: 113): Zwischen 1900 und 1960 etablierte sich das neue Feldforschungskonzept der teilnehmenden Beobachtung, »das für die europäische und amerikanische Anthropologie zur Norm wurde«. Sowie ebd.: 118: »Vereinfacht gesagt, waren vor dem späten neunzehnten Jahrhundert der Ethnograph und der Anthropologe, der Beschreiber/Übersetzer von Sitten und Gebräuchen und derjenige, der allgemeine Theorien über die Menschheit aufstellte, klar unterscheidbare Personen.«
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und hat mit ›eigenen (Kamera-)Augen‹ gesehen (1997: 188). Fotografische Evidenz konstituiert sich insofern als eine autoriale Haltung, als eine Weise des fotografischen Sehens und visuellen Sprechens, deren vorausgesetzte Intention zu einer ›wahren Aussage‹ führen soll. Das Dokumentarische definiert sich in dem Phantasma eines Realitäts(ab)bildes, das durch den professionellen Blick und das technische Können des Fotografen vermittelt ist – als Transformation des ›Wirklichen‹ in ein Bild, die mit der Vorstellung einhergeht, dass mit dem jeweils Zu-Sehen-Gegebenen auch dessen ›tiefere Wahrheit‹ visualisiert wird; eine Vorstellung, die nach Solomon-Godeau in der sozialdokumentarischen Fotografie zum »ethischen Prinzip« (ebd.) geworden ist. So hatte beispielsweise Roy Stryker, der Leiter der FSA, erklärt: »Documentary is an approach, not a technique; an affirmation, not a negation. … The documentary attitude is not a denial of the plastic elements which must remain essential criteria in any work. It merely gives these elements limitation and direction. Thus composition becomes emphasis, and line sharpness, focus, filtering, mood – all those components included in the dreary vagueness of ›quality‹ are made to serve an end: to speak, as eloquently as possible, of the things to be said in the language of pictures.« (Zit. n. Newhall 1982: 245)
Solche Codierungen sind weniger auf normative Vorgaben eines Bertillonschen oder Galtonschen Ins-Bild-Setzens verpf lichtet, sondern folgen ästhetischen Konventionen – etwa denen des guten Bildes. Neben Parametern wie Aufnahmewinkel, Belichtung, Kontrast, Bildkörnung usw., werden vor allem drei ineinanderwirkende Kriterien aufgeführt: die Rahmung – also das Setzen der Bildgrenze –, die Rhetorik des Bildes sowie eine Bezugnahme auf tradierte Bildformen, wie etwa die Inszenierung im Modus des Porträts, des Gruppen- oder Familienbildes oder auch der Landschaftsaufnahme (vgl. Tagg 1993: 12f.; 153–183). Die Rhetorik ziele, so Tagg, als eine Weise des Adressierens vor allem auf die Identifikation der Betrachter/innen mit den Fotografierten. Sie siegele zugleich beide Positionen in einer paternalistischen Beziehung von Herrschaft und Unterordnung fest ein (ebd.: 12) – und sie arbeitet, so möchte ich ergänzen, wie die klassifikatorischen Praktiken, ebenfalls mit BildGenerierungen zwischen Typen-Bild und Bild-Typus. Zugleich wird die strenge Trennung von Körper und Raum, die die anthropometrischen Fotografien aufweisen, in das modifiziert, was Tagg ein »ethnografic theatre« (ebd.) genannt hat. Dieses theatrale Ins-Bild-Setzen proklamiert danach nicht so sehr irgendeine Wahrheit des Subjekts, sondern erscheint als Wahrheitsrhetorik in Form eines emotionalisierten Dramas menschlicher Existenz und Erfahrung. Der Anschein einer Authentizität der Gesten und Posen der Fotografierten, des jeweiligen Ortes sowie das
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›stimmige‹ Interagieren dieser Faktoren im Bild sind die wesentlichen Marker von Dokumentarfotografie.47 Diese drei Aspekte kulminieren in besonderer Weise in Dorothea Langes »Migrant Mother«48 von 1936 (Abb. 23), die – als ein erklärtes Meisterwerk der Fotogeschichte und wahrscheinlich »the world’s most reproduced photograph« (Rosler 1989: 315) – auch synonym für das FSA-Projekt insgesamt und die Dokumentarfotografie der 1930er Jahre steht. Von dem Bild der Landarbeiterfrau mit ihren Kindern existieren mehrere Variationen (Abb. 24).49 Während letztere die Personen unter einem zeltartigen Schutzdach inmitten einer karg anmutenden Landschaft zeigen und in dieser Art des sozio-geographischen Settings auch einen Eindruck von den äußeren Lebensumständen vermitteln mögen, verweigert die Fokussierung des Gesichts der Frau in »Migrant Mother« jeden Hinweis auf Zeit oder Ort. Den Sorgenfalten und der abgerissenen Kleidung als verbliebene Verweise auf eine katastrophale soziale Situation wird durch die tradierte (nobilitierende) Porträtperspektive des Dreiviertelprofils, eine Variation der klassischen Denker-Pose sowie mit dem in eine imaginäre Ferne – wie in eine Zukunft – gerichteten Blick der Fotografierten entgegengesteuert, der leer scheint und doch eine gewisse Festigkeit suggeriert. Im Gegensatz zu den anderen Bildern der Reihe ist die Frau hier nicht zusammen mit ihren Kindern in einer Umgebung situiert, sondern von den Kindern gerahmt. Durch die Verengung des Bildausschnitts und das Zitieren einer präcodierten Pose ist aus der Fotografie einer Mutter-mit-ihren-Kindern ein Bild von heroischer Mütterlichkeit geworden, das in seinem Bedeutungshorizont über die konkrete sozio-historische und geografische Situierung weit hinausweist.
47
Vgl. Tagg (1993: 12f.). Ein eindrückliches Beispiel für die Verbindung von dokumentarischer Wahrheitsrhetorik, ›ethnografischem Theater‹ und vermeintlicher Authentizität ist der Umgang mit Kleidung. So zeugen Praktiken der anthropologisch-ethnografischen Fotografie auch davon, wie der Wunsch, den Erfolg ›zivilisatorischer Mission‹ zu präsentieren, als deren Zeichen ›die Eingeborenen‹ Kleidung tragen, mit dem Wunsch kollidiert, das vermeintlich Ursprüngliche und Natürliche zu zeigen, welches das Ablegen ebendieser Kleidung (für das Bild) erforderte. Das diesbezüglich Theatralische in Edward Sheriff Curtis’ Fotografien heroisch in Szene gesetzter Native Americans, die gleichermaßen als authentische historische Zeugnisse und als nostalgische Idealbilder rezipiert werden, zeigt sich darin, dass die Fotografierten ihre traditionelle Kleidung zu diesem historischen Zeitpunkt längst nicht mehr alltäglich trugen (Rosler 1989: 310). Und von den Settings der FSA ist bekannt, dass Landarbeiter/innen ihre Sonntagskleidung, die sie zum Fotografiert-Werden angezogen hatten, wieder gegen die übliche Arbeitskleidung tauschen mussten. Der Wunsch nach einem ›würdigen‹ Selbst-Bild – foto-würdig für sich selbst im Blick der zukünftigen Betrachter/innen – stand dem Bestreben der Fotograf/innen entgegen, das alltägliche Elend festzuhalten, das ja gezeigt werden sollte. Eine ›Würde‹ bekamen die Fotografierten erst im und mit dem Bild verliehen – als fotografische Meister-Leistung und (Selbst-)Nobilitierung der Fotografen. 48 Ihr Name, Florence Thomas, wurde erst 1978 bekannt. 49 Auch die ›alternativen‹ Fotos wurden und werden einzeln abgedruckt und mit »Migrant Mother« betitelt; mein Umgang mit Bildtitel und Bild dient hier vor allem der leichteren Unterscheidung innerhalb der Argumentation.
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Abb. 23: Dorothea Lange: Migrant Mother, 1936. Abb. 24: Dorothea Lange: Migrant Mother, 1936, alternative Versionen.
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In der Rezeption von »Migrant Mother« treffen all die Widersprüche aufeinander, die nach Derrick Price das gesellschaftliche Projekt der Dokumentarfotografie – und das der FSA im Besonderen – grundlegend charakterisieren und der Vorstellung entgegenstehen, dass diese Bilder jemals beweiskräftig im Sinne eines handlungsleitenden sozialkritischen Potenzials gewirkt haben sollen: »[…] these photographs are treated as historical, but timeless; densely coded, but transparent; highly specific, but universal.« (2000: 97) So ist »Migrant Mother« denn auch als ein ›emotionaler Text‹ gedeutet worden, als ›Bild der conditio humana schlechthin‹, als ›Symbol‹ eines zeitlosen Leidens, das über die Aktua lität der Aufnahme hinaus geht, als Marienbild, als ein ›Bild von Tragödie und Widerstand‹, als Bild einer Frau, die ›nicht aufgibt‹, die Mutter und Heilige zugleich ist (vgl. Price/Wells 2000: 35–45). Die Lektüren verbindet – so muss man die Aufzählung zusammenführen –, dass das Foto einerseits genau nicht als Zeugnis einer (außerbildlichen) skandalösen sozialen Realität betont wird – als Bild von … –, sondern als Bild und in seiner Bildlichkeit. Andererseits, auch darauf lassen die Kommentare schließen, bleibt ein (wie auch immer generiertes) Wissen um diese Realität die unbedingte Voraussetzung für ebendiese Wirkung. »Migrant Mother« ist nicht mehr oder weniger dokumentarisch als die übrigen Bilder der Reihe, doch bringt diese Inszenierung, vor allem durch ihre Rahmensetzung, das Dokumentarische der Dokumentarfotografie in besonderer Weise auf den Punkt. Es artikuliert sich nicht nur als eine Referentialisierung vermeintlich wahrer Werte ›hinter‹ einer sichtbaren Wirklichkeit, für die die Oberfläche der Fotografie steht, sondern diese ist zudem mit dem weiblichen Gesicht gleichgeschaltet – und so konstituiert es sich in der Herstellung eines Bildes idealisierter (mütterlicher) Weiblichkeit, das als Zeichen eines Ahistorischen, Ewiggültigen, Natürlichen und allgemein Menschlichen bedeutsam wird. Wenn Stryker »Migrant Mother« mit den wahrscheinlich bewundernd gemeinten Worten kommentierte: »[…] you can see anything you want to in her. She is immortal […]« (zit. n. Rosler 1989: 315), dann ist damit allzu direkt auf die tradierte allegorische Funktionalisierung von Weiblichkeitsbildern für sogenannte allgemeine menschliche Werte verwiesen, bei der das Weibliche zur Projektionsfläche für die Wünsche, Ängste und Begehren der Betrachter/innen wird (vgl. Wenk 1996). Abigail Solomon-Godeau (1997c; 1997d) und Martha Rosler (1989) haben gezeigt, wie eine tradierte Dokumentarfotografie, die einem aufklärerischen, sozialreformerischen oder kritischen Selbstverständnis folgt, niemals außerhalb der Machtstrukturen – besser: Macht/WissenStrukturen – angesiedelt ist, die sie kritisieren will und die sie dabei immer auch mit reproduziert (vgl. auch Tagg 1993: 153–183). SolomonGodeau sprach von einer Übersetzung sozialer Machtpositionen in feste und machtvolle Blickpositionen, die sich nicht zuletzt auch der zentral-
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perspektivischen Organisation des fotografischen Bildes verdanken und durch die die Fotografierten ein zweites Mal zum Opfer gemacht würden – diesmal durch ein visuelles Regime, das innerhalb jenes Systems funktioniert, welches genau die Bedingungen hervorgerufen hat, die dann vermeintlich nur abgebildet werden.50 So würden die Fotografierten zu einem »pictorial spectacle« (Solomon-Godeau 1997c: 178) – zum Schauobjekt eines bürgerlichen Voyeurismus. Ganz ähnlich hat auch Tagg die Kamera als eine Art Brücke bezeichnet, die zwischen dem Hier der Betrachter/innen und dem Dort der Fotografierten, zwischen ›Auge‹ und ›Realem‹, zwischen Seher und Gesehenem operiert und diese Punkte zugleich unumkehrbar und fix erscheinen lässt. Die Kamera macht transparent, was sie einerseits zusammenführt und andererseits doch getrennt voneinander hält (Tagg 1993: 148f.). Man könnte dies als Analogie oder Verdoppelung der spezifisch indexikalischen Nähe-Distanz-Konstellation im Register des Geografischen beschreiben. Die Kameras der FSA geben auf dieser Ebene den für die urbanen bürgerlichen Adressaten unsichtbaren ländlich-proletarischen Raum als einen ›anderen Ort‹ zu sehen, dessen Transformation in ein fotografisches Bild eben dieses Bild zum Ort der Anderen gemacht hat.51 Innerhalb einer tradierten dokumentarfotografischen Praxis – sei sie nun kulturanthropologisch oder sozialdokumentarisch angelegt – arbeiten gerade Porträtaufnahmen als Individualisierungen, die die abgelichteten Individuen vor allem als Projektionsf läche funktionalisieren. Sie sind ein Spiegel, in dem sich Betrachter/innen wahlweise mit den Dargestellten identifizieren und zugleich davon abgrenzen können – wie Rosler polemisierte: »It’s them, not us« (1989: 306) –, einen faszinierten Blick auf eine (unvorstellbare) andere Welt werfen oder ein ›Meisterwerk‹ der Fotografie bewundern können. Genau darin sah Tagg dann den Punkt, an dem dokumentarisch kategorisierte Fotografien selbst zum Objekt der Auseinandersetzung werden, die ein Kampf um ihre Bedeutung ist, bei dem Machtpositionen aufeinandertreffen und wiederum zugleich auch (re-)produziert werden: »the shifting field of the sign which is both object and producer of relationships of power.«52 In der wechselseitigen Indu-
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Solomon-Godeau (1997c: 176ff.); Rosler sprach von »victim photography« (1989: 306). Dieser Schlussfolgerung entspricht historisch, dass Strykers Vorgaben für die FSA-Fotografen sukzessive immer weniger auf ein ›realistisches‹ Bild sozialer Missstände, sondern auf ein Idealbild eines ländlichen Amerika ausgerichtet waren, womit dieser ›andere Ort‹ zum (bürgerlichen) Identifikationsort und nationalen Mythos wurde. Die fotografische Evidenz funktioniert hier dann innerhalb derselben Struktur, nur mit umgekehrten Vorzeichen (vgl. Tagg 1993: 168–171; 181f.). Einen ähnlich identifikatorisch-mythischen Effekt hatte Edward Steichens Ausstellung »Family of Man«, die 1955 das universalistische Konzept einer Menschheitsfamilie fotografisch inszenierte (vgl. u.a. Back/Schmidt-Linsenhoff 2004) 52 Tagg (1993: 132; vgl. auch ebd.: 148ff.). Tagg legt exemplarisch dar, wie apparative Eigenschaften und technische Unzulänglichkeiten der Kamera im resultierenden Foto als ›Bedeutung‹ gelesen wurden.
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zierung von Wissen und Macht als ›Wahrheit‹ produzierende und determinierende Konstituenten gehe es weniger um eine Frage der ›Wahrheit‹ selbst oder um eine zu beweisende Wahrheit des fotografierten Subjekts, sondern um den Status von Wahrheit und die ökonomische und politische Rolle, die sie spielt (Tagg 1993: 172). Und dieser Status wiederum, so möchte ich ergänzen, ist eben immer auch mit bestimmten Bildern – oder besser: Bild-Typen – und bestimmten Blickmöglichkeiten auf die Bilder verknüpft. Je ›bedeutungsvoller‹ die Rückbindung an die Bilder des Archivs in dieser Hinsicht gelingt, desto evidenter kann ›Wahrheit‹ ihren Platz behaupten.
Die strukturellen Grenzen der dokumentarischen Form und die Konzeption einer ›wirklich kritischen‹ fotografischen Praxis Für die fotografischen Praktiken des neunzehnten Jahrhunderts hatte Abigail Solomon-Godeau angemerkt, dass sie zeitgenössisch nur innerhalb der dominanten Macht-Regime gelesen werden konnten, weswegen ihre Wirkungsmöglichkeit im Feld des Politischen zwangsläufig affirmativ gewesen sei. Man könne für das neunzehnte Jahrhundert nicht von einer fotografischen Praxis sprechen, die gegen den Strich dominanter Ideologien funktionierte; denn die Fotografie habe jeweils die Bedeutungen als ›wahr‹ bestätigt, die ihr innerhalb eines Netzwerks dominanter Machtverhältnisse gegeben worden seien (1997c: 171f.). Doch wie wir gesehen haben, eröffne(te)n all die Standardisierungen, die Kombination mit anderen Wissenschaften, Statistik und Sprache (auch historisch) gleichwohl eine Perspektive auf die Prekarität des Indexikalischen, die auch ihr potenziell Subversives oder Widerständiges ›evident‹ macht. Den tradierten dokumentarfotografischen Diskurs problematisierte Solomon-Godeau grundsätzlich dahingehend, dass in dessen Konzentration auf ›Gegenstand‹ und ›Inhalt‹ der Repräsentation das Repräsentationssystem selbst und die dort wirksam werdenden Weisen der Bedeutungsproduktion unhinterfragt blieben. Damit definierte sie auch die Grenzen einer sich als ›auf klärerisch‹ oder ›kritisch‹ verstehenden Dokumentarfotografie, die in einer alleinigen Konzentration auf Bild-Inhalte zum einen die dem Apparat selbst eingeschriebenen ideologischen Formationen unberücksichtigt lasse, welche unabhängig von irgendeiner politischen Absicht des Fotografen wirken; zum anderen blieben, so Solomon-Godeau, die Macht- und Herrschaftsverhältnisse unangetastet, innerhalb derer Dokumentarfotografie als eine politische Praxis selbst situiert ist.53 Sie sprach von einer »strukturell eingeschränkte[n] Fähigkeit
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Solomon-Godeau (1997c: 180ff.); vgl. auch Sekula (2000); Tagg (1993: 102).
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konventioneller Dokumentarbilder, die in sie eingeschriebenen und sie umschließenden textuellen, epistemologischen und ideologischen Systeme zu erschüttern.« (2003: 56) An eine Dokumentarfotografie, die eine wirklich kritische Praxis sein will, sah Solomon-Godeau daher die Herausforderung gestellt, dass sie in das Repräsentationssystem selbst – in die Modi des Zu-Sehen-Gebens und der Bedeutungsproduktion – eingreifen müsse.54 Das bedeute, die Grenzen einer überkommenen dokumentarischen Form durch die reflektierende Einarbeitung ihrer Konstituierungsbedingungen zu verschieben, die Medialität und Textualität der Fotografie mit zu thematisieren und Betrachterpositionen durch die Dekonstruktion der apparativen Raum- und Blickorganisationen zu instabilisieren und zu verunsichern. Es meine auch Eingriffe in das Bild selbst, wie sie die – künstlerischen – fotografischen Praxen von Dada, Surrealismus, russischer konstruktivistischer Fotografie und die Fotomontagen von John Heartfield vorgeführt haben.55 Eine solche kritische (dokumentar-)fotografische Praxis hat SolomonGodeau passenderweise »neo-Brechtian enterprise« (1997d: 217) genannt, deren zeitgenössische Version bereits Walter Benjamin zur vielzitierten Voraussetzung eines politischen Wirkungsvermögens der Fotografie gemacht hatte: »Weil aber das wahre Gesicht dieses photographischen Schöpfertums die Reklame oder die Assoziation ist, darum ist ihr rechtmäßiger Gegenpart die Entlarvung oder die Konstruktion. Denn die Lage, sagt Brecht, wird ›dadurch so kompliziert, dass weniger denn je eine einfache ›Wiedergabe der Realität‹ etwas über die Realität aussagt. Eine Photographie der Kruppwerke oder der A. E. G. ergibt beinahe nichts über diese Institute. Die eigentliche Realität ist in die Funktionale gerutscht. Die Verdinglichung der menschlichen Beziehungen, also etwa die Fabrik, gibt die letzteren nicht mehr heraus. Es ist also tatsächlich, ›etwas aufzubauen‹, etwas ›Künstliches‹, ›Gestelltes‹‹.« (1977a: 62f.)
In Benjamins bzw. Brechts Diktum kam das Ziel der Aufdeckung einer ›wahren‹ Realität hinter ihrem Schein – für die hier die Ober f lächenerscheinung der fotografischen Reproduktion steht – als die Demaskierung eines Ideologischen zum Tragen, die in den Techniken der Fotomontage
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Das erinnert nicht zufällig an den Leitsatz, wie er in den 1980er Jahren innerhalb der feministischen Kunstwissenschaft diskutiert wurde, dass es notwendig sei, in die Strukturen der Kunstgeschichtsschreibung und in die Strukturen der (visuellen) Repräsentation zu intervenieren, um diese Systeme nachhaltig verändern zu können (vgl. Lindner u.a. 1989). 55 Solomon-Godeau (1997c: 182f.); auch Tagg (1993: 93f.); Sekula (2000). Zum Verhältnis von Surrealismus und Fotografie, vgl. Krauss (2000a). Der Bezug auf die russisch konstruktivistische Fotografie meint z.B. die Betrachterpositionierung durch eine ungewöhnliche Wahl des Blickpunktes, wie sie Rodtschenko eingesetzt hat; zur formalistischen Fotografie des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, vgl. Solomon-Godeau (1997: 52–84).
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Fotografie und ›Identität‹
ihre visuelle Entsprechung finden soll. Dabei wurde nicht so sehr ein Mimetisches der Fotografie problematisiert, sondern die Bedeutungen oder eher: Bedeutungsmöglichkeiten, die sich an das fotografische Bild koppeln. Insofern stand Benjamin einerseits bereits gegen die zeitgenössische Dokumentarfotografie als wirkungsvolle politische Praxis und gleichermaßen auch gegen die Fotografie der Neuen Sachlichkeit; andererseits bleib er dem Anspruch einer Wahrheit im Sinne eines Zeigens ›wie es ist‹ verpf lichtet, das sich auf das Objekt – die/dessen Realität – bezieht. Ein Dokumentarisches konstituiert sich bei Benjamin insofern also paradoxerweise gerade in der und als eine Auf brechung des ›ganzen‹ Bildes (– bzw. in der sichtbar bleibenden Zusammensetzung zu einem ›neuen‹ Bild); es ist in der Weise auf die Ebene der Bedeutungsproduktion verschoben, dass es der Vorstellung einer Abschließbarkeit von Bedeutung dennoch in irgendeiner Weise verhaftet bleibt. Entsprechend sah etwa Krauss den Unterschied zwischen Dada-Fotomontage und surrealistischer Fotografie darin, dass erstere – und hier nennt sie Heartfields Fotomontagen – Interpretationen der Realität seien, die diese decodieren; surrealistische Fotografien hingegen »präsentieren die Realität selbst als konfiguriert oder kodiert oder geschrieben.« 56 Eine dokumentarische Praxis, wie sie bereits von Brecht nahegelegt und von Solomon-Godeau sowie in ähnlicher Weise auch von Tagg, Sekula und Rosler in den 1980er Jahren prospektiert und z.T. ja auch praktiziert wurde, dekonstruiert im Anspruch hingegen einen ›Realismus‹ der Fotografie und damit auch einen Bild-Status der Anderen, indem die diskursiven Herstellungsweisen fotografischer Wahrheiten und die Naturalisierung von Darstellungs- und Rezeptionsweisen selbst problematisiert und offengelegt werden. Wie wirkmächtig die Vorstellung eines essenziellen fotografischen Realismus und der Fotografie als Spiegel dennoch geblieben ist, zeigte sich zeitgleich in der Verschiebung, dass einer akzeptierten soziokulturellen Konstruiertheit von Identität nun deren offensichtlich konstruierte fotografische Repräsentation als adäquat angesehen wurde. So schrieben beispielsweise Tessa Boffin und Jean Fraser in der Einleitung zu dem von ihnen herausgegebenen Buch »Stolen Glances – Lesbians take Photographs«:
56
Krauss (2000a: 158). Iversen (2002) hat die Nähe von Benjamin zum Surrealismus betont. Zur Foto-Montage siehe auch das Experiment des russischen Regisseurs Lew Wladimirowitsch Kuleschow (1899–1970), der davon ausging, dass es für den Film weniger wichtig sei, wie die Einstellungen aufgenommen, als vielmehr, wie sie geschnitten werden, und entsprechend zeigte, dass dasselbe Bild innerhalb verschiedener Bildfolgen völlig unterschiedlich interpretiert wird (vgl. Leyda 1983: 164f.).
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Artikulationen von Evidenz
»Lesbianism exists in a complex relation to many other identities; concerns of sexuality intersect with those of race, class and the body, and our contributors discuss these issues. When we set out to select contributions, rather than attempting to naturalize a ›lesbian aesthetic‹, we looked for work which concentrated on constructed, staged or self-consciously manipulated imagery which might mirror the socially constructed nature of sexuality. We have not included much documentary work as the realism of documentary has often been used ideologically to reinforce notions of naturalness. We do not want this book to claim a natural status for lesbianism but rather to celebrate that there is no natural sexuality at all.«57
Die Grenzen auch einer ›wirklich kritischen‹ (dokumentar-)fotografischen Praxis, wie sie Solomon-Godeau, Tagg, Sekula und Rosler entworfen haben, scheinen also dort erreicht, wo sich nun ebenfalls die Vorzeichen umgekehrt haben. Die inszenatorische Ref lexion und Dekonstruktion fotografischer Codierungsweisen, Bedeutungsproduktion, Zuschreibungspraktiken und Rezeptionslenkung wird als Identifikationsangebot lesbar; Instabilisierungen und Verunsicherungen der Betrachterposition werden nicht mehr als Verweis auf eine ›Unvollständigkeit‹ oder Spaltung des Subjekts wahrgenommen, sondern sind etwas, das als Erwartung an eine gute Arbeit, an ein gutes Bild, bereits herangetragen, was zu sehen gewünscht wird. Es wäre jedoch vorschnell und zu kurz gegriffen, damit auf eine Unmöglichkeit von Kritik zu schließen; vielmehr zeigt sich die Notwendigkeit, diese selbst immer wieder bezüglich ihrer Ansatzpunkte und Argumentationsstrukturen zu überdenken, sie entlang der sich jeweils neu ergebenden Problematiken durchzuarbeiten und in diesem Sinn f lexibel und prozessorientiert zu halten. Wie sich in dieser Hinsicht fototheoretische Positionen und fotokünstlerische Inszenierungen wechselseitig herausfordern, darum soll es im folgenden Teil dieses Kapitels gehen.
57
Boffin/Fraser (1991: 9f., Herv. KB). Dem entspricht auch, dass eine ›Dokumentarfotografie‹ gern gegen eine sogenannte ›inszenierte Fotografie‹ ausgespielt wird, welche all die fotografischen Praktiken und Repräsentationsformen meint, die keinesfalls mit der Vorstellung eines Realitätsabbildes verwechselt werden können. Auch wurde für zeitgenössische Fotoprojekte, die sich als kritisch begreifen, festgestellt, dass sie dem offenkundig Inszenierten oder Montierten den Vorzug geben, um von vornherein dem potenziellen Vorwurf zu entgehen, hier wäre der Glaube an eine Abbildhaftigkeit der Fotografie am Werk (vgl. Price 2000: 109f.).
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Fotografie und ›Identität‹
Inszenierungen von Un/Sichtbarkeit bei Connie Hatch und Dave Lewis Ein Verdienst der diskursanalytischen, an den fotografischen Gebrauchsweisen orientierten Positionen besteht darin, dass Fotografien, analog zu anderen visuellen Repräsentationen, vor allem als Bilder verhandelt werden. Sowohl eine ›dokumentarische‹ als auch eine ›künstlerische‹ Fotografie wird zuallererst als ein (gemachtes) Bild angenommen; als solche sind beide gleichwertige und gleichberechtigte Bestandteile des kulturellen Bildrepertoires, auf das sie Bezug nehmen, an dessen Darstellungskonventionen – den Weisen des Ins-Bild-Setzens – sie sich anlehnen, das ihre Bedeutungen mitbestimmt und vice versa. Was dabei zu wenig berücksichtigt wird, ist das Medienspezifische, also das Indexikalische selbst, dessen Verunsicherungspotenzial das Archiv bannen soll(te). Insofern wiederholt sich die Verdrängungsarbeit des archivalischen Paradigmas in der fotohistorischen und -historiografischen Analyse als Auslassung. Mit der Relektüre der Positionen, die den Einsatz der Fotografie für eine visuelle Konstruktion ›anderer Subjekte‹ herausgearbeitet und dazu das (auch kritische) Potenzial fotografischer Evidenzproduktion innerhalb von Macht/Wissen-Systemen in den Blick genommen haben, konnte jedoch gezeigt werden, wie das Indexikalische hier gleichwohl virulent bleibt. Es scheint auf in den implizit wirksamen oder resultierenden Momenten der ›anderen Evidenz‹, welche rückwirkend wiederum die analytischen Voraussetzungen neu/›anders‹ zur Diskussion stellen. Konstellationen paradoxaler Zeitlichkeit und widersprüchliche Verschränkungen artikulieren sich im Verweis auf ein kulturelles Bildrepertoire, auf die Frage der Wiedererkennbarkeit und die Mechanismen eines Vor-Gesehenen; in dem, was Tagg die Wahrheitsrhetorik der Posen und des Settings genannt hat, ist die Fotografie als Erinnerungsspeicher und als Teil eines Medienverbundes bereits mit angelegt. Jede ›dokumentarische Praxis‹ ist niemals einfach auf das Objekt – das Bild von… –, sondern grundsätzlich immer schon auf das zukünftige Bild und den zukünftigen betrachtenden Blick hin ausgerichtet. Sie steht in einem kontingenten Verhältnis zu den Codierungen, die ihr innerhalb eines Repräsentationssystems – des kulturellen Bildrepertoires, des Archivs – vorausgehen. Damit verschiebt sich letztlich eine Referentialisierung fotografischer Bilder innerhalb des archivalischen Paradigmas vom Objekt-Bezug auf einen Bild-Bezug, so dass der Weg fotografischer Evidenz eben nicht einfach (nur) vom ›Objekt‹ zum ›Bild‹ als chemisch-physikalische Fixierung und Einrückung in ein Vor-Bild, ein Bild-Muster, verläuft, sondern umgekehrt vom ›Bild‹ zum ›Objekt‹ – respektive: Subjekt, Körper – als eine Spurenlegung der Archivbilder in die Körper hinein mit dem Ziel sie (dort) beständig neu zu verfestigen.
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Artikulationen von Evidenz
Die kurze Lektüre von Carrie Mae Weems’ »From here …« hat darauf verwiesen, wie künstlerische Befragungen von identitätszuschreibenden fotografischen Praxen genau die ›andere Evidenz‹ aktivieren und einsetzen können, die im gebrauchsweisenorientierten Diskurs unbenannt bleibt. Das rezeptive/analytische Einlassen auf visualisierte Instabilisierungsmomente und Verunsicherungen, ein betrachtendes Mitschwingen zwischen fotografischen Zeichen und Fragezeichen wurde als Möglichkeit lesbar, wie Identifikationsprozesse und -strukturen ›anders‹, auch jenseits dominanter kultureller Linien, vorgestellt werden können. Im Anschluss daran soll mit der Lektüre von zwei weiteren fotokünstlerischen Projekten – Connie Hatchs »A Display of Visual Inequity« (1989–1992) und einer unbetitelten Fotoreihe von Dave Lewis von 1995, die in verschiedenen britischen anthropologischen Museen und (Foto-)Archiven entstanden ist, – nun umfassender ausgearbeitet werden, wie die Fotografie als Medium des Sichtbarmachens und eine Sichtbarkeit des Fotografischen im Modus eines Ent/Fixierens zusammenwirken. Gezeigt wird darüber auch, dass die fotografische Spurenlegung in die Körper wiederum nicht einzig entlang von Konstellationen paradoxaler Zeitlichkeit verläuft, sondern dazu unabdingbar die zentralperspektivische Konstruktion des fotografischen Apparates ›braucht‹, welche die Instanz des lacanschen Blicks – des unsichtbaren Blicks, »den ich auf dem Feld des Anderen imaginiere,« (Lacan 1978: 90) – konkretisiert. »A Display of Visual Inequity« von Connie Hatch besteht aus variierenden, demselben Konzept folgenden und teilweise dieselben Bilder verwendenden zweiteiligen Installationen, deren Thema das Verschwinden von Personen ist – »Forced to Disappear: A Display of Visual Inequity« (1987–88), »After the FACT … Some Women« (1989) und »Some Americans: Forced to Disappear« (1990–91). In Deutschland waren Varianten in der Überblicksschau »The BiNational. American Art of the late 80s« (1988) und im Rahmen von »Mistaken Identities« (1992/93) zu sehen. ›Verschwinden‹ fasst Hatch in den Bedeutungen von vermisst, tot, ermordet, »vanished without a trace«, »not allowed to appear«, »exiled, banished, imprisoned, or silenced by violence, fear or coercion«. 58 Sie inszeniert Konstruktionsweisen individueller Identität(en) innerhalb gewaltförmiger politischer und gesellschaftlicher Strukturen als Frage ihrer fotografischen Repräsentation in dem komplexen Spannungsfeld von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Mit der Verwendung von karteikartenähnlichen Foto-Text-Tafeln einerseits und porträtartigen Close-ups andererseits wird dies in Bezug auf archivalische Dokumentationsmodi und den Ausstellungsraum thematisiert.
58
Hatch (1988: 105). Zu dem Projekt, vgl. auch Liss (1989), Solomon-Godeau (1992).
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Fotografie und ›Identität‹
Dave Lewis geht in seiner zehnteiligen Reihe großformatiger Fotografien dem problematischen Verhältnis von Anthropologie/Ethnografie und Fotografie nach, der historischen Verwissenschaftlichung und Institutionalisierung dieses Verhältnisses sowie dessen aktuellen (Nach-) Wirkungen. Er stellt eine von hegemonialen Machtinteressen geleitete Ausstellungspolitik – die immer auch eine Sichtbarmachungs- und Bildpolitik ist – anthropologisch-ethnografischer Institute/Institutionen zur Diskussion, welche ihre Sammlungen heute zwar öffentlich zugänglich gemacht haben, diese Zugänge aber dennoch reglementieren und verstellen. Solche Reglementierungen betreffen vor allem den Akt des Musealisierens selbst, die Präsentationsmodi der Exponate, die Auswahl des Gezeigten und Nicht-Gezeigten – also die Blicke und Bedeutungen, die über bestimmte Orte und Weisen des Zu-Sehen-Gebens hergestellt und tradiert werden – sowie eine Funktion der Fotografie als disziplinkonstituierende Praxis. 59 Das Projekt wurde u.a. in den Ausstellungen The Impossible Science of Being (London 1995) und In Visible Light (Oxford 1997) gezeigt. Erstere war ein Kollaborationsprojekt der Photographers’ Gallery London, der Assoziation Schwarzer Fotografen »Autograph« und des Royal Anthropological Institute, das anthropologische Fotografie und künstlerische Auseinandersetzungen dialogisch gegenüberstellte; letztere konzentrierte sich auf klassifikatorische und taxonomische Praktiken zwischen Kunst und Wissenschaft. Beide Künstler/innen thematisieren das Wahrheitsspiel des Fotos als ›Identitätsausweis‹, indem sie Artikulationen von ›Objekt-Evidenz‹ und ›Zeit-Evidenz‹ inszenatorisch verschalten. Das Rationalisierende des archivalischen Paradigmas wird mit einem punctum-Effekt durchsetzt – und zwar von der Art, die Rosalind Krauss als ein Erschaudern bezeichnet hat, als »die Erfahrung, einen Geist zu sehen« (1998: 193). Das punctum – eine spezifische Ausprägung des Fotografischen bzw. Indexikalischen – ist im fotografischen Diskurs eng mit dem Konzept des Unheimlichen verbunden, das nach Sigmund Freud eine spezifische Form der Wiederholung oder Doppelung meint. Es ist »jene Art des Schreckhaften«, die »auf das Altbekannte, Längstvertraute zurückgeht« (Freud 2000c: 244). Hatch und Lewis bieten eine ›unheimliche‹ Lektüre tradierter fotografischer Verfahrens- und Repräsentationsweisen an, indem sie fotografische Sichtbarmachung und eine Sichtbarmachung des Fotografischen miteinander und gegeneinander Changieren lassen. Sie inszenieren Un/Sichtbarkeit.
59
Zum Verhältnis von anthropologischem Museum, Musealisierungen und Ausstellungspolitik, vgl. auch Clifford (1999). Der interventionistische Charakter von Lewis’ Projekt wird zudem darin deutlich, dass das Huxley-Archiv am Imperial College dem Künstler – wie er in einem Interview berichtet – den Zutritt zur fotografischen Sammlung verweigerte (Lewis 1996: 13).
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Artikulationen von Evidenz
Forced to Disappear: Connie Hatchs ›verschwindende Personen‹ Der jeweils erste Teil der »A Display of Visual Inequity«-Variationen besteht aus mit briefing/legend betitelten Foto-Text-Tafeln, für die Connie Hatch gefundene Bilder verwendet hat. Passbildgroße Schwarz/Weiß-Aufnahmen zeigen Gesichter von unbekannten und anonymen, vereinzelt aber auch von bekannten oder berühmten Personen. Die Texte bestehen aus formalisierten Angaben über die jeweilige Person, sie nennen gegebenenfalls den Namen, Bildquelle, Fotograf, das Datum der Aufnahme und des Verschwindens sowie dessen nähere Umstände (Abb. 25). In ihrer Gleichförmigkeit und seriellen Anordnung folgen diese Tafeln formalisierten Rastern zur Personenidentifizierung, wie sie auch Bertillons polizeiliche Registrierkarten, Steckbriefe, Vermissten-Anzeigen oder journalistische Datenbanken darstellen. Sie wirken wie Auszüge aus einem Archiv, dessen Herstellung sie zugleich mit vorstellen; denn die jeweilige Anzahl und spezifische Auswahl erscheinen – über das Gemeinsame des ›Verschwindens‹ der abgebildeten Personen hinaus – keineswegs zwangsläufig, was auch durch die wiederholte Verwendung einzelner Tafeln für die drei Installationen gestützt wird. Sie fungieren zudem als Leseanleitung – legend – für den jeweils zweiten Installationsteil, der allein auf die Personenfotos konzentriert ist. Diese sind nun als lebensgroße Close-ups auf transparente Bildträger fixiert und wie in einer Porträtgalerie als Reihe angeordnet. Dabei werden die einzelnen Bildträger jeweils zwischen zwei Acrylglasplatten gehalten, die im 45°-Winkel zur Wand montiert sind. Auf diese Weise nahezu unsichtbar gemacht, werden diese Porträts durch von unten auf sie gerichtete Scheinwerfer so beleuchtet, dass verzerrte Doppel der Gesichter als ephemere Projektionen an der Wand erscheinen (Abb. 26, 27). Um den transparenten Porträts direkt ›ins Gesicht‹ sehen zu können, müssen Betrachter/innen notwendigerweise zwischen Bild und Scheinwerfer treten – mit dem Effekt, dass nun der eigene Schatten verzerrt an der Wand erscheint. Dieser bringt zwangsläufig die Porträt-Doppel zum Verschwinden – forced to disappear –, und auf den Bildträgern oszillieren die fotografierten Gesichter mit dem eigenen Spiegelbild, welches dort diffus sichtbar wird (Abb. 28). Die briefings funktionieren als Dokumentation der Dokumentation, die ›beweist‹, wie Identitäten medial für eine Öffentlichkeit produziert werden. Sie sind weniger als eine Dokumentierung von Personen konzipiert, die auf die Frage der Identifizierbarkeit ausgerichtet ist; vielmehr werden hier verschiedene als dokumentarisch definierte Praktiken oder Kategorien miteinander verbunden, die sich im wechselseitigen Verweis aufeinander absichern. Kann die Kombination von Foto und persönlichen Daten durchaus als Rekurs auf die fotografierte Person im Sinne etwa einer bertillonschen Individualisierung gelesen werden, so hebt die Angabe
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Fotografie und ›Identität‹
25
26 Abb. 25: Connie Hatch: briefing sheet für Unbekannte Frau. Aus: »Some Americans: Forced to Disappear«, 1990–91. Abb. 26: Connie Hatch: close-up. Aus: »Some Americans: Forced to Disappear«, 1990–91.
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Artikulationen von Evidenz
27
28
Abb. 27: Connie Hatch: Forced to Disappear: A Display of Visual Inequity, 1987–88. Installationsansicht. Abb. 28: Connie Hatch: After the FACT… Some Women, 1989, Installationsansicht.
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von Bildquelle und Fotograf das Foto als mediales Produkt hervor und autorisiert dessen (vermeintliche) Authentizität. Der Fotografenname bezeichnet zugleich einen Zeugen für die Existenz dieser Person, deren Foto wiederum zum Beweis des Gesehen-Habens bzw. Gesehen-wordenSeins geworden ist. Die Texte, die über die Umstände des Verschwindens informieren, zitieren den rhetorischen Stil von Nachrichtenmagazinen, Biografien, Geschichtsbüchern oder Amnesty International-Berichten – Genres, die in irgendeiner Weise auf die Darstellung von ›Wahrheit‹ verpflichtet sind oder das zumindest von sich behaupten. Vor allem diese Texte machen die Gesichter auf den Fotos signifikant, indem sie ihnen eine Geschichte geben, mit der sie identifiziert und ›identisch‹ werden können. So wird das ›Bild‹ der Person, von dem das Foto nurmehr ein Teil ist, als ein zusammengesetztes, aber Vollständigkeit suggerierendes, kenntlich, das aus diesem Informationsverbund hervorgeht. Mit dieser Vorgehensweise deutet Hatch auf journalistische Publikationsstrategien als mediale Bedingungen gesellschaftlicher Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. Sind fotografische Bilder des ›Öffentlichen‹ und des ›Privaten‹ in den Massenmedien, wie Sigrid Schade schrieb, ohnehin »durch ein beständiges Recycling miteinander verschränkt« (1993b: 291), so ist dieses Verhältnis hier noch einmal durchkreuzt. Beispielsweise steht die Tafel einer bekannten, öffentlichen Person wie Marilyn Monroe neben der der Künstlerin Ana Mendieta und denen von Personen wie der namenlosen Japano-Amerikanerin (Abb. 25, 26), die als gesellschaftliches Subjekt immer marginalisiert und unsichtbar gewesen ist. Das augenscheinliche Versprechen der Texte, Verborgenes und Skandalöses offenzulegen, erscheint im Fall von Marilyn Monroe ironisch, wenn in der Spekulation über mutmaßliche Liebhaber genau das, was bereits die mediale Konstruktion ihres ›Privaten‹ als Teil eines öffentlichen Wissens ist, als Preisgabe eines Geheimnisses wiederholt wird. Bei Ana Mendieta besteht die Ironie darin, dass sie als Künstlerin marginalisiert und durch die nicht eindeutig geklärten Umstände ihres Todes kurzzeitig in die Schlagzeilen geraten war.60 Die Japano-Amerikanerin, die das letzte Mal in einem us-amerikanischen Internierungslager gesehen wurde, gerät als Opfer politischer Gewalt in den Blick der Öffentlichkeit, zu deren Illustration sie damit auch geworden ist. Sie wird sichtbar einzig auf Grund ihres Verschwindens, das bzw. weil es seinerseits im Kontext bedeutsamer historischer und politischer Geschehnisse steht. Während das (Wieder-)Erkennen von Marilyn Monroe an Hand ihres Fotos auf die zusätzlichen Informationen des Textes neugierig macht, interessiert die
60
Zur Verknüpfung von Mendietas Werk, Leben und Tod als eine verräumlichte kulturelle Erzählung, vgl. Rogoff (1994).
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Artikulationen von Evidenz
Veröffentlichung einer Unbekannten vor allem deshalb, weil das individualisierte Erzählen schrecklicher Ereignisse – als eine (populare) Form der Wissensproduktion – ein identifikatorisches Potenzial für die Betrachter/innen bzw. Leser/innen bietet. Während der erste Installationsteil eher der Ökonomie eines auf das ›Objekt‹ gerichteten (voyeuristischen) Blicks folgt, thematisiert der zweite Teil das Sehen als Akt oder Prozess, indem das Spannungsverhältnis zwischen Sichtbarkeit, Unsichtbarkeit und Verschwinden am fotografischen Bild selbst inszeniert wird. Die latent zu sehen gegebenen, gleichsam im Raum schwebenden Gesichter manifestieren sich gerade mit ihren ephemeren und immateriellen Doppeln, die auch als »Schatten« (Hatch 1988: 105; Liss 1989: 19), »Gespenster«, »Erscheinungen« (Hatch 1988: 103) und »geisterhafte Doubles« (Solomon-Godeau 1992: 46) charakterisiert wurden. Indem die Gesichter erst im Strahl des Scheinwerferlichts, das auf die Porträts fällt, unübersehbar werden, stellen sie einerseits eine Präsenz vor mit Hilfe dessen, was sich jenseits ihrer selbst zeigt; andererseits bezeichnen sie ihre Abwesenheit, indem sie vor allem dort sichtbar werden, wo sie nicht sind. Wie Andrea Liss schrieb: »Each portrait has its ghost, which projects its presence more profoundly than its matrix image.« (1989: 19) Das Sichtbarsein der Gesichter zeigt sich hier als etwas, das über die Fotografie – oder genauer: über die Fotografie als Herstellungsort von Sichtbarkeit – hinaus geht, aber diese gleichwohl als Voraussetzung und Bedingung dafür anerkennt. Indem das (fotografische) Bild und sein Schatten unüberwindbar auseinanderklaffen,61 stellt sich das ›Bild‹ der Person als Gespaltenes dar. Zugleich tritt damit das fotografische Bild selbst genau in der Ambivalenz des Bild-von-etwas-Sein und Selbst-ein-Bild-Sein auf, in der differierenden Doppelung eines Spurhaften, welches in Abhängigkeit voneinander existiert und nicht überein zu bringen ist.
Dave Lewis’ Archiv- und Museumsbesuche Dave Lewis thematisiert das anthropologische Museum/Archiv als einen Ort des Zu-Sehen-Gebens, an dem sich die historische – und das meint hier insbesondere fotografische – Konstruktion des ›rassisch‹/ethnisch Anderen sowohl mit der Konstruktion einer nationalen (Wissenschafts-) Geschichte als auch mit einer (Unterdrückungs-)Geschichte nicht-weißer/
61
Der einzige Berührungspunkt ist die Stelle, an der die transparenten Porträts an die Wand montiert sind. Aber selbst, wenn man sie direkt auf der Wand anbringen würde, bliebe aufgrund des Scheinwerferstrahls ein Schatten bestehen.
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nicht-europäischer Subjekte überschneidet. Dies geschieht bei den unterschiedlichen Motiven der Reihe wesentlich darüber, dass Fotografie als Dokument in einer Weise parodiert wird, die das Medium selbst als, im Barthes’schen Sinn, verrückt – also, einen ›zivilisierten Code‹ ins Wanken bringend, wie es Margaret Iversen (2002: 114) formuliert hat, – zur Schau stellt. Die strenge Untersicht, aus der der Eingangsbereich des Cambridge University Museum of Archaeology and Ethnography aufgenommen ist, evoziert eine unheimliche oder bedrohliche Wirkung des Gebäudes, die durch die einladend erscheinende offene Tür kontrastiert wird (Abb. 29).62 Dieser Kontrast ist wiederum in der ambivalenten Lichtwirkung zusammengefasst, die mit der rötlichen Eintönung des Fotos entsteht; deren Konnotation des Romantischen oder Pittoresken streitet sich in ihrer subtilen Übertreibung und surrealen Wirkung mit dem Traumhaften des Albtraums. Und das, was zunächst wie ein von den Bildrändern abgeschnittener Ring aussieht, der die offenstehende Eingangstür ins Visier nimmt, erweist sich als zwei vor die Linse gehaltene Lineale, deren optische Krümmung durch das Foto-Objektiv bedingt ist. Diese Lineale vermessen die Institution, wie diese die Menschen vermessen hat und zeigen dabei ihre Ver-messenheit im mehrfachen Sinn des Wortes.63 Ein anderes, nun innerhalb dieser Institution inszeniertes und mit »Haddon Photographic Collection, Cambridge University Museum of Anthropology and Ethnography« betiteltes, Format zeigt zwei überblendete und gelb eingetönte Fotografien (Abb. 30). 64 Die mit FischaugenObjektiv aufgenommene hölzerne Archiv-Registratur, auf deren durchnummerierten Schubfächern Ländernamen wie »Sudan«, »Nigeria«, »Fiji« oder »Ceylon« zu erkennen sind, tritt optisch aus der zweidimensionalen Bildfläche hervor. Sie wirkt wie aufgeblasen – die indexikalische Expansionskraft des punctums, von der Barthes (1989: 55) spricht, geradezu wörtlich nehmend; und auf ihrer verzerrten Raster-Architektur erscheint geisterhaft eine männliche Figur, die mit den beigegebenen Insignien dem Typ ›des Eingeborenen‹ entspricht: Der Körper ist mit einer Art Lendenschurz bekleidet, den Kopf ziert ein Stirnband, die Hände halten einen Pfeil oder kurzen Speer. In ihrem Oszillieren zwischen
62
Über der Eingangstür steht »Archaeology and Anthropology – Museum«. Das Cambridge University Museum of Archaeology and Ethnography beherbergt auch die Haddon Photographic Collection. 63 Wie Dave Lewis kommentierte: »What I am doing in this picture is measuring the university in the same manner as physical anthropometry was used to measure black peoples from say Africa or the Caribbean. I am in fact comparing their [sic: its? KB] size (read: elitist/exclusive/classificatory body) as a response to the history of physical anthropology.« (Email von Dave Lewis, 26.07.2001). 64 »Yellow is through lighting gels« (Email von Dave Lewis, 26.07.2001).
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Artikulationen von Evidenz
Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit wird diese Figur zur Visualisierung eines phantasmatischen Bildes des Wilden, welches durch die unzählbare Vielzahl der sorgsam klassifizierten Fotografien produziert ist, die die Schubfächer (ver-)bergen. Eine dritte Arbeit aus der Reihe präsentiert den liegenden Akt eines männlichen Schwarzen unter dem goldgerahmten Porträt von Alfred Cort Haddon – einem der Begründer der britischen Anthropologie im späten neunzehnten Jahrhundert und Namensgeber der Sammlung an der Universität Cambridge (Abb. 31). Die Kombination von FischaugenObjektiv, perspektivischer Untersicht und dem fokussierenden ovalen Ausschnitt des Scheinwerferkegels, der sich in der Maserung der Tischfläche fortsetzt, stellt eine vertikal verlaufende Blickbeziehung zwischen ›Haddon‹ und den Betrachtenden her, die hier auch die Tradition des Herrscherporträts mit aufnimmt. Die Aktfigur durchkreuzt diesen Verlauf horizontal und wird damit einerseits von zwei Seiten zum Objekt der Anschauung, wobei die Aufnahmetechnik eine Asymmetrie zwischen dem ›Blick‹ von hinten und dem Blick von vorn evoziert: Der Liegende wird zu sehen gegeben und dem betrachtenden Blick vor dem Bild geradezu aufgedrängt. Andererseits wirkt die Haltung der Figur starr und angespannt, als würde sie sich angestrengt aufstützen; die fest ineinander gelegten Hände sind wie eine Abgrenzung vor den Körper gehalten; der Kopf scheint regelrecht abgewandt, und der gesenkte Blick vermittelt ein absichtsvolles Wegschauen. Der Fotografierte kehrt dem überwachenden (Herrscher-)Blick ›Haddons‹ wörtlich den Rücken und blockt den Blick, der von vorn auf ihn gerichtet ist und dem er perspektivisch entgegenkommt, zugleich ab. Von Haddon ist ein Kommentar überliefert, in dem er – im Grunde das Konzept der Pose vorwegnehmend und/aber als Defizit auf den Anderen projizierend – für das Setting anthropologischer Fotografie einen Verlust von ›Natürlichkeit‹ der zu Fotografierenden feststellte; er problematisierte den Akt des Fotografiert-Werdens mit den Worten, dass »[…] it must never be forgotten that when a native is posed for photography he unconsciously becomes set and rigid, and the delicate ›play‹ of the limbs is lost.« (Zit. n. Hockings (1992: 183) Die übertreibende Positionierung als Ausstellungsobjekt wird bei Lewis nun durch eine Pose der Verweigerung konterkariert, die auch ein Blick-Schutz ist und sich ihrerseits ebenso als eine übertreibende Reinszenierung des historischen anthropologisch-fotografischen Settings lesen lässt. Durch den wechselnden kombinierten Einsatz von Foto-Objektiven mit extremen Brennweiten, extremen Kameraperspektiven, Überblendungen, Unschärfen und Einfärbungen der Foto-Positive65 irritiert Lewis
65
»Use of coloured gels« (Email von Dave Lewis, 26.07.2001).
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30
Abb. 29: Dave Lewis: Haddon Photographic Collection, Cambridge University Museum of Anthropology and Ethnography, 1995 (75x100 cm). Abb. 30: Dave Lewis: Haddon Photographic Collection, Cambridge University Museum of Anthropology and Ethnography, 1995 (75x125 cm).
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33
Abb. 31: Dave Lewis: Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland, 1995 (75x100 cm). Abb. 32: Dave Lewis: Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland, 1995 (75x100 cm) Abb. 33: Albrecht Dürer: Der Zeichner des liegenden Weibes, 1538 (Holzschnitt).
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Fotografie und ›Identität‹
gewohnte Sehweisen und verunsichert Blickpositionen. Die Überblendungen oder Unschärfen spielen mit einer fotografischen Sichtbarkeit, indem sie einen Blick provozieren, der sein Objekt immer wieder nur latent erfassen kann; die Einfärbungen wirken als Vereinheitlichung des Bildes und unterstützen zugleich eine phantasmatische Dimension des Zu-Sehen-Gegebenen. Die peripheren Krümmungseffekte von Fischaugen- oder Weitwinkel-Objektiv geben den Bildern zudem eine verzerrte und übertrieben dreidimensionale Wirkung; sie überschreiten das, was Philippe Dubois den »optischen Realismus« (1998: 208) der Fotografie genannt hat, welcher – so muss ergänzt werden – zentralperspektivisch codiert ist.
Zentralperspektivische Dis/Positionierungen Roland Barthes hatte darauf bestanden, dass das Entscheidende der Fotografie nicht die optische, zentralperspektivisch-organisierte Apparatur sei, sondern die Möglichkeit, das eingefallene Licht chemisch auf dem Bildträger fixieren zu können: »Denn der Sinngehalt des ›Es-ist-so-gewesen‹ ist erst von dem Tage an möglich geworden, da eine wissenschaftliche Gegebenheit, die Entdeckung der Lichtempfindlichkeit von Silbersalzen, es erlaubte, die von einem abgestuft beleuchteten Objekt zurückgeworfenen Lichtstrahlen einzufangen und festzuhalten.« (1989: 90)
Doch scheinen für die Theoretisierung eines fotografischen Ent/Fixierens die zentralperspektivische Organisation und die chemische Fixierung gleichermaßen wichtig; sie sind im jeweils spezifischen Zusammenwirken genauer zu untersuchen. Lacan setzte in seiner umkehrenden Verdopplung des geometrischen optischen Modells der Zentralperspektive das Fotografiert-Werden als Metapher für den Blick ein, der das Subjekt im Feld des Visuellen dezentriert, indem er es im Moment des Sehens selbst zum Bild, zum Gesehenen, macht (vgl. 1978: 113). Wie Sigrid Schade (1993b) und Margaret Iversen (2002) gezeigt haben, entspricht dieses Modell Barthes’ Konzept des punctum. Das punctum ist das, so Iversen, was den Betrachter überrascht, ihn »besticht und den Sinn des Bildes vollständig verändert« (ebd: 119) Es »kehrt […] die Sehlinien um und desorganisiert das Sehfeld, bricht ein in das Signifikantennetz, welches die Realität konstituiert.« (122) Die »Forced to Disappear«-Installationen von Connie Hatch intervenieren über das spezifische Arrangement der fotografischen Bilder und deren Materialität in die zentralperspektivische Konstruktion sowohl des fotografischen Bildes als auch des Museums- oder Ausstellungsraums.
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Artikulationen von Evidenz
Die beiden Installationsteile stellen unterschiedliche Blickpositionen für die Betrachter/innen her, die jede für sich wiederum ambivalente Wirkungen evozieren. Die briefings/legends verdeutlichen einerseits das Dokumentarische der Fotografie als ein komplexes Codierungssystem. Sie zeigen dessen enge Verknüpfung mit identitätszuschreibenden Praktiken auf und legen einen unterschwelligen Sensationalismus von Texten offen, die ›nur‹ Fakten wiedergeben. Andererseits bleibt ihnen dabei zugleich auch ein tradierter dokumentarischer Impetus implizit, insofern ein fest positionierter Blick aus der Distanz fortgeschrieben wird, der nun zwar nicht auf ›die Anderen‹, sondern auf deren visuelle Konstruktion gerichtet ist. Weil sich aber ein Dokumentarisches hier in der Überlagerung dokumentarischer Praktiken erneut als eine geschlossene Oberf läche darstellt, kann diese Konstruiertheit simultan zur Kenntnis genommen und ›übersehen‹ werden. Von daher erlauben die briefings den Betrachtenden sehr wohl einen souveränen Blick, allerdings in die imaginäre Tiefe dessen, was sich als Resultat seiner Herstellung ausweist. Der zweite Installationsteil setzt auf der apparativen Ebene an. Er entspricht in seiner technischen Konzeption in etwa der Projektion von Diapositiven, 66 die hier ›auseinandergezogen‹ ist und deren Verzerrung aus der nicht-planparallelen und nicht-horizontalen Ausrichtung von Beleuchtung, Bildträger und Montierung resultiert. Das gegeneinander verschobene Gefüge von Lichtquelle, Lichtbild und Projektionsf läche rückt die Kongruenz der zentralperspektivischen Organisation von Projektionsapparat, fotografischer Reproduktion und Präsentation in den Blick, indem es sie buchstäblich in eine Schräglage befördert. Auf diese Weise bringen die transparenten Porträts die Betrachter/innen physisch in Bewegung. Nehmen sie die gewohnte Stellung frontal zu der Wand ein, an der die Porträts angebracht sind – die Position also, die die übliche Präsentation des Tafelbildes im musealen Raum festlegt –, so bekommen sie zwei verzeichnete und sich partiell überblendende Bilder desselben Gesichts zu sehen.67 Zwar bleiben die Gesichter in der gedoppelten und quasi-anamorphischen Verzerrung als solche erkennbar, jedoch sind sie nicht ›richtig‹ zu sehen. Die Zentralperspektive als Paradigma eines objektiven Sehens geht historisch bekanntlich mit der neuzeitlichen Herausbildung des autonomen Subjekts einher, das sich als ungesehener ›Blickbesitzer‹ in der Distanz zum Zu-sehen-Gegebenen positioniert. Wie Erwin Panofsky
66
Für eine Analyse der Diaprojektion und ihrer Bedeutung für die Konstituierung der Disziplin Kunstgeschichte, vgl. Wenk (1999a); zur Geschichte der Bildprojektion, vgl. auch »Fotogeschichte« (74/1999). 67 Zur Konstruktion des Kunstwerks im musealen Raum als Gegenüber des Betrachters und Spiegel seines Begehrens, vgl. Preziosi (1996).
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Fotografie und ›Identität‹
(1964) für die Kunstgeschichte nachgewiesen und Jacques Lacan (1978) für das psychoanalytische Beziehungsmodell von Bild, Blick und Subjektkonstituierung gezeigt hat, produziert ein zentralperspektivisch ›gezwungenes‹ Sehen seine eigenen Ausschlussmechanismen; das Bild als ›Fenster zur Welt‹ ist eine Vorstellung, die ihre eigenen Voraussetzungen stillschweigend übergeht. Weder Analogon des Auges noch eine neutrale Technik der Darstellung, sondern – in Panofskys Worten – eine »kühne Abstraktion der Wirklichkeit« (1964: 101) und die visuelle Konstruktion eines »rationalen, unendlichen, stetigen und homogenen Raumes« (ebd.), prädeterminiert sie ein korrekt vorgestelltes Sehen, wobei sie ihre eigene Konstruiertheit leugnet und verdrängt. Und wie Lacan gezeigt hat, ist nicht der Betrachter das Zentrum, von dem aus das Dargestellte gesehen und ›visuell kontrolliert‹ wird, sondern die perspektivische Zentrierung des Dargestellten auf den Sehenden setzt diese/n allererst als ›Subjekt‹ ein und ermöglicht so dessen imaginäres Verkennen. Donald Preziosi hat das moderne Museum als Disziplinierungsinstitution bezeichnet, in deren Rahmen das Kunstwerk – oder allgemeiner: das Exponat – selbst zu einem »disciplinary object« (1996: 104) wird. Museale Inszenierung und fotografische Reproduktion machten, so Preziosi an anderer Stelle, das zentrale Archiv der Disziplin Kunstgeschichte aus, welches als »simulacrum of scientific demonstration« (1993: 222) funktioniere und in dem der aktuelle Einsatz von ›Evidenz‹ selbst die Wahrheit dessen konstruiere und naturalisiere, was jeweils intendiert sei. Denn die disziplinären Archive situierten ihre Betrachter in einer »anamorphic position« (ebd.), von der aus die unabschließbare Vielfalt des Archivierten immer nur von einer bestimmten, jeweils als richtig definierten Position erkannt und in eine Ordnung gebracht werden könne.68 Lacan führte die Anamorphose als Sonderfall der Zentralperspektive ein, mit deren Hilfe er das Bewusstsein in der Perspektive des Unbewussten zu situieren versuchte (vgl. 1978: 85). Sie dezentriert den Betrachter in räumlicher Relation zum Dargestellten und legt offen, wie das Zu-Sehen-Gegebene die Sehposition bestimmt. Dies geschieht – wie Lacan mit Hans Holbeins »Die Gesandten« (1533) exemplifizierte – wenn der Betrachter beim Verlassen des Ausstellungsraumes noch einmal über die Schulter schaut und in dem undefinierbaren »teils schwebende[n], teils abwärtsgeneigte[n] Objekt« (ebd.: 94), das sich im Vordergrund des Bildes befindet, plötzlich einen Totenschädel erblickt. Iversen hat Lacans Diskussion der Anamorphose in direkten Bezug zur Fotografie gesetzt,
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Für die Kunstgeschichte sind das nach Preziosi beispielsweise, die Künstlerbiografie, Periodisierung, Stilentwicklung oder die Entwicklung bestimmter thematischer oder semantischer Inhalte.
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Artikulationen von Evidenz
insofern hier »die Diskrepanz zwischen der eigenen Position als souveränem Subjekt des Sehens (studium) und als Objekt des Blicks (punctum)« (2002: 122) veranschaulicht werde. Im Unterschied zu den anamorphotischen Blickpositionen, von denen Lacan und Preziosi sprechen, gibt es bei Hatch keinen Ort, von dem aus entweder ein ›richtiges‹ Erblicken der Gesichter möglich wäre oder ein Erblicktwerden des Betrachter/der Betrachterin, sein/ihr Verortetsein durch das Gegenüber des Bildes offengelegt würde. Er/sie findet sich permanent ›falsch‹ verortet. Die Porträts verweigern die Zuweisung eines stabilen Blickpunktes und inszenieren in dem Moment, wo der Betrachter dennoch versucht, einen solchen einzunehmen – in der Paraphrasierung Lacans also wörtlich und aktiv ins Licht tritt (vgl. 1978: 113) und sich zum Angeschauten machen will – ihr Unsichtbar-Werden. In der Überkreuzung zweier Blickachsen – der der Betrachter/innen und der des Scheinwerferstrahls – wird das zentralperspektivisch organisierte Sehen als Konstituens einer mit sich selbst identisch imaginierbaren Subjektposition und als Signifikant von ›Objektivität‹ nicht einfach aufgelöst oder aufgehoben, sondern kontinuierlich in einer Weise de/platziert, in der es als (visuelle) Erinnerung gleichwohl bestehen bleiben kann. Hatch schlägt einen betrachtenden Blick vor, der schräg von der Seite kommt und in diesem Sinn strukturell durchaus der anamorphotischen Perspektive von Holbeins Totenschädel entspricht. Doch inszeniert Hatch diesen Blick, indem sie ihn, metaphorisch gesprochen, nicht an diesen Totenschädel – also ein identifizierbares Objekt – bindet; sie setzt bei der Spezifik des Mediums, beim Fotografischen, an. 69 Dave Lewis unternimmt konzeptuell eine ›fotografische Begehung‹ der Institution selbst. Mit Hilfe der jeweiligen Aufnahmetechniken und Bildmanipulationen visualisiert er intervenierende Blicke in die anthropologischen Museen, ihre Archive und museale Praktiken, die dann mit der Präsentation der Bildreihe im Ausstellungsraum reinszeniert werden. Hatch hat bei den Close-ups das plane Foto materiell aus der Zweidimensionalität herausgelöst. Bei Lewis geschieht ein solches ›Herauslösen‹ über den Täuschungseffekt des Kamera-Objektivs, der wiederum auf den fotografischen Apparat rekurriert. In der umkehrenden und/oder verzerrenden Übertreibung zentralperspektivischer Bild-Ordnung wird die ›normale‹ Distanz überschritten, die für das Gelingen eines autoritären,
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Silverman sieht das Gemälde auch als ein Modell dafür, wie es möglich sein kann, auf eine Art zu sehen, die nicht gänzlich im Voraus gegeben ist, sondern sich verändert, je nachdem, von welchem Standpunkt aus es betrachtet wird (Silverman 1996: 177). Der anamorphotisch verzerrte – aus zentralperspektivischer Sicht unidentifizierbare – Schädel könnte in diesem Sinn auch als ein ›störendes Detail‹ gelesen werden, das dazu auffordert oder Versuche befördert, genau diesem eine Bedeutung zu geben.
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Fotografie und ›Identität‹
fixen – und das heißt: seh-fähigen – Betrachterstandpunktes notwendig ist. Zugleich verbindet sich das optische Hervortreten der zweidimensionalen Bildf läche im Fall des Liegenden und des Wilden aber dennoch mit einer visuellen Grenzziehung, die das Bild gewissermaßen abschließt. Bei ersterem ist es die stilisierte Körperhaltung des Sich-nicht-Zeigens; bei letzterem wird dem ›zurückweichenden‹ betrachtenden Blick durch eine Senkrechte und Waagerechte der Registratur ein ›Halt‹ geboten; die beiden Achsen treffen in der Mitte des un/sichtbaren Körpers aufeinander und fixieren ihn, indem sie ihn gewissermaßen ins Fadenkreuz nehmen. Diese Grenzen sind optisch in den Betrachterraum gesetzt. Lewis’ Inszenierungen fixieren den Betrachter in einer ›falschen‹ Position; denn sie verschieben jene räumlichen Distanzverhältnisse, die als Effekte zentralperspektivischer Bildgebungsverfahren die Positionen vor dem und im Bild bestimmen, diese trennen und dadurch stabile SubjektObjekt-Verhältnisse herstellen. Auf besondere Weise geschieht dies in einer vierten Aufnahme der Reihe, wo Lewis mit der Inszenierung eines unheimlichen Blicks durch die Kamera das Fotografieren/Fotografiert-Werden selbst thematisiert. Hinter dem formatfüllenden Gitter der Mattscheibe70 sind die vom Bildrand angeschnittenen und äußerst schemenhaften Züge eines Gesichts auszumachen, welches den Rahmen geradezu zu sprengen scheint (Abb. 32). Die allzu große Nähe des Gesichts verunmöglicht jede Fokussierung, es kann nicht scharf gestellt, nicht ins Bild gesetzt werden. Statt dessen scheint aber ein aus verschatteten Augenhöhlen herausstarrender Blick die Betrachter/innen vor dem Bild zu fixieren. Der (sich ungesehen imaginierende) Betrachter sieht, dass er ›nichts‹ sieht, und sieht sich zugleich diffus von dem (unsichtbaren) Blick des (nicht) Zu-SehenGegebenen gesehen. Eine Abschließung des Bildes funktioniert hier nun durch das Raster, welches eine mit der Bildfläche planparallele Trennung des Betrachterraums zu dem, was zu sehen und doch nicht zu sehen ist, bezeichnet. Der Betrachter, der sich auf der ›anderen Seite‹ verortet findet, braucht angesichts des großen Bildformats einen gewissen Abstand, um sehen zu können, dass (eigentlich) ›nichts‹ zu sehen ist, womit auch die Vorstellung, direkt durch eine Kamera zu schauen, unterlaufen und die Positionen von Schauendem und Angeschautem verunklärt werden. Die Kamera-Mattscheibe ist eine apparatinterne Seh-Hilfe, die der ordentlichen Erfassung des zu fotografierenden Gegenstandes dient – der Orientierung des Fotografen-Blicks, dem Vermessen des Aufzunehmenden und dessen Positionierung im zukünftigen Bild. Hatte das Bild der Archiv-Registratur eher auf das Raster als metaphorische Figur des Ord-
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»The focusing screen of a monorail camera« (Email von Dave Lewis, 26.07.2001).
Artikulationen von Evidenz
nens und Klassifizierens verwiesen, dann wird es – zumal durch die paradoxale Verunklärung von Blicken und Sichtbarkeiten – in diesem Arrangement selbst zum Thema: als Visualisierung des medialen Blicks, als Technik der räumlichen Separierung, als Maßeinheit und als Wiederholung der Bildf läche. In medientechnischer Hinsicht und im Verbund mit der Entwicklung und Naturalisierung zentralperspektivisch konstruierter Bildräume folgt die fotografische Mattscheibe dem frühneuzeitlichen Albertinischen Fenster, dessen gerasterter Rahmen die proportionsgerechte Übertragung des dreidimensionalen Körpers auf eine zweidimensionale, ebenfalls gerasterte Oberf läche ermöglichen sollte. Der sich darüber konstituierende Blick aus räumlicher Distanz ist von der feministischen Kunstkritik insbesondere hinsichtlich seiner geschlechtsspezifischen Implikationen analysiert und als voyeuristisch identifiziert worden – »ein Blick, der selbst nicht gesehen werden will, weil er sich aus der Schaulust speist« (Hentschel 2001: 28). Albrecht Dürers Holzschnitt »Der Zeichner des liegenden Weibes« (1538, Abb. 33) gilt als paradigmatische Darstellung dieser visuellen Ökonomie, insofern der distanzierte Betrachter ›männlich‹ und die Position des Angeschautwerdens ›weiblich‹ besetzt sind (vgl. Schade/Wenk 1995: 383f.). Als Aufzeichnungshilfe verdeutlichte das Raster zudem, wie das Bild des Körpers nicht etwa eine Abbildung seiner Ganzheit ›nach der Natur‹ ist, sondern das Resultat vorausgegangener sezierender Prozesse (vgl. Schade 1987). Mit der späteren Unsichtbarmachung des Rasters im Bild verschwindet gleichsam die Konstruiertheit und es erscheint eine ›natürliche‹ Darstellung, die sich in der Fotografie dann mit der Technik der Selbstaufzeichnung verbindet.71 In der ethnografischen Fotografie wurde das Raster im konkreten Modell des Lamprey-Gitters zum Vermessungsinstrument bei der als proportionsgerecht vorausgesetzten Übertragung dreidimensionaler ›Objekte‹ auf die zweidimensionale Trägerfläche. Indem es optisch den Körper nun im Bild sezierte, erhielt es eine spezifische Form der Sichtbarkeit, die sich weniger auf die Bildproduktion, sondern auf die Rezeption richtete. In dem von John Lamprey 1869 vorgestellten Modell sollten im Abstand von jeweils zwei Inches senkrecht und waagerecht in einen
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Dieser Bezug wurde auch von Bernd Busch nahegelegt, insofern er in seiner historischen Herleitung der Bedeutung der Zentralperspektive für die Fotografie eine Abbildung von Dürers Holzschnitt verwendet – ohne dies allerdings im Text in irgendeiner Weise zu kommentieren (1997: 232). Dubois schrieb: »Das Fenster trifft man übrigens in der fotografischen Praxis überall an, in der sie in allen nur denkbaren Formen und in allen Stadien des Prozesses fortwährend die Geste des Quadratierens […] wiederholt: das Fenster in der Kamera, der Spiegel und der Sucher bei den Spiegelreflexkameras, das Fenster in den Vergrößerungsapparaten, der Kopierrahmen für das Papier, die Passepartouts, wenn die Bilder für eine Ausstellung gerahmt werden: nichts als Rechtecke und Quadrate, die sich endlos übereinander legen.« (1998: 208)
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Fotografie und ›Identität‹
Holzrahmen eingespannte Seidenfäden die Körpermaße der davor positionierten Person direkt am Foto ablesbar machen und damit – wie im ersten Kapitelteil bereits dargelegt wurde – auch den direkten Vergleich derart fotografierter Körper ermöglichen (Abb. 19). Wie Christopher Pinney, Lamprey zitierend, schreibt: »This provided a ›normalising‹ grid within which ›the anatomical structure of a good academy figure of six feet in height can be compared with a Malay of four feet eight in height‹ […].« (1992: 77) Das Raster, wie Pinney ausführt, machte die Transkription des Raums auf die Oberf läche des fotografischen Bildes explizit (ebd.). Und in dieser Transkription, so lässt sich fortführen, erlaubt das lampreysche Verfahren wiederum das gerasterte Blatt zu assoziieren, auf das Dürers Zeichner sein ›Objekt‹ fixiert hatte. In ihrer kritischen Auseinandersetzung mit der Kunst der Avantgarde und deren tradierter Rezeption in der Kunstgeschichte hat Rosalind Krauss das Raster als eine Figur der Wiederholung herausgearbeitet, die jedoch als absoluter Anfang, Nullpunkt oder Ursprung behauptet werde. Danach solle das Raster, so Krauss, den »originären, ursprünglichen Status der Bildf läche« offenbaren: »einen unanfechtbaren Nullpunkt, hinter dem es kein weiteres Modell, keinen weiteren Referenten oder Text gibt.« (2000: 209) Der Nullpunkt, der ›Grund‹, den das Raster vermeintlich enthüllt, ist nach Krauss jedoch »durch einen Prozeß der Wiederholung und Repräsentation bereits von innen gespalten; er ist immer schon ein geteilter und vervielfältigter« (ebd.: 210), insofern das Raster einerseits nach der Leinwand komme und sie verdoppele – das ›ursprüngliche‹ Objekt also durch Wiederholung verberge – und andererseits der »repräsentierende Text des Rasters« der Fläche auch vorausgehe, da vor ihr »all jene visuellen Texte [stehen, KB], durch die die begrenzte plane Fläche kollektiv als ein Bildfeld organisiert wurde.« (209) In der Art und Weise, wie Lewis das Raster – wieder – ins Bild setzt, werden dessen herkömmliche Effekte verschoben. Das zu fotografierende ›Objekt‹ in Lewis Inszenierung widersetzt sich der optischen Fixierung und Vermessung. Vielmehr ist hier über das diffus un/sichtbare ›Dahinter‹ genau das Raster in doppelter Hinsicht bezeichnet: als Technik der räumlichen Separierung, wie sie von Dürers Zeichner vorgeführt ist, und als Wiederholung der Bildfläche, auf der der Körper – das Gesicht – ›natürlich‹ erscheinen sollte. In dieser Funktion wird das Kamera-Gitter einerseits zum ›Schutz‹, indem es dem ›zu nahe gekommenen Anderen‹ eine Grenze setzt, und es ›behindert‹ andererseits den (betrachtenden) Blick (von beiden Seiten). Die Sichtbarmachung des Rasters als Grenze zwischen einem Hier und einem Dort geht mit der Überschreitung dieser Grenze einher, die durch die Verschiebung der Distanzen auf beiden Seiten evoziert wird – durch Unschärfe, Close-up, Formatwahl und in der Unheimlichkeit des leeren Blicks des Anderen.
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Artikulationen von Evidenz
Die Projekte von Hatch und Lewis intervenieren in eine zentralperspektivische Strukturierung des fotografischen Bildes und des Ausstellungsraumes, indem sie die Betrachterpositionen festlegen und beweglich halten. Sie de/platzieren den sich ungesehen glaubenden Blick aus räumlicher Distanz, indem sie den Betrachter/innen zwar eine (tradierte) Blickposition anbieten; gleichzeitig schicken sie sie jedoch auf die Suche nach der ›richtigen Perspektive‹ auf das Zu-sehen-Gegebene oder nach der ›richtigen Distanz‹ dazu, die als immer vorläufig und niemals endgültig erreichbar oder einnehmbar ausgespielt wird. Mit ihren Verunsicherungen der Bild- und Blickorganisation, mit der Dynamisierung der Betrachterposition, dem simultanen Zu-Sehen-Geben und Entziehen – dem Un/Sichtbar-Machen – inszenieren Hatch und Lewis jeweils, wie eine auf das ›Objekt‹ gerichtete fotografische Evidenzartikulation und eine, die sich auf die Zeit bezieht, ineinandergreifen, ohne dass die eine in der Rezeption hinfällig, unbedeutend oder durch die andere ersetzbar würde. Hatch und Lewis führen ein Dokumentarisches der Fotografie vor, das mit der Anlehnung an ›dokumentarische Formen‹ in der Weise auf eine Logik des Index abhebt, dass Raum-Zeit-Strukturen auf der Ebene des Rezeptionsprozesses sichtbar verstört werden. Und das – so soll der letzte Punkt dieser Lektüre zeigen – geschieht wiederum auch darüber, dass die Codierung der Fotografie als Zeit-Bild, als ein Bild stillgestellter/ fixierter Zeit, in unterschiedlicher Weise zum Tragen kommt.
Die Evidenz des Fotografischen: Augenblicke des Verzeitlichens »Im allerhöchsten Grade unheimlich erscheint vielen Menschen, was mit dem Tod, mit Leichen und mit der Wiederkehr der Toten, mit Geistern und Gespenstern, zusammenhängt«, schrieb Freud (2000c: 264). Das vermittelte Wissen, dass die Personen, deren Fotos Connie Hatch verwendet, ›verschwunden‹ – also tot oder vermisst – sind, macht aus der inszenatorischen Musealisierung der Personenbilder – der ›Registrierkarten‹ und ›Porträts‹ – gleichsam die Repräsentation eines memento mori.72 Die Erinnerungsfunktion schließt an den Entwurf fotografischer Evidenz hinsichtlich der Dimension der Zeit an, daran, dass, mit Barthes, »das photographische Bild eine bestätigende Kraft besitzt und daß die Zeugenschaft der PHOTOGRAPHIE sich nicht auf das Objekt, sondern auf die Zeit bezieht.« (1989: 99) In der Fotografie lasse sich »nicht leugnen, daß die Sache dagewesen ist« (ebd.: 86); der Sinngehalt der Fotografie,
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Nach Susan Sontag ist jede Fotografie »eine Art memento mori« (1993: 21).
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Fotografie und ›Identität‹
ihr Noema, artikuliere sich im Bezug auf ein Vergangenes – das »›Es-ist-so-gewesen‹ oder auch: das UNVERÄNDERLICHE« (87). Als indexikalisches Zeichen bestätigt das Foto ein Da-gewesen-Sein der Person und antizipiert, als ein Bild erstarrter Gegenwart, was sich in einer Zukunft, die im Moment der Betrachtung ebenfalls vergangen ist, wiederholt haben wird. Wenn Fotografieren bedeutet, wie Susan Sontag (1993: 72) schrieb, Sterblichkeit zu inventarisieren, dann erlauben Hatchs Arrangements – um noch einmal mit Sontag zu sprechen – jene »stereotypen, verglasten Fotografien« zu assoziieren, »die in den Friedhöfen romanischer Länder an den Grabsteinen befestigt sind« und in denen »der einsame Spaziergänger glaubt, […] Vorzeichen des Todes dieser Menschen zu erkennen.« (Ebd.) Der Tod gilt als Metapher und Sonderfall dessen, was diese Bedingung der Fotografie ist: die Absenz des Referenten, dessen ›Anwesenheit‹ seine indexikalische Repräsentation verspricht, nur, um das Gelingen dieser Bewegung wiederholt zu (ent)täuschen. Denn, so schrieb Jacques Derrida, der Referent ist »offensichtlich abwesend, suspendierbar, in dem vergangenen, einzigartigen Mal seines Erscheinens verschwunden, aber die Referenz dieses Referenten […] impliziert ebenso irreduzibel das Gewesensein eines einzigartigen und invariablen Referenten. Sie impliziert diese ›Wiederkehr des Toten‹ genau in der Struktur ihres Bildes.« (1986: 20) ›Referent‹ meint hier also keineswegs einen ›Ursprung‹ des Bildes, auf den dieses zurückführbar wäre – ein prä-existentes Ontisches –, sondern das nachträglich Konstruierte, dessen ›Wiederfinden‹ sich immer schon als eine Verfehlung, eine Bewegung des Differierens – man könnte auch sagen: der différance –, konstituiert. Derrida betont, dass das »Haftvermögen des ›fotografischen Referenten‹, auf dem er [Barthes, KB] zu Recht besteht, […] sich nicht auf eine Anwesenheit und nicht auf ein Reales [bezieht], sondern in anderer Weise auf den Anderen, und jedesmal je nach dem Typ von ›Bild‹ auf verschiedene Weise.« (Ebd.: 17) Die briefings in Connie Hatchs Installationen produzieren innerhalb dieses Settings eine ›Gratwanderung‹, die sich zwischen den beiden dominanten fotografischen Bedeutungsfeldern bewegt. Als archivalische Auszüge werden die Tafeln im Ausstellungsraum zur Repräsentation einer dokumentarischen und quasi-kriminalistischen Spurensicherung – die hier ihre Konstruiertheit zu erkennen gibt. Als ›Gedenktafeln‹ inszenieren sie eine Vergegenwärtigung von Toten, die die fotografische Zeitlichkeit des Speicherns und Verstellens von Erinnerungsbildern zu Tage trägt. Bereits Bertillon hatte den Faktor der Erinnerung für grundsätzlich ungeeignet hinsichtlich der Identifizierung von Personen anhand fotografischer Bilder gehalten und mit der fotografischen Entstellung begründet, also der Kluft zwischen dem eigenen Erinnerungsbild und
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Artikulationen von Evidenz
dem Bild, das die Fotografie zu sehen gibt.73 Sogar »ein sehr ähnliches Porträt«, so schrieb Bertillon – allerdings das fotografische Bild und nicht das Erinnerungsbild als Maßstab nehmend –, werde »von den darum befragten Personen nicht wiedererkannt […], trotzdem sie das Original gesehen haben. Der Grund liegt darin, dass das Bild, welches der Zeuge in Erinnerung hat, mit der ihm vorgewiesenen Photographie nicht übereinstimmt.« (1895: 39) Doch können wir Betrachter/innen natürlich gar keine Erinnerung an die Personen haben, die auf Hatchs ›Registrierkarten‹ archiviert sind – wir sind ihnen (so ist zu vermuten) niemals begegnet. Die Gesichter bleiben eigenartig anonym; sie funktionieren auch nicht im Register des Familienalbums, wo sie zum Zeichen für (familiär organisierte) ›Vergangenheit‹ und ›Erinnerung‹ werden könnten. Selbst der sogenannte Zeitstil – ein Aspekt des studiums – ist in den Porträtausschnitten nahezu ausgeblendet; auf dieser Ebene sind sie ›zeitlos‹. Indem die Textinformationen einerseits das Foto als mediales Produkt hervorheben und andererseits als ein Versuch lesbar werden, die ›Leerstelle‹ der Erinnerung zu kompensieren, legen sie diese erst offen und werden zu Zeichen/Bezeichnungen dieses ›Fehlenden‹. Als Vergegenwärtigung von Toten, an die wir eine Erinnerung verloren haben, die wir niemals hatten, machen die briefings die Paradoxie fotografischer Zeitlichkeit selbst zum Thema – in der Struktur des Archivs. Der Moment der fotografischen Aufnahme ist selbst als ›Tod‹ charakterisiert worden, insofern er den Schnitt durch ein Zeit-Raum-Kontinuum markiert, welcher den Referenten in seiner singulären Gegenwart still stellt und seine Augenblicklichkeit in einen Zustand der ›Dauer‹ überführt. Barthes selbst beschrieb das Fotografiertwerden als »[…] das Ereignis des Todes (der Ausklammerung) [im kleinen]; ich werde wirklich zum Gespenst« (1989: 22). Wie Christian Metz verdeutlicht, indem er die Ebene des medialen Prozesses betonte: »Even when the person photographed is still living, that moment when she or he was has forever vanished. Strictly speaking, the person who has been photographed – not the total person, who is an effect of time – is dead: ›dead for having been seen,‹ as Dubois says in another context.«74 Der zweite Installationsteil re-inszeniert das Verschwinden der Person als solch ein ›dead for having been seen‹ in der Verschiebung der Referenz. Das Foto als ›Zeit-Bild‹ ist hier vor
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Schade 1996: 68; zum Begriff der Entstellung, vgl. Freud (2000b: 375f.). Metz (1990: 158). Vgl. auch die deutsche Übersetzung (Metz 2003: 219): »Selbst wenn der fotografierte Mensch noch am Leben ist, so ist doch der Augenblick, in dem er fotografiert wurde, nimmer wiederkehrend verschwunden. Um genau zu sein: die ›Person, die fotografiert wurde‹ – nicht die Gesamtperson, die eine Konstruktion ist, – ist gestorben, gestorben, weil sie gesehen wurde, einer drastischen Formulierung Dubois’ zufolge.« Die englische Übersetzung hebt den Bezug zur Zeit stärker hervor, der im deutschen Wortlaut »die Gesamtperson, die eine Konstruktion ist« nicht deutlich wird.
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allem in der Prozessualität des Betrachtens bezeichnet; Schatten und Spiegel sind nach Dubois (1998: 113) die beiden Modelle, die der Logik des Index entsprechen. Wenn Hatchs Fotografien der Gesichter also als Spuren eines ›Da-gewesen-Seins‹ lesbar sind, die die Personen ›anwesend‹ machen und zugleich auf deren Abwesenheit verweisen, so wird eine indexikalische Beziehung zwischen Zeichen und »Referent« (Barthes) mithin auf der Ebene des Mediums bzw. des medialen Bildes selbst thematisiert. Die Schatten an der Wand werden zu sichtbaren Spuren der fotografischen Porträts, welche jedoch nunmehr ein ›Da-Sein‹ bezeichnen. Denn diese Spuren – und das unterscheidet sie sowohl von der Fotografie als auch von der Schattenzeichnung 75 – sind nicht fixiert, weswegen sie wiederum auf ›ihren Referenten‹ – das Porträt – angewiesen bleiben. Dessen Zeit und Ort bestimmen Zeit und Ort des Index; oder wie Dubois formulierte: Der Schatten ist insofern eine Art reiner Index als »seine Zeit […] die des Referenten [ist]« (1998: 119). In dem reihenweisen Lesen der Tafeln und dem Abwandern der Porträts ergibt sich einerseits eine endlose Erzählung von Variationen des Immergleichen; andererseits sind die Betrachter/innen mit jeder einzelnen immer schon an ein Ende gelangt, welches umgekehrt wiederum genau der Effekt eben der seriellen Präsentation ist. In diesem Prozess der Einschreibung in das Gedächtnis des Betrachters verschwinden die ›Personen‹ als Einzelne augenblicklich wieder aus demselben und bleiben in einem Oszillieren von sichtbar und unsichtbar präsent. Die fotografische Ambivalenz von Anwesenheit und Abwesenheit des ›Objekts‹ wird in der Beziehung zwischen transparentem Porträt und (seinem) Schatten in ein Verhältnis der Gleichzeitigkeit und der Zeitlichkeit – Simultaneität und Temporalität – transformiert. In dem Projekt von Dave Lewis sind Objekt-Evidenz und Zeit-Evidenz der Fotografie zum einen hinsichtlich der Frage nach einer Aneignung ineinander verschaltet; zum anderen wird auch hier das Verhältnis dieser beiden Evidenz-Artikulationen auf der Ebene der Betrachtung ausagiert. Die Zutrittsverweigerung, die das Huxley-Archiv am Imperial College dem Künstler gegenüber aussprach (vgl. Lewis 1996: 13), verdeutlicht einen ganz spezifischen Interventionscharakter des Projekts darin, dass sich hier ein Feld widerstreitender Interessen eröffnet, die sich auf die Frage eines ›Rechts am Bild‹ zuspitzen lassen, welche unmittelbar mit einem polyvalenten Status der Fotografie als Dokument verknüpft ist. Die anthropologisch-ethnografischen Fotografien waren historisch wegen ihrer vermeintlichen Evidenzkraft hinsichtlich des abgebildeten ›Objekts‹ von wissenschaftlicher Relevanz und hatten einen Zeit-Wert auch darin,
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Zur Indexikalität der Schattenzeichnung, vgl. Dubois (1998: 119–121).
Artikulationen von Evidenz
dass sie als Zeugnisse vermeintlich untergehender, im Verschwinden begriffener Kulturen und Völker angesehen wurden. Ihr aktueller, musealer Wert besteht vor allem in der Historizität der Bilder selbst – und in der (phantasmatischen) Vollständigkeit der Sammlung. Mit ihrer Archivierung und Musealisierung sind anthropologischethnografische Fotografien gleichermaßen zu Zeugnissen einer Wissenschaftsgeschichte geworden, die ihrerseits wiederum von einer nationalen Geschichte nicht zu trennen ist.76 Gegen eine Vereinnahmung der Bilder-Sammlungen als wissenschaftliche/wissenschaftshistorische Dokumente und nationales Besitztum formulierte Lewis eine Position, die die historischen Bilder in ihren Entstehungszusammenhängen als Dokumente einer schwarzen Geschichte und mithin in einer identitätsstiftenden Erinnerungsfunktion für ›die Anderen‹ reklamiert: »[…] because I do see a connection between myself and my ancestry, which I’ve seen in the archives. I see a very strong connection, it’s not like a tenuous link… I have been looking at individuals who are directly related to me.« (1996: 12) Diese Art der Reklamation wäre zumindest insofern problematisch, als sie den imperialen, kolonialen und rassistischen Entstehungsund Rezeptionskontext ungebrochen zu dessen Bedingungen mit übernimmt. Martha Rosler kommentierte solch ›archivierende‹ dokumentar fotografische Praktiken vor allem mit Blick auf Edward Sheriff Curtis’ Fotografien der Native Americans mit den (eigentlich) nur ironisch zu verstehenden Worten: »We can even thank them [all the photographers, all the filmmakers, as well as all the ethnographers, ancillas to imperialism; KB], as many of the presentday descendants of the photographed people do, for considering their ancestors worthy of photographic attention and thus creating a historical record (the only visual one).«77 Doch geht Lewis gerade die ›Wissenschaftlichkeit‹ der Bilder an, indem in den optischen und farblichen Verzerrungen deren phantasmatische Dimension unheimlich ver-sicht-bart wird. In Lewis’ Bildreihe findet sich das Aneignungsbegehren in eine Verunsicherung tradierter Blick-Ökonomien übersetzt, indem das Rationalistische der Zentralperspektive mit dem Phantasmatischen/Unheimlichen konfrontiert wird, das aus den Bildmanipulationen resultiert. Er inszeniert eine paradoxe Verzeitlichung der Betrachtung durch die Stillstellung des Betrachters, dessen Schauen gerade dadurch in Bewegung bleibt.
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Das betrifft allerdings auch andere/alle Artefakte (vgl. u.a. Clifford 1999). Rosler (1989: 311). Rosler beschreibt die (dokumentar-)fotografischen, archivierenden Praktiken von Curtis und seinen Zeitgenossen in ihrer mehrfachen Ambivalenz zwischen der Kollaboration mit dominanten Machtstrukturen und der Bewahrung historischer Zeugnisse für die Nachfahren der Fotografierten, zwischen deren Idealisierung als romantisierendem Exotismus und positiv gewendetem Identifikationsangebot.
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Fotografie und ›Identität‹
Die Foto-Kamera, wie Kaja Silverman, die fotografischen ApparatusTheorien resümierend, bemerkte, trete vor allem durch die Zentralperspektive, die sie von früheren piktorialen Codes übernommen hat, als eine Erweiterung menschlichen Sehens auf, welche den Betrachter gleichwohl (s)einer visuellen Autorität versichert. Zugleich aber setze die Aufrechterhaltung einer referentiellen Illusion – also die Zuschreibung an das fotografische Bild, eine wahrheitsgetreue und objektive Darstellung zu sein – genau auch die Trennung von ›Kamera-Auge‹ und menschlichem Auge voraus (1996: 129f.). Auch dieses Paradox bringen die Projekte von Connie Hatch und Dave Lewis durcheinander. Sie ›ent-rationalisieren‹ die zentralperspektivische Ordnung, indem sie die Trennung von KameraAuge und Betrachter-Auge in unübersehbarer Weise übertreiben, auf diese Weise ein ›Mehr‹ zu sehen geben, und sie setzen einen punctumEffekt in Szene, indem sie den betrachtenden Blick zentralperspektivisch ›ent-autorisieren‹.
Evidenzen: Das fotografische Paradox als medialer Spielraum In diesem Kapitel wurde versucht zu zeigen, dass und wie sich mit den beiden Evidenzartikulationen, die den fotografischen Diskurs bestimmen, – der auf das ›Objekt‹ bezogenen und der auf die ›Zeit‹ bezogenen – ein Raum konstituiert, durch den hindurch ein ent/fixierter Bild-Status des Anderen fotografisch formulierbar werden kann. Mit den Relektüren fototheoretischer bzw. -historischer Positionen und der Lektüre der fotokünstlerischen Arbeiten von Connie Hatch, Dave Lewis und auch Carrie Mae Weems vollzog sich eine analytische Bewegung, die Indexikalität nicht (mehr) innerhalb der tradierten diskursiven Dichotomie von fotografischem Wahrheits- oder Authentizitätsversprechen einerseits und dessen Verfehlen oder Scheitern – also als etwas letztlich Defizitäres – andererseits verortet. Vielmehr bildet sich hier eine Perspektive heraus, die das Paradoxale, das Doppelte und Ambivalente der Fotografie, das aus dem gespaltenen Index resultiert, als ein produktives Moment annimmt und weitertreibt. Hinsichtlich der Frage eines Ent/Fixierens fotografischer Identitäts- und Differenzkonstruktionen liegt dieses Moment im Changieren zwischen dem fotografischen Sichtbarmachen und einem Sichtbarwerden des Fotografischen. Fotografie wird damit als ein komplexes Dazwischen verhandelbar – allerdings eben nicht im Sinne einer Positionierung zwischen vorausgesetzten Kategorien wie ›wahr‹ und ›falsch‹, Ästhetik und Wissenschaft, Kunst und Politik. Denn es meint ein dekonstruktiv gewendetes und produktiv umgewertetes Dazwischen, das ich einen medialen Spielraum nennen möchte. Dieser Spielraum ist ein Raum
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Artikulationen von Evidenz
strategischen Überschreitens, ein supplementärer Raum, aus dem heraus sich solche (und andere) Kategorien als diskursive Fixierungen formieren – einerseits. Andererseits können daraus aber immer auch andere/neue Positionen und Bedeutungen hervorgehen.78 Victor Burgin merkte hinsichtlich des Betrachtens von Fotografien an, dass »[m]ore than any other textual system, the photograph presents itself as ›an offer you can’t refuse‹. The characteristics of the photographic apparatus position the subject in such a way that the object photographed serves to conceal the textuality of the photograph itself – substituting passive receptivity for active (critical) reading.« (1992a: 146) Und Abigail Solomon-Godeau beschrieb – von der anderen Seite her – das Dokumentarische als ein Sprechen, das sich in dreifacher Hinsicht gegen die ideologische Operation eines Für-sich-Sprechens des fotografischen Bildes wendet: erstens »als etwas Kontingentes und historisch Relatives […], so daß es sich als etwas innerhalb eines bestimmten historischen Bezugsrahmens Gesprochenes betrachten läßt«; zweitens mit dem Hinweis, »daß einzelne dokumentarische Projekte, die selbst Produkte ganz bestimmter historischer Umstände und Milieus sind, gleichermaßen von offenen wie von versteckten, von persönlichen wie von institutionellen Programmen sprechen, die sich in ihre Inhalte einschreiben und […] unsere Lektüre von ihnen vermitteln«; und »drittens spricht die Dokumentarfotografie, wie auch jede andere Fotografie, innerhalb der Sprache und der Kultur. Ihre Bedeutungen werden im Rahmen dieser Repräsentationssysteme, die a priori ihre Sujets und unseren Bezug zu diesen auf eine bestimmte Art kennzeichnen, sowohl hervorgebracht als auch gesichert.« (2003: 72) Das Indexikalische, so kann und muss man dem nun hinzufügen, figuriert in genau diesem Zusammenhang immer als das, was nichts ›sagt‹, aber dennoch ›spricht‹. Und in diesem Mit-Sprechen kann es eben Sicherheiten irritieren, die Regeln stören, die Zeichen destabilisieren, die Verhältnisse umkehren und die Bedingungen des Sehens verändern – und zwar gerade auch deswegen, weil es nicht unbedingt auf die Analyse ›wartet‹. Insofern müsste die Frage nach dem Verhältnis von Fotografie – oder genauer: von Indexikalischem – und Sichtbarkeit bzw. einer politischen Sichtbarkeit selbst modifiziert werden: nicht, wie das Indexikalische der Fotografie für eine Sichtbarkeitspolitik nutzbar gemacht werden kann, sondern, welche Sichtbarkeiten (und welche Politik) durch das Indexikalische ermöglicht werden. Das bedeutet für Interventionen in ein Bildgedächtnis, dass Formationen der Entstellung als fotografische Bedingung signifikant werden (können/müssen) und damit nicht das fotografische
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Diese Definition kommt dem postkolonialen Konzept des Third Space, wie es Homi K. Bhabha entworfen hat, recht nahe; dazu mehr in Kap. 4.
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Fotografie und ›Identität‹
Bild, sondern die darauf gerichtete Erwartung zum Problem gemacht ist. Einfacher gesagt: Der mediale Spielraum, der sich mit der doppelten fotografischen Evidenzartikulation konstituiert, ist ein Raum, der das aktive kritische Lesen, von dem Burgin oben sprach, immer auch an seine Grenzen treibt. Wie vor allem die fotokünstlerischen Arbeiten von Connie Hatch und Dave Lewis nahelegen, wird hier ein Prozess des Immer-wieder-zumZeichen-Werdens inszeniert, den Peirce umfassend als Semiose beschrieben hat. Sie zeigen, wie die Spurenlegung in die Körper über die zentralperspektivische Bild/Raum-Organisation erfolgt, und zugleich, wie das Konzept der fotografischen Spur (des Index) nicht nur im kontingenten Verweis auf eine Vergangenheit wirksam ist, sondern gleichermaßen auf eine Zukunft hin; das heißt, in der Wirkung von Fotografien in Bezug auf die Betrachter: »their structure of address.«79
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Bal/Bryson (1991: 191). Bal/Bryson formulieren dies in Bezug auf Derridas Konzept der ›Spur‹ im Kontext ihrer Darlegung des Nutzens der Semiologie für die Kunstgeschichte. »[…] Derrida emphasises the constant interaction between the reader or viewer who tries, but in vain, to fix meaning and point down the act as a one-time, predictable performance« (ebd.).
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3. Figurationen des Rahmens in fotografischen Thematisierungen ›schwarzer Weiblichkeit‹: ein Grenz-Diskurs Die Auseinandersetzung mit Körperbildern ist nach wie vor ein zentrales Feld kulturwissenschaftlicher Geschlechterforschung und feministischer Kunst- und Bildwissenschaft. Die Analysen kreisen vielfach um die Frage, wie der Körper des Anderen, wie das Bild des ›anderen Körpers‹, innerhalb dominanter Repräsentationsregime systematisch als Container, als Verkörperung von ›etwas anderem‹, als Zeichen für ›etwas anderes‹ und als Schauplatz eines Wettkampfes zwischen verschiedenen Arten von Wissen eingesetzt wird. Dieser andere Körper ist immer auch geschlechtlich und kulturell-ethnisch-›rassisch‹ codiert. Innerhalb patriarchaler, bürgerlicher und westlich-weißer Dominanzstrukturen ist er vor allem ›weiblich‹ und/oder ›schwarz‹ bestimmt; er ist bisher vor allem in Konzepten wie dem der Frau als to-be-looked-at-ness, der Frau als Bild, der Weiblichkeit der Allegorie oder in/als Formationen von Feminisierung theoretisiert worden.1 Das vorangegangene Kapitel hat die Fotografie als einen medialen Spielraum des strategischen Überschreitens entworfen, der nicht defizitär, sondern produktiv signifiziert ist, und gezeigt, wie ein ent/fixierter Bild-Status des Anderen durch diesen Raum hindurch fotografisch formulierbar sein kann. Dieses Kapitel bewegt sich nun an die materiellen,
1
Zum Bild der Frau als to-be-looked-at-ness, vgl. Mulvey (1975); zum Status der Frau-als-Bild, vgl. zusammenfassend Eiblmayr (1993); zur Weiblichkeit der Allegorie, vgl. grundlegend Wenk (1996). Die Kategorie des Ethnischen blieb in diesen Konzepten unthematisiert.
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Fotografie und ›Identität‹
medialen und metaphorischen Ränder des fotografischen Bildes. Es situiert die Frage nach einem ent/fixierten Bild-Status ›anderer‹ – und hier vor allem ›schwarz‹ und ›weiblich‹ identifizierter – Subjekte in einer bildtheoretischen Perspektive, welche bei Konzeptionen des (Körper-)Bildes als Effekt von Grenzziehungen ansetzt und deren ent/fixierende Produktivität auslotet.
Das Bild des Weiblichen als Grenzkörper, Derridas Parergon und das Foto als Schnitt In seiner zum Klassiker avancierten Studie über die Aktkunst, die vor allem im englischsprachigen Raum Gegenstand dezidierter feministischer Kritik gewesen ist, definierte Kenneth Clark (1964) den Akt als Transformation des nackten – und das heißt: eines vermeintlich natürlich gegebenen, vordiskursiven und vorzugsweise weiblichen – Körpers in eine idealisierte Form, durch die dieser zu Kunst werde. Das, was Clark »the body re-formed« (ebd.: 1) nannte und Lynda Nead ironisch als »the body ›clothed‹ in art« (1992: 14) reformulierte, bedeutet die Rahmung des Körpers in der klaren Behauptung und Fixierung seiner Grenzen, die strikte Trennung von Innen und Außen in der Versiegelung seiner Oberfläche: »The female body has become art by containing and controlling the limits of the form – precisely by framing it. And by giving a frame to the female body, the female nude symbolizes the transforming effects of art generally. It is complete; it is its own picture, with inside, outside and frame. The female nude encapsulates art’s transformation of unformed matter into integral form.« (Ebd.: 19)
Der weibliche Akt bezeichnet nicht nur den In-Begriff von Kunst, sondern gleichermaßen deren äußere Grenze, welche ihn von der Nicht-Kunst, dem Feld des Obszönen und Pornografischen, trennt (vgl. ebd.: 5–22). Er ist, wie Linda Hentschel gezeigt hat, »nicht irgendein künstlerisches oder pornographisches Motiv, sondern der paradigmatische Ort, der die Abgrenzungsdiskurse zwischen Kunst und Pornographie verkörpert.« 2 Insofern ist der weibliche Akt immer auch ein Grenz-Körper, eine GrenzFigur, die zu sehen gibt und dem Blick entzieht, die ausspricht und verschweigt, über die hinweg sich Dichotomien polarisieren, durch die
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Hentschel (2001: 53). In ihrer Darlegung von Kunst und Pornografie als nicht einander ausschließende, sondern ineinandergreifende Formen der Rhetorik analysierte Hentschel in der Kritik und im Anschluss an Nead und Wenk, dass ein normativer und normierender Diskurs über Kunst, diese als eine sexuelle Perversion im foucaultschen Sinne aktiv produziert (ebd.: 51–60).
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Figurationen des Rahmens
Oppositionen formiert werden. Der weibliche Akt fungiert als ordentliche Projektionsf läche und Abgrenzungsfigur, als Anschauungsobjekt eines sublimierten (männlich-heterosexuell konnotierten) Begehrens, als ein Rahmen, der einfasst, der in Form bringt und in Schach hält (»containing and controlling«) – und dabei vergessen macht, dass er selbst bereits gerahmt ist durch die Diskurse und Praktiken, die ihn allererst herstellen und formieren. In diesem Sinn wollte Marcia Pointon den Akt als eine Form des Rhetorischen verstanden wissen und nicht einfach als eine durch normative Parameter bestimmte Kategorie: »It is a way the body functions in the grammar of representation, invoking ideologies of the body and its economy, that is significant rather than its erotic power as estimated by any particular viewer, or its pose, or the extent of its covering.« (1990: 14, Herv. KB) Die Kritiken an der tradierten Definition des (weiblichen) Aktes, die mit Clark exemplifiziert ist, haben herausgearbeitet, wie sich das Gewaltsame, das dieser (kunsthistorischen, künstlerischen, philosophischen) Formung inhärent ist, nicht nur auf eine Übersetzung des (weiblichen) Körpers in ein (Ideal-)Bild – die Rahmung des Körpers, die Rahmung des Bildes – bezieht; es ist auch bereits für den Denk- und Aktionsrahmen selbst, wie ihn etwa der traditionelle kunsthistorische Kanon stellt, strukturierend. Doch spricht dessen normativer Impetus unterschwellig zugleich auch von der Fragilität solcher kanonischer Zuordnungen, die sein bestimmendes Sprechen wiederum verdecken muss. In ihrer Untersuchung der feministischen Body Art seit den 1960er Jahren hat Amelia Jones (1996) diesbezüglich das Paradox aufgezeigt, dass der weibliche Körper für die behauptete Kohärenz des (männlichen) Subjekts eine zentrale Bedrohung darstellt, weil er ›Begehren‹ bezeichnet, aber ausgerechnet der weibliche Akt ein zentraler Topos modernistischer Praktiken geworden ist. Sie argumentierte, dass die feministische Body Art auf Grund der Unmöglichkeit, das darin zutage tretende Spiel mit Begehren und Begehrensstrukturen in den kunsthistorischen Rahmen zu zwängen – »the unframeability of desire« (ebd.: 223) –, aus der Geschichte der zeitgenössischen Kunst ›aus-gerahmt‹ werden musste. Denn durch die Inklusion des Körpers, des Künstlerinnen-Körpers in das Kunstwerk selbst, würden korporealisierte und sexualisierte Praktiken der Körperdarstellung zutiefst lustvolle und lustbringende Effekte evozieren, die gewissermaßen zu stark und zu offensichtlich seien, als dass sie verdrängt oder verleugnet werden könnten, dass man sie ›übersehen‹ könnte. Die Arbeit der Kunstgeschichte besteht nach Jones insofern vor allem darin, ein Set von Praktiken zu rahmen, das sich über eine Unterdrückung und Verleugnung von Begehren legitimiert, um auf diese Weise seine Autorität aufrecht zu erhalten (224). Andere feministische kunstwissenschaftliche Forschungen haben gezeigt, wie Grenzen – und hier vor allem die
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zwischen Kunst und Pornografie, ›öffentlich‹ und ›privat‹ – historisch als geschlechtlich bestimmte und strukturell gewaltförmige Bild-BlickVerhältnisse immer wieder neu fixiert worden sind und wie das auch mit dem Aufkommen jeweils neuer Medien korrespondiert.3 Und weil angesichts der vielfältigen Versuche gerade zeitgenössischer Künstlerinnen, den Status der Frau als Bild zu durchkreuzen, die Frage notwendig offen bleibt, »inwiefern sie damit ›aus dem Rahmen‹ tretend die Positionierungen des Blicks, des Körpers und die traditionellen Geschlechterzuweisungen als Effekte der Setzungen unserer Kultur haben subvertieren können« (Schade/Wenk 2005: 154), interessiert mich im Folgenden vor allem dieser Rahmen. Jacques Derrida (1992) hat an der Figur des Parergon gezeigt, wie das, was als außen oder nebensächlich gesetzt ist, immer schon das bestimmt, was ›das Innere‹, ›das Wesentliche‹, die Hauptsache sein soll. Damit argumentierte er gegen Kants Definition des Parergon als Zierrat, Beiwerk oder Zutat, also etwas, das einem Gegenstand oder dessen Vorstellung eben nicht innerlich ist und wozu Kant u.a. »Einfassungen der Gemälde, oder Gewänder an Statuen, oder Säulengänge um Prachtgebäude« (zit. n. ebd.: 73) gezählt hatte. Derrida zeigte hingegen das wechselseitige Konstituierungsverhältnis zwischen ›Zentrum‹ und ›Rand‹ auf, das er am ausführlichsten am Beispiel des Rahmens bzw. an dessen parergonaler Funktion diskutierte. Der Rahmen ist nach Derrida ein machtvoller Ort der Grenzziehung und Differenzproduktion, der einerseits als unbenannte und unsichtbare Voraussetzung den gesamten abendländischen philosophischen Diskurs über Kunst und Bedeutung organisiert hat und der andererseits die Trennung zwischen ›Eigentlichem‹ und Umgebenden, ›Wertem‹ und ›Unwertem‹, Innerem und Äußerem, Kunstwerk und Museumswand fortwährend verunsichert (ebd.: 65). »Weder Werk (ergon) noch Beiwerk (hors d’œuvre), weder innen noch außen, weder unten noch oben, bringt es [das Parergon; KB] alle Gegensätze aus der Fassung, ohne doch unbestimmt zu bleiben, und schafft Raum für das Werk. Es ist nicht mehr allein um das Werk herum angesiedelt. Das, was es aufstellt – die Instanzen des Rahmens, des Titels, der Signatur, der Bildunterschrift (Bildbeschriftung), und so weiter – hört nicht mehr auf, die interne Ordnung des Diskurses über die Malerei, ihre Werke, ihren Handel, ihre Aufwertungen, ihren Mehrwert, ihre Spekulation, ihr Recht und ihre Hierarchien durcheinanderzubringen.« (25)
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Vgl. zusammenfassend Schade/Wenk (2005); in historischer Perspektive, vgl. Hentschel (2001); auch Zimmermann (2001); vgl. Adorf (2008) für das Medium Video. Zu Rhetoriken des Rahmens in Kunst und Kunstgeschichte, vgl. Duro (1996).
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Dieser Rahmen, so Derrida an anderer Stelle, ist »im wesentlichen zusammengesetzt und deshalb zerbrechlich«, wobei »das, was den Rahmen hervorgebracht und behandelt hat, alles daran [setzt], die Rahmenwirkung zum Verschwinden zu bringen, am häufigsten, indem es ihn im Unendlichen, in den Händen Gottes […] ansiedelt. Die Dekonstruktion soll weder den Rahmen neu abstecken noch von der reinen und einfachen Abwesenheit des Rahmens träumen. Diese beiden offensichtlich widersprüchlichen Gesten gehören selbst – und in systematischer Hinsicht unabtrennbar – zu dem, was hier dekonstruiert wird.« (94)
Was bedeutet es also, ›aus dem Rahmen‹ zu treten? Ob mit oder ohne Anführungszeichen – es meint zuallererst einen Rahmen-Wechsel, der als solcher jeweils genauer zu bestimmen wäre. Wie John Tagg dargelegt hat, ist der Rahmen bei Derrida kein semantischer, historisch generierter Bestandteil eines Signifikationssystems, sondern »der Rand der Gewißheit, an der [sic!] die angebliche Innerlichkeit eines solchen Systems an ihre Grenzen stößt, allerdings um den Preis, daß die Unvollständigkeit des Systems ihm selbst offenbart wird.« (1997: 186f.) Damit stehen die inszenatorischen, ästhetisch-medialen sowie die theoretischen Möglichkeiten und ihre jeweiligen Bedingungen zur Diskussion, die den Rahmen in der simultanen Funktion von Grenzziehung und Grenzverunsicherung, von Trennung und Überschreitung produktiv machen. In Bezug auf die Fotografie haben Rosalind Krauss (2000a) und Philippe Dubois (1998), wenngleich unterschiedlich kontextualisiert, das Verhältnis von Rahmen – vor allem in Form des Bildrandes – und Schnitt, durch den im Akt des Fotografierens das Bild der Realität ›entnommen‹ wird, in ihrer strukturellen Wechselwirkung, als zwei einander bedingende Seiten derselben Medaille, thematisiert. So diskutierte Dubois den Rahmen hinsichtlich seiner Verweisfunktion auf das Off, das Außerhalb des fotografischen Bildes (vgl. 1998: 184ff.). Krauss konstatierte in ihrer Analyse der fotografischen Bedingungen des Surrealismus, dass sich im surrealistischen Konzept die Erfahrung der Natur als Zeichen auch auf den Bereich erstreckt, »der dem Fotografischen am eigentümlichsten ist: auf den Bereich des rahmenden Bildrands, durch den das Bild als Ausgeschnittenes wahrgenommen wird.« 4 Dieser Rahmen zeigt nach Krauss die Differenz zwischen dem Fotografierten und der Fotografie an. Und so »wie der Kameraausschnitt diese Erfahrung der Realität mitteilt, genauso kontrolliert er sie, konfiguriert er sie auch: nämlich durch
4
Krauss (2000a: 158). Dass Krauss in diesem Text auch auf eine problematische Trennung von ›Bild‹ und ›Schrift‹ zusteuert, kann an dieser Stelle nicht thematisiert werden.
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den Kamerawinkel […] oder durch die Brennweite […]. Und was die Kamera in beiden Fällen einrahmt und dadurch sichtbar macht, ist das automatische Schreiben der Welt: die konstante, ununterbrochene Produktion von Zeichen.« (2000a: 160) Dies überschneidet sich mit dem Effekt, den Krauss durch die inszenatorische Hinzufügung eines Rahmens im fotografischen Bild selbst gegeben sieht. Hier legte sie mit Man Rays »Monument à D.A.F. de Sade«, 1933, (Abb. 34) dar, wie der Rahmen in Form eines umgedrehten Kreuzes – der es »in die Figur des Phallus verwandelt« (2000a: 131) – zugleich der »drohenden Auf lösung der physischen Substanz« (ebd.) entgegenarbeitet. Dieser ins Bild gesetzte Rahmen erhält die, im Sinne Derridas gesprochen, Gewissheit des fotografisch Ausgeschnittenen, Gesäß und Schenkel, aufrecht. Während durch die Ausleuchtung »die physische Dichte des Körpers vom Bildzentrum nach außen immer mehr abnimmt, wodurch das Fleisch gegen die Ränder hin derart unspezifisch und flächig wird, daß es sich der Druckseite anzugleichen scheint« (ebd.), besteht die Wirkung des Rahmens nach Krauss darin, dass er »die kollabierende Struktur der Körperlichkeit zusammenhält und durch die eher konzeptuelle Geste der Grenzziehung in ihrer Dichte bewahrt« (ebd.). Abgesehen vom Titel findet sie die mit dem bzw. durch den Rahmen erfasste »sexuelle Bedeutung« (ebd.) dadurch bestätigt, dass umgekehrt die »Fugen und Falten der fotografierten Anatomie […] die bestimmende Form des Rahmens nach[ahmen]«5 – in der Verdopplung. Louis Marin hat den Rahmen allgemeiner als einen Zeigegestus beschrieben, der den Blick auf das Bild lenkt und es ›anwesend‹ machen soll: »In its pure operation, the frame reveals; it is deictic, an iconic ›demonstrative‹ – saying ›this here‹.« (1996: 83) Er wäre insofern auch dem Index analog, von dem Peirce sagte: »The index asserts nothing; it only says ›There!‹ […]« (zit. n. Dubois 1998: 76), dessen so gestaltete Funktion von Barthes für die Fotografie als Verlängerung einer Geste beschrieben worden ist, die sagt: »das da, genau dieses eine ist’s!« (1989: 12) Der Rahmen wird insofern zu einer rhetorischen Figur, die auch darauf verweist, dass die ›indexikalische Wirkung‹ des Fotos selbst davon abhängt, dass es immer auch schon (ein-)gerahmt ist. Ich möchte nun danach fragen, wie eine Instanz, wie Figurationen des Rahmens das tradierte Körper-Bild-Blick-Dispositiv eines dominanten patriarchalen und westzentristischen Repräsentationsregimes nicht nur
5
Ebd.: 132. Krauss diskutiert Man Rays Fotoarbeit im Vergleich mit Florence Henris »Selbstporträt« (1928), wo sie ebenfalls die Auffassung des »phallischen Rahmens« (ebd.) sieht. Dieser Nachweis der sexuellen Konnotationen in den fotografischen Inszenierungen ist ein zentrales Argument, mit dem sich Krauss gegen den zeitgleich dominierenden formalistischen Diskurs der Kunstgeschichte richtete.
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Figurationen des Rahmens
ordnen und organisieren, sondern auch – fotografisch – durcheinanderbringen können. Es geht mir um den Versuch, einen Körper-Bild-Diskurs des Ent/Fixierens als einen Diskurs über den Rahmen zu entwickeln, denn, so meine These, einerseits ist zwar die Frage, wie (andere) Subjekte aus den Rahmen treten können, innerhalb derer sie zu fixieren gesucht werden, nach wie vor virulent; andererseits kann das aber nicht von einem Blick darauf abgezogen werden, welche Rahmen immer auch zugleich und/oder statt dessen zum Tragen kommen. Dazu werde ich ein close reading fotografischer Arbeiten der afrikanisch-amerikanischen Künstlerinnen Carla Williams, Lorna Simpson, Carrie Mae Weems sowie einiger anderer vorstellen. Für die Analyse des Bildmaterials rekurriere ich auf die – auch der Argumentation des gesamten Buches zu Grunde liegenden – semiologisch, diskurs- und psychoanalytisch fundierten Konzepte, wie sie von der kunst- und kulturwissenschaftlichen Geschlechterforschung für eine kritische Bild(er)wissenschaft nutzbar gemacht worden sind. Wie also könnten die Rahmen-Bedingungen eines ent/fixierten Bild-Status aussehen?
Rahmen-Spiele bei Carla Williams und Lorna Simpson Struktur und Funktion des Bildes wurden mit der zunehmenden Erweiterung politischer Sichtbarkeitsbestrebungen der Neuen Frauen-Bewegung auch in das Feld der Kunst hinein zum Gegenstand der Auseinandersetzung, die zunächst vor allem nach den Codes der Geschlechterdifferenz fragte. Eine weitgehend an psychoanalytischen Theorien orientierte feministische kunstwissenschaftliche Forschung verlagerte sich in den 1980er Jahren von der Kritik an verschiedenen Weiblichkeitsbildern auf die Analyse von Weiblichkeits- bzw. Körperkonstruktionen im Feld des Visuellen und in diesem Zusammenhang auf die Dekonstruktion eines Status der Frau als Bild. Mit dem Nachweis, »daß das traditionelle Repräsentationssystem innerhalb der patriarchal organisierten symbolischen Ordnung durch eine Unausweichlichkeit der Geschlechterpositionen bestimmt ist« (Lindner/Schade 1989: 334), geriet dieses System selbst als ein von Gewaltstrukturen durchzogener Produktionsapparat von (geschlechtlich bestimmten) Körperbildern in den Fokus der Aufmerksamkeit.6 Diese Verschiebung resultierte aus den vielfachen Analysen,
6
Im deutschsprachigen Raum war Sigrid Schade eine der ersten, die diese Verschiebungen vorangetrieben hat (1986; 1987); für eine Zusammenfassung der Debatten, vgl. Eiblmayr (1993); Schade/Wenk (1995; 2005). Zur Thematisierung von Frauenbildern bei verschiedenen Künstlern und den sich verändernden feministischen Ansätzen in Analyse und Rezeption, vgl. Bischoff u.a. (1984); Barta u.a. (1987); Lindner u.a. (1989). Zur Verschiebung der Frage der Gewaltförmigkeit von
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Abb. 34: Man Ray: Monument à D.A.F. de Sade, 1933. Abb. 37: Titelseite von „The Illustrated Annuals of Phrenology and Physiognomy for the Years 1865-6-7-8 and 1869“, von S.R. Wells, 1869. Abb. 38: Iké Udé: ohne Titel. Aus: »Celluloid Frames«, 1995 (computerbearbeitete Farbfotografie).
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36 Abb. 35: Carla Williams: Untitled. Aus: »How to Read Character«, 1990–91 (Gelatinesilberdrucke, 125x100 cm, und Fotokopie, 55x75 cm, Goldrahmen). Abb. 36: Carla Williams: Untitled. Aus: »How to Read Character«, 1990–91 (Gelatinesilberdrucke, 125x100 cm, und Fotokopie, 55x75 cm, Goldrahmen).
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wie Bilder als Spiegel und Projektionsf lächen wirksam werden, über die sich ein männlich konnotiertes Subjekt konstituiert und seiner ›Ganzheit‹ versichert, indem es sich als Besitzer des Blicks imaginieren kann. Sie wurde auch befördert durch die Feststellung, dass es sich bei der kunsthistorisch zu beobachtenden Idealisierung von Frauen im Bild – insbesondere als Akt oder Allegorie – und ihrem gleichzeitigen Ausschluss aus kultureller und politischer Definitionsmacht »weniger um einen unaufgelösten Widerspruch als um einen systematischen Zusammenhang« handelte (Schade/Wenk 1995: 371). Die Kategorie des Ethnischen/der ›Rasse‹, die seit den 1990er Jahren zunehmend die analytische Aufmerksamkeit auch der deutschsprachigen kunst- und kulturwissenschaftlichen Gender Studies gefunden hat, verkompliziert(e) den weiblichen Bild-Status. Insofern Ethnizität und Rassisierung im Modell der Frau als Bild nicht expliziert waren, wurde hier die Entnennung der Frau als immer schon ›weiß‹ offenkundig;7 das Problem einer Fixierung im/als Bild trifft das ›nicht-weiße‹ weibliche Subjekt jedoch gleichermaßen – und in besonderer Weise. Denn wie beispielsweise die im angloamerikanischen Sprachraum zum geläufigen Idiom gewordene Redewendung blacks and women als allumfassend gemeinte Sammelbezeichnung für ›andere‹ Subjekte zeigt, wirkt hier eine Logik des doppelten Ausschlusses. Signalisiert wird, dass blacks sich nicht auf Frauen bezieht – dann müssten sie nicht extra benannt werden – und women entsprechend nicht ›schwarze‹ Frauen meint. Das and markiert entgegen seiner grammatischen Funktion kein Verbindendes, sondern die Ausstreichung des einen im jeweils anderen. 8 Auch für das Feld des Visuellen wurde deutlich, dass die Positionalität der ›schwarzen Frau‹ an der Schnittstelle von ›Geschlecht‹ und ›Ethnizität‹ einerseits als doppelte Auslassung markiert ist – nämlich aus feministischen Diskursen, die über weiße Frauen reden, und aus postkolonialen Diskursen, die letztlich schwarze Männer meinen. Andererseits steht dieser doppelten diskursiven (und politischen) Unsichtbarkeit der ›schwarzen Frau‹ deren ›Hypersicht-
einer Kritik, die diese allein an der narrativen Darstellung festmacht, zu deren Analyse in der Struktur
der Repräsentationen selbst, vgl. Lindner u.a. (1989; v.a. 334–501). Für ›Grenzüberschreitungen‹ zwischen Kunst und Wissenschaft in der kunstwissenschaftlichen wie künstlerischen Praxis, vgl. Baumgart u.a. (1993). Für die Einschreibung von Geschlechterdifferenz in Konzeptionen von Kreativität, Autorschaft und Werk im zwanzigsten Jahrhundert sowie die diesbezüglichen Ein- und Ausschlussmechanismen von Künstlerinnen, vgl. Hoffmann-Curtius/Wenk (1997). ›Ethnizität‹ als eine Kategorie der kunsthistorischen Analyse und künstlerischen Praxis sowie ihre Relevanz für geschlechtertheoretische Ansätze und Perspektiven wurde im deutschsprachigen Raum zuerst explizit thematisiert in Friedrich u.a. (1997). Für eine Thematisierung des Medialen und des Mediums als bedeutungproduzierende Kategorie, vgl. Falkenhausen u.a. (2004). 7 Zur Auseinandersetzung mit »Weiß«, vgl. u.a. Dyer (1995; 1997); Warth (1997); SchmidtLinsenhoff u.a. (2004); Wollrad (2005). Zum Begriff der Entnennung, vgl. Barthes (1964). 8 Zur Problematisierung der Redewendung blacks and women, vgl. Wiegman (1995; 7f.); zur doppelten Auslassung schwarzer Frauen, vgl. Hull u.a. (1982); hooks (1981; 1989; 1996).
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barkeit‹ dort gegenüber, wo sie als Projektionsfläche und Verkörperung von Pathologischem, Deviantem und als Objekt sexueller, exotistischer Phantasie eingesetzt wird.9 Zudem ist mit der Allegorisierung des Weiblichen, die nach Silke Wenk (2002; 1999b) einen grundlegenden Repräsentationsmodus westlicher Gesellschaften darstellt – nicht zuletzt etwa für die Vorstellung von ›Nation‹ –, gleichermaßen eine Grundstruktur beschrieben, über die sich beispielsweise – das hat Anne McClintock (1996) herausgearbeitet – antikolonialistische Bewegungen und afrikanisch-nationale Strömungen gegen imperiale Mächte zu verorten suchen. Festgelegt wird damit, wie McClintock argumentiert, eine definitive Rolle von Frauen, oder präziser: »des Weiblichen« (Wenk 2002: 233), darin, den atavistischen und authentischen Körper nationaler Tradition zu repräsentieren und das nationalkonservative Prinzip der Kontinuität zu verkörpern.10 Die zwölfteilige Wandinstallation »How to Read Character« (1990–91) von Carla Williams und Lorna Simpsons Foto-Text-Arbeiten der 1980er/90er Jahre inszenieren die vielschichtigen Interferenzen zwischen ästhetischen, wissenschaftlichen und medialen Praktiken und Repräsentationsweisen, die an der Konstruktion rassisierter-vergeschlechtlichter Körperbilder und insbesondere am Bild der ›schwarzen Frau‹ als ›ganz Andere‹ einer westlich-europäischen, weißen und patriarchalen Zivilisation und Kultur gearbeitet haben und arbeiten. In der je eigenen Kombination verschiedener Materialien, Medien, Quellen und Bearbeitungstechniken sowie in der Anlehnung an tradierte kunst- bzw. bildhistorische Gattungen stellen die Künstlerinnen sie als einander wechselseitig codierende und kommentierende Signifikationssysteme vor, die sich »von verschiedenen Orten aus auf den Körper richten und sich – in der gegenseitigen Abgrenzung – stillschweigend verbinden« (Schade/Wenk 1995: 392). Dieses Doppel von gegenseitigem Abgrenzen und stillschweigendem Verbinden inszenieren Williams und Simpson als Spiel einer vervielfachten mise en abîme – als einander überlagernde Rahmen, die immer wieder neue Rahmungen bilden, indem sie verschiedene Aspekte der ineinandergreifenden Felder herausschneiden oder einfassen, die sich durchkreuzen und wechselseitig verschieben. Sie setzen strategisch ein, was Homi K. Bhabha (1997a) als den vergeblichen Versuch des Subjekts beschrieben hat, einen Rahmen für das Problem der Identität zu finden. Denn der sei – und das wird am postkolonialen, hybriden, migrantischen Subjekt bereits entlang symbolischer Kategorisierungen benennbar –
9 10
Zum Verhältnis von Sexismus/Exotismus und Humanwissenschaften, vgl. u.a. Friedrich (1997). Das Männliche hingegen repräsentiere »the progressive agent of national modernity [...], embodying nationalism’s progressive, or revolutionary, principle of discontinuity,« (McClintock 1996: 263); vgl. auch Wenk (2002: 233f.).
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Fotografie und ›Identität‹
letztlich unmöglich, weil sich dieses Subjekt »kreuz und quer, zugleich innen und außen in diesem Rahmen« (ebd.: 97) verheddert und damit das Problem der Identität selbst immer wieder vorführt. Die visuelle Repräsentation des ›schwarz‹ und ›weiblich‹ gekennzeichneten Körpers verweist bei Williams und Simpson sowohl auf die problematische Analogisierung beider Kategorien als auch auf historische Rassisierungsund Sexualisierungsdiskurse, die sich oft genug im Muster einer Sexuierung von ›Rasse‹/Ethnizität einerseits und der Ethnisierung/Rassisierung von Geschlecht andererseits verschränkt haben und verschränken.11 Diesen Rahmen und Rahmungen soll nun detaillierter nachgegangen werden.
Mises-en-Abîme: die Kunst des Rahmen(wechseln)s Carla Williams’ Arbeit »How to Read Character« besteht aus großformatigen, in Schwarz/Weiß fotografierten Selbstinszenierungen (Abb. 35, 36, 43, 49). Die in sich ausschnitthaft wirkenden Porträt- und Akt-Bilder sind selbst aus einander partiell überlagernden fotografischen Einzelabzügen so zusammengesetzt, dass sie wiederum kohärente Körperformen vorstellen. Das Montierte bleibt vor allem dort sichtbar, wo Helligkeitsunterschiede die Ränder der einzelnen Teilbilder markieren. Die (zusammengesetzten) Fotografien sind in massiv wirkende Goldrahmen gesetzt; ihnen sind technisch mangelhafte, auf Bildträger fotokopierte Auszüge aus verschiedenen, zumeist anthropologischen Quellen des neunzehnten Jahrhunderts beigegeben, die im Kontext der Konstruktion und Fixierung ›rassischer‹ Differenz stehen.12 Dagegen geradezu schlicht erscheinen Lorna Simpsons großformatige mehrteilige oder serielle Montagen. Sie zeigen charakteristischerweise das gesichtslose, kopf lose oder von hinten aufgenommene, mehrfache Polaroid einer schwarzen weiblichen Figur – mal im Porträtausschnitt oder als Liegende, als Standfigur oder in sitzender Position. Diese Figur ist zumeist in eine Art weißes Kleid gehüllt und vor ebenfalls weißem Hintergrund aufgenommen; ihr Körper ist entweder vom Bildrand angeschnitten oder aus mehreren, jeweils für sich gerahmten Einzelbildern zusammengesetzt. Die Texte bestehen aus Satzfragmenten, elliptisch anmutenden Redewendungen oder schlagwortartigen Begriffen; sie sind zumeist in Plastikplaketten
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Zur Analogisierung und zum Ineinandergreifen von Sexualisierungs- und Rassisierungsdiskursen, vgl. die zusammenfassende historische Rekonstruktion von Wiegman (1995: 21–78); vgl. auch Schmidt-Linsenhoff (1997). 12 Ich beziehe mich auf die Abbildungskombinationen in Neumaier (1995), die sich von denen auf der Website der Künstlerin (www.carlagirl.net) etwas unterscheiden.
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eingraviert, die entweder auf den Bildflächen selbst angebracht sind oder diese gleichsam umgeben (Abb. 39–42, 45). Vor allem drei Ebenen des Rahmens und der Rahmung sind für die Arbeiten beider Künstlerinnen einerseits zu unterscheiden und andererseits in ihren wechselnden Konfigurationen zusammenzulesen: Erstens, der Rahmen als konkretes Artefakt und materieller Gegenstand: Bei Williams’ »How to Read Character« fallen vor allem die Goldrahmen auf; in Simpsons Wandinstallationen sind alle Einzel- oder Teilbilder für sich in schmale, eher unauffällige Rahmen und teilweise zusätzlich in ein Passepartout gesetzt. Zweitens, der Rahmen als Begrenzungsfunktion des Bildes oder Werkes: als dessen Hervorhebung sowie als Trennung eines ›Innen‹ von einem ›Außen‹. Diese Funktion wird bei Williams und Simpson bereits dadurch irritiert, dass die explizit künstlerische (Ein-) Setzung konkreter Rahmen nicht kongruent ist mit einer Rahmung der jeweiligen Gesamtarbeit. Die dritte Ebene meint den Rahmen im übertragenen Sinn als historisch, disziplinär, institutionell und ideologisch bestimmte oder (zu) bestimmende Größe, zu der auch die oben angesprochenen Thematisierungen von Ort, Sexualität, Ethnizität und Geschlecht gehören. Die kunstgeschichtliche Forschung hat gezeigt, dass die Bedeutungen des konkreten, materiellen Bildrahmens historisch veränderlich und niemals eindimensional gewesen sind, wobei vor allem eine ästhetische, eher kunstimmanente, und eine sozio-politische Dimension hervorgehoben werden. So wurde der Rahmen seit der Renaissance dazu eingesetzt, die Welten von Kunstwerk und Umgebung zu trennen (vgl. Traber 1995: 222). In der Konzeption des Bildes als ›Fenster zur Welt‹ leitet er den betrachtenden Blick in eine imaginäre Tiefe des Zu-SehenGegebenen (vgl. Kemp 1995: 23).13 In seiner gesellschaftspolitischen Funktion ist der (Gold-)Rahmen als besitz- und statusanzeigendes Artefakt hervorgehoben und vor allem für das (Adels-)Porträt des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts seine enorme Bedeutung für die Selbstrepräsentation der aristokratischen Klasse beschrieben worden. Innerhalb eines visuellen Gesamtkonzepts, das die Familienhegemonie ordnen und schützen sollte, fungierte der Rahmen als Bestärkung und Verdopplung des Porträts, welches der Vergänglichkeit des Menschen ein Bild von Beständigkeit und Dauer entgegensetzte. Der (Gold-)Rahmen wurde hier auch als synonym mit der Rahmung des (aristokratischen) Subjekts
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Vgl. auch Meyer Shapiro, der davon ausging, dass der Rahmen entbehrlich wurde, »als die Malerei aufhörte, räumliche Tiefe zu repräsentieren […]« (1969: 227). Kemp (1996) sprach auch von einer Narrativität des Rahmens.
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gesehen, für die Konstituierung und Sicherung seiner Autonomie (vgl. West 1996).14 Der Rahmen bezeichnet das Kunstwerk – oder genauer: er bezeichnet das Tafelbild als ein Kunstwerk – und stellt es insofern immer auch mit her. Vor allem der Goldrahmen ist eng mit der Institution des Museums assoziiert und traditionell ein Signifikant und Garant für ›Hochkunst‹ (vgl. Kemp 1995).15 Die enge Bedeutungsverknüpfung von Rahmen und Kunst bestätigt sich in der zeitgenössischen musealen Praxis etwa darin, wenn versucht wird, spezifische Werke entsprechend ihrer jeweiligen Geschichte und sogenannten ästhetischen Qualitäten zu rahmen. Besonders auffällig scheint dies bisweilen, wie Jeff Rosen (1989) ausgeführt hat, wenn es um Fotografie geht; als müsste eine Rechtmäßigkeit ihres Einzugs in das Museum unter dem Etikett ›Kunst‹ immer noch einmal abgesichert werden.16 Künstlerische Thematisierungen des Rahmens selbst sind für den Impressionismus und Symbolismus darin beschrieben worden, dass er als »drittes Element« (Kemp 1995: 16) zwischen Bild und Umgebung zum integralen Bestandteil des Bildes, zu dessen Ergänzung und Vervollständigung werden sollte (ebd.: 21). Die künstlerische Zurückweisung des Goldrahmens und die Minimierung des Rahmens durch die Bewegung des Modernismus wurden als ein Neutralisierungsversuch interpretiert, um eine ästhetische Integrität des Kunstwerks selbst hervorzuheben; und darüber um so deutlicher einen persönlichen Stil und individuellen künstlerischen Ausdruck zu offenbaren. In den 1980er Jahren wurde der Rahmen vor allem im anglo-amerikanischen Raum zum Thema einer kunsttheoretischen Auseinandersetzung, die sich hauptsächlich auf das Verhältnis zwischen einem Betriebssystem Kunst und dem sogenannten Postmodernismus richtete (vgl. Rosen 1989).
14 Shearer West (1996) legte dies am Beispiel der aristokratischen Familienporträts in den englischen Landhäusern des achtzehnten Jahrhunderts überzeugend dar. Bestimmt von einer vielschichtigen Rhetorik zwischen Kontinuität und Wandel war der Rahmen einerseits als dekoratives Einrichtungsstück ein sichtbares Zeichen von Luxus und ökonomischer Macht; andererseits stand er in einer sich industrialisierenden Warenkultur für die merkantilen Werte der aufstrebenden mittleren Klassen. Vgl. auch Preziosi (1996: 100), der in den oftmals identischen Rahmen, in welche die Ahnenporträts in den Korridoren aristokratischer Häuser gesetzt sind, ein Zeichen genealogischer Kontinuität und visualisierter Einheit sah. Zum Porträt und dessen Rahmung, vgl. auch Pointon (1993). 15 Kemp legt die paradoxe Situation dar – die letztlich ein Machtspiel zwischen künstlerischer Praxis und der Institution des Museums beschreibt –, dass es im Verlauf des neunzehnten Jahrhunderts, einhergehend mit einem sich verändernden Verständnis von Kunst, das den Rahmen als integralen Bestandteil des Werks auffasste, künstlerische Konvention wurde, den Goldrahmen abzulehnen und zugleich aber etwa im Pariser Salon nur goldgerahmte Werke zugelassen waren. 16 »Between 1896 and 1910, the salon movement in photography aspired to gain international recognition for the medium as one of individual artistic expression. […] The salon movement was characterized by pictorialists who used handmade frames to help viewers identify their work as artistic. […] The expressive role of photographic framing became authoritative.« (Rosen 1989: 14) Für eine Untersuchung, wie der Aufstieg der Kunstfotografie in der Moderne mit der Verleugnung fotografischer Reproduzierbarkeit einherging, vgl. Solomon-Godeau (1997a).
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Figurationen des Rahmens
Die Infragestellung modernistischer Prinzipien, wie Subjektivität, Originalität und Autorschaft, habe – so die These von Craig Owens (1994b) in seinem Aufsatz »From Work to Frame, or, Is There Life After ›The Death of the Author‹?« – eine Leerstelle hinterlassen, deren Bearbeitung nun eine wesentliche Gemeinsamkeit der ansonsten sehr heterogenen postmodernen Kunst darstellt.17 Diese Bearbeitung definiert sich nach Owens in der neuen Aufmerksamkeit, die dem Rahmen im wörtlichen wie übertragenen Sinn geschenkt wird: »[…] postmodernism approaches the empty space left by the author’s disappearance from a different perspective, one which brings to light a number of questions that modernism, with its exclusive focus on the work of art and its ›creator‹, either ignored or repressed: Where do exchanges between readers and viewers take place? Who is free to define, manipulate and, ultimately, to benefit from the codes and conventions of cultural production? These questions shift attention away from the work and its producer and onto its frame – the first, by focusing on the location in which the work of art is encountered; the second, by insisting on the social nature of artistic production and reception. Sometimes the postmodernist work insists upon the impossibility of framing, of ever rigorously distinguishing a text from its con-text […]; at others, it is all frame […]. More often than not, however, the ›frame‹ is treated as that network of institutional practices […] that define, circumscribe and contain both artistic production and reception.« (Ebd.: 126)
Eine solche künstlerische Konzentration auf die Instanz des Rahmens sei letztlich darauf angelegt gewesen, so auch Rosen (1989), die Integrität von Kunstwerk und Rahmen insgesamt zu unterwandern und damit die Künstlichkeit des Systems offenzulegen, innerhalb dessen ein Kunstwerk hergestellt und rezipiert wird. Ähnlich argumentierte die Ausstellung Beyond the Frame: American Art 1960–1990 (1991), die das künstlerische Ausbrechen aus dem (musealen) Rahmen im Übergang vom (epochal gedachten) Modernismus zum Postmodernismus untersuchte. Kuratorin Lynn Gumpert ging von der Feststellung aus, dass mit einer Anerkennung und Betonung der Kontextualität künstlerischer Arbeit, durch die dieser Übergang charakterisiert sei, eine Dekonstruktion des Rahmens in seiner doppelten Funktion als Schutz und als Hindernis oder Zwang stattgefunden habe – und zwar in jeder Hinsicht: wörtlich, metaphorisch, symbolisch usw. (1991: 41). Neben einem sozio-ökonomischen Rahmen, den auch Owens als die Grenze der Einsicht darin beschrieben hat, dass
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Owens bezieht sich hier auf die ›Schlüsseltexte‹ – Barthes (1977) und Foucault (1979) –, die den traditionellen Autor-Begriff grundlegend problematisierten. Aus feministischer Perspektive, vgl. dazu Miller (1986); Tickner (1990); Pollock (1988).
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es kein letztendliches Außerhalb des Rahmens geben, man dem Rahmen (des Kunstbetriebs) niemals endgültig entkommen kann, problematisierte Rosen (1989: 17), dass das postmoderne Rahmenwerk nun selbst eine diskursbestimmende Funktion bekommen und seine eigenen ideologischen Grenzen etabliert habe. Es sei seine eigene »strategy of containment« geworden.18 Diese Figuration schließt auch das alte Paradox ein, dass Künstler/innen oft genug von dem System gefeiert werden, welches sie mit ihren Arbeiten oder Arbeitsweisen zur Diskussion stellen. Das bedeutet, dass eine Subversivität künstlerischer Praxis innerhalb des ›alten Musters‹ entweder bruchlos nivelliert oder unter Anerkennung ebendieser Subversivität vollkommen affirmiert werden kann;19 und das wiederum läuft konsequenterweise auf die Frage hinaus, wie dann (künstlerische) Kritik überhaupt noch möglich sein kann.20 Umgekehrt bedeutet es zu erinnern, dass Subversion den Weg der Affirmation auch braucht – als eine Weise der Resignifikation, als spezifische Formen einer verfehlenden oder verschiebenden Wiederholung. Damit ist zum einen darauf verwiesen, dass die Frage nach einer kritischen Effektivität künstlerischer Produktion sich eben immer auch als eine Frage nach den Machtverhältnissen stellt, die für die Rezeptionssituation bestimmend sind; zum anderen zeigt sich daran, dass anders gefragt werden muss. So spielt Carla Williams mit der Einsetzung ihrer eigenen Person durchaus auch mit einem traditionellen Begriff von Autorschaft, als dessen zentraler künstlerischer Ausdruck das Selbstporträt gilt (vgl. Rogoff 1989), und Lorna Simpson sichert sich mit der spezifischen Konzeptualität auch eine Wiedererkennbarkeit – sprich: Zuordbarkeit – ihrer Arbeiten und damit die Grundbedingung für deren Rezeption als ›Werk‹. In der Perspektive eines Ent/Fixierens muss es mithin darum gehen, das Verhältnis von Affirmation und Subversion genauer zu untersuchen, wie es sich innerhalb und zwischen einzelnen Ebenen und Aspekten artikuliert. Ziel der Bildlektüren soll es sein, die Rahmen zu benennen, innerhalb derer und über
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Den Begriff »strategy of containment« entlehnte Rosen von Jameson (1981). Auf der anderen Seite steht wohl (auch) das ›alte‹ Begehren nach einer Anerkennung künstlerischer Meisterschaft. Symptomatisch dafür sah Rosen, dass die postmoderne Wiedereinführung handgemachter Rahmen vom Publikum nicht als Zitat, Parodie oder Dekonstruktion verstanden worden sei, sondern genau die Wahrnehmung von ›Kunstwerk‹ neu aufgerufen habe, die sie unterwandern wollte: »As a result, the cult of the hand of the artist has been rejuvenated, restored in the guise of subversive artmaking and cultural critique« (1989: 17). Vgl. auch die Ausstellung »In Perfect Harmony: Picture + Frame, 1850–1920«, Van Gogh Museum, Amsterdam 1995, die von der anderen Seite her den Künstlerrahmen des neunzehnten Jahrhunderts als Zeichen eines sich verändernden Kunstverständnisses thematisierte und darin ein »symbol for the rejuvenation of the art as a whole« sah (Mendgen 1995: n.p.). 20 Eine ähnliche Problematik thematisierten Bergermann u.a. (2006) für das breite Feld von Kunst, Populärkultur und Wissenschaft; vgl. dazu auch Brandes (2006).
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Figurationen des Rahmens
die hinweg das Problem der Identität, von dem Bhabha sprach, produktiv verheddert wird. In Carla Williams’ »How to Read Character« fungiert der Goldrahmen als ein Zeigegestus, ein this here, der ›Sichtbarkeit‹ in Szene setzt und dabei seine tradierten Bedeutungszuschreibungen parodiert. Indem er wiederholt Bilder einfasst, die auf Grund ihrer Medialität nicht ohne weiteres einen ›Kunst‹-Status, eine Aura, zugesprochen bekommen, und mit der schwarzen weiblichen Figur ein Subjekt vorstellt, dem dieser Subjekt-Status nicht unbedingt zuerkannt wird, werden sämtliche Bedeutungsebenen – ›Hochkunst‹, Kontinuität und Erinnerung, die Konstituierung und Sicherung machtvoller Subjektpositionen – karikiert und dennoch behauptet; dies umso mehr, als das Porträt und vor allem der (weibliche) Akt traditionell ohnehin synonym für ›hohe Kunst‹ stehen. Die Rahmen werden in die doppelte Funktion gestellt, das Uneinheitliche des montierten Bildes zu vereinheitlichen und das in sich geschlossene Bild – die kohärenten Körperformen – zur Schau zu stellen. Das Montierte fällt vor allem an den äußeren Bild-Rändern auf; zudem verweisen leichte Schlieren und die kleinen kreisrunden Formen auf den Prozess fotografischer Entwicklungstechnik und das Flüchtige eines (fotografischen) Skizzierens. Der Goldrahmen hält diese f latterhaften Ränder zusammen und formt erst das Parergon; gerade dadurch werden sie aber wiederum als ›interne‹ ornamenthafte Verzierungen lesbar, die integraler Bestandteil des Bildes sind, obgleich sie es nach außen begrenzen. Ähnlich ambivalent gestalten sich zwei weitere Rahmungen, die die Fotokopie einbeziehen. Zunächst erscheinen die Fotokopien im Kontext der Goldrahmen als ›Kunst‹-Zeichen – wie die Museumsplaketten, die über Autor, Titel, Entstehungsdatum, Material, Format, Besitzer oder Leihgeber des jeweiligen Kunstwerks informieren und damit einen Bedeutungsrahmen schaffen, der dem althergebrachten Muster einer in eben diesen Kategorien kanonisierten Kunstgeschichte folgt. In Williams’ Installation werden sie zu einer Sehanleitung, die den Rahmen in Richtung einer anderen Disziplin, die Humanwissenschaften des neunzehnten Jahrhunderts, verschiebt. Damit wird das durch Goldrahmen und Fotokopie gleichermaßen bezeichnete fotografische Bild an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft situiert und zugleich zwischen Original und Kopie. Bringt, mit Walter Benjamin gesprochen, das Gold der Rahmen quasi im Wortsinn die »Aura« des Einmaligen und Echten zur Sprache, die »im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkümmert« (1977a: 13), so steht die Fotokopie für die aktuelle Form des Kopierten schlechthin. Sie ist ein Medium der schnellen, billigen und ›qualitätlosen‹ technischen Reproduktion mit beliebiger Vervielfältigbarkeit, deren Original selbst
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bereits eine Kopie darstellt. 21 Mit der Präsentation des (zusammengesetzten) fotografischen Bildes im ›alten‹ Goldrahmen, der Präsentation anatomischer Zeichnungen des neunzehnten Jahrhunderts in der Fotokopiertechnik des späten zwanzigsten Jahrhunderts sowie in der Konfrontation von Goldrahmen und Fotokopie inszeniert Williams hier eine zeitliche Dimension auf der Ebene des Medialen. Mit dieser Transformierung von historischer Zeit in Medialität wird die Historizität von Bildkonventionen und ihren Bedeutungszuschreibungen offengelegt und in ihrer aktuellen Relevanz zur Diskussion gestellt. Die zweite Rahmung betrifft das Verhältnis von Figur und Bildfläche. Auf einer der goldgerahmten Fotografien ist Williams in klassischer Porträtpose zu sehen (Abb. 35). Aus ganz leichter Untersicht aufgenommen, zeigt die Mittelachse des Gesichts durch die minimale Gegendrehung von Kopf und Schulterbereich gerade am Kameraobjektiv vorbei, auf das jedoch der Blick der Fotografierten fest gerichtet ist. Die Perfektheit der Pose und die an sich nobilitierende Präsentation im Goldrahmen werden durch die Positionierung der Fotografierten in diesem Rahmen irritiert; denn die Figur ›füllt‹ ihn nicht, sie sitzt nicht richtig im Bild. Doch wird das, was als Versuch der Einpassung in einen unangemessenen Rahmen gelesen werden könnte, wiederum von dem direkten Blick in die Kamera durchkreuzt, mit dem die Protagonistin den Betrachter/die Betrachterin als Gegenüber fixiert und so ihre Präsenz behauptet. Die Dezentrierung der Figur im (Gold-)Rahmen akzentuiert das Verhältnis zum Hintergrund, der dadurch seinerseits erst auffällt, und sie verunklärt es auch. Das Gesicht hebt sich wesentlich durch die kontrastierende Schwärze der Haare von der hellen Fläche ab, während die Konturen der Abgebildeten auf der linken Seite mit ihrem Schatten verschwimmen. Die hervortretende diagonale Bildstrukturierung trennt die Bildf läche entlang einer von links oben nach rechts unten verlaufenden Achse in ein dunkles und ein helles Feld und situiert das Gesicht auf genau dieser Grenze – zwischen Schwarz und Weiß. Diese Zweiteilung des Bildes in Figur/Vordergrund und Hintergrund kollidiert mit dessen Behauptung als einer f lächigen Struktur; und dies wird gedoppelt durch das Konkurrieren der diagonalen Schwarz-Weiß-Achse mit dem auf den Betrachter gerichteten Blick. Das in solcher Weise verschobene Verhältnis von Figur und Bildfläche gibt die Porträt-Pose als Pose zu erkennen und verweist auf das In-denRahmen-Setzen als konstituierenden Faktor für das Porträt. Vor allem aber changiert das Porträt als Bild-der-Person – der (Selbst-)Vorstellung
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Vor allem im Agitprop-Bereich avancierte die Fotokopie gerade auf Grund ihrer ökonomischen und technischen Eigenschaften zu einem veritablen Medium (vgl. etwa die Foto-Text-Fotokopien von Fierce Pussy).
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der Person als Subjekt – mit einem (wörtlichen wie übertragenen) BildSein der Person, welches über die Betonung des fotografischen SchwarzWeiß, der bildimmanenten Aufteilung in Hell-Dunkel-Flächen, auch in rassisierten Implikationen lesbar wird. Die beigefügte Fotokopie als Kommentar, Subtext und Legende der fotografischen Darstellung unterstützt diese Lektüre; sie verweist auf die Ideen der Physiognomik als Teil eines rassistischen Systems, welches der Sicherung ›weiß‹ und männlich konnotierter Dominanz verpflichtet ist. Die Verbindung von physiognomischer Zeichnung und fotografischem Porträt bringt zudem die anthropologischethnografische Fotografie ins Spiel, womit wiederum die gleichermaßen in-klusive wie ex-klusive Repräsentationsfunktion des Goldrahmens benannt ist; die fotografische Inszenierung führt dessen jeweiliges (konstitutives) Außen vor. Der Verweis auf die taxonomische, klassifizierende Verwendung der Personenfotografie wird in einer anderen Aufnahme der Reihe betont. Dort zeigt Williams eine nun nahezu formatfüllende Profilaufnahme ihres Gesichts (Abb. 36). Die bildliche Hell-Dunkel-Strukturierung lässt die Seite des Gesichts fast flächig erscheinen, die Konturen von Kopf und Schulterbereich verschmelzen nahezu mit dem dunklen Hintergrund. Die beigegebene Fotokopie einer, in der Tradition des Phrenologen Franz Josef Gall erstellten, Zeichnung illustriert in Form von szenischen ›Bildchen‹, die in den Umriss eines menschlichen Schädels eingetragen sind, zeitgenössische Vorstellungen des neunzehnten Jahrhunderts über die Bestandteile des menschlichen Charakters – das meint, welche kulturellen Werte ihm vermeintlich als natürliche Eigenschaften eingeschrieben sind, – und deren Lokalisation im Gehirn. Als Visualisierungstechnik modellierte die phrenologische Zeichnung nach Gall eine »funktionale Landkarte« (Hagner 1994: 147) des Gehirns (Abb. 37).22 Bei Williams parodiert sie eine kartographische Legende für die roten und weißen Markierungsstecker, die auf der fotografischen Profildarstellung angebracht sind, womit die Ebenen noch einmal verschoben werden. Um das im Vergleich zu verdeutlichen: In seiner 1995 entstandenen Reihe computerbearbeiteter filmplakatartiger Inszenierungen »Celluloid Frames« zeigte Iké Udé ein Selbstporträt, das ebenfalls mit einer Visualisierung des Gehirns nach dem gallschen Schema spielt. Auf der mit The Rebel Genius überschriebenen Darstellung ist der Schädel als haubenförmige, in einzelne Felder aufgeteilte weiße Fläche gestaltet, in die medizinisierte Termini und Eigennamen vornehmlich aus der postmodernen und postkolonialen Theoriebildung, Politik und Geschichte eingetragen sind, z.B.: Fanon Comp., Derrida Discount, Mandela Comp., Nietzsche Cover
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Hagner (1994) lieferte eine historische Analyse der Visualisierungstechniken des Gehirns.
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Charge, Foucault Comp., Ramsis II Comp., Nefertiti Comp. (Abb. 38). Udé inszeniert eine wechselseitige Parodie zwischen der historischen Hirnforschung und deren Visualisierungsmustern, die (auch) eine Minderwertigkeit des ›rassisch‹ Anderen beweisen sollte, und einem aktuellen postkolonialen ›Denkvermögen‹ und ›Gehirntraining‹ – und insofern auch zwischen einander überlagernden Fremdzuschreibungen und Versuchen der Selbsteinschreibung. Der Kontrast zwischen dem ›Filmtitel‹ und dem unschuldig-kokett nach oben gerichteten Blick, zwischen geschminktem Gesicht und Anzug, durchkreuzt diese zweifache Parodie noch einmal durch die visuelle Verunsicherung des Geschlechts. Der Unterschied zu Williams, auf den es mir hier ankommt, ist der, dass Udé die Um-Codierung betont, indem er dem ›Gehirnbild‹ andere Inhalte gibt. Williams hingegen thematisiert den Akt des Codierens selbst – auch in seiner Historizität –, indem sie am eigenen Bild die ›wissenschaftliche‹ schematische Einteilung des menschlichen Gehirns in verschiedene Zuständigkeits- und Funktionsbereiche wiederholt, die wiederum mit dem Goldrahmen konfrontiert wird. Im Gegensatz zu Carla Williams’ expliziten historischen Referenzen kommt in der strengen konzeptuellen Gleichförmigkeit von Lorna Simpsons Bild-Text-Arbeiten eine Zeitlosigkeit zum Tragen, die jedoch nicht mit Ahistorizität oder Universalismus zu verwechseln ist, sondern ein kreisendes und ineinandergreifendes, hin und her schwingendes Spiel der Bedeutungen meint, welches die scheinbare Simplizität der Arrangements konterkariert. Die an sich unauffällige Rahmung der Einzelbilder wird erst durch deren Zusammensetzen, Aneinanderreihen und Wiederholen als eine Präsentation bedeutungsvoller Einheiten nachvollziehbar, welche umgekehrt ihre/eine Bedeutung genau durch das Abgegrenzte erhalten. Eine zweite Rahmung bilden die TextPlaketten. Sie stehen in einer Verankerungs- und einer Relaisfunktion, die nach Barthes (1990: 34–37) die beiden grundsätzlichen Formen für Bild-Text-Verhältnisse definieren. Im Fall der Verankerung stellt der Text eine ›Kontrollinstanz‹ für die Polysemie des Bildes dar und hilft, die »richtige Wahrnehmungsebene« (ebd.: 35) zu finden; die Relaisfunktion meint ein Verhältnis der wechselseitigen Ergänzung von Bild- und Textbedeutungen. Simpsons Arbeiten aktivieren beide Beziehungsfunktionen – auch, indem sie provozieren, worüber Barthes an dieser Stelle wenig zu sagen hatte: die Polysemie der Texte, die in ihrer bausteinartigen Lakonik mit der Präsentationsweise der Bilder korrespondieren. Es entstehen gleichsam enigmatische und doch ausgesprochen pointierte semantische Felder, die fixierte/fixierende Bedeutungen konstatieren und in Fluss bringen, indem Bild-TextVerhältnisse auch als Ent-Ankerungen und/oder Ver-Schaltungen wirksam werden können.
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In »Dividing Lines« (1989) listen die Plaketten, die ober- und unterhalb der beiden von hinten aufgenommenen ›Porträts‹ montiert sind, in roter Schrift metaphorische Ausdrücke auf, in denen sich der Begriff line 23 – mal substantivisch, mal als Verb gebraucht – mehrfach wiederholt (Abb. 39).24 Die aufgezählten Idiome leiten sich alle aus demselben Konzept von Grenze/Begrenzung – ebenfalls eine Art des Rahmens – her, aktivieren aber unterschiedliche Kontexte, die sich in ihren Konnotationen wiederum kontingent miteinander verbinden lassen: Sie sprechen von bis zum Rand gefüllten Taschen, von Rollentexten, von der ›gleichen alten Leier‹, vom Aus-der-Reihe-Tanzen, von Lichtblicken, sozialen Grenzen und von Rassenschranken – und nehmen das gedoppelte fotografische Bild im ›klassischen‹ Frontalformat dazwischen, welches den Zweck eines Identifizierens jedoch verweigert. Mit dem Nicht-zu-sehen-Geben des Gesichts wird ein Individuelles entzogen und ein Typisierendes verschoben; ›schwarz‹ und ›weiblich‹ werden selbst als Signifikanten für die Einschreibung einer Identität fassbar, die entlang bestimmter lines verwickelt ist und bestimmten narrativen Mustern folgt. Das dominierende Weiß des Hintergrundes mag als Metapher einer ›weißen Umgebung‹ gelesen werden, zum Verweis auf einen rahmenden, gesellschaftlichen ›weißen‹ Kontext, aus dem das Schwarze umso mehr heraussticht. In »Easy for who to say« (1989) ist das Gesicht in den fünf aneinandergereihten Frontalporträts durch ovalförmige Schilder ersetzt, die die Vokale des Alphabets durchbuchstabieren. Ihre Sinnhaftigkeit verschiebt sich mit den ›subtextuellen‹ Schlagwörtern, deren Anfangsbuchstaben sie bilden, vom eher Lautmalerischen zu Begriffen des Falschen und Unwichtigen, welche wiederum in der Verunsichtbarung des Gesichts ihren visuellen Kommentar finden: A – Amnesia, E – Error, I – Indifference, O – Omission, U – Uncivil (Abb. 40). »Sounds Like« (1988) inszeniert ein ironisches Spiel mit der Homophonie von I-WIT-NESS und eye witness, auf die auch der Titel ausdrücklich verweist (Abb. 41). Dabei darf WIT außerdem in der Bedeutung von Verstand, Intelligenz, Geist und Witz und WIT-NESS auch als whiteness gelesen werden. Durch die Anbringung der weißen Keramik-Buchstaben auf den drei Porträtaufnahmen – und zwar jeweils auf der weißen Binde, die das Gesicht/die Augen verhüllt, – entsteht eine Bewegung zwischen den sich durchkreuzenden Ebenen von Sehen und Zu-sehen-gegeben-Sein, bezeugen/beweisen und verdecken, Weiß und Schwarz.
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Im Deutschen je nach Zusammenhang mit »Grenze«, »Reihe«, »Zeile«, »Linie« übersetzbar. Die Ausdrücke lauten: line one’s pocket, actor’s lines, same ol’ line, out of line, silver lining, red lining, line-up und color line.
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Abb. 39: Lorna Simpson: Dividing Lines, 1989 (Polaroids, Plastikplaketten, 144,78 x 180,34 cm). Abb. 40: Lorna Simpson: Easy for Who to Say, 1989 (Polaroids, Plastikplaketten, 78,74 x 292,10 cm). Abb. 41: Lorna Simpson: Sounds Like, 1988 (Polaroids, Keramikbuchstaben, 186,69 x 63,50 cm). Abb. 42: Lorna Simpson: Three Seated Figures, 1989 (Polaroids, Plastikplaketten, 76,2 x 246,38 cm).
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Die drei fotografischen Aufnahmen in »Three Seated Figures« (1989) zeigen jeweils eine sitzende Figur im Ausschnitt von Kinn bis Knie (Abb. 42). Abigail Solomon-Godeau (1995) hat die Funktion der wie Überschriften angebrachten Wörter Prints, Signs of Entry und Marks und die an den Seiten montierten Ausdrücke her story und each time they looked for proof darin festgemacht, dass sie ref lexiv und assoziativ Vorstellungen über kriminelle Übertretungen, Gewalt und Vergewaltigung befördern, die um den schwarzen weiblichen Körper kreisen und sich auf ihn richten: »[…] the texts guide but in no way rigidly fix a certain reading: ›prints,‹ ›signs of entry,‹ evoking both trespass and rape. Where trespass, however, denotes property, and ›marks‹ the damaged body, the generic historical African American women [sic!] is the fulcrum of both; chattel slave in the former, raped woman in the latter. ›Signs of entry,‹ evoking both, is thus appropriately the middle term. ›Her story‹ […] is, of course, not forthcoming, neither spoken nor imaged; it is the viewer’s share to imagine or project it. But the closing panel […] ›each time they looked for proof‹ suggests nothing so much as a repetition without closure – each time.« (Ebd.: 308)
Während die Einzelbegriffe mit dem jeweiligen Bild eine – linguistisch gesprochen – paradigmatische Struktur ergeben, wird durch die textliche Einfassung der Bildreihe ein syntagmatisches Verhältnis betont; es wird ein Narrativ – her story – initiiert, ohne dass die Geschichte erzählt wird, die gleichwohl in der Wiederholung ›endet‹. Für Solomon-Godeau legt Simpsons Arbeit offen, wie Bilder schwarzer Frauen in den Überschneidungen von Sexualität und Repräsentation funktionalisiert (worden) sind, indem sie eine Gratwanderung zwischen Spekularität und Spektakel – sichtbar sein und Schauspiel sein – inszeniert sowie auch eine foucaultianische Sprache von Wissenschaft und Beweis, Überwachung und Macht bemüht. Darin zeige sich zugleich ein erweiterter Begriff von Selbstrepräsentation, der sich mit schwarzer weiblicher Subjektivität eben als historischer Konstruktion auseinandersetzt und dabei weder psychologistisch noch individualistisch ist, sondern vor allem diese Repräsentationspolitiken und ihre Mechanismen fokussiert (ebd.: 308f.). Unerwähnt ließ Solomon-Godeau die unterschiedlichen Handgesten der Figur, die in der Reihung der Bilder und in Verbindung mit dem Text als körpersprachliche Kommentierungen des ›Gesagten‹ gelesen werden können und auf dieser Ebene (auch) einen verschobenen Modus von ›selbst Sprechen‹ markieren. In Williams’ »How to read Character« findet ein dreifaches Ent/Fixieren in der Weise statt, dass Historizität als Medialität auftritt, ein doppeltes Changieren zwischen Bildhaben-Bildsein und Schwarz-Weiß zu sehen gegeben wird und der Akt des Codierens als eine Rahmen-Handlung erscheint. In Simpsons Arbeiten hingegen kommt eine Zeitlosigkeit im Sinne eines kreisenden, hin und her schwingenden Spiels der Bedeutun-
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Fotografie und ›Identität‹
gen zum Tragen, die das paradoxe Doppelprinzip der Fotografie inszenatorisch verdreht. Die Einmaligkeit des entkontextualisierenden und in einen Dauer-Zustand überführenden fotografischen Schnitts wird zum einen durch den Bildträger selbst gedoppelt, denn es handelt sich um Polaroidaufnahmen; zum anderen ist sie in eine kontextualisierende zwei- oder mehrfache Wiederholung überführt, wobei die Polaroids das Reproduzierende der Fotografie durchkreuzen. Vor allem aber gibt es hier nicht ›Bewegung‹, weil irgendeine Ähnlichkeit des Zu-Sehen-Gegebenen verunsichert würde, sondern deswegen, weil sich sowohl hinsichtlich der Figur(en) als auch hinsichtlich der durch die Texte beförderten Assoziationen sowie durch deren Zusammenwirken ein nicht-beliebiges und nicht-deterministisches Bedeutungsgewebe eröffnet.
Der ganze-fragmentierte Körper Als eine weitere Schicht des Rahmen-Spiels zeigen Carla Williams und Lorna Simpson die Figuration des (schwarzen weiblichen) Körpers ›selbst‹. Beide Künstlerinnen inszenieren einen ›ganzen‹-fragmentierten Körper, der das dichotom verschränkte Verhältnis der beiden Begriffe, wie es von Seiten der kunstwissenschaftlichen Geschlechterforschung plausibel gemacht worden ist, noch einmal herausfordern kann. Die vehement geführte Debatte darüber, wie Darstellungen ›ganzer‹ und fragmentierter, vornehmlich weiblicher, Körper in Kunst und Kunstgeschichte zu interpretieren und zu bewerten seien, hatte den Paradigmenwechsel hin zu einem konstruktivistischen Verständnis von Bild und Repräsentation markiert und begleitet.25 Es wurde gezeigt, dass die fragmentarischen Körperbilder, wie sie vor allem für antitraditionalistische künstlerische Strategien der Moderne und für kritische Praktiken zeitgenössischer Künstler/innen charakterisierend sind, nicht von der Zerstörung eines präexistenten Ganzen zeugen, sondern genau diese Vorstellung als ein Phantasma offenlegen. Bilder des zerstückelten Körpers bedeuten nicht die Zerstörung eines ursprünglichen und heilen Körpers, sondern dieser ›ganze‹ Körper, der sich seit der Renaissance eben vorzugsweise im Idealbild des weiblichen Aktes manifestiert hat, ist selbst das Resultat vorausgegangener Fragmentierungen und von daher eine Konstruktion, die jedoch ihre Konstruiertheit leugnet und unsichtbar gemacht hat.
25
Vgl. Berger (1985); Schade (1987); vgl. auch den Wiederabdruck beider Texte in Zimmermann (2006) sowie die Einführung und Kommentierung dazu (Wenk 2006); vgl. auch Hoffmann-Curtius (1989; 1993); Schade/Wenk (1995; 2005).
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Figurationen des Rahmens
Um das (unsichtbar/e) Gemacht-Sein, die Historizität, wieder in den Blick zu heben, die das Bild des ›ganzen Körpers‹ von sich selbst zum Verschwinden bringt, und zu zeigen, wie künstlerische Fragmentierungspraktiken als Dekonstruktion, als eine »Arbeit der Zerlegung, der Rückgängigmachung des Konstruierten – auf der Ebene des Ästhetischen« (Wenk 2006: 105) funktionieren, verflocht der feministische Diskurs vor allem drei Ableitungsstränge. Die Lektüre von Körperbildern durch das psychoanalytische Modell der Subjektkonstituierung, das im lacanschen Spiegelstadium selbst s/ein Bild bekommen hat, wurde mit Foucaults Macht/Wissen-Theoremen noch einmal hinsichtlich einer historischen Perspektive weiterentwickelt. Damit konnten das ganzheitliche Aktbild und die Konstituierung des bürgerlichen Subjekts – auch in Bezug auf die Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit – in ihrem Wechselverhältnis analysiert werden. Auf einer fachdisziplinären Linie wurde zum einen auf antike Schöpfermythen Bezug genommen und zum anderen auf die neuzeitliche Bildorganisation der Zentralperspektive als »illusionistische Herstellung angeblich natürlicher homogener Körper im kontinuierlichen Raum« (Schade 1987: 247) rekurriert – und in diesem Kontext auf das cartesianische Subjekt, bei welchem wiederum auch Lacan angesetzt hatte. In wissenschaftshistorischer Hinsicht wurde auf die neuzeitliche Verbindung von Kunst und Anatomie für die Herstellung naturalisierter Idealbilder verwiesen, die Vermessung und Sektion toter Körper, deren visuelle Dokumentierung wiederum zentralperspektivischen Maßgaben folgte. Zudem holten die feministischen Debatten um die Organisation von Macht, Gewalt und Sexualität in visuellen Medien auch diese Medien selbst und ihre Funktionszusammenhänge als zu Analysierendes in die Diskussion. In der Berücksichtigung der jeweiligen Beziehungen, die unterschiedliche Medien zum Imaginären und zum Realen haben, wurde die Möglichkeit gesehen zu klären, inwiefern die Wahrnehmung der Bildwirkungen »als affirmative Gewaltpropaganda oder subversive Offenlegung gewaltförmiger Strukturen« sowohl »von Ort und Zeitpunkt ihrer Präsentation« abhängt als auch »von den unterschiedlichen Stufen mimetischer Identifizierungsmöglichkeiten.« (Lindner/Schade 1989: 335) In Williams’ »How to Read Character«-Reihe präsentiert eine halbfigurige Aufnahme den nackten weiblichen Körper als Objekt der Anschauung, was vor allem durch den gesenkten Kopf und den nach unten gerichteten Blick vermittelt wird (Abb. 43). Dabei trifft die goldgerahmte Aktdarstellung auf die Profilansicht der anthropologischen Fotografie. Diese ›disziplinäre‹ Begegnung wird verstärkt und durchkreuzt: Das harte Licht gibt dem ›schwarzen‹ Körper scharfe Umrisslinien, die ihn, zumal vor dem monochrom dunklen Hintergrund, nahezu weiß, flächig und wie ausgeschnitten erscheinen lassen. Diese Linien allerdings sind durch die Schatten unterbrochen, die der fotografierte Körper auf sich
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selbst wirft, so dass einerseits die Figur partiell mit dem Hintergrund – der Bildfläche – verschmilzt und andererseits ein segmentierter Körper erscheint. Die über diesen Körper verteilten Stecker wiederholen das Prinzip der schematischen Aufteilung des Rindertorsos, dessen Zeichnung auf der Fotokopie zu sehen ist – inklusive einer Legende, die erklärt, wo sich welches verwertbare Fleisch befindet.26 Die Nebeneinanderstellung von Fotografie und Fotokopie übersetzt den schwarzen weiblichen Körper »into an animal-like creature« (Williams 1998); er wird zu dem eines Tieres, zu einem Stück Fleisch unter dem sezierenden Blick, den Williams hier aufruft und durch den Goldrahmen ›kultiviert‹. In diesem Blick verbinden sich historisch – wovon bereits im zweiten Kapitel bezüglich des Rasters die Rede war – sowohl die Proportionsstudien Dürers am menschlichen Körper (Abb. 44), »die diesen wie Schlachtvieh zerlegen« (Schade 1987: 249), als auch sein »Zeichner des liegenden Weibes« (Abb. 33), der das Kunst-Bild des weiblichen Körpers durch das Gitter hindurch erstellt, wiederum mit den visuellen Vermessungssystemen der anthropologischen Fotografie, die mit Huxleys Messlatte und dem Lamprey-Gitter ein visuelles Zerlegen des Körpers in das Foto selbst integriert haben. Goldrahmen, Foto-Montage, Lichtführung, Stecker und Zeichnungskopie produzieren ein gegeneinander verschobenes und sich miteinander verschiebendes Gefüge materieller, disziplinärer und bildhistorischer Faktoren, welches das Verhältnis von Ganzem und Fragment entpolarisiert, prozessualisiert und in der wechselseitigen Bedingtheit vorführt. Die Kanten der einzelnen Teilfotografien durchschneiden jenseits aller anatomischen Logik das Körper-Bild auf der Ebene des materiellen Bildes, indem sie es als Bild-Körper auf der Ebene des fotografierten Referenzkörpers zugleich kohärent zusammenfügen. Der Schnitt der Montage bezeichnet noch einmal die Fotografie in ihrem doppelten Status; das Bild-Sein bezieht sich auch hier gleichermaßen auf das ›Objekt‹ – den schwarzen weiblichen Körper –, wie auf die Medialität seiner Konstruktion. Dabei hebt Williams eine stabile (Betrachter-)Position vor dem Bild, den überwachenden und kontrollierenden, berechnenden und vergleichenden, sezierenden-konstruierenden Blick des Anatomen, des Fotografen oder des Künstlers nicht einfach auf, sondern sie gibt ihn als veränderlichen Effekt der Rezeptionsbewegungen zu erkennen. Die sechs Rückenfiguren, die Simpsons »Guarded Conditions« (1989) zeigt, sind aus jeweils drei Fotografien zusammengesetzt. Die darunter angebrachten Schilder wiederholen die schlagwortartigen
26
Diese schematische Zeichnung ist einem Kochbuch entnommen (Email von Carla Williams; 11.06.2000).
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Abb. 43: Carla Williams: Untitled. Aus: »How to Read Character«, 1990–91 (Gelatinesilberdrucke, 125x100 cm, und Fotokopie, 55x75 cm, Goldrahmen). Abb. 44: Albrecht Dürer: Proportionsstudie, 1528.
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Begriffe sex attacks und skin attacks, welche Assoziationen um Sexismus, Rassismus und Gewalt eröffnen (Abb. 45). Das Podest, auf das die weibliche Figur gestellt ist, mag den Auktionsblock der Sklavengeschichte27 oder den Kunst-Sockel der Skulptur assoziieren lassen (Abb. 46) – es bezeichnet die Figur als Objekt der Anschauung, als Ausstellungsstück. Die hinterrücks verschränkten Arme mit der leicht variierenden Handhaltung sind in dieser Hinsicht als Zeichen einer Handlungsunfähigkeit lesbar, aber ebenso als Geste der Abwehr, ein Bis-hierher-und-nichtweiter. Der schwarze weibliche Körper, den Simpson entwirft, wird hier nicht zu einer Einschreibungsf läche für rassistische und sexistische Projektionen. Solomon-Godeau hatte Simpsons ›Frau‹ als »eine Art visuelle Chiffre« (1992: 37) bezeichnet, die »in dem entkontextualisierten Raum des glatten Hintergrundes […] bloß bildliche Behauptung schwarzer Weiblichkeit« (ebd.: 40) ist, »ein Generator von Bedeutungen und nicht deren unveränderliches Aufnahmegefäß« (37). In der Behauptung seiner vervielfachten zusammengesetzten Präsenz kehrt dieser Körper den Betrachter/innen im wahrsten Sinn den Rücken, entzieht sich, markiert seine Abwesenheit; er wird zu einer Spur, über die Bedeutung in Korrespondenz zu den sich wiederholenden Schlagwörtern auf den Text-Plaketten erzeugt wird. Die allerdings wird niemals endgültig fixierbar, sondern verschiebt sich fortlaufend entlang der entstehenden Bedeutungsfelder: sex attacks, skin attacks, … Das weiße kleidartige Gewand, das in der farblichen Angleichung an den Hintergrund vor allem die ›dunklen‹ KörperTeile betont, verdoppelt noch einmal das Nicht-/Zu-Sehen-Geben. Die kleinen Unterschiede, die sich – wie auch in den bereits besprochenen Arbeiten Simpsons – beim Vergleich der aneinandergereihten und nur auf den ersten Blick identisch wirkenden Fotografien in Hand-, Fuß- oder Körperhaltung der Figur(en) und im Bildausschnitt feststellen lassen, verweisen auf die Medialität der Bilder. Sie zeigen, dass die Serie, die Reihung nicht aus der mehrfachen Reproduktion derselben Fotografie resultiert, sondern aus der mehrfachen Fotografie desselben ›(Teil-)Objekts‹ – im Polaroid, dessen technisch bedingte Einmaligkeit, wie bereits gesagt, zugleich die (eigentliche) Reproduzierbarkeit des fotografischen Bildes konterkariert. Auch die vertikale Dreiteilung der einzelnen Körperbilder/Bildkörper ist nochmals durch leichte Inkohärenzen der Konturlinien betont, die die Lücke zwischen den Einzelrahmungen verfestigen, ohne allerdings den visuellen Eindruck einer Einheitlichkeit aufzuheben.28 Es sind in/signifikante Differenzen, die
27
So kommentierte etwa Jeff Rian, dass »Simpson’s figures are succinctly presented; they stand upright to look like they are in a line-up shot or on an auction block.« (1993: 12f.) 28 Dafür spricht nicht zuletzt, dass dieses Charakteristikum in der Rezeption von Simpsons Arbeiten m.W. bisher unberücksichtigt geblieben ist.
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Abb. 45: Lorna Simpson: Guarded Conditions, 1989 (Polaroids, Plastikplaketten, 227,5x327,5 cm). Abb. 46: Edwin Long: Der babylonische Heiratsmarkt, 1875. Abb. 47: Edouard Manet: Déjeuner sur l’herbe, 1863. Abb. 48: Max Weiß: Watussi-Frauen, Deutsch-Ostafrika, um 1910.
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die Grenzen des Sichtbaren selbst sichtbar machen in der Flächigkeit des Bild-Körpers und als Spalten, die den betrachtenden Blick fortlaufend mobilisieren und nicht zur Ruhe kommen lassen. Der Titel spricht von guarded conditions im zweifachen Sinn des Beschützens und Kontrollierens – ganz, wie es einer anthropologischethnografischen Fotografie als Produktionspraxis visuellen Macht/ Wissens, aber auch dem Kunst-Rahmen als Grenze und Begrenzung entspricht. Und in der Bild-Inszenierung des gleichermaßen ganzenfragmentierten wie zusammengesetzten-vervielfachten Körpers spricht Simpson sowohl die anthropologische Reihenaufnahme des nackten Körpers als auch das Aktbild der Kunst in deren bzw. dessen jeweiliger Grenz-Wertigkeit an, insofern das eine in dem anderen immer auch impliziert ist bzw. beide ineinander umschlagen können. Eine künstlerische Strategie, die diese Grenz-Wertigkeit des weiblichen Aktes ausformuliert, hatte Marcia Pointon (1990) in der Sichtbarkeit abgelegter Kleidung im Bild ausgemacht, deren Virulenz sie in der französischen Malerei des neunzehnten Jahrhunderts vermerkt. In ihrer exemplarischen Analyse von Edouard Manets »Déjeuner sur l’herbe« (1863, Abb. 47) sah Pointon darin eine künstlerische Explikation sexualisierter Nacktheit, indem eine Zeitlichkeit bedeutet würde – Ausziehen, Anziehen –, die der Ahistorizität des Aktes und dem Überzeitlichen der Allegorie widerspricht: »[…] The drapery of the Renaissance nude is just that – drapery – but what the nineteenth century offers us is cast-off clothing, unfolded and jumbled. […] The nude, as a form of visual rhetoric, also serves to mask the body and to deny its condition as cultural construct. If this is so, then these strewn garments indicate that nakedness is impermanent rather than permanent, that the body having by this indicator once been clothed may again assume its socially specific mask. By this sleight the nineteenth century challenges the very idea of permanence and timelessness invested in notions of truth and beauty that are embodied in the nude female form. The whole point about the nude is that she foregrounds the unclothed body. The presence of cast-off clothing problematises the status of the body as nude and thus also problematises the body as an allegorical site. To put it another way, the presence of cast-off clothing points up the instability of the body as sign.«29
Ebenso kann die Sichtbarkeit abgelegter Kleidung auch in der ethnografisch-anthropologischen Fotografie als Marker gelesen werden, der
29
Pointon (1990: 119ff.). Mit Bezug auf Derridas Parergon wäre hier anzumerken, dass Pointons Unterscheidung zwischen »just drapery« und »cast-off clothing« nicht in dem Sinn misszuverstehen ist, dass Ersteres bedeutungslos wäre oder kantscher Zierrat; »drapery« kann nicht ›abgelegt‹ werden, weil es eben keine Kleidung, sondern konstitutiver Bestandteil der Aktdarstellung ist.
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das Grenz-Wertige verzeitlichend offenlegt, insofern sie den geheimen Schulterschluss zwischen Kunst und Wissenschaft in ihrer (verleugnenden) Abgrenzung gegenüber einem Pornografischen brüchig werden lässt. Der Wunsch, den Erfolg zivilisatorischer Missionierung zu präsentieren, als deren Zeichen ›die Eingeborenen‹ Kleidung tragen, kollidiert mit dem wissenschaftlich codierten Wunsch, das ›Ursprüngliche‹ und ›Natürliche‹ zu zeigen, welches das Ablegen ebendieser Kleidung ›für das Bild‹ erforderte. Die ganzfigurigen Aufnahmen von Watussi-Frauen, die um 1910 im damaligen Deutsch-Ostafrika entstanden sind – und die sich bezeichnenderweise in einem Buch mit dem Untertitel »150 Jahre Aktfotografie« wiederfinden 30 –, gehören zu den klassifikatorischen Fotopraktiken, die einen ›typischen‹ Körperbau dokumentieren sollten (Abb. 48). Die Kleiderbündel zu ihren Füßen arbeiten im o.g. Sinn als eine Sexualisierung, die die Nacktheit der Fotografierten vom wissenschaftlich perspektivierten weiblichen (Ideal-)Bild ›der Natur‹ in Richtung eines (pornografischen) Ent-Kleidet-Seins verschiebt.31 Solche doppelte körperliche Grenzwertigkeit wird durch das weiße kleidartige Gewand, das Simpsons ›Frau‹ trägt, zugleich wiederholt und durchkreuzt. Solomon-Godeau hat es als ein zeitloses – sprich: in Stil und Design nicht zuordbares – Kleidungsstück gelesen, das »functions to reduce temporal specificity«, wobei der Kontrast zwischen weißem Kleid und schwarzem Model auch »whiteness and blackness« thematisiere (1995: 307f.). Es kann, so möchte ich anschließen, als affirmative Widerständigkeit in dem Sinn gelesen werden, dass auch in Manets »Déjeuner« eine weibliche Figur im Hintergrund in weißem Kleid zu sehen ist, und zugleich als widerständige Affirmation, insofern der Körper nicht entkleidet, dieses Nicht-entkleidet-Sein aber ›weiß‹ signifiziert ist. In Williams’ und Simpsons’ Thematisierung des fotografischen Schnitts durch Rahmensetzung, Lichtsetzung, Markierungsstecker, Text und den Bildträger selbst bleibt der schwarze weibliche Körper auf der Bildebene ebenso immer schon zusammensetzt wie auseinandergenommen und niemals einheitlich, ohne völlig disparat zu sein. Eine zu dekonstruierende ›Ganzheit‹ hat es für diese Inszenierungen niemals gegeben, ihre mediale De-Konstruiertheit ist gewissermaßen ihr Sein.
30
Ansichten vom Körper. 150 Jahre Aktfotografie (1986). Ausstellungskatalog, hrsg. v. Michael Köhler. Kilchberg/Zürich. 31 Bereits in Kap. 2 wurde auf den Umgang mit Kleidung als Beispiel für das Ineinander von dokumentarischer Wahrheitsrhetorik, ›ethnografischem Theater‹ und vermeintlicher Authentizität hingewiesen. Im Porno-Film finden sich zwar eher selten Spuren von abgelegter Kleidung, doch geht es hier darum, wie Bildzeichen implizit als Grenzmarkierung fungieren können. Dazu gehört auch die Übertragung bestimmter Posen; beispielsweise haben ethnografische Fotopraktiken, gerade wenn es um Frauen ging, Bildrhetoriken etwa der Liegenden aufgegriffen und ihre Modelle in dieser Hinsicht sexualisiert/pornografisiert.
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Die Hottentotten-Venus In einem vierten Bild aus »How to Read Character« setzt Carla Williams den fragmentierten-zusammengesetzten Körper der ›Kunst‹ neben den ›ganzen‹-vervielfältigten Körper der ›Wissenschaft‹ und nimmt dafür ein konkretes historisches Vor-Bild in Anspruch (Abb. 49). Die goldgerahmte fotografische Halbseitenansicht eines Torsos – Hüfte und Gesäß – ist mit einer schwarz-weiß Fotokopie kombiniert, auf der zwei, eigentlich colorierte, anthropologische Zeichnungen der Hottentotten-Venus frontal und im Profil zu sehen sind. Die nochmalige Vervielfältigung dieser Zeichnungen und deren auch seitenverkehrter Abdruck zeigt sie doppelt, dreifach und rundum und entzieht sie zugleich durch die unzureichende Kopierqualität. Die Afrikanerin, die Saartjie Baartman genannt und als HottentottenVenus bekannt geworden ist, gilt als eine Schlüsselfigur der ineinandergreifenden anthropologischen, medizinischen und ästhetischen Diskurse um ›Rassen‹-Hierarchien, Geschlechtscharaktere, Sexualität und Schönheit im Europa des neunzehnten Jahrhunderts (vgl. Gilman 1985; 1986; 1992). Der Grund dafür waren ihre so diagnostizierte Steatopygie und vermeintlich hypertrophierte Labien – die sogenannte HottentottenSchürze, deren tatsächliche Existenz jedoch niemals endgültig nachgewiesen werden konnte.32 Beide Merkmale wurden zeitgenössisch als anatomische Charakteristika der Hottentotten-Frau – und auch der ›schwarzen Frau‹ schlechthin angesehen, zu deren Inbegriff Saartjie Baartman in Folge geworden ist. Die (zugeschriebene) Monströsität von Gesäß und Genitalien kategorisierte die ›schwarze Frau‹ in Abweichung von einem Ideal weißer (und bürgerlicher) Weiblichkeit und galt innerhalb der zeitgenössischen ›Rassen‹-Diskurse als Zeichen degenerierter Sexualität, über die wiederum eine (bereits vorausgesetzte) Minderwertigkeit der ›schwarzen Rasse‹ vermeintlich bestätigt werden konnte.33 Die Hottentotten-Venus ist eine Figur, die den Bild-Status der (schwarzen) Frau innerhalb der verschiedenen Register (oder Rahmen) des Zu-Sehen-Gebens eindrücklich exemplifiziert: Die historische Person wurde 1810, wahrscheinlich etwa zwanzigjährig, von der südafrikanischen Kap-Region nach Europa gebracht. Ihre öffentliche Zurschaustellung in
32 33
Vgl. Fausto-Sterling (1995: 37); Wiegman (1995: 58); Schiebinger (1993: 165). Vgl. Gilman (1986). Robyn Wiegman betonte: The »cultural narrativization of blackness as both feminine and aberrantly sexual can be traced to discourses circulating in Anglophilic cultures long before comparative anatomy’s epistemic ascendancy, its construction as definitively corporeal focused […] on the southwestern African, the Hottentot […].« (1995: 56) Auch der Mythos um die ›Hottentotten-Schürze‹ existierte bereits ›vor‹ Saartjie Baartman (vgl. Schiebinger 1993: 75–114).
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London und Paris machte sie zum exotistischen Spektakel; für Georges Cuvier und Henri de Blainville, die als Begründer der vergleichenden Anatomie und zoologischen Taxonomie gelten, wurde sie zum wissenschaftlichen Forschungsobjekt. In diesem Kontext entstanden auch die Zeichnungen, die Williams verarbeitet hat (Abb. 50, 51).34 Nach ihrem Tod fünf Jahre später wurde Saartjie Baartman zum Museumsexponat. Cuvier fertigte einen Gipsabguss von ihrem Körper an, nahm einen separaten Abdruck von ihren Genitalien; der Leichnam wurde seziert, das Skelett herausgelöst, Genitalien und Gehirn entfernt und konserviert. Gipsfigur und körperliche Überreste wurden im Musée de l’Homme in Paris ausgestellt und erst in den 1980er Jahren nach vehementer Kritik endgültig aus dem öffentlichen Blick genommen. Ebenfalls seit den 1980er Jahren hat die Hottentotten-Venus in der kulturhistorischen Forschung sowie in feministisch und postkolonial informierten Analysen eine nicht unproblematische Sichtbarkeit erhalten. Wie ich bereits an anderer Stelle gezeigt habe, ist Saartjie Baartman von der Verkörperung ›rassischer‹ Inferiorität und sexueller Devianz innerhalb der humanwissenschaftlichen Diskurse des neunzehnten Jahrhunderts nun zur Personifikation dieser Diskurse geworden und zugleich auch zu einer Identifikationsfigur für die Konstituierung schwarzer Identität/en und Geschichte/n.35 Ich habe dabei auch gezeigt, wie sich in den ›neuen‹ Referenzen auf Saartjie Baartman – in den spezifischen Strukturen sowohl der Personifizierung als auch der identifikatorischen Funktion – versatzstückartig ein ›alter‹ rassistischer und sexistischer Diskurs erhalten hat. Dieser äußert sich vor allem in der strategischen Verwechslung von Saartjie Baartmans Adressierung als historische Person und ihrer analytischen Inanspruchnahme für Problematisierungen, innerhalb derer sie als historisches Subjekt überhaupt nicht interessiert. Der auffällige Widerspruch zwischen der enormen diskursiven, historischen und politischen Bedeutung, die ihr gegeben wird, und dem Umgang mit ihren nur unvollständig bekannten biografischen Daten steht dafür symptomatisch. So kursieren beispielsweise verschiedene Versionen ihres Namens, ihrer persönlichen Geschichte, Herkunft und Lebensdaten jeweils ›für wahr‹ genommen nebeneinander her. Eine offene Auseinandersetzung darüber, wie mit diesen Unstimmigkeiten und mit den Lücken, dem Nicht-Wissen,
34
Williams hat die Abbildungen aus Honour (1989) entnommen; der Text auf der Fotokopie ist absichtlich nicht lesbar (Email von Carla Williams, 11.06.2000). 35 Brandes (2004b). Ein aktuelles Forschungsprojekt d.A. – »Die Hottentotten-Venus: Transkulturalität, Medialität, Bildzirkulationen« – untersucht die Mythisierungsprozesse, das BildSein und die vielgestaltigen medialen Repräsentationen und Adaptionen der Hottentotten-Venus in Hinsicht auch auf die Herausforderungen, die sich im Zeitalter eines globalisierten Zirkulierens der Bilder an eine Analyse visueller Politik stellen.
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Abb. 49: Carla Williams: Untitled. Aus: »How to Read Character«, 1990–91 (Gelatinesilberdrucke, 125x100 cm, und Fotokopie, 55x75 cm, Goldrahmen). Abb. 50: Léon de Wailly: Frontalansicht von Saartjie Baartman, der ‚Hottentotten Venus‘, 1815 (Aquarellfarbe/Pergament, 48,3 x 33,5 cm). Abb. 51: Nicolas Huet le Jeune: Profilansicht von Saartjie Baartman, der ‚Hottentotten Venus‘, 1815 (Aquarellfarbe/Pergament, 44 x 30,7 cm).
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Abb. 52: Lyle Ashton Harris, mit Renee Valerie Cox: Hottentot Venus 2000, 1994 (Farbpolaroid). Abb. 53: Renée Green: Sa Main Charmante, 1989 (Mixed Media Installation, 177,8 x 223,5 x 161,3 cm). Abb. 54: Die Ekstase der Neugierigen oder die Schnürsenkel, 1812 (kolorierte Radierung). Abb. 55: Zeitungsfoto – Ambassador Skweyíya accepted the remains for South Africa, BBC News online, 2002-04-29.
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umgegangen werden kann, das die wenigen, als gesichert geltenden Fakten über die historische Person hinterlassen, steht bisher aus. Statt dessen werden die fragmentarischen Informationen zu einem ›vollständigen Bild‹ der Person zusammengesetzt – zu einer stringenten Erzählung, die selbst nachträglich aus Nacherzählungen konstruiert ist oder wiederum verschiedene Quellen verbindet, ein Narrativ, das ›Saartjie Baartman‹ als Fall, als Anekdote, Skandal, Tragödie, Illustrationsbeispiel oder Symbol im Kontext genau jener Problematiken verhandelt, für die sie dann eingesetzt und mit denen sie gleichgesetzt wird. Es wird eine ›ganze Figur‹ als identifikatorisches Gegenüber und Projektionsfläche geschaffen, die nichts über die historische Person aussagt, dafür aber um so mehr über Strategien autorialer Selbstinszenierung, unabhängig von etwaigen Intentionsbekundungen.36 War bereits die historische Suche nach der Wahrheit der sogenannten Hottentotten-Schürze vornehmlich durch europäische Phantasmen bestimmt, so ist Saartjie Baartman in der aktuellen Rezeption vor allem das Produkt eines vielschichtigen und andauernden Mythisierungsprozesses. Die Mechanismen, durch die sie zum Zeichen, zu einem Platzhalter für verschiedene Begründungszusammenhänge wird, sind Teil derselben strukturellen Gewalt, die das Bild des ›ganzen Körpers‹ figuriert. Mit der fragmentarisch-kohärenten, (aus-)schnitthaften Inszenierung ihres eigenen Körpers und deren Konfrontation mit den fotokopierten historischen Zeichnungen schreibt sich Carla Williams in das Bild der Hottentotten-Venus ein. Es ist eine Bewegung der Identifikation und ein Akt, der auch der historischen Person Saartjie Baartman – nicht zuletzt mit dem Goldrahmen – Tribut zollt. Dies geschieht jedoch, ohne dass dieses Bild zugleich als ein ›wahres‹ oder als ultimative Repräsentation der ›schwarzen Frau‹ schlechthin stabilisiert würde. Vielmehr eignet Williams ein Bild der historischen Figur und ein Bild schwarzer Weiblichkeit an, indem sie genau dessen Prekarität offenlegt und anerkennt. Ich möchte zwei weitere künstlerische Arbeiten vorstellen, die sich der Figur der Hottentotten-Venus in ähnlicher Weise nähern. Die Fotoarbeit »Hottentot Venus 2000« (1994) von Lyle Ashton Harris, die in
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Ein ausgesprochen eindrückliches Beispiel dafür ist der 1998 entstandene Dokumentarfilm »The Life and Times of Sara Baartman – The Hottentot Venus« von Zola Maseko, der verschiedenste historische Bild- und Text-Quellen bruchlos zur ›tragischen Lebensgeschichte‹ einer bedauernswerten Frau zusammenfügt. Wie sehr Maseko damit einem öffentlichen Begehren entgegengekommen ist, zeigte sich nicht zuletzt darin, dass der Film 1999 auf dem größten afrikanischen Filmfestival FESPACO als beste Dokumentation ausgezeichnet wurde. Ähnlich ungebrochen ist die Darstellung in Masekos zweitem Film »The Return of Sara Baartman« über die Rückführung der sterblichen Überreste und des Gipsabgusses nach Südafrika.
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Zusammenarbeit mit Renée Valerie Cox entstanden ist, zeigt eine Aktaufnahme der Letzteren – der Körper in Profilansicht, die Hände in die Hüften gestützt, schaut sie die Betrachter/innen direkt an. Brüste und Gesäß sind mit übergroßen Metall-Doubles verdeckt, die sie wie ein Kostüm trägt – mit weißen Bändern ordentlich um den Körper gebunden (Abb. 52). Indem sich Cox’ (schwarzer weiblicher) Körper in das phantasmatische westliche Bild der ›schwarzen Frau‹ fügt, das auf sexualisierte Körperteile und deren angebliche Monstrosität reduziert ist, wird ebendieses Bild durch die offensichtliche Künstlichkeit der rüstungsartigen Anhängsel zugleich aufgerufen und karikiert. Die metallenen Doubles wirken ambivalent: Indem sie die entsprechenden Körperteile verbergen und sie als deren übertreibende prothetische Ersetzung zugleich hypersichtbar machen, spielen Harris/Cox die Mechanismen des Fetischismus aus, ohne allerdings einen fetischistischen Repräsentationsmodus zu reinstallieren und ohne eine sexualisierte Implikation des Zu-Sehen-Gegebenen zu leugnen. In ähnlicher Weise spielen sie mit den vergeschlechtlichten Strukturen des Voyeurismus. Die traditionelle Konstruktion der Frau als Objekt der Anschauung wird im Zurückstarren der Protagonistin, im Zurückgeben des Blicks, der das Auge des Betrachters im Moment des Schauens trifft, gebrochen, ohne dessen Schauen zu denunzieren. Und schließlich, insofern der Titel »Hottentot Venus 2000« im Herstellungsjahr noch eine Zukunft bezeichnete, parodiert die Arbeit Phantasien über künftige Körperkonstruktionen – die Substitution menschlichen Fleisches und menschlicher Muskeln durch Metall und Stahl – oder über die Ausgestaltungen von Sexualität – als Fetisch-Inszenierungen und deren Norma lisierung zum modischen Outfit. Zugleich wird ebenso die Lesart befördert, dass hier eine in dieser Zukunft vielleicht kaum mehr vorstellbare, absurde Phantasie aus der fernen Vergangenheit visuell erprobt würde. Renée Greens Installation »Sa Main Charmante« (1989) schließlich fokussiert die Persistenz dominanter Blickpolitiken, die den Feldern des öffentlichen Entertainments und der Wissenschaft gemeinsam sind. Indem sie den Apparat der Zurschaustellung neu arrangiert, der hier das Spiel zwischen einer phantasmatischen Präsenz und Absenz des ›Objekts‹ inszeniert, bietet Green dem Betrachter zwei jeweils zentralperspektivisch situierte Blickpunkte an, die eine Selbst-Verständlichkeit dieser Positionierung simultan affirmieren und preisgeben (Abb. 53). Eine Kiste, auf der Fußabdrücke zu sehen sind, ist als Podest vor ein an die Wand montiertes Gebilde gesetzt, das an ein Lattenrost für Matratzen erinnert. Auf den Sprossen befindet sich handgedruckter Text, zusammengesetzt aus einer zeitgenössischen Quelle, die eine Version der Saartjie-Baartman-Biografie erzählt, und Cuviers Abhandlung über ihr
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körperliches Erscheinungsbild. 37 Über der Leiter befindet sich ein kleiner, leerer Rahmen, zu dessen Seiten übermalte Collagen einer Illustration aus Cuviers Bericht angebracht sind. Die Betrachter/innen sind eingeladen, entweder Saartjie Baartman oder sich selbst auf dem Podest stehend als Schau-Stück zu imaginieren. Es ist das Podest, auf dessen Mehrdeutigkeit Lorna Simpsons un/sichtbare Frau verweist; es ist auch das Podest der kunsthistorischen Bilderwelten, auf dem so viele weibliche Figuren ihre (unsichtbaren) Fußspuren hinterlassen haben. Der gegenüberstehende Text unterstützt eine Empathie mit der Positionierung der Afrikanerin als Spektakel, aber er verweigert sich einer lacanschen Spiegel-Funktion: sein Montiertes, seine zusammengesetzte Fragmentarität aus zwei alternierenden Stimmen bietet einerseits zwar die Vorstellung eines ›ganzen Bildes‹; andererseits aber werden auch die Lücken dessen visualisiert, was ungewusst und ungesagt bleibt oder jenseits von Sprache angesiedelt scheint. Die offensichtliche Distanz zwischen den einzelnen Sprossen lässt auch zwischen den Zeilen lesen, in der Markierung eines ›Nichts‹. Und letztlich verspricht der kleine Bildrahmen einen ›Inhalt‹, der niemals zu sehen sein wird, sondern sich gleichermaßen als Signifikation eben dieser Absenz herausstellt. Der Raum des phantasmatischen Objekts wird in einen Raum der Phantasie transformiert, der das ›Objekt‹ zugleich rahmt, anbietet und verunsichert. Zur Linken des Podests befindet sich ein hölzerner Guckkasten, der – mit dem Wort look beschriftet – die Betrachter/innen auffordert, durch den Sehschlitz zu schauen, um sie dann mit dem Druck einer Karikatur von 1812 zu konfrontieren: Vier Europäer – drei Männer, eine Frau – und ein Hund sind um die, auf einem Podest stehende, Hottentotten-Venus
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Der Text lautet: »BAPTISED SAARTJIE BAARTMAN, PRONOUNCED SAR / EVERYONE WAS ABLE TO SEE HER DURING HER EIGHTEEN MONTHS STAY ON OUR CAPITAL, AND / KEY, MEANING LITTLE SARAH IN AFRIKAANS ALSO / TO VERIFY THE ENORMOUS PROTRUSION ON HER BUTTOCKS AND THE BRUTAL APPEARANCE OF / CALLED SARAH BARTMANN OR SAAT-JEE SHE WAS / HER FACE ... HER MOVEMENTS HAD SOMETHING BRUSQUE AND CAPRICIOUS ABOUT THEM, / KNOWN AS THE «HOTTENTOT VENUS.” FIRST EX- / WHICH RECALL THOSE OF MONKEYS ....THERE IS NOTHING MORE FAMOUS IN NATURAL / HIBITED IN PICCADILLY SHE EXITED AND ENTERED A CAGE / HISTORY THAN THE TABLIER (SINUS PUDORIS OR «CURTAIN OF SHAME”) OF HOTTENTOTS, AND / COMMANDED BY HER KEEPER. MONEY WAS PROMISED. AN / AT THE SAME TIME NO FEATURE HAS BEEN THE OBJECT OF SO MANY ARGUMENTS... I HAVE / ANIMAL TRAINER EXHIBITED HER IN PARIS WHERE SHE / THE HONOR TO PRESENT TO THE ACADEMY THE GENITAL ORGANS OF THIS WOMAN PREPARED IN A / CAUSED A SENSATION, BUT AFTER MORE THAN THREE YEARS / MANNER THAT LEAVES NO DOUBT ABOUT THE NATURE OF THE TABLIER. / OF EXHIBITION IN EUROPE, IN 1815 AT AGE 25 SHE DIED.« Der Installationstitel ist ebenfalls bei Cuvier entnommen, der dem Körperbau der Afrikanerin zwar animalische Charakteristika zugeschrieben, ihr jedoch eine »entzückende Hand« bescheinigt hatte.
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Figurationen des Rahmens
gruppiert (Abb. 54).38 Ein (männlicher) Voyeurismus wurde hier zeitgenössisch insofern verdreht, als die drei Männer wohl auf die Ausgestellte starren, die wiederum aber aus dem Bild heraus auf ihre/n Betrachter/in schaut; der Blick der Dame könnte ebenso unter den Schottenrock des linken Soldaten gerichtet sein, so wie der des Hundes unter den des rechten Soldaten geht, die Säbel als phallisches Symbol. In diesem Spiel der Blicke bleibt der/die Betrachter/in in der Schlüsselloch-Perspektive verortet und wird durch den gegenüberliegenden Scheinwerferstrahl, der auch das Bild von hinten beleuchtet und zu sehen gibt, ebendort und in f lagranti als Schau-Objekt fixiert. In dem Doppelspiel, das von jedem der beiden Blickpunkte initiiert wird – der Präsenz/Absenz des ›Objekts‹ und der offenen Gleichzeitigkeit von Sehen/Gesehen-Werden –, bekommen die (aufgemalten) Fußabdrücke auf der Kiste eine besondere Qualität. Fußabdrücke gelten – wie die Fotografie – als indexikalische Zeichen; in »Sa main charmante« repräsentieren sie konzeptuell eine unmittelbare Beziehung zu der ›realen‹ Saartjie Baartman und signifizieren simultan, dass diese nicht ›dort/da‹ ist. In der symmetrischen und fast altarartigen Struktur wird diese Anerkennung von Abwesenheit als ein Akt des Erinnerns und Gedenkens inszeniert. Indem sie die anwesende Abwesenheit/abwesende Anwesenheit der historischen Person markiert und eine zeitliche Dimension einführt, betont Green Sehen als einen Prozess und in seiner Prozessualität. Sie zieht damit auch eine Linie zwischen Vergangenheit und Gegenwart, die die tradierte Matrix des westlich-eurozentrischen Feldes des Sichtbaren affirmiert, aber in ihren Effekten verunsichert. Carla Williams, Lyle Ashton Harris und Renée Green intervenieren in die rassistischen und sexistischen Strukturierungen des Sehfeldes selbst. Sie ›geben‹ Saartjie Baartman ein Bild, ohne damit die Bedeutungen der ›alten Bilder‹ zu reproduzieren. Diese werden durchaus projektiv und identifikatorisch eingesetzt, doch ist immer ein Moment des Distanziertseins dadurch eingebaut, dass der rhetorische Modus durch versatzstückartige Brechungen neu montiert und verschoben wird – ganzes-fragmentiertes Körper-Bild, fetischistisch ohne Fetischismus, zweistimmiger Lücken-Text, aufgemalte Fußspuren. Die Künstler/innen spielen das Paradox der (visuellen) Repräsentation aus, indem sie in eine Doppelstrategie der Affirmation und Dekonstruktion dominanter
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Der Stich wird auch auf 1815 datiert. Das Podest trägt die Aufschrift »La Belle Hottentote«. Es handelt sich um einen satirischen französischen Druck, der vor allem auf die sensationsalistische Schaulust der Betrachter/innen gerichtet ist. Die den Personen in den Mund gelegten Kommentare von links nach rechts lauten: Oh! godem quel rosbif! (Oh Freude, welch Roastbeef); A quelque chose malheur est bon (Zu irgendetwas ist das Unglück gut); Ah! que la nature est drole (Ah! Wie ist die Natur lustig!); Quelle étrange beauté (Welch seltsame Schönheit!).
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Fotografie und ›Identität‹
Formationen investieren. Sie verweisen auf Saartjie Baartman als historische Person, als sexualisierte Hottentotten-Venus, als Opfer der Humanwissenschaften und als Identifikationsfigur, indem sie ein ›Objekt‹ installieren, das sich immer wieder entziehen darf. Das wird im folgenden Vergleich noch einmal besonders deutlich. Im Jahr 2002 gab Frankreich nach mehrjährigen Verhandlungen den Körperabguss und die sterblichen Überreste von Saartjie Baartman an Südafrika zurück, womit sie ein weiteres Mal öffentliche Sichtbarkeit erhalten hat. Sie wurde zum politischen Spektakel und gleich dreifach zu einer zentralen Identifikationsfigur. Ihr ›Bild‹ steht für die Selbstbehauptung einer eigenen tribalen Identität des südafrikanischen Khoi-Volkes, das sich als ihre legitimen Nachfahren betrachtet und auch die Rückführungsforderung initiiert hatte; es steht für den Kampf (insbesondere) schwarzer, südafrikanischer Frauen gegen (sexualisierte) Gewalt und für Gleichberechtigung; und es steht für die Konsolidierung eines neuen südafrikanischen – post-kolonialen und post-apartheidlichen – Nationalbewusstseins. Saartjie Baartman, so lassen sich die Rückführungs- und Beerdigungszeremonien, die Reden, Kommentare, Fotos und Zeitungsberichte resümieren, ist mit ihrer Rückführung zu einer nationalen Allegorie geworden, die als weiblich markiertes Zeichen ihrerseits in einer langen und kontinuierlichen, wenn auch nicht starren, europäischen Tradition steht (vgl. Wenk 1996; 2002; 2004). Insofern führt der inszenatorische Rahmen der Rückführung auch ein europäisches national- und kolonial-politisches Erbe fort und damit etwas, das die ›Rückkehr‹ von Saartjie Baartman – den Worten nach – abgeschlossen, aufgehoben und ungeschehen gemacht haben sollte.39 Ein Zeitungsfoto der offiziellen Übergabe von ›Saartjie Baartman‹ fasst die komplexen Zuschreibungen, Projektionen und Funktionalisierungen prägnant zusammen und schreibt auch die historischen Bedeutungen der Figur ungebrochen mit ein (Abb. 55). Im Körper-Bild ihres indexikalischen Abdrucks wird sie noch einmal zur Schau gestellt: zugleich wie eine reale Person und als künstliches Objekt; tote Materie und doch eigentümlich verlebendigt. Ähnlich einem Foto (oder dem Fußabdruck) ist der Gipskörper eine Spur der historischen Person, ein visuelles – dreidimensionales und lebensgroßes – Zeugnis ihres Dagewesen-Seins; stillgestellte Zeit, die Gegenwärtigkeit des Abwesenden; Zeichen des ungreif baren Wesens und Referenz des Referenten, der genau nicht rückgeführt werden kann. Denn, wie Christian Metz es
39
Vgl. dazu ausführlicher Brandes (2004b). Weitergehend wäre hier auch nach den Bedeutungen und Bedeutungskontexten zu fragen, die ›außerhalb‹ eines westlichen, europäischen, ›weißen‹ Horizonts liegen.
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Figurationen des Rahmens
ausdrückte: »What is indexical is the mode of production itself, the principle of the taking.« 40 Dieser Körper funktioniert als Fetisch; er induziert das Wissen um die Absenz als deren Leugnung,41 indem der Unterschied zwischen der biologischen (toten, zerstückelten) Frau und ihrem gipsgeformten Double im Bild des Ähnlichen versiegelt wird. Der ›ganze Körper‹, der hier zu sehen gegeben wird, ist ein Container, der das Versprechen von Versöhnung (sic) und Wiedergutmachung, das endgültige Ende von Kolonialismus und Rassismus beinhaltet. Gerahmt von ihrer Transportkiste steht ›Saartjie Baartman‹ zwischen der südafrikanischen Botschafterin Thuthukile Skweyíya und dem französischen Forschungsminister Roger-Gérard Schwartzenberg, die ihr einen weiteren Rahmen geben – ein allegorisches Bild aufgerichteter Weiblichkeit und der Beweis eines diplomatischen Erfolges. In diesem/ihrem doppelten Bild-Rahmen wird sie ihrerseits wiederum auch zu einem GrenzKörper, über den hinweg sich hier Gegensätze verbinden: schwarz und weiß, Frau und Mann, schwarze Frau und weißer Mann, Südafrika und Frankreich, Afrika und Europa, weibliches Afrika und männliches Europa. Im Gegensatz aber zu den Inszenierungen von Carla Williams, Lyle Ashton Harris/Renée Cox, Renée Green sowie auch zu denen von Lorna Simpson wird keine dieser Rahmungen durchkreuzt, durch die je anderen in Frage gestellt oder verunsichert. Die Rahmung durch den Bildrand wiederholt die ›bildinternen‹ Rahmungen, welche das Behältnishafte der Zentralfigur wiederum nurmehr verstärken. Zugleich erscheint diese Figur durch eine supplementäre Wirkung des leopardgemusterten Tuches unversehens als Grenz-Körper auch in eine andere Richtung. Das Tuch, welches die Figur selbst zu halten scheint, bedeckt den Schambereich, doch ohne dass der Eindruck eines Bekleidetseins vermittelt würde oder dieses tribale Ehrenzeichen dem feierlichen Anlass entsprechend drapiert erschiene; vielmehr droht es jeden Moment zu Boden zu gleiten. Es bezeichnet eine Nacktheit des Körpers in ähnlicher Weise, wie es die abgelegte Kleidung in der anthropologischen Reihenaufnahme der Watussi-Frauen vereindeutigt hatte. Und nicht zuletzt in der Option, dass damit etwa nachträglich eine ›Wahrheit‹ über die Hottentotten-Schürze offenbart werden könnte, wird auch der historische voyeuristische Blick neu installiert.
40
Metz (1990: 156). Was die Indexikalität angeht und die Betonung einer zeitlichen Dimension, so können Gipsabguss und Fotografie durchaus verglichen werden. Vgl. auch Barthes (1985). 41 Zur Funktion des Fetischs innerhalb der Konstruktion von Geschlechterdifferenz und der visuellen Repräsentation des Politischen, vgl. Wenk (1999b; 2002). Hier scheint Fetischisierung vor allem entlang der Achse zu verlaufen, die Mannoni zusammengefasst hat mit: »I know very well, but ...« (zit. n. Metz 1990: 162).
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Die ›Grenzen‹ des Rahmens: Zwei Arbeiten von Carrie Mae Weems Die Frage nach den Bedingtheiten einer affirmativen und dekonstruierenden Funktion des Rahmens, wie sie jetzt mehrfach angeklungen ist, möchte ich nun noch einmal mit der vergleichenden Lektüre zweier Arbeiten von Carrie Mae Weems aufgreifen. Die Foto-Text-Reihen »From here I saw what happened and I cried« (1995), die im zweiten Kapitel schon bezüglich der verwendeten Bilder bzw. Bildformen und hinsichtlich der Artikulation fotografischer Evidenz besprochen wurde, und »Colored People« von 1989–90 – also einige Jahre zuvor entstanden – sind vom inszenatorischen Konzept her recht ähnlich, und in beiden arbeitet Weems dezidiert mit Techniken der Rahmung. In der Wirkung jedoch gibt es, wie ich zeigen werde, klar definierbare Unterschiede. Die Arbeit »From here I saw what happened and I cried« entstand auf Einladung des J. Paul Getty Museums, Malibu, Kalifornien, wo sie auch zuerst gezeigt wurde. Sie sollte ein künstlerischer Kommentar zu der zeitgleichen fotohistorischen Ausstellung Hidden Witness: African Americans in Early Photography sein, die Bilder von afrikanischen Amerikaner/innen aus den 1840er bis 1860er Jahren präsentierte.42 Andrea Liss (1995) hat Hidden Witness als ein Projekt der Sichtbarmachung und der historischen Zeugenschaft beschrieben, das dort an seine Grenzen stößt, wo der Modus nobilitierenden Porträtierens und dokumentarfotografischer Konvention höchstens die Gewalt ahnen lasse, die die glatte Oberf läche der Bilder birgt. Weems’ Installation hingegen würde diese Oberfläche auf brechen und die vielfältigen Paradoxa »between the seen and the obscene« (ebd.) offenlegen. Das machte Liss bereits an der Ausstellungsarchitektur fest: »The visitor moved from the large, hushed and darkened space of ›Hidden Witness‹ into the small, brightly lit gallery where Weems’s installation was located.« (Ebd.) Aus dem Dunkel ins Licht? Eine helle Kammer?43 Die formalen Vereinheitlichungen, die Weems an den 31, sehr unterschiedlichen Kontexten entstammenden, Fotografien schwarzer Amerikaner/innen vorgenommen hat, lassen sich im wörtlichen wie im übertragenen Sinn –
42
Die Fotografien – resp. Daguerreotypien, Zinnotypien und Ambrotypien – in Hidden Witness stammten aus der Privatsammlung des schwarzen Detroiter Anwalts Jackie Napolean Wilson sowie aus dem eigenen Besitz des Getty. »Recent interest in the Wilson collection apparently prompted Weston Naef, the Getty’s photography curator, to investigate the museums’s archive of some 1500 prints. The findings: only 30 photographs contain traces of African American life during and immediately after the antebellum period.« (Liss 1995) 43 Vgl. Barthes (1989: 117): Die Camera lucida ist ein präfotografischer Apparat, »[…] mit dessen Hilfe man einen Gegenstand durch ein Prisma hindurch zeichnen konnte, das eine Auge auf die Vorlage, das andere auf das Papier gerichtet […].«
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z.B. in Bezug auf Einfärbung und Formatgröße – als Rahmungen lesen, die die Bedeutung/Lektüre jedes einzelnen Bildes sowie der gesamten Reihe bestimmen. Die Neu-Rahmung der Formate wird auch dadurch betont, dass einige Fotografien von dem aufgesetzten Passe-Partout angeschnitten sind und bei einigen Porträtaufnahmen der Rand des Schmuckrahmens sichtbar bleibt, aus dem sie abfotografiert wurden. Neben den zuordbaren Bildern, wie Zealys anthropologische Fotos (Abb. 2–5), Polks »The Boss« (Abb. 6, 7), die »Nude Study of a Black Woman« (Abb. 8, 9) oder Mapplethorpes »Man in Polyester Suit« (Abb. 10, 11), nimmt Weems mit einigen Bildern direkten Bezug auf die Ausstellung Hidden Witness. Sie reproduziert zum Beispiel »Portrait of a Nurse and Young Child« eines unbekannten Fotografen (Abb. 56) und »Southern Man with His Daughters and Their Mammy« von Thomas Martin Easterly (Abb. 57), die beide aus der Sammlung des Getty Museums stammen. Jedes Motiv wird durch die Passepartouts singulär fokussiert, und zugleich verdichtet ihre gleichförmige Aneinanderreihung die nicht völlig unbekannten, nicht unabhängig voneinander, aber doch verstreut existierenden Bilder des ›schwarzen Anderen‹ zu einer syntagmatisch strukturierten Folge, einer (mehr oder weniger bekannten) historischen Erzählung. Die eingravierten Texte stellen die einzelnen Bilder in einen – die Bildrahmen überschreitenden – narrativen Zusammenhang. Sie bringen mit ihren bisweilen lakonischen Setzungen historische Tatsachen auf den Punkt und provozieren auch Bedeutungsverschiebungen, die den harmonisch gefügten Arrangements subtile Risse versetzen. So verweist etwa die Aufeinanderfolge von »Nude Study« und »Nurse and Young Child« zusammen mit dem fortlaufenden Text YOU BECAME PLAYMATE TO THE PATRIARCH – AND THEIR DAUGHTER auf die mehrfache sexuelle Ausbeutung schwarzer Frauen/Sklavinnen (Abb. 58). Und der Textzusatz YOUR RESISTANCE WAS FOUND IN THE FOOD YOU PLACED ON THE MASTER’S TABLE – HA, den Easterlys Familienporträt nun trägt, macht aus der schwarzen Sklavin, die im Foto zur Familie gehört und zudem an Stelle der fehlenden Mutter eingereiht ist, ein subversives Element (Abb. 59). Plötzlich ist sie nicht länger die allsorgende, duldsame und unsichtbare mammy, sondern ein Stachel, der die Gewaltsamkeit des vermeintlichen Familienidylls als dessen permanente Gefährdung – von der ›anderen Seite‹ her – ins Bild setzt. Die Texte bilden einen weiteren Rahmen; sie sind auch im wörtlichen Sinn auf die Fotografien gelegt und trennen die Bildräume gleichsam einer ›vierten Wand‹ vom Raum der Betrachter/innen, was vor allem dort deutlich wird, wo vereinzelt der direkte Blick der Fotografierten diese Trennung durchbricht. Das allein erklärt aber noch nicht die Eindringlichkeit, die beim Abschreiten der Reihe entsteht und der man sich schwer
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Abb. 56: Unbekannter Fotograf: Portrait of a Nurse and Young Child, ca. 1850. Abb. 57: Thomas Easterly: Father, Daughters, and Nurse, ca. 1850.
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Abb. 58: Carrie Mae Weems: and their daughter. Aus: »From here I saw what happened and I cried«, 1995–96 (C-Print mit sandgestrahltem Text auf Glas, 57 x 67 cm). Abb. 59: Carrie Mae Weems: Your Resistance… Aus: »From here I saw what happened and I cried«, 1995–96 (C-Print mit sandgestrahltem Text auf Glas, 57 x 67 cm).
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entziehen kann. Sie entsteht aus dem spezifischen Zusammenwirken der verschiedenen Faktoren: der intensiven Kolorierung, bei der man ebenso Blut assoziieren mag wie das Rotlicht der Dunkelkammer, und dem Präsentationsformat, wobei der runde Passepartout-Ausschnitt auf das nicht-kadrierte Foto-Objektiv verweisen mag; der Nebeneinanderstellung von scheinbar neutralen Porträtaufnahmen und schockierenden Motiven, wie der Rückenansicht eines ausgepeitschten Sklaven; den vielschichtigen Bild-Text-Beziehungen; und der Nähe/Distanz, die durch das Verhältnis von Bildformat und Ausstellungsraum bestimmt wird. Vor allem aber wird all das noch einmal gebündelt und verstärkt in dem sich wiederholenden YOU, das die Abgebildeten auf den Fotografien adressiert und die Betrachter/innen anspricht. Das YOU ist, wie der fotografische Index, ein Shifter – ein deiktisches, ein ›leeres‹ Zeichen, das erst im je aktuellen Bezugsrahmen seine Bedeutung bekommt.44 Es geht in beide Richtungen und legt hier die Doppel-Bewegung der Identifikation offen, indem es sie verlangsamt, dem Text-Fluss eine Pause gibt, und so den Text-Rahmen als eine Übergangszone markiert. Von Bild zu Bild wird der Blick durch die Texte hindurch in die ›gefilterte‹ imaginäre Tiefe des Zu-Sehen-Gegebenen gelenkt, deren Unsichtbarkeit die konkreten Rahmen fortlaufend fokussieren, und er kommt auch immer wieder zurück. Die Rahm(ung)en verweisen auf das, was in der Sichtbarkeit von Hidden Witness unsichtbar bleiben muss, und zwar gerade, weil sie die Bilder ›ganz‹ lassen, sie ›als Bilder‹ zitieren und ›neu‹ setzen. Sie dekonstruieren, indem sie durch Verfremdungstechniken die identifikatorische Wirkung gewissermaßen auseinanderziehen und (paradoxerweise) gerade damit auch intensivieren. Die Reihe ist insgesamt noch einmal gerahmt – und zwar von der großformatigen, blau eingetönten und lediglich in einen viereckigen Rahmen gesetzten anthropologischen Profilaufnahme einer westafrikanischen Stammesfrau, die auf Bild- wie auf Text-Ebene einen ›Anfang‹ und – in der spiegelverkehrten Wiederholung ihres Bildes – ein ›Ende‹ der (Foto-)Geschichte markiert (Abb. 60, 61). Die ›Stammesfrau‹ ist als Augenzeugin bezeichnet, die aus der Ferne zuschaut – FROM HERE I SAW WHAT HAPPENED – und deren Handlungsvermögen auf eine Reaktion der Trauer beschränkt bleibt – AND I CRIED. Das I – I SAW –
44
Krauss bezeichnete das Foto/den Index auch als Shifter: »Shifter (oder Verschieber) ist Jakobsons Begriff für die Kategorie sprachlicher Zeichen, die nur deswegen ›mit Bedeutung gefüllt‹ werden können, weil sie ›leer‹ sind. Das Wort ›diese/r/s‹ ist ein solches Zeichen, das bei jeder Verwendung darauf wartet, von einem Referenten ausgefüllt zu werden. […] Die Personalpronomen ›ich‹ und ›du‹ sind ebenfalls Shifter. Wenn wir mit jemandem sprechen, und beide von uns ›Ich‹ und ›Du‹ verwenden, dann besetzen die Referenten dieser Wörter im Raum unserer Konversation wechselnde Plätze. Ich bin nur der Referent von ›Ich‹, wenn ich gerade am Sprechen bin. Sprichst du gerade, bist du es.« (2000: 250)
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Abb. 60: Carrie Mae Weems: From here I saw… Aus: »From here I saw what happened and I cried«, 1995–96 (C-Print mit sandgestrahltem Text auf Glas, 100 x 77,5 cm). Abb. 61: Carrie Mae Weems: And I cried. Aus: „From here I saw what happened and I cried«, 1995–96 (C-Print mit sandgestrahltem Text auf Glas, 67 x 57 cm).
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behauptet ihre Sprecherposition und stellt sie/sich dem betrachtenden Blick ebenfalls als identifikatorische Vermittlungsinstanz zur Verfügung. Sie bezeichnet einen Blick aus der Distanz, den der applizierte Text verdoppelt, und der hier problematisch wird, weil er sich mit dem Bild aus der ›Geschichte‹ herausnimmt. Im melancholischen Ewigkeitsblau des anthropologischen Profilbildes, das letztlich selbst das Zeugnis einer machtvollen/gewaltsamen weißen/kolonialen Einschreibung ist, erscheint die Abgebildete als generische schwarze Frau jenseits von Raum und Zeit. Sie erscheint als eine ›Mama Afrika‹, ein Zeugnis mythischer Ursprünglichkeit, vielleicht sogar Erinnerung an ein Paradies, dessen Verlust hier angezeigt wird.45 An dieser Stelle wird genau die Historizität entzogen und das Gewaltsame (wieder) unsichtbar, das die 31 Formate so eindringlich in den Raum stellen. In Frantz Fanons Buch »Schwarze Haut, Weiße Masken« (1985) gibt es zwei Passagen, die vom Weinen sprechen. Es sind Textstellen, in denen es um die Erkenntnis einer vergeblichen Eigenständigkeit eines schwarzen Ich in der Anerkennung durch den Weißen geht, um das Hin und Her zwischen einem ›naturhaften‹ Idealisiert- und Inferiorisiertsein und darum, dass eine eigene schwarze Geschichte untrennbar an die der Weißen gekoppelt ist und/oder von diesen ohnehin ignoriert wird. Da heißt es: »Als ich gestern die Augen auf die Welt öffnete, sah ich, wie sich allenthalben der Himmel in Zuckungen wand. Ich wollte aufstehen, aber die ausgeweitete Stille f loß zu mir zurück, mit lahmen Flügeln. Unverantwortlich, zwischen dem Nichts und der Unendlichkeit, begann ich zu weinen.« (Ebd.: 102)
Und einige Seiten davor: »Der Weiße, einen Augenblick verdutzt, legte mir dar, daß ich genetisch ein Stadium darstelle […] Und ich hatte den Eindruck, einen Zyklus zu wiederholen. Meine Originalität wurde mir ausgepreßt. Lange mußte ich weinen, und dann begann ich, wieder zu leben.« (94)
Bei Fanon bezeichnet das Weinen eine Reaktion und zugleich ein neues Beginnen. In Weems’ doppeltem Bild der ›Stammesfrau‹ hingegen versackt die Bewegung – der Betrachter/innen ebenso wie der Bedeutungsspiele – und setzt sich ›natürlich‹ fest; oder genauer gesagt: Sie gleitet in tradierte Bahnen. Die ›Stammesfrau‹ lenkt den betrachtenden, die Reihe
45
Freud definierte Trauer als die ganz normale und zeitlich begrenzte »Reaktion auf den Verlust einer geliebten Person oder einer an ihre Stelle gerückten Abstraktion wie Vaterland, Freiheit, ein Ideal usw.« im Gegensatz zur pathologisch klassifizierten Melancholie, bei der sich der Objektverlust in einen Ichverlust verwandelt hat bzw. als Ichverlust zum Tragen kommt (2000a: 197).
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abschreitenden Blick einmal hin und einmal her. Vom Schauen zum Weinen und wieder zurück, signalisiert sie den Beginn und den Abschluss der Geschichte (closure) – für die sie nun die Projektionsfläche stellt. Sie bleibt zweifaches Objekt der Anschauung und ist zugleich Abgrenzungsfigur und Container, der ›die Geschichte‹ verkörpert. Auf dieser Ebene entspricht ihr Bild dem Zeitungsfoto der Hottentotten-Venus, nicht aber der un/sichtbaren (generischen) Frau von Lorna Simpson. Und wenn Derrida schrieb, dass das, was den Rahmen hervorgebracht hat, alles daran setzt, »die Rahmenwirkung zum Verschwinden zu bringen« (1992: 94) und bemerkt, dass dies am häufigsten geschieht, »indem es ihn im Unendlichen, in den Händen Gottes […] ansiedelt« (ebd.), dann erfüllt das Bild der ›Stammesfrau‹ eine solche doppelte Funktion. Es zeigt, wie auch Bilder ›Rahmen‹ setzen/sein können, und wie ein solcher Rahmen in eine Unsichtbarkeit – oder vielleicht besser: Nicht-Sehbarkeit – verschwinden kann. Dafür spricht auch ein Besucherkommentar der Ausstellung, welcher lautete: »A rumbling – spiritual rumbling, which presses and rears into the soul, eyes that don’t disengage. Heart, fear, pity, blood, dirt, cruelty, fat, sexual warmth, big dicks, hate, goodness, grace, amazed, uplifted trajectory of head, strength rooted in the bowels. God is here found.« (Zit.n. Liss 1995) Für »Colored People« (1989–90) hatte Carrie Mae Weems ebenfalls mit einer Kombination von Fotografie und Text, Rahmensetzung und Kolorierung gearbeitet. Und ähnlich, wie wir es bei Carla Williams und Lorna Simpson gesehen haben, werden verschiedene Diskurse, Assoziationsoptionen und Bedeutungsketten aufgerufen, die sich wechselseitig überlagern und durchkreuzen, die verbunden und ineinander überführt werden. Die Künstlerin parodiert hier konsequent identitätsstiftende (Selbst-)Bezeichnungsverfahren, indem sie deren komplexe Verwebungen und Parallelen mit machtvollen Fremdzuschreibungspraktiken formal verschaltet. Die Wandinstallation besteht aus drei Einzelformaten und acht Triptychen jeweils desselben Fotos. Die Bilder zeigen quadratische, in Schwarz/ Weiß aufgenommene und eingefärbte Frontal-, Profil- und HalbprofilPorträts von elf afro-amerikanischen Jugendlichen unterschiedlichen Alters. Letztere werden in zwei Blöcke zusammengefasst präsentiert, so dass sie im Format jeweils wieder ein Quadrat bilden. Jedes Foto ist in eine Art breitrandiges schwarzes Passepartout gesetzt, das es rahmt, es zu sehen gibt, und das zugleich als dessen integraler Teil wirkt, weil die dunklen Partien der Porträts dorthin übergehen und weil im unteren Bereich dreiteilige Beschriftungen aus Plastik-Großbuchstaben angebracht sind, die die Fotografierten in Korrespondenz zu der jeweiligen Kolorierung benennen. Für die Triptychen: »Magenta Colored Girl«, »Moody Blue Girl«, »Violet Colored Girl«, »Red Bone Boy«, »Blue Black Boy«,
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»Chocolate Colored Man«, »Golden Yella Girl« und »Low Brown Boy«; und für die Einzelporträts: »Burnt Orange Girl«, »Honey Colored Boy« und »High Yella Girl« (Abb. 62–68). Weems’ Rahmen-Spiel findet hier zwischen Personenbild und Bildf läche, farbigen Flächen und schwarzer Umgebung, Bild und Schrift sowie serieller Vervielfältigung und Einzelbild statt. »Colored People« spielt sowohl auf eine ethnozentristische Dichotomisierung des Sehens an, das Hautfarben nur in ›schwarz‹ und ›weiß‹ unterscheidet, als auch auf die minutiösen Klassifizierungen der (historischen) anthropologisch-ethnografischen Forschung, die insbesondere die Hauttönung zum Marker einer rassisierten menschlichen Wertehierarchie machte.46 Zugleich werden aber genauso die ebenfalls werthierarchischen Differenzierungen der Hautfarbe innerhalb afrikanischamerikanischer Communities angesprochen, die ihre Wurzeln (auch) in der Identifikation mit einem kolonialen und rassistischen Blick haben. So werden die Porträts mit ihren an anthropologische Typen-Klassifizierungen erinnernden Beschriftungen dadurch konterkariert, dass die Farbadjektive zum Teil dem afrikanisch-amerikanischen Slang entlehnte ausdifferenzierende Bezeichnungen für black (oder black skin) sind: Yellow oder yella steht für »light skin«, red bone für »pale-skinned«; blue, blue black und chocolate sind Synonyme für »black« bzw. »blackness«; honey, bei Weems ebenfalls als Farbbezeichnung eingesetzt, meint auch »flattery, sweet talk, a beautiful thing or person«. 47 Diese Selbst-Einordnungen werden ihrerseits durch die Artifizialität der Einfärbungen unterlaufen, die unmöglich als ›natürliche‹ Hautfarbe gelten können. Das spitzt sich dort zu, wo Farbbezeichnungen wie magenta, violet oder burnt orange weder zu den gebräuchlichen Beschreibungen für Hautfarben gehören noch in der color scale – »the range of African-American skin colors from white to jet black«48 – vorkommen. Der Titel »Colored People« spielt auf die Termini colored und people of color an. Weems setzt colored weder in Opposition zu ›weiß‹ noch synonym für ›nicht-weiß‹; statt dessen wird das mehrschichtige Verhältnis zwischen colo(u)red und black – nicht zuletzt durch die schwarzen f lächigen, und eher passepartoutartigen, Rahmen – aufgerufen. Als Identitätsmarker zwischen Selbst- und Fremdbenennung werden beide
46 47
Zur Codierung von Hautfarbe in kulturhistorischer Perspektive, vgl. Groebner (2003). Major (1994). Das Spiel mit der potenziellen Unendlichkeit möglicher Farbbezeichnungen (und den Kategorien einer Farb-Skala) setzt Weems in ihrem Künstlerbuch »Then What? Photographs and Folklore« (Cepa Gallery, Buffalo/New York 1990) fort. Dort heißt es: »Deep Black, Ashy Black, Pale Black, Jet Black, Pitch Black, Chocolate-Brown, Honey Brown, Red Brown, Deep Yella Brown, Chocolate, High-Brown, Low-Brown, Velvet Brown, Bronze, Gingerbread, Light Brown, Tan, Olive, Copper, Pink, Banana, Cream, Orange, High Yalla, Lemon, Oh and Yeah Caramel.« 48 Major (1994), Cover-Text.
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Begriffe innerhalb verschiedener geografischer, institutioneller, kommunitärer und politischer Rahmen nicht unbedingt einheitlich verwendet. Dazu ein kurzer Exkurs: Beispielsweise gehört es zu einer ›politisch korrekten‹, rassismusreflektierten Rhetorik, die Verwendung des einen oder anderen Begriffs – people of colo(u)r oder black, farbig, Schwarz, schwarz oder ›schwarz‹ – zu begründen. Dazu wird dann etwa erklärt, dass people of color im us-amerikanischen Kontext die politisch konnotierte Selbstbezeichnung von Menschen afrikanischer, karibischer, südasiatischer und mittelöstlicher Herkunft meine, während black nur Menschen afrikanischer Herkunft beschreibe. Für Großbritannien hingegen heißt es, dass black der politische Gegenbegriff zu coloured sei und Beschreibungskategorie für Menschen nicht-europäischer Abstammung. Gleichwohl, auch das wird vermerkt, drehen sich britisch kontextualisierte Debatten darum, inwiefern black essenzialistische Konnotationen fortschreibt; und us-amerikanische Diskussionen problematisieren, inwiefern eine Bezeichnung people of color nicht wiederum dazu führt, dass Differenzen, kulturelle und geopolitische Unterschiede zwischen people of color negiert oder unsichtbar gemacht werden.49 Und etwa im Zuge der Rückführung von ›Saartjie Baartman‹ wurde ein Oberhaupt der Khoi mit den Worten zitiert, dass sie »brought to the fore that we need to be proud of our identity instead of hiding behind the classification of ›coloured‹ which was given to us by the racist apartheid regime.« 50 Ein allgemeines Problem des ›korrekten‹ Bezeichnens besteht darin, dass es – gerade durch die einhergehenden ausgefeilten Begründungen – immer auch vereinnahmend ist und unwillkürlich etwas festschreiben kann, das sich bei denen, die damit bezeichnet sein sollen, durchaus auch in einem fortwährend sich wandelnden Prozess befindet; und zwar sowohl in der politischen oder theoretisch-akademischen Diskussion wie in kulturellen Alltagspraktiken. Hinzu kommt, dass durch unzureichende Spezifizierung oder Ref lexion der jeweiligen Herleitungskontexte im Zweifelsfall das Gegenteil des Gewollten erreicht wird. Zu reflektieren wäre daher auch, inwiefern der Versuch, Menschen/Subjekte in den Kategorien ihrer Selbstbenennung zu adressieren, tatsächlich für die so Bezeichneten steht, oder nicht vielmehr einer ›korrekten‹ Selbstpositionierung dienen soll, der es vor allem darum geht, nicht als ›rassistisch‹ kritisiert werden zu können.
49
Vgl. Solomon-Godeau (1992: 65, Anm. 19); Jones (1990: 138, Anm. 3); Sokolowski/Jones (1991: 9f.); auch Wiegman (1995: 233, Anm. 8): »The problems with the phrase ›women of color‹ has been commented upon by a variety of activists and scholars. In ›Black Women on Black Women Writers‹, for instance, Cheryl Clarke et al. point to the way it ›seems to negate difference‹ (95), and Leslie Bow, in ›For Gesture of Loyality, There Doesn’t Have to Be a Betrayal‹, discusses the disturbing collapse of cultural and geopolitical distinctions in the phrase.« 50 BBC News, 06.05.2002: Return of ›Hottentot Venus‹ unites Bushmen, news.bbc.co.uk/1/hi/ world/africa/1971103.stm (zuletzt gesehen 28.04.2004)
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Abb. 62: Carrie Mae Weems: Magenta Colored Girl. Abb. 63: Carrie Mae Weems: Chocolate Colored Man. Abb. 64: Carrie Mae Weems: Golden Yella Girl. Abb. 65: Carrie Mae Weems: Violet Colored Girl. Abb. 66: Carrie Mae Weems: Blue Black Boy. Aus: »Colored People«, 1989–1990 (monochrome Farbdrucke, mattiert, Plastikbuchstaben, 42,5 x 126 cm).
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Abb. 67: Carrie Mae Weems: Burnt Orange Girl. Abb. 68: Carrie Mae Weems: Honey Colored Boy. Aus: Colored People, 1989–1990 (monochromer Farbdruck, mattiert, Plastikbuchstaben, 75 x 75 cm).
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Es geht also darum, inwiefern mit einem Bestreben alles ›richtig‹ machen zu wollen, etwas verabsolutiert werden kann, das einem fortlaufenden Prozess politischer Emanzipation genau entgegensteht.51 Weems’ Installation kann als Einmischung gelesen werden, die aber nicht ›mit‹ mischt. Vielmehr wird die Farb-Frage an sich ›verkünstlicht‹. Von weitem betrachtet, erinnert insbesondere die blockartige Präsentation der Dreiergruppen an Farbsequenzanordnungen aus der Minimal Art, die hier mit sozialen Konnotierungen von ›Farbe‹ verknüpft werden (vgl. auch Kirsh 1993: 16). Die Kolorierung der Schwarz/Weiß-Fotografien und deren Einsetzung in die schwarzen Passepartouts verlagert diese Farb-Frage von der ›Person‹ auf den Bildträger. Zugleich spielt Weems mit der tradierten Gleichsetzung oder Verwechslung von (fotografierter) ›Person‹ und (fotografischem) ›Bild‹, mit dem doppelten Status der Fotografie, indem die Unterschrift zwar die Fotografierten bezeichnet (boy, girl, man), jedoch das Foto »colored« ist. Haut-Farbe wird hier von einem individuellen, kommunitären, ethnischen oder politischen Problem in die Frage nach den materiellen/medialen Bedingungen ihrer visuellen Repräsentation transformiert.52 Philippe Dubois (1998) hat am Beispiel der Serie »Rahmen« (1974/75) von Christian Vogt zwei Funktionen für die Inszenierung eines Rahmens im Rahmen unterschieden – bei der ersten verweise der Rahmen im Rahmen auf das Außerhalb des Bildes, und bei der letzteren gebe der zweite Rahmen nur vor, dieses Außerhalb zu thematisieren: »Der abgebildete Rahmen bringt zwar in das allgemeine Bildfeld einen lokalisierenden und fokussierenden Effekt ein (indem er einen Abschnitt des Raums isoliert und als Einheit und Totalität in den Blick rückt), aber dieser Effekt bleibt praktisch folgenlos: Die Homogenität des allgemeinen Bildfeldes wird nicht aufgebrochen, aufgesprengt, zerstört; der Effekt tritt nicht auf, um einen Abschnitt des Gesamtraums zu verdecken, zu überlagern oder zu verstellen; und er tritt auch nicht auf, um einen neuen Raum in den primären Rahmen einzufügen, einzuschieben oder einzublenden.« (Ebd.: 189)
In diese einfache Dichotomie lassen sich die beiden Projekte von Carrie Mae Weems nicht einordnen. Bei »Colored People« scheinen Rahmen
51
Ein strukturell ähnlich problematisches Beispiel ist die Hottentotten-Venus, die bisweilen, wenn auf sie bewusst und korrekt ›als Person‹ Bezug genommen werden soll, ›Sarah‹ genannt wird mit der Begründung, dass man ihr mit dem Erwachsenen-Namen auf Augenhöhe begegnen will; oder sie wird nach Erstnennung ihres vollen Namens nur noch mit dem Nachnamen bezeichnet. Unter den Tisch fällt, dass ihr ›richtiger‹ Name gar nicht bekannt und ihr Nachname wahrscheinlich die Erfindung des Mannes ist, der sie nach Europa brachte. 52 Zur Thematisierung künstlerischer Verfahrensweisen, die die wechselseitige Durchkreuzung von Ethnizität, Geschlecht und Medialität kritisch reflektieren, vgl. auch FrauenKunstWissenschaft (43/2007).
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und Gerahmtes, Fläche und Begrenzung auf den ersten Blick eindeutig bestimmbar, nur, um sich dann fortlaufend partiell ineinander zu verschieben und so auf ein wechselseitiges Konstituierungsverhältnis zu verweisen – welches hier durcheinander gebracht wird. Zugleich wirkt die Arbeit insgesamt ruhig, den betrachtenden Blick konzentrierend, und macht die nobilitierende Wirkung, die Kirsh (1993) im Modus des insBild-Setzens behauptet hat, nachvollziehbar. In »From here …« hingegen wird, nicht zuletzt eben durch die Eindringlichkeit von direktem Blick und direkter Ansprache (»I« –»You«), die ›Bewegung‹ des Schauens betont, um zugleich in der Markierung von ›Anfang‹ und ›Ende‹ stillgestellt zu werden. Die ›Stammesfrau‹ wird ›als-Bild‹ und ›als-Rahmen‹ fixiert. In der je spezifischen Verschaltung der Ebenen werden ›Kohärenz‹ und ›Bruch‹ hier wie dort nicht als Opposition inszeniert, sondern als einander bedingende Wahrnehmungseffekte.
Rahmen-Bedingungen: Vom Status-als-Bild zu einem Körperbild-in-Bewegung Das Kapitel ist der Frage nachgegangen, welches die inszenatorischen, ästhetisch-medialen sowie die theoretischen Möglichkeiten und ihre jeweiligen Bedingungen sind oder sein können, die den Rahmen in der simultanen Funktion von Grenzziehung und Grenzverunsicherung, von Trennung und Überschreitung für die Formulierung eines ent/fixierten Bild-Status produktiv machen. Es wurde versucht, einen Körper-BildDiskurs des Ent/Fixierens als einen Diskurs über den Rahmen zu entwickeln. Ausgangspunkt dafür war die These, dass ein künstlerischstrategisches Aus-dem-Rahmen-Treten im Sinne einer Subversion kunst- und bedeutungspolitischer Normen oder Konventionen niemals den Schritt in ein absolutes Außen bedeutet. Vielmehr sollte es als Bewegung in einen anderen Rahmen verstanden werden, der als solcher wiederum ebenfalls in den Blick zu nehmen und befragen ist. Über die Analogisierung des Bildes des Weiblichen als Grenzkörper, Derridas Konzept des Parergon und des Fotos als Schnitt wurde ausgearbeitet, wie Figurationen des Rahmens als mehrdimensionaler und f lexibler GrenzDiskurs funktionieren können, bei dem kunst-/kulturgeschichtliche und fotohistorische, materielle und metaphorische Aspekte sowie Momente des Spurhaften und des Manifesten partiell ineinandergreifen. Die Lektüren der künstlerischen Arbeiten haben gezeigt, wie ein ent/fixierter Bild-Status (hier: schwarzer Weiblichkeit) sich dort artikulieren kann, wo die Künstler/innen das Paradox der (visuellen) Repräsentation ausspielen, indem sie in eine Doppelstrategie der Affirmation und Dekonstruktion dominanter Formationen investieren. Dazu gehört auch,
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dass die Inszenierung erst gar nicht von einer zu dekonstruierenden ›Ganzheit‹ des Körpers ausgeht, sondern eher die Weisen seines Zusammengesetztseins befragt; damit werden Vollständigkeit und Fragmentiertheit, Kohärenz und Bruch als einander bedingende Wahrnehmungseffekte lesbar, als Nicht-Opposition. Der Vergleich zwischen den künstlerischen Thematisierungen der Hottentotten-Venus und dem Zeitungsfoto sowie die Positionierung der ›Stammesfrau‹ in Carrie Mae Weems’ »From here …« haben dies besonders deutlich gemacht. Rosalind Krauss schrieb in Bezug auf Man Rays »Monument à D.A.F. de Sade«: »[…], wenn hier ein Phallizismus im Spiel ist, dann ist dieser im ganzen Unterfangen der Fotografie zu suchen, das darin besteht, seinen [sic!] Gegenstand durch Rahmung einzufangen.« (2000a: 132) In dem Spiel, das Carla Williams, Lorna Simpson und auch Carrie Mae Weems veranstalten, geht es eher in umgekehrter Richtung darum, welche ›Gegenstände‹ – Körper – durch bestimmte Rahmungen hervorgebracht werden, die zugleich wieder ›ihre‹ Rahmung auf die Probe stellen und damit auch ihre eigene (fotografische) ›Körperlichkeit‹ modifizieren können. In diesem Sinn meint ein ent/fixierter Bild-Status hier ein Körperbild-in-Bewegung.
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4. Third Space: Grenzen als Räume des Ent/Fixierens »What you lookn at« lautet der Titel einer 1992 entstandenen großformatigen Mixed-Media-Arbeit von Pat Ward Williams (Abb. 69). Zu sehen ist, lebensgroß, eine Gruppe von fünf jungen männlichen Schwarzen. Vor einer Steinwand sitzend, konfrontieren sie die Betrachter/innen mit ihren Blicken. What you lookn at ist auch als Schriftzug in GraffitiManier quer über die Schwarz-Weiß-Aufnahme gesprüht. Der Satz verdoppelt den Blick der fünf Fotografierten, der die Betrachter/innen trifft; er wirkt – zumal in seiner umgangssprachlichen Schreibweise und der direkten Adressierung eines Gegenübers – eher provozierend denn als eine neutrale Frage. Die grammatische Unabgeschlossenheit – es fehlt das Fragezeichen, das die durch das what indizierte Form der Frage bestätigen würde, – modifiziert dieses Provozierende in eine Aufforderung: nämlich die, noch einmal hinzuschauen und das Gesehene zu über prüfen. Und in dem nochmaligen Hinsehen schließlich kann sich die Antwort auf die Frage what you lookn at selbst in eine Frage verkehren und damit die scheinbar natürlichen Bedeutungen zur Diskussion stellen, die sich (unsichtbar) an dieses – an das – Bild schwarzer Männlichkeit knüpfen. »One of the greatest inventions of the twentieth century is the AfricanAmerican male«, schrieb Thelma Golden im Katalog zu der von ihr kuratierten Ausstellung Black Male – Representations of Masculinity in Contemporary American Art, die 1994 im New Yorker Whitney Museum of American Art gezeigt wurde, »›invented‹ because black masculinity represents an amalgam of fears and projections in the American psyche which rarely conveys or contains the trope of truth about the black male’s
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existence.« (1994: 19) Diese ›Erfindung‹, dieses Amalgam, hat Homi K. Bhabha (1983; 1995b) in Bezug auf eine im Postkolonialismus nachwirkende kolonialistische Repräsentationsordnung und deren Konstruktion des ›rassisch‹, ethnisch oder/und kulturell Anderen unter dem Begriff des Stereotyps theoretisiert. So betonte er in seiner Rezension zu Black Male und »Golden’s focus on the stereotype of the ›black male‹« (1995b: 87), dass »[t]he stereotype is […] a kind of living death – a revenant of social and psychic ressentiment, a spector of our fears and forbidden pleasures, a defensive shield in the place where a society needs a mirror for (self) reflection.« (Ebd.: 110) Nach Bhabha ist das Stereotyp nicht das falsche oder verzerrte (Ab-)Bild einer außerbildlichen Wirklichkeit oder realer Personen, sondern eine komplexe Repräsentationsform, die als kompaktes, festgefügtes Bild innerhalb eines, hier vor allem rassistisch und kolonialistisch bestimmten, Herrschaftsdiskurses erscheint. Es meint eine spezifische Weise der Bedeutungsproduktion, bei der es eben gar nicht um einen trope of truth geht, sondern um ein Fixieren und Versiegeln ganz bestimmter Bedeutungen. Bhabha hat diese Repräsentationsform zur Diskussion gestellt, indem er nach dem Verhältnis zwischen dem Fixierten oder Festgeschriebenen und dessen Verunsicherung oder Verflüssigung fragte. Dieses Verhältnis hat er in den Modi des Ambivalenten, Doppelten und Widersprüchlichen beschrieben (vgl. 1983; 2000: 97–124). Das (koloniale) Stereotyp ist bei Bhabha damit als eine Figur definiert, deren Dekonstruktion das eröffnet, was er an anderer Stelle den Third Space – den Dritten Raum oder Zwischen-Raum – genannt hat. In diesem Kapitel soll es darum gehen, wie das Stereotyp, das Konzept des Third Space und ein Diskurs der Fotografie/des Fotografischen für das Projekt eines Ent/Fixierens ineinandergreifen, durch einander hindurch wirken und miteinander produktiv werden können. Der Versuch, mit dem Third Space eine zentrale Denkfigur postkolonialer Kulturtheorie für das Feld des Visuellen zu übersetzen, geht von der Annahme aus, dass dieses Konzept vor allem hinsichtlich einer Analyse von Bild-BlickVerhältnissen nützlich sein kann. Zwar hat sich Bhabha selbst auch auf Visuelles bezogen, zu Kunst und Film geäußert;1 Hauptbezugspunkt und Analysegegenstand seiner Theoriebildung ist aber die Literatur – sind Romane, Gedichte, historische Erzählungen, also Texte im engeren Sinn des Wortes. Die Situierung des Third Space-Konzepts innerhalb des feministisch-kunstwissenschaftlichen Diskurses will von daher zum einen die wechselseitige Produktivität, aber auch die jeweiligen Auslassungen erfassen; zum anderen soll untersucht werden, wie der Aspekt
1
Beispielsweise sind die ersten Seiten von Bhabhas Einleitung zu »The Location of Culture« (1994) bzw. »Die Verortung der Kultur« (2000) der Kunst bzw. verschiedenen künstlerischen Projekten gewidmet.
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des Medialen – und hier vor allem die Fotografie als ein Inbegriff medialer Ambivalenz – in diesen Zusammenhang eingearbeitet sein kann (vgl. auch Brandes 2004a). Postkoloniale Aspekte sind in der deutschsprachigen Kunstwissenschaft seit Mitte der 1990er Jahre vor allem unter zwei Schwerpunkten diskutiert worden: erstens in Bezug auf Kunstschaffen – also zeitgenössische Praktiken von geschlechtlich und/oder ethnisch ›markierten‹ Künstler/innen, Thematisierungen von hegemonialen Repräsentationen des Anderen und ästhetisch-strategische Übersetzungen von Bewegungsformen in einer globalisierten Welt – Reisen, Migration, Nomadentum; zweitens hinsichtlich Kunstbegriff und Kunstgeschichte –vor allem Repräsentationen und Aneignungsweisen des Fremden in der europäischen Kunst- und Bildgeschichte, die Einordbarkeit von Produktionen indigener Kulturen als Kunst im Sinne ihrer tradierten westlich-europäischen Definition und die Herausforderung, die sich darüber an den kunsthistorischen Kanon und die Kriterien der Kunstgeschichtsschreibung stellt.2 Das Ineinanderwirken von Ethnizitäts- und Geschlechterkonstruktionen ist für diese Zusammenhänge immer wieder eingeklagt und in seiner besonderen Relevanz herausgearbeitet worden. Eine dezidierte Diskussion darüber, wie Konzepte postkolonialer Theorie und Artikulationen des Visuellen enggeführt oder ineinander übersetzbar sind, wie das eine durch das andere hindurch gesprochen werden kann, ohne dass dieses dadurch sein spezifisches Bezugsfeld verliert – eine Diskussion also, die nicht ›Anwendung‹ meint, sondern die Ebene ›des Bildes selbst‹ in seiner Medialität als bestimmte Bild/Raum-Konstruktionen zu fassen sucht, die ein Zu-Sehen-Geben ›anders‹ formulierbar machen – ist bislang eher offen geblieben. Den Diskurs über Raum hat Irit Rogoff (1997) als einen der produktivsten aktuellen Diskurse bezeichnet, um die »komplexen Modi, durch die soziale Beziehungen Zeichen hinterlassen und sich in noch nicht kartographierten Landschaften der menschlichen kulturellen Aktivitäten bewegen, zu verstehen« (ebd.: 52). Mit dem Begriff meinte Rogoff keine (lediglich) geografische oder architektonische Gegebenheit oder die Illusion eines einheitlichen transparenten Raums, wie er tradierterweise für das Feld des Visuellen bestimmend ist und hier entscheidend an der Fixierung von an sich instabilen Normativitäten mitarbeitet. Vielmehr möchte sie ihn als ein Produkt komplexer Interaktionen verstanden wissen, die durch soziale und von psychischen Verfasstheiten durchwobene
2
Vgl. zusammenfassend Haehnel (2006); vgl. auch Uerlings u.a. (2001); Hölz u.a. (2000); Schmidt-Linsenhoff (2002; 2005); Schmidt-Linsenhoff u.a. (2004); Below/Bismarck (2005); Graduiertenkolleg Identität und Differenz (2005).
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Beziehungen strukturiert sind. Ein solcher Raum gestaltet sich gleichermaßen als sozialer wie als Vorstellungsraum, in dem »Realitäten wie Bewunderungen, Ängste, Begierden, Verleugnungen und Überraschungen zirkulieren« (ebd.). Er ist ein sich fortwährend konstituierendes, bewegliches, veränderliches – und insofern auch veränderbares – Gebilde/ Gebäude; er ist »das, was passiert – in ihm und durch ihn« (ebd.: 53). Machtverhältnisse werden nach dieser Auffassung dadurch sichtbar, dass sie »einen Raum produzieren, der als Ort materialisiert wird« (54). Der postkolonialistische Dritte Raum, so möchte ich in Bezug auf das Visuelle nahelegen, artikuliert sich als potenzielle Intervention in solchen ›Macht-Raum‹, weil er ortskundig dessen Ränder ausfranst. Im Folgenden werde ich noch einmal zu Williams’ »What you lookn at« zurückkehren, um in der Fortsetzung meiner Lektüre zu zeigen, wie dort das Stereotyp des black male dekonstruiert und als visuelle Artikulation eines Third Space formulierbar wird. Dazu werde ich Bhabhas Konzepte des (kolonialen) Stereotyps und des Dritten Raums ausführlich erläutern. Mit weiteren foto-künstlerischen Arbeiten – namentlich von James Luna, Dave Lewis und Mitra Tabrizian – werden dann mögliche Anknüpfungen dieses Konzepts im Feld des Visuellen herausgearbeitet und Zusammenhänge von Third Space-Figurationen, Geschlecht und Bild/Medialität genauer in den Blick genommen. Vor allem werden mich die Aspekte interessieren, an denen eine feministische bildwissenschaftliche Kritik einhaken und dieses Raum-Konzept im Sinne eines visuellen Ent/Fixierens (um)formulieren kann. Wie also können Bilder oder künstlerische Praktiken einen (visuellen) Dritten Raum sprechbar/lesbar machen? In welcher Weise wird dazu ein kulturelles/fotografisches Bildrepertoire aufgegriffen, werden medienhistorische Diskurse und tradierte Bildbedeutungen aktiviert und umgearbeitet? Wie kommt die spezifische Medialität der Fotografie für ästhetische Öffnungen eines Raums ›dazwischen‹ zum Tragen? Wie kann der Dritte Raum als Konzept übertragbar sein, ohne dass seine postkolonialistische Verankerung verlorengeht? Welche Rolle spielt Geschlecht? Und inwieweit fordert künstlerische Praxis das Konzept eines Third Space und dessen Versprechen auch heraus?
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The suspect is always a black male in his mid 20s ... Vom Stereotyp zum Dritten Raum (mit Pat Ward Williams und Homi K. Bhabha) Bhabha hat kultur- und filmtheoretische Analysen dafür kritisiert, dass sie nach den Repräsentationsstrategien von Kolonialismus und Rassismus fragen, dabei aber das Stereotyp als scheinbar transhistorische Größe und vermeintlich sicheren Identifikationspunkt unangetastet wieder einsetzen: »there remains […] a limiting and traditional reliance on the stereotype as offering, at any one time, a secure point of identification.« (1983: 22) Ganz ähnlich hat erst jüngst auch Johanna Schaffer (2008) den unreflektierten Rückgriff auf stereotyp(isierend)e Darstellungsmuster und Charakterzeichnungen in deutschsprachigen Spielfilmen zur Migrationsthematik problematisiert. Im Anschluss an repräsentationskritische Texte, in denen »das Stereotyp als Repräsentationssituation theoretisiert [wird], die ein Herrschaftsverhältnis anzeigt,« (ebd.: 59) plädierte sie dafür, »das Stereotyp als Reflexionsinstrument für die Untersuchung der Arten und Weisen majoritärer Konsensproduktion« (71) zu untersuchen. Denn weil es ein Repräsentationsmodus des Formel- oder Klischeehaften ist, so Schaffers Feststellung, funktioniere das Stereotyp als »Verknappung diskursiver Möglichkeiten« (61) hinsichtlich dessen, welche Wirklichkeiten über (visuelle) Repräsentationen herstellbar sind, weil es die »Wiederholung einer, und eben nur einer, Darstellungsformel, immer wieder und immer wieder nur so und nicht anders« (ebd.) ist. Um nun »auf der analytisch-kritischen Ebene« zu vermeiden, »was dem Stereotyp vorgeworfen werde – Reduktionismus und Wiederholung des Immergleichen« (ebd.: 67) – schlug Schaffer vor, das Stereotyp als ein Raster inter textueller Differenzproduktion zu analysieren, also danach zu fragen, »welche unterschiedlichen kollektiven Positionen in einem Macht- und Herrschaftsverhältnis sie re-konstruieren und wie sie das tun.« (70) Das ist seit den 1980er Jahren ein Thema von Bhabha, der hier vor allem gezeigt hat, wie das Stereotyp selbst als eine in sich komplexe, widersprüchliche und ambivalente Repräsentation begriffen werden muss, die in einer bestimmten Weise strukturiert und immer auch zeit-, ortsund situationsabhängig ist. Er bestimmte das Stereotyp als Hauptstrategie des kolonialen Diskurses, durch die der Andere in einer paradoxen Form von Wissen und Identifizierung festgeschrieben wird, welche zwischen dem oszilliert, was immer schon so gewesen ist, immer schon bekannt war, und dem, was (dennoch) fortlaufend neu bestätigt werden muss, »[…] as if the essential duplicity of the Asiatic or the bestial sexual license of the African that needs no proof, can never really, in discourse, be proved.« (1983: 18) Diese Repräsentationsweise entspreche dem »concept of ›fixity‹« (ebd.: 26), durch das Bhabha auch den kolonialen Diskurs und
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seine Konstruktion kultureller, historischer und/oder ›rassischer‹ Differenz insgesamt gekennzeichnet sieht. Allerdings beschreibt er den (notwendigen) Prozess des Wiederholens/Bestätigens dabei als eine Bewegung, die diesem Fixier(t)en immer wieder auch entgegenwirkt. Die Gleichzeitigkeit beider Momente setzt er als Argument dafür ein, dass (kulturelle) Differenz niemals absolut und (von daher) koloniale/ dominante Macht niemals vollkommen sein kann, sondern – und hier bemüht er Foucault – als stetiger Effekt sich kontinuierlich und konf liktreich formierender Kräfteverhältnisse verstanden werden müsse (vgl. 1983). Zugleich situiert Bhabha das Stereotyp auf einer zweiten, quer dazu verlaufenden Linie, die dessen interne Widersprüchlichkeit in ihrer Funktion für einen kolonialen/rassistischen Diskurs fokussiert und hier ebenfalls von der konstitutiven Instabilität dieses Diskurses zeugt: »it connotes rigidity and an unchanging order as well as disorder, degeneracy and daemonic repetition.« (1983: 18) Das Stereotyp ist also sowohl Garant der dominanten Ordnung als auch deren Bedrohung, es ist selbst immer schon gespalten oder gedoppelt: »[…] that ›otherness‹ which is at once an object of desire and derision, an articulation of difference contained within the fantasy of origin and identity;« 3 so sei der koloniale Andere zugleich edler Wilder und Kannibale, treuer Diener und gerissener Betrüger, Figuration eines verlorenen Paradieses und tödliche Bedrohung. Innerhalb dieser Fantasie von Ursprünglichkeit und Identität artikuliert sich die Differenz des Stereotyps, sein Anderssein, dann in einer Weise, die Bhabha als »produktive Ambivalenz« (2000: 99) bezeichnet. Denn in dem beständigen Entgleiten des (differenten/stereotypen) Objekts, das/weil es nicht endgültig und auf ewig fixierbar ist, werde die scheinbare Abgeschlossenheit des kolonialen Diskurses beständig unterlaufen. Hier sieht Bhabha gleichermaßen die Grenze dieses Diskurses erreicht und die Möglichkeit, diese Grenze zu überschreiten. Insofern die Fixierung kultureller Differenz also auf Wiederholung und Wiederholbarkeit angewiesen ist, besteht damit immer auch die Möglichkeit eines Lockerns und Verschiebens. Das Stereotyp bildet hier, so Bhabha, »an ambivalent mode of knowledge and power« 4, der direkt mit Subjektifizierungsprozessen verknüpft ist – und zwar auf beiden Seiten des kolonialen Diskurses, für den Kolonisierer wie für den Kolonialisierten. Williams’ »What you lookn at« führt ein solches Lockern und Verschieben vor, welches insofern auf Subjektifizierungsprozesse einwirkt,
3
Bhabha (1983: 19 ). Die deutsche Übersetzung lautet »zugleich Objekt des Begehrens wie der Belustigung« (Bhabha 2000: 99), wobei »derision« allerdings passender mit »Hohn« oder »Spott« übersetzt gewesen wäre. 4 Bhabha (1983: 18). Beachte hier auch das Wortspiel von »black male« und »blackmail«.
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als die Ambivalenz, von der Bhabha spricht, sich durch den Prozess des Betrachtens zieht und diesen maßgeblich bestimmt. Die gleichzeitig auftretenden Signifikanten ›männlich‹, ›jung‹, ›schwarz‹, ›Gruppe‹ und ›direkter Blick‹ – zudem bestärkt durch die Assoziation von öffentlichem Raum und Straße, wie sie Hintergrund und Graffiti nahelegen – können Konnotationen von Gewaltbereitschaft, Aggressivität, sexueller Hyper potenz, Bedrohlichkeit und Kriminalität aufrufen, durch die das (Vorstellungs-)Bild des männlichen Schwarzen innerhalb der hegemonialen westlich-weißen Repräsentationsordnung bestimmt ist. Doch wird die Verunsicherung, die bereits durch den Aufruf eines zweiten Blicks stattgefunden hat, welcher den subjektkonstituierenden Blick, die Schaulust, ausstellt, auf einer anderen Ebene noch einmal wiederholt. Bei räumlicher Annäherung an die großformatige Arbeit lösen sich die Figuren zunehmend in schwarze und weiße Punkte von unregelmäßiger Dichte auf. Mit diesem Sichtbarwerden des Druckrasters werden auch kleine Fotos und handschriftliche Texte, Bild- und Satzfragmente erkennbar, die in die Großaufnahme hineinmontiert oder hineingeschrieben sind. Die Texte erscheinen als Selbstaussagen und lakonische Kommentare, die zum Teil ebenfalls tradierte Klischees aufgreifen. So ist am linken Bildrand der Satz entzifferbar: The suspect is always a black male in his mid 20s. Er erscheint als Antwort auf die Frage what you lookn at, die nun aus derselben Perspektive abgegeben wird, aus der diese Frage zuvor gestellt worden war. Der Satz wiederholt die spontane Wahrnehmung der Betrachter/innen und nimmt sie zugleich selbstreflexiv vorweg; weitere Textstücke vermitteln Spuren einer selbstbenannten schwarzen Identität – I said – oder befragen die Repräsentation insgesamt – is this too aggressive. Die Bildfragmente zeigen zumeist porträtartige Aufnahmen ebenfalls von männlichen Schwarzen, die aus dem Familienalbum und aus nicht näher verifizierbaren massenmedialen Kontexten – Illustrierten, Werbung, Filmen – stammen könnten. Trotz der unklaren Provenienz, ihrer Fragmentarität und Ausschnitthaftigkeit scheinen sie einordbar. Aber weder bieten sie ein Gegenbild an noch bestätigen sie, was aus der Distanz, auf den ersten Blick, zu sehen war. Das Bild schwarzer Männlichkeit, das Williams hier entwirft, gibt weder eine ›Vollständigkeit‹ oder Kompaktheit zu sehen noch geht es innerhalb von Dichotomien wie öffentlich – privat, wahr – falsch, positiv – negativ, oberf lächlich – wesentlich auf. Vielmehr findet eine versatzstückartige Vervielfältigung dieses Bildes statt, das in seiner fortwährenden Partialität ausgespielt wird. Das (stereotype) Bild des Anderen in »What you lookn at« ist eines, das immer wieder brüchig und verschwommen wird, ohne dass es völlig aufgelöst wäre. Es zeigt seine Abhängigkeit vom betrachtenden Blick, der in einer Doppel-Bewegung fortlaufender Instabilisierung–Stabilisierung
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beschreibbar wird. Diese Bewegung vollzieht sich zwischen den Signifikationen von Bild und Text, zwischen Bild und Bildfragmenten sowie in der konkreten Mobilisierung der Betrachterposition, die einhergeht mit dem Verweis auf die Medialität des Bildes. Die Interdependenz von Sichtbarkeit und Sehen wird hier als Nähe-Distanz-Spiel inszeniert und als ein Prozess, in dem die Bedeutungen des Zu-Sehen-Gegebenen beständig behauptet und in Frage gestellt werden. Um die Ambivalenz der stereotypen Konstruktion und Wirkungsweise genauer zu bestimmen, die für ihn eine der signifikantesten diskursiven und psychischen Strategien diskriminatorischer Macht darstellt – unabhängig davon, ob diese »nun rassistisch oder sexistisch, peripher oder metropolitaner Natur« (Bhabha 2000: 98) ist – und damit den Machtmechanismus genauer zu beschreiben, der im kolonialen Stereotyp zum Tragen kommt, hat Bhabha dafür plädiert, dieses in der Struktur und als eine Form von Fetischismus zu lesen. Die Gemeinsamkeit zwischen (sexuellem) Fetisch und dem kolonialen Stereotyp bestehe darin, dass sich beide als multiple Überzeugung artikulieren, bei der das Erkennen von Differenz – sei diese nun auf das Geschlecht oder auf Hautfarbe/ Rasse/Kultur bezogen – zugleich durch die Fixierung auf ein Ersatzobjekt verleugnet und auf diese Weise ›normalisiert‹ wird.5 Entscheidend ist für Bhabha dabei weniger die strukturelle, sondern vielmehr die »funktionale Verknüpfung zwischen der Fixierung des Fetischs und dem Stereotyp (oder das Stereotyp als Fetisch)« (ebd.: 110) – nämlich das Hin- und Herschwanken zwischen der »archaischen Affirmation von Ganzheit/Ähnlichkeit […] und der mit dem Fehlen und der Differenz verbundenen Angst« (ebd.), das Oszillieren von »Lust/Unlust, Herrschaft/Abwehr, Wissen/Verleugnung, Absenz/Präsenz« (ebd.). Analog dazu, wie das Szenario des Fetischismus die Primärphantasie wiederhole – nämlich das Begehren des Subjekts nach einem reinen Ursprung, der immer schon durch sein Gespaltensein bedroht ist, insofern die geschlechtliche Bestimmung für die Konstituierung als Subjekt unumgänglich sei –, sah Bhabha im kolonialen Stereotyp das Verlangen nach einer Ursprünglichkeit am Werk, »die hier wiederum durch die Unterschiede von Rasse, Hautfarbe und Kultur bedroht ist.« (2000: 111) Das Erkennen von Differenz und deren gleichzeitige Verleugnung verschafft den Zugang zu einer ›Identität‹, die gleichermaßen auf Herrschaft wie auf Lust, auf Angst wie auf Abwehr gründet (1983: 27).
5
Bhabha (2000: 109). Der Begriff ›multiple Überzeugung‹ ist ebenfalls bei Freud entlehnt und meint »eine nicht-verdrängende Form des Wissens, die das simultane Einnehmen zweier widersprüchlicher Überzeugungen erlaubt« (Ebd.).
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Wie der Fetisch, ist auch das Stereotyp durch Begehren und Ängste, Phantasien und Phantasmen strukturiert, es handelt sich um eine vielschichtige Konstruktion aus Projektionen und Introjektionen, metaphorischen und metonymischen Strategien (1983: 33). Der Fetisch repräsentiert das simultane Spiel zwischen der Substituierungsfunktion der Metapher – die Maskierung von Abwesenheit und Differenz – und der Metonymie, welche fortlaufend den wahrgenommenen Mangel registriert und zum Ausdruck bringt (ebd.: 27). In der spezifischen Ambivalenz, die nach Bhabha nun das Stereotyp des kolonialen Diskurses kennzeichnet, verknüpft sich das fetischistische Spiel von Metapher und Metonymie mit den Formen der narzißtischen und aggressiven Identifikation, die im Imaginären die Prozesse der Subjektkonstituierung bestimmen. Bhabha definierte diese Konstellation auch als eine four-term-strategy, bei der sich die metaphorische/maskierende Funktion des Fetischs mit der narzißtischen Objektwahl verbindet und einem Zusammenschluss zwischen der metonymischen Figurierung von Mangel und der aggressiven Phase des Imaginären gegenübersteht (29). Die Eigenart dieser four-term-strategy wird nach Bhabha vor allem dort deutlich, wo es um die Unterschiede zwischen »der allgemeinen Theorie des Fetischismus und ihren spezifischen Anwendungen [uses; KB] für das Verständnis des rassistischen Diskurses« (2000: 116) geht. Solche Unterschiede situierte Bhabha zum einen in Bezug auf Visualität und zum anderen hinsichtlich dessen, was man affektive Wertung nennen könnte. So stellt er eine Unsichtbarkeit des sexuellen Fetischs, sein Geheimnis-Sein, gegen eine offene Sichtbarkeit der Hautfarbe, die für ihn der koloniale Fetisch schlechthin ist; sie sei der für das »Stereotyp entscheidende Signifikant kultureller und ethnischer Differenz« (ebd.: 116f.), das, was Fanon (1985: 81) das epidermale Schema nannte. Zudem sah Bhabha den sexuellen Fetisch »eng mit dem ›guten Objekt‹ verbunden« (2000:116), welches (hier) weiblich konnotiert ist; es sei »der Angelpunkt, der den ganzen Gegenstand begehrenswert und der Liebe würdig macht, sexuelle Beziehungen erleichtert und sogar eine Form des Glücks ermöglichen kann.«6 Das Stereotyp hingegen erleichtere eine koloniale Beziehung und könne eine diskursive Form des kulturellen/ ethnischen Gegensatzes etablieren, gerade indem es die gesamte Bandbreite ›positiv‹ bis ›negativ‹ konnotierter Positionalitäten zu besetzen erlaube – vom »loyalen Diener bis zum Teufel, vom Geliebtem [sic] bis zum Gehaßten.« (2000: 116) Die four-term-strategy des kolonialen
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Bhabha (2000: 116f.). Bhabha bezieht sich hier auf die weibliche Hauptfigur Susan in Orson Welles’ Film »Touch of Evil«, die er als ›gutes Objekt‹ definiert. Die filmwissenschaftliche Rezeption von »Touch of Evil« hatte er zuvor hinsichtlich ihrer Neu-Fixierung des Stereotyps – hier in der Figur des männlichen Protagonisten Vargas – kritisiert.
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Diskurses beschreibt eine fixierte/fixierende »Beweglichkeit des metaphorisch/narzißtischen und metonymisch/aggressiven Systems« (ebd.: 116f.). Sie liefert hier das Muster, wie sich die Subjektpositionen in diesem Zirkulieren kolonialer Macht unterschwellig fortlaufend spalten und in ihrem Gespaltensein miteinander-gegeneinander verschieben. Das Gefüge der Sichtbarkeit, die im kolonialen Diskurs zur Geltung kommt, ist demnach durch eine spezifische Verbindung von Wissen und Phantasie, Macht und Lust charakterisiert. Diskriminierung stellt nach Bhabha eine politische Wirkung des kolonialen Diskurses dar, die entscheidend über diese Sichtbarkeit funktioniert, weswegen wiederum auch »die Hautfarbe als Signifikant von Diskriminierung als Sichtbares produziert oder verarbeitet werden« müsse (2000: 117). Die Differenz des Objekts der Diskriminierung – das Stereotyp – werde sichtbar gemacht und naturalisiert, indem Farbe zum politischen und kulturellen Zeichen von Minderwertigkeit und Degeneriertheit gemacht wird und Haut zu deren natürlicher ›Identität‹ (ebd.: 118). Hier sah Bhabha in der vierzügigen Strategie des Stereotyps – dem »Spiel zwischen den metaphorisch/ narzißtischen und den metonymisch/aggressiven Momenten im kolonialen Diskurs« (120) – dann ein Instabilisierungsmoment, das auch produktiv gewendet werden kann. Denn das Macht/Wissen des Kolonialismus werde immer schon von der Phantasie überlagert, »die das unmögliche Verlangen nach einem reinen, undifferenzierten Ursprung dramatisch inszeniert« (ebd.), wobei »die Präfiguration des Begehrens für all jene Systeme der ›Ursprünglichkeit‹ […] eine potentiell konf liktschaffende, verstörende Kraft darstellt.« (Ebd.) Entscheidend ist an dieser Stelle – so lässt sich zusammenfassend zuspitzen – eine Ökonomie des (begehrenden) Blickens. Denn insofern das Erkennen wie auch das Verleugnen von ›Differenz‹ durch die Frage nach ihrer Konstruktion verunsichert werden, sei das Stereotyp, so Bhabha, ein letztlich »›unmögliches‹ Objekt« (ebd.). Die fünf Protagonisten in Williams’ Inszenierung sind sich äußerlich keineswegs ähnlich, sie sind nicht uniform dargestellt. Aber sie sind auch nicht als Individuen gemeint; eher führen sie verschiedene Typen vor, die sich im Augenblick des Sehens/Gesehenwerdens zum Stereotyp des black male in his mid 20’s verdichten und – durchaus im Freudschen Sinn – Gestalt annehmen.7 Diese ›Gestalt‹ der fünf Figuren verdeckt deren fragmentarische Existenz, die sowohl über das Druckraster als auch über die kleinen Bild- und Textstücke visualisiert ist, und behauptet sie als Gegenüber. Jedoch wird nun der Moment narzißtischer Identifikation durch den ›Blick zurück‹ der Gestalten und mit dem geschriebenen what you lookn at als die Herstellung einer Distanz codiert, die auf der Differenz
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Für eine Engführung von Freuds Traumanalyse und Fotografie, vgl. Burgin (1992b: v.a. 195–197).
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des/der Anderen besteht. Der Moment des Differenten wiederum markiert den ›Mangel‹ des (betrachtenden) Subjekts, insofern der Schriftzug zugleich die ›ganze Gestalt‹ der Gegenüber offensiv relativiert und ihre mediale/bildliche Fragmentierung eine ›Nähe‹ herstellt, die sich dann allerdings als uneinholbare Distanz erweist. Das Motiv des ›direkten Blicks‹ hat Kobena Mercer (1991: 200) als eine dialogische textuelle Strategie bezeichnet, die den double-bind der Repräsentation – also das paradoxe Moment von Sichtbarkeit, das in der Angleichung an die vorgegebenen Bilder liegt, – durchbrechen kann, weil die Zuschauer/Betrachter mit einem solchen Zurückblicken gefragt würden, was sie eigentlich suchen. Diese Frage, so scheint es, ist das eigentliche Thema von Williams’ Foto-Text-Montage. Mit Bhabha könnte geantwortet werden: Es ist die Suche nach dem ›unmöglichen‹ Objekt; unmöglich, weil eben in der »Objektifizierung des Schautriebes […] immer auch die bedrohliche Umkehrung (return) des Blicks [steckt]; in der Identifikation der imaginären Beziehung gibt es immer auch den entfremdenden Anderen (oder Spiegel), der unvermeidlich sein Bild auf das Subjekt zurückwirft; und in jener Form der Substitution und Fixierung, die den Fetischismus ausmacht, findet sich immer die Spur des Fehlenden, der Absenz.« (2000: 120) Williams’ »What you lookn at« überführt mit dem inszenatorischen Nähe/Distanz-Spiel des betrachtenden Blicks, dessen momenthaftem, unvollständigem Festhalten, jene dynamische four-term-strategy, die Bhabha als (ambivalente) psychische Formation der ›Fixiertheit‹ formuliert, in ein Fließen, welches die Verknüpfungen zwischen Metapher und narzißtischer Identifikation einerseits und zwischen Metonymie und aggressiver Identifikation andererseits lockert und partiell ineinander verschiebt. Der unabschließbare Prozess des Schauens wird hier als eine Blickökonomie vorgeführt, die ein Betrachter-Begehren nach Fixierung des Anderen-in-der-Differenz als das Begehren nach einem eigenen ›Fixiert-Sein-Wollen‹ fest-stellt – indem sie in Bewegung hält. Das mehrschichtige, komplexe Vexierspiel von Behauptung und Infragestellung, das Pat Ward Williams hier inszeniert, öffnet einen Raum des Ambivalenten und Unentscheidbaren. Ihre Intervention in das dichte Gewebe von Projektion und Phantasie, welches das Stereotyp des black male bestimmt, dekonstruiert dieses Stereotyp, indem es die ›unterschwelligen Bewegungen‹, durch die dieses charakterisiert ist, auf der ›Oberf läche‹ des Betrachtungsprozesses austrägt und auf diese Weise einen Raum artikuliert, der mit Bhabha auch als ›Zwischen‹-Raum oder Third Space bezeichnet werden kann.
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Homi K. Bhabhas Third Space Homi K. Bhabha hat den Third Space – den Dritten Raum oder ZwischenRaum – für die postkoloniale Kulturtheorie als ein Konzept stark gemacht, das Prozesse und Prozessualitäten fokussiert, also das, was ›zwischen‹ Fixierungen, Kategorisierungen oder geschlossen und homogen erscheinenden Entitäten passiert (vgl. v.a. 1995a; 1998). Der Versuch, einen solchen Raum ›dazwischen‹, ein Drittes, auszuformulieren, ist keineswegs nur eine Erfindung postkolonialer Theorie, jedoch hat diese wesentlich dazu beigetragen, dass »Figuren der/des Dritten« 8 seit den 1980er Jahren (wieder) verstärkt auftreten und diskutiert werden. Hier werden vor allem psychoanalytische, sprachtheoretische und kulturwissenschaftliche Konzepte für Fragen nach kultureller Identität, Differenz und Handlungsmöglichkeit gebündelt und nutzbar gemacht, die sich jenseits von Essenzialismen und Ursprungsmythen auf Dynamiken des Unabgeschlossenen bzw. Unabschließbaren richten. Bhabhas Third Space ist am ehesten als eine Verräumlichung der Grenze zu beschreiben, die für die machtvolle Etablierung sozio-diskursiv und psycho-symbolisch, aber auch geo-politisch, generierter Positionen als Binaritäten, als hierarchisch strukturierte Oppositionen, als Zentrum-Rand-Dichotomien oder als Produkte zeitlich linearer Narrative einerseits vorausgesetzt werden muss und die andererseits gerade der permanente Effekt solcher Vorgänge ist. Mit diesem Konzept der verräumlichten Grenze versucht eine postkoloniale Perspektive zum einen die vielschichtigen Prozesse des Othering zu beschreiben, durch die kulturelle und politische Identitäten konstruiert und fixiert werden; zum anderen wird hier aber auch ein Ort gesehen, von dem aus in die Machtverhältnisse interveniert werden kann, die ebendiese Prozesse strukturieren. Hauptreferenzen für Bhabhas kulturtheoretische Konzeptionen sind immer wieder Edward Saids »Orientalismus« (1981) und die Arbeiten von Frantz Fanon (1981; 1985), die retrospektiv zur Gründungsliteratur postkolonialer Theorie gezählt werden können. Beide Autoren beschreiben koloniale Konstruktionen und Beziehungen als ambivalent und dynamisch: Said unterschied in Anlehnung an Freuds Traumtheorie einen manifesten und einen latenten Orientalismus und untersuchte die Wechselwirkungen zwischen beiden Ebenen; Fanon setzte die Psychoanalyse für die Untersuchung von Formationen der interkulturellen (und intersubjektiven) Begegnung ein. Dabei vertreten
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»Figuren der/des Dritten« ist der Titel des von Breger/Döring (1998) herausgegebenen Bandes, der kulturelle Zwischenräume untersucht. Die Einleitung gibt einen Überblick über – so müsste man treffender sagen – Konzeptualisierungen des Dritten, die bisweilen ›Gestalt‹ haben oder annehmen. Das Visuelle spielt hier allerdings keine Rolle.
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beide Autoren einander gegenüberliegende Positionen. Während Said vor allem die diskursiven Konstruktionsweisen des Orients durch den Okzident und insofern die Seite der Kolonisatoren untersuchte, sprach Fanon aus der Perspektive der Kolonisierten. Fanon ref lektierte u.a. auch seine eigene transkulturelle Positionalität als französischer – bzw. sich ›französisch‹ identifizierender – Bürger martiniquanischer Herkunft, deren grundlegende Problematik sein Buch »Schwarze Haut, Weiße Masken« bereits im Titel prägnant zugespitzt hat. Sowohl mit als auch gegen beide Autoren nimmt Bhabha die Differenzkonstruktion – die Grenze – zwischen ungleichen Positionen innerhalb des kolonialen Diskurses, zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten in den Blick und zeigt, wie diese Positionen nicht unabhängig voneinander gedacht werden können, wie sie in komplexer Weise aufeinander bezogen sind, sich wechselseitig und abwechselnd stabilisieren und instabilisieren, in beständigem Konf likt miteinander stehen, der immer auch durch Macht- und Herrschaftsstrukturen determiniert ist (vgl. auch Castro Varela/Dhawan 2005: 85–94). Bhabhas postkolonialer Third Space ist entsprechend auf mehreren ineinandergreifenden Ebenen situiert. Er ist das dekonstruktive Gegenkonzept zu einem exotisierenden Multikulturalismus und einer kulturellen Diversität, die eine Existenz natürlich gegebener homogener Kulturen implizit – und bisweilen auch explizit – voraussetzt,9 und besteht statt dessen »auf der Einschreibung und Artikulation der Hybridität von Kultur« (2000: 58). Der Dritte Raum ist der Überlappungsraum zwischen verschiedenen, ungleichzeitigen und inkommensurablen Kulturen, ein Zwischen-Raum angesichts der globalen postkolonialen Umschichtungen und (ihren) lokalen Manifestationen, aber ebenso ein semiotischer Raum der Bedeutungsüberlagerung und der gespaltene Raum der Äußerung, wie ihn die Sprechakttheorie beschreibt. Dritte Räume sind jene Momente und Prozesse, »die bei der Artikulation von kulturellen Differenzen produziert werden«10 – die durch die Überlagerungen, das Ineinandergreifen und die wechselseitigen Verschiebungen von Differenzbereichen entstehen. Es sind von daher hybride Räume, die die Stillstellung und Vereindeutigung von Differenz, wie sie mit symbolischen Kategorisierungen einhergeht, unterlaufen. Dritte Räume sind die Löcher, Klüfte oder Spalten, die sich als Spuren des Ausgelassenen, des Nicht-Gesagten
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Dazu gehört beispielsweise auch Samuel Huntingtons im Nachklang von 9/11 vielzitierte These vom »Kampf der Kulturen«, die, obwohl sie auch in den öffentlichen Medien für ihre Simplifizierungen kritisiert wurde, sich ebendort dennoch als ein Schlagwort durchsetzte, das mal mit mehr, mal mit weniger rhetorischer Distanzierung, zitiert wurde. 10 Bhabha (1997b: 124). Zur Argumentation für einen Begriff der kulturellen Differenz und gegen den pluralistischen Begriff einer kulturellen Verschiedenheit oder eines Multikulturalismus, vgl. auch Bhabha (1995a).
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und Nicht-Repräsentierten, des Verdrängten und Verleugneten durch die symbolischen Ordnungen ziehen. Sie ›bezeichnen‹ das, was zur Herstellung der symbolischen Ordnung einerseits hinter sich gelassen werden muss und andererseits aber diese Ordnung in Gang hält. Bhabhas Third Space öffnet sich als eine Art kultureller Spielraum, der Bewegungen quer zu Identitäten, zu Kulturen und Geschlechtern und durch sie hindurch ermöglicht. Er markiert den diskursiven Raum des Ambivalenten, der die Behauptung von Identität und Differenz in deren wiederholtes Hinterfragen verschiebt. Somit geht der Dritte Raum oder das Hybride nicht – und das ist entscheidend – aus der Rückführbarkeit auf zwei originär und ursprünglich gedachte Momente hervor, sondern er ist umgekehrt immer ein Raum des Überschreitens, ein supplementärer Raum, aus dem andere – und insofern potenziell auch ›neue‹ – Positionen hervorgehen. Wie Bhabha schreibt: »[…] for me the importance of hybridity is not to be able to trace two original moments from which the third emerges, rather hybridity to me is the ›third space‹ which enables other positions to emerge. This third space displaces the histories that constitute it, and sets up new structures of authority, new political initiatives, which are inadequately understood through received wisdom.« (1998: 211)
Das Konzept des Third Space entwickelt Bhabha maßgeblich im Rückgriff auf Derridas Modell der différance und Lacans psychoanalytischen Entwurf des gespaltenen Subjekts. So geht es in sprachtheoretischer/semiotischer Perspektive auch hier darum, wie sich in der fortlaufenden Verkettung von Signifikanten – und ebenso in der Vermischung von Signifikantenketten – eine Bewegung des Bedeutens als ein Zwischen-Raum des Differierens entfaltet, ohne dass dabei die Spuren anderer, früherer Bedeutungen ausgelöscht würden. Psychoanalytisch terminiert, beschreibt Bhabha den Dritten Raum als Ort der Subjektifizierung und Identitätsformation, an dem sich die Teilung von Selbst und Anderem, Subjekt und Objekt, von Eigenem und Fremdem, Kolonisierern und Kolonisierten, in eine Unentscheidbarkeit auf löst und der zugleich die Spaltung des Subjekts selbst, des Einen wie des Anderen, des Weißen wie des Schwarzen/ Farbigen/Nicht-Weißen verräumlicht. Der Third Space markiert hier den Nicht-Ort des gespaltenen Subjekts – den Raum zwischen dem Ich, ›das spricht‹, und dem Ich, das ›gesprochen wird‹. In Bhabhas Konzept konstituiert er sich dort, wo in der ambivalenten Doppel-Struktur der Identifikation – dem Oszillieren zwischen narzisstischen und aggressiven Phasen, dem Spiel des ›identisch mit‹ und ›verschieden von‹, welches das Spiegelstadium strukturiert, – fortwährend »der Schatten des Anderen auf das ›Selbst‹ fällt und umgekehrt.« (1997a: 118)
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Bhabha proklamiert den Dritten Raum als einen Raum des permanenten Aushandelns und der Übersetzung, in dem sich Momente der Verstörung in Neuverknüpfungen von Bedeutung wandeln können, wenn das Verstörende als etwas Instabiles und Instabilisierendes eingearbeitet wird.11 Damit eröffnet sich ein politischer Raum, in dem Bedeutungen verschoben und Prozesse umstrukturiert werden können, ohne dass dies zugleich Homogenisierungen, neue Fixierungen und eine (Re-)Etablierung hierarchisierter Verhältnisse bedeuten muss. Für marginalisierte, subalterne12 Subjekte besteht demnach eine potenzielle Produktivität dieses Raums ›dazwischen‹ darin, dass hegemoniale Repräsentationssysteme von ›innen heraus‹ subvertiert werden können. Die Strategie, durch die dieser Raum offengelegt oder ›gesprochen‹ werden kann, besteht nach Bhabha in der Simultaneität von Wiederholung und Negation. Das heißt, den zugewiesenen Ort des Anderen zu besetzen, die Bezeichnung zu verdoppeln, sich nach dem Prinzip der Mimikry in das Bild (des Anderen) einzurücken, und dies zugleich zu verneinen.13 Bhabhas Konzepte des Third Space und des Hybriden stehen in den englisch- und mittlerweile auch deutschsprachigen Kultur- und Geisteswissenschaften einerseits hoch im Kurs;14 andererseits sind sie nicht ohne bisweilen heftige Kritik geblieben, die auf Auslassungen, Verkürzungen und Widersprüche aufmerksam gemacht und beispielsweise auch einen theoretischen Eklektizismus, eine reduzierte Berücksichtigung historischer Fakten, die Gefahr der verf lachenden Popularisierung und insgesamt die Reichweite des politischen Wirkungspotenzials zur
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Bhabha (1998: 209f.). Den Begriff der Übersetzung entlehnte Bhabha von Benjamin, der damit nicht die wortgetreue Übertragung des Fremden in die eigene Sprache meinte, sondern einen Prozess, der dieses Fremde, Nicht-Mitteilbare in der eigenen Sprache erscheinen lässt (vgl. Benjamin 1977b). 12 Zur Kategorie des Subalternen (im Unterschied zum Marginalisierten) als dem, was von einer hegemonialen Ordnung als nicht-existent ›wahrgenommen‹ wird, vgl. Spivak (1988). Bhabha bezog sich allerdings nicht auf Spivak. 13 Vgl. dazu insbes. Bhabha (1997a). In diesem Sinn wäre hier auch Judith Butlers Konzept der Performativität von Geschlecht als ein regulierter Wiederholungsprozess zu nennen (vgl. 1991). Im Gegensatz zu Bhabhas ausgewiesener Strategie erscheint ein Subversives bei Butler allerdings als eher zufällig, wenn sie von einem Scheitern oder Verfehlen der Wiederholung spricht. Für die Ausarbeitung von Mimikry als eine feministische Strategie, vgl. grundlegend Irigaray (1979). 14 Die weitläufige Rezeption im deutschsprachigen Raum ist wohl nicht zuletzt dem von Elisabeth Bronfen u.a. herausgegebenen Band »Hybride Kulturen« (1997) zu verdanken, der neben im anglophonen postkolonialen Diskurs vieldiskutierten Texten von Benedict Anderson, Fredric Jameson, Edward W. Said, Iain Chambers, Stuart Hall und Cornel West gleich drei Texte von Homi K. Bhabha in deutscher Erstübersetzung lieferte. So wertvoll der Beitrag dieses Buches für die deutschsprachige Auseinandersetzung auch ist, so irritiert doch sehr, dass hier zum einen nur männliche Autoren aufgenommen wurden, zum anderen die Kategorie Geschlecht unthematisiert bleibt und, drittens, beides an keiner Stelle reflektiert oder begründet wird. Wichtige Autorinnen wie Gayatri C. Spivak oder Trinh T. Minh-ha werden nicht berücksichtigt, was um so mehr verwundern muss, als Bronfen selbst maßgeblich durch feministisch argumentierende Arbeiten bekannt geworden ist.
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Diskussion gestellt hat.15 Es wäre ein ganz eigenes Projekt all die Einsprüche im einzelnen auszuwerten oder gar zu überprüfen, inwiefern Bhabha die Begriffe/Konzepte, die er adaptiert, einsetzt und verknüpft, jeweils in demselben Sinn verwendet oder wo in seinen Texten auch unversehens theoretische Unklarheiten und Widersprüche auftreten, die unreflektiert bleiben. Denn z.B. sind Hybridität und Dritter Raum oder (koloniales) Stereotyp und Fetischismus Konzepte, die durch seine Texte hindurch wiederkehren und die er – wie oben auch dargelegt – einerseits ausdifferenziert, andererseits aber weitestgehend synonym setzt; Ambivalenz- und Unentscheidbarkeitskonstellationen, Figuren der Doppelung und (koloniale) Mimikry werden in wechselnden analytischen Situierungen in Verbindung gebracht, auf erstgenannte Konzepte bezogen und miteinander verhandelt. Daher werde ich mich für meine weitere Argumentation an Bhabhas theoretische Praxis anlehnen und sie so diskutieren, dass vor allem diejenigen Aspekte fokussiert werden, die in Bezug auf die Bildanalysen und ein Projekt des Ent/Fixierens nützlich sein können. Ich schlage damit also vor, Bhabhas Third Space grundsätzlich als ein Strategiekonzept zu verstehen, das in seinen je konkreten Situierungen – sei es in Bezug auf Bhabhas eigene Texte oder hinsichtlich seiner Übertragungen oder Nutzbarmachungen für andere Bereiche – immer auch neu zu befragen und auf seine Voraussetzungen und Effekte hin zu diskutieren wäre. Bhabha schrieb: »For post-structuralist discourse, it is the priority (and play) of the signifier that reveals the Third space of absence of lack or doubling (not depth) which is the very articulatory principle of discourse. It is through that space of enunciation, that problems of meaning and being enter into the discourses of post-structuralism, as the problematic of subjection and identification.« (1987: 7)
Welches also sind die Bedingungen im Feld des Visuellen, die einen Dritten Raum als Raum der Übersetzung, als einen transgressiven Raum, offenhalten (können), ohne ihn zu normalisieren? Was artikuliert sich damit in Bezug auf eine Problematik der Subjektion und Identifikation? Und wie steht dies im Verhältnis auch zu dem, wie Bhabha selbst sein Modell für dieses Feld übersetzt hat? Welche Übersetzungen von Third Space und visuellen Ent/Fixierungen von ›Identität‹ – ineinander und durcheinander hindurch – sind möglich? 15
Für eine Zusammenfassung der kritischen Positionen zu Bhabha, vgl. Castro Varela/Dhawan (2005: 100–109). Wo Castro Varela/Dhawan Bhabhas »Bevorzugung eines methodischen Eklektizismus« (ebd.: 84) als eine produktive Strategie verstehen, blieb z.B. bei Bronfen/Marius offen, ob es bewundernd, kritisch oder die kritische Auseinandersetzung vermeidend gemeint ist, wenn dort von Bhabhas »in wildem Theorie-Kauderwelsch gewonnenen prägnanten Formulierungen« (1997: 7) gesprochen wird.
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Übersetzen: Third Space und visuelle Repräsentation Mit Pat Ward Williams’ »What you lookn at« habe ich gezeigt, wie die inszenatorische Dekonstruktion eines stereotypen Bildes des schwarzen Mannes als die Artikulation eines Dritten Raums lesbar wird. Im Anschluss daran frage ich nun nach der Übersetzung zwischen visueller Repräsentation und theoretischem Konzept in beide Richtungen. Zunächst diskutiere ich mit der Lektüre von James Lunas »Half Indian/Half Mexican« (1991) und Dave Lewis’ »The Flag of our Ancestors« (1985) vor allem die Konzepte des Hybriden und der Mimikry in ihren fotohistorischen Bezügen. Anschließend soll das Verhältnis von Drittem Raum, Bild und Geschlecht genauer angeschaut werden. Denn zwar hatte Bhabha in der 1983 in der Zeitschrift Screen erschienenen Version von »The Other Question«, dem Text, in dem er den Konnex von Stereotyp und Fetischismus maßgeblich entwickelte, in einer Fußnote noch ausdrücklich auf die enorme Relevanz von sexueller Differenz und sozialer Klasse hingewiesen, welche in seiner Argumentation nicht ausreichend berücksichtigt seien;16 doch ist er eine explizite Diskussion von Geschlecht, Geschlechterdifferenz und Klasse als konstitutive Elemente des post/kolonialen Diskurses bis heute schuldig geblieben.
Das Foto als ›Identitätsausweis‹: Stereotyp, Hybridität und (post)koloniale Mimikry James Lunas »Half Indian/Half Mexican« (1991, Abb. 70) und Dave Lewis’ »The Flag of our Ancestors« (1985, Abb. 71) sind zwei Arbeiten, an denen sich die Dekonstruktion des kolonialen Stereotyps als Öffnung eines postkolonialen Dritten Raums in expliziter Bezugnahme auf die Fotogeschichte nachvollziehen lässt. Beide Künstler intervenieren auf der Ebene der Bildkategorie. Sie zitieren den anthropologischen mug shot, also das vereinheitlichte, auf Identifizierung und Klassifizierung der Abgebildeten abzielende Frontal- und Profilbild, wie es in der Ethnografie
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Dort hieß es: »[…] despite the subject’s problematic accession to sexual difference which is crucial to my argument, the body in this text is male« und »the representation of class difference in the construction of the colonial subject is not specified adequately« (Bhabha 1983: 18, Anm. 1). Die erste Auslassung entschuldigte Bhabha mit einem Sonderstatus der Frau: »Realising that the question of woman’s relation to castration and access to the symbolic requires a very specific form of attention and articulation, I chose to be cautious till I had worked out its implications for colonial discourse.« (Ebd.) Damit führte er ein Argument an, welches nicht nur eine freudsche Grundlegung ungebrochen wiederholt, sondern auch kulturhistorisch als Teil eines sexistischen anthropologischen Diskurses verfolgt werden kann (vgl. Honegger 1991). Die ›Frau‹ bleibt entweder völlig unbeachtet oder es wird ihr eben eine ganz besondere Sichtbarkeit zugewiesen – beides Strategien, die ›das Männliche‹ als Norm einsetzen und aufrechterhalten.
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Abb. 69: Pat Ward Williams: What you lookn at, 1992 (Mixed Media, 240 x 480 cm). Abb. 70: James Luna: Half Indian/Half Mexican, 1991 (Gelatinesilberdrucke, je 75 x 60 cm). Abb. 71: Dave Lewis: The Flag of Our Ancestors, 1985 (30 x 40 cm).
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und für die Verbrecherfotografie entwickelt wurde.17 In Lunas dreiteiliger großformatiger Selbstinszenierung geben die beiden Profilaufnahmen in der parodistischen Wiederholung stereotypisierter Vorstellungen die ›zwei Seiten‹ der Person zu sehen: links der Typ des Native American mit Ohrring und langen Haaren, rechts der Typ des Mexikaners mit kurzen Haaren und Schnauzbart. Die Doppelgesichtigkeit wiederholt sich in der Frontalaufnahme dazwischen, wo beide Typen in demselben Gesicht zusammenkommen. Lewis’ »The Flag of our Ancestors« zeigt die Rückenansicht eines männlichen Schwarzen, dessen Blick der britischen Nationalf lagge zu seiner Rechten, dem Union Jack, zugewandt ist. Die Pose erscheint nahezu wie eine Umkehrung des Zeitungsfotos, welches Roland Barthes in den »Mythen des Alltags« (1964) beschrieb (aber nicht zeigte), um die Funktionsweise des Mythos als sekundäres semiologisches System zu erklären, das an der Naturalisierung von Bedeutungen arbeitet, indem es Prozesse der Bedeutungsgenerierung von (Bild-)Zeichen unsichtbar macht und entzieht. »Ich sitze beim Friseur, und man reicht mir eine Nummer von Paris-Match. Auf dem Titelbild erweist ein junger Neger in französischer Uniform den militärischen Gruß, den Blick erhoben und auf eine Falte der Trikolore gerichtet. Das ist der Sinn des Bildes. Aber ob naiv oder nicht, ich erkenne sehr wohl, was es mir bedeuten soll: daß Frankreich ein großes Imperium ist, daß alle seine Söhne, ohne Unterschied der Hautfarbe, treu unter seiner Fahne dienen und daß es kein besseres Argument gegen die Widersacher eines angeblichen Kolonialismus gibt als den Eifer dieses jungen Negers, seinen angeblichen Unterdrückern zu dienen. Ich habe also auch hier ein erweitertes semiologisches System vor mir: es enthält ein Bedeutendes, das selbst schon von einem vorhergehenden System geschaffen wird (ein farbiger Soldat erweist den französischen militärischen Gruß), es enthält ein Bedeutetes (das hier eine absichtliche Mischung von Franzosentum und Soldatentum ist), und es enthält schließlich die Präsenz des Bedeuteten durch das Bedeutende hindurch.« (Ebd.: 95)
Im Gegensatz zu dem Paris-Match-Foto wird der Gestus nationaler Identifikation bei Lewis dadurch gebrochen, dass auf eine konkrete historische Dimension verwiesen wird. Das geschieht durch das Bild-im-Bild-Arrangement der anthropologischen Fotografien, die die Figur, wie Erinnerungsfotos gerahmt, hinter dem Rücken hält und in deren Darstellungslogik sie sich mit der eingenommenen Pose und dem unbekleideten Oberkörper zugleich auch einreiht.
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Vgl. dazu Kap. 2.
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Die Funktionalisierung des Fotos als ›Identitätsausweis‹ in der anthropologisch-ethnografischen Forschung des späten neunzehnten Jahrhunderts diente nicht nur dazu, den Fremden im/als (Gegen-)Bild zu fixieren und seine Sichtbarkeit als Wissensobjekt herzustellen, sondern immer auch einer Sicherung kolonialer Autorität. Das (vermeintlich) Unheimliche, Beunruhigende und Bedrohliche des Fremden, seines An/Blicks, wurde (unter anderem) im fotografischen Bild zu bannen gesucht – und damit immer auch erneut aufgerufen. Luna und Lewis zeigen nun ein Modellieren zwischen Identitätskategorien, welches dem tradierten Bild der Identitätsfixierung folgt und ihm zugleich entgegensteht. Sie lösen die visuelle Fixierung und halten sie sichtbar; sie inszenieren eine partialisierende Ab-Lösung, die eine historische und kulturelle Hybridität des postkolonialen Subjekts visuell vorstellt. Hybridität meint einen Zustand des ›Unreinen‹ oder Vermischten, der historisch im kolonialen Diskurs vor allem ›Rassenvermischung‹ bezeichnete und mit seiner postkolonialen Wendung auf das Verleugnete und Verdrängte in den Konstruktionen vermeintlich ›reiner‹ und homogener imagined communities verweist.18 Das betrifft hegemoniale Formationen, wie etwa die des Nationalen, ebenso, wie identitätspolitisch ausgerichtete Praktiken marginalisierter Gruppen, die sich in der Selbstdefinition und Selbstverortung als Andere im Zeichen einer (vermeintlich) absoluten Differenz verfangen. Sylvia Pritsch (2001) sah das Hybride bei Bhabha sehr treffend als einen »Zustand von Ambivalenz durch Differenz« (ebd.: 180) bzw. als eine »Erscheinungsform von Differentem in seiner Entstellung« (183) bestimmt. Hybridität erscheint als strategische Umkehrung des Fetischismus, der nach Bhabha das koloniale Stereotyp ausmacht, wobei er den Unterschied zwischen Fetisch und Hybridität in deren jeweiliger Konfiguration eines Ähnlichkeit-Differenz-Verhältnisses definiert. Der Fetisch könne – das steht ganz im Einklang mit Freuds Definition – ein beliebiges Objekt sein, weil es in der metaphorischen Bewegung des Fetischismus darauf ankomme, den Phallus erfolgreich zu ersetzen, d.h. den Mangel zu verdecken. Er wirke insofern identitätssichernd, weil hier eine Differenz des äußeren Erscheinungsbildes gegenüber einer Äquivalenz auf der Ebene der (unsichtbaren) Bedeutung zurücktritt und von daher erfolgreich verleugnet werden kann. »Das hybride Objekt hingegen«, so Bhabha, »wahrt tatsächlich Ähnlichkeit mit dem autoritativen Symbol, wertet aber seine Präsenz um, indem es sich ihm als Signifikant der Entstellung entgegenstellt – und zwar nach der Intervention der Differenz.« (2000: 170)
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Vgl. dazu insbes. Bhabha (1986: 173ff.). Zur Logik der Reinheit als Ordnungsmuster zur Herstellung und Wahrung kultureller Stabilität, vgl. Douglas (1988). Zum Konzept der »imagined community«, das im Deutschen etwas unglücklich mit »erfundene Gemeinschaft« übersetzt ist, vgl. Anderson (1993).
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So irritiert bei Luna eine ambivalente Wirkung des Gespaltenen und doch Einheitlichen; und zwar vor allem deswegen, weil sie hier gerade nicht auf der Ebene des Bildträgers – also etwa als Collage –, sondern auf der des fotografierten ›Objekts‹ verortet ist. Was im Profil als zwei Bilder derselben Person – mit deutlich unterscheidbarem Äußeren – erscheinen kann, ist zur Mitte hin auf das Bild der Person verschoben und rückverweist darauf, dass en profile die jeweils unsichtbar bleibende Gesichtsseite mit der jeweils zu sehen gegebenen als identisch vorausgesetzt wird. Luna visualisiert die Simultaneität von ethnischer und nationaler Identifikation als Doppelung–Spaltung der Person, indem er sich (zweifach) in das Bild einschreibt, mit dem der Andere medien- und wissenschaftshistorisch ein ›eigenes Bild‹ zugewiesen bekam, und die Bildhaftigkeit dieses Bildes zugleich verunsichert. Lewis thematisiert die Konstituierungsbedingungen postkolonialer Subjektivitäten entlang der sich überlagernden kategorialen Achsen von Nation und Ethnizität/›Rasse‹. Die mug shots konnotieren die historische Dimension dieser doppelten Identifikation. Sie entstammen einer Serie, die der britische Ethnologe Charles Gabriel Seligman (1873–1940) zwischen 1909 und 1922 von Angehörigen verschiedener Stämme im Englisch-Ägyptischen Sudan erstellt hat.19 Signifikant werden sie hier jedoch nicht hinsichtlich dieses konkreten Entstehungskontextes, sondern als metonymisches Zeichen der historischen Konstruktion des kolonialen Anderen, die in der ethnografischen Datenerhebung und fotografischen Typenbestimmung eben eines ihrer wirkungsvollsten Verfahren gefunden hat. In der doppelten Geste des Verbergens und offensichtlichen Zeigens dieser Fotografien insistiert die Inszenierung auf ein Vergangenes, das nicht (mehr) präsent und doch allgegenwärtig ist. Lewis macht insofern widerstreitende latente Bedeutungen im Bild und im Selbst-Bild des postkolonialen schwarzen (und hier: männlichen) Subjekts sichtbar, das ›dazwischen‹ steht; und er fragt – mit dem Blick auf den Union Jack – zugleich nach der Verfasstheit einer (homogen imaginierten) nationalen (britischen) Identität.
19
Vgl. Green (1997: 128). Dort sind auch die von Lewis verwendeten Fotografien abgebildet. Die genannten Informationen wurden der Bildunterschrift bei Green entnommen. In der ethnografischen Forschung um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert galt Seligman als Pionier eines Ansatzes, der Feldforschung auf eine Weise mit Fotografie zu verbinden suchte, die letzterer nicht mehr eine uneingeschränkte Autorität zuerkannte und von daher auch offen die Retusche einsetzte, um das, was gezeigt werden sollte, zu verdeutlichen (vgl. auch Edwards 1992: u.a. 64; 85). Die von Lewis verwendeten, später entstandenen Fotografien entsprechen jedoch den anthropologischen Standardisierungen, wie sie bei Bertillon entsprechend für die Polizeifotografie zu finden sind. James C. Faris schreibt in diesem Zusammenhang über das Buch von C. Seligman & B. Seligman: Pagan Tribes of the Nilotic Sudan (London 1932): »In style, however, in the power accorded or demanded by the instrument, there are stark contrasts. The photograph becomes progressively more autonomous (except for intrusive close-up ›portraiture‹) […].« (1992: 214)
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Das Hybride wirkt als grundlegende Verunsicherung (und Verunmöglichung) von Identität. Bhabha betont Hybridität denn auch als einen Prozess, bei dem die Signifikation von Differenz beständig den Rahmen aufruft und zur Diskussion stellt, innerhalb dessen sich geschlossene Identitätsformationen zu etablieren suchen. Wie Pat Ward Williams inszenieren auch James Luna und Dave Lewis ein Wechselspiel der Behauptung und Infragestellung von Identität/Differenz nicht zuletzt dadurch, dass sie den betrachtenden Blick beweglich halten. Bei Lewis initiiert die Blickrichtung des Protagonisten eine kreisende Bewegung, Luna schickt den betrachtenden Blick immer wieder zwischen den beiden Profilaufnahmen und dem Frontalbild in der Mitte hin und her. Das hybride postkoloniale Subjekt stellt sich hier als inszenatorische Verkörperung eines Third Space vor – das Andere einer Dominanzkultur, von der es notwendig immer schon ein Teil ist und vice versa und bzw. als deren angelegentlicher Störenfried. Es wäre von daher eine Figur des Dritten, deren Visualisierung bei Luna und Lewis zudem noch einmal verdeutlicht, dass Hybridität keineswegs als eine – in ihrer historischen Dimension eben auch höchst problematische – Seinskategorie misszuverstehen ist, sondern ein Prozessuales, ein Un-Passendes bezeichnet, welches (hierarchisierende) Grenzziehungen markiert und durcheinander bringt. Lunas und Lewis’ Spiel mit anthropologischen Fotopraktiken kann als entstellende Umkehrung kolonialer Mimikry gelesen werden. Bhabha hatte das Konzept der Mimikry auf den kolonialen Diskurs übertragen und als »one of the most elusive and effective strategies of colonial power and knowledge« (1984: 126) bezeichnet. Psychoanalytisch meint Mimikry die Einschreibung des Subjekts in ein Bild, ein zum Bild Werden, Nachahmung (vgl. Lacan 1978: 106) – ist also bereits im Register des Visuellen angelegt. Koloniale Mimikry konstituiert sich als Repräsentation einer Differenz, die selbst bereits einen Prozess der Verleugnung darstellt und insofern das Zeichen einer doppelten Artikulation ist. Bhabha definiert sie als das »Begehren nach einem reformierten, erkennbaren Anderen als dem Subjekt einer Differenz, das fast, aber doch nicht ganz dasselbe ist.« (2000: 126) Es ist also eine Verähnlichung des Differenten, die (notwendigerweise) immer unvollständig bleibt und bleiben muss – »almost the same, but not quite« (1984: 126) – und ihr Differentbleiben im Ähnlichen metonymisch zur Schau stellt. Mimikry verdichtet sich im kolonialen Diskurs zu der brüchigen Identität des Kolonisierten, ein nicht-perfektes Bild der Kolonisierer zurückzuspiegeln – ein »almost the same, but not white« (ebd.: 130). In ihrer grundsätzlichen Ambivalenz beschreibt (koloniale) Mimikry also eine komplexe Herrschaftsstrategie, die über Visualisierung läuft – wie Bhabha es im Rückgriff auf Fanon mit der Sichtbarkeit der Hautfarbe verdeutlicht hat – und den Anderen durch Reform, Regulierung und
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Disziplin aneignet, ihn ›passend‹ macht; zugleich ist und bleibt sie ebenso Zeichen und Handlungsmodus des ungeeigneten/unangeeigneten Anderen, das/der eine beständige Kontrolle und Überwachung erfordert. Die potenzielle Effektivität der Mimikry besteht darin, dass sie fort während ihr eigenes (Ent-)Gleiten, ihren eigenen Überschuss, ihre eigene Differenz produziert und auf diese Weise (in dieser Bewegung) die Autorität des kolonialen Diskurses nicht nur bestätigt, sondern ebenso kontinuierlich verunsichert und bedroht. Und als Verunsicherung oder Bedrohung ›normalisierter‹ Wissenssysteme und disziplinierender Kräfte – so ließe sich daraus wiederum im Umkehrschluss folgern – treibt Mimikry auch die visuelle Produktivität voran, neue/andere Bilder und/oder neue/andere Lesbarkeiten der Bilder. Barthes hatte das Paris-Match-Foto des jungen schwarzen Soldaten als Bild französischer Imperialität gedeutet. Es funktioniert über die Pose des Fotografierten, über Mimikry – das Einrücken in das Bild eines weißen (französischen) Soldaten, welches hier ein aneignendes, ›passend‹ machendes, fixierendes ist. Lunas und Lewis’ Inszenierungen hingegen funktionieren als Ent/Fixierungen in dreifacher Hinsicht: Erstens wird ein almost the same, but not quite nicht in Bezug auf das hegemoniale weiße (und männliche) Subjekt des kolonialen Diskurses inszeniert. Statt dessen setzen beide Künstler bei dem medialen Visualisierungssystem an, das den Anderen aus der Perspektive dieses hegemonialen Subjekts fixiert – bei der fotografischen Klassifikation bzw. der klassifikatorischen Praxis des Fotografierens. Zweitens begnügen beider Intervention in dieses System sich nicht damit, das Verfehlen oder das different Bleibende, welches das Einrücken (auch) in das dominante Bild des Anderen bestimmt, einfach nur sichtbar zu machen. Vielmehr findet die verfehlende Einschreibung hier zugleich als ein inszenatorisches Handeln, nämlich als ein Sich-Herausschreiben aus diesem Bild statt, welches die Position wiederum des Anderen (des Bildes) – nämlich nunmehr eine dominant und weiß codierte Position des Schauens – partialisiert. Und schließlich wird darüber das fixierende Repräsentationsformat des mug shot selbst verunsichert. Im Spiel mit der Bildkategorie wird nunmehr deren Hybridisierung als ›Identitätsausweis‹ zur Diskussion gestellt.
Verknüpfungen und Auslassungen: Third Space, ›Rasse‹, Geschlecht Nicht zur Diskussion gestellt wurde in den bisherigen Bildlektüren, dass es dort auch um Männlichkeit geht; diese Auslassung mag umgekehrt allerdings dazu beigetragen haben, dass die Übersetzung ›gelungen‹ ist. Wie oben bereits angedeutet, bleibt die Kategorie Geschlecht in Bhabhas
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Schriften – trotz bisweiliger Bezugnahmen auf feministische Theoretikerinnen und auf Künstlerinnen oder der als ›Frage‹ oder ›Problem‹ ausgewiesenen Kategorie der sexuellen Differenz – ein blinder Fleck. Grundsätzlich problematisch ist dies hinsichtlich seiner Nutzbarmachung der psychoanalytischen Konzepte des Fetischismus und der Mimikry, weil dabei, wie Pritsch (2001) gezeigt hat, deren geschlechterdifferente und geschlechterbezogene Struktur ›verloren‹ geht und dies eben auch für den Begriff des Hybriden kontraproduktive Effekte hat. Hybridität mag die Umkehrung des formalen Prozesses der Verleugnung von (kultureller) Differenz sein, »so daß die gewaltsame Entortung, die den Akt der Kolonisierung begleitet, zur Rahmenbedingung des kolonialen Diskurses wird« (Bhabha 2000: 169). Um eine »Transformation patriarchal geprägter Konzepte« handelt es sich dabei, wie Pritsch (2001: 183) treffend feststellte, jedoch nicht. So leitet Bhabha sein Hybriditätskonzept vielfach aus postkolonialen literarischen Texten ab – etwa »Die satanischen Verse« von Salman Rushdie, dessen geschlechtsspezifisch differente Charakterisierungen seiner Figuren er ungebrochen übernimmt. Die fetischisierende Funktion des Weiblichen, die bei Rushdie auffällt, wird keineswegs entstellt, sondern aufs Neue eingesetzt. Beispielsweise bleibt die weibliche Figur der Rosa Diamond, die bei Rushdie das englische Heim und Heimatland repräsentiert, auch in Bhabhas Text »DissemiNation« (1997c; 2000: 207–253), der sich mit der gespaltenen, doppelten und widersprüchlichen Zeitvorstellung in den Erzählweisen von Nation zwischen einem nebulösen, aber als gewiss imaginierten Ursprung und einer unbegrenzt erscheinenden Zukunft befasst, als Verkörperung der (hybriden) Nation bestehen. Rosas Geschichte zeige, »daß das nationale Gedächtnis immer der Ort hybrider Vorgeschichten und der De-plazierung der Geschichten ist« (2000: 251), die es zu verdecken gilt. Ihr männlicher Gegenpart, Gibril, hingegen verkörpert »den rächenden Migranten« (ebd.: 249), der die Ambivalenz kultureller Differenz vermittelt. Seine »postkoloniale Mimikry [vertieft] die diskursive Spaltung zwischen dem Bild einer auf Kontinuität angelegten nationalen Geschichte und den ›Rissen und Lücken‹, die sie [Rosa Diamond; KB], wie sie wußte, selbst war.« (Ebd.) Fortgesetzt wird eine traditierte Erzählweise von Nation entlang der Strukturen heterosexueller Zweigeschlechtlichkeit mit geschlechtsspezifisch verteilten Funktionen.20 Anne McClintock hat an Bhabhas Vorwort zu der englischen Übersetzung von Fanons »Schwarze Haut, Weiße Masken« (1985) vehement eine Rhetorik des pseudo-integrierenden Ausschlusses kritisiert: »Except for a cursory appearance in one paragraph, women haunt Bhabha’s analysis
20
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Zur Verbindung von weiblicher Allegorie, Fetischismus und Nationaldiskurs, vgl. Wenk (1999b).
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as an elided shadow – deferred, displaced and dis-remembered.« (1996: 266) Seiner allumfassenden Frage »How can the human world live its difference? How can a human being live Otherwise?« stehe die lakonisch hinzugefügte Anmerkung entgegen, dass die höchst wichtige Thematik der woman of color den Rahmen eines Vorwortes sprengen würde und daher nicht behandelt werden könne. Die »human world« und das »human being« seien, so McClintock, mit einer solchen Plattheit als ›maskulin‹ geoutet, die in absolutem Widerspruch zu Bhabhas sonstigem elaborierten, verschachtelnden, partialisierenden, doppelnden und differenten Denken stehe (ebd.: 266f.). Hier drängt sich der Verdacht auf, dass der postkoloniale Third Space ein insgeheim feminisierter Raum sein könnte, dessen Vergeschlechtlichung lediglich verdrängt wird. 21 Wie Birgit Haehnel in diesem Zusammenhang richtig anmerkte, besteht »ein markantes Merkmal des Kolonialismusdiskurses« darin, dass »die Metaphern und Metonyme«, mit denen Schwellendiskurse charakterisiert werden, »oftmals weiblich konnotiert« sind.22 Das wiederum scheint jedoch kein spezifisches Merkmal einer anti-feministischen oder geschlechterblinden Theoriebildung zu sein. McClintock hatte mit der Herausarbeitung der wechselseitigen Auslassungen in Bhabhas ›rassischer‹ Mimikry auf der einen Seite und Luce Irigarays Entwurf einer Geschlechter-Mimikry als spezifisch weiblicher Strategie auf der anderen konsequent für eine Perspektive plädiert, die Rasse, Klasse und Geschlecht in einem Verhältnis der strukturellen Ähnlichkeit und wechselseitigen Abhängigkeit bei gleichzeitiger diskursiver und situativer Spezifität betrachtet (1995: 61). Sie seien gleichwertige formative Kategorien imperialer Modernität, aber keineswegs austauschbar, sondern innerhalb verschiedener Einsätze und Diskurse unterschiedlich gelagert und stünden auch in hierarchisierten Beziehungen zueinander (ebd.: 61f.). Diese Notwendigkeit, Ethnizität/›Rasse‹ und Geschlecht bzw. ethnisch/kulturelle Differenz und Geschlechterdifferenz zusammenzudenken und in ihrem fortwährenden Zusammenwirken zu analysieren, ist vereinzelt auch von nicht-feministischen Positionen innerhalb des Postkolonialismus-Diskurses – u.a. ja von Bhabha selbst – durchaus erkannt worden. Umgekehrt konnte Pritsch (2001) in ihrer Analyse verschiedener – und hier eben auch feministischer – kulturtheoretischer
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Vgl. auch Brandes (2004a); Pritsch (2001). Auch Pritsch fragte, inwieweit bei Bhabha eine versteckte Vergeschlechtlichung des Dritten Raums stattfindet und verwies auf Benjamins Formulierung über den Charakter der Übersetzung – auf den sich Bhabha ja auch bezieht –, wo er »den Samen der wahren Sprache zur Reife bringen möchte« (ebd.: 201, Anm. 19; vgl. auch Benjamin 1977b: 58). 22 Haehnel (2006: 303). Gayatri Spivak war die einzige Theoretikerin, die in den 1980er Jahren eine theoretische Verbindung von Postkolonialismus und Feminismus kritisch ausarbeitete und einen Platz in der ›ersten Reihe‹ postkolonialer Theoriebildung bekam.
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Hybriditätskonzepte nachweisen, dass die Geschlechterdifferenz vielfach genau dort Konstrukte des kulturellen Anderen neu stabilisiert, wo diese in einem Modell des Hybriden aufgelöst werden sollen. Ich werde an dieser Stelle den Bogen zum Visuellen schlagen und darauf zu sprechen kommen, wie Bhabhas Konzept des Dritten Raums, sein Begriff der Hybridität, in Bezug auf das Verhältnis von Weiblichkeit und Bild übersetzbar ist. In seinem Text »Interrogating Identity« (1987) suchte Bhabha die analytische Aufmerksamkeit hinsichtlich der Identitätsfrage auf die Prozesse der Subjektifizierung zu verlagern und nutzte Derridas Terminus der Schrift, um diese Prozesse als ein Schreiben von Identität in den Strukturen des Doppelns, der Verschiebung und der metonymischen Wiederholung zu fassen.23 Im letzten Abschnitt übertrug er dann das, was er zuvor anhand von zwei Gedichten entwickelt hatte, auf die Foto-Text-Arbeit »Untitled (You thrive on mistaken identity)« von Barbara Kruger, die ich in der Einleitung zu diesem Buch besprochen habe (Abb. 1). Bhabha stellte folgende Lektüre vor: »I was a wanderer in that city of art-signs. Once in New York, lost in the streets and lead by a neon nimbus I found my face pressed against that thick mottled glass behind which the Barbara Kruger woman changes her flesh into the hard glassy scales of … what … chameleon-like, I cannot tell … And you cannot look through the glass to her or yourself. There is no ›itself‹ behind the camouflage; its thick, flat applications of light, black and white, back and front splayed and spliced in the broken text: You thrive on / mistaken / identity. Untitled. And yet it gives her title to move in the city, invisible and lethal, always a part of this and that, a part that tears apart its fearful symmetry. Interrogating Identity …« 24
Die Figur des städtischen Wanderers, in die Bhabha sich hier einschreibt, übernahm er explizit von Jacqueline Rose.25 Rose diskutierte Arbeiten verschiedener feministischer Künstlerinnen – u.a. Barbara Kruger und Jenny Holzer – als Interventionen in gewaltförmige patriarchale Weiblichkeitskonstruktionen und fragte rhetorisch, was dem Wanderer
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»Interrogating Identity« ist die schriftliche Fassung des einleitenden Vortrags, den Bhabha bei der ICA-Tagung »The Real Me – Post-Modernism and the Question of Identity« (London 1987) gehalten hat. In deutscher Erstübersetzung findet sich der Text unter dem Titel »Die Frage der Identität« in Bronfen u.a. (1997). Das gleichnamige Kapitel in Bhabha (1994) bzw. dessen deutsche Übersetzung (Bhabha 2000) ist eine leicht veränderte Fassung. 24 Bhabha (1987: 11). Der Text endet, genauer gesagt, mit zwei Bildlektüren – die Kruger-Montage und das erste Bild aus Mitra Tabrizians Reihe »The Blues«, auf das ich weiter unten noch ausführlich zu sprechen komme, – die dort auch als Abbildungen eingefügt sind. In der zehn Jahre später erschienenen deutschen Übersetzung findet eine herausgeberische Betonung von Text (im engeren Wortsinn) insofern statt, als dass es die Bildlektüre ohne die Abbildungen gibt. 25 Vgl. den Konferenzbeitrag von Rose, der ebenfalls in der Publikation »The Real Me« (Appignanesi 1987) abgedruckt ist. In der deutschen Übersetzung des Bhabha-Textes in Bronfen u.a. (1997) fehlt eine A.d.Ü., die auf diese Verbindung hinweist.
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passieren würde, der diesen Bildern begegnet: »What would happen to the wanderer in the city who lights on one of these images as poster […]?« (1987: 33) In den Slogans der Bild-Text-Arbeiten von Kruger – z.B. We won’t play nature to your culture oder You construct intricate rituals to enable you to touch the skin of other men – oder den Text-Installationen von Holzer – etwa »Protect me from what I want« –, die eben (auch) im öffentlichen urbanen Raum präsentiert wurden, machte Rose eine (subversive Gegen-) Gewalt aus, die zwar auch auf der inhaltlichen Ebene wirksam sei, aber vor allem in der Störung ihrer Präsenz und im Adressierungsmodus an sich liege: »They add to the confusion of the city space and then appropriate it for a blatant political intention. What would it mean to ask that we be able, in any simple sense, to orientate ourselves in relationship to them?«26 Genau darin, dass es hier selbstverständlich keinen simple sense of orientation für den städtischen Wanderer gibt, artikulierte sich für Bhabha der Raum des Doppelten und des Anderen (the space of doubling and the Other), den er eben auch den Dritten Raum genannt hat (1987: 10). In der wiederkehrenden Desorientiertheit oder Unentscheidbarkeit, für die Bhabha die Worte »I was … lost«, »changes into … what … I cannot tell« findet, gibt es allerdings zwei Auffälligkeiten: Die erste besteht darin, dass er einerseits versucht, an Krugers Inszenierung die spezifische Un/Sichtbarkeit zu versprachlichen, die er an anderer Stelle in seinem Text als ›Unsichtbarkeit ansehen‹ beschrieben hat. Gemeint ist eine dekonstruierende Verschiebung, die im Gegensatz zu einem ›Unsichtbarkeit ansehen‹ steht und eine Sichtbarmachung etwa im Sinne tradierter dokumentarischer Praktiken meint, die im Paradox der Sichtbarkeit situiert bleiben.27 Andererseits hat Bhabha aber gar keinen Zweifel daran, dass die un/sichtbar zu sehen gegebene Figur weiblich ist – »the Barbara Kruger woman« – bzw. bleiben die Bedingungen undiskutiert, unter denen die Figur einwandfrei als ›Frau‹ identifizierbar scheint. Bhabhas Lektüre bestätigt unversehens eine Kongruenz von Drittem Raum und ›Frau‹ (oder Weiblichkeit), indem ein zwar irritierter, aber gleichwohl hegemonialer (männlich konnotierter) Blick re-generiert wird. Mit dem Wechsel des Personalpronomens von »I was«, »I found«, »I cannot tell« hin zu »you cannot look through« wird dieser Blick zudem verallgemeinert und lässt tradierte geschlechterdifferente Positionalitäten ungebrochen bestehen.28
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Rose (1987: 33). Zu den Arbeiten von Kruger und Holzer als Interventionen in den urbanen Raum, Weiblichkeits(de)konstruktionen und Fragen von Gewalt und Politik, vgl. auch Schade (1994). 27 Zum Paradox der Sichtbarkeit, vgl. Kap. 1; zur Kritik dokumentarischer Praktiken, vgl. Kap. 2. 28 Insofern wird der städtische Wanderer bei Bhabha zu einer postmodernen Variante des baudelaireschen Flaneurs.
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Die zweite Auffälligkeit betrifft den Konnex von Bild, Sehen und Sichtbarkeit hinsichtlich eines Ineinanderkippens zweier Ebenen, die auf die Strategie der Mimikry bezogen sind: dem Einrücken, der Verwandlung in ein Bild, aus dem es kein Zurück gibt. »I found my face pressed against that thick mottled glass […]« spricht zunächst von der Begegnung mit dem Bild, dem Poster oder Plakat irgendwo im öffentlichen Raum, als wäre es der dargestellte Gegenstand selbst: die Glasscheibe, hinter der eine Frau ihr Fleisch – das vielleicht ihren (›humanistischen‹) physischen Leib meint – in nicht näher zuordbare gläserne Schuppen verwandelt (– und noch hinter der Scheibe verortet ist). »And you cannot look through the glass to her or yourself« beschreibt sowohl einen verhinderten Voyeurismus wie auch eine verhinderte (Selbst-)Spiegelung – ganz wie es Bhabha zuvor dahingehend analysiert hatte, dass »[t]hat disturbance of your voyeuristic look enacts the complexity and contradictions of your desire to see, to fix cultural ›difference‹ in a containable, visible object, or as a fact of nature, when it can only be articulated in the uncertainty or undecidability that circulates through the processes of language and identification.« (1987: 7) Mit »camouf lage«, der Tarnung, hinter der es nichts ›Eigentliches‹, kein ›Selbst‹ gibt, zitiert Bhabha eine von Lacans drei MimikryRubriken, die dieser seinerseits von Roger Caillois übernommen hatte. Ebenso, wie – mit Lacan gesprochen – »etwas auf einem buntscheckigen Hintergrund selbst buntscheckig wird«29, rücken die schuppige Glasscheibe und die Figur zu einem – hier: schwarz/weiß-scheckigen – Bild zusammen. Dies findet in dem Text seine strukturelle Doppelung; oder wie Bhabha in Bezug auf die von ihm analysierten Gedichte fortgesetzt hatte: »The desire for the Other is ›doubled‹ by the desire in language, which splits the difference between Self and Other so that both positions are partial; neither is sufficient unto itself.« (1987: 7) Und dann folgt wortspielerisch der Umschlag vom Kunst-Bild, assoziiert durch den (Nicht-) Titel, – »Untitled« – in eine Proklamation von Handlungsfähigkeit, die sich plötzlich auf ein ›jenseits‹ dieses (Kunst-)Bildes, den sozialen Raum und das reale/soziale weibliche Subjekt, bezieht – »it gives her title to move in the city«. Bhabha ist nicht zuletzt auch für sein beständiges konzeptuelles »Changieren zwischen sozialen und semiotischen Räumen, welches als Grundbedingung der Bedeutungstransformation erscheint« (Pritsch 2001: 178), kritisiert worden. Oder wie die Kulturwissenschaftlerin Doris Bachmann-Medick es ausgedrückt hat: »Die Ebene der Texte und die Sphäre der Lebenssituationen erweisen sich als unabgeschlossen ineinander übersetzt.« (1998: 19) Dieses Changieren, dieses Übersetzen
29
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Lacan (1978: 106). Die beiden anderen Rubriken sind Verkleidung und Einschüchterung.
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findet hier mit der Konjunktion des »And yet« jedoch als eine unverhoffte Gleichsetzung statt. Wo Rose eine Interventionsmächtigkeit – das Störpotenzial – der Bilder, der künstlerischen Arbeiten von Kruger, in den öffentlichen Stadt-Raum diskutiert hatte, lässt Bhabhas Lektüre die Ebene des Bildes einfach weg. Hatte dieser zuvor herausgearbeitet, wie ›Unsichtbarkeit‹ poetisch als eine Strategie der Mimikry entworfen wird, über die das weibliche migrantische Subjekt ihr soziales und politisches Unsichtbarsein doppeln und in eine »geheime Kunst der Rache« (Bhabha 1997a: 112) verkehren kann, wird im Transfer auf eine visuelle/künstlerische Repräsentation aus dem Bild des (unsichtbaren) weiblichen Subjekts eine ›real‹ vorgestellte Frau. The Barbara Kruger woman am Anfang von Bhabhas Lektüre und das her an ihrem Ende implizieren zwei unterschiedliche Repräsentationsregister von Weiblichkeit, die z.B. in Hinsicht auf Subversionsstrategien sehr wohl ineinander übersetzbar sind; in Bhabhas Rhetorik fallen sie nicht unentscheidbar, sondern unentschieden und unentstellt ineinander.
Fotografische Verräumlichungen – Verräumlichung des Fotografischen: Mitra Tabrizians The Blues In dem nun folgenden Teil steht Mitra Tabrizians, in Zusammenarbeit mit Andy Golding entstandene, neunteilige Reihe »The Blues« (1986–87) im Mittelpunkt der analytischen Aufmerksamkeit (Abb. 73–81). Ich möchte zeigen, wie sich hier ein Dritter Raum als inszenatorische Verräumlichung des Fotografischen artikuliert, über die auch die Positionalitäten von Geschlecht und Ethnizität verschoben werden. »The Blues« inszeniert prekäre Begegnungen, »troubled encounters« (Mercer 1995: 16), zwischen weißen und schwarzen Männern sowie zwischen Mann und Frau. Zu drei Triptychen geordnet, werden die identitätsstiftenden Kategorien von Ethnizität/›Rasse‹ und Geschlecht in ihren problematischen Verwicklungen sowie als konkurrierende, widersprüchliche und von Gewaltförmigkeit durchzogene Identifikationen thematisiert. »The Blues« setzt, um mit Abigail Solomon-Godeau (1992: 42) zu sprechen, das Soziale, das Politische und das Psychische als die drei sich überlagernden identitätkonstituierenden Felder ins Bild, innerhalb derer sich ›Rasse‹ und Geschlecht kreuzen. Kobena Mercer hat »The Blues« beispielhaft dafür angeführt, wie sich bildnerische Praxis ref lektierend und produktiv mit kritischer Theorie auseinandersetzen kann, womit er vor allem Tabrizians Bezugnahmen auf Frantz Fanon meinte: »Tabrizian’s starting point for the mise-en-scene of troubled encounters seems to concur with Fanon’s point that, ›If one wants to understand the racial situation psychoanalytically … considerable importance must be given to sexual phenomena‹.«
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Abb. 72: Ezra Stoller: Blick in die Ausstellung »Family of Man« im Museum of Modern Art, New York, 1955. Abb. 73: Mitra Tabrizian: Out of the Past. Aus: »The Blues«, 1986–87 (Cibachrome Fotografie, 122,5 x 165 cm).
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(1995: 16) Das funktioniere hier zudem auch in die umgekehrte Richtung, denn – so Mercer – »[…] the reciprocal relation of visual arts practice to critical theory is underlined by the way Tabrizian’s images have themselves been ›figured‹ in the discourse of postcolonial intellectuals […].« (Ebd.: 16/18) Ich komme darauf zurück. »The Blues« war zuerst auf öffentlichen Werbeflächen der nordenglischen Stadt Newcastle-upon-Tyne präsentiert und ist in den 1990er Jahren dann in verschiedene Ausstellungen übernommen worden, die Fragen von Identität und Repräsentation thematisierten, wie Shifting Focus (1989), Mistaken Identities (1992/93) und Mirage: Enigmas of Race, Difference and Desire (1995). Mit Mistaken Identities war die Arbeit auch in Deutschland und hier ein weiteres Mal in der Berliner Ausstellung Family, Nation, Tribe, Community – Shift (1996) zu sehen, die sich mit Edward Steichens legendär gewordener Foto-Ausstellung Family of Man auseinandersetzte, welche auf ihrer Welttournee 1955 auch an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin gezeigt worden war. In kritischer Annäherung versuchte Shift, das Widersprüchliche, Unordentliche, Multidifferentielle und Machtgesättigte in Geschlechterbeziehungen und Gemeinschaftsstrukturen wieder in den Blick zu heben, das in Steichens Schau der Suggestion eines allgemeinen Gleichen, Natürlichen und anthropologisch Konstanten hatte weichen müssen. Steichens Family of Man war zeitgenössisch unter anderem für die Ausstellungsarchitektur hochgelobt worden, weil sie die zu thematischen Rubriken geordneten Fotografien als Bild(er)-Räume präsentierte – wie »ein begehbares Life-Magazin«. 30 Diese verräumlichte Visualisierung ›der Menschen-Familie‹ positionierte die Betrachter/innen mitten drin und verstärkte damit sowohl eine Identifikationsmächtigkeit der Fotografien als auch den fotografischen Mythisierungseffekt (Abb. 72). Obgleich Tabrizians Reihe auf diesen historischen Bezug gar nicht verweist, eröffnet sie dennoch so etwas wie eine Gegenposition, indem jedes einzelne Großformat einen BildRaum entwirft, der sich in Korrespondenz oder in der Überkreuzung mit Medialität und Ethnizität/Geschlecht selbst als eine spezifische Verräumlichung generiert, welche als Visualisierung eines Third Space lesbar wird. Die großformatigen, in blaues Licht getauchten und in ihrer Konzeption streng formalisierten Bilder erinnern an tableaux vivants oder an Standfotos aus (Kriminal-)Filmen und verarbeiten Charakteristika des
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Frank Wagner fasste es so zusammen: »Großfotos und Fotowände, kleinere Fotoserien, die auf diese Wände appliziert waren, von der Decke zum Teil parallel zu ihr abgehängte Fototafeln und raumverdichtende Objekte wie Rundgestelle, konvex zueinander gebogene Passagen, räumlich gestaffelte Fotoinszenierungen und Raumteiler, die den Raum optisch gliederten, aber Durchblicke in andere Sektionen ermöglichten […].« (1996: 10) Vgl. auch Barthes (1964a); Back/SchmidtLinsenhoff (2004).
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film noir. Die integrierten ›Überschriften‹ und vierzeiligen kleingedruckten Texte an den unteren Bildrändern, wie es bei Zeitungs- bzw. Illustriertenfotos, in der Werbung, im Fotoroman oder zuweilen bei Filmplakaten üblich ist, scheinen die Szenen zu kommentieren. Insofern eröffnen die Foto-Text-Kombinationen in ihrer gleichförmigen Strukturierung assoziativ das breite Feld massenmedialer Bilder, ohne als Zitate definitiv rückgeführt werden zu können. Ihre ästhetische Plakativität lässt die einzelnen Szenen zunächst eindeutig erscheinen, nur, um mit dem inszenatorischen ›Festhalten‹ des betrachtenden Blicks genau diesen Eindruck wieder außer Kraft zu setzen; die Behauptung von Bedeutungen und deren Infragestellung greifen beständig ineinander. Wie Susan Butler (1989: 20) treffend schrieb, eröffnet die Reihe keine einfachen Polaritäten, sondern hebt die Widersprüche und Ambiguitäten zwischen und innerhalb von Positionen hervor. Und das beginnt bereits beim Titel, der in mehrfacher Hinsicht programmatisch scheint: Blue heißt einfach blau, aber auch melancholisch. Blues verweist auf ein Lebensgefühl und auf einen Stil schwarzer Musik, von dem der Musikwissenschaftler James H. Cone sagte, er biete »a perspective of the incongruity of life and the attempt to achieve meaning in a situation found with contradictions.« (Zit. n. Jones 1990: 135) Diese Widersprüche inszeniert »The Blues« als ein komplexes Netzwerk von Ambivalenzen, welches die Betrachter/innen immer wieder in einer Position der Unentscheidbarkeit verortet. Die Inszenierungen – die Monochromie, das Arrangement des ›Bühnenraums‹, die Posen der Protagonisten – wirken ausgesprochen artifiziell und statisch. Einerseits lassen sie dramaturgische Höhepunkte filmischer Handlungsabläufe assoziieren oder versprechen eine Schlüsselfunktion, wie sie Film-Plakaten zukommt – die ganze Geschichte in einem Bild. Andererseits gibt es weder einen versichernden Hinweis darauf, was vor dem fotografischen Schnitt passiert sein oder wie das nächste Bild aussehen könnte, noch darauf, welchem Film sie entnommen sind. Zwar signifizieren die einzelnen Szenen ›Inhalt‹ und ›Handlung‹; aber sie setzen nicht die Vorstellung einer Narration in Gang. Die eingefügten Texte bestätigen das Bühnenhafte, Künstliche, aber auch sie initiieren keine Erzählung in Form einer klaren Handlungsabfolge.Die »Blues«-Bilder sind nicht einfach fotografisch still gestellt – film stills –, sondern sie sind in dem kalten blauen Licht und der kompositorischen Strenge geradezu tiefgefroren. Nach Christian Metz funktioniert jede Fotografie wie ein Fetisch, weil sie ein Realitätsfragment einfriere, »cutting off a piece of space and time […] keeping it unchanged while the world around continues to change.« (1990: 159) Und in Anlehnung daran konstatierte Victor Burgin: »The photograph, like the fetish, is the result of a look which has, instantaneously and forever, isolated, ›frozen‹, a fragment of the spatio-temporal
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continuum.« (1992b: 190) Diese fotografische Fetisch-Funktion wird in Tabrizians übertreibender Inszenierungsweise dekonstruiert und verschoben. Durch die Exzessivität des Stillgestellten evozieren die Tableaus eine Spannung, die sich weniger auf die Frage richtet, welchem Kontinuum – welchem Film – die jeweilige Szene entnommen sein könnte, als vielmehr darauf, welche Filme sie ihrerseits produziert. Indiziert ist mithin auch nicht ein diegetischer Zusammenhang, der in seinem entscheidenden Augenblick 31 festgehalten wurde, sondern vielmehr das, was sich im Stillgestellten ›bewegt‹. In dieser Hinsicht stellt »The Blues« eine inszenatorische Verräumlichung des, nurmehr theoretisch fassbaren, fotografischen Moments vor, des reinen Index, wie Philippe Dubois sagen würde (vgl. 1998: 89). Dieser ist der Moment des Schnitts, in dem im analogen Szenario das vom Objekt abstrahlende und in das Foto-Objektiv einfallende Licht auf den empfindlichen Film trifft und sich dort als (negatives) Bild unsichtbar einschreibt – der unmögliche, nicht-gesehene und unsichtbare Moment uneinholbarer (Bedeutungs-)Leere. In »The Blues« ist die Fotografie als Schnitt durch ein Zeit-Raum-Kontinuum selbst ins Bild gesetzt. Der Dritte Raum ist hier als die Bühne paradoxer Präsenz figuriert, auf der ein Davor und Danach ambivalent und unentscheidbar ineinanderfallen.
Diskontinuierliche Bild-Räume und/als Vervielfältigung der Blicke Das Statische oder ›Gefrorene‹ – der Eindruck des Flächigen, Glatten und in sich Geschlossenen, der maßgeblich durch die formale und chromatische Homogenität der Bildreihe hervorgerufen ist, wird durch die interne Konstruktion diskontinuierlicher, heterogener Bild-Räume konterkariert. Zusammen mit den Bild-Texten sind sie es, die die eingefrorenen Filme als Bewegungen des Stillgestellten erzählbar machen. Durch Spiegel, Glasscheiben, Fenster und offene Türen sowie durch Beleuchtungsarrangements und Schattenwürfe wird der Bild-Raum fragmentiert, vervielfältigt, verunklärt und überschritten. So ist etwa die konfrontative Situation zwischen einem Schwarzen und drei hellhäutigen Männern 32 in »Out of the Past« indirekt vermittelt; denn letztere befinden sich außerhalb des Bildraums und sind nur über den Spiegel zu sehen, der dieses ›Außen‹ in das Bild holt (Abb. 73). Der Betrachter/die Betrachterin ist
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Zum »entscheidenden Augenblick« als Kriterium für die Fotoreportage, vgl. Cartier-Bresson (1983). 32 Hier stellt Tabrizian die Dichotomie von ›schwarz‹ und ›weiß‹ als etwas visuell Fixierbares selbst zur Diskussion, denn die drei Männer entsprechen keineswegs dem Stereotyp des AngloAmerikaners oder Mitteleuropäers; vielmehr wirken sie ›weiß‹ vor allem in Kontrast zu der Einzelfigur.
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neben der Dreiergruppe positioniert und steht ihnen im Spiegel zugleich gegenüber. Er/sie ist damit ebenso Komplize wie Zeuge und ungesehener Beobachter, der sich unsichtbar außerhalb des Spiegels befindet und durch die szenische Blickorganisation – wie im ›klassischen‹ Film üblich – auch nicht direkt adressiert wird. In »Persecution« sitzt der Betrachter/die Betrachterin auf dem Rücksitz des Wagens und blickt mit dem ›weißen‹ Fahrer von diesem (bildinternen) Innenraum aus durch die Windschutzscheibe in das Draußen, wo ein ›schwarzer‹ Fußgänger die Weiterfahrt blockiert (Abb. 77). Während dessen Augen fest auf den Weißen gerichtet sind, schaut dieser mit halbleerem Blick die Straße hinunter, die sich zentralperspektivisch in die Bildmitte hinein verjüngt und über der, dem Betrachter gegenüber und dem Kontrahenten parallel gesetzt, die im Rückspiegel zu sehen gegebenen Augen des Fahrers körperlos gerahmt im Raum schweben. Die zentralperspektivische Straßenf lucht endet im Fluchtpunkt und positioniert die Betrachter/innen genau auf der anderen Seite, am Ort des lacanianischen Augenpunktes – dem Punkt im Feld des Visuellen also, von dem aus sich das Subjekt als Besitzer und Kontrolleur des eigenen Blicks und als ungesehener Beobachter der zu sehen gegebenen Szene imaginieren kann (vgl. Lacan 1978: 112–126). Hier jedoch geschieht das, ohne dass er/sie eine Kontrolle über das Bild, das Bildgeschehen behaupten könnte, andererseits aber wiederum auch, ohne dass er/sie selbst ›gesehen‹ würde. Bei »Lost Frontier« scheint es sich um ein Gefängnisszenario zu handeln (Abb. 80). Auch hier ist die Begegnung zwischen Weißem und Schwarzem durch eine Glasscheibe dazwischen vermittelt. Der fragende Blick des Letzteren, gedoppelt durch den ans Ohr gehaltenen Hörer der Gegensprechanlage, bleibt ohne Antwort. Sein Gegenüber schaut ihn wortlos an; den Blick können die schräg hinter ihm stehenden Betrachter/innen in der Scheibe gespiegelt sehen, wo sein Gesicht nun neben dem des anderen erscheint, sich auf diese Weist annähert – und dazwischen hängt. Die »Blues«-Formate zeigen Bild-im-Bild-Anordnungen, Spiegelungen geben nebeneinander zu sehen, was einander gegenüber positioniert ist – entweder innerhalb des fotografierten Raumes oder im Verweis auf dessen Außerhalb – und sie vergleichzeitigen standbildhaft, was der Film im klassischen Schuss-Gegenschuss-Verfahren zeigen würde. Zudem werden auch die Blicke und Blickachsen durch die Überlagerungen der szenischen Raum-Architekturen mit den Positionierungen der Protagonisten zueinander vervielfältigt. Manche Blicke bleiben für die Betrachter/innen unsichtbar, werden aber imaginierbar, weil sie von einem sichtbaren Blick ›beantwortet‹ werden; manchmal werden sie durch Spiegelungen verdoppelt, wiederholt oder gespalten; oder Protagonistenblicke und bildarchitektonische Blicklenkungen werden ineinander über- und
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umgeleitet. Die Veruneinheitlichung der bildinternen Architekturen festigt einerseits die jeweilige Positionierung der einzelnen Protagonisten innerhalb des Bildganzen, indem sie ihnen einen eigenen Teilraum zuweist; andererseits hält sie aber deren Positionen zueinander, die Beziehungen untereinander – die ja immer sowohl Anlass als auch Produkt der Narration, also eines Prozesshaften, sind – uneindeutig und in der Schwebe. Der kurze Vergleich von »Out of the Past« mit einem Standfoto, das Richard Attenboroughs zeitgleich entstandenen Film »Cry Freedom« (1987) um den südafrikanischen Bürgerrechtler Stephen Biko in einer Fernsehzeitschrift ankündigte, soll dies verdeutlichen: In dem engen Bildausschnitt wird Denzel Washington als Biko von drei Weißen bedrängt. Sie haben ihm die Hände auf seine Schultern gelegt und den Blick auf ihn gerichtet, dem er seinerseits mit entschlossen wirkender Mimik begegnet (Abb. 82). Die Bildunterschrift bestätigt den ersten Eindruck: Die Machthaber wollen Bürgerrechtler Biko (...) aus dem Weg räumen. Die perspektivische Untersicht verschärft einerseits die bedrohliche Wirkung der Szene und richtet zugleich den Schwarzen als Held auf. Der Betrachter/die Betrachterin besetzt die Position eines vierten Weißen, womit sich der Kreis schließt, der Biko ins Zentrum rückt, zum unmittelbaren Gegenüber und zur doppelten Identifikationsfigur macht, als ›Opfer rassistischer Gewalt‹ und ›Kämpfer gegen diese Gewalt‹. Auch in »Out of the Past« hat der Betrachter/die Betrachterin eine feste Position zum Bild. Dort heißt es im Textzusatz: Imitation was the name of the game. The dice were loaded, But he had to play. – der Hinweis auf eine von vornherein unfaire, unausweichliche Situation, die bedrohlich scheint. In der Imitation äußert sie sich jedoch offen als Performativität und verweist direkt auf Mimikry. Offen bleibt vor allem, ob es um Rache oder Bestrafung geht, ob es sich nur um eine Drohung handelt oder ob ein initiativer gewalttätiger Übergriff bevorsteht, und ob die Opfer- und Täter-Position tatsächlich so klar ist, wie die Figurenarrangements es auf den ersten Blick glauben machen. Die Multiplikation und wechselseitige Durchkreuzung der Blicke und Blickachsen in »The Blues« und eine derart ambivalente Positionierung der Betrachter/innen gehen einher und befördern sich wechselseitig auf der Ebene der Bedeutungsproduktion. Einerseits werden Betrachter/innen in einer Weise zum Bild verortet, die sie fest in die Szene einbindet; andererseits bleiben sie am Rand, außen vor, bleiben Leser/innen, die Zusatzinformationen über die Texte suchen. Auch in »Persecution« scheint die Lage ernst. Zu plakativ liegt der Fehdehandschuh auf dem Armaturenbrett, und der kleingedruckte Text fragt: The dark stranger had wrecked his defences. How could he fight an attack from inside? Doch mehr ›passiert‹ nicht – außer, dass der Handschuh ebenso auf eine (abwesende) Begleiterin verweisen könnte und der Begegnung ein konkretes Anliegen ver-
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leiht. In »Lost Frontier« wirkt der Textkommentar deskriptiv und bleibt doch kryptisch; es wird weder vereindeutigt noch ein ›konkreter Inhalt‹ verraten: He was cast out, turned in, framed in his skin, still a head hangs neither in nor out. In »Her Way« geht es anscheinend um die Frage eines gleichberechtigten Verhältnisses zwischen den Geschlechtern in der Überkreuzung mit ›Rasse‹, die hier als Bild nach einer Gewalttat inszeniert ist (Abb. 78). Der Kopf der am Boden liegenden schwarzen Frau schaut hinter der offenstehenden Tür hervor, die deren Körper verbirgt. Bildtitel und der in Rot auf den Spiegel geschriebene Satz »See my blood is the same colour as yours« sprechen durchaus für Selbstmord. Doch welche Rolle spielt der weiße Mann, der aus dem Spiegel heraus, durch die Schrift hindurch, starr auf sein ›reales‹ Gegenüber blickt, das sich außerhalb des Bildraums neben dem Betrachter/der Betrachterin befindet, der/die ihrerseits im Spiegel unsichtbar bleibt? Ist es doch Mord, und ist er der Täter? He was a man who had all the answers. Until she started asking the questions. Was genau geschehen ist und warum, bleibt offen. »Exchange« parodiert eine Restaurantsituation, in der ein schwarzer Kellner dem hellhäutigen Gast die Rechnung oder das Wechselgeld (change) bringt (Abb. 79). Jedoch liegt auf dem kleinen Tablett ein Zettel, der beider Blicke auf sich zieht und aus Fanons »Die Verdammten dieser Erde« (1981) die Worte zitiert: You are rich because you are white – you are white because you are rich.33 Bereits der Titel Exchange wird zweideutig – Austausch oder Abrechnung? Die Tautologie von white und rich kehrt rhetorisch ein problematisches Ursache-Wirkung-Prinzip um und markiert damit die Frage einer ethnischen Zuordnung als immer auch eine Frage der sozialen Klassenzugehörigkeit.34 Der Affront, den der Gast hier wörtlich auf dem Silbertablett serviert bekommt, wird in der Frageform des Bildkommentars einerseits zurückgenommen und andererseits zugleich als widerständige Handlung betont. Der ›Diener‹ sagt nicht, was er eigentlich sagen soll; wie für die weibliche Figur in »Her Way« assoziierbar, erfüllt auch er die ihm zugewiesene Rolle, die an ihn gerichteten Erwartungen, nicht: They put the words in his mouth, so why wasn’t he saying what they wanted to hear? Das Bild ist durch die Sitzbank partiell in Vorder- und Hintergrund geteilt, die dem ›weißen‹ Gast einen ebenfalls wörtlichen Rückhalt gibt, dessen Nutzen allerdings fraglich bleibt; denn die Flächigkeit dieses partiellen Bildraum-Teilers wird, wie auch in »Persecution«
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In der englischen Übersetzung heißt es: »[…] the originality of the colonial context is that the economic substructure is also a superstructure ... you are rich because you are white, you are white because you are rich. This is why Marxist analysis should always be slightly stretched every time we have to do with the colonial problem.« (Zit. n. Bhabha 1983: 31) 34 Wie bei »Out of the Past« lässt sich auch hier die Frage nicht beantworten, ob der hellhäutige Gast denn ›weiß‹ ist.
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von einer zentralperspektivisch betonten Bildorganisation konterkariert. Beginnend mit der vom Bildrand angeschnittenen Figur des Kellners markiert die Reihe der Wandlampen eine Raumf lucht in die Tiefe des Bildes, an deren Ende das Exit-Schild aufleuchtet. Doch was für ein Ausweg ist das, und für wen? Die (subjektkonstituierende) Zentralperspektive als Notausgang und Blickrettung? Abigail Solomon-Godeau hat angemerkt, dass »The Blues« neben den vielfältigen Bezügen zur Massenkultur und zum Film nach Prinzipien konstruiert sei, die der Freudschen Traumarbeit analog sind, es würden »Verschiebungs- und Verdichtungsstrategien benutzt und Überlegungen zur Darstellbarkeit angestellt (daher der spielerische Umgang von Sprache).« (1992: 43) Darüber hinaus suggeriere die Verwendung von Spiegeln, Fenstern und reflektierenden Oberflächen »den psychischen, verinnerlichten Raum, in dem die Begegnung von Selbst und Anderem erfüllt wird.« (Ebd.) Wie die bisherige Lektüre der Reihe gezeigt hat, geht die bildräumliche Nähe der Betrachter/innen zu den Protagonist/innen mit der Herstellung einer Distanz einher, die Überblick zu verschaffen verspricht und dabei jeden Versuch, irgendeine tiefere Wahrheit endgültig fixieren zu wollen, nicht ins Leere, wohl aber in die nächste Bedeutung, hin und her im Bildraum, laufen lässt. Denn so wenig wie die einzelnen Szenen im traditionellen Sinn narrativ sind, so wenig funktionieren die Bild-Protagonisten in der Konvention eines Identifikationsangebots; sie posieren als Identifikationsfiguren, doch sie lassen nicht zu, dass sich Identifikationen zu einem eindeutigen Pro oder Contra, Gut oder Böse, Freund oder Feind usw. verfestigen. Auf diese Weise schafft »The Blues« einen mehrdimensionalen, mehrstimmigen Raum – etwas, das Mercer einen »polyvocal space« (1995: 16) genannt hat, und zwar auch durch eine Polyfokalität hinsichtlich sich verschiebender Identifikationsangebote, die ›Identität‹ als momentär oder temporär fixierte Formationen multipler Differenzen ausspielen, ohne dies zu bestätigen. In der Zusammenschau von Solomon-Godeaus Hinweis und Wirkungen einer inszenatorischen Polyfokalität könnte man von einer Hybridisierung sprechen, die sich allerdings nicht auf die Subjekte bezieht, sondern auf den Bildraum, der in seiner tradierten zentralperspektivischen Konstruiertheit als ›natürlich‹ oder ›transzendental‹ codiert ist. Dieser hybrid(isiert)e Bildraum artikuliert sich, so scheint es, über das Wechselspiel zwischen fotografischer Verräumlichung und einer Verräumlichung des Fotografischen. Darauf geht der nächste Abschnitt näher ein.
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Abb. 74: Mitra Tabrizian: The Far Country. Abb. 75: Mitra Tabrizian: Double Edge. Aus: »The Blues«, 1986–87 (Cibachrome Fotografie, 122,5 x 165 cm).
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Abb. 76: Mitra Tabrizian: Danger Zone. Abb. 77: Mitra Tabrizian: Persecution. Aus: »The Blues«, 1986–87 (Cibachrome Fotografie, 122,5 x 165 cm).
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Abb. 78: Mitra Tabrizian: Her Way. Abb. 79: Mitra Tabrizian: Exchange. Aus: »The Blues«, 1986–87 (Cibachrome Fotografie, 122,5 x 165 cm).
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Abb. 80: Mitra Tabrizian: Lost Frontier. Abb. 81: Mitra Tabrizian: The Interior. Aus: »The Blues«, 1986–87 (Cibachrome Fotografie, 122,5 x 165 cm).
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Hybridisierungen des transzendentalen Bildraums Spiegel und Spiegelungen, Glasscheiben, Fenster und offene Türen, Schattenwürfe und spezifische Ausleuchtungen, die Setzung mehrfacher interner Rahmen oder Bild-im-Bild-Anordnungen sind gängige Elemente und inszenatorische Mittel der fotografischen Praxis, die bereits historisch zu verfolgen sind. Allerdings wurden und werden diese Techniken nicht zwangsläufig als ein Aufbrechen und Überschreiten des kontinuierlichen Bild-Raums, als bildräumliche Fragmentierung oder Vervielfältigung rezipiert; und sie werden nicht unbedingt in den Kontext einer Frage nach kritischen Bildstrategien gestellt. So sollte etwa der Einsatz eines Spiegels in der frühen Verbrecherfotografie die gleichzeitige Frontal- und Profilansicht einer Person in demselben Bild ermöglichen. Lee Friedlanders Inszenierung seines eigenen Gesichts, das mit vorgehaltener Kamera in einem bildinternen Spiegel – etwa dem Außenspiegel eines Autos – zu sehen ist, macht seine Arbeiten wiedererkennbar und ist von der Fotogeschichte vor allem als eine dokumentar-künstlerische Strategie interpretiert worden, durch die der Fotograf reflektierend auf seine Anwesenheit, seinen Blick und insofern auch auf die Subjektivität der Aufnahme verweist. Und, um noch ein drittes Beispiel zu nennen, die Selbstporträts etwa von Florence Henri oder Ilse Bing werden vor allem als künstlerische Auseinandersetzung mit den formalen Möglichkeiten der fotografischen Bildgestaltung thematisiert. Gleichwohl sind all dies Praktiken, die immer auch die medialen Möglichkeiten und Grenzen mit ausloten. Vor allem der Spiegel ist nicht nur ein oft eingesetztes Motiv, sondern wird gleichermaßen auch metaphorisch für die Fotografie selbst gesetzt.35 Mit Philippe Dubois’ Typologie des Off, Craig Owens’ photography en abyme und Victor Burgins perverse space sollen drei unterschiedlich gelagerte fototheoretische Konzepte diskutiert und zu Tabrizians »The Blues« in Beziehung gesetzt werden, die die Inszenierung eines uneinheitlichen fotografischen Raums als ref lexive und intervenierende Bildstrategie fassbar zu machen suchen. Ungeachtet ihrer jeweiligen Her- und Ableitungen könnte man die Positionen soweit schematisieren, dass Dubois vom Fotografieren, also von der Produktion, her denkt, Owens das Bild, das Produkt, in den Mittelpunkt stellt und es Burgin auf das Betrachten, die Rezeption, ankommt. Philippe Dubois’ Off meint den Rest oder Überrest, den der fotografische Raum als »immer notwendig partieller Raum«, als »Schnitt, Entnahme, Selektion, Herauslösen, Isolierung und Einschließung« impliziert (1998: 175); es sei »immer nur das singuläre, unmittelbare und
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Zum Spiegel als Metapher und Topos (in) der Fotografie, vgl. Plumpe (1990: 34–38).
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arretierte Ausgeschlossene eines sichtbar Daseienden« (ebd.: 177). Dubois’ notwendigerweise unvollständig bleibender Versuch, die fotografischen Verfahrensweisen zu systematisieren, durch die das Off des im Foto zu sehen gegebenen Bild-Raums indiziert und das Foto als Schnitt durch das Zeit-Raum-Kontinuum einer außer-bildlichen Realität kenntlich gemacht wird, listet gleichwohl all das auf, was Tabrizian in »The Blues« einsetzt: eben die Integration von Spiegeln, Fenstern, offenen Türen, Bild-im-Bild-Konstruktionen und andere bildinterne Rahmensetzungen sowie Spiegelungen, Blickanordnungen und Augenspiele innerhalb des Bildes oder auch aus dem Bild heraus. Allerdings entgeht Dubois, dass Inszenierungstechniken des Off nicht einfach nur auf den fotografischen Schnitt, auf das Indexikalische und Spurhafte der Fotografie verweisen, sondern dass sie die Räume, die sie zeigen oder eben nicht zeigen, nichtsdestotrotz immer auch herstellen, dass sie die Spur, die sie ›sind‹, immer auch legen. In dieser Hinsicht zeigt sich das bei Derrida entlehnte Konzept des mise en abîme produktiver, welches Craig Owens (1994a) als eine Inzenierungstechnik herausgearbeitet hat, die in der Vorstellung eines Doppelns auf die Medialität der Fotografie, auf das Fotografische, verweist. 36 Das ursprünglich aus der Heraldik stammende mise en abîme meint ein Arrangement, bei dem ein Fragment en miniature die Struktur des Gesamten reproduziert und in der unendlichen Doppelung das Verhältnis von Teil und Ganzem umkehrt. Ebenso, wie Derrida gegen die Auffassung von Schrift als bloßem Speichermedium der/für Sprache argumentiert hatte, beschrieb Owens das fotografische Bild nicht als Speicher, der eine außerbildliche Realität im Sinne einer in sich geschlossenen Ver-Dopplung ab-bildet, sondern – und hier lehnte er sich auch an Krauss’ Definition des Fotografischen an – als Teil eines unendlichen Spiels der Substitution und Doppelung. Diese denkt er weniger im Sinne von Dubois’ Off als ›Bildnahme‹, sondern als Verräumlichung – Bildkonstruktion als ein mediumreflexives Raum-Schaffen. So zeigte er, wie durch die bildnerische Organisation von Spiegeln und Fenstern etwa die tradierte Vorstellung der Fotografie als Spiegelbild selbst ins Bild gesetzt wird, wie eine strukturelle Spannung entsteht, die der ›internen‹ Spannung des Mediums entspricht – d.h. ihrem doppelten Status als Verweis auf die Welt und als eigenständiges Bild –, oder wie durch die Aufnahme symmetrisch organisierter Arrangements die Illusion eines innerbildlichen Spiegelns hervorgerufen wird, welches en abîme die Fotografie selbst und ihre Bedingungen ins Bild hebt.
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In Kap. 3 wurde mise en abîme für einen Diskurs des Rahmens diskutiert.
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Mit dem Begriff des perverse space beschrieb Victor Burgin (1992c) einen diskontinuierlichen, heterogenen und ›verdrehten‹ (Bild-)Raum, der die tradierten medialen Festschreibungen von Geschlechter- und Blickpositionen durch Doppelungen, Vervielfältigungen und/oder in ihrer Interrelationalität instabilisiert und damit auf das Unsichtbare im Akt des Sehens verweist. Dieses Unsichtbare definierte Burgin allgemein als Spuren frühkindlicher Prozesse der Körperwahrnehmung und als Sedimentierungen früherer Seherfahrungen, welche erst nachträglich aus der Perspektive des Symbolischen formulierbar werden und sich mit dem je aktuellen Blick(en) überlagern. Seine Argumentation zielte darauf ab, für das Sehen eine Dimension des Sexuellen wieder einzuholen, die in der Freudschen Entwicklungspsychologie vor der Bindung an Geschlecht und Geschlechtlichkeit liegt. Denn Burgin sah die theoretische Reflexion und analytische Berücksichtigung einer solchen vorgeschlechtlichen Dimension des Sexuellen durch die proliferierende Rezeption feministischer Filmtheorie, die ihrerseits psychoanalytische Theorien für sich nutzbar gemacht hatte,37 auf eine simplifizierende Gleichschaltung von psychischem Raum und dem Raum der visuellen Wahrnehmung verkürzt. Damit würde die Geschichte des betrachtenden Subjekts ausgeklammert und Skopophilie, der Schautrieb, welchem allererst eine Selbst-Erhaltungsfunktion zukomme, auf die sexualisierende Dimension sowie Sexualität wiederum auf die Kategorie des Geschlechts begrenzt und nurmehr entlang von Herrschaftsstrukturen betrachtet. Helmut Newtons Fotografie »Self-Portrait with wife June and Models, Vogue studio, Paris 1981« (Abb. 83) stellte Burgin als Beispiel für einen solchen perversen Raum vor. Entsprechend las er sie als eine mise-en-scène der grundsätzlichen Inkohärenz von Sexualität. Das Fetischistische, welches der ›Inhalt‹ nahelege, funktioniere auf der strukturellen Ebene der Bildorganisation nicht, weil durch Spiegel, Fenster und die verschiedenen Blickachsen eben genau die Kohärenz aufgebrochen werde, die das grundlegende Prinzip des Fetischismus ausmache (1992c: 238). Nicht einmal die eindeutige Pin-up-Pose des Models funktioniere als Fetisch, da sie nicht isoliert oder entkontextualisiert zu sehen gegeben werde. So scheine der Betrachter zunächst zwar eingeladen zu sein, den Blick auf die weibliche Figur auszurichten, werde jedoch durch die Szene an sich, die bildlichen Teilräume, die Inszenierung multipler bildinterner Blicke und Blickachsen, schnell abgelenkt; allerdings – und darauf kam es Burgin an – auf nichts Bestimmtes: »The looks which are given by the protagonists neither meet nor converge, and they add up to nothing in particular.« (Ebd., Herv. KB)
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Burgin bezieht sich hier v.a. auf Mulvey (1975).
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Wenn auf diese Weise die unbewussten Investierungen in das Sehen und Besetzungen des Sehens formulierbar werden – so lässt sich Burgins Argumentation zuspitzen –, kann Sehen nicht mehr auf die Register von Voyeurismus und Fetischismus verkürzt werden, die innerhalb der symbolischen Ordnung unmittelbar an eine heterosexualisierte Zweigeschlechtlichkeit und deren tradierte Positionalitäten gebunden sind. Statt dessen können diese selbst als verkürzende Interpretationsmuster ausgewiesen werden, insofern sie mit der Gleichsetzung von Sehen, Zu-Sehen-Gegebenem und Sichtbarem zugleich die Ebene des Unbewussten/Unsichtbaren verdrängt haben. Mit dem Auf brechen des Bildraums in Newtons Foto, mit dem, was Burgin nothing in particular nennt, werden hingegen die Ökonomien des Blick(en)s in ihren multiplen sexuellen Konnotierungen selbst ins Bild gehoben. Burgins Argumentation tritt nicht zuletzt als Ehrenrettung eines männlichen Blicks (und durchaus auch des Fotografen Helmut Newton) an, dessen feministischer Stigmatisierung als nurmehr objektifizierender, sexuelle Ausbeutung konnotierender, Negativ-Begriff er nicht ganz zu Unrecht eine Alternative entgegenzusetzen versuchte. Das ist ihm mit der Newton-Fotografie gelungen. Ein entscheidender Unterschied zu Tabrizians »The Blues« besteht darin, dass Newtons Bild bei aller inszenatorischen Finesse ein Bild dagegen bleibt – nämlich eben gegen einen voyeuristischen, sexistischen männlichen Blick. Die Position, in die Betrachter/ innen gesetzt werden, ist allein die des Fotografen, dessen Kamera-Blick man/frau frontal gegenübergestellt ist. Diesen Blick hat »The Blues« bereits hinter sich gelassen, denn dort besetzen Betrachter/innen, wie oben deutlich geworden ist, eine ›eigene‹ Position – vielschichtig, mehrdimensional, multipel –, die eine Breite verschiedener und unterschiedlich codierter Blicke ermöglicht – und verlangt. Wie Burgins perverser Raum, wird auch das, was ich für »The Blues« die Hybridisierung des transzendentalen Bildraums genannt habe, über Doppelungen hergestellt, die nur partiell sichtbar werden: Die drei ›Eindringlinge‹ in »Out of the Past« oder der ›weiße Mann‹ in »Her Way« sind, wie Newton in seinem Selbstporträt, nur im Spiegel zu sehen, der Blick des ›weißen Mannes‹ in »Persecution« und »Lost Frontier« erscheint auch als entstellte Selbst-Spiegelung. Doch werden die vervielfältigten, abgelenkten und zerstreuten Blicke hier nicht auf ein nothing in particular gerichtet. Vielmehr arbeiten die Bild/Blickstrukturen, in die sich Betrachter/innen notwendigerweise einhaken müssen, gleichermaßen daran, den Raum gerade als einen inkohärenten, geöffneten/grenzüberschreitenden, entstellten – eben hybridisierten – Raum herzustellen, zu zeigen und ihn als einen solchen immer auch zusammenzuhalten. Die Dekonstruktion der Fotografie als Fetisch funktioniert hier über und als ein mediumreflexives Raum-Schaffen, welches die Hybridisierung des fotografischen Bildraums ist. Hybridisierung –
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84 Abb. 82: Standfoto aus »Schrei nach Freiheit«, TV Spielfilm, 1995. Abb. 83: Helmut Newton: Selbstporträt mit seiner Frau June und Modellen, Vogue Studio, Paris 1981. Abb. 84: Renée Cox: Yo Mama and the Statue, 1993 (Silbergelatinedruck).
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nicht Fragmentierung – eignet sich als Begriff, weil er ›mehr‹ kann – nämlich die Fotografie als Dritten Raum und als imaginären Identität konstituierenden Ort ausweisen und zur Diskussion stellen.
Die Inszenierung von Weiblichkeit als Metonymie der Präsenz Auch wenn »The Blues« sich nicht primär um die Frage eines männlichen bzw. weißen männlichen Blicks allein kümmert, fällt doch ein Unterschied im Zu-Sehen-Geben der Geschlechter auf. Die männlichen Protagonisten sind zumeist in Verbindung mit oder durch Spiegelungen ins Bild gesetzt – seien dies nun konkrete bildinterne Spiegel, Glasscheiben oder auch der (direkte oder indirekte) Blick eines Gegenübers. Sie werden auf diese Weise als Subjekte hergestellt und zugleich instabilisiert; sie werden gedoppelt, partialisiert oder dort sichtbar, wo sie gar nicht ›sind‹, aber sie erscheinen dennoch als ›Person‹. Weibliche Figuren sind in verschiedenen Formen und Graden der Abwesenheit oder als Figurationen von Weiblichkeit präsentiert. So wird in »Her Way« gleich eine dreifache Abwesenheit der weiblichen Protagonistin bezeichnet: bis auf Kopf und Arm ist ihr Körper von der Tür verdeckt, sie ist augenscheinlich tot, und sie hat mit dem handschriftlichen Satz auf dem Spiegel eine Spur hinterlassen, die von ihrem Da-Gewesen-Sein zeugt. Solomon-Godeau argumentierte, dass die »Position oder Narration der Frauen in ›The Blues‹ […] die komplizierte (und oft verdrängte) Rolle des Geschlechts in den Schablonen von Rasse, Männlichkeit und Männerbeziehungen [signalisiert]« (1992: 43). Diesen Implikationen und Effekten möchte ich in diesem Abschnitt genauer nachgehen und fragen, was das mit der Inszenierung eines Dritten Raums als Verräumlichung des fotografischen Moments zu tun hat. Die zwei weiteren Einzelbilder, in denen Mann und Frau einander (nicht) begegnen, sind »Danger Zone« (Abb. 76) und »The Interior« (Abb. 81). In dem flachen Bildraum von »Danger Zone«, der durch die beiden Leuchtschalen beinahe etwas Sakrales bekommt, wirkt die weiße Maske, die das Gesicht des sitzenden schwarzen Mannes zu Dreiviertel verhüllt, unweigerlich wie eine wörtliche Übertragung von Fanons Buchtitel »Schwarze Haut, Weiße Masken« (1985). Die Hände in den Schoß gelegt, schaut er zu der vor ihm stehenden, wohl weiblichen und wahrscheinlich weißen Person auf, die jedoch im Dunkel bleibt, unbeleuchtet, die Kleidung schwarz, das Gesicht durch die Haare verdeckt – nur als ›Gestalt‹ ist sie klar umgrenzt. Sichtbar bleibt vor allem ihre Hand, die hier einen zunächst einheitlich wirkenden Bildraum teilt und selbst einen Raum zwischen den geschlechtlich markierten Positionen bestimmt. Diese Hand, die in dem gerichteten Licht und durch die rotlackierten Fingernägel geradezu bleich – ›hyperweiß‹ – wirkt, hält sie starr zwischen sich und ihr Gegenüber.
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Fanon begann sein Kapitel über das Verhältnis zwischen dem Farbigen und der weißen Frau damit, dass er das schwarze Begehren nach Emanzipation und Anerkennung als ein männliches Begehren artikuliert, welches er direkt an eine heterosexuelle Ökonomie knüpft; wobei die ›Farbe‹ entscheidend sei, nicht die ›Liebe‹. Er schrieb: »Ich will nicht als Schwarzer, sondern als Weißer anerkannt werden. – Wer aber […] kann das tun, wenn nicht eine weiße Frau? Indem sie mich liebt, beweist sie mir, daß ich einer weißen Liebe würdig bin. Man liebt mich wie einen Weißen. – Ich bin ein Weißer. […] Ich vermähle mich mit der weißen Kultur, der weißen Schönheit, der weißen Weiße.« (1985: 48)
Die ›weiße Frau‹ wird hier zum Heilsversprechen, zur (Er-)Lösungsfigur und zum Zeichen für ›Weißheit‹ schlechthin, und diese Funktion wird auch nicht revidiert als Fanon am Ende des Kapitels an ein schwarzes Selbstbewusstsein appelliert, dass die Hautfarbe (des Schwarzen) nicht »als ein Makel empfunden werden« (ebd.: 61) dürfe. Bei Tabrizian wird die Mimikry des schwarzen (männlichen) Subjekts, sein Einrücken in das Bild des Weißen, einerseits plakativ vorgeführt – als »eine Funktion […] bei deren Ausübung es erfaßt wird« (Lacan 1978: 106) – und in seiner Verfehlung bezeichnet: He played right into her hands. But her world was still out of his reach. Andererseits wird das Verbindende, vielleicht sogar Bittende, im Blick des männlichen Protagonisten durch dessen ›f lüchtenden‹ Schatten an der Wand latent kontrastiert; vor allem aber bleibt die Handgeste ambivalent: Wird die Frau sein Gesicht berühren oder die Hand zurückziehen? Wird sie die Funktion erfüllen, die Fanon ›ihr‹ gegeben hat? An dieser Stelle scheint im Bild eine Gewichtungsverlagerung von ›Farbe‹ auf (Hetero-)Sexualität stattzufinden, oder nicht? »Danger Zone« spricht von einer unmöglichen Beziehung, von getrennten Welten, die nicht wirklich zusammenkommen können; doch genau das wird dann auch wieder offen gehalten – durch die Hand. Das letzte Bild der Reihe, »The Interior«, scheint das Ende einer Beziehung vorzustellen. No look held their space together. No words concealed Her turning of the tide. Die Blicke von Mann und Frau begegnen sich nirgendwo, auch nicht indirekt, ewa über einen Spiegel oder die Vermittlung des Betrachters/der Betrachterin. Gleichermaßen wirkt der Bildraum, der ein ›Interieur‹, ein Schlaf- oder vielleicht auch Hotelzimmer ist, diagonal geteilt durch die Positionierung der beiden Protagonisten. Der Mann sitzt auf dem Bett, die Hände gefaltet auf die Knie gelegt, den Blick auf den Boden gerichtet; er wird nicht im gegenüberliegenden Spiegel sichtbar. Wie auch in »Danger Zone« scheint die Betrachterin/der Betrachter hier mit im Raum zu stehen, zu nah dran, um die Situation eindeutig zuordnen zu können, aber zugleich, ohne von den Akteuren ›gesehen‹ zu werden. Die Pose der Frau kehrt auch das Geschlechter verhältnis um – ihre Klei-
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dung signalisiert eine Geschäftsfrau, Karriereorientiertheit, während der Mann mit hängendem Kopf in der Ecke sitzt. Den Koffer in der Hand inzeniert sie ihr eigenes Verschwinden (im Doppelsinn), sie verlässt den Raum/das Bild. Der Text signalisiert, dass es ihre Entscheidung ist – doch bleibt ihr Schatten noch einen (stillgestellten) Moment im Feld des Anderen zurück, während das Fenster ein dunkles Außen zu sehen gibt, aus dem heraus der diffus lesbare Schriftzug HOT seinen rötlichen Widerschein in das kalte blaue Innere und auf ihr Gesicht wirft. Am auffälligsten wirkt die divergierende Darstellung der Geschlechter jedoch im ersten Triptychon, dessen Bilder auch enger zusammengehörig scheinen als diejenigen der anderen beiden Dreiergruppen. Hier stellt Tabrizian konkurrente, potenziell gewaltförmige und eben indirekte Aufeinandertreffen von Männern unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeit vor, die durch verschiedene, medial- bzw. materialbestimmte Symbolisierungen ›der Frau‹ in ein Raster heterosexuellen Begehrens einordbar sind. So ist in »Out of the Past« die skulpturale Büste einer weiblichen Figur auf einem Tisch am Bildrand platziert, auf dem sie einerseits wie abgestellt wirkt, aber andererseits eine fast körperliche Präsenz behauptet, die sich auch aus dem Kontrast zu ihrem eher instabil wirkenden Unterbau ergibt. Die Gesichtszüge der Figur sind nurmehr schematisch ausgearbeitet und ethnisch-kulturell nicht eindeutig zuzuordnen. Zum Vergleich sei exemplarisch die Fotoarbeit von Renée Cox »Yo Mama and the Statue« (1993) angeführt, wo sich die unbekleidete schwangere Künstlerin an den Gipsabguss ihres eigenen Körpers anlehnt, dessen Gesichtszüge klar erkennbar sind (Abb. 84). Cox’ Selbstinszenierung betont ein Bild von starker Weiblichkeit und Mütterlichkeit, das durch die Gipsfigur gedoppelt und verstärkt, aber auch im ›geisterhaften‹ Weiß mythifiziert wird. Das turbanartige Gebilde bezeichnet eine ›typische‹ Kopfbedeckung afrikanischer Frauen; in Tabrizians Inszenierung bleibt hingegen offen, ob das traditionelle Kleidungsstück, das modische Attribut oder das Kopftuch der mammy gemeint ist. Das Weiß des Materials kontrastiert hier sowohl die ethnische Nicht-Zuordbarkeit als auch die völlig in Schwarz gehaltene Kleidung der vier Männer, die sich durchaus als eine Art Gang-Dresscode lesen lässt. In »The Far Country« (Abb. 74) ist ein Schwarzer zwischen zwei Weiße gestellt, die durch Trenchcoat und Handschellen als Polizisten erkennbar werden können. Während der eine – für die Betrachter/innen nicht direkt sichtbar – in konfrontativem Blickkontakt mit dem Schwarzen positioniert ist, richtet sich der Blick seines Kollegen auf das Foto in den eigenen Händen, das im close-up das Gesicht einer weißen Frau zeigt und welches er soeben angezündet hat. Wenn hier die Szene einer Verhaftung vorgestellt wird, dann wird dies als Vernichtung von Beweismitteln lesbar, die die Markierung der weiblichen Abwesenheit noch verdoppelt. Der Kommentar – The price of his silence was more than they could pay – verunsichert
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zudem eine klare stereotype Zuordnung ›gute (weiße) Polizisten‹ versus ›krimineller Schwarzer‹. Die Vertracktheit der Situation wird dadurch intensiviert, dass das weite Land, von dem der Bildtitel spricht, durch die klaustrophobische Wirkung des nach hinten massiv abgeschlossenen Bildraums konterkariert wird. »Double Edge« (Abb. 75) heißt ›auf Messers Schneide‹, die sich in der Kante der offenen Tür wiederholt. Sie teilt nicht nur den Bildraum, sondern gibt die dunkle Türöffnung zu sehen, die die Positionierung des Schwarzen als potenzielles Eindringen in den Raum des Weißen lesbar macht. Der wiederum scheint sich hinter der Tür zu verstecken, und so ergibt sich eine Szene, in der beide Protagonisten angespannt und lauernd dastehen, getrennt und in indirektem Kontakt durch die Türklinke – und es nicht vorhersehbar ist, was als nächstes geschieht. He could only see black and white. But that didn’t mean he was colour-blind. Der Kommentar betont das Problem eines dichotomen Sehens, indem ein physischer Defekt negiert und es damit auf die Ebene des sozio-kulturell Codierten verlagert wird.38 Offen bleibt, wer von den beiden Protagonisten gemeint ist. Die Absenz ›der Frau‹ ist hier durch ihren autorialen Gestus eines handgeschriebenen Briefes bezeichnet, den der Schwarze in der Hand hält und der – mit Hilfe eines Fanon-Zitats – eine schwarze männliche Subjektivität zur Diskussion stellt, die auch die Frage nach dem Geschlechterverhältnis zuspitzt: Your problem is you want to be in two places at once. You want everything the whites have got. And you want to destroy everything the whites have got. My problem is I think I’m ›the woman of no colour‹. Does that make us different or the same?39 »Das Begehren der kolonialen Mimikry – ein interdiktorisches Begehren –«, schrieb Bhabha, »mag kein Objekt (object) haben, aber es hat strategische Ziele (objectives), die ich als die Metonymie der Präsenz bezeichnen möchte.« (2000: 132) Metonymien der Präsenz sind nach Bhabha diskursive Strategien des Begehrens, die genau nicht eine Wiederkehr des Verdrängten meinen, sondern nicht-verdrängende Produktionen widersprüchlicher und multipler Überzeugungen. Als solche »überschreiten [sie] die Grenzen der Kultur, in der sie geäußert werden, durch eine strategische Vermischung der metaphorischen und der metonymischen Achse der kulturellen Produktion von Bedeutung.« (Ebd.) Zu solchen Metonymien zählt Bhabha all die »un(an)geeigneten Signifikanten des kolonialen Diskurses – die Differenz zwischen Englischsein und Anglisiertsein, die Identität zwischen Stereotypen, die, durch Wieder-
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Z.B. bezeichnete auch die Künstlerin Adrian Piper Rassismus als einen Sehfehler (vgl. SolomonGodeau 1992: 40). 39 Vgl. auch McClintock: »For Fanon, colonized men inhabit ›two places at once.‹ If so, how many places do colonized women inhabit? Certainly, Bhabha’s text is not one of them.« (1995: 362)
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holung, ebenfalls different werden, die diskriminatorischen Identitäten, die über traditionelle kulturelle Normen und Klassifikationen hinweg konstruiert werden, der affenartige Schwarze, der verlogene Asiate […].« (Ebd.) Mit der Inszenierung der weiblichen Figuren als Skulptur, Fotografie und Brief transformiert »The Blues« diesen partialisierenden Prozess der Hybridität, den Bhabha die Metonymie der Präsenz nennt, in das Register des Materials/des Mediums. Materialsemiotisch meint Skulptur immer auch ein Bild der Dauer, welches hier die visuelle Exzessivität des Stillgestellten, wie sie oben herausgearbeitet wurde, metonymisch verdoppelt. So gesehen, allegorisiert die skulpturale Weiblichkeit den fotografischen Augenblick, dessen Versteinerndes wiederum umgekehrt in der weiblichen Figur s/ein allegorisches ›Bild‹ findet. Die kreisförmige Bewegung, die damit angelegt scheint, ist jedoch eher ein beständiges wechselseitiges Verschieben, insofern die figurale Fragmenthaftigkeit das Allegorische – welches die ›ganze‹ Gestalt braucht – immer wieder brüchig erscheinen lässt, weil es die Figur als Identifikationsobjekt oder Projektionsf läche beständig entzieht. In ähnlicher Weise wirkt auch die Fixierung des weiblichen Gesichts in der Fotografie als metonymische Wiederholung des exzessiv Stillgestellten der gesamten Szene. Der Aufnahmeausschnitt setzt sie zudem in die Ambivalenz zwischen Porträt und ›reiner‹ Projektionsfläche. Doch wird die hier stillgestellte Flüchtigkeit des Augenblicks auf der Materialebene durch die Verbrennung aufs Neue ›verf lüchtigt‹ und dies zugleich auf Dauer im Gesamtbild festgehalten. Die Selbstbezeichnung I’m the woman of no colour in dem Brief ist eine metonymische Verdopplung der weiblichen Absenz, die das Geschlechterverhältnis auf die Ebene der ethnisch codierten Markierung hebt – nämlich hier durch einen Akt des unmarking, der in diesem Fall ›weiblich‹ bezogen ist. Es findet zugleich eine Wiederholung und eine Umkehrung dessen statt, was Bhabha als den zweiten Teil von Fanons doppelter Ur-Szene beschrieben hat: »The girl’s gaze returns to her mother in the recognition and disavowal of the negroid type; the black child turns away from himself, his race, in his total identification with the positivity of whiteness which is at once colour and no colour.« (1990: 81, Herv. KB; vgl. Fanon 1985: 80ff.) Die Weiblichkeitsbilder in »The Blues« lassen sich insofern auch als Ent/Fixierungen definieren, die sich in ihrer Wiederholung tradierter Repräsentationsformen zugleich deren Bedeutung als ›Rettung‹ oder ›Erlösung‹ verweigern. Dabei wird Ethnizität vor allem in Hinsicht auf ›weiß‹ noch einmal über die Farbe des Materials, das Schwarz/Weiß des Fotos und die Selbstbezeichnung »no colour« thematisiert. Wie oben erwähnt, ist Tabrizians »The Blues« von Kobena Mercer als Beispiel für ein produktives Wechselverhältnis von visueller künstlerischer Praxis und kritischer Theorie angeführt worden. Einer der Theoretiker
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ist Homi K. Bhabha, der auf seine – bereits diskutierte – Kruger-Lektüre am Ende von »Interrogating Identity« noch diese Kurzbetrachtung von »Out of the Past« folgen lässt: »I was a wanderer in another city, caught in Mitra Tabrizian’s image. In the leaden light of London I saw a black man freeze to stone, in the shadows of a woman’s wide eyed witness. The mirror turns the troubled scene around and fills the space, before and behind, with the hateful sight of questions of racist violence – Interrogating Identity …« (Bhabha 1987: 11)
Bhabha teilt den Eindruck des ›Gefrorenen‹, den er jedoch einzig auf den schwarzen Protagonisten bezieht. Dieser erstarrt allerdings »in the shadows of a woman’s wide eyed witness«. Hier setzt Bhabha zum einen die weibliche Skulptur oder Büste verlebendigend mit ›Frau‹ gleich und übergeht zudem völlig, dass es sich um eine/deren visuelle, fotografisch inszenierte Repräsentation handelt; zum anderen ist nicht wirklich nachvollziehbar, wo oder wie der Protagonist im Schatten des bezeugenden Blicks ihrer weit aufgerissenen Augen40 positioniert sein soll. Es ist lediglich ein Schatten der skulpturalen Figur als vergrößertes und leicht verzerrtes Profil eher unscheinbar zwischen dem Schwarzen und dem Spiegel an der Rückwand des Raumes zu sehen; der ›bezeugende Blick‹ ist eine nochmalige Personifizierung; und zudem stechen die in das weiße Material eingeritzten, unmodellierten Umrisse der Augen keinesfalls mehr hervor als das kontrastierende Weiß in den aufgerissenen Augen des Schwarzen oder der ›dunkle Blick‹ der drei männlichen Figuren, die im Spiegel zu sehen sind. Letztere werden überdies gar nicht benannt, sondern Bhabha spricht lediglich davon, dass sich über die Einsetzung des Spiegels der Raum mit einem Schauspiel von Fragen nach rassistischer Gewalt füllt. Dass dieser Raum männlich besetzt ist, bleibt ungesagt. Es geht hier, ebenso wie bei meiner vorangegangenen Kritik an Bhabhas Bildlektüren, darum, diese auf ihre Kriterien, ihre Gewichtungen und Auslassungen hin zu befragen. In Bhabhas Lektüre fällt auch hier auf, dass zum einen nicht nur Repräsentationsebenen verwischen, sondern dass dies in Bezug auf Weiblichkeit geschieht; zum anderen, dass ein Szenario, in dem sich Männlichkeit und kulturelle Differenz überkreuzen, einzig entlang der Achse von (hetero-)sexueller Differenz formuliert wird. Vor allem ersteres wird jedoch in Tabrizians »The Blues« genau zum Thema gemacht.
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Die etwas unglücklich geratene deutsche Übersetzung in Bronfen u.a. (1997) lässt die Zeugenschaft weg und veruneindeutigt den Bezug der wide eyes, die allerdings tatsächlich eher für eine Beschreibung des schwarzen Protagonisten als zu der Skulptur passen: »[…] sah ich, wie ein Schwarzer im Schatten des Blicks einer Frau mit weit aufgerissenen Augen zu Stein gefriert.« (Ebd.: 121)
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Third Space: Verräumlichungen der Grenze In diesem Kapitel ging es darum, das postkoloniale Konzept des Third Space für das Feld des Visuellen zu übersetzen. Den Third Space habe ich in Auseinandersetzung mit Homi K. Bhabha als Verräumlichung der Grenze beschrieben, die sowohl ein Effekt tradierter (hierarchischer) Binaritäts-, und Oppositionsstrukturen wie auch deren Voraussetzung ist. Als solche ermöglicht es der Third Space, die vielschichtigen Herstellungsprozesse des Alteritären zu beschreiben und in diese zu intervenieren. Mit den Inszenierungen von Pat Ward Williams, James Luna, Dave Lewis und Mitra Tabrizian war dann zur Diskussion gestellt, wie Formationen des Dritten Raums, die Figur des (kolonialen) Stereotyps und ein Diskurs der Fotografie/des Fotografischen für das Projekt eines visuellen Ent/Fixierens miteinander arbeiten können. Mit dem Third Space wird, gewissermaßen auch in Fortführung des vorangegangenen dritten Kapitels, der Rahmen, die Grenze selbst zum Thema gemacht. Indem er als ein transgressiver Raum erscheint, aus dem immer auch Anderes/Neues/Unerwartetes hervorgehen kann, stellt er – als kultureller Spielraum – eine Analogie zu dem dar, was ich am Schluss des zweiten Kapitels den medialen Spielraum der Fotografie genannt habe. Der eine wie der andere ermöglichen Bewegungen quer zu Identitäten, zu Kulturen und Geschlechtern und durch sie hindurch; beide sind durch Ambivalenzen strukturiert, welche Bedeutungen behaupten und zugleich verunsichern. Das konnte mit Luna und Lewis daran gezeigt werden, wie ein Ent/Fixieren des ›hybriden (postkolonialen) Subjekts‹ als ein inszenatorisches Sich-Herausschreiben aus dem fotografischen Bild des Anderen geschieht, indem die Hybridisierung quasi auf die mediale Ebene des Fotos als ›Identitätsausweis‹ zurückgegeben wird. Und, wie es bei Tabrizian diskutiert wurde, funktioniert ein Ent/Fixieren in der inszenatorischen Kongruenz von fotografischem Index und Drittem Raum, wenn die Fotografie als Schnitt durch ein ZeitRaum-Kontinuum selbst ins Bild gesetzt wird. Insofern es mir darum ging, Bhabhas Third Space-Konzept als ein Strategiekonzept zu verstehen, hieß das auch, es jeweils auf seine eigenen Grenzen hin zu befragen. Mit der Analyse von Bhabhas eigenen Bildlektüren wie auch – im Kontrast dazu – an Tabrizians »The Blues« zeigte sich eine Problematik dieses Modells darin, dass tradierte Geschlechterpositionen mehr oder weniger ungebrochen bestehen bleiben und es für die Ebene der visuellen Repräsentation aus dieser Perspektive eine theoretische Lücke gibt. Umgekehrt besteht die Produktivität des Dritten Raums für eine Politik der visuellen Repräsentation darin, das Visuelle als ein Verräumlichtes zu begreifen, in dem sich Veränderung abspielen kann.
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Strategien des Ent/Fixierens, interessierter Blick und Lektüre als Methode Wie können sich Subjekte kritisch zu einem System verhalten, welches seine Stabilität darüber zu sichern sucht, dass es bestimmte Subjekte als seine Anderen positioniert – und nurmehr in dieser Funktion auch sichtbar macht? Wie können als ›anders‹ markierte Subjekte ein Bild bekommen oder sich ein Bild geben – wie können sie ins Bild gesetzt werden oder sich ins Bild setzen –, ohne zugleich auf einen Status-als-Bild festgelegt oder in einem Status-als-Bild fixiert zu werden? Und welche Rolle spielt dabei die Medialität der Bilder? Wie können Fotografie und fotografische Techniken für eine Weise der Repräsentation nutzbar sein, die weder eine zwangsläufige Verknüpfung von ›Identität‹/›Differenz‹ und ›Sichtbarkeit‹ voraussetzt noch sich in der statischen Bipolarität von ›Sichtbarkeit‹ und ›Unsichtbarkeit‹ verfängt, – die aber notwendiger weise immer auch medial bestimmt ist? Ausgehend von den vielfältigen Auseinandersetzungen mit der Identitätsthematik in der Kunst der 1980er und 1990er Jahre, mit visuellen Inszenierungen von geschlechtlich, ethnisch und/oder kulturell codierter Identität und Differenz, waren dies die Fragen, die die hier vorgelegte Studie fokussiert hat. Im kritischen Anschluss an aktuelle Positionen in der Geschlechterforschung und der postkolonialen Theorie einerseits sowie in der Fotogeschichte und der Kunstwissenschaft andererseits, habe ich gezeigt, wie in dieser Hinsicht Sichtbarkeitskonzepte und ›Bildmöglichkeiten‹ durch eine konsequente Verschränkung von identitäts-/ differenztheoretischen und fototheoretischen Diskursen verschoben werden können. Um das vieldimensionale Changieren zwischen diesen
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Diskursen fassbar zu machen, um zu beschreiben, wie sich dabei ›transdiskursiv‹ Akte der (partiellen) Bedeutungsfixierung permanent mit Momenten ihrer (partiellen) Auflösung verbinden, für eine Benennung dessen, wie zwischen verschiedenen Ebenen der Konstruktion/ Dekonstruktion gleichzeitig diskursive Verknüpfungen und Ablösungen stattfinden, die die spezifischen ›Beweglichkeiten‹ des Bild-Status markieren – kurz, um zeigen zu können, wie ein Fixieren auf und zwischen verschiedenen Segmenten und Ebenen funktioniert und nicht funktioniert, habe ich den Begriff des Ent/Fixierens eingeführt. Ausgangspunkt für die Herausarbeitung dessen, wie Identitätsdiskurse und Fotografiediskurse im Modus eines Ent/Fixierens für eine emanzipatorische visuelle Politik arbeiten können, waren nicht alterisierte, minorisierte und diskriminierte Subjekte, sondern die grundsätzliche Produktivität der Bilder und die Blickverhältnisse, die diese Bilder herstellen. Die engen historischen Beziehungen zwischen Fotografie und Identitätskonstruktionen spielten nicht zuletzt deswegen eine wichtige Rolle, weil sich gerade dort spezifische Modi fotografischer Identitätsfixierung als grundlegend Evidenz behauptende, ›eigene‹ Bilder des/der Anderen generiert haben, die das kulturelle Bildrepertoire, aus dem sie gespeist wurden, umgekehrt auch signifikant erweitert haben. Sie interessierten daher sowohl in Bezug auf zeitgenössische Zuschreibungspraktiken und Repräsentationspolitiken wie auch bezüglich dessen, was sie zu einem kritischen aktuellen Visualitätsdiskurs beitragen. Die einzelnen Kapitel haben dazu verschieden gelagerte Perspektiven eingenommen, aus denen heraus spezifische Aspekte der multiplen Verwicklungen von Identität/Differenz, Bild/Medialität und Sichtbarkeit/ Repräsentation fokussiert werden konnten. Im zweiten Kapitel ging es um das fotografische Bild ›selbst‹ und um die Konstruktionsweisen fotografischer Evidenz – darum also, Fotografie als tradiertes Bild- und Sichtbarmachungsmedium für Identitäts-/Differenzkonstruktionen – vor allem ›des Anderen‹ – anzuschauen. Das Kapitel stellte in der Relektüre aktueller fotografietheoretischer Ansätze eine medienarchäologisch bezogene Analyse vor und zeigte, wie aktuelle künstlerische Projekte historische Zuschreibungspraktiken aufgegriffen und verarbeitet haben. Das dritte Kapitel hat sich dann anhand künstlerischer Thematisierungen in einer bild(er)wissenschaftlichen Perspektive und mit der Nutzbarmachung von Derridas Parergon mit dem (fotografischen) Bild als Schnitt, als Resultat seiner Rahmung, als Effekt von Grenzziehungen auseinandergesetzt. Hierbei lag die Aufmerksamkeit vor allem auf dem Changieren von Körperbild und Bildkörper. Im vierten Kapitel schließlich wurde mit Bhabhas Konzept des Third Space ein kulturtheoretischer Ansatz für die Bildanalyse übersetzt, der ›Rahmen selbst‹ als eine verräumlichte Grenze thematisiert und in Korrespondenz mit künstlerischen Inzenie-
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Resümee
rungen diskutiert. Die (theoretischen) Schwerpunktsetzungen der einzelnen Kapitel vollführten mithin eine komplexe Bewegung vom Bild, über den Rand des Bildes zum Blick auf das Bild – eine Bewegung, die als eine Gewichtung von Verhältnissen zu verstehen ist, insofern natürlich in jedem Aspekt die je anderen beiden immer mit enthalten waren. Die jeweiligen Bewegungen zwischen den fotografischen Bildern und den theoretischen Modellen innerhalb der einzelnen Kapitel konstituierten (offene, unabgeschlossene) Räume, durch die hindurch Ent/Fixierungen sich vollziehen können. Der mediale Spielraum der doppelten Evidenzartikulation, die den fotografischen Diskurs bestimmt, ist dadurch charakterisiert, dass er nicht (mehr) entlang der tradierten fotografischen Ökonomie des Paradoxalen funktioniert. Er ermöglicht die Inszenierung eines ent/fixierten Bild-Status des Anderen, indem fotografische Signifikationen von Präsenz und Absenz, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, Bedeutungsbehauptungen und deren Verunsicherung offensiv miteinander und gegeneinander changieren können. Mit der (umkehrenden) Frage danach, welche Sichtbarkeiten die Fotografie/das Indexikalische ermöglicht, öffnet sich Evidenz als ein transgressiver Raum, aus dem heraus etwas neu/anders werden kann. Der ›parergonale Raum‹ (an sich ein unmöglicher/paradoxer Begriff), der hier die Analogisierung/Überlagerung von Weiblichkeitsbildern als Grenzkörper, Derridas Parergon und der Fotografie als Schnitt durch ein Zeit-Raum-Kontinuum meinte, bezeichnet ein Gebilde, welches das wechselseitige Konstituierungsverhältnis von Bild und Rahmen vervielfältigt und immer wieder verschiebt. Ent/Fixierungen finden statt, indem immer wieder Räume ›zwischen‹ den Rahm(ung)en entstehen und ebenso auch verschwinden können – Bild-Räume/Körper-Räume, die die Körper/Bilder partiell neu/ anders konnotieren. Das Körperbild-in-Bewegung, das sich darüber konstituiert, meint nicht das In-Bewegung-Versetzen – sprich: Dekonstruieren – eines Fixierten bzw. einer fixen Kategorie, sondern es ist ein ent/fixiertes, das sich über momenthafte unvollständige – und einander durchaus auch widersprechende – Verfestigungen vollzieht. Der kulturelle Spielraum des postkolonialen Third Space schließlich legt Grenzen selbst als Bedeutungsräume offen und macht die Bewegungen des In-Beziehung-Seins zwischen einander gegenüberliegenden Positionen beschreibbar. In dieser Hinsicht ging es zum einen um das Verhältnis von Betrachter/in und Bild und zum anderen um die künstlerische Inzenierung fotografischer Bildräume als Dritte Räume. Ent/Fixierung ereignet sich, indem aus dieser Bewegung neue Positionen hervorgehen können, die nicht dieselben, wie die ›alten‹ sind, aber auch keine ›ganz anderen‹. Diese Räume wiederum, wie ich am Schluss des vierten Kapitels bereits verdeutlicht habe, existieren nicht nebeneinander her, sondern immer auch in Überlagerung und Durchkreuzung mit den je anderen. So besteht die Produk-
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tivität des hybriden Dritten Raums für eine (emanzipatorische) Politik der visuellen Repräsentation nicht zuletzt auch in den Kongruenzen zur fotografischen Indexikalität. Es wäre daher zu überlegen, ob man das Feld des Sichtbaren nicht eher als Raum des Sichtbaren bezeichnen sollte. (Und man könnte die Frage anschließen, ob dieser Raum notwendig an der Zentralperspektive orientiert sein muss.) Im ersten Kapitel habe ich nach der Nützlichkeit von ›Identität‹ für ein Konzept politischer Veränderung gefragt, obwohl dieser Begriff doch höchst problematisch und trotz aller Dekonstruktion nach wie vor essenzialismusverdächtig ist. Ich habe argumentiert, dass diese Nützlichkeit in einem verschobenen Identitätsbegriff besteht, nämlich einem, der als strukturelles Ineinandergreifen von unabschließbarer Identifikation und machtvoller Verortung, in der Gleichzeitigkeit von Prozessualität und Fixierung definiert ist. Diese ›Identität‹ bedeutet einen Stopp in den fortlaufenden Prozessen der Identifikation, die dennoch weiterlaufen; es kommt niemals zu einem totalen Stillstand. Damit wird ein Modell denkbar, wie Richtungen modifiziert, Gewichtungen verlagert, ›unlogische Sprünge‹ vollzogen sowie auch (und zugleich) Kontinuitäten gesichert werden können. Diese ›Identität‹, die ein gleichzeitiges Zuviel und Zuwenig meint, die Implikation eines Fixierten/Abgegrenzten als verfehlender/verkennender Moment-Aufnahme eines dynamischen Geschehens, habe ich als einen Möglichkeitsraum beschrieben, in dem etwas ›anders‹ werden kann. Für die Frage einer ›visuellen Handlungsfähigkeit‹, die sich hier anschloss, habe ich in Anlehnung an und Abgrenzung von Kaja Silvermans ›produktivem Blick‹ das Konzept eines interessierten Blicks skizziert, der solche verfehlenden Stopps vorstellbar macht, und die Frage gestellt, wie ein solcher Blick von visuellen Repräsentationen – von künstlerischen Projekten – auch vorgeschlagen und befördert wird. Im Verlauf dieser Arbeit habe ich dann sowohl in der Auseinandersetzung mit historischen Beispielen wie auch an den künstlerischen Projekten herausgearbeitet, wie Ent/Fixierungen als Gleichzeitigkeiten von Stopps und (Identifikations-)Bewegungen funktionieren. Das bedeutete vor allem nach dem Verhältnis von Betrachter/in und Bild zu fragen, danach, wie die Inzenierungen ihre Betrachter/innen positionieren bzw. welche Optionen der Selbstpositionierung sie anbieten und welcher Art diese sind; danach, welche Blicke und Blickverhältnisse hergestellt werden. Ein Bild zu bekommen oder sich ein Bild zu geben, ohne zugleich ›als Bild‹ fixiert zu werden, braucht – das ist ein Fazit – die inszenatorische Thematisierung der Betrachterposition und des betrachtenden Blicks. Das zeigte sich speziell durch eine Verschiebung tradierter zentralperspektivischer Nähe-Distanz-Verhältnisse bei Connie Hatch und Dave Lewis, die Mobilisierung der Betrachter/innen im Ausstellungsraum ebenfalls bei Hatch sowie Pat Ward Williams und Carrie Mae
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Resümee
Weems oder, wie es bei Mitra Tabrizian herausgearbeitet wurde, die visuelle Fixierung der Betrachterposition bei gleichzeitiger Verunklärung des Zu-Sehen-Gegebenen. Die Ent/Fixierung eines Bild-Status braucht gleichermaßen – das ist ein weiteres Fazit – eine sich damit überkreuzende Arbeit am kulturellen Bildrepertoire. Das wurde vor allem deutlich an der Transformation von Historizität in Medialität bei Carla Williams und Dave Lewis, der Verlagerung des prekären Verhältnisses des fotografischen Bildes zu seinem Referenten auf die Ebene der fotografischen Bilder selbst bei Hatch, Weems, Lewis und James Luna oder in einem fotografischen Zu-Sehen-Geben von Unsichtbarkeit, welches, wie bei Hatch und Lorna Simpson gezeigt wurde, das tradierte Sichtbarmachen von Unsichtbarem, das etwa die klassische Dokumentarfotografie auszeichnet, verdreht. Ästhetische Strategien artikulieren sich in diesem Zusammenhang als politische Strategien, insofern tradierte visuelle bzw. fotografische Konstruktionen ›anderer Subjekte‹ als Befragung und Problematisierung des Rezeptionsprozesses stattfinden. Das geschieht über einen künstlerischen Umgang mit dem Medium Fotografie, der Bilder und Bildwirkungen (partiell) auseinandernimmt und zusammensetzt, affirmiert und dekonstruiert, wiederholt und negiert. Nicht zuletzt in den inszenatorischen Verweisen darauf, dass ihrem Zu-Sehen-Gegeben immer schon (fotografische) Bilder vorausgehen, die ihren Platz im kollektiven Bild-Archiv haben und innerhalb eines bestimmten Bedeutungsfeldes angesiedelt sind – sei es in der Ethnografie, der Pornografie, dem Film oder der Porträtfotografie –, die sie mit je spezifisch adaptierten Techniken bearbeitet haben, lässt sich projizieren, dass die Künstler/innen bereits von einem dekonstruierten Identitätsverständnis ausgehen. So wird auch auf dieser praktischen Ebene der Bildproduktion künstlerische Arbeit als eine politische Arbeit wirksam. Ent/Fixierung findet (auch) genau in diesem Zusammenspiel von ›Identität‹, Fotografie und politischer Praxis statt. Ich habe bisher von Inszenierungsstrategien gesprochen, die herausgearbeitet werden sollten – Inszenierungsstrategien, Bildstrategien, künstlerische Strategien. Doch ist das nicht (auch) missverständlich? Birgt diese Rede nicht die Gefahr, dass am Ort des Bildes etwas manifestiert wird, das immer (auch) ein Resultat des analytischen Blicks – der eben immer auch ein projizierender Blick – ist und der – mehr oder weniger reflektiert – durch ein spezifisches Erkenntnisinteresse codiert erscheint? Der vorgelegte Text besteht zu einem Großteil aus intensiven Bildlektüren, aus den verschriftlichten Ergebnissen eines Blicks, der von einem solchen Erkenntnisinteresse geleitet ist. Gewissermaßen nachträglich möchte ich in Bezug auf diese Studie abschließend von Lektürestrategien sprechen. Was meint das?
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Es bedeutete hier, mit interessiertem Blick, der weder autonom oder grundsätzlich willkürlich, sondern immer schon in irgendeiner Weise vorgeprägt ist – nicht zuletzt durch Bilder –, auf die Bilder zu schauen. So ging es in der Vorbereitung dieser Studie zunächst darum, einen solchen Blick in der Auseinandersetzung mit künstlerischen Arbeiten zu entwickeln und dann konkrete Arbeiten auszuwählen, die diesem ›etwas zu bieten‹ haben. Die ausgewählten ›theoretischen Raster‹ waren in dieser (erkenntnisinteressierten, projektiven) Hinsicht welche, die die Bilder einerseits ›als Angebot‹ gemacht haben; andererseits ging es darum zu schauen, wo die Bilder diese Raster dann auch wieder in Frage stellen. Lektüre meinte von daher, die Potenziale und Grenzen des Blicks auszutesten und nach ›Bildsignalen‹ zu suchen, die ihn auch verändern, ergänzen, verhindern oder in eine andere Richtung lenken können. Es bedeutete ein Lesen und Wiederlesen aus unterschiedlichen Perspektiven, die Herausarbeitung, Überprüfung und bisweilen das Fallenlassen von Bedeutungen, den Verzicht auf Verknüpfungsversuche oder die Suche nach einem modifizierten Blick, der begehrte, ›vielversprechende‹ Verbindungen herstellen kann. An einigen der künstlerischen Projekte habe ich besonders herausgearbeitet, wie dort ein ›zweiter Blick‹ in Szene gesetzt wird, der die Bedeutungen des ersten verschiebt oder in Frage stellt – etwa bei P.W. Williams; bei einigen ging es auch um einen ›erinnernden Blick‹, der sich auf Absenzkonstruktionen bezog, z.B. bei Hatch. Und vor allem in Hinsicht auf Reflexionen des Mediums Fotografie war hier der künstlerische Umgang mit ›Zeit‹ bezeichnend, die sich u.a. in einem visuellen ›Auseinanderziehen‹ von Zeichenverbindungen – etwa bei Weems –, der dezidierten Lenkung des Betrachtungsprozesses, bei Hatch, oder, bei Tabrizian, in der Signifikation ihrer Stillstellung äußerte. Gleichermaßen braucht das Lesen, die strategische Lektüre der Bilder, die nach Ent/Fixierungen fragt, ihre eigene Zeit, eine Zeit des Schauens, des Betrachtens – und des Schreibens, den Blick als Schrift. Damit eröffnet sich zu guter Letzt eine ›andere Seite‹ von Ent/Fixierung. Als ich diesen Begriff zu Beginn meiner Arbeit entwickelt habe, ging es darum, eine Vokabel zu finden, die ein wesentliches Moment prägnant und präzise bezeichnen kann, das den fotografischen Diskurs und einen kritischen identitätstheoretischen Diskurs verbindet. Im Verlauf der Studie hat sich dieser gleichermaßen kulturtheoretisch und fototheoretisch abgeleitete Begriff der Ent/Fixierung selbst zu einem konzeptuellen Begriff verschoben. Als ein methodisches Angebot schlage ich die Lektüre als eine Praxis des Ent/Fixierens vor – und dies nicht nur für die Seite kunstwissenschaftlicher Analyse. Ebenso stellen Künstler/innen ihre Arbeiten her, arrangieren die Teile, nehmen auseinander und bauen zusammen: Sie setzen Bildstrategien ein, indem sie Bilder, die verfügbar sind, ent/fixierend lesen.
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266
Bildnachweise Abb. 1: Barbara Kruger: Untitled (You thrive on mistaken identity), 1981. Postkarte. Abb. 2: Carrie Mae Weems: A negroid type. Aus: »From here I saw what happened and I cried«, 1995–96. In: Weems 1998, Plate 26. Abb. 3: Carrie Mae Weems: & a photographic subject. Aus: »From here I saw what happened and I cried«, 1995–96. In: Weems 1998, Plate 28. Abb. 4: Joseph T. Zealy: Renty, Congo. On Plantation of B.F. Taylor. Columbia, South Carolina, 1850. In: Police Pictures 1997: 52. Abb. 5: Joseph T. Zealy: Drana, Country Born, Guinea. Daughter of Jack. Plantation of B.F. Taylor. Columbia, South Carolina, 1850. In: Police Pictures 1997: 53. Abb. 6: Carrie Mae Weems: You became mammie, mama, mother … Aus: »From here I saw what happened and I cried«, 1995–96. In: Weems 1998, Plate 29. Abb. 7: Prentice H. Polk: The Boss, 1932. In: Willis/Williams 2002: 135. Abb. 8: Carrie Mae Weems: You became playmate …. Aus: »From here I saw what happened and I cried«, 1995–96. In: Weems 1998, Plate 43. Abb. 9: Unbekannter Fotograf: Nude Study of a Black Woman. Daguerreotypie, ca. 1850. In: Willis/Williams 2002: 50. Abb. 10: Carrie Mae Weems: Anything but …. Aus: »From here I saw what happened and I cried«, 1995–96. In: Weems 1998, Plate 50. Abb. 11: Robert Mapplethorpe: Man in Polyester Suit, 1980. In: Holborn, Levas (Hrsg.): Mapplethorpe, München 1992. http://prometheus.uni-koeln.de/ pandora/de/image/show/Image-trier-b975574ee20e58600367362de81eeebc4ab82201.
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Fotografie und ›Identität‹
Abb. 12: Bertillon-Methode, Vier Karteikarten des gerichtlichen Erkennungsdienstes, Paris, 1906–1914. In: Frizot 1998: 262. Abb. 13: Francis Galton: Zusammengesetzte Porträts mittels überlagerter Aufnahmen, Versuch eines allgemeingültigen Kriminellen-Porträts, 1883. Aus: »Inquiries into Human Faculty and its Development«. In: Frizot 1998: 266. Abb. 14: Carl Durheim: Josephine König, 46 Jahre alt, 1852/53. In: Wider das Leugnen und Verstellen 1998: 109. Abb. 15: E. Rye, Odense (Dänemark): Unbekannter Mann, 1860er Jahre. In: Regener 1999: 48. Abb. 16: E. Rye, Odense (Dänemark): Forbryderalbum, 1867–70. In: Regener 1999: 52. Abb. 17: Verbrecheralbum Polizei Hannover, 1860–65. In: Regener 1999: 71. Abb. 18: Unbekannter Fotograf: Two of four views of a South Australian aboriginal female, ›Ellen‹, aged 22. Photographed according to T.H. Huxley’s ›photometric‹ instructions, ca. 1870. In: Ewing 1994: 127. Abb. 19: John Lamprey: Malayan male. Anthropometric study, ca. 1868/69. In: Ewing 1994: 126. Abb. 20: August Krämer: Tafel mit sechs aufgeklebten anthropometrischen Aufnahmen von zwei Frauen, Luf, Bismarck-Archipel, um 1906/07. In: Theye 1989: 53. Abb. 21: Max Weiß: Gestalt und Körperbau der Bakulina-Männer, n.d. [vor 1910]. In: Wiener 1990: 121. Abb. 22: Carl and Frederick Dammann: Ethnographical Photographic Gallery of the various Races of Men, 1875. In: In Visible Light 1997: 60/61. Abb. 23: Dorothea Lange: Migrant Mother, 1936. In: Wells 2000: 36. Abb. 24: Dorothea Lange: Migrant Mother, 1936, alternative versions. In: Wells 2000: 38. Abb. 25: Connie Hatch: briefing sheet für ›Unbekannte Frau‹. Aus: »Some Americans: Forced to Disappear«, 1990–91. In: Mistaken Identities 1992: 44. Abb. 26: Connie Hatch: close-up. Aus: »Some Americans: Forced to Disappear«, 1990–91. In: Mistaken Identities 1992: 45. Abb. 27: Connie Hatch: Forced to Disappear: A Display of Visual Inequity, 1987–88. Installationsansicht. In: The BiNational 1988: 107. Abb. 28: Connie Hatch: After the FACT … Some Women, 1989. Installationsansicht. In: Afterimage, Nov. 1989: 19. Abb. 29: Dave Lewis: Haddon Photographic Collection, Cambridge University Museum of Anthropology and Ethnography, 1995. In: Lewis o.J.: 12. Abb. 30: Dave Lewis: Haddon Photographic Collection, Cambridge University Museum of Anthropology and Ethnography, 1995. In: In Visible Light 1997: 65.
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Bildnachweise
Abb. 31: Dave Lewis: Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland, 1995. In: Lewis o.J.: 13. Abb. 32: Dave Lewis: Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland, 1995. In: Lewis o.J.: 13. Abb. 33: Albrecht Dürer: Der Zeichner des liegenden Weibes, 1538. In: Dürer. Das graphische Werk. Städelsches Kunstinstitut Frankfurt a.M., 14.05.– 04.07.1971, Frankfurt a.M., 1971. http://prometheus.uni-koeln.de/pandora/de/image/show/Image-heidicon_kg-c1ca33536881d95cf0bdfb79ce359035a1ffe5ab. Abb. 34: Man Ray: Monument à D.A.F. de Sade, 1933. In: Krauss, Rosalind: L’Amour fou. photography and surrealism. New York, 1985. http://prometheus.uni-koeln.de/pandora/de/image/show/Image-trier–8bfa2ec792457bbeaf8d99b800efdadd097b69de. Abb. 35: Carla Williams: Untitled. Aus: »How to Read Character«, 1990–91. In: Neumaier 1995: 180. Abb. 36: Carla Williams: Untitled. Aus: »How to Read Character«, 1990–91. In: Neumaier 1995: 181. Abb. 37: Titelseite von ›The Illustrated Annuals of Phrenology and Physiognomy for the Years 1865–6–7–8 and 1869‹, von S.R. Wells, 1869. In: Police Pictures 1997: 16. Abb. 38: Iké Udé: ohne Titel. Aus: »Celluloid Frames«, 1995. In: Inklusion : Exklusion 1997: 361. Abb. 39: Lorna Simpson: Dividing Lines, 1989. In: Simpson 1992: 33. Abb. 40: Lorna Simpson: Easy for Who to Say, 1989. In: Simpson 1992: 32. Abb. 41: Lorna Simpson: Sounds Like, 1988. In: Simpson 1992, Cover. Abb. 42: Lorna Simpson: Three Seated Figures, 1989. In: Simpson 1992: 29. Abb. 43: Carla Williams: Untitled. Aus: »How to Read Character«, 1990–91. In: Neumaier 1995: 178. Abb. 44: Albrecht Dürer: Proportionsstudie, 1507/09. In: Schoch u.a.: Albrecht Dürer – Das druckgraphische Werk, Band III, München 2004. http:// prometheus.uni-koeln.de/pandora/de/image/show/Image-trier-0e298b188cf07fb63416f45d4a4f226898394992. Abb. 45: Lorna Simpson: Guarded Conditions, 1989. In: Simpson 1992: 30/31. Abb. 46: Edwin Long: Der babylonische Heiratsmarkt, 1875. In: SchmidtLinsenhoff u.a. 2004: 46. Abb. 47: Edouard Manet: Déjeuner sur l’herbe, 1863. http://img75.imageshack. us/img75/7416/manet20vh0.jpg (zuletzt gesehen 01.03.2008). Abb. 48: Max Weiß: Watussi-Frauen, Deutsch-Ostafrika, um 1910. In: Ansichten vom Körper 1986: 43. Abb. 49: Carla Williams: Untitled. Aus: »How to Read Character«, 1990–91. In: Neumaier 1995: 179. Abb. 50: Léon de Wailly: Frontal View of Saartjie Baartman, the ›Hottentot Venus‹, 1815. In: Willis/Williams 2002: 149.
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Fotografie und ›Identität‹
Abb. 51: Nicolas Huet le Jeune: Profile view of Saartjie Baartman, the ›Hottentot Venus‹, 1815. In: Willis/Williams 2002: 149. Abb. 52: Lyle Ashton Harris, mit Renée Valerie Cox: Hottentot Venus 2000, 1994. Aus: »Lyle Ashton Harris: The Good Life 1994«. www.emory.edu/ ENGLISH/Bahri/HottentotVenus.html, last update 1998-05-19 (zuletzt gesehen 28.04.2004). Abb. 53: Renée Green: Sa Main Charmante, 1989. www.oberlin.edu/allenart/ collection/green_renee.html (zuletzt gesehen 28.04.2004). Abb. 54: Die Ekstase der Neugierigen oder die Schnürsenkel, 1815. In: AK Between Worlds, Voyagers to Britain 1700–1850, National Portrait Gallery, London. http://prometheus.uni-koeln.de/pandora/de/image/show/ Image-trier–33e5874d321371d73f3cc986c2cb8800040560c0. Abb. 55: Zeitungsfoto – Ambassador Skweyíya accepted the remains for South Africa, BBC News online, 2002-04-29. http://news.bbc.co.uk/2/low/ europe/1957240.stm (zuletzt gesehen 01.03.2008). Abb. 56: Unbekannter Fotograf: Portrait of a Nurse and Young Child, ca. 1850. In: Willis/Williams 2002: 129. Abb. 57: Thomas Easterly: Father, Daughters, and Nurse, ca. 1850. In: Willis/ Williams 2002: 133. Abb. 58: Carrie Mae Weems: and their daughter. Aus: »From here I saw what happened and I cried«, 1995–96. In: Weems 1998, Plate 44. Abb. 59: Carrie Mae Weems: Your Resistance… Aus: »From here I saw what happened and I cried«, 1995–96. In: Weems 1998, Plate 48. Abb. 60: Carrie Mae Weems: From here I saw …. Aus: »From here I saw what happened and I cried«, 1995–96. In: Weems 1998, Plate 24. Abb. 61: Carrie Mae Weems: And I cried. Aus: »From here I saw what happened and I cried«, 1995–96. In: Weems 1998, Plate 56. Abb. 62: Carrie Mae Weems: Magenta Colored Girl. Aus: »Colored People«, 1989–1990. In: Weems 1993, Plate 17. Abb. 63: Carrie Mae Weems: Chocolate Colored Man. Aus: »Colored People«, 1989–1990. In: Weems 1993, Plate 22. Abb. 64: Carrie Mae Weems: Golden Yella Girl. Aus: »Colored People«, 1989– 1990. In: Weems 1993, Plate 20. Abb. 65: Carrie Mae Weems: Violet Colored Girl. Aus: »Colored People«, 1989–1990. In: Weems 1993, Plate 21. Abb. 66: Carrie Mae Weems: Blue Black Boy. Aus: »Colored People«, 1989– 1990. In: Weems 1993, Plate 19. Abb. 67: Carrie Mae Weems: Burnt Orange Girl. Aus: »Colored People«, 1989–1990. In: Weems 1993, Plate 18. Abb. 68: Carrie Mae Weems: Honey Colored Boy. Aus: »Colored People«, 1989–1990. In: Weems 1993, Plate 23. Abb. 69: Pat Ward Williams: What you lookn at, 1992. In: Mistaken Identities 1992: 35.
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Bildnachweise
Abb. 70: James Luna: Half Indian/Half Mexican, 1991. In: Identity Crisis 1997: 52. Abb. 71: Dave Lewis: The Flag of Our Ancestors, 1985. In: British Photography 1988: 40. Abb. 72: Ezra Stoller: Blick in die Ausstellung »Family of Man« im Museum of Modern Art, New York, 1955. In: Back/Schmidt-Linsenhoff 2004: 93. Abb. 73: Mitra Tabrizian: Out of the Past. Aus: »The Blues«, 1986–87. In: The Blues, 1986–87. In: Tabrizian 1990, n.p. Abb. 74: Mitra Tabrizian: The Far Country. Aus: »The Blues«, 1986–87. In: Tabrizian 1990, n.p. Abb. 75: Mitra Tabrizian: Double Edge. Aus: »The Blues«, 1986–87. In: Tabrizian 1990, n.p. Abb. 76: Mitra Tabrizian: Danger Zone. Aus: »The Blues«, 1986–87. In: Tabrizian 1990, n.p. Abb. 77: Mitra Tabrizian: Persecution. Aus: »The Blues«, 1986–87. In: Tabrizian 1990, n.p. Abb. 78: Mitra Tabrizian: Her Way. Aus: »The Blues«, 1986–87. In: Tabrizian 1990, n.p. Abb. 79: Mitra Tabrizian: Exchange. Aus: »The Blues«, 1986–87. In: Tabrizian 1990, n.p. Abb. 80: Mitra Tabrizian: Lost Frontier. Aus: »The Blues«, 1986–87. In: Tabrizian 1990, n.p. Abb. 81: Mitra Tabrizian: The Interior. Aus: »The Blues«, 1986–87. In: Tabrizian 1990, n.p. Abb. 82: Standfoto aus ›Schrei nach Freiheit‹. In: TV Spielfilm, Nr. 10, 13.– 26.05.1995. Abb. 83: Helmut Newton: Selbstporträt mit seiner Frau June und Modellen, Vogue Studio, Paris 1981. In: Newton, Helmut: Portraits: Bilder aus Europa und Amerika. Mit einem Text von Klaus Honnef, Schirmer/ Mosel München, 1987, S. k. A., Abb. Nr. Taf. 14. http://prometheus.unikoeln.de/pandora/de/image/show/Image-imago-e7a1f0489f1eb2eea8ecc9ea360d05f7fc371389. Abb. 84: Renée Cox: Yo Mama and the Statue, 1993, Gelatinsilberdruck. In: Willis/Williams 2002: 152.
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Index A Adorf, Sigrid .....................................130 Ähnlichkeit..................25, 51, 52Fn2, 55, 58, 67, 68, 71, 89, 121, 150, 167, 190, 202, 204, 207 Ästhetik .............. 14, 16, 56, 70, 74, 91, 124, 131, 137, 139, 140, 151, 158, 181, 185, 186, 214, 241 schwarze .................................32Fn6 weibliche ........................... 32, 32Fn6 agency (s. auch Handlungsfähigkeit) .........................40, 40Fn20, 43Fn24 expository agency..................43Fn24 Akt .............109, 128, 129, 136, 138, 143, 151, 156 Alcoff, Linda .......................................41 Allegorie ........94, 127, 127Fn1, 136, 137, 156, 166, 167, 206Fn20, 233 Ambivalenz, ambivalent ........... 21, 26, 41, 55, 107, 108, 113, 122, 123Fn77, 124, 143, 163, 184, 185, 187, 188, 189, 190, 191, 193, 194, 196, 198, 202, 203, 204, 206, 214, 215, 217, 230, 233, 235 Andere, Anderer 14, 20, 22, 23, 25, 33, 34, 35, 38, 42, 47, 49, 50, 52Fn2, 53, 67, 68, 71, 77, 77Fn23, 84, 85, 95, 98, 100, 101, 107, 109, 113, 118, 120, 123, 124, 127, 128, 136, 137, 146, 169, 184,
185, 187, 188, 189, 193, 196, 197, 202, 203, 204, 205, 208, 209, 219, 231, 235, 237, 238, 239, 241 Anderson, Benedict........ 197Fn14, 202 Andrews, Benny ................................ 32 Angerer, Marie-Luise .........................19 anthropologische Wende..................17 Appignanesi, Lisa ...................208Fn25 Arbeiterfotografie ............................. 50 Archiv ..................................................... 61, 70, 76–96, 100–103, 107, 108, 114, 115, 116, 120–123, 168Fn42 Bildarchiv, Bild-Archiv ... 68, 69, 241 Foto-Archiv ..............................78, 81 Artikulation ....................................... 30, 31, 35, 37–39, 142, 181, 185, 186, 188, 190, 193, 195, 199, 204, 211, 219, 241 des Politischen ................. 24, 37, 39 fotografischer Evidenz, fotografische Evidenzartikulation 25, 49–54, 59, 67, 69, 94, 100, 102, 119, 122, 124, 126, 168, 239 politics of articulation ........... ..37, 38 Atelier........................................... 59, 82 Authentizität, authentisch ................... 32, 51, 55, 58, 90, 91, 92Fn47, 106, 124, 137, 157Fn31
273
Fotografie und ›Identität‹
B Baartman, Saartjie (s. auch Hottentotten-Venus) .....................158–167, 177 Bachmann-Medick, Doris .........27, 210 Back, Jean ............................95Fn51, 213 Bal, Mieke ..................43Fn24, 126Fn79 Barta, Ilsebill ..............................133Fn6 Barthes, Roland .............18, 21, 35Fn12, 55, 56, 57, 57Fn6, 58, 59, 67, 71Fn14, 108, 112, 119, 120, 121, 122, 132, 136Fn7, 141Fn17, 146, 167Fn40, 168Fn43, 201, 205, 213Fn30 Batchen, Geoffrey ....................... 54Fn3 Baumgart, Silvia........................ 136Fn6 Becker, Peter .............................79Fn30 Below, Irene ...............................185Fn2 Benjamin, Walter ................. 55Fn4, 56, 57Fn6, 97, 98, 98Fn56, 143, 197Fn11, 207Fn21 Berg, Eberhard .......................... 77Fn23 Berger, Renate..........................150Fn25 Bergermann, Ulrike ................142Fn20 Bertillon, Alphonse.............. 72, 78, 79, 79Fn29, 80Abb12, 82, 85, 85Fn40, 91, 103,120, 121, 203Fn19 Bewegung..................14, 18, 19, 20, 21, 34, 36, 37, 39, 43, 44, 51, 71, 77, 84, 113, 120, 123, 124, 147, 150, 152, 162, 172, 174, 181, 182, 185, 188, 189, 190, 193, 204, 205, 215, 233, 235, 239, 240 anti-kolonialistische Bewegungen . 137 Beweglichkeit ...... 20, 22, 33, 34, 48, 119, 186, 192, 196, 202, 204, 238 Bürgerrechtsbewegung ............... 59 doppelzügige Bewegung der Identifikation ............................ 34 Frauen-Bewegung ............33Fn7, 133 feministische Bewegungen ....33Fn7 Identitätsbewegungen (s. Identität) Neue soziale Bewegungen ...14Fn1, 33 politische Bewegungen................ 43 Bhabha, Homi K. ............15Fn3, 26, 27, 34Fn10, 35Fn14, 40, 47, 125Fn78, 137, 143, 184, 184Fn1, 187–211, 218Fn33, 232, 232Fn39, 233, 234, 235, 238
274
Bild ...............15, 16, 17, 20, 22Fn10, 26, 31Fn4, 34, 42, 45, 46, 51, 67, 68, 70, 71, 73, 79, 91, 98, 114, 139, 185 Bild von....... 21, 55, 94, 100, 107, 211 des Anderen...20, 33, 34, 77, 84, 85, 109, 124, 127, 189, 197, 205, 235 und Text..... 17, 23, 131, 146, 172, 176, 190, 192, 209, 215 Bild-Blick-Beziehung ....18, 100, 114, 119, 130, 132, 184, 238 Bild-Körper ............152, 154, 156, 238 Bild-Raum, Bildraum ......... 117, 169, 213, 215, 218, 219, 224, 225, 227, 229, 230, 232, 239 Bild-Sein, Bild-Werden ....67, 82, 84, 92Fn47, 94, 106, 107, 112, 149, 152, 165, 204 Bild-Status, Status-als-Bild ...16, 20, 20Fn8, 21, 25, 49, 53, 71, 95, 98, 127, 128, 133, 158, 237, 238, 239, 241 Bild-Typus/Typen-Bild ......53, 81, 84, 88, 89, 91, 96, 120, 203 Bildpolitik .................................... 102 Bildstatus des Weiblichen ....16, 94, 128, 136, 152, 181, 182, 208, 233 eigenes Bild, Selbst-Bild ........14, 16, 20, 45, 49, 50, 61, 77, 82, 106, 107, 144, 145, 165, 203, 237, 238 Frau als Bild ........... 16, 127, 130, 133, 136, 181 gemachtes Bild ................21, 55, 100 Idealbild...... 23, 34, 92Fn47, 95Fn51, 129, 150, 151, 157 paradoxe Präsenz fotografischer Bilder ..........................................21 Spiegelbild, Bild als Spiegel........ 34, 42, 103, 136, 225, 229 Bildrepertoire ..................23, 45, 76, 81, 100, 162, 165, 205, 186, 238, 241 Bildwissenschaft, Bilderwissenschaft ..........................17, 127, 133, 186, 238 Bischoff, Cordula .......................133Fn6 Bismarck, Beatrice von......................... 17Fn6, 185Fn2
Index
Blick .............. 15, 18, 42, 45, 46, 58, 59, 69, 88, 91, 92, 94, 95, 96, 100, 101, 112, 117, 123, 124, 139, 144, 152, 156, 163, 167, 169, 172, 181, 183, 184, 189, 192, 193, 195, 202, 204, 209, 214, 215, 216, 217, 219, 225, 226, 227, 229, 234, 237, 238, 239, 240, 241, 242 als Objekt klein a ..........................42 des Anderen.................... 34, 68, 118 interessierter Blick ...... 48, 240, 242 produktiver Blick, productive look ........................24, 45, 47, 48, 240 Boffin, Tessa....................... 98, 99Fn57 Bolton, Richard ......................... 69Fn11 Bovenschen, Silvia ......................32Fn6 Braidotti, Rosi ........................... 41Fn22 Brandes, Kerstin .... 142Fn20, 159Fn35, 166Fn39, 185, 207Fn21 Brecht, Bertolt.................46, 47, 97, 98 Breger, Claudia..........................194Fn8 Bronfen, Elisabeth ..................197Fn14, 198Fn15, 208Fn23/25, 234Fn40 Bryson, Norman ....................126Fn126 Burgin, Victor ........................................ 50, 54Fn3, 58, 69Fn11, 125, 126, 192Fn7, 214, 224, 226, 226Fn37, 227 Busch, Bernd ............................117Fn71 Butler, Judith .............15Fn3, 19Fn7, 26, 31Fn4, 32Fn5, 33, 33Fn7, 40, 41, 41Fn23, 43, 197Fn13 Butler, Susan ....................................214 C Cartier-Bresson, Henri .............215Fn31 Castro Varela, Maria do Mar .........195, 198Fn15 Clark, Kenneth..........................128, 129 Clifford, James ....... 90Fn46, 102Fn59, 123Fn76 Crimp, Douglas.........................78Fn28 Cox, Renée Valerie ........161Abb52, 163, 167, 228Abb84, 231
D Dekonstruktion ...............16, 19, 19Fn7, 20, 24, 29, 30Fn2, 40, 41, 41Fn23, 42, 43, 44, 54Fn3, 61, 76, 97, 98, 99, 124, 131, 133, 141, 142Fn19, 151, 157, 165, 168, 172, 181, 182, 184, 186, 193, 195, 199, 209,215, 227, 238, 239, 240,241 Dennett, Terry 50Fn1 Derrida, Jacques ............19Fn7, 26, 30, 30Fn2, 34, 34Fn11, 35, 36, 40, 71Fn14, 120, 126Fn79, 130, 131, 132, 145, 156Fn29, 175, 181, 196, 208,225, 238 Dhawan, Nikita ................ 195, 198Fn15 Differenz.................... 14, 14Fn2, 15, 16, 17, 19, 21, 22, 25, 26, 30–45, 49, 52Fn2, 53–56, 67, 71, 74Fn19, 78, 81, 84, 124, 130, 131, 133, 136Fn6, 138, 154, 167Fn41, 176, 177, 185–196, 199, 202, 204–207, 213, 219, 232–234, 237, 238 différance ...........33, 34, 35, 36, 36Fn16, 120, 196 Diskursanalyse, diskursanalytisch ............. 69, 73, 73Fn17, 77Fn25, 100 Döring, Tobias ..........................194Fn8 Dokumentarische, das (s. auch Fotografie) ...........72, 74, 74,Fn19, 75, 91, 94, 98, 113, 119, 125 Douglas, Mary ........................ 202Fn18 Dubois, Philippe ......50, 54Fn3, 57Fn6, 58, 69, 70, 71, 71Fn14, 112, 117Fn71, 121, 121Fn74, 122, 122Fn75, 131, 132, 180, 215, 224, 225 Dürer, Albrecht ...............111Abb33, 117, 117Fn71, 118, 152, 153Abb44 Duro, Paul ..................................130Fn3 Dyer, Richard..............................136Fn7 E Eco, Umberto ............ 54Fn3, 56Fn5, 74 Edwards, Elizabeth ............ 22, 69Fn11, 81Fn33, 82Fn34, 85Fn38/39/40, 88, 88Fn41, 89, 89Fn42, 203Fn19 Eiblmayr, Silvia ........16, 32Fn6, 127Fn1, 133Fn6 Emanzipation, emanzipatorisch .....18, 31, 41, 41Fn23, 43, 180, 230, 238, 240 Engel, Antke ..... 30Fn3, 32Fn5, 43Fn24
275
Fotografie und ›Identität‹
Ent/Fixieren ...17–27, 30, 37, 41, 44, 47, 53, 54, 59, 71, 101, 112, 124, 127, 128, 133, 142, 149, 181–186, 198, 205, 233, 235, 237–242 Entstellung .......67, 67Fn9, 68, 71, 120, 121Fn3, 125, 202, 204, 206, 211, 227 Essenzialismus, essenzialistisch .....13, 24, 29, 30, 41, 177, 194, 240 strategischer ............43, 44, 44Fn28 Ethnie .................................................. 31 Ethnizität, ethnisch.......... 13, 14, 15, 17, 32, 35, 36Fn15, 43, 88, 107, 127, 136, 138, 139, 180, 184, 185, 191, 203, 207, 211, 213, 218, 231, 233, 237 Evidenz .......49–54, 71, 73Fn17, 74, 90, 114, 119, 124, 238, 239 Evidenzartikulation (s. Artikulation) fotografische .........24, 25, 50, 51, 53, 57, 59, 68, 75, 76–99, 100, 119, 168, 238 Objekt-Evidenz .........53, 68, 102,122 Zeit-Evidenz ..............53, 68, 102,122 Existenzweise .............................. 32, 84 F Falkenhausen, Susanne von ..... 17Fn4, 136Fn6 Familienalbum ......... 51, 59, 61, 73, 189 Fanon, Frantz ...........145, 174, 191, 194, 195, 204, 206, 211, 218, 229, 230, 232, 232Fn39, 233 Faris, James C. ........................ 203Fn19 Fausto-Sterling, Anne ..............158Fn32 Feminismus .........................33Fn7, 207 feministische Kunst ...................................129, 208 Kunstgeschichte, Kunstwissenschaft .... 15, 32, 41Fn21, 45, 97Fn54, 117, 127, 128, 129, 133, 133Fn6, 151, 184, 186 Theorie .............. 15, 17, 18, 31, 33, 41, 41Fn23, 57Fn6, 127, 136, 141Fn17, 159, 197, 207 Fetisch, Fetischismus 163, 165, 167, 167Fn41, 190, 191, 193, 198, 199, 202, 206, 206Fn20, 214, 215, 226, 227 Fixierung, fixieren
276
(s. auch Stillstellen) .......... 15–21, 23, 24, 26, 34, 35, 39, 40, 43, 48, 49, 77, 84, 100, 103, 112, 116, 118, 119, 122, 125, 128, 130, 133, 136, 138, 144, 146, 154, 165, 181, 184, 185, 188, 190, 192, 193, 194, 197, 202, 205, 219, 233, 237–241 ›fixity‹, concept of .............................187 Flax, Jane ................................... 41Fn22 Foster, Hal .................................78Fn28 Fotografie ............ 12, 17, 18, 21, 22, 49, 51, 52, 55, 57, 59, 84, 96, 102, 112, 119, 120, 122, 213, 226, 227, 229, 241 als Erinnerungsbild ....... 61, 67, 100, 115, 120, 121, 143, 174 als Kunst........................................ 72 als Schnitt .......21, 128, 132, 150, 157, 181, 214, 215, 225, 235, 238, 239 als Spiegel ...........21, 71, 95, 98, 122, 171Fn14, 224Fn35, 225, als ›Identitätsausweis‹ .... 22, 23, 25, 50, 54, 74, 75, 102, 199, 202, 235, 238, 239 als Zeit-Bild ...........................119, 121 anthropologisch-ethnografische Fotografie ........ 25, 49, 60, 72, 75, 76, 82, 85, 88, 91, 109, 117, 123, 145, 151, 152, 156, 201 dokumentarische/sozialdokumentarische, Dokumentarfotografie..... 25, 49, 59, 72, 73, 74, 75, 90–99, 123, 125, 168, 241 doppelter Status .....55, 150, 152, 180 Fotografie von ................................81 fotografischer Diskurs...... 18, 21, 25, 47,49–59, 61, 69, 74, 102, 124, 184, 235, 238, 239, 242 Gebrauchsweisen .......25, 50, 54, 55, 67, 69, 71, 75, 90, 100 Geschichte .....49, 53, 69, 72, 73, 74, 77, 90, 92, 107, 123, 199, 224, 237 Historiografie, historiografisch ..69, 70, 72, 73, 100 Paradox der ...............21, 56, 121, 124 punctum ............. 56, 59, 68, 71Fn14, 102, 108, 112, 115, 124 Realismus ................................ 57, 98
Index
Singularität ........................50, 54, 70 Spur (s. dort) studium ..................... 56, 58, 115, 121 Theorie ... 13, 17, 18, 49–59, 237, 238 Verbrecherfotografie .......25, 49, 72, 75, 76, 82, 85, 201, 224 Wahrheit ............. 50, 78, 89, 96, 98, 102, 124 Fotografische, das ....22, 25, 50, 52, 53, 70, 102, 115, 119, 124, 131, 211, 219, 225 Fotojournalismus ................ 49, 73, 90 Fotomontage, Foto-Montage, Foto-TextMontage .......... 13, 21, 23, 61, 97, 98, 98Fn56, 112, 137, 152 Foucault, Michel ......35, 40, 41, 42, 54, 73Fn17, 76, 77, 78, 128Fn2, 141Fn17, 146, 149, 151, 188 Fraser, Jean......................... 98, 99Fn57 Frau als Bild (s. Bild) fremd ............ 16, 18, 23, 46, 47, 49, 61, 77Fn23, 175, 176, 185, 193, 196, 197Fn11, 202 Freud, Sigmund ............ 57Fn6, 67Fn9, 71Fn14, 102, 119, 121Fn73, 174Fn45, 190Fn5, 192, 192Fn7, 194, 199Fn16, 202, 219, 226 Friedrich, Annegret......136Fn6, 137Fn9 Fritsch, Gustav..............85Fn38, 88, 89 Fuchs, Martin............................ 77Fn23 G Galton, Francis.... 72, 78, 79, 80Abb13, 81Fn33, 82, 85, 88,91 Gay, Paul du ...............................35Fn14 Geimer, Peter .......................52, 73Fn16 Gender ...................... 26, 33Fn7, 35, 136 Geschlecht ................. 13–19, 31, 32, 35, 41Fn21, 45, 61, 77Fn24, 85Fn38, 117, 127, 130, 133, 136, 136Fn6, 138, 139, 146, 150, 151, 158, 163, 180Fb52, 185, 186, 190, 196, 197Fn13/14, 199, 205– 213, 218, 226, 227, 229, 230, 231, 232, 233–235, 237 Gilman, Sander ................................158 Ginzburg, Carlo ........................79Fn29 Godby, Michael ..........................82Fn35 Golden, Thelma .......................183, 184
Golding, Andy .................................. 211 Gramsci, Antonio ............................. 39 Green, David .............. 75Fn20, 76Fn21, 79Fn21, 79Fn31, 203Fn19 Green, Renée ....161Abb53, 163, 165, 167 Grenze (s. auch Rahmen) ......... 26, 27, 30, 34, 37, 39, 42, 47, 53, 71, 73Fn16, 79, 81, 91, 96, 126, 127, 128, 130, 137, 144, 147, 156, 168, 175, 181, 183, 188, 194, 195, 235, 238, 239, 240 Grenzkörper, Grenz-Körper .......128, 167, 181, 239 Grenzziehung ....26, 39, 43, 78Fn27, 116, 128, 130, 131, 204 Grimm, Sabine...........................41Fn27 Groebner, Valentin .................176Fn46 Gümen, Sedef ..............................33Fn7 Gumpert, Lynn................................. 141 H Haehnel, Birgit ..................185Fn2, 207, 207Fn22 Hagner, Michael .............. 145, 145Fn22 Hall, Stuart ..... 22, 24, 29–43, 197Fn14 Handlungsfähigkeit (s. auch agency) ............................24, 30, 42, 210, 240 politische ...........................40, 41, 42 visuelle............................... 40, 41, 45 Handlungsmächtigkeit .. 42,43Fn24 Hanke, Christine ....................... 78Fn27 Hark, Sabine.............. 14Fn1, 31, 37Fn18 Harris, Lyle Ashton .......161Abb52, 162, 163, 165, 167 Hatch, Connie ..... 16, 25, 100–107, 112, 115, 119–124, 126, 240, 241, 242 Hegemonie, hegemonial 16, 32, 37, 39, 40, 102, 139, 185, 189, 197, 202, 205, 209 Hentschel, Linda .......117, 128, 128Fn2, 130Fn3 Heterosexualität, heterosexuell...... 16, 33, 41, 129, 206, 227, 230, 231 Hockings, Paul ................................ 109 Hölz, Karl ...................................185Fn2 Hoffmann-Curtius, Kathrin .... 136Fn6, 150Fn25 Holert, Tom........................................25
277
Fotografie und ›Identität‹
Holland, Patricia ......................... 50Fn1 Holschbach, Susanne ................ 54Fn3 Holzer, Jenny ........ 208, 209, 209Fn26 hooks, bell ..........31Fn4, 33Fn7, 136Fn8 Hottentotten-Venus, die (s. auch Baartman, Saartjie) ..............158–180, 182 Hull, Gloria T............................. 136Fn8 Huxley, T.H. ...... 82,Fn35, 85, 86Abb18, 152 Hybridität, hybrid .... 88, 137, 195–208, 219, 224, 227, 233, 235, 240 I iconic turn...........................................17 Identifikation ..... 15, 20, 23, 24, 29–39, 43–47, 91, 101, 107, 128, 159, 162, 165, 166, 172, 174, 176, 187, 191–198, 201, 203, 210–213, 217, 219, 233, 240 Identifikationsangebot .... 33, 35, 99, 123, 219 Identifizierbarkeit, identifizieren ........ 51, 60, 67, 72, 75, 77, 78, 84, 95, 106, 115, 120, 147, 187, 199 Identität, ›Identität‹ .......12–27, 29–48, 49, 51, 71, 75, 76, 81, 98, 99, 101, 103, 124, 137, 138, 143, 147, 166, 175, 188, 190–198, 203, 204, 208, 211, 213, 219, 229, 232–241 Identitätsbegriff ..24, 30, 33, 41, 240, Identitätsbewegungen ...14, 14Fn1, 32 Identitätsdebatte ......................... 31, 41 Identitätskategorien .......32, 35, 36, 43, 45, 77Fn24, 202 Identitätspolitik (s. Politik) kollektive Identität ...................29, 31 ›schwarze‹ .........59, 61, 123, 159, 189 identity-at-a-distance ................... 47 Imaginäre, das .............. 33, 34, 151, 191 indexikalisch .... 18, 24, 49, 85, 95, 120, 122, 132, 165, 166 Indexikalische, das......... 21, 22, 50, 54, 55, 59, 69, 70, 71, 71Fn14, 79Fn32, 96, 100, 102, 108, 125, 225, 239 Indexikalität ........................................... 50, 56, 57, 58, 70, 71, 74, 124, 240 Irigaray, Luce ...... 41Fn21, 197Fn13, 207
278
Iversen, Margaret ................ 57Fn6, 58, 98Fn56, 108, 112, 114 J Jagose, Annamarie...................... 30Fn3 James, Joy .....................................33Fn7 Jones, Amelia .............................35, 129 Jones, Kellie ..................... 177Fn49, 214 K Kaufhold, Enno ................................. 22 Kemp, Wolfgang ..... 139, 139Fn13, 140, 140Fn15 Kirsh, Andrea ........................... 180, 181 Körper (s. auch Bild) ......18, 45, 75–85, 91, 100, 101, 108, 109, 126, 127, 137, 149, 159, 218, 226, 229, 239 fragmentierter .........23, 24, 150–157 ›ganzer‹ .................150–157, 162, 167 Körperbild, Körper-Bild .........78, 88, 116–118, 127–133, 137, 138, 143, 158, 163, 165, 166, 181, 204, 206, 229, 231, 238, 239 Körperbild-in-Bewegung.... 181, 182, 201 Kolonialismus, kolonialer Diskurs .......123, 166, 167, 174, 176, 184, 187, 188, 190, 191, 192, 195, 201, 202, 204, 206, 207, 232 konstitutives Außen ............ 16, 26, 32, 32Fn5, 145 Kracauer, Siegfried ..................... 57Fn6 Krauss, Rosalind E. .........50, 52, 55, 56, 58, 69, 70, 71, 78Fn28, 81, 84, 97Fn55, 98, 102, 118, 131, 132, 172Fn44, 182, 225 Kristeva, Julia..............................73Fn18 Kruger, Barbara ........ 12–24, 208, 209, 211, 234 Kuleschow, Lew Wladimirowitsch ...... 98Fn56 Kunstfotografie .......59, 60, 72, 73, 90, 140Fn16 Kunstgeschichte ........... 17Fn4, 68, 69, 113,Fn66, 114, 114Fn68, 118, 126Fn79, 129, 130Fn3, 132,Fn5, 143, 150, 185
Index
L Lacan, Jacques ........21, 22Fn10, 23, 33, 33Fn8, 34Fn9, 35, 41, 42, 45, 45Fn30, 47, 67, 68, 84Fn37, 101, 112, 114, 115, 151, 164, 196, 204, 210, 216, 230 Laclau, Ernesto ........ 24, 32Fn5, 37, 38, 38Fn19, 39 Lamprey, John ... 85, 86Abb19, 117, 118, 152, 188 Lange, Dorothea ........ 93Abb23/24, 92 Lauretis, Teresa de .......32Fn6, 41Fn22 Lewis, Dave .......... 16, 25, 26, 100–119, 122–126, 186, 199–205, 235, 240, 241 Leyda, Jay ...................................98Fn56 Lindner, Ines ...... 45Fn29, 97Fn54, 133, 133Fn6, 136Fn6, 151 Liss, Andrea ............ 101Fn58, 107, 168, 168Fn42, 175 Lorde, Audre .................. 33Fn7, 41Fn21 Loreck, Hanne............................. 17Fn6 Lummerding, Susanne..............32Fn6, 40Fn20 Luna, James .....16, 26, 186, 200–204, 235, 241 M Macht............31, 35, 39, 40, 42, 75, 94, 95, 96, 102, 137, 140Fn14, 149, 151, 186, 188, 190, 192, 213 Machtverhältnisse ...........15, 19, 32, 35, 39, 42, 71, 96, 142, 186, 187, 194, 195 Macht/Wissen .......42, 73Fn17, 76, 94, 96, 100, 151, 156, 192 Major, Clarence ..................176Fn47/48 Männlichkeit, männlich ....... 16, 33, 41, 52Fn2, 61, 108, 109, 117, 129, 136, 137Fn10, 145, 165, 167, 183, 189, 199Fn16, 201, 203, 205, 206, 209, 227, 229, 230, 232, 234 Marin, Louis .....................................132 Marius, Benjamin ....................198Fn15 Maseko, Zola........................... 162Fn36 McCauley, Anne ........................ 69Fn11 McClintock, Anne ................33Fn7, 137, 137Fn10, 206, 207, 232Fn39 Medialität, medial..... 16, 17, 21, 22, 23, 25, 26, 27, 47, 48, 50, 54, 57, 69, 74,
75, 81, 84, 97, 103, 106, 117, 121, 122, 124, 131, 136Fn6, 137, 143, 144, 149, 152, 154, 157, 180, 181, 185, 186, 190, 193, 205, 213, 224, 225, 226, 237, 238, 241 medialer Spielraum ........... 124–126, 127, 235,239 medienarchäologisch ............... 54, 238 Mendgen, Eva ......................... 142Fn19 Mercer, Kobena..193, 211, 213, 219, 233 Metonymie der Präsenz ...229, 232, 233 Metz, Christian ....54Fn3, 121, 121Fn74, 166, 167Fn40/41, 214 Miller, Nancy K. ........................141Fn17 Mimikry ......... 197–199, 204–207, 210, 211, 217, 230, 232 mise en abîme, mises en abîme ..... 137, 138, 225 Morden, Terry ....... 74Fn19, 90Fn43/45 Morell, Renate.............................32Fn6 Mouffe, Chantal ... 24, 32Fn5, 37, 38, 39 Multikulturalismus .................... 13, 195 Mulvey, Laura.............127Fn1, 226Fn37 N Nähe-Distanz .....24, 33, 46, 47, 48, 71, 95, 116, 118, 172, 190, 193, 219, 240 Nation .........35, 137, 202, 203, 206, 213 Naturalisierung .... 14, 15, 23, 31, 32, 35, 98, 114, 117, 151, 192, 201 Nead, Lynda .......................128, 128Fn2 Neumaier, Diane ......................138Fn11 Newhall, Beaumont..................69Fn11, 74Fn19, 90Fn44, 91 Niethammer, Lutz ...................... 29Fn1 O Objekt .................15, 20, 25, 34, 42, 45, 50, 51, 53, 54, 68, 71, 73, 77, 79, 81, 95, 98, 100, 102, 107, 109, 112, 114, 115, 116, 118, 119, 122, 124, 129, 137, 151, 152, 154, 159, 163, 164, 165, 166, 175, 188, 190, 191, 192, 193, 196, 202, 203, 215, 227, 232, 233 Off ..................................... 131, 224, 225 Othering ............................ 77Fn23, 194 Owens, Craig .... 68Fn10, 141, 224, 225
279
Fotografie und ›Identität‹
P Panofsky, Erwin ........................ 113, 114 Parergon (s. auch Grenze, Rahmen) .........26, 128, 130, 143, 181, 238, 239 Peirce, Charles Sanders .....55, 126, 132 Personenfotografie, Porträtfotografie ...........21, 23, 49, 51, 73, 82, 84, 103, 122, 145, 241 perverse space ........................ 224, 226 photography en abyme ...................224 pictorial turn ......................................17 Pinney, Christopher ........... 85Fn38, 118 Plumpe, Gerhard .................... 224Fn35 Pörksen, Uwe .............................. 29Fn1 Pointon, Marcia ...... 129, 140Fn15, 156, 156Fn29 Politik ....... 14, 17, 22, 30, 32, 36, 37, 38, 41, 42, 43, 56, 90, 102, 124, 145, 209 der Differenz ............................36, 37 der Repräsentation, Repräsentationspolitik......... 20, 38, 42, 45, 49, 77, 149, 235, 238, 240 visuelle................... 18, 235, 238, 240 Bildpolitik .................................... 102 Blickpolitik ....................................163 Identitätspolitik ........ 27, 33, 38, 202 Sichtbarkeitspolitik ...............125, 133 politics of articulation (s. Artikulation) politisch ..... 16, 18, 24, 27, 31, 38, 41, 44, 45, 159, 181, 192, 194, 197, 211 politische Kunst .............................16 politische Waffe ............................ 50 politisches Handeln .............. 48, 96 politisches Spektakel ................. 166 Politische, das ................ 37, 38, 96, 211 Artikulation des Politischen (s. Artikulation) Pollock, Griselda ..........32Fn6, 34Fn10, 141Fn17 Pornografie, pornografisch.......59, 60, 61, 73, 128, 130, 157, 241 Porträt...........20, 23, 49, 51, 52, 60, 61, 67, 68, 79, 82, 88, 89, 91, 92, 95, 101, 103, 107, 109, 113, 115, 119, 121, 122, 138, 139, 140, 142, 143, 144, 145, 147, 168, 169, 172, 175, 176, 189, 224, 227, 233, 241
280
Pose ............. 51, 67, 68, 69, 72, 82, 88, 91, 92, 100, 109, 129, 144, 201, 205, 214, 226, 230 Positur ...............................................68 Postkolonialismus ... 136, 137, 184, 185, 202, 207 postkolonial .......15, 27, 159, 166, 199, 204 postkoloniale Theorie ...... 17, 30, 31, 35, 145, 184, 185, 186, 194, 195, 199, 235, 237 postkolonialistisch .................. 17, 18 Poststrukturalismus ..........................17 Preziosi, Donald .............. 113Fn67, 114, 114Fn68, 115, 140Fn14 Price, Derrick.............. 74, 90Fn43, 94, 99Fn57 Pritsch, Sylvia ................202, 206, 207, 207Fn21, 210 Projektion ......... 20, 35, 46, 60, 84, 85, 103, 113, 154, 166, 191, 193 Projektionsfläche .....15, 16, 89, 94, 95, 113, 129, 136, 137, 162, 175, 233 Psychoanalyse, psychoanalytisch ...15, 18, 23, 33, 45, 46, 47, 54, 56, 58, 73, 114, 133, 151, 194, 196, 204, 206, 211, 226 Q quaestio ............................................. 32 queer .......................................15, 30Fn3 R Rahmen, Rahmung (s. auch Grenze) ..........14, 26, 39, 59, 61, 82Fn35, 84, 89, 90, 91, 94, 114, 116, 117, 118, 127–133, 137–143, 147, 149, 150, 156, 157, 166–169, 172, 175, 181, 204, 224, 235, 238, 239 Goldrahmen............... 109, 138–140, 143–146, 152, 158, 162 ›Rasse‹, race ........15, 32, 35, 45, 60, 85, 88, 99, 136, 138, 147, 158, 190, 202, 203, 205, 207, 211, 218, 229, 233 Rassismus .........154, 167, 187, 232Fn38
Index
Raum ........ 14, 26, 42, 91, 113, 125, 127, 130, 133, 136, 140, 151, 154, 164, 174, 180, 185, 186, 193, 196, 210, 211, 218, 225, 226, 227, 239, 240 kultureller Spielraum.........196, 234, 235, 239 Möglichkeitsraum ...............40, 240 politischer Raum .................. 20, 197 Raum und Zeit .......21, 22, 33, 53, 55, 70, 119, 121, 174, 215, 225, 230, 231 Zwischenraum, Zwischen-Raum (s. auch Third Space) ...... 34, 184, 193, 194, 195, 196, 229 Rebentisch, Juliane ................... 41Fn22 Referent .. 21, 24, 49, 52, 55, 57, 58, 69, 70, 71, 74, 81, 89, 94, 100, 118, 120, 121, 124, 166, 172Fn44, 241 Referenz........ 74, 89, 120, 121, 152, 166 Regener, Susanne ........ 52Fn2, 77Fn77, 82, 82Fn35 Repräsentation ..........14, 15, 19, 33, 35, 37, 42, 45, 50, 70, 76, 77, 81, 96, 97, 118, 125, 127, 132, 162, 184, 185, 187, 213, 237, 238, 240 fotografische .........98, 101, 102, 119, 120, 149, 234 visuelle........ 15, 17, 20, 21, 33, 37, 38, 45, 100, 133, 137, 138, 145, 150, 165, 180, 181, 187, 189, 193, 199, 204, 205, 211, 234, 235, 240 Politik der Repräsentation, Repräsentationspolitik (s. Politik) Rian, Jeff ...................................154Fn27 Rogoff, Irit ...............106Fn60, 142, 185 Rose, Jacqueline............208, 208Fn25, 209, 209Fn26, 211 Rosen, Jeff .......140, 140Fn16, 141, 142, 142Fn18 Rosler, Martha .............50, 74Fn19, 92, 92Fn47, 94, 95, 95Fn50, 98, 99, 123, 123Fn77 Rüdiger, Anja ......................44, 44Fn28
S Sagne, Jean........................................49 Said, Edward ............194, 195, 197Fn14 Schade, Sigrid ...... 16, 17Fn4/6, 32Fn6, 41Fn21, 52Fn2, 55, 59, 67, 68, 68Fn10, 69, 72, 106, 112, 117, 121Fn73, 130, 130Fn3, 133, 133Fn6, 136, 137, 150Fn25, 151, 152, 209Fn26 Schaffer, Johanna...............46Fn31, 187 Schiebinger, Londa .............158Fn32/33 Schmidt, Gunnar ................. 79Fn31/32 Schmidt-Linsenhoff, Viktoria ...95Fn51, 136Fn7, 138Fn11, 185Fn2, 213Fn30 Sekula, Allan .............49, 50, 54Fn3, 55, 55Fn4, 69Fn11, 72, 75Fn20, 76, 77, 77Fn24/25, 78, 78Fn27, 79, 79Fn31, 81, 82, 88, 96Fn53, 97Fn55, 98, 99 Selbst .............14, 18, 20, 23, 33, 34, 35, 40, 43, 46, 47, 49, 61, 77, 92, 107, 121, 144, 163, 175, 176, 196, 203, 210, 219, 226, 227 Selbst-Gefühl .................................35 Selbst-Sein .................................... 47 Selbstheit ...................................... 45 Semiologie, semiologisch... 18, 54Fn3, 56, 73, 126Fn79, 133, 201 Semiose ............................................126 Sexualität, Sexualisierung ..........32, 35, 39, 129, 138, 139, 149, 151, 156, 157, 158, 163, 166, 226, 227, 230 Shapiro, Meyer ......................... 139Fn13 Sharply-Whiting, T. Denean ........33Fn7 Sichtbarkeit ......... 14, 16, 17, 20, 23, 25, 40, 42, 43, 49, 50, 51, 53, 56, 67, 68, 74, 75, 77, 81, 82, 88, 100, 101, 102, 106, 107, 109, 112, 117, 125, 133, 143, 149, 156, 159, 163, 165, 166, 172, 189, 190, 191, 192, 202, 204, 209, 210, 227, 237, 238, 239, 240 Paradox der Sichtbarkeit ........ 15–16, 193, 209 Sichtbarmachung .......21, 25, 45, 56, 79, 101, 102, 118, 168, 209 Unsichtbarkeit......16, 20, 21, 23, 90, 95, 101, 106, 107, 109, 115, 117, 124, 136, 147, 150, 169, 172, 174, 175, 191, 209, 211, 226, 237, 239, 241
281
Fotografie und ›Identität‹
Un/Sichtbarkeit.......... 100, 102, 116, 118, 119, 122, 164, 175, 209 Signifikation ......... 15, 36, 39, 164, 190, 204, 239, 242 Resignifikation ............................ 142 Signifikantenkette ........... 34, 35, 196 Signifikantennetz ................... 56, 112 Signifikationssystem ............ 131, 137 Silverman, Kaja ..............23, 24, 33Fn8, 34, 35, 39, 42, 45–48, 58, 59, 68Fn10, 81, 84, 115Fn69, 124, 240 Simpson, Lorna ...........16, 26, 133, 137, 138, 139, 142, 146, 148Abb39–42, 149, 150, 152, 154, 155Abb45, 156, 157, 164, 167, 175, 182, 241 Sokolowski, Thomas W. ......... 177Fn49 Solomon-Godeau, Abigail ........ 13, 20, 23Fn11, 50, 54Fn3, 69Fn11, 72, 74, 75Fn20, 90, 91, 94, 95, 96–99, 101Fn58, 107, 125, 140Fn16, 149, 154, 157, 177Fn49, 211, 219, 229, 232Fn38 Sontag, Susan ..................119Fn72, 120 Spence, Jo.................................... 50Fn1 Spiegelstadium ............ 33, 42, 151, 196 Spivak, Gayatri Chakravorty ......24, 43, 44, 197Fn12/14, 207Fn22 Spur.............. 21, 23, 24, 26, 34, 40, 47, 52, 55, 70, 71Fn14, 74, 100, 101, 107, 120, 122, 126, 154, 166, 181, 189, 193, 195, 196, 225, 229 Squiers, Carol............................ 69Fn11 Stabile, Carol A. ........................ 41Fn22 Starl, Timm ............................... 69Fn11 Stereotyp .................. 34Fn10, 184, 186, 187–198, 199, 232, 235 des black male, schwarzen Mannes ................................. 184, 186, 199 koloniales ....184, 186, 190, 191, 198, 199, 202 Steyerl, Hito .............................. 74Fn19 Stillstellung..............18, 21, 39, 119, 121, 123, 166, 181, 195, 214, 215, 231, 233, 240, 242 film still ...................................23, 214 Stryker, Roy.................... 91, 94, 95Fn51 Subjekt (s. auch Andere/r) ....... 14–19, 22, 26, 30–34, 40–51, 68, 71, 76, 81,
282
84, 85, 88, 90, 91, 96, 98, 99, 100, 106, 108, 112–116, 128, 133, 136, 137, 138, 143, 145, 151, 159, 177, 190, 193, 196, 204, 205, 210, 211, 216, 219, 237, 238, 241 Dekonstruktion des...............40–42 schwarzes ... 32, 37, 61, 68, 230, 232 postkoloniales............ 202–204, 235 Subjektifizierung.........188, 196, 208 Subjektivation ............................... 30 Subjektkonstituierung .......... 20, 21,' 23, 33, 41, 68, 114, 151, 189, 190, 191, 229 Subjektposition...........19, 31, 32, 42, 43, 44, 115, 116, 143 Subversion, subversiv 19, 31, 61, 67, 96, 130, 142, 151, 169, 181, 197, 209, 211 symbolische Ordnung, das Symbolische 33, 34, 133, 137, 195, 196, 226, 227 T Tabrizian, Mitra .................. 16, 26, 186, 208Fn24, 211–215, 220Abb74– 223Abb81, 224, 225, 227, 230, 231, 233, 234, 235, 241, 242 Tagg, John ........ 49, 50, 57, 58, 69Fn11, 72, 73Fn17, 74Fn19, 75Fn20, 76, 77, 82, 90, 91, 92Fn47, 94, 95, 96, 97Fn55, 98, 99, 100, 131 Theye, Thomas ........... 85Fn38, 88Fn41 Third Space (s. auch Raum, Zwischenraum) ............... 26, 27, 125Fn78, 183, 184, 186, 193, 194–198, 199, 204, 205, 207, 213, 235, 238, 239 Dritter Raum ......... 27, 184, 186, 187, 194–198, 199, 207Fn21, 208, 209, 211, 215, 229, 235, 239, 240 Tholen, Georg Christoph ........... 17Fn4 Tickner, Lisa ..............................141Fn17 to-be-looked-at-ness ............127, 127Fn1 Traber, Christiane ............................139 Trinh, T. Minh-ha ........37Fn17, 197Fn14
Index
U übersetzen, Übersetzung .........27, 40, 94, 123, 129, 152, 184, 185, 197, 198, 199, 205, 207Fn21, 208, 210, 211, 235, 238 Udé, Iké.................. 134Abb38, 145, 146 Uerlings, Herbert ......................185Fn2 Unentscheidbarkeit .24, 193, 196, 198, 209, 211, 214, 215 Unheimliche, das 71Fn14, 102, 116, 118, 123, 202 V Visuelle, das .....16, 25, 40, 41, 42, 184, 185, 186, 204, 208, 235 Feld des Visuellen ......... 24, 29, 112, 133, 136, 184, 185, 186, 198, 216, 235 W Wagner, Frank ..........................213Fn30 Warth, Eva ..................................136Fn7 Watney, Simon ............................ 50Fn1 Weems, Carrie Mae ...... 16, 26, 59–68, 69, 71, 75, 85, 101, 124, 133, 168–181, 182, 241, 242 Weiblichkeit ...........26, 32, 94, 127, 133, 158, 167, 208, 209, 211, 229, 231, 233, 234, 239 schwarze .........26, 127, 154, 162, 181 Weibliche, das......... 16, 94, 128, 137, 181, 206 weiß ..........16, 33, 41, 60, 107, 127, 136, 137, 145, 147, 151, 158, 167, 174, 176, 189, 205, 211, 216, 218, 227, 229, 230, 231, 232, 233 Wells, Liz ...........................................94 Wenk, Silke .............. 16, 17Fn6, 41Fn21, 73Fn18, 94, 113Fn66, 117, 127Fn1, 128Fn2, 130, 130Fn3, 133Fn6, 136, 136Fn6, 137, 137Fn9, 150Fn25, 151, 166, 167Fn41, 206Fn20 West, Cornel ...................... 35Fn14, 197 West, Shearer .................. 140, 140Fn14 Wiegman, Robyn .......136Fn8, 138Fn11, 158Fn32/33, 177Fn49 Wiener, Michael ....85Fn38, 88, 88Fn41
Williams, Carla .......16, 26, 60Fn8, 133, 135–146, 149, 150–153, 157, 158–162, 165, 167, 175, 182, 241 Williams, Pat Ward .....16, 26, 183, 186, 187–193, 199, 200Abb69, 204, 235, 240, 242 Willis, Deborah .......................... 60Fn8 Wolf, Herta .........................................53 Wollrad, Eske..............................136Fn7 Woodward, Kathryn.....................32Fn5 Z Zeit (s. auch Evidenz, Zeit-Evidenz; Raum, Raum und Zeit) .....55, 57, 61, 67, 68, 100, 101, 120, 122, 144, 146, 149, 156, 166, 242 verzeitlichen.................. 119, 123, 157 Zentralperspektive......... 22, 47, 55, 76, 94, 101, 112–119, 123, 124, 126, 151, 163, 216, 218, 219, 240 Zimmermann, Anja .... 130Fn3, 150Fn25 Zweigeschlechtlichkeit .....32, 151, 206, 227
283
Studien zur visuellen Kultur Antke Engel Bilder von Sexualität und Ökonomie Queere kulturelle Politiken im Neoliberalismus 2009, 258 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-915-2
Barbara Paul, Johanna Schaffer (Hg.) Mehr(wert) queer – Queer Added (Value) Visuelle Kultur, Kunst und Gender-Politiken – Visual Culture, Art, and Gender Politics 2009, 248 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1057-4
Sigrid Schade, Silke Wenk Studien zur visuellen Kultur Eine Einführung November 2010, ca. 160 Seiten, kart., ca. 16,80 €, ISBN 978-3-89942-990-9
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Studien zur visuellen Kultur Johanna Schaffer Ambivalenzen der Sichtbarkeit Über die visuellen Strukturen der Anerkennung 2008, 200 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-89942-993-0
Philipp Weiss Körper in Form Bildwelten moderner Körperkunst Oktober 2010, ca. 232 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1550-0
Anja Zimmermann Ästhetik der Objektivität Genese und Funktion eines wissenschaftlichen und künstlerischen Stils im 19. Jahrhundert 2009, 254 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-860-5
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Studien zur visuellen Kultur Sigrid Adorf Operation Video Eine Technik des Nahsehens und ihr spezifisches Subjekt: die Videokünstlerin der 1970er Jahre 2008, 400 Seiten, kart., zahlr. Abb., 36,80 €, ISBN 978-3-89942-797-4
Silke Büttner Die Körper verweben Sinnproduktion in der französischen Bildhauerei des 12. Jahrhunderts November 2010, ca. 324 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1544-9
Marion Hövelmeyer Pandoras Büchse Konfigurationen von Körper und Kreativität. Dekonstruktionsanalysen zur Art-Brut-Künstlerin Ursula Schultze-Bluhm
Tanja Maier Gender und Fernsehen Perspektiven einer kritischen Medienwissenschaft 2007, 280 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-89942-689-2
Corinna Tomberger Das Gegendenkmal Avantgardekunst, Geschichtspolitik und Geschlecht in der bundesdeutschen Erinnerungskultur 2007, 362 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,80 €, ISBN 978-3-89942-774-5
Yvonne Volkart Fluide Subjekte Anpassung und Widerspenstigkeit in der Medienkunst 2006, 302 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-89942-585-7
2007, 284 Seiten, kart., zahlr. Abb., 30,80 €, ISBN 978-3-89942-633-5
Jennifer John, Sigrid Schade (Hg.) Grenzgänge zwischen den Künsten Interventionen in Gattungshierarchien und Geschlechterkonstruktionen 2008, 200 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-89942-967-1
Renate Lorenz Aufwändige Durchquerungen Subjektivität als sexuelle Arbeit 2009, 236 Seiten, kart., zahlr. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1196-0
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