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German Pages 312 Year 2014
Stefan Meier Visuelle Stile
Edition Medienwissenschaft
meiner wunderbaren Gefährtin Chris und unserer Tochter Meret-Elina
Stefan Meier (PD Dr. phil. habil.) lehrt Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Tübingen und der Technischen Universität Chemnitz. Er ist zudem Berater und Coach für Unternehmen, Universitäten und Designer im Bereich visuelle Image-Kommunikation. Seine Forschungschwerpunkte sind visuelle Kommunikationsforschung, Mediensemiotik, qualitative Design- und Online-Forschung sowie medienvermittelte Pop(ulär)kultur.
Stefan Meier
Visuelle Stile Zur Sozialsemiotik visueller Medienkultur und konvergenter Design-Praxis
Vielen Dank an die HabilitationsgutachterInnen Klaus Sachs-Hombach (Tübingen), Claudia Fraas (Chemnitz), Hartmut Stöckel (Salzburg), Guido Zurstiege (Tübingen) und Joachim Knape (Tübingen).
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2014 transcript Verlag, Bielefeld
Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: © Stefan Meier, Leipzig 2012 Lektorat & Satz: Stefan Meier Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-2698-8 PDF-ISBN 978-3-8394-2698-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
Inhalt
0. Was das Buch will | 9 1. Einleitung | 15
ZUM P ROGRAMM 2. Semiotik und Visual Culture Studies | 31
2.1 Visual Culture Studies als Forschungsperspektive | 34 2.2 Sozialsemiotik als Forschungsperspektive | 39 2.3 Visual Culture Studies in den Medien- und Kommunikationswissenschaften | 44 2.4 Visuelle Stile als Gegenstand einer sozialsemiotischen Visual Culture Forschung | 46 2.5 Visuelle Stile: Monomodale Reaktion oder Ausweitung im Zuge einer digitalen Mediatisierung? | 51 2.6 Schlussfolgerungen: Visuelle Stilanalyse als kritische Medienanalyse | 54
ZUR THEORIE 3. Der Stil-Begriff | 63
3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7 3.8
Der soziologische Stil-Begriff | 66 Der philosophische Stil-Begriff der Ästhetik | 73 Der kunstwissenschaftliche Stil-Begriff | 78 Der designwissenschaftliche Stil-Begriff | 87 Der literaturwissenschaftliche Stil-Begriff | 98 Der (sozio-)linguistische Stil-Begriff | 102 Der (sozial-)semiotische Stilbegriff | 112 Schlussfolgerungen: Interdisziplinäre Integrationen | 125
4. Medientheoretische Konzepte | 131
4.1 Medialität und Materialität | 132 4.2 Fotografie zwischen Materialität und Digitalität | 136 4.3 Mediale Rahmungen und Mediendispositive | 144
4.4 4.5 4.6 4.7
Mediale Kommunikationsformen und Genres | 155 Intermedialität und Medienkonvergenz | 171 Mediatisierung und konvergente Medienkultur | 174 Schlussfolgerungen: Visuelle Stile in der digitalisierten Medienkultur | 179
ZUR METHODOLOGIE 5. Visuelle Stile als kontextbedingte multimodale Praxis | 187 5.1 Visual Framing | 189 5.2 Das Stil-Modell | 197 5.3 Stil-Praxis als zeichenhafte Auswahl | 201 5.4 Stil-Praxis als zeichenhafte Formung | 211 5.5 Stil-Praxis als zeichenhafte Komposition | 223 5.6 Schlussfolgerung: Die visuelle Stilanalyse | 245 6. Fazit und Illustrationen | 265 Literatur | 281
„Diese Körperanschauung ist nicht die Folge des Stils, sondern umgekehrt der Stil ist die Folge der Körperanschauung.“ MAX KLINGER (1899)
Eigene Darstellung: Klingerbrücke in Leipzig Clara-Zetkin-Park
0. Was das Buch will
Das vorliegende Buch fokussiert die bedeutungsstiftende Stilistik visueller Kommunikation und schlägt dabei disziplinäre, begriffliche, methodische und mediale Brücken. Es setzt Medien-, Kommunikations-, Kunst- und Designwissenschaft sowie Linguistik und Soziologie über einen sozialsemiotischen Stil-Begriff methodologisch in Beziehung. Damit geht es einen Schritt weiter, als es bisher eine trans- bzw. interdisziplinär ausgerichtete Bildwissenschaft (Sachs-Hombach 2004, 2005, Schulz 2005, Mitchell 2009), die Visual Culture Studies (Mirzoeff 1999, Elkins 2003) und/oder eine visuelle Medien(kultur)forschung (Holert 2005, Müller 2007, Grittmann/Amman 2009, Petersen/Schwender 2011, Lobinger 2012) verfolgt haben. Es beschränkt sich nicht auf die (Weiter-)Entwicklung eines integrativen Bildbegriffs oder auf die Analyse von Bildern in ihren gesellschaftlichen und/oder (massen-)medialen Gebrauchskontexten. Vielmehr betrachtet es jede Form visuell wahrnehmbarer Artefakte in ihren bedeutungsstiftenden Interdependenzen. Im Zentrum steht die medienvermittelte ‚visuell wahrnehmbare Kommunikation‘ (folgend als ‚visuelle Kommunikation‘ bezeichnet). Hierfür bilden die Medien- und Kommunikationswissenschaften das disziplinäre Zentrum, wobei für eine stärkere Etablierung der Visual Culture Studies in diesen disziplinären Zusammenhängen geworben wird. Während in angloamerikanischen Ländern die Visual Culture Studies (oder Visual Studies) bereits zu eigenen Studiengängen und Instituten geführt hat (vgl. Elkins 2003), ‚liegt sie etwas quer in der deutschen Wissenschaftslandschaft‘ (vgl. Holert 2005, Schade/Wenk 2011). Im Kapitel zwei wird ihr jedoch eine vergleichbare Integration in Aussicht gestellt, wie es den Cultural Studies in den Medien- und Kommunikationswissenschaften (vgl. Hepp 2009) sowie der Soziologie (Winter 2003, Hepp/Winter 2006) gelungen ist. Mit der Einarbeitung von soziologischen, linguistischen und sozialsemiotischen Konzepten ist wiederum eine Konkretisierung des bisher sehr heterogen vorliegenden Begriffsinstrumentariums der Visual Culture Studies beabsich-
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tigt (vgl. Kap. 2.-2.4). Ziel ist es somit zunächst ein Programm vorzustellen, das die stilistische Gestaltung visueller Artefakte als Forschungsgegenstände einer visuellen Medienkultur bestimmt. Zur theoretischen Fundierung des Forschungsprogramms werden anschließend die Stil-Begriffe aus den einzelnen Kultur- und Sozialwissenschaften zusammengetragen (vgl. Kap. 3.-3.7) und diese zu einer interdisziplinären Konzeption visueller (Medien-)Stile integriert (vgl. Abschnitt 3.8). Desweiteren knüpft die Schrift an einschlägige medientheoretische Perspektiven an, die mit dem entwickelten Stil-Begriffen in Passfähigkeit gebracht werden (vgl. Kap. 4). Die Medientheorie lässt die medialen Bedingtheiten in den Blick treten, die bedeutungsstiftend auf die stilistische Gestaltungspraxis einwirken. Der ebenfalls aufgenommene kultursoziologische Impetus liefert die nötige Fokussierung auf die sozialen Praktiken und Funktionen. Visuelle Stile werden so als Ergebnis von (sozialen) Design-Praktiken konzeptualisiert. Gestaltung lässt sich aus solcher Perspektive als habituelle Akte der Vergemeinschaftung thematisieren und zeigt mögliche Bedeutungszuschreibungen von Symbolhandlungen unter besonderer Berücksichtigung ihrer medial-materialen Beschaffenheit auf. Mit Hilfe linguistischer Stil-Konzepte wird zudem die Kommunikation als interaktive Konstruktion von Identität und sozialer Beziehungsstiftung bestimmt. Hierdurch ist Kommunikation als multimodales Zeichenhandeln zu verstehen, die im Zusammenspiel mit den jeweiligen Kontexten in konkreter Produktion und Rezeption ihre Bedeutungsrealisierungen erfahren. Paradigmatisch, begrifflich und methodisch wird der beschriebene transdisziplinäre Komplex durch eine sozialsemiotische Perspektive integriert, die eine Kommunikationsbzw. Designtheorie der Multimodalität zur Verfügung stellt (vgl. Kress/Leeuwen 2001, Leeuwen 2005, Kress/Leeuwen 2006, Leeuwen 2008, Kress 2010). Die Einarbeitung kunst- und designtheoretischer Ansätze verhilft im dritten Teil mediale Kommunikate in ihrer konkreten visuellen Gestaltung zu erfassen. Gestaltungselemente wie Linie, Form, Farbe, Perspektive und Arrangement werden so in ihrer zeichenhaften und symbolisierenden Funktion analysierbar. Dies wird in Kapitel fünf methodologisch begründet und schließlich in den Entwurf einer visuellen Stilanalyse medialer Kommunikate überführt (vgl. Abschnitt 5.6). Das vorliegende Buch will somit medienkulturelle Gestaltung visueller Kommunikation transdisziplinär konzeptualisieren und als sozialsemiotischen Ansatz der Visual Culture Studies (Abschnitt 2.3) in die Medien-, Kommunikations- und Designwissenschaft positionieren. Die Schrift will mit der eingenommenen Perspektive außerdem mediale Brücken schlagen, indem sie visuelle Stile als ein Hauptelement zur Stiftung von Medienkonvergenz ansieht (vgl. Fraas/Meier/Pentzold 2010, Kap. 6). Da Kon-
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vergenzentwicklungen im engen Zusammenhang mit der fortschreitenden Digitalisierung stehen (vgl. Abschnitt 4.2), liefert der Blick auf visuelle Stile einen wichtigen Beitrag, kulturelle Auswirkungen der digitalen Revolution besser fassen zu können. Die gleiche Herstellung von Form und die gleiche Verwendung von Farbe in und für unterschiedliche(n) Medien bzw. digitale(n) Ausgabegeräten schaffen transmediale Wiedererkennung und stiften kommunikative Bezüge zueinander. In der Wirtschaftskommunikation stellen sie ein crossmedial vermitteltes Image her, das als Coporate Identity oder Branding konzeptualisiert ist. In der Fankommunikation lässt die visuelle Anspielung auf markante Formung und Farbgebung des Lieblings(fußball)vereins, der favorisierten Film- oder Comicfiguren sowie Produktmarken das kommunikative Vergemeinschaftungsangebot erkennen (vgl. Kap. 6). Auch transmediale politische Kommunikation ist durch gemeinsame Form und Farbgebung als einheitsstiftendes kommunikatives Mittel eingesetzt. Damit ist einheitliche visuelle Stilistik als erstes Element von Transmedialiät anzusehen. Erst im darauffolgenden Rezeptionsakt ist auch die linear-sprachlich organisierte Anspielung auf andere Medieninhalte erkennbar. Visuelle Stile sind somit als das eigentliche Signal von Inter- bzw. Transmedialität sowie Medienkonvergenz zu betrachten, das transmediale Narrationen verursachen kann (vgl. Kap. 6).
Lesehinweis Gegenstandsbedingt enthält das Buch zahlreiche Abbildungen zur Analyse, Veranschaulichung und Illustrierung visueller Stile. Druckbedingt sind diese in Schwarz-weiß gehalten. Damit wird die besondere Funktion von Farbgebung als Element visueller Stilistik ungerechtfertigterweise unterschlagen. Aus diesem Grund finden sich die zentralen Grafiken auf der Website des Autors in ihrer farbigen Ursprungsversion wieder. Sie sind abgelegt unter der URL: http://www. konnotation.de/visuelle_stile. An selbiger Stelle findet die Leserin bzw. der Leser weiteres Material zur hier ausgeführten Thematik. Der vorliegende Text muss nicht unbedingt chronologisch gelesen werden. Er behandelt mit den einzelnen Kapiteln unterschiedliche Gegenstandbereiche, die durch bestehende Schnittstellen strategische Redundanzen enthalten. So stellt die Einleitung (Kap. 1) bereits das für diese Arbeit zentrale Stil-Modell in seinen groben Zügen vor. Kapitel fünf nimmt das Modell wieder auf und vertieft seine Darstellung anhand konkreter Beispiele. Es wendet sich den Besonderheiten der einzelnen Stil-Praktiken Auswahl, Formung und Komposition zu, die in der vorliegenden Studie als bedeutungsstiftende (Medien-)Gestaltungshandlungen kon-
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zeptualisiert werden. Außerdem verknüpft Kapitel fünf diese mit dem heuristisch wertvollen Konzept des Visual Framing auf mehrfache Weise. Während im Kapitel zwei eine eigene sozialsemiotische Ausformung der Visual Culture Studies vorgenommen wird, weist Kapitel drei glossarische Züge auf. Es führt die einzelnen Stil-Begriffe auf, die in den unterschiedlichen Disziplinen je nach Gegenstandsbereich zu besonderen Spielarten ausgestaltet wurden. So kann der/die Lesende sich auch einzelnen Unterkapiteln zuwenden, wenn sie oder er eine bestimmte disziplinäre Stil-Auffassung kennenlernen will. Das Kapitel belässt es allerdings nicht bei der rein additiven Auflistung, sondern bleibt auch hier mit der Entwicklung eines integrativen Stil-Begriffs dem ‚Konzept des Brückenschlagens‘ verpflichtet. Im Abschnitt 3.8 werden in diesem Sinne Gemeinsamkeiten der einzelnen Stil-Konzeptionen herausgearbeitet und für die hier fokussierten visuellen (Medien-)Stile dienstbar gemacht. Kapitel vier bietet medientheoretische Reflexionen zur Herstellung visueller Stile an. Es skizziert einige in den Medien- und Kommunikationswissenschaften etablierte Medien-Begriffe und prüft, inwiefern diese für die Konzeptualisierung visueller Stile nutzbar sind. Dabei stellt sich heraus, dass das dynamisch-dialektische Verhältnis zwischen soziokulturellen Konventionalisierungen und materiellen Bedingungen medialer Infrastrukturen für die Prägung visueller Stile entscheidend ist. Im Sinne des Brückenschlagens werden die Konzepte in Kapitel fünf schließlich mit der Weiterführung des Begriffs der medialen Kommunikationsform und des Genres zusammengeführt und für die visuelle Stilistik anwendbar gemacht. Schlussfolgernd werden daraus Analysefragen entwickelt, die eine visuelle Stilanalyse zu leiten haben. Sie bilden einen Fragekatalog, der die statische und bewegte visuelle Kommunikation hinsichtlich ihrer stilistischen Ausprägung systematisch untersuchen lässt. Das Kapitel schließt ab mit konkreten Beispielanalysen. Sie setzen die entwickelte Verfahrensweise der visuellen Stilanalyse prototypisch um. Kapitel sechs bündelt schließlich als Fazit die vorgenommenen paradigmatischen, wissenschaftsprogrammatischen, begrifflichen und methodologischen Ausführungen. Dabei geht es insbesondere auf die transmediale Medienkommunikation ein. Es zeigt sich in diesem Zusammenhang deutlich, inwiefern visuelle Stile als Hauptelemente der Konvergenzstiftung dienen. Diese Sichtweise wird an unterschiedlichen populärkulturellen intermedialen Wanderphänomenen dargestellt. Als letzter Hinweis an dieser Stelle sei erwähnt, dass die gesamte Schrift im generischen Maskulinum verfasst wurde. Das hat sprachökonomische Gründe und soll nicht als ‚verweigerter Brückenschlag‘ zu feministischen Sprachansät-
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zen gelesen werden. Der Autor hält im Gegenteil sprachpolitische Impulse zur Kenntlichmachung jeder Form von Geschlechtlichkeit und Geschlechterbeziehungen für wichtig. Aufgrund der Länge des vorliegenden Textes und seiner angestrebten Lesbarkeit wurde jedoch bevorzugt eine geschlechtsneutrale Form gewählt.
1. Einleitung
Was haben die Fernsehköche Jamie Oliver, Johann Lafer und Horst Lichter mit Batman, Spiderman sowie Lasten-, Fixie-Fahrrädern und Kinderwagen gemeinsam? Sie alle sind Designphänomene, die in ihrem medial-materialen Vorkommen und ihrer Formgebung sowie Komposition Stil aufweisen. Sie ‚treten‘ als individuelle Spielarten musterhaft-konventionalisierter Figurationen in unterschiedlichen medialen, kulturellen und situativen Kontexten auf und dienen in Abhängigkeit dieser Settings einer adressatenorientierten, funktionalen und identitätsstiftenden kommunikativen Praxis (vgl. Kap. 5). Beispielsweise unterwandert Jamie Oliver (und seine deutschsprachigen Pendants Tim Mälzer und Ralf Zacherl) mittels Freizeitkleidung und lockerer Umgangssprache die bis dato gängige professionelle und distanzierte Fernsehkoch-Stilistik eines Paul Bocuse (Meier 2013a). Oliver, Mälzer und Bocuse waren und sind crossmedial präsent in Form von Kochshows, Fernseh- und PrintWerbung, Kochbüchern, Websites, Verpackungsdesigns, Smartphone-Apps etc. Dabei dienen sie jeweils in ihrer unterschiedlich stilisierenden Performanz als stereotypische Projektionsflächen für unterschiedliche kulturelle Wertigkeitszuschreibungen und Inszenierungsmöglichkeiten des Essens und damit verbundenen Lebensstilentwürfen. Oliver und Mälzer verkörpern gegenüber Bocuse quasi einen stilistischen Generationswechsel des kulinarischen Lifestyles (vgl. Kap. 3.1, 3.7). Die Sendungen und Bücher des österreichischen Sterne-Kochs Johann Lafer und des Rheinländers Horst Lichter adressieren demgegenüber eher den ,kulinarischen Mainstream‘. Sie bringen durch die Kleidung (ausgewählte modische Kochkleidung) und Kompetenzinszenierung Johann Lafers die ‚Hochkultur des Essens‘ mit der ‚Hausmannskostkultur‘ eines Horst Lichters, markiert durch Schürze, Freizeithemd und rheinischer Akzentuierung, zusammen. Batman und Spiderman haben bekanntlich ihre Ursprünge im Bereich des Superhelden-Comics und sind seitdem auf ‚intermedialer Wanderschaft‘ durch Animations-, Realfilme und Computerspiele, Plakat-Werbung, DVD-Cover,
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Merchandising-Produkte, Websites (Meier 2010a). Sie dienen als Spielzeugfiguren oder Aufdruckmotive von Bällen, Windeln und Bettzeug (vgl. Kap. 6). Sie sind Mittel einer populären und konvergenten Medienkultur (vgl. Kap. 4.5) zur Stilisierung von Konsumverhalten und Geschmacksausrichtung, identitätsstiftender Selbstinszenierung und/oder dienen als gemeinschaftsstiftende Erkennungsmerkmale und Impulsgeber von Fankultur. Ähnlich verhält es sich mit der Nutzung und medial-materialen Inszenierung von Fahrrädern. Diese können robust und schwer als Lasten-Räder gefertigt oder leicht und minimalistisch als Fixie-Bikes gestylt sein. In beiden Fällen dienen sie nicht nur der Funktion des Transports von Mensch und Last auf zwei Rädern, sondern geben Auskunft über die Identität des Fahrers bzw. Besitzers. Dabei ist es egal, ob man diesen Geräten in Gebrauch oder abgestellt, in medialen oder außermedialen Welten begegnet. Je nach Wissensstand und kontextueller Situation drängen sich dem Betrachter stereotypische Identitätszuschreibungen auf, die im ersten Fall eine Grundaffinität oder sogar eine programmatische Nutzung des Fahrrads unterstellen lassen. Die mögliche Beschwerlichkeit des Transports von gewichtigen Gütern mit dem Fahrrad wird hierbei der vermeintlich leichteren Beladung und Fortbewegung mit Hilfe eines motorisierten Gefährts vorgezogen. Der Fahrer kann sich einer Auffälligkeit gewiss sein, da sein Fahrrad-Typ weniger häufig im öffentlichen Raum vorkommt als zum Beispiel das TrekkingRad. Ähnlich verhält es sich mit der Nutzung eines minimalistisch ausgestatteten Fixie-Bikes. Zwar hat dieses Zweirad die Gewichtsreduktionen des Rennrads durch Weglassung von Schutzblechen, Kettenkasten, Gepäckträgern etc. gemeinsam. Allerdings steht hierbei weniger die Steigerung möglicher sportlicher Geschwindigkeitsoptimierung im Vordergrund als vielmehr eine designorientierte visuelle Klarheit und Fokussierung auf die Formschönheit von Rahmen, Lenker und Räder. Selbstredend, dass auch das Aussehen des Fahrers dadurch in den Vordergrund rückt. Dieser bewegt sich mit seinem ‚Schönwetterrad‘ zumeist durch den urbanen (weil gepflasterten und publikumsträchtigen) Raum, nutzt seine materialbedingte Geschwindigkeitsmöglichkeit je nach wirkungsvoller Selbstinszenierung. Umwelt- und Stilbewusstsein werden hiermit stereotypenorientiert kommuniziert. Auch die vermeintlich rein auf Funktionalität ausgerichtete Gestaltung von Kinderwagen ist alles andere als lifestylefern. Naturbelassene Materialien, metallener Retro-Schick, minimalistische Ausstattung, Radstand, Farbgebung, Klobigkeit vs. Eleganz etc. geben je nach Wissensstand und kultureller Ausrichtung dem Verkäufer, Käufer und Betrachter Auskünfte über Stilbewusstsein, Funktionalitätspräferenz, Umweltbewusstsein bzw. Fürsorgeselbstverständnis der Eltern. Der Kinderwagen liefert über Material, Formgebung, kontextbezogene
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Nutzung und Komposition stereotypenbezogen Hinweise auf die Identität sowie soziale bzw. kulturelle Orientierung der Mutter oder des Vaters. In diesem Fall erscheint es ebenfalls unerheblich, ob der Kinderwagen als indexikalische Synekdoche zur Anzeige von Elternschaft in medialen Kommunikationsformen (Film, Zeitung etc.) genutzt wird oder als Phänomen außermedialer Wirklichkeit auftritt. Material und Formgebung geben jedem Artefakt nicht nur Gestalt und Funktion, sondern dienen der kommunikativen Identitätsstiftung und sozialen Verortung des Nutzers als (medienkonvergente und hier insbesondere) visuelle (vgl. Kap. 2) Kultur-Praxis. Materiale Gestaltung und mediale Inszenierungen sind als Hauptgegenstände einer medien- und designwissenschaftlichen Populärkulturforschung zu betrachten. Sie integrieren die Konzepte Materialität, Medialität und Performativität als Grundbedingungen einer identitäts- und sozialitätsorganisierenden Stil-Praxis, der sich diese Arbeit sozialsemiotisch nähert. Performativität Visuelle Stilisierung wird in dieser Arbeit als performative Praxis der Identitätskonstruktion und Beziehungsstiftung betrachtet. Der Ursprung des Begriffs der Performativität ist gemeinhin mit der Sprechakttheorie Austins verbunden (vgl. Butler 1991, Fischer-Lichte 2004, Krämer 2004). Austin (2002: 29) beschreibt darin performative Äußerungen als Handlungsvollzüge, die vertragliche und/oder deklaratorische Sprachhandlungen darstellen. Neben dem WAS der Handlung als Wirklichkeitsvollzug ist mit dem Begriff der Performativität auch das WIE verbunden. Damit ist die Erweiterung der Perspektive auf nichtsprachliche Äußerungen wie visuelle Kommunikate sowie ihre stilistische Gestaltung angeregt. Prominent verbunden ist diese Sichtweise mit Butler (1991), die Geschlecht nicht als ontologisch, biologisch oder prädiskursiv, sondern als performative Herstellung von Identität begreift. Diese kulturelle (und leibliche) Praxis ist als Ergebnis von Sozialisation zu verstehen, die sich im sprachlichen und körperlichen Verhalten nicht nur äußert, sondern immer wieder neu hervorgebracht wird. Ein solches Verständnis korrespondiert mit dem in dieser Arbeit zu begründenden Begriff des Stils. Er wird hier als eine sozialisierungsmotivierte (jedoch nicht determinierte) Äußerungs- und Verhaltensform verstanden. Butler spricht selbst von performativen Stilisierungen, die auch zur Subversion hegemonialer Gender-Identitäten bzw. -Stile eingesetzt werden können (vgl. ebd.: 198). Dabei verweist sie auf kulturelle Queer-Praktiken wie der Travestie, die sich über die Wahl stereotypisch weiblich markierter Kleidungstile und Verhaltensweisen äußert.
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Mit Fischer-Lichte wird insbesondere der Aufführungscharakter von Performativität herausgestrichen. So ist der Akt der Eheschließung neben dem Wirklichkeitsvollzug eine Präsentation unter Zeugen, also Publikum (vgl. FischerLichte 2004: 32). Sie betont den Vergleich, den Butler zwischen Verkörperungsbedingungen und Theateraufführungen vollzieht (ebd.: 39). FischerLichte fordert: „Es bietet sich daher an, eine Ästhetik des Performativen im Begriff der Aufführung zu fundieren.“ (ebd.: 41) Dies veranlasst sie, Performativität im Sinne einer Theatralität zu begründen, die zwischen Textvorlage und inszenierter Theateraufführung unterscheidet. Sie bezieht sich auf das wiederkehrende Ritual, das in einer Abfolge von Aufführungen einer gleichen Textvorlage besteht und doch durch die räumlich-situative Aktion der Schauspieler und Interaktion mit dem Publikum ein Aufführungsunikat darstellt. Dieser Gedanke korrespondiert mit dem hier verfolgten sozialsemiotischen Stil-Begriff als designtheoretisches Konzept (vgl. Kap 3.4). Kress und van Leeuwen (2001) unterscheiden zwischen Design und Produktion in ähnlicher Weise. Während das Design die Blaupause darstellt, also eine maßstabsgerechte Vorlage für bestimmte Formgebung und Funktionen von Artefakten bildet, vollzieht die Produktion eigene Spielarten dieses Design-Entwurfs (vgl. Kap. 3.7). Diese Spielarten sind in ihrer Varianz jedoch je nach Produktionsablauf eingeschränkt. Subjektive Aneignungen des Design-Entwurfs, die in der handwerklichen Produktion von Unikaten verwirklicht werden, lassen sich so mehr mit den Aufführungen von Fischer-Lichte vergleichen als mit der maschinellen Herstellung möglichst identischer Waren. Willems (2009: 82) sieht in Fischer-Lichtes Begriff der Theatralität als Handlungsaufführungen in Interaktion mit dem Publikum eine Semiotisierung der schauspielenden Körper, die er als Stilisierung begreift. Sie verkörpern eine Rolle durch kommunikative Inszenierung ihrer selbst. Die Parallelisierung zu dem inszenierenden Charakter von jugendlichen Subkulturen des 20. Jahrhunderts, wie sie bereits Hebdige (vgl. 1995) beschreibt, ist naheliegend (vgl. Kap. 3.1). In diesem Sinne verweist Willems (2009: 129) auf Hahn (1986), der Stile als absichtsvolle Kommunikation versteht. Sie vollziehen sich durch die Wahl bestimmter Materialitäten (vgl. Gumbrecht/Pfeiffer 1995) wie Kleidung, Sprachund Körperperformanzen oder Bildinszenierungen zur Expression und Demonstration bestimmter Zugehörigkeit und Haltungen (vgl. Kap. 3.8). Eine vergleichbare kommunikationssoziologische Auffassung von Stil liegt dieser Arbeit ebenfalls zugrunde. Dabei wird vor allem die konkret medial hergestellte und visuell wahrnehmbare kommunikativ-materiale Gestaltetheit von Medien- und Designprodukten fokussiert (vgl. dazu Zurstiege/Schmidt 2001, Kap. 2.3, 2.5, 2.6).
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Stilisierungen als performative Akte unterliegen demzufolge neben ihrer Variantenvielfalt auch Beschränkungen. Die (Inter-)Aktanten müssen sich an bestehende Stil-Muster, -Kodes, -Konventionen oder habituelles Verhalten bestimmter Gemeinschaften orientieren, um entweder Zugehörigkeit oder Abgrenzung sowie Innovation verständlich markieren zu können. So kann vom Produzenten auch unbewusst realisiertes Verhalten vom Rezipienten mit Bedeutung belegt werden, was es zeichenhaft werden lässt. In diesem Sinne sieht sich beispielsweise ein Lehrer zu einer schlechteren Notengebung veranlasst, wenn er mit einer schwer leserlichen Handschrift konfrontiert wird. Zu hohe Abweichungen von Angemessenheitsvorstellungen bestimmter sozialer Gruppen und Handlungsfelder können somit zu Sanktionen führen. Stil erlangt nur im rezipierenden Vergleich mit latenten Stil-Mustern soziale Bedeutung (vgl. Kap. 3., 3.8). Wo kein mit ähnlichen Performanz-Erfahrungen vergleichender Interpret ist, da ist auch keine Stil-Zuschreibung. Diese Muster- bzw. Ritual-, Interaktions- und Kontextbedingtheit von Stil gleicht der Performativitätskonzeption von Krämer (2004), die mit Verweis auf Butler und Derrida von der „iterabilisierenden Performativität“ (ebd: 14) spricht. Ihre folgende Definition von Performativität lässt sich somit auch auf Stilisierung als inszenierende Gestaltungshandlungen übertragen: „,Performativität‘ zielt also darauf, dass die Wiederholung von Zeichenausdrücken in zeitundraumversetzten neuen Kontexten – eine Wiederholung, welche erst die Allgemeinheit im Gebrauch dieser Ausdrücke stiftet – zugleich eine Veränderung der Zeichenbedeutung bewirkt.“
Materialität, Medialität und Performativität als zeichenhafter Lifestyle Stil lässt sich demnach als performativer Handlungsvollzug verstehen, der zum einen situativ Wirklichkeit herstellt, der zum anderen aber auch als repräsentierendes Zeichen zu nutzen ist, indem er als Verweis zu vergangenen Praktiken gelesen wird. Damit stellt diese Arbeit die Repräsentationsfunktion von Zeichenhaftem nicht gänzlich in Frage, wie es häufig in der Performativitätstheorie verfolgt wird (vgl. Krämer: 17). Vielmehr ist Stil-Praxis als performative Zusammenführung von Anspielungen auf diskursiv und mimetisch hergestellte soziale Muster und situative und individuelle Modifikation zu verstehen. Deklarieren, Präsentieren/Darstellen und Zeigen sind die Hauptfunktionen (visuellen) Zeichenhandelns, das sich ereignishaft materialisiert und muster- bzw. codeorientiert interpretieren lässt.
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Die Materialisierung von Zeichen und deren stilistische Gestaltetheit werden durch Medien hergestellt. Medien dienen der sinnlichen Wahrnehmbarkeit bzw. Phänomenologisierung von Zeichen. Gleichzeitig dienen sie als Zeichenvermittler und als Zeichenspeicher. Sie machen das performative In-Szene-Setzen des Stils auf bestimmte medial-materialisierende Weise verfügbar (vgl. Abschnitt 4.1, 4.4, 4.6). Dabei können im Medienumgang zwar alle Formen der Ausdrucksmittel zu Medien definiert werden wie die Darstellungsmodalitäten Sprache, Schrift, Bild etc., Kommunikationsformen wie Theater, Oper, Film bis zu technischen Medien wie Computer, Fernsehen, Internet. Entscheidend dabei ist jedoch, dass Medien von den Zeichenausdrücken bzw. Signifikanten unterschieden und dabei als Instrumente der Wahrnehmbarmachung zeichenhafter Aufführungen betrachtet werden. Eine vermeintliche Gleichsetzung von Zeichenausdrucksebene und Medium (Jäger 2004, Krämer 2004: 19) erscheint demgegenüber problematisch (Nöth 1998), da sie für die performative Stilisierung keinen semiotischen Freiraum lässt. Medien fungieren vielmehr als soziokulturell konstituierte Zeichenmaterialisierungsdispositive. Sie prägen die performative Zeichengestaltung, determinieren sie jedoch nicht. So gibt die mediale Kommunikationsform (vgl. Kap. 4.3) Fernsehsendung zwar die Verwendung audiovisueller Zeichenhaftigkeit vor, das mediale Genre Kochshow bringt aber desweiteren studiotechnische-, inhaltlichebzw. redaktionsbedingte Rahmungen für die Inszenierung des Kochevents mit. Wie diese konkret designerisch entworfen und performativ-sprachlich sowie fotografisch/filmisch realisiert werden, ist Ergebnis von konkreten kommunikativen Stil-Handlungen. Medien bilden die prägenden Rahmungen (vgl. Abschnitt 4.3, Höflich 1998), die mit inszenierter-stilisierender Zeichenhaftigkeit gefüllt werden. Medien sind in ihrer prägenden Rahmung somit mittelbar, in ihrer Materialisierungsfunktion der Zeichen jedoch unmittelbar an den Stilisierungshandlungen beteiligt. Diese Stilisierungshandlungen als kommunikative Gestaltung von Zeichenhaftigkeit liefern Identifikationsangebote für Rezipienten. Sie stellen geformte Medieninhalte, zum Beispiel Essen als Ausdruck und Praxis von Lebenseinstellung und Milieu, dar. Eine solche analytische Trennung zwischen Medium und Zeichengestaltung als Rahmen und stilistisch geformter Inhalte befindet sich wiederum nah am Gedanken der Performativität als Theatralität im Sinne Fischer-Lichtes‘. Der Entwurf konzeptualisiert das Theater als institutionellen Aufführungsrahmen, der die inszenierte Performance der Schauspieler als stilisiertes Zeichenhandeln begreift. Somit wird in dieser Stelle eine Interdependenzbeziehung zwischen der medialen Materialisierung (Medialität) von Inhal-
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ten/Objekten und deren stilistischen Inszenierung (Performativität) wie folgt angenommen:
Die Medialität ist Zeichenmaterialisierungsapparatur und soziokulturell strukturierende Instanz kommunikativer Artefakte. Sie legt technik- sowie raumbasiert Kodierungs- (z.B. statisches Bild, geschriebene Sprache, audiovisuelle Textlichkeit) und Konstitutionsmöglichkeiten (z.B. Lautstärke, Größe, Auflösung) der genutzten Zeichen als auch deren kommunikationsstrukturelle Konventionalität (z.B. Genre-Vorgaben, Professionalität, Soziolekte) fest.
Im Abschnitt 4.3 wird diese medial-materiale kulturelle Praxis in Anlehnung an Holly (2000, 2011a) als mediale Kommunikationsform eingeführt. Die mediale Kommunikationsform hat als prägender Kontextfaktor unmittelbaren Einfluss auf die stilistische Gestaltetheit des kommunikativen Artefakts. So zeigt sich ein Foto gleichen Inhalts in digitaler Form gemäß den Auflösungseinstellungen und Farbwiedergaben des Displays und der jeweils genutzten medialen Kommunikationsform (digitales Fotoalbum, Online-Magazin etc.). Die Materialität des Ausdrucks auf dem medialen Zeichenträger Papier erscheint je nach Hochglanzoder Mattbeschichtung unterschiedlich und wird je nach rahmender medialer Kommunikationsform als Kunstband, Fotoalbum, Zeitung oder Zeitschrift unterschiedlich produziert und rezipiert (Meier 2013b). Die Stil-Praktiken in Form von Auswahl, Formung und Komposition von zeichenhaft genutzten Phänomenen sind performative Inszenierungshandlungen. Deren Rezeption stehen nunmehr unter dem Einfluss der jeweils genutzten materialisierenden und strukturierenden Kommunikationsformen (vgl. Kap. 5, Meier 2011, 2012). Aus diesem Grund lässt sich auch die Auswahl des entsprechenden Produktions-, Distributions- und Rezeptionsmediums mitsamt der damit verbundenen Kommunikationsform(en) als weitere Stil-Praxis bezeichnen.
Auswahl, Formung und (dramaturgische) Komposition stellen als Gestaltungspraktiken kommunikativer Artefakte Stil her. Sie produzieren und formen medien- und/oder handwerkzeuggestützt funktionale, identitätsstiftende und kommunikativ genutzte Materialitäten.
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Zur Konzeptualisierung der Stil-Praktiken erscheint die praxistheoretische Perspektive heuristisch ergiebig zu sein (vgl. Kap. 5.) und stellt eine große Anschlussfähigkeit zu designtheoretischen Herangehensweisen her. Medialität, Materialität und performativ-produzierende Stil-Praxis stiften im Zusammenspiel die Bedeutung kommunikativer Artefakte. Stil enthält einen soziologischen Anteil, der eine symbol- bzw. zeichenhafte Identifikations- bzw. Distinktionsmarkierung vollzieht (Bourdieu 1974), einen linguistischen, der die Art und Weise einer situations- und adressatenorientierten Darstellung von Sachverhalten und Funktionen umfasst, Rückschlüsse auf den Kommunikator zulässt sowie die Beziehung zum Adressaten organisiert (Fix/Poethe/Yos 2001) und einen kunst- bzw. designwissenschaftlichen, der visuelle Gestaltung als konventionalisiertes Zeichensystem zu betrachten erlaubt (Imdahl 1996, Erlhoff/ Marshall 2008). Begrifflich und funktional verbunden werden in der vorliegenden Schrift diese Konzeptanteile in einer sozialsemiotischen Vorstellung von Stil. In Anlehnung an die sozialsemiotischen Metafunktionen von Zeichen (representional/ideational; interpersonal/interactional; textual/compositional function) (vgl. Kap. 5., Kress/Leeuwen 1996, Kress/Leeuwen 2006, vgl. Meier 2008a, b, Kress 2009) sind drei Praktiken der Stilisierung zu bestimmen, die in den konkreten (visuellen) Stil-Handlungen Auswahl, Formung und Komposition verkoppelt realisiert sind. Abbildung 1.1: Stil-Modell
Quelle: Eigene Darstellung
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Abbildung 1.1 visualisiert den hier verwendeten Stil-Begriff und die Stil-Praktiken in ihren Interdependenzen mit den jeweils wirksamen kulturellen, medialen und situativen Kontexten (vgl. Kap. 5.-5.6). Während in Kapitel fünf das Modell detailliert erklärt wird, beschränke ich mich an dieser Stelle auf eine schlaglichtartige Plausibilisierung der einzelnen Komponenten. Im Zentrum steht der Stil als zeichenhaftes Phänomen, der als dialektischer Ausdruck von individueller Disposition, Intention, Gestaltungskompetenz und unter Orientierung an sozial konventionalisierten Stilmustern produziert und rezipiert wird. Überindividuelle Verständlichkeit erreicht Stil, indem realisierte Ausprägungen mit in dem jeweiligen Kommunikationskontext als relevant unterstellten Stil-Konventionen verglichen und entsprechende Übereinstimmungen festgestellt werden. Der Kommunikations- und Handlungskontext offenbart sich kulturell und situativ zum einen durch die Nutzung bestimmter (medialer) Kommunikationsformen (z.B. Face-to-face-Gespräch, Buch, Fernsehen, Plakat, Ausstellung) und durch die Verortbarkeit in bestimmten Handlungsfeldern (z.B. Sport, Schule, Haushalt, Beruf). Diese bringen bestimmte soziale Praktiken mit sich, die mittels Sozialisation und (iterativer) Mimesis (vgl. die praxistheoretischen Überlegungen in Abschnitt 4.1) vermittelt sind. Zum anderen zeigt sich der Kontext durch die Bestimmung bestimmter (handlungsstrukturierender) Genres, in der sich die vorliegende Kommunikation (z.B. Flirt-Gespräch, Roman, Fernsehkrimi, Werbe-Plakat, Kunst-Ausstellung) oder die Praxis (z.B. Fußball, Sport-Unterricht, Geschirrspülen, Teamgespräch) bewegen. Als inhaltlich prägender Kontextfaktor wirkt der Diskurs. Er stellt die machtabhängigen Kommunikationsprozesse zur Konstitution von Wissen und zur Organisation und Strukturierung von Sag- und Zeigbarkeit dar (vgl. Foucault 1986, 1994, 2005). Damit liefert er die Themen-, Inhalts-, Konzept- und Modifizierungsbereiche, in der sich vor allem die Stil-Praxis der Auswahl referierend und symbolisierend bewegt. Während die Kontextfaktoren Kommunikationsform und Handlungsfeld als mediale Infrastruktur und kulturelle Domains längerfristigen Entwicklungen unterworfen sind, liefern vor allem (massen-)mediale Diskurse für die Symbolisierungshandlungen der Stil-Praktiken sehr dynamische Wissensbereiche. Zudem kann sich das als relevant unterstellte kommunikationsstrukturierende Genre durch situative Kommunikationsereignisse ändern. So wird man in der Zeitung nicht nur Reportagen, sondern auch Berichte und Interviews lesen, oder ein Gespräch kann von einem Flirt schnell in ein Streitgespräch umschlagen. Entscheidend für die hier zu beschreibenden (visuellen) Stile ist, dass Produzent und Rezipient die Kontextfaktoren Kommunikationsform, Handlungsfeld sowie Genre intuitiv erkennen, um sich nach damit musterhaft verbundenen sozialen Gestaltungspraktiken orientieren zu können. Hierdurch
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werden Vergleiche mit kommunikativ und kontextuell ähnlich gelagerten Stilisierungen möglich, was entsprechend zu kollektiven und individuellen Angemessenheitsvorstellungen und Modifikationstoleranzen führt.
Der Stil setzt sich als Ergebnis von kontextbezogenen Stil-Praktiken zusammen, die semiotische und materielle Ressourcen auswählen, formen und komponieren, um kommunikative Ziele zu erreichen und bestimmte Funktionen zu realisieren.
Die Stil-Praxis der Auswahl (vgl. Abschnitt 5.4) bestimmt ‚handlungsfeld- und diskursabhängig‘ bestimmte Praktiken sowie Themen, Inhalte und Konzepte, die ‚medialitätsabhängig‘ (Film vs. Print) in entsprechenden Zeichenkodierungen oder Zeichenmodalitäten (Bild vs. Schrift etc.) umgesetzt werden. In Form einer Design-Praxis richtet sich die Auswahl materialer und semiotischer Ressourcen bzw. Modalitäten kontextbedingt nach beabsichtigter praktischer Funktion und damit verbundener konventionalisierter Materialitätsmodellierung (z.B. als Möbel, Kleidung, Architektur, Küchengerät). Die dabei verwendeten Materialien können ihrerseits identitätskonstituierende Symbolhaftigkeit erhalten (z.B. Naturfaser vs. Synthetik, Holz vs. Beton, Metall vs. Plastik). Der aus der Sozialsemiotik (vgl. Halliday/Hasan 1989) entnommene situative Kontextfaktor Feld meint in dem Stil-Modell das Handlungsfeld, das bestimmte Praktiken der Bedeutungsproduktion und -rezeption mit sich bringt. Beispiele für Handlungsfelder wären Politik oder Freizeit. Die in diesen Bereichen relevanten Diskurse eröffnen und begrenzen gleichzeitig inhaltliche Referenzbereiche. Der Kontextfaktor mediale Kommunikationsform wirkt gleichzeitig eröffnend und begrenzend auf die Wahl und Handhabung der Zeichenmodalitäten ein. Ebenso verhält es sich mit den hiermit verbundenen relevanten Genres samt den kulturellen Kommunikationsmustern. So würde die Präsentation des Bildmotivs Barack Obamas, das von einem Fotografen und einem Redakteur ausgewählt wurde, vom Handlungsfeld Politik und von der situativen Diskursformation inhaltlich motiviert sein. Die Publikation des Bildes zeigt sich gemäß der medialen Kommunikationsform beispielsweise im Online-Nachrichten-Portal als digitales Bild, das in seiner Produktion und Rezeption vom jeweiligen (professionellen) Aufnahme- und Nachbearbeitungs- sowie dem genutzten Darstellungsmedium (z.B. 13-Zoll-Notebook oder 4-Zoll-Smartphone-Display mit entsprechenden Farb- und Helligkeitsmodi) abhängig ist. Die Auswahl unterliegt desweiteren den genrespezifischen institutionellen Vorgaben der journalistischen Profession und der entsprechenden Redaktion. Auf Seiten der Rezeption würde das Obama-Foto
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im inhaltlichen Verstehensprozess den Framebereich (vgl. Kap. 5) internationale Politik und US-Präsidentenschaft aufrufen (Fraas/Meier/Pentzold 2010, Meier 2010b, Fraas/Meier 2012). Das Foto diente aus Sicht des Rezipienten in umgekehrter Richtung als Filler eines seinerseits aufgerufenen Frames bzw. Wissensrahmens. Dadurch ist die Rekonstruktion standardmäßig bzw. prototypisch verbundener Themenbereiche und sozialen Praktiken ermöglicht. Die vorliegenden Auswahlhandlungen werden zudem mit diesen unterstellten Standardwerten verglichen. Zeigt das Bild Obama in offiziellem Anzug oder Freizeitkleidung, so schreibt es ihm eine situative soziale Rolle als ausübender Amtsinhaber oder lockerer Privatmann zu. Ähnlich verhält es sich mit der Motiv- bzw. Inhaltsauswahl von Kochshows. Sie sind kontextuell als audiovisuell wahrnehmbare Kommunikationsform Fernsehsendung bestimmbar und bilden ein eigenes inhaltliches Genre. Die individuelle Ausprägung dieses Genres wird durch die verschiedenen ausgewählten Fernsehköche und ihre entsprechenden Inszenierungen hergestellt. Die Präsentation Johann Lafers in professionell korrekter Kochkleidung oder die Auftritte des straßenkulturell gestylten Fernsehkochs Jamie Oliver aktivieren entsprechende Frames, die je nach Angemessenheitskriterien Akzeptanz, Inakzeptanz und/oder innovative Attraktivität hervorrufen. Stilfragen sind ebenso mit der symbolhaft zu interpretierenden Auswahl des Essens realisiert. Wird eine crࣉme brulé oder eine Götterspeise gereicht, wird ein Gemüsebratling oder ein Schweinenackensteak zubereitet, lässt sich stereotypisch als bestimmte Milieu- und Kulturpraktiken sowie auf bestimmte Wertekonzepte begründet verstehen. Die Angemessenheitskriterien richten sich neben den kommunikationsforman genrespezifischen Mustern aus, was situativ-kontextuell die Stil-Praxis der Formung berührt (vgl. Abb. 1.1, Abschnitt 5.5). Damit tritt die Gestaltung der ausgewählten Motive, Themen, Gegenstände, Materialen in ihrer potenziellen Sendermotiviertheit sowie Nutzer- und Rezeptionsorientierung in den Blick. Das Genre legt die sozialen Rollen und Statussymbolgehalte nahe, die mit den diskursmotiviert ausgewählten Motiven, Inhalten und Gegenständen institutionell und prototypisch verbunden sind. Die Stil-Praxis der Formung verlagert den Fokus auf die konkrete Adressiertheit des Design-Phänomens bzw. des medienkommunikativen Artefakts. Es setzt den Adressaten prototypisch in eine bestimmte Beziehung zur Funktion des materiellen Gegenstandes bzw. des gezeigten Motivs, Inhalts, Themas, Konzeptes etc. Die Formung vollzieht z.B. auf bildlicher Ebene eine funktionale Inszenierung der Motive und Inhalte als Beziehungsangebote zwischen Gezeigtem und Rezipienten durch Bildausschnitt und Perspektive. So werden Nähe- und Distanz-Angebote vollführt, die den Betrachter durch Detaileinstellungen in eine ungewöhnliche Quasi-Intimität mit dem
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Gezeigten bringt oder durch eine Totale in eine unnatürliche Überblickssituation versetzt. Kamerafahrten und Zoom simulieren Bewegungen des Betrachters im Bildraum, die ihn leiten, bestimmte Bildkomponenten zu fixieren und andere eher außer Acht zu lassen. Farbgebung und Gestalt gezeigter Gegenstände, die durch Mimik und Gestik bei Personen ergänzt sind, stellen beziehungsorganisierende Performanzen dar, die im Zusammenspiel mit sprachlichen Realisierungen soziale, kulturelle und lokale Markierungen des Gezeigten vollführen (siehe Kap. 5). Sie bieten kommunikative Impulse, die zielgerichtet Meinung und Haltung des Rezipienten, bezogen auf das Präsentierte, beeinflussen sollen. Ob dies tatsächlich (sprich perlokutiv) erreicht wird, kann anhand des kommunikativen Artefakts bzw. Designphänomens nicht beurteilt werden. Dies erfordert entsprechende empirische Nutzungs- und Rezeptionsstudien. Weitere Beispiele für Praxisbereiche der Formung bilden die Mikrotypografie, die durch die Formung bestimmter Schriften kulturelle und/oder medienadäquaten Angemessenheitserwartungen und Konventionen zu entsprechen sucht. So finden sich in der Online-Kommunikation im subkulturellen Bereich des Gothics oder des Rechtsextremismus noch häufig gebrochene Schrifttypen, obwohl diese auf niedrig auflösenden Darstellungsmedien erschwerter zu lesen sind. Hier bildet die Formung der Typo ein soziales Beziehungs- bzw. kulturelles Identifikationsangebot, das eher der identitätsstiftenden Kollektivierung als der medialen Funktionalität unterworfen ist. Das Design von Autos und anderen Gebrauchsgegenständen lässt sich hinsichtlich ihrer status- und funktionsgemäßen Inszenierung mittels Gestalt, Farbe etc. ebenfalls als entsprechende Stil-Praxis beschreiben. Markenidentitäten führen zu Erwartungshaltungen hinsichtlich Qualität und Wertigkeit bei den Nutzern und Betrachtern, die hinsichtlich Formgebung und Gestalt ihre stilistischdistinktiven Entsprechungen brauchen. Durch die Maßgabe der Aerodynamik sind jedoch die Fahrzeugformen aus funktionalen Gründen immer stärker einander angenähert. Hier stehen Funktionalität und abgrenzende Identitätsstiftung bei der Stil-Praxis der Formung im Konflikt. Gezeigtes und Gestaltetes erscheint nie isoliert, sondern wird auf spezifische Weise mit anderen Phänomenen komponiert, die auf der Fläche, im Raum oder zeitlich verknüpft sind. Die Art der Komposition bildet die dritte Stil-Praxis. Sie behandelt das Arrangement der Stil- bzw. Design-Elemente zur Hervorhebung einzelner Teile, zur möglichen Gruppierung zu einheitlich wirkenden Gestalten und Figurationen sowie Isolierungen einzelner Elemente, wodurch bestimmte visuelle Prägnanz und Dominanz-Verhältnisse erreicht werden. Stil-Mittel dieser Praxis sind zum Beispiel in bildlichen Darstellungen die Erzeugung bestimmter imaginärer Linien (Vektoren), die durch Ähnlichkeiten, Körperausrichtungen, architektonische
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und landschaftliche Begebenheiten, Platzierungen etc. Eindrücke der Zugehörigkeit und Abgrenzung des Hauptmotivs zu Teilen des räumlichen Kontextes herstellen. Mittels Größen-, Form-, Farb- und Schärfe-Kontrastierungen wird der Blick geleitet und auf bestimmte Teilbereiche gelenkt, die gegenüber anderen Elementen hervorgehoben und somit zu favorisierten Informationsträgern stilisiert sind. Ähnliches geschieht durch Zentrierungen auf der Fläche oder im Bildraum und durch entsprechende Vordergrund-Hintergrund-Inszenierungen. Solche visuellen Hervorhebungen lassen sich als Stil-Praktiken eines Visual Framing verstehen (siehe Abschnitt 5.3), das neben der Auswahl bestimmter Bildmotive und Designelemente nicht nur bestimmte Handlungs- und Themenbereiche aufruft, sondern auch Fokussierungen, Perspektivierungen und Dominanz-Verhältnisse in visueller Hinsicht herstellt. In audiovisuellen Medienkommunikaten umfasst die Stil-Praxis der Komposition auch den großen Bereich der Montage bzw. des Schnitts. Sie stellt die dramaturgische Verknüpfung bestimmter Kamera-Einstellungen, ihre zeitlichen Längen, Übergänge und Abfolgen dar, die mit den bereits beschriebenen StilMitteln in ihren kommunikativen Funktionen in Beziehung gebracht werden. Gestaltung auf der Fläche zur Strukturierung und Blickführung reduziert sich in der Medienkommunikation ferner nicht nur auf bildliche Designphänomene, sondern umfasst auch den großen Bereich Makrotypografie/Layout von Printprodukten (vgl. Stöckl 2004) sowie das Screen- und Interfacedesign für die entsprechende Bandbreite unterschiedlich großer Displays von 4 Zoll bei Smartphones bis zu 82 Zoll von Großbildschirmen. Neben dem Bereich des Grafik- bzw. Kommunikationsdesigns ist die Komposition auch auf das Produktdesign auszuweiten. Hier wird die Gesamtgestalt als Summe ihrer Einzelkomponenten betrachtet, die in der Nutzung funktional zusammenwirken. Auch hierbei stehen einige Komponenten für die Nutzung und die ästhetische Wirkung des Produktes im Vordergrund, während andere weniger identitätsstiftend, sondern stärker funktional eingesetzt sind. Die Arbeit wird folgend zunächst eine wissenschaftsprogrammatische Verortung vornehmen. Dabei schlägt sie vor, die „emergente (Post-)Disziplin“ (Holert 2005: 226) der Visual Culture Studies und die Sozialsemiotik verstärkt in der deutschsprachigen Medien- und Designforschung zu etablieren. Beide Ansätze enthalten einen wissenschaftsethischen und kritischen Ansatz, für deren Berücksichtigung sich der Autor dieser Schrift ebenfalls stark macht. Über die Entwicklung eines transdisziplinären Konzepts visueller Stile wird schließlich eine begriffliche Brücke zwischen den Kultur- und Sozialwissenschaften geschlagen, die zu einer multiperspektivischen Erfassung visueller Kommunikation beitragen soll.
Zum Programm
2. Semiotik und Visual Culture Studies
Die mit dieser Arbeit vorgestellte Perspektive auf visuelle Stile bedient sich zweier Paradigmen: das der Sozialsemiotik und das der Visual Culture Studies. Der Grund für diese Kopplung liegt zum einen in den zahlreichen programmatischen Parallelen dieser Forschungsrichtungen. Zum anderen ergänzen sie sich hervorragend in Bezug des hier im Blickpunkt stehenden Forschungsgegenstandes. Der Vorteil der Visual Culture Studies liegt in ihrer starken Interdisziplinität. Sie stehen mit Theorien und Forschungsansätzen aktueller Kultur-, Kunst-, Medien- und Sozialwissenschaften in Verbindung. Dadurch besitzt die nach Holert (2005: 226) benannte „emergente (PostǦ)Disziplin“ eine hohe Anschlussfähigkeit, was einer in dieser Arbeit verfolgten Integration verschiedener Stil-Begriffe und Analysemethoden heuristisch zugutekommt. Die Visual Culture Studies sind ferner eng mit den Begriffen und Methoden der Cultural Studies verbunden. Da diese bereits ein etablierter Bestandteil der nationalen und internationalen Medienforschung sind (vgl. Hepp 2009), eignen sich auch die Visual Culture Studies für eine breitere Aufnahme in diese Forschungslandschaft (siehe dazu Lobinger 2012). Die Begriffe der Cultural Studies beruhen in ihrer semiotischen Ausrichtung häufig auf Ansätzen der 1960er bis 80er Jahre (vgl. Fiske 1987, Morley 1992, Marchart 2008: 26 ff., zusammenfassend Krotz 2009), wie sie beispielsweise von den Autoren Hall (hier beruhend auf Hall 1999), Eco (1972, 1987a) oder Barthes (hier beruhend auf Barthes 1990, 1996) vertreten wurden. Das setzt sich zum Teil in den Visual Culture Studies fort (vgl. Schade/Wenk 2011: 83 ff.) Diese Ansätze sind zwar noch immer inspirierend, wurden jedoch innerhalb der Semiotik sukzessive weiterentwickelt (vgl. Nöth 2000). Ein (neuer) Teilbereich innerhalb der semiotischen Landkarte bildet die hier favorisierte Sozialsemiotik. Da diese Forschungsrichtung ihre Wurzeln in der Linguistik hat (vgl. Halliday 1985, Hodge/Kress 1999, Kress 2010: 54 ff.), bringt sie die Systematik und begriffliche Schärfe strukturalistischer Ansätze
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mit, vertritt jedoch einen dezidiert pragmatischen und diskursbasierten Zeichenbegriff. Insbesondere mit den Konzepten semiotic ressources (hier als semiotische Ressourcen übersetzt) und mode (hier als Modalität übersetzt) (siehe Leeuwen 2005) schärft sie nicht nur den Blick für die spezifischen kommunikativen Funktionen unterschiedlicher Zeichensysteme. Dies verfolgen auch andere semiotische Ansätze. Vielmehr ermöglicht sie, kommunikativ genutzte Phänomene in ihrer materiellen Konstitution näher zu beschreiben. Damit ist nicht nur die Ebene der Kodes thematisiert, die die unterschiedlichen Zeichensysteme wie Sprache und Bild zu unterscheiden erlauben. Die Sozialsemiotik behandelt mit einem designtheoretischen Verständnis kommunikative Funktionen, die aus der ‚Gestaltung von Zeichenhaftem‘ erwachsen. So treten auch Farbe, Proportionen, Abstände etc. (vgl. Kress/Leeuwen 1996) als semiotische Ressourcen in den Fokus, die in bedeutungsstiftender Korrespondenz mit vorhandenen medial-materialen Dispositionen (Kress 2010) stehen. Ein solches Herangehen ist die Voraussetzung für die Operationalisierung visueller Stile als medienvermitteltes Kommunikationsmittel. Entgegen strukturalistischen Ansätzen wendet sich die Sozialsemiotik gegen einen verdinglichten Regelbegriff (vgl. Leeuwen 2005: 47 ff.), der dem Zeichenhaften jenseits von kommunikativer Interaktion bereits Bedeutung zukommen lässt. Sie ist stattdessen einem pragmatischen Verständnis der kommunikativen Bedeutungszuschreibung verpflichtet. Allerdings gelten diese Zuschreibungen nicht als so flexibel, dass sie situativ immer wieder neu ausgehandelt werden müssten oder generell als dekonstruiert (vgl. Derrida 1974, Derrida 2004) gelten, sondern sie sind durch überindividuell etablierte Musterhaftigkeit gekennzeichnet, die in der situativen Kommunikation je nach subjektiver Aneignung als Bezugsgrößen dienen und so Verständnis ermöglichen. Sozialsemiotisches Herangehen verfolgt die Eruierung solcher kommunikativen Gestaltungsmuster als Designphänomene und untersucht, inwiefern hierdurch medienermöglichte Materialitäten als semiotische Ressourcen kommunikativ zum Einsatz gebracht werden (vgl. Abschnitt 4.1). Musterhafte Gestaltungen von semiotischen Ressourcen werden als Modalitäten (modes) behandelt, die sich wiederum zu multimodalen Ensembles in den (Medien-)Kommunikaten zusammensetzen. So weist ein visuelles Artefakt, das ein oder mehrere Objekte erkennen lässt sowie über eine hohe syntaktische und semantische Dichte und Fülle (Goodman 2010), Simultanität (Scholz 2004), Wahrnehmungsnähe (Sachs-Hombach 2003) etc. verfügt, eine hohe Entsprechung mit der Musterhaftigkeit eines gegenständlichen Bildes auf. Nach sozialsemiotischem Verständnis handelt es sich dabei um die Modalität Bild. Das Verstehen sprachlicher Zeichen ist durch ihre hohe Orientierung an sprachlicher
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Musterhaftigkeit (insbesondere hinsichtlich Grammatik und Semantik) gekennzeichnet, so dass auch Sprache als Modalität verstanden wird. Trotz dieser Nähe zu semiotischen Begriffen des Kode- oder Zeichensystems meidet die Sozialsemiotik ihre gleichbedeutende Übernahme. Grund dafür ist die Offenheit, die mit dem Konzept der Modalität erhalten bleiben soll. So werden auch weniger stark kodierte, aber ebenfalls als Zeichentypen angesehene Bereiche wie Gesten, Layout, Möbel, Kleidung, Essen als Modalitäten behandelt, denn: „Mode (Hervorgehoben im Original; SM) is a socialy shaped and culturally given semiotic resource for making meaning“ (Kress 2010: 79). Die Verwendung der Bezeichnung Modalität im sozialsemiotischen Sinne bringt jedoch ein Terminusproblem mit sich. In der Semiotik sowie Kognitionsals auch Medienwissenschaft ist diese Bezeichnung eigentlich für die Sinneswahrnehmung reserviert. Man spricht in diesem Zusammenhang beispielsweise von visuellen und akustischen Sinnesmodalitäten. So werden Bilder und geschriebene Sprache als visuell wahrnehmbare Phänomene der gleichen Sinnesmodalität zugerechnet, obwohl sie als unterschiedliche Zeichensysteme kodiert sind. Nach sozialsemiotischem Verständnis handelt es sich jedoch bei Kommunikaten wie einer Zeitungsseite, die statische Bilder und geschriebene Sprache enthält, gemäß des dargestellten sozialsemiotischen Modalitäts-Begriffs, um multimodale Phänomene. Da diese Arbeit dem sozialsemiotischen Paradigma folgt, verwende auch ich den Begriff der Multimodalität in diesem Sinne. Ich distanziere mich jedoch nicht von dem Kode-Begriff, da ich ihn im Sinne Ecos ebenfalls als kulturell verfestigte Vermittlungsinstanz zwischen Zeichenausdrucks- und Zeicheninhaltsseite verstehe, die je nach Zeichensystem, Kontext und Kommunikationsgemeinschaft unterschiedlich stark und wandelbar konventionalisiert ist (vgl. Eco 1972, 1987a, Meier 2008a: 100 ff.). So verwende ich die Bezeichnung Kode, wenn ich von kulturellen Konventionen spreche, die bei der Bedeutungszuschreibung von Phänomenen genutzt werden und die für die Unterscheidung der einzelnen Zeichensysteme verantwortlich sind (vgl. auch Keller, Rudi 1995). Spreche ich von Modalitäten als Sinnesmodalitäten, so werde ich dies explizit erwähnen. Mit der vorgestellten Systematik einer sozialsemiotischen Perspektive lässt sich die Forschungsperspektive der Visual Culture Studies deshalb so gut ergänzen, weil beide Richtungen große Schnittpunkte aufweisen. So fühlen sich beide forschungsethisch einem kritischen Herangehen an visuelle, mediale bzw. soziale Phänomene verpflichtet. Während die Sozialsemiotik dabei in enger Verbindung mit der critical discourse analysis (CDA) steht (vgl. Fairclough 1995, Chouliaraki/Fairclough 1999, Hodge/Kress 1999), schließen die Visual Culture Studies an Impulse der Kritischen Theorie an (vgl. Jenks 1995, Mirzoeff 1999,
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Elkins 2003, Dikovitskaya 2005). In Abschnitt 2.6 werde ich diese Perspektiven in der Formulierung eines eigenen Programms einer kritischen Stilanalyse heranziehen. Beide Paradigmen beziehen sich desweiteren auf das machttheoretische Diskurskonzept von Foucault, das sie auf die Normsetzung, Ermöglichung und Strukturierung von Sichtbarkeiten übertragen. Schade/Wenk (2011: 53) leiten daraus für die Visual Culture Studies die grundsätzliche Fragestellung ab: „Wo wird wem was und wie zu sehen gegeben, oder wo ist wem was und wie unsichtbar gemacht? (Hervorgehoben im Original; SM)“. Van Leeuwen fokussiert aus sozialsemiotischer Sicht insbesondere die bedeutungsstiftende und wirklichkeitskonstitutive Funktion von Diskursen, wenn er sie wie folgt definiert: „Discourses are resources of representation, knowledges about some aspect of reality, yet we cannot represent anything without them. We need them as frameworks for making sense of things.“ (Leeuwen 2005: 95)
Während die Sozialsemiotik über den Stil-Begriff an aktuelle soziologische Identitäts-Konzepte anschließt (vgl. Abschnitt 3.7), die auch in dieser Arbeit prominent aufgenommen werden, liefern die Visual Culture Studies, angelehnt an die Cultural Studies, einen populären Kultur-Begriff, der ebenfalls für diese Arbeit herangezogen wird. Somit bietet sich eine Kombination dieser beiden Paradigmen an. Im Anschluss wird zunächst die Rolle der Visual Culture Studies für eine aktuelle Medienforschung dargestellt, während danach sozialsemiotische Argumente für die Beschäftigung mit Stil im Blickpunkt stehen.
2.1 V ISUAL C ULTURE S TUDIES ALS F ORSCHUNGSPERSPEKTIVE Der (noch) wenig konkrete disziplinäre Status des Forschungsbereichs der Visual Culture Studies zeigt sich in seiner noch nicht durchgehend einheitlichen Benennung. Elkins (2003: 4) weist auf eine Forschungsperspektive hin, die in Anlehnung an die Cultural Studies zunächst als Visual Culture betitelt wurde. Dabei bezieht er sich auf Definitionen, die visuelle Kultur als die Art und Weise verstehen, wie Dinge gesehen werden und welche Dinge gesehen werden. Er referiert auf entsprechende in den 1990er Jahren unter dem Label Visual Culture erschienene Veröffentlichungen (vgl. z.B. Jenks 1995, Mirzoeff 1998). Auf Anregung Mitchells (1995) wurde als weitere Bezeichnung visual studies geläufig. Er gebrauchte diese, um eine angestrebte Verbindung von Kunstgeschichte, Cul-
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tural Studies und Literaturtheorie unter dem Schirm des ‚pictorial turns‘ zu kennzeichnen (vgl. Elkins 2003: 4 f.). Später konkretisierte Mitchell diese Anregung, indem er Visual Culture als visuelle Konstruktion des Sozialen bezeichnet, die das Forschungsfeld bzw. den Forschungsgegenstand der Visual Studies darstellt (Mitchell 2002). Allerdings bleiben auch bei ihm Zweifel an der Konkretheit des Terminus (Elkins 2003: 5), so dass in dieser Arbeit von den Visual Culture Studies gesprochen wird, wenn sich Forschung mit der visuellen Darstellung des Sozialen beschäftigt. Die Visual Culture Studies verfügen also bisher weder über ein klar bestimmbares Forschungsprogramm, noch kann man sie als eine Disziplin bezeichnen. Vielmehr lassen sie sich ähnlich wie die Diskursanalyse als eine Forschungsperspektive betrachten (vgl. ähnlichen Ansatz zur Spezifizierung der Diskursanalyse bei Keller, Reiner 2008), die in den benachbarten Disziplinen der Kultur- und Sozialwissenschaften ähnliche Untersuchungsgegenstände definieren und diese mit ähnlichen Fragestellungen behandeln. Methodisch-methodologisch zeigt sich ein (noch) sehr heterogenes Feld. Semiotische und ikonografische Analyseinstrumentarien werden je nach disziplinärer Verortung des Forschenden auf visuelle Artefakte angewendet. Die vorliegende Arbeit versucht mit ihrer Konzeptualisierung und methodischen Operationalisierung visueller Stilisierungen diesem Eklektizismus systematisierend zu begegnen. Auch wenn die Überzeugung besteht, dass die Visual Culture Studies durch die Breite ihres Anwendungsbereichs keine eigene Disziplin begründen können, so lässt sich mit Blick auf andere ähnlich umfassende Forschungsperspektiven wie die Diskursanalyse oder die Semiotik davon ausgehen, dass sie weiterhin als ein eigenes interdisziplinäres Forschungs- und Lehrparadigma vorangebracht werden, wie es bereits im angloamerikanischen Raum seit den 1990er Jahren geschehen ist (vgl. Elkins 2003: 7 ff.). Innerhalb einer im deutschsprachigen Raum sich ebenfalls interdisziplinär konstituierenden Bildwissenschaft (siehe Sachs-Hombach 2005, aus Perspektive der Kunstgeschichte vgl. Bredekamp 2003) können den Visual Culture Studies sogar eine integrierende Rolle zukommen. Während philosophische Ansätze der Bildwissenschaft begriffliche und anthropologische Grundlagen der Bildlichkeit, Visualität sowie Medialität liefern (Sachs-Hombach/Schirra 2009), vermögen die Visual Culture Studies, Arbeiten zum kontextbezogenen und mediengestützten Gebrauch der Bilder in den verschiedenen Disziplinen zu bündeln. Durch ihre kunstgeschichtlichen und semiotischen Wurzeln, ihren kultur- und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen sowie ihrer Etablierung in den (noch eher englischsprachigen) Medienwissenschaften lässt sich auf ein elaboriertes methodologisches Knowhow zurückgreifen. Mit Hilfe kunsthistorischer Ansätze können diachrone Per-
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spektiven entwickelt werden, die den kontextgebundenen Wandel des Gebrauchs von visuellen Artefakten fokussieren, um einer möglichen Geschichtsvergessenheit vorzubeugen. Synchrone Perspektiven einer kultur- und medienanalytischen Forschung der Cultural Studies erlauben einen kritischen Blick auf diskursbasierte Politiken der Sichtbarkeit sowie visuelle Subjektivierungsweisen in den (medialen) Identitätskonstruktionen. Mit dem Bezug zu den Cultural Studies erben die Visual Culture Studies auch die Perspektive auf popkulturelle Phänomene (vgl. Holert 2005), die als gleichwertige kulturelle Praxis wie künstlerische Artefakte angesehen werden, sowie eine kritische Skepsis gegenüber kulturindustriellen Produktions-, Verwertungs- und Konsumpraktiken (Elkins 2003: 45 ff). Da die Cultural Studies im Anschluss an das Encoding/Decoding-Modell von Stuart Hall die Funktion von Zeichen als kulturell kodierte Instrumente der Kommunikation reflektieren, ist auch in den Visual Culture Studies ein semiotischer Ansatz etabliert. Sie beziehen sich dabei jedoch eher auf zeichentheoretische Arbeiten von Barthes und Peirce, wodurch die Visual Culture Studies sich verstärkter mit den Grundlagen der Semiotik beschäftigen und m.E. ein elaborierteres zeichentheoretisches Konzept verfolgen als die Cultural Studies. Durch den Anschluss an medienwissenschaftliche Forschungszusammenhänge untersuchen die Visual Culture Studies die soziale und technische Funktion der Medien als Instrumente der Darstellung von visueller Kultur (vgl. Mirzoeff 1999). Somit ist außerdem einer möglichen Medienvergessenheit entgegengewirkt, die dann droht, wenn Forschung (nur) die inhaltliche Ebene visueller Kommunikation fokussiert. Eine umfassende Beschäftigung mit (visueller) Kommunikation kann jedoch die dabei zugrundeliegende Materialisierungs- und Vermittlungsfunktion von (visuellen) Zeichen durch Medien (bzw. Werkstoffen im Industriedesign) nicht außer Acht lassen, denn diese Funktionen haben unmittelbaren Einfluss auf die Produktion, Rezeption und soziale Verwendung der visuellen Artefakte (vgl. Einleitung). Um die vorliegende Arbeit konkreter in den Forschungszusammenhang der Visual Culture Studies einordnen zu können, werden nachfolgend Wurzeln, Gegenstände und Fragestellungen dieser „emergenten (Post-)Disziplin“ skizzenhaft zusammengefasst. Die Ursprünge der Visual Culture Studies gehen auf eine programmatische Neuausrichtung der Erforschung visueller Artefakte in den 1990er Jahren zurück, die prominent mit dem Namen W.J.T. Mitchell verbunden ist. Mitchell war Mitglied eines Zusammenschlusses von Forschern der Universität Chicago, der sich aus Kunsthistorikern, Literatur- und Filmwissenschaftlern zusammensetzte. Sie einte das Interesse an visuellen Kulturpraktiken. Auf Mitchell geht ebenfalls der Begriff des pictorial turns zurück (Mitchell 1994), der in enger Beziehung
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mit dieser Neuausrichtung steht. Wissenschaftspolitisch korrespondiert die Feststellung eines pictorial turns mit der Propagierung eines cultural turns, der die Etablierung der Cultural Studies als dessen adäquate Forschungsperspektive begründete. (Vgl. Elkins 2003: 5) Mitchell versteht den pictorial turn jedoch nicht als ein punktuelles Phänomen, sondern als eine zyklische Erscheinung, die dann auftritt, wenn durch neue (visuelle) Reproduktionstechnologien und/oder neue Praktiken der sozialen, politischen oder ästhetischen Bildproduktion eine besondere Aufmerksamkeit auf visuelle Kulturpraktiken entsteht. Somit bezeichnet er bereits das Aufkommen der Tafelmalerei, die Erfindung der Zentralperspektive und die Erfindung der Fotografie als pictorial turns (Mitchell 2009: 320). Der aktuelle pictorial turn ist (medien-)historisch demnach eng mit der ‚digitalen Revolution‘ verbunden. Er reduziert sich nicht auf die Untersuchung visueller Medien, sondern lässt das Zusammenwirken unterschiedlicher Zeichensysteme wie Sprache, Musik, Bilder etc. in den unterschiedlichen (medialen) Materialisierungen und medialen Kommunikationsformen (vgl. Kap. 4) untersuchen. Mitchell propagiert somit nicht eine neue Dominanz der Bilder oder der Visualität, er setzt allerdings den pictorial turn explizit dem linguistic turn Rortys gegenüber (vgl. Mitchell 2009: 321). Er weist in diesem Zusammenhang auf den im 20. Jahrhundert stattgefundenen Wandel in der westlichen Philosophie hin, der mit dem linguistic turn verbunden ist. Demnach beschäftigte sich die Philosophie immer weniger mit Objekten oder Dingen, sondern wandte sich verstärkt den Begriffen und Ideen zu, bis sie sich schließlich favorisiert mit der Sprache und ihrer realitätsstiftenden Funktion auseinandersetzte. Mitchell ist der Meinung, dass Bilder, und damit sind auch sprachliche Bilder gemeint, zunehmend das Denken, die kulturellen Praktiken und Welterfahrungen strukturieren und somit in den Kultur- und Sozialwissenschaften sowie der Philosophie entsprechend zu untersuchen sind. Diese nötige Neuausrichtung habe sich in den Arbeiten von Peirce, Wittgenstein, Adorno, Goodman, Foucault und Derrida bereits angedeutet und müsse nun entsprechend weiter verfolgt werden. (Mitchell 2008: 102 f.) Wesen und Konsequenzen eines pictorial turns werden nach Mitchell als Phänomene der Visual Culture betrachtet, mit deren Untersuchung sich die Visual Culture Studies zu beschäftigen haben. Sie sehen in einer dabei verfolgten Interdisziplinität die Möglichkeit, Multiperspektivität und Synergien zu erreichen, die eine einzelne Disziplin mit ihren festen Gegenstandsdefinitionen und Methoden nicht realisieren kann. Die vorliegende Arbeit setzt dieses Programm fokussiert auf einen interdisziplinären Stil-Begriff und seine Analyse unmittelbar um und möchte damit auf konzeptueller und methodischer Ebene für eine solche interdisziplinäre Forschung unter dem Label Visual Culture Studies werben.
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Trotz der mehrfach dargestellten Heterogenität der fokussierten Forschungsrichtung haben sich jedoch bestimmte Hintergrundtheorien und Methodologien sowie bestimmte Gegenstandsbereiche und Fragestellungen herausgebildet, die auch in dieser Arbeit bezogen auf visuelle Stil-Handlungen verfolgt werden. •
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Hintergrundtheorien Die Visual Culture Studies thematisieren durch ihre kritische Wissenschaftspraxis kulturindustrielle Verwertungs- und Konsumlogiken mittels Ansätzen der kritischen Theorie Adornos und Horkheimers, die Fetischisierung visueller Artefakte mit Bezug auf Marx und Lacan, die Ästhetisierung und Spektakularisierung gesellschaftlicher Praktiken mit Bezug auf McLuhan, Debord, Baudrillard etc. und postkoloniale, macht- und gendertheoretische Perspektivierungen der Identitätskonstruktion mit Bezug auf Fanon, Foucault, Buttler etc. (vgl. Jenkins 2003, Mirzoeff 2002). Methodisch-Methodologisches Methodisches Anliegen der Visual Culture Studies ist die Vermittlung etablierter Analysemethoden von Bildern und kontextbezogenen visuellen Praktiken. Methodologisch knüpfen sie dabei auf semiotische Konzepte zur Ikonizität und visuellen Zeichenhaftigkeit von Peirce, Barthes, Mitchell etc. sowie der Phänomenologie und methodisch auf bildanalytische Verfahren der Ikonografie und Ikonologie Panofskys etc. an (vgl. Mitchell 2008: 246). Gegenstände Die Visual Culture Studies verfolgen einen pragmatisch-deskriptiven Kulturbegriff, der ästhetische, populäre und Alltagskultur in ihrer visuellen Ausprägung in gleichem Maße untersucht. Dabei kommen mediale Praktiken der Werbung, des Journalismus, des narrativen und dokumentarischen Films, der dokumentarischen, privaten und ästhetischen Fotografie sowie des Designs von Gebrauchsgegenständen und ästhetischen Objekten in den Blick. Fragestellungen Die Visual Culture Studies verfolgen ästhetische, politische und soziologische Fragestellungen zur visuellen Identitätskonstruktion in unterschiedlichen kulturellen Praxisbereichen bzw. Handlungsfeldern. Dabei treten insbesondere visuelle Inszenierungen von Körper/Geschlecht/Sexualität, Rasse/ Ethnie/(Post-) Kolonialismus und sozialen Klassen/Milieus in den Blick (vgl. Mirzoeff 2002).
Die hier aufgeführten Untersuchungsbereiche fließen implizit in die theoretische sowie methodische Entwicklung eines Untersuchungsprogramms visueller Stile ein. Dabei sind insbesondere der pragmatische und der kontextbezogene Ansatz
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der Visual Culture-Forschung entscheidend. Er expliziert, dass die Produktion und Rezeption visueller Artefakte als soziale bzw. kulturelle Praktiken zu verstehen sind, die bezogen auf gesellschaftliche und interpersonale Diskurse soziale und interaktiv konstitutierte Bedeutungszuschreibungen erlangen. Diskurse motivieren, was (medial) gezeigt wird und wie es stilistisch gestaltet ist (vgl. Kap. 5). Sie konstituieren Sichtbarkeiten, die nicht nur auf sprachlichen Interaktionen beruhen, sondern auch ‚visuelle Dialogizität‘ enthalten. Bilder antworten auf Bilder. Neue visuelle Moden sind Reaktionen auf vorgängige Designstile, die zwar über Sprache sozial semantisiert werden, die jedoch als ‚Formpraktiken‘ auch auf nonverbal-mimetischen Bezügen voriger Handlungsvollzüge beruhen, wie es ebenso praxistheoretische Ansätze annehmen (vgl. dazu Reckwitz 2008: 97 ff.).
2.2 S OZIALSEMIOTIK
ALS
F ORSCHUNGSPERSPEKTIVE
Mit der semiotischen Perspektive ist eine Forschung angeregt, die Phänomene hinsichtlich ihrer Bedeutungszuschreibungen untersucht. Damit ist sie eine Universallehre: Mit diesem Anspruch sind nicht nur die sprachlichen Zeichen thematisiert, sondern alle Entitäten, die als Signale zur Vermittlung bestimmter Informationen gebraucht werden. Das macht es schwierig, die Semiotik als eine wissenschaftliche Disziplin zu behandeln. Erste Eingrenzung hat sie erfahren, indem sie als sogenannte ‚Lehre von den Zeichen‘ auf die Zeichenmodelle von Peirce für eine pragmatische und de Saussure für eine systemisch-semiologische Ausrichtung bezogen wurde. Sie fokussiert damit primär kulturell kodierte Zeichenprozesse und weniger tierische im Sinne einer Zoosemiotik. (Vgl. Eco 2002: 29 ff.) In allen Gesellschafts- und Kulturwissenschaften sowie in den naturwissenschaftlichen Fächern werden jedoch Phänomene hinsichtlich bestimmter Bedeutungen interpretiert. Damit untersucht jede Form wissenschaftlichen Arbeitens Semiose-Prozesse, die sie mit Hilfe disziplinspezifischer Kodesysteme, sprich Methoden, zu behandeln konventionalisiert hat. Zeichenprozesse sind ferner die Grundlage jeder alltäglichen Interaktions- und Kommunikationssituation. Sie dienen der Konstitution von sozialem Sinn, dem Austausch von Botschaften, bilden die Instrumente zur Konstruktion von Identität und schaffen die nötigen Übereinkünfte für Vergemeinschaftungen, so dass der Universalitätsanspruch der Semiotik weiterhin bestehen bleibt. Allerdings passt dieser nicht in den Prozess sich funktional ausdifferenzierender Systeme, so dass neben der Semiotik weitere Paradigmen entwickelt wurden, die das Symbolhandeln des Menschen
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konzeptualisieren. Prominent sind hierfür in soziologischer Hinsicht der von Mead angeregte symbolische Interaktionismus, die Handlungstheorie von Weber, der phänomenologische Ansatz von Schütz und systemtheoretische Ansätze ausgehend von Parsons und Luhmann (vgl. im Überlick Morel/Staubmann 2007) zu nennen. In kommunikativ pragmatischer Hinsicht bieten sich die von Austin vorgeschlagene Sprechakt- bzw. Performanztheorie, Wittgensteins Sprachphilosophie, das Sprachmodell von Bühler, das Nachrichtenquadrat von Schulz von Thun, die Konversationsmaximen von Grice, das Face-Modell und die Interaktionsrituale von Goffman, die Theorie des kommunikativen Handelns von Habermas und die Metakommunikation von Watzlawick (vgl. im Überblick Auer 1999) an. Diese Modelle haben unterschiedliche Relevanz in den verschiedenen Einzelwissenschaften erlangt bzw. werden für bestimmte Gegenstandsbereiche herangezogen. Die Übernahme semiotischer Konzepte beschränkt sich zumeist auf die Zeichentypologisierung Ikon, Index und Symbol von Peirce, die von de Saussure angeregte Zeichenbestimmung als Einheit von Signifikant (Ausdruck) und Signifikat (Inhalt) und/oder auf die von Morris motivierte Unterscheidung von Syntax, Semantik, Pragmatik (vgl. dazu beispielhaft die Einführung in die Kommunikationswissenschaft bei Beck 2010). Im Zuge poststrukturalistischer Konzeptualisierungen kann man jedoch von einem gewissen ‚Revival‘ der Semiotik in den Kultur- und Sozialwissenschaften sprechen. Dabei bezieht man sich häufig auf rezeptionsästhetische (prominent Eco 1977, Barthes 1996, Hall 1999), dekonstruktivistische (prominent Derrida 2004), performativitäts- (z. B. Fischer-Lichte 2004) und gendertheoretische (prominent Butler 1991) Ansätze, indem sie je nach Gegenstandsbereich mit den subjektiven und/oder kulturbedingten Bruchstellen der semiologischen Verbindung von Signifikant und Signifikat operieren. In der Linguistik lässt sich mit der Ausweitung der Forschungsperspektive auch auf nichtsprachliche Zeichen wie Mimik, Gestik und Sprache-Bild-Kommunikation ebenfalls eine neue Hinwendung zur Semiotik erkennen. Hierbei gilt es, die Komplexität der „semiotischen Landschaften“ (Kress/Leeuwen 1996, Stöckl 2004a) zu erfassen, die in der Linguistik vor allem als multimodale Texte und Stile untersucht werden (vgl. Schmitz 2003, Holly 2005, Sandig 2006, Fix 2007). Da die vorliegende Arbeit gerade diese Stil-Handlungen in ihrer visuellen Ausprägung zum einen als Bestandteile der semiotischen Landschaften und zum anderen hinsichtlich ihrer sozialen Funktion untersucht, bedient sie sich sozialsemiotischer Anregungen. Diese gehen generell von einer pragmatischen und kontextbezogenen (Halliday/Hasan 1989) sowie multimodal-komplexen Zeichenverwendung (Leeuwen 2005, Royce/Bowcher 2006) in kommunikativen Prozessen zur Stiftung von Identität und Gemeinschaft aus. Angeregt wurde die-
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se Sichtweise von dem Linguisten Michael A. K. Halliday, der gemeinsam mit Hasan die sozialsemiotische Perspektive wie folgt charakterisiert: „Our general approach to the study of language, as our title is intended to suggest, is one that focuses upon the social: upon the social functions that determine what language is like and how it has evolved.“ (Halliday/Hasan 1989:3)
Für Halliday unterscheidet sich die Sozialsemiotik von der allgemeinen Semiotik dadurch, dass sie nicht nur die Zeichenprozesse isoliert, sondern diese immer im kulturellen und situativen Kontext betrachtet. Dabei geht es ferner nicht (nur) darum, einzelne Zeichensysteme samt ihrer spezifischen Kodierung (z.B. Bild vs. Sprache), sondern generell die sozialen Prozesse der Produktion und Rezeption von Bedeutung zu bestimmen. Zentrale Kategorien der Sozialsemiotik Hallidays sind somit Text, Diskurs und Kontext, mit denen im Zusammenspiel kommunikative Funktionen ausgeübt werden. Das ist nicht nur auf das Sprachliche beschränkt, sondern umfasst alle Möglichkeiten der (medialen) Expression (Halliday/Hasan 1989: 10). Durch das Zusammenspiel von Text, Diskurs und Kontext ist der Text nicht nur als ein Produkt, als ein festes Kommunikat, zu verstehen, sondern gleichzeitig als Prozess zu behandeln. Der Text zirkuliert je nach wechselndem Kontext und diskursiver Referenzbildung innerhalb eines Netzwerkes kulturell bedingter Bedeutungsmöglichkeiten. Einer solch dynamischen Bedeutungsherstellung ist demnach auch mit Mitteln der klassischen Textanalyse nur schwerlich beizukommen. Die Sozialsemiotik begegnet diesem Umstand mit einem Analysefokus, der insbesondere auf die Interaktionalität der Bedeutungskonstruktion gerichtet ist (Halliday/Hasan 1989: 11). Damit unterscheidet sie sich von den Ansätzen der allgemeinen Semiotik, die eher ein abstrahierendes systemorientiertes Herangehen an kommunikative Prozesse bevorzugen. Sozialsemiotik betrachtet, inwiefern der Text innerhalb bestimmter Kontexte als Mittel der interpersonalen Beziehungsorganisation dienen kann. Dabei negiert sie nicht, dass sich Textproduzenten überindividuell geltender Regeln bedienen. Sie geht ebenfalls davon aus, dass diese nicht nur mimetisch-iterativ angeeignet, sondern auch systemorientiert-diskursiv ‚explizit gelernt‘ wurden. Allerdings kann der Blick auf das Sprachsystem nicht die situative Funktion des Textes erfassen, da diese eine subjektiv sprachliche bzw. bedeutungsstiftende Reaktion auf diese Situation darstellt. Die Situation selbst ist Resultat individuell-psychischer und biografischsozialisationsbedingter Komponenten, punktuell interaktiver Dynamiken sowie überindividuell konstituierter räumlicher, zeitlicher und sozialer Ordnungen. Die Situation ist somit Resultat und Modifikation einer diskursiven Formation (vgl.
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Foucault 1977 [1972]). Kress/Hodge (1999: 6) definieren Diskurs aus diesem Grund wie folgt: „Discourse in this sense is the site where social forms of organization engage with systems of signs in the production of texts, thus reproducting or changing the sets of meanings and values which make up a culture.“
Um eine solche Komplexität annähernd erfassen zu können, untersucht die Sozialsemiotik den Zusammenhang zwischen dem situativen Kontext und die kommunikativ-funktionale Organisation des Textes. Der situative Kontext setzt sich in diesem Sinne aus dem Diskurs des Feldes, dem Diskurs des Tenors und dem Diskurs der Modalität zusammen (Halliday/ Hasan 1989). Der Diskurs des Feldes regt im Sinne einer ethnografischen Feldforschung (vgl. Lueger 2000) eine Perspektive an, die auf den Praxisbereich gerichtet ist, in dem der zu analysierende Text entstanden ist. Es wird gefragt, wie die Kommunikatoren in diesem Praxisfeld verortet sind und welchen damit verbundenen sozialen Praktiken der vorliegende Text angehören kann. Der Diskurs des Tenors umfasst die Art und Weise, wie die Kommunikatoren kommunikativ miteinander umgehen. Welche sozialen Rollen sie dabei einnehmen und welche Beziehungen sich daraus unter den Kommunikatoren ergeben. Der Diskurs der Modalität perspektiviert die medialen, semiotischen und rhetorischen Mittel, die die Kommunikatoren in dem bestimmten Kontext nutzen, um sich entsprechend kommunikativer Ziele auszudrücken. Er behandelt die kommunikativen Funktionen des Textes (z.B. persuasiv, explorativ, moderierend etc.), seine Organisation sowie seine spezifische Kodierung mit Hilfe linguistischer und anderer semiotischer Kategorisierungen. Mit der Übernahme einer sozialsemiotischen Perspektive ist ferner die Überzeugung verbunden, dass Zeichen nicht mehr in der Tradition von de Saussure als rein arbiträr, also in willkürlicher Beziehung, da rein auf Konvention beruhend, behandelt werden. Vielmehr geht eine solche Betrachtung von einer starken Motiviertheit der Zeichen aus. Sie existieren nicht in Form präkommunikativer Bestände, sondern werden erst innerhalb von Kommunikationsprozessen, nämlich in der konkreten kontextbezogenen Nutzung bedeutungsstiftend. Dabei werden sie zwar auf überindividuell als geltend angesehene Regeln und Konventionen bezogen. Dies geschieht jedoch erst im konkreten bedeutungsstiftenden Akt, also mit der Zeichenproduktion und -rezeption. (Kress/Leeuwen 2006: 8) Zeichen sind immer in motivierter Beziehung zum Zeichenproduzenten und -rezipienten sowie den situativen, räumlichen und diskursiven Kontexten, in denen die Produktion und Rezeption stattfindet. Damit wird sinnfällig, warum sich
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die sozialsemiotische Perspektive für die Konzeptualisierung und methodische Operationalisierung von (visuellen) Stilen anbietet. Sie bringt ein zeichentheoretisches Herangehen ins Spiel, das Kommunikation mittels Zeichen immer in ihrer individuellen und sozialen Motiviertheit betrachtet. Sie unterstellt damit eine kommunikative Praxis, die in dieser Schrift als Stil gefasst wird, und ermöglicht durch die multimodale Erweiterung auch eine Anwendung auf visuelle StilAusprägungen. Bereits bei Halliday ist eine kritische Perspektive in die Forschung einbezogen. Kress und van Leeuwen (Kress/Leeuwen 1996, Leeuwen 2005, Kress/Leeuwen 2006, Leeuwen 2008, Kress 2010) haben die kritische Forschungsprogrammatik der Sozialsemiotik mit Bezug auf die Machtheorie von Foucault und in Anlehnung an die kritische Diskursanalyse (CDA) weiter vorangetrieben. Dabei operieren sie mit dem Begriff der Ideologie. Im Zuge poststrukturalistischer und deskriptiver Forschungspraktiken wurde diese an die kritische Theorie und den Marxismus anschließende, zuweilen sehr normativ aufgeladene Kategorie problematisiert (vgl. Abschnitt 2.6). Ich schließe mich jedoch dem Gebrauch des Begriffs der Ideologie im sozialsemiotischen Sinne an, da er ebenfalls weniger präskriptiv als deskriptiv verwendet wird. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf das Vorhandensein von Dominanzverhältnissen in gesellschaftlichen Formationen, die dazu führen, dass Interessen und Weltsichten bestimmter dominant verorteter Akteure, Gruppen, Ethnien, Kulturen und Diskursen (massenmedial unterstützt) stärkeren Einfluss in der kollektiven Wirklichkeitskonstruktion haben als andere. Die aus dieser hegemonialen Position heraus geäußerten Sichtweisen und vollführten Praktiken und Zeichenhandlungen werden somit (kontextgebunden) faktischer und angemessener angesehen als andere (vgl. auch Angermüller 2007). Solche Positionen und Praktiken können als ideologisch verfestigt angesehen werden (vgl. in Anlehnung an Gramscis Konzept der kulturellen Hegemonie Hall 1999). Das negiert jedoch nicht die Möglichkeit der Etablierung von Gegendiskursen. Auch Foucault hat auf diese Brüchigkeit von Machtverhältnissen immer wieder hingewiesen (vgl. z.B. Foucault 2005). Wenn somit die sozialsemiotische Forschungsperspektive als kritisch zu bezeichnen ist, dann in dieser beschreibenden Anwendung des Ideologie-Begriffs. Sie möchte auf situative und kontextbezogene Dominanzverhältnisse hinweisen, die sie indexikalisch durch den Vollzug bestimmter Zeichenhandlungen angezeigt sieht. Sie reflektiert die in bestimmten Kontexten realisierten Zeichenprozesse und schlägt machttheoretisch begründet mögliche Ursachen dafür vor. Ich übernehme diese Forschungsprogrammatik der Sozialsemiotik, was ich im Kapitel 2.6 nochmals genauer in Bezug auf eine kritische Stilanalyse erläutern werde.
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2.3 V ISUAL C ULTURE S TUDIES IN DEN M EDIEN UND K OMMUNIKATIONSWISSENSCHAFTEN Visual Culture Studies haben ein ähnlich innovatives Potenzial für die aktuelle Medien- und Kommunikationswissenschaft, wie es die Cultural Studies entfaltet haben. Sie stellen auf vergleichbare Weise die kulturellen Aspekte der Medienkommunikation in den Mittelpunkt und fokussieren dabei insbesondere deren visuelle Ausprägung. Sie können die bereits zahlreichen kultur-, sozial-, medienund kommunikationswissenschaftlichen Forschungsaktivitäten zur visuellen Kommunikation (Müller 2003, Knieper 2005, Grittmann 2007, Meier 2008a, Raab 2008, Kramer/Baumgarten 2009, Breckner 2010, Bisanz 2011, Geise 2011, Petersen/Schwender 2011), in der Werbung (Kroeber-Riehl 1993, Stöckl 1997, Willems 2003, Zurstiege 2007), in der Film- und der Videoanalyse (Bostnar/ Pabst/Wulff 2002, Faulstich 2002, Hickethier 2007, Bohnsack 2009, Reichertz 2010) im deutschsprachigen Raum paradigmatisch unter dem Dach einer Bildwissenschaft bündeln und mögliche Anschlussfähigkeit und Vernetzung mit der internationalen Forschung in diesem Bereich stiften. Dabei sind sie durch ihren konkreten Medien-, Gegenstands- und Kontextbezug weniger als eine allgemeine, sondern vielmehr als eine im Sinne Hubers (2004: 232) „spezielle Bildwissenschaft“ zu verstehen, die er auch als „Bildmedienwissenschaft“ bezeichnet. In den Kommunikationswissenschaften beginnt sich, auf Anregung Müllers (2003, 2007), die Beforschung von visuellen Medienartefakten als Visuelle Kommunikationsforschung zu etablieren (Lobinger 2012: 13). Die Visual Culture Studies könnten darüber hinaus eine ähnliche Etablierung erfahren wie es die Cultural Studies mittlerweile in den Medien- und Kommunikationswissenschaften (Winter, C./Thomas/Hepp 2003, Winter, R. 2003, Hepp 2009) erreichen konnten. Mit ihrer Fokussierung auf das medienvermittelt Sichtbare schärfen sie ebenso wie die Cultural Studies eine Forschungsperspektive, die Mediennutzung als subjektive Aneignung medialer Produkte begreift, die als Bestandteil der Alltagskultur zu konzeptualisieren ist. Für die Perspektive der Visual Culture Studies bedeutet dies, dass bei der „Auseinandersetzung von Visualisierungstendenzen […] der Metaprozess ‚Mediatisierung‘ stets mitgedacht werden“ [muss; SM] (Lobinger 2012: 20). In Anlehnung an die Cultural Studies liefern sie für die Kommunikations- und Medienwissenschaft wiederum eine kritische Perspektive ohne kulturpessimistische Abtönung und schaffen eine transkulturelle Sensibilität für lokale Kulturphänomene im globalen Kontext. An der Seite der Cultural Studies sind die Visual Culture Studies mit der ersten grundlegenden Kategorie der nach Krotz/Hepp/Winter (2008) idealtypisch bestimmten Arten der Kommunikations- und Medientheorien verknüpft. Sie basieren demnach auf „medien-
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kulturalistischen Theorien“, die „primär Medieninhalte und deren Medienformen sowie subjektive Aneignung und Rezeption von Medieninhalten unter dem Einfluss von direkten persönlichen Umweltbezügen und Relevanzsetzungen“ (ebd.: 14) fokussieren. Krotz (2006) weist auf die sehr allmähliche Etablierung der Cultural Studies in Deutschland von den 1990er Jahren bis zur Gegenwart hin, so dass auch eine sehr langsame Formierung einer breiteren Forschungslandschaft zur Visual Culture bzw. zur visuellen Kultur zu erwarten ist. Anfänge dieser Forschungspraxis sind jedoch noch wenig sozial-, sondern eher kulturwissenschaftlich ausgerichtet (Mörtenböck 2003, Leonhardt 2007, Paul 2009). Krotz sieht die Attraktivität der Cultural Studies jedoch in einer kulturtheoretischen Fokussierung neuer (medialer) Gegenstände und kultureller Praktiken, die mit aktueller (kultur-) soziologischer sowie medien- und kommunikationswissenschaftlicher Forschung in hohem Maße anschlussfähig ist. Für die Soziologie liefert sie neue gesellschaftsund kapitalismuskritische Impulse sowie eine ethnografische Perspektive auf Praktiken mediengestützter Vergemeinschaftung. (Vgl. auch Winter, R. 2006) Eine literatur- und kulturwissenschaftlich fundierte Medienwissenschaft schließt an die Cultural Studies hinsichtlich rezeptionstheoretischer Gemeinsamkeiten an. Übereinstimmend werden die Nutzung von Medien und deren polysemen Inhalte als subjektive Aneignungspraktiken verstanden. (Hickethier 2003: 226 f.) Sie haben mit Bezug auf die Cultural Studies zudem eine breite Forschung populärer Kulturphänomene etablieren können (Vgl. Winter, R. 2000, Göttlich/Gebhardt 2002, Hügel 2003). Für eine sozialwissenschaftlich ausgerichtete Kommunikationswissenschaft sieht Krotz (2006: 127) eine gewinnbringende Einbeziehung der Cultural Studies durch die damit verbundene Ausweitung des Kommunikationsbegriffs. Sie zwingt dazu, nicht nur öffentliche oder journalistische Kommunikation zu untersuchen, sondern sich einem breiteren Spektrum an Konzepten und Methoden zuzuwenden, die die zunehmende Mediatisierung der Alltagspraktiken und die damit verbundenen sozialen, wirtschaftlichen, politischen und vor allem kulturellen Entwicklungen verstehen und untersuchen lassen (Krotz 2007). Auch für eine medien- und soziolinguistisch ausgerichtete Sprachwissenschaft liefern die Cultural Studies viele Anknüpfungsmöglichkeiten. Allerdings bestehen gewisse Vorbehalte gegenüber einem vermeintlich oberflächlichen Umgang der Cultural Studies mit der konkreten sprachlichen Interaktion als kulturstiftender Praxis (Androutsopoulos 2006). Diese Zuschreibung lässt sich m.E. nicht von der Hand weisen. Ethnografische und Medieninhaltsanalysen der Cultural Studies fokussieren zuweilen die konkreten kommunikativen Handlungen auf der Zeichenebene zu ungenau. Es fehlt häufig ein transparentes Instrumentarium, das die zur Anwendung gebrachten Zeichenfunk-
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tionen erfassen lässt. Auch Studien der Visual Culture Studies lassen dieses teilweise vermissen. Aus diesem Grund verfolgt die vorliegende Arbeit eine semiotisch ausgerichtete Methodologie zur Erfassung visueller Stilistik auf der konkreten medial materialisierten Zeichenebene. Sie soll soziale Semantisierungen von Visualität intersubjektiv plausibilisieren. Nach Meinung Krotz (2006: 127) „könnten sich die Cultural Studies mit „kommunikations-/sozialwissenschaftlichen und medien-/literatur-/sprachwissenschaftlichen Ansätzen auch in Deutschland mit Aussicht auf reichlich Synergien begegnen. Wenn sie denn wollten.“ Eine ähnliche Rolle wäre auch den Visual Culture Studies zuzutrauen, da sich seit Längerem in Deutschland nicht nur die Kunstgeschichte oder die Kulturwissenschaften, sondern alle aufgeführten Disziplinen mit visueller Kommunikation als kultureller und ästhetischer Praxis beschäftigen.
2.4 V ISUELLE S TILE
ALS G EGENSTAND EINER SOZIALSEMIOTISCHEN V ISUAL C ULTURE F ORSCHUNG
Der Stil-Begriff wird im Forschungskontext der Visual Culture Studies bisher wenig behandelt, obwohl er auch als Grundbegriff in den Ursprungswissenschaften Kunstgeschichte (vgl. Wölfflin 2009) und der Literaturwissenschaft (Göttert/ Jungen 2004: 38) gilt. Dies mag daran liegen, dass der Stil-Begriff bis heute schwerlich zu spezifizieren ist. Genauere Bestimmungen finden sich in Kapitel drei. In den Visual Culture Studies taucht der Begriff zuweilen in filmwissenschaftlichen Arbeiten auf, aber auch dort bleibt er häufig eng an den wenig konkreten Strukturmerkmalen der Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte orientiert (Schweinitz 2007) oder nimmt eine marginale Stellung ein. So ist der Begriff weder als Terminus noch als Eintrag in Register einschlägiger Einführungen und Handbücher in die Filmwissenschaft aufgenommen (Hill 1998, vgl. Bostnar/Pabst/Wulff 2002, Donald 2008, Pramaggiore 2011). Eine Ausnahme bildet die neoformalistische Arbeit von Bordwell und Thompson (2004). Sie definieren Stil als systematischen „Gebrauch kinomatographischer Mittel“, der auf einer filmischen Kommunikationskultur beruht, „die gleichermaßen ästhetische, technische, ökonomische und rezeptionale Aspekte umfasst“ (Wulff 1999: 20). Als einzelne stilistische Ausdrucksmittel nennt Wulff (ebd.) den szenischen Aufbau, Lichtsetzung, Ausstattung, Kostüme, Schauspiel, Ton, Kinematographie, Transistionstechniken, Prinzipien der filmischen Auflösung etc. Bordwell und Thompson (2004: 389) setzen diese Stilmittel zu einem formalen System
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filmischen Stils zusammen. In ähnlicher Weise und anhand ähnlicher visueller Stilmittel, wie sie bei Bordwell thematisiert sind, verfolgt diese Arbeit eine systematische Semantisierung visueller Stilistik. Allerdings ist sie darauf bedacht, nicht eine formalistische Statik zu verursachen, sondern einen pragmasemiotischen Stil-Begriff zugrunde zu legen, der die bedeutungskonstituierende Funktion von Interaktion und Kontext berücksichtigt. Stil wird hierdurch weniger als ein formales System betrachtet, vielmehr als eine brüchige Formation musterhaften Stil-Handelns (vgl. Kap. 5). Ein weiterer Anwendungsbereich eines visuellen Stil-Begriffs in den Visual Culture Studies besteht in der Fokussierung visueller Ausprägungen von Subund Jugendkulturen, die u.a. durch Kleidungs-Moden bzw. Fashion-Präferenzen ein dialektisches Verhältnis zwischen Individualismus und sozialer Identität herstellen. Beispielhaft zeigt sich dies bei Anderson (2005: 72): „A good example of this is youth subcultures in which individuals use style as a means of asserting a group identity that is in some way different from mainstream tastes and values.“
Im Anschluss an soziologische Konzepte von Simmel, Elias und Bourdieu (vgl. Abschnitt 3.1) zeigt sie, inwiefern durch Kleidung und Styling Zugehörigkeit und Widerständigkeit zu bestimmten sozialen Kontexten markiert werden können. Gerade den ostentativ ausgerichteten jugend- und subkulturellen Praktiken wird dabei eine besondere Motivation zur Kommunikation kohärenter Identität unterstellt. Diese schließt neben den gemeinsamen Bezug auf bestimmte Musik, Filme und Stars eine kollektivierend wirkende Verhaltensästhetik mit ein. Sprachlich äußert sich dies in der (bewussten) Nutzung bestimmter szenespezifischer Ausdrücke und Phrasiologismen (vgl. Neuland 2008) und visuell in der Auswahl bestimmter spezifisch sozial semantisierter Kleidungsstücke, Stylings und Accessoires. Allerdings bleibt die Untersuchung von Visualität von jugendund subkultureller Stilistik weiterhin wenig behandelt. Dies liegt in dem bereits festgestellten Mangel an wissenschaftlicher Konzeptualisierung und methodischer Operationalisierung von visueller Stilistik in den (medialen) Alltagshandlungen. Primäres Interesse sozialwissenschaftlicher Jugendforschung sind eher die inhaltlichen Orientierungen in den Vergemeinschaftungspraktiken von Jugendlichen in Szenen etc. und kaum an deren visuell-stilistischen Ausprägungen (Hitzler/Niederbacher 2010, vgl. Ferchhoff 2011). Die Relevanz des Stil-Handelns als Praxisform der Visual Culture wird jedoch nicht zuletzt anhand der Kommunikationsform (siehe Abschnitt 4.3) des Graffito deutlich. Sie zeigt die enge Verzahnung zwischen populären Alltags-
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ästhetiken und Praktiken der Identitätskonstruktion und/oder sozialer Vergemeinschaftung in besonderer Weise. Graffiti als die Produktion (subversiver) visueller Artefakte im öffentlichen Raum stehen ursprünglich in enger Verbindung mit der HipHop-Kultur und lassen sich so als prototypische Praxis sozialer Interaktion mittels visueller Stilisierung verstehen. Das Sprühen und Schreiben von pieces, tags etc. als einer der vier konstituierenden Praktiken des HipHop neben dem DJ-ing, dem Breakdance und dem Rap (Steinat 2007: 13) sind eine indexikalische Ausdrucksform mittels visueller Zeichenhaftigkeit. Form, Farbe, Größe, Proportionen, Untergrund sowie der gewählte räumliche Kontext sind die performativen Instrumente der (Selbst-)Darstellung des Sprühers. Hierdurch adressiert er seine kulturelle Community und die (lokale) Öffentlichkeit (Meier 2007). Das Spühwerk ist im Sinne semiotischer Typologie indexikalisch, da es unmittelbare Auswirkung der Kreativität, der Gestaltungskompetenz und der Risikobereitschaft des Produzenten ist. Es ist seine intentional hinterlassene Spur, die ihn in seinem Engagement hinsichtlich der Quantitativität des Vorkommens, seiner Risikobereitschaft hinsichtlich der Wahl des Ortes und seiner Kreativität und Gestaltungskompetenz hinsichtlich der Virtuosität des Sprühwerks repräsentiert. Sie ist damit zugleich die Verkörperung seiner Sprüher-Identität, da das Produkt inhaltlich zumeist sein Pseudonym enthält, und in seiner Formung und Verortung ganz in Abhängigkeit seines handwerklichen Könnens und seiner körperlichen Möglichkeiten entstanden ist. Hierdurch ist auch sein Anspruch hinsichtlich sozialer Stellung innerhalb der Sprüher-Community markiert, denn diese steht im Sinne des HipHop in ständiger Konkurrenz untereinander, um die Erlangung von Fame. Fame als szenespezifische Kategorie für kommunikativen Erfolg und sozialer Anerkennung ist damit das Ergebnis sozial wahrgenommener und anschlussfähiger Innovation von genre-, zielgruppen- und situationsspezifischer Stil-Muster. In der Gestaltungspraxis der Graffiti wären solche prototypischen StilMuster z.B. der wildystyle, der bubblestyle, das throwup oder das tag.
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Abbildung 2.1: ‚wildstyle‘ im Mauerpark Berlin (2003)
Abbildung 2.2: ‚bubblestyle‘ im Volkspark Friedrichshain Berlin (2003)
Abbildung 2.3: ‚threw up‘ auf Bauwagen an der Prenzlauer Allee Berlin (2003)
Abbildung 2.4: ‚tag‘ an Häuserwand in Berlin Friedrichshain (2003)
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Quelle: aus Meier 2007: 6
Wildstyle (Abb. 2.1) gilt dabei als anspruchsvollste Formfiguration. Er enthält inhaltlich zumeist das Pseudonym eines Einzelsprühers oder einer Crew, die sich aus mehreren Sprühern zusammensetzt. Die Lettern zeigen sich aufwendig verschlungen, mehrfarbig, kontrastreich, formschön und sauber gesprüht. Sie sind häufig an so genannten halls of fame zu finden. Dies sind legale Sprühflächen, an denen die Produzenten in der Regel nicht unter Zeitdruck arbeiten müssen. So können sie ihre ganze Beherrschung der Sprühinstrumente samt der Nutzung verschiedener Caps (Sprühaufsätze) unter Beweis stellen. Die Gestaltung der Buchstaben suggeriert ein visuelles Zittern und Zappeln, das durch die Verschränkungen in Schach gehalten wird. Dadurch ist weniger die Leserlichkeit als die dynamische und markante Wirkung entscheidend. Farbflächen sollten sauber aneinander stoßen, gleichmäßige Formungen aufweisen und ohne Nasen (Farb-
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tropfen) aufgetragen sein. Der bubblestyle (Abb. 2.2) weist zumeist weniger Farben auf, ist durch seine bauchigen Lettern gekennzeichnet, die ebenfalls durch eine angedeutete flexible Konsistenz dynamisch bewegt wirken sollen. Als ob Luft oder Flüssigkeit den Inhalt einer wabbligen Buchstaben-Hülle bilden, die seitliche und horizontale Bewegungen und Deformierungen zulässt, ist das Sprühwerk in kompetenter Weise gestaltet. Wildstyle sowie bubblestyle simulieren zuweilen durch Schlagschatten und plastischer Stilisierung der Lettern auch Dreidimensionalität. Das throwup (Abb. 2.3) ist demgegenüber durch seine Zweifarbigkeit charakterisiert, die zweidimensional wirkt. Es besteht aus schwungvollen Buchstabenflächen, die mit einer farblich stark von Untergrund und Buchstabenfarbe kontrastierten Outline umfasst ist. Auch diese Lettern zeigen sich springend und dynamisch deformiert. Das tag (Abb. 2.4) ist ein einfarbiger Schriftzug, der durch seine markante und wiedererkennbare Formung seine gestalterische Qualität erhält und durch die Häufigkeit seines Vorkommens Hinweise auf die Aktivität und das ‚Revier‘ des jeweiligen Writers gibt. Hierbei zeigt sich, dass nicht nur die Form und Farbigkeit des Graffito soziale Anerkennung bzw. Fame stiften können, sondern auch die Orte und Untergründe der Platzierung. Das Werk soll auffällig sein und von vielen Menschen wahrgenommen werden. Dies führt zur intensiven Nutzung von Flächen, die von Zügen aus zu sehen sind, da dadurch eine große und ständig wechselnde Rezipientenschaft zu erwarten ist. Außerdem ‚begrüßen‘ die Sprüher die Reisenden so in ‚ihrer Stadt‘ als ihrer Wirkstätte, da sie ähnlich wie die HipHop-Kultur allgemein als ‚glokale Praxis‘ performt wird. Sie knüpfen an globale Stil-Muster an und entwickeln ihre lokale Spielart als ortsgebundene Szene (vgl. glokale Praktiken des HipHop in Androutsopoulos 2003, Bock/Meier/Süß 2007). Eine andere Praxis mit ähnlichem Ziel ist die Besprühung von Zügen und S-Bahnen. Hierdurch wird das Produkt durch einen beweglichen Untergrund durch die Stadt gefahren und erreicht somit flächendeckender seine Adressatenschaft. Hinzu kommt die Dokumentation großer Risikobereitschaft, da die Sprüher in vornehmlich stark überwachten Depots einbrechen müssen, um ihre Sprühwerke auf die Züge platzieren zu können. Graduelle Unterschiede werden erwirkt, wenn es gelingt, einen gesamten Zug zu besprühen oder ‚nur‘ Wagonteile (Meier 2009). Der heuristische Wert einer Etablierung sozialsemiotischer Ansätze in die Erforschung visueller (Medien-)Kultur wird anhand des Graffito-Beispiels besonders deutlich. Die Sozialsemiotik liefert das begriffliche Instrumentarium visuelle Gestaltung von (Medien-) Artefakten als Symptome für soziale Zugehörigkeit und Abgrenzung zu behandeln. Sie ermöglicht eine Semantisierung visueller Gestaltung als ikonische, indexikalische und symbolische Phänomene, die
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bezogen auf Weltsichten, Identität, Kontext und Sozialität interpretierbar werden. In Anlehnung an die sozialsemiotischen Meta-Funktionen (representational, interactional, textual functions) wird in dieser Schrift eine visuelle Stilistik vorgeschlagen, die visuelle Stil-Handlungen als Phänomene der Visual Culture in Abhängigkeit medialer Kommunikationsformen und Genre-Muster konzeptualisiert und methodisch operationalisiert (vgl. Kap. 5). Als erste Stil-Handlung wird hierfür die Auswahl der medialen Kommunikationsform, des Genres und der inhaltlichen Motive, Gegenstände bzw. Konzepte bestimmt. Als zweite gilt die Formung durch Aussehen, Größen-, Farb- und Formgebung bzw. mittels Gestaltung hergestellter Beziehungsstiftung zum Betrachter. Die dritte Stil-Handlung wird in dieser Arbeit als Komposition entwickelt, die durch die Platzierung der Motive/Gegenstände auf der Fläche sowie durch deren Kontrastierungen und Verortungen in bestimmten Raum- und Handlungs-Kontexten gekennzeichnet ist (siehe Abschnitt 5.3-5.5 zur näheren Herleitung dieser Analysekategorien).
2.5 V ISUELLE S TILE : M ONOMODALE R EAKTION ODER AUSWEITUNG IM Z UGE EINER DIGITALEN M EDIATISIERUNG ? (Medien-)Kommunikation wird immer im Zusammenspiel unterschiedlicher semiotischer Ressourcen realisiert, also ist sie im sozialsemiotischen Sinne multimodal. Da in dieser Arbeit die visuellen Stile von kommunikativen Artefakten im Fokus stehen, könnte dieses Anliegen zunächst reduktionistisch erscheinen. Selbst die Visual Culture Studies (vgl. dazu Mitchell 1994) erkennen die notwendige Verbindung zwischen Sprache und Bild als wichtigen bedeutungsstiftenden Faktor an. In umgekehrter Richtung hat die naturgemäß auf das Sprachliche fixierte Linguistik die Ausweitung der Perspektive auf nichtsprachliche Phänomene ebenfalls anerkannt. Dies zeigt die rege Diskussion um den Begriff der Multimodalität (Schmitz 2003, Stöckl 2004a, Meier 2008a, b, Bucher 2011, Stöckl 2011) und der Transkriptivität (vgl. Jäger/Stanitzek 2002, Holly 2005, 2011b) sowie der Herausbildung einer bildlinguistischen Forschungsperspektive (Diekmannshenke/Klemm/Stöckl 2011) in sinnfälliger Weise an. Problematisch bleibt jedoch, dass hier weiterhin ein systematisierendes Instrumentarium fehlt, Funktionen visueller Kommunikation in die Konzepte und Analysen einzubauen. Ansätze dazu zeigen sich in Arbeiten zur Werbung (vgl. z.B. Stöckl 1997, 2008), zur öffentlichen Kommunikation an Bahnhöfen und Flughäfen (Domke 2010, i.V.) und zu Typografie und Textdesign (Blum/Bucher 1998, Roth/Spitzmüller
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2007, Spitzmüller 2010). Es mangelt jedoch an linguistischen Verfahren, das Bild und/andere visuelle Artefakte in ihrer besonderen Kodierung und anthropologischen Tragweite ganz unabhängig von Sprache und sprachlichen Kontexten zu würdigen. Während in der Linguistik ein elaboriertes Begriffs- und Analyseinstrumentarium zur Erarbeitung sprachlicher Stile als Mittel der Identitätskonstruktion und Beziehungsorganisation entwickelt wurde, blieb die Entwicklung oder Übernahme vergleichbarer Instrumente zur Bearbeitung visueller Elemente in den behandelten multimodalen Stilisierungen wenig vertieft. Zumeist bleibt es bei der Einsicht, dass in diesem Bereich noch eine intensivere Auseinandersetzung seitens der sprachwissenschaftlichen Stilistik vorgenommen werden muss (vgl. Sandig 2006, Fix 2007). Die vorliegende Arbeit trägt mit der Fokussierung auf visuelle Stile diesem Umstand Rechnung. Sie negiert also nicht die Multimodalität kommunikativer Prozesse, sondern möchte im Gegenteil deren Analyse intensivieren, indem sie für die visuellen Stil-Anteile ein entsprechendes Begriffs- und Analyseinstrumentarium zur Verfügung stellt. Getragen ist diese Motivation allerdings von der Überzeugung, dass die Relevanz des Visuellen entsprechend seinem anthropologischen und kulturellen Gewicht ‚zu seinem Recht‘ kommt. Ich schließe mich demnach Mitchell an, wenn er zwar auf die Verschränktheit von sprachlicherund visueller Kommunikation hinweist, jedoch dem von Rorty ausgerufenen linguistic turn einen pictorial turn gegenüberstellt (Mitchell 1994, Belting 2005). Mit diesem Programm sind die literarisierten und rational-logisch ausgerichteten Sozial- und Kulturwissenschaften herausgefordert, sich mit der schon immer bestehenden Wirkmächtigkeit visueller Kommunikation (neu) auseinanderzusetzen. Insbesondere die dynamisch voranschreitende Digitalisierung und Mediatisierung von Kommunikation schafft eine steigende Relevanz visueller Darstellungsweisen. Alltägliche Bilderstellung hat sich zwar bereits in vordigitaler Zeit als soziale Praxis etabliert, seit sie mit der Einführung von Kleinbildkameras nicht mehr allein einem künstlerisch motivierten und professionell agierenden Produzentenkreis vorbehalten ist. Mit den Möglichkeiten der digitalen Bildproduktion und Bearbeitung sowie der online-medialen Publikation bildlicher Ausdrucksmöglichkeiten ist jedoch eine ganz neue Qualität visueller Praktiken hinzugekommen. Die Verbreitung handlicher Digital-Kompaktkameras bzw. fotografiefähiger Handys ist dabei eine technische Innovation, die sich durchaus mit der Einführung mobiler Kleinbildkameras in den 1930er Jahren vergleichen lässt. Fortan bestand damals für breitere Nutzergruppen die Möglichkeit, Urlaub und Alltag bildlich festzuhalten und dies zeitversetzt anderen zur Ansicht zu bringen. Mit der aktuellen Technologie liegen noch handlichere Geräte vor, die
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jederzeit als ständiges Utensil in Handtaschen und Rucksäcken dabei sein können. Außerdem fällt die zeitaufwendige und kostspielige Entwicklung der Bilder weg. Die Folge ist eine Inflation der Bildproduktion, die mit wenig Planung und fotografischem Geschickt realisierbar ist. Darüber hinaus erlaubt die digitale Fotografie ebenfalls eine wenig aufwendige postfotografische Bearbeitung. Das Fotolabor befindet sich im eigenen Computer, und die gesteigerte Zugänglichkeit von professioneller Software wie Photoshop und zahlreicher nichtprofessioneller Bildbearbeitungsprogrammen regt die Verbreitung digitaler Aufbereitung von schnell gemachten Fehlern in Form von Ausschnitt-, Schärfe-, Lichtkorrektur, Retusche von angeblitzten Rotaugen sowie auch eine digitale Experimentierfreudigkeit zur Erstellung von Montagen (Komposings) und Verfremdungen an. Durch die online-mediale Publikationsmöglichkeit können die Bildprodukte neben kopräsenten Gesprächsteilnehmern distanzüberwindend nicht-präsenten Personen sowie einem dispersen Publikum zur Anschauung gebracht werden (vgl. Meier 2013b). Ähnlich revolutionäre Auswirkungen hat die Umstellung von analoger SetzTechnik auf das digitale Desktoppublishing (DTP) bewirkt. Layout von digitalen und Print-Produkten sind nicht mehr allein professionellen Grafikern und Layoutern mit mehrjähriger Ausbildung und kostspieliger Technik und Maschinen vorbehalten. Gesteigerte Zugänglichkeit und leichtere Handhabung professioneller Software wie Indesign, Freehand und/oder Illustrator sowie zahlreicher nicht professionell als Layoutsoftware genutzter Tools ermöglichen den Entwurf von Logos und kreativen Interface-, Flyer- und Plakat-Designs, die ebenfalls zu einer gesteigerten visuellen Kommunikation in Medienangeboten geführt haben. Selbst die alltägliche Erstellung von Schriftstücken am Computer, Net- oder Notebook beinhaltet die ursprüngliche Arbeit eines Typografen, wenn es darum geht, Schriftgröße und -typ auszuwählen. Online-gestützte Angebote für die Erstellung von Fotoalben ermöglichen darüber hinaus experimentelle Layoutlösungen, die spielerisch mit Fotoformaten und Flächenaufteilungen umgehen lassen. Während das ‚analoge Fotoalbum‘ mit seinem feststehenden Format und eventuell bereits aufgeklebten Fotoecken einheitliche Vorgaben für das Arrangement der privaten Fotografien machte, ermöglicht das digitale Album-Layout flexible Bildformatierungen und -kompositionen. Das Bildensemble ist somit stilorientiert gestaltbar, so dass es ebenso als identitätsstiftende kommunikative Praxis einsetz- und lesbar wird. Die mit der fortschreitenden Mediatisierung verbundene Digitalisierung erreicht somit eine Dynamisierung visueller Praktiken, die sich zunehmend auch als visuelle Stil-Handlungen verstehen lassen. Sie dienen der Markierung von Identität in der Produktion und Rezeption visueller Artefakte. Wie man sich und
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die Welt sieht, was man kann und welchen Geschmack man hat, wo man war und wen man kennt, wird so zunehmend nicht nur sprachlich vermittelt, sondern kann mit Hilfe von visueller Kommunikation und portabler Bildarchive, die man immer griffbereit in Form von Smartphones oder kleinen digitalen Kameras bei sich trägt, gezeigt werden. Auch distanzübergreifend wird Freunden und Bekannten die bestehende physische Präsenz in situativen und räumlichen Kontexten über mobile Bildtelefonie oder mobiles Internet visuell vorgeführt und nicht mehr allein erzählt. Solche digitale Praktiken sind neue visuelle Stil-Handlungen zur Konstruktion von Identität und sozialer Ordnung, Zugehörigkeit und Abgrenzung. Der Prozess der Mediatisierung hat somit eine weitere Visualisierung von Kommunikation ‚im Gepäck‘, die in ihrer stilistischen Ausprägung mit einem geschärften Instrumentarium zu bearbeiten ist. Dies möchte der hier eingenommene Blickwinkel leisten, um im weiteren Schritt das Verständnis und die Analyse multimodaler Kommunikation integrativ behandelt zu können. Die vorliegende Arbeit liefert eine nötige Intensivierung in der Auseinandersetzung mit Visualität und visueller Kommunikation, um die anhaltende Dynamik einer Mediatisierung durch zunehmende Digitalisierung begrifflich wie methodisch angemessen zu begleiten. Im Kapitel drei wird diese Dynamik medientheoretisch weiter vertieft.
2.6 S CHLUSSFOLGERUNGEN : V ISUELLE S TILANALYSE ALS KRITISCHE M EDIENANALYSE Wie festgestellt wurde, folgen die Sozialsemiotik und die Visual Culture Studies einer kritischen Forschungsprogrammatik, der in diesem Abschnitt über den StilBegriff integrierend gefolgt wird. Sie berücksichtigt das Problem, dass mit dem Bekenntnis zur kritischen Analyse immer ein Spannungsfeld zwischen deskriptiver und präskriptiver Forschungspraxis verbunden ist (vgl. dazu die Beiträge in Meinhof/Reisigl/Warnke 2012). Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit ein ‚dritter Weg‘ vorgeschlagen, der kultursoziologische Zugriffe auf den Poststrukturalismus nutzt, um eine weniger normative, denn relativistische Wissenschaftsprogrammatik zu vertreten (Meier 2012b). Ziel ist es dabei, eine kritische Analysepraxis mit deskriptiven Untersuchungsinstrumentarien zu entwerfen, die ein vergleichendes und analytisches ‚Suchen nach Alternativen‘ darstellt (vgl. auch Angermüller 2005). Zwar wird mittlerweile eine dichotome Gegenüberstellung von deskriptiven und kritischen Ansätzen z.B. in der linguistischen Diskursanalyse (Meinhof/ Reisigl/Warnke 2012) oder in der Medienanalyse mit der Etablierung der Cultu-
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ral Studies in den Kultur-, Medien- und Kommunikationswissenschaften (Hepp/ Winter 2006) als wenig hilfreich angesehen. Allerdings setzt sich diese moderatere Sichtweise erst in den letzten Jahren im deutschsprachigem Raum durch, da zum einen eine starke normativ-kritische Forschungstradition mit der Frankfurter Schule vorhanden ist und zum anderen dieses Programm starke Reaktionen aus den objektivistischen, quantitativ-empirisch arbeitenden Forschungsbereichen hervorgerufen hat (vgl. als Höhepunkt dieser Auseinandersetzung den Positivismusstreit, Dahms 1994). In der hier verfolgten Perspektive knüpfe ich jedoch zum einen an die selbstreflexive Forschungsethik der kritischen Diskursanalyse an und zum anderen beziehe ich mich auf kultursoziologische Überlegungen von Reckwitz (2008), der mit Bezug auf Foucault die Hervorhebung des (marginalisierten) Anderen, der Brüche und Diskontinuitäten als kritische Praxis versteht. Mit Bezug auf die kritische Diskursforschung ist hier weniger die von Jäger (vgl. 2009) initiierte Ausprägung im Blick, sondern das im internationalen Zusammenhang entwickelte Forschungsprogramm der Critical Discourse Analysis (CDA). Ursprung dieser Forschungsrichtung liegt in der kritischen Linguistik der 1970er Jahre, aus der auch erste sozialsemiotische Impulse entwickelt wurden (vgl. Hodge/Kress 1999). Noch heute steht die Sozialsemiotik deshalb in engem Zusammenhang mit der CDA (Leeuwen 2008). Vorteilhaft ist bei der Critical Discourse Analysis, dass sie nicht in Polarisierung zu anderen Diskurskonzepten entstanden ist, sondern durch weniger Abgrenzungsdruck multiperspektivisch verschiedene (gesellschafts-)kritische Ansätze und forschungspraktische Umsetzungen in sich vereinen konnte. Charakteristisch ist dabei die gleichberechtigte Anwendung mikro- und makroanalytischer Verfahren, wie es die folgende Diskursdefinition verdeutlicht: „CDA sees discourse – language use in speech and writing – as a form of ‘social practice’. Discribing discource as social practice implies a dialectical relationship between a particular discursive event and the situation(s), institution(s) and social structure(s) which frame it. A dialected relationship is a two-way relationship: the discursive event is shaped by situations, institutions and social structures but it also shapes them. That is, discourse is socially constitutive as well as socially conditioned – it constitutes situations, objects of knowledge, and social identities of and relationships between people and groups of people. It is constitutive both in the sense that it helps to sustain and reproduce the social status quo, and in the sense that it contributes to transforming it. Since discourse is so socially consequential, it gives rise to important issues of power. Discursive practices may have major ideological effects – that is, they can help produce and reproduce unequal power relations between (for instance) social classes, women and men, and ethnic/cultural
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majorities and minorities trough the ways in which they represent things and position people.“ (Fairclough/Wodak 1997: 258)
Aus Sicht der Critical Discourse Analysis wird Diskurs demnach als eine Form sozialer Praxis verstanden, die sprachlich in konkreter Rede und Schrift sowie in Form multimodaler und medialer Praktiken (vgl. Fairclough 1995, Kress/Leeuwen 2001, Wodak/Chilton 2005) realisiert ist. Sie steht im dialektischen Verhältnis zu bestimmten Kontexten, diskursiven Ereignissen und Situationen sowie (massen-)medialen, institutionellen und sozialen Strukturen, wodurch die Rede, Schrift und Bildlichkeit als Diskurspraxis bedingt wird und gleichzeitig modifizierend auf die Bedingungen einwirkt. CDA untersucht die Konstituierung und Konstitution sozialer Wissensbestände, kultureller sowie sozialer Identitäten, Beziehungen und Hierarchien. Damit kann sie als eine Sozialwissenschaft verstanden werden, die sich in ihrer empirischen Forschungspraxis linguistischer Methoden bedient. Kritisch ist die CDA durch ihren Bezug zur kritischen Theorie der Frankfurter Schule. Dabei vertritt sie einen aufklärerischen Anspruch, der aktiv zum gesellschaftlichen Wandel beitragen möchte. Wissenschaftsethisch sieht sie diesen Anspruch jedoch nur legitim verwirklicht, wenn die kritische Analyse sozialer Praktiken auch die kritische Reflektion der eigenen Forscherperspektive einschließt. Erst wenn diese in Bezug auf bestehende strukturelle und machtbedingte Abhängigkeiten offengelegt wurde, ist eine transparente und damit nachvollziehbare Kritik an bestehenden Verhältnissen möglich. Ein solches Vorgehen beruht auf der Einsicht, dass Forschung und Forscher nicht außerhalb sozialer Machtverhältnisse agieren, sondern ebenfalls ein Teil dieser machterhaltenden und modifizierenden Dynamiken sind (Wodak/ Meyer 2009: 7). Van Leeuwen bringt die kritische Haltung der CDA wie folgt auf den Punkt: „Naming oneself ‚critical‘ [Hervorhebung im Original; SM] only implies specific ethical standards: an intention to make their position, research interests and values explicit and their criteria as transparent as possible, without feeling the need to apologize for the critical stance of their work.“ (Leeuwen 2006: 293)
Der aufklärerische Anspruch der CDA macht sich zur Aufgabe, ideologische Verfestigungen in den sozialen Praktiken offenzulegen. Dabei ist sie sich zwar über die normativ abwertende Konnotation des genutzten Ideologie-Begriffs bewusst, sie füllt diesen jedoch nicht polemisch, sondern ebenfalls deskriptiv. Sie fokussiert dominante Praktiken, Positionen und Strukturen, die als ‚neutral‘ oder ‚normal‘ bzw. ‚faktisch‘ vertreten werden, um ihre so realisierte ‚diskursive
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Verdinglichung‘ zu dekonstruieren. In Anlehnung an Gramsci geht es also um die Ermittlung hegemonialer Formationen, denen mögliche Alternativkonstellationen entgegengestellt werden sollen. (Wodak/Meyer 2009: 8) Die CDA vertritt eine kritische Wissenschaft, die das Gegebene nicht als Faktisches akzeptiert. In ähnlichem Sinne wird die hier in Kapitel fünf entwickelte kritische Stilanalyse verstanden. Visuelle Stil-Ausprägungen sind ebenfalls nicht als autonome Ausdrucksformen oder (kommunikative) Verhaltensweisen unabhängig von machtdurchdrungenen Diskursen zu verstehen und zu analysieren. Sie sind vielmehr kontextbezogene Realisierungen von dominanten Stil-Mustern. Ihre Aneignung und subjektive Reproduktion ist getragen von hegemonialen Geschmackspräferenzen in bestimmten Vergemeinschaftungs- und Situationskontexten. Eine kritische Stilanalyse hat somit zum einen die Aufgabe, diese kontextbezogene Dominanz bestimmter Stil-Ausprägungen zu rekonstruieren und mögliche weniger vorherrschend positionierte Stil-Praktiken als Alternativmöglichkeiten diesen gegenüberzustellen. Ein solches Vorgehen ist seit jeher konstitutives Merkmal der Stilanalyse, die generell soziale und individuelle StilAusprägung über Vergleiche zu ermitteln sucht (zur Analyse sprachlicher Stile vgl. u.a. Fix/Poethe/Yos 2001, zur Stil-Analyse in der Kunst nach Wölfflin siehe u.a. Weiss 2010). Die hier vertretende ‚kritische (visuelle) Stilanalyse‘ schließt ferner an die kritische Perspektive der Visual Culture Studies an, die in Anlehnung an die Cultural Studies entwickelt wurde. Einmal mehr dienen die Cultural Studies somit als Schnittstelle: diesmal zwischen visueller Kultur- und Medienkritik. Den kritischen Ansatz dieses Forschungsprogramms fasst Hepp (2010: 227) 1. als radikal kontextualisierend; 2. als theoriegestützt; 3. als interventionistisch; 4. als interdisziplinär und 5. als selbstreflexiv zusammen. Ähnlich wie die CDA und die hier als kritischen Ansatz für die Stilanalyse vertretende Sichtweise sehen die Cultural Studies kulturelle Praktiken in engem (dialektischem) Verbund mit situativen und kulturellen Kontexten. Diese sind nicht festgeschrieben, sondern sind durch ihren Wechsel und Wandel durch unterschiedliche Dominanzen und Interessenkonstellationen bedingt, die die Cultural Studies jeweils zu bestimmen beanspruchen. Im Bezug auf die theoretischen Konzepte, die die Zugänge der Cultural Studies leiten, sind wie bei der CDA deren Bedingtheiten und sozialen Kontexte zu reflektieren, die für ihr Entstehen und den spezifischen Fokussierungen verantwortlich sind. Ferner verstehen sie sich nicht als zweckfrei, sondern sehen es als ihre Aufgabe an, gesellschaftliche und kulturelle Marginalisierungspraktiken zu benennen, um zu ihrer möglichen Überwindung beizutragen. Die Cultural Studies lehnen ein Forschen innerhalb enger Disziplingrenzen ab,
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sondern favorisieren einen multiperspektivischen Zugriff auf ihren Forschungsgegenstand Kultur bzw. kulturelle Praktiken. Die hier vertretene kritische Stilanalyse verfolgt die aufgeführten Eckpfeiler in Abhängigkeit ihres Forschungsgegenstandes in ähnlicher Weise. Sie nimmt die kontextbedingte Bedeutungsstiftung der Sozialsemiotik auf (vgl. Abschnitt 5.6) und fokussiert die zu analysierenden Praktiken theoriegestützt als StilPraktiken. Diese werden im Laufe der Arbeit transdisziplinär konzeptualisiert (vgl. Abschnitt 3.8) und methodisch integriert (vgl. Kap. 6). Nicht zuletzt verfolgt die Stilanalyse eine methodisch systematisierte Selbstreflektion, die eine mögliche Etablierung alternativer Stil-Ausprägungen im interventionistischen Sinne legitimieren soll. Weniger offensiv formuliert, jedoch im Ergebnis sehr nahe an den bereits beschriebenen Konzepten ist die praxistheoretische Moderation zwischen deskriptiven und präskriptiven Ansätzen von Reckwitz (2008, 2010). Wie viele Ansätze der Cultural Studies bezieht er sich dabei auf poststrukturalistische Konzepte, um die normative und kontrafaktische Argumentation der kritischen Theorie zugunsten einer empirisch ausgerichteten Gesellschaftsanalyse zu wenden. Damit sieht er jedoch nicht den kritischen Impetus entsorgt, sondern schreibt seinerseits dem Poststrukturalismus kritisches Potenzial zu (Reckwitz 2008: 283 ff.): „[…] In dem spezifischen kulturtheoretischen, letztlich sprach- und zeichentheoretischen Rahmen der Poststrukturalisten ergibt sich damit jedoch kein strikter Dualismus zwischen Rationalität und Gegenorte, zwischen Herrschaft und Freiheit mehr. Vielmehr erscheint die Tendenz des Unkontrollierbaren von vornherein in die Strukturen eingebaut, so begreift man sie als Sinnstrukturen ähnlich der Sprache in ihrer Fluidität und Heterogenität.“ (Reckwitz 2008, S. 299)
Man muss nicht unbedingt Anhänger poststrukturalistischer Sprachtheorien sein, um das Prinzip nachvollziehen zu können, das Reckwitz meint. Er verweist auf die Untersuchungen Foucaults, die immer auch das Andere, die Brüche und Diskontinuitäten im Blick haben, die jedoch machtabhängigen Verknappungen unterworfen sind. Reckwitz hat zudem den différance-Gedanken von Derrida im Blick, der auf eine quasi-anarchistische Mehrdeutigkeit von Zeichen in den kulturellen Praktiken abzielt. Beide argumentieren streng empiriebezogen und nicht kontrafaktisch. Dem stellt Reckwitz die klassischen Ansätze kritischer Gesellschaftstheorien gegenüber, die mit poststrukturalistischen gemeinhin als wenig kompatibel gelten (vgl. Habermas 1996). Reckwitz schreibt den kritischen Ansätzen zwei einheitliche Funktionen zu. Zum ersten verfolgen sie den aufklärerischen Anspruch, Herrschaftsstrukturen hinter vermeintlich verschleiernden Fas-
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saden offenzulegen. Zum zweiten tun sie dies mit Bezug auf Werte- und Normenkonzepte, welche als ‚kontrafaktische Gegenorte‘ zu begreifen sind, nach denen die empirischen Zustände bewertet werden. Diese Analysepraxis macht die kritischen Ansätze zu präskriptiven. Der Bezug auf den Poststrukturalismus lässt nun eine kritische Perspektive zu, die jedoch einem deskriptiven Anspruch verpflichtet bleibt. Arbeiten von Buttler (vgl. z.B. 1997) zeigen das in besonderem Maße. Im Hinblick auf Gender-Subjektivierungsweisen verweist Buttler auf zahlreiche alternative Spielarten jenseits der hegemonial-dichotomen Geschlechter-Vorstellung Mann-Frau. Durch den Blick auf das Andere, im Falle Buttlers durch die Perspektive auf verschiedene Spielarten von Sexualität jenseits der klassischen Zweigeschlechtlichkeit, wird der Fokus auf mögliche Alternativen zu den als faktisch behandelten hegemonialen Sichtweisen gelegt. Mit der Thematisierung des Andersmöglichen wird das Faktische des Hegemonialen in Frage gestellt. Politische Konsequenz daraus ist, dass das Andersmögliche als marginalisiert deutlich werden kann. Damit wird als Effekt und nicht als vordergründige politische Handlung Aufklärung möglich. Ein solches Forschungsergebnis kann in normativer Hinsicht erst im Nachhinein als politischer Missstand interpretiert werden. Es kann als Basis für eine politische Forderung dienen, die Marginalisierung anprangert und Pluralismus einfordert. Ist eine solche normative Implikation bereits in der Forschung selbst verfolgt, so steht sie unter besonderem Legitimationsdruck. In diesem Falle muss sie im Sinne der CDA ihre spezifischen Forschungsinteressen und -perspektiven nicht nur methodologisch darlegen, sondern auch in politischer Hinsicht vorweg deutlich machen. Dabei bleibt jedoch eine intersubjektive Haltbarkeit der Ergebnisse fraglich. Das Unternehmen muss sich argumentativ des naheliegenden Vorwurfs erwehren, nicht empirisch vorzugehen, sondern bereits vorweg bestehende Vorstellungen nur empirisch belegen zu wollen. Die hier vertretende Forschungspraxis geht anders vor. Sie beansprucht bei ihrer Suche nach Alternativen, intersubjektiv nachvollziehbar und systematisch vorzugehen, so dass tendenziöse Auswahlen bei der qualitativen Forschungspraxis verhindert werden. Als geeignete Methode für ein solches Vorgehen wird das theoretische Sampling der Grounded Theory favorisiert (siehe dazu Meier/ Pentzold 2010). Hierbei wendet man das von der CDA geforderte Prinzip der Transparenz auch in der Auswahl der zu analysierenden empirischen Einzelfälle an. Im Sinne einer minimalen und maximalen Kontrastierung (vgl. auch Kelle/Kluge 1999) bezogen auf die Forschungsfrage wird jeder Einzelfall gemäß entwickelter Kriterien ausgewählt, die immer wieder neu aus dem bisherigen Analysestand der erhobenen Daten abgeleitet werden. Inwiefern das ‚neue Fall-
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beispiel‘ als minimal kontrastiert vom bisher ausgewählten und damit als Bestätigung des Bisherigen oder als maximal unterschiedlich im Sinne einer möglichen Alternative gelten können, muss übersubjektiv plausibilisiert werden. Damit macht sich ein solches Vorgehen angreifbar. Sind Mängel bei der Auswahl nachzuweisen, müssen diese weiter verfolgt werden. Eine anzustrebende ‚theoretische Sättigung‘ ist in diesem Fall noch nicht erreicht. Andernfalls sollte aus nachvollziehbar forschungspraktischen Gründen der Abschluss des Verfahrens legitimiert sein. Macht zudem die Forschungsfrage nur wenige oder sogar nur die Auswahl eines Fallbeispiels sinnvoll, so muss auch dies plausibilisiert dargestellt akzeptabel sein. Ein solches, aus der qualitativen Sozialforschung entnommenes Vorgehen trägt dem Umstand Rechnung, nicht mit einer repräsentativen oder gar Grundgesamtheit von Daten operieren zu können, wie es quantitative Verfahren verfolgen. Auch wenn hier die Überzeugung besteht, dass quantitative Verfahren häufig ebenfalls nicht diesen Ansprüchen entsprechen, so sollte die dargestellte qualitative Vorgehensweise eingehalten werden. Sie schützt vor dem bereits dargestellten möglichen Vorwurf, Kritik nicht aus der Empirie abzuleiten, sondern die Empirie zur Stützung von Kritik zu ‚gebrauchen‘. Stilanalysen schärfen den Blick auf kreative und alternative GestaltungsSpielarten von kommunikativen Praktiken. Sie liefern das methodische Instrumentarium, Andersartiges zu explizieren. Damit geben sie diesen Spielarten eine Exklusivität, die auch vermeintlich subversive Widerständigkeitsmöglichkeiten eine Stimme geben können. Stilanalysen können im Effekt auf empirische Marginalisierungsbestände hinweisen und Alternativen zu hegemonialen Stilen aufzeigen, ohne einem normativen Diskursmodell zu folgen. Sie sind durch ihr vergleichendes Vorgehen bereits ohne politischen Impetus oder Anspruch kritisch, denn sie sind per se dazu verpflichtet, Alternativen zu suchen, um die dominanten Stile in ihrer Andersartigkeit plastisch werden zu lassen. Die Vergleichspraxis der Stilanalyse bringt das Suchen nach Alternativen mit sich und stellt das Faktische des Hegemonialen nicht nur forschungsethisch, sondern bereits methodisch in Frage. Um den Forschungsgegenstand Stil für solche Analysen greifbar zu machen, werden im folgenden ‚Theorie-Teil II‘ zunächst aus den einzelnen Kultur- und Sozialwissenschaften die dort entwickelten Stil-Begriffe zusammengetragen und zu einem transdisziplinären Konzept integriert, während nachfolgend seine Passfähigkeit mit aktuellen medientheoretischen Ansätzen überprüft wird.
Zur Theorie
3. Der Stil-Begriff
„Stil ist überall, aber wie bekomme ich ihn zu fassen?“ Unter diesem Titel eröffnen Fuchs und Störl (2008) eine Reihe im Peter Lang Verlag, die sich mit Konzeption und Methode sprachlicher Stilisierung aus Sicht der Literatur- und Sprachwissenschaft beschäftigt. Der Titel deutet das Grundproblem an, das mit dem Stil-Begriff verbunden ist: Stil ist omnipräsent. Man spricht von Sprachstil, Denkstil, Baustil, Einrichtungsstil, Regierungsstil, Epochenstil, Kampfstil, Malstil, Lebensstil, Führungsstil etc. (vgl. Göttert/Jungen 2004: 13). Der Stil-Begriff scheint noch multifunktionaler zu sein und noch inflationärer gebraucht zu werden als der ebenfalls modisch erscheinende Begriff des Diskurses. Dort, wo Kommunikation eine Rolle spielt, ist auch Stil im Spiel. Mit dieser begrifflichen Offenheit empfiehlt er sich nicht gerade als wissenschaftlicher Terminus. Und doch reicht die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Begriff bis in die antike Rhetorik zurück. Dort wurde er freilich als normatives Konzept des genera dicendi behandelt (vgl. Gadamer 2009: 74), das neben einer aktuell eher deskriptiven Ausrichtung immer auch zur Janusgesichtigkeit des Stils (vgl. Eroms 2008) beiträgt. Durch Simmel (2008/1911) und Mannheim (vgl. Mannheim/Kettler/Meja/ Stehr 1984) wurde der Stil-Begriff bereits eng mit gruppenspezifischen Lebensund Kulturpraktiken verbunden, die über entsprechendes Symbolhandeln ihren Ausdruck finden. Bei beiden Autoren lässt sich bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Verständnis finden, dass bestimmte Milieu-Einheiten kollektive Verhaltens- bzw. Stilmuster ausbilden, die im individuellen Verhalten auf eigene performative Weise aktualisiert werden. Eine soziologische Analyse nach Mannheim hat demnach das Ziel, die konjunktiven bzw. impliziten Bedeutungen (hermeneutisch) zu ermitteln, die durch diese strukturellen (impliziten) Stileinheiten konstituiert sind. In der aktuellen Soziologie verfolgt dies in ähnlicher Weise die objektive Hermeneutik (vgl. Oevermann 2010) bzw. in abgewandelter Form die dokumentarische Methode (vgl. Bohnsack 2011). Auch die vorliegende
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Schrift ist bestrebt, überindividuelle Gestaltungskonventionen in den Einzelphänomenen zu erfassen. Dabei liegt jedoch der Fokus auf den bedeutungsstiftenden Funktionen visueller Formen in (medienvermittelten) Artefakten. Die Kernfunktion des Stil-Begriffs befindet sich in der konzeptuellen und kommunikativ-empirischen Verbindung zwischen individueller Kreativität und Variation und überindividueller Anschlussfähigkeit und Gemeinschaftsstiftung im Sinne einer sozialen und kontextabhängigen Angemessenheit. Er fokussiert die individuellen und die sozialen Anteile aktueller Zeichenverwendungen im Vergleich zu anderen. Die hier verfolgte Perspektive legt somit einen pragmatischen Stil-Begriff zugrunde, der Angemessenheit nicht als kontrafaktische Norm oder metaphysische Richtgröße begreift, sondern als in konkreten Kommunikationsgemeinschaften diskursiv konstituierte Normalitätsvorstellung. Sandig (2006: 1) gibt in diesem Sinne aus sprachwissenschaftlicher Perspektive folgende Minimaldefinition: „Stil ist das WIE, die bedeutsame funktions- und situationsbezogene Variation der Verwendung von Sprache und anderen kommunikativ relevanten Zeichentypen.“
Sie versteht Stil als sinnhafte Form, als kommunikative Markierung von (sozialer) Identität, die als eine „sozial relevante (bedeutsame) Art der Handlungsdurchführung“ (ebd.: 9) zu verstehen ist. Diese Handlungsdurchführungen bewegen sich zwischen den Polen situationsbedingter bzw. institutionell nahegelegter Stil-Konventionen und individuell intentionaler bzw. nichtintentionaler physiologisch-psychologisch bedingter Verhaltensweisen. Stil transportiert aus diesen Gründen Informationen über die Kommunikationssituation, ist eine bewusste bzw. unbewusste Form der Selbstdarstellung und damit verbunden Mittel der Beziehungsorganisation zwischen Kommunikatoren. Stil-Handlungen veranlassen in dieser Hinsicht Rollenzuschreibungen und geben Aufschluss über die Verwendungskompetenz der zur Stilisierung angewandten Zeichensysteme (Fix/ Poethe/Yos 2001). Letztes muss jedoch differenziert werden. Verwendungskompetenz lässt sich nur anhand für die jeweilige Kommunikationssituation als geltend angesehene Stil-Muster bestimmen. So können auch vermeintliche Stilbrüche für bestimmte Kommunikationssituationen als Stil-Innovationen gelten, wenn sie innerhalb kultureller und ethisch-moralischer Akzeptanzbereiche der Rezipienten stattfinden. Diese Relativität von Stil, die sich erst in einer kriteriengeleiteten Ermittlung von Differenz und Gemeinsamkeit vergleichbarer kommunikativer Artefakte zeigt, lässt die Beschäftigung mit Stil so wenig konkret erscheinen. Aussagen über Stil werden erst mit einem intersubjektiv akzeptierten Kriterienkatalog fass- und beschreibbar, der im Sinne einer pragmatischen Stilis-
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tik jedoch nicht normativ organisiert, sondern diskursanalytisch fundiert sein sollte. Stil äußert sich ferner nicht nur in dem lexikalisch am stärksten konventionalisierten Zeichensystem - der Sprache - sondern spielt in allen kommunikativen Phänomenbereichen eine bedeutungsstiftende Rolle, so auch in der Musik, Kleidung, Fotografie. Fix (2007a: 115 ff.) weist deshalb in ihrer ebenfalls pragmatisch ausgerichteten Stil-Konzeption auf die semiotische Komplexität von Stil hin. Sie versteht Stil als dialektische Gestaltungspraxis zwischen dem Individuellem und dem Sozialem. In Anlehnung an Assmann (1991) ist Stil ein dialektisches Spiel zwischen ‚dem Flüssige und Festen‘ und lässt sich nicht auf die Verwendung sprachlicher Zeichen reduzieren. Als ‚flüssig‘ kann die Möglichkeit der mehr oder weniger intentionalen individuellen Stil-Variation verstanden werden, die sich beispielsweise unter Einfluss medialer, situativer, physischer und biografischer Bedingungen wie in individuellen Handschriften, Malstilen, Körperhaltungen, Wortwahlen äußert. Das ‚Feste‘ in der Gestaltungspraxis stellt die Orientierung an überindividuell als geltend angesehenen Stilmustern bzw. -konventionen dar, um gemäß kommunikativen Zielen verstanden zu werden. Aufgrund dieses sehr offenen und nicht nur auf Sprache anwendbaren StilBegriffs plädiert Fix für den Gebrauch einer semiotischen Konzeptualisierung, die einen ganzheitlichen Blick auf alle Signifikations- und Kommunikationsphänomene ermöglicht (Fix 2007a: 181). Dies perspektiviert ebenfalls die multimodale Korrespondenz unterschiedlicher Zeichensysteme. Mit diesem Anspruch weitet sich der Blick auf die kulturelle Motivation von stilistischen Ästhetisierungs-Handlungen, die weitere konnotative Bedeutungsangebote wie Geschmacksvorlieben, Partizipation bestimmter szenekultureller Praktiken etc. implizieren (vgl. ebd. 2007a: 182 ff.). Schaut man in die Begriffsgeschichte, so zeigt sich hier bereits ein ganzheitliches bzw. multikodales Verständnis von Stil. Göttert/Jungen (2004: 15) machen in diesem Zusammenhang deutlich, dass der Begriff lange Zeit irrtümlich auf den griechischen Begriff stylos im Sinne von Pfeiler und Säule zurückgeführt wurde. Tatsächlich lässt sich stylos jedoch genauso als Wurzel für den Begriff Stuhl verstehen. Die Autoren machen deshalb die Ursprünge eher am lateinischen stilus fest, der konkreter als spitzer Pfahl, Stiel oder Griffel verstanden wurde. Eine solche Bedeutung führte in Zusammenwirkung mit dem wurzelverwandten Begriff des stimulus, der „ein Treibstecken mit eiserner Spitze“ meint, zum heutigen Stil-Begriff. Die Ursprungsbedeutung zeigt durch den Verweis auf ein Schreibgerät bereits eine enge Verbindung mit sprachlicher Formulierung. Durch die Aufnahme seiner Form als spitz und damit den Schreibuntergrund verändernde Wirkung deutet sich ein Zusammenhang zwischen Stil und Materia-
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lität an. Auch die Form und Funktion des stilus als „rückseitig abgerundeter Griffel aus Holz, Elfenbein, Knochen oder selten Metall, mit dem man seine Notizen in Wachstafeln (teils auch Bleitafel) ritzte und bei Bedarf – den stilum vertere, den Stift umdrehen – mit der runden Seite glättete und korrigierte“ (Göttert/Jungen 2004: 15) lässt das Materielle des Schreibens assoziieren. Der Griffel verändert(e) die Materialität des (medialen) Untergrundes in unmittelbarer Abhängigkeit mit der ritzenden und formenden Gestaltung der Letter durch den Schreiber. Somit verursacht der Stilus als Schreibgerät auch eine indexikalische Spur des Schreibers, die vergleichbar wie ein Graffito nicht nur sprachlich, sondern auch visuell identitätsstiftende Zeichenhaftigkeit erhalten kann (vgl. Abschnitt 2.4). Stil zeigt sich in ähnlicher Weise in der individuellen Ausformung der Handschrift und erfährt seine diskursbasierte Ver- und Bewertung in sozialer Honorierung oder Ablehnung. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Rezipient die Handschrift nicht entziffern kann oder ein Lehrer aus denselben Gründen daraufhin eine schlechtere Note vergibt. Göttert/Jungen (ebd.: 17) stellen eine erste übertragende Verwendung von Stil im Sinne (sprachlicher) Verhaltensweise bereits beim römischen Dichter Terenz im Jahre 166 vor Christus fest. Somit reicht der Stil-Begriff als Gestaltung von Kommunikation zur Organisation von interpersonaler Beziehung bereits in die römische Antike zurück. Die in dieser Schrift verfolgte Stil-Konzeption bildet demgegenüber eine Integration von verschiedenen in den Einzeldisziplinen diskutierten Stil-Begriffen, die zunächst zusammengetragen werden. Im nachfolgenden Schritt werden diese Konzepte synergetisch aufeinander bezogen. So zielt diese Arbeit darauf ab, mögliche Lücken und blinde Flecken der einen Disziplin durch die Integration des Stil-Begriffs der anderen zu füllen, um ein kohärentes Begriffsinstrumentarium zu erhalten, visuelle Stilistik ganzheitlich und multiperspektivisch erfassen zu können.
3.1 D ER
SOZIOLOGISCHE
S TIL -B EGRIFF
Der Stil-Begriff gilt durch die Anregungen von Weber, Simmel, Elias, Goffman und Bourdieu als ein Schlüsselbegriff der modernen Wissens- und Kultursoziologie (Willems 2009a: 113). Allerdings ist er auch in der Soziologie nicht ganz unumstritten. Luckmann (1986a: 614 ff.) kritisiert eine vermeintliche Beliebigkeit sowie problematische Werturteile und Wirklichkeitsansichten, die mit seiner Nutzung in der Soziologie verbunden seien. Er bezweifelt den heuristischen Wert des Begriffs, da er sich kaum vom alltagstheoretischen Gebrauch trennen
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lasse und in wissenschaftlicher Hinsicht mit Konzepten wie Struktur und/oder System bessere Arbeitsinstrumentarien vorlägen. Luckmanns Kritik lässt sich nicht von der Hand weisen, da mit zunehmender mediengestützter ‚Ästhetisierung‘ (Schulze 2005) bzw. ‚Theatralität‘ (Willems 2009b) der Gesellschaft der persönliche Stil als Fashion-, Styling oder LifestyleOrientierung auch in den Alltagsdiskursen eine immer stärkere Rolle spielt. Den Stil-Begriff deswegen in der Wissenschaft zu meiden, erscheint mir jedoch unangemessen. Im Gegenteil: Hierdurch besteht eine erstrebenswerte Kopplungsmöglichkeit zwischen Alltags- und wissenschaftlichem Diskurs, die der Wissenschaft die Chance gibt, ihre Erkenntnisse auch in die Alltagswelten vermittelbar und damit für die gesellschaftliche Praxis nutzbar zu machen. ‚Stil-Bewusstsein‘ in den Alltagspraktiken könnte so aus seiner Implizitheit herausgeholt und in seiner kommunikativen und gesellschaftlichen Funktion bewusst gemacht werden, so dass auch ein reflektiertes Konsumverhalten die Folge sein könnte. Ein solches Anliegen hatte bereits Simmel, indem er Mode als ein soziologisches Phänomen (vgl. Simmel 2008/1911: 47 ff.) beschreibt. Zwar räumt auch Hahn (1986: 603) eine problematische Mehrdeutigkeit des Stil-Begriffs für die Soziologie ein, er plädiert jedoch aus diesem Grund für seine Konkretisierung. Demnach versteht er Stil-Elemente als Haltungen, die „fixierbar, die eher expressiver als instrumentaler Natur sind“ (ebd.). Mit Goffman (1989: 318) ist Stil zudem eng mit der Darstellung sozialer Rollen verbunden. Er bezeichnet bestimmte Verhaltensweisen als Stile, die z.B. das jeweilige Alter, das Geschlecht, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe und Funktion nahelegen und/oder von Interaktanten als solche als Images bzw. Identität interpretiert werden (Goffman 1999). Willems (2009a: 115) weist darauf hin, dass Goffman Stil als die „Aufrechterhaltung expressiver Identifizierbarkeit“ verstanden und er dies im Sinne eines bestimmten Rahmentyps gemeint hat. Demnach ist auch in der Konzeptualisierung Goffmans Stil das verbindende Glied zwischen individuellem Verhalten/Handeln und kontextbezogener sozialer Verhaltens-Konvention. Das Individuum bezieht sich auf eine überindividuell als geltend unterstellte Rahmung und modifiziert diese gleichzeitig durch sein aktuelles Verhalten. Simmel (2008/1911: 48 f.) hat dieses Prinzip der Selbststilisierung anhand der Mode wie folgt erklärt: „Sie [die Mode, SM] ist Nachahmung eines gegebenen Musters und genügt damit dem Bedürfnis nach sozialer Anlehnung, sie führt den einzelnen auf die Bahn, die alle gehen, sie gibt ein Allgemeines, das das Verhalten jedes einzelnen zu einem bloßen Beispiel macht. Nicht weniger aber befriedigt sie das Unterschiedsbedürfnis, die Tendenz auf Differenzierung, Abwechslung, Sich-Abhebens. Und dies letztere gelingt ihr einerseits durch
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den Wechsel der Inhalte, der die Mode von heute individuell prägt gegenüber der von gestern und von morgen; es gelingt ihr noch energischer dadurch, daß Moden immer Klassenmoden sind, daß die Moden der höheren Schicht sich von der tieferen unterscheiden und in dem Augenblick verlassen werden, in dem diese letztere sich anzueignen beginnt. So ist die Mode nichts anderes als eine besondere unter den vielen Lebensformen, durch die man die Tendenz sozialer Egalisierung mit der nach individueller Unterschiedenheit und Abwechslung in einem einheitlichen Tun zusammenführt.“
Auch die Wahrnehmung von Stil vollzieht sich in Abgleichung mit als geltend unterstellten Stil-Konstanten und damit korrespondierend als Kontrasterfahrung (Hahn, A. 1986: 603 ff.). Stil ist demnach durch gewisse Gleichförmigkeit charakterisiert, die jedoch häufig erst als solche wahrgenommen wird, wenn der individuelle Interpret Abweichungen von dieser Gleichförmigkeit entdeckt. In ähnlicher Weise diskutiert Luhmann den Stilbegriff (Luhmann/Werber 2008). Er behandelt ihn zwar im Gegenstandsbereich der Kunst, jedoch sieht Luhmann mit Stil eine generelle Doppelfunktion verbunden, die „einerseits die Produktion der Elemente durch die Elemente desselben Systems zu sichern und andererseits das Feld abzustecken, in dem dies geschieht […]“ (ebd.: 173) vollzieht. Dies entspricht, so Luhmann, „begrifflich genau der Definition eines autopoetischen Systems.“ (Ebd.) Damit entwirft er explizit eine Parallele zu seiner systemtheoretischen Gesellschaftstheorie. Kunst sieht Luhmann nicht als herausgehobene ästhetische Praxis, sondern als ein in der Gesellschaft integriertes soziales System (Luhmann/Werber 2008: 142). Stil dient dabei der Ausdifferenzierung der Kunst, der in historischer Perspektive Ordnung durch erkennbare Differenzen in den Stilausprägungen schaffen lässt. Auch für die künstlerische Operation selbst schafft der Stil Orientierung, indem sie sich an Vorherigem orientiert und dieses individuell aufnimmt oder sich davon abgrenzt. Damit entspricht und widerspricht der Stil gleichzeitig „[…] der Autonomie des Einzelkunstwerks. Er respektiert sie und zweigt trotzdem einen Mehrwert ab. Er beläßt dem Kunstwerk seine Einmaligkeit und zieht gleichwohl Verbindungslinien zu anderen Kunstwerken.“ (Luhmann/Werber: 153)
Luhmann konzeptualisiert Stil somit unabhängig von einem intentionalen Kunstwollen als ein Zusammenspiel zwischen Nachahmung und individueller Ausführung. Dabei werden kollektive Formprogramme verfolgt und gleichzeitig gebrochen, was zu einem evolutionären Stilwandel führt und vergleichbar ist mit dem Autopoesis-Charakter anderer sozialer Systeme.
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Ebenfalls eng verbunden mit einem Stil-Begriff im Sinne Goffmans ist demgegenüber die soziologisch ausgerichtete Vorstellung, Stil als eine Form der performativen (Selbst-) Inszenierung zu begreifen (Goffman 2007). Daran schließt sich die Erforschung von Jugendkulturen bzw. Jugendszenen als lebens- und geschmackstilorientierte Vergemeinschaftungen an (vgl. dazu Hitzler/Niederbacher 2010, Ferchhoff 2011). Motor dieser Forschungsrichtung ist die Überzeugung, dass Lebens- und Geschmacksorientierungen nicht mehr in starker Kongruenz mit bestimmten sozialen Schichtungen stehen, sondern dass im Zuge gesellschaftlicher Individualisierungsprozesse (Beck 1994) andere Orientierungssysteme und damit verbundene soziale Praktiken als Arbeit und ökonomischer Status an Relevanz gewonnen haben. Die Konsequenz von Individualisierung beschreibt Hitzler (2010: 12) wie folgt: „Einerseits wird das Individuum aus überkommenen Bindungen freigesetzt, wodurch es mehr Entscheidungschancen und Lebensoptionen erlangt. Andererseits verliert es nicht nur – wie sozusagen ‚schon immer‘ im Zuge von Modernisierungsprozessen – gemeinschaftliche, sondern zusehends auch bislang gesellschaftlich ‚garantierte‘ Verlässlichkeiten.“
Durch die Abnahme dieser alten Verlässlichkeiten entstehen neue Praktiken gesellschaftlicher Differenzierung und Distinktion, die in Form funktionaler Distinktionssymboliken oder (Selbst-)Stilisierungen markiert bzw. hergestellt werden. In diesem Sinne beschreibt bereits Soeffner (1986) die Stilisierungshandlungen des Punk. Stil ist dabei eine „sichtbare, einheitsstiftende Präsentation“ (ebd.: 319), welche Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe anzeigt, indem „gruppenkonforme Handlungen, Einstellungen, Glaubenspostulate, Sitten, Kleidung etc. zu einer signifikanten Inszenierung“ (ebd.: 320) zusammengestellt werden. Die individuelle Inszenierung bedient sich entsprechend zuordbarer Zeichen in Kleidung und Stylings, die sich an einen unterstellten Idealtypus im Sinne Webers orientieren. Diese Stil-Elemente finden sich auch in entsprechenden Konsumartikeln dieser Szenen wie Platten- und Magazin-Cover wieder. Sie dienen kommunikativ als Symptome für bestimmte Haltungen und Perspektiven auf Gesellschaft, Politik, Arbeit etc. Allerdings muss für die jüngere Zeit und die entsprechend entstandenen neuen Szenen eine gesteigerte Brüchigkeit dieser Zielrichtung attestiert werden. Die Aneignung bestimmter szenespezifischer Stilisierung ist immer weniger als Distinktionsmittel oder als Index für bestimmte Lebenseinstellungen zu interpretieren. Im Unterschied zu den 70er oder 80er Jahren werden diese Stylings und Verhaltensorientierungen verstärkt punktuell und eventorientiert als ‚Kostüme‘ angelegt und als momentane Rollen ausge-
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spielt (vgl. dazu das Beispiel des Cosplay bei Meier 2013a). Auch die Wahl ursprünglich politisch konnotierter Distinktionssymbole (z.B. das Tragen eines Che-Guevara-T-Shirts) werden in aktuellen jugendkulturellen Stilisierungen immer weniger als positionierendes, denn als ästhetisierendes Mittel genutzt. Die Präsentation bestimmter sozial semantisierter Zeichenphänomene bleibt jedoch eine kommunikative Aufführung bzw. Performanz, um soziale Wirklichkeit zu stiften, Vergemeinschaftungssignale auszusenden und so eine Beziehung zwischen Rezipienten und performenden Kommunikatoren im Sinne Fischer-Lichtes (2004) inszenierend herzustellen. Damit wird auch ein individuelles und situatives ‚Kodeswitching‘ zwischen den soziokulturell geprägten Stilisierungs-Mitteln immer gewöhnlicher, was als ein Individualisierungsphänomen zu verstehen ist. Die Wahl der Stil-Kodes ist die Wahl zwischen Anspielungen auf verschiedene Lebensstile, die Oevermann (2001: 49) wie folgt definiert: Lebenstile sind „[…] Muster der Selbstdarstellung und Lebensführung […], die man sich, z.B. in Kleidung oder Eßgewohnheiten und Urlaubsusancen als Exklusivität kauft, unter die man sich also subsumiert. Lebensstile sind demnach standardisierte Formen der Herstellung von Individualität.“
Hier zeigt sich eine gewisse Kritik an einer Konsumaffinität, die in jugendkultureller Stilisierung durchaus zu finden ist. Giddens (1991) beschreibt diese lebensstilorientierte Praxis etwas neutraler als Politik der Auswahl in spätmodernen Gesellschaften, die damit weniger eine emanzipatorische und mehr eine (selbst-)identitätsstiftende Funktion erfüllt. Erstmals soziologisch konzeptualisiert wurde der Begriff des Lebensstils von Simmel in der „Philosophie des Geldes“ (Hahn, H. P. 2005). Er beschreibt den Drang des modernen Menschen nach Anregungen, Zerstreuung und sozialer Wahrnehmbarkeit. Dabei orientiert er sich zum einen an Lebensführungen und Symbolhandlungen der Mitmenschen, um Zugehörigkeit zu zeigen, gleichzeitig grenzt er sich aber auch von diesen ab, um eine attraktive Besonderheit darstellen zu können. (Simmel 2008/1911: 722) Nach Schulze geschieht dies mittels Lebensstilmarker, die mit Hilfe einer „sozialen Semiotik“ wissenschaftlich zu dekodieren sind, wie es auch in der vorliegenden Arbeit verfolgt wird (Schulze 2005: 88 f.). Er plädiert darüber hinaus für eine „Hermeneutik der Stile“ (ebd.: 93 ff.), die ergänzend zur prototypischen Semantisierung der Zeichen auch deren subjektive Bedeutungszuschreibungen erfasst. Dimensionen dieses „semantischen Paradigmas“ sind nach seinem Verständnis Genuss, Distinktion und Lebensphilosophie. Der Bereich des Genusses umfasst die alltagsästhetischen Episoden, die Erregung, Ruhe, Freude, Betrof-
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fenheit etc. verursacht haben. Distinktionshandlungen bestehen aus Symbolisierungen sozialer Unterschiede. Man gibt mit den damit angezeigten Geschmacksentscheidungen Affinitäten zu bestimmten sozialen Gruppen zu erkennen. „Alltagsästhetik symbolisiert soziale Zuordnungen – man gibt zu erkennen, wer man ist und mit wem man nichts zu tun haben will.“ (Ebd.: 94) Unter Lebensphilosophien versteht Schulze „grundlegende Wertvorstellungen, die mit bestimmten Klassen alltagsästhetischer Episoden in einer Kultur verbunden sein können“ (ebd.). Er gibt der Lebensphilosophie die Funktion eines „tieferen Sinns des Erlebens“. Unsicherheit bestehe jedoch in der konkreten Zuordnung von Zeichen und aktuell wirksamer Lebensphilosophie „angesichts eines immer größeren Ansturms von Zeichen“. Diese Feststellung ist nicht von der Hand zu weisen. Schulz reagiert m.E. darauf jedoch zu schematisierend. Sein Ansatz gibt allerdings einer kultur- und wissenssoziologischen Semantisierung von Stil wichtige Impulse für die hier vorliegende Arbeit, auch wenn er eine Mikroperspektive vermissen lässt, die die Zeichenhaftigkeit von Stil in seiner konkreten Oberflächenstruktur erfasst. Diese Lücke wird mit dieser Arbeit zu füllen versucht. Als letztes sei auf die Nähe zwischen Stil und Habitus verwiesen, die in vielen soziologischen Perspektivierungen von Stil beschrieben wird. Vor allem die Konzeptualisierung durch Bourdieu liefert dafür die entscheidenden Impulse. In seiner Abhandlung „Zur Soziologie der symbolischen Formen“ (Bourdieu 1974) stellt er eine explizite Verbindung zwischen dem Habitus-Begriff und der Ausbildung von epochenspezifischer Stilistik in der Kunst her. Damit ist zum einen die Visualität von Stil sowie dessen sozialer Semantisierung thematisiert und zum anderen die Vermittelheit von visueller Stilistik und deren kollektivierender Wirkung, wie es beides auch in dieser Arbeit verfolgt wird. Bourdieu orientiert sich hauptsächlich an der Ikonologie Panofskys. Diese ist seiner Meinung nach eng mit dem Verständnis des Habitus verknüpft. Die Herausarbeitung der Ikonologie eines Kunstwerks versteht Bourdieu als eine Fokussierung auf das kulturell Unbewusste einer Epoche als „sensus communis“ (vgl. ebd.1974: 120), der sich intentional oder nicht intentional durch Entlehnung oder Nachahmung vermittelt. Er spricht dabei von mehr oder weniger institutionalisierten „Schulen“ (ebd.), die bestimmte Erwartungslagen, Wahrnehmungs- und Denkkategorien bzw. Verhaltensnomierungen prägen, mit denen jedes künstlerische Schaffen irgendwie in Beziehung steht. Am evidentesten erscheint ihm dies anhand der Arbeiten von Panofsky über die mittelalterliche Stil-Epoche der Gotik. Panofsky sieht die Formausprägungen eng mit der Geisteshaltung der Scholastik verbunden, ohne dass die einzelnen Baumeister dies expliziert hätten. Damit besteht eine Verbindung erst auf einer ‚tieferen‘ ikonologischen Sinn-Ebene und ist noch nicht bereits auf einer Ikonografischen nahegelegt. Letzte besteht aus den Inhalten und
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Symbolhandlungen der Künstler, die eher als kommunikativ gelegte Spuren und Anspielungen auf bestimmte (religiöse) Gegenstandsbereiche ihrer Zeit zu verstehen sind. Die Ikonologie beruht demgegenüber nicht auf konkret empirisch nachweisbaren Daten, so dass diese als implizit prägende Geisteshaltung einer Schule oder Epoche nach Meinung Bourdieus einer positivistisch ausgerichteten Wissenschaft zugänglich wären. Er ist der Meinung, dass nur die Einbeziehung dieser ikonologischen Sinn-Ebene auch die Oberflächen-Bedeutung, die Phänomen-Ebene, und die Inhalts-Ebene, die ikonografische Bedeutung, adäquat erschließbar macht (Bourdieu 1974: 129 ff.). Bourdieu plädiert im Sinne Panofskys, nicht auf der Bestimmung einer individuellen Stilistik stehen zu bleiben, sondern tiefer liegende soziale oder ‚habituell verursachte‘ Bedeutungen aus der Formgebung herauszuarbeiten. Diese müssen den Künstlern bzw. Individuen nicht bewusst sein. Eine vergleichbare Stoßrichtung verfolgt die von Bourdieu inspirierte Praxistheorie (vgl. Reckwitz 2008), die bedeutsames Verhalten nicht nur diskursivsymbolhaft vermittelt sieht, sondern auch durch unbewusste, sozialisierungsbedingte Mimesis. Gerade für den Bereich visueller Stilistik erscheint dieser Ansatz sehr anschlussfähig. Denn Design-Konventionen von (medialen) Artefakten, sind in der Regel nicht konkret semantisiert, sondern beruhen auf intuitiven Bezügen auf Vorbildern. Sie entstehen in der mimetischen Auseinandersetzung mit als einschlägig empfundenen vorigen Design-Beispielen, ohne diesen konkrete, sprich verbalisierte Bedeutungen zuschreiben zu können. Grafik-Studierende werden mit diesen in ihrem Studium konfrontiert. Sie nehmen damit Teil an bestimmten Schulauffassungen und modisch wandelnden Trends. Sie erhalten kein Lexikon grafischer Bedeutungen, sondern erleben Design-Konventionen als zum Zeitpunkt ihrer Ausbildung favorisierte Performances. Die vorliegende Arbeit beabsichtigt demgegenüber, den tieferen Bedeutungskomponenten dieser Gestaltungsmoden systematisierend auf den Grund zu gehen. Sie hat zum Ziel, den wirksamen Habitus zu explizieren, um die hiermit verbundene unbewusste kulturelle Geisteshaltung bewusst zu machen. Ein solches Vorhaben lässt sich zudem im klassisch aufklärerischen Sinne als kritisch bezeichnen. Die Verbindung zwischen Habitus und Stil liegt in der prägenden Wirkung des einen auf das andere. Eine durch Sozialisierung unbewusst inkorporierte Disposition wirkt auf die aktuelle Formgestaltung von Zeichen und Kommunikation ein. Mediale Kommunikation macht sich diese Prägung zunutze. Sie setzt intentional, quasi ‚parasitär‘, auf diese unbewusst ausgebildeten Formenkonfigurationen oder Stil-Konventionen auf, um als performatives Symbol- oder Zeichenhandeln Zugehörigkeit und Abgrenzung, sprich Identität anzuzeigen und erkennbar zu machen. Vergleichbar verhält es sich bei der bewussten Auswahl und
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Gestaltung von entsprechenden Identitätsmarkern der Individuen, was Schulze als alltagsästhetische (Lebens-) Stilisierungen versteht. Nach Meinung Willems (2009a: 117) sind diese „[…] adoptierten, kreierten und gekauften (theatralischen) Stile, (Selbst-)Stilisierungen und ‚Stylings‘, die für die Gegenwartskultur so charakteristisch sind, in gewisser Hinsicht zu relativieren. Diese Stiltatsachen entbehren sozusagen die Funktionseigenschaften bzw. Haftungseigenschaften der ‚zweiten Natürlichkeit‘ der Stile ‚erster Ordnung‘. Im Gegensatz zu diesen sind jene eher künstlich, ‚aufgesetzt‘ und leicht abzulegen, also instabil und fragil.“
Stil ist im soziologischen Sinne zusammenfassend betrachtet das bewusste und unbewusste Erkennbarmachen von Identität als Akt der Vergemeinschaftung und/oder Abgrenzung.
3.2 D ER
PHILOSOPHISCHE
S TIL -B EGRIFF
DER
ÄSTHETIK
In der Philosophie besteht seit jeher eine intensive Diskussion über den StilBegriff als ästhetisches Phänomen. Es kann an dieser Stelle jedoch nur skizzenhaft darauf eingegangen werden. Grund dafür ist der gewählte Fokus auf empirische Phänomene der Medienkommunikation. Zwar lassen sich durch die philosophischen Reflexionen auch die empirischen Stil-Ausprägungen differenzierter betrachten, deshalb werden auch einige Ansätze vorgestellt. Allerdings hat die vorliegende Studie nicht das Ziel, den Stil-Begriff zu bestimmen, sondern mögliche Konzepte aus den Kultur- und Sozialwissenschaften zusammenzutragen, um ein praktisches Verständnis für den Forschungsgegenstand und dessen methodische Operationalisierung zu geben. Der philosophische Stil-Begriff reflektiert Konzepte, die vor allem auf die ästhetischen Praxisfelder, also die bildende Kunst, Literatur und Musik, ausgerichtet sind. Er schließt damit an die Gegenstände der klassischen Ästhetik und Poetik an und nimmt aus einer Meta-Perspektive die aktuellen Stil-Begriffe der Kunstgeschichte und Kunsttheorie sowie der Literatur- und Musiktheorie auf. Diesen Bereichen gibt die Philosophie wiederum wichtige Impulse zurück. Lang (1987) zeigt in seinem Sammelband „The Concept of Style“ in einschlägiger Weise, inwiefern die unterschiedlichen Ansätze der Einzelwissenschaften zusammengeführt werden, und charakterisiert in Folge die Aufgabe der Philosophie darin, die virulenten Stil-Begriffe zu bündeln, zu systematisieren und kohärent in Beziehung zu setzen, so dass ein interdisziplinärer Austausch ermöglicht
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wird (Lang 1987: 10). Der philosophische Stil-Begriff umkreist dabei die Kernpunkte individueller vs. sozialer Stil, Auswahl vs. Disposition, Kunst vs. Wirklichkeit, Norm vs. Empirie im gestalterischen Schaffen. Die Erklärungen für die Zuordnungen machen sich je nach Ausrichtung eher sprach- oder transzendentalphilosophische (vgl. dazu Frank 2000, Wilke 2006) sowie phänomenologische (vgl. Singer 1996) Theoreme zunutze. Sprachphilosophisch wird zumeist auf die Anregungen Wittgensteins zugegriffen. Als grobe Definition beginnt Frank (2000: 11) seine entsprechenden Reflexionen über Stil wie folgt: „[…] Dagegen ist der Stil die individuelle Art und Weise, wie der Autor seine eigentümliche Sicht der Welt sprachlich zum Ausdruck bringt.“ Eingeschränkt wird diese Ausdrucksmöglichkeit durch die Orientierung an syntaktischen und semantischen Regeln, die durch ihre Gleichförmigkeitsauswirkungen Verständlichkeit stiften. Ihre kommunikative Anwendung im konkreten Sprachgebrauch, wo sie eher als Konventionen zu gelten haben, legt darüber hinaus eine pragmatische Sicht auf Sprache nahe. Doch bleibt in beiden Fällen das Eigentümliche eines bestimmten sprachlichen Stils unerfasst. Genau hierin sieht Frank das Wesen des individuellen Stils. Es handelt sich dabei um einen Sprachgebrauch, der weder durch Regeln erklärbar noch zu Typen zusammenzufassen ist. Er ist demgemäß auch nicht wiederholbar, lässt sich nicht beschreiben oder mitteilen, auch nicht in Gänze verstehen (Frank 2000: 17 ff.). Sowie bestimmte sprachliche Verwendungen allerdings typisierbar werden, handelt es sich um Grupppenstile, die einer Klasse oder einem Milieu, einem Alter oder einer Region und zeitlich einer Periode oder einer Epoche zuzuordnen sind. Im konkreten Sprachgebrauch, bestehend aus seiner Produktion und Rezeption, sind aber immer beide Komponenten beinhaltet, das vermeintlich regelbasiert Verständliche und das individuell Unverständliche. In Anlehnung an Wittgensteins Sprachphilosophie und die pragmatischen Weiterführungen von Davidson stellt sich dennoch Sinn her, der über das rein Formale hinausgeht. Ursache dafür ist die Interaktion, durch die sich Bestätigung in gemein akzeptierten ‚Wahrheitstheorien‘ oder im unmittelbaren Gespräch gesucht wird. In Anlehnung an Kants Transzendentalphilosophie stellt Frank (2000: 46) allerdings fest, dass in jeder Äußerung ein stilistisch-ästhetischer Anteil übrigbleibt, der nicht explizierbar ist, der jedoch vom Rezipienten ebenfalls durch intuitive Kontextualisierung ‚erraten‘ wird. Diese durch den Stil-Begriff angeregte Schnittmenge sprach- und transzendentalphilosophischer Ansätze wird durch Wilke (2006) mit einer weiteren vermeintlich gegensätzlichen philosophischen Ausrichtung, einer metaphysisch fundierten Ontologie Berkleys, in Verbindung gesetzt. Schlüssel dabei ist die gemeinsame Erkenntnis, dass die Eigentümlichkeit des Stils über die moralische
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Eigentümlichkeit des Autors Auskunft gebe und damit die Grenze zwischen Form und Inhalt verfließe (Wilke 2006: 33 ff.). Stil erhält demnach aus Sicht der Sprachphilosophie Wittgensteins als auch aus Sicht der metaphysisch fundierten Zeichenphilosophie Berkleys nach Meinung Wilkes seine bedeutungsstiftende Funktion durch die Eigentümlichkeit des Gebrauchs von Zeichen. Daneben sind die Zeichen selbst nicht als reine Repräsentationen konkreter Inhalte zu verstehen, sondern wiederum durch ihren konventionalisierten Gebrauch bedeutungsgenerierend. In dem dargestellten universalkritischen Vorschlag, Eigentümlichkeit als Wesensmerkmal des Stils zu bestimmen, sieht Wilke (2006: 38) die Befreiung des Individuellen bzw. des Subjektiven und stellt eine Verbindung zur Ästhetik Kants her. Mit der Möglichkeit des Subjektiven ist die sinnliche Erfahrung des Schönen verbunden. Nach Wilke (ebd.) sieht Kant unsere Wirklichkeitsvorstellungen sprachlich verfasst, so dass die Wirklichkeitsvermittlung nur aus Perspektive des Vermittelnden und seiner ‚sprachlichen Verfassungspraxis‘ heraus geschehen kann. Damit ist die normativitätsbasierte Wirklichkeitsstiftung von Stil erklärt. Ästhetisch fundiert wird Stil aus transzendentalphilosophischer Sicht, indem die Eigentümlichkeit eines Werkes in seiner subjektiven und formalen Zweckmäßigkeit und Allgemeingültigkeit gewürdigt wird. Die Würdigung geschieht mittels eines ästhetischen Beurteilungsvermögens, das ohne individuelles Interesse das Schöne als Objekt allgemeinen Wohlgefallens ermitteln lässt (vgl. Felten 2004). Im Gegensatz zum Erhabenen bleibt die Bestimmung des Schönen auf die Form begrenzt, so dass auch der Stil-Begriff auf diesen Bereich anwendbar bleibt. Damit ist nicht die Möglichkeit verneint, dass eine ‚schöne Form‘ nicht auch eine Aura des Erhabenen bei dessen Rezeption entfalten kann. In der Phänomenologie wird Stil ebenfalls als individuelle und kollektive Äußerungsweise begriffen. Bereits Husserl beschrieb den individuellen und damit freiheitlichen Stil als eine assoziativ-induktive Verhaltensweise, die von kollektiven Stil-Ausprägungen zu unterscheiden sein müsste. Letztere lassen sich eher als „Gewohnheits-Stile“ fassen, die als eine bestimmte Habitualität zu beschreiben sind (Goto 2004: 75). Phänomenologische Betrachtungen der Kunst fassen Stil als Gegenstand von Kategorisierung und Evaluation. Im ersten Fall katalogisiert man die einzelnen Werke gemäß ihrem periodischen Vorkommen und ihren Produktionskontexten. Im zweiten Fall bestimmt man ihre Qualität. Allerdings hat es insbesondere Merleau-Ponty vermieden, eine Methode der Stilanalyse zu entwerfen, da Stil nach seiner Meinung nicht von der Existenz in der Welt zu trennen sei. Stil ist demnach die Art und Weise der Erscheinung von allem, was sinnlich wahrnehmbar ist. Er umfasst den Modus der Beschaffenheit eines Phänomens und die Art seines Erkennens und seiner Analyse (Singer 1996: 234). Dabei besteht der Anspruch, Stile in der Kunst ihrer behaupteten mythi-
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schen Überhöhung zu berauben und sie einer nüchternen Beschreibung zu unterziehen. Diese Beschreibungen werden folgend zu Vergleichen verdichtet, so dass das Eigentümliche im Ausdruck eines Künstlers, einer Gruppe, Region oder Periode synchron und diachron nachvollziehbar wird. Ein ähnliches Vorgehen verfolgt auch die deskriptive Stil-Analyse, die in dieser Arbeit zur Erfassung visueller Medienstile entwickelt wird. Nimmt die philosophische Ästhetik gezielt visuelle Stile in den Fokus, bezieht sie sich auf einschlägige Kunsttheoretiker wie Schapiro, Gombrich und Goodman (vgl. Ross 2005). So stellt Schapiro (1994) fest, dass unter Stil eine konstante Form bzw. konstante Elemente, Qualitäten und Ausdrucksweisen eines bestimmten Künstlers oder einer bestimmten Künstlergruppe zu begreifen sind. Gombrich (1968/2008) versteht Stil allgemeiner. Er beschreibt ihn als performativen Akt der Distinktion und als Mittel der Wiedererkennung. Damit bewegt er sich eng an einem soziologischen und kommunikationstheoretischen Stil-Begriff, wie er hier ebenfalls vertreten wird. Stil hat ebenso für Goodman eine deskriptive und normative Komponente, da er zum einen in realisierten Artefakten erkennbar ist und zum anderen als Orientierungsmuster für zukünftige Artefakte dienen kann. Der Stil-Begriff greift beide Ausrichtungen auf und kombiniert diese. So streicht Goodman (1978/2001: 35) die Symbolhandlungsmöglichkeiten heraus, die mit Stil verbunden sind. Sein Stil-Begriff verbleibt nicht nur auf die Kunst beschränkt, sondern weist kommunikationstheoretische Ausweitungen auf. Zwar versteht er auf dem künstlerischen Praxisfeld Stil weiterhin als charakteristische Merkmale in den Arbeiten bestimmter Autoren, in bestimmten Perioden, in bestimmten Regionen oder Schulen. Er veranschaulicht seinen Stil-Begriff jedoch anhand fiktionaler sowie nichtfiktionaler Darstellungsweisen. Stil umfasst bei Goodman neben den Praktiken der Formung und Expression die Auswahl der Inhalte und die Perspektive ihrer Darstellung. Für Goodman ist es ebenfalls eine Stil-Frage, welcher Themenbereich beispielsweise in der Geschichte durch einen bestimmten Historiker behandelt und ob dasselbe historische Ereignis aus militär- oder sozialgeschichtlicher Sicht beschrieben wird. Damit weisen der von Goodman vertretende und der in dieser Arbeit ausgearbeitete sozialsemiotisch ausgerichtete Stil-Begriff große Schnittmengen auf. Während visuelle Stilistik hier als Praxis der Motivauswahl und deren Formung sowie Komposition (vgl. Kap. 5) dargestellt wird, fasst Goodman (1978/2001: 32) die Funktionen von Stil als Denotation, Exemplifikation und Expression zusammen. Damit meint er zum einen die spezifische Auswahl des Inhalts bzw. des Motivs, zum anderen seine spezifisch beispielhafte Funktion zur Darstellung komplexer Sachverhalte und zuletzt seine spezifische Darstellungsweise mittels Form-, Farbgebung etc.
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Desweiteren gilt in der Philosophie die Unterscheidung von Wollheim zwischen individuellem und generellem Stil als einschlägig (Ross 2005: 233 ff.). Wollheims Ansatz setzt mit der Kritik ein, dass der individuelle Stil eines Künstlers wie bei jedem anderen Hersteller von Artefakten auf seinem Wissen, seinen Fertigkeiten, seinen Interessen, seinen Gefühlen, seinem Charakter, seinen körperlichen Möglichkeiten etc. abhängig ist. Ross (2005: 234) würde aktuell diesen identitätsstiftenden Komponenten weitere wie Rasse, Klasse, Geschlecht und sexuelle Orientierung beiordnen. Entscheidend dabei ist, dass Wollheim den individuellen Stil in enger Beziehung mit der jeweiligen psychologischen Realität und Identität in Verbindung sieht. Den generellen Stil beschreibt Wollheim (1987: 184) selbst wie folgt: „General style subdivides itself into least three forms. First, there is universal style, best illustrated by examples such as classicism, the geometrical style, and naturalism. Second, there is historical or period style, which again I illustrate by examples and examples would be neoclassicism, art nouveau, and social realism. […] And school style is that third form of general style. […] School style is what we characteristically refer to when we use the phrase ‚style of a‘ – where a stands in for the name of a painter – to refer to something in the work of a painter other than a, for example b, c, d. […] For sometimes we may refer to a school style by means of – indeed sometimes we can refer to a school style only means of – the phrase ¸the style of a’ where a stands in for the name of a city or a locality, for example, Verona or the court of Rudolf II.“
Bei der Unterscheidung zwischen universalem und historischem Stil bleibt die Abgrenzung schwierig. Die erste Bezeichnung ist als Subklasse eher für die Charakterisierung vergangener Stilepochen reserviert, zweite für bestimmte politisch bzw. soziokulturell bedingte Übereinstimmungen in der Gestaltung von Artefakten. Den individuellen Stil konzeptualisiert Wollheim ebenfalls anhand des Sprachgebrauchs. Demnach sieht er einen individuellen Stil thematisiert, wenn jemand anmerkt, dass es sich bei einem vorliegenden Artefakt um den ‚Stil von dem oder von dem‘ handelt, wenn man meint, etwas Charakteristisches in der Arbeit eines Künstlers gefunden zu haben. Allerdings kann damit sowohl etwas Individuelles fokussiert sein als auch ein Merkmal, das einer bestimmten Schule entstammt. Im zweiten Fall ist man wieder auf der Ebene der generellen Stile. Entscheidend für die Erfassung eines individuellen Stils ist demgegenüber die Gewissheit, dass es sich bei dem erkannten Stil-Charakter im Vergleich zu Arbeiten anderer Künstler um die Ausprägung eines ganz eigenen einzigartigen Stiles handelt. Ursachen für diese Individualität führt Wollheim auf das Zusam-
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menwirken besonderer Mediennutzung, die besondere Ausbildung des Künstlers, seine biografische Entwicklung bzw. seine Wurzeln in bestimmten Traditionen, seine körperlich bedingten Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie seine besondere ökonomische Ab- oder Unabhängigkeit (Wollheim 1987: 186). Diese Kriterien erscheinen sehr allgemein. Warum Wollheim dennoch individuelle Stilistik eher in der Kunst analysiert und nicht anhand des individuellen alltäglichen Handelns, begründet er mit der im ersteren Praxisbereich bestehenden größeren Transparenz. Hierin gilt es, die interessanten, auffälligen und unterscheidbaren Merkmale im Schaffen eines Künstlers bzw. dessen Übereinstimmungen in einer Künstlergruppe zu ermitteln. Wollheim merkt an, dass diese Analysen jedoch immer in Relation zu anderen künstlerischen Artefakten geschehen müssen. Außerdem sind die stilistischen Merkmale in ihrer Entwicklung zu betrachten. Eine historische Perspektive auf das Werk eines Künstlers bzw. einer Künstlergruppe lässt die Einzigartigkeit des Stiles besser erkennen. Dabei ist der Stil-Prozess zum einen universell bestimmt durch die bildlichen Ressourcen einer Zeit, mit der der entsprechende Künstler ‚nur‘ konfrontiert werden kann. Zum anderen bestehen gewisse Regeln, wie er mit diesen Ressourcen umzugehen bzw. zu reagieren hat, und drittens wirken vorliegende psychologisch-physiologische Dispositionen ein, die ebenfalls wandelbar sind.
3.3 D ER
KUNSTWISSENSCHAFTLICHE
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„Für die Kunstwissenschaft/Kunstgeschichte ist der Begriff des Stils schon insofern von zentraler Bedeutung, als man behaupten kann, dass sich das Fach maßgeblich über die Definition seines Gegenstandes als Darstellung einer Geschichte des Stils der Kunst im modernen Wissenschaftssystem etablieren konnte.“ (Locher 2003: 335)
Innerhalb der Kunstgeschichte enthält der Stil-Begriff aufgrund seiner langen Tradition allerdings zahlreiche Facetten: „Die bereits in der antiken Rhetorik festgelegten Anwendungsfelder des Begriffs Stil zur Bestimmung von Individualität, der Region, des Volkes und der Wandel historischer Stile finden sich später in der Kunstgeschichte. Neben dem von einer normativen Ästhetik geprägten Konzepts des Stils steht der Stil als zusammenfassendes Kennzeichen von Schulen, als Ausdruck des Individuellen und als Beschreibungskriterium für historische Entwicklungslinien.“ (Weissert 2009: 8)
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Obwohl der Begriff des Stils ein Schlüsselbegriff der Kunstwissenschaft ist, so ist er auch hier nicht unumstritten. Vor allem ist die ursprünglich sehr starke Bedeutung des Epochenstil-Begriffs zunehmend zurückgenommen worden. Dieser verstand Stil als eine Ganzheit bzw. als für eine Kunstepoche wie der Romanik, Gotik, Renaissance, Barock etc. charakteristische Einheit visueller Merkmale (vgl. Locher 2003: 335). Die Wurzeln dieses Stil-Begriffs gehen auf Winckelmanns „Geschichte der Kunst des Alterthums“ aus der Mitte des 18. Jahrhunderts zurück (ebd.: 337). Er hatte es vornehmlich mit namenlosen Kunstprodukten der Antike zu tun, die er anhand rhetorischer Gestaltkategorien ordnete. Hierdurch entstand die Dreiteilung von Früh-, Hoch- und Spätphase einer bestimmten Stilepoche, die an die rhetorischen Kategorien imitatio, perfectio, ornatus angelehnt sind. Biografische Entwicklungen einzelner Künstler konnten für die Einteilung nicht genutzt werden, da die Kunstgeschichte Winckelmanns ‚nur‘ die zufällig aufgefundenen antiken Kunstwerke vorliegen hatte und durch zeitgenössische Literatur mögliche Geisteshaltungen dieser Zeit ermitteln konnte. Im 19. Jahrhundert wurde die Systematisierung von Winckelmann in den europäischen Ländern auf die in Konkurrenz stehenden Nationen bezogen. Damit kam der auf die Region bzw. Nation abgestimmte Begriff der ‚Schule‘ auf, wodurch kleinere Einheiten stilistischer Übereinstimmung bestimmt und entsprechende Abgrenzungen zu anderen nationalen und regionalen Schulen wie die flämische oder florentinische Renaissance begründet wurden. Solche auf stilistische Einheitlichkeit orientierte Definitionen zeigen sich auch noch in Beschreibungen Ende des 20. Jahrhunderts. So versteht Baier Stile als „Ausdrucksformen eines Künstlers, einer Künstlergruppe oder einer bestimmten künstlerischen Entwicklungsphase“ (Baier 1988: 7). Dabei ist noch kein synthetischer Zusammenhang zwischen individueller und kollektiver Ausdrucksweise angenommen. Vielmehr zeigt sich eine Hierarchisierung, die sich aus immer großflächigeren Einheiten ergibt. Baier spricht auch (ebd.) von Individualstil, Raum- oder Gruppenstil, Nationalstil etc. Es befindet sich bei ihm die Bezeichnung Zeitstil, die eng am Epochenstil angelehnt ist. Hierbei unterteilt er in der Tradition Winckelmanns weiterhin zwischen Früh-, Hoch- und Spätphase eines Zeitstils, die durch die kunstgeschichtliche Stilanalyse systematisiert werden. Methodisch geht sie dabei vergleichend vor, wodurch sie Gemeinsamkeiten eines Zeitstils und Unterschiede mehrerer Zeitstile feststellen kann. Beides geschieht mit Bezug auf ein entsprechendes Genre. So ist der Vergleich von Kirchen aus unterschiedlichen Zeit-Epochen zur Suche nach stilistischen Unterscheidungen sowie der Vergleich unterschiedlicher Genres der Architektur (Sakral- und Profanbauten), der bildenden Kunst (Malerei und Bildhauerei) etc. einer
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bestimmten Zeit hilfreich, deren epochenspezifische stilistische Einheitlichkeit zu erfassen. Die von Baier vertretende Stilkunde fokussiert also weniger die stilistischen Eigenarten eines Künstlers, sondern sieht diese als Bestandteil einer als stilistisch einheitlich bestimmbaren Gruppierung. Als normative Muster für die vergleichende Stilgeschichte dienten dabei vornehmlich die Formengebungen der klassischen Antike, die für Bestimmung von Früh-, Hoch- und Spätphase einer Epoche herangezogen wurden. Eine solch vergleichende Stilbestimmung, die die Veränderung von Formpräferenzen in Abhängigkeit soziokultureller Entwicklungen sieht, wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts prominent von Heinrich Wölfflin oder Alois Riegl kritisiert. Sie suchten stattdessen nach „inneren Gesetzen“ und Gehalt der Kunst, die sie auf den historischen Wandel von Sehbedingungen und der spezifischen Dynamik des (individuellen) Kunstwollens zurückführten (Weissert 2009: 9). Explizit weist Wölfflin (2009/1915) auf die doppelte Natur des Stils hin, die sich erstens als individueller Stil und zweitens als kollektiver Zeit- und nationaler Volksstil darstellt. Der individuelle Stil bringt die subjektive Weltwahrnehmung durch den Künstler und seine künstlerische und physiologische Eigenart zu ganz individuellen Formgebungen gleicher Motive zur Anschauung. „Und wie die Proportionen bald mehr ins Schlanke, bald mehr ins Breite fallen, so stellt sich die körperliche Modellierung dem einen vielleicht voll und saftig dar, während dieselben Vorsprünge und Eintiefungen von anderen zurückhaltender, mit viel mehr Knappheit gesehen werden. Und so ist es mit dem Licht und mit der Farbe. Die redlichste Absicht, genau zu beobachten, kann nicht verhindern, daß eine Farbe das eine Mal mehr nach der warmen Seite hin, das andere Mal mehr nach der kalten aufgefaßt wird, daß ein Schatten bald weicher, bald härter, ein Lichtgang bald schleichend, bald lebhaft uns springend erscheint.“ (Ebd.: 18)
Wölfflin zeigt hier neben der Darstellung des individuellen (Seh-)Stils auch seine Meisterschaft der Beschreibung visueller Stilistik. Er macht zum einen die Subjektivität von Sichtweisen deutlich, zum anderen zeigt sich, dass die kommunikative Vermittlung von visueller Stilistik weiterhin mithilfe von polarisierten Begriffspaaren geschieht. Eine solche Verfahrensweise wird in der vorliegenden Arbeit als methodisches Grundprinzip zur Beschreibung visueller Stilistik in der (Medien-)Kommunikation weiter herausgearbeitet. Wölfflin selbst weist in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit hin, die Einzelmerkmale visueller Stilistik wie Farb- und Formgebung auch zu einer stilistischen Ganzheit zusammenzubringen, um eine individuelle Stilistik des Künstlers bestimmen zu können. Im weiteren Schritt bleibt er jedoch nicht beim Individuum stehen. Ihn
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interessiert ferner das überindividuell Kollektivierende der Stilausprägung, das er induktiv anhand regionaler und zeitlicher Gemeinsamkeiten festmacht. Mit deskriptiver Methodik sieht er ‚neue Formgebungen‘ einer neuen Stilepoche als Ausdruck eines neuen Zeitgeistes. Beispielhaft zeigt er dies am Übergang von der italienischen Renaissance zum Barock. Jedoch kommt auch er nicht ohne normativ konnotierte Beschreibungen wie „vollkommene Proportion“ für die Darstellung der Renaissance-Architektur aus (vgl. Wölfflin 2009: 24 f.). Er fasst die kunstgeschichtliche Vorstellung von individuellen und kollektiven Stilen wie folgt zusammen: „Wir haben mit der Skizzierung der drei Beispiele von individuellem Stil, von Volksstil und von Zeitstil die Ziele einer Kunstgeschichte illustriert, die den Stil in erster Linie als Ausdruck faßt, als Ausdruck einer Zeit- und Volksstimmung wie als Ausdruck eines persönlichen Temperaments. Es ist offenbar, daß damit die künstlerische Qualität der Hervorbringung nicht angerührt ist: das Temperament macht wohl kein Kunstwerk, aber es ist das, was man den stofflichen Teil der Stile nennen kann, in dem weiten Sinne, daß auch das besondere Schönheitsideal (des Einzelnen wie einer Gesamtheit) darunter befaßt wird.“ (Ebd.: 25)
Die an Begriffspaaren orientierte Erfassung visueller Stilistik hat Wölfflin soweit verallgemeinert und systematisiert, dass sie in abgewandelter Form auch für die Beschreibung heutiger visueller Medienkommunikation anwendbar sind. Demnach unterscheidet er fünf Begriffspaare in der Entwicklung von der Renaissance zum Barock (ebd.: 30). Er sieht • • • •
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eine Progression vom begrenzenden Linearen zum flächigen und fließenden Malerischen; eine Veränderung vom konturbezogenen Nebeneinander des Flächenhaften zum Hintereinander und der Räumlichkeit des Tiefenhaften; eine Entwicklung von der strengen, abgeschlossenen, symmetrischen, geschlossenen zur gelockerten, weniger geregelten, offenen Form; eine Modifikation von einer geordneten und aus selbständigen Einheiten zusammengesetzte Vielheit zu einer zusammengeflossenen Einheit, die auf Macht, Hierarchie und Unterordnung beruht; eine Verschiebung von vermeintlicher Klarheit der Gegenstände, Motive Formen etc. zu einer reizsteigernden, dekorativen Unklarheit.
Zwar sind die Begriffspaare weiterhin nicht wertfrei, sie fokussieren jedoch visuelle Formgebung auf bestimmte Kontrastierungen, die auch in dieser Arbeit als
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grundlegende Elemente visuellen Stilhandelns betrachtet werden (vgl. Abschnitt 5.5). Somit liefert Wölfflin bereits erste Impulse für eine systematische Erfassung visueller Stilmerkmale und macht sie für eine soziale Deutung brauchbar. Allerdings ist für die Beschreibung visueller Stilistik aktueller Medienkommunikation das deskriptive Potenzial der Begriffspaare weiter herauszuarbeiten, was in der Zusammenfassung dieses Kapitels geschieht (vgl. Abschnitt 3.8). Wölfflin betont, dass der Stil-Begriff sich nicht nur auf das „Bloß-Schematische dieser Formbegriffe“ beschränken sollte, sondern dass Form und Inhalt in sinnstiftender Wechselbeziehung stehen. „In jedem neuen Anschauungsstil kristallisiert sich ein neuer Inhalt der Welt. Man sieht nicht nur anders, sondern man sieht auch Anderes.“ (Wölfflin 2009: 35). Er geht dabei von iterativen Sehgewohnheiten aus, die sich im Kunstschaffen niederschlagen. Nach heutigem Verständnis könnte man sagen, dass die Künstler in einen Bilddiskurs involviert sind, in dem sie mit Bildern auf Bilder antworten. In ähnlicher Weise sieht die vorliegende Schrift die visuelle Stilisierung von Medienprodukten als eine diskursiv-mimetische Gestaltungspraxis an. Stile voriger Kommunikate wirken durch mehr oder weniger bewusst angelehnte oder abgrenzende Bezugnahmen auf diese prägend in der Produktion neuer Kommunikate. Somit ist die Beschreibung aktueller Stilgebungen mit stilgeschichtlicher Perspektive zu verfolgen. Panofsky (1998/1915) reagiert auf die Stil-Konzeption Wöfflins weiter differenzierend. Auch ihm geht es darum, Stil-Momente bestimmter Künstler bzw. Epochen in ihrer historischen Entwicklung zu betrachten, um damit mögliche bedeutungsstiftende Funktionen zu bestimmen. Er übernimmt Wöfflins dichotome Systematisierungen von Ausdrucksweisen wie flächig-linear etc., sieht diese in ihrer Ausprägung jedoch in enger Beziehung zur jeweiligen Gesinnung des Künstlers. Nach Meinung Panofskys sehe Wöfflin ‚nur‘ die Art und Weise der Punkt oder Flächengestaltung als Ausdruck individuellen Kunsthandelns an, während die Epochenkonventionen bzw. die kollektiven Sehgewohnheiten vorgäben, ob eine Linie oder ein Punkt gemalt würden. Jedoch sieht Panofsky auch die Auswahl der Stil-Elemente als künstlerisches Handeln an, das nur mittelbar auf überindividuellen Vorgaben beruht. Unmittelbar entscheidet der Künstler, welche Ausdrucksmittel seiner Meinung am adäquatesten zur Umsetzung seiner Gesinnung dienen (Panofsky 1998/1915: 1011). Er bleibt allerdings gemäß den (medialen) Darstellungsmöglichkeiten seiner Zeit und seines soziokulturellen Kontextes begrenzt. Der Künstler schafft eine individuelle Aktualisierung dieser Möglichkeiten. Kunstgeschichte hat nun die Aufgabe, da stimmt Panofsky wieder mit Wöfflin überein, die Möglichkeiten spezifischer Darstellungsweisen unter epochenhistorischer Perspektive zu kategorisieren.
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Panofsky unterscheidet in diesem frühen Aufsatz noch explizit zwischen den Weltanschauungen der Künstler, die sich in den Stil-Aktualisierungen zeigten, und einer vermeintlichen Weltanschauung einer Zeit. Mit Blick auf die ikonologische Bedeutungsebene der Kunstwerke ging auch er von einem stärkeren Zusammenhang zwischen individueller Ausdruckspraxis und überindividueller Gesellschafts- und Kunstformationen aus. Allerdings bleibt er dabei, darauf hinzuweisen, dass keine Epoche als ‚stilrein‘ zu begreifen wäre. Vielmehr muss man an den konkreten Kunstwerken die einzelnen Stil-Elemente herausschälen, die auf unterschiedlichen Stil-Konventionen beruhen. Um dies bewerkstelligen zu können, sollte somit bereits im Vorhinein eine Vorstellung der einzelnen StilElemente bestehen (Panofsky 1998/1930: 1091). Panofsky fasst daran anschließend den Stil-Begriff wie folgt zusammen: „Stil ist das, was wir in einer eigenbedeutsamen Anschauung als einheitsbildend, zur Harmonie bringend ansehen müssen. Diese Angleichung fassen wir im Zurücktreten des Individuellen. Das Kunstwerk tritt zurück, sobald wir nur noch stilistische Angleichung haben. Wenn wir von ‚stilisiert‘ reden, meinen wir, daß ein Unwert in das Kunstwerk hineingekommen ist. […] So ist stilvoll, was zur Zeit paßt. Wenn mithin Stil nur in Anschauung gegeben ist, so kann er nicht von dem Individuum, das den Stil hat, gesehen werden, sondern nur vom Betrachter. Stil ist das Unlebendigste. Stil bringt vom Handeln zum Betrachten.“ (Panofsky 1998/1930: 1092)
Mit dieser Stellungnahme zeigt sich der Kunstwissenschaftler Panofsky, der die Einzigartigkeit der Kunstwerke nicht vollständig hinter der Stilanalyse zurücktreten lassen will. Für die vorliegende Arbeit liefert diese Definition jedoch eine Argumentationsgrundlage, visuelle Stile in medialen Artefakten in ihrer Stiftung sozialen Sinns betrachten zu können. Sie zeigt, dass die individuelle Ausprägung visueller Stilistik auch von medialen Artefakten im engen Zusammenhang mit dem sozialen Kontext steht und somit als Analysegegenstand für diesen herangezogen werden kann. In ähnlicher Weise verfolgt dies auch Panofsky mit der Bestimmung der ikonologischen Sinngehalte der Kunstwerke. Max Imdahl schließt an die Ikonografie-Ikonologie Panofskys zwar an (vgl. Imdahl 1996), allerdings kritisiert er auch deren vermeintliche Reduziertheit auf die Bildinhalte und Bildmotive (Brassat/Kohle 2009: 77). Imdahls Fokus liegt auf dem Einzelbild und seiner bedeutsamen Formung. Damit ist er weniger auf das Erkennen bestimmter Epochenstile sowie die jeweiligen geistesgeschichtlichen Kontextualisierungen ausgerichtet, sondern erschließt das Bild als individuelles Artefakt mit hermeneutischen Mitteln. Er entwickelte eine eigene Praxis des analytischen Sehens, der sogenannten Ikonik, die verstärkt die kompositori-
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schen Elemente berücksichtigt. Imdahls Ansatz ist geschult anhand der Beschäftigung mit zeitgenössischer Kunst. Damit sind verstärkt formale bildliche Konstituenten wie Zweidimensionalität, Farbe, Proportionen, Flächenaufteilungen, Materialien, Kontraste thematisiert, die als Grundkomponenten stilistischen Handelns visueller Artefakte anzusehen sind. Mögliche Symboliken, Motive und Sinngehalte lassen sich erst durch die hermeneutische Erschließung des sinnstiftenden Zusammenspiels der Bildkomponenten erfassen. Mit der Fokussierung auf die stilistische Komposition visueller Artefakte liefert die Ikonik wichtige Impulse für die vorliegende Studie. Sie leitet den Blick auf die oberflächliche Gestaltung und liefert methodische Hinweise, wie Gestaltung als performative Akte erfassbar ist. Bereits die dokumentarische Methode hat dieses Vorgehen für die sozialwissenschaftliche Analyse visueller Phänomene übernommen (Bohnsack 2001a, b, 2009, 2011), und die vorliegende Arbeit schließt mit sozialsemiotischer Perspektive ebenfalls an diese Untersuchungspraxis an. Imdahl selbst operierte jedoch wenig mit dem Stil-Begriff. Seit den 1960er Jahren ist der Stil-Begriff vielmehr in der Kunstgeschichte generell immer stärker kritisiert worden. Man gelangte zu der Überzeugung, dass durch die heterogenen Strömungen der Kunst im 20. Jahrhundert (Expressionismus, Konstruktivismus, Neo-Realismus, Pop-Art) und die Vielzahl an unterschiedlichen Ansätzen in der theoretischen Reflexion von Kunst (Strukturalismus, Semiotik, Phänomenologie, Neo-Marxismus, Postmodernismus) die einheitsstiftende Wirkung des Stil-Begriffs zunehmend problematisch ist (vgl. Sauerländer 2009: 102). Sauerländer (ebd.: 103) weist darauf hin, dass der Stil-Begriff bei kritischer Betrachtung „[…] als ein hochgradig abgeleitetes und ambivalentes hermeneutisches ‚Konstrukt‘ [ist: SM], das in einem bestimmten Moment der Sozial- und Geistesgeschichte ausgearbeitet wurde und einer speziellen und entfremdeten Haltung gegenüber den Künsten als dem Spiegel vergangener Zivilisationen entspricht. Stil ist der Spiegel, der alle Bauwerke, Statuen, Bilder der Vergangenheit dem ästhetischen Historismus zugänglich macht, seine Träume und seine Archive füllt. Er löst von den Objekten ihre ursprüngliche Botschaft und Funktion ab und vernichtet ihre internen Konflikte, löscht die Zeichen des Aberglaubens und der Grausamkeit, des Leidens und der Revolte. Er reproduziert sie zu Mustern, zu Belegstücken, eben zu jener ästhetischen Unwirklichkeit des eingeordneten Spiegelbildes.“
Sauerländer meint zum einen, dass mit der Nutzung des Stil-Begriffs eine ungerechtfertigte Vereinheitlichung ganz unterschiedlich motivierter Einzelphänomene verbunden sei. Zum anderen sieht er mit der Einordnung von Kunst in Stilka-
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tegorien eine neue, von der eigentlichen künstlerischen Arbeit unabhängig hergestellte Kunstwirklichkeit produziert. Damit argumentiert er im Sinne des Nominalismus gegen die Erstellung universaler Kategorisierungen. Stilanalyse verdopple ‚nur‘ die empirische (Kunst-) Welt bzw. stelle eine verzerrte Neue her und stütze diese durch eigene diskursive Dynamiken quasi-autopoietisch. Im Duktus eines Ockhamschen Rasiermessers plädiert er für die Besinnung auf die einzelnen ästhetischen Antworten auf Fragen der Politik, Kultur und Soziales der jeweiligen Zeiten. Mit Verweis auf die Ursprünge des Stil-Begriffs in der antiken Rhetorik stellt Sauerländer (2009: 104 ff.) auch seinen normativen Gehalt heraus. Kunst werde so nicht wertfrei betrachtet, sondern im Vergleich zu einem Idealtypus fokussiert. Er kritisiert die Regelorientierung in der Stil-Auffassung, die immer auch etwas Elitäres mit sich bringe, wodurch das Besondere und das Originelle in den Hintergrund geraten. Höhepunkte dieser Entwicklung sieht Sauerländer in der Formulierung von ‚Stilgesetzen‘, die in der Kunstgeschichte des 19. und bis Mitte des 20. Jahrhunderts formuliert wurden. Er kritisiert jedoch auch die Versuche, den Stil-Begriff seiner Janusgesichtigkeit zu entledigen, indem man ihn mit Blick auf die Originalität eines individuell-genialen Kunstschaffens extrem personalisierte. Sauerländer (2009: 109) argumentiert im Sinne der vorliegenden Arbeit. Durch die Reduzierung des Stils auf das Individuelle ist Kunst bzw. das visuelle und sprachliche Gestalten allgemein nicht mehr sozial anschlussfähig. Stil kann nur als kommunikatives Mittel dienen, wenn seine individuelle Ausprägung mit Hilfe von Normen oder besser mit Hilfe von für den vorliegenden Fall als geltend angesehenen Konventionen verstehbar wird. Nur mit der möglichen Anbindung an überindividuell bestehende Kodes lässt sich seine Botschaft erfassen. So verteidigt Sauerländer den Stil-Begriff als Analyse-Instrument sozialer Übereinkünfte, er kritisiert ihn jedoch als evolutionäre Richtgröße. Die chronologische Abfolge der Stil-Epochen als ‚Kampf um Vollkommenheit‘, die in ihren Frühphasen neue Formkonventionen herausbildet, in ihren Hochphasen diese zur Vollendung führt und in den Endphasen ‚nur noch schlechte‘ Imitationen hervorbringt. Danach kann eine neue Konvention entstehen. Diese Prozessualität versteht Sauerländer als einen ungerechtfertigten Darwinismus des 19. Jahrhunderts. Kunstgeschichte dürfe nicht zu einem Exegeten der Evolution werden. Sie müsse auch verstärkter der Heterogenität sozialer Wirklichkeit Rechnung tragen, was den Blick auf das Originelle beflügelt. Damit sieht er die traditionelle Stilgeschichte als „unwiederholbare Vergangenheit“ (Sauerländer 2009: 119) an. Allerdings bleibt die Stilanalyse auch bei Sauerländer weiterhin eine Methode unter vielen. Sie bleibt geeignet mit dem Wissen, dass diese immer ein normati-
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ves Ordnungsprinzip mit sich bringe, wodurch ein verzerrender Formalismus drohe. Aktuell erfährt der Stil-Begriff in der Kunstgeschichte allerdings wieder eine große Berücksichtigung (Weissert 2009: 11). Die Kritik, wie sie beispielhaft anhand von Sauerländer vorgeführt wurde, hat jedoch zu einer stärkeren Differenzierung geführt. So treten verstärkt das Individuelle und die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in den Blick (vgl. auch Suckale 2009). Außerdem wird Stil eher kommunikationstheoretisch aufgefasst, was ihn von einem historischen Positivismus löst und verstärkter in die Nähe eines soziologischen Stil-Begriffs im Sinne gemeinschaftlicher Verhaltensmuster bringt. Bei Möbius zeigt sich dies in Form eines deskriptiven Ansatzes. Er beschreibt Stil als „die innere Ordnung eines Geschehens, soweit sie in äußeren Merkmalen erkennbar wird. Stil ist ‚materialisiertes Organisationsprinzip der Form‘. Der eigentliche Gegenstand des Begriffs ist der Formapparat, in dem sich ein von Menschen getragenes Verhalten entäußert, ist das Erscheinungsbild der ‚Sinneinheit einer Gruppe geformter Gebilde‘. Die Stilanalyse wertet zunächst einmal nicht, sondern ordnet und erklärt, Stil ist ‚ein Klassifikationsbegriff …, kein Wertkriterium‘.“ (Möbius 2009: 125).
Damit weist er auf die Einheitsstiftung hin, die mit der Nutzung des Stilbegriffs weiterhin verbunden ist. Entweder fokussiert er eine Einheitlichkeit im Verhalten eines Individuums oder eines größeren Verbundes „kulturtragender Elemente“, die durch einen Inhalt bestimmt sind und gleichzeitig einen Inhalt bestimmen (ebd. 2009: 126). Stil markiert nach Möbius auch die Begrenztheit des Reagierens auf bestimmte Situationen, so dass er nicht nur auf die Visualisierung bestimmter Phänomene begrenzt ist, sondern diese auch als Symptome innerer bzw. inhaltlicher Faktoren dieses Reagierens beleuchten lässt. Er bezieht die Stilgebung auf die Struktur der Bedeutungs- und Sinnschichten von Kommunikationsprozessen allgemein, indem er den Stil-Begriff mit Bezug auf Bourdieu als symbolische Verhaltensformen bezeichnet. Stile beruhen auch bei ihm auf sozialem Austausch, der zur „gegenseitigen Anverwandlung von Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmustern“ (Möbius 2009: 130) innerhalb bestimmter sozialer Gruppen führt. Damit öffnet Möbius den Blick auf kurzfristige (pop-) kulturelle Modeerscheinungen und kleinere Vergemeinschaftungen. Methodisch fragt er nicht nur nach den soziokulturellen Gründen bestimmter Stilformen, sondern auch nach ihrer sozialen Funktion. Stil wird so zu einem kommunikativpragmatischen Symbolhandeln, das der Herrschaft, dem Widerstand, der Frömmigkeit, der Abgrenzung, der Äußerung eines bestimmten Lebensgefühls etc.
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dienen kann und nicht nur auf die Kunst, sondern auf alle Bereiche kultureller Praktiken anwendbar ist. Für die Kunstwissenschaft fordert Möbius darüber hinaus eine stärkere Verbindung von inhaltsorientierter Ikonografie und formenorientierter Stilgeschichte. Er weitet in Anlehnung an Hubert Faensen methodisch die von Wölfflin initiierte Stilanalyse als begriffspaarorientierte Einordnung aktueller Stilelemente aus. Als Gegensatzpaare schlägt er Figur-Grund, KörperRaum, Symmetrie-Rhythmus, Ineinander-Nebeneinander, Ruhe-Bewegung, Links-Rechts, Nähe-Ferne, Oben-Unten, Fläche-Tiefe, Kälte-Wärme der Farben, Koloristik-Polychromie, Eigen- und Beleuchtungslicht, Subordination-Koordination, Vorn-Hinten, Groß-Klein, Isolierung-Verschmelzung, gebunden-ungebunden, Konfrontation-Harmonie, Unterwerfung-Ausgleich. In diesen Begriffspaaren zeigt sich bereits die Motivation, visuelle Phänomene in ihrer sozialen Bedeutung lesbar zu machen. Abschließend sei auf Gombrichs Ansatz verwiesen, der Stil ebenfalls als konstante Formgebung im Werk eines Künstlers oder einer Gruppe ansieht (Kubler 1987: 164). Er weist vor allem auf die Wandelfähigkeit stilistischer Ausprägungen hin und auf die Verbindung zum Schaffenden selbst: „Nicht ein Kollektiv erschafft einen Stil. Es muss jemand da sein, der ihn erfindet.“ (Gombrich, Ernst.H./Eribon 1993: 69) Ob sich ein bestimmter Stil überindividuell verbreiten kann, hängt jedoch von kollektiven Bedürfnislagen ab. Dieser neue Stil muss Geschmackslagen, Lebenspraktiken, psychologische und/oder spirituelle Wünsche der Rezipienten nutzbringend bedienen, bzw. systemtheoretisch ausgedrückt, anschlussfähig machen. So vertritt Gombrich ein evolutionäres Verständnis von Stilentwicklung (Gombrich, Ernst.H./Eribon 1993).
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DESIGNWISSENSCHAFTLICHE
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Der Stil-Begriff in der Designtheorie bzw. Designforschung lehnt sich in großen Teilen an die Definitionen der Kunstgeschichte an. Allerdings unterscheidet ihn fundamental seine praktische Ausrichtung. Während die Kunstgeschichte sich zumeist auf die Ermittlung ästhetischer Funktionen von Stil beschränkt, so verbindet Design die ‚Suche nach der schönen Form‘ auch immer mit dem Gebrauchswert oder der Ergonomie des Produkts, denn „Design im modernen Verständnis entsteht, wenn sich eine vermittelnde, trennende und verbindende Instanz zwischen das Machen und das Nutzen der Artefakte schiebt.“ (Jonas 2002: 1) Es „beschäftigt sich mit der Entwicklung von Formen, seien sie visuell, konzeptionell oder visionär“ (Scholz 2005: 413). Design und Stil sind somit als Gestaltungspraktiken so eng miteinander verwoben, dass sie zuweilen synonym ge-
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braucht werden. Allerdings versteht sich Design als eine Entwurfspraxis, die getrennt von der Produktion zu sehen ist und sich auf die Erstellung von StilPrototypen beschränkt. Dies zeigt sich in Beschreibungen von Designpraktikern. Newark (2006: 18) zum Beispiel versteht Stil im Grafikdesign als „die Kombination ausgewählter Schriften, die Verwendung von Raum, Farbe, usw.“. Angelehnt an die aus der Filmwissenschaft bekannte ‚mise-en-scࣉne‘ als zeichenhaftes Arrangement des Filmraums bezeichnet er Stil als „mise-en-page“. Stil hat dabei die Funktion, die Auswahl einzuschränken, er schließt im Sinne einer kohärenten Gesamterscheinung bestimmte gestalterische Möglichkeiten aus und legt andere nahe, so dass Stil ein Komplex von Designentscheidungen darstellt. Je nach Design-Gattung wie Grafik-, Produkt- bzw. Industrie-, Textil-, Möbeldesign, Gebäude- und Innenarchitektur kommen dabei unterschiedliche Stilmittel zum Einsatz. So sind Form, Größe, Position, Anzahl, Ton- und Farbwert als Stilmittel je nach Produkt zu arrangieren (Böhringer/Bühler/Schlaich/Ziegler 2003: 9). Bemerkenswert ist, dass im „Wörterbuch Design“ (Erlhoff/Marshall 2008: 378 f.), das eine Publikation des Board of International Research in Design (BIRD) ist, der Stil-Begriff kaum eine Rolle spielt. Der entsprechende Eintrag beschreibt Stil als eine vermeintliche Eigenschaft, die in guter oder schlechter Ausprägung angeboren ist. Er weist ferner darauf hin, dass das Biedermeier als eine Stil-Ausprägung zu verstehen ist, die dem aristokratischen Lebensstil von (klein-) bürgerlicher Seite entgegengestellt wurde. Als weiterer Stil wird das Dandytum beschrieben, das ein besonderes Stil-Bewusstsein bei Männern des ausgehenden 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in den Metropolen Europas beinhaltet. Stil wird in diesem Zusammenhang als eine besondere Art des Kleidens und Verhaltens zu gesellschaftlichen Anlässen beschrieben. Zusammenfassend lässt sich eine normative Auffassung von Stil feststellen, die sich auf das Äußere des Menschen bezieht, das symptomhaft für seine Persönlichkeit gedeutet wird. Design als Gestaltungs- und Entwurfspraxis ist dennoch eng mit StilKonventionen verbunden. Während diese in der Architektur parallel zur (bildenden) Kunst entwickelt wurden, blieb die Gestaltung von Gebrauchsgegenständen bis zur industriellen Revolution jedoch dem Handwerk vorbehalten. Repräsentative Gartenanlagen, Möbel, Interieur, Kleidung, Kutschen, Bestecke wurden für die Kirche, den Adel und das betuchte Bürgertum entwickelt, die die Formpräferenzen der Zeit widerspiegelten. Eng verzahnt mit künstlerischen Schulen entstanden seit Ende des 18. Jahrhunderts Ausbildungsstätten für angewandte Kunst bzw. Kunstgewerbe- und Handwerksschulen, die im Zuge fortschreitender Arbeitsteilung Experten für die Gestaltung von Gebrauchsgegenständen ausbildeten
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(Selle 1994: 66). Stilistisch zeigte sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert beispielsweise im Möbeldesign eine ähnlich historisierte Formgebung wie in der Kunst bzw. Architektur. Gotische, klassizistische und barocke Formen dienten einem weiterhin auf Repräsentation ausgerichteten Adel und einem sich als aristokratisch stilisierenden Bürgertum. Die Massenproduktion orientierte sich ebenfalls an diesem aufwendigen Formgepräge, so dass verschnörkelt gestaltete Uhren, Schränke, Vorhänge und Figuren, jedoch aus Kostengründen die Wohnungen des Mittelstandes als Imitate ‚zierten‘. Sie dienten in gleichem Maße einer abgeschlossenen heimeligen Behaglichkeit und repräsentativen Zwecken gegenüber Besuch (Selle 1994: 75). Neue Haushaltstechnologien brachten eine funktionale Formgebung in die Wohneinheiten. Sie wurden bisher durch aufwendige Dekorationen wie allerlei Gestecke und künstliche Pflanzen überdeckt. Funktionalität galt noch nicht als formprägend, sondern es dominierten die Ansichten des historisierenden Scheins. Offizielle Gebäude und Inneneinrichtungen der wilheminischen Zeit überschlugen sich dabei an symbolhaft aufgeladenem Formreichtum. Das Deutsche Reich unter der Führung Preußens gestaltete so ihr optisches ‚Glanz und Gloria‘. Um 1895 wurde mit Blick auf den Weltmarkt auch in Deutschland eine ästhetisch-programmatische Umorientierung bemerkbar. Man kann von visuellen Stilbrüchen sprechen, die sich weniger in der industriellen Massenproduktion zeigten, sondern in Form kunsthandwerklicher Einzelerzeugnisse. Ausgehend von Englands Bewegung des Art & Craft wurden Form und Inhalt ideologisch in Beziehung gesetzt. Man wandte sich gegen eine normierte Massenfertigung und favorisierte das handwerkliche Unikat. Prominent mit dieser Bewegung ist der Name William Morris (1834-196) verbunden, der auch in Deutschland die Werkstätten für Kunst und Handwerk in München (gegründet 1897), die Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst (gegründet 1898) oder die Steglitzer Werkstatt in Berlin mit neuer Formgebung von Typografie für das Druckwesen und für Gebrauchsgegenstände inspirierte (Lewandrowsky 2006: 20). Später berief sich der Deutsche Werkbund mit seiner Gründung im Jahre 1907 ebenfalls auf die Formsprache der Art & Craft-Bewegung. Inhaltlich grenzte sie sich jedoch nicht von der industriellen Fertigung ab. Im Gegenteil: Der Deutsche Werkbund suchte die neue Formsprache für die moderne Massenproduktion zu typisieren und verstand dabei den Gestalter als Vermittler zwischen Hersteller und Verbraucher. So bildete sich das neue Berufsbild des Designers heraus, dessen Hauptaufgabe darin besteht, Formen gemäß Funktion und Stilistik der Zeit für die Produktion zu entwerfen. Auf dem Gebiet der Typografie lässt sich die Entwicklung zur Formtypisierungen, inspiriert durch die Art & Craft-Bewegung, beispielhaft verdeutlichen.
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Mit Morris wurde für diesen Bereich die Spaltung typografischer Familien angeregt, die heute noch das Schriftmuster von Druckereien dominieren. Sein Rückbezug auf Schriften der Antike und der Renaissance initiierte die Schriftfamilie Antiqua, die bis in die Gegenwart in Form verschiedener Unterfamilien das Druckwesen prägt. Sie grenzte sich ab von in Deutschland zuvor gebräuchlichen gebrochenen Schriftarten wie die Gotische, Schwabacher oder Fraktur, welche auf den ersten Buchdruck zurückgehen und ebenfalls programmatische Wurzeln hatten. Sie wendete sich mit Bezug auf deutsch-germanische Formprägungen gegen lateinische Schriften, um typografisch der Reformation eine visuelle Ausprägung zu geben. Man wandte sich so gegen das alte, als elitär bekämpfte Kirchenlatein auch mittels visueller Stilistik (vgl. Wehde 2000). Im Jugendstil, der sich als kollektive Ablehnung des Historismus in ganz Europa um die Jahrhundertwende verbreitete, finden sich darauf aufbauend typografische Mischformen der zwei Hauptfamilien. Der Name dieses Stils geht auf die in München 1896 gegründete Zeitschrift Jugend zurück, die als Diskussionsforum der deutschen Spielart der Art Nouveau diente. Fundamental zeigte sich diese in einer neuen Formensprache in allen Bereichen der Kunst sowie des Kunsthandwerks. Eng verbunden mit der Literatur des Symbolismus des Fin de Siࣉcle kristallisierte sich ein gemeinsames Formstreben heraus. Dies „war geprägt von flachen, zweidimensionalen Formen, geometrischen Mustern, und verzerrten Schriftformen, zusammengeführt zu einer organischen, oft symmetrischen Einheit“. Die Gebilde zeigten „florale Elemente“ und einen organischen, dekorativen Fluss von Formen, reiche Verzierungen, aber auch die asymmetrischer Typografie. „Das formal Dekorative bot einen experimentellen Freiraum, in dem sich Formen ohne Gegenstandsbezug und Bedeutungszwang entfalten konnten.“ (Lewandrowsky 2006: 25) Das Ornamentale war damit beherrschend auch in der Motivsuche. Natur wurde vornehmlich in ihrer wuchernden Strukturzeichnung gesucht. Haare, Körper und Landschaften wiesen einen unnatürlichen Kurvenreichtum auf, wobei durch die Zweidimensionalität und Flächigkeit der dargestellten Elemente ein visueller Kontrast zum dreidimensionalen und monumentalen Formreichtum des Historismus gewahrt wurde. Jüngere Industrielle und Fabrikanten förderten die Spielart des Jugendstils zur individuellen Inszenierung von Wohn- und Verwaltungseinheiten. Sie grenzten sich dadurch von einer älteren Generation von Industriellen ab, die sich in ihrem Lebensstil noch an adligen Repräsentationsformen orientierten. Wirtschaftliche Innovation und Weltoffenheit wurden durch eine neue Stilsierung von offiziellen und privaten Räumlichkeiten dokumentiert. Prototyp für den Ausdruck eines solchen formbewussten neuen Großbürgertums ist die Villa Esche in
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Chemnitz, die in den Jahren 1902/3 von dem belgischen Architekten und Designer Hermann van de Velde in ihrer äußeren und inneren Erscheinung als Gesamtkunstwerk gestaltet wurde. Es war der erste Auftrag van de Veldes in Deutschland, dessen Architektur den Möbeln der Auftraggeber Hanni und Herbert Esche einen angemessenen Rahmen geben sollte (vgl. Metz/Richter/Von Minwitz/Sembach 2003: 9). Herbert Esche war durch seine Erfindung in der industriellen Strumpfproduktion zum Besitzer Deutschlands größter Strumpffabrik mit Standort in Chemnitz aufgestiegen. Er residierte bis dato im Gründerzeitviertel auf dem Chemnitzer Kaßberg, was größtenteils im Geiste des Wilheminismus gestaltet wurde. Die Enge und Dunkelheit dieser repräsentativen Stadtwohnungen genügten dem zukunftsorientierten Großunternehmer nicht mehr, so formulierte er in seiner Auftragsschrift an van de Velde, die der Architekt in seinen Memoiren veröffentlichte: „Er [H. Esche] wünschte ein Haus, das mit dem Geist der von ihm erschaffenen Möbeln und anderen Gegenständen übereinstimmte, und endlich den zwischen der Einrichtung und der vulgären und prätentiösen Mietwohnung bestehenden Widerspruch, in dem er lebte zu beseitigen. Er empfand, wie er mir sagte, den Kontrast als eine ständige Beleidigung, von der ihn nur ein von mir entworfenes Haus befreien könnte, dessen Außenbau der gleichen künstlerischen Konzeption entspräche wie der Innenbau und die Möbel.“ (Zitiert nach Metz/Richter/Von Minwitz/Sembach 2003: 9)
Van de Velde war zu dieser Zeit auch mit der Eröffnung des kunstgewerblichen Seminars im Auftrag des Großherzogs Wilhelm Ernst in Weimar beschäftigt, aus dem später das Bauhaus entstanden ist. Die Hinwendung junger Unternehmer zur Unikatskunst des Jugendstils kann auch als Abgrenzung ihrer Privatsphäre von ihren auf Massenproduktion und wirtschaftliche Effizienz ausgerichteten Fabrikanlagen verstanden werden. Diese zeigten sich architektonisch zumeist noch im Geiste der Gründerzeit äußerlich als ‚Paläste der Arbeit‘, die die oft menschenunwürdigen Arbeitsverhältnisse im Innern zu verdecken suchten. So war die Gestaltung des Schönen im Privaten von der (klein-)bürgerlichen Glückserwartung in den eigenen vier Wänden geprägt (vgl. Selle 1994: 98 f.). Man schaffte sich zu Hause ein Idyll, das im Kontrast zur harten, auf Effizienz ausgerichteten Arbeitsrealität errichtet wurde. Aus diesem Grund kann der geistige Hintergrund des Jugendstils nicht nur als „[…] Ausdruck einer hedonistisch-bürgerlichen Moderne, sondern zugleich als Abdruck ihrer inneren sozialpsychischen Verfassung [gelten]. Ein hochgespannter Ästhetizismus feiert sich selbst und eine schmale Auftragsschicht in Wien, Darmstadt, München und
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überall, wo die Fusion von Kunst und Handwerk gelingt und ein Markt für künstlerisch durchdrungene Luxusformen entsteht.“ (Selle 1994: 99)
In der Form industriell gefertigter Gebrauchsgegenstände setzte sich parallel jedoch eine Versachlichung des Entwurfs durch. Ausschlaggebend dafür war weniger eine programmatische Abkehr vom Jugendstil als vielmehr eine Änderung des Geschäftsverhältnisses zwischen Gestalter und Auftraggeber. Designer wurden zunehmend als Angestellte von der Industrie beschäftigt, so dass ihre Formgebung in engem Austausch mit Bedingungen der Fertigung und marktorientierten Funktionalität traten. Beispielhaft sind hierfür die Arbeiten von Peter Behrens bei der AEG (vgl. ebd.: 115 ff.). Mit dieser Entwicklung entsteht eine Auseinandersetzung zwischen künstlerisch-ästhetisch und eher funktionalökonomisch motivierter Formgebung, die innerhalb des Werkbundes auf einer Tagung in Köln von van de Velde und Muthesius verkörpert wurde (vgl. ebd.: 135). Diese Auseinandersetzung führte später zum programmatischen Streit zwischen Itten und Gropius am Bauhaus in Weimar (vgl. Droste 2006: 176 f.). In beiden Fällen setzten sich die Auffassungen durch, die Design in seiner ökonomischen Verwertbarkeit favorisierten und somit als Dienstleistung für die Industrie sahen. Es begann eine begriffliche Trennung zwischen Kunst und Design. Einen explizit programmatischen Schnitt mit der ornamentalen und verspielten Formsprache des Jugendstils vollzog sich erst durch die sich in Holland konstituierende Gruppe De Stijl (1917-1931) und das in Weimar und später in Dessau angesiedelte Bauhaus (1919-1933). Gropius formulierte in dem Gründungsmanifest des staatlichen Bauhaus‘ die strikte Einheit von Kunst, Architektur und Design zum Wohle der Gesellschaft. Man sah sich ideologisch mit den radikalen Ideen eines antikapitalistischen Neuanfangs William Morris‘ verbunden. Zentral war dabei der Gedanke des Bauens. Gropius sah darin ein Leitmotiv, das Kunst und Gestaltung als Handwerk auffasste und somit der Zivilisation eine neue funktionale Ästhetik zur Verfügung stellen sollte. Ausschlaggebend für eine solche Wende zu einer funktionalen Ästhetik waren u.a. die kollektiven Erfahrungen des ersten Weltkrieges, die das grausame Scheitern eines übersteigerten Nationalismus beinhalteten, welcher jedoch weiterhin in zahlreichen monumentalen Bauwerken und Kunstgegenständen vorgeführt wurde. Das Bauhaus stand für einen radikalen Neuanfang auch in der Formsprache der Kunst und des Designs. Es ist in seinem Streben, Lebenskonzept und Gesellschaftsvorstellung in adäquate Form- und Farbgebung zu bringen, sicherlich einzigartig. Es beweist jedoch auch, dass seit jeher die Vorstellung bestand, dass die stilistische Gestaltung kommunikativ eingesetzter Artefakte indexikalisch das Selbst in und seine Position zur Welt sowie seine Entwicklung in dieser auszudrücken vermag.
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In der ersten Phase des Bauhaus‘ wurde eine solche ganzheitliche Sicht auf Gestaltung vor allem von Johannes Itten konsequent vertreten. Er war Kunstpädagoge und begann seinen Unterricht häufig mit Körper- und Atemübungen, die zur Entkrampfung und Lockerung beitragen und den Körper der Studierenden in die Lage versetzen sollten, den Fluss der Bewegungen in die Gestaltung von Formen übergehen zu lassen. Diese unmittelbare Verbindung vom gestaltenden Körper und der Gestaltung wurde kognitiv durch Natur- und Materiestudien, die Analysen alter Meister und dem Aktunterricht ergänzt. Körper und Geist, Intuition und Methode bildeten den Kern des Unterrichts Ittens, so dass Kunstensembles entstanden, die verschiedene Materialien auf ganz eigene Weise zusammenbrachten und so weit in die heutige, zeitgenössische Formgebung der Kunst hineinreichten. Ittens berühmter Vorkurs begnügte sich also nicht, wie in anderen Akademien üblich, mit der reinen Kopie von Vorbildern, sondern er beabsichtigte im Geiste der zeitgenössischen Reformpädagogik und der künstlerischen Avantgarde, die Studierenden in ihrer ganzen Persönlichkeit zu Rhythmus und Harmonie zu erziehen. Sie sollten in der Lage sein, Formen und Eigenschaften von Gegenständen und Natur nicht nur zu sehen, sondern mit all ihren Sinnen zu erspüren. Nur so seien sie zu neuer innovativer Formgebung in der Lage (vgl. Droste 2006: 25 ff.). In besonderer Weise ist die von Itten eingebrachte Kontrast- und Formlehre zu nennen (vgl. Abschnitt 5.5), die ebenfalls noch heute in jede Designausbildung aufgenommen ist. Sie schult den Blick, gibt ihm eine Systematik, die visuellen Artefakte analytisch erfassen zu lassen. Sie liefert auch die Grundlage für die in dieser Schrift verfolgten sozialen Semantisierung visueller Stile. Hierdurch lassen sich Prägnanzindikatoren in bildlichen und anderen Artefakten festmachen. Zu den Kontrasten gehören beispielsweise: „rauh-glatt, spitzstumpf, hart-weich, hell-dunkel, groß-klein, oben-unten, schwer-leicht, rundeckig.“ (Ebd.: 28) Ausgehend von den Grundelementen Punkt, Linie, Fläche, den Grundformen Kreis, Dreieck und Viereck und den Grundfarben Rot, Gelb, Blau stieß Itten die Analyse ihrer Wechselwirkungen, Formbildungen und Mischverhältnisse an und fokussierte diese in ihren Wirkungsweisen. So baute er das Fließende und Zentrierende von Kreisförmigkeit, die Ruhe quadratischer Formen, die dynamischen Ausrichtungen von Rechtecken und diagonalen Bewegungsandeutungen von Dreiecken in Formzusammenhänge, um bestimmte Bedeutungszuschreibungen kommunikativer Artefakte zu unterstützen bzw. nahezulegen. Die von Itten initiierte Farb- und Formsprache wurde nicht nur von den dazu kommenden berühmten Bauhaus-Lehrern Paul Klee und Wassily Kandinsky aufgenommen, sondern hat noch immer Prägekraft in allen Bereichen der aktuel-
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len Gestaltungspraxis. Das Bauhaus gilt somit als die Geburtsstätte der modernen Auffassung von Design als ästhetischer Verbindung zwischen Material, Form und Funktion. Konzepte des Konstruktivismus brachten später eine zunehmende Wissenschaftlichkeit auch in die Entwurfspraxis ein. Der Einfluss der De-Stijl-Künstler Doesburg und Mondrian veranlasste, dass das Bauhaus seine zunächst aus dem Expressionismus entnommenen Stil-Auffassungen verließ und zunehmend konstruktivistische Formgebung verfolgte. Wassily Kandinsky und Lázló Moholy-Nagy, der nach dem Richtungsstreit als Ittens Nachfolger eingestellt wurde, trieben diese Wissenschaftlichkeit und Funktionsorientierung von Gestaltung prominent voran (Droste 2006: 54 f.). Vor allem Moholy-Nagy führte zahlreiche Innovationen für ein modernes Grafikdesign ein. Von ihm stammen die berühmte serifenlose Bauhaus-Typo und die im radikalen Blocksatz gestalteten Publikationen, die zudem kleingeschrieben wurden. Diese Schrift orientiert sich primär an den Grundformen Quadrat, Dreieck und Kreis, und sie sollte im Gegensatz zu den gebrochenen und den Mischtypografien des Jugendstils passender „Ausdruck für das hier vermittelte Weltbild dieser Epoche“ (Lewandrowsky 2006: 59) sein. Ähnlich war die Entwicklung weiterer serifenloser Schriften in den 1920er Jahren motiviert. An erster Stelle ist die im Jahr 1926 ebenfalls am Bauhaus von Hans Bayer entwickelte Universal zu nennen oder die von Paul Renner entwickelte berühmte Futura aus dem Jahr 1928, die in leicht abgewandelter Form als Arial noch heute die am meisten verwendete serifenlose Schriftfamilie bildet. Neben der Modernität verfolgte Renner im Unterschied zum Bauhaus nicht nur ein konstruktivistisches, sondern auch ein funktionalistisches Formprinzip. Für Renner war die Lesbarkeit wichtiger als die einheitliche Symmetrie, die in den Bauhausschriften verwirklicht wurde. So wurden die Breiten der Lettern gemäß prägnanteren Formkontrasten flexibilisiert (Lewandrowsky: 64). Die Serifenlosigkeit dieser Schrift gilt noch heute als modern, da sie auch auf Computerdisplays als besser lesbar gilt als Serifenschriften. Diese werden wiederum wegen der besseren Lesbarkeit noch verstärkt im Printbereich genutzt. Serifenlose Schriften können somit als Repräsentation eines digitalen Zeitalters gelten, während Serifenschriften für ein älteres Zeitalter der Druckmedien stehen kann. Während Erste damit Konnotationen der Innovation und Zukunftsorientiertheit transportieren mögen, kann mit Letzten das Traditionelle, Klassische, Seriöse verbunden sein. Auch wenn Designer ästhetische Stil-Mittel nutzen, um Botschaften zu vermitteln, so sind sie doch weniger frei als die Kunst. Sie müssen die Interessen des Auftraggebers, die Marktsituation, die Funktion des Produkts, den Nutzen für die Anwender und die Trends und Werte ihrer Zeit berücksichtigen. Damit sind das Stil-Portfolio bzw. die „Muster der Entscheidungsfindung“ begrenzt.
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Bei einigen ‚Ausbruchversuchen‘, Form und Funktion stärker zu trennen, führte dies zu negativen Reaktionen, wie es z.B. britischen Designern der 80er Jahre erging, mit der Aussage: „alles nur Stil, keine Substanz“ (Walker 1992: 182). Die Designforschung geht wie die Kunstwissenschaft von einer Wechselbeziehung zwischen Form und Inhalt aus. Stilformen sind nach Meinung Walkers immer mit Bedeutungen verbunden, da sie Konnotationen und Assoziationen hervorrufen. Er macht dies an einem Beispiel klar: „Wenn man zum Beispiel beim Schaubild der Londoner Untergrundbahn den Bezug zum Referens ganz außer Acht lässt, dann vermitteln allein schon die satten Farben, scharfen Kanten und die geometrische Anordnung eine bestimmte Weltvorstellung wie Ordnung, Klarheit, Harmonie, Knappheit, Einheitlichkeit, Rationalität […].“ (Walker 1992: 183)
Walker (1992: 183) geht von einer Kollektivität des Stils aus, die nur im Vergleich mehrerer Artefakte gleicher Gattungen und Funktionen zu ermitteln ist. Er stellt einen Idealtypus von bestimmten Eigenschaften dar, dem die einzelnen stilisierten Gegenstände unterschiedlich angenähert sind. Dennoch ist eine Einheitlichkeit von Design-Stilen nur schwer auszumachen, da die Untersuchung von Designobjekten hauptsächlich sehr kurze periodische Einheiten betrachten kann. Designerische Übereinkünfte sind aktuell erheblich kürzeren Zyklen unterworfen und bestehen in einer großen Bandbreite paralleler Stilausprägungen. So zeigen sich Wohnzimmereinrichtungen je nach individuellen und milieuspezifischen Geschmackspräferenzen mit moderner gradliniger und klarer Anmutung sowie in einem ‚rustikalen Landhausstil‘. Die Abfolge und die Breite von Geschmackspräferenzen des Designs sind dynamischen Modeerscheinungen unterworfen und unterliegen zwar weniger einem festen Kanon, allerdings stehen Marken wie Dior, Chanel, Joop, Lagerfeld auch für bestimmte Form- und Farbdominanzen, die als schulhaft verstanden werden können. So gibt es im aktuellen Design durchaus Stil-Konventionen, die sich markenorientiert mit einem Designer bzw. seiner Schule verbinden lassen und die dem anvisierten Bezugsgruppenmilieu soziale Angebote der Identifikation oder der Ablehnung machen. Designer haben damit verbunden, wie Newark (2006: 18) meint, die Motivation, eine eigene „Handschrift auszubilden“, also als individuelle Gestalter in ihren Produkten wiedererkannt zu werden. Dies ist im Modedesign, dessen Funktionalität eine geringere Rolle spielt, sicherlich überlebenswichtig. Demgemäß beschäftigt sich ein Teil der Designforschung mit der Unterscheidung von Originalentwürfen und Imitaten. In der Architektur ist der Zusammenhang zwischen Stil und Funktion, der durch das Bauhaus für die Moderne charakteristisch geworden ist, ebenfalls be-
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deutend. Dies zeigt sich aber bereits bei Gottfried Sempers Ausführungen zum „Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder Praktische Ästhetik“ aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Semper ging davon aus, dass künstlerische Stile im engen Zusammenhang mit der handwerklichen Fertigkeit und den materiellen Grundlagen der Zeit stehen. Er fasste seine Stil-Vorstellung in eine mathematische Formel: ܵ = F (x,y,z, ...) entspricht Stil = Funktion (Material, Werkzeug, Religion, Charakter des Künstlers, ...) (Walker 1992: 187). Walker weist in diesem Zusammenhang auf die Entwicklung im amerikanischen Autodesign hin. Während bis zu den 20er Jahren das Aussehen der Autos allein von den Ingenieuren bestimmt wurde, übernahmen z.B. bei General Motors zunehmend Designer die Formgebung, um sich innerhalb des Marktes abgrenzen zu können und Wiedererkennbarkeit zu stiften. Es folgte ein jährlicher Modelwechsel, der den Konsumdruck zu steigern zum Ziel hatte. Durch die zunehmende Ressourcenknappheit und die steigenden Benzinpreise wirkt aktuell die Funktion wieder stärker auf die Formgebung (und Materialwahl) ein. Folge ist, dass das Aussehen durch die Aerodynamik der Fahrzeuge sich einander angleicht und Formunterschiede innerhalb der Fahrzeugklassen abnehmen. In der Formel Sempers ist noch ein weiterer Aspekt angedacht. Sie zeigt die Wechselbeziehung zwischen Form und Materie auf, was hier als Beziehung zwischen Stil und Medium konzeptualisiert wird. Durch die Materialisierungsfunktion von Design durch Medien wird auch diesen in der Designforschung große Aufmerksamkeit geschenkt. Medien stellen die Designer vor Fragen der Ergonomie und der Usability. So wird Design erst durch die Medien nutzbar und Medien werden es erst durch das Design. Dennoch gibt es einen Unterschied zwischen Design und Medien. Jonas (2002: 4) führt in diesem Zusammenhang den Leitsatz auf: „Form ist das Medium im Design“. Neben der Veränderbarkeit von Design ist dessen temporäre Verbundenheit mit dem Medium wichtig: „Ein Objekt ist nur deshalb Designobjekt, weil es in sich die Möglichkeit verkörpert, auch anders zu sein. Die In-Formation ist grundsätzlich revidierbar. Die Kontingenz der Form ist das Medium, indem sich die Kontingenz der Designlösung manifestiert und temporär auflöst.“ (Jonas 2002: 4)
Medium und Form (hier auch als aktualisierter Stil verstanden) sind nach Jonas unmittelbar verbunden. Sie bilden das Designobjekt bzw. das Artefakt. Bezogen auf medienkommunikative Artefakte bildet das Designobjekt somit auch das Medienprodukt, das aus geformtem Zeicheninhalt und gewählten medialen Zeichenträger besteht. Design ist somit für Jonas immer das ‚Dazwischen‘, also die vermittelnde Instanz zwischen dem Artefakt und dem Nutzer. In diesem Sinne
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versteht er Design als Medium, da es die Artefakte samt ihrer Inhalte zugänglich macht. Design wird zu einem Interface, zu einer Schnittstelle zwischen materieller und mentaler Welt, zwischen Technik und Körper, Kommunikation und Psyche. Sie schafft Passfähigkeit im systemtheoretischen Sinne, indem sie System und Umwelt in Interaktion bringt. Design bildet die Oberfläche von Gegenständen, mit denen Nutzer umgehen. Der Stil als Oberflächengestaltung organisiert soziale Anschlussfähigkeit des Gegenstandes. Er macht Inklusions- und Exklusionsangebote, die kommunikativ funktional werden können. Aus diesem Grund bietet Design sich als Ausdrucksmöglichkeit für bestimmte Lebenstile an, wodurch sich ferner der designwissenschaftliche und der soziologische Stil-Begriff verbinden lassen. Während letzter die Vergemeinschaftungspraxis durch stilorientiertes Verhalten fokussiert, bietet Design die Mittel dieser Stil-Handlungen an. Dabei können szenespezifische Stil-Mittel von Kleidung, Styling etc. (z.B. des Punk, des HipHop) mit den damit verbundenen sozialen Konnotationen in den Entwurf textilindustrieller Massenproduktion eingehen. Konsumenten kaufen mit der entsprechenden Kleidung bewusst oder unbewusst auch ein Zeichenensemble, das als Bezug auf kulturelle Praktiken bzw. Lebensstile der jeweiligen Szene gelesen werden kann. Diese Praxis der Selbststilisierung durch zeichenhaft deutbares Verhalten und Accessoires wird zunehmend auch als Lifestyle konzeptualisiert (vgl. Walker 1992: 194 ff.), was im sozialsemiotischen Stil-Begriff in Abschnitt 3.7 näher thematisiert wird. Die Designwissenschaft bezieht sich in diesem Zusammenhang häufig auf Ergebnisse der ‚Sinus-Milieu-Forschung‘. Sie lehnt sich an das Bedürfnis des Marketings an, tiefenstrukturelle Erkenntnisse über werteorientierte Lebensauffassungen und Lebensstile zu erfassen, um Designstile für entsprechende Zielgruppen zu entwickeln (vgl. Zeh 2010: 237 ff.). Als Bausteine solcher SinusMilieus werden neben den klassischen demografischen Daten wie Alter, Geschlecht, Ausbildung/Bildungsstand, Beruf/Einkommen, auch Freizeit- und Konsumverhalten, Familienkonstellationen, ästhetische Präferenzen, Werthaltungen/ Einstellungen erhoben. Dies führt zu Milieu-Einteilungen, die mit folgendem Schaubild visualisiert sind.
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Abbildung 3.1: Sinus Milieus (Sinus-Institut 2012)
Quelle: http://www.sinus-institut.de/loesungen/ sinus-milieus.html, 07.08.2012
Es zeigt die Größenrelationen und Schnittmengen erhobener Zielgruppen, die als a) Konservativ-etabliertes, b) Liberal-intellektuelles, c) Performer-, d) Expeditives, e) Sozialökologisches, f) Bügerlich-Mittiges, g) Adaptiv-Pragmatisches, h) Traditionelles, i) Prekäres und j) Hedonistisches Milieu bestimmt wurden. Problematisch bei dieser weiterhin sehr schematischen Einteilung ist, dass Individuen sich selten in solche Cluster aufteilen lasen, sondern ihr Verhalten sich gruppen-, kontext- und situativbedingt anhand performativer Rollen-Erwartungen und Praktiken ausrichtet. Milieus mögen prägend wirken, sie können jedoch nicht deterministisch behandelt werden. Sie blenden biografische Entwicklungen, situative Interaktionen und subjektive Aneignungspraktiken aus, nach denen sich das Lifestyle-Verhalten der Individuen richten. Außerdem entstehen solche Milieu-Bestimmungen mit dem klaren ökonomischen Interesse eines privatwirtschaftlich agierenden Marktforschungsinstituts. Kundeninteressen und marketingstrategische Persuasion des Instituts fließen demnach ebenso in die Analyseergebnisse ein, wie eine auf Effizienz angelegte Forschungs-Praxis.
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LITERATURWISSENSCHAFTLICHE
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Ein philologisch ausgerichteter Stil-Begriff kann als Zwischenglied zwischen den ästhetischen Ansätzen der Philosophie, Kunstgeschichte und Designfor-
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schung und der auf Sprache fokussierten linguistischen Stilistik gelten. Um dadurch mögliche Redundanzen zu vermeiden, wird er hier nur skizzenhaft dargestellt. Ein literaturwissenschaftliches Instrumentarium zur Stilerfassung beruht nach Göttert/Jungen (2004: 39) auf einer verstärkt intuitiven, statt systematischen Beschäftigung mit der Eigentümlichkeit literarischer Texte (vgl. auch Spillner 1997: 243). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat der Stil-Begriff zur Evaluierung literarischer Qualität jedoch einen festen Platz im literaturwissenschaftlichen Forschungszusammenhang erobern können. Hier war er zunächst normativ, statt deskriptiv geprägt. Stil galt als eine Form ästhetischer Rede, die der inhaltlichen Botschaft kunstvoll beigefügt ist. Da sich die Literaturwissenschaft eher in der Tradition der Poetik und weniger in der der Rhetorik verortet hat, wurden im 18. und 19. Jahrhundert Stilelemente zunächst weniger betrachtet. Im Sinne einer positivistisch ausgerichteten Literaturgeschichte entwickelte man demgegenüber außerliterarische Kategorien der historischen Einordnung von Werken und Autoren. „Stilistische Merkmale waren vor allem dann von Interesse, wenn sie sich milieutheoretisch verorten ließen.“ (Göttert/Jungen 2004: 39) Mit Aufnahme hermeneutischer Verfahren in die Literaturwissenschaft geriet auch der Stil literarischer Texte als Teil des Gesamtwerks in den Blick. In Anlehnung an das dichotome Vorgehen, das Wöfflin zur Ermittlung von Stil in der bildenden Kunst entwickelt hat (vgl. Abschnitt 3.3), wurde im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts auch in der Literaturwissenschaft eine Systematisierung der Untersuchung stilistischer Merkmale verfolgt. Die Literatur strukturierte sich fortan anhand von Gattungs- und Epochenstile. Zwar blieb weiterhin die Intuition des Rezipienten ein wichtiges Analyseinstrument, mit Leo Spitzer gerieten in den 1920er Jahren allerdings verstärkt auch die Funktionen grammatischer Formen in den Blick. Spitzer rückte „das stilistische System innerhalb eines künstlerischen Werkes“ ins Zentrum literaturwissenschaftlicher Forschung. Er war auf die stilistischen Besonderheiten der Künstler fixiert und versuchte dadurch ihre psychische Konstitution mit zu erfassen. (Göttert/Jungen 2004: 41) Eine weitere Anregung für die Literaturwissenschaft bedeutete die Entwicklung der so genannten werkimmanenten Stilinterpretation. Hierbei betrachtete man weniger außerliterarische Faktoren für die realisierte Stilisierung eines literarischen Textes, sondern der Text selbst unterlag der Prüfung, inwiefern Inhalt und gewählte sprachliche Form in Einklang standen. In dieser Hinsicht bemaß sich der künstlerische Wert eines Werkes. Auch wenn ab den 1950er Jahren damit Stil als eine zentrale Kategorie der Literaturwissenschaft galt, so wurde im westdeutschen Raum jedoch weiterhin wenig zu seiner Theoretisierung beigetragen (Göttert/Jungen 2004: 45). In der DDR zeigte sich dagegen ein stärkeres En-
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gagement an einer Konzeptualisierung von Stil. Dies lag an der dort etablierten Funktionalstilistik von Elise Riesel (siehe dazu näher Abschnitt 3.4). Literarische Texte wurden neben anderen Funktionalstilen wie dem Wissenschaftsstil und dem journalistischen Stil als besondere Stilausprägung angesehen, was zu genauen Katalogisierungen der literarischen Stilelemente führte. Aktuell ist eine Annäherung linguistischer und literaturwissenschaftlicher Stilauffassungen zu beobachten. Dies liegt am verstärkten wechselseitigen Interesse seit der sogenannten pragmatischen Wende in den 1970er Jahren. Beide Disziplinen nehmen dadurch auch gesprochene Sprache in den Blick. Insbesondere die pragmatische Stilistik der Linguistik untersucht sprachliche Besonderheiten literarischer Texte im Vergleich zur Alltagssprache (vgl. Fix/Poethe/Yos 2001, Sandig 2006). Die Literaturwissenschaft bedient sich in gesteigerter Form rhetorischer Begriffe und linguistischer Instrumentarien, um die Gestaltung literarischer Texte deskriptiv zu behandeln (vgl. Spörl 2004, Zymner/Fricke 2007). So bestimmt eine literaturwissenschaftliche Stilanalyse sprachliche Figuren wie Anaphern, Metaphern und verfolgt diese als markante Stilelemente eines Textes oder eines Werkes, wenn diese funktional aufeinander zu beziehen sind. Mit der Kunstgeschichte hat die Literaturwissenschaft weiterhin gemein, dass sie die Literatur nach Gattungs- und Epochenstilen strukturiert. Freilich wird dies nicht mehr mit dem positivistischen Anspruch des 19. Jahrhunderts verfolgt. Vielmehr liegt nun die Perspektive auf bestimmten sprachlichen Mustern, die ähnliche literarische bzw. kommunikative Funktionen realisieren. So ist die literarische Gattung auf der gleichen Ebene verortet wie die linguistisch bestimmten Textsorten (Klausnitzer 2004: 55). Sie bringt implizites Musterwissen hinsichtlich Inhalt und Form mit sich, das die Produktion und die Rezeption eines entsprechend bestimmten literarischen Textes prägt. Bereits Platon hat in dieser Hinsicht zwischen den Gattungen Tragödie und Komödie unterschieden. Ihre Bezeichnungen bringen Erwartungen an ein ‚gutes oder schlechtes Ende‘ im jeweiligen Schauspiel mit sich. Auf formalen Kriterien der Sprachgestaltung gründen sich die in der Neuzeit festgelegten Grundgattungen Epik, Lyrik und Dramatik. Grob bestimmt Klausnitzer (2004: 64) die Epik als dominant darstellend bzw. erzählend geformt, die Lyrik als dominant emotiv bzw. expressiv gestaltet und die Dramatik als vorherrschend appellativ geprägt. Auch wenn der Epochenstil ebenso wie in der Kunstgeschichte umstritten ist, so hält er sich doch weiterhin als „epochentypische Gestaltungsmerkmale in der Literatur“ (Müller 2010: 1275). Neben Epochen- wird vom Zeitstil gesprochen, der sich als Äußerung einer hervorgehobenen Geisteshaltung in einer bestimmten Periode zeigt. Exemplarisch ist dies an Goethes Dramen Götz und Iphigenie zu zeigen. Während beide Werke der gleichen Gattung angehören, von
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demselben Autoren stammen, also ähnliche Züge eines Individualstils tragen müssten, zeigen sie sich formal und inhaltlich doch sehr unterschiedlich. Grund dafür scheint die gewechselte Geisteshaltung zu sein, die jeweils epochenspezifisch vorherrschte. Während Goethe „Götz von Berlichingen“ noch zur Zeit des Sturms und Drangs verfasste, entstand „Iphigenie“ bereits in der Klassik. Beide Werke gelten als für ihre Epoche einschlägig. Nach Spillner (1997: 248) kann die Literaturwissenschaft Stilanalyse aus zwei Perspektiven heraus betreiben. Die erste schaut auf die Stilfunktionen zur Zeit der Textentstehung in Abgleich mit anderen zeitgenössischen Texten, Grammatiken, Enzyklopädien, Stilistiken. Zweitens kann der literarische Text aus Sicht eines aktuellen impliziten Lesers analysiert werden. In beiden Fällen hängt es von der Kompetenz des Interpreten ab, inwiefern er mögliche Stilelemente wie Anspielungen, Ironie oder Wortspiele als solche entschlüsseln und gemäß ihrer literarischen Funktion gewichten kann. Neben der Bestimmung von rhetorischen Figuren und Tropen (siehe Spörl 2004) beschreibt auch eine literaturwissenschaftliche Stilistik mit Hilfe linguistischer Instrumentarien sprachliche Eigentümlichkeiten auf der Ebene der Lexik (z.B. als konnotatives Spiel: krepieren vs. entschlafen) und der Syntax (Varianten der Wort- und Satzstellung, z.B. zur Spannungserzeugung: „ein Zug war plötzlich zu sehen“ vs. „plötzlich…, ein Zug war zu sehen“). Hinzu tritt die Berücksichtigung graphostilistischer Elemente, die bestimmte Konnotationen hervorrufen können. So liefern Sperrungen und Unterstreichungen Hervorhebungen bestimmter Wörter und heben damit deren Relevanz, Schriftarten wie Fraktur wirken im Vergleich zur heute neutral anmutenden Arial-Schrift eher rückwärtsgewandt (Spillner 1997: 249 ff.). Sprachlich realisierte lautliche Ausdrucksmittel wie Alliterationen, Assonanzen usw. mögen ferner Zusammengehörigkeit markieren, die über die rein syntaktische und semantische Stilgebung hinausgehen. Als Minimaldefinition lässt sich somit Spillners (1997: 246) Vorschlag aufnehmen: „,Stil‘ wird aufgefasst als das Resultat aus der Auswahl des Autors aus den konkurrierenden Möglichkeiten des Sprachsystems und der Rekonstruierung durch den textrezipierenden Leser/Hörer. ‚Stileffekte‘ ergeben sich erst im dialektischen Wechselspiel zwischen den im Text kodierten Folgen, der durch den Autor getroffenen Auswahl und der Reaktion durch den Leser.“
Diese stilistische Auswahl sprachlicher Mittel ist zum einen qualitativ durch den Vergleich mit möglichen Stilalternativen zu analysieren oder quantitativ durch das Auszählen bestimmter genutzter stilistischer Mittel.
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3.6 D ER ( SOZIO -) LINGUISTISCHE S TIL -B EGRIFF Stil aus linguistischer Perspektive meint Prägungen sprachlicher Ausdrücke sowie Vertextungsstrategien, die sich sendermotiviert, situations-, adressaten- und funktionsbezogen in der konkreten Sprachpraxis zeigen. Untersucht werden diese Prägungen auf phonetischer, semantischer, syntaktischer und textlicher Ebene sowie hinsichtlich ihrer sozialen und kommunikativen Funktion. Wie die Linguistik allgemein wird auch die Stilistik in eine eher strukturalistisch und eine eher pragmatische Ausrichtung unterteilt. Eine strukturalistische Spielart bezieht sich auf die von de Saussure angeregte Systematisierung der Sprache als System bzw. Struktur (langue). Eine solche Stilistik fokussiert die sprachlichen Performanzen als realisierte Auswahlen des von de Saussure beschriebenen sprachlichen Repertoires. Daran anschließend wurde Stil u. a. der so genannten Prager Schule als objektiv zu analysierendes Phänomen betrachtet, als soweit formalisierbar, dass auch die Bestimmung eines sprachlichen Kunstwerkes objektiv möglich ist (vgl. Göttert/Jungen 2004: 29). Dies führte zu quantitativen Analysen, die Stil-Elemente aufgrund von Rezipientenbefragungen als empirisch nachweisbare sprachliche Auffälligkeiten bzw. Abweichungen ermitteln ließen. Eine pragmatische Stilistik wendet sich den kommunikativen Funktionen zu, die durch sprachliche Stilisierungen nahe gelegt sind. Mit Bezug auf den Begriff der parole von de Saussure und der von Austin (2002/1962) angeregten Sprechakttheorie steht das sprachliche Handeln und seine stilistische Ausprägung im Mittelpunkt (Göttert/Jungen 2004). Während die Grammatik die Regularitäten des sprachlichen Systems untersucht, fokussiert die pragmatische Stilistik „[…] die Regularitäten und Irregularitäten der Sprachverwendung (Performanz) sowohl in der Form von Inventaren der stilistischen Mittel und Möglichkeiten (>stilistischen Grammatikenrahmen< den gesprochenen Text; Text und Bild ergänzen sich gegenseitig zu einer bestimmten Perspektive oder Text und Bild prägen unterschiedlich Frames; dabei kann der Frame des einen Formats durch das andere relativiert werden oder davon unbeeinflußt bleiben. [Hervorhebungen im Original; SM]“ (Scheufele, B. 2001: 150 f.)
Es bleiben erkennbar Fragen offen, zum Beispiel inwiefern gestalterisch nahegelegt ist, dass ein Bild überhaupt mit einem Text in Verbindung stehen kann, so dass ein Framing entsteht. Was heißt also in diesem Zusammenhang „rahmen“? Ist damit nur ein konzeptueller oder auch ein layouttechnischer Rahmen oder beides gemeint? Inwiefern machen sich dabei die unterschiedlichen Kodierungen von Sprache und Bild bemerkbar? Was kann ein Text als arbiträres Zeichensystem für ein wahrnehmungsnahes Bild leisten und umgekehrt? Es fehlen zudem Berücksichtigungen von stilistischen Design-Elementen wie Farbeinsatz, Flächenverteilung, Proportionen bei der Bestimmung visueller Framing-Effekte (vgl. Lachmann 2002). Einige Antworten auf diese Fragen sollen im vorliegenden Kapitel fünf gegeben werden. Es wird mit Blick auf die Praxis der visuellen Stilisierung das Konzept des Visual Framing weiter konkretisieren und für die qualitative Medien- und Designforschung operationalisieren. Dies geschieht mit einem Seitenblick auf die intensive Forschungslandschaft der linguistischen Frame-Semantik (zum Überlick vgl. Ziem 2008). Das Kapitel schließt damit an das Chemnitzer DFG-Projekt „Online-Diskurse“ (Fraas/Meier/Pentzold 2010, 2013, Fraas/Meier/ Pentzold/Sommer 2013) an, das eine konzeptionelle (Fraas2013) und methodische Verbindung (Meier 2010b, Fraas/Meier 2012, Meier/Sommer 2012) zwischen kommunikations- und sprachwissenschaftlichen Frame-Konzepten zur Analyse multimodaler (Online-) Kommunikation hergestellt hat. Es sollen fra-
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mestrukturelle Aspekte eingeführt werden, die in der Kommunikationswissenschaft weniger Berücksichtigung finden. Darüber hinaus wird eine sozialsemiotische Design- bzw. Stil-Theorie mit dem kommunikations- sowie sprachwissenschaftlichen Fram(ing)e-Ansatz verknüpft. Der Frame-Ansatz, wie er im Chemnitzer Projekt behandelt wird, beruht auf kognitionswissenschaftlichen (Minsky 1975), linguistischen (Fillmore 1982) und soziologischen Annahmen (Goffman 1989) einer wissens- und verstehensleitenden Rahmung von Sachverhalten. Trotz der heterogenen Verwendung des Frame-Begriffs bestehen nach Fraas jedoch begriffliche Schnittpunkte, die sie wie folgt zusammenfasst: „Der Vergleich der Ansätze macht deutlich, dass entweder – wie vor allem in der Kognitionsforschung und Linguistik – mehr die Frame-Struktur fokussiert oder aber mehr eine holistische Sicht (Frames als Rahmen) favorisiert wird. Im ersten Fall sind die Forschungen eher auf Frames als Repräsentationsformate für kognitive Strukturen, im zweiten eher auf den Prozess der Aktivierung dieser kognitiven Strukturen in konkreten Situationen, das Framing gerichtet. Framing als Prozess der mehr oder weniger bewussten Kontextualisierung, Bedeutungskonstitution und Interpretation ist mit Komplexitätsreduktion, Kategorisierung, Perspektivierung, Selektion und Salienz verbunden und wird in den unterschiedlichen Forschungsrichtungen auf unterschiedlichen Ebenen beschrieben: 1. Als Prozess der Bedeutungskonstitution beim Sprachverstehen, 2. als Prozess der Interpretation von konkreten Situationen zur Handlungsermöglichung und 3. als Praxis der WissensAktivierung in komplexeren diskursiven Zusammenhängen bis hin zur strategischen Deutungsarbeit.“ (Fraas 2013: 264)
In der vorliegenden Studie wird eine Verbindung zwischen einer kognitionswissenschaftlich informierten linguistischen Ausrichtung des Frame-Ansatzes und einer ‚holistischen‘ Sichtweise, die an Goffmans Konzeptualisierung anschließt, vollzogen. Grund dafür ist, dass auch Stil-Herstellung gleichzeitig auf mentalem Kode- und pragmatischem Handlungswissen beruht. Damit ist der Frame-Begriff einer eher objektivistisch-quantitativ organsierten Forschung entzogen, wie sie hauptsächlich in der Kommunikationswissenschaft und in Teilen in der Linguistik (vgl. entsprechenden Forschungsüberblick bei Ziem 2008) verfolgt wird. Ich behandle im Sinne des Chemnitzer Modells den Frame-Begriff als selektierende Bedeutungskonstitution und die Praxis des Framings als hervorhebendes kommunikatives Handeln zur Stiftung sozialer Wirklichkeit. Frames werden in der kognitiven Linguistik als komplexe Strukturen von Slots (konzeptuellen Leerstellen), Fillers (konkreten kontextbasierten Ausfüllungen dieser Leerstellen) und Default-Werten (inferierten Standardwerten) ver-
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standen (vgl. Ziem 2008). Sie bilden komplexe semantische Netzwerke und geben das Kontextualisierungspotential von Konzepten bzw. Begriffen vor. Sie werden daraufhin individuell mit bestimmten Erfahrungswerten verbunden und wirken insofern handlungs- und erwartungsleitend (vgl. Fraas 1996, 2013; Fraas/Meier 2011). Visuelle Stilisierung vollzieht diese selektierende Bedeutungskonstituierung durch die Auswahl (vgl. Kap. 5.3) bestimmter Bildmotive und Layout-Elemente. Diese werden so zu kontextgeprägten Fillers, welche Produzenten und Rezipienten an konventionalisierten Default-Werten in Form musterhafter AuswahlPraktiken bzw. Kodes orientieren. Visuelle Stilisierung perspektiviert mittels Formung die gezeigten Dinge aufgrund von Kamerahandlungen (vgl. Kap. 5.3) und hebt mittels Komposition bestimmte Elemente durch aufmerksamkeitsstiftende bzw. prägnante Gestaltung hervor (vgl. Abschnitt 5.4). Eine solche Sichtweise wird nachfolgend weiter vertieft: Wie festgestellt, sind Framing-Prozesse nach linguistischem und kommunikationswissenschaftlichem Verständnis Praktiken der Selektion und Kontextualisierung, die als perspektivische Bedeutungszuschreibungen realisiert sind. Sie stellen fokussierende Komplexitätsreduzierungen dar, die prägnanzstiftende Salienzen bzw. Hervorhebungen bewirken (vgl. Abschnitt 5.4). Framing-Prozesse umfassen also eine spezifische Darstellungsweise und sind in diesem Sinne ebenfalls als stilprägend zu begreifen. Sie sind an soziale und kulturelle (Diskurs- und Handlungsfeld-) Kontexte gebunden, indem sie als Stil-Praktiken der Auswahl nur bestimmte (Diskurs-) Gegenstände, Themen und Konzepte in den (massen-) medialen Kommunikaten aufnehmen und andere unerwähnt lassen. Diskurs- und Handlungskontexte vermitteln standardisierte bzw. musterhaft konventionalisierte Füll-Praktiken. Sie bilden übergeordnete Slots, die durch situations-, medienund genregeprägte Kommunikationspraktiken gefüllt werden. Dabei ergibt sich ein hierachisch strukturiertes Netzwerk, in dem die zur Anwendung kommende mediale Kommunikationsform als Filler für den darüber angesiedelten Handlungskontext dient. Gleichzeitig lässt sie sich als Slot für die darunter zu veranschlagende Genre-Umsetzung verstehen. Diese Slot-Filler-Struktur ist somit im Stil-Modell (siehe Abb. 5.3 im folgenden Abschnitt) an den Übergängen von den Kontexten zu den Stil-Praktiken Auswahl, Formung und Komposition als konkrete Prägewirkungen mitzudenken. Die Stil-Praktiken stehen über diese Slot-Filler-Strukturen in Verbindung zu den entsprechenden Kontexten. Im Bereich der Formung vollzieht sich diese Vermittlung ebenfalls. Hier dient Formung als kommunikative Füllung des Kontext-Slots Genre jedoch nicht im Sinne des WAS, wie bei der Auswahl, sondern im Sinne des WIE. Der GenreSlot hält dafür ebenfalls situationsbezogene, soziale und kommunikative Muster
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der Gestaltung für die konkrete Stil-Umsetzung bereit. Mimik/Gestik, Kleidung, Aussehen und Form bei Personen und Gegenständen richten sich demgemäß nach musterhaft konventionalisierten sozialen Rollen und Handlungsweisen, die mittels Inszenierung und kamerabedingten Perspektivierungen konnotativ kommentiert sind. Übernimmt ein Printmedium beispielsweise offizielles PRBildmaterial von Angela Merkel aus der Presseabteilung des Kanzleramtes oder verwendet es spontane Pressefotografien, die die Kanzlerin weniger vorteilhaft zeigen, so werden dem Rezipienten unterschiedliche framebasierte Bewertungen nahegelegt. Durch die Anwendung unterschiedlicher (Kamera-) Perspektiven kommt dem ikonischen Zeichensystem sogar eine direkte stilistische Umsetzung des Framing-Ansatzes zu. Die Kamera setzt den Betrachter durch die Perspektive auf spezifische Art dem Betrachter gegenüber (vgl. Kap 5.3). Ist das Bildmotiv aus der Frosch- oder aus der Vogelperspektive aufgenommen, so erscheint prototypisch dieses groß und übermächtig oder klein und unterlegen. Kommentierendes bzw. interpretierendes Framing findet durch spezifische Perspektivierung jenseits metaphorischer Übertragung als konkretes performatives Stil-Mittel statt. Das heißt, unterschiedliche stilistische Darstellungsweisen framen Wirklichkeitsausschnitte auf unterschiedliche Weise, was mit spezifischen Konnotationen verbunden ist. Ein bildlich-performatives Framing schließt als Stil-Praxis der Komposition nicht zuletzt an die soziologische Frame-Theorie Goffmans an. Diese behandelt Frames als Organisationsprinzipien sozialer Alltagssituationen. Dabei fragen sich die Beteiligten in jeder Situation, die es zu bewältigen gilt, „what is it that’s going on here?“ (Goffman 1989: 8). Sie verknüpfen alles Wahrgenommene sinnhaft, indem sie durch den Bezug auf bestimmte Handlungsfelder, diskursive Wissen- und Bedeutungskonstituierungen kohärente Sinnzusammenhänge herstellen. Phänomene werden so in lokale und soziale Handlungsrahmen eingeordnet, die durch Handlungserfahrungen und daraus gespeiste Erwartungshaltungen bestimmt sind. Auch hier zeigt sich die beschriebene Slot-Filler-Struktur. Denn die konkreten Handlungsrahmen sind wiederum durch diese Netzstruktur geprägt. Sie sind Resultate von abgeleiteten Normalitätsvorstellungen und Erwartungshaltungen bestehender Handlungsfelder und diskursiver Konzepte (DefaultWerten), die in der konkreten Situation als geltend angesehenen werden. Framing in Form stilistischer Kompositions-Praxis ist außerdem ‚Impulsgeber‘ für die konkrete bedeutungsstiftende Korrespondenz unterschiedlicher Zeichensysteme. Bildinhalte erhalten durch ihre Korrespondenz mit weiteren sprachlichen und bildlichen Ko-Texten, die durch Layout und Montage hergestellt sind, ihre kommunikative Ausrichtung. Erst wenn ein Text beispielsweise „schwierige Koalitionsverhandlungen“ thematisiert, erhalten kombinierte bild-
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lich dargestellte ‚finstere Politikerminen‘ ihren Aussagewert. Durch Vektoren (z.B. in Form von Blickrichtungen oder Körperausrichtungen der dargestellten Personen) oder Näheplatzierungen werden Text und Bild layoutechnisch in Zusammenhang gesetzt. Nur so kann ein Bild interpretativ zur Repräsentation, genauer: zur visuellen Synekdoche, einer schlechten bis gereizten Gesprächsatmosphäre werden. Über die ikonische Kodierung wird dem Rezipienten diese wahrnehmungsnah (vgl. Sachs-Hombach 2003) präsentiert, als ob er selbst mit dabei gewesen wäre. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob die gezeigten Mimiken tatsächlich mit den Koalitionsverhandlungen in Verbindung stehen. Der durch Layout kombinierte Text ‚framt‘ die dargestellten Politiker und gibt ihnen eine perspektivisch-kommunikative Ausrichtung. Das, was ein Bild neben einem Nachrichtentext zeigt, fokussiert einen im Text angesprochenen Gegenstand oder einen besonderen Moment des beschriebenen Ereignisses. Es zeigt dem Rezipienten ikonisch kodiert einzelne visuelle Eigenschaften der Referenzobjekte und lässt diese aus dem Gesamtzusammenhang der textlichen Darstellung hervortreten. Durch die spezifische Wahrnehmungsnähe des Bildes wird es ferner schneller wahrgenommen und semantisiert als der Text und kann durch seine geringere Arbitrarität unmittelbar emotionsbezogen wirken. Durch die damit verbundene spontane Wirkmächtigkeit des Bildes wird der Text voraussetzungsreicher gelesen (vgl. entsprechende empirische Befunde Scheufele, B. 2001, Detenber/Gotlieb/Mcleod 2007, Geise 2011, Müller 2011, Geise/Rössler 2012). Das Visual Framing liefert somit weitere stilistische Bedeutungselemente, die in der Untersuchung multimodal ausgeprägter Medienkommunikate berücksichtigt werden müssen.
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5.2 D AS S TIL -M ODELL Abbildung 5.1: Modell der kontextbedingten Stil-Praktiken Auswahl, Formung und Komposition
Quelle: Eigene Darstellung
Abbildung 5.1 führt das Stil-Modell vor Augen (vgl. Kap. 1), das in diesem Kapitel konzeptuell ausgeformt und anhand von Beispielen veranschaulicht wird. Im Modell zentriert ist der Stil-Begriff, der individuelle sowie soziale Komponenten in sich trägt. Stil ist in diesem Sinne in enger Verbindung zum sozialsemiotischen Begriff des Lifestyles zu verstehen (siehe Leeuwen 2005: 144 ff., Abschnitt 3.7). Er ist gesellschaftlich konstituiert, indem er sich in kollektiven Geschmackspräferenzen, Verhaltensweisen und Aktivitäten äußert und sich mimetisch sowie diskursiv verbreitet. Der hier zentrierte Stil ist als eine Kombination von nicht-intentionaler sozialer Stile, die durch Gender, Alter, Klasse/Milieu bedingt sind, und Lifestyle zu verstehen. Letzterer beruht primär auf einer mehr oder weniger intentional verfolgten Partizipation, welche von gemeinsamer Berufs-, Freizeitgestaltung und kollektiven Konsumverhaltens ausgeht. Soziale Gruppen haben dafür als ‚Peers‘ bestimmte Stil-Muster in unterschiedlichen Handlungsfeldern entwickelt, die explizit diskursiv und implizit mimetisch Verbreitung finden. Demnach sind Diskurs und (peergroupgeprägte) Handlungsfelder in dem vorliegenden Stil-Modell als Komponenten kultureller Kontexte ver-
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ortet. Handlungsfelder sind beispielsweise Sport, Musikkonsum, Wohnen, Politik, Wirtschaft, Familie, Beruf, Hobby etc. Die Prägung von Peers beruhte ursprünglich verstärkt auf Face-to-face-Diskursen, die in festen Gemeinschaften und Szenen mit entsprechenden sozialen Rollen und Hierarchien geschah. Aktuell werden solche Stil-Konventionen dominant über (massen-)medienvermittelte Diskurse bzw. Performances transportiert. In ursprünglichen Peers haben ebenfalls bereits massenmediale Stil-Muster (z.B. das Stil-Muster James Dean) mimetische Aneignung erfahren. Sie dienten jedoch gesteigert einer Abgrenzung von Stil-Konventionen der Elterngeneration oder des ‚Mainstreams‘. Aktuell erscheinen szene- oder subkulturell orientierte Gemeinschaften jedoch weniger (politische) Abgrenzungen zu verfolgen, sondern ihre lifestyle-orientierten StilAusprägungen sind massen- und/oder online-medial zugänglich und dienen einer eher auf die Ästhetik reduzierten Selbstinszenierung (Meier 2013a). Stilprägende Vorbilder von Mode, Accessoires und Verhalten finden Verbreitung durch öffentliche Auftritte von Stars und fiktionalen Figuren, die durch Film, Fernsehen, Internet, Computerspiel sowie entsprechende Genre-Magazine vermittelt werden. Handlungsfelder wie Familie, Politik, Ökonomie, Sport und damit verbundene Mode sowie Verhaltens- und Vergemeinschaftungsentwürfe werden durch Fernsehen, Film, Print- und Online-Medien in Form professioneller und/oder Betroffenenerfahrungen performativ vorgeführt. Demgegenüber wirken auf die Medienproduzenten ständig Stil-Modifikationen ein, so dass die Musterbildung als soziale Komponente des im Modell zentrierten Stil-Begriffs in permanentem Fluss begriffen ist. Individuell ist der zentrierte Stil durch die individuellen Ausprägungen, die er in der konkreten (Medien-)Kommunikation erfährt. Er wird intentional und nicht-intentional durch die Stil-Praktiken der Auswahl, Formung und Komposition von semiotischen Ressourcen hergestellt, die Stil zur Anzeige von Identität und zu einem interaktional ausgerichteten Beziehungsangebot werden lassen. Je nach körperlicher, psychischer und handwerklicher Bedingtheit sind die StilAusprägungen an den sozial konstituierten Mustern (bzw. Kodes) orientiert, um gemäß individueller kommunikativer Zielen verstanden zu werden. Man wählt, formt und komponiert ähnlich wie viele andere, die es in gleichen situativen Kontexten tun würden und tun. Diese situativen Kontexte sind laut Modell durch die kulturellen Kontexte (Handlungsfelder, Diskurse, Kommunikationsformen) geprägt. Allerdings ist die Prägung nicht identisch, denn jede Kommunikationssituation bringt subjektive Produktions- und Rezeptionshaltungen mit sich, die ihrerseits die entsprechenden Kontexteinflüsse modifizieren lassen. Auch vermeintlich identische Kopien analoger oder digitaler Kommunikate bilden wiederum individuelle Stil-Realisierungen, die je nach medialer Infrastruktur und Nut-
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zungs- bzw. Rezeptionskontext gestaltet sind. Demzufolge ist das Stil-Modell (Abb. 5.1) als ein Komplex zu betrachten, bei dem alle aufgeführten Elemente dynamisch-prozessural und interdependent zur konkreten Bedeutungskonstitution (visueller) Stile beitragen. Visuelle Stile sind in dem hier vertretenden Modell somit als Resultate visueller Stil-Praktiken zu verstehen, die in bestimmten Handlungsfeldern verortet und auf bestimmte Diskurse bezogen sind. Erstere liefern soziokulturell konstituierte Konventionen der Ausführung von Stil-Praktiken, zweitere eröffnen und begrenzen deren Bedeutungsstiftung sowie framebasierten Salienzsetzungen als machtabhängige ‚Zeig- und Sichtbarmachungen‘. Weitere Kontextfaktoren machen sich in der zeichen- und kommunikationsprägenden Wirkung der genutzten medialen Kommunikationsform und dem situativ vollführten Genre bemerkbar. Während visuelle Stil-Praktiken beispielsweise in der Kommunikationsform Print-Zeitung ‚nur‘ Zeichenmodalitäten wie das statische Bild, die statische Grafik, Typografie und Layout als konventionalisierte Gestaltungsmittel nutzen können, sind in digitalen Bildmedien auch bewegte Bilder, Grafiken und Typografien einsetzbar. Durch Genres wie die Reportage, das Interview oder die Nachricht sind außerdem entsprechende Stil-Praktiken in der visuellen Kommunikation verwirklicht. Die Modalitäten werden konventionalisiert gebildet mittels semiotischer Ressourcen, die als materiale Phänomene zeichenhaft gestaltet werden. So besteht die Zeichenmodalität Bild aus Ressourcen wie Format, Farbe, Linie und Form und lässt kode- bzw. konventionsabhängig wahrnehmungsnahe Darstellungen produzieren und erkennen. Symbolisierungsfunktion, Bedeutung bzw. Verständlichkeit erhalten die so gestalteten Artefakte, indem sie framebasiert auf die bereits beschriebenen Handlungsfelder und Diskurse bezogen werden. Dies geschieht in Abhängigkeit der unterschiedlichen Stil-PraxisVollzüge als Auswahl von medialer Infrastruktur und inhaltlicher Referenzen, Themen, Konzepte, Symbolisierungen, als Formung von konnotativer und funktionaler Gestaltung von Inhalten, Motiven und Designphänomenen und als Komposition der einzelnen Gestaltungsmittel zu einem kommunikativen Ganzen. Daran anschließend listet Tabelle 5.1 die konkreten Prägungen der Kontexte Handlungsfeld, Diskurs, Kommunikationsform und Genre auf die Stil-Praktiken auf, denn die Gestalter richten sich bei der Stilisierung und die Rezipienten beim Verständnis von Medienprodukten nach diesen als relevant unterstellten Mustern bzw. Prototypen.
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Tabelle 5.1: Stil-Praktiken und Kontexteinflüsse StilPraxis
Kontexteinfluss Handlungsfeld
Diskurs
Kommunikationsform
Genre
Auswahl
Strukturierung sozialer Praktiken: z. B. Politik, Wirtschaft, Sport, Familie, Beruf
Implizite Strukturierung von visuellen Praktiken: z. B. Organisations-, Unternehmens-, Branchen-, Medien-, Jugend-, Fan-, Freizeitkulturen und Szenen
Medienbedingte und institutionelle Strukturierung der Modalitätsauswahl: z.B. FernsehMagazinSendung, PrintBroschüre, Online-Portal, Brettspiel, Face-toface-Gespräch Medienbezogene und institutionelle Gestaltung von visuellen Praktiken: z.B. Bild-, Zeitungs-, Magazin-, Plakat-, Buch-, Film-, Fernsehsendungs-, Websitegestaltung
kommunikationsfunktionale Strukturierung situationsbezogener sozialer Praxis: z.B. Reportage, Geschäftsbericht, Radsport, Spielen, Bewerbungsgespräch
Formung:
Strukturierung von Themen und Konzepten, Symbolisierungen: z.B. Altersarmut, Bankenkrise, Doping, Kinderbetreuung, Burnout Explizite Strukturierung von visuellen Praktiken: z.B. Grafik-, Screen-, Produkt-, Textil-, Möbel-, Fotodesign, (Innen-) Architektur
Komposition
Abfolge und Kohärenzstiftung sozialer Praktiken: z.B. konvergenter Mediengebrauch zur Konstitution von Jugend-, Freizeit und FanKulturen, Journalismus, Unternehmenskommunikation
Explizite Kohärenzbildung von visuellen Praktiken: z.B. Styling und Kleidungstipps in Jugend- und SzenePublikationen, Gestaltungstipps für Haus und Garten, CoporateIdentities von Unternehmen und Institutionen
Kohärenzbildung von (medial) vermittelten Gestaltungselementen: z.B. CoporateDesign/ Logos/ Stylesheets von Unternehmen und Institutionen, medienkonvergente Inszenierung öffentlicher Personen, remedialisierte Inszenierung von Comic-/ Film/Game-Figuren
Situationsbezogene Gestaltung visueller Praktiken: z.B. WerbeAnzeige, Werbe-Plakat, Zeitungs-Interview, FernsehReportage, Film-Thriller
Situative Kohärenzbildung von Gestaltungsmitteln: z.B. beim Thriller/ Western/ Komödie/ Science Fiction in Film/ Comic/ digitalen Medien, Inszenierung von Sprecherrollen beim Fernseh-/ PrintInterview
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5.3 S TIL -P RAXIS
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ALS ZEICHENHAFTE
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A USWAHL
In den nachfolgenden Abschnitten 5.3 bis 5.5 werden die Stil-Praktiken Auswahl, Formung und Komposition entfaltet. Sie bilden die Kernelemente der hier ausgearbeiteten Methodologie. Damit wird ein Entwurf einer visuellen Stilistik vorgelegt, die auf einzelnen Aspekten der zusammengetragenen Stil-Konzeptionen beruhend eine neue Forschungsperspektive auf visuelle (Medien-) Kommunikation darstellt. Als erste Stil-Praxis ist die Auswahl von bestimmten Motiven, Gegenständen, Themen und/oder Konzepten in inhaltlicher sowie von bestimmten medienbedingten Zeichenmodalitäten in kommunikationsstruktureller Hinsicht gefasst. Für das Produktdesign ist hiermit die Entscheidung für eine bestimmte Funktion und ein bestimmtes Grundmaterial des zu gestaltenden Gegenstandes berührt. Problematisch bei dieser Stil-Praxis ist, dass sie zwar nicht präsemiotisch ist, jedoch erst in der konkreten Stil-Praxis der Formung ihre Phänomenologisierung erfährt. Das Prinzip der Auswahl ist somit als eine diskurs-, handlungsfeld-, kommunikationsform- und genreorientierte Planungs- und Interpretationspraxis von Referenzen zu verstehen (siehe Tab. 5.1). Die Stil-Praxis der Auswahl knüpft an die aus der Rhetorik stammende Vorstellung an, Stil als Ergebnis eines „Wahl-Aktes“ zu begreifen (vgl. Eroms 2008: 23 f.) und ist in dieser Arbeit inspiriert durch die von Barthes (1990) vorgenommene Konzeptionalisierung der Denotation sowie der sozialsemiotischen MetaFunktion der representional bzw. ideational function (Kress/Leeuwen 2006: 79 ff., siehe dazu Meier 2008a, 2011). Sie stellt eine Entscheidungspraxis dar, die aus diskursbedingten Sag- und Zeigbarkeiten auswählt. Der gesellschaftliche Diskurs, auf den die entsprechende Stil-Praxis intentional oder nicht-intentional Bezug nimmt, liefert somit einen inhaltlichen Rahmen, ein bestimmtes Themenfeld mit bestimmten Begriffs- und Konzeptmöglichkeiten, aus dem der Kommunikator gemäß kommunikativer Interessen auswählt (siehe Tab. 5.1). Dabei lassen sich die virtuellen Inhalte bzw. Diskursgegenstände (vgl. Busse/Teubert 1994) nicht als festes Repertoire verstehen, sondern diese werden im Auswahlakt aufgrund subjektiver Aneignungen und situativer Kontextprägungen immer wieder neu hergestellt. Der Diskurs liefert demzufolge das inhaltliche Framing, in dem sich der Auswahlakt bewegt. Das visuelle Resultat dieses Framings ist in der Bild-Kommunikation der Bildausschnitt selbst. Die zur Ansicht ausgewählten Motive und Gegenstände sind aus ihrem ursprünglichen Raum-ZeitKontinuum herausgenommen. Der ‚Bild-Frame‘ stellt die Grenze zwischen ‚dem On und dem Off‘ dar. Framing-Theorien haben sich dieses Vorganges metaphorisch bedient, um Selektion und Salienzstiftung zu erklären. Mit der visuellen
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Stil-Praxis der hier entwickelten Auswahl kehrt die Framing-Praxis entmetaphorisiert zurück zu ihrem Ursprung: Bilder zeigen nur die Dinge, auf die der Sucher/Fokus gerichtet ist, und blenden alles jenseits des Ausschnitts aus. Somit ist die Stil-Praxis der Auswahl gleichzeitig auf semantischer Ebene diskursmotiviertes Framing und auf der visuellen Ausdrucksebene fotografisches Framing. Da die Stil-Praxis der Auswahl keine immaterielle Bedeutungsstiftung ist, sondern im Sinne der Praxistheorie (vgl. Abschnitt 4.1), so der Gedanke an dieser Stelle, eine Produktion von Bedeutung mittels medial-materialer Ressourcen darstellt, steht sie ferner in einem Interdependenzverhältnis zu bestimmten Handlungsfeldern (siehe Abschnitt 5.1). Handlungsfelder liefern demzufolge bestimmte Produktions- und Rezeptionsverfahren, die in diesem gebräuchlichen Medien entsprechend konventionalisiert bzw. institutionalisiert sind. In Abschnitt 4.3 wurde dieser Mediengebrauch als kulturelle Praxis medialer Kommunikationsformen vorgestellt. Für die Auswahlpraxis stellt diese demzufolge bestimmte mediale Zeichenmaterialisierungs- und Distribuierungsmöglichkeiten zur Verfügung, die ebenfalls gemäß kommunikativen Zielen ausgewählt werden. Somit steht ein Kommunikator, der eine bestimmte inhaltliche Position in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen will, vor der Frage, wie er dies am effizientesten medial und zeichenkodiert realisieren kann. Sieht er es als kommunikativ erfolgversprechend, diesen Inhalt nicht nur sprachlich und in seinem unmittelbaren Face-to-face-Umfeld umzusetzen, sondern auch bildlich zur Ansicht zu bringen und medienvermittelt zu verbreiten, so muss er zum einen die entsprechenden Produktionsmedien (z.B. Kamera, Bildbearbeitungssoftware, Layoutprogramm) und zum anderen die entsprechenden Verbreitungs- (Internet und/ oder Print) und möglichen Darstellungs- bzw. Trägermedien (unterschiedliche Displayformate/-auflösungen und/oder Printformate) auswählen. Diese Auswahl strukturiert sich nach den kommunikativen Potenzialen der (visuellen) Zeichenmodalitäten und materiellen semiotischen Ressourcen, die mit dem jeweiligen Trägermedium ermöglicht werden und gemäß der realisierten Kommunikationsform konventionalisiert sind. Ist der Kommunikator Redakteur bei einer Tageszeitung, so wird er print-medienbedingt auf geschriebenen Text und statisches Bild beschränkt bleiben (siehe Tab. 5.1). Auch untersteht er diskurskonstituierten redaktionellen und journalistischen Normkonzepten, die ihn in der inhaltlichen Auswahl von Themen und Sichtweisen einschränken (siehe Tab. 5.1). Allerdings verfügt er über die Erreichbarkeit eines Massenmediums, was mit dem Handlungsfeld des Print-Journalismus gegeben ist. Ein Blogger ist demgegenüber in seiner Auswahl semiotischer Ressourcen auf die Restriktionen und Möglichkeiten des Handlungsfeldes Internet und Blogosphäre angewiesen. Er kann
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mit der Nutzung digitaler Träger-, Darstellungs- bzw. Verbreitungsmedien neben geschriebenem Text ebenfalls statische Bilder und audiovisuelle Texte in Form von Videoblogs nutzen (siehe Tab. 5.1). Seine Erreichbarkeit hängt von seiner Etabliertheit in der Blogosphäre ab, die nicht selten im Sinne des power law organisiert ist (vgl. Fraas/Meier/Pentzold 2011). Im Produktdesign sind Einflussfaktoren der Auswahl von Material und Funktion durch Diskurs und Handlungsfeld ebenfalls vorhanden (siehe Tab. 5.1). Die Fertigung einer Brille bedingt durch ihre Funktion als Sehhilfe zum einen die Verwendung von festem Material zur Fixierung des Gegenstandes am Kopf und zum zweiten von durchsichtigem Material vor den Augen zur Gewährleistung von Sichtbarkeit. Diskursive Aushandlungen bewirken darüber hinaus Symbolisierungen der möglich auszuwählenden Materialien (siehe Tab. 5.1). Hierdurch werden Wertigkeits- und Statuszuschreibungen organisiert. Ist eine Brille beispielsweise aus teurem und leichtem Karbon oder aus billigem und schwerem Metall gefertigt? Verfügt sie über dünnes ultrabrechendes, leichtes Kunststoffsichtmaterial oder über dickes und schweres Glas? Durch die vorgestellten Auswahlen werden kontextbedingt unterschiedliche Stilausprägungen erkennbar. Während sich der Träger des ersten Modells hinsichtlich finanzieller Potenz und Stilbewusstsein stereotypenorientiert über eine relativ hohe Statuszuschreibung erfreuen kann, wird dies beim Träger des zweiten Modells eher negativ ausfallen. Allerdings sind kulturelle Kontexte als Impulsgeber für szenespezifische Geschmackspräferenzen zu denken, wodurch diese Identitätszuschreibung und die damit verbundene soziale Beziehungsstiftung genau anders herum ausfallen könnten. So kann die zweite Brille in einigen subkulturell orientierten kunst- und designaffinen Szenen als Markierung von Kreativität und positiver Unkonventionalität interpretiert werden, da hier eine bewusste Kontra-Entscheidung zum statusorientierten Mainstream geschehen ist. Soziale Kontexte zeigen sich somit ebenfalls als Handlungsfelder, die die Symbolisierungsfunktion von Materialien entsprechend prägen und zu ganz unterschiedlichen Stil- und damit Identitätszuschreibungen beitragen können (siehe Tab. 5.1). Zur Veranschaulichung wird die Stil-Praxis der Auswahl nachfolgend anhand konkreter Medien(design)phänomene beschrieben. Stile zeigen sich immer erst durch Vergleiche von Kommunikationsvariationen mit ähnlich ausgerichteten Zielen. Da sich diese Ziele wie gezeigt kontextgeprägt nach Diskurs, Handlungsfeld, Kommunikationsform und Genre orientieren, nutze ich hier Phänomenbeispiele, die den gleichen Kontextbedingungen unterworfen sind. Dies ist der Fall bei den Websites tagesschau.de und heute.de, deren Startseiten als Screenshots (siehe Abb. 5.2-5.5) vorliegen, die am 29.11.2012 zeitgleich um 12.00 her-
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gestellt wurden. Sie stellen übereinstimmend eine Abfolge von (aktuellen) Nachrichten-Themen-Clustern dar, die sich medienbedingt aus statischen Bildern und geschriebenen Texten zusammensetzen. Außerdem verfügen die Seiten über markierte Navigationsbereiche, um die hypertextuelle Struktur des OnlineMedienangebots nutzen zu können. Eine weitere Übereinstimmung besteht in der bildlichen Eröffnung eines bestimmten Themen-Clusters, das als zeitgebundenes Titelthema fungiert. Handlungsfeld, Kommunikationsform und Genre sind somit als stilprägende Kontextfaktoren identisch, werden jedoch unterschiedlich ausgeformt. Auch in der Auswahl und damit in der Relevanzsetzung von diskursgelieferten virulenten Themen zeigen sich stilistische Unterschiede. Abbildung 5.2: Screenshot tagesschau.de
Abbildung 5.3: Screenshot heute.de
Quelle: http//www.tagesschau.de,
Quelle: http//www.heute.de, 29.11.2012,
29.11.2012, 12:00 Uhr, farbige Ver-
12:00 Uhr, farbige Version siehe
sion siehe http://www.
http://www.konnotation.de_visuelle_stile
konnotation.de_visuelle_stile
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Abbildung 5.4: Detail von Screenshot tagesschau.de
Quelle: http://www.tagesschau.de, 29.11.2012, 12:00 Uhr, farbige Version siehe http://www.konnotation.de_visuelle_stile
Abbildung 5.5: Detail von Screenshot heute.de
Quelle: http://www.heute.de, 29.11.2012, 12:00 Uhr, farbige Version siehe http://www.konnotation.de_ visuelle_stile
In der Formatauswahl zeigen sich bei beiden Gesamtauftritten wesentliche Unterschiede (vgl. Abb. 5.2, 5.3), die Darstellungs- bzw. Trägermedien bedingt in die Gestaltung der Auftritte eingegangen sind. Heute.de wurde 2012 gerelauncht und ist dabei verstärkt vertikal ausgerichtet worden, da dies eine leichter scrollbare Darstellungsweise von Smartphones und Tablet-Systemen ermöglicht. Tagesschau.de verfügt (noch) über seitliche Navigationsbereiche, die zu einer horizontalen Ausrichtung führen. Hier ist die breitformatige Display-Form von PC-Monitor und Notebook noch stilprägend. Tagesschau.de präsentiert das Titelthema ‚Griechenlandkrise‘, das mittels Dachzeile „Bundestag entscheidet über Griechenlandhilfe“ und der Überschrift
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„Breite Mehrheit für Hilfspaket in Sicht“ mittels sprachlicher Ressourcen eingeführt wird (siehe Abb. 5.5). Heute.de präsentiert das Titelthema sprachlich in Form der Formulierungen „UN-Vollversammlung“ (Dachzeile) und „Palästinenser Antrag: Berlin enthält sich“ (siehe Abb. 5.6). Tagesschau.de wählt somit aus der zeitgleichen diskursgelieferten Nachrichtenlage den Themenkomplex „Griechenland-Krise“ aus, während heute.de sich für das Nahost-Thema „Palästinenserstaat-Gründung“ entschieden hat. Die entsprechend damit kombinierten Bildmotive sind im ersten Fall eine mit dem Euro-Symbol bedruckte Papiereinkaufstüte und im zweiten ein Porträt vom deutschen Außenminister Guido Westerwelle, der hinter einem Schild mit dem Aufdruck „Germany“ zu sehen ist. Die Themenfelder werden somit durch die multimodale Korrespondenz der vorliegenden Sprache-Bild-Kombinationen kommuniziert (vgl. Tab. 5.1). Richtet man den Fokus noch genauer auf die visuelle Stilisierung mittels der realisierten Motivauswahlen, so treten die damit verursachten visuellen Signifikationspraktiken und Symbolisierungshandlungen in den Blick, die als Auswirkungen eines machtdurchdrungenen Visual Framing-Prozesses (vgl. Abschnitt 5.1) zu begreifen sind. Im Fall von tagesschau.de wurde als Motiv eine Einkaufstüte mit EuroSymbol-Aufdruck gewählt. Damit wird aus dem Diskurszusammenhang die Problematik um den Euro hervorgehoben. Die Griechenland-Krise, die sprachlich thematisiert wird, wird nicht zu einer sozialen oder kulturellen, sondern zu einer Wirtschafts- bzw. Bankenkrise stilisiert. Eine solche Auswahlpraxis kann im Sinne der in Abschnitt 5.3 etablierten Grundlagen als Visual Framing verstanden werden. Sie lenkt die Aufmerksamkeit auf bestimmte Diskursgegenstände, während andere mögliche Alternativen ausgeblendet bleiben. Die Praxis der Auswahl liefert einen begrenzten Ausschnitt sozialer Realität und bringt perspektivenabhängig nur bestimmte Diskursereignisse und Akteure zur Ansicht. Sie trägt zu einer Hegemonialisierung (bzw. Standardisierung) dieser Ereignisse und Akteure innerhalb des Diskursfeldes bei, da mit den ausgewählten Bildmotiven gleichzeitig die Konventionalisierung solcher Bildpraxis mit vorangetrieben wird. Eine kritische Stilanalyse muss daran anschließend nach der Interessenlage fragen, die mit der Auswahl vorliegender Motive vor anderen bedient wird. Im vorliegenden Fall mag die Verbindung zum potenziellen Rezipienten im Vordergrund gestanden haben. Während die Griechenland-Krise zunächst als ein nationales Problem erscheinen mag, wird es durch die gemeinsame Währung zu einem internationalen und damit auch zu einem deutschen Problem. Innerhalb des öffentlichen Diskurses um die Griechenlandkrise ist vor allem in Deutschland die Perspektivierung hegemonial geworden, in der durch die gemeinsame Wäh-
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rung auch der deutsche Steuerzahler zu einem noch nicht kalkulierbaren Anteil an dem Schuldendienst Griechenlands beteiligt wird. Die Auswahl des EuroSymbols als Bildmotiv spielt somit in diesem Diskurszusammenhang und konkret im vorliegenden multimodalen Sprache-Bildkomplex auf diese Verbindung an. Die Auswahl ruft implizit den Frame auf: ‚Durch die gemeinsame Währung sitzen wir alle im selben Boot und müssen wahrscheinlich auch die gleichen Lasten tragen‘. Damit signifiziert das Euro-Symbol nicht nur die Währung, sondern gilt in diesem Diskurszusammenhang als entsprechendes Frame-Element. Im Fall von heute.de wurde ein Porträt von Außenminister Westerwelle gewählt. Damit wird ein Motiv genutzt, das den abstrakten Gegenstandsbereich ‚deutsche Außenpolitik‘ personalisieren soll. Mit der Person des Außenministers hat man sich in diesem Sinne für einen Hauptakteur in diesem Handlungsfeld entschieden, der als bildliche Synekdoche seine Repräsentationsfunktion erhält. Diese Signifikationspraxis ist in seiner Bedeutungsstiftung weniger offen, als es bei tagesschau.de mit dem entsprechend gewählten Motiv realisiert ist. Heute.de ruft hier wenig strittiges diskursives Wissen auf. Man hat sich für den offiziellen Amtsträger der deutschen Außenpolitik entschieden. Er bildet damit ein relativ nah am Standardwert verortetes bzw. prototypennahes Filler-Element im Framebereich deutsche Außenpolitik (vgl. Abschnitt 5.1). Deckungsgleich wäre die Auswahl des konkreten Bildmotivs mit einem Standardwert des entsprechenden Framebereichs, wenn das Motiv genau die Person oder den Gegenstand zeigen würde, über den der kombinierte Sprachtext handelt. Dies ist beispielsweise bei dem ebenfalls zeitgleich publizierten Titelthema der Startseite von spiegel-online (http://spiegel.de, aufgerufen am 29.11.2012, 12:00 Uhr) der Fall. Hier ist sprachlich über den beigeordneten Teaser der Framebereich Innenpolitik des USPräsidenten Barack Obama und insbesondere der Themenkomplex „Obama im Wahlkampfmodus“ aufgerufen. Entsprechend wurde ein Bildmotiv gewählt, das Obama redend am Podium zeigt. Im Diskurszusammenhang der UNAbstimmung über die Staatengründung Palästinas fungiert die vollzogene Motivauswahl in ähnlicher Weise. Das Motiv dient ferner als dokumentarischer Beleg über die Anwesenheit Westerwelles zur Zeit der Abstimmung. Hinweis dafür liefert das Schild mit der Aufschrift „Germany“, hinter dem Westerwelle zu sehen ist. Damit ist ein Index vorhanden, Westerwelles situativen Handlungskontext als eine offizielle außenpolitische Amtsausübung zu betrachten. Eine solche syntaktische Herleitung mit dem Fokus auf Motiv-Kontext-Beziehung wird als Stil-Handlung der Komposition in Abschnitt 5.5 vertieft. Die Abbildungen 5.2, 5.3 und 5.4 zeigen außerdem, dass unter dem ausgewählten Titelthema bei gleicher Nachrichtenlage auch abweichende weitere multimodale Themen-Cluster gewählt wurden. Ich werde diese mit Blick auf die
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Stil-Praxis der Komposition in Abschnitt 5.5 erneut heranziehen, da sie die situativen Ko-Texte bilden, mit denen das Titelthema layouttechnisch komponiert bzw. verknüpft ist. Motivauswahl bei Bewegtbildern In der hier entwickelten Methodologie muss weitere Aufmerksamkeit der visuellen Stilisierung von Bewegtbildern gewidmet werden. Im Sinne der AuswahlPraxis sind diese eng an den statischen Bildern orientiert. Auch hierbei geht es um bildgestalterische Entscheidungen, welches Motiv man als dominanten Inhalt einer Kamera-Einstellung bestimmt. Zur Veranschaulichung wird nachfolgend das Titelthema bei heute.de vom 06.12.2012 herangezogen. Es geht um den Einsatz von Panzern anlässlich der Auseinandersetzungen nach der Absetzung Mubaraks zwischen regierungsfreundlichen und oppositionellen Gruppen in Ägypten. Angefacht wurden die Unruhen durch die Verfassungsänderungen der Regierung Mursis im Vorfeld der geplanten Parlamentswahlen. Bei heute.de wird darüber mittels geschriebenen Texts und statischer Bilder sowie audiovisueller Videobeiträge berichtet. Folgend ist das statische Titelbild der verlinkten multimodalen Berichte samt Teasertext aufgeführt sowie eine Abfolge von Einstellungen der Bewegtbilder. Abbildung 5.6: Sceenshot heute.de, „Tote bei Protest in Kairo – Panzer vor dem Präsidentenpalast“
Quelle: http://www.heute.de, 06.12.2012, 12:00 Uhr, farbige Version siehe http://www.konnotation.de_visuelle_stile
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Abbildung 5.7: 1. Einstellung
Abbildung 5.8: 2. Einstellung
Abbildung 5.9: 3. Einstellung
Abbildung 5.10: 4. Einstellung
Abbildung 5.11: 5. Einstellung
Quelle: http://www.heute.de, 06.12.2012, 12:00 Uhr, farbige Version siehe http://www.konnotation.de_visuelle_stile
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Das Titel-Bild des Nachrichtenbeitrags „Panzer vor dem Präsidentenpalast“ (Abb. 5.6) zeigt als zentrales Hauptmotiv einen Panzer der ägyptischen Armee mit entsprechender soldatischer Besatzung. Im Vordergrund befinden sich zivile Personen und im Hintergrund sind Architektur und Palmenpflanzen zu sehen. Die erste Einstellung des mit diesem Sprache-Bild-Clusters verlinkten Videobeitrags zeigt im Bildzentrum ebenfalls einen Panzer gleichen Aussehens. Diesmal ist er Teil des städtischen Straßenverkehrs. Abbildung 5.8 weist im Bildzentrum wiederum das Dach eines ähnlich aussehenden Panzers auf. Im Vordergrund befindet sich eine größere Anzahl von Menschen als in Abbildung 5.6. Die folgende Einstellung, aus der die Abbildung 5.9 entnommen ist, beinhaltet außerdem eine Kamerafahrt bzw. Zoom-Aktivität, wodurch die Bildmotive sich leicht verändern. Die Fahrt beginnt mit der Präsentation einer zivilen Menschenmenge und sukzessive kommt von rechts erst ein, dann ein weiterer Panzer ähnlichen Aussehens wie die vorigen ins Bild. Die vierte und fünfte Einstellung werden sprachlich als Rückblicke in die vergangene Nacht eingeordnet. Sie zeigen ebenfalls Straßenszenen. Während Abbildung 5.10 der vierten Einstellung im Vordergrund Demonstranten und eine helle Lichtquelle im Bildmittelgrund auf der Straße zeigt, präsentiert Abbildung 5.11 der fünften Einstellung ein noch brennendes Auto als einziges Bildmotiv. Neben der bereits beim statischen Bild beschriebenen Funktion der Motivauswahl als Hervorhebung bestimmter Gegenstände aus dem Diskurszusammenhang kommt beim Bewegtbild noch eine dramaturgische Komponente hinzu. Zeigt eine Einstellung ein bestimmtes Motiv, das in einer folgenden Einstellung ebenfalls zu sehen ist, so liefert dies eine visuell-dramaturgische Verbindung. Der Betrachter erkennt wieder und bestimmt die Veränderungen. Durch die Motiv-Wiederaufnahme ist somit eine vergleichende Bezugnahme zur vorigen Einstellung geschaffen. Sie leitet die Orientierung des Betrachters, indem sie mit dem gleichen Bildinhalt Kontinuität und mit dem ungleichen aufmerksamkeitsstiftende und handlungsvorantreibende Abweichung präsentiert. Der Betrachter bewegt sich anhand des gleichen Motivs durch sich wechselnde Kontexte. Er kann jedoch auch, wie es die Kamerafahrt in Einstellung drei bewirkt hat, vom Neuen zum Bekannten geführt werden. Damit liefert wiederum die Wahl des gleichen Motivs die inhaltliche Orientierung des Betrachters, diesmal jedoch im Nachhinein. Die vierte Einstellung liefert zwar ebenfalls Bekanntes, indem sie Straßenszenen zeigt. Diese weisen jedoch erstmals keine Panzer auf, auch zeigen sie als wiederholende Motive Brandquellen. Durch die Änderung des Hauptmotivs ist somit mit dieser Einstellung ein zeitlicher bzw. örtlicher Bruch mit den vorigen Szenen vollzogen. Die Zuordnungen von Bekanntem und Neuem müssen durch den Betrachter erneut vorgenommen werden. Gestalterisch ist dieser
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Bruch darüber hinaus durch die abweichenden Lichtverhältnisse markiert, welche als Stil-Praxis der Formung im kommenden Abschnitt näher beschrieben wird. An dieser Stelle gilt es festzuhalten, dass im Bewegtbild durch die Auswahl bildlicher Hauptmotive mittels Wiederaufnahme und Modifikation dramaturgische Signale zur Markierung von inhaltlicher Kontinuität und handlungsanzeigenden Fortschritts geliefert werden. Dies ist eine kodespezifische Abweichung vom statischen Bild, wobei sie in ähnlicher Weise auch bei Bilderserien und Comics (Meier 2010a) vorhanden ist.
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ALS ZEICHENHAFTE
F ORMUNG
Die Stil-Praxis der zeichenhaften Formgebung liefert der inhaltlichen Motiv-, Konzept-, Themen- und Symbolauswahl (bzw. Signifikationspraxis) sowie der medienbedingten Bestimmung der Zeichenmodalitäten konnotative Kommentierungen, die durch visuelle Gestaltungspraktiken realisiert sind. In Anlehnung an die klassische Rhetorik ordnet sich diese Stil-Praxis eher der Elocutio zu, während die Praxis der Auswahl der Inventio nähersteht. Bei der Elocutio geht es um die Inszenierung, die Einkleidung der Gedanken, die Schönheit der Rede. Mit Aristoteles wird dieser Bereich als ein dynamisches Zusammenspiel zwischen Deutlichkeit und Verfremdung angesehen, das seine Begrenzung in der adressatenorientierten Angemessenheit erfährt (Schirren 2010: 1427). Im Kodesystem der Sprache kann sich dieses Spiel ‚nur‘ in Form lexikalischer, syntaktischer und morphologischer Variationen bewegen. Im Bereich der visuellen Kommunikation vollzieht es sich als performative Gestaltung visuell wahrnehmbarer Elemente mittels symbolisierender Form- und Farbgebung sowie durch ihre adressatenbzw. interaktionsorientierte Inszenierung mittels Kameraperspektive und Ausschnitt bei bildlichen Artefakten und mittels Funktionalitätsorganisation und Handhabbarkeit (Usability) bei materiellen Gegenständen. Die Stil-Praxis der Formung gestaltet das Aussehen der ausgewählten Inhalte, Themen, Gegenstände und Motive und ihre Erscheinung für die Betrachter. Sie setzt den Betrachter den Inhalten quasi auf bestimmte Weise gegenüber und legt damit prototypisch eine spezifische Beziehung zum Gezeigten oder Gestalteten nahe. Ist die Auswahl eher auf symbolhafte Denotierungen bezogen, so ist die Stil-Praxis der Formung eine durch Gestaltung vollzogene konnotative Eigenschaftszuschreibung des Gezeigten bzw. Gestalteten, die auf das Soziale abzielt. Die Praxis der Formung ist angelehnt an die sozialsemiotische MetaFunktion der interpersonal/interactive function (Kress/Leeuwen 2006: 114 ff.).
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Bei der Stil-Praxis Formung geht es um die Beziehungsorganisation zwischen Personen (vgl. Fix/Poethe/Yos 2001) mittels medien- und kontextbedingter zeichenhafter Phänomene. Im Falle (massen-)medialer Kommunikation und des Produktdesigns besteht zwar primär eine One-way-Kommunikation, die keinen reziproken Austausch zwischen Kommunikationspartnern zulässt. Hier besteht keine direkte interaktive Bedeutungskonstruktion, die auf Aussagen, Fragen, Antworten und Konsens- bzw. Dissensbestimmung beruht. Vielmehr besteht über das massenmediale Kommunikat bzw. das Designphänomen eine indexikalische Verbindung zum Kommunikator, mit der der Rezipient entsprechend umgehen kann. Er versucht die im Kommunikat realisierte Bedeutungskonstruktion zu verstehen, er kann diese als inkohärent bzw. unplausibel ablehnen oder dieser entsprechend zustimmen. Das Kommunikat dient ihm für Rückschlüsse auf die Identität des (individuellen oder kollektiven) Kommunikators, woraus er seine Beziehung zur Kommunikatsaussage und zum Kommunikator entwickelt. Beide sind (unterschiedlich hegemonial verortete) Teilnehmer entsprechend bedeutungsstiftender gesellschaftlicher Diskurse, so dass die Bedeutungskonstruktion des Rezipienten ebenfalls als modifizierender Faktor in die Generierung sozialen Sinns einfließt. Die massenmediale Kommunikation ist daher zeitversetzt und überindividuell bedeutungsstiftend. (Mediale) Kommunikate stehen ferner in enger Verbindung zu bestehenden (sozio-) kulturellen und situativen Kontexten. Sie verweisen gleichzeitig auf diese in Abhängigkeit des Musterwissens über den Gebrauch der vorliegenden medialen Kommunikationsformen und dem kommunikationspragmatischen Genrewissen des Rezipienten (siehe Stil-Modell in Abb. 5.1 und Tab. 5.1). Desweiteren stellt sich der (kollektive) Kommunikator über die im Kommunikat geäußerte Sichtweise auf die Diskursgegenstände selbst dar. Er tut dies in Abhängigkeit der jeweiligen Produktionskontexte, seines Musterwissens und seiner individuell-stilistischen Kompetenz im Umgang mit zur Verfügung stehenden semiotischen Ressourcen. In dieser Weise kann das Kommunikat auch vom Rezipienten interpretiert werden. Es regt eine eigene Positionierung zur im Kommunikat realisierten Perspektive und zum Kommunikator selbst an. Stößt ein Patient bei der Suche nach einem Arzt auf einen professionell gestalteten Online-Auftritt oder auf eine für ihn erkennbar dilettantisch realisierte Website, so wird er diese Umsetzungen der Zeichenhandhabung nicht unabhängig von der medizinischen Kompetenz des Anbieters sehen. Auch wenn ihm die kontextunangemessene Handhabung der semiotischen Ressourcen wie Linie-, Bild-, Farb- und Typografiegestaltung nicht bewusst sein muss, so wird er diese doch intuitiv mit seiner genregeprägten Sehgewohnheit vergleichen. Ordnet der Rezipient dabei den visuellen Stil eines Online-Image-Auftritts
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jenseits seiner Angemessenheitsgrenzen ein: vielleicht als ‚nicht aktuell, wenig anspruchsvoll und billig‘, so könnte dies ein Vertrauensdefizit zum aktuellen medizinischen Kenntnisstand des Anbieters und zur Modernität der PraxisAusstattung verursachen. Zur Plausibilisierung dieser Behauptung sind folgend zwei Startseiten unterschiedlicher Image-Websites von Zahnärzten aufgeführt (vgl. Abb. 5.12 und Abb. 5.13). Abbildung 5.12: Startseite des Auftritts der Zahnarztpraxis Dr. Flessner
Quelle: http://www.zahnarztpraxis-flessner.de, 10.12.2012, farbige Version siehe http://www.konnotation.de_visuelle_stile
Abbildung 5.13: Startseite des Auftritts Praxisklinik am Schlosspark von Dr. Tabatabaie & Kollegen
Quelle: http://www.praxisklinik-schlosspark.de, 10.12.2012, farbige Version siehe http://www.konnotation.de_visuelle_stile
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Anhand dieser Bespiele werden zunächst die semiotischen Ressourcen Linie, Form, Farbe und Typografie, die als Gundelemente der visuellen Mediengestaltung genutzt werden (vgl. Radtke/Pisani/Wolters 2006), betrachtet. Als Mittel der Stil-Praxis Formung werden sie anschließend ausgeweitet, indem ihnen vergleichend soziale Kodierungen zugeschrieben werden, die ihnen indexikalische Zeichenhaftigkeit zur Identitätsstiftung und sozialen Beziehungsorganisation verleihen. Die Anwendung der genannten semiotischen Ressourcen auf die vorliegenden Beispiele (Abb. 5.12 und 5.13) soll verhindern, die Grundlagen visueller Mediengestaltung an dieser Stelle zu reformulieren. Prototypische Kenntnisse dazu sind aus den zahlreich vorhandenen Hand- und Lehrbüchern der Mediengestaltung, des Grafik- und Kommunikationsdesign zu beziehen. An dieser Stelle müssen skizzenhafte Ausführungen reichen, um ein Gefühl für die Textur visueller Formung auf der Fläche zu vermitteln. Sozialsemiotisch zu präzisieren ist dabei, dass es sich bei den Mitteln Linie, Form und Farbe um die grundlegenden semiotischen Ressourcen der Flächengestaltung handelt. Sie sind über kulturelle Praktiken des Gebrauchs von Kommunikationsformen implizit mimetisch (Orientierung an bestehenden Designlösungen) und explizit diskursiv (Orientierung an Lehr- und Handbücher) zu Zeichenmodalitäten bzw. Zeichensystemen wie Bild, Schrift/Typografie und Layout konventionalisiert. Die Gestaltungskonventionen dieser visuellen Modalitäten sind nicht fest, sondern unterliegen kontextgeprägt der subjektiv-modifizierenden Aneignung der Konventionen auf individueller und Dynamiken von Trend- und Modeentwicklungen auf überindividueller Ebene. Genregemäß stellen beide Startseiten als Hauptmerkmal Identifikationsangebote der Zahnarztpraxen zur Verfügung. Während sich inhaltlich die Startseite der Abbildung 5.12 auf die Nennung des Namens der Praxisinhaberin am oberen Rand und groß im Screenzentrum beschränkt, präsentiert die Startseite von Abbildung 5.13 im oberen Teil ein signetartiges Element, das sich durch einen grafischen und typografischen Teil zusammensetzt. Als genrespezifische Hauptmerkmale sind beide Elemente durch aufmerksamkeitsstiftende visuelle Stilisierungen markiert, die nachfolgend beschrieben werden: Die erste Startseite (Abb. 5.12) führt den Namen der Praxisinhaberin zum einen unterstrichen und vergleichsweise klein am oberen Rand und zum zweiten als größtes Element der Seite auf. Letztes ist außerdem abweichend kursiv gesetzt und gleich unter der rot gehaltenen Begrüßungsformel „Herzlich Willkommen“ positioniert. Die genannten Stilisierungen weisen starke Abweichungen von professionellen Gestaltungsmustern im Sinne der medialen Kommunikationsform Website und dem Genre Image-Auftritt auf. Es wurde auf der linken
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Seite über den Navigationselementen eine Grafik eingesetzt, die durch ihre Form und Farbgebung möglicherweise als ein Signet zu verstehen ist. Allerdings lässt sich dieses grafische Element in seiner Signifikationsfunktion nicht näher bestimmen. Weder ist es mit dem identifikationsstiftenden Namen semantisch verbunden, noch deutet es durch seine Form- und Farbgebung bildliche Referenzen auf das situativ-kontextuelle Handlungsfeld (siehe Stilmodel Abb. 5.1) Zahnmedizin an. Es bleibt damit ‚semantisch leer‘ und kann nicht als weiteres Element zur Identifikation bzw. der Identitätsstiftung neben den beiden typografisch umgesetzten Namensnennungen dienen. Die Namensnennungen sind einmal in Verbindung mit der Ortsbestimmung „Zahnarztpraxis“ und einmal mit der Berufsbezeichnung „Zahnärztin“ genannt, so dass sie beide gleichzeitig als Identifikationselemente und als inhaltliche Informationsträger der Seite gelesen werden können. Da ihre Formgröße und Schrift wechselt, ist ebenfalls jeweils keine eindeutige Funktionszuschreibung möglich. Die Mittel der jeweiligen Hervorhebung, einmal Unterstreichung und einmal Kursivität, sind desweiteren kommunikationsformspezifisch musterabweichend. Während Unterstreichungen im Web hauptsächlich bei Curserfahrt oder nicht-animiert als Markierung von Verlinkungen gebraucht werden, sind sie für die inhaltliche Hervorhebung ohne Link missverständlich. Zwar markiert die Größe der zweiten Namensnennung durchaus webgerecht eine typografische Hervorhebung. Allerdings ist diese mit der vorhandenen Kursivität wiederum aufgehoben. Kursive Schriften werden wegen auflösungsbedingter Leseerschwerung im Web generell gemieden. Seltene Ausnahmen bilden bestimmte Wörter und Ausdrücke in Fließtexten, die, ähnlich wie im Printbereich, wegen ihrer inhaltlichen Besonderheit markiert werden. Als weiteres Problem erscheint die Farbverwendung der typografischen Inhaltsträger. Sie hat keine durchgängige indexikalische Funktion und erscheint zum Teil kommunikationsformspezifisch unangemessen verwendet. Die blauen Farbflächen samt der weißen Benennungen am linken Rand der Seite sind zwar als Navigationselemente erkennbar markiert. Auch die leichte Aufhelllung der blauen Hintergrundfarbfläche zur Kennzeichnung der aufgerufenen Rubrik zeigt eine funktional stringente Verwendung der Farbgebung im Navigationsbereich. Hinzu tritt eine relativ gute Lesbarkeit der Typo durch den blau-weiß realisierten starken Hell-dunkel-Kontrast. Allerdings wird dieser durch die mangelnde Größe des typografischen Anteils wieder eingeschränkt. Problematisch erscheint die Farbgebung bei der Gestaltung des inhaltlichen Teils der Seite. Hier werden rote und verschieden blaue Farbtöne verwendet. Rot als aufmerksamkeitsstiftende ‚emotionale Farbe‘ lässt das „Herzlich Willkommen“ als Schrei erscheinen und der Wechsel ins Blau erscheint verspielt und aufgeregt unangemessen. Farbwechsel verstellen Lesbarkeit und damit Informationsaufnahme. Darum sind
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starke Hell-dunkel-Kontraste wie Schwarz-auf-Weiß allgemein bei Schriftstücken üblich. Neben der Farbe erreicht die Zentrierung der Zeilen auf mesotypografischer Ebene eine unprofessionelle und kommunikationsformunangemessene Unruhe. Hier ist wie bei allen Schriftstücken eine harmonische am Rechteck orientierte Gesamtform musterhaft, auch wenn im Online-Bereich quellkodebedingt hauptsächlich Flattersatz zur Anwendung kommt. Der unangemessene Gebrauch von Form, Farbe und Linie (auch in Form von Typografie) des Screendesigns (vgl. Tab. 5.1) von Abbildung 5.12 zeigt in der Gesamtschau wenig Knowhow von gängigen Gebrauchsmustern semiotischer Ressourcen. Hier werden professionelle Konventionalisierungen der kulturellen Praxis Online-Auftritt und der situationsbedingten Genre-Gestaltung Imageauftritt im Handlungsfeld moderner Zahnmedizin missachtet. Letzteres kann als Schlüssel fungieren, auch die Fachkompetenzen bzw. die Aktualität der Zahnärztin im Handlungsfeld Zahnmedizin selbst in Frage zu stellen. Ob dies in der Realität tatsächlich zutrifft, kann und soll an dieser Stelle nicht beurteilt werden. Bei dem Screenshot von Abbildung 5.13 scheinen Mustererwartungen angemessener realisiert zu sein. Allerdings lassen sich auch hier einige mögliche Probleme erkennen. Dabei geht es nicht um eine normative Bewertung der Auftritte, sondern um Vergleiche mit prototypischen Mustern, wodurch Unterschiede argumentativ plausibilisiert und anhand der konkreten Gestaltungsmittel veranschaulicht werden. Form, Farbe und Linienführung erscheinen auf der Startseite zunächst mustergültig. Durch die Formgröße tritt das Identifikationselement in den Blick. Es besteht aus einem typografischen und einem grafischen Teil, die durch einen grauen Farbverlauf als eine Einheit zusammengefügt werden und somit als Signet zu verstehen sind. Da die hier verwendete Typo Serifen aufweist, während die anderen informationstransportierenden Sprachteile der Seite serifenlos sind, kann sie als weitere Markierung von Identität interpretiert werden. Der typografische Teil des Signets drückt den Namen der Zahnarztpraxis aus, der seinerseits den Standort als identitätstiftendes Moment mit aufgenommen hat. Die Praxis heißt „Praxisklinik am Schlosspark“. Die Serifenschrift erhält ihre bessere Lesbarkeit im Buch- und Zeitungsdruck. Dort liefert sie aufgrund der gröberen Struktur des Trägermediums Papiers eine bessere Kontrastierung zwischen Buchstabenlinien und Hintergrund. In digitalen Medien ist demgegenüber die Verwendung serifenloser Schrift als Informationsträger konventionalisiert, da die dünnen Serifen in der geringen Auflösung der Displays weniger deutlich vom strukturlosen Hintergrund kontrastiert sind. Somit kann die Verwendung von Serifen in digitalen Umgebungen zunehmend auch eine konnotative Symbolisierungsfunktion bekommen. Im Kontrast zu den serifenlosen Schriften kann
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sie so als ein Verweis auf eine traditionelle und literarisierte Bildung und Kulturpraxis auftreten. In diesem Sinne spielt das vorliegende Signet typografisch zum einen auf die lokale Nähe der Zahnarztpraxis zum Schlosspark als traditionellem Kulturgut an. Zum anderen kann es eine moralische Nähe zu traditionellen Werten und der Hochkultur transportieren. Der Kommunikator nutzt somit die Typografie als visuelles Stil-Mittel der Selbstdarstellung, indem er eine vermeintliche Nähe zu diesen traditionellen Werten anzeigt. Zumindest liefert er ein Sympathieangebot an anvisierte Patientengruppen, denen er ein ähnliches Selbstverständnis unterstellt. Marketingstrategisch mag hierin die Akquise zahlungskräftiger (Privat-) Patienten im Mittelpunkt stehen. Die visuelle Stil-Praxis der Formung von Schrift wird somit als Element der Beziehungsstiftung mit anvisierten Adressatengruppen stereotypenorientiert genutzt. Unterstützt wird dieses Beziehungsangebot durch die Präsentation eines Gedichtes, das unter dem Identifikationsbereich aufgeführt ist und mit roter Typo hervorgehoben wird. Ein weiterer Hinweis auf gemeinschaftsbildende Exklusivitätsaffinitäten scheint durch die Farb- und Formgebung des grafischen Elements im Signet anvisiert sein. Es zeigt sich goldfarben und bildet drei kreisrunde Formen, die in dieser Farbgebung an Ringe erinnern. Allerdings bleibt die Formgebung durch die drei ineinander verschlungenen Komponenten hinsichtlich bildlicher Referenz für Außenstehende noch wenig konkret, so dass eine kohärente Identitätsstiftung nicht gewährleistet ist. Die weiteren typografischen Komponenten sind durch abweichende Versalverwendung als Navigationselemente und in Form gut lesbarer serifenloser, schwarzer Farbgebung als inhaltstransportierende Teile gekennzeichnet. Die Textteile sind zu rechteckigen Gesamtformen zusammengefügt und durch Weißraum strukturiert. Überschriften heben sich durch Fettungen kommunikationsformadäquat hervor. Somit entspricht die Gestaltung der Startseite größtenteils den Normerwartungen professionellen Screendesigns, was als Kompetenzsignal des Kommunikators im Handlungsfeld der Zahnmedizin gelesen werden kann. In der Gesamterscheinung könnte jedoch die überdimensionale Formgröße des Identifikationsteils als zu starke Image-Kommunikation im Gegensatz zur Informationsfunktion gewertet werden, beides steht in gewisser Disharmonie. Diese zu beschreiben, fällt jedoch in den Bereich der Stil-Praxis Komposition, die im folgenden Kapitel behandelt wird. Zunächst wird auf die Beziehungsstiftung mittels Farbeinsatz und bildlicher Kommunikation anhand der bereits in Abschnitt 5.3 behandelten Startseiten von tagesschau.de und heute.de nochmals näher eingegangen.
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Abbildung 5.14: Detail vom Sceenshot tagesschau.de
Quelle: http://www. tagesschau.de, 29.11.2012, 12:00 Uhr, farbige Version siehe http://www.konnotation.de_visuelle_stile
Abbildung 5.15: Detail vom Sceenshot heute.de
Quelle: http://www.heute.de, 29.11.2012, 12:00 Uhr, farbige Version siehe http://www.konnotation.de_visuelle_stile
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Abbildungen 5.14 und 5.15 zeigen Details der bereits besprochenen Webseiten. Diesmal wurde der Ausschnitt der Screenshots vergrößert, um die semiotischen Ressourcen Linie, Form und Farbe sowie die visuellen Modalitäten Bildgestaltung, Typografie und Farbsymboliken (vgl. Tab. 5.1) näher untersuchen zu können. Angelehnt an das jeweilige Coporate Design der Sendermarken dominieren bei tagesschau.de die Farben Blau in unterschiedlicher Helligkeit, das mit Weiß kombiniert ist, und bei heute.de die Farbe Orange, die mit einem gedeckten Grau-Blau auftritt. Die jeweiligen Wechselwirkungen werden mit Blick auf die realisierten Farbkontraste unter der Stil-Praxis Komposition behandelt (siehe Abschnitt 5.5). Unabhängig von kommunikativen Zielen des Senders und der entsprechenden Art Direktion soll das dunkle Blau im Handlungsfeld öffentlichrechtlich finanziertem Online- bzw. Fernseh-Journalismus sicherlich Seriösität, Sachlichkeit, Kompetenz, Weitsichtigkeit und Vertrauen vermitteln. Sie kann bei zu starkem Einsatz, auch als kühl, unnahbar, emotionslos und distanziert wirken. Demgegenüber scheint der öffentlich-rechtliche Konkurrenzsender ZDF bzw. seine Nachrichtenmarke heute.de eine auffällige Alternative gegenüberzustellen. Die entsprechende Hausfarbe Orange mag als fruchtig, frisch, lustig, aktiv und exotisch gelten. Ein übertriebener Einsatz kann hier als aufdringlich, billig und effekterhaschend rezipiert werden. In seiner Komposition mit zurückhaltenden Farben eines gedeckten Grau-Blau und Grau erscheint das Orange wohl dosiert zwar auffällig, jedoch nicht dominierend, was unten vertieft wird. Beide Online-Auftritte verwenden ausschließlich serifenlose Schriften. Als Kommunikationsform Nachrichten-Portale sind sie dominant der Informationsvermittlung verpflichtet, was eine gute Lesbarkeit bedingt. Durch die geringere Auflösung von digitalen Ausgabegeräten ist dies mit serifenlosen Schriften besser gewährleistet. Auch zur Kommunikation von Identität wurden kaum Serifen verwendet. Weder das tagesschau- noch das heute-Logo verwenden diese. Nur in der Sendermarke ARD tauchen sie auf. Seit dem Relaunch von 2009 werden sie auch in der Typo-Verwendung der Fernsehsendung Tagesschau verwendet. Hier wurde mutmaßlich eine Retro-Praxis verwirklicht, die eine visuelle Anspielung auf die print-journalistische Nachrichtenproduktion darstellen kann. Zur Anzeige von hypertextueller Navigationsfunktion wurde in den OnlineAuftritten ebenfalls keine weitere Schriftfamilie genutzt. Navigation wird durch abweichende Typo-Farbe gekennzeichnet. Beide Auftritte weisen weiße Schrift zur Markierung von Verlinkung auf, in Abgrenzung zur dunkel-blauen Schrift im mittleren Content-Teil von tagesschau.de und der schwarzen bei heute.de. Während tagesschau.de die weiße Typo für die Navigation zu den HauptRubriken einsetzt, bietet heute.de über die so gestalteten Schlagzeilen Verweise
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zu den jeweiligen Berichten. Beide Navigationsfunktionen sind zudem durch animierte Unterstreichungen bei Curserüberfahrt gekennzeichnet, was bei tagesschau.de auch die blau gehaltenden Schriften zum Teil als Navigationselemente erkennen lassen. Der informationstragende Content-Teil wurde mit stark kontrastierten Hintergründen versehen (Weiß bei heute.de, sehr helles Blau bei tagesschau.de). Dadurch ist eine gut lesbare Form-Grund-Kontrastierung erreicht. Unterschiede gibt es bei den Zeilenabständen. Heute.de hat mesotypografisch größere Weißräume gewählt, was den Text luftiger (eventuell moderner) erscheinen lässt als bei tagesschau.de. Diese Typo-Verwendung entspricht aktuelleren Trends in der Typografie von Tageszeitungen (vgl. Kap. 4.3). Fettungen stellen bei beiden Auftritten klar erkennbare Überschriften her, wobei auch hier bei tagesschau.de eine breitere Strichformung als bei heute.de zum Einsatz kommt. Dadurch erscheint im Vergleich die Typo beim ARD-Auftritt etwas klotziger und durch die in die Breite gehende Ausrichtung etwas schwerer als beim ZDF, das eine schlankere und damit stärker vertikal aufgestellte Schriftform einsetzt. Die Bildgestaltung der vorliegenden Startseiten von tagesschau.de und heute.de wird als Element der Stil-Praxis Formung abschließend betrachtet. Hierbei steht zunächst die Gestaltung des Bildmotivs und dann die des Bildes selbst im Fokus. Bei der Einkaufstüte im ersten Auftritt handelt es sich um eine Papiertüte, die eher bei dem Erwerb von qualitativ hochwertiger Kleidung verwendet wird. Es handelt sich nicht um eine minderwertige Plastiktüte, die metaphorisch auf Discountkundenmilieus anspielen könnte. Sie ist nicht näher bestimmbar mit einem Logo am oberen Rand und einzelnen in monochromen Blau eingefärbten Bildmotiven bedruckt. Durch die geringe Erkennbarkeit treten diese Elemente kommunikativ in den Hintergrund und üben nur dekorativ-ornamentale Zwecke aus. Im Vordergrund stehen das goldgelb eingefärbte Euro-Zeichen und die in gleicher Weise gefärbten Kordeln, die als Henkel dienen. Die Farbgebung verweist auf Wertigkeit und unterstreicht das thematisierte Handlungsfeld Geldwirtschaft. Die blauen unterschiedlich hell gehaltenden Hintergrundflächen erscheinen zum einen an das Corporate Design des Gesamtauftritts angelehnt. Es verfremdet die Tüte jedoch in gewisser Weise, so dass sie eher als Symbolträger denn als Gebrauchsgegenstand inszeniert ist. Die Tüte selbst ist schräg von links unten nach rechts oben gekippt. Im vorliegenden Kontext kann diese Ausrichtung weniger als aufstrebend bzw. optimistisch interpretiert werden. Sie hängt vielmehr an einem nicht im Bild ersichtlichen Haken oder wird, ebenfalls nicht sichtbar, getragen. In jedem Fall gibt die Schräghaltung der bereits angedeuteten Entfremdung durch Farb- und Formgebung die Natürlichkeit einer Gebrauchssituation zurück.
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Das Titelbild auf heute.de zeigt zwei Hauptmotive, die durch ihre vergleichbaren Größen relativ gleichwertig erscheinen. Es handelt sich dabei, wie bereits erwähnt, um die Person des deutschen Außenministers Guido Westerwelle und um ein als Länderschild gestaltetes Möbelelement. In der Regel ziehen jedoch Personen eine stärkere Aufmerksamkeit auf sich als Gegenstände (vgl. KroeberRiehl 1993). Hier scheint die größere Nähe zur Face-to-face-Kommunikation als maximale Situation des Involvments auschlaggebend zu sein. Westerwelle ist in einen grauen Anzug mit weißem Hemd und Krawatte gekleidet. Er trägt einen kleinen Kopfhörer im linken Ohr, der mutmaßlich der Verbindung mit einem Dolmetscher dient. Das zweite Motiv ist ein Schild, das vom Schriftzug „Germany“ dominiert ist. Er ist weiß und maximal kontrastiert auf einem dunklen Hintergrund angebracht. Die Typo ist serifenlos und schlank als Versalien gestaltet. Dadurch transportiert sie eine schlichte und wichtige Eleganz. Das Schild weist im vorliegenden Handlungsfeld ‚Außenpolitik‘ die Person dahinter als Repräsentant des entsprechenden Landes aus. Kleidung und Accessoires von Westerwelle versetzen ihn im Handlungsfeld Politik in die Situation einer offiziellen Amtsausübung. Seine Körperhaltung zeigt jedoch nicht Aktivität, Impulsstiftung oder konkrete Handlung, sondern ist passiv und zurückgelehnt. Der Blick ist ins Leere gerichtet bzw. in sich gekehrt. Die Mimik lässt keine Freude oder Lockerheit erkennen, sondern eher eine angespannte (schmalmündige) Konzentration. Der vorliegende Diskurs- bzw. Framebereich, der mit dem in das Bild montierten orange unterlegten Ortsangabe „UN-Vollversammlung“ und dem weiß unterlegten Teaser aufgerufen wird, weist der Haltung Westerwelles eine gewisse Unsicherheit und Isoliertheit zu. Deutschland ist mit seiner Enthaltung gegenüber dem Palästinenserantrag auf Staatengründung nicht ‚in guter Gesellschaft‘, sondern geht aufgrund seiner besonderen Beziehung zu Israel einen ‚Sonderweg‘. Westerwelle muss somit eine Minderheitsmeinung vertreten. Da er in seiner Rolle als Außenminister diskursiv nicht immer als souverän und unabhängig etabliert wurde, weist der Diskurskontext seiner Mimik und Körperhaltung ferner eine besondere Drucksituation zu. Er scheint sich ‚nicht wohl in seiner Haut zu fühlen‘. Die Bildgestaltung bringt dem Betrachter das Motiv nun auf spezifische Weise zur Ansicht. Sie legt mittels Ausschnitt und Perspektive eine besondere Beziehung zum Gezeigten nahe. Im Fall des Symbol-Bildes bei tagesschau.de sieht sich demnach der Betrachter dem Motiv direkt gegenübergestellt. Da nicht deutlich wird, ob die Tüte an einem Haken hängt oder getragen wird, kann auch nicht näher bestimmt werden, ob der Betrachter quasi in eine unnatürliche (in Fußnähe) Höhe versetzt wird oder in natürlicher Körperhaltung der Tüte ansichtig würde. Das extreme Querformat bei gleichzeitigem Detailausschnitt schafft
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wenig Nähe zu ‚außermedialen Seherfahrungen‘. Ist das extreme Querformat in dieser Hinsicht eher für Panoramaansichten reserviert, widerspricht dieser Praxis die hier vorliegende Detailansicht. Das Motiv ist so nicht klein in einen bestimmbaren Raum versetzt, sondern durch den ‚Anschnitt‘ unten und oben aus einem natürlichen Kontext isoliert und als nah und dominant inszeniert. Diese Widersprüchlichkeit charakterisiert den gezeigten Gegenstand wiederum als auf ein Konzept verweisendes Symbol und nicht als Abbild eines konkreten Gegenstandes. Bei heute.de ist der Betrachter Westerwelle leicht erhöht und halbrechts gegenübergestellt. Es besteht kein Blickkontakt zwischen Kamera und dem Außenminister, so dass der Betrachter auch nicht in Anlehnung an eine Face-toface-Situation quasi adressiert wird. Der Betrachter wird als unbeteiligter Beobachter konstruiert. Er befindet sich durch den Bildausschnitt, der Westerwelle im Brustporträt präsentiert, doch in relativ großer Nähe zum Motiv. Dem Betrachter entgeht, was den Außenminister betrifft, quasi nichts. Es besteht fast eine voyeuristische Beziehung zwischen Betrachter und Motiv, da der Dargestellte keine Notiz von der engen Kamerasituation nimmt. Durch den Bildausschnitt selbst wird der Eindruck der Isolation des Außenministers unterstrichen. Der Betrachter kann keine weitere Person und keine weitere Integration in Handlungskontexte ausmachen. Da diese Bildinszenierung in verstärkter Form jedoch als Praxis der Komposition gilt, wird die Beziehung zwischen Motiv und lokalem Umfeld im folgenden Abschnitt nochmals aufgenommen. Zur abschließenden Plausibilisierung der hier vorgestellten Stil-Praxis sei nochmals auf Abbildung 5.6 und auf die Einstellungen von Abb. 5.7-11 verwiesen. Hierbei handelt es sich um reportagehafte Fotografie bzw. Einstellungen, da der Betrachter durch die Kamera jeweils quasi an den Schauplatz des Geschehens (hier zum Panzereinsatz der ägyptischen Truppen gegen protestierende Zivilisten) versetzt wird. Die Kamera zeigt aus Augenhöhe, also in Normalperspektive, die Bildmotive. Im Bewegtbild wird die Kamera somit subjektiv, sie lässt den Betrachter quasi selbst durch die Szenerie treten. Distanz ist hauptsächlich durch den unnatürlichen Ausschnitt gegeben, der schmaler als das normale Gesichtsfeld ist. Damit realisiert der Bildausschnitt das Visual Framing auf direkte Weise, indem sie das Bildmotiv ins On, andere ebenfalls mögliche daneben verortete Bildmotive jedoch ins Off verweist. Der Bildausschnitt wird so zum gestalteten Weltausschnitt. Die Weltpräsentation erfährt außerdem ihre Relativierung durch ihre mediale Vermittelheit sowie durch seine Verortung in Layout, Screendesign und/oder Film-Montage. Auch die möglichen Rezeptionshandlungen (Wegklicken des Bildes, Videostopp) des Betrachters distanzieren ihn lokal und zeitlich von der realen Szenerie.
5. V ISUELLE S TILE ALS
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Anders verhält es sich bei einem Computerspiel, das mittels subjektiver Perspektivierung arbeitet. Bei einem Ego-Shooter beispielsweise steht die Veränderung der Bilddarstellung im unmittelbaren Zusammenhang mit der Spielhandlung. Der Bildausschnitt, die Artifizialität der Bildgestaltung, das selbstbestimmte Zeitmanagement sowie die haptisch nicht an den gezeigten Gegenständen orientierten Wahrnehmungssituation schafft zwar weiterhin Distanz zum Gezeigten. Allerdings steht die Kamerabewegung als auch das Gezeigte selbst in indexikalischer Abhängigkeit von der Betrachteraktivität. Im Falle von aktuellen Spielkonsolen wird sogar auch das Haptische immer verstärkter an die bildliche Gegenständlichkeit angepasst, indem sie die Form von Tennisschlägern, Musikinstrumenten u.a. aufweisen. Damit besteht beim interaktiv konstituierten Computerspiel eine weitaus größere Immersionsmöglichkeit als beim nicht beeinflussbaren Foto oder Videobeitrag. Neben der Normalperspektive, die an die subjektive Weltwahrnehmung des Betrachters angelehnt ist, bringen ferner Detaileinstellungen den Betrachter unnatürlich nah an das Gezeigte, das im Fall von Personen eine gewisse Intimität bzw. wie bereits erwähnt voyeuristische Beziehungsstiftungen initiieren können. Erhöhte Betrachterperspektiven lassen das Gezeigte schwach und unterworfen, durch Normalperspektive gleichwertig und durch die Froschperspektive unnatürlich mächtig, stark, überlegen bzw. übertrieben wirken. Die Vogelperspektive gibt demgegenüber einen Überblick über Orte und Personen in lokalen Kontexten. Sie enthebt den Betrachter diesen Kontexten, so dass auch diese als wenig natürlich und objektiv berichtend wirken. All diese Perspektiven und Einstellungen haben ferner im Bewegtbild besondere narrative Funktionen, die erst durch ihre Komposition bzw. durch die Montage im folgenden Abschnitt behandelt werden können.
5.5 S TIL -P RAXIS
ALS ZEICHENHAFTE
K OMPOSITION
Die in diesem Abschnitt entfaltete Stil-Praxis der Komposition ist sozialsemiotisch an die Meta-Funktion der textual bzw. compositional function angelehnt, die die Bedeutungs- und Kohärenzstiftung durch syntaktische Verknüpfungen umfasst. Dabei treten in der hier entwickelten Perspektive Praktiken der visuellen Hervorhebung einzelner sowie die visuelle Zuordnung und Abgrenzung bestimmter Bildelemente in den Blick. Kress und van Leeuwen (2006) unterscheiden in ähnlichem Zusammenhang zwischen information value, salience und framing (vgl. Meier 2008a: 269 f.). Unter der Kategorie information value lassen sich alle bedeutungsgenerierenden Funktionen subsumieren, die durch die An-
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ordnung von Elementen auf der Fläche bzw. innerhalb eines (Bild-)Raumes, Rahmens oder Ausschnitts realisiert sind. Hierbei treten Kompositionsmuster wie Rechts-Links-, Oben-Unten-, Rand-Zentrum-Strukturen in den Vordergrund. Als zweite Kategorie stellt sich salience dar. Hiermit ist die Hervorhebung bzw. Fokussierung einzelner Elemente durch Gestaltung gemeint. Dabei kann beispielsweise in einem Bild ein Schmetterling im Vordergrund scharf dargestellt sein, während im Hintergrund noch auszumachende Zweige eher verschwommen wirken. In diesem Fall hat der Fotograf oder die digitale Nachbearbeitung durch den bewussten Einsatz der Schärfentiefe den Schmetterling im Bild hervorgehoben. Auch eine Webseite fokussiert die Aufmerksamkeit auf einen Text oder ein Bild durch mittige Positionierung auf der Seite sowie unterschiedliche Größenverhältnisse, Rahmen, Hintergründe. Stöckl (2004a: 72) versteht diesen bedeutungsgenerierenden Bereich als eine Form der Thema-Rhema-Gliederung, denn durch das hervorgehobene Element ist ein thematisches Zentrum gesetzt, auf das die anderen Elemente in irgendeiner Weise zu beziehen sind. Die dritte Kategorie bildet das information value, die mittels semiotischer Ressourcen wie Weißflächen, Formen, Linien, Kontraste bestimmte kommunikative Funktionalität realisiert. Vorallem layoutbedingte Sprache-Bild-Korrespondenzen sowie Grafikeinsätze auf Websites und Zeitungsseiten werden durch diese semiotischen Ressourcen für die Verdeutlichung von Zugehörigkeiten und Abgrenzungen eingesetzt. Ferner lassen sich innerhalb eines Bildes durch die Inszenierung von Nähe und Ferne sowie imaginär verbindende Linien (Vektoren) Beziehungen zwischen Bildkomponenten aufbauen. Für die entsprechende Flächeninszenierung von visuellen Artefakten wurde im kunsthistorischen Kontext mit der Ikonik die planimetrische Komposition und szenische Choreografie entwickelt. Diese haben sich innerhalb der qualitativen Sozialforschung als Analyseelemente der dokumentarischen Methode zur Untersuchung von Bilddaten etablieren können (vgl. Bohnsack 2001a, b, Bohnsack 2009). Bei der Planimetrie „geht es darum, mit möglichst wenigen Linien die Gesamtkomposition des Bildes in der Fläche zu markieren“ (Bohnsack 2009: 61). Dabei werden die Hauptkomponenten mittels Geraden und der Grundformen Viereck, Dreieck und Kreis zu verbinden und so in ihrer Formation zu erfassen versucht. Die szenische Choreografie fokussiert die sozialen Beziehungen, die durch die Platzierung und Proportionierung der Bildelemente auf der Fläche realisiert sind. Die Stil-Praxis der Komposition berücksichtigt beide Ansätze der Bedeutungsstiftung als performative Inszenierung von Fläche und Form. Sie setzt dabei den Fokus auf Gestaltungspraktiken, die Salienz und Prägnanz in die visuellen Artefakte bringen. Dies hat den wissenschaftspragmatischen Grund, dass visuel-
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le Kommunikation nicht in ihrer gesamten syntaktischen Dichte und Fülle (vgl. Goodman 2010) analytisch erfasst werden kann. Kommunikativ funktional sind immer nur bestimmte Elemente, die kontextabhängig bestimmte Salienzen bzw. Prägnanzen realisieren. Diese vermitteln die eigentlichen Botschaften visueller Kommunikation. Symbolische Prägnanz ist nach Cassirer (2010) eine Erscheinungsweise von (visuellen) Gestaltungselementen wie Farben, Größen, Formen, die durch ihre spezifische Kombination wirkmächtiger auf die Wahrnehmung einwirken als weniger prägnante Elemente. Er definiert symbolische Prägnanz in diesem Sinne wie folgt: „Unter ‚symbolischer Prägnanz‘ [Hervorhebung im Original, SM] soll also die Art verstanden werden, in der ein Wahrnehmungserlebnis, als ‚sinnliches‘ [Hervorhebung im Original, SM] Erlebnis zugleich einen bestimmten nicht anschaulichen ‚Sinn‘ [Hervorhebung im Original, SM] in sich faßt und ihn zur unmittelbaren konkreten Darstellung bringt. Hier handelt es sich nicht um bloß ‚perzeptive‘ [Hervorhebung im Original, SM] Gegebenheiten, denen später irgendwelche ‚apperzeptive‘ Akte aufgepfropft wären, durch die sie gedeutet, beurteilt und umgebildet würden. Vielmehr ist es die Wahrnehmung selbst, die kraft ihrer eigenen immanenten Gliederung eine Art geistige ‚Artikulation‘ [Hervorhebung im Original, SM] gewinnt – die, als in sich gefügte, auch einer bestimmten Sinnfügung angehört. In ihrer vollen Aktualität, in ihrer Ganzheit und Lebendigkeit, ist sie zugleich ein Leben ‚im‘ Sinn [Hervorhebung im Original, SM]. Sie wird nicht erst nachträglich in diese Sphäre aufgenommen, sondern sie erscheint gewissermaßen als in sie hineingeboren. Diese ideelle Verwobenheit, die Bezogenheit des einzelnen, hier und jetzt gegebenen Wahrnehmungsphänomens auf ein charakteristisches Sinnganzes, soll Ausdruck der ‚Prägnanz‘ bezeichnen.“ (Cassirer 2010: 231)
Cassirer streicht heraus, dass Prägnanzen, die durch Gestaltung realisierte Auffälligkeiten bestimmter visueller Elemente darstellen, nicht als rein perzeptive und damit vorsemiotische Phänomene zu behandeln sind. Vielmehr stiften sie bereits durch die Art der Gestaltung Bedeutung, die in die abduktive Sinnzuschreibung des Gesamtkommunikats mit einfließt. Diese Bedeutung lässt sich zwar nicht konkret versprachlichen, sie legt jedoch eine gewisse Ordnung bei der Interpretation des Sinngehalts nahe und erreicht eine symbolische Konzentration (Schwemmer 1997: 117). Durch die von ihr realisierte Hervorhebung bestimmter Elemente lässt sie andere in den Hintergrund treten. Sie schafft somit perspektivische Hierarchien, Wichtigkeitsabstufungen etc., die im Sinne einer „Bedeutungsprägnanz“ kontextabhängig deutlich werden (Schwemmer 1997: 117) und im Abschnitt 5.3 auch als Visual Framing spezifiziert wurden.
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Visuelle Kontrastierungen und Gestaltgesetze Designpraktisch werden die konzeptualisierten ‚Bedeutungsprägnanzen‘ über die Herstellung von Kontrasten erreicht. Sie sind als besondere Stil-Praxis der Komposition anzusehen und fungieren in wahrnehmungspsychologischer Hinsicht als Voraussetzung jeder Wahrnehmung visueller Phänomene. Kontraste beruhen auf unterscheidbaren Reizen, die relationsbedingt verarbeitet werden. Je stärker Kontraste in Form von Hell-Dunkel-, Farb- und/oder Formkontraste sind, desto intensiver (prägnanter) ist auch die damit realisierte Phänomendarstellung. (Vgl. Hagendorf/Müller/Krummenacher/Schubert 2011: 75 ff.) Visuelle Kommunikation macht sich diese relative Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen zunutze, indem sie Designelemente zum Beispiel beim Layout von Plakaten, Buch-, Zeitungs- und Webseiten (vgl. Böhringer/Bühler/Schlaich/Ziegler 2003), der Fotografie (vgl. Freeman 2007) und beim Produktdesign (vgl. Zeh 2010) kontrastreich einsetzt. Sie nutzt die Inszenierung von visuellen Harmonien, die durch Anlehnung an die in der Gestaltpsychologie entwickelten Gestaltgesetze und die Aufnahme visueller Rhythmen vollzogen werden. Die Gestaltpsychologie wurde Anfang des 20. Jahrhunderts als Gegenströmung zu einer „atomistischen Psychologie“ (Kaiser 2007: 14 ff.) begründet. Sie wandte sich gegen eine naturwissenschaftlich und experimentell ausgerichtete Erforschung der menschlichen Kognition und des menschlichen Verhaltens. Sie suchte nach einem ganzheitlichen Prinzip, das die Gestalt als ein Phänomen zu beschreiben erlaubt, das mehr ist als die Summe seiner Einzelteile. Grundlage dieser Vorstellung in der Tradition von Wertheimer (vgl. 1925) ist die Überzeugung, dass die menschliche Wahrnehmung ein „aktiv organisierendes System“ (Hagendorf/Müller/Krummenacher/Schubert 2011: 13) ist. Die Umwelt wird demnach hinsichtlich Formen und Gestalten wahrgenommen, um die komplexe Vielheit auf ein verarbeitbares Maß zu reduzieren. Im Design findet die Gestaltpsychologie weiterhin ihre breite Verwendung, da sie klare Regeln für die Gestaltung wirkmächtiger Designphänome bereithält (vgl. Lehrbücher wie Rada 2002, Habermann 2003, Thissen 2003, Lewandrowsky 2006, Ruhland/Reiter 2011). Sie wurden in den so genannten Gestaltgesetzen festgeschrieben. Auch wenn die aktuelle Kognitions- sowie Neuropsychologie Erkenntnisse der Gestaltpsychologie kritisiert (vgl. Ansorge/ Leder 2011), so veranlasst doch der starke Einfluss der Gestaltgesetze im aktuellen Mediendesign, diese auch für die Entwicklung von Analyse-Instrumenten visueller Stile zu berücksichtigen. Sie bieten einen konkreten Zugang zum musterhaften bzw. regelorientierten Handeln von professionellen Gestaltern zur gelernten Prägnanz und Harmoniesteigerung visueller Artefakte. Den Grad der Umset-
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zung dieser Muster kann man somit als visuelle Stil-Ausprägungen der Komposition untersuchen. Vom Gesetz der Prägnanz bzw. schönen Gestalt leiten sich die weiteren gestaltpsychologischen Gesetze ab. Es beschreibt die menschliche Konstruktionsbzw. Reduktionsleistung bei der Wahrnehmung von Gestalten als dynamische Phänomene. Dabei werden wenig unterscheidbare Reize zu prägnanten Formen zusammengesetzt, so dass Gestalten oder Figuren vor Hintergründen abgrenzbar werden. Zusammengehörige Ganzheiten in der Produktion und der Rezeption zu schaffen, braucht somit Unterscheidbarkeiten bzw. Differenzen. Sie sind die Ursache für die mögliche Bestimmung von Abgrenzungen zwischen Gegenständen in ihren lokalen Kontexten (Figur-Grund-Beziehung) oder der Schließung einer offenen zu einer geschlossenen Form, wie es weitere Gestaltgesetze thematisieren. Je deutlicher diese Unterscheidungen erkennbar sind, desto prägnanter wird somit die Form. Folgende Gestaltgesetze lassen sich nach Böhringer/Bühler/ Schlaich (2011: 40-48) unterscheiden: •
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•
•
Das Gesetz von der einfachen Gestalt Dieses Gesetz ist an das Gesetz der schönen Gestalt angelehnt. Es beinhaltet, dass die menschliche Wahrnehmung aus komplexen Gebilden die Harmonie einfacher Formen (Dreieck, Viereck, Kreis) hervorhebt. Gesetz der Nähe Das Gesetz der Nähe geht davon aus, dass Elemente, die näher beieinander positioniert sind, als zusammengehörig empfunden und entfernter platzierte Phänomene als isoliert betrachtet werden. Das Gesetz der Gleichheit/Ähnlichkeit Beim Gesetz der Gleichheit wird davon ausgegangen, dass Betrachter ähnlich aussehende Phänomene als zusammengehörig verstehen. Sie werden als Gruppe bzw. Formation behandelt, was in den Randbereichen sogar das Gesetz der Nähe (s.o.) überlagern kann. Das Gesetz der Geschlossenheit Elemente, die eine Fläche einschließen, werden imaginär zu Rahmungen geschlossen. Dadurch lässt sich die Fläche und deren Inhalt als eine Einheit behandeln. Das Gesetz der Erfahrung Dieses Gesetz lässt aufgrund von Formerfahrungen auf bestimmte Weise angeordnete Linien auf der Fläche zu kompletten Gestalten und Formen verbinden. Piktogramme und Logos machen sich dieses Gesetz insbesondere zunutze.
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•
•
Das Gesetz der Konstanz Dieses Gesetz geht davon aus, dass Objekte, die als gleich bewertet bzw. erkannt wurden, auch durch perspektivische, farbliche sowie gestalterische Unterschiede weiterhin in Relation zueinander zu behandeln sind. Dies ist bei der Gestaltung von Handlungsfortschritten in Comic-Darstellungen von entscheidender Wichtigkeit. Das Gesetz der Grund-Figur-Trennung Durch Kontraste, Texturen, Farben sowie Bewegungen in Kombination mit räumlichen Denken lassen sich Figuren von Hintergründen oder Phänomene von Kontexten trennen.
Man kann festhalten, dass nach Konzepten des Designs Prägnanz am stärksten realisiert ist, je intensiver die Gestaltgesetze im (Medien-)Produkt umgesetzt wurden. Sie alle dienen der Steigerung von Unterscheidbarkeit von visuellen Elementen mittels differenzierender Kontrastierungen. Sie erreichen, dass durch Gestaltung einzelne Elemente isoliert werden und/oder vor anderen hervorgehoben wirken. Dies hat Auswirkungen auf die Bedeutungsstiftung des GesamtKommunikats, denn eine solch fokussierend vorgehende Gestaltung nutzt die Gestaltungselemente Linie, Form, Fläche und Position als semiotische Ressourcen. Design hierarchisiert so dargestellte Objekte, schafft Dominanzen und Wichtigkeitsabstufungen und stellt den Betrachter auf spezifische Weise dem Gezeigten gegenüber. Um anhand eines solchen Umganges mit visuellen Gestaltungselementen konkrete semiotische Stil-Praxis festmachen zu können, werden nachfolgend die Gestaltgesetze mit der Kontrastlehre Johannes Ittens und den Begriffspaaren der Stil-Analyse von Wölfflin in Verbindung gebracht, um die Analyse von salienz- bzw. prägnanzstiftenden Kontrastierungen zu systematisieren. Farb- und Formkontraste Johannes Itten hat am Dessauer Bauhaus eine Farb-, Form- und Gestaltlehre anhand des bewussten Einsatzes von visuellen Kontrasten entwickelt (vgl. Itten 1970, 1975). Auch er vertrat wie die Gestaltpsychologie ein ganzheitliches Konzept menschlicher Wahrnehmung und Kunstproduktion, das durch ihn verstärkt mit einem anthroposophischen Weltbild verbunden wurde. Die Aufnahme dieser für die Gestaltung systematisierten Kontraste schärft die Sensibilisierung für eine Stil-Praxis der Prägnanzstiftung im besonderen Maße. Die Kontraste zeigen darüber hinaus Parallelen zu den Begriffspaaren von Wölfflin (vgl. Kap. 3.3), denn auch sie werden als relative Erscheinungen behandelt und kommen gradu-
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ell abgestuft innerhalb maximaler Kontrastpole vor. Die Spezifizierungen werden bei beiden Ansätzen in Relation zu diesen Polen vorgenommen. Ich reihe zunächst die Begriffspaare und die Kontrastierungen auf und veranschauliche anschließend anhand von Beispielen mit Bezug auf die jeweils relevanten Gestaltungselemente und der wirksamen Gestaltgesetze ihre prägnanzstiftende Korrespondenz. Wölfflins Begriffspaare • linear – malerisch • Fläche – Tiefe • geschlossen – offen • Vielheit – Einheit • Klarheit – Unklar-/Bewegtheit Ittens Farbkontraste • Farbe-an-sich: max. Kontrast die Primärfarben Gelb, Rot, Blau • kalt – warm: schattig – sonnig, durchsichtig – undurchsichtig, beruhigend – erregend, dünn – dicht, luftig – erdig, fern – nah, leicht – schwer, feucht – trocken • Komplementärkontrast: Kontrast zweier Komplementärfarben, die sich zu maximaler Leuchtkraft ergänzen (Gelb-Violett, Gelborgange-Blauviolett, Orange-Blau, Rotorange-Blaugrün, Rot-Grün, Rotviolett-Gelbgrün) daraus folgt … • Simultankontrast: Farbe zieht die Wahrnehmung der Komplementärfarbe nach sich. • Qualitätskontrast: leuchtend/satt – matt/stumpf/pastell • Quantitätskontrast: Bestimmte Größenverhältnisse der Farbflächen erreichen gemäß der farblichen Leuchtkraft unterschiedliche Harmonieempfindungen. Ittens Form- bzw. Proportionskontraste unter Hinzunahme von Lewandrowsky/Zeischegg (2002) • Form-an-sich: max. Kontrast die Grundformen Kreis, Viereck, Dreieck • Qualitätskontrast: regelmäßige Form – unregelmäßige Form, geschlossenen – offenen Formen • Quantitätskontrast: groß – klein, dick – dünn/breit – schmal, lang – kurz Freeman (2007) hat die Kontrastlehre Ittens wie folgt für die Produktion prägnanter Fotografien aufgenommen.
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Bildkontraste nach Freeman • scharf – unscharf • farbig – monochrom • Vordergrund – Mittelgrund – Hintergrund • Licht – Schatten • Struktur – Glätte Inhaltskontraste Inhaltliche Kontraste entstehen nicht allein durch ihre visuelle Gestalt, sondern durch kognitive Modelle, die kulturell mit den gezeigten Phänomenen verbunden sind und dabei starke Widersprüche entstehen lassen können. • • • •
Stärke – Schwäche Robustheit – Verletzlichkeit Milde – Grausamkeit etc.
Mit den Gestaltgesetzen, Wöllflins Begriffspaaren und den Kontrastierungen von Itten und Freeman lassen sich mit den Komponenten Formation (bestehend aus nahen, ähnlichen etc. Elementen und Linien), Fläche und Position konkretere Syntagmen bestimmen. Sie werden so zu semiotischen Ressourcen der kommunikativen Stil-Praxis Komposition. Diese richten sich jeweils nach ihrer prägnanz- bzw. salienzstiftenden Funktion zur Isolierung, Fokussierung und/oder Hierarchisierung bestimmter Gestaltungskomponenten. Zur Formation: Formationen mögen harmoniestiftend in geschlossener oder offener Gestalt an die Grundformen (z.B. als Kreis, Viereck, Quadrat) angelehnt oder von diesen entsprechend kontrastiert als Chaos auftreten. Größenunterschiede zu anderen Formationen lassen relative Proportionen entstehen (z. B. als Groß-KleinKontrast), treten mit unterschiedlicher Komponenten-Anzahl auf. Ausrichtungen bringen Dynamiken in die Komposition. Sie zeigen aufsteigende, abfallende und/oder sich nähernde oder auseinander driftende Tendenzen.
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Zum Form-Fläche-Verhältnis: Abbildung 5.16: Spiegel-online auf 27-, 13- und 4-Zoll-Displays
Quelle: http://www.spiegel.de, 02.01.2013, farbige Version siehe http://www.konnotation.de_ visuelle_stile
Formen sind als Bestandteile von (visuellen) Medienprodukten immer in Beziehung zu einem Rahmen zu sehen. Dieser richtet sich nach dem angewandten Rezeptionsmedium (z.B. in Smartphone-Displays bzw. unterschiedlich großen Bildschirmen, siehe Abb. 5.16) wie auch nach den unterschiedlichen FlächenFormaten (z.B. wirkt ein Querformat ruhend, panoramahaft und ein Hochformat aufstrebend, begrenzend). Formen verursachen mit wechselnden Größenverhältnissen unterschiedliche Ausfüllungen der Rahmungen (z.B. mittels Zoom/Kamereinstellung bei bildlichen Artefakten, siehe Abb. 5.17), die sie eher klein und zierlich oder mächtig, kraftvoll, dynamisch bzw. nah und intim wirken lassen.
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Abbildung 5.17: Merkel in Naheinstellung zur Inszenierung von Intimität
Quelle: http://www.spiegel.de, 02.01.2013, farbige Version siehe http://www.konnotation.de_ visuelle_stile
Form wird mit ihrem Figur-Grund-Verhältnis Bestandteil einer Motiv-(Raum-) Kontext-Inszenierung beim Bild und 3D-Grafiken oder Vordergrund-Hintergrund-Arrangement bei Layout, Sceendesign sowie 2D-Grafiken kommunikativ eingesetzt. Dabei werden Stil-Pole wie Fläche im Gegensatz zu Tiefe thematisiert. Beispielhaft lässt sich in diesem Zusammenhang auf das so genannte 3DDesign des Web 2.0 verweisen. Stark inspiriert vom bilddominanten Grafikeinsatz sowie den Lichtreflex-, Glanz- und Schlagschatteneffekten des Apple-Tools iTunes (siehe Abb. 5.18) wurden zahlreiche Software- und Website-Interfaces von zweidimensionalen, flächigen Kasten-Designs zu zumeist flashbasiert animierten Inszenierungen von Räumlichkeit und Tiefe gestaltet (siehe Abb. 5.19).
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Abbildung 5.18: 3D-Cover-Flow-Ansicht bei iTunes
Quelle: 3D-Cover-Flow-Ansicht bei persönlicher ITunes-Einstellung, farbige Version siehe http://www.konnotation.de_visuelle_stile
Abbildung 5.19: 3D-Startseite des Adobe Museums of Digital Art
Quelle: http://www.adobemuseum.com, 04.01.2013, farbige Version siehe http://www.konnotation.de_ visuelle_stile
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Abbildung 5.20: Interface Windows 8
Quelle: http://windows.microsoft.com, 04.01.2013, farbige Version siehe http://www.konnotation.de_ visuelle_stile
Abbildung 5.21: iPhone-Ansichten
Quelle: https://www.apple.com/de/iphone, 04.01.2013, farbige Version siehe http://www.konnotation.de_visuelle_stile
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Die Dreidimensionalität wurde in der Gestaltung von Navigationselementen und App-Bottons von Smartphones und Tablets fortgesetzt. Auch hier war Apple mit seinem iPhone stilprägend (siehe Abb. 5.21). Interessanterweise hat Microsoft mit seinem neuen Betriebssystem Windows 8, das auch als Interface für Smartphones und Touchscreen-Tablets und Notebooks eingesetzt ist, den Weg zurück zur Zweidimensionalität gewählt. Es setzt auf abstrakte Piktogramme sowie bildlich und farbig gestaltete Kacheln (siehe Abb. 5.20). Im Vergleich relativiert das neue 2-D-Design die dreidimensionalen Bottons der Apple-Welt hinsichtlich Eleganz und Modernität. Letzte wirken daneben zunehmend verspielt und weniger authentisch. Hier mag sich eine Besinnung auf die Zweidimensionalität von Display-Flächen im Navigationsbereich andeuten, die Funktion und Schlichtheit (wieder) in den Vordergrund stellt. Die ‚Bühnenwirkung‘ der 3D-Elemente samt Glanz und Schlagschatten könnten in Zukunft dagegen zunehmend kitschig wirken, vorausgesetzt eine neue Sehgewohnheit stellt sich ein. Design-Elemente deuten mit ihrer Positionierung auf der Fläche weitere Eigenschaftszuschreibungen auf. Während sie in der oberen Bildhälfte eher eine schwebende und leichte Qualität andeuten, in der Mitte eine neutrale, wirken sie am unteren Rand vornehmlich ruhend und schwer. Sie markieren je nach Kommunikationsform deren Relevanz. News-Formate platzieren das Wichtigste bzw. Aktuellste oben, stufen im Magazin-Format als bildzentrierte Publikationen vom Zentrum zur Randlage ab. Allerdings kann durch die Größe eine gegenläufige Gewichtung realisiert werden. Ist ein Bildelement durch seine Größe gegenüber anderen Elementen dominant, nimmt es diese Dominanz auch in der Randlage der Fläche ein. Über die Lichtführung (z. B. als Hell-DunkelKontraste, Abb. 5.22) und Schärfeverteilung (z.B. für die Stil-Pole klar-unklar, Abb. 5.23) lassen sich bestimmte Formen in der Raum-Inszenierung gegenüber anderen hervorheben. Ähnliches erreichen Hell-Dunkel- (Abb. 5.24) und/oder Farbkontraste (Abb. 5.25).
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Abbildung 5.22: Beispiel für HellDunkel-Kontrast
Abbildung 5.23: Beispiel für salienzstiftende Schärfeverteilung
Quelle: Jahresrückblick 2012 bei tages-
Quelle: Jahresrückblick 2012 bei tages-
schau.de, http://www.tagesschau.de,
schau.de, http://www.tagesschau.de,
04.01.2013
04.01.2013
Abbildung 5.24: Beispiel für Salienzstiftung durch Hell-DunkelKontrast
Abbildung 5.25: Beispiel für Salienzstiftung durch Farbkontrast
Quelle: Jahresrückblick 2012 bei tages-
Quelle: Jahresrückblick 2012 bei tages-
schau.de, http://www.tagesschau.de,
schau.de, http://www.tagesschau.de,
04.01.2013
04.01.2013
Farbige Versionen siehe http://www.konnotation.de_visuelle_stile
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Zum Form-Fläche-Positions-Verhältnis In diesem Gestaltungsbereich kommen die genannten Stil-Praktiken der Komposition zusammen. Es handelt sich im Filmischen um die Praxis der Mise en Scׯne (vgl. Bostnar/Pabst/Wulff 2002), im Fotografischen um die Motivpositionierung im Bildraum (Freeman 2007) und in der Mediengestaltung um die Flächenaufteilung- und Flächenpositionierung (Böhringer/Bühler/Schlaich/Ziegler 2003). Hierfür wird häufig der Goldene Schnitt als dynamische Idealproportion mit seiner ungefähren 1:3-Verteilung angegeben (siehe Abb. 5.26). Formen sind durch ihre Positionierung auf der Fläche oder im Bildraum in spezifische Beziehungen zum Rahmen und zu den anderen Formen gebracht. Durch die Gestaltgesetze der Nähe, der Ähnlichkeit und der Konstanz lassen sich Gruppierungen/Einheiten bzw. Formationen im Gegensatz zu abweichenden Formen bzw. Kontexten erkennen (siehe Abb. 5.27). Isolierungen einzelner Elemente sind durch Positionierung auf der Fläche (siehe Abb. 5.28) und starke ScharfUnscharf-, Hell-Dunkel, Farb- und Formkontraste zu erkennen (siehe Abb. 5.29). Abbildung 5.26: Beispiel für Goldenen Schnitt
Abbildung 5.27: Beispiel für zugehörigkeitsstiftende Einheitlichkeit
Quelle: Jahresrückblick 2012
Quelle: Jahresrückblick 2012
bei tagesschau.de,
bei tagesschau.de,
http://www.tagesschau.de,
http://www.tagesschau.de,
04.01.2013
04.01.2013
Farbige Versionen siehe http://www.konnotation.de_visuelle_stile
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Abbildung 5.28: Beispiel für Isolierung durch Positionierung
Abbildung 5.29: Beispiel für Isolierung durch Farbkontrast
Quelle: Jahresrückblick 2012 bei
Quelle: Jahresrückblick 2012 bei
tagesschau.de,
tagesschau.de,
http://www.tagesschau.de,
http://www.tagesschau.de,
04.01.2013
04.01.2013
Farbige Versionen siehe http://www.konnotation.de_visuelle_stile
Für den Schriftsatz betrifft dieser Gestaltungsbereich die Makro-Typografie. Sie umfasst Praktiken des Layouts. Bilder, Grafiken und sprachlicher Texte werden durch Positionierungen auf der Fläche gemäß den Gestaltgesetzen in entsprechende Beziehungen zueinander oder in Abgrenzungen gebracht. Eine solche Gestaltungspraxis soll an den bereits behandelten Beispielen von heute.de (Abb. 5.30) und tagesschau.de (Abb. 5.31) veranschaulicht werden.
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Abbildung 5.4: Detail von Screenshot heute.de
Quelle: http://www.heute.de, 29.11.2012, 12:00 Uhr, farbige Version siehe http://www.konnotation.de_ visuelle_stile
Abbildung 5.5: Detail von Screenshot tagesschau.de
Quelle: http://www.tagesschau.de, 29.11.2012, 12:00 Uhr, farbige Version siehe http://www.konnotation.de_visuelle_stile
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Heute.de zeigt mit der Montierung eines Textes auf weißem Grund in das Westerwelle-Titelbild die inhaltliche Zusammengehörigkeit der beiden Gestaltungselemente an. Mittels ‚maximaler Nähe‘ ist auf visuelle Weise dem Text die inhaltliche Erklärungsfunktion des Bildes zugewiesen. Eine weitere Überschrift auf orangem Grund ist unter den oberen Rand des Bildes gesetzt. Damit zeigt sie die Funktion einer Dachzeile, die ebenfalls als inhaltliche Hinführung zum Bild verstanden werden kann. Beide Textflächen umrahmen das Hauptmotiv des Bildes, den Kopf Westerwelles. Unter dem Teaser-Text, der durch engere Zeilenabstände als Einheit von Überschrift (durch Fettung angezeigt) und Fließtext markiert ist, folgt eine breitere Weißfläche, die eine inhaltliche Grenze zwischen dem oberen und dem unteren Textblock herstellt. Zweiter ist wiederum durch gleiche engere Zeilenabstände als Einheit gestaltet. Durch einzelne animierte Wortteile, die sich bei Curserüberfahrt zu erkennen geben, fungiert dieser Teil als Auflistung interner Links zum eingeführten Thema. Abweichend vom ‚klassischen Screendesign‘ einer Online-Zeitung (vgl. spiegel-online und tagesschau.de) weist die Startseite von heute.de als anfängliche Elemente des Content-Teils verlinkte Schlagzeilen in weißer Typo auf dem blau-grauen Hintergrund auf. Sie sind jeweils durch dünne weiße Linien als eigenständige Inhaltselemente getrennt, werden jedoch durch die gesetzte Nähe und Ähnlichkeit in Form von gleich gestalteter Mikro-Typografie (Schriftfamilie, Schriftfarbe) und Meso-Typografie (gleiche Zeilenabstände, Linientrennung, Zeilenabfolge: Pfeil, Uhrzeit, Schlagzeile) als einheitliche Formation erkennbar. Ihre meso-typografische Aufteilung in der Linkanzeige Pfeil, Uhrzeit und Schlagzeile realisiert zudem eine visuelle Anspielung auf die Aktualität der Online-Kommunikationsform Live-Ticker. Damit schreibt die Position über dem Titelbild den Schlagzeilen eine große Relevanz zu, die sich durch die Aktualität begründet. Tagesschau.de markiert inhaltliche Zusammengehörigkeit ebenfalls durch Platzierung von Text in die Nähe des (Titel-)Bildes. Dabei richtet sich das Online-Angebot an die im Print-Tageszeitungsbereich übliche Positionierung unmittelbar unter dem Bildelement. Durch Größe und Fettung von der oberen Dachzeile und dem unteren Fließtext kontrastiert, ist die Überschrift „Breite Mehrheit für Hilfspaket in Sicht“ besonders hervorgehoben. Aufgrund gleicher Zeilenabstände ist dieses Element (Dachzeile, Überschrift, Fließtext) als Einheit im Kontrast zum unten anschließenden Linkbereich gekennzeichnet. Dieser ist durch eine dünne weiße Linie vom Teaser-Teil abgegrenzt und zeigt abweichend breitere Zeilenabstände, die ihrerseits durch Linien getrennt sind. Als Link-Teil ist dieser Bereich durch Pfeile an den Zeilenanfängen sowie Video- und Ton-Icons charakterisiert. Von weiteren unten anschließenden Content-Elementen ist dieser
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Linkbereich durch breiteren Weißraum und anschließender blauer Rubrikenunterlegung abgetrennt. Am linken oberen Rand der hier analysierten Webseiten befindet sich bei heute.de sowie bei tagesschau.de das wichtigste Identifikationselement, das Logo der jeweiligen Nachrichtenmarke. Beide sind durch weiße Typo auf dunkelblauem Grund mittels Farb- und Hell-Dunkel-Kontrast salient gestaltet. Ein identitätsstiftendes Abgrenzungsmerkmal zeigt heute.de durch die Beifügung des auffällig orange leuchtenden ZDF-Logos und tagesschau.de durch die unterschiedlichen Linienstärken der Typo. Letztes weist mit der Fettung des Wortteils „schau“ eine Formkontrastierung innerhalb des Logo-Elements auf. Gleiches wird auch bei heute.de mit der fetten Hervorhebung des Wortteils „heute“ realisiert. Rubrikennavigationsbereiche sind bei beiden Auftritten durch Position (am linken Rand, oberer Sichtbereich) und mikro- sowie meso-typografisch markiert. Während sich heute.de auf eine einheitliche weiße Farbgebung sowie Strichstärke und -form samt gleicher Zeilenabstände beschränkt, unterlegt tagesschau.de ihre weißen Rubrikenbenennungen mit dunkelblauen Farbflächen. Diese markieren den Navigationsbereich noch zusätzlich in Abgrenzung zu den benachbarten Weißräumen, die jeweils als Abgrenzungen zum rechts angrenzenden blauen Gesamtseitenhintergrund und dem links anschließenden Content-Teil dienen. Bereits in Kapitel 5.4 wurde angedeutet, dass die massiven blauen Flächen der tagesschau.de-Navigationselemente im Vergleich zum ZDF-Design etwas klotziger und schwerer wirken. Die ZDF-Navigation ‚schwebt‘ ohne eigene Hintergründe auf dem grau-blauen Farbverlauf des Gesamtseitenhintergrundes. Beide Navigationsbereiche bedienen sich außerdem wechselnder Farbgebung zur Markierung der aktuell aufgerufenen Rubrik. Bei heute.de ist der entsprechende Rubrikenname in der Hausfarbe Orange eingefärbt. Tagesschau.de wechselt den blauen Farb-Hintergrund ins Weiß und die Schrift wird leicht gefettet schwarz. Außerdem tut sich bei manchen Rubriken ein Untermenü auf, das neue weniger gefettete Rubrikennamen präsentiert, die unter dem Hauptrubrikennamen platziert sind. Das ist im Vergleich zu heute.de ebenfalls ein Konsistenzbruch. Die Gesamtform des Navigationsbereichs verändert sich, indem die unteren Hauptrubriken nach unten wandern. Heute.de zeigt in den einzelnen Hauptrubriken ebenfalls weitere Navigationsmöglichkeiten. Dies ist jedoch konsistent gelöst, da je nach gewählter Rubrik die zugeordneten Schlagzeilen neben dem Navigationsbereich wechseln. Dieser Wechsel ist durch eine Animation harmonisch übergeleitet. Die neuen Schlagzeilen bewegen sich von rechts nach links, entlang der dünnen weißen Linien zu ihrer endgültigen Position neben dem Navigationsbereich.
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Bereits in vorherigen Abschnitten wurden Grundzüge der Motiv-Kontextinszenierung sowie Techniken der Herstellung von Zugehörigkeit und Abgrenzung angesprochen, die im Bereich des statischen und bewegten Bildes ebenfalls als Stil-Praxis der Komposition fungieren. Die vorliegenden Titelbilder von heute.de und tagesschau.de weisen diesbezüglich vergleichbare Stil-Elemente auf. So lässt die Körperausrichtung von Westerwelle eine diagonal abfallende Linie von links oben nach rechts unten imaginieren. Damit besteht eine Verbindung zwischen dem deutschen Außenminister und dem im Vordergrund zu sehenden Schild mit dem Aufdruck „Germany“. Da der Blick Westerwelles ins ‚Leere gerichtet ist‘, lässt sich hierdurch keine Verbindung mit anderen Elementen herstellen. Körperausrichtung und Blickrichtung von Personen sind für gewöhnlich starke visuelle Markierungen von Interaktion mit anderen Bildelementen bzw. Raumkontexten. Im vorliegenden Beispiel versetzt sich der Politiker aus dem räumlichen Kontext heraus in seine eigene Gedanken- und/oder akustische Welt des Dolmetschers. Bereits in Abschnitt 5.4 wurde auf die angedeutete Isolierung Westerwelles vom lokalen Kontext hingewiesen, die durch den Bildausschnitt realisiert ist. Es werden keine weiteren Elemente in Gänze gezeigt. Das Titelbild von tagesschau.de wurde in Abschnitt 5.4 als vorwiegend themenmotiviertes Symbolbild bestimmt. Dies setzt sich in der realisierten MotivKontext-Inszenierung fort. Die mit dem Euro-Zeichen bedruckte Einkaufstüte ist vor einer im dunklen Hintergrund gehaltenenden griechischen Flagge zu sehen. Damit ist ein Hell-Dunkel- bzw. Leuchtend-Matt-Kontrast im Zusammenspiel von Vordergrund- und Hintergrund realisiert. Dieser Kontrast kann konnotativ als eine dunkle Bedrohung durch Griechenland auf den durch die Farbgebung leuchtend und wertvoll charakterisierten Euro gelesen werden. Die hintergründige Flagge ist durch angedeutete Schattenflächen in windiger Bewegung dargestellt. Die leichte ‚Schieflage‘ des Euro-Zeichens kann bereits als erste metaphorische Auswirkung der ‚stürmischen Zeiten‘, die von Griechenland auf die EuroZone einwirken, gelesen werden. Eine solche visuell angelegte Interaktion ist natürlich wenig belegbar. Ist diese Lesart jedoch übersubjektiv nachvollziehbar, so kann sie als eine Nahegelegte gelten. Auf die weiteren Design-Elemente der beiden Webseiten soll hier nicht eingegangen werden. Es reicht der Hinweis, dass heute.de die weiteren anschließenden Content-Elemente über extrem querformatige und dominante Bildausschnitte präsentiert, während tagesschau.de die übrigen Content-Teile vornehmlich durch Text vorstellt und diese mit einem kleinen ‚Thumbnail‘ illustriert (siehe Abb. 5.31). Das schlanke und hochformatig ausgerichtete Screendesign von heute.de besteht aus nur einer Contentsäule, während im Vergleich dazu, tagesschau.de sich aus drei Säulen (Rubrikennavigation, Content, Themennaviga-
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tion) zusammensetzt. Damit scheint heute.de von einer verstärkten Scrollbereitschaft, die durch Touchscreens von Smartphones und Tablets angeregt sein kann, auszugehen. Abschließend wird die Aufmerksamkeit auf die Stil-Praxis der Komposition gelenkt, die sich ausschließlich auf das bewegte Bild in Form der Montage bzw. des Schnitts bezieht. Hierbei sind vor allem die Übergänge von einer Einstellung in die nächste thematisiert sowie die dramaturgische Inszenierung, die durch die syntaktischen Verknüpfungen realisiert sind. Abbildung 5.32: 1. Einstellung
Abbildung 5.33: 2. Einstellung
Abbildung 5.34: 3. Einstellung
Abbildung 5.35: 4. Einstellung
Abbildung 5.36: 5. Einstellung
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Der bereits bearbeitete Nachrichtenbeitrag über die Unruhen in Ägypten rund um den Präsidentenpalast Anfang Dezember 2012 (siehe Abb. 5.32-5.36) beinhaltet in diesem Zusammenhang ausschließlich harte Schnittfolgen. Das heißt, der Betrachter wird ohne mögliche Übergänge durch Auf-, Ab- oder Überblendung von einer Einstellung in die nächste geführt. Damit verfügt der Beitrag über ein hohes Tempo, da die Einstellungen selbst sehr kurz gehalten sind. Dies korrespondiert mit dem Inhalt, der zumeist actionreiche Demonstrations- sowie betroffen machende David-(zivile Demonstranten) gegen-Goliath-(Panzer und bewaffnete Soldaten) Szenen beinhaltet. Harte Schnitte gelten demgegenüber als relativ neutral, während allmähliche Übergänge durch Blendentechniken als kommentierende Führung des Zuschauers fungieren. Sie werden verstärkt im Spielfilm, also in fiktionalen bzw. erzählerischen Bewegtbildern verwendet. Ein Nachrichtenbeitrag sollte als relativ neutral berichtend angesehen werden. Die actionreiche Demonstration wird bildlich-reportagenhaft präsentiert. Der Zuschauer ist durch die vornehmlich in Normalperspektive aufgenommenen Bilder als Quasi-Zeuge des Geschehens angesprochen. Die harten Schnitte verursachen jedoch eine gewisse Distanz zum Gezeigten, da sie stark von der eigenen Weltwahrnehmung abweichen. Man kann sich nicht in solcher Geschwindigkeit von Schauplatz zu Schauplatz bewegen, so liefert der Beitrag trotz der emotionalen Inhalte doch eher einen visuellen Überblick. Er besteht aus ‚Schlaglichtern‘ auf die Ereignisse und stellt quasi eine ‚bewegte Fotoserie‘ dar. Jede Form experimenteller Übergänge würde der berichtenden Neutralität widersprechen und der Szenerie eine wirklichkeitsentfernende Narrativität verleihen. Die Montage der einzelnen Einstellungen ist einer orientierenden Beziehungsstiftung verpflichtet. Sie weisen bei Tageslicht ähnliche Motive auf (Panzer, zivile Demonstranten, urbane und palmbepflanzte Straßenzüge). Die Lichtverhältnisse verursachen ähnliche Farbwiedergaben von Gegenständen, lokalen Kontexten und Personen, so dass der Betrachter den Einstellungen eins bis drei eine chronologische Abfolge zuschreibt. Einstellung vier und fünf stellen aufgrund der dargestellten Lichtverhältnisse Nachtszenen dar. Der Betrachter befindet sich somit nicht mehr im gleichen Zeit-Kontinuum wie bei den vorigen Einstellungen. Er ist auf den sprachlichen Beitrag angewiesen, der die Einstellungen vier und fünf der vorausgehenden Nacht zuweist. So ermöglicht die MontageTechnik, auch visuell zeitliche Sprünge zu kennzeichnen. Die Abfolge von längeren und kürzeren Einstellungen bringt den Betrachter wahrnehmungsnäher und -ferner an das Gezeigte heran. Längere Einstellungen entsprechen seiner natürlichen Weltwahrnehmung eher. Er ist dabei generell im Raum-Zeit-Kontinuum ‚gefangen‘, während ihn der Schnitt und die Montage fortwährend aus diesem herausführen.
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Die Stil-Praxis der Komposition bringt die Praktiken der Auswahl und Formung in bedeutungsstiftende Beziehung zueinander. Im Abschnitt 5.6 werden diese Stil-Praktiken anhand konkreter Analysefragen für eine visuelle Stilanalyse operationalisiert. Diese können zum einen zur Orientierung für hermeneutische Verfahren der Produktanalyse bzw. qualitativen Inhaltsanalyse genutzt werden, zum anderen können sie als Hinweise der Erfassung visueller Gestaltung bei der Erstellung eines Codebuchs für quantitative Inhaltsanalysen dienen.
5.6 S CHLUSSFOLGERUNG : D IE
VISUELLE
S TILANALYSE
Als Konsequenz der beschriebenen Stil-Praktiken Auswahl, Formung und Verknüpfung wird in diesem Abschnitt ein Analysevorgehen vorgeschlagen, dass Praktiken methodisch operationalisieren lässt. Dies geschieht anhand konkreter Analysefragen. Ziel dabei ist es, visuelle Stilistik überindividuell greifbar und Analyseergebnisse intersubjektiv nachvollziehbar zu machen. Damit geht die vorliegende Studie über die Analyse von rein denotativen Gehalten der Bilder und Funktionen von Gegenständen hinaus und erfasst zusätzlich die konnotativen Anteile der Bild- und Produktgestaltung. Vor einer solchen Zielrichtung schrecken die meisten sozialwissenschaftlich ausgerichteten Verfahren aufgrund der Mehrdeutigkeit visueller Artefakte jedoch zurück. Eine Ausnahme bildet die bereits angeführte dokumentarische Methode von Bohnsack (2009), die mit Bezug auf die von Imdahl angeregte Ikonik (vgl. Imdahl 1996) sozialen Sinn auch in der Art der Bildkomposition analysieren lässt. Im Sinne einer Kunstlehre bleibt das konkrete Vorgehen dieser Methode jedoch sehr vage und hängt stark von den individuellen hermeneutischen Fähigkeiten des Analysierenden ab. Eine visuelle Stil-Analyse, wie sie in dieser Studie entwickelt wird, bleibt zwar ebenfalls der Offenheit eines qualitativen Verfahrens verpflichtet, jedoch gibt sie konkrete Analysefragen an die Hand, die die Interpretationen leiten sollen und für die Untersuchung mehrerer Bilddokumente eine Vergleichbarkeit und synoptische Abstraktion der Analyseergebnisse vereinfacht. Es wird folgender Analyseprozess vorgeschlagen: Nachdem zunächst eine konkrete Forschungsfrage formuliert wurde, die in der Endinterpretation zu beantworten ist, unterteilt sich der Analyseprozess in drei Phasen: 1. 2. 3.
Bestimmung des Untersuchungsmaterials Grobanalyse Feinanalyse
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Wie in der qualitativen Sozial- und Medienforschung üblich, wird zunächst mit der Forschungsfrage der Untersuchungsgegenstand bzw. das zu analysierende Phänomen dargestellt und das entsprechende Forschungsinteresse expliziert (vgl. Krotz 2005, Mikos/Wegener 2005, Flick 2006). Insbesondere geht es darum, theorie- bzw. hypothesengeleitet darzulegen, warum die Analyse des ausgewählten Falls für das eigene Forschungsanliegen aussagekräftige Ergebnisse verspricht und inwiefern es in den Theoriehintergrund einzuordnen ist. Bestimmung des Untersuchungsmaterials Bei der Bestimmung des (medialen) Untersuchungsmaterials sollten die spezifische Medialität bzw. Materialität und semiotische Kodierung der Daten sowie ihre soziokulturelle Prägung expliziert werden, da beides unmittelbare Auswirkung auf die visuelle Stilisierung hat. Dabei stellen sich insbesondere Fragen nach der vorliegenden medialen Kommunikationsform und dem kommunikativen Genre, wie es in Abschnitt 4.3 konzeptualisiert wurde. Erstes fokussiert die mediale und semiotische Konstituiertheit des Kommunikats und die damit prototypisch verbundenen kulturellen Praktiken. Zweites lässt die musterhafte Behandlung bestimmter kommunikativer Probleme thematisieren, die mit der Nutzung (Produktion/Rezeption) des vorliegenden medialen Kommunikats verbunden ist. Wie in Abschnitt 4.3 in Anlehnung an Holly (2011a) gezeigt wurde, lässt der Blick auf die Kommunikationsform die mediale bzw. materiale und semiotische Verfasstheit fokussieren sowie den damit verbundenen musterhaften Umgang in Abhängigkeit • • • • • • •
ihrer technisch-medialen-materiellen Basis (z.B. PC-Monitor, Smartphone, Telefon, Buchseite), des damit ermöglichten Einsatzes bestimmter Zeichensysteme bzw. Zeichenmodalitäten (z.B. Schrift, mündliche Sprache, Bilder/Grafiken), der damit verbundenen angesprochenen Sinnesmodalitäten (z.B. visuell, auditiv), der potenziellen Kommunikationsrichtung (z.B. unidirektional, bidirektional), der medialen Funktionsweise (z.B. Speicherung, Übermittlung), der Art der Übermittlung (z.B. elektronisch bei der E-Mail, materieller Transport beim Brief), der Zeitlichkeit (z.B. synchron, zeitversetzt),
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• •
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der möglichen Kommunikationspartner (z.B. 1:1, 1:n), des sozialen Status (privat/institutionell, öffentlich/nicht öffentlich)
und schafft somit eine hohe Transparenz des visuellen Artefaktes für die Analyse seiner stilistischen Gestaltung. Das Genre lässt sich als musterhafter Umgang mit semiotischen Ressourcen für das Verständnis und die Ausübung bestimmter sozialer Praktiken und Interaktionen verstehen. Dieses Wissen ist kontextuell gespeist durch praktische Erfahrungen in bestimmten Handlungsfeldern, kommunikative Erfahrungen durch bestimmte Diskursbeteiligungen und mediale Erfahrungen durch die Nutzung bestimmter Kommunikationsformen. Demnach ist das vorliegende Untersuchungsmaterial im ersten Schritt der Stilanalyse zum einen hinsichtlich der entsprechenden Kommunikationsform und zum anderen hinsichtlich des vorliegenden Genres zu bestimmen sowie in deren prägender Korrespondenz. Folgende Analysefragen ergeben sich dadurch: zur Kommunikationsform • Welche technisch-mediale materielle Basis liegt vor, welche Sinnesmodalitäten werden dadurch angesprochen und die Nutzung welcher semiotischer Ressourcen bzw. Zeichensysteme wird damit ermöglicht? • Welche potenziellen Kommunikationsrichtungen, Kommunikationszeitlichkeit, Kommunikationspartneranzahl ermöglicht die spezifische Funktionsund Übermittlungsweise des Medium? • Welchen sozialen und institutionellen Status hat die vorliegende Medienkommunikation? zum Genre • Was ist das kommunikative Problem, das mit dem vorliegenden Kommunikat gelöst werden soll? • Welche institutionellen, gruppen-/adressatsspezifischen, kulturellen und situativen Angemessenheitsvorstellungen sind mit der Realisierung des Kommunikats prototypisch verbunden? zur Korrespondenz • Welche stilistischen/gestalterischen Besonderheiten weist das gewählte Genre in der vorliegenden Kommunikationsform im Hinblick auf ihre mediale Produktion, semiotische Verfasstheit, institutionsbedingte/adressatenorientierte Inszenierung und spezifische Rezeptionspraxis auf?
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Grobanalyse Mit der Grobanalyse wird der denotative Gehalt des medialen, materialen bzw. multimodalen Kommunikats in den Vordergrund gestellt. Sie dient der Überblicksvermittlung über das Gesamtkommunikat, damit in der Feinanalyse nicht die inhaltliche und dramaturgische Kohärenz aus den Augen gerät. Eine an den stilistischen Merkmalen orientierte Feinanalyse braucht die ständige Rückbindung zum Ganzen, um die kommunikative Richtung der Details nicht außer Acht zu lassen. Die Grobanalyse bildet eine Inhaltsangabe bzw. Funktionsbeschreibung des zu untersuchenden Artefaktes bezogen auf die unter Punkt eins festgestellten Mustereigenschaften der vorliegenden Kommunikationsform und des Genres. Folgende Analysefragen leiten die Grobanalyse: •
•
•
•
Was ist dargestellt? Mit dieser Frage wird dem Thema des vorliegenden Kommunikats bzw. dem Gegenstand des Dargestellten sowie seiner Verortung im Raum- und Zeitkontinuum, politischen, sozialen bzw. kulturellen Handlungs- und Diskursfeld nachgegangen. Welcher Gesamtinhalt liegt vor bzw. welchem Zweck dient der Gegenstand? Mit dieser Frage erstellt man eine Inhalts-, Handlungs- bzw. Funktionszusammenfassung des Gesamtkommunikats samt beispielhaftem bzw. stichprobenhaftem Beleg dieses Verlaufs anhand einzelner Daten. Welche inhaltlichen Teilaspekte sind behandelt? Mit dieser Frage wird das Gesamtkommunikat in mögliche Unterthemen bzw. -funktionen sowie inhaltlichen Handlungssequenzen unterteilt und deren Kernaussagen zusammengefasst. Welche dramaturgische Verknüpfung liegt vor? Mit dieser Frage sollen die einzelnen Handlungssequenzen in ihrer dramaturgischen Funktion bestimmt werden. Prototypische Zuordnungen der Dramaturgie wären: Eröffnung, Entwicklung, Polarisierung, Auflösung, Konklusion.
Je nach Kommunikationsform ist die jeweilige Inhaltsbestimmung anzugleichen. So wird sich eine Grobanalyse eines Pressefotos in einer Tages- oder einer Online-Zeitung mit der Beantwortung der Frage: „Was ist dargestellt?“ begnügen können, während die Untersuchung der einzelnen Einstellungen eines Fernsehnachrichtenbeitrags in einer Grobanalyse alle Fragen behandeln sollte, also auch betreffende Handlungsverläufe und Dramaturgien.
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Feinanalyse Die Feinanalyse orientiert sich an den beschriebenen Stil-Praktiken der Auswahl, Formung und Komposition. Entsprechend der zu untersuchenden Medien bzw. materialen Gegenstände sind dabei die entsprechenden visuellen Zeichenmodalitäten und semiotischen Ressourcen zu bestimmen und in ihrer Bedeutungsstiftung zu analysieren. Exemplarisch werden an dieser Stelle nur die Fragen entwickelt, die für die Stilanalyse statischer und bewegter Bilder dienen können. Zur Praxis der Motivauswahl • Was ist dargestellt? Diese Frage behandelt kontextabhängig das Thema, dargestellte Ereignisse des vorliegenden visuellen Artefaktes. • Wer ist dargestellt? Diese Frage fokussiert kontextabhänig die zentral dargestellten Akteure, ihre Namen, mögliche Geschlechtszugehörigkeiten sowie ihr Alter. • Welche Objekte/Gegenstände werden möglicherweise als zentrale Bildmotive behandelt? Diese Frage behandelt kontextabhängig visuelle Artefakte, die keine Personen, sondern Tiere, Gegenstände etc. als zentrale Bildmotive zeigen. Hierbei sind, wenn bekannt, Name/Gattung, Form, Größe, Material, Textur und Farbe zu bestimmen. • Welche prototypische(r) (Symbol-)Funktion bzw. sozialen Nutzen/Zweck kommen den gezeigten Gegenständen in Abgleich mit den kulturellen und situativen Kontexten zu? Diese Frage fokussiert eventuelle prototypische Statusmarkierungen ihrer möglichen Nutzer bzw. mögliche Symbolfunktionen, die beispielsweise mit bestimmten Gebäuden, Einrichtungen, Luxusartikeln etc. kontextorientiert verbunden sein können. Im Falle von Bewegtbildern ist in diesem Zusammenhang auch nach ihrer entsprechenden Veränderung bzw. besonderen (symbolhaften) Behandlung zu fragen. Zur Praxis der Motivformung • Welche sozialen Praktiken bzw. soziale(n) Rolle(n) wird/werden mit dem Motivaussehen repräsentiert? Diese Frage fokussiert Aussehen der Akteure. Dies wird kontextabhängig zur Grundlage genommen, um kontextabhängig verbundene soziale Rollen/Funktionen, Typen, Status-, Milieu- und Gruppenzugehörigkeiten bzw. verbundene Identitäts- und Symbol-, und/oder Lifestylezuschreibungen zu rekonstruieren. • In welcher Handlungssituation befindet sich der Akteur und wie ist seine Körperhaltung darauf abgestimmt? Diese Frage fokussiert die Mimik, Gestik, Körperhaltung, -ausrichtung und die damit kontextabhängig verbundenen
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•
Handlungstypen: z.B. fröhlich, wütend, bedacht, hektisch, die durch die spezifische Handlungssituation, seine Rolle und den Kontext nahegelegt sind. Inwiefern verändern sich diese Akteursmerkmale im Laufe der Handlung? Diese Frage richtet sich auf mögliche Bewegtbilder, die in den abfolgenden Einstellungen bestimmte visuelle Modifikationen der Akteure zeigen.
Adressatenorientierte Formung • Welche Beziehung des Rezipienten wird durch die Kameraeinstellung(en) bzw. den Bildausschnitt zum Motiv nahegelegt? Mit dieser Frage wird die Beziehung zum Motiv, bezogen auf die Kameraeinstellung bzw. den Bildausschnitt, behandelt. Die Totale weist dem Betrachter eine distanzierte, objektive, unbeteiligte Beobachterrolle gegenüber dem Gezeigten zu. Die Halbtotale bringt den Betrachter in eine engere Beziehung zur Szenerie, er bleibt jedoch noch weiterhin unbeteiligt. Die Amerikanische macht die Betrachter zu Beteiligten der Szenerie; sie treten dem Gezeigten symmetrisch gegenüber/zur Seite/etc. Die Detail- oder Nahaufnahme bringt die Betrachter in eine unnatürlich enge und intime Beziehung zum Gezeigten. • Welche kontextabhängige Beziehung wird zum Gezeigten mittels Kameraperspektive aufgebaut? Die Frage richtet den Blick auf die Möglichkeit der Froschperspektive, die das Gezeigte mächtig und stark im Vergleich zur Betrachterposition erscheinen lässt. Die Normalperspektive stellt die Betrachter dem Gezeigten so gegenüber, als stünden sie tatsächlich wie der Kameramann in der Szenerie, sie werden zu quasi-beteiligten Augenzeugen. • Welche soziale Beziehung ist durch die Ausrichtung und Bewegungsrichtung des Gezeigten prototypisch nahegelegt? Mit dieser Frage wird der Gedanke der Quasi-Interaktion mit dem Gezeigten explizit aufgenommen und für die Semantisierung der Bildgestaltung genutzt. Blickt der gezeigte Akteur in die Kamera, wird der Betrachter von diesem quasi-adressiert, so dass ein maximales Involvement des Betrachters oder der Betrachterin gemäß eines Faceto-face-Gespräches nahegelegt wird. Ist der Blick neben die Kamera oder zu anderen Bildkomponenten gerichtet, weist dies dem Betrachter eine passivere Beobachterrolle zu. Allerdings bleiben diese im Falle einer Normalperspektive und/oder Amerikanischen weiterhin Teil der Szenerie. Bewegungsrichtungen von Motiven in Richtung Kamera weisen dem Betrachter einen bevorstehenden Quasi-Kontakt zu. Bewegungs(aus)richtungen innerhalb des Bildraums und/oder zum Bildrand suggerieren eine Beobachterrolle. • Welche soziale Beziehung zum Gezeigten wird durch mögliche Kamerahandlungen des Bewegtbildes nahegelegt? Durch die Möglichkeit des Zooms, der Modifikation der Schärfeverteilung oder der Kamerafahrt sind
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eventuell Kamerahandlungen im Bewegtbild realisiert, die ebenfalls prototypisch semantisiert werden können. Im Falle des Zooms wird der Betrachter bzw. die Betrachterin selbst durch den Bildraum geführt und einem vermeintlichen Motiv nähergebracht. Die Kamerafahrt bewegt die Betrachter durch den Bildraum, so dass dieser aus der bildlichen Zweidimensionalität filmsprachlich in eine Quasi-Dreidimensionalität überführt wird. Das Bild erhöht so seine Wahrnehmungsnähe. Durch die stufenlose Änderung der einzelnen Kameraeinstellungen und Perspektiven simuliert das Bewegtbild demgemäß Betrachterbewegungen und seine Motivfokussierungen. Die Betrachter befinden sich zunehmend in einer virtuellen Räumlichkeit, die auch den Status der Quasi-Interaktion mit dem Gezeigten erhöht, was ebenfalls zu beschreiben ist. Welches Verhalten zur/in der Szenerie wird dem Betrachter durch Zoom und Kamerafahrt nahegelegt? Durch die Kamerahandlung werden dem Betrachter bestimmte Rollen zugewiesen. So ist zu bestimmen, ob sie je nach Einstellung und Perspektive der Szenerie neutral-beobachtend gegenübergestellt oder in Form einer subjektiven Kamera Teil der Szenerie werden. Es ist zu berücksichtigen, ob der Betrachter durch den Bildraum wandert, rennt, flaniert, fährt in/auf einem Fahrzeug oder ob die Kamera unnatürlich zwischen den Einstellungen hin und herspringt, so dass keine Identifizierung mit der Kameransicht entstehen kann. Inwiefern ändert sich die Beziehung zum Gezeigten durch eine nahgelegte Standortveränderung der BetrachterInnen in der Szenerie und der dreidimensionalen Bildraumgestaltung? Eine Standortveränderung, die durch einen Schnitt realisiert ist, löst eine mögliche Identifizierung mit der Kamerasicht auf. Der Betrachter wird von der Dreidimensionalität einer Kamerahandlung in die Zweidimensionalität einer bildlichen Darstellung (zurück-) versetzt. Inwiefern wird aufgrund des Tons die Semantik der Kamerahandlung zur Charakterisierung des Gezeigten und der Beziehungsstiftung mit diesem modifiziert? Musik akzentuiert das Gezeigte atmosphärisch durch Genre-Stilistiken, Lautstärke- und Tempiwechsel. Geräusche dienen zudem einer authentizitätssteigernden Multimodalisierung des Gezeigten und schaffen Selektionen, indem sie die Aufmerksamkeit auf die vordergründig wahrzunehmende vermeintliche Geräuschquelle lenken.
Zur Praxis der Motiv-Komposition Diese Ebene fokussiert die sozialen Bedeutungen, die sich aus der gestalterischen Kombination und der visuellen Verknüpfung verschiedener Bildkompo-
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nenten ergeben. Insbesondere werden deren realisierte Kontrastierungen betrachtet, die bestimmte Prägnanzen ins Bild bringen und dadurch visuelle Hervorhebungen (Salienzen) bewirken. Die Hervorhebungen bzw. vermeintlichen Ordnungen der Bildkomponenten dienen kontextbezogen der Interpretation sozialer Bedeutung. Folgende Analysefragen ergeben sich: •
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Wo ist das Dargestellte verortet? Bei diesem Punkt werden kontextabhängige (symbolhafte) Bedeutungen des lokalen Ortes, an den das Motiv versetzt wurde, erfragt samt damit prototypisch verbundene soziale Ereignisse und Handlungen. Welche Hintergrundmusik wurde gewählt und welche sozialen Bedeutungen sind damit verbunden? Diese Frage betrifft nur entsprechendes Medienmaterial. Hierbei tritt die Konstituiertheit möglicher Begleitmusik hinsichtlich Lautstärke, Tempo und Dynamik und die damit prototypisch nahegelegte Atmosphäre zwischen den Polen Hektik und Ruhe, Spannung und Gelassenheit, Gefahr und Sicherheit in den Blick. Das dafür genutzte Musikgenre wie Klassik, Rock, HipHop, Techno/Lounge-Musik, classic/modern/elektronischer Jazz verweist mit der damit verbundenen stereotypisch aufgerufenen sozialen Stilistik auf einen bestimmten sozialen Status und bestimmte Milieu- und Gruppenpraktiken entsprechender Fankulturen. Welche sozialen Zugehörigkeiten und Abgrenzungen der Bildkomponenten lassen sich durch Bildaufbau und Bildstrukturen (Vektoren) ableiten? Diese Frage fokussiert die visuellen Merkmale, die eine Gruppierung markieren kann. Dies ist möglich durch ihre räumliche Nähe, durch gemeinsame Haltungen und imaginäre Linien (Vektoren) anhand von (Körper-)Ausrichtungen, gleichen Blickrichtungen, visueller Ähnlichkeit und/oder zur Formation zusammengefügten Positionierung. Welche sozialen Eigenschaften lassen sich dieser Gruppe prototypisch (siehe auch Merkmale der Motivformung) in Bezug zu übrigen Bildelementen zuordnen? Diese Frage lässt die visuellen Merkmale einer möglichen Distanzierung und Isolierung der Gruppe/des Individuums von anderen Bildelementen durch räumliche Distanz, Hintergrund-Vordergrund-Inszenierung, besonderes Aussehen, Formung, Farbgebung behandeln. Welche kontrastierenden Praktiken der Hervorhebungen (Prägnanzsetzungen, Salienzen) und Zurücksetzung sind realisiert? Diese Frage lässt Effekte eines visuellen Framings semantisieren. Salienz-Hinweise durch zentrierte und/oder isolierte periphere Positionierung des Motivs im Bildraum
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Salienz-Hinweis durch Platzierung bestimmter Bildkomponenten im Vordergrund-Mittelgrund-Hintergrund in Relation zu anderen Salienz-Hinweis durch bestimmte Größenverhältnisse (Proportionen) einzelner Bildkomponenten zueinander. Salienz-Hinweise durch Hervorhebung bestimmter Bildkomponenten durch Lichtführung (was ist hell/was dunkel?) und Schärfeverteilung (was ist scharf/was unscharf?). Salienz-Hinweis durch eventuelle Pointierungen mittels Ton beim audiovisuellen Artefakt durch Tempo- und Lautstärke(-wechsel) stimmlicher, musikalischer und geräuschlicher Tonalität als Symptom für bestimmte Atmosphäre, Sympathie/Antipathie, Wut etc. Salienz-Hinweise durch Farbgebung und -Kontraste. Welche sozialen Rollen, Dominanzen, Vergemeinschaftungen und Konflikte sind durch die Bildkomposition und Salienz-Hinweise kontextabhängig nahegelegt? Diese Frage leitet die Entwicklung einer zusammenfassenden und plausibilisierenden Interpretation, die zur Beantwortung der Forschungsfrage dienen soll.
Beispielanalyse Abschließend wird anhand der bereits bekannten visuellen Berichterstattung über den Truppenaufmarsch vor dem ägyptischen Präsidentenpalast in Kairo eine beispielhafte Analyse gezeigt. Dabei ist es nicht nötig, den gesamten Fragekatalog ‚abzuarbeiten‘, sondern es genügt, einzelne visuelle Stil-Aspekte gemäß einer konkreten Forschungsfrage zu behandeln.
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Abbildung 5.37: Sceenshot heute.de
Quelle: Sceenshot heute.de vom 06.12.2012, 12:00 Uhr
Abbildung 5.38: Anmoderation mit 1. Einstellung des Nachrichtenbeitrags „Machkampf in Ägypten“
Quelle: heute-Nachrichten- Sendung vom 06.12.2012 ab 15:00 Uhr Farbige Versionen siehe http://www.konnotation.de_ visuelle_stile
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Abbildung 5.39: Titelseite der Süddeutschen Zeitung
Quelle: Süddeutschen Zeitung vom 07.12.2012 Farbige Version siehe http://www.konnotation.de_ visuelle_stile
Forschungsfrage Die Forschungsfrage soll in diesem Fall sein: Welche möglichen Unterschiede und Gemeinsamkeiten lassen sich in der medienkonvergenten visuellen Stilistik über die gleiche Nachricht feststellen? Bestimmung des Untersuchungsmaterials Für die Analyse wurden drei verschiedene mediale Kommunikationsformen gewählt, die vergleichend analysiert werden. Dadurch sollen die visuellen Stile als visuelle Gestaltungsvariationen plastisch werden. Abbildung 5.37 zeigt die bereits bekannte Titel-Darstellung der Nachricht in der Kommunikationsform Website von heute.de. Mit Abbildung 5.38 liegt die Anmoderation und die erste Einstellung der entsprechenden Kommunikationsform Nachrichtensendung heute des ZDF vor. Als letzte Kommunikationsform wurde die Tageszeitung ausgewählt, die hier mit der Süddeutschen Zeitung vorliegt (Abb. 5.39). Die drei Beispiele sind kommunikationsfunktional einem nachrichtenorientierten Genre zuzuordnen, das je nach Kommunikationsform in unterschiedlicher visueller Stilistik realisiert ist.
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Zur visuellen Stilistik der Kommunikationsform a) Zeichensysteme und -modalitäten Die Online-Nachricht von heute.de besteht aus visuell wahrnehmbaren und multimodalen Sprache-Bild-Kombinationen, die durch animierte und farblich unterschiedene Schriftelemente hypertextuelle Verknüpfungen aufweisen. Die Anmoderation und der Fernsehbeitrag sind audiovisuell konstituiert. Sprache ist als typografisches Element in die erste Einstellung eingearbeitet. Der Beitrag ist während der Anmoderation zunächst als statisches Hintergrundbild repräsentiert. Bereits am Schluss der Moderation geht dieses jedoch in ein bewegtes Bild über und füllt anschließend den gesamten Bildraum. Die Süddeutsche Zeitung präsentiert visuell die Nachricht als statisches Titelbild, das durch unterschiedlich große und gefettete Typografie gerahmt ist. b) Kommunikationsrichtung Alle drei Nachrichtenangebote sind zunächst als One-way-Kommunikate organisiert. Es bestehen jedoch Kanäle, die eine zeit- und ortsversetzte Rückkopplung ermöglichen. Während das Online-Format über ein Forum verfügt, in das Kommentare zu den einzelnen Themen gepostet werden, können an den Fernsehsender Zuschauer- und an die Tageszeitung Leserbriefe versendet werden. Mögliche Antworten können ebenfalls postalisch, also nicht breiter wahrnehmbar, erfolgen. Die Zeitung kann jedoch die Leserbriefe ebenfalls veröffentlichen. c) Mediale Funktionsweise (Speicherung, Übermittlung, Zeitlichkeit) Alle Angebote werden über massenmediale Verbreitungsmedien einem dispersen Publikum angeboten. Allerdings ist dies bei der Online-Nachricht nur insofern gewährleistet, dass es sich um eine Online-Publikation unter der ‚Leitmedien-Marke‘ heute handelt. Durch fortschreitende Konvergenzentwicklungen ist zukünftig zu erwarten, dass der Status des Leitmediums Fernsehen bedingt zurück geht, denn durch die Rezeptionsmöglichkeit der Inhalte auf unterschiedlichen Pull-Medien ist auch eine fortschreitende Individualisierung des Mediengebrauchs zu verzeichnen. Die Übermittlung des Fernsehbeitrags bedient sich eines Push-Mediums, das über Kabel, Satellit oder DVBT realisiert wird. Die Tageszeitung liegt zwar als Pull-Medium am Kiosk zum Verkauf, sie wird jedoch als PushMedium verstanden, da der Inhalt selbst nicht vom Rezipienten, sondern von der Redaktion mit der Zeitung geliefert wird. Der Online-Beitrag ist im Pull-Medium über eine Internet-Infrastruktur abrufbar. Während die Zeitung und das Online-Angebot eine zeitversetzte Rezeption ermöglichen, liefert das Fernsehen seinen Beitrag zeitgebunden. Zweitverwertungen finden
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sich mit der gleichen Konvergenzentwicklung ebenfalls für einige Zeit im Netz. Da die Tageszeitung im freien Verkauf nur einen Tag erhältlich ist, muss auch diese zu diesem Zeitpunkt erstanden werden. Archiviert ist sie dann in persönlichen und öffentlichen Bibliotheken. d) Mediale Materialisierung Fernseh- und Online-Beitrag bestehen aus digitaler Materialität und sind somit situations- und ausgabemediengebunden (z.B. am PC-Monitor und/ oder Fernseher bzw. Note-, Netbooks mobil ebenfalls an Net- und Notebooks sowie Smartphone-Displays) rezipierbar. Die visuelle Berichterstattung ist demgemäß in der Farb- und Formatwiedergabe flexibel. Sie richtet sich nach den situativen Einstellungen des Ausgabegerätes. Die Tageszeitung verfügt demgegenüber über eine statische Materialität. Die visuelle Information ist durch den Druck mit dem Papier als Trägermedium zu einem manifesten Medienprodukt verbunden. Zerstörungen des Trägermediums haben nachhaltig Wirkung auf das Kommunikat (siehe Einriss am oberen Rand der Zeitung von Abb. 5.39). e) Sozialer Status (privat/institutionell, öffentlich/nicht öffentlich) Alle drei Angebote sind als professionelle journalistische Beiträge zu bewerten. Sie unterliegen damit einer hohen institutionellen Verfasstheit, die durch professionelle und redaktionelle Maßgaben verursacht ist. Sie sind zudem als öffentliche Medienprodukte einem ebenfalls öffentlichen bzw. global relevanten politischen Diskurs zuzuordnen. Zur visuellen Stilistik des Genres Mit Blick auf das Genre werden die musterhaften Lösungen bestimmter kommunikativer Problemlösungen thematisiert. In allen vorliegenden Fällen handelt es sich demnach um bildjournalistische Nachrichtenbeiträge. Während die statischen Bilder als Reportage-Fotografien näher zu bestimmen sind, weist der Fernsehbeitrag in den unterschiedlichen Einstellungen ebenfalls Reportagezüge auf. Alle Bilder zeigen in ‚subjektiver Normalperspektive‘ Schauplätze der Ereignisse und liefern dem Betrachter stellvertretend visuelle Eindrücke dieser. Nur die Anmoderation zeigt einen Nachrichtensprecher, der neutral als Nachrichtenübermittler in Szene gesetzt ist. Zur Korrespondenz Alle drei Bildformen können als Aufmerksamkeitsstifter für die entsprechende Nachricht angesehen werden. Die Süddeutsche Zeitung hat ein Bild der Nachricht als Titelbild und somit als Eyecatcher für den Kauf der Zeitung gewählt. Auch im Online-Angebot heute.de ist ein entsprechendes Foto als Eyecatcher zu
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Beginn der Rubrik Politik gesetzt. In der Fernsehnachrichtensendung nimmt der behandelte Beitrag eine vergleichbar hervorgehobene Stellung ein, indem er als erster Beitrag der Sendung fungiert. Somit haben alle drei Kommunikationsformen gemäß ihrer medialen Praktiken der visuellen Präsentation der Nachricht besonderes Gewicht verliehen. Grobanalyse Die drei Bildbeiträge zeigen als Hauptmotiv einen Panzer, der in urbanem Straßenkontext und zwischen zivilen Passanten zu sehen ist. Über sprachliche Mitteilungen wird deutlich, dass es sich um Panzer der ägyptischen Armee handelt, die anlässlich von Demonstrationen gegen und für Präsident Mursi vor den Präsidentenpalast aufgefahren sind. Sie sollen offiziell die Streitparteien auseinanderhalten, die in der Nacht zuvor gewaltsam aufeinandergestoßen sind. Ursache sind angekündigte Verfassungsänderungen, die die Machtposition des Präsidenten vor den Parlamentswahlen stärken. Unklar bleibt dabei die Rolle der Militärs. Ihr wird zum einen ein Ausbau der eigenen Machtposition unterstellt, wozu sie die Proteste nutzt. Andererseits vermeidet sie mit ihrer Präsenz weiteres Blutvergießen. Der Fernsehbeitrag zeigt neben Bildern des Tages nach den nächtlichen Auseinandersetzungen auch Ereignisse der Nacht selbst (siehe Abb. 5.32-36) und eine Stellungnahme des ägyptischen Vizepräsidenten. Dieser verteidigt die geplanten Verfassungsänderungen. Feinanalyse Zur Praxis der Auswahl Mit dem Hauptmotiv Panzer, der in allen drei Titelbildern zu sehen ist, werden pars pro toto kriegerische Ereignisse repräsentiert. Zudem befinden sich zivile Personen in den Bildern, was der kriegerischen Situation eine Besonderheit verleiht. Das einleitende Bild des Fernsehbeitrags sowie das Titelbild der Süddeutschen Zeitung geben darüber hinaus den Blick auf eine Straße frei, die im Fernsehbeitrag von Straßenlaternen und Bäumen flankiert wird. In der Zeitung zeigt sich im Hintergrund ein Wohnhochhaus mit Balkonen. Der Online-Beitrag präsentiert dort ein historisches Gebäude und Palmen, die die Szenerie in einen südlichen Kulturkreis versetzen. Die drei Medienbeispiele bedienen sich schriftlicher Elemente zur örtlichen und inhaltlichen Einordnung des Gezeigten. Der Online-Beitrag weist dafür als Dachzeile „Machtkampf in Ägypten“ und als Teasertitel „Tote bei Protest in
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Kairo – Panzer vor dem Präsidentenpalast“ auf. Die Süddeutsche Zeitung wird in ihrer Bildunterschrift noch konkreter: „Ein M60-Panzer nahe dem Präsidentenpalast in Kairo. Der Kommandant versicherte, die Soldaten würden ‚keine Gewalt gegen Ägypter anwenden‘“. Im Fernsehbeitrag ist die erste Einstellung während der Anmoderation zunächst als ‚Bild im Bild‘ gezeigt. Als weiteres Hauptmotiv ist der Nachrichtensprecher zu sehen. Hinter ihm erkennt man eine Grafik, die die ägyptische Nationalflagge andeutet. Sie symbolisiert das Land der Ereignisse. Zur Praxis der Formung Der Panzer fällt in allen Beiträgen vor allem durch seine auffällige Farbe und relative Größe auf. Er verfügt über eine orange-gelbe Erscheinung. Allerdings variiert die Färbung in den unterschiedlichen Medien. Im Online-Beitrag besitzt die Farbe durch die Monitor-Einstellung eine besondere Strahlkraft. Im Fernsehen geht die Farbe eher ins ‚Sandige‘ und auf dem Papier zeigt sich der Panzer etwas gelber. Eine solche Färbung deutet in allen Fällen den Einsatzbereich an. Als Tarnfarbe ist ein solches Aussehen nur in Wüstenbereichen funktional. Somit versetzt der Panzer die Ereignisse ebenfalls in südliche bis arabische Breiten. Der Panzer wird im Online-Beitrag und in der Süddeutschen Zeitung von der rechten Seitenansicht präsentiert. Im Fernsehbeitrag zeigt er sich von vorn, so dass der Betrachter durch die Kameraeinstellung vor das Kanonenrohr gestellt ist. Das Geschütz bewegt sich darüber hinaus im Bewegtbild auf den Zuschauer zu. Dadurch entsteht eine besondere Bedrohungssituation. Ist die Einstellung zu Beginn noch als statisches Bild im Hintergrund der Anmoderation zu sehen, so entfaltet sich die Bedrohungssituation vollständig, wenn der Beitrag im Vollbild gestartet ist. Man ist desweiteren einem Soldaten am rechten Bildrand gegenübergestellt und einem weiteren, der oben aus dem Panzer herausschaut. Durch seine Positionierung hinter dem Kanonenrohr befindet man sich quasi im Angesicht seines potenziellen Mörders. Man ist außerdem durch die Kameraperspektive leicht nach oben gewendet, so dass man als kleinere Figur dem schweren Gerät ausgeliefert und unterlegen ist. Es bewegen sich zwei Zivilisten in Augenhöhe auf den Betrachter zu. Sie erscheinen im Gegenteil wenig erregt und nehmen von dem Panzer keine Notiz. Weitere Passanten bewegen sich auf dem Gehweg in entgegengesetzte Richtung. Auch sie schenken dem Gefährt keine Aufmerksamkeit. Dies erscheint im Online-Beitrag anders. Der Betrachter ist durch die Kamera in eine Menschenmenge versetzt, die der rechten Seite des Panzers zugewendet ist. Einzelne Personen haben ihre Arme erhoben, sogar ihre Hand zur Faust geballt und zum Panzer ausgerichtet. Damit deuten sich dem Betrachter Gesten
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des Protestes an, die sich gegen die Präsenz des Panzers richten. Im Vordergrund ist abweichend eine Person mit Kapuze nicht zum Panzer gewendet. Sie scheint an die Brust eines Begleiters (vielleicht schutzsuchend) gelehnt. Die Kapuze wird nicht den Wetterverhältnissen geschuldet sein. Sie kann als Mittel einer leichten Vermummung gedeutet werden. Da die Kamera in der Menschengruppe steht, ist die Perspektive ebenfalls leicht nach oben gerichtet. Der Panzer überragt die Menge. Aus seinem oberen Geschützstand schaut ebenfalls ein Soldat heraus. Dieser ist jedoch nicht dem Betrachter zugewandt. Sein Blick entspricht der Ausrichtung des Panzers. Er schaut zum rechten Bildrand. Eine Quasi-faceto-face-Beziehung wie im Fernsehbeitrag besteht nicht. Dies ist auch nicht bei dem Zeitungstitelbild der Fall. Hier ist der Panzer ebenfalls nach rechts ausgerichtet. Wahrscheinlich steht er sogar, da er keine Person im Geschützstand aufweist und Zivilpersonen vorne und hinter dem Panzer passieren. Auch diese haben keinen Quasi-Blick-Kontakt mit dem Betrachter. Sie haben ihm den Rücken zugewendet, bewegen sich von ihm weg. Es stehen zwei zivile Personen vor dem Panzer ebenfalls in relativ entspannter Haltung. Der eine hat seine Hände in den Taschen, der andere schaut lächelnd zu einem Soldaten, der direkt unter dem Geschütz postiert ist. Er scheint von den Personen wenig Notiz zu nehmen, steht relativ konzentriert da. Seine Ärmel sind jedoch hochgekrempelt und gesenkt. Seine Aufgabe besteht mutmaßlich in der Bewachung des Panzers. Allerdings zeigt er selbst keine schwere Bewaffnung, so dass die Situation auch für ihn nicht bedrohlich zu sein scheint. Gemäß der Anmoderation weist der Fernsehbeitrag zunächst noch einen Nachrichtensprecher auf, der den Blick direkt in die Kamera gerichtet hat. Er adressiert so quasi die Zuschauer direkt, so dass seine Informationen an sie gerichtet sind. Er ist in einem hellgrauen Anzug mit weißem Hemd und Krawatte gekleidet, sein Haarschnitt ist ordentlich und die Mimik ist ernsthaft und leicht betroffen. Der Anzug zeigt ihn in offizieller Funktion. Er soll glaubwürdig und seriös erscheinen, wie die Nachrichten, die er zu präsentieren hat. Seine Gestik ist zurückhaltend, um die sprachlichen Informationen nicht zu überlagern. Er ist auf Augenhöhe dem Betrachter gegenübergestellt, so dass eine Quasi-face-toface-Situation inszeniert ist. Allerdings steht ein Tisch zwischen Kamera und Sprecher. Auf diesem Tisch sind seine Nachrichtenzettel abgelegt und seine Hände gestützt. Der Tisch bildet eine Barriere zwischen Zuschauer und Moderator. Er ist eine Art Pult, der der Funktion des Nachrichtensprechers einen offiziellen Verlautbarungscharakter verleiht. Die Flagge Ägyptens, die sich neben dem Bild der ersten Beitragseinstellung ebenfalls im Hintergrund befindet, weist sehr gedeckte Farben auf. Sie verschwindet fast im blauen Farbverlauf der Studio-Sender-Farbgebung. Durch diese Zurückgenommenheit kommt ihr nur ein
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sehr geringer Informationswert zu. Sie fungiert eher als Dekoration, denn als nationalstaatliches Identifikationsinstrument. Zur Praxis der Komposition Alle drei Darstellungen verfügen über ähnliche Kontraste, die ihnen besondere Wirkmächtigkeit verleihen. Dominant sind die Farb-, Form- und Inhaltskontraste, die der Panzer in Korrespondenz zum lokalen Kontext bildet. Seine leuchtende Farbe sticht in allen Bildern vom grau-weiß dominierten Hintergrund hervor. Er ist zudem geprägt durch den Hell-Dunkel-Kontrast seines Chassis und seines Geschützrohrs sowie seiner Ketten. Er bindet die Aufmerksamkeit ferner über seine bildzentrierte Position und seine dominante Größe und Masse im Vergleich zu den ebenfalls abgebildeten Passanten. Der inhaltliche Kontrast wird gebildet mit der Versetzung des Panzers in den urbanen und zivilen Kontext. Seine Form und Funktion macht ihn für einen Einsatz im schwer zugänglichen Gelände und Landschaften tauglich. Sein Gewicht und seine Panzerung bilden Ausstattungen für schwere Gefechtssituationen. Im konkreten Fall ist der Panzer jedoch unbewaffneten und leicht verletzlichen Zivilpersonen gegenübergestellt. Dies verursacht beim ersten Blick eine David-gegen-Goliath-Situation, die den Betrachter spontan zunächst an die Seite des vermeintlich Schwächeren bringt. Beim näheren Hinsehen zeigen sich jedoch einige Brüche dieses inhaltlichen Kontrasts. Die zivilen Passanten erscheinen durch die Präsenz des Panzers wenig verängstigt oder bedroht. Sie bewegen sich auf der Zeitungsseite und im Fernsehbericht ungerührt am Kriegsgerät vorbei. Er wurde fast schon als urbane Normalität akzeptiert. Im Online-Beitrag sieht das anders aus. Hier zeigen sich deutliche Protestgesten. Allerdings weichen auch hier die zivilen Personen nicht zur Seite, sondern haben Gelegenheit, ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Die Panzerinsassen scheinen nicht mit Gefechtshandlungen auf die Proteste zu reagieren, sondern begnügen sich mit der Präsenz. Sie sind mit ihren Gesichtern deutlich zu erkennen, so dass auch keine bedrohliche Anonymität zum vermeintlichen Täter besteht. Das Geschützrohr ist auf keine Person, sondern über die Menschenmenge hinweg gerichtet. Die Panzerinsassen weisen die gleiche Blickrichtung auf. Sie scheinen eher als gemeinschaftliche Besatzung mit der unfallfreien Fortbewegung des schwerfälligen Gefährts beschäftigt zu sein als mit aggressiven Kampfhandlungen. Im Zeitungsbild steht eng vor dem Panzer unter dem Geschützrohr ein Soldat, der ebenfalls wenig Notiz von den Passanten nimmt. Er ist so auffallend dicht vor das Gefährt positioniert, dass man den Eindruck bekommt, er fühle sich in seiner Funktion als wachhabender Soldat nicht sehr wohl. Er nimmt kei-
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nen eigenen Bewegungsraum ein, sondern lässt die Zivilisten dicht bei ihm verharren bzw. vorbeiziehen. Besonders deutlich hebt sich der Kontrast im Fernsehbeitrag auf. Das Geschütz ist zwar dem Betrachter zugewendet, im Bewegtbild nähert sich der Panzer auch diesem zusehends. Allerdings erscheint er folgend als ‚normaler‘ Verkehrsteilnehmer. Er fährt auf der korrekten Fahrbahnseite, lässt sich als langsames Fahrzeug von schnelleren Autos überholen. Der begleitende Soldat im Vordergrund nimmt ebenfalls kaum Notiz vom Betrachter/der Kamera. Er ist nicht schwer bewaffnet, sondern geht relativ entspannt vorbei. Zwischen Panzer und Kamera ist schließlich ein ziviler Passant positioniert. Er geht vor dem Panzer her und scheint ebenfalls nicht in Eile zu sein. Er bildet quasi noch ein ‚freiwilliges Schutzschild‘ zwischen Betrachter und Panzer. Dennoch weisen Text sowie Anmoderation auf eine Quasi-Kriegssituation in Kairo hin. Sie unterstützen den ersten Eindruck der David-gegen-Goliath-Situation. Gesamtinterpretation Die visuelle Präsentation der Nachricht über die Beteiligung des Militärs als Reaktion auf die Verfassungsunruhen in Kairo schließt an den global wahrgenommenen Diskurs in Ägypten an. Dieser liefert ein Feld von Akteuren, Ereignissen und Entwicklungen, die mit dem aktuellen Geschehen bedeutungsstiftend in Verbindung gebracht werden. Sie werden als Auswirkungen der weiterhin unruhigen politischen und verfassungsrechtlichen Situation in Ägypten gesehen. Während revolutionäre Unruhen den langjährigen Präsidenten Mubarak aus dem Amt gebracht haben, ist aktuell auch der neu gewählte Präsident Mursi unter scharfer Kritik. Er gehört der Muslimbruderschaft an, die ein streng religiöses Selbstverständnis in die Politik trägt, während viele Proteste von westlich- und säkularorientierten Demonstranten ausgingen. Gegner und Anhänger Mursis stehen sich vor den neuen Parlamentswahlen feindlich gegenüber. Das Militär wurde nun zur ‚Schlichtung‘ auf der Straße eingesetzt. Da der westliche Medienframe ebenfalls eher skeptisch gegenüber islamistisch orientierten Machthabern berichten lässt, scheint der Truppenaufmarsch eher als Bedrohung denn als Beruhigung gesehen zu werden. Die Bildkommunikation bestätigt dies zunächst unter Einfluss der sprachlichen Zuschreibungen. Sie ruft mit der Präsentation von Panzern einen ‚Kriegsframe‘ auf. Damit spielt sie auf ein hoch emotionales und brutales Handlungsfeld an. Krieg ist die maximale gewaltvolle Auseinandersetzung. Er wird mit der modernsten zur Verfügung stehenden Technik geführt und ist auf Schwächung
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des Gegners durch dessen Tötung ausgerichtet. Die Bilder zeigen nun ein konstitutives Element moderner Kriegsführung. Die Präsenz von Panzern im urbanen und zivilen Kairo lässt somit maximale Aufmerksamkeit erwarten. Die Präsentation der Geschütze mag ferner durch ihren Nachrichtenwert motiviert sein. Sie repräsentieren eine neue Entwicklung im Ägyptendiskurs, indem sie pars pro toto das Einschalten der Armee in die Auseinandersetzungen zeigen. Andererseits ist durch das offensichtliche Machtgefälle zwischen Zivilisten und schwerem Kriegsgerät eine visuelle Dramatik gegeben, die den aufmerksamkeitsstiftenden Sensations- und Betroffenheitsbedürfnissen der Medien in die Hände spielt. Im Sinne einer kritischen Stilanalyse müssen auch mögliche Alternativmotive gedacht werden, die durch die gewählten außer Acht gelassen wurden. Da sich auf den gezeigten Bildern keine gewaltsamen Auseinandersetzungen befinden, gab es sicherlich auch zahlreiche Gespräche zwischen Militärs und Demonstranten. Diese möglichen Ausgleichshandlungen werden jedoch nicht bildlich dargestellt. Auch die in den Bildern ermittelten inhaltlichen Kontrastbrüche stehen der oberflächlichen Dramatik entgegen. Ihnen wird nicht größeres Gewicht gegeben, da in den sprachlichen Ko-Texten darauf nicht weiter eingegangen wird. Es kann somit vermutet werden, dass die Berichterstattung die eigentliche Situation in Kairo in einer gewissen Weise ‚übertrieben‘ darstellt. Eine solche Vermutung lässt sich aus Mangel an weiteren Belegen allerdings nicht mit aller Überzeugung äußern. Sie ist als Möglichkeit mit in Betracht zu ziehen. Die verschiedenen hier untersuchten Kommunikationsformen unterscheiden sich in ihrer visuellen Stilistik nicht grundsätzlich. Sie zeigen alle drei das gleiche Hauptmotiv. Ein Panzer befindet sich im urbanen Raum gemeinsam mit zivilen Passanten. Alle Bildteile zeigen keine direkten Auseinandersetzungen, die Panzer scheinen nicht im kriegerischen Einsatz zu sein. Allerdings haben sich im Detail einige Unterschiede feststellen lassen. Eine dem Bürgerkriegsframe entsprechende Szenerie zeigt sich im Online-Beitrag. Hier sind gegen die Panzerpräsenz protestierende Menschen zu sehen. Der Betrachter sieht sich durch die Kameraperspektive als Teil dieser Gruppe, so dass eine ähnliche Protestperspektive auch ihm als Identifikationsangebot gemacht wird. Auf jeden Fall wird dem Zuschauer nicht die Sichtweise der Militärs bildlich nahegelegt. Der Fernsehbeitrag bedient den Bürgerkriegsframe am stärksten. Er zeigt den Panzer von vorn in sich nähernder Bewegung. Die Dramatik wird durch die anschließenden Einstellungen extrem verstärkt. Hier zeigen sich militante Demonstrationsszenen, brennende Autos und Tonnen. Der Panzer erscheint so tatsächlich als Bestandteil bürgerkriegsähnlicher Zustände. Das Titelbild der Süddeutschen Zeitung bedient sich ebenfalls der aufmerksamkeitsstiftenden farblichen und inhaltlichen Kontraste. Allerdings zeigt sich
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der Panzer ohne Besatzung und passiv abgestellt. Hier ist die geringste bildliche Sensationalisierung realisiert, was möglicherweise dem Image der neutral berichtenden Süddeutschen Zeitung entspricht.
6. Fazit und Illustrationen
Die vorliegende Studie hatte das Ziel, ‚die visuell wahrnehmbaren (Medien-) Artefakte zum Sprechen zu bringen‘. Die besondere Relevanz eines solchen Unterfangens liegt in der festgestellten Dynamisierung visueller Praktiken, die eng verbunden ist mit der fortschreitenden Mediatisierung und Digitalisierung interpersonaler und gesellschaftlicher Kommunikation (vgl. Abschnitt 2.5). Mit der Untersuchung eines solchen mit Krotz (2007) zu verstehenden ‚Meta-Prozesses‘ formulierte die vorliegende Schrift das Anliegen, Brücken zwischen Disziplinen, Begriffen, Methoden und Medien zu schlagen (vgl. Kap. 0.). Sie hat dies mit der Entwicklung eines sozialsemiotisch ausgerichteten Stil-Begriffs verfolgt, der es erlaubt, die soziale Funktion des WIE visueller Kommunikation zeichentheoretisch fundiert zu erfassen. Seine Anwendung reduzierte sich dabei nicht auf die Konzeptualisierung visueller Medienkommunikation, sondern lässt sich auch auf die Untersuchung kommunikativ genutzter Erscheinungen außermedialer Artefakte ausweiten. Mit der Fokussierung auf visuelle Stile hat sich vordergründig die Studie auf die Ansprache visueller Sinne beschränkt. (Medien-)Kommunikation vollzieht sich jedoch nicht nur monomodal, sondern ist in ihrer bedeutungsstiftenden Funktion immer in Korrespondenz mit anderen Zeichen- und Wahrnehmungsmodalitäten anzusehen. Sie ist eingebunden in multimodale Zeichenensembles. Demnach ist die hier eingenommene Perspektive als Beitrag dazu zu verstehen, die visuellen Anteile in diesen multimodalen Kommunikationspraktiken vertiefter analysieren zu können (vgl. Abschnitt 2.5). Visuelle Stile wurden als Phänomene einer visuellen Kultur gekennzeichnet (vgl. Abschnitt 2.4), die wiederum Brücken zwischen materialer, medialer, mentaler und sozialer Kultur herstellen lassen. Sie sind als zeichenhafte Formgebung materialer Gegenstände und/oder Medienprodukte beschrieben worden, die bestimmte soziokulturell konventionalisierte Umgangs- und Nutzungsweisen nahelegen. Die Gegenstände und Medienprodukte wurden als Bestandteile materialer
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und medialer Kultur behandelt, während die Vorstellungen von Nutzungsweisen einer mentalen Kultur zuzuschreiben sind (vgl. Abschnitt 4.7). Diese liefert die nötigen Kodes und Normfelder, die die individuelle Nutzung der medialen und außermedialen Gegenstände organisieren. Visuelle Stile lassen sich mit der hier entwickelten Perspektive als Elemente einer sozialen Kultur kennzeichnen, da sie als zeichenhafte Formgebung materialer Gegenstände und/oder Medienprodukte in Interaktionen zu Kommunikationsinstrumente werden (vgl. Abschnitt 3.8). Mit der vorgenommen Sichtweise wird eine weitere Erkenntnis der Arbeit deutlich. Sie zeigt, dass neben der fortschreitenden Mediatisierung und Digitalisierung auch eine Konvergenzentwicklung zu beobachten ist, die die materiale und mediale Welt als Ergebnisse von Design-Praktiken zusammenführt. Damit hat die vorliegende Studie Design als kommunikative bzw. soziale Praxis in besonderer Weise herausgestellt. Sie schreibt zu einer solchen Entwurfspraxis eine ähnlich kulturstiftende Relevanz, wie ihr jüngst auch von Seiten der Kultursoziologie zugeschrieben wird. Adäquate Konzepte und Methoden zur Untersuchung von Design sind in diesem disziplinären Zusammenhang jedoch noch sehr strittig: „Die Kultursoziologie des Design kann sich also nicht auf eine der hier vorgestellten Theorien [Technology Studies (STS) und Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT); SM] allein verlassen. Um die stumme Welt der Dinge zum Sprechen zu bringen, bedarf sie vielmehr eines Theorie- und Methodeninstrumentariums, das die sozial ausgehandelte Bedeutung von Dingen mit der strukturierenden Funktion visueller Ordnungen sowie den materiellen Handlungsprogrammen von Artefakten zusammendenkt. In diesem Sinne scheint eine kultursoziologische Betrachtung des Designs in dem Bereich zwischen >visual-< und >material turn< angesiedelt zu sein, deren Analyseprogramme mithilfe eines Konzeptes der sinnlichen Wahrnehmung miteinander verschaltet werden müssen.“ (Prinz/Moebius 2012: 14)
Prinz und Moebius (ebd.) führen an, dass die Kultursoziologie aktuell Design mit Ansätzen der Praxistheorie zu konzeptualisieren verfolgt, welche auch in dieser Arbeit Anwendung gefunden haben (vgl. Abschnitt 4.1). Sie stellen jedoch selbst fest, dass in der Kultursoziologie für die konkret sinnlich-affektive und praktisch-materielle Gestaltung der Dinge und Medien noch ‚relative Bildheit‘ herrscht. Auch wenn in den Medien- und Kommunikationswissenschaften verstärkter auf die visuelle Gestaltung medialer Artefakte geschaut wird, so fehlt jedoch auch hier noch ein dezidiertes Begriffs- und Methodeninstrumentarium konkrete (Medien-)Design-Praktiken untersuchen zu können.
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Es wurde aus diesem Grund ein Ansatz entwickelt, der mit Hilfe ‚transdisziplinärer Brücken‘ gegenstandsbezogen Konzepte und Methoden aus den unterschiedlichen sozial- und kulturwissenschaftlichen Wissensfeldern zusammengeführt hat. So ließ sich über den Stil-Begriff eine kunst- und designwissenschaftliche Expertise zur Untersuchung kommunikativer und sozialer Funktionen von visuellen Artefakten mit der kultursoziologischen Fokussierung auf symbol- und praxisbasierter Identitätsstiftung und Vergemeinschaftung integrieren. Stil erfuhr im Gegenzug eine kommunikationsstrukturelle und -funktionale Schärfung durch linguistische Konzepte und Verfahren sowie eine zeichen- und kodetheoretische Fundierung durch semiotische Herangehensweisen. Jedoch konnte erst eine medien- und kommunikationswissenschaftliche Betrachtung das Mediale als soziale und materielle Vermitteltheit von Stil herausarbeiten (vgl. Kap. 4). Zusammenfassend lässt sich formulieren, dass die kultursoziologische Praxistheorie ein Verständnis für soziale Praktiken, die sich, medienwissenschaftlich betrachtet, in der Produktion und im Umgang mit (medienbasierten) Materialitäten äußern. Die sozialsemiotische Perspektive ließ demgegenüber die Formung dieser Materialitäten als zeichenhaft-performative Äußerungshandlungen und/oder indexikalische Identitäts- und Zugehörigkeitsmarkierungen (vgl. Kap. 1, Abschnitt 3.8) konzeptualisieren. Darauf aufbauend konnte die vorliegende Arbeit einen Entwurf einer Stilistik visueller (Medien-)Kommunikation entwickeln. Die Basis für die Entwicklung einer solchen Sichtweise war ein medientheoretischer Zugriff, der weniger Unterscheidungen von Einzelmedien vornimmt oder ihre möglichen intermedialen Verbindungen ermitteln lässt. Vielmehr wurde die Ansicht vertreten, dass visuelle Stile als visuelle Praktiken einer mediatisierten Konvergenzkultur zu betrachten sind (vgl. Abschnitt 4.7). Damit wurde ferner der zunehmenden Digitalisierung Rechnung getragen, die eine gesteigerte Flexibilisierung visuell-materieller Manifestationen bewirkt. Visuelle Ausprägungen zeigten sich eng verbunden mit Bedingtheiten der jeweiligen Produktions- und Ausgabemedien (vgl. Abschnitt 4.1, 4.2). Produktion und Rezeption visueller Artefakte gehen demzufolge nicht unbedingt mit identischen visuellen Stilisierungen um. Diese können sich anhand von Auflösung, Farbintensität, Größe und/oder Helligkeit vehement unterscheiden. Allerdings schaffen visuelle Stile auch Wiedererkennbarkeit durch identische Formen, Farbverwendungen, Hell-Dunkel-Verteilungen, Proportionen und Linienführungen, so dass sie gleichzeitig konstituierend zur Konvergenzstiftung beitragen. Die Studie konnte herausarbeiten, dass Medienkommunikate in den unterschiedlichen Ausgabe-
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und Darstellungsmedien so zu einem Großteil erst durch ihre vergleichbare visuelle Stilistik als Konvergenzphänomene bestimmbar sind (vgl. Abschnitt 4.6). Die visuellen Stil-Praktiken wurden weiterhin als Praktiken der Auswahl, Formung und Komposition von symbolhaft genutzten und medienermöglichten materiellen Ressourcen differenziert (vgl. Kap. 4). Sie erfahren durch subjektiv relevant gesetzte kulturelle und situative Kontextfaktoren kommunikative Ausrichtung (vgl. Kap. 5): Die Stil-Praxis der Auswahl ließ sich als bedeutungsstiftende Referenz auf Themen, Motive, Gegenstände und Konzepte mittels bestimmter Zeichensysteme (medienbedingter Modalitäten) bestimmen (vgl. Abschnitt 5.3), die durch Bezüge zu kontextuellen Handlungsfeldern und Diskursformationen nahegelegt sind. Die Auswahl vollzieht dabei ein Visuelles Framing (vgl. Abschnitt 5.1), indem nur bestimmte Inhalte dargestellt und Signifikationen vorgenommen werden, während andere ungezeigt bzw. unsichtbar bleiben. Hier wurde in Anlehnung an kognitionslinguistische Vorstellungen die Stil-Praxis der Auswahl in eine Slot-Filler-Strukturierung eingearbeitet. Frames werden dadurch in ihrer Kontextualisierungsfunktion konkret. So sind prototypische Motiv-Auswahlen als Standard-Werte zu behandeln, die sich in bestimmte Diskurs- und Handlungskontexte einordnen lassen. Die Arbeit hat davon ausgehend auch ein kritisches Verfahren der Stilanalyse vorgeschlagen. Diese hat zum Ziel, alternativ mögliche Spielarten von (Medien-)Gestaltung, den realisierten und an den StandardWerten ausgerichteten gegenüberzustellen. Damit wird das vermeintlich Faktische gegebener Medienkommunikation relativiert und mögliche Marginalisierungen offenbar, die durch Fragen nach framingmotivierenden Interessenlagen ergründet werden können. Auf diese Weise konnten Praktiken der Strukturierung von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit im Sinne des Forschungsprogramms der Visual Culture Studies (vgl. Abschnitt 2.1) mit Hilfe von Framing-Ansätzen verdeutlicht werden. Die Stil-Praxis der Formung ließ sich als Art und Weise konzeptualisieren, inwiefern die Modalitäten als kommunikativ genutzte Materialitäten (medienbedingte semiotische Ressourcen: Linie, Fläche, Gestalt, Farbe etc.) identitäts- und beziehungsstiftend gestaltet sind (vgl. Abschnitt 5.4). Auch hierdurch wurde eine Framing-Praxis deutlich, die mittels Formung konnotative Kommentierungen der ausgewählten Materialien, Themen, Motive, Konzepte sowie Zeichenmodalitäten vornehmen lässt. Gezeigte Personen bzw. Gegenstände erhalten durch ihr Aussehen stereotypenabhängig status- und milieubezogene bzw. charakterliche Zuschreibungen. Auch hier wird die standard-orientierte Slot-Filler-Struktur von diskurs- und handlungsfeld motivierten Frame-Konzepten deutlich. Format, Perspektive und Ausschnitt sind auf diese Weise in Produktion und Rezeption an
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musterhaften Beziehungen eines impliziten Betrachters zum (gezeigten) Objekt orientiert. Die Stil-Praxis der Komposition schließlich ließ sich ebenfalls als FramingPraxis konzeptualisieren. Sie ist die Ursache für mögliche salienzstiftende Kontrastierungen, die bestimmte Elemente der visuellen Kommunikation hervorheben und andere in den Hintergrund treten lassen (vgl. Abschnitt 5.5). Farb-, Form- und Inhaltskontraste wurden in dieser Funktion detailliert beschrieben und anhand von Beispielen als Phänomene der formalen Aufmerksamkeitsstrukturierung analysiert. Sie zeigen sich m.E. kommunikationsfunktional objektivierender als andere bildanalytische Verfahren wie zum Beispiel die dokumentarische Methode oder ikonografische Ansätze. Grund dafür ist zum einen die systematische Einarbeitung der Gestaltgesetze. Diese dienen im professionellen Design häufig als Richtlinien für effektvolle Gestaltung und können daher auch als Schlüssel für entsprechende Interpretationen herangezogen werden. Sie schulen den analytischen Blick, um aufmerksamkeitsorganisierende Funktionen von Gestalt und Figurationen in Abgrenzung zu abweichenden Einzelphänomenen und (Hinter-) Gründen zu erkennen. Zum anderen wurde die durch Johannes Itten inspirierte Farb- und Formlehre in dieser Arbeit methodologisch nutzbar gemacht. Sie stellt Kriterien zur Verfügung, bestimmte Farb- und Formkompositionen in ihren aufmerksamkeitsstiftenden Kontrastierungen bestimmen zu können. So konnte ein konkreter Katalog an Merkmalen salienzstiftender Kontrastierungsinstrumentarien erstellt werden. Er liefert für die Erkennung und Analyse visueller Stile eine intersubjektiv nachvollziehbare Kategoriensammlung, was als ein besonderes methodologisches Anliegen dieser Arbeit herauszustreichen ist. Die genannten Kategorien leiten sich aus den in Abschnitt 5.6 aufgeführten Analysefrage ab und bieten in gleicher Weise für die Stil-Praktiken der Auswahl und Formung eine detaillierte Orientierung der bedeutungsstiftenden Korrespondenzen zwischen kulturellen und situativen Kontexten und der Gestaltung semiotischer Ressourcen zur Stiftung von Identität und sozialer Beziehung. Anhand der an diesen Korrespondenzen orientierten visuellen Stilanalyse steht nunmehr ein methodisches Instrumentarium zur Verfügung, das visuelle Stilisierung als (medien)kommunikative Praxis ‚in den Griff zu bekommen‘ verspricht. Hierfür wurde ein konkretes Analysevorgehen der Untersuchungsmaterialbestimmung, der Grob- und der Feinanalyse entwickelt, welche durch einen entsprechenden Katalog von Analysefragen zu intersubjektiv nachvollziehbaren Ergebnissen führen soll. Interpretative Stilanalyse als Instrument qualitativer Medien- und Designforschung ist so ein Stück weit weniger ‚Kunstlehre‘. Vielmehr wurde sie einer größeren Systematisierung unterzogen, was sie auch für die Codebucherstellungen von quantitativen Inhaltsanalysen brauchbar macht.
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Ein besonderer Schwerpunkt dieser Studie bestand darin, die konkreten Interdependenzen zwischen visuellen Stil-Praktiken und Kontexten zu explizieren, da die Bedeutungsstiftung visueller Kommunikate dominant durch diese Interdependenzen entsteht. Ein Bild bleibt bedeutungsleer, wenn nicht klar ist, welcher sichtbarmachenden Diskursformation bzw. welchem Framebereich (vgl. Kapitel 5) es zuzuordnen ist. Visuelle Anspielungen werden nur deutlich, wenn ihnen bestimmte zugrundeliegende Handlungsfelder zugeschrieben werden können. Bedeutungszuschreibungen beruhen generell auf Musterwissen, das auf kontextbezogenen kommunikativen Erfahrungen beruht. Aus diesem Grund musste die Studie ein besonderes Augenmerk auf die Bestimmung des KontextBegriffs legen, der jedoch in vielen sozial- und kulturwissenschaftlichen Ansätzen relativ vage bleibt. Dem wurde mit Bezug auf den sozialsemiotischen Kontextbegriff von Halliday (vgl. Abschnitt 5.1) zu begegnen versucht. Als Kontexte wurden demzufolge zwischen kulturellen und situativen unterschieden. Kulturelle Kontexte zeigten sich als Einflussfaktoren, die in Form konventionalisierter Handlungsfelder (z.B. Politik, Sport, Szenen) bestimmte soziale Praktiken nahelegen und in Form von Diskursformationen oder Frames eine bestimmte Bandbreite an Bedeutungsmöglichkeiten für Zeichenhandlungen zur Verfügung stellen. (Mediale) Kommunikationsformen wurden in diesem Zusammenhang als besondere Formen kultureller Rahmungen herausgearbeitet (vgl. Abschnitt 4.4). Sie sind als Integration medientechnischer Infrastruktur und soziokulturell konventionalisierter Zeichennutzungen beschrieben worden (vgl. dazu Holly 2011a), die bestimmte kulturelle Gestaltungspraktiken in der Medienkommunikation nahelegen. Situative Kontexte wurden als Einflussfaktoren vorgestellt, die sich in der Nutzung bestimmter kommunikationsfunktionaler Genres äußern. Sie führen ebenfalls zu Gestaltungsmustern, wenn es darum geht, überindividuell verständliche Identitäts- und soziale Rollenzuschreibungen zu organisieren. Es lässt sich zusammenfassen, dass die vorliegende Schrift visuelle StilPraktiken als identitäts- und beziehungsstiftende Gestaltung von semiotischen Ressourcen bestimmt hat, die unter Einfluss von kulturellen und situativen Kontexten mustergeleitet bedeutungsstiftende Prägungen erfahren. Das für die Produktion und Rezeption nötige Musterwissen steht implizit als sozialisationsbasierter Habitus und explizit als diskurskonstituierte Kodes zur Verfügung. Musterwissen wird demzufolge kontextbezogen nach subjektiver Relevanz- und Angemessenheitszuschreibungen wirksam und ‚lifestyle-orientiert‘ (vgl. Abschnitt 3.7) kommunikativ genutzt. Zur abschließenden Veranschaulichung werden die herausgearbeiteten Funktionen Stil-Praktiken, Identitäts- und Beziehungsstiftung, Kontext, Kommunikati-
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onsform und Genre als Grundelemente anhand von Beispielen nochmals sinnfällig vor Augen geführt. Hierdurch zeigt sich die Bandbreite möglicher Gegenstandsbereiche, auf die die in dieser Arbeit entwickelte Methodologie anwendbar ist. Nicht zuletzt wird damit gezeigt, dass die vorgeschlagene visuelle Stilistik ein Begriffs- und Methodeninstrumentarium liefert, das die Konvergenzstiftung von materialer und digitaler (Medien-)Kultur erfassen lässt. Mit der Methode einer vergleichenden Stilanalyse ist dafür ein interpretatives Werkzeug entwickelt worden, welches an dieser Stelle jedoch nur skizzenhaft anhand der ersten zwei Beispiele zur Anwendung kommt. Signets/Logos als identitäts- und beziehungsstiftende Stil-Phänomene Abbildung 6.1: Logo einer Hamburger Cola-Marke
Abbildung 6.2: Logo einer amerikanischen ColaMarke
Quelle: http://www.
Quelle: http://www.coke.de, 04.01.2013
fritz-kola.de, 04.01.2013 Farbige Versionen siehe http://www.konnotation.de_visuelle_stile
Bestimmung des Untersuchungsmaterials samt Grobanalyse Bei dem ersten Untersuchungsmaterial handelt es sich um Signets und Logos von Cola-Marken, die genrespezifisch als grafische und/oder typografische Identitäts- und Identifikationselemente fungieren. Aufgrund einheitlicher Farbund/oder Formgebung sowie Komposition in unterschiedlichen medialen Kommunikationsformen sollen sie Wiedererkennung herstellen (siehe Abb. 6.1, 6.2). Ihre Gestalt weist in der Regel vom Produkt, der Marke oder dem Unternehmen motivierte Merkmale auf und/oder ist in starker Abgrenzung zu Konkurrenzprodukten gestaltet.
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Letzteres spielt sicherlich bei der Logogestaltung von Fritz-Kola eine wichtige Rolle (Abb. 6.1). Die erst 2002 gegründete Cola-Marke traf auf einen dichten Markt, der unter anderem die stärkste Marke der Welt, Coca Cola, beinhaltete. Feinanalyse Für das Signet von Fritz-Kola wurden Schrift- und Bildelemente ausgewählt. Die Typografie ist schmal und vertikal ausgerichtet geformt und durch die kleine Schreibweise maximal von dem markanten horizontal ausgerichteten Schreibschrift-Logo der US-Marke (siehe Abb. 6.2) kontrastiert. Sie wirkt im Vergleich zum übermächtigen Konkurrenten schlank und stylisch, stellt mit seinem dominanten schwarzen Hintergrund eine maximale Hell-Dunkel-Kontrast-Komposition dar, die mit dem imagestiftenden Slogan „vielviel koffein“ indexikalisch korrespondiert. Als Motive der Bildelemente wurden die Köpfe der Firmeneigentümer gewählt. Sie scheinen in ihrer Formung an die Farbgebung von Underground-Comics angelehnt zu sein, so dass durch die Signet-Komposition die Marke Fritz-Kola als ein modernes, szenekulturelles und Müdigkeit bekämpfendes Partygetränk visuell stilisiert wurde. Gesamtinterpretation Das Signet von Fritz-Kola markiert eine maximal abweichende Identität von der alten Cola-Traditionsmarke des ‚Mainstreamkonsumenten‘ und liefert mit visuellen Anspielungen auf die Handlungsfelder stilorientierter Party-Comic-Kultur ein Sympathieangebot an eine urbane lifestyle-orientierte Konsumentengruppe (vgl. Kap. 3.7). Medienkonvergent präsent ist sie so auf Flaschen, Plakaten, Kisten, Lastwagenplanen, Schildern, Buttons, Websites, T-Shirts u.a. (siehe http// fritz-kola.de; aufgerufen 10.01.2013).
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Kommunikationsform- und genregeprägte Gestaltung als Stil-Phänomene Abbildung 6.3: SPIEGEL-Titel
Abbildung 6.4: FOCUS-Titel
Quelle:
Quelle:
SPIEGEL-Titel
FOCUS-Titel von Ausgabe
von Ausgabe 3/2013
3/2013
Abbildung 6.5 CD-Cover von Public Enemy
Abbildung 6.6: CD-Cover von Patricia Kopatchinskaja (2012): Violinkonzerte
Quelle: Public Enemy (2000):
Quelle: Patricia Kopatchinskaja
It takes a Nation of Million,
(2012): Violinkonzerte, Naive
Columbia Records
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Abbildung 6.7: Kochbuchcover von Jamie Oliver
Abbildung 6.8: Jamie Oliver Web-Startseite
Quelle: Oliver, Jamie
Quelle: http://www.jamieoliver.com,
(2012): Jamies 15-
01.03.2013
Minuten-Küche: Blitzschnell, gesund und superlecker, München: Dorling Kindersley
Abbildung 6.9: Standbild aus Jamie OliverSerie in Italien
Abbildung 6.10: Standbild aus Jamie Oliver-Kochsendung „Happy days Live“, während der Zubereitung einer Fittata
Quelle: Oliver, Jamie
Quelle: aus Kochsendung Happy
(2008): Genial Italienisch,
days Live von Jamie Oliver: Frittata di
DVD-Edition, München:
Sardegna, ttp://www.youtube.com/
Polyband
watch?v=gUFMPYHbw-U, 4.02.2013
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Visuelle Stile wurden in dieser Arbeit in enger Korrespondenz zu den Kontextfaktoren mediale Kommunikationsform und Genre dargestellt. Die Abbildungen 6.3 bis 6.10 machen dies hinsichtlich der Kommunikationsform zum ersten bezogen auf die Auswahl der Zeichenmodalitäten und der Zeichenressourcen, zum zweiten bezogen auf die bildgestalterische und typografische Formung und zum dritten bezogen auf das Layout, das Screendesign und die Montage deutlich. Wie in dieser Studie gezeigt wurde, liefert das Konzept der Kommunikationsform medientechnische Bedingtheiten und soziokulturell konstituierte Gestaltungsmuster, die vergleichend stilanalytisch mit den realisierten Kommunikaten in Beziehung gebracht werden können. Gemäß der Kommunikationsformen PrintMagazin (Abb. 6.3, 6.4), CD-Cover (Abb. 6.5, 6.6) und Buch (Abb. 6.7) stehen der Auswahl demzufolge statische Bilder und geschriebene Sprache zur Verfügung, die identitäts- und beziehungsstiftend geformt und mehr oder weniger kontrastreich, prägnant bzw. salient über das Layout komponiert werden können. Die Kommunikationsformen Website (Abb. 6.8) sowie Film/Fernsehsendung (Abb. 6.9, 6.10) lassen in Form visuell wahrnehmbarer Zeichenmodalitäten die Auswahl bewegter und statischer Bilder sowie geschriebener Sprache zu. In den Formungsmöglichkeiten gleichen sich beide Kommunikationsformen hinsichtlich der Bildgestaltungpotenziale. Unterschiede gibt es jedoch durch die codeabhängigen Animationsinszenierungsmöglichkeiten bei der Website. Auch hinsichtlich der Komposition gibt es Abweichungen. Hier weist die Website ein flächenorientiertes Screendesign und eine quellcodeabhängige dreidimensionale Hypertextualität auf. Der Film liefert mit der Montage und dem Schnitt eine inszenierte Abfolge von Bildeinstellungen. Alle vorliegenden Beispiele stehen in hoher Übereinstimmung mit professionellen Gestaltungsmustern der jeweiligen Kommunikationsformen und liefern somit keine negative Senderindentität, die durch mangelnde Gestaltungskompetenz transportiert würde (vgl. die Beispielanalysen in Abschnitt 5.3). Während die beschriebenen Kontextfaktoren der Kommunikationsform in dieser Arbeit als (sozio)kulturelle und medientechnische Rahmungen vorgestellt wurden, ließen sich die Einflüsse von Genrekonventionen prägend auf das inhaltliche Verständnis der konkreten Kommunikationssituation beschreiben. Genres bilden soziale Praktiken, deren Musterhaftigkeit die konkrete Zielrichtung des Kommunikats bei seiner Produktion und Rezeption bestimmen lassen (vgl. Abschnitt 4.4). So ähneln sich die Kommunikate von Abbildung 6.3-6.7, indem sie als Magazin-Titel-, CD-Cover-Vorder- oder Website-Startseiten Einladungen zur Rezeption des jeweiligen Medienprodukts darstellen. Sie versuchen dies mit der Auswahl bestimmter Personen und Gegenstände sowie typografischer Elemente, um auf bestimmte Handlungs-, Diskurs- und Themenfelder (vorliegend
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auf die Fernsehshow „Wetten dass“, die Frauenquote, HipHop-Kultur, klassische Musikkultur, das ‚(Pop-)Koch-Star-Image‘ von Jamie Oliver) zu referieren. Sie präsentieren so ‚pars pro toto‘ bestimmte Persönlichkeits- und Lifestyleentwürfe (siehe Abschnitt 3.7), die je nach Adressatengruppe als Identifikations- bzw. Sympathieangebote fungieren sollen. Ebenfalls sendermotiviert und/oder adressatenorientiert lassen die kommunikativen Mittel der Formung die ausgewählten Elemente perspektivieren und konnotativ kommentieren. Die Kommunikate machen sich dafür mehr oder weniger prägnanzstiftende und kontrastreiche Kompositionen zunutze, um der genrespezifischen Rezeptionseinladung formal bestimmte Aufmerksamkeitsmarkierungen beizugeben. Auch hierfür sind Gestaltungsmuster virulent, die die entsprechend genutzten semiotischen Ressourcen vergleichend als gekonnt oder weniger gekonnt in Erscheinung treten lassen. Comic-Figuren als konvergente Identitätsfigurationen einer digitalen Medienkultur Nicht zuletzt hat die vorliegende Arbeit auf die konvergenzstiftende Funktion der Stil-Praktiken hingewiesen, wenn sie sich ähnlicher Motivauswahl, Farbund Formgebungen sowie dramaturgischer Kompositionen, sprich wiedererkennbarer Designs bedienen. Sie stellen so in visueller Wahrnehmungsmodalität nicht nur transmediale Verbindungen her, sondern schlagen darüber hinaus ‚konvergenzkulturelle Brücken‘ (vgl. Abschnitt 4.6) zwischen materialer und medialer Kultur. Triebkraft eines solchen ‚transmedialen und transmaterialen Storytellings‘ ist die fortschreitende Digitalisierung in Form von softwaregestützter Computisierung medialer und materialer Produktionstechnologie. Beispielhaft werden dazu remedialisierende Verwendungen (siehe dazu Abschnitt 4.5) der Comic-Figur Batman in und auf entsprechenden MerchandisingProdukten, Computerspielen, Plakaten, Covern, Tüten und Verpackungen präsentiert. Die Figur stellt sich dabei zumeist als geheimnisvoller, nachtaktiver, aufrechter und weitblickender Muskelmann dar, der vor apokalyptisch anmutenden, urbanen Hintergründen machtvoll posiert. Angelehnt an die fiktionalen Eigenschaftszuschreibungen, die durch die Leitmetapher Fledermaus und die Biografie der Comic-Figur motiviert sind, wird das Image des Superhelden als Sympathieangebot der Konsumentenschaft präsentiert. Diese kann die Produkte ihrerseits entsprechend konvergenzkulturell für die eigene lifestyleorientierte Inszenierung (vgl. Abschnitt 3.7) nutzen. Hier zeigt sich prototypisch ein ‚transmediales und transmateriales Storytelling‘, das mittels visueller Stilistik vollzogen wird. Computerspiel-Editionen sind demzufolge nicht nur an die inhaltlichen
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Plots der einzelnen Filmvorlagen orientiert, sondern sie lehnen sich in ihrer Bildgestaltung fortschreitend auch an die visuelle Stilistik einzelner Kameraeinstellungen der Vorlagen an. Die Filme selbst orientieren sich ebenfalls kommunikationsformengemäß nicht nur an fiktionalen Vorgaben der Comics, sondern remedialisieren auch die visuelle Gestaltung der Figuren, Requisiten und Schauplätze. Darüber hinaus lässt sich zeigen, dass die visuelle Stilisierung der konvergenzstiftenden Figuren in ihrer ‚monomedialen Diachronie‘ ebenfalls Wandlungen unterworfen sein können, die sich mittels visueller Stilanalysen (siehe die Analysefragen in Abschnitt 5.6) vergleichend untersuchen lassen. Zeigt sich Batman in den Comics der 1980ger Jahre in seiner Formung eher zweidimensional, aber mit strukturreicher Linienführung, schlanker und weniger muskelbepackt, so erhält er in den 1990ern eine breitere und flächigere Kontur und weist eine artifiziell-abstrakte Körperlichkeit auf. Nachdem Frank Miller nach der Jahrtausendwende visuell und inhaltlich die Figur als ‚Dark Knight‘ mit starken Hell-Dunkel-Kontrasten und als düsteren Streiter umgestaltet hat, zeigt sich der Fledermaus-Mann aktuell fortentwickelt als dreidimensionale übernatürlich muskelbepackte Nachtgestalt. Ein stilanalytischer Vergleich der semiotischen Ressourcen, die für die Auswahl, Formung und Komposition zu unterschiedlichen Zeitpunkten zum Einsatz kommen, lässt sich somit, bezogen auf gleiche Kontexte, auch für die Untersuchung visueller Stil-Kontinuität und -Veränderung nutzen. Diese sind als Elemente eines Medienwandels zu verstehen. Als weiteres sei auf ein Beispiel verwiesen, das mehrfach modifizierende Remedialisierungen mittels visueller Stilisierung enthält. Es präsentiert, wie Design die mediale und die ‚stoffliche Ding-Welt‘ in immer engeren wirklichkeitsstiftenden Zusammenhang zu bringen vermag. Die Remedialisierungen, die hier als Re-Designs zu verstehen sind, bieten in der Konsequenz u.a. dynamische Möglichkeiten, Produkte in konvergenten Wertschöpfungsketten weiter zu kapitalisieren und/oder als kollaborative Projekte basisgestützt zu modifizieren. Dafür beispielhaft ist die Cover-Gestaltung des Third-Person-Actioncomputerspiels LEGO – Batman (siehe Abb. 6.11). Es beinhaltet Handlungen um die ComicFigur mitsamt ihrer imagebasierten Ausrüstung wie das Batmobil und der Batcopter. Die Formung der Figur ist jedoch nicht der Comic- oder Filmästhetik entnommen, sondern der kantig-klotzigen Plastik-Spielfigur, wie sie LEGO in Kooperation mit dem Comic-Verlag DC herausbringt. Damit wird den Gamern eine ‚visuelle ‚Re-, Remedialisierung‘ geliefert. Sie stellt als LEGO-Spielzeug eine Kombination der Farb- und Formgebung der Comic-Figur und der funktionalen und normabhängigen Gestalt der materiellen LEGO-Bauklötze dar. Die Übernahme dieser Formung für die Spielfigur in der medialen Welt des Compu-
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terspiels realisiert somit eine rein ästhetische Stil-Remedialisierung. Sie ist kein materialabhängiges und/oder funktionsorientiertes Design mehr. Hier wird an spielbiografisch motivierte Geschmackspräferenzen bzw. Stil-Gewohnheiten von potenziellen Kunden angeschlossen. Möglicherweise hat die Bauklotz-Ästhetik von LEGO aber auch ein eigenes Stil-Muster etablieren können, das ganz eigene für bestimmte Konsumentengruppen sympathische Imageeigenschaften (z.B. Putzigkeit, Verspieltheit, kindliche Unbedarftheit etc.) erlangen konnte. Das visuelle Stil-Muster LEGO ist in Kombination mit dem Image der Comic-Figur Batman zu einem eigenen narrativen Universum in der Kommunikationsform Computerspiel ausgeformt worden. Wird dieses Computerspiel desweiteren auf einer Einkaufstüte von Media Markt beworben, wie es für die DVD-Vermarktung des Films „Dark Knight Rises“ (Abb. 6.12) vollzogen wurde, so besteht eine weitere Remedialisierung in ein Print-Medium. Gleiche Stilisierung liegt bei dem Abdruck des Porträts Johannes Lafers auf einer Teepackung (Abb. 6.13). Der Fernseh- und Sterne-Koch wird hierdurch als Testimonial genutzt, um als ‚vitueller Experte‘ die Qualität des Produkts quasi zu bezeugen. Abbildung 6.11: Cover des Computerspiels TT Fusion (2008): LEGO – Batman, LEGO/DC Comics
Abbildung 6.12: Einkaufstüte mit Werbeaufdruck des Films The Dark Knight Rises
Abbildung 6.13: Bildaufdruck auf Teepackung: Edition Johann Lafer – Kräutertee Gourmet
Quelle:
Quelle:
Quelle:
http://www.gameladen.
Mediamarkt
TeeGschwendner
com, aufgerufen am 12.05.3014
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Die vorliegende Schrift will infolgedessen feststellen: Visuelle Stilisierung in einer konvergenten und digitalen (Medien-)Designkultur heißt also, dass visuelle Stil-Muster mittels digitaler Design- und Produktionstechnologie in kommunikativer Absicht ständig verstetigt und durch Kombination und Integration anderer bedeutungsstiftender Stil-Muster modifiziert werden. Sie stellen sich dem Rezipienten je nach Handlungsfeld und Diskurspraxis in ganz unterschiedlichen materialen sowie medialen (als digitale oder analoge) Kommunikationsformen dar und konstituieren in ihrer ‚transmedialen und transmaterialen‘ Inszenierung übergreifende Narrationen und Images. Eine zukünftige Medienforschung hat sich diesen komplexen kommunikativen Praktiken der digitalen Revolution zu stellen. Sie sollte die damit verbundenen dynamisierten Kapitalisierungs-, individuellen Stilisierungs- und konvergenzkulturellen Mediatisierungsprozesse begriffs- und methodenkonstituierend begleiten, um eine kritische und konstruktive Auseinandersetzung mit diesen Entwicklungen zu ermöglichen. Ein Schritt in diese Richtung stellt diese Arbeit dar.
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Ramón Reichert Die Macht der Vielen Über den neuen Kult der digitalen Vernetzung 2013, 216 Seiten, kart., 24,99 €, ISBN 978-3-8376-2127-3
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Edition Medienwissenschaft Anne Ulrich, Joachim Knape Medienrhetorik des Fernsehens Begriffe und Konzepte Dezember 2014, ca. 280 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2587-5
Thomas Waitz Bilder des Verkehrs Repräsentationspolitiken der Gegenwart März 2014, 244 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2599-8
Sonja Yeh Anything goes? Postmoderne Medientheorien im Vergleich Die großen (Medien-)Erzählungen von McLuhan, Baudrillard, Virilio, Kittler und Flusser 2013, 448 Seiten, kart., 45,99 €, ISBN 978-3-8376-2439-7
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