Digitale Medienkultur: Wahrnehmung - Konfiguration - Transformation [1. Aufl.] 9783839405482

Was ist das 'Neue' der Medien? Zur Beantwortung dieser Frage beschränkt sich die Studie nicht auf technische N

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German Pages 234 Year 2015

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Table of contents :
INHALT
EINLEITUNG Theoretische und methodische Herangehensweise an das ‚Neue‘
Forschungslage
Zum Verständnis ‚digitaler Medien‘
Mediale Wechselspiele: Vorläuferformen und Intermedialitäten
Merkmale digitaler Medien: Manovichs fünf Prinzipien
Das ‚Neue‘ und das Problem der Interaktivität
Informationsästhetik: Signalübertragung und Kunst
Medienkunst: Kunst als Prozess und System
Kunst-Räume und Standortbestimmungen
Fragestellungen und Vorgehensweise
AN DER SCHNITTSTELLE VON MENSCH UND TECHNIK
Fragestellung
Technik und Körper: Blick, Distanz und Berührung
Die Technisierung des Blicks
Die Rationalisierung der Sinne
Die Ikonografie des Interface
Der Bildschirm
Die grafische Benutzeroberfläche: der Desktop
Illusionsraum und Navigationsfeld
Fenster
Anwendungen
Mauszeiger
Der bewegte Blick und das Bilder-Recycling
Informationsfläche
Künstlerische Szenarien
Grenzen der Aufmerksamkeit
Identitätsentwürfe
DIGITALE ERZÄHLTECHNIK
Fragestellung
Begegnungen mit Formen medialen Erzählens
Kategorien und Elemente des Erzählens in digitalen Medien
Interaktivität, Spiel und Gemeinschaft
Beobachtungsgegenstände
Olia Lialina: My Boyfriend came back from the war
Norman M. Klein: Bleeding Through Layers of Los Angeles
Lev Manovich: Soft Cinema
Soft Cinema – Die Installation
Soft Cinema – Die DVD
Die Datenbank-Erzählung
Die Schaffung von Kohärenz
Möglichkeits-, Handlungs- und Erfahrungsräume
Die Verräumlichung der Narration
ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
Digitale Medien und das ‚Neue‘
Rückwirkungen auf Film und Fernsehen
Ausblick
BILDNACHWEISE
LITERATURVERZEICHNIS
DANK
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Digitale Medienkultur: Wahrnehmung - Konfiguration - Transformation [1. Aufl.]
 9783839405482

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Petra Missomelius Digitale Medienkultur

Petra Missomelius (Dr. phil.) lehrt Medienwissenschaft an der Philipps-Universität Marburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind digitale Medien und Mediengeschichte, Medienanalyse und computergestützte Lehrformen.

Petra Missomelius Digitale Medienkultur. Wahrnehmung – Konfiguration – Transformation

Die vorliegende Studie wurde als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Philosophie (Dr. phil.) an dem Fachbereich Germanistik und Kunstwissenschaften der Philipps-Universität Marburg angenommen (Gutachter: Prof. Dr. Heinz-B. Heller und Prof. Dr. Angela Krewani).

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2006 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildungen: © Norman Klein: »Bleeding Through: Layers of Los Angeles«, Los Angeles/Karlsruhe 2003; © Olia Lialina: »My Boyfriend Came Back From The War«, http://www.teleportacia.org/war/war.html (Stand: 14.03.2005); © Colin Piepgras: »Doppelgänger«, Wien/ New York 1996; © Lev Manovich: »Soft Cinema«, http://www.softcinema. net (Stand: 01.12.2005); © Ulrike Gabriel: »Terrain 02«. EMAF Osnabrück 1993 Lektorat & Satz: Petra Missomelius Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-548-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

INHALT EINLEITUNG Theoretische und methodische Herangehensweise an das ‚Neue‘ 9

Forschungslage 14

Zum Verständnis ‚digitaler Medien‘ 20

Mediale Wechselspiele: Vorläuferformen und Intermedialitäten 25

Merkmale digitaler Medien: Manovichs fünf Prinzipien 31

Das ‚Neue‘ und das Problem der Interaktivität 33

Informationsästhetik: Signalübertragung und Kunst 37

Medienkunst: Kunst als Prozess und System 40

Kunst-Räume und Standortbestimmungen 44

Fragestellungen und Vorgehensweise 52

AN DER SCHNITTSTELLE VON MENSCH UND TECHNIK Fragestellung 57

Technik und Körper: Blick, Distanz und Berührung 58

Die Technisierung des Blicks 62

Die Rationalisierung der Sinne 65

Die Ikonografie des Interface 75

Der Bildschirm 75

Die grafische Benutzeroberfläche: der Desktop 76

Illusionsraum und Navigationsfeld 79

Fenster 81

Anwendungen 84

Mauszeiger 85

Der bewegte Blick und das Bilder-Recycling 87

Informationsfläche 92

Künstlerische Szenarien 95

Grenzen der Aufmerksamkeit 99

Identitätsentwürfe 101

DIGITALE ERZÄHLTECHNIK Fragestellung 105

Begegnungen mit Formen medialen Erzählens 109

Kategorien und Elemente des Erzählens in digitalen Medien 123

Interaktivität, Spiel und Gemeinschaft 131

Beobachtungsgegenstände 134

Olia Lialina: My Boyfriend came back from the war 134

Norman M. Klein: Bleeding Through Layers of Los Angeles 138

Lev Manovich: Soft Cinema 146 Soft Cinema – Die Installation 146 Soft Cinema – Die DVD 151

Die Datenbank-Erzählung 157

Die Schaffung von Kohärenz 161

Möglichkeits-, Handlungs- und Erfahrungsräume 166

Die Verräumlichung der Narration 183

ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK Digitale Medien und das ‚Neue‘ 187

Rückwirkungen auf Film und Fernsehen 192

Ausblick 195

BILDNACHWEISE 203

LITERATURVERZEICHNIS 209

DANK 231

EINLEITUNG Theoretische und methodische Herangehensweise an das ‚Neue‘ In den vergangenen Jahrzehnten hat die Technik der Digitalisierung die neuen Medien hervorgebracht. Doch es fehlt die unmissverständliche Benennung dessen, was das ‚Neue‘ sei. Um das Neue auszumachen bedarf es denjenigen, für den es ein Neues ist: den Rezipienten1, im Kontext digitaler Medien vielmehr: den Nutzer. Welche Rolle schreiben die neuen Technologien ihren Nutzern zu? Es kann davon ausgegangen werden, dass Medien eine kontinuierliche Strukturierung der menschlichen Wahrnehmung vornehmen2. Das Verhältnis zur Welt ist von Medien gestaltet, die ebenso Wahr-

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Im Folgenden wird für Personenbezeichnungen die maskuline Form verwendet, die stellvertretend für das weibliche und männliche Subjekt zu lesen ist. Das Ineinandergreifen von Visualisierungstechniken und Weltwahrnehmung demonstriert der Kunsthistoriker Erwin Panofsky 1924/ 1925 (zunächst innerhalb einer Vortragsreihe) anhand der Perspektive, indem er die mentale und mediale Konstruktion beschreibt, die der Linearperspektive in Kunst und Kulturgeschichte als symbolische Denk- und Anschauungsform innewohnt. Erwin Panofsky: Die Perspektive als „symbolische Form“, In: Karen Michels, Martin Warnke (Hg.): Erwin Panofsky. Deutschsprachige Aufsätze. Berlin: Akademie Verlag1998, Bd. II, S. 664-756. Panofskys Untersuchung schreibt Peter Gendolla fort, indem er die Rolle von Raum und Zeit bis hin zur interaktiven Medienkunst untersucht: Peter Gendolla: „Zur Interaktion von Raum und Zeit“. In: Peter Gendolla und Irmela Schneider, Norbert M. Schmitz, Peter M. Spangenberg (Hg.): Formen interaktiver Medienkunst. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 2001, S. 19-38. Ludwig Pfeiffer fasst die Wahrnehmungsanordnung des Lesens anschaulich zusammen: Ludwig K. Pfeiffer: „Ich lese, also bin ich (nicht).“ In: Ralf Schnell (Hg.): Wahrnehmung – Kognition – Ästhetik. Bielefeld: Transcript Verlag 2005, S. 213-236. 9

DIGITALE MEDIENKULTUR. WAHRNEHMUNG — KONFIGURATION — TRANSFORMATION

nehmungsdispositive darstellen.3 Die vorliegende Studie diskutiert, was hierbei das viel beschworene Neue der neuen Medien ausmacht. Eine theoretische Herangehensweise an die digitale Medienkultur4 ist durch die Vielfalt der Nutzungskontexte des Computers komplex. Zunächst als Maschine dem Gebrauch durch Experten vorbehalten, verbreitete sich in den 1960er Jahren die Idee, den Computer für Aufgaben des Alltags der breiten Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Ein erneuter Bedeutungswandel vollzog sich in den 1990er Jahren vom Werkzeug zur universellen Medienmaschine.5 Der Computer wird nicht nur zur Herstellung, sondern auch zur Speicherung und Distribution von Daten verwendet. Es handelt sich bei dem Untersuchungsgegenstand nicht um eine mediale Reinform. Die Hybridisierung der Medien vielmehr hat die rigide Trennung medialer Subsysteme, wie sie von der Wissenschaft lange aufrecht erhalten wurde, aufgehoben und sie zu komplexen Formen verschmolzen. Dieser Umstand findet seinen Ausdruck in neueren Forschungsansätzen.6 Zugleich wird die Beteiligung diverser – auch naturwissenschaftlicher – Disziplinen an der Entwicklung der digitalen Technologien in ihrer Untersuchung Berücksichtigung finden. Denn die Entwicklungsgeschichte digitaler Medien ist von verschiedenen 3

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Der Begriff des Mediendispositivs impliziert die strukturierende Funktion der technischen Anordnung für die Wahrnehmung. Jean Baudry hat die Dispositivanordnung des Kinos anschaulich gemacht, wobei hier keine Einengung des Begriffs auf den Ideologieaspekt stattfindet. Jean-Louis Baudry: „The Apparatus: Metapsychological Approaches to the impression of Reality in Cinema“. In: Philip Rosen (Hg.): Narrative, Apparatus. Ideology. A Film Theory. New York: Columbia UP 1986, S. 299-318. In diesem Kontext werden unter digitalen Medien CD-ROM, DVD und Internet als Medientexte begriffen. Der Begriff der digitalen Medienkultur übersteigt und verbindet die einzelnen computergestützen Medien. Siehe Dennis Mocigemba: Die Ideengeschichte der Computernutzung. Dissertation an der TU Berlin 2003. online: http://edocs.tuberlin.de/diss/ 2003/mocigemba_dennis.htm (Stand: 24.09.2005). Siehe u.a.: Irmela Schneider und Christian W. Thomsen (Hg.): Hybridkultur. Medien Netze Künste. Köln: Wienand Verlag 1997; Angela Krewani: Hybride Formen. New British Cinema – Television Drama – Hypermedia. Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier 2001 sowie Claudia Liebrand und Irmela Schneider (Hg.): Medien in Medien. Köln: DuMont Verlag 2002. 10

EINLEITUNG

Strängen der Wissenschaft bestimmt und die unterschiedlichen fachwissenschaftlichen Perspektiven formen ihren Gegenstand. Die nachfolgende Studie fokussiert einerseits künstlerische Projekte, andererseits Grundfunktionen des Arbeitsgerätes Computer. Es wird ein Bogen zwischen der mediengeschichtlichen Entwicklung und der kulturwissenschaftlichen Betrachtungsperspektive gespannt, wobei die Aufmerksamkeit auf die Rezeption und Interaktion mit dem Medium gerichtet ist. Es ist derzeit ein Medienumbruch7 zu konstatieren, der vielleicht mit dem des frühen Filmes vor ungefähr einhundert Jahren vergleichbar ist – bei aller Unterschiedlichkeit beider Medien in technischer wie ästhetischer und historischer Hinsicht. Die Ausdrucksmittel des Mediums und deren Inszenierungen sind erst dabei, entwickelt zu werden. Nutzer und Produzenten lernen den Umgang mit dieser sich herausbildenden ‚Sprache‘ ebenso wie dies für die filmischen Gestaltungstechniken Schnitt, Kameraperspektive oder Zoom geschah. Dementsprechend befinden sich die medialen Fähigkeiten des Wahrnehmens in Frames und digitalen Ton- und Bildfragmenten für die Generation der Buch-Sozialisierten erst in der Entwicklung, während sie für die damit aufgewachsene Generation eine Selbstverständlichkeit darstellen. Hierbei spielt das Verhältnis von Mensch und digitaler Medientechnik an der Mensch-MaschineSchnittstelle eine entscheidende Rolle. An ihr wird herausgearbeitet, wie die menschliche Wahrnehmung im Kontext der Digitalisierung modelliert wird und wie sie sich verändert. Nachdem die neuen Medien mittlerweile als institutionalisiert zu betrachten sind, stellt sich die Frage, wie diese in ihren Diskursen die Sicht des Menschen auf die Welt prägen. Dieser Mensch im Internetzeitalter lebt in einer ‚anderen Welt‘ als der Analphabet im

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Das Konzept der Medienumbrüche geht von einem mit der Fotografie und dem Film im Übergang des 19. zum 20. Jahrhunderts erfolgten Medienumbruch aus sowie einem weiteren Medienumbruch mit den digitalen Medien vom 20. zum 21. Jahrhundert. Siehe hierzu: Joachim Paech: „An-Ordnungen (Dispositive) des Sehens“ In: Koreanische Gesellschaft für Germanistik (Hg.): Literatur im multimedialen Zeitalter (Asiatische Germanistentagung) Seoul, 1997, Bd.1, S. 126-140 sowie Karl Ludwig Pfeiffer: Das Mediale und das Imaginäre. Dimensionen kulturanthropologischer Medientheorie. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1999. 11

DIGITALE MEDIENKULTUR. WAHRNEHMUNG — KONFIGURATION — TRANSFORMATION

Zeitalter der Oralität oder der Leser im Zeitalter des Buchdrucks.8 Nietzsche konstatierte anlässlich der Verwendung seiner ersten Schreibmaschine, dass das Schreibzeug sich in die Gedanken mit einschreibe.9 Neben Friedrich Kittlers Analyse der technischen Bedingung von Aufschreibesystemen10 untersucht Martin Stingelin die Sprachreflexion Nietzsches während der (kurzen) Verwendung einer Schreibmaschine.11 In diesem Sinne geht die Studie der Frage nach, wie sich die digitalen Medien bislang in die Medienkultur eingeschrieben haben. Marshall McLuhan konstatiert 1964 in Understanding Media: „The Medium is the Message“.12 Die Technik selbst modelliert (unabhängig vom Inhalt) Wahrnehmungseffekte. Durch ihre kulturelle Praxis formen die Medien Bewusstsein und Verhalten ihrer Nutzer. McLuhan schreibt auch, Inhalt eines jeden Mediums sei ein anderes Medium:13 Denn die ‚Botschaft‘ eines 8 9 10

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Siehe Herbert Marshall McLuhan: Die Gutenberg-Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters. Bonn et al.: Addison-Wesley 1995. Friedrich Nietzsche: Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe herausgegeben von G. Colli und M. Montinari. Berlin, NY: de Gruyter 1975 ff., Band III, I, S.172. In seiner Untersuchung unterscheidet er zwei Epochenschwellen, während derer sich ein neues Aufschreibesystem durchgesetzt hat. Er skizziert die nachweisbaren Formationen des Diskurses durch sich wandelnde technische Medien. Friedrich A. Kittler: Aufschreibesysteme 1800/1900. München: Fink Verlag 1985. Martin Stinglin: „Kugeläußerungen. Nietzsches Spiel auf der Schreibmaschine“. In: Materialität der Kommunikation. Hans Ulrich Gumbrecht und K. Ludwig Pfeiffer (Hg.) Frankfurt/Main: Suhrkamp Taschenbuch Verlag 1995 (2), S. 326-341. Der Versuch Nietzsches, mit der Nutzung der Schreibmaschine den durch seine Kurzsichtigkeit bedingten Problemen beim Lesen und Schreiben Einhalt zu gebieten, währte lediglich 6 Wochen. Herbert Marshall McLuhan: Understanding Media: The Extensions of Man. New York. McGraw Hill 1964, S. 7: „In a culture like ours, long accustomed to splitting and dividing all things as a means of control, it is sometimes a bit of a shock to be reminded that, in operational and practical fact, the medium is the message. This is merely to say that the personal and social consequences of any medium – that is, of any extension of ourselves – result from the new scale that is introduced into our affairs by each extension of ourselves, or by any new technology.“ „This fact, characteristic of all media, means that the ‚content‘ of any medium is always another medium. The content of writing is speech, just as the written word is the content of print, and print is the content of the telegraph. If it is asked, ‚What is the content of speech?‘‚ it is 12

EINLEITUNG

neuen Mediums oder einer neuen Technik sei die Veränderung des Maßstabs, Tempos oder Schemas, die es dem Menschen in seinem Umfeld bringt. Es wird zu zeigen sein, wobei es sich im Einzelnen um die Fortführung visueller und auditiver Traditionen handelt. Traditionslinien ‚alter‘ Medien, besonders des Films, werden aufgezeigt, um hervorzuheben, wo das ‚Neue‘ aus dem Alten geformt ist. Die Historisierung erlaubt, erweitert mit Begriffen aus der Kunstgeschichte und Kybernetik, Kontinuitäten und Veränderungen in den Kommunikations- und Wahrnehmungsweisen sowie den Rezeptionsverhältnissen aufzuspüren. Umgekehrt wirkt sich die fortschreitende Digitalisierung von Mediensystemen auch auf vormals analoge Medien aus. Aus diesem Grunde gebührt der Relation audiovisueller Medien zueinander und der prozessualen Beeinflussung medialer Präsentationsformen ebenso Aufmerksamkeit. Maßgeblich bei der Untersuchung der Umgestaltungen ist die angenommene Koppelung der medientechnologischen Entwicklung an Wünsche und Bedürfnisstrukturen.14 Handelt es sich um eine leere Worthülse oder, wie Tilman Welther argumentiert15, um grundsätzlich vom Einzelmedium unabhängige Gesellschaftsdiskurse, wenn von einer „digitalen Revolution“ die Rede ist? Die Diskurse kreisen um Eigentums- und Gesellschaftsformen, um die Handhabung und Verbreitung von Wissen sowie um die Verschmelzung von Kunst und Wissenschaft. Eine nicht-intentionale Wunschkonstellation, so Hartmut Winkler, treibe die technische Entwicklung der Medien voran.16 Es seien necessary to say, ‚It is an actual process of thought, which is in itself nonverbal‘. An abstract painting represents direct manipulation of creative thought processes as they might appear in computer designs.“ Ebd. S. 8. 14 Hartmut Winkler stellt Wunschkonstellationen als antreibende „Systemspannung“ der Medienentwicklung dar. Hartmut Winkler: Docuverse. Zur Medientheorie der Computer. München: Boer Verlag 1997, S. 17. 15 Tilman Welther: Medienrevolutionen und Redereflexe. Die Etablierung neuer Medien im Spiegel ihrer Diskurse. Dissertation am Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Gesamthochschule Siegen, 2000, S. 287, online: http://www.ub.uni-siegen. de/pub/diss/fb3/2004/welther/welther.pdf (Stand: 03.10. 2005). 16 Er skizziert die Mediengeschichte des Computers als „Set impliziter Utopien“. Winkler, a.a.O., S. 17. 13

DIGITALE MEDIENKULTUR. WAHRNEHMUNG — KONFIGURATION — TRANSFORMATION

Bedürfnisstrukturen, die Technik- bzw. Medienentwicklungen initiieren (und wiederum neue Bedürfnisse, die sich aus dieser Technik ergeben).17 Winklers Perspektive ist auf die Entwicklungsimpulse gerichtet und er kommt im Laufe seiner Untersuchung zu dem Resultat, Computertechnologie als Ausdruck des Wunsches nach einer übersichtlichen, funktionalen und klar strukturierten Welt zu lesen. Sherry Turkle18 wiederum argumentiert auf der Ebene des Subjekts und stellt den Computer als Wunschmaschine vor, auf welche der Einzelne sein Begehren projiziere. Die Dispositionen auf Seiten des Nutzers sind bei der Sinnkonstitution und der Konstituierung des wahrnehmenden Menschen in der digitalen Medienkultur maßgeblich. Diese beiden extremen Positionen, die gesellschaftliche Medienmaschine einerseits und die subjektive Wunschmaschine andererseits, demonstrieren die breite Diskurs- und Beobachterperspektive, innerhalb derer die vorliegende Studie angesiedelt ist.

Forschungslage Es wird deutlich, dass die an die digitalen Medien geknüpften Diskurse unterschiedliche Zuschreibungen tätigen. Die vorliegende Studie lässt eine vorzeitige Verankerung auf dem breiten theoretischen Feld offen, um die Theorie-Perspektiven im Verlauf der Studie zu rekonstruieren und in Beziehung zueinander setzen zu können. Der wissenschaftliche Diskurs um digitale Technologien ist zunächst stark von Philosophen wie Jean Baudrillard, Vilém Flusser, Heinz von Foerster, Friedrich Kittler, Paul Virilio und Peter Weibel geprägt. Zunächst zaghaft, dann vehementer nimmt auch die Zahl der Arbeiten in der Kunstgeschichte und der Medienwissenschaft, die sich diesem Thema stellen, innerhalb der vergangenen zehn Jahre deutlich zu.19 Die Positionen sind dabei nicht widerspruchsfrei 17 Diese Argumentation unter Bezug auf die Apparatustheorie nutzt Winkler bereits im Aufsatz „Flogging A Dead Horse?“ In: Robert F. Riesinger (Hg.): Der kinematographische Apparat. Geschichte und Gegenwart einer interdisziplinären Debatte. Münster: Nodus Publikationen, 2003, S. 217-236. 18 Sherry Turkle: The Second Self: Computers and the Human Spirit. New York: Simon and Schuster 1984. 19 Hier seien nur zwei Publikationen genannt, die Zeugnis von der ersten Stunde dieser Annäherungen ablegen: Flörian Rötzer (Hg.): Di14

EINLEITUNG

und nicht unwidersprochen. Bis heute kann man nicht von der Entwicklung einer methodisch gesicherten Herangehensweise an digitale Medien sprechen. Statt konsistent ausgebildeter theoretischer Entwürfe ist die Vielfalt der Zugänge kennzeichnend für den Diskussionsprozess, der sich um digitale Medien entfaltet. Inzwischen ist eine Versachlichung des Diskurses um die anfangs mit euphorischen Erwartungen aufgeladenen neuen Technologien eingetreten. Im Zuge der Transformation der Bildungssysteme auf dem Wege zur viel beschworenen „Wissensgesellschaft“ wurde bald deutlich, dass dem Computer eine wichtige Rolle im Übergang vom traditionellen zum lebenslangen Lernen zuteil werden würde. Bereits in einem frühen Stadium der Entwicklung digitaler Medien setzten sich daher Pädagogen mit dem Themenfeld digitale Medien auseinander, um das Anwendungspotential computergestützten Lernens auszuloten. Dabei rekurrierte man schon früh auf die Netzmetapher, die bei der Hirnforschung Anleihen nahm: Das Gehirn als neuronales Netz, die Schaltelemente der Rechner als Neuronen, das Internet als elektronisches Hirn. Die Fachdiskussion um Simulation und Virtualität20 hat sich vornehmlich auf die Visualität der digitalen Medien bezogen. Diese kann hier nur kurz skizziert werden und findet sich im Diskurs um die Rolle des Bildes expliziter wieder.21 Der Bilddiskurs, der sich thematisch um digital erzeugte Bilder rankt, beschäftigt sich damit, dass technische Bilder Realität suggerieren und damit den Glauben an die visuelle Wahrheit nachhaltig ins Wanken gebracht haben.22 gitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1991 und Manfred Waffender (Hg.): Cyberspace. Ausflüge in virtuelle Wirklichkeiten. Reinbek: Rowohlt Verlag 1991. 20 Konzepte und Stellenwert von Wirklichkeit und Realität sind durch Virtualität und Simulation zur Disposition gestellt. Vergleiche hierzu: Manfred Faßler (Hg.): Alle möglichen Welten. Virtuelle Realität. München: Fink Verlag 1999. 21 Siehe hierzu: William J. Mitchell: The Reconfigured Eye. Visual Truth in the Post-Photographic Era. Cambridge: Mass. MIT Press 1992 und Claudia Reichle: „‚Lebende Bilder‘ aus dem Computer. Konstruktion ihrer Mediengeschichte“. In: Marianne Schuller, Claudia Reichle, Gunnar Schmidt (Hg.): BildKörper. Verwandlungen des Menschen zwischen Medien und Medizin. Hamburg: LIT Verlag 1998. S. 123-166. 22 Auseinandersetzungen mit dem Umgang digital erzeugter Bilder finden beispielsweise in den folgenden Publikationen statt: Hubertus von Ameluxen (Hg.): Fotografie nach der Fotografie. Dresden, Basel: 15

DIGITALE MEDIENKULTUR. WAHRNEHMUNG — KONFIGURATION — TRANSFORMATION

Das Problem der Referenzlosigkeit der computergenerierten Bilder führt zu der Frage nach dem Verhältnis von Fiktion und Realität. William J. Mitchell macht mit dem „pictural turn“ deutlich, dass es nun an der Zeit sei, das Begehren der Bilder und des damit verbundenen Diskurses kritisch zu hinterfragen. Hartmut Winkler konstatiert in Fotografie und Film eine in der Konstruktion der Maschine selbst verbürgte Ähnlichkeit der technisch erzeugten Bilder mit der äußeren Wirklichkeit und formuliert nun eine grundsätzliche Erschütterung durch das digitale Bild: „Der Weltbezug, der im Medium der Sprache zunehmend problematisch geworden war, schien damit auf eine nahezu unumstößliche Basis gestellt und die fiktionale Dimension der Bilder immer zu dominieren. Die digitalen Bilder nun geben diese augenfällige und über 150 Jahre stabile Lösung auf. Weil das Bild nicht Abbild eines Gegebenen, sondern Produkt einer Synthese ist, scheint der Weltbezug wieder völlig [...] dem gestaltenden Subjekt und damit jedem nagenden Zweifel überantwortet, der die Sprache und die vortechnischen Bilder in ihrer welterschließenden Fiktion so nachhaltig erschüttert hatte.“23

Einem anderen Aspekt digitaler Medienkultur, dem Computerspiel, hat sich seit geraumer Zeit auch die Forschung der aktuellen Kulturwissenschaften zugewandt. Dieses ist in der Populärkultur verankert und konkurriert mit Film und Fernsehen. Zahlreiche Wissenschaftler wie Britta Neitzel und Claus Pias haben Untersuchungen zu den Spezifika des Computerspiels durchgeführt. 24 Verlag der Kunst 1995. Christa Maar und Hubert Burda (Hg.): Iconic Turn: die neue Macht der Bilder. Köln: DuMont Verlag 2004. Manfred Faßler: Bildlichkeit: Navigationen durch das Repertoire der Sichtbarkeit. Wien: Böhlau Verlag 2002. 23 Hartmut Winkler: „Tearful reunion auf dem Terrain der Kunst? Der Film und die digitalen Bilder.“ In: Joachim Paech (Hg.): Strategien der Intermedialität. Stuttgart, Weimar: Metzler Verlag 1994, S. 300. 24 Hier seien nur einige Publikationen genannt: Britta Neitzel: Gespielte Geschichten. Narration und visueller Diskurs in Computerspielen. Münster: LIT Verlag; 2005; Noah Wardrip-Fruin (Hg.) First person: new media as story, performance and game. Cambridge, Mass.: MIT Press 2004; Mark J.P. Wolf (Hg.): The video game theory reader. New York: Routledge, 2003 sowie Evelyne Keitel, Gunter Süßet al. (Hg.): Spielkultur: Stichworte zur kulturwissenschaftlichen Computerspielanalyse. Lengerich: Pabst Science Publishers, 2003 und Claus Pias: Computer Spiel Welten. München: Sequenzia Verlag 2002. 16

EINLEITUNG

Die vorliegende Studie bezieht die Arbeiten Claudia Giannettis25 und Lev Manovichs26 grundlegend ein. Beide Herangehensweisen sind durch die Berücksichtigung von Denkmodellen aus der Geschichte der Entwicklung digitaler Technik fruchtbar. Eine kurze Zusammenstellung soll dem Überblick dienen: Lev Manovichs The Language of New Media aus dem Jahr 2001 kann als erste und bislang einzige umfassende und systematische Betrachtung neuer Medien gelten. Vor der Veröffentlichung in Buchform hat Manovich zentrale Ansätze in zahlreichen Mailinglisten-Postings und Internetforen über Jahre hinweg in Auszügen und Variationen diskutiert. Manovich behandelt sowohl die (künstlerische) Arbeit mit digitalen Medien, als auch die Frage nach dem Verhältnis von Kino und Computer. Sein Praxisbezug27 und sein interdisziplinärer Zugang28 machen die Besonderheit gegenüber der Vielzahl der Annäherungen an das Themenfeld aus. Dziga Vertovs Kunstfilm Chelovek s kinopparatom (Der Mann mit der Kamera, 1929) mit seiner Untersuchung von filmischer Form, Urbanität und technischem Blick wird den Betrachtungen leitmotivisch zugrunde gelegt.29 Manovich untersucht die formalen Eigenschaften des digitalen Codes sowie die Vorgeschichte der digitalen Medien und leitet aus deren Sprache eine veränderte Ästhetik des Kinos ab. 30 Bei Claudia Giannettis31 Ästhetik des Digitalen handelt es sich um einen Beitrag, der eine ästhetische Theorie der interaktiven com25 Claudia Giannetti: Ästhetik des Digitalen. Ein intermediärer Beitrag zu Wissenschaft, Medien- und Kunstsystemen. Wien, New York: Springer Verlag 2004. 26 Lev Manovich: The Language of New Media. Cambridge, Mass: MIT Press 2001. 27 Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit als Associate Professor, Visual Arts Department, University of California, San Diego, hat Manovich selbst einen Hintergrund als Programmierer und Künstler. 28 Er bezeichnet sich als „Medienarchäologe“ und zieht Disziplinen wie die Informationswissenschaft, die Kunstgeschichte und die Kulturwissenschaften in seiner Studie heran. 29 Die Kamera ist hier immer wieder zentraler Bezugspunkt und Ausgangspunkt der Wahrnehmung. Die Kamera wird als technisches Auge gefeiert, das in der Lage ist mehr zu sehen als das natürliche Auge und dieses ersetzen kann. 30 In diesem Zusammenhang ist die von Manovich entwickelte praktische Anwendung Soft Cinema von besonderem Interesse. Sie wird in Kapitel III näher untersucht. 31 Claudia Giannetti leitet das Media Centre of Art and Technology (MECAD) der Hochschule ESDi in Barcelona. 17

DIGITALE MEDIENKULTUR. WAHRNEHMUNG — KONFIGURATION — TRANSFORMATION

putergestützten Medienkunst entwirft. In ihrem Buch beschreibt sie einen Paradigmenwechsel in der Medienästhetik, der aus dem Zusammenspiel von Kunst, Wissenschaft und neuen Technologien resultiert. Einen vielversprechenden Ansatz vermeint sie in der Anwendung endophysischer Modelle in der ästhetischen Theorie verorten zu können.32 Die Endophysik („Physik von Innen“), ein etwa zehn Jahre junges Forschungsgebiet, geht von „den Prinzipien der beobachterobjektiven Endorealität und der unzugänglichen Exorealität aus“.33 Die beobachtete Realität ist demzufolge immer mit subjektiven Elementen behaftet. Dieser Ansatz verabschiedet sich endgültig von der Vorstellung einer beobachterunabhängigen Beschreibbarkeit der Welt. Um nun eine Beobachtung zu ermöglichen, „schlägt die Endophysik vor, Modellwelten zu erstellen, die Exomodelle von Endosystemen simulieren, zum Beispiel in einem computersimulierten Modelluniversum“.34 In der Endoästhetik meint Giannetti ein Instrumentarium zur umfassenden Analyse interaktiver Medienkunst gefunden zu haben. Die Annäherung an interaktive und virtuelle Kunst erfolgt darüber, sie als Simulationen, als Versuchsanordnungen der Welt („Endosystem“) wahrzunehmen. Der Nutzer bewegt sich im Endo- und Exosystem: er ist mit seiner sinnlichen Wahrnehmung in der interaktiven Installation und hat den Eindruck, durch seine Anwesenheit diese Installation zu beeinflussen, während er in seinem Bewusstsein weiß, dass er Teil einer Simulation ist. Giannettis Kunstbetrachtung begreift sich als „ästhetische Theorie jenseits der Ästhetik“.35 Um sich Phänomenen der Selbstreferentialität, der Simulation, der Virtualität, der Interaktivität und des Interfaces analytisch anzunähern, rekurriert sie auf die naturwissenschaftliche Modellbildung. Ob es des Zugriffs auf die Endophysik als Funktionsäquivalent, die von Giannetti wiederum in ihrer naturwissenschaftlichen Basis nicht kritisch hinterfragt wird, tatsächlich bedarf, sei dahingestellt. Es ist plausibel und das arbeitet 32 Sie greift dabei einen Vorschlag Peter Weibels auf und orientiert sich an den Arbeiten Otto E. Rösslers. Siehe Peter Weibel: „Virtuelle Realität: Der Endo-Zugang zur Elektronik“. In: Florian Rötzer und Peter Weibel (Hg.): Cyberspace. Zum medialen Gesamtkunstwerk. München: Boer Verlag 1993, S. 15-46 sowie Otto E. Rössler: Endophysik: Die Welt des inneren Beobachters. Berlin: Merve Verlag 1992. 33 Claudia Giannetti, a.a.O., S. 170. 34 Ebd. S. 170. 35 Ebd. S. 191. 18

EINLEITUNG

Claudia Giannetti mit ihrem Instrumentarium heraus, dass es sich bei einem Großteil der digitalen Kunst um simulierte Welten handelt. Allgemein spiegelt sich diese Annäherung der geisteswissenschaftlichen Forschung, insbesondere der Kunstgeschichte, an naturwissenschaftliche Forschungsansätze und Erkenntnisprozesse auch im aktuellen Technoscience-Diskurs36 wieder. Eine kunstwissenschaftliche Arbeit, die sich den (bio-)technologischen Aspekten aktueller Kunstproduktion widmet, hat Ingeborg Reichle vorgelegt. Die Kunst aus dem Labor37, hat sich mit ‚Artificial Life Art‘ und ‚Transgenic Art‘38 der Methoden und Verfahren der Naturwissenschaften verschrieben. Ebenfalls für die vorliegende Arbeit wegweisend sind die kunsthistorischen Betrachtungsperspektiven der Publikationen von Annette Hünnekens und Oliver Grau. Der bewegte Betrachter39 geht der Frage nach, ob das Schlagwort der Interaktion in der zeitgenössischen Kunst Relevanz aufweist. Es gelingt ihr, einen umfassenden historischen Überblick von der Computerkunst über die virtuelle Kunst zum digitalen Kunstwerk aufzuzeichnen und dessen kommu36 Die Verschmelzung von Technik und Wissenschaft und deren Durchdringung aller gesellschaftlichen Bereiche ist im Begriff der ‚Technoscience‘ gefasst, den Jutta Weber in Anlehnung an Donna Haraway (Modest_Witness@Second_Millennium. FemaleMan©_Meets_Onco Mouse™: Feminism and Technoscience. New York: Routledge, 1997, S. 279, Fußnote 1) als Epochenbegriff nutzt. Diese sich Mitte des 20. Jahrhunderts etablierte Form von Wissenschaft und Technologie sei besonders durch die Technisierung des Organischen gekennzeichnet. Die Technoscience dient ihr als Folie, vor der sie Mechanismen der Wissensproduktion darlegt. Jutta Weber: Umkämpfte Bedeutungen: Naturkonzepte im Zeitalter der Technoscience. Frankfurt/Main: Campus Verlag 2003. Online-Fassung 2001: http://elib. suub.uni-bremen.de/publications/dissertations/E-Diss228_webersec.p df (Stand 30.09.2005), Kapitel 3 II Technoscience S. 88-106. Siehe hierzu auch Barbara Becker: „Cyborgs, Robots und Transhumanisten. Anmerkungen über die Widerständigkeit eigener und fremder Materialität“. In Barbara Becker und Michael Pateau (Hg.): Virtualisierung des Sozialen. Frankfurt/Main: Campus Verlag 2000, S. 163-184. 37 Ingeborg Reichle: Kunst aus dem Labor. Wien, New York: Springer Verlag 2005. 38 Wie Arbeiten des amerikanischen ‚Gen‘-Künstlers Eduardo Kac und das von ihm manipulierte Ökosystem The Eighth Day. Siehe hierzu auch http://www.ekac.org (Stand 05.09.2005). 39 Annette Hünnekens: Der bewegte Betrachter. Theorien der interaktiven Medienkunst. Köln: Wienand Verlag 1997. 19

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nikativen Strukturen und Beteiligungsstrategien kritisch zu konturieren. Oliver Grau konstatiert in Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart Paradigmen heutiger interaktiver Computerinstallationen in den Illusionstechniken der Renaissance und den Panoramen des 19. Jahrhunderts bis hin zum Kino.40 Er legt visuelle Strategien von der Antike bis zur aktuellen Medienkunst frei. In Graus Problematisierung der Rezeptionsprozesse wird deutlich, dass neue Kategorien wie Interaktivität und Interface in der Betrachtung digitaler Medienkunst zentral sind. Diese kurz referierten Forschungsergebnisse bilden den theoretischen Hintergrund der vorliegenden Untersuchung. Die Profilierung divergenter Argumentationsmuster und Erfahrungsbereiche ist hierbei zentral und zielt nicht auf die Formulierung eines einheitlichen Konsenses ab, sondern ist um Anstöße für weitere diskursive Praktiken bemüht.

Zum Verständnis ‚digitaler Medien‘ Die Forschungsperspektive richtet sich auf ‚Neue‘ bzw. ‚digitale‘ Medien. Damit sind sowohl Computer, CD-ROM, DVD, Internet und die aktuelle Generation portabler Medien41 gemeint, also auf dem Prinzip des digitalen Codes basierende Produktions-, Speicherund Übertragungstechnologien im technischen Sinne: Formen, für deren Darstellung und Verbreitung ein Computer benötigt wird. An manchen Stellen ist eine Unterscheidung zwischen unidirektionalen Ausprägungen wie DVD und bidirektionalen wie Internet in der Spezifik der Interaktivität angebracht. Zur grundlegenden Darstellung der Geschichte digitaler Medien und ihrer technischen Novität sei an dieser Stelle auf Michael Friedewald u.a. verwiesen.42

40 Oliver Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. Berlin: Reimer Verlag 2002. 41 Darunter ist derzeit das Handy als Mehrzweckgerät dominant, das als Telefon, Organizer, Film- und Musikabspieler, Bildbetrachter, Aufnahmegerät für Bild, Film und Ton, Spielkonsole sowie Navigationsgerät genutzt werden kann. 42 Michael Friedewald: Der Computer als Werkzeug und Medium. Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers. Berlin: Verlag für Geschichte der Naturwissenschaft und der Technik, 1999. Jochen Hörisch: Eine Geschichte der Medien. Von der Oblate zum Internet. Frankfurt/Main: Suhrkamp Taschenbuch Verlag 2004. Originalausgabe: Der Sinn und die Sinne. Eine Geschichte der Medien. 20

EINLEITUNG

Claudia Giannetti43 geht von den kybernetischen Grundlagen digitaler Medien aus, um zu einem allgemeinen Modell digitaler Kunst- und Mediensysteme zu gelangen. In der ersten Entwicklungsphase digitaler Medien war der Parameter Information als Schlüsselbegriff der Kybernetik prägend. Zunächst einmal sind es Alan Turings Forschungen für die Automatisierung von Rechenprozessen44, die später zur Entwicklung von Arbeiten zur Künstlichen Intelligenz führten. Norbert Wieners Theorien der Kontrolle und Zirkularität der Kommunikation45 und Claude Shannons Informationstheorie46 bilden weitere Theoriestränge. Eine weitere wichtige vierte Theorie bildet die von dem Neurologen und Psychiater Warren McCulloch und dem Mathematiker Walter Pitts 1943 formulierte Hypothese, dass die menschliche Erkenntnis auf logische Funktionen neuronaler Netze beruhe.47 Nicht mehr dem aktuellen Forschungsstand entsprechend und in weiten Teilen widerlegt, zeugen doch einige Schlussfolgerungen von einem visionären Geist: Die Weltkenntnis sowie die Kenntnis des Selbst seien in Bezug auf den Raum unvollständig und auf Zeit unbestimmt. Sämtliche intelligente Prozesse seien im Gehirn zu lokalisieren. Dies führt zur Zielformulierung, die ‚Rechenprozesse‘ des Gehirns reproduzierbar zu machen. 48 Neben der Nachahmung von Nervensystemen durch elektronische Schaltkreise entstand eine neue Forschungsrichtung, Künstliche Intelligenz (KI) genannt. Diese nutzte Computer für abstrakte logische Operationen. Die entwickelten Programme, die eine Art ‚Denken‘ umzusetzen schie-

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Frankfurt/Main: Eichborn Verlag 2001. Darin: Kapitel 12: Computer/Internet. Claudia Giannetti: Ästhetik des Digitalen. Wien, New York: Springer Verlag 2004. Alan M. Turing: „Rechenmaschinen und Intelligenz“. In: Friedrich Kittler und Bernhard Dotzler (Hg.): Alan Turing. Intelligence Service – Schriften. Berlin: Brinkmann & Bose 1987, S. 17-60. Siehe Norbert Wiener: Mensch und Menschmaschine. Kybernetik und Gesellschaft. Frankfurt/Main: Athenäum Verlag 1966. Siehe Shannon/Weaver, a.a.O. Warren S. McCulloch und Walter H. Pitts: „Ein Logikkalkül für die der Nerventätigkeit immanenten Gedanken“. In: Warren S. McCulloch (Hg.): Verkörperungen des Geistes. Wien, New York: Springer Verlag 2000, S. 24-40. Siehe hierzu Paul M. Churchland: Die Seelenmaschine: eine philosophische Reise ins Gehirn. Heidelberg et al.: Spektrum Verlag 1997. 21

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nen, konnten passable Ergebnisse vorweisen, wenn es sich um Fragestellungen aus den Bereichen Geometrie und Logik handelte. „Der Versuch einer Algorithmisierung menschlichen Denkens, wie sie einige rationalistische Strömungen im KI-Bereich anstreben, beruht auf der cartesianischen Annahme, Wissen sei bewusst und explizit.“49 Die bis heute vorherrschenden Probleme, menschliche Wahrnehmung und Handlung nachzuahmen, führten zu einer langfristigen Desillusionierung der KI-Euphorie. 50 Die zunehmende Verbreitung der Technologie der Digitalisierung vereinte anfangs die Untergrundszenen von Hippies und Hackern auf philosophischer und politischer Ebene. Die neuen Technologien wurden von diesen Gruppen als geeignetes Mittel angesehen, um Politik, Arbeitswelt und das Zusammenleben von Menschen zum Besseren zu verändern. Zu dieser Zeit traten Kultfiguren auf wie die Technologie-Apologeten R.U. Sirius51 und Jaron Lanier52. Die darauffolgende Euphoriephase, die in der technologischen Entwicklung die Verwirklichung des ‚American Dream‘ sah, wird gerne als ‚kalifornische‘ Frühphase digitaler Medien bezeichnet. Der große Durchbruch in der Verbreitung digitaler Medien gelang allerdings erst, nachdem die Rechner vom komplizierten Gerät für Spezialisten53 zum Personal Computer54 entwickelt und schließlich erschwinglich, bedienfreundlich und leistungsfähig wurden. Einen weiteren Entwicklungsstrang leitete die Computervernetzung ein, deren Ursprung auf Forschungen des US-Militärs zurückgeht, bevor sie in die akademische Nutzung überführt wurde. Beide 49 Giannetti, a.a.O., S. 135. 50 Siehe hierzu: Hans Moravec: „Körper, Roboter und Geist“. In Christa Maar und Thomas Christaller (Hg.): Die Technik auf dem Weg zur Seele. Forschungen an der Schnittstelle Gehirn/Computer. Reinbek: Rowohlt Verlag 1996, S. 162-195 sowie Frank Dittmann: „Maschinenintelligenz zwischen Wunsch und Wirklichkeit“. In: Claus Pias (Hg.): Zukünfte des Computers. Zürich, Berlin: diaphanes, 2005, S. 133-155. 51 Mitbegründer des Cybermagazins Mondo 2000, bis vor Kurzem nutzte er http://www.the-revolution.org als Plattform für die Verbreitung seiner politischen Manifeste. 52 Jaron Lanier arbeitete an der Entwicklung des Datenhandschuhs mit und begründete die erste Virtual-Reality-Firma (VPL) Ende der 80er Jahre. 53 Angefangen bei Alan Turings Universal Discrete Machine 1936. 54 Siehe hierzu: Friedewald, a.a.O. 22

EINLEITUNG

Stränge, das vernetzte Kommunikationsmedium und der PC als Universalwerkzeug, fanden 1990 zusammen. 1991 wurde das World Wide Web (WWW) eingeführt und brachte mit Hilfe einer benutzerfreundlichen Software55 den Anstoß dazu, dass unzählige „Normalverbraucher“ dieses Medium über bereits existierende Telefonleitungen zu nutzen begannen. Zu dieser Zeit ist der Schritt von einem Außenseitermedium, das Experten vorbehalten ist, zum Konsummedium für Information, Kommerz und Unterhaltung vollbracht. Bis zum Jahr 2004 ist die Rede von exponentiellem Wachstum in der Nutzung des World Wide Web.56 Durch die antizentralistische Struktur des Internet und seine unübersehbare Anzahl von Nutzern ist der Versuch, das Internet zu zensieren, rein technisch zum Scheitern verurteilt. Problematischer hingegen stellt sich die Zweiteilung der Weltgesellschaft dar: in diejenigen, die technische Zugangsmöglichkeiten zu den elektronischen Netzen besitzen (auch wenn diese stark vom Weltverständnis und der Sprache der westlichen Hemisphäre geprägt sind), und diejenigen, die erst gar keinen Zugang, „Access“, haben: aus Mangel an Strom, Telefonleitungen, Infrastruktur, Hardware.57 Es ist kein Geheimnis, dass medientechnische Neuentwicklung dem Geist des Geldes folgt. So sind auch 55 Zunächst wurde als Browser das Programm Mosaic genutzt, später kam der Navigator der Firma Netscape hinzu. Das junge Unternehmen ging an die Börse und begründete den Boom der Computerbranche, der von 1995 bis 2000 währen sollte. 56 Die Anzahl der erwachsenen Online-Nutzer in Deutschland betrug 1997 4,1 Millionen, 1999 11,2 Millionen und 2005 37,5 Millionen, d.h. knapp 58 % der Bevölkerung ab 14 Jahre nutzen das Internet überwiegend funktional-pragmatisch als Informationsquelle sowie unterhaltend-spielerisch (Quelle: ARD/ZDF-Online-Studie 1999: ARD/ZDF-Arbeitsgruppe Multimedia: „ARD/ZDF-Online-Studie 1999: Wird Online Alltagsmedium?“ in: Media Perspektiven 8/99, Frankfurt/Main, S. 401-414, 1999 und 2005: Birgit von Eimeren und Beate Frees: „Nach dem Boom: Größter Zuwachs in internetfernen Gruppen“, Media Perspektiven 8/2005, Frankfurt/Main, S. 362-379, 2005). Eine Schwächung der Wachstumsdynamik seit dem Jahr 2004 bestätigt auch der (N)ONLINER Atlas 2004, eine gemeinsamen Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid und der Initiative D21 (einer Kooperation von Wirtschaft und Politik). 57 Jean Cubitt hebt in Digital Aethetics (London, Thousand Oaks, New Dehli: Sage Publications 1998) besonders die Diskussion um digitale Ethik hervor in seiner Untersuchung der Geschichte digitaler Medien, des Interface, der Globalisierung und der Virtualisierung. 23

DIGITALE MEDIENKULTUR. WAHRNEHMUNG — KONFIGURATION — TRANSFORMATION

hier mediale Ausformung und ökonomische Erfordernisse verschränkt. Angesichts der Massennutzung erscheint der Anteil kreativer Nutzung durch Geeks58, Hacker und Freaks gering, da er nicht prozentual mit den Nutzungszahlen angewachsen ist. Doch es gibt ihn nach wie vor. Ebenso hat die digitale Medienkunst ihren Anteil im Netz. Die Massenwirksamkeit verdankt sich jedoch dem Umstand, dass digitale Medien mit ihren Inhalten und Formen breite Anwendungsgebiete abdecken, die es ermöglichen, an einer unüberschaubar gewordenen Welt zu partizipieren, individuell informiert zu sein und genussvoll unterhalten werden.59 Der Computer, zunächst individuelles Arbeitsinstrument, inzwischen kollektiv genutztes Kommunikationsmedium, wird zunehmend als eigenständiges Medium gedacht.60 Der Massenmedienbegriff, wie er für Film, TV und Radio geprägt wurde, trifft jedoch nicht ohne weiteres auf digitale Medien zu.61 Computer bzw. Internet können als tertiäre Medien gelten, da Produktion und Rezeption nur in technisch-apparativen Zusammenhängen funktionieren. Darüber hinaus sind sie als Hybridmedium zu bezeichnen, da ihre Funktionen sowohl kommunikativer als auch medialer, individueller und massenmedialer Art sind. Aus technischer Sicht stellen sie eine Hybridbildung aus audiovisueller Medientechnologie, Buchdruck, Telefon und Rechenmaschine dar. Der Computer selbst ist als Speicher- und Arbeitsgerät definierbar, er überführt Zeichen in Rechenoperationen und dient als Schreibinstrument für visuelle, auditive und multimediale Texte. Seine Funktionen in der Vernetzung reichen von der Übertragung und Speicherung zum Informationsaustausch bis hin zur Kommunikation.62 58 Exzessive Computernutzer jenseits des Mainstream. 59 Siehe hierzu: Allucquère Rosanne Stone: The War of Desire and Technology at the Close of the Mechanical Age. Cambridge, Mass: Massachusetts Institute of Technology 1996. 60 Vgl. Peter Brödner 1997: Der überlistete Odysseus. Über das zerrüttete Verhältnis von Menschen und Maschinen. Berlin: edition sigma 1997, S. 319ff. 61 Vgl. Knut Hickethier: Einführung in die Medienwissenschaft. Stuttgart, Weimar: Metzler Verlag 2003, S. 309. 62 Den problematisch gewordenen Medienbegriff reflektiert der von Sybille Krämer herausgegebene Sammelband Medien Computer Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1998. Die Beiträge untersuchen die Frage des Computers als Medium und gehen den Veränderungen im Wirklich24

EINLEITUNG

Mediale Wechselspiele: Vorläuferformen und Intermedialitäten Kontinuitäten und Diskontinuitäten, Parallelen und Unterschiede der Formen lassen sich durch die gesamte Mediengeschichte hindurch feststellen.63 Wo basieren Ausdrucksmittel digitaler Medien auf Filmsprache, wo brechen digitale Medien mit tradierten Repräsentationsformen? Was ist wirklich ‚neu‘ an den ‚Neuen Medien‘? Charakteristika jeweils aktueller Medien sind prozessual zu verstehen. Bei der Beschäftigung mit ästhetischen Formen digitaler Medien wird offenkundig, dass mediale Verfahren der Malerei, der Aktionskunst, des Comic, der Fotografie, des Grafik-Designs und filmische Semantiken miteinander verknüpft sind. Es sind mediale Transformationen zwischen diesen Formen auszumachen. An dieser Stelle soll nur kurz auf einige Parallelen und Vorläuferformen aufmerksam gemacht werden: In der text-sprachlichen Gestaltung der Comics lassen sich Parallelen zu digitalen Kommunikationseigenheiten erkennen. Für letztere kennzeichnend werden Ähnlichkeiten mit Sprechtext, Akronymen, Emoticons und sprachliche Kurzformeln ausgemacht64, während bereits die Sprachstruktur der Comics am Code der Umgangssprache orientiert ist und visuelle Metaphern als ikonische Darstellungen von sprachlichen oder allgemein kulturellen Zeichen verwendet werden.65 keitsverständnis des Rezipienten nach. Siehe auch Hickethier, a.a.O., 17. Computer/Internet, S. 309-329. 63 Siehe hierzu den Sonderforschungsbereich bzw. das kulturwissenschaftliche Forschungskolleg 615 der Deutschen Forschungsgemeinschaft „Medienumbrüche“ an der Universität Siegen. 64 Vergleiche hierzu Nicola Döring: „Have you finished work yet? :-)“. In: Receiver, Ausgabe 6: The mobile Self., 2002. http://www. receiver.vodafone.com/06/articles/index05.html (Stand 26.02.2005); „1x Brot, Wurst, 5Sack Äpfel I.L.D.“ In: Zeitschrift für Medienpsychologie 14 (3), 2002, S.- 118-128 und „Kurzm. wird gesendet.“ In: Muttersprache. Vierteljahresschrift für Deutsche Sprache 112 (2), 2002, S. 97-114. 65 Sternchen werden beispielsweise als Metaphern für Schmerz eingesetzt. Die Gestaltung der Sprechblase kennzeichnet bestimmte Sprechakte: eine gestrichelte Umrandung weist darauf hin, dass der Sprechblasen-Inhalt geflüstert wird, eine wolkenförmige Linie zeigt an, dass es sich um Gedanken handelt, während die gezackte Linie deutlich macht, dass dieser Sprechinhalt geschrien wird. Der sprachli25

DIGITALE MEDIENKULTUR. WAHRNEHMUNG — KONFIGURATION — TRANSFORMATION

Abb. 1 und 2: Bill Watterson: Calvin und Hobbes

Freude: Sprachlich-grafische Sonderformen in computervermittelten Kommunikationsdiensten

Die Handlungssequenzierung in Bildstreifen, Phasenverschiebungen oder Kernpunkte im Comic66 spielt auch bezüglich narrativer Muster digitaler Medien eine Rolle. Im Zuge der Globalisierung der Medienkulturen sind derartige Einflüsse nicht nur innerhalb der westlichen Hemisphäre auszumachen. Die Prinzipien der Bildkomposition und -abfolge japanischer Mangas rekurriert auf nonlineare, bildhafte Erzählstrukturen, wechselnde Blickpunkte und multiple Perspektiven, die dem Filmischen geschuldet sind. Konzepte und Gestaltungen neuerer Mangas in Comic, Anime und Online-Publikationen lassen deutlich hypermediale Wechselspiele im Kontext digitaler Medienästhetik erkennen. Ebenso verhält es sich mit der „dekonstruktivistischen“ Typografie bzw. dem Grafik-Design: beide sind in den 1980er Jahren entwickelte Stilrichtungen, die an die Namen Neville Brody und David Carson67 geknüpft sind. Heute zeugen Subkultur-Magazine der Surfer, Skater und Snowboarder in eindrucksvoller Art von dieser Ausprägung. Die überwiegend am PC erstellten Designs trachten, mit „allen“ Konventionen des Kommunikationsdesigns zu

chen Gestaltung digitaler Kommunikation widmen sich Nicola Döring (2002, siehe oben) sowie Ernest W.B. Hess-Lüttich und Eva Wilde in „Der Chat als Textsorte und/oder als Dialogsorte“. http://www.linguistik-online.de/13_01/hessLuettichWilde.pdf (Stand 26.02.2005). 66 Christina Holtz: Comics, ihre Entwicklung und Bedeutung. München: Saur Verlag 1980. 67 David Carson und Lewis Blackwell: The End of Print. München: Bangert Verlag 1995. 26

EINLEITUNG

brechen, selbst auf Kosten der Les- oder Verstehbarkeit68, um eine dem Inhalt angemessene grafische, oftmals collagenhafte Gestaltung zu entwicken. Diese zumeist effektheischende Gratwanderung wird nicht zufällig zügig von der Werbeindustrie aufgegriffen.

Abb. 3: Text wird zum – nicht mehr lesbaren – grafischen Element. Seitenlayout der Musikzeitschrift Ray Gun von David Carson Too Much Joy, 1992 Die digitale Ästhetik, für die der Umgang mit vielfältigem DatenMaterial, d.h. numerischen Repräsentationen von Medienelementen, spezifisch ist, findet eine Spielart in dieser Design-Ausprägung. Die Collagetechnik, wie sie die Kunst der 1920er Jahre und das GrafikDesign der 1980er Jahre eingesetzt haben, hat das Lese- und Verständnisvermögen des Betrachters modularer und variabler Formen geprägt. Die im angesprochenen Grafik-Design ausgeprägte Praxis, Text als Grafik zu verwenden, findet im Internet ihre Entsprechung als anklickbare Grafik. So weist Aleida Assmann darauf hin, dass diese Darstellung zu dem Übergang vom „reading“ zum „gazing“ führt, dem Festhalten am Aussehen einer Schrift, was einem intensiven Lesen entgegenstehe.69 68 Durch Überlagerungen von Texten, nonlinearer Anordnung von Seiten und Abschnitten, Textspiegelungen, Text-Bild-Überschneidungen, Einsatz von Text als Bild u.v.a.m. 69 Aleida Assmann: „Die Sprache der Dinge. Der lange Blick und die wilde Semiose.“ In: Hans Ulrich Gumbrecht, Karl Ludwig Pfeiffer 27

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Forschungen zu präfilmischen Dispositiven, wie die Arbeiten Jonathan Crarys70 und Ulrike Hicks71, haben deutlich hervorgehoben, dass technische Innovationen und wahrnehmungsästhetische Veränderungen eng miteinander verbunden sind und dass Medienumbrüche nicht ohne Medienästhetik72 zu erfassen sind. Wie Ulrike Hick detailliert herausgearbeitet hat, macht das 19. Jahrhundert einen Bruch in der Geschichte der optischen Medien sichtbar. Die bis dahin festgefügte Beziehung zwischen dem Betrachter und dem Betrachteten wird nach und nach aufgelöst. Im Zuge der Industrialisierung, so Hick, setzt eine Fragmentarisierung von Bewegung und Perspektiven ein, welche das kinematografische Verfahren und die entsprechende Art des Sehens vorbereiten. Das Kino löste das damals noch sehr erfolgreiche Panorama ab und die Zuschauer ließen sich fortan nach vorgegebenem Tempo von einer Geschichte mitreißen – dies geschah zwar in Anlehnung, aber auch in Differenz zu den vorhergehenden Dispositiven. Erst wurde die Hervorbringung künstlerisch wertvoller Produkte durch die Kinematografie noch angezweifelt73, doch Filme wie Der Student von Prag (1913) und Der Golem (1914) waren in der Lage, derartige Zweifel aus dem Weg zu räumen. Spezifische filmische

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(Hg.): Materialität der Kommunikation, Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1988, S. 237-251. Jonathan Crary: Techniken des Betrachters. Dresden, Basel: Verlag der Kunst 1996. Ulrike Hick: Geschichte der optischen Medien. München: Wilhelm Fink Verlag 1999. Medienästhetik wird hier als „Wahrnehmungsform von Medien“ begriffen, siehe Ralf Schnell: Medienästhetik. Zur Geschichte und Theorie audiovisueller Wahrnehmungsformen. Stuttgart, Weimar: Metzler Verlag 2000, S. 11. Die komplexe Diskussion um „Film als Kunst“ kulminierte erstmals in der gleichnamigen Publikation Rudolf Arnheims aus dem Jahr 1932: „Film als Kunst“. In: Franz-Josef Albersmeier (Hg.): Texte zur Theorie des Films. Stuttgart: Reclam Verlag 1979, S. 179-203. Der Disput darüber, ob Film der Kunst zuzurechnen sei wurde um die Oppositionen Hoch- versus Massenkultur, Buch versus Film und E-Kultur versus U-Kultur geführt. Die abwertende Beurteilung des Films in diesem Diskurs zeugt von einer tiefen Krise der Literatur, die sich zudem noch konfrontiert sieht mit einer neuen Form der Kulturproduktion, in der Technik eine große Rolle spielt. Siehe hierzu: Heinz-B. Heller: Literarische Intelligenz im Film: zu Veränderungen der ästhetischen Theorie und Praxis unter dem Eindruck des Films 1910-1930 in Deutschland. Tübingen: Niemeyer 1985. 28

EINLEITUNG

Inszenierungs- und Darstellungsmittel – beginnend mit filmischer Narration, Schauspielerführung, Drehbuch, Texttafeln – wurden mit der Zeit für den Film entwickelt und waren nicht mit Erreichen der technischen Möglichkeiten geboren. Oftmals ist gerade in den vermeintlichen Defiziten (der frühe Film ohne Ton74 und Farbe) die eigentliche Stärke zu sehen. Arnheim etwa wertet die „Verringerung der räumlichen Tiefe“ oder die „Projektion von Körpern in die Fläche“ als spezifisch künstlerische Qualität.75 Film- und Videopraxis haben sich unter gegenseitiger Bezugnahme entwickelt76 und sind mit der Zeit immer stärker zusammen gerückt. Die Dogma-Bewegung und der Independent Film haben durch den bewussten Umgang mit dem filmischen Material, erweiterte Möglichkeiten im Dokumentar- und Spielfilmbereich ausgelotet. Die Zuschauer haben diese Abweichungen von der HollywoodNorm (siehe The Blair Witch Project [1999] und die Dogma-Filme) akzeptiert.77 Am Celluloid verhaftete Praktiker beklagen jedoch angesichts der fehlenden Materialität des digitalen Filmmaterials die „Mittelmäßigkeit“ des Videoschnitts im Vergleich zum Filmschnitt. Die Videotechnik hat in Filmdiskursen zudem noch einen schweren Stand und einen schlechten Ruf: ihr wird entgegengehalten, die Filmempfindlichkeiten des Celluloid ermöglichten größere Gestaltungsfreiheiten und ausdifferenziertere Kontraste.78 Im Jahr 2002 konstatiert Ulrich Gregor, Leiter des Forums des jungen Films der Berlinale und Gründer sowie Vorsitzender der Deutschen Kinemathek, das Celluloidbild habe „Lebendigkeit, während das elektronische Bild kalt wirkt“.79 Er klagt über „visuelle Verarmung“ und 74 Wenn auch – in Anbetracht der Anwesenheit des Kinerzählers und der musikalischen Begleitung – nicht gänzlich stumm. 75 Rudolf Arnheim: „Film als Kunst“. In: Albersmeier (Hg.), a.a.O., S. 180 und S. 182. 76 Brüche und Störungen zeugen für eine neue Ausdruckskraft der Videokunst, die sich von perfekten Bildern der Hollywoodindustrie abgrenzt. Vergleiche die im Experimentalfilm entwickelten Formen und Techniken, die sich in der Videokunst wieder finden. Siehe aber auch aktuelle filmischen Arbeiten von Steven Soderbergh. 77 Thomas Winkler: „Von Körnern und Pixeln“. taz Nr. 6863 vom 26.09.2002, S. 15. 78 Ebd. 79 Ebd. 29

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„Disziplinlosigkeit beim Drehen“ sowie den „Verlust an Bildkultur“.80 Derartige geringschätzige Bezeichnungen zeugen von einem verklärten Blick auf den Film (und mögen ihre subjektive Grundlage haben). In der Unterscheidung zwischen Film und Video schwingt immer eine Opposition mit: zwischen Unterhaltung und Kunst, zwischen Fernsehen und Kino, zwischen Wertlosem und Wertvollem. Fest steht, dass viele Regisseure, wissen sie bereits vorab, dass ihr Film im Fernsehen ausgestrahlt werden wird, ihn so drehen, dass die Bildränder, die formatbedingt im Fernsehen nicht zu sehen sein werden, keine handlungstragenden Informationen beinhalten. Dies stellt neben der Werbeästhetik eine weitere Anpassung an das Medium Fernsehen dar. Die kostengünstigere Produktionsmöglichkeit auf Video hat auch dazu geführt, dass als trivial geltende Genres, wie z.B. die TV-Soap oder aktuelle Berichte (Sport, Nachrichten) auf Video gefilmt werden. Hierdurch entsteht die Assoziation mit dem Billigen und Gewöhnlichen. Wie in der „Kino-Debatte“ findet hier eine Zuschreibung inhaltlicher Qualität auf die Technik statt. Protagonisten des Films in Theorie und Praxis sind gegenüber elektronischen Technologien sehr skeptisch und vergessen bisweilen, dass Film eben nicht nur Kunst, sondern vor allen Dingen primär ein gigantischer Wirtschaftszweig ist. Gerade der wirtschaftliche Aspekt wird die neueren Technologien am Markt stärken. Ebenso erging es dem Film in seiner Frühzeit. Es erscheint bezeichnend, dass technische Unterschiede bei der Entwicklung neuer medialer Verfahren von Vertretern traditioneller Medien als Defizite ausgelegt und in Qualitätskriterien dieser umgedeutet werden. Tilman Welther81 macht deutlich, dass es sich, unabhängig von technischen Einlösbarkeiten, hierbei um Zuschreibungsmöglichkeiten handelt. Diese öffentlichen Diskurse, die jedes neue Medium auslöst, ähneln sich nicht nur in Bezug auf inhaltliche Punkte wie Probleme und Möglichkeiten, die der jeweiligen Technologie attestiert werden, sondern auch in ihren Argumentationsstrukturen.82

80 Alle ebd. 81 Welther, a.a.O. 82 Ebd. S. 286. Er macht bei den Medienetablierungsdiskursen über Film und Computer Kategorien aus wie „Polarisierungspotential“, „Anwendungsbestimmtheit“ und „Universalcharakter“. 30

EINLEITUNG

Merkmale digitaler Medien: Manovichs fünf Prinzipien Um zu einer Bestimmung der übergreifenden Wesensmerkmale digitaler Medien zu gelangen, wird der Ansatz von Lev Manovich gewählt. Er arbeitet fünf Prinzipien digitaler Medien heraus83, in denen sie sich von analogen Medien unterscheiden. Diese Prinzipien bauen aufeinander auf: Numerische Repräsentation: Das Prinzip der numerischen Repräsentation bezeichnet die mathematische Beschreibbarkeit von Objekten84. Das bedeutet, dass innerhalb digitaler Medien alles quantifizierbar ist. So hängt der Fotorealismus eines digitalen Bildes beispielsweise von der Auflösung – der Anzahl der Pixel pro Fläche – ab oder die Bewegungsillusion von der Rate der Frames pro Sekunde. In der Werbung für Hard- und Software werden die quantifizierbaren Angaben besonders herausgestellt: Prozessorgeschwindigkeit, Auflösung, Übertragungsrate, Festplattengrösse etc. Alle digitalen Medientypen beruhen auf demselben digitalen Code. Sie sind alle programmier- und manipulierbar. Modularität: Neue Medien basieren auf unabhängigen einzelnen Fragmenten, die auf eine identische ‚Bauart‘ zurückgehen. Medienelemente können also als einzelne Einheiten (Modulen) dargestellt werden (von Einzelmedien bis hinunter zu Pixeln). Daher können diese Einzelteile wieder neu kombiniert werden, ohne dass jedes Einzelteil seine Autonomie verlieren würde: es kann gesondert bearbeitet werden. Verschiedene Medien werden somit nicht addiert, sondern integriert. Es handelt sich bei den digitalen Medienobjekten selten um Neuschaffungen, sondern häufiger um Neu-Zusammenfügungen: Bildpixel fügen sich zu einem Bild und können zusammen mit Textelementen zu einer Internetseite zusammen gefügt werden. Die Neukombination der Module durch eine Auswahl aus Vorhandenem findet, so Manovich, seinen zeitgemäßen Ausdruck in der Person des DJs, der mit der Remixing-Technik arbeitet.85 83 In: Manovich, a.a.O., S. 27-48. 84 Manovich nutzt in Abgrenzung zu den Begriffen „product“, „artwork“ oder „interactive media“ u.ä. den in der Programmierung geläufigen Ausdruck des „object“ und spricht von „new media objects“. Er beabsichtigt zudem die Konnotation mit der Bezeichnung der russischen Avantgarde für ihre Kunstwerke. Ebd. S. 14. 85 Siehe hierzu Ulf Poschardt: DJ Culture. Reinbek: Rowohlt Verlag 1997. Er datiert den Durchbruch der DJ-Kultur in das Jahr 1987. Die 31

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Automation: Die modulare Struktur ermöglicht wiederum automatische Generierung. Die Operationen bei der Erstellung eines Medienobjekts, so Manovich, seien durch Automation geregelt. Die Automation sei anschaulich anhand dynamischer Websites, bei denen Websites aus Datenbanken heraus generiert werden (im elektronischen Buchhandel, sonstige Vertriebs- oder Rechercheangebote), aber auch in den Sortier- und Suchfunktionen im Microsoft Office Programm Word oder der Routine eines Virenscanners. Variabilität: Die Variabilität digitaler Medien beinhaltet, dass Medienobjekte nie endgültig fixiert oder unveränderlich sind. Die Codierung macht es möglich, dass diese nun in unterschiedlichen Variationen existieren können. Buch, Fotografie, Film und Video werden als Artefakte ein Mal erstellt und sind schwer veränderbar, da die Information auf ein Trägermedium aufgebracht und dort fixiert wird. Die elektronische Speicherung auf digitalen Trägermedien hingegen flottiert, sie ist einfach veränderbar: ein solches mediales Objekt besteht aus einem dynamischen System von Variablen. Dadurch ist alles im Fluss, nichts ist endgültig: digitale Medien sind immer individuell variierbar. Beispiele für dieses Prinzip sind durch nutzerspezifische Parameter individualisierte Webangebote (z.B. bei eBay oder Amazon), individuelle Werbung, die Methode, mittels Templates Webseiten ein neues Erscheinungsbild zu geben oder ein Bild in verschiedenen Programmen betrachten zu können, die Skalierbarkeit in der Bildbearbeitung, variable Bildgrößen für verschiedene Bildschirmeinstellungen, unterschiedliche Übertragungsqualitäten je nach Webanbindungsqualität, um nur einige zu nennen. Manovich sieht darin einen Ausdruck des kulturellen Wertes der Individualität im postindustriellen Zeitalter und macht hierin eine Differenz zu dem auf die Konformität der Masse ausgerichteten industriellen Zeitalters aus. Transcodierung: Der Begriff der Transcodierung stammt aus der Videotechnik und bezeichnet Farbcodierungsverfahren ohne Qualitätsverlust. Im Zusammenhang des gewählten Themas bezeichnet es Anwendung der zunächst in der Musik entwickelten Remixing-Technik ist in den visuellen Bereich, in den Bereich der Softwaregestaltung und in die literarische Textproduktion eingezogen. Diese ästhetische Strategie wird auch von Rolf Großmann untersucht in: „Collage, Montage, Sampling“. In: Harro Segeberg und Frank Schätzlein (Hg.): Sound. Zur Technologie und Ästhetik des Akustischen in den Medien. Marburg: Schüren Verlag 2005, S. 308-331. 32

EINLEITUNG

den Übergang von ‚alten‘ zu ‚neuen‘ Medien. Manovich konstatiert, die neuen Medien selbst befänden sich im Zentrum der Transcodierung zwischen Computer und Kultur. Die Computerisierung der Kultur, die Computerkultur, beschreibt er als eine Mischung aus traditionellen Formen der Weltsicht und den Methoden des Computers, Welt zu repräsentieren. Die gesamte Kultur, so Manovich, werde damit von der Ontologie des Computers geformt.

Das ‚Neue‘ und das Problem der Interaktivität Interaktivität wird häufig als Grundeigenschaft digitaler Medien und Unterscheidungsmerkmal bezüglich analoger Medien genannt. Dem Innovation verheißenden Begriff der Interaktivität wurde in der Anfangsphase digitaler Medien gar die Fähigkeit zur Lösung zeitgenössischer Probleme attestiert. Diesem Umstand ist kritisch zu begegnen, macht man sich bewusst, dass selbst die Fernbedienung als eine interaktive Schnittstelle betrachtet werden kann.86 Zudem prägen non-lineare Erzählweisen die literarische Moderne seit über einem Jahrhundert. Bereits Michail Bachtin weist in seinen literaturwissenschaftlichen Schriften87 darauf hin, dass der Leser in der Annäherung an ein Werk eine aktive und kreative Tätigkeit vollzieht, da das Verstehen des Werkes in der Fähigkeit bestehe, das Werk zu vervollständigen. Wie deutlich wird, bedarf es an dieser Stelle einer begrifflichen Differenzierung. Hierbei ist das von Knut Hickethier vorgeschlagene Interaktivitätsmodell88 nützlich, das sechs Stufen unterscheidet: • Ein-/Ausschalten, Wechsel zwischen Angeboten, • Auswahl bei TV-Kanälen, • Zusatzinformation beim Fernsehen („Bildschirmtext“), 86 Vgl. hierzu Hartmut Winkler: Switching, Zapping: Ein Text zum Thema und ein parallellaufendes Unterhaltungsprogramm. Darmstadt: Häusser, 1991. Winkler macht darin deutlich, dass der Zuschauer sich aus der passiven Konsumentenrolle löst, indem er mittels Fernbedienung vom Fernsehen angebotene Sinneinheiten zerstört und über das durch die Dekontextuierung erhaltene Material verfüge. 87 Siehe hierzu Michail Michailovich Bachtin: Die Ästhetik des Wortes. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1979 und Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur. Frankfurt/Main: Fischer, 1990. 88 Hickethier, a.a.O., S. 317-318. 33

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• individueller Abruf (media on demand), • Interaktion (kommunikativ), aktive Benutzerführung mit Rückkanal, • Kommunikationsinhalte werden direkt beeinflusst und verändert. Es soll für einen eingeschränkten Geltungsbereich des Begriffs plädiert werden: Zieht man diese Formen heran, so sind sicherlich die beiden letzten Punkte für digitale Medien bezeichnend. Der Rückkanal durch das WWW und E-Mail bietet die Möglichkeit kommunikativer Interaktivität und des Austauschs. Die Manipulation des eigenen technischen Apparates und seiner Funktionen bzw. Inhalte hat nicht umsonst oft zu der Aussage geführt, hier sei Brechts Radiotheorie – im Essay „Der Rundfunk als Kommunikationsapparat“ 1932 erschienen89 – zur Wirklichkeit geworden. Er forderte die Öffnung der Nutzungsmöglichkeiten von Medien durch die Aufhebung der klassischen Rollenfestlegung auf Sender und Empfänger. Der Ansatz Brechts wird noch in der aktuellen Diskussion um Interaktivität ins Feld geführt, die um die Begriffe Medientechnik und Gesellschaftsstruktur oszillieren.90 Tatsächlich finden sich Kommunikation und Interaktivität in der Verschmelzung von Computer und Vernetzungstechnologie technisch gestützt. Information91 zwischen dem Benutzer und dem Mediensystem fließt bidirektional. Der Nutzer kann navigieren und mit dem Inhalt interagieren. Dies kann zum Beispiel durch das Hinzufügen von Bildern, Texten und anderen digitalen Materialien geschehen, sofern dies vom Betreiber der entsprechenden Website 89 „Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln. Er wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern in Beziehung zu setzen.“ Bertolt Brecht, „Der Rundfunk als Kommunikationsapparat“, in: Lorenz Engell et al. (Hg.): Kursbuch Medienkultur. Die maßgeblichen Theorien von Brecht bis Baudrillard. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt, 1999, S. 259-263 (Originaltext 1932). 90 Siehe hierzu Rudolf Frieling und Dieter Daniels (Hg.): Medien Kunst Interaktion, die 80er und 90er Jahre in Deutschland. Hg. Goethe Institut München, ZKM Karlsruhe. Wien, New York: Springer Verlag 2000, S. 142-169. 91 Im Sinne von Signalen. 34

EINLEITUNG

vorgesehen ist. Mit einem Providerplatz und einem vernetzten Computer ausgestattet kann jeder Nutzer selbst eine Website im Internet platzieren. Die Trennung zwischen Sender und Empfänger im klassischen Sinne ist aufgehoben. Darüber hinaus ist bidirektionale Kommunikation zwischen vernetzten Nutzern sowohl synchron in der Chat-Anwendungen als auch asynchron in der E-Mail-Nutzung möglich. Bei der qualitativen Bewertung der Interaktivität sollte das algorithmische Prinzip, auf dem die Computerprogrammen beruhen, nicht in Vergessenheit geraten. Interaktivität lässt sich zum Beispiel an der Navigation über Hyperlinks untersuchen. Ein Hyperlink dient als ‚Schalter‘, er ist ein verweisendes Element, das eine Verbindung zu einem weiteren Element herstellt. Der Hyperlink bildet einen ‚Knoten‘ innerhalb eines Hypertext-Netzwerks. Die Hyperlinks und deren Verknüpfung sind in der Programmierung festgeschrieben und daher nicht unbedingt grenzenlos fortführbar, wenn dies vom Programm nicht vorgesehen ist. Angesichts der Möglichkeiten hinzulernender intelligenter Systeme mag dies zwar eine Beschränkung sein, die nur vorübergehend gültig ist, doch sie zu ignorieren hieße, dem durchaus begrenzten System unendliche Freiheit und Möglichkeiten zuzugestehen, was allenfalls im Cybertext92 vorzufinden ist. Lev Manovich macht in seinem Aufsatz „Über die totalitäre Interaktivität“93 auf die unterschiedlichen Einschätzungen der Interaktivität im Westen und im Osten aufmerksam. Im Osten, so Manovich, empfinde man diese Technik oft „als stalinistische Technik der Überwachung und Manipulation mit anderen Mitteln“94, als eine „fortgeschrittene Form der Publikumsmanipulation“.95 Diese negative Beurteilung beruhe auf der Aufforderung „vorprogrammierten, objektiv existierenden Assoziationen nachzugehen. Kurz, wir werden dazu aufgefordert, [...] die Struktur des Geistes von jemandem mit der unseres eigenen Geistes zu verwechseln“. 96

92 Mehr hierzu siehe Kap. III. 93 Lev Manovich: „Über die totalitäre Interaktivität“. In: telepolis vom 25.10.1996, online http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/2063/ 1.html (Stand 13.02.2004). Print: Telepolis. Die Zeitschrift für Netzkultur, Nr. 1, Bollmann, März 1997, S. 123-127. 94 Ebd. S. 125. 95 Ebd. 96 Ebd. 35

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Wie gezeigt werden konnte, handelt es sich bei dem Begriff der Interaktivität um die Kennzeichnung eines kommunikativen Prozesses. Heute dient er auch als Benennung einer bestimmten Kunstpraxis. Unter den Künstlern lassen sich unterschiedliche Einschätzungen der Interaktivität feststellen. Claudia Giannetti teilt sie in drei verschiedene Gruppierungen ein: Myron Krueger, David Rokeby und Roy Ascott beispielsweise glauben an die Möglichkeit eines realen Dialogs zwischen interagierendem Subjekt und digitalem System. Lynn Hershman und Alexej Shulgin meinen, dass nur eine begrenzte, manipulationsbasierte Mensch-Maschine-Kommunikation stattfinden kann. Paul Sermon und Agnes Hegedüs setzen die Maschine als technischen Vermittler der Kommunikation zwischen zwei und mehr Interaktoren ein. Dementsprechend fällt auch die Art der Interaktion sehr unterschiedlich aus: die Simulationsstrategie setzt Technologie dergestalt ein, dass sie für den Interaktor ein verborgenes Element bleibt – der Nutzer glaubt, an einem interaktiven System teilzuhaben und dies zu steuern, ohne sagen zu können, auf welche Weise dies geschieht. Auf der anderen Seite kann auch transparente Technologie, in Form von sogenannten expliziten Interaktionsmodellen, genutzt werden. Dabei sind die Limitierungen der Interaktion ersichtlich. Der nordamerikanische Künstler Myron Krueger bemerkte durch einen Konzeptionsfehler in einer Installation97, dass es nicht Ziel sein kann, „interaktive Kunst“ zu schaffen, sondern interaktive Systeme in eine für das Publikum verständliche und nachvollziehbare künstlerische Form zu bringen. Dies führte zu Überlegungen hinsichtlich der grundlegenden Bereiche Wahrnehmung, Ausstellungsweise und Struktur. Krueger schlug vor, das Modell von Lebewesen in Interaktion mit ihrer Umgebung auf den Bereich der Kunst zu übertragen. Im realen Leben habe der Mensch aktiv an der Welt Anteil und so solle es auch in der Kunst sein. Digitale Medien wurden seit Anbeginn, wie andere Medien, euphorisch begrüßt oder vehement von Technikverweigerern und Ludditen bekämpft. Die Diskussion um die Frage, „was ist Kunst, was nicht?“ stellt sich seit der Erfindung der Fotografie immer wieder im Zuge medialer Umbrüche. Die kommerzielle Ausrichtung des Mediums und die damit einhergehende Warenästhetik verstellt 97 Im Environment Glowflow: bei zu vielen Besuchern sind die Auslöser für bestimmte Aktionen nicht mehr auszumachen. 36

EINLEITUNG

den Blick auf die Entwicklung und Ausformung eigenständiger Ausdrucksmittel und deren Rückwirkungen auf traditionelle mediale Konfigurationen.

Informationsästhetik: Signalübertragung und Kunst Der Terminus „Informations- und Kommunikationtechnologie“ (IuK) wurde besonders Mitte der 90er Jahre häufig verwendet. Er verweist auf den Doppelcharakter der Technik, die sowohl Information als auch Kommunikation impliziert. Information gilt als Schlüsselparameter digitaler Medien. Der Begriff der Information bezieht sich hier nicht auf Bedeutung, sondern wird vielmehr im Sinne von Signalen benutzt, auch wenn der Begriff der ‚Informationsgesellschaft‘ gerne verwendet wird, um von wohlinformierten Menschen und reibungslosem Nachrichtenaustausch zu sprechen. Informationen entstehen in einem Prozess der Kommunikation und sind in bezug auf den Sender, den Empfänger und den Code definiert.98 Die neuen Möglichkeiten der Speicherung, Bearbeitung und Erzeugung multimedialer Texte verbinden Individual- und Massenkommunikation. Das technische Kommunikations-Modell von Claude Shannon und Warren Weaver99 sieht eine Nachrichtenquelle vor, eine bestimmte Nachricht aus einem möglichen Repertoire. Diese wird über ein bestimmtes Medium an einen bestimmten Empfänger übermittelt, der sie über ein weiteres Medium empfängt. Semantische Aspekte sind in diesem Modell ausgeklammert. In der Begriffsdichotomie Sender versus Empfänger liegt der Schwachpunkt der Übertragbarkeit dieses Diagramms auf digitale Medien, ist doch zumindest in einigen Internetanwendungen wie Chat oder File Transfer Protocol (FTP) der Nutzer sowohl Sender als auch Empfänger. Brauchbarer hingegen erscheint der Gegenentwurf des strukturalistischen Wissenschaftsphilosophen Michel Serres. 100 Er fokussiert seine Untersuchung auf den Raum der Kommunikation, den er als Verknüpfung raumzeitlicher Einzelpunkte aus98

Winfried Nöth: Handbuch der Semiotik. Stuttgart, Weimar: Metzler Verlag 2000 (2), S. 138. 99 Claude Shannon und Warren Weaver: The Mathematical Theory of Communication, Urbana: University of Illinois Press 1949. 100 Michel Serres: „Das Kommunikationsnetz Penelope“. In: Engell et al. (Hg.), a.a.O., S. 155-165. 37

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macht. Mit Hilfe mathematischer Axiome der Topologie gelingt es ihm, die Punkte in ihrer Eigenständigkeit zu definieren und darzulegen, dass eine Übertragung durch Verknüpfung zwischen einzelnen Punkten überall innerhalb des topologischen Netzes möglich ist. Die im Titel des Textes genannte mythologische Figur der Penelope, die tags ein Kleid webt und es nachts wieder auftrennt, dient als Metapher für die Kommunikation, die Serres als überlinear und netzförmig beschreibt. Eine komplexe und interpretationsoffene Denkweise, so Serres, sei mit dieser Kommunikationsform verbunden. Die Kybernetik, deren Bezeichnung 1947 von Norbert Wiener dem griechischen kybernétes für „Steuermann“ entlehnt wurde, geht davon aus, dass unterschiedliche geschlossene Systeme organischer Natur (wie beispielsweise der Mensch), sozialer Natur (etwa die menschliche Gemeinschaft), aber auch Systeme mechanischer Natur (wie Maschinen) analysiert und verstanden werden können, indem man sie als informationsverarbeitende Systeme begreift.101 Damit postuliert sie den Anspruch eine Metadisziplin zu sein. Dem Kunstobjekt nähert sich die Kybernetik demzufolge als einem Zeichensystem, das formalisierbare Informationen enthält. Um zu ästhetischen Bewertungen zu gelangen, wird – erstmals vom amerikanischen Mathematiker George David Birkhoff – die Informationstheorie an die Ästhetik angepasst. Die Untersuchung „Aesthetic Measure“ (1933)102 führte zur Formel für eine Ästhetik, die sich an der Ordnung (O) und dem verbrauchten Material (C) ermitteln lassen sollte: M = O/C. Streng auf ästhetische Versachlichung gerichtet stellt die rationale Ästhetik den Aspekt der Information in das Zentrum ihrer Überlegungen. Diese wird als Maßeinheit für Sinn und Bedeutung gehandhabt. Da auch in der kreativen Nutzung Information erzeugt wird, verarbeiten die Nutzer dieser Angebote ebenfalls Information, die vermittelt wurde, was wiederum als Kommunikation bezeichnet wird. Dabei beurteilen verschiedene kybernetische Strömungen den Informationsbegriff höchst unterschiedlich: Max Benses Schule bindet sie an mathematische Formeln – der Rezipient hat wenig Be-

101 Siehe Norbert Wiener: Mensch und Menschmaschine. Kybernetik und Gesellschaft. Frankfurt/Main: Athenäum Verlag 1966, S. 21 ff. 102 George David Birkhoff: Aesthetic Measure. Cambridge: Massachusetts University Press 1933. 38

EINLEITUNG

deutung. Bei Herbert W. Franke103 wiederum findet sich eine Synthese aus Informationstheorie, Wahrnehmungstheorie und Neurologie. Er bewertet den Einsatz neuer Technologien in der Kunst als Symbiose zwischen rationalem Denken und ästhetischer Kreation. Bense104 verlangt die Einführung einer „ästhetischen Kinetik“, die das Kunstwerk als veränderbare Struktur begreift. Mit der Informationsästhetik105 wendet man sich der Mathematisierung ästhetischer Phänomene zu und versucht einen Brückenschlag zwischen Kybernetik und Geisteswissenschaft. Unter dem Einfluss der Semiotik106 wird dabei der subjektivistische Diskurs zugunsten einer kommunikativen Bewertung von Kunst verdrängt. Die Herangehensweise der Informationsästhetiker fokussiert sich auf messbare Anteile des Kommunikationsprozesses zwischen Werk und Betrachter. Folglich ist das Kunstwerk als Nachricht zu betrachten, die von dem Künstler an sein Publikum gerichtet wird. Übertragen wird die Nachricht über einen Kanal, der, so Abraham Moles107, als Träger fungiert. Dies kann eine Schallplatte, eine Fotografie, ein technischer Apparat oder anderes sein. Die künstlerischen Formen werden demnach in Elemente eines Kommunikationsvorganges zerlegt und Moles nimmt eine Definition des Schönen vor, die an quantitative Grundlagen mit statistischen Qualitäten gekoppelt ist. Die rein rationale und numerische Beurteilung (die Information als quantifizierbaren Wert betrachtet) gesteht weder dem Werk noch der ästhetischen Erfahrung erkenntnistheoretischen Wert zu. Im „klassischen“ Kommunikationsmodell von Shannon und Weaver gibt es keinen Raum für eine intersubjektive Beziehung oder mögliche Interferenzen unter „semantischem“ Gesichtspunkt. Unklarheiten in der begrifflichen Bestimmung von „Information“ und „Zeichen“ haben hier zu Mehrdeutigkeiten im Theoriebereich geführt. Die Hauptkritik an der Informationstheorie liegt in ihrem Verständ-

103 Herbert W. Franke: Phänomen Kunst. Die kybernetischen Grundlagen der Ästhetik. Köln: DuMont BuchVerlag 1974 (2). 104 Max Bense: Einführung in die informationstheoretische Ästhetik. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag 1969. 105 Abraham Moles: Informationstheorie und ästhetische Wahrnehmung. Köln: Verlag DuMont, 1971. 106 Siehe Max Bense a. a. O. 107 Abraham Moles a. a. O. 39

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nis von Kommunikation als einseitiger Informationsübertragung.108 Die strikte Trennung in Sender und Empfänger ist nicht geeignet, um soziale Kommunikation einer vernetzten Gesellschaft zu untersuchen, in welcher ein Empfänger – ein Internet-Nutzer – sogleich Sender sein kann. Sie wendet keine Aufmerksamkeit für die beteiligten Subjekte, den Kommunikationskontext oder den semantischen Gehalt auf. Das Projekt, ein werkimmanentes „Maß“ für ästhetische Wertungen zu postulieren, muss als gescheitert betrachtet werden. Doch das Ästhetische in Verbindung mit dem Bereich der Kommunikation zu betrachten, bedeutet, Ästhetik als prozesshafte Kategorie eines sozialen Systems zu verstehen. Eine derartige „Ästhetik als kommunikativer Prozess“ wäre in der Systemtheorie und im Konstruktivismus angesiedelt.109 Ebenso wie Ansätze systemischer oder konstruktivistischer Theorien lässt sich auch Ästhetik als prozessual verstehen. Werke der Medienkunst mit dem ihr inhärenten Kommunikationskontext entfernen sich von den an die Materialität des Kunstwerks gebundenen ästhetischen Ideen von Originalität, Autorenschaft und Genie.110 Substantiell scheint hier vor allen Dingen die Wandlung des Wahrnehmungsdispositivs sowie die Infragestellung von Kategorien wie Realität, Betrachterstandpunkt und Objektivität.111 In dieser Lage spielt die Schnittstelle zwischen Subjekt und Medienkunstwerk eine maßgebliche Rolle.

Medienkunst: Kunst als Prozess und System Um Aspekte der kreativen Sprache digitaler Medien zu hinterfragen, erscheinen künstlerische Ausprägungen prädestiniert: sind sie doch immer diejenigen, denen es gelingt, die Grenzen und Möglichkeiten 108 Vgl. hierzu Peter Auer: Sprachliche Interaktion. Eine Einführung anhand von 22 Klassikern. Tübingen: Stauffenburg Verlag 1999 109 Siehe weiterführend Norbert M. Schmitz: „Medialität als ästhetische Strategie der Moderne. Zur Diskursgeschichte der Mediengeschichte“. In: Peter Gendolla und Irmela Schneider, Norbert M. Schmitz, Peter M. Spangenberg (Hg.): Formen interaktiver Medienkunst. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 2001, S. 95-139. 110 Vgl. Hünnekens, a.a.O., S. 7-9. 111 Diesem Komplex widmet sich der Aufsatz von Peter M. Spangenberg: „Produktive Irritationen: Zum Verhältnis von Medienkunst, Medientheorie und gesellschaftlichem Wandel“. In: Gendolla et al. (Hg.): a.a.O., S. 140-166. 40

EINLEITUNG

von Technologie zu erproben. „Denn es sind immer die technischen Möglichkeiten, die den Künstler zu neuen Formen inspirieren“.112 Auch McLuhan hob die Rolle des Künstlers besonders hervor, denn dieser verfüge über das Sensorium, um den Einfluss der Medien auf die Psyche aufzunehmen. Der Künstler kann einerseits mit der Technologie straflos experimentieren, andererseits ist er der Spezialist für Veränderungen der sinnlichen Wahrnehmung. Er nutzt neue Technologien als künstlerische Instrumentarien, lange bevor diese in der Mainstream-Medienverwendung verankert sind. Bei der kunst-zentrierten Herangehensweise der vorliegenden Arbeit findet der von den Cultural Studies eingeforderte Paradigmenwechsel zur Integration von Populärkultur Berücksichtigung. Die angestrebte Betrachtungsweise verfolgt die Aufhebung der kulturkritischen Opposition von Massenmedien und Kunst. Produkte unterschiedlicher audiovisueller Medien werden als gleichwertig betrachtet.113 Die Einbindung experimenteller künstlerischer Praxen in massenmediale Kontexte erscheint sinnvoll angesichts der Annäherung von künstlerischem Experiment und massenmedialem Kontext. Nachdem der „Schock“ längst als künstlerisches Stilmittel abgegriffen ist und keine Wirkung mehr erzielt, stellen sich Formen der Kunst, die digitale Medien als Instrumentarien oder auch Technologie im Allgemeinen nutzen, permanent selbst zur Disposition und hinterfragen zugleich die Rolle des Rezipienten, des Künstlers, des Werks, der Trennung der Disziplinen.114 In der vorliegenden Studie wird Medienkunst in Form von Inszenierungen im Internet, auf DVD und CD-ROM, aber auch computergestützte Installationen und Performances untersucht. Dabei ist Technik derzeit ein untrennbarer Bestandteil des kreativen Prozesses. Sie ist nicht mehr nur als Apparat Mittel zum Zweck, sie prägt vielmehr Handlungs-, Wahrnehmungs- und Denkformen. Peter Weibel formulierte es so: „Technik muss dynamisch und prozessual gedeutet werden, als Wirken und Bewirken, als Schaffen und 112 Rudolf Arnheim: Rundfunk als Hörkunst. München, Wien: Hanser Verlag 1979, S. 79. 113 Eine Diskussion der Medienkunst und deren Ästhetik ist ohne deren Zusammenhang mit den Medien nicht denkbar. Hier sei nur auf Peter Zec verwiesen: „Das Medienwerk. Ästhetische Produktion im Zeitalter der elektronischen Kommunikation“. In: Florian Rötzer (Hg.): Digitaler Schein. Ästhetik der digitalen Medien. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1991, S. 100-113. 114 Vgl. Hünnekens, a.a.O. 41

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Schöpfen.“115 Von der Kybernetik beeinflusste Künstler wie Nicolas Schöffer lehnten nicht nur den leblosen Charakter künstlerischer Werke und damit den Objektkult ab, sie gingen so weit, zu fordern, die Werke sollten wie Lebewesen wandelbar sein. Sie stellten den kreativen Prozess in den Mittelpunkt und forderten die Manipulation des Werkes durch den Betrachter. Es wird deutlich, dass der Kunstbegriff auf der Grundlage der Kommunikationstheorie, der Systemtheorie und des Konstruktivismus eine deutliche Neudefinition erfuhr. Grundpfeiler dieses Neuansatzes bildeten die Interdisziplinarität, die Entmaterialisierung, die Dekonstruktion des Kunstobjekts sowie der Idee des Originals und die Expansion der Rezeption bis hin zum Meta-Autor und Interaktor. Somit wurde der kreative Prozess wichtiger als das Endprodukt. Der Blick auf die Kommunikation steht über dem rein formalen Konzept. Die von Giannetti vorgenommene Untersuchung stellt fest, „dass Strukturen beziehungsweise Prozesse eines Werkes nur im Hinblick auf einen bestimmten Kontext analysiert und wahrgenommen werden können und man sie nur als kommunikativen Prozess innerhalb dieses Kontextes verstehen kann. All diese mit interaktiver Kunst zusammenhängenden Faktoren erweisen sich als grundlegend für den Wandel des traditionellen Kunstverständnisses hin zur einer [sic] Konzeption von Kunst als System.“116

Gerade die Betrachtung der Künstlichen Intelligenz (KI)- und Künstliches Leben (KL)-Systeme führt zu der Erkenntnis, dass nicht länger die Erstellung eines Kunstwerkes (welches durch Reproduktion oder Interpretation Sichtweisen der Welt reflektiert) von künstlerischem Interesse erscheint, sondern vielmehr das Kunstwerk als „System“ selbst die Welt zu hinterfragen versucht, indem es neue „Weltsichten“ erschließt.117 Zugleich findet eine Auseinander-

115 Peter Weibel: „Virtuelle Realität: Der Endo-Zugang zur Elektronik“. In: Florian Rötzer und Peter Weibel (Hg.): Cyberspace. Zum medialen Gesamtkunstwerk. München: Boer Verlag 1993, S. 32. 116 Claudia Giannetti: Ästhetik des Digitalen. Wien, New York: Springer Verlag 2004, S. 165. 117 Giannetti, a.a.O., S. 166. 42

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setzung mit Organisationssystemen118 statt, die charakterisiert sind durch Grundbegriffe wie Interaktion, Selbstorganisation, KoEvolution und Umwelt. Schließlich greifen die Neurophysiologen Humberto Maturana und Francisco Varela die Erkenntnisse der Systemforschung auf und entwickeln die Theorie der Autopoiesis.119 Dabei verbinden sie Erkenntnistheorie und Naturwissenschaft und kommen zu der Schlussfolgerung, dass wir im Prozess der Wahrnehmung der Welt dieselbe erschaffen: Es steht „außer Frage, was Realität ist: ein Bereich, der durch Operationen des Beobachters bestimmt wird. Menschen können über Gegenstände sprechen, da sie die Gegenstände über die sie sprechen, eben dadurch selbst erzeugen, daß sie über sie sprechen.“ 120

Zusammen mit den Theorien Heinz von Försters führt die einsetzende kontroverse Diskussion zur Strömung des radikalen Konstruktivismus. Dieser negiert die Möglichkeit, Systeme anhand reduktionistischer und analytischer Methoden erfassen zu können, da sie das Prinzip der Selbstorganisation außer Acht lassen. Zentral für diese Herangehensweise ist die Annahme, dass der Mensch Teil einer von ihm selbst konstruierten Welt ist, mit der er in Interaktion steht. Ähnlich provokativ werden bereits früher von der Literatur- und Kunst-Kritik bzw. -Theorie die Kategorien von Autor und Künstler radikal hinterfragt. Die Begriffe Autor und Rezipient werden im Rahmen postmoderner Literaturdiskurse verhandelt, die u.a. auf die Historizität der jeweiligen Rollenvorstellungen verweisen.121 118 Alexander Bogdanov: Allgemeine Organisationslehre: Tektologie, 2 Bände, Berlin: Verlagsgesellschaft 1926 und 1928. 119 Humberto Maturana und Francisco Varela: Autopoiesis and cognition. Dordrecht, Boston: Reidel Verlag 1980. 120 Siehe hierzu Humberto Maturana: Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit. Wiesbaden: Vieweg Verlag 1982, S. 264. 121 Siehe zur Gründung dieses Diskurses die beiden fundamentalen Texte: Michel Foucault: „Was ist ein Autor?“ in: ders. Schriften zur Literatur. Frankfurt/Main: Fischer Verlag 1993, S. 7-31 (Original Paris 1969) und Roland Barthes: „Der Tod des Autors“. In: Fotis Jannidis Fotis et al. (Hg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart: Reclam 2000, S. 185-193. (Original 1968). Zentral ist für den vorliegenden Kontext die Relativierung der Rolle des Autors im Gesamtprozess ästhetischen Schaffens. 43

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Die aktive Partizipation des Rezipienten, so hat Annette Hünnekens122 veranschaulicht, sei eines der Grundthemen künstlerischen Schaffens des 20.Jahrhunderts. Dies bringe auch die Neubestimmung des Ortes der Kunst innerhalb der Kultur mit sich. Bei der Frage um die Autorenschaft digitaler Werke trete die Reformulierung der Rollen von Autor und Rezipient maßgeblich hervor. Die Anteile von Autor – Person – Maschine seien „immer komplementär“ und „beruhen auf Komplizenschaft“.123 Der Nutzer sei nicht mehr der unbeteiligte, distanzierte Beobachter: er werde Teil des Ganzen und erlebe, wie sein Verhalten an gesellschaftlichen und kulturellen Normen geschult sei. Als passiver Beobachter habe er die Verantwortung für das Auslösen seiner Reaktion in dem Kunstwerk verorten können. Indem er aktiv handelnd diese Reaktion oder Erfahrung selbst ausgelöst habe und die Verantwortung bei sich zu suchen habe, sei er zur Selbstwahrnehmung aufgefordert.124 Lynn Hershman zeigt in ihrem Werk deutlich, wie groß der Anteil des Zwanghaften, Regelhaften (die Liebe zum Regelhaften, um Verantwortung abgeben zu können) ist, und wie gering dagegen das Bedürfnis zu freiem Handeln ausgeprägt ist.

Kunst-Räume und Standortbestimmung Die Medienkunst findet ihren Raum zumeist in Medienkunstfestivals. Das European Media Art Festival (EMAF) in Osnabrück fokussiert seit 1988 Kurzfilme und Medienkunst. Mit erstaunlicher Kontinuität findet seit 1979 im österreichischen Linz ein Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft statt: die Ars Electronica. Sie gilt als Vermittlungsplattform für digitale Kunst, hat die internationale Diskussion um Technokultur in Europa angeführt und verfügt über ein „FutureLab“, in dem eigene Entwicklungen in Kooperation mit universitären und wirtschaftlichen Institutionen stattfinden. In ihrem Selbstverständnis ist die Kunst dabei nie losgelöst von neuesten Technologien und ihren gesellschaftlichen Auswirkungen. In einer Zeit, in welcher der Kunstmarkt und die Welt der Museen an Relevanz für die Medienkunst verloren haben, kommt der Ars

122 Hünnekens, a.a.O., S. 106-135. 123 Giannetti, a.a.O., S. 108. 124 Vgl. hierzu Spangenberg, a.a.O. S. 147. 44

EINLEITUNG

Electronica hohe Bedeutung zu. Der Vollständigkeit halber seien auf internationaler Ebene noch ISEA125 und Siggraph126 genannt. Das jährlich in Berlin stattfindende Medienkunstfestival transmediale entstand aus dem VideoFest, einem Nebenprogramm der Sektion „internationales forum des jungen films“, das erstmals 1988 im Rahmen der Internationalen Filmfestspiele Berlin veranstaltet wurde. Sein Leiter Andreas Broeckmann konstatiert: „Die Medienkunst, die uns interessiert, beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen und kulturellen Aspekten von Technologien. Wir wollen den gesellschaftlichen Reflexionsprozess fördern. Ob man das dann dezidiert politisch nennt oder ob Fragen wie Sicherheit und Überwachung, Fragen der Software-Aneignung, das Basteln mit neuen Technologien oder kollaborative Systeme im Internet wie Wikipedia lediglich ein Ausdruck von digitaler Kultur sind und damit eine gesellschaftliche Rolle spielen, ist eigentlich egal.“127

Die erste bedeutende Ausstellung von Kunst für das Internet fand 1997 auf der Documenta X in Kassel statt. Sicherlich ist einzuräumen, dass künstlerische Arbeiten, auch wenn sie im Internet frei zugänglich sind, in der Flut der Angebote schwierig aufzufinden sind. Gleiches gilt für die Produkte DVD und CD-ROM, die selten einen großen Kreis von Interessierten erreichen. Es ist bedauerlich, denn die Werke leben von der aktuellen Interaktion. Der Künstler stellt eine Konfiguration zur Verfügung, die durch Besucher mit Leben gefüllt und verändert werden soll. Die Teilnahme der Besucher ist essentiell für die Installation. Diese bekommen somit die Rolle von Co-Autoren zugewiesen und werden selbst zu Performance-Künstlern, wenn sie in Interaktion treten. Eine nachträgliche Nachvollziehbarkeit derartiger Werke ist schwierig und mit Dokumentationsmaterial auch nur begrenzt möglich. Die Vermittelbarkeit der medial gebundenen Kunst ist in Bezug auf die Bekanntheit und das Verständnis der interaktiven Kunst eines der schwerwiegendsten Probleme. Die vorliegende Arbeit stößt hierbei wiederum an die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Print125 Die Inter-Society for the Electronic Arts (ISEA) in Amsterdam. 126 Special Interest Group on Grapics and Interactive Techniques: seit 1973 eine Tagungsreihe der Association for Computing Machinery (ACM), USA. 127 Am 08.02.2005 in einem Artikel von Helmut Merschmann im online-Journal Telepolis http://www.heise.de/tp/ zitiert. 45

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mediums. Performances, Installationen und sonstige interaktive Kunstwerke gehören zwar zu den Inhalten der Studie, können aber nicht in der klassischen Printform enthalten sein. Diesen Umstand möge der Leser entschuldigen. Einige Screenshots und Beschreibungen sollen zumindest einen Eindruck vermitteln. Angesichts des umfangreichen Spektrums der Sparten der Medienkunst128 kann an dieser Stelle nur ein sehr kurzer historischer Abriss der Kunstentwicklung mit Hinweisen auf einige Aspekte gegeben werden. Die für die Argumentationsstruktur dieser Arbeit wichtigsten Punkte129 seien im folgenden dargestellt: Peter Weibel weist in seinem Text zur Ausstellung „Die algorithmische Revolution“130 darauf hin, das die Abarbeitung komplexer Algorithmen, die ihre bekannteste Anwendung in der Computerprogrammierung gefunden hat, als Begriff der Berechenbarkeit schon lange vor dem Computer existierte: in der bildenden Kunst, Musik und Architektur in Form von zur Kreation notwendigen Regelsystemen und Handlungsanleitungen.

128 „Medienkunst“ war lange Zeit der Videokunst vorbehalten, schließt mittlerweile aber auch digitale Kunst ein, die in den 80er Jahren noch als „Computerkunst“ bezeichnet wurde. Das Kunstsystem ist nur eine von vielen Zuordnungsmöglichkeiten in den Kommunikationskontexten digitaler Medienkunst. Die Sparten der Medienkunst reichen von Closed-Circuit-Installationen über Expanded Cinema bis Virtual Reality. 129 Umfangreiche Darstellungen finden sich bei Frieling/Daniels (Hg.), a.a.O.; Hünnekens, a.a.O. sowie Hans-Peter Schwarz: Medien Kunst Geschichte. München, New York: Prestel Verlag 1997. Im Internet findet sich die umfangreiche deutsch- und englischsprachige Zusammenstellung zur Medienkunst unter http://www.medienkunst netz.de. Das die Grenzen eines Buches weit überschreitende Konzept hierzu stammt von Dieter Daniels und Rudolf Frieling. Es wurde im Auftrag des Goethe-Instituts und des Zentrums für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe mit der finanziellen Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung umgesetzt. 130 Peter Weibel: „Die algorithmische Revolution. Zur Geschichte der interaktiven Kunst“. Pressetext zur gleichnamigen Ausstellung im Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM), 31.10.2004 bis Ende 2005. http://www.zkm.de:81/algorithmischerevolution/ (Stand: 01.10.2005). 46

EINLEITUNG

Abb. 4: Homage to New York, Jean Tinguely, 1960 Bereits vor der Integration digitaler Technologien in den Kunstprozess, so Weibel, sah sich ein Ausstellungsbesucher der kinetischen Kunst in den 1960er Jahren anstelle eines Kunstobjekts mit einer Handlungsanweisung konfrontiert: das Drücken von Knöpfen und Tasten oder die Bewegung des Betrachters waren notwendig, um das Kunstwerk in Bewegung zu bringen, wie zum Beispiel in zahlreichen Arbeiten Jean Tinguelys. Ab Mitte der 1950er Jahre wurden künstlerische Arbeiten unter dem Einfluss kybernetischer Methoden erstellt: es handelte sich vorwiegend um elektronisch basierte Environments mit Sensoren, Fotozellen etc., die auf klimatische Schwankungen oder die Anwesenheit von Menschen, Bewegung usw. reagierten. Herausragend waren dabei u.a. der in Frankreich lebende Ungar Nicolas Schöffer sowie der in der BRD und den USA tätige Koreaner Nam June Paik. Das KI-Programm Aaron des britischen Künstlers Harold Cohen stellte Autorenschaft und Authentizität in Frage und thematisierte die Möglichkeit des Computers, kreative Fähigkeit zu simulieren. In den letzten Jahren der kybernetischen Kunst wurden Algorithmen erarbeitet, die Bilder im Stil Kandinskys, Mirós oder Mondrians hervorbringen. Die in den 1910er und 1920er Jahren entwickelte künstlerische Form der Collage existierender kultureller Versatzstücke führt die Medienkunst in der Veränderung existierender Signale (z.B. Nam June Paiks Magnet TV), in der Synthesizer-Musik und im Video fort. Dabei werden vorfabrizierte Teile der Alltags- oder Medienkultur ausgewählt und neu arrangiert.

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Abb. 5: Magnet TV, Nam June Paik, 1965 Einen weiteren Strang der Medienkunst bilden komplexe Rauminstallationen, die so etwas wie künstliche Welten suggerierten, in denen Besucher mit ihren Bewegungen Aktionen auslösen. Diese Projekte ordneten sich der „Künstlichen Realität“ zu, immer gepaart mit dem Glauben an die kommenden Resultate der KI-Forschung. Künstliche Realität und Expanded Cinema-Experimente bewegten sich ganz im Sinne von McLuhans Medienbegriff der Technologien als Extensionen der menschlichen Sinne.131 Sie thematisierten die Immaterialisierung des Körpers132 (ein elektromagnetisches Feld, das in die elektromagnetischen Umwelten integriert ist) zusammen mit der Konzeption des Körpers als Informationsträger. 1989 schließlich war das Jahr, in dem diesen Aspekten der Medienkunst eine breite Öffentlichkeit in Deutschland eingeräumt werden sollte, und in dem man von einem Durchbruch der Medienkunst sprechen kann: Nicht nur widmeten sich zwei Bände der Zeitschrift Kunstforum international diesem Thema, in dieser Zeit entstanden auch Werke, die inzwischen zu Klassikern geworden sind: Jeffrey Shaws The 131 Marshall McLuhan: Understanding Media. The Extensions of Man, London: Routledge 1964. 132 Aufsätze hierzu finden sich im Sammelband Gerhard Johann Lischka (Hg.): Kunstkörper, Werbekörper. Köln: Wienand Verlag. 2000. 48

EINLEITUNG

Narrative Landscape (1985-1995), David Rokebys Very Nervous System (1986-1990) und Lynn Hershmans Deep Contact (19841989).

Abb. 6: Deep Contact: First Interactive Sexual Fantasy Videodisc Diese Werke stellen einen Bruch im bisherigen künstlerischen Einsatz der Technologie dar: es geht nicht länger um die Verschmelzung von Mensch und Maschine, um die Erweiterung der körperlichen Möglichkeiten, sondern um modellhaft veränderte Ordnungen des gesellschaftlichen Raumes. Dies geschieht mit der rasanten Entwicklung der Globalisierung, die bisherige nationale kulturelle Räume grundsätzlich in Frage stellt. Es geht um eine Neubewertung des Raumes, um Standortbestimmungen, wobei auf bewährte Repräsentationen des Raumes verzichtet wird und stattdessen ein Raum von Zeichen und Text auftaucht wie die Buchstaben-Stadtlandschaft in Jeffrey Shaws The Legible City (1988).

Abb. 7: The Legible City Dieser Raum wird nicht imaginiert, sondern durch körperliche Bewegungen – in diesem Fall das Fahrradfahren des Nutzers – verursacht und physisch erlebt. Ein Schwerpunkt der Arbeiten ist die körperliche Erfahrbarkeit, nicht reine Veranschaulichung oder intellektuelle Abstraktion.

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Die kunsthistorische Einordnung dieser neuen Gattung ist eine schwierige Aufgabe, zumal einige Aspekte erst einmal einer neuen Definition von Beschreibungkategorien bedürfen. Söke Dinkla schlägt den Begriff des „flottierenden Werks“ vor: „Das flottierende Werk steht in der philosophischen Tradition der Postmoderne, wobei es Strategien der Dekonstruktion mit der digitalen Kulturtechnik entwickelt. Obwohl das flottierende Werk im digitalen Werk in seiner radikalsten Form vorkommt, ist es nicht nur ein Phänomen der digitalen Kunst“.133

Dieser Kunst, die ihr Augenmerk auf das Erproben und Überprüfen legt, ist weniger aus kunstimmanenten Diskursen heraus zu begegnen. Der erweiterte Kunstbegriff, der den Arbeiten zugrunde liegt, umfasst sowohl Materialexperimente als auch Studien, die den Potenzialen und Grenzen digitaler Medien gewidmet sind. Neben der kritischen Reflexion werden digitale Medien in der künstlerischen Gestaltungspraxis eingesetzt. Dies setzt, neben der kritischen Distanz, die nicht auf den Neuigkeitswert der Technik vertraut, auch die sehr gute Kenntnis der Technologie voraus. In diesem Kontext kann man durchaus eine Hinwendung der aktuellen künstlerischen Praxis zu den Themen Wissenschaft und Technologie konstatieren.134 Söke Dinkla macht folgende ästhetische Kriterien des flottierenden Werks aus: Es befindet sich ständig in Veränderung und ist somit nicht nur Ausdruck und Katalysator, sondern auch Verursachung von Veränderungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, damit verschiedene Selbstbilder immer wieder neu entworfen werden können. Das flottierende Werk ist keine Entität, sondern ein Zustand, der von wechselnden Einflüssen verändert wird. Es ist mobil, dynamisch und hat nur augenblickliche hierarchische Ordnungen. Diese Art von Werk entsteht in jedem Moment neu und ist somit immer einzigartig. Es

133 Söke Dinkla im Aufsatz „Das flottierende Werk. Zum Entstehen einer neuen künstlerischen Organisationsform.“ In: Gendolla et al. (Hg.), a.a.O., S. 69. 134 Diese wird intensiv fortgeführt. Siehe zu Naturwissenschaft und Kunst Reichle, a.a.O. und Stefan Iglhaut und Thomas Spring (Hg.): Science + Fiction – zwischen Nanowelt und globaler Kultur. Ausstellungskatalog und Begleitbuch, Berlin: Jovis Verlag 2003. 50

EINLEITUNG

ist nicht Ausdruck eines Künstlers, sondern vielmehr eines NutzerKollektivs oder eines Diskurses.135 Es gibt keine lineare Narration mehr, sondern Vernetzungen, in denen verschiedene Elemente fragmentarisiert gleichberechtigt nebeneinander stehen. Die Frage ist also, wie neue Erfahrungsräume ästhetisch konzipiert werden können. Das ästhetische Prinzip der Fragmentierung136 schreibt sich auch und gerade in den digitalen Technologien ein, wie sie im Internet ihren Ausdruck finden. Das Fragment, das Pixel, Teil einer visuellen oder musikalischen Komposition, eine Buchstabenabfolge oder vieles andere mehr, büßt seine Teilhaftigkeit an einem ursprünglichen Gesamtkontext ein. Durch Rekombination entstehen neue – wenn auch temporäre – Semantiken, die mit der Bildung neuer Bedeutungen verbunden sind. Fragmentarisierung und Rekombination erlauben somit das Erproben unterschiedlicher (Bedeutungs-)Zusammenhänge. Seit den 1980er Jahren wurde digitale Kunst „interaktive Kunst“ genannt. Dies bezeichnet jedoch lediglich die technische Gegebenheit, dass Erfahrungsräume geschaffen werden, in denen Rezipienten handeln und intervenieren können. Claudia Giannetti unterscheidet zwischen interaktiven Systemen – deren Kennzeichen der Dialog zwischen Publikum und Werk mittels eines technischen Schnittstelle ist – und partizipativer Kunst – der Involvierung des Zuschauers ohne Technik. Es lässt sich sagen, dass „die partizipative Kunst sich um die Öffnung des Kunstwerks für die Interventionen des Betrachters“137 bemüht, während dem Nutzer interaktiver Kunst „eine fundamental-praktische Rolle beim eigentlichen Wirksamwerden des Werks“138 zukommt. 135 Söke Dinkla, a. a. O., S. 69. 136 Derrick de Kerckhove macht die Fragmentierung als Organisationsprinzip aus in: The Skin of Culture. Investigating the new electronic reality. Toronto: Somerville Press 1995. Ebenso Markus Nickl: „Web Sites – Die Entstehung neuer Textstrukturen“. In: Stefan Bollmann und Christiane Heibach (Hg.): Kursbuch Internet. Anschlüsse an Wirtschaft und Politik, Wissenschaft und Kultur. Mannheim: Bollmann, 1996, S. 398. 137 Claudia Giannetti: Ästhetik des Digitalen. Wien, New York: Springer Verlag 2004, S.105. 138 Ebd. S. 106. 51

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Für die vorliegende Arbeit ist die Medialität139 der Medienkunst zentral. Dies bedeutet, dass sie nicht nur ihre medialen Techniken und Entwicklungen selbstreflexiv bearbeitet, sondern auch gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen thematisiert.140 Als Reflex auf Medienentwicklungen steht die einzelne Arbeit der Medienkunst in größeren kulturellen Zusammenhängen, in denen Kommunikationssituationen und Inszenierungen in die Gesellschaft zurück gebracht werden, die hier von besonderem Interesse sind. In diesem Sinne wird die Medienkunst selbst als globales Medium betrachtet, das Anteil an politischen, kulturellen und ästhetischen Gesellschaftsdiskursen hat.

Fragestellungen und Vorgehensweise Die vorausgegangenen Ausführungen sowie der oben skizzierte Forschungsstand haben die durchaus heterogenen Konzepte unterschiedlicher Provenienzen aufgezeigt. Diese Studie stellt ein Desiderat dar, welches sich zentralen Aspekten medialer Transformationen widmet, wie sie sich aktuell mit den digitalen Medien vollzogen haben. Dabei werden Praxis und Programmatik der Medienkunst an langfristige ästhetische, technische und kulturelle Entwicklungen zurück gebunden und in ihrem historischen Wandel hervor gehoben. In dieser Herangehensweise sind Kontinuität und Bruch als Wechselwirkungen zu verstehen.

139 Der Begriff wird in Anlehnung an Georg Christoph Tholen verwendet, der die „Medialität des Medialen als sich selbst entzogene Dazwischenkunft medialer Schocks und Einschnitte zu bestimmen“ sucht, „anders gesagt: als Intervention eines Unsichtbaren“. Georg Christoph Tholen: „Die Zäsur der Medien“. In: Georg Stanitzek und Wilhelm Vosskamp: Schnittstelle: Medien und Kulturwissenschaften. Köln: DuMont Verlag 2001, S. 33. 140 „Die Medienkunst ist deshalb neben allen anderen möglichen Leistungen, die sie erbringt, als ein – operativer und reflexiver – Bestandteil von Selbstbeschreibungen zu betrachten, mit denen die moderne Gesellschaft sich in Relation, d.h. in Differenz zu ihrer Umwelt und sich selbst setzt“. Peter Spangenberg: „Produktive Irritationen: Zum Verhältnis von Medienkunst, Medientheorie und gesellschaftlichem Wandel.“ In: Gendolla et al. (Hg.), a.a.O., S. 141. 52

EINLEITUNG

Wie gezeigt werden konnte, verschrieb sich die kybernetische Ästhetik einer ersten Annäherung an neue, technisch gestützte Formen der Kunst. Sie bildete dabei einen Gegenpol zur traditionellen Ästhetik. Diese Herangehensweise musste allerdings fehlschlagen aufgrund der Auslassung der am Kommunikationsprozess Beteiligten, des Kontextes und der Bedeutungssemantik. Das Scheitern machte deutlich, dass kein werkimmanentes Maß für Ästhetik zu postulieren ist. Aspekte der Ästhetik sind untrennbar von der Rezeption medialer Semantiken. Für den Film haben sich zur systematischen Analyse Kategorien herausgebildet wie beispielsweise die Kamera-Arbeit oder die Montage, die Aussagen zur Erzielung dramaturgischer Wirkung zulassen. Die Erfassung digitaler Artefakte muss vom dahinter stehenden Programmiercode, dem Verhältnis von Bild, Text und Bewegtbild bis zu der Qualität der angebotenen Interaktionen reichen. Es stellt sich die Frage, wie eine, von Lev Manovich eingeforderte, „Software-Theorie“141 aussehen könnte, um dem Gegenstand angemessen zu begegnen. Mit digitalen Medien tritt der Mensch in eine Form der Dispositivanordnung, die sich grundsätzlich von der des Kinos und des Fernsehens unterscheidet. Wie diese neuartige Anordnung aussieht und welche Wirkungen sie mit sich bringt, untersucht Kapitel II. So wird in erster Linie der rezeptionsorientierten Ästhetik, also Fragen der Wahrnehmungsfiguration im historischen Kontext, nachgegangen: Wie organisiert sich Sinnlichkeit im Kontext digitaler Medien? Textuelle und audiovisuelle Semantiken werden anhand der konkreten Habitualisierung von „Icon“, „Desktop“ etc. hinterfragt. Den gestaltenden und zugleich Ausdruck und Kommunikation strukturierenden Eigenschaften digitaler Medien wird nachgeforscht, um damit deren ästhetische Dimension definieren zu können. In Bezug auf die Rezipienten sind die menschlichen Konstanten der Schaulust

141 „From media studies, we move to something that can be called ‚software studies‘ – from media theory to software theory“. Er hebt die Begrenztheit eines Konzeptes hervor, das nur von traditionellen Medien wie Fotografie, Film und Fernsehen ausgeht. Manovich führt fort, digitale Medien sähen vielleicht aus wie Medien, dies sei jedoch lediglich die Oberfläche. Sie seien ebenfalls als Computerdaten zu analysieren. Manovich, a.a.O., S. 48. 53

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und Spielfreude, die als konstitutiv für die sinnliche Wahrnehmung zu betrachten sind, von besonderem Interesse. Der Prozess der Integration der Betrachter wirft neue Fragestellungen hinsichtlich ästhetischer Paradigmen durch die Besonderheiten des interaktiven digitalen Systems auf. Das Interface spielt eine wichtige Rolle, denn das System oder Kunstwerk muss die Handlungen der Interaktoren richtig interpretieren und der Nutzer muss sich der Reaktionsmöglichkeiten des Systems oder Kunstwerks bewusst werden, um in diesen Dialog einzutreten und ihn zu bestreiten. Im Folgenden werden ästhetische Wahrnehmungskonfigurationen begrifflich subsumiert und Schlussfolgerungen formuliert, die Aussagen über die Bedeutsamkeit für die Formung von Identität und die Entwicklung von Problemlösungsstrategien zulassen. Am Ausgangspunkt der Arbeit stand die Notwendigkeit, digitalen Artefakten im Rahmen einer medienwissenschaftlichen Analyse zu begegnen. In Kapitel III werden zunächst Untersuchungen auf einer niederen (Kategorien-)Ebene angestrebt, die auf Elemente wie Bild, Film und Ton sowie deren Zusammenspiel in einzelnen Kunstprojekten abzielen, um zu nuancierten Ergebnissen zu gelangen. Gestaltungsmodi und dominante Darstellungsformen werden hier im Zentrum der Betrachtung einzelner Werke stehen – immer mit dem zentralen Fokus auf die Beziehung zwischen dem Medium und dem Rezipienten. Exemplarische Produktionen sind hierbei: Olia Lialina: My boyfriend came back from the war (1996), Norman Klein: Bleeding Through Layers of Los Angeles (2003) und Lev Manovich: Soft Cinema (2002-2005). Ein besonderes Augenmerk gilt dabei dem Umgang mit dem (Erzähl-)Raum, dessen Bedeutung für den Rezeptionsprozess und damit für die Subjektkonstitution des Nutzers. In Anlehnung an Wolfgang Isers Theorie der Rezeptionsästhetik142, nach der das Werk erst in der imaginativen Beteiligung des Rezipienten zu seiner vollen Bedeutung gelangt, wird die kommunikative Struktur im digitalen Medientext frei gelegt. Kapitel IV resümiert die Erkenntnisse über das ‚Neue‘ der digitalen Medien. Es fokussiert die Rückwirkungen auf tradierte Medien und 142 Vgl. Wolfgang Iser: Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung. München: Wilhelm Fink Verlag 1976. 54

EINLEITUNG

konzentriert sich auf die Aufweichung medialer Grenzen. Die Auswirkungen der Hybridisierung und fortschreitenden Digitalisierung von Mediensystemen auf die Ästhetik des Films werden kurz diskutiert. Daraus erwachsende Konsequenzen für den Kunstbegriff tangieren auch das Verhältnis zwischen Kunst und Gesellschaft. Digitale Medien werden als Bestandteil der Dynamik moderner Gesellschaften betrachtet – dabei stellt sich unweigerlich die Frage, ob sie geeignet sind, soziale Handlungsrollen zu beeinflussen oder gar zu verändern. Aus dieser Perspektive erfolgt ein Ausblick auf Wünsche und Hoffnung, utopische Versprechen und Potenziale sowie deren Projektionen in das Reich der Medien.

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AN

DER

SCHNITTSTELLE VON MENSCH UND TECHNIK Fragestellung1

Die Mensch-Maschine-Schnittstelle übt starken Einfluss auf die Wahrnehmung des Menschen aus und schreibt sich in diese ein. Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den veränderten Wahrnehmungsprozessen im Zuge der kulturellen Praxis digitaler Medien. Die Wahrnehmung – hier interessiert besonders die computervermittelte – und damit Kontaktaufnahme des wahrnehmenden Menschen zur Welt markiert seine körperliche Zugehörigkeit zu dieser Welt und seine Positionierung in ihr. Computerinterfaces vermitteln eine eigene sinnliche Ästhetik. Die Schnittstellen erzeugen ein typisches Erscheinungsbild digitaler Medien, welches den vertrauten Kanon sinnlicher Erscheinung und Ästhetik aufgreift, fortführt und zum Teil auflöst. Dieses Kapitel geht der Frage nach, wie der direkte, körperliche Umgang mit der Technologie der digitalen Medien durch eben diese geprägt ist. Zugleich modelliert das Dispositiv den Menschen und diszipliniert seine Wahrnehmung. Insofern stellt es auch eine Form von Machtausübung dar. Hierfür ist eine genaue Betrachtung des Interfaces und der technischen Interaktion notwendig, die von Hand und Auge dominiert ist. Es interessiert weniger, auf welche Art Geräte mit Techniken der Sichtbarmachung in die Welt und den Körper vorgedrungen sind. Vielmehr ist die subjektive Veränderung der Wahrnehmung, des Gewahrwerdens unter diesem Einfluss von Bedeutung. Digitale Medienprodukte sind sinnlich erfassbare Figurationen. Auf der ei1

Einige Überlegungen dieses Kapitels sind bereits veröffentlicht im Aufsatz „Zwischen Begehren und Entsinnlichung – zur Ästhetik digitaler Medien“ in: Medien/Interferenzen, Burkhard Röwekamp et al. (Hg.): Marburg: Schüren Verlag 2003, S. 111-119. 57

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nen Seite mögen sie persönliche Sinnbedürfnisse befriedigen, indem sie ein passender Ausdruck für subjektives Empfinden sein können, andererseits sind sie aber von dieser Seite abgehobener Teil einer Art ‚künstlicher Zwischenwelt‘, des Cyberspace.2 Die Geschichte der Maschinen ist durch das philosophische, religiöse und wissenschaftliche Denken des Abendlandes beeinflusst und die Gegenwart der Maschinen hat dieses wiederum geformt. Medien konstituieren das Subjekt, sie formen den Menschen als kulturelles Wesen. In der Mensch-Maschine-Anordnung ist das Ich des Betrachters ein maßgeblicher Faktor. Diese kulturellen Implikationen der Technik digitaler Medien machen einen zentralen Untersuchungsaspekt aus.

Technik und Körper: Blick, Distanz und Berührung Video, lateinisch ‚ich sehe‘, bezeichnet ein technisches Gerät zur maschinengestützten Wiedergabe von Bewegtbildsequenzen. Mit den Beziehungen zwischen Technik und Sinnlichkeit haben sich Walter Benjamin und Paul Virilio zu unterschiedlichen Epochen der Medienentwicklung beschäftigt. Beide stellen, Benjamin am Beispiel des Films, Virilio an der aufkommenden Telekommunikation, fest, dass neue Kommunikationstechnologien einen Bruch in traditionellen Mustern der menschlichen Wahrnehmung bewirken. Diese Medien ziehen die Grenze zwischen Natur und Mensch mit der räumlichen Distanz zwischen Beobachter und dem Beobachteten. Räumliche Distanz ermöglicht es dem Subjekt, das Andere als Objekt zu behandeln. Die mediale Zurichtung ermöglicht also die Vergegenständlichung, die „visuelle Disponibilität der Welt“ einerseits und „die versichernde Distanz gegenüber dem Geschauten“3 andererseits. Die mit der Abstandnahme verbundene

2 3

Vergleiche hierzu Howard Rheingold: Virtuelle Welten. Reisen im Cyberspace. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag 1992. Ulrike Hick: Geschichte der optischen Medien. München: Wilhelm Fink Verlag 1999, S. 337. Das Primat des Visuellen in der Neuzeit beschreibt Jonathan Crary: Techniken des Betrachters. Dresden, Basel: Verlag der Kunst 1996, besonders Kapitel 4: Techniken des Betrachters S. 103-140. 58

AN DER SCHNITTSTELLE VON MENSCH UND TECHNIK

Dispensierung von Interaktion4 und das kulturelle Primat des Visuellen sind unmittelbar gekoppelt. Die Distanz als notwendiger Bestandteil menschlicher Kultur unterliegt einer negativen Bewertung in der Moderne5, während der Tastsinn und das körperlich Erleb- und Fühlbare eine steigende Wertschätzung erfahren. Der Körper als Materie im Imaginationsprozess gewinnt wieder stärkere Bedeutung, zum Beispiel durch die Wiederbestätigung des Körpers als Bezugsmodell.6

Abb. 8: Foto einer Operationsperformance an und mit der Künstlerin Orlan Der Körper zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist Plattform für das Spektakel: „carnal art“ oder „chirurgical performances“ der französischen Künstlerin Orlan stellen den Körper als künstlerisches Material im wörtlichen Sinne zur Verfügung.7 4

5

6 7

Siehe Sybille Krämer: „Körperlichkeit jenseits von Körperhermeneutik. Überlegungen zum Zusammenhang von Medien, Kulturtechniken, Kunst und Körper“. In: Gerhard Johann Lischka (Hg.): Kunstkörper, Werbekörper. Köln: Wienand Verlag. 2000. S. 51. Der genaueren Differenzierung angesichts der Vielfalt der Begriffsverwendung ‚Moderne‘ wendet sich Hans Ulrich Gumbrecht zu in „Modern, Moderne, Modernismus“. In: Otto Brunner et al. (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. IV, Stuttgart: Klett Verlag 1978, S. 93-131. Er wird hier im Sinne einer soziologischen Epochenbezeichnung verwendet. Vergleiche hierzu Jutta Weber und Corinna Bath (Hg.): Turbulente Körper. Soziale Maschinen. Opladen: Leske + Budrich 2003. Zur Interfacebildung zwischen Körper und digitalen Medien siehe den Aufsatz von Marie-Luise Angerer: „I am suffering from a spatial hangover. Körper-Erfahrung im NeuenMedienKunst-Kontext“. In: 59

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Marshall McLuhan8 macht deutlich, auf welche Art der Siegeszug des Buchdrucks zum Verlust ganzheitlicher Körperwahrnehmung (inklusive Geruchs- und Tastsinn) führte und sich infolgedessen die Konzentration auf die analytischen Qualitäten des Auges richtete. Erst die Wahrnehmungsformen, welche die „elektrische Zeit“ mit sich bringt, lassen diese eine Renaissance erfahren. Diese Renaissance, so lautet die im Folgenden darzulegende These, lässt eine neue Ordnung der Sinne über das Haptische denkbar werden und zielt am Ende auf eine Rückeroberung der körperlichen Sinne.9 Mit Hilfe der technischen Apparatur ist es möglich geworden, den Dingen ‚auf den Leib‘ zu rücken. Erfolgt nach dem Blick die Berührung, so verschwindet das Betrachtete als Objekt visueller Wahrnehmung. In der taktilen Wahrnehmung ergreift man ein Objekt mit der Hand. Der Abstand zum Objekt reduziert sich. Das Berühren selbst bedeutet physikalisch die Schaffung eines Drucks, der auf unseren Körper gerichtet ist und auf unsere Hautoberfläche ausgeübt wird. So wird das Objekt als Veränderung des Drucks auf den Körper wahrgenommen. Es erfordert Mut, mit einem Objekt zu interagieren. Wird nun an dieser Stelle, wie es bei digitalen Medien geschieht, eine künstliche Schnittstelle zwischengeschaltet, so entstehen bizarre Veränderungen dieser Konstellation. Die Steuerung des Interface ist vom Blick und der (Hand-)Bewegung des Mauszeigers abhängig. Für die Imagination bedeutet dies eine schwierige Gratwanderung zwischen dem Gefühl der Berührung, vermittelt durch das Interface, und der möglichen Beeinflussung der visuellen Information. Nur die Imagination ermöglicht es, einen Brückenschlag zu bilden, um diese Kluft zwischen Sehen und Berühren zu überwinden.

8 9

Peter Gendolla, Norbert M. Schmitz et al.: Formen interaktiver Medienkunst. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 2001, S. 166-182. Ein Aufsatz zum australischen Körperkünstler Stelarc findet sich ebenda: Claudia Benthien: „Die Epidermis der Kunst. Stelarcs Phantasmen“. S. 319-339. In: Herbert Marshall McLuhan: Die Gutenberg-Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters. Bonn et al.: Addison-Wesley 1995. Eine tatsächliche Umgruppierung der Sinne ist angesichts der derzeitigen Entwicklungen unwahrscheinlich. Die Beteiligung technisierter Systeme an der kulturellen Konstruktion sinnlicher Wahrnehmung jedoch ist nicht zu leugnen. 60

AN DER SCHNITTSTELLE VON MENSCH UND TECHNIK

Abb. 9: Bildschirmbild (Screenshot) Impalpability In seiner Arbeit Impalpability (1998)10 thematisiert Masaki Fujihata das Fehlen des Tastsinns in der Interaktion mit dem Computer: Er transponiert das Abbild menschlicher Haut auf eine virtuelle Kugel. Die Bewegung der Computermaus – und damit des sogenannten Trackballs – durch die Nutzer ist identisch mit der Bewegung dieser virtuellen Haut-Kugel. In der Interaktion mit dieser Arbeit entsteht das irritierende Gefühl, nicht nur das Interface, also die Maus, zu berühren, sondern das Bild selbst, die Information haptisch aufzunehmen. Die Bewegungen sind zudem begleitet von befremdlich erscheinenden Körpergeräuschen, deren Wiedergabetempo durch die Bewegungsgeschwindigkeit gesteuert wird. Schon Walter Benjamin beobachtete, dass der Kameramann „tief ins Gewebe der Gegebenheit eindringt“.11 Mit der neuen Mobilität, wie sie Filme wie Der Mann mit der Kamera (1929) feiern, kann die Kamera überall sein und mit ihrem übermenschlichen Blick eine Nahaufnahme von jedem Gegenstand machen. Diese Nahaufnahmen befriedigen das Bedürfnis, sich die Dinge „räumlich und menschlich näherzubringen“ und „des Gegenstands im Bild [...] habhaft zu werden“.12 Trotz oder gerade wegen der apparativen Anordnung kann das Fehlen der Distanz, wie es für das

10 Impalpability (engl., übersetzt Vagheit, Unfühlbarkeit oder Ungreifbarkeit): Die interaktive Arbeit wurde publiziert in der 5. Ausgabe der CD-ROM-Zeitschrift artintact des ZKM Karlsruhe. 11 Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1963, S. 32. 12 Ebd. S. 15. 61

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Berühren charakteristisch ist, als Eröffnung eines neuen Verhältnisses zwischen Subjekt und Objekt verstanden werden.13

Abb. 10: Filmische Nahaufnahme

Die Technisierung des Blicks Das Sehen im 20. Jahrhundert ist sowohl von Massenmedien stark beeinflusst als auch von veränderten Arbeitsformen. In seiner Dissertation „The Engineering of Vision from Constructivism to Computer geht Lev Manovich vom menschlichen Sehapparat als einem ökonomischen Produktionsmittel aus. Im Gegensatz zur Arbeit im Industriezeitalter bestehen heutige Arbeitsprozesse überwiegend aus Wahrnehmungsvorgängen: Beobachten, Erfassen und Darstellen. Es lässt sich ein Zusammenhang erkennen zwischen zunehmender Diversifizierung der Produktionsverfahren und der Veränderung des Verhältnisses zwischen Mensch und Technik. Fragen nach Begriffen und Theorien im Austausch zwischen biologischen und technologischen Systemen sind bereits gezielt untersucht worden.14 Wie jedes andere Produktionsmittel war das Sehen der Technisierung, Rationalisierung und Automatisierung15 unterworfen: Die produktive Nutzung des Sehens wird von Wahrnehmungspsycholo13 Den Aspekt der sensomotorischen Koordination in der Bedienung von Computerspielen untersucht Serjoscha Wiemer : „Körpergrenzen: Zum Verhältnis von Spieler und Bild in Videospielen“ Britta Neitzel und Rolf F.Nohr (Hg.): Das Spiel mit dem Medium. Partizipation – Immersion – Interaktion. Marburg: Schüren 2006, S. 244-260. 14 Siehe beispielsweise Barbara Becker und Irmela Schneider (Hg.): Was vom Körper übrig bleibt. Körperlichkeit – Identität – Medien. Frankfurt/Main: Campus Verlag 2000. 15 Zur Technisierung und Rationalisierung der Gesellschaft seit Ende des 19. Jahrhunderts vergleiche Angelika Saupe: „‚Leben‘ im Zeitalter der Technoscience. Skizzen über künstliche Natur und technologische Rationalität“. In: Das Argument, Bd. 221, 1997, S. 523f. 62

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gen und Kommunikationsfachleuten im Zusammenhang mit dem Film, der Robotik und dem Werbedesign untersucht. Das menschliche Sinnesverhalten wird in metrischen Systemen vermessen und registriert. Die Wahrnehmungspsychologie kategorisiert Sehen, Farben und Muster etc. und schafft Designgrundlagen z.B. für Massenmedien. In den 80er Jahren werden wissenschaftliche Theorien zum Sehen veröffentlicht, die Anfang des Jahrhunderts (noch) nicht denkbar gewesen wären. Der Kognitionswissenschaftler David Marr beispielsweise fasst in seinem Buch „Vision“, das einflussreich in Bezug auf die Annäherung der Computerwissenschaft an das Sehen ist, Forschungsergebnisse eines Jahrzehnts am MIT Artificial Intelligence Laboratory zusammen. In der Einleitung schreibt er: „Was bedeutet es, zu sehen? Die Antwort des einfachen Mannes (und Aristoteles’) wäre, durch das Sehen zu wissen, was sich wo befindet. In anderen Worten: das Sehen von Bildern ist der Prozess der Entdeckung, was es auf der Welt gibt und wo es sich befindet.“16

Diese funktionelle und pragmatische Definition des Sehens reduziert die visuelle Wahrnehmung auf Computerprozesse bei der Auffindung begrenzter Informationen über die Welt: die Identität der Objekte und ihre Lokalisierung. Tatsächlich jedoch sind dies Informationen, wie sie für Roboter oder ferngesteuerte Raketen notwendig sind. David Marr projiziert die Maschinenwahrnehmung wiederum auf den Menschen: ein Hindernis wahrnehmen. Andere Theoretiker aus der Wahrnehmungspsychologie legen das Sehen als zuverlässigen und effektiven Sinn zur Überwachung fest, bestens geeignet, einen Bildschirm zu kontrollieren. Die Physiologie des menschlichen Sehens wird wie eine Maschinentätigkeit betrachtet. Als die Wahrnehmungsumfelder, die Gegenstand moderner Wahrnehmung sind, gelten die Strassen der Stadt, das Kino und die Einkaufspassagen. Diese Räume sind ausschlaggebend für Walter Benjamins Betrachtung. Er stellt die Parallele zum Sehen im Arbeitsumfeld her: 16 David Marr: Vision. A Computational Investigation into the Human Representation and Processing of Visual Information. San Francisco: Freeman, 1982, S. 3 (Übersetzung Verfasserin). 63

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„Wenn Poes Passanten noch scheinbar grundlos Blicke nach allen Seiten werfen, so müssen die heutigen das tun, um sich über die Verkehrssignale zu orientieren. So unterwarf die Technik das menschliche Sensorium einem Training komplexer Art. Es kam der Tag, da einem neuen und dringlichen Reizbedürfnis der Film entsprach. Im Film kommt die chokförmige Wahrnehmung als formales Prinzip zur Geltung. Was am Fließband den Rhythmus der Produktion bestimmt, liegt beim Film dem der Rezeption zugrunde.“17

Das Sehen ist hier nicht mehr kontemplativ, es ist der industriellen Produktion angepasst und trainiert, sich im komplexen Leben zurecht zu finden.18 Die Wissenschaft der Physiologie und die optischen Apparate des 19. Jahrhunderts, so zeigt Jonathan Crary19, haben diese Entwicklung bereits vorbereitet. Der Blick wird auf das Wesentliche ‚zugerichtet‘. Crarys Untersuchung reicht allerdings nicht bis in die Gegenwart hinein: Heute haben wir es mit dematerialisierten Bildern und Signalen bzw. Zeichen zu tun.20 Die während des Kalten Krieges angesammelten (Bild-)Datenmengen über den politischen Feind müssen ausgewertet werden. Man gründet viele Projekte zu künstlicher Intelligenz: es geht um Mustererkennung, um die ‚Logistik der Wahrnehmung‘, die ein im-

17 Walter Benjamin: „Über einige Motive bei Baudelaire“. In: ders.: Illuminationen. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1961, S. 221. 18 Anne Friedberg bezeichnet die imaginative flanerie als Paradigma für den heutigen Kinozuschauer, die gespeist wird aus dem Lebensumfeld der Moderne: dem Konsum, den Einkaufszentren, dem Schaufenster, dem Tourismus, dem Autofahren und dem Verkehr. Anne Friedberg: Window Shopping. Cinema and the Postmodern. Berkeley, Los Angeles, London: University of California Press 1994. 19 Jonathan Crary: Techniken des Betrachters. Dresden, Basel: Verlag der Kunst 1996. 20 Die computergestützte Bilderkennung ist als Kulmination einer Jahrhunderte langen Entwicklung zu verstehen, die mit den Hilfsmitteln zur Zentralperspektive der Renaissance begann. Bereits Albertis Fenster lenkte den Blick und nahm durch die Rahmung des Sichtbaren die Zeichnung quasi schon vorweg. Der Besucher des Panoramas kann seinen Blick im ihn umgebenden Bildraum noch frei schweifen lassen, doch bereits das Diorama gibt Bewegung und Blickpunktwechsel vor. Der gebannte Blick der Zuschauer ist auf die Projektionswand des Kinos oder die Mattscheibe des Fernsehers in der Wohnstube gerichtet. 64

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plizit konstruktivistisches Naturverständnis offenbart.21 Die Automatisierung mentaler Funktionen (Sehen, Hören, Argumentieren, Problemlösen) ist zwischen 1950 und 1960 zentral in der Forschung zur künstlichen Intelligenz und in der kognitiven Psychologie. Im Zuge des Wettlaufs der Raumfahrt wird verstärkt die Bildübertragung vorangetrieben. Die heute aktuellen Techniken zur ‚Terrorbekämpfung‘ bilden mit der Mustererkennung von Videomaterial aus Überwachungskameras und diversen Formen des ‚data mining‘ die ausgereifte Weiterentwicklung dieser Ansätze. Von der Automatisierung des Körpers verlagert sich die Entwicklung zur Automatisierung des Gehirns, von physischer zu mentaler Arbeit.

Die Rationalisierung der Sinne Mit der Stoffwechselmaschine, die im 18. Jahrhundert mit La Mettries philosophischer Maschinentheorie entsteht, kann das bereits in der Antike formulierte Bestreben, die sinnliche Dingwelt als formale Ordnung zu fassen, über die Kybernetik bis in die Gegenwart hinein verfolgt werden.22 Die für den Menschen so einfach erscheinenden – weil unbewussten – Sinnesleistungen werden bei diesen Versuchen in einzelnen Schritten technisch übertragen. Das Unterfangen menschliches Sehen imitieren zu wollen, muss zunächst die rein sensorische Seite (das Sehen) lösen, darauf folgen Übertragungs- und Codierungsfragen (die Aufgabe der Sehnerven) und anschließend ist eine Verarbeitungs- und Interpretationsalgorithmik notwendig (das Gehirn). Sollten diese Schritte gelingen, so stößt ein derartiges technisches System auf Grenzen, welche die menschlichen Sinne bewältigen können. Die Stärke des menschlichen visuellen Systems liegt darin,

21 Zum kybernetischen Naturbegriff siehe bei Jutta Weber: Umkämpfte Bedeutungen: Naturkonzepte im Zeitalter der Technoscience. Frankfurt/Main: Campus Verlag 2003. Online-Fassung 2001: http://elib.su ub.uni-bremen.de/publications/dissertations/E-Diss228_webersec.pdf (Stand 30.09.2005) Kapitel 4, I und II, S. 107-160. 22 Vergleiche hierzu Marie-Anne Berr: „Stoffwechselmaschinen“. In: Wunschmaschine Welterfindung. Eine Geschichte der Technikvisionen seit dem 18. Jahrhundert. Wien, New York: Springer Verlag 1996, S. 411-433. 65

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trotz widriger Umstände (Nebel, schlechte Lichtverhältnisse, teilweise Verdeckung von Objekten) erfolgreich zu funktionieren. Die Notwendigkeit automatisierter Muster- und Bilderkennung wird darin begründet, dass die Fähigkeit zur Erfassung und Verarbeitung von (Meß-)Daten beim menschlichen Sehen gering entwickelt ist. Einsatzgebiete für das Ablesen von Daten liegen beispielsweise im medizinischen Bereich: in der Beurteilung von Röntgenbildern, Computertomografie-, Kernspinntomografie- oder Ultraschall-Ergebnissen.23 Was heißt es nun für intelligente Computersysteme (ferngesteuerte Missiles, Roboter, Überwachungssysteme) ein Bild zu ‚verstehen‘? Ohne an dieser Stelle ins technische Detail zu gehen, seien einige Vorgehensweisen zur Mustererkennung genannt: es kann mit der Einschränkung des Bildbereichs gearbeitet werden, dem Zuweisen von Eigenschaften (Farbe, Form), dem Abgleich mit einem Differenzbild, das eine maximal zulässige Abweichung (z.B. durch Schatten) enthält oder mit Bildkonturen, um hier nur die wichtigsten Elemente zu nennen.24 In die Ferne gerichtete Technologien wie Radar haben die Perspektive über das Sichtbare hinaus ausgeweitet. 3D-Computergrafiksysteme beschleunigen und automatisieren Design und perspektivische Darstellung von realen und imaginären Objekten. Diese drei separaten Entwicklungsstränge finden zusammen: die Aufnahme dreidimensionaler Information (‚remote sensing‘ als distanzüberwindende Möglichkeiten der Daten- oder Bilderhebung wie Radar), die Generierung perspektivischer Ansichten (3D-Computergrafik) und die Identifikation von Objekten in der mediengestützten Bilderkennung bilden einen engen Kreis. Die Computergrafik realisiert immer realistischer anmutende Simulationen, während im Vergleich dazu die computergestützte Bilderkennung Aspekte wie Schatten, Textur etc. als Quellen tiefgehender Informationen nutzt. Im Zuge der Automatisierung des Sehens, der Ablösung des menschlichen Blickes durch den Blick der Maschine, wird ein neues Verständnis des Sehens notwendig.

23 Weitere Anwendungsgebiete der Mustererkennung in Bildern sind die Sicherheitstechnik, die Auswertung von Satellitenbildern, Assistenzsysteme (Lokführer, Autofahrer) und die industrielle Qualitätssicherung. 24 Für weiterführende Studien sei verwiesen auf: Bernd Jähne: Digitale Bildverarbeitung. Wien, New York: Springer Verlag 1989. 66

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Abb. 11: 3D-Computergrafik zur Umbauplanung des deutschen Pavillon in Hannover Die Automatisierung beeinträchtigt unsere Auffassung des Gewahrwerdens auf zwei entscheidende Arten: sie bringt einerseits mit sich, dass die Funktionen der menschlichen Wahrnehmung durch Computer ersetzt werden können, genau so wie die Substitution des Blickes durch computergestützte Bilderkennung. Damit setzt sich eine lange Tradition in der Bevorzugung technisch erzeugter Bilder gegenüber menschlicher Sinneswahrnehmung fort: schon dem Bild der Camera Obscura wurde ein größerer Wahrheitsgehalt attestiert als der Malerei. In der fortschreitenden technischen Entwicklung wurde diese durch Fotografie und Film weitgehend abgelöst. Verschiedene Studien haben sich mit der kulturellen Praxis des technischen Blicks und ihrer Auswirkung auf den menschlichen Blick beschäftigt: Barbara Duden widmet sich bildgebenden diagnostischen Verfahren und dem Erleben von Schwangerschaft.25 Hans Blumenberg führt seine Untersuchung am Beispiel des Fernrohrs durch.26 Wolfgang Schivelbusch geht der Frage um die verän-

25 Barbara Duden: Der Frauenleib als öffentlicher Ort. Vom Mißbrauch des Begriffs Leben. Hamburg, Zürich: Luchterhand Verlag 1991. 26 Hans Blumenberg: Galileo Galilei. Sidereus Nuncius. Nachricht von neuen Sternen. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 2002. 67

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derte Wahrnehmung durch die Eisenbahn nach27 und Paul Virilio zeigt diese am Blick durch die Windschutzscheibe des Autos auf.28 Die kulturhistorischen Arbeiten bewegen sich dabei auf dem schwierigen Feld zwischen flüchtiger Wahrnehmung und „harten technischen Fakten“. Sie alle kommen zu dem Schluss, dass sich die sinnliche Wahrnehmung im Zusammenspiel mit in der Alltagspraxis verankerter Technik verändert. Die Automatisierung beinhaltet andererseits auch die Integration von Mensch und Maschine in neue Mensch-Maschine-Systeme wie Radar oder Cockpits. Wahrnehmungspsychologische und -physiologische Untersuchungen seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts visieren eine nach rationalen Gesichtspunkten organisierte visuelle Sprache an, die aus einfachen Elementen wie Formen und Farben konstruiert werden kann.

Abb. 12: Abstrakte Bildkompositionen aus Farb- und Formkontrasten: Komposition VIII Wassily Kandinsky, 1923

27 Wolfgang Schivelbusch: Geschichte der Eisenbahnreise. Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19.Jahrhundert. Frankfurt/Main: Fischer Verlag 2002. 28 Paul Virilio: Der negative Horizont. Frankfurt/Main: Fischer, 2001. 68

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Die neue Bewertung des Sehens wird auch in der Kunst operationalisiert. Auf die Suche nach einer neuen visuellen Sprache begeben sich Künstler am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhundert: Seurat, Signac, Kandinsky, Klee, Mondrian – um nur einige zu nennen. Zu Recht weist Manovich besonders auf den russischen Konstruktivismus hin, der die Form über die Funktion stellt und Effizienz als die Verkörperung von Schönheit betrachtet. In diesem Zusammenhang ist die russische Kinoki-Bewegung zu sehen, die eine eigene, internationale Sprache des Films zu kreieren trachtet und den Film als eigenständige und unabhängige Kunstform etabliert. Es geht nun nicht mehr um eine ‚wissenschaftliche Ästhetik‘, sondern um die Effizienz der Massenkommunikation, um eine Frage von ökonomischer und politischer Wichtigkeit. Sie findet ihren Ausdruck in Artefakten dieser Massenkommunikation: dem Kinosaal, der gedruckten Magazinseite, dem Architekturraum und dem Straßenbild mit Plakaten, Werbung und Hinweiszeichen. Der nächste Schritt in der Rationalisierung der Kommunikation lässt sich 1920 konstatieren. Im Zuge wachsender Telekommunikationsprozesse und der damit verbundenen Entwicklung des MenschMaschine-Interface entsteht die Informationstheorie. Zunächst gilt das Interesse der Effizienz von Kommunikationsmedien wie Telefon, Radio und Fernsehen. Zu diesem Zeitpunkt treten Psychologen in Erscheinung mit dem Auftrag zur Gestaltung von Mensch-Maschine-Systemen, wie sie das Schlachtfeld und den Arbeitsplatz nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt haben: Radarbildschirme, Flugzeugkontrollinstrumente, Computerterminals. Das menschliche Sehen als zentraler Kanal der Kommunikation zwischen Mensch und Maschine wird unter informationstheoretischen Gesichtspunkten betrachtet. Lev Manovich spricht in diesem Zusammenhang vom „engineering of vision“.29 Der effiziente Umgang mit Material und Kräften wird auf ‚ökonomisches‘ Design und die Ausführung einer großen Anzahl von wichtigen Operationen übertragen, die, so sie korrekt ausgeführt sind, in einer vorteilhaften

29 Lev Manovich: The Engineering of Vision from Constructivism to Computer , Ph.D. Dissertation, Visual and Cultural Studies, University of Rochester, 1993. 69

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Kombination aus Akkuratesse, Sicherheit, Stabilität, Geschwindigkeit, Einfachheit, Effizienz und Ökonomie resultieren.30 Die Arbeitswissenschaft ist an einer Weiterentwicklung von der Rationalisierung und Automatisierung des Sehens gelegen, um schließlich zu einer Effizienz des Sehens zu gelangen. Die Technikgestaltung findet unter kognitiv-rationalen Aspekten statt, die der Maxime der Effektivität entsprechen. Die Veränderungen in den informatisierten Arbeitsumfeldern sind vom Diktat des Regelhaften und einer zunehmenden Distanz zwischen Arbeiter und Arbeitsgegenstand geprägt. Das Endprodukt ist für den Anlagenfahrer einer Produktionsmaschine als Bezugspunkt unwichtig: für ihn zählt lediglich der störungsfreie Ablauf der Anlage, der über Displayanzeigen von ihm überwacht wird. Diese Formen der Arbeitsorganisation lassen nichtrationale Einstellungen außer Acht (z.B. Einsteins „Basteln und Grübeln“, Levi-Strauss’ „Wildes Denken“).31 Für die Arbeitseffizienz in der Industrialisierung galt es noch, den Produktionsablauf möglichst ohne unnötige Bewegungen für Arbeiter zu gestalten. Mit der postindustriellen Gesellschaft wendet man sich von der Effizienz des Körpers ab und der Effizienz der Sinnesleistungen zu. Man widmet man sich der Externalisierung der Sinneswahrnehmung, um diese zu erzielen. Künstliche IntelligenzForschung, Wahrnehmungspsychologie Neurowissenschaften und andere verwandte Disziplinen entstehen. Sie alle erforschen mentale Funktionen: Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Textverständnis, Gedächtnis, Problemlösung. Der Mensch wird als Informationsverarbeitungseinheit betrachtet und sein visueller Apparat ist Teil der menschlichen Informationsverarbeitung. Die Informationstheorie ist essentiell, um die neue 30 Zu diesen Effektivitäts- und Normierungsbestrebungen der wissenschaftlichen Arbeitsorganisation von Frederick Winslow Taylor und Frank B. Gilbreth siehe das Kapitel „Arbeitswissenschaft“ in: Claus Pias: Computer Spiel Welten. München: Sequenzia Verlag 2002. 31 Sabine Pfeiffer plädiert in diesem Zusammenhang für eine erfahrungsförderliche Arbeitsorganisation bei der Gestaltung technischer Systeme. Sabine Pfeiffer: „Arbeitsvermögen und Domänen der Informatisierung – Konsequenzen für die Gestaltung von Arbeitssystemen“. In: Peter Röben und Felix Rauer (Hg.): Domänenspezifische Kompetenzentwicklung zur Beherrschung und Gestaltung informatisierter Arbeitssysteme. Bielefeld: Bertelsmann Verlag 2004, S. 19-30. 70

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Vorstellung des Sehens und die Technisierung des Blickes zu verstehen, die nach dem zweiten Weltkrieg aufkam. Natürliche Phänomene werden auf Objektivität, Systematik, Kausalität, Erkennbarkeit und Zweckhaftigkeit reduziert. Die Beobachtung der Natur dient nicht ihrer künstlichen Generierung, sondern es gilt, sie umzugestalten, „sie zu verbessern und zu perfektionieren“.32 In der Massenkommunikation soll eine solche Effizienz mit Hilfe eines Codes erzielen werden, der die zu übertragenden Zeichen reduziert. Hierbei sind folgende Fragen zu klären: Wie unterscheiden sich visuelle Codes von anderen? Welche Informationen können durch das Sehen wahrgenommen werden? Diese Herangehensweise setzt eine produktive Art des Sehens voraus, wie sie auch zu den ingenieurstechnischen Normen gehört. Dabei spielt die Maxime des Konstruierens gemäß dem Prinzip der Ökonomie eine bedeutsame Rolle. Um die aufgeworfenen Fragen zu klären führt Max Bense informationsästhetische Untersuchungen zu klassischer Kunst (z.B. zu Rembrandt-Entwürfen) und zu Computer-Kunst durch. In „Aesthetica. Einführung in eine neue Ästhetik“ (1965) transformiert er die Kunst in mathematische Formeln.33 Aus der Sicht des Kunsthistorikers hebt Ernst Gombrich bereits 1960 den aktiven und interpretativen Anteil des Betrachters hervor.34 Die Informationstheorie stellt fest, dass man nie sicher sein kann, ob ein Signal korrekt beim Empfänger ankommt. Für den Ingenieur stellt die Dekodierung einer Nachricht im Zustand des Rauschens, d.h. angesichts von Störungen, ein Problem dar, das es zu lösen gilt, da es seinem Prinzip des reibungslosen Ablaufes widerspricht. In der Kraft kostenden und von Handarbeit geprägten industriellen Arbeitsgesellschaft bildete Müdigkeit ein großes Gefahrenpotential. Die post-industrielle (Informations-)Gesellschaft hingegen ist auf mentale Arbeit ausgerichtet, in der die Verarbeitung von In32 Jutta Weber: Umkämpfte Bedeutungen: Naturkonzepte im Zeitalter der Technoscience. Frankfurt/Main: Campus Verlag 2003. OnlineFassung 2001: http://elib.suub.uni-bremen.de/publications/disserta tions/E-Diss228_webersec.pdf (Stand 30.09.2005), S. 73. 33 Max Bense: Ästhetica. Einführung in eine neue Ästhetik. Baden-Baden: Agis Verlag 1965. 34 Siehe u.a. Ernst H. Gombrich: Kunst und Illusion. Stuttgart: Belser Verlag 1978. 71

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formationen im Mittelpunkt steht und die durch Rauschen, d.h. die Störung des Informationsflusses, gefährdet ist. Die Aufgabe des Arbeiters im Zeitalter des Post-Industrialismus besteht in der Überwachung und der Regulierung: Er hat Displays zu betrachten, eingehende Informationen zu analysieren, Entscheidungen zu treffen und Knöpfe zu bedienen. Die von Walter Benjamin konstatierten permanenten Wahrnehmungseindrücke des Menschen in der Moderne (Fließband, Stadt, Kino) finden jetzt im Arbeitsplatz ihre direkte Kontinuität. Diese überbordenden Informationseindrücke erfordern sofortige Reaktionen – sie kommen ausschließlich über den visuellen Kanal: Anzeigen, Computerbildschirme etc. Der Benutzer eines Mensch-Maschine-Systems ist mit der Beobachtung eines Displays beschäftigt, das jederzeit aktuelle Veränderungen in Echtzeit darstellt: der Börsianer muss sekundenschnell Veränderungen auf dem Aktienmarkt bemerken, ein anderer hat die Aufgabe die Anzeige auf einem Radarschirm zu verfolgen, der Spieler hat das Schlachtfeld auf dem Videobildschirm eines Computerspiels im Blick und der Autofahrer achtet auf die Anzeigen der Armaturen. Immer wieder muss der Bediener eine Entscheidung treffen und in die Maschinenvorgänge eingreifen: Aktien kaufen, einen Joystick bedienen, einen erfassten Gegner auf dem Radar eliminieren, vom Gas gehen etc. Verschiedene Wahrnehmungskanäle des Menschen verfügen über unterschiedliche Kapazitäten für Wahrnehmungsprozesse z.B. Sehen und Hören. Die Grenze bildet jetzt nicht mehr die physische Kraft, sondern die Kapazität, Information zu verarbeiten. Werden alle Ressourcen auf den Sehsinn konzentriert, so geschieht dies auf Kosten der Aufmerksamkeit (z.B. des Hörsinns). Auditive Stimuli werden reduziert. Jede neue Wahrnehmungstechnologie ist nicht nur mit Erweiterungen, sondern auch mit Reduktionen von Wahrnehmungsleistungen verbunden. Das Primat des Visuellen führt zu einer sehr geringen akustischen Identifikationskompetenz.35 So wird auch die dauerhafte Musikberieselung, die auf eine emotionale Manipulation im Sinne von Konsumanreizen abzielt, sowie der Lärm der gegenwärtigen Umwelt kaum bewusst wahrgenommen.36 35 Siehe Murray Schäfer, Klang und Krach. Eine Kulturgeschichte des Hörens. Frankfurt/Main: Athenäum Verlag 1988. 36 Siehe Rüdiger Liedtke: Die Vertreibung der Stille. Leben mit der akustischen Umweltverschmutzung. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2004. 72

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Das World Wide Web ist als Textmedium mit einem visuellen Interface konzipiert. Die akustische Ebene beschränkt sich auf funktionale Informationen wie Signaltöne als Rückmeldungen auf Nutzeraktivitäten (Rechner starten und beenden, Programm öffnen und schließen, Fehlermeldung, Warnton, neue E-Mail). Es wird derzeit an akustischen Orientierungshilfen gearbeitet, die mit Hilfe von ‚Earcons‘ die Navigation in großen Datenmengen vereinfachen sollen.37 Noch ist eine ausdifferenzierte audiovisuelle Navigation nicht in Sicht. Sie könnte allerdings eine Umkehr des hierarchischen Verhältnisses von Ton und Bild bedeuten. Die Einführung von Computerarbeitsplätzen bringt diverse kritische Diskussionen mit sich. Man entwirft das Bild eines zukünftigen Menschen, der auf Auge und Finger in einer entsinnlichten und entstofflichten Arbeitswelt reduziert ist. Arbeitspsychologische Untersuchungen unterstützen diesen Eindruck. Sie lassen sich mit den Worten von Regina Becker-Schmidt38 folgendermaßen zusammenfassen: „Büroangestellte, die an Bildschirmen tätig sind, und Facharbeiter, die elektronisch gesteuerte Werkzeugmaschinen bedienen, klagen über taktile, akustische und stoffliche Entzugserscheinungen auch dann, wenn die Automatisierung Arbeitserleichterungen mit sich gebracht hat.“

Mit dieser von Kulturanthropologen als ‚Entsinnlichung‘, Ablösung von Intuition und Fingerspitzengefühl oder Tendenz zu abstrakter Sinnlichkeit bezeichneten Entwicklung wird eine Überbeanspruchung des inneren Imaginationsvermögens beschrieben, eine paradoxe Zuspitzung von Unter- und Überforderung im Feld von Auge und Hand. Hier wird ‚Entsinnlichung‘ als reduzierter Einsatz sinnlicher und körperlicher Möglichkeiten verstanden.

37 Siehe die Website der International Community for Auditory Display http://www.icad.org. 38 Regina Becker-Schmidt: „Technik und Sozialisation. Sozialpsychologische und kulturanthropologische Notizen zur Technikentwicklung“. In: Dietmar Becher et al.: Zeitbilder der Technik. Essays zur Geschichte von Arbeit und Technologie. Bonn: Verlag Dietz 1989, S. 57. 73

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In ihrem Bericht Inszenierungen einer Technik fasst Elfriede Löchel39 die Ergebnisse einer empirischen Studie über intersubjektiv geteilte computerbezogene Wahrnehmungen zusammen. Irritationen bezüglich des Gebrauchs der Hände und der Reichweite des Blickes werden deutlich geäußert. Mag die Fülle der Sinnesreize und Möglichkeiten digitaler Medien im Vergleich zu traditionellen Medienangeboten auch umfangreicher erscheinen, so ist das Gewahrwerden einer Form von Entsinnlichung sicherlich den vielfältigen Einsatzformen und damit dem breiten Raum der Computernutzung, der Technisierung des Alltags insgesamt, zuzuschreiben. Durch die Multifunktionalität der Maschine erweitert sich der Handlungsspielraum am Computer: Orte zum Arbeiten, Lernen und Spielen verschmelzen zum Platz vor dem PC. Ein Teil des hochgradig differenzierten Diskurses um Körperlichkeit im TechnisierungsKontext legt nahe, der menschliche Körper stehe zur Disposition, da seine Bedeutung schwinde.40 Dennoch ist dies ambivalent: der Diagnose der Entsinnlichung, dem „Schwinden der Sinne“41 steht entgegen, dass der Körper als Teil der Mensch-Maschine-Schnittstelle unentbehrlich ist. Es liegt nahe, dass die Transformation der Vorstellung von Körper und Subjekt durch Formen ‚hybriden‘ Lebens – mit biologischen, elektronischen und künstlichen Elementen zugleich – neue Diskurse zur Entkörperlichung des Körpers mit sich bringt. Dabei geht es weniger um das tatsächliche Auflösen des Körpers als um den Zerfall historischer Konzepte von Körper und Subjekt. Die hier nur ansatzweise dargestellten Rationalisierungsvorgänge beschränken sich nicht auf den Sehsinn. Im Hinblick auf die Spra39 Elfriede Löchel: Inszenierungen einer Technik. Psychodynamik und Geschlechterdifferenz in der Beziehung zum Computer. Frankfurt/ Main, New York: Campus Verlag 1997. 40 Vergleiche hierzu Jutta Weber und Corinna Bath: Turbulente Körper, soziale Maschinen. Opladen: Leske und Budrich, 2003. Siehe hierzu auch Barbara Becker: „Cyborgs, Robots und Transhumanisten. Anmerkungen über die Widerständigkeit eigener und fremder Materialität“. In Barbara Becker und Irmela Schneider: Was vom Körper übrig bleibt. Körperlichkeit – Identität – Medien. Frankfurt/Main: Campus Verlag 2000, S. 41-69. 41 Dietmar Kamper und Christoph Wulf (Hg.): Das Schwinden der Sinne. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1984. 74

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che denke man nur an die Erfassung, Normierung und Standardisierung von Aussprache, die in die Entwicklung von Sprachsteuerungen münden, wie sie beispielsweise zur Bedienung von Handys und Computerprogrammen eingesetzt werden. Dabei werden aus realen Sprechproben akustische Modelle erstellt, welche die eingegebene, gesprochene Sprache in Sprachmuster zerlegen. Die Eingabe wiederum wird mit diesen, inzwischen hoch differenzierten Modellen abgeglichen und mündet dann bei einem Diktierprogramm in die Ausgabe des geschriebenen Textes am Bildschirm oder einem Sprachsteuerungsprogramm in der Umsetzung eines gesprochenen Befehls.42 Es ist zu erwarten, dass sich die Rationalisierung der Sinne in der Fortentwicklung von Interfaces niederschlagen wird.

Die Ikonografie des Interface Der Begriff des Interface, so das Oxford English Dictionary, geht auf Marshall McLuhans Äußerung zur Interaktion in GutenbergGalaxis43 (1962) zurück. Die Art und Weise, wie das Interface diese Interaktion prägt, wird Inhalt der folgenden Überlegungen sein. Die Beobachtungen hinsichtlich des Interface als Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine (sowohl Hard- als auch Software betreffend) beschränken sich nicht allein auf die Entwicklung des Computers. Zahlreiche Gestaltungsformen werden bekanntermaßen wiederum von traditionellen Medien aufgegriffen und finden sich dort ebenso wie in der Alltagskultur, in der Mode und der Architektur, wieder.

Der Bildschirm Sowohl das Display als auch der Computermonitor werden hier unter dem Begriff ‚Bildschirm‘ subsumiert. Der Bildschirm ist als jüngste Materialisierung des Rahmens zu verstehen. Dieser Rahmen ist eine Vorrichtung, durch die man den ‚anderen‘ Schauplatz erblicken kann. Es ist der Rahmen, der umfasst: die Bühne, das Ge42 Die Darstellung bezieht sich auf den Artikel von N. Haberland, S. Kanthak, J. Overmann, K. Schütz, L. Welling „Wie funktioniert computerbasierende Spracherkennung?“ aus der Zeitschrift c’t (Heise Verlag) 5/1998, S. 120. 43 McLuhan, a.a.O. 75

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mälde, die Fernsehsendung, den Kinofilm. Er grenzt die eine, die ‚virtuelle Welt‘, innerhalb der unsrigen, der ‚realen‘ ab. Er ist eine rechteckige Fläche, die in der gegenständlichen Welt existiert und die Welt der Repräsentation darstellt.

Abb. 13: In Stargate (1994) fungiert der (Rahmen) Ring als Tor in eine andere Raum-Zeit-Dimension Der Computerbildschirm dient als Fenster in die Welt der neuen Medien und ist zugleich auch als optische Kommunikationsfläche zu verstehen. Lev Manovich klassifiziert in The Language of New Media den klassischen Bildschirm in drei Subtypen: den dynamischen Screen, der ein sich in der Zeit veränderndes Bild darstellen kann, beispielsweise der Fernsehbildschirm, die Kinoleinwand oder der Videomonitor, den Echtzeit- (z.B. Radar-) und den interaktiven Bildschirm (z.B. Touchscreen).

Die grafische Benutzeroberfläche: der Desktop In den 1970er Jahren beginnt man mit dem Apple Macintosh visuell orientierte Bedienoberflächen44 zu etablieren. Vertraute Gegenstände unserer physischen (Arbeits-)Welt werden als bildliche Zeichen zur Interface-Steuerung eingesetzt: Elemente wie der Schreibtisch, Ordner und der Mülleimer repräsentieren Handlungsanweisungen an den Rechner. 44 GUI: Graphical User Interface. 76

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In Interface Culture45 belegt Steven Johnson auf eindrückliche Art und Weise die heftigen Widerstände, die es bei der ersten Vorstellung der grafischen Benutzeroberfläche gab. Sie wurde als unseriöse Spielerei abgetan, die allenfalls für künstlerisch arbeitende Menschen geeignet sein könne. Für anspruchsvolle Arbeiten sei der Programmiercode und die direkte Eingabe der Befehlszeile absolut unerlässlich. Schon nach kurzer Zeit stellt sich dies als Fehleinschätzung heraus. Die grafische Computer-Benutzeroberfläche hat sich mittlerweile als Standard durchgesetzt. Computeranwender kommunizieren heute nicht mehr in Form von Befehlen mit dem Computer, sondern treten mittels Dialogfelder und Menüoptionen ‚in Dialog‘ mit der Maschine. Der Rechenprozess selbst verschwindet dabei völlig. Die Manipulation der Oberfläche und das Arbeiten in Unkenntnis der zugrundeliegenden Mechanismen ist in der Entkoppelung von Daten und Display zum Prinzip erhoben. Das Auge bleibt auf die Benutzeroberfläche fixiert, es kann sie nicht durchdringen, nicht in das Innere schauen. Maßgeblich, so formuliert es die Theorie der Software-Ergonomie46, sei die Anpassung der Maschine an den Menschen, seine Wahrnehmung und sein Denken. Dies manifestiere sich in Bedienfreundlichkeit, welche die Leichtigkeit des Navigierens in einem System ermöglicht, die Selbsterklärbarkeit eines Menüs, das schnelle Auffinden von Informationen, das problemfreie Nutzen von Service-Angeboten und die hilfreiche Unterstützung seitens des Systems bei auftretenden Anwendungsschwierigkeiten. Darüber hinaus sind bei der Gestaltung die (in der westlichen Kultur47) üb45 Steven Johnson: Interface Culture. Stuttgart: Klett-Cotta 1999. 46 Die Software-Ergonomie ist ein Teilgebiet der Informatik, das sich mit Mensch-Computer-Interaktionen beschäftigt. Sie erforscht theoretische Grundlagen, Realisierungsmöglichkeiten und Vorgehensweisen für die menschengerechte Gestaltung computergestützter Tätigkeiten. Siehe weiterführend bei Michael Herczeg: SoftwareErgonomie: Grundlagen der Mensch-Computer-Kommunikation. Bonn: Addison-Wesley 1994. 47 Jean Cubitt weist in Digital Aesthetics (London, Thousand Oaks, New Dehli: Sage Publications 1998) darauf hin, dass neben dem Status der englischen Sprache als Standard für das Netz auch die Universalität der Fenster-Icon-Menü-Mauszeiger-Funktionen kulturspezifisch und interkulturell normativ sei. Er stellt die HCI-Benutzerfreundlichkeit in Frage, da die 1870 entwickelte und 1905 zum Standard erklärte QWERTY-Tastatur keineswegs als intuitiv zu 77

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lichen Wahrnehmungsprinzipien wiederzufinden: von-links-nachrechts, von-oben-nach-unten und Wichtiges-höher-als-Unwichtiges.

Abb. 14: Beispiel für eine Desktop-Gestaltung Die individuell zu gestaltende virtuelle Schreibtischfläche, der Desktop, stellt Funktionen, Dateien, Programme und HardwareTeile des Computers bildlich dar und dient der intuitiven Bedienung. Das Gefüge kann aus vielerlei Elementen bestehen: Texte, hierarchische Menüs, 3D-Räume, Hypertext, Bilder und Hot Spots. Waren Desktop-Icons in Anlehnung an ein individuelles Arbeitsumfeld und Maus anfangs nur lose Analogien, so bewiesen sie doch Standhaftigkeit. Icons sollten die Benutzung intuitiv möglich machen, indem sie an den bekannten Umgang mit Papierkorb und Aktenschrank anknüpfen. Die Metapher wiederum schafft eine Beziehung zwischen zwei Dingen, die nicht identisch sind. Entscheidend ist der Unterschied zwischen beiden, die Kluft. Dies funktioniert beispielsweise beim ‚Fenster‘, da oberflächlich die

bedienen zu verstehen sei, sondern im Gegenteil einen Lernprozess erfordere. Im Sinne Cubitts lässt sich die Maxime mobiler Technologie-Entwicklungen „everything, everytime, everywhere“ erweitern durch den Zusatz „so lange es aus dem Westen in den Osten und vom Norden in den Süden kommt“. 78

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Ähnlichkeit mit einem realen Fenster zu erkennen ist, der Unterschied sich allerdings nicht von der Hand weisen lässt. Im Laufe der Zeit werden Metaphern durch ‚Simulationen‘ ersetzt: das Programm zur Abspielung von Filmdaten beispielsweise wird mit dem Bild eines Kinoprojektors dargestellt, die Programmsteuerung läuft über Funktionen eines scheinbaren Projektors. Mit diesen Simulationen wird Schein erzeugt – die Realität scheint denaturalisierbar. Dies gilt beispielsweise für den Medienabspieler, der einen Videorekorder sowohl in Aussehen als auch Funktionalität imitiert. Durch diese Gestaltung jedoch fallen wichtige Funktionen, die der digitalen Technologie innewohnen, wie z.B. der Start an beliebiger Stelle, heraus. Die Analogie zum Alltäglichen ist dem Wunsch zur Fusion gewichen. Dennoch ist die Schnittstelle nicht nur Vermittler, Schnittpunkt zwischen Benutzer und Mikroprozessor: Vom instrumentellen Dispositiv wandelt sie sich zum kulturellen Artefakt, zu einem Mittel der Ideenwelt, das kognitiv und sensorisch erfahrbare künstliche Umgebungen generiert.

Illusionsraum und Navigationsfeld Die Form der Benutzeroberfläche, wie sie sich durchgesetzt hat, steht im Spannungsfeld zwischen Illusionsraum und Navigationsfeld:48 Denn der Desktop ist einerseits Bildfenster in einen Illusionsraum, andererseits virtuelles Kontrollbrett mit vorgegebenen und festgelegten Funktionen. Auf dem Bildschirm erscheinen Filmszenen und im nächsten Moment Menüs und Icons. Der Nutzer ist gefordert, Eingaben zu machen, er muss Entscheidungen treffen, klicken, Knöpfe bedienen. Manovich berichtet49, der Medientheoretiker Anataly Prokhorov habe dies im persönlichen Gespräch als den Übergang vom transparenten zum ‚opaken‘ Bildschirm bezeichnet: Man schaut nicht durch ein Fenster, sondern meint, das Fenster selbst zu betrachten. Dies ist der Übergang von einem Fenster in einen Illusionsraum hin zu einer festen Oberfläche voller Menüs, Kontrollangaben, Text und Icons. 48 Vgl. hierzu Lev Manovich: Virtuelle Welten. Zur Ästhetik des Cyberspace. Telepolis 20.04.1996, 1996, Kapitel „Brecht als Hardware“. http://www.heise.de/tp/r4/artikel/6/6002/1.html (Stand 01. 10.2005). 49 ebd. 79

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Der technische Mechanismus, der für die Illusion verantwortlich ist, tritt immer wieder hervor – der phantasmatische Raum löst sich auf – ‚da gibt es nichts zu sehen‘. Der 3D-Raum wird zur Oberfläche, eine Fotografie zu einem Diagramm und ein Charakter zu einem Icon. Wahrnehmung und Handlung, filmischer Realismus und Computermenüs verschmelzen miteinander. Die Künstlichkeit, Unvollständigkeit und Konstruiertheit ist in digitalen Medien immer präsent. Sie bieten einerseits die perfektionierte Illusion an, andererseits enthüllen sie im nächsten Moment die darunter liegenden Mechanismen. Sie lassen die Künstlichkeit und Konstruiertheit der Illusion nicht vergessen. Während der Wartezeiten wird der Kommunikationsakt zur Botschaft. Der Benutzer schaut, ob die Internet-Verbindung gehalten wird, er blickt auf das Icon und auf die Statusleiste. Gemäß Roman Jakobsons Modell der Kommunikation wird diese vom Kontakt beherrscht: Dem Überprüfen, ob der Kanal funktioniert – ‚hören Sie mich?‘ – , da es in der Internet-Kommunikation eher selten Sprecher gibt, prüft der Nutzer, ob die Information kommt. Die Seite baut sich Stück für Stück auf, Bilder kommen in geringer Auflösung und werden stufenweise ausdifferenziert. Schließlich fügt sich alles zu einem scheinbar Ganzen zusammen, das mit dem nächsten Klick wieder zerstört wird. Das regelmäßige Wiederauftauchen der Maschinerie hält den Benutzer davon ab, für lange Zeit im Illusionsraum zu versinken. Die verwendete Metaphorik, welche die Bewegungen der Nutzer innerhalb der digitalen Medien beschreiben und begleiten soll, trägt zu einem Großteil der Nautik Rechnung:50 Der Nutzer tummelt sich vom heimischen Computer aus im Internet. Er bezeichnet es mit ‚Surfen‘ und suggeriert damit eine gewagte Seefahrt, ein kleines Abenteuer. Zur Seite steht ihm dabei ein Lotse (Navigator). Die Bewegungsform der Daten wird als eine flüssige imaginiert, wenn von ‚Informationsfluss‘, ‚Datenströmen‘ und ‚Schleusen‘ die Rede ist. Dieses imaginative Umfeld, begleitet von der Lehre der Kyber-

50 Vergleiche hierzu Matthias Bickenbach und Harun Maye: „Zwischen fest und flüssig – Das Medium Internet und die Entdeckung seiner Metaphern“. In Lorenz Gräf und Markus Krajewski (Hg.): Soziologie des Internet. Frankfurt/Main, New York: Campus 1997, S. 80-98. 80

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netik (der ‚Steuermannskunst‘), legt Assoziationen mit Hafen und fremden Gewässern, mit Schiffbruch und Seenot51 nahe.

Fenster

Abb. 15: Albrecht Dürer: Mann zeichnet eine Laute (1525)52 Visuelle Erscheinungen in Form von Bildern werden Fenstern, Rahmen und Wänden zugeschrieben. Objekte hingegen finden sich in räumlichen Anordnungen. Sie gehören in die Landschaft oder den Raum. Eine Parallele zwischen den Computerfenstern und Leon Battista Albertis Fenster zu ziehen ist sicherlich eine Überinterpretation. Seine Funktion als Indikator für veränderte Wahrnehmung ist jedoch durchaus einen Hinweis wert. Die Schreibtischoberfläche ist eine Ansammlung vielzähliger Fenster. Alan Kay entwarf in den 1970er Jahren diese Form der sich überschneidenden Fenster. Das gedruckte Wort taucht in metaphorischer Form auf, indem verschiedene Fenster-Blätter auf dem virtuellen Schreibtisch übereinander liegen und sich dort stapeln. Das aktuell oben aufliegende Papier kann weggeschoben und ein anderes herbei geholt werden. Dies verleiht dem mit einzelnen digitalen Objekten ausgefüllten Desktop eine räumliche Tiefe, die mit dem 51 In diesem Zusammenhang sehr erhellend ist Hans Blumenbergs Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1993. 52 Dürer demonstriert die Erstellung einer Perspektiv-Zeichnung mit einem Hilfsmittel zur Abzeichnung: dem sogenannten ‚Albertis Fenster‘. Hierbei wird der Kopf des Zeichnenden so gerichtet, dass der Blickpunkt und der Abstand vom Objekt festgelegt sind. Die Umrahmung des Blickes bietet eine Strukturierung des Objekts. Bereits hier dient das Fenster als deskriptive Metapher. 81

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Hyperlink eine zusammenhängende Gestalt erfährt und zum Informationsraum wird. Nicht nur Dokumente können in mehreren Fenstern gleichzeitig geöffnet sein und untereinander gewechselt werden. ‚Multitasking‘ durch Windows gewährleistet darüber hinaus ein Umschalten von Modus zu Modus. Als Vorläuferform dieser Fenstertechnik kann sicherlich das TV-Zapping gelten. Doch während der dynamische Bildschirm die gesamte Konzentration des Zuschauers einforderte, ist dies mit der Fenstertechnik außer Kraft gesetzt. Sie scheint vielmehr eine Widerspiegelung des fragmentarischen und bindungslosen Erlebens der Welt zu sein.

Abb. 17: Ansicht der Dokumentstruktur in Word

Abb. 16: FramesetAufteilung des Browserfensters

Die Fenster selbst bieten auch oft mehr, als nur eine Ansicht. Es öffnen sich Fenster innerhalb von Fenstern: durch Mehrfachteilungen z.B. in der Textverarbeitung. Dort sind sogleich Gliederung, Anfang und Ende des Dokumentes zu sehen. Das Browserprogramm kann als Internet-Derivat des Fensters betrachtet werden. Es dient als Fenster in den Datenraum des Web und verleiht den Daten Form, macht sie sichtbar. Der binäre Code von Bildern und Texten wird als solcher im Browserfenster umgesetzt. Derzeit arbeitet man daran, semantischen Einfluss auf die angezeigten Daten auszuüben: mit dem ‚Semantic Web‘, dem ‚Netz der Bedeutung‘, soll es möglich sein, demjenigen eingerichteten per-

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sönlichen Profil entsprechend, bestimmten Daten Vorrang vor den anderen einzuräumen.53 Mit der Zunahme an Komplexität der Internetseiten strebt das Design an, Orientierung zu schaffen, indem Standortverweise und Schaltflächen integriert werden. Diese Design-Elemente werden54 mit dem Ziel der Folgerichtigkeit, der einfachen logischen Schlussfolgerung für den Benutzer, entwickelt. Alle Elemente schaffen eine erneute Rahmung des Fensterinhalts. Eine sogenannte Tool-Leiste am unteren Ende enthält Optionen und Zugriffsmöglichkeiten über das jeweils geöffnete Programm hinaus, eine obere Menüleiste beinhaltet Programmoptionen und an den Seiten können Scrollbalken angebracht sein, falls der Datei-Inhalt über die Größe der virtuellen Schreibtischfläche hinausgeht. Der wachsende Umfang von www-Dateien machte im weiteren die Entwicklung der ‚frame-Technik‘ notwendig. Sie gewährleistet, dass die Menüleiste im Sichtfeld bleibt. Triebkräfte hierfür waren nicht nur der Wunsch nach Klarheit, sondern auch finanzielle Erwägungen: 1995 kamen ‚Banner‘ auf, Werbeanzeigen auf winzigstem Raum, welche die Nutzer bei Anklicken direkt zur gewünschten Seite dirigieren. Diese Frames ermöglichen Dokumente, die aus verschiedenen medialen Elementen bestehen, und in digitaler Form vorliegen, so zum Beispiel Bilder, Filme und Text. Es besteht die Möglichkeit, auf einer Webseite nichts anderes als Elemente aus anderen Seiten zu vereinen. Diese Seiten bestehen nur aus „Referenzstellen“, aus Zitaten aus dem Netz, und haben keinen eigenständigen Inhalt. Cornelia Sollfrank hat dies anhand des Net Art Generators55 demonstriert, mit dessen Hilfe sie 1997 Kunstwerke von 289 fiktiven Netzkünstlerinnen im Kontext des Projekts „Female Extension“ generierte. Der Net Art Generator sammelt beliebiges HTML-Material aus dem Internet und rekombiniert dies automatisch. Die Arbeit provozierte Diskussionen um das Material digitaler Medien, den Werkbegriff und Autorenschaft.

53 Siehe z.B. Dieter Fensel, James Hendler, Henry Liebermann und Wolfgang Wahlster (Hg.): Spinning the Semantic Web: Bringing the World Wide Web to Its Full Potential. Cambridge: MIT Press 2003. 54 Vom W3C (World Wide Web-Konsortium) bestehend aus SoftwareEntwickler und Industrievertretern. 55 http://obn.org/generator/ (Stand 01.10.2005). 83

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Abb. 18: Screenshot einer vom Net Art Generator erstellten Website

Anwendungen Befehle wie ‚Ausschneiden‘ und ‚Einfügen‘ werden habitualisiert, ebenso die Anordnung der Buchstaben auf der Tastatur, da sie kontinuierlich in allen Anwendungen eingesetzt werden. Die Unterschiede zwischen der Software für gewöhnliche Benutzer im Vergleich zu Profis werden geringer. Laien und Professionelle, also Computernutzer insgesamt, sind durch die Computerschnittstelle mit übergreifenden Funktionselementen beschäftigt, die gleichermaßen zum Erstellen sowie zum Abspielen digitaler Produkte eingesetzt werden. Software ist „vorstellungs- und verhaltensprägend“.56 Anknüpfend an Lev Manovich in The Language of New Media stellen diese übergreifenden Funktionselemente die Selektion in der Menüfunktion dar, die Modifikation durch Werkzeuge und die Kombination bestehenden Materials in neue Kontexte. In diesem Zusammenhang spricht Mitchell vom Zeitalter der „electrobricol-

56 Christina Schachtner (Hg.): Technik und Subjektivität. Frankfurt/ Main: Suhrkamp Verlag S. 196. 84

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lage“57: Bildprogramme verleihen Readymades, Computervorlagen durch Bearbeitungsmöglichkeiten neue Bedeutungen und Wert.

Mauszeiger Im Unterschied zum Befehlszeilenkommando, bei dem der Benutzer sinngemäß den Befehl ‚öffne diesen Ordner‘ eintippt, scheint er dies auf dem virtuellen Schreibtisch selbst zu tun. Die direkte Eingriffsmöglichkeit ist aber nur scheinbar: in Wirklichkeit ist es eine weitere Schicht, welche die Benutzeroberfläche hinzufügt. Doch die Unmittelbarkeit, die diese sprachunabhängige Kommunikationsstruktur ikonischer Zeichen vermittelt, suggeriert die Nähe und unmittelbare Reichweite der Information. Der Nutzer agiert, als arbeite er selbst mit den Daten statt den Computer anzuweisen, dies zu tun. Das sofortige visuelle Feedback verleiht diesem Vorgang noch zusätzliche Unmittelbarkeit und Direktheit. Möchte der Nutzer auf dem Bildschirm näher schauen, so bewegt er das Interface, die Computermaus, und damit den Mauszeiger, der in Form eines Pfeiles auf dem Bildschirm repräsentiert wird und dort entsprechend seiner Bewegungsanweisung wandert. Dieser Pfeil bewegt sich wie ein Zielfernrohr (dies kann auch ein Fadenkreuz sein) über die Bildschirmfläche. Das Auge sowie der Pfeil fokussieren einzelne Bereiche dieser Fläche. Die Bildfläche ist zugleich auch Navigationsmetapher: zu erkundendes Terrain. Der detektivisch suchende Blick manifestiert sich im Abtasten des Bildes und Aufspüren der ‚Hot Spots‘, von denen aus wir zu anderen Daten, etwa weiteren Textteilen, gelangen. Wählt der Benutzer eine (in der Programmierung) markierte aktive (aber für die Nutzer nicht unbedingt ohne weiteres als solche erkennbare) Fläche, einen ‚Hot Spot‘, innerhalb einer grafischen Fläche, so verändert der Pfeil seine Form: er verwandelt sich bei der Bewegung über ein solches Navigationselement in eine Hand. Diese zeigt den Nutzern an, dass man von dort aus auf eine andere Bildschirmfläche gelangen kann. In Computerspielen nimmt der Mauszeiger auf aktiven Flächen die Form eines Objektes an, z.B. die eines Schwertes oder eines 57 William J. Mitchell: The Reconfigured Eye. Visual Truths in the PostPhotographic Era. Cambridge: MIT Press 1992, S. 7. 85

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Auges. Dies geht einher mit Handlungsimplikationen wie ‚verändere diesen Teil der Umgebung und benutze dabei dieses Objekt‘ im Gegensatz zur einfachen Variante ‚verändere etwas in diesem Teil der Umgebung‘. Der Mauszeiger verändert seine Form und zeigt damit an, was ein Mausklick an dieser Stelle bewirken kann. Dieser Mauszeiger ist kontextsensitiv. Verschiedene Zeigerformen implizieren verschiedene Semantiken.

Abb. 19: Konventionelle Mauszeiger-Formen unter Windows Die Interaktivität verleiht dem Blick eine andere Qualität, Mauszeiger und Klick werden zu Gehilfen des Auges und der Hand. Der Cursor oder Mauszeiger auf dem Bildschirm fungiert als die Spitze des Zeigefingers. Dieser Zeigefinger ist physiologisch nicht angehoben – wir brauchen ihn kaum zu bewegen, um ihn auf irgendetwas zeigen zu lassen. Insofern tritt er uns als von unserem Denken unabhängiger Teil auf dem Bildschirm entgegen. Es ist natürlich, dass wir das, was wir sehen, berühren möchten. Die ‚Lust am Anfassen und Berühren‘, so ergibt auch die Untersuchung von Elfriede Löchel, wird im Umgang mit elektronischen Medien auf die intellektuelle Ebene verschoben und manifestiert sich in ihren Interviews in Formulierungen wie ‚begreifen‘, erfassen‘, ‚in die Hand nehmen‘ und ‚in den Griff bekommen‘. Wir fahren mit dem Zeigefinger nicht mehr auf den Textseiten eines Buches, sondern agieren im Text oder im Bild und zwingen alles, seine Bedeutung preiszugeben. Mittels Mauszeiger meinen wir, Macht über Bilder, Texte und Töne zu erhalten.

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Abb. 20: Doppelgänger, Colin Piepgras Der Mauszeiger fungiert dabei als Repräsentant im Datenraum. Das direkte Feedback auf die Aktionen der Maus, die „Kraftrückführung“58, wiederum verstärkt den Eindruck eines elektronischen Doubles.

Der bewegte Blick und das Bilder-Recycling

Abb. 21: Screenshot der bereits erwähnten Arbeit Impalpability Masaki Fujihata leitet einen Kommentar zu seinem oben erwähnten Werk Impalpability mit folgenden Worten ein: „Unsere Augen sind gierig. Sie verschlingen alles. Solange die Pupillen offen sind, suchen sie geifernd nach interessanten, nie gesehenen Dingen“.59 Ein Bedürfnis beim Sehen war immer das Verlangen mehr zu sehen und Ungesehenes sichtbar zu machen. Diesen Wunsch erfüllt 58 Paul Virilio: Fluchtgeschwindigkeit. Frankfurt/Main: Fischer Verlag 1999, S. 60. 59 Fujihata, Masaki: Sehen, Berühren, Imaginieren. In: artintact 5. CDROM Magazin interaktiver Kunst. Herausgegeben vom Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe: Hatje Cantz, 1999, S. 360. 87

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scheinbar das Internet durch seine grenzenlose Vielfalt an Angeboten und bildet damit ein Fenster in die Unendlichkeit. Dem auf den Bildschirm gerichteten starren Blick60 wird große Beweglichkeit angesichts der gebotenen Reize abverlangt, das Konzept der Kontemplation rückt dabei eher in den Hintergrund. Fest steht, dass das immense visuelle Angebot der Netzkultur den scannenden Blick beim Suchen erfordert, der sich an einem optischen Raster orientiert, das wiederum eine kurzfristige Verortung zulässt. Dieser Blick begegnet der Fülle der Reize, indem er das Vorhandene überfliegt. Der mäandernde Blick hingegen, der beim Flanieren bzw. Surfen durch das Netz dem Blick des Illustrierten-Blätterns oder TV-Zappens verwandt ist, geht immer unersättlich der Frage nach: ‚Was gibt es noch?‘. Das ‚Gesetz des Begehrens‘, nie ans Ziel zu kommen, ist der Motor des Mediums Internet selbst. Im „Browsen“, Stöbern, flüchtigen Überfliegen, geht der Nutzer dem geistigen Flanieren nach. Das Internet als produktive Kraft hat dem alten Theaterspiel von Verbergen und Zeigen, Verhüllen und Entfalten das Prinzip der Erotik abgeschaut, wobei der Zuschauer stets vom sicheren Sessel des Voyeurs aus agiert.61 Die digitalen Medien bieten uns nicht mehr ‚Bilder‘ im herkömmlichen Sinne, es sind vielmehr, wie Annette Spohn es in ihrem Aufsatz „What you see is what you want“ beschreibt, „zuckende visuelle Produkte in Pixeln“.62 Es sind Daten, die man ‚Bilder‘ nennt. Dabei ist der Abbildcharakter der Realität längst kein Kriterium mehr. Im Screendesign ist der höchste Anspruch die Selbsterklärbarkeit des Systems. In diesem Kontext sind Icons als vertrauensbildende Elemente von höchster Wichtigkeit. Bei ihrem Einsatz ist der Selbsterklärungsgrad, der Erinnerungsgrad und der Bedienungskomfort vorrangig. Tool-Icons oder Buttons sind kleine klickbare Grafiken, die eine Funktion repräsen60 Ein zunehmendes medizinisches Problem für Bildschirmarbeiter bildet die sogenannte ‚Trockenheit des Auges‘, die durch den Mangel an Lidschlägen beim fixierten Blick auf den Monitor ausgelöst wird. 61 Klaus Trofob: „Queering the Internet“. In: Frankfurter Rundschau vom 22. August 1998. 62 Annette Spohn: „What you see is what you want. Paradigmenwechsel in der visuellen Kultur.“ In: Stefan Münker und Alexander Roesler: Praxis Internet. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 2002, S. 267. 88

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tieren. Hinter dieser Art von Icons verstecken sich z.B. Programmaufrufe oder Ordner. Icons in Software-Programmen wie die Diskette, lösen Funktionen von Anwendungssoftware aus, so zum Beispiel das Abspeichern eines Textes. Auf den Seiten des Internet sind Icons meist weiterführende Links zu anderen Seiten oder Dateien. Icons fungieren durch Analogie und – sind Benutzer vertraut mit ihnen – als internalisierte Struktur.

Abb. 22: Screenshot eines Desktop Ende der 80er Jahre Die Zwischenbeziehungen der Icons bilden eine Grammatik heraus, eine syntagmatische Organisation von Textverarbeitung und Datenmanagement, die als bekannt und vertraut mit der Zeit verinnerlicht wird. Ein Icon soll als ikonisches Zeichen gesehen und ohne weitere Anstrengung intuitiv erfasst werden. Es soll nicht bewusst wahrgenommen oder verstanden, nur registriert und befolgt werden. Icons sind bestenfalls vollkommen konventionalisiert, ansonsten funktionieren sie als Icons nicht. Ein Icon muss eine starke und direkte Assoziation mit der Bedeutung hervorrufen.63 Es hat im Prinzip etwa dieselbe Aufgabe wie 63 Siehe auch William Horton: Das Icon-Buch. Entwurf und Gestaltung visueller Symbole und Zeichen. Bonn et al.: Addison-Wesley 1994. 89

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Piktogramme. Sie geben notwendige Informationen zur Orientierung in unbekannter Umgebung: Piktogramme auf den Straßen oder in Gebäudekomplexen, Icons am Bildschirm. Sie sprechen nicht die aktive Wahrnehmung und die Erkenntnisinteressen des denkenden Sehens an. Sie sind konzipiert als Wegmarkierungen zur Organisation des – aus der Sicht des Konstrukteurs dieser Objekte – ‚eigentlich im Vordergrund Stehenden‘. Es handelt sich hierbei um ein formelhaftes graphisches Bild, das Sprechern aller Sprachen verständlich sein soll. Die Verbindung von Abbild und Abgebildetem scheint selbstverständlich zu sein, ist jedoch kulturell erworben und nicht voraussetzungslos allgemeinverständlich. Diese Ästhetik bildet eine Orientierungs- und Informationszugangshilfe. Um diese Bilder als ‚Beschilderung‘ der virtuellen Welt nutzen zu können, sind permanente Aufmerksamkeit und Lernen notwendig. Die Fremdheit im Umgang mit neuen Technologien, aber auch die Zugehörigkeit zu einer anderen als der westlichen Kultur erschweren somit auch den Zugang zur Bedeutung dieser Zeichenwelt. Das Internet ist kein rein bilddominiertes Medium. Ohne Textwahrnehmung und -verwendung ist eine Steuerung sowie ein Suchen im Netz nicht denkbar – man kann dies anhand von Internetseiten in nicht geläufigen Sprachen erproben. Dennoch lohnt eine Auseinandersetzung mit dieser Zeichenwelt, denn sie wird mit der weiteren Ausbreitung miniaturisierter Medien (als Beispiel das multifunktionale Handy) immer präsenter in der Interface-Steuerung. Das Sprichwort ‚Ein Bild sagt mehr als tausend Worte‘ scheint die Maxime der Bilderflut im World Wide Web zu sein, doch die wenigsten sogenannten ‚Bilder‘ sind selbsterklärend. Ihre Aussage betrifft vielmehr den Umgang der westlichen Welt mit dem Bild. Die Bilder setzen Wissen, einen gewissen soziokulturellen Hintergrund, voraus. Bilder, deren gestalterischer Ausgangspunkt die Voraussetzungslosigkeit war, wie Piktogramme und Icons, bezeichnet Claus Pias als (vorgeblich) ‚kulturfreie Bilder‘.64

64 Claus Pias: Kulturfreie Bilder. Zur Ikonologie der Voraussetzungslosigkeit, Berlin: Kadmos Verlag 2006 [in Vorbereitung]. 90

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Die Bilderwelt des Internet sei, so Spohn, gekennzeichnet von visuellen Codes, die den Usern so präsent seien, dass die Codierung nicht mehr reflektiert werde.65 Es handelt sich um standardisierte Bildangebote, die sich im „Weltmarkt der Bilder“66 in ihrer universalen Nutzbarkeit bewährt haben. Wie Klaus Kreimeier es formuliert: „Die neuen sind die alten Bilder – eine überraschende, womöglich enttäuschende Erfahrung, die zumindest den aktuellen Stand der Dinge beschreibt.“67 Sie haben Vorläufer, an die man sich bereits gewöhnt hat.

Abb. 23: Stereotype Rollenklischees: Frauen kümmern sich um die Kinder, Männer tätigen Geschäftsabschlüsse. Einige Ergebnisse der Internet-Bildsuche zu den Begriffen „childcare“ und „handshake“

65 Annette Spohn: „What you see is what you want. Paradigmenwechsel in der visuellen Kultur“. In: Stefan Münker und Alexander Roesler: Praxis Internet. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 2002, S. 252. 66 Uwe Pörksen: Weltmarkt der Bilder. Stuttgart: Klett-Cotta. 1997. 67 Klaus Kreimeier: „Alte Bilder – neue Bilder.“ In: Film & Computer – digital media visions. Frankfurt/Main: Schriftenreihe des Deutschen Filmmuseums (hg. Hilmar Hoffmann und Walter Schobert), 1997, S. 199. 91

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Das ewige Bilder-Recyling sorgt dafür, dass wir der ständigen Klischeebebilderung nicht entkommen. Sie rufen ein kulturelles Gedächtnis auf und verfestigen Zuschreibungen. Es sind keine Bilder, die auf bestimmte Inhalte verweisen, es sind vielmehr Links, die auf Anderes verweisen. Sie durchlaufen das Netz in permanenter Wiederholung und suggerieren Bedeutung und Wichtigkeit. Die Ergebnisse eines beliebigen Suchbegriffs in einer Bildsuchmaschine machen deutlich, wie die permanente Wiederholung von Klischees zu einem festen Teil des Webangebotes geworden ist. Dies greift Ken Feingold in seiner Arbeit JCJ Junkman (1995) auf: aus dem Internet gesammelter Datenmüll (Töne und Bilder) oszilliert um die Marionette JCJ herum und widersetzt sich Interaktionsversuchen. War für den Film die Trägheit des Auges die physiologische Grundlage der Kinematografie, so scheint die Persistenz des netzaktiven Nutzers eine Facette der Nutzung digitaler Medien zu sein, die in der fernsehenden Couch Potato ihren Vorfahren hat.

Abb. 24: Der Junkman umkreist von wild gewordenen Icons

Informationsfläche Der vorhergehende Text thematisierte in zahlreichen Facetten den Raum (Illusionsraum, Navigationsraum). Die Erfahrung des realen Raums scheint abgelöst durch die imaginäre. Der Benutzer geht nicht mehr in der Landschaft spazieren, sondern auf dem Desktop. Bei diesem virtuellen Raum handelt es sich um eine räumlich erscheinende landschaftsartige Fläche.

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Die Metaphorik der Interfaces digitaler Medien rekurriert zwar generell auf den Raum68, doch besonders die Opazität des Bildschirms bewirkt eine Tendenz zur Fläche. Die Welt des Datenraums ist ohne räumliche Perspektive, es gibt keine Schärfentiefe, es gibt keine Maßstäbe – auch nicht die natürliche Größe, sowie keine Begrenzungen, keine für den natürlichen Raum bezeichnenden Charakteristika. Er ist eben nicht ‚räumlich‘ erfahrbar wie Virtual Reality. Die numerische Repräsentation, die im digitalen Code eingeschrieben ist, lässt die Welt als ein Feld von Variablen erscheinen. Das Radargerät, das 1943 britische Bomberpiloten durch Nacht und Nebel führte, zeigt Flugzeuge auf dem Bildschirm nicht in figürlicher Gestalt (es wird kein Bild von ihnen dargestellt), sondern ein Zeichen ihrer Anwesenheit. Statt eines Flugzeugbildes werden seine für diesen Fall wichtigsten Informationen (in Echtzeit) angezeigt, z.B. Höhe, Richtung und Tempo. Anstelle der Abbildung von Geräten findet sich in der Fachliteratur zu elektrotechnischen Maschinen ein Schaltplan. Dieser zeigt vor allem Verbindungen. Er bildet zwar die Realität ab, aber nicht durch die Nachzeichnung des äußeren Erscheinungsbildes der Maschine. Er enthält keine räumlichen Angaben der Konstruktion, die Verortung der verbundenen Elemente folgt vielmehr einer eigenen technischen Konstruktionslogik. Howard Rheingold beschreibt diesen Aspekt sehr prägnant in Bezug auf Douglas Engelbarts Info-Space: „Das Territorium, das man durch das vergrößerte Fenster in seinem neuen Medium sieht, ist nicht die normale Landschaft, die aus Ebenen, Bäumen und Meeren besteht, sondern eine ‚Informations-Landschaft‘, in der die einzelnen Merkmale Wörter sind, Zahlen, Diagramme, Bilder, Ideen, Paragraphen, Argumente, Beziehungen, Formeln, Grafiken, Beweise, Literatur und Kritikschulen. Das alles macht den Betrachter zunächst ganz benommen. Mit den Worten Dough Engelbarts: All unsere altgewohnten Methoden, Informationen zu organisieren, werden durch ein System plötzlich ‚aufgerissen‘, weil sie einem System ausgesetzt worden sind,

68 Beispiele: der Chat-„Room“, das Internet-„Portal“, die immer wiederkehrende Idee des Computers als Gedächtnismaschine und Parallelen zu Erinnerungspalästen der Rhetoriker. Computerspiele, Kinofilme und Virtual Reality sind bemüht, 3D-Effekte zu erzielen. 93

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das nicht auf Bleistift und Druckerpresse beruht, sondern darauf, wie der menschliche Geist Informationen bearbeitet.“69

Wenn das Interface digitaler Medien, ähnlich dem antiken Marktplatz oder der Kathedrale, die Welt als räumliche Organisation vorstellbar macht, die Vermittlung von Weltsicht und heiliger Ordnung, ein Gefühl für Proportionen vermittelt, so die Unendlichkeit des Datenraumes als unfassbarer Raum. Die digital erstellte Kontinuität des Raumes in Filmen wie Time Machine (2002) und Panic Room (2002) wird als endlose Fläche erlebt: Weder Mauern noch die Zeit stehen diesen nicht enden wollenden virtuellen Kamerafahrten im Wege. Bei dieser Elastizität des Raumes bedeutet Fortbewegung nicht mehr die Bewegung von hier nach da, sondern macht sich im Zustand anwesend oder abwesend bemerkbar. Hier ist wieder die Ästhetik der Addition ablesbar, in der visuelles und akustisches Material übergangslos aneinander gefügt werden. Dies suggeriert End- und Grenzenlosigkeit. Die in diesen Zusammenfügungen erfolgende Navigation ist ebenfalls als ununterbrochener Vorgang ohne Anfang und Ende angelegt. Norbert Bolz kommt zu dem Schluss, dass das neue ästhetische Paradigma die zerstreute Rezeption sei.70 Die Fernsehforschung spricht von einem passageren Erleben des Fernsehangebotes.71 Nicht mehr das einverleibende Auge, sondern das Auge, das streicht und streunt, vollzieht die Wahrnehmung. Die Elemente sind hierbei weniger in einer Tiefen-, als einer Oberflächenstruktur ausgerichtet. Die Strategie der jungen Mediennutzer im Umgang mit diesen zudem noch temporeichen digitalen Informationswelten, so Helmut Hartwig, bestehe darin, sich darauf zu verlassen, dass alles wiederholt auftauche und immer wieder verfügbar sei.72

69 Howard Rheingold nach Steven Johnson, a.a.O., S.33. 70 Norbert Bolz: Theorie der Neuen Medien. München: RabenVerlag 1990, S. 97. 71 Vgl. hierzu: Raymond Williams: „Programmstruktur als Sequenz oder flow“ sowie Tania Modleski: „Rhythmen der Rezeption“, beide in: Ralf Adelmann et al. (Hg.): Grundlagen zur Fernsehwissenschaft. Theorie – Geschichte – Analyse. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2001, S. 33-43 und 376-387. 72 Helmut Hartwig: „Apollo jagt Daphne“. In: Ästhetik und Kommunikation Jahrgang 21, 1995, Heft 88, S. 85-92. 94

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Künstlerische Szenarien Schnittstellen können so gestaltet sein, dass sie bestimmte Sinne behindern und andere verstärken. Viele technische Lösungswege sind denkbar, zu einer bestimmten Zeit wird jedoch der eine Weg gegenüber dem anderen bevorzugt. An dieser Stelle werden einige künstlerische wie filmische Formen kurz vorgestellt, die entwickelt werden oder wurden oder welche die künstlerische Imagination hervorgebracht hat – alle als Spiegel der derzeitigen Sichtweise auf die Technologie. Entgegen euphorischer Prognosen Mitte der Neunziger Jahre ist der Datenanzug noch weit entfernt, die allgemein verbreitete Schnittstelle zu sein. Es ist fraglich, ob er in absehbarer Zeit in Massenproduktion gehen und eines Tages auf den Wühltischen der Supermärkte liegen wird.

Abb. 25: Der Datenanzug zum immersiven Erleben virtueller Welten Auch im Datenanzug ist der Körper im technischen Apparat gefangen. Die „elektronische Zwangsjacke“73 ermöglicht es in den Datenraum hinein zu schlüpfen. Dabei ergänzt der taktile Aspekt des Datenanzugs die Perspektiven des Sehens und Hörens. Im Interface der Virtual Reality wäre Henri Bergsons Formulierung im wörtlichen

73 Paul Virilio: Fluchtgeschwindigkeit. Frankfurt/Main: Fischer Verlag 1999, S.146. 95

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Sinne zutreffend: „Die Gegenstände, welche meinen Körper umgeben, reflektieren die mögliche Wirkung meines Körpers auf sie.“74 Beim Datenanzug ist der Arm die letzte Referenz an die Zeit der Handarbeit. Dieser wird bald aus dem Bedienset verschwinden, wenn das Tracking von Augenbewegungen perfektioniert ist und der Blick auf verschiedene Punkte im virtuellen Raum der Steuerung dienen wird. Zur Erhöhung der Mobilität zeigt sich Miniaturisierung als derzeitige Entwicklungsrichtung der Technik. So wird beispielsweise daran gearbeitet, dass Retina und Bildschirm miteinander verschmelzen.75

Abb. 26: Der Bioport im Rücken des Nutzers zur Verkabelung mit der virtuellen Spielwelt in eXistenZ Filmische Technikantizipationen imaginieren invasive Interfaces, die den Sehapparat gänzlich umgehen: die Daten werden gleich mit der Großhirnrinde bzw. dem Rückenmark kurzgeschlossen, so dass eine direkte Verbindung zwischen dem Gehirn des Beobachters und dem System hergestellt wird. Virtueller und realer Raum fallen hierbei unmittelbar zusammen und bleiben nur durch die Bewusstheit des Benutzers unterscheidbar, sich in diesem Moment an den

74 Henri Bergson: Materie und Gedächtnis. Hamburg: Meiner Verlag, 1991, S. 5. 75 Die Entwicklung von Retina-Implantaten für Blinde wird u.a. an der Philipps-Universität Marburg vom Neurophysiker Prof. Dr. Reinhard Eckhorn unternommen. 96

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‚Bioport‘ angeschlossen (eXistenZ, 1999) oder eine Squid-CD76 eingelegt zu haben (Strange Days, 1995). In der dialogischen Struktur zwischen Kunstwerk und Rezipient gewinnt die Schnittstelle an Bedeutung. Sie fordert Künstler heraus, an der Entwicklung von geeigneten Formen zu arbeiten. Eine frühe Installation der Künstlerin Ulrike Gabriel antizipiert von Gehirnwellenmustern gesteuerte Computerprogramme: In ihrer Arbeit Terrain 01 (1993) löst der gemessene Ruhezustand des Zuschauers die Aktivierung einer Kolonie kleiner solarenergiebetriebener Roboter aus.

Abb. 27: Die vom Nutzer gesteuerte kleine Welt der Roboter in Terrain 01 Die interaktiven Sound-Installationen des Kanadiers David Rokeby definieren und erweitern die Idee der Schnittstelle. Verschiedene Arbeiten sind im Komplex Very Nervous System (1986-90) in Anlehnung an das Nervensystem zusammen gefasst. Rokeby zielt auf 76 Squid-CDs sind im Film illegale Produkte, die subjektive Aufnahmen aus extremen Lebenssituationen enthalten. Der Nutzer, so die filmische Fiktion, erlebt die Durchführung eines Banküberfalls und die Flucht vor der Polizei aus der Perspektive des Räubers, nicht nur auf der Ebene von Bild und Ton, sondern auch dessen Emotionen, taktile und olfaktorische Sinneseindrücke. 97

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eine intuitiv zu erfassende Sprache der Interaktion, die den Benutzer körperlich fordert. Anders als die winzigen integrierten Schaltkreise des Computersystems soll die Begegnung in einem für Menschen dimensionierten, greifbaren Raum (im wörtlichen Sinne) stattfinden. Er stellt einen ungewöhnlichen Gebrauch der Schnittstelle vor: Seine Interfaces sind aufgrund der großen räumlichen Ausdehnung weder deutlich noch eindeutig als solche sichtbar. Rokeby versucht, einen Dialog zwischen Betrachter und Werk herzustellen. Der Benutzer braucht kein Verständnis des Systems und hat somit auch keine absolute Kontrolle über das Geschehen. Er soll die sensomotorische Sprache intuitiv erfassen, durch die er mit dem akustischen Raum in Dialog treten und diesen transformieren kann. Anfänglich ist noch unklar, wie die Sprache der Interaktion genau funktioniert, wie Gesten und Körperbewegungen, die die Grundlagen bilden, umgesetzt werden. Durch fortschreitendes Experimentieren und Sammeln von Erfahrung differenziert sich diese komplexe und auf raschem Feedback basierende Sprache weiter aus. Das Interface wird so zu einem Erlebnisfeld, zu einer mehrdimensionalen Begegnung.

Abb. 28: Bildcollage zur Illustration des audiovisuellen Interaktionssystems Very Nervous System

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Grenzen der Aufmerksamkeit Die neue Kategorie von Medien erfordert vom Menschen weitreichende Fähigkeiten im Bereich der Wahrnehmung, des Sensibilität sowie der Urteils- und Entscheidungsfähigkeit. So erfordert der Beruf eines Radar-Bedieners zwar keine Muskelkraft, er stellt jedoch hohe Ansprüche an die sensorischen Kapazitäten, an die Wachsamkeit und Entscheidungsfähigkeit. Diese technischen Entwicklungen bringen ungewöhnliche und komplexe Fragen über menschliche Fähigkeiten hervor wie z.B.: Wie viel Information kann der Mensch aufnehmen? In Bezug auf die Schnittstelle besteht die Herausforderung darin, das Essentielle darzustellen und die Vielzahl zurücktreten zu lassen. Wie Luis Borges es in Labyrinthe ausdrückt: „Ich kann nicht in der Einsamkeit der Nacht durch die Vororte gehen, ohne daran zu denken, dass die Nacht uns erfreut, weil sie genau wie unser Gedächtnis unwichtige Einzelheiten unterdrückt.“77 Die numerische Repräsentation, die im digitalen Code eingeschrieben ist, lässt die Welt als ein Feld von Variablen erscheinen. Alles scheint Teil eines Systems aus Variablen zu sein. Auf der Ebene der technischen Produktion waren Fotografie, Film und Video schwer veränderbar, da die Information auf ein Trägermedium aufgebracht und dort fixiert wurde. Die elektronische Speicherung auf digitale Trägermedien hingegen flottiert, die Daten sind einfacher veränderbar und jederzeit zugänglich. So folgen digitale Medien der Ästhetik der Addition, in der visuelles und akustisches Material übergangslos addiert und somit Kontinuität suggeriert wird. Navigation in diesen Zusammenfügungen von Elementen unterschiedlichster Provenienz ist ebenfalls als ununterbrochener Vorgang ohne Anfang und Ende angelegt. Das neue ästhetische Paradigma ist die zerstreute Rezeption. Das Auge, das streicht und streunt, der überfliegende Blick, vollzieht die Wahrnehmung. Es sucht in der Flut der Daten nicht nach den Tiefen des Wissens, sondern wird von ansprechender Visualität angezogen. Dies bedeutet die perfekte Umsetzung dessen, was Walter Benjamin als Wahrnehmung im Zustand der ‚Zerstreuung‘ formuliert. Wahrnehmungsinhalte der Interfaces werden nicht durch Bedeutungen, Begriffe, Sinnstrukturen zusammengehalten und ver77 Jorge Luis Borges: Labyrinthe. München: Hanser, 1959, S. 158. 99

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knüpft, sondern eher zu Feldern und Kontexten collagiert. Die Elemente sind hierbei weniger in einer Tiefen- als einer Oberflächenstruktur ausgerichtet. Es stellt sich die Frage, wo die Informationsverarbeitungsgrenze des Menschen angesiedelt ist und ob sie nicht bereits überschritten ist. Stellt diese Grenze auch die Grenze oder die Herausforderung der neuen Medien dar? Annette Spohn konstatiert, dass der Spruch ‚Man sieht nur, was man weiß‘ im Netz seine Entsprechung finde.78 Der Wissenshintergrund und die Mediensozialisation spielen eine wichtige Rolle dabei, welche Information der Nutzer für sich vorfindet und ob er sich gegebenenfalls täuschen läßt. Wichtigkeit und Wahrheit sind – das ist nicht neu und nicht charakteristisch für digitale Medien – individuelle Entscheidungen der Nutzer, die Vergleiche mit bereits Gesehenem und Geschehenem ziehen. In einer Zeit der Ökonomisierung zahlreicher Lebensbereiche, in der ökonomische Begrifflichkeiten und Modelle das Bild der politischen und sozialen Öffentlichkeit prägten, so diagnositiziert Georg Franck79, sei Information zum essentiellen Gut avanciert. Jedoch erst die Aufmerksamkeit, auf welche die Information trifft, sei Maß für den Nutzwert dieser Information Der Maxime des Informiertseins einerseits stehe andererseits eine mediale Informationsflut gegenüber. Michael Goldhaber80 zufolge trete die Aufmerksamkeit langsam die Rolle der kostbarsten Ressource an und löse damit Geld und materielle Güter ab. Die „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ gehorche anderen Gesetzen als die des Geldes: Durch die dem Individuum nur begrenzt zur Verfügung stehende Zeit, die einem immen78 Spohn, a.a.O., S.269. 79 Georg Franck: „Jenseits von Geld und Information. Zur Ökonomie der Aufmerksamkeit“. Telepolis, 09.11.98, http://www.heise.de/tp/r4/ artikel/6/6313/1.html (Stand 26.02.2005): Siehe auch Knut Hickethier und Joan Kristin Bleicher (Hg.): Aufmerksamkeit, Medien, Ökonomie. Münster, Hamburg, London: LIT Verlag 2002. 80 Michael H. Goldhaber am 12. Mai 2000 auf der Konferenz „monomedia berlin: value“. Siehe auch: Michael H. Goldhaber: „Die Aufmerksamkeitsökonomie und das Netz“. Teil I: 27.11.1997 http:// www.heise.de/tp/r4/artikel/6/6195/1.html (Stand 26.02.2005), Teil II: 12.12.1997 http://www.heise.de/tp/r4/artikel/6/6200/1.html (Stand 26. 02.2005) und „Kunst und die Aufmerksamkeitsökonomie im wirklichen Raum und im Cyberspace“. In: Kunstforum International, Bd. 148, 1999/2000, S. 78-83. 100

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sen Angebot an Verwendungsmöglichkeiten gegenüber steht, sei es die knappste immaterielle Ressource der Informationsverarbeitung, die zudem nicht vermehrbar sei. Um Aufmerksamkeit dennoch zu erhalten spielten Aktualität und Einzigartigkeit zentrale Rollen. Er spricht von „neuen, immateriellen Wertschöpfungsstrategien“ durch das Internet.81 Spezifische Strategien der Informationsselektion und -distribution erhalten hohen Stellenwert, wo die Möglichkeit des Zugriffs auf unzählbare Informationen und Wirklichkeitsfragmente den Blick auf die Ganzheit verstellt.

Identitätsentwürfe Welchen Einfluss hat die Mediensicht auf unsere Sicht der nichtmedialen Welt? Die angeeignete kulturelle Form wird zu einem Habitus82 – durch die kulturelle Praxis zu einem Teil unserer Identität. Fujihata schließt den Text zu seiner Arbeit Impalpability mit den Worten „Unsere Hände sind so gierig wie unsere Augen.“ In der computergeschaffenen Welt gibt es jedoch nicht einmal mehr den Marmor einer Skulptur von Michelangelo. „Dieser Mangel an Materie führt zur Unfassbarkeit. Und umgekehrt macht Unfassbarkeit diese Welt sonderbar und gleichzeitig leer.“83

81 Craig Newmark („Internet is about connecting people, not about technology“ am 12. Mai 2000 auf der Konferenz „monomedia berlin: value“) beispielsweise hat sehr eindrücklich demonstriert, dass eine solche immaterielle Ökonomie fern des grellen Kommerzes stattfindet. Seine schlichte und pragmatische „Craigslist“ hat den Weg zur Top-Internetadresse im Großraum San Francisco geschafft und fungiert als virtueller Marktplatz von Ortsansässigen. Die 1995 ins Leben gerufene kostenlose Mailingliste mit ihrer privaten Tauschbörse, Veranstaltungstipps und Inseraten ist fester Bestandteil der Alltagsorganisation der dortigen Internetgemeinschaft geworden und hat Angebote von Stadtzeitungen weit übertroffen. Sie existiert noch heute, ist an zahlreichen weiteren US-Orten ebenso implementiert worden und gilt besonders als effektive Form unbürokratischer Jobvermittlung. So scheinen in einer immer saturierteren Welt jene simplen Informationen zugleich die effektivsten, die den subjektiven Projektionen der Nutzer Raum geben. 82 Pierre Bourdieu: Zur Soziologie der symbolischen Form. Frankfurt/ Main: Suhrkamp Verlag 1974, S. 143. 83 Masaki Fujihata: „Sehen, Berühren, Imaginieren“. In: artintact 5. CD-ROM Magazin interaktiver Kunst. Herausgegeben vom Zentrum 101

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Die bisherige Form des Menschen, sich in Raum und Zeit der umgebenden Wirklichkeit zu erkennen, ist in Interface-Konstellationen wie Virtual Reality und Telepräsenz in Frage gestellt.84 Die Rationalisierung und Automatisierung der Wahrnehmung hat den Sehsinn zu ungunsten der Nahsinne Riechen und Berühren gestärkt. Das Tastempfinden, wichtig für die Unterscheidung zwischen real und virtuell, Wirklichkeit der Nähe und Ferne sowie unsere Gegenwart hier und jetzt, ist in Frage gestellt. Wir nutzen ihn, um unsere Gegenwart im Hier und Jetzt zu bestimmen. Ist dies nicht (mehr) gegeben, so stehen die gewohnten Prozesse der Identitätsbestimmung zur Disposition. Die räumliche Unsicherheit greift auf den Raum des eigenen Körpers über. Besonders die reale Gegenwart erscheint nun als besondere Störung und Belästigung. Die omnipräsente Rationalisierung, Uniformierung und Funktionalisierung haben das Bedürfnis nach Fiktionalisierung, Sensualisierung, und Emotionalisierung verstärkt. Es entstehen Mischungen, Alternativen, aber auch neue Angebote, die außerdem noch Bedürfnisse nach Sicherheit, Bestätigung und Gesellschaft zu erfüllen suchen. So mag es attraktiv erscheinen, das persönliche Leben in den Cyberspace zu verlagern, um sich vom Rest der – wie Gibson es im Roman Neuromancer ausdrückt – ‚fleischlichen‘ Welt zu distanzieren. Die Bewegung des Cyberpunk bietet die Möglichkeit, der Gefangenschaft im „prison of his own flesh“85 zu entkommen. Doch für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe: Hatje Cantz, 1999, S. 367-368. 84 Hierzu liegt die Dissertation Wahrnehmung im Virtuellen – eine kulturwissenschaftliche Studie zur Konstruktion sinnlicher Wahrnehmung durch die Virtual Reality Technologie von Ute Ederlein vor, TU Darmstadt 2002 online: http://elib.tu-darmstadt.de/diss/000300/ textdiss-ue.pdf (Stand 22.02.2005). 85 William Gibson: Neuromancer. New York: Ace Books, 1984, S. 6. Oliver Grau untersucht die Ideengeschichte der diesen Vorstellungen zugrunde liegenden drei Themenfelder des künstlichen Lebens, der Virtuellen Realität und der Telekommunikation: siehe Oliver Grau: „Telepräsenz. Zu Genealogie und Epistemologie von Interaktion und Simulation“. In: Gendolla et al. (Hg.) a.a.O. S. 39-63. Zum Phänomen der Transhumanisten, welche die Überwindung der Einschränkungen des Körpers zum erklärten Ziel verfolgen siehe Barbara Becker: „Cyborgs, Robots und Transhumanisten. Anmerkungen über die Widerständigkeit eigener und fremder Materialität“. In: Barbara 102

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dies kann nur eine Spielart sein, die das menschliche Bedürfnis nach physischer Identität und Interaktion nicht ablösen wird. Vielmehr ist die Variabilität auch zum Ausdruck einer Lebensform geworden. Es zeigt sich, dass nicht nur Erkenntnis als konstruiert und beobachterzentriert verstanden werden muss. Auch das Subjekt organisiert und konstruiert sich selbst: es wird „zu einem sich selbst herstellenden Subjekt“.86 Damit verleiht es der gesellschaftlichen Pluralisierungsdynamik auf der Ebene des Individuums Ausdruck. Die Vervielfachung von Identitätsentwürfen spiegelt die Kunst eindrücklich wieder und übt sie ein: so führen Cindy Shermans Serien von Selbstportraits und die Selbstinszenierungen der Pop-Ikone Madonna vor, wie sehr Identität sozial mit dem Spielen einer Rollen zu tun hat.

Abb. 29-31: Cindy Sherman: Fotografien Die vielfältigen Schablonen, Looks, Images, (medialen) Versatzstücke, Möglichkeiten, die ins Ungewisse führen, bilden das Repertoire, aus dem wechselreiche Kurzphasen des Lebens collagiert werden können, in denen Festlegung nicht vorgesehen ist.87 Becker und Michael Pateau (Hg.): Virtualisierung des Sozialen. Frankfurt/Main: Campus Verlag 2000, S. 163-184. 86 Lisbeth Trallori: „Vorwort. Im Zeitalter des Codes“. In: dies. (Hg.): Die Eroberung des Lebens. Technik und Gesellschaft an der Wende zum 21. Jahrhundert. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik, 1996, S. 11. 87 Die Problematisierungen von Subjektivität und Identität bilden folgende Sammelbände ab: Odo Marquard und Karlheinz Stierle (Hg.): Identität. München: Fink Verlag 1979; Manfred Frank und Anselm 103

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Die Kommunikationsmöglichkeiten der vernetzten Technologien bieten der Auflösung, dem Wandel und Wechsel der Identität großen Raum durch die Übernahme unterschiedlichster Rollen in Chats und multiplen Web-Gestalten. Diese Spielarten offerieren Möglichkeiten einer ‚dualistischen‘ Existenz: eine ‚Neue‘ Identität des Benutzers als Anderer wird konstruiert. Dies geschieht nicht in Form einer Körperprothese, sondern durch Selbstdarstellung des Subjekts als virtuelles Double. Die Gestaltung flexibler, manipulierbarer, fragmentarischer Subjekte, nicht das Gesamtbild des Betrachters stehen dabei imVordergrund. „Die Identität des „Subjekt-Objekts“ kann immer wieder konstruiert, modifiziert und zerstört werden: Es handelt sich um eine zeitlich hypothetische Existenz, die neue soziale Erfahrungswelten eröffnet“88. Die Vermischung von Grenzen zwischen Ich und Rolle eröffnen Möglichkeiten, über die Frage des ich nachzudenken und an dieser zu arbeiten. Diverse denkbare Lebenskonzepte werden gemischt, kombiniert und überlagert. Das Individuum eignet sich die Dynamik der Technologie an und lebt selbst in Kombination und Modifikation gemäß der Zeilen Nietzsches: „Dies alles bin ich, will ich sein, / Taube zugleich, Schlange und Schwein!“.89

Haverkamp (Hg.): Individualität. München: Fink Verlag 1988 und Manfred Frank et al. (Hg.): Die Frage nach dem Subjekt. Frankfurt/ Main: Suhrkamp Verlag 1988. 88 Claudia Giannetti: Ästhetik des Digitalen. Wien, New York: Springer Verlag 2004, S. 119. 89 Friedrich Nietzsche: „Die fröhliche Wissenschaft“. In: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Bänden. Giorgio Colli und Mazzino Montinari (Hg.), Bd. 3, München: Dt. Taschenbuch Verlag 1980, S. 355. 104

DIGITALE ERZÄHLTECHNIK Fragestellung Das frühe Kino erzählte noch keine Geschichten, wie es der heutige Kinofilm tut. Es bedurfte Personen wie D.W. Griffith, die das neue Medium als Mittel emotional intensiven dramatischen Erzählens nutzten. Auch digitale Medien bilden gerade erst eine spezifische Sprache aus. Die Künstler arbeiten mit einem Medium, das, so Toni Dove, (noch) nicht wirklich existiert.1 Die vorliegende Arbeit betrachtet gegenwärtige Ausprägungen unter folgender Fragestellung: Welche medialen Erzählstrategien begegnen dem Nutzer digitaler Medien und was macht für ihn die Lust an der Interaktion mit ihnen aus? Und: Wie relevant ist das Erzählen in digitalen Medien überhaupt? Wie im vorangegangenen Kapitel deutlich wurde, wenden sich die künstlerischen Werke, aber auch ganz allgemein das Dispositiv interaktiver elektronischer Medien der Wechselbeziehung von Körper und Wahrnehmung zwischen äußerer und innerer Welt zu und akzentuieren die Beteiligung des Betrachters und dessen Anteil am System des Kunstwerks bzw. medialen Objekts. Dabei wird, wie gezeigt werden konnte, das mediale Dispositiv genutzt, um den Standpunkt des idealen Betrachters zu reglementieren und damit den Blick des Nutzers zuzurichten. In der folgenden Herangehensweise wird die von Wolfgang Iser als „impliziter Leser“ bezeichnete, im Text eingeschriebene Leser1

„Making interactive movies is working in a medium that doesn’t exist yet, like a Zoetrope inventor in the nineteenth century, working before film became a medium.“, Toni Dove: „The Space Between: Telepresence, Re-animation and the Re-casting of the Invisible“, in Andrea Zapp, Martin Rieser (Hg.): New Screen Media. Cinema/Art/Narrative. London, Karlsruhe: British Film Institute (BFI) und Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) 2002, S. 219. 105

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rolle zentral sein.2 Sein Ansatz gilt als Referenzpunkt der weiteren Herangehensweise, ohne die mediale Differenz zwischen dem literarischen Text, auf den Iser sich bezieht, und dem medialen Artefakt aus dem Blick zu verlieren. Die Nutzung der Leerstellen im Text und Anschlussmöglichkeiten im Textgefüge sind Iser zufolge von den Texterfahrungen und dem Kombinationsvermögen des Lesers abhängig. Die Lektüreerfahrung geht dennoch weit über die Erfüllung der Erwartungshaltung des Lesers hinaus, denn die von ihm gebildete vorläufige Kohärenz stößt immer wieder auf die Widerständigkeit des Textes und bedarf neuer Ausgleichsoperationen durch den Leser. So kommuniziert er mit dem Text. In den digitalen Medien ist der virtuelle Raum als Ort der Inszenierung der eigentliche Träger der Kommunikation, Teil ihrer Syntax und Integrationselement. Den mit Hilfe computervernetzter Umgebungen inszenierten imaginären Erzählräumen sind vielfältige Erscheinungsformen zu eigen. Es kann sich dabei um virtuelle Welten bzw. interaktive Erzählungen handeln, die im Museum, im öffentlichen Raum, als Installation, via Kino, Fernsehen oder auf einem Internet-Rechner zugänglich gemacht werden. Diese näher zu untersuchenden „narrative environments“3 werden als ein in der Entstehung begriffenes künstlerisches Gestaltungsmittel beschrieben und nach ihrer Funktion in der Subjektkonstitution des Nutzers befragt. Es handelt sich um Installationen oder öffentliche Räume, die technisch mit dem Internet verbunden sind. Der in diese ‚Umgebungen‘ integrierte ‚Besucher‘ soll dort möglichst auch aktiv handeln. Essentiell für diese Formen ist die mit dem Hypertext einhergehende Vielzahl an Möglichkeiten durch variable Strukturen und Eingriffsoptionen der Nutzer, welche die Frage hervorbringt, wie signifikante, für den Nutzer sinnstiftende Strukturen herausgebildet werden können. Welche Bedeutung kulturelle Chiffren, wie das filmische Genre4 und Stereotype, im Feld digitaler Medien inne haben, 2 3 4

Hier besonders: Wolfgang Iser: „Die Appellstruktur der Texte“. In: Rainer Warning (Hg.) Rezeptionsästhetik.Theorie und Praxis. München: Wilhelm Fink Verlag 1975, S. 228-252. Andrea Zapp (Hg.): Networked narrative environments as imaginary spaces of being. Manchester: Cornerhouse Publishing, 2004. Der Begriff des Genre meint hier inhaltliche und formale Elemente filmischer Erzählungen. Zur weiteren Erörterung des der Literatur106

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stellt ebenfalls eine Frage dar, der in diesem Kapitel nachzugehen sein wird. Die Komplexität des Mediums Film beispielsweise ist an eine Reihe von Konventionen und Wahrnehmungsgewohnheiten gebunden. Hier wird das Augenmerk auf Konstituenten digitalen Erzählens und Mechanismen der Orientierung innerhalb digitaler Erzählungen gerichtet. Timothy Druckrey spricht von der Vereinigung von Elementen der Filmmontage, Entwicklungsschritten der Filmgeschichte (beispielsweise der Apparateentwicklung), der Literatur (die bereits die traditionelle lineare Narration spielerisch durchbricht), des Fernsehens (besonders dem Aspekt der Zeit) und der Videokunst (der Rolle des Beobachters) in den ‚neuen Erzählformen‘.5 Auffallend häufig ist die Bezugnahme auf Sergej Eisensteins Montagetheorie – hat er doch grundlegend das Verständnis der Filmsprache, der Filmtheorie und der Zuschauerschaft der Moderne geprägt.6 Lässt sich das Anklicken von Hypertext-Verknüpfungen mit der Aktivität des Zuschauers bei der konstruktiven Montage vergleichen, der sich aus Detailbildern eine Gesamtansicht oder -vorstellung erschließt? Die veränderte Rolle des Erzählers in der Narration digitaler Medien wird in einigen nachfolgend genannten Positionen deutlich: der britische Medienkünstler Chris Hales stellt fest, dass das klassische Drehbuch für den Film seine Bedeutung verliere und selbst das, was eine Geschichte ausmache, einer Neukonzeptionierung bedürfe.7 Spricht Paul Willemen8, Programmierer und Medienwissenschaftler, vom Computer als dem Fließband der Geistesarbeiter und skizziert eine düstere Zukunftsvision, in der die Intellektuellen zum Proletariat würden, so betont der deutsche Medienkünstler Eku Wand, dass auch die interaktive Erzählung einen professionellen Autor nicht

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wissenschaft entlehnten Gattungsbegriffs Genre siehe Barry Keith Grant: Film genre reader. Austin: University of Texas Press 1995. Steve Neale: Genre and Hollywood. London: Routledge, 2000. Timothy Druckrey: „Preface“, in: Zapp/Rieser (Hg.), a.a.O., S. xxixxiv. Siehe hierzu: David Bordwell: The Cinema of Eisenstein. Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1986. Chris Hales: „New Paradigms < > New Movies: Interactive Film and New Narrative Interfaces“. In: Zapp/Rieser (Hg.), a.a.O, S. 105-119. Paul Willemen: „Reflections on Digital Imaginary: Of Mice and Men“, ebd. S. 14-26. 107

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entbehren kann. Er macht im „interactive storytelling“9 eine neue Disziplin innerhalb der Erzählkunst aus, deren Charakteristik es sei, mehrere Plots und mehrere Storylines zu entwickeln: die Kunst, Bezüge herauszustellen. Den Autor interaktiver Narrationen vergleicht Eku Wand in einer Phase der Renaissance der Erzählung mit dem Barden und seinen – nun wieder aktuell gewordenen – rhetorischen Handgriffen im Kontakt mit den Zuhörern. Es gehe weniger um die Neuerfindung der Erzählung als vielmehr um die Erforschung spezifischer Eigenheiten, Regeln und Gesetzmäßigkeiten interaktiver Erzählungen. Die ‚Maschine‘ müsse als Erzählinstanz für den Nutzer etwas zu erzählen haben und noch dazu wie ein ‚aufmerksamer Erzähler‘ wirken. Statt statischer Erzählmodelle sind andere Formen vonnöten, um den Prinzipien digitalen Erzählens zu entsprechen, die der neuseeländische Medienwissenschaftler Sean Cubitt10 beispielsweise in den Begriffen ‚Suche‘, ‚Reise‘ und ‚Ozean‘ zur Qualifizierung der Nutzerbewegung innerhalb dieser Medien fasst. „It takes two to tango“11: Das Verstehen der Motivation der Zuschauer, so Martin Rieser, sei dringlicher denn je. Erst Interaktivität und Telepräsenz der Nutzer lassen einen neuen Typus von Erzählung entstehen. Die Motivation der Zuschauer, so Andrea Zapp12, sei vorrangig auf das Interesse am Beobachten und an der virtuellen Teilhabe zurück zu führen. Die schadlose Teilnahme an sozialer Interaktion, so belegen verschiedene Projekte, scheint einen besonderen Reiz für Nutzer auszumachen. Besonders informativ sind in diesem Zusammenhang die Praxisberichte etwa von Künstlern wie Chris Hales13 zum interaktiven Film und Ken Feingold14, die das interaktive Verhalten der Nutzer zwischen dem Wunsch nach sozialer

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Eku Wand: „Interactive Storytelling: The Renaissance of Narration“, ebd. S.193ff. Sean Cubitt: „Spreadsheets, Sitemaps and Search Engines: Why Narrative is Marginal to Multimedia and Networked Communication, and Why Marginality is More Vital than Universality“, ebd. S. 3-13. Martin Rieser: „The Poetics of Interactivity: The Uncertainty Principle“, ebd. S.121. Andrea Zapp: „net.drama://myth/mimesis/mind_mapping/“, ebd. S. 77-89. Chris Hales: „New Paradigms < > New Movies: Interactive Film and New Narrative Interfaces“, ebd. S. 105-119. Ken Feingold: „The Interactive Art Gambit“, ebd. S. 120-134. 108

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Interaktion und der Zurückhaltung einerseits im öffentlichen Raum, andererseits angesichts der Technologie thematisieren.15 In diesem Teil der Arbeit wird davon ausgegangen, dass die digitale Erzählung aus multimedialen Erzähl-Elementen besteht, die auf variablen Strukturen basieren. Wie zu zeigen sein wird, sind die Prinzipien digitaler Erzählungen eng damit verbunden, dass sie auf das Format der Datenbank zurückgreifen. Erzähl- und Möglichkeitsräume, so eine weitere Arbeitshypothese, bieten dem aktiven Nutzer eine Reise durch die Narration und bilden neue Umgebungen für bekannte Genre und erzählerische Stereotype, die in dem Medium zusammengeführt werden und der Eigenständigkeit des interaktiven Nutzers als Ankerpunkte dienen. Schließlich wird zu überprüfen sein, inwiefern digitale Erzählungen den Wirklichkeitsentwürfen traditioneller Erzählformen Möglichkeitsräume entgegenstellen, die der Lebenskultur des 21. Jahrhunderts entsprechen.

Begegnungen mit Formen medialen Erzählens Der Rezipient konstruiert sich aus den ihm im Medium präsentierten Informationen eine Geschichte.16 Das bedeutet, dass das Kunstwerk der intellektuellen Aktivität des Rezipienten bedarf, um vollständig Gestalt zu erhalten, um Leben eingehaucht zu bekommen. Der Rezipient wiederum bringt in die Rezeption die Erwartungen und die Erfahrungen ein, die seinem Alltag und seinen Kenntnissen bisheriger Medienlektüren entspringen. Seine medialen Erzählerfahrungen dienen ihm als Schablone beim Lesen jedes weiteren medialen Textes. Das Kunstwerk greift diese auf, sei es auch nur, um sie wiederum zu enttäuschen. Neben den Wahrnehmungsfähigkeiten sowie 15 Jill Scott nutzt diesen Gemeinschaftswunsch wiederum in ihrer Arbeit Beyond Hierarchy? (2000), indem sie einen Teilbereich der interaktiven Installation erst durch das Händeschütteln zweier Nutzer zugänglich macht. Näheres hierzu in Jill Scott: „Crossing and Collapsing Time: Re-constructing (Her-)Historical and Ideological Film Narratives on a Transformed Stage“, ebd. S. 195-207. 16 Siehe hierzu: Wolfgang Iser: Der Akt des Lesens. München: Wilhelm Fink Verlag 1976. Umberto Eco: Lector in Fabula. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1990. Sabine Kuhangel: Der labyrinthische Text. Literarische Offenheit und die Rolle des Lesers. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag 2003. 109

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den bisherigen Erfahrungen und Kenntnissen des Rezipienten basiert die mediale Erzählung auf der Informationsstruktur des Kunstwerks – seinem narrativen System.17 Dabei arbeiten verschiedene Medien mit unterschiedlichen Erzählparadigmen, die wiederum mit dominanten und weniger dominanten Mustern operieren. Einige davon werden im Folgenden vorgestellt. Der Bezug zur Theatervorführung als Modell der Mimesis ist unmittelbar mit dem Dispositiv verbunden: das griechische Theater hatte sich (gegenüber den Vorläuferformen) in der Blickführung des Zuschauers und der Akustik des Theaters durch die räumliche Anordnung von Sitzplätzen und die Platzierung des Orchesters spezialisiert. Hinzu kam später die Umrahmung des Bühnenraumes und das Bühnenbild. Die besondere Aufmerksamkeit, die dem Blick des Zuschauers auf die Bühnendarstellung gilt, macht, wie David Bordwell zeigt, die Basis der Mimesis im Kontext der darstellenden Kunst aus.18 Das mediale Erzählen in der westlichen Kultur ist maßgeblich geprägt von einer Art Story-Kanon: auf die Einführung von Schauplatz und Charakteren folgt die Darlegung der Ausgangssituation. Komplikationen folgen und kulminieren schließlich, bis es zu einer Auflösung kommt und eine Endsituation die Story schließt. Die Form der Narration hat im vergangenen Jahrhundert bekanntermaßen vielfältige Veränderungen erfahren. In der Moderne wird das lange gültige Konzept der Mimesis, wie es in der von Aristoteles begründeten Theorie zur Theatervorführung auf Literatur (und Film) ausgedehnt wurde und von der Einheit von Raum, Zeit und Geschehen geprägt ist, aufgebrochen. Söke Dinkla zeichnet nach, wie seit dem späten 18. Jahrhundert die Heterogenität des medialen Erzählens und die Facetten heutiger Ausdrucksmittel vorbereitet wurden.19 Ausgangspunkt war die Krise des Erzählens um 1900, in der grundsätzliche Zweifel aufkamen, ob der Roman tatsächlich in der Lage sei, mit Hilfe kausal und linear

17 David Bordwell: Narration in the Fiction Film. Madison, Wisconsin: The University of Wisconsin Press 1985, S. 32-33. 18 Ebd. S. 4. 19 Söke Dinkla: Der bewegte Betrachter. Theorien der interaktiven Medienkunst. Köln: Wienand Verlag 1997. 110

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abfolgender Geschichten die Komplexität des Lebens abzubilden.20 Das Subjekt scheint aufgelöst. Der Leser sieht sich konfrontiert mit multiplen Perspektiven, es bieten sich ihm verschiedene Zugänge zu einer Handlung, einem Geschehen oder einer Person, ergänzt durch Verfahren wie inneren Monolog, dem Bewusstseinsstrom und der freien Assoziation. Die damit verbundene Mehrdeutigkeit und komplexe Struktur stellen hohe Ansprüche an die Aktivität, das Erkenntnisinteresse und die Motivation des Lesers. Inhaltlich geht es dabei um Simultanität und das Fragmentarische (des Großstadtlebens), um Detailbeschreibung alltäglicher Dinge, die nicht erzählerisch motiviert sind, sowie die Thematisierung der Autorschaft. Das Fragment als Strukturierungsprinzip des Erzählmediums der Moderne und der sogenannten Postmoderne21 des 20. Jahrhunderts begegnet uns in der Datenbank digitaler Medien wieder. Bereits in der Literatur der Moderne handelt es sich um vertikale – im Sinne einer hermeneutisch zu erschließenden Tiefe – Erkundungen in den Werken von Franz Kafka bis Samuel Beckett, James Joyce bis William S. Burroughs, Virginia Woolf bis Alain RobbeGrillet: Stimmungen und Daseinsformen stehen anstatt Handlungen im Fokus der Narration. An die Stelle einer Fabel rückt die Verdichtung emotionaler Zustände, die Poesie tritt an die Stelle der gewissen und eindimensionalen Handlungsabläufe. „Die Erzählung, wie sie unsere akademischen Kritiker verstehen, repräsentiert eine Ordnung, die an ein völlig rationalistisches und organisiertes System gekettet ist und deren Blütezeit einhergeht mit der Machtübernahme durch die Mittelklasse ... Alle technischen Elemente des erzählerisch zweckmäßigen Gebrauchs von Vergangenheit und dritter Person, die vorbehaltlose Übernahme von chronologischer Entwicklung, lineare Handlungen, vorschriftsmäßig gesteuerte Leidenschaft, Episoden, die sämtlich auf einen Schluß zustreben usw. – alles war darauf ausgerichtet, das Bild eines stabilen, einheitlichen, ungebrochenen, unmissverständlichen, total enträtsel20 Beispielhafte Werke hierfür sind Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften (1930), James Joyce Ulysses (1922) und die Werke Virginia Woolfs, die mit Erzählformen wie dem Stream of Consciousness, der parallelen Erzählung und dem Detail arbeiten. 21 Zur näheren Bestimmung dieses weiten Feldes sind die folgenden Ausführungen orientiert an Rolf Günter Renner: Die Postmoderne Konstellation. Theorie, Text und Kunst im Ausgang der Moderne. Freiburg i.Br.: Rombach, 1988. 111

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baren Universums zu schaffen. Da die Erkennbarkeit der Welt nicht einmal in Frage gestellt wurde, war das Erzählen einer Geschichte kein Problem. Der Romanstil konnte einfältig sein.“22 Der nouveau roman der fünfziger Jahre spiegelt das Ringen des Erzählers mit einer grundsätzlichen Ungewissheit. Albert Camus’ L’étranger beginnt mit den Worten „Aujourd’hui, maman est morte. Ou peut-être hier, je ne sais pas.“23 Der erste Satz etabliert die Beziehung, die das Buch zu seinem Leser herstellen wird: Dieser hat es mit einem Erzähler zu tun, der nicht alles weiß und nicht alles sagt. Er selbst kann die Welt nicht verstehen. Wie Kafka, Faulkner, Woolf und viele andere vor Camus, ist das Grundmuster seiner Erzählung nicht die Allwissenheit des Erzählers und die Erklärung einer Wahrheit. Begriffe wie Wahrheit und Gewissheit scheinen gänzlich in Frage gestellt. Es gibt nicht die Wahrheit, sondern viele individuelle, die temporär im Entstehen und in permanenter Veränderung sind. Der Erzähler kann dem Leser nicht mehr die Wirklichkeit darlegen, weil ihm jegliches Verständnis derselben abhanden gekommen ist. Bereits der Leser des nouveau roman hat es nicht bequem: die Fragmente der Erzählung sind in Bewegung, sie verleihen der Geschichte jeden Augenblick neue Gestalt, es fügt sich etwas wie eine Wahrheit zusammen, die jedoch nur von kurzer Dauer ist. Aus der Notwendigkeit eines zeitgemäßen Erzählstils begründeten sich auch die Ausformungen der Medienkunst. Neben dem Wandel der Wahrnehmung hat sich die Rezeption durch die Veränderung des Rezipienten und dessen Erwartungsnormen verändert. Dieser erfährt seine Existenz voller Widersprüche, bestehend aus Bruchstücken, die sich nicht in eine Ordnung bringen lassen. In der Auseinandersetzung mit dem technisch-medialen Dispositiv digitaler Medien ist die Verfasstheit des Menschen, seine Identitätskonstitution in der Aneignung dieser Medientexte, von ganz besonderem Interesse. Im Kinosaal wird eine spezifische Konstruktion des Zuschauerblicks durch die Präsentation des Filmbildes nach dem Prinzip der Zentralperspektive gewährleistet.24 Im kinematografischen Dispositiv ist das Subjekt, zum Betrachter reduziert, frontal zur Kinolein22 Alain Robbe-Grillet: Argumente für einen neuen Roman. München: Hanser-Verlag 1965, Seite 47. 23 Albert Camus: L’étranger. Paris: Gallimard, 1942, S. 9. 24 Bordwell, a.a.O., S. 4-15. 112

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wand angeordnet. Die bewegungslose Ausrichtung der Zuschauer im verdunkelten Saal soll das immersive Moment des Sich-in-dasBild-Versenkens durch Bündelung der Aufmerksamkeit und Ausschaltung von Zerstreuungen verstärken. David Bordwell vollzieht eine historische Aufteilung verschiedener filmischer Erzählparadigmen, bei der die klassische Hollywooderzählung und das KunstKino nur zwei Spielarten bilden.25 Selbstverständlich gehen diese heterogenen Formen auch ineinander über und sind keineswegs als entweder-oder-Normen zu verstehen. Im postmodernen Kino schließen sich die gegensätzlichen Lesarten (klassisch-illusionistisch und modernistisch-selbstreflexiv) nicht aus. Jürgen Felix spricht von einem „multiplen Lektüremodell“ des „doppelcodierte(n) Erzählen(s) postklassischer Hollywood-Filme“.26 Der kommerzielle Film in der Ausprägung des klassischen Hollywoodkinos präsentierte durch ein differenziertes Konstruktionssystem eine geradlinige Handlung mit klarem Ablauf und dem erforderlichen Zusammenhalt von Raum und Zeit. Obwohl der Zuschauer sehr wohl um den apparativen Hintergrund27 weiß, dominiert das subjektive Erleben der Zeit im Film für ihn. Die narrative Struktur verlangsamt, beschleunigt und verändert die Zeit. Die erzählte Zeit im konventionellen Film stimmt nie mit der Erzählzeit überein. Die Handlung entfaltet sich nicht in epischer Länge, sondern besteht in einer Aneinanderreihung exponierter Situationen.28 25 Ebd. S. 147-334. 26 Jürgen Felix: „Hypertext und Körperkino. Lektüremodelle des postklassischen Hollywood“, in: Ernest W.B. Hess-Lüttich (Hg.): Autoren, Automaten, Audiovisionen. Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2001, S. 172-173. 27 Der kinematografische Apparat dekonstruktiert konventionelle Wahrnehmungsparameter, indem er Bewegung als bewegtes Bild de- und rekonstruiert. Insofern ist er geradezu als Medium der Moderne prädestiniert, kann er doch das physikalisch unveränderbare RaumZeit-Konstrukt in der Verräumlichung der Zeit und der dynamischen Behandlung des Raumes auflösen. Der Modus der Zeit kann durch Zeitlupe, Montage, Simultanität, Vor- und Rückblenden durchbrochen werden. Der Film konserviert einerseits die Zeit, um sie bei der Projektion wieder zu vergegenwärtigen. 28 Bereits im frühen Stummfilm gibt es aus diesem Grund Szenen, in denen Kalenderblätter abgerissen werden, Uhrenzeiger sich geschwind drehen und Jahreszeiten wechseln, um das Voranschreiten der Zeit zwischen zwei Handlungssequenzen zu verbildlichen. Gilles Deleuze hat, bezugnehmend auf Henri Bergsons Philosophie, den Versuch unternommen, eine Theorie der Zeit des kinematografischen 113

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Die Vorstellung eines homogenen, konsistenten und kontinuierlichen Zeitablaufs hängt stark mit den filmischen Regeln zusammen. Durch den präsentischen Blick der Kamera und die Erwartungshaltung des Zuschauers entfaltet sich die Zeit immer zu einem Vor oder Nach in bezug auf das „Jetzt“ der filmischen Gegenwart. Im Übergang der kanonisierten Filmgestaltung des Studio Systems zu gelockerten und offenen Strukturen des zeitgenössischen Films finden die Elemente moderner Literatur Eingang in den filmischen Prozess. Bereits im Experimentalfilm, hier sei Maja Derens berühmter Film Meshes of the Afternoon (1943) exemplarisch aufgeführt, finden sich non-lineare Konzepte, wobei die Präsentationsund Rezeptionsform hier notwendigerweise linear bleibt. Gilles Deleuze zufolge ändert sich – nach der das klassische Vorkriegskino dominierenden Krise des Bewegungs-Bildes – die filmische Praxis im 20. Jahrhundert, indem zunehmend experimentiert wird. Mit dem Übergang zum Zeit-Bild29 werde der Film reflexiv: die Zeit werde zum Inhalt des Films und nicht nur Faktor des Medium. In der Einstellung werde „die Form oder vielmehr die Kraft der Zeit im Bild“30 manifest. Ein typisches Zeit-Bild sei die Großaufnahme eines Gesichts, in der das Jetzt stehen bleibe. Diese ästhetische Zeitempfindung unterscheide sich von der Alltagswahrnehmung. Das Zeit-Bild sei nicht mehr an die Bewegung geknüpft, es breche aus der Chronologie des Realen. Montagen, die nicht der Erwartungslogik entsprechen – hier sei besonders Jean-Luc Godards Arbeit hervorgehoben – tragen dazu bei, das Bild im Kontext der Zeit als ästhetisches Konstrukt mit autonomer Bildwirklichkeit zu modellieren. Regisseure arbeiten mit den medialen Wahrnehmungsgewohnheiten ihres Publikums. Diese Formen der Erzählung verzichten zum Teil auf strukturierende Elemente zugunsten des Fragmentarischen und enthalten wenig Homogenes und Kohärentes. Für den Zuschauer hat die Verwässerung oder strikte Ablehnung der konBildes aufzustellen und nennt diese für den klassischen Film das Bewegungs-Bild (Gilles Deleuze: Das Bewegungs-Bild. Kino 1, Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1989). 29 Gilles Deleuze: Das Zeit-Bild. Kino 2. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1997. Siehe auch: David Rodowick: Gilles Deleuze’s Time Machine. Durham, London: Duke University Press 1997 und Mirjam Schaub: Gilles Deleuze im Kino: Das Sichtbare und das Sagbare. München: Fink Verlag 2003. 30 Gilles Deleuze, a. a. O., S. 62f. 114

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ventionellen Fabel zur Folge, dass er nicht mehr eine schablonenhafte und konsumierbare fiktionale Welt vorgesetzt bekommt, sondern seine Mitarbeit zum Verständnis komplexer Gewebe mit ungewissem Ausgang vonnöten ist. Der Filmzuschauer versucht, sich auf die Schauplätze, Szenen und Handlungen einzustellen, die auf ihn einströmen. Er ist aufgerufen, die erhaltenen Informationen in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen. Seine Motivation wird durch Rätselhaftigkeit und Andeutungen geweckt. Die Taten der Filmprotagonisten sind für den Zuschauer unvorhersehbar, ihr Charakter lässt Vielschichtigkeit erahnen und ihre Motive sind undurchschaubar. Die narrative Geschlossenheit ist durchbrochen, der Produktionsprozess ist teilweise im filmischen Material sichtbar, jegliche Form filmischer Illusion wird konterkariert. Dem Zuschauer tritt ein Palimpsest aus vielen Schichten entgegen. Diese Vermeidung eines konsistenten Systems zwingt den Zuschauer immer wieder, die Konstruktion von Sinn aufzugeben. Die Rolle des Erzählers/Regisseurs/Autors wird auf den Zuschauer übertragen, ihm obliegt die Aufgabe, für sich einen Sinn im medialen Artefakt zu entdecken. Die Ungewissheit im Verständnis der Handlung betrifft auch und besonders das Selbstverständnis des Menschen. Die geistigen, physischen und psychischen Reaktionen, die von ihm gefordert werden, steigern die Identifizierung und führen ihn so (scheinbar) aus der bequemen Sicherheit seines Universums heraus. Die Erfolge von Filmen wie Short Cuts (1993) und Pulp Fiction (1994) demonstrieren, dass der Zuschauer Gefallen daran gefunden hat, gefordert zu sein, selbst Verbindungen zwischen den Sequenzen herzustellen und eine für ihn plausible Vorstellungswelt zu erstellen. Beim Fernsehen handelt es sich um eine Mensch-Apparat-Anordnung, die eine Wahrnehmungssituation herstellt, die sich in der Intensität der Wahrnehmung und in den Identifikationsmöglichkeiten der Zuschauer stark vom Film unterscheidet.31 Die Kommunikationssituation des Fernsehens ist nicht von der räumlichen Alltagswelt getrennt. Es findet keine Abdunklung statt, der Apparat steht im privaten Wohnalltag, der Zuschauer ist beweglich, er kann sich beliebig im Raum platzieren. Der private Raum erhielt mit dem 31 Vgl. Knut Hickethier: Dispositiv Fernsehen. Skizze eines Modells. In: Montage/AV 4,1, S. 63-84. 115

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Aufstieg des Fernsehens zum Leitmedium der Nachkriegszeit eine immense Aufwertung. Dieser Rückzug ins Private entsprach der Sehnsucht nach Häuslichkeit und Unterhaltung.32 Mit der Live-Übertragung, einem besonderen Aspekt des Fernsehens, findet eine Verschränkung des privaten und öffentlichen Raumes statt. Die Live-Übertragung ermöglicht dem Zuschauer die zeitgleiche Teilhabe an entfernten Geschehen. Die medienvermittelte Zeiterfahrung durch das Fernsehen ist zudem dadurch gekennzeichnet, dass das Fernsehprogramm mit dem umfassend strukturierten Alltagsleben des Zuschauers synchronisiert ist. Es bietet einen durch spezifische Regelmäßigkeiten gestalteten Fluss von Angeboten für die Zuschauer. Die Mitteilungspraxis des Mediums Fernsehen ist durch einen permanent in linearer Bewegung befindlichen und flüchtigen Informationsstrom gekennzeichnet. Dessen Programmangebot hat sich in einer Fülle von Formaten ausdifferenziert, angefangen bei den Nachrichten, über Magazinsendungen, Showformate, Kinospielfilme im Fernsehen, Fernsehspiele, Infotainment, Edutainment und so weiter. Das Prinzip des in der Literatur (und dem Film) bereits bewährten Seriellen erhält mit dem Fernsehen eine neue Ausrichtung: es sind TV-Endlosserien, bei denen zu Produktionsbeginn das Ende nicht unbedingt absehbar ist und die Serie nach gewisser Zeit bei sinkendem Zuschauerinteresse abgesetzt wird. „Für den Zuschauer werden damit die finalen Lösungen immer weiter hinausgeschoben, bis sie oft kaum noch eine Rolle spielen“.33 Dabei ist der Gesamtzusammenhang der Serie als Erzählkosmos nicht von Anfang an relevant, sondern der Erzählzusammenhang einer jeweiligen Folge. Mit der Verlagerung der Steuerungselemente des Fernsehgerätes in die Hand des Zuschauers verändert sich die Rezeption insofern, als dass er Sendungen nicht mehr zwangsläufig ganz betrachtet, sondern switcht und zappt und sich mit Versatzstücken des Fernsehprogramms begnügt. Die Fernbedienung ermöglicht die rezipientengesteuerte Kohärenzbildung durch Switching. Der „Switching-Text 32 Thomas Steinmaurer: „Fern-Sehen. Historische Entwicklungslinien und zukünftige Transformationsstufen des Zuschauens“. S. 227-247. In: Ernest W.B. Hess-Lüttich (Hg.): Autoren, Automaten, Audiovisionen.Wiesbaden: Westdeutscher Verlag 2001. 33 Knut Hickethier: Einführung in die Medienwissenschaft. Stuttgart: Metzler Verlag 2003, S.130. 116

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als rezipientenerzeugter Text“34 entsteht durch das hin- und herwechseln mit der Fernbedienung zwischen einzelnen Programmen und Fernsehformaten. Damit wird eine vereinzelte, punktuelle, individuell erzeugte Verknüpfung zwischen den verschiedenen Programmen hervorgebracht. Es werden Mixturen aus zufälligen und absichtlichen Strukturen hergestellt, die einen neuen Text ergeben. „Kohärenzbildung und Sinnerzeugung [...] sind als ein in der Rezeption verankerter Prozess zu verstehen“.35 Das Switchen erzeugt Strukturen und Ordnungen, die denen des „ungeordneten Puzzles“ ähneln, eine Welt der bricolage, der Collage, „die sich in ihren Fragmenten immer weiter auflöst“.36 So ergibt es sich, dass neben die Haltung der Versenkung in die durch das Medium erzeugte Welt die Zerstreuung angesichts der vielfältigen nebeneinander existierenden Angebote tritt. Der Wechsel avanciert zum Grundmoment der Darstellung. Die Auflösung der Struktur führt zu einer Entropie von Bedeutungen in der Darstellung selbst37 – alles ist gleichermaßen gültig. Hartmut Winkler38 macht deutlich, dass der switchende Zuschauer sich der an der Intention des Autors orientierten Sinngebung und der damit verbundenen Rezeptionshaltung des nachvollziehenden Verstehens entzieht. Das Reservoir parallel angebotenen Materials auf unterschiedlichen Fernsehsendern wird ihm zugänglich, indem er sich dem an der Zeitachse orientierten linearen Sinn einer einzelnen Sendung durch Umschalten verweigert. Die Lust an diesem Verfahren, so Winkler, bestehe einerseits an der „spezifischen Struktur der Überraschung“: „für einen kurzen Moment [...] ist das gesamte Spektrum an Bedeutungsmöglichkeiten präsent“.39 Andererseits biete die semantische Offenheit der dekontexualisierten Sendungsfragmente einen Raum für den eigenen spielerischen Umgang jenseits vorgegebener Ordnungen. Im Switching könne sich der Zuschauer durch den Strom der Bilder anregen lassen und dro34 35 36 37 38

Ebd. S.115. Ebd. S.116. Ebd. S.140. Ebd. Hartmut Winkler: Switching, Zapping: Ein Text zum Thema und ein parallellaufendes Unterhaltungsprogramm. Darmstadt: Häusser, 1991. 39 Beide Hartmut Winkler: „Eins, zwei, drei, vier, x. Switching. Die Installation der Tagtraummaschine“. In: epd, Kirche und Rundfunk Nr. 85, 27.10.1990. S. 6. 117

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hender Reizüberforderung mit Umschalten begegnen. Winkler sieht die Möglichkeit eines selbsttherapeutischen Verfahrens gegeben, das dem Individuum ermögliche, „mit der eigenen Subjektivität umzugehen und die eigene Befindlichkeit zu regulieren“.40 In der zugleich spielerischen wie auch den Fernsehprodukten gegenüber skeptischen Haltung, die eine Ablehnung der reglementierten Rollenzuweisung des Zuschauers und des rigiden Programmschemas formulierten, vermeint Winkler die Andeutung einer Utopie der Auflösung starrer gesellschaftlicher Prozesse41 zu erahnen. Durch die Aufzeichnungsmöglichkeiten des Videorekorders42 verliert die Zeitstruktur des Fernsehens ihren flüchtigen Charakter. Sie ist nicht mehr für den Zuschauer bindend. Die Erfahrung des Fernsehens wird mit dem Videorekorder beliebig abrufbar. Insofern ist die Videotechnik ein weiterer Ausdruck der Autonomiebestrebungen des Zuschauers gegenüber der Programmstruktur des Fernsehens. Der Fernsehkonsument hat von nun an die Möglichkeit, sich aus dem Zeitdiktat des Fernsehens zu lösen. Er ist, wenn auch im Funktionszusammenhang des Fernsehens, in der Lage, selbstbestimmt mit Zeiterfahrung jenseits seiner reglementierten Arbeitszeit umzugehen.43 Er kann aufnehmen und zeitversetzt betrachten, er kann Werbespots ausblenden, weiterspulen (Rhythmusveränderung), wiederholen und Standbilder betrachten, das heißt, er kann mit dem Medientext selbstständig verfahren. Dieser Medientext ist ihm verfügbar. Eine neue Wahrnehmungsdimension, die Retardierung von Ereignissequenzen, hält Einzug in die Fernsehrezeption. Der zeitgleich versammelten Fernsehgemeinde steht nun der vereinzelte Videonutzer gegenüber. Dies bedeutet, dass durch das Aufheben der zeitlichen Synchronität der auf die Einheit von Zeit, Raum und Struktur beruhende Publikumsbegriff nicht mehr haltbar ist. Auch, so stellt es Zielinski dar, führt das Videogerät zu einer Art Dezentralisierung der klassischen Form von Öffentlichkeit und eröffnet das Entstehen

40 Ebd. S. 7. 41 Ebd. S. 8. 42 Siehe hierzu: Siegfried Zielinski (Hg.): Video – Apparat/Medium, Kunst, Kultur. Frankfurt/Main, Bern, New York, Paris: Verlag Peter Lang 1992. 43 Ebd, S. 110. 118

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neuer Formen, die sich zwischen dem privaten und dem öffentlichen Raum bewegen.44 Die Dispositivanordnung und das Gerät des Fernsehers stehen im Zentrum der frühen Videokunst.45 Skulpturale Anordnungen in sogenannten closed-circuit-Installationen stellten eine Abgrenzung gegenüber den Präsentationsformen von Fernsehen und Kino dar und thematisieren zugleich Zeitgleichheit von Aufnahme und Betrachtung des Videomaterials.46 Das Konzept der Zufallsgenerierung bei den Kompositionen John Cages machte sich Nam June Paik zu eigen und übertrug es 1965 auf das Medium Fernsehen. Die Arbeit „Magnet TV“ zeigt, bedingt durch einen Magneten, der auf dem Fernsehgerät angebracht ist, statt des Fernsehprogramms wirbelnde Strukturen auf der Mattscheibe. Der Zuschauer wurde bei dieser Arbeit zwar aktiv miteinbezogen, aber seine Gestaltungsbeteiligung war doch sehr begrenzt. In den nachfolgenden Arbeiten blieb das Interesse Paiks an der Beteiligung des Betrachters groß. Er machte immer mehr auf die Bedingungen des Zuschauens, die Vorbedingungen auf Seiten des Zuschauers sowie auf Seiten der Technologie, aufmerksam. In Bill Violas langjähriger Arbeit mit dem Medium Video stehen einst religiös besetzte Themen wie Leben und Tod in an elementare Gefühle ansprechenden Videoinstallationen wie Heaven and Earth und Nantes Triptych (beide 1992) im Vordergrund. Hinzu kommen Werke, die das Außen und Innen des Menschen zum Thema haben (Science of the Heart, 1983). Immer jedoch ist das Wahrnehmen selbst zentral. Viola thematisiert Funktionszusammenhänge zwischen visueller Welt und interner Repräsentation, zwischen Wahrnehmungswelt und Unbewusstem – insofern sind seine Arbeiten Studien zur Wahrnehmung. Seit den 80er Jahren wandte sich die Videokunst verstärkt filmischen Gestaltungsmitteln zu, wie sie zuvor im Experimentalfilm entwickelt wurden. Künstler nutzten zudem die kostengünstigen Möglichkeiten des Video, um mit Blue-screen-Verfahren, Com-

44 Ebd. S. 15. 45 Gerry Schums Land Art 1969 und TV as a fireplace 1970, um nur zwei Beispiele zu nennen. 46 Zum Beispiel Nam June Paiks TV Buddha 1974. 119

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positings und Videosynthesizern die künstlerischen Möglichkeiten der elektronischen Filmbearbeitung auszuloten.47 Während Film und Literatur auf der Ebene eines audiovisuellen und textlichen Diskurses erzählen, scheint die elektronische Narration in der Konstruktion eines Sujets durch vorgesehene, fragmentarisierte und noch auszuführende Handlungen und Ereignisse stattzufinden. Die technologischen Möglichkeiten sind nur eine Beschreibungskategorie, welche der digitalen Erzähltechnik zugrunde liegen. Eine weitere Beschreibungskategorie bilden die medialen Erzählformen ihrer Zeit. Die „post-narrativen“ Erzählformen beziehen sich auf eine Hybridisierung, die sich speist aus der Praxis und Geschichte der Montage (mit Blick auf die Bedeutungskonstruktion), des Kinos (vorfilmische Technologien und Wiederaufnahme der Idee der „Immersion“, Genre-Versatzstücke, Regisseur-Autor), der Literatur der Moderne (dem Durchbrechen des Erzählverlaufs und vieler anderer Parameter des Erzählens), des Fernsehens (dem damit verbundenen Zeitverständnis und dem individuellen Zugriff des Zuschauers) und der Videotechnik (neues Rollenverständnis des Zuschauers und elektronischer Zugriff auf das Material). Sie bedürfen eines vorinformierten, medienerfahrenen Publikums. Die Herangehensweise des Nutzers ist maßgeblich geprägt durch die Erzählstrategien des Kunst-Kinos und dessen Einfluss auf die westliche visuelle Kultur. „Den Leser aktiv am Sinngebungsprozess zu beteiligen, entspricht modernen Autorenkonzepten“.48 Dies wird im Hypertext technisch unterstützt. Bei der Wahrscheinlichkeitsdisjunktion kann der Rezipient verschiedene Hypothesen aufstellen und es ist wahrscheinlich, dass verschiedene Hypothesen richtig sein können. „Es wäre interessant, einmal ein Werk auszuführen, das an jedem seiner Verknüpfungspunkte die Verschiedenartigkeit zeigen würde, die sich dem Geist darstellen könnten, und unter diesen allen die einzige Sequenz auszuwählen, die sich aus dem Text ergeben wird. Die Illusion einer neuen

47 Diese Ästhetik wurde zügig von Werbung und Fernsehen aufgegriffen und prägte die Form des Videoclips. 48 Knut Hickethier: Einführung in die Medienwissenschaft. Stuttgart: Metzler Verlag 2003, S. 118. 120

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und das Reale nachahmende Determination würde somit durch die des im-Augenblick-Möglichen ersetzt, die mir wahrer erscheint.“49

Im Hypertext scheint dieses Anliegen seine technische Realisation gefunden zu haben.50 Nicht-hierarchische Verbindungen (Links) sind Hauptmerkmale des Hypertext, der aus unterschiedlichen medialen Elementen bestehen kann. Narrationen in Form des Hypertext bieten eine Pluralität von Erzählpfaden an, aus denen der Nutzer eine Auswahl trifft. Die Netzstruktur51 des Hypertexts determiniert die Vorgehensweise der Navigation des Nutzers durch Anklicken von Links und Scrollen. Da die Bezeichnung Non-Linearität immer den Vergleich mit der Linearität anderer Medien impliziert, wird vorgeschlagen, zutreffenderweise von Mehrschichtigkeit zu sprechen. Diese Schichten sind prozesshaft angeordnet, da durch individuelle Rezeption immer wieder verändernde Textzusammenhänge entstehen. Der Hypertext zeichnet sich durch Offenheit, Variabilität, Kombinatorik und Partizipation52 aus. Diese Strukturform geht auf Vannevar Bushs im Aufsatz As we may think von 1945 formuliertes Projekt Memex (Memory Expander) zurück, das die Suche in großen Datenmengen auf der Grundlage des assoziativen Denkens verfolgt. Eine erste erfolgreiche Anwendung des Hypertext-Systems stellt Douglas C. Engelbarts 1963 entwickeltes Augment dar. Der besondere Stellenwert dieses Systems gebührt dem Interface, dem Engelbart hohe Aufmerksamkeit zollte. Er setzte Eingabe-Werkzeuge ein, die zu Standards werden sollten: die Computermaus und eine grafische Bedienoberfläche mit Mehrfenstertechnik. Ebenfalls bis in die 1960er Jahre lassen sich die Entwürfe von Ted Nelson zu Xanadu zurück verfolgen. Er prägte die Bezeichnungen „Hypertext“ und „Hypermedia“ und nahm in seiner Vision von 49 Paul Valéry: Oeuvres, Paris: Gallimard, II, 1984, S. 551. 50 Selbstverständlich gab es auch vor dem technischen Hypertext bereits Verweistexte in Enzyklopädien, Lexika und Spielbüchern. Seit Mitte der 1960er Jahre ist eine Vielzahl an Experimenten mit Nicht-Linearität in vorhandenen Medien (im Film beispielsweise mit der Nouvelle Vague) zu verzeichnen. 51 Zur Netzmetapher in der Sprachtheorie siehe Hartmut Winkler: Docuverse. Zur Medientheorie der Computer. München: Boer Verlag 1997, S. 14-53. 52 Ebd. 116-120. 121

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Xanadu als zentralem Wissensverwaltungssystem die Entstehung des World Wide Web 25 Jahre früher vorweg. Xanadu ist seit Ende der 1980er Jahre kommerziell umgesetzt und erlaubt im Internet die Bereitstellung eigener Datensammlungen, die über ein System von Zugriffsregelungen, Tantiemen und Versionskontrollen geregelt ist. Die verschiedenen Ansätze vereint ein Gedanke, der für mindestens 50 Jahre kursierte: die Idee einer sinnstiftenden Verknüpfung unüberschaubar vieler einzelner Einheiten. Tim Berner-Lees führte diesen Wunsch Anfang der 1990er Jahre in der Umsetzung des World Wide Web fort.53 Bezugnehmend auf Espen J. Aarseths Cybertext54 unterscheidet Claudia Giannetti zudem zwischen Hypertext und Cybertext: „Das Cybersystem zeichnet sich dadurch aus, dass der User im Text intervenieren kann und so zum Interpreten einer Rolle im Kontext des Werkes wird. Als spielender Teilnehmer, der den Text manipuliert, übernimmt der User einen Teil der Verantwortung für die Entwicklung der Cybertexthandlung.“55

Der Unterschied liegt in den Konstruktionskriterien beider Systeme: während Hypertext auf einem Knoten-Link-Modell beruht, geht der Cybertext auf KI-Dialogprogramme und Computerspiele zurück. Es sind Weiterentwicklungen von KI-Systemen, die komplexere und flexiblere Interaktionsmodelle erzeugen. In ihnen sind die Vorstellungen Vannevar Bushs, einen dynamischen Hypertext zu entwickeln, umgesetzt. Bei dieser Form des „Cybertextes“, der den Einwänden gegen die eingeschränkte Freiheit der Interaktion begegnet, steht dem Nutzer, der interaktiven Geschichte und den Charakteren oder Objekten noch ein Plot-Modell zur Seite, eine Art „interner Beobachter oder ‚drama manager‘“.56 Der Hypertextleser im weniger elaborierten System folgt durch explizite Inputs vorgegebenen Links oder Verweisen und kann die 53 Eine detaillierte Darstellung dieser Entwicklung findet sich in Michael Friedewald: Der Computer als Werkzeug und Medium. Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers. Berlin, Diepholz: GNT-Verlag 1999. 54 Espen J. Aarseth: Cybertext. Perspectives on Ergodic Literature. Baltimore: Johns Hopkins University Press 1997. 55 Claudia Giannetti: Ästhetik des Digitalen. Wien New York: Springer Verlag 2004, S.125. 56 Ebd. S. 126. 122

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Datei nicht verändern oder erweitern. Man kann dies als statischen Hypertext bezeichnen. Der Autor beziehungsweise Programmierer des Hypertextes behält die Kontrolle über die Inhalte, solange keine Möglichkeit vorgesehen ist, von Seiten der Nutzer Material hinzuzufügen.57

Kategorien und Elemente des Erzählens in digitalen Medien Im nächsten Schritt folgt die medienanalytische Betrachtung digitaler Medien. Daher stellt sich die Frage nach angemessenen Beschreibungskategorien und Elementen dieser digitalen Erzähltechnik. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, Leitkategorien für diese spezifisch mediale Art der Narration zusammen zu stellen.58 Versteht man das Erzählen von Geschichten als ein menschliches Grundbedürfnis und eine Fähigkeit, die nicht allein auf die verbale Sprache beschränkt ist, so bedient sich Narration einer Zusammensetzung verschiedener Zeichensysteme und kann zwischen diesen changieren. Damit erstellt die Narration einen ihr eigenen, ästhetisch gestalteten Erzählkosmos. Die Analyse kann sich der Provenienz einzelner spezifischer Codes und Zeichensysteme widmen und deren gegenseitige Kontextualisierung bzw. deren Einschluss ergründen, um Funktionen in Bedeutungskonstruktionen des Nutzers näher zu kommen. Die zu beobachtenden Zeichensysteme digitaler Erzählungen auf der Ebene der Darstellung beinhalten neben Musik, Sprache, Bild, Grafik, Bewegtbild und Text auch mediale und Selbst-Referenzen. Als ein Beispiel der Programmierung medialer Kommunikation zwischen dem Rezipienten und dem Medienangebot sei an dieser Stelle das filmische Genre erwähnt. Zunächst handelt es sich bei dem Begriff des filmischen Genre um ein in den 30er Jahren vom 57 Dies ist nur bei online-Anbindungen durchführbar. Vgl. hierzu die Arbeit Imaginary Hotel von Andrea Zapp, die Installation und Internet verbindet (siehe http://www.azapp.de/hot/01.html, 17.03.2005). 58 Dabei muss noch einmal hervorgehoben werden, dass Kategorien für die Breite der Formen digitaler Medien(-Kunst) zwangsläufig Unschärfen mit sich bringen, wenn man Webanwendungen und computerbasierte Performances miteinander vergleichen wollte. 123

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Studio System Hollywoods ausgebildetes Produktionskonzept, das dazu angelegt war, durch Standardisierung von Filmen Produktionskosten zu senken, den Absatz zu stabilisieren und damit ökonomischen Erfolg kalkulieren zu können. Für den Zuschauer liefert das Genre Orientierungsmuster, Varianten des Vertrauten und Altbewährten.59 Olaf Schwarz spricht in diesem Kontext von einem „kommunikativen Kontrakt“60, in dem beim Zuschauer Erwartungen geweckt werden und Verstehensprozesse ausgelöst werden, die an bereits gemachte Rezeptionserfahrungen anknüpfen. Neben diesem produktionsökonomischen Aspekt bezeichnet der Begriff Gruppen von Filmen, die ein Repertoire formaler Konventionen gemeinsam haben. Dabei erklärt die Art der Geschichte, die im Rezeptionskontext deklariert wird61, die Bedeutung einer Erzählung. Dies geschieht durch die Modellierung der Erzählstruktur inklusive der symbolischen Systeme, des erzählerischen Rahmens und des Figurenrepertoires. Die Handlungsstruktur einer Tragödie bestimmt die Art der Geschichte, sie setzt sie mit einer bestimmten Erklärung gleich. Es gibt sowohl auf Seiten der Produktion als auch auf Seiten der Rezeption ein kulturelles Bewusstsein über Genre.62 Der Nutzer digitaler Erzählungen muss eine allgemeine Vorstellung von der Art der Geschichten mitbringen, um diese zu finden bzw. zu konstruieren. Er muss eine Vorstellung von der Plotstruktur haben, wenn er

59 David Bordwell: Making Meaning. Inference and Interpretation of Cinema. Cambridge, Mass.: Harvard Press 1989. 60 In Olaf Schwarz: „Genre/Gattungsanalyse“. In: Hans J. Wulff (Hg.): TV-Movies „Made in Germany“. Struktur, Gesellschaftsbild, Kinderund Jugendschutz. Teil 1: Historische, inhaltsanalytische und theoretische Studien. Kiel: Unabhängige Landesanstalt für das Rundfunkwesen (ULR) 2000, S. 135-171. 61 Im vorliegenden Kontext liefert diesen Zusammenhang in jeweils unterschiedlichen Bezügen der Klappentext, Ausstellungs- oder Webkontext. Darüber hinaus findet sich bei einem digitalen Erzählsystem häufig eine breit angelegte Einführung, um den Nutzer mit der Umgebung und der Navigation vertraut zu machen. 62 Die Genre unterliegen selbstverständlich historischen Verschiebungen und Wandlungen. Im postmodernen und postklassischen Kino werden Genremerkmale spielerisch beziehungsweise zitathaft verwendet. 124

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der Geschichte eine formale Kohärenz geben will63, und braucht sie als Motivation für sein weiteres Handeln. Die Struktur des medialen Textes, seine Form, gibt dem vorhandenen Material durch eine spezifische Anordnung Zusammenhalt. Diese Inszenierung des zu Zeigenden macht den Charakter der Erzählung aus und ist für die Kohärenzbildung maßgeblich.64 Das dramaturgische Konzept eines medialen Textes beinhaltet oftmals eine durch Anfang und Ende gekennzeichnete Geschlossenheit. Dies impliziert, dass alle Elemente und alle einzelnen Formen der Erzählung einen funktionalen Bezug zueinander haben.

Abb. 32 und 33: Flaschenhals- und Sackgassen-Struktur Bei als „offen“ bestimmbaren Formen65 der Erzählung gibt es kleinere dramaturgische Bögen, einzelne Episoden. Es kann sein, dass das Ende offen ist oder einige Fragen unbeantwortet bleiben. Ist das Lesen eines medialen Textes immer linear, so ermöglichen variable Strukturen unterschiedliche Lesarten – und dies macht ein Charakteristikum des digitalen Erzählens aus. Es handelt sich um „Schich-

63 Zur Schaffung von Kohärenz siehe ausführlich Abschnitt 7 dieses Kapitels. 64 Knut Hickethier: Einführung in die Medienwissenschaft. Stuttgart: Metzler Verlag 2003, Kapitel 8: Inszenierung, Narration und Fiktion, S. 122-142. 65 Im Sinne des „offenen Kunstwerks“ bei Umberto Eco: Das offene Kunstwerk. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1973 und Lector in Fabula. München, Wien: Carl Hanser Verlag 1987. 125

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ten“, die sowohl auf horizontaler, als auch auf vertikaler Ebene angelegt sein können.

Abb. 34: Paralleler Fluss-Struktur mit 3 Pfaden In diesen variablen Strukturen können Erzählelemente angeordnet sein, die der Nutzer durchlaufen kann oder muss: Verzweigungen, Pflichtpfade, Flaschenhalsstrukturen, Sackgassen, Verzweigungen mit Barrieren, paralleler Fluss – um nur einige zu nennen.66

Abb 35: Pflichtpfad-Struktur (nur ein Weg ist zulässig)

66 Jan Christoph Meister untersucht in dem Forschungsprojekt Story Generator Algorithmen Stärken und Schwächen der rechnergestützten Modellierung narrativer Funktionen. Er stellte dies u.a. auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft am 6.Oktober 2005 in Hamburg vor. Weitere Informationen unter http://www.rrz. uni-hamburg.de/story-generators/index_en.html. 126

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Es ist bekannt, dass der Nutzer nicht gänzlich frei in seiner Wahl der Handlung ist. Diese Freiheit ist gesteuert von der Programmierung, der Datenbank und einer Vielzahl von sehr ausdifferenzierten PlotModellen für ein Repertoire von möglichen Handlungen.

Abb. 36: Engines einer digitalen Geschichte auf 4 Ebenen Die vorhergehende Abbildung veranschaulicht als Beispiel eine Erzählplattform, welche die Darstellung einer Situation in verschiedenen denkbaren Versionen zulässt und auf vier Ebenen mit unterschiedlichen Steuerungen arbeitet. Diese „Handlungsmotoren“ nutzen das in der Datenbank befindliche Material auf unterschiedliche Art: eine Story Engine ermittelt nachfolgende Funktionen aus der aktuellen Funktion einer Handlung (hier im Beispiel bezugnehmend auf die Erzählmodelle von Vladimir Propp67 und Joseph Campell68), eine Scene Action Engine spielt entsprechende Szenen ab, verschiedene Character Conversation Engines agieren auf der Basis von künstlicher Intelligenz und steuern die beteiligten Charaktere. Die Actor Avatar Engines schließlich passen die äußerliche Darstellung des Charakters an. Die nähere Beschäftigung mit den Steuerungsmechanismen einer digitalen Geschichte führt unmittelbar in die Spieleentwicklung und ist ohne tiefere Auseinandersetzung mit Überlegungen zu Kon67 Vladimir Propp: Morphologie des Märchens, Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1975. 68 Joseph Campbell: Hero with a thousand faces. Princeton: University Press 1949. 127

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zepten Künstlicher Intelligenz wenig sinnvoll. Interessant bezüglich der Narrationstheorie, auf die sich das „digital“ oder „interactive storytelling“ bezieht, ist, dass man sich grundsätzlich an der klassischen Dramaturgie, dem Volksmärchen und dem Hollywoodfilm orientiert.69 Auf einer anschaulicheren Ebene angesiedelt ist die dramaturgische Keilstruktur, wie sie Brenda Laurel70 mit den flying wedges, den fliegenden Dreiecken, darstellt. In der klassischen Erzählung grenzt die Dramaturgie die Möglichkeiten immer mehr ein, um schließlich in dem einzigen (mehr oder weniger) denkbaren Punkt zu münden. Beim digitalen Erzählen hingegen birgt die Möglichkeit zur Interaktivität zugleich mehrere Keile, die in unterschiedliche Eckpunkte münden. Die digitale Erzählung kreist in ihrem dramaturgischen Aufbau um Wahrscheinliches, Mögliches und Notwendiges:

Abb. 37: Brenda Laurels „flying wedges“: die Keilstruktur der klassischen Erzählung im Vergleich mit den fliegenden Dreiecken der digitalen Erzählung. Die rhizomatische Struktur dieser Erzählform stellt hohe Anforderungen an die Sinnkonstruktion durch den Rezipienten. Die digitale Erzählung nutzt den Umstand, dass ihn widersprüchliche Aktionen, die keinen Sinn zu ergeben scheinen, anspornen dabei zu bleiben, um zu sehen, was daraus entstehen kann. Voraussetzung hierfür ist die Art der ersten Informationen, die der Rezipient im Kontext der digitalen Erzählung (beispielsweise in Form einer Genreangabe) erhält. 69 Vgl. Ari Hiltunen: Aristoteles in Hollywood. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe Verlag 2001. Joe Lambert und Nina Mullen: Storytelling Cookbook http://www.storycenter.org/memvoice/index.html (14.03.2005), 1999. 70 Brenda Laurel: Computers as Theatre. Boston: Addison Wesley 2000 (10.), S. 70-72. 128

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Ein weiterer Aspekt ist die Behandlung der Zeit auf zunächst zwei unterschiedlichen Ebenen: die erzählte Zeit71 und Erzählzeit. Anders als im Film erwecken die Erzählungen digitaler Medien allein durch das mediale Dispositiv zumeist nicht den Anschein, sich in der Augenblicklichkeit des Jetzt zu ereignen. Es ist dem Nutzer deutlich vor Augen, dass es sich um Formen des Erinnerns handelt. Die Zeitbehandlung in digitalen Medien kann, bedingt durch die Steuerung des Nutzers, über das Abweichen von Erzählzeit und erzählter Zeit, wie es medialem Erzählen zu eigen ist, hinaus gehen. Der Buchleser besitzt Freiheit in Bezug auf die Dauer der Lektüre. Ihm bleibt subjektiv viel Zeit für die Rezeption des Buches. Er kann innehalten und nachdenken, abschweifen, zurückblättern und sich der Zusammenhänge vergewissern. Diese „Freiheit“ hat der Filmzuschauer verloren: Die Dauer der Rezeption ist vorgeschrieben und vereinheitlicht. Er unterliegt dem „Zwang der Formalitäten des Konsums“ 72, ist dem „unprivaten Tempo“73 unterworfen. Die Technik des Videos ermöglicht hier wieder eine teilweise Rückeroberung: der Videofilm wird zugreifbar, lässt sich anhalten, vorspulen, zurückspulen, ein Standbild kann betrachtet werden. Bei der digitalen Erzählung ist die Erzählzeit ebenfalls nicht in erster Linie vom Erzähler abhängig, sondern vom Nutzer selbst kontrolliert. Je nach programmiertem System und hypertextueller Struktur bestimmen die Möglichkeiten des Eingreifens in die Geschichte die Manipulation der Erzählzeit. Für die Anordnung – die Struktur im Einzelnen – und den Umfang derselben ist der Nutzer verantwortlich. Dies gestaltet die Systematisierung nach klassischen Ansätzen schwierig. Wie beim Video bietet das digitale Erzählen die Möglichkeit, den Nutzer über die Wiederholungsanzahl von Ereignissen und deren Erzählung selbst entscheiden zu lassen. Es wird deutlich, dass die Kategorie der Zeit einmal mehr aus den Fugen gerät: es ist nicht ohne weiteres möglich, Ereignisse einer Hypernarration in eine Chronologie einzufügen. Ein komplettes 71 Die Raffung von Zeit als eine Technik des Erzählens oder die Dehnung der Zeit zur Verstärkung von Spannung, um nur zwei Beispiele zu nennen. 72 Reinhard Baumgart: Aussichten des Romans. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1966, S.38. 73 Alfred Estermann: Die Verfilmung literarischer Werke. Bonn: Bouvier, 1965, S. 349. 129

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Durchbrechen erzählerischer Linearität birgt immer auch die Gefahr der Überforderung des Rezipienten. Doch dieser hat in seiner reichhaltigen Mediensozialisation schon einige Formen habitualisiert:

Abb. 38: Mögliche Zeitstrukturen Die narrative Anachronie stellt Ereignisse nicht in zeitlicher Reihenfolge dar, bei der Analepse wird ein Geschehen nachträglich aufgeführt, bei der Prolepse ein zukünftiges Geschehen vorweggenommen. Das ‚digital Storytelling‘ bietet die Möglichkeit, die zeitliche Abfolge der Geschehnisse dem Rezipienten zu überlassen. Dabei kann es beispielsweise zu folgenden bereits traditionellen Anordnungsmöglichkeiten und deren Kombinationen kommen. Zudem ermöglicht die digitale Technik weitere Ausprägungen der Erzählgeschwindigkeit: Bullet Time74 (besonders im Spielbereich) stellt eine Sonderform zeitdehnenden Erzählens dar. Beim Computerspiel Max Payne (2001) wird im Modus Bullet Time die Handlungszeitachse der Erzählung extrem verlangsamt, so dass der Spieler die Möglichkeit (und die Zeit) erlangt zu handeln. Bereits sehr früh ist Bullet Time im Actionfilm Kill and kill again (1981) 74 Der Terminus „Bullet Time“ ist ein eingetragenes Warenzeichen von Warner Bros. (Distributor von Matrix). 130

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eingesetzt worden. Der Spezialeffekt einer sehr schnellen Kamerafahrt bei extremer Zeitlupe wurde durch den Film Matrix (1999) populär, in dem er mehrfach verwendet wurde.75 Eine Konsequenz der mit dem Video vergleichbaren Zeitsteuerung durch den Nutzer ist die Möglichkeit, sich ein Ereignis immer wieder und wieder erzählen zu lassen. Diese Schleife suggeriert, es gäbe keinen Anfang und kein Ende, nur endlose Wiederholungen. Filmisch wird dieses Mittel in Groundhog Day (1993) und Lola rennt (1999) eingesetzt.76 Lola rennt verwendet die in der Programmierung grundlegende und durch das Computerspiel populär gewordene „Wenn – dann“-Schleife, um ein Thema drei Mal inhaltlich zu variieren.

Interaktivität, Spiel und Gemeinschaft Es dürfte deutlich geworden sein, dass der Prozesshaftigkeit in der digitalen Narration eine grundlegende Rolle zukommt. Der Nutzer selbst muss als dramatisch handelnde Person angesehen werden. Das Konzept der Interaktivität steht einerseits der Materialität und dem Wunsch der abschließenden Vollendung eines Werkes entgegen, erfordert aber andererseits eine kontingente Werkstruktur, um implizite oder explizite Interaktion zuzulassen. Daher erscheint es wenig sinnvoll, über die basale Grundstruktur hinaus die in dem jeweiligen Werk angelegten einzelnen Möglichkeiten in Form der Linkstruktur nachzeichnen zu wollen. Die Funktion der hier vorzufindenden medialen Ästhetik liegt in ihrer Fähigkeit, einen Dialog mit Nutzer und Nutzergemeinschaften zu initiieren, der emotionale Aspekte genauso betreffen kann wie konzeptuelle. Schließlich wird Interaktivität durch die Vernetzung von Millionen angeschlossener Nutzer im Internet wieder eine zwischenmenschliche Interaktion. Insofern ist die Diskursfunktion und Modellhaftigkeit für gesellschaftliche Beteiligung in diesen Formen nicht zu unterschätzen. Der Nutzer selbst kann darüber hinaus sein eigenes Denken, Handeln und Entscheiden hinterfragen (siehe die 75 In dem beispielsweise in extremer Zeitlupe gezeigt wird, wie die Kugeln die Luftströme zerteilen und der Protagonist ihnen ausweichen kann. 76 Unterschiedliche Varianten einer Handlung hingegen sind bereits Filmen wie Rashomon (Akira Kurosawa 1950) zugrunde gelegt. 131

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Arbeiten von Lynn Hershman77) sowie sich als „Möglichkeitsform“ erproben, die in permanentem Wechsel begriffen ist und sich immer wieder neu manifestiert. Das „virtualisierte Subjekt“ dient dann als Identitätsentwurf.78 Die Frage nach der Gemeinschaftskonstitution und spielerischen Erprobungen führt dazu, den Fokus auf das Spiel, das im Kontext digitaler Medien nicht unwichtig ist, zu richten. Im Spiel findet eine Interaktion mit anderen statt: „Spielen stellt eine Entlastungs- und Verarbeitungsform dar, die Menschen erproben und erfahren sich und die anderen. Beim Spiel gibt es nur Mitspielende: Das Spiel erfüllt sich im Spiel selbst. Gleichzeitig erfüllt das Spiel auch Funktionen: für das eigene Selbstverständnis und die Kenntnis der eigenen Person, für die Orientierung im zwischenmenschlichen Miteinander und in der Umwelt.“79

Die Funktionsprinzipien des Computers implizieren, dass die Mitwirkung des Rezipienten nicht nur strukturell, sondern auch funktionell machbar wurde. Die Entwicklungsgeschichte der E-Games80 ist deutlich mit vorhandenen Interfaces und Formen der Interaktion verbunden: die Linie reicht von Textadventures der 70er Jahre, über Grafikadventures Anfang der 90er Jahre, die starke Anleihen an der filmischen Ästhetik machten, bis hin zur Schaffung virtueller Räumlichkeiten und Interfaces, die Rückwirkungen der Nutzer-Realität bewirken oder dies suggerieren.81 In einem Großteil der Spiele folgt 77 Wie Deep Contact: The First Interactive Sexual Fantasy Videodisc (1984-89), bei der der Nutzer aufgefordert ist, die auf dem Bildschirm präsente Protagonistin zu berühren. 78 Siehe hierzu Anke Bahl: Zwischen On- und Offline: Identität und Selbstdarstellung im Internet. München: KoPäd Verlag 2002 (2) und Sherry Turkle: Life on the Screen: Identity in the Age of the Internet. New York: Simon and Schuster, 1995. 79 Hickethier, a.a.O., S. 126. 80 Die Bezeichnung E-Games fasst die Bereiche Telespiel, Videospiel und Computerspiel sowie neuere Erscheinungsformen zusammen. 81 Dies ist soll kurz an zwei Beispielen (unter Hinweis auf Kapitel II) ausgeführt werden: Im Laufe des Spiels Metal Gear Solid (Konami, 1998 für Sony Playstation) kommt der Nutzer im Spiel nur voran, wenn er in der realen Welt an seiner Konsole das Joypad am zweiten Anschlussport anschließt. Der virtuelle Konflikt wirkt in die reale Welt hinein. Das Interface selbst wird als aktiver Handlungsraum genutzt. Das Horror-Adventure Eternal Darkness (Nintendo, 2000) verfügt über eine Messleiste für den Geisteszustand des Prota132

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der Spieler einer Aneinanderreihung von Räumen, bei denen jeder Raum, betrachtbar aus unterschiedlichen Perspektiven, eine kleine Geschichte erzählt. Das Computerspiel-Vergnügen macht im Vergleich zu anderen Medien82– und Spielformen aus, dass der Benutzer selbst zum Protagonisten wird.83 Der Erfolg des Spiels ist abhängig von der eigenen Initiative, Ideen, Mut und der Fähigkeit, neue Fertigkeiten im Umgang mit der Technologie zu erlernen84, unter Zeitdruck Rätsel zu lösen, die nicht zu schwierig (frustrierend) und nicht zu langweilig (reizlos) konzipiert sind. Das Tempo der Erzählung wird durch die Erkenntnisse des Spielers gesteuert. Die kurze Erwähnung des weiten Gebietes der Computerspiele85 sollte aufzeigen, dass eine Auseinandersetzung mit narrativen Strukturen unter Beteiligung der Nutzer und kommunikativen Angeboten auf diesem Feld stattfindet.

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gonisten. Sinkt dieser, beginnt er zu halluzinieren: Türen verschwinden, er zerfällt – nach kurzer Zeit ist der Ursprungszustand wieder hergestellt. Dies wirkt sich auch in der realen Welt aus: Interface und Speichermenü spielen verrückt, ergänzt durch Sound-Effekte wie ein klingelndes Handy und ansteigende Fernseher-Lautstärke. Umsetzungen von Computerspielen in Filme haben sich als wenig erfolgreich erwiesen. Populäre Spiele weisen nicht zwangsläufig für den Film interessante Figuren und Handlung auf. Umgekehrt gibt es zahlreiche erfolglose Versuche, Kinospielfilme und Serien als CDROMs zu vermarkten: es genügt nicht, Film- mit Spielsequenzen zu vermischen. Vgl. Ari Hiltunen: Aristoteles in Hollywood. Bergisch Gladbach: Bastei Lübbe Verlag 2001. Um einige spieltypische Fähigkeiten zu nennen: Das „Trickjumping“ gilt als „Kunstform“ unter Spielern. Dabei lassen gleichzeitig ausgeführtes Springen und Schießen einen höheren Sprung erzielen. Das Auffinden von Programmierlücken und Ausnutzen von „Bugs“ (Fehlern), das Schreiben individueller „Mods“ (Spielevarianten) und vor allen Dingen der Austausch darüber im Web wird von Spielern als Sport betrieben und von der Spiele-Industrie gerne als ausgelagerte Entwicklungsabteilung genutzt. Siehe hierzu beispielsweise: Claus Pias: Computer Spiel Welten. München: Sequenzia Verlag 2002; Mark J.P. Wolf (Hg.): The video game theory reader. New York: Routledge, 2003 und Noah WardripFruin (Hg.) First person: new media as story, performance and game. Cambridge, Mass.: MIT Press 2004. 133

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Beobachtungsgegenstände Die folgenden Beispiele beinhalten multimediale künstlerische Arbeiten, die online oder offline, auf DVD-ROM, CD-ROM oder als Installation existieren. Die untersuchten Arbeiten sind zwar nicht als repräsentativ für die gesamte Bandbreite der Erscheinungsformen computergestützter Kunstwerke zu betrachten, ihre herausragende Bedeutung ist jedoch in der konsequenten Nutzung der Paradigmen digitaler Medien begründet – und dies aus dem Blickwinkel der vergangenen zehn Jahre digitaler Kunst. Implizit oder explizit thematisieren sie die Wahrnehmungskonfigurationen, untersuchen und hinterfragen sie doch überwiegend das Dispositiv, Inhalte, Interfaces, Wahrnehmungsgewohnheiten und – veränderungen in der Medienvermittlung. Sie greifen diese Konstitutionsbedingungen auf und machen sie zum Gegenstand ihrer Gestaltung, aber auch des Diskurses mit dem Nutzer. Es ist wichtig darauf hin zu weisen, dass es den künstlerischen Formen digitaler Medien bislang nicht gelungen ist, eine breite Masse anzusprechen, und die digitale Kunst scheint einem kleinen intellektuellen Zirkel vorbehalten zu sein – was zum Teil der schweren Vermittelbarkeit außerhalb des Präsentationsmediums geschuldet ist. In diesem Abschnitt werden folgende Werke genauer betrachtet: Olia Lialinas My boyfriend came back from the war (1996), eine interaktive Web-Narration, Norman M. Kleins Bleeding Through – Layers of Los Angeles 1920-1986 (2003), bestehend aus einer DVDROM und einem beiliegenden Buch sowie Lev Manovichs Soft Cinema (2002-2005), ursprünglich eine Installation, seit März 2005 auf DVD erhältlich.

Olia Lialina: My boyfriend came back from the war86 Als Leiterin und Kuratorin des alternativen Moskauer Filmfestivals Cine Fantom gestaltete Olia Lialina 1995 zum ersten Mal eine Homepage. 1996 veröffentlichte sie ihre erste künstlerische Internetarbeit: My boyfriend came back from the war gilt heute als Klassiker der Netzkunst. Es handelt sich um eine einfache und überschaubare Arbeit: Bilder und kurze Satzfragmente werden in der Frame-Tech86 URL: http://www.teleportacia.org/war/war.html (14.03.2005). 134

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nik verbunden. Die Darstellung beruht auf Verschachtelung und Aneinanderreihung: manche Frames beinhalten weitere Links, durch deren Anklicken eine neue Schicht sichtbar wird, zum Teil in wiederum geteilten Frames, die sich so mit der Zeit vermehren und immer kleiner werden. Auf der Grundlage des Hypertext und der Modularität entfaltet der Nutzer mit jedem weiteren Klick eine mehrschichtige Erzählung im „Stream of Consciousness“ vor seinem Auge. In einem Interview87 macht Olia Lialina deutlich, dass es sich nicht um eine autobiografische Geschichte handelt. Zwei Fotos (das Paar und die Frau) sind privat entstandene Bilder. Die anderen Bildern stehen nicht etwa mit Kriegsgeschehnissen in Verbindung, sie sind dem Hollywood-Actionfilm Broken Arrow (dt. Operation Broken Arrow, Regie John Woo, 1996) entnommen. Das in schwarz-weiß gehaltene Bildmaterial ist schemenhaft und grobpixelig. Es unterstützt die möglichen Dialoge, in die der Nutzer die prägnanten Satzfragmente zu ordnen trachtet, verleiht ihnen geradezu einen authentischen, dokumentarisch anmutenden Charakter. Die Kürze der Texte verhindert, dass der Nutzer sich im Geflecht der horizontalen und vertikalen Links verliert. Die Faszination der Arbeit hängt mit ihrer Thematik und der Art ihrer Konzeption zusammen. Die Website beginnt mit einer aus zwei Sätzen bestehenden weißen Zeile am oberen rechten Bildrand eines ansonsten schwarzen Bildschirms: „My boyfriend came back from the war. After dinner they left us alone“. Diese Zeile, ihre räumliche Anordnung und die Kennzeichnung durch den Unterstrich als Link, aber auch ihr Inhalt, machen neugierig. Die Sätze legen eine melodramatische Situation nahe, der Nutzer fragt sich, was wohl geschehen sei. Die nach dem Anklicken des Links sichtbar werdenden Bilder suggerieren einen hohen Raum, zeigen einen Mann und eine Frau, die der Nutzer nach der vorhergehenden Zeile für ein Paar hält, in hellem Lichtkegel, die sitzend einander die Rücken zukehren. Ein Link öffnet sich, wenn der Nutzer mit dem Mauszeiger das Paar anklickt. Die Bildschirmfläche ist nun zweigeteilt. Das Fenster blinkt, es scheint ‚aktiv‘ und legt den Eindruck nahe, der Nutzer wohne dem Geschehen als Betrachter durch dieses Fenster bei. Der rechte Bildschirmframe zeigt das Gesicht einer Frau in einer Nahauf-

87 Tilman Baumgärtel: [net.art]Materialien zur Netzkunst. Nürnberg: Verlag für moderne Kunst, 1999, S. 128-135. 135

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nahme. Dieses Gesicht anzuklicken, ist die einzige Option, die der Nutzer an dieser Stelle hat.

Abb. 39: Screenshot Daraufhin findet eine Dreiteilung der Fläche statt. Zwischen das Paar und das Gesicht sind zwei Sätze gerückt: „Where are you?“ „I can’t see you.“. Hier beginnt der Hypertext, denn von nun an gibt es mehrere Möglichkeiten, Links anzuklicken: die Sätze oder das Gesicht. Die Sätze führen zu weiterem Text: „Forget it“.

Abb. 40: Screenshot Das Anklicken des Bildes führt zu einer erneuten Teilung des rechten Bildschirmdrittels und zwei weiteren Aussagen: „So, last time we met when ... And you promised.“ sowie „Look!!!“. „Forget it“ führt zu einer weiteren Frame-Aufspaltung, die einerseits die Zeile „you don’t trust me, i see“, andererseits das Bild von Soldaten vor einem Hubschrauber enthält. Die Vorwurfszeile führt zu einem Text, der durch Aufblinken als bedeutsam kenntlich gemacht ist: „But... it was only once ... Last summer... And if you think… Why I should explain?…Don’t you see?“. Das Prinzip der Aufspaltung wird weiter fortgeführt und hinter den Soldaten verbergen sich weitere Aufteilungen „My mother told 136

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me that you could change“ und „All guys change don’t worry. I’ll help you.“ „You want me?“, eine Uhr zeigt 9.15 Uhr an, nochmals angeklickt 6.25 Uhr. Schließlich erfährt der Nutzer, dass es der Nachbar war. Darauf folgt das Fenster „Don’t kill“, nach dem Anklicken „him“, noch tiefer in der Struktur findet sich „them“. In dem Frame rechts daneben heißt es „Forgive me“. In anderen Fenstern („So, last time we met when... And you promised“) erscheinen Konfliktlösungen: „we will start a new life“, „TOGETHER FOREVER“, „kiss me“ und „will you marry me“. Dieser Teilungs- und Fortsetzungsprozess setzt sich fort, bis ein Zweig in einem schwarzen Fenster endet. Es bleibt dem Nutzer nur, die noch offenen Frames anzuklicken. Irgendwann spalten sich die Frames nicht mehr weiter auf, es erscheint kein neuer Text, alle Felder sind schwarz, bis schließlich nur noch die beiden Bilder auf der linken Seite stehen bleiben. Schweigen.

Abb. 41: Screenshot Das Schlussbild zeigt wieder das voneinander abgewandte Paar und das Fenster, daneben eine Gerüststruktur wie ein Mondrian-Gemälde, unten rechts Olia Lialinas E-Mail-Link und ein Link zum „Museum“. Es mag für die Aussichtslosigkeit der Situation stehen oder für das Verschwinden des Problems und einen Neuanfang, die Kontaktaufnahme zur Künstlerin oder das Betreten des virtuellen Kommunikationsraumes. Die Einstiegszeile der Netzarbeit fordert die Hypothesenbildung des Nutzers heraus. Seine Neugier ist geweckt und wird im weiteren Verlauf immer wieder durch neue Hypothesen gestützt, die in Erwartung und Antizipation des Nachfolgenden aufgestellt werden.

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Verschiedene Lesarten und Interpretationsansätze mögen zu einem unterschiedlichen Interpretationsschluss des Nutzers führen. Die horizontale und vertikale Hypertextstruktur lässt technisch verschiedene Chronologien zu und damit unterschiedliche „Gesprächsverläufe“. Man könnte sich beispielsweise für eine konsequente Lesart von links nach rechts entscheiden, bis zum nächsten Schwarzbild und dann im nächsten Frame weitermachen. So kommt man erst spät zu der Zeile „So, last time we met when... And you promised.“ Dem gegenüber der Technik aufmerksame Nutzer wird aufgefallen sein, dass die jeweils weiterführenden Dateien durchnummeriert sind. Die Zählung legt die Vermutung nahe, es handle sich damit um eine verborgene Linearität. Welches nun die ideale Leserichtung sei, fragt sich der Nutzer. Dass es eine solche nicht gibt, verdeutlicht die angegliederte Linkliste88, die bezeichnenderweise „Museum“ genannt ist und eine kleine Gemeinschaft von Nutzern vereint, die sich intensiv mit dem Werk beschäftigt haben und dort sogar T-Shirts und Bildschirmschoner zum Kunstwerk anbieten. Diese intensive Auseinandersetzung ist dem Ende der Geschichte und der Rezeption geschuldet, die immer wieder die Frage nach der richtigen Lesart aufwerfen. So dokumentiert die Linkliste die Lesarten unterschiedlicher Nutzer in verschiedenen „Neufassungen“ seit 1996 bis heute: in textlicher Niederschrift, als Animation, in Form einer Zeichnung, als FlashVersion und als „blog mix“.

Norman M. Klein: Bleeding Through Layers of Los Angeles

Abb. 42: DVD-Verpackung

Abb. 43: Buch und DVD

88 http://myboyfriendcamebackfromth.ewar.ru (14.03.2005). 138

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Bleeding Through (2003) ist eine von dem amerikanischen Kulturhistoriker Norman M. Klein89 in Zusammenarbeit mit Rosemary Comella90 und Andreas Kratky91 konzipierte interaktive DVDROM. Der DVD liegt eine Novelle bei.92 Beide werden im Konzept als ausdrücklich gleichberechtigt bezeichnet, doch hier soll der DVD Vorrang eingeräumt werden. Über die DVD-ROM hinaus überschneiden sich im beiliegenden Buch geschilderte Ereignisse. Das Setting dieser digitalen Erzählung lässt sich folgendermaßen umreißen: Im Zentrum dieser zu keiner vorgefertigten Lösung kommenden Whodunit-Geschichte steht Molly, die möglicherweise einen Mord vertuscht. DVD und Buch porträtieren das Leben der fiktiven Protagonistin seit den frühen 20ern in einem fünf Quadratkilometer großen Bezirk in der Nähe des Zentrums von Los Angeles. Der Nutzer unternimmt eine Reise durch 66 Jahre Stadt- und lückenhafter persönlicher Geschichte, basierend auf einer fiktiven Dokumentation. In dem Stadtteil Bunker Hill betrieb sie erfolgreich ein Geschäft als Herrenausstatterin. Sie hatte drei Ehemänner, von denen sie einen vielleicht ermordet hat. Die Annäherung an einen Plot findet für den Nutzer über eine komplexe Ansammlung von Materialien statt: Norman Klein erzählt Mollys Geschichte in der ersten Schicht, so wie er sie über Interviews von ihr erfahren habe. Hinzu kommen Bilder zum Stadtteil und dessen Geschichte, Privatfotos, Stadtpläne, Interviews mit Zeitzeugen, erfundene Geschichten, Zeitungsausschnitte, Archivmaterial, Dokumentationsmaterial und Filme. Klein stand unter anderem die umfangreiche Sammlung der University of Southern California zur Verfügung, die dokumentiert, wie die Menschen in den vergangenen rund 60 Jahre lebten: wie man sich kleidete, wo man zum Essen ging und einkaufte, welche Ereignisse die Menschen beschäftigten, wie sie starben und ermordet wurden. Die unterschiedlichen Elemente der Erzählung können 89 University of Southern California. 90 Interface Design, Labyrinth Project am Annenberg Center for Communication, University of Southern California. 91 Programmierung, ZKM Karlsruhe. 92 Kleins Konzept ist frei davon, die Buchform als traditionelle konkurrierende oder gar Mastervorlage einzusetzen. Dennoch erscheint die produktionstechnisch aufwändige Herstellung eines Buches (auch im Falle des Booklets zu Soft Cinema) allein durch den Versuch einer kulturellen Aufwertung der DVD gerechtfertigt. 139

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kurze Filme sein, 360-Grad-Ansichten und animierte Sequenzen, in denen historische und aktuelle Stadtansichten überblendet werden. Letztere veranschaulichen eindrücklich die Veränderungen im Stadtbild von Los Angeles. Karten, seltene frühe Unterhaltungsund Dokumentationsaufnahmen, Interviews mit in die Jahre gekommenen Bewohnern des Viertels und Locations berühmter Szenen aus Filmen, die in diesem Viertel gedreht wurden, wie beispielsweise Roman Polanskis Chinatown (1974)93 werden in einer Bricolag aus historischen Fakten, subjektiven Erinnerungen, persönlichen Geschichten und ethnografischen Betrachtungen zusammengeführt. Hierbei bedient sich die Erzählung der Möglichkeit des computergestützten Datenmanagements. Sie basiert auf der Modularität digitaler Elemente, die in unterschiedlichen, bewusst oder unbewusst gesteuerten Rezeptionsabläufen multiple Lesarten zulassen.

Abb. 44: Materialübersicht eines Abschnitts in der Funktion „Navigator“ Die formale Gestaltung der Erzählung bezieht sich auf das Informationsdesign der Vielschichtigkeit, die beispielsweise im n-tv-Fernsehen Filminformation und Nachrichtentexte sowie Börsenkurse gleichzeitig auf einem Bildschirm anordnen. Der Nutzer navigiert mit Hilfe eines Kontinuums endlos aneinander gefügter Grafiken 93 Aus urheberrechtlichen Gründen konnte Klein keine Original-Filmausschnitte einsetzen, so dass er die Kamerabewegungen am Originalschauplatz ohne Schauspieler nachdrehte. 140

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(Fotografien, Zeitungsausschnitte, Filmstills etc.), das unwillkürlich das Panorama assoziieren lässt. Es handelt sich dabei um eine Art „Scrollbar“, den er vor- oder rückwärts vorüberziehen lassen kann, und in dem er Elemente aktivieren kann (siehe die Abbildung oben). Zudem besteht über dezente Links die Möglichkeit, eine Auflistung der Quellen des Gesamtmaterials zu erhalten: darin sind Angaben über Bibliotheken, Archive und private Sammlungen enthalten. Im Inhaltsverzeichnis erscheinen auf einem vertikalen Balken Kapitelüberschriften in der Anordnung einer Inhaltsangabe oder eines Menüs, welche die Materialien in eine spezifische Ordnung überführen und inhaltliche Unterschiede nahe legen. Die Kapitel folgen nicht Mollys biografischer Zeitleiste, sondern sind in drei Gesamtkomplexe, drei Schichten, aufgeteilt: „The Phantom of a Novel“ (1), „The Writer’s Backstory“ (2) und „Digging Behind the Story and its Locale“ (3). Die Aufteilung erinnert an Film- oder Multimedia-Produktionsprozesse: Anhaltspunkte einer Geschichte sind skizziert, footage ist vorhanden, eine Hintergrundgeschichte, ein historisches und räumliches Setting werden dargestellt.

Abb. 45: Eine Bildschirmseite aus Schicht 1 Die erste Schicht, „The Phantom of a Novel: Seven Moments“, beinhaltet sieben Situationen im Leben der Protagonistin. Diese werden anhand von Interviews, die Molly Norman Klein dem Anschein nach im Jahr 1986 gab, als er für eine Erzählung recherchiert habe, nachvollzogen. Norman Klein selbst übernimmt die Rolle des Er141

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zählers in der ersten „Schicht“ der Erzählung und berichtet, was er in den Interviews von Molly erfahren habe. Er erscheint in einer Videoaufnahme in einem kleinen Filmfenster am oberen linken Bildrand und erzählt die Hintergründe. Der Nutzer kann dieses Fenster ausblenden und sich durch die Scrollbar mit Abbildungen ohne Erzählung hindurchbewegen.

Abb. 46: Überblendung einer historischen und aktuellen Straßenansicht Die Bilder erwecken den Eindruck, als seien es Aufnahmen von Personen und Orten, die in Mollys Leben eine Rolle spielten – auch wenn dies nicht explizit behauptet wird. Frühere Stadtansichten sind mit neueren Aufnahmen überblendet. Frühe Filmaufnahmen erinnern an die räumliche Nähe Hollywoods, Nachrichten und Dokumentationen entwerfen eine historische Skizze der ersten Hälfte des Jahrhunderts, die sich mit Depression, Prohibition und der großen Welle an Immigranten in das Stadtbild einschrieb. Die Materialien der nächsten Schicht, „The Writer’s Backstory“, macht deutlich, wie lücken- und fehlerhaft Mollys Erinnerung ist. Klein legt offen, wie er das vorliegende Material zusammengetragen hat. Er positioniert Mollys Schicksalsschläge zusammen mit Kriminalfällen, die in den 1930er und 1940er Jahren Schlagzeilen machten, und überlässt es dem Nutzer Verknüpfungen herzustellen.

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Schicht drei, „Excavation: Digging behind the Story and its Locale“, bietet große Mengen an recherchierten Hintergrundinformationen: Archivmaterialien, Interviews mit Menschen, die zu Mollys Zeit in dem Stadtviertel gelebt haben, Locations von Film-Morden, die in Los Angeles gedreht wurden, dazu Kartenmaterial von 1920 bis 1986 und Meilensteine in der Stadtentwicklung Los Angeles’, die Molly im Interview nicht erwähnt hat. Sie enthält zudem eine „Lost Section“: der Ausfall zweier Festplatten verursachte den Verlust von Materialien zur heutigen Zeitgeschichte. Dieses Material wird in einer Tabelle aufgelistet. DVD und Buch gleichermaßen behandeln das Leben der Stadt Los Angeles ebenso aufmerksam wie das der Protagonistin. Zeit und Ort spielen eine tragende Rolle: die eklatanten Veränderungen im entsprechenden Stadtviertel sind aus sozialer und historischer Perspektive hervorgehoben. In diesem Viertel wurden die meisten Kinomorde der Welt verübt. Die komplexe ethnografische Realität dieses Bezirks jedoch verschwindet in den filmischen Darstellungen und Legenden, die diesen Stadtteil umranken. Im Hollywood-Film dient er als Setting, ohne einer Repräsentation dieser Stadt gerecht werden zu wollen. Es geht um das Erinnern und das falsche Erinnern. Die Rolle des Stadtraumes Los Angeles94, die Großstadt, ist hier ein wichtiges Element. Los Angeles sieht man im Stadtbild an, dass es einmal anders gewesen sein muss – viele Leerstellen beflügeln die Imagination. Gebäude werden im Laufe der Zeit abgerissen, ethnische Gemeinschaften auseinander gebracht, die sich wieder neu formieren. Auslöschung und Wachstum, die mit dem Stadtbild nachvollziehbar gemacht werden, scheinen mit dem Hindurchdringen der Geschichte der Vergangenheit in die Gegenwart und deren Wechselwirkungen verbunden zu sein.

94 Kleins besonderes Interesse Los Angeles gegenüber kommt auch in seinem Buch The History of Forgetting: Los Angeles and the Erasure of Memory. London, New York: Verso, 1997, zum Ausdruck. Darin zeichnet er unter anderem nach, wie medial vermittelte Vorstellungen von Los Angeles und städtebauliche Veränderungen im Verlauf des letzten Jahrhunderts verschränkt sind. Er legt dar, wie sehr widersprüchliche Stadtplanung auf ökonomischen Interessen, Rassismus und einer vagen Form von Angst basiert. 143

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Abb. 47: Bildschirmseite aus Schicht 1 Der Stadtteil Bunker Hill wird hier als Beispiel für das Auslöschen der Vergangenheit in einer Stadt behandelt. Bei dem Überblenden zwischen zwei Ansichten aus unterschiedlichen Zeiten ist es notwendig, dass die eine Ansicht verschwindet, um die nächste deutlich sehen zu können. Die Stadt bildet den Hintergrund, vor dem die Geschichte stattfindet, aber sie dient auch und außerdem als Metapher für die räumliche Anordnung der Materialien, durch die sich die Nutzer hindurchbewegen, die Tiefenstruktur des Materials. Die Gestaltungsform ist sehr stark mit dem Inhalt des Erinnerns und Vergessens verbunden. Klein betont in einem Interview, „I’m trained as a historian thinking about how people don’t remember properly. As a historian, you are always writing fiction but using fact. Our work is all about the strange trick of mixing the two.“95 Er fährt fort: „We’re a civilization of layers. We no longer think in montage and collage; we multitask in layers more and more. We are more identified with the author than the narrative – just think about watching the director’s commentary on a DVD.“96 Die verschiedenen Schichten („Layer“) durchdringen sich gegenseitig. Die Frage, die den Nutzer leitet, ist: Was ist wirklich passiert? Er versucht, Mollys Rolle aufzudecken. Im Klappentext werden 95 Glen Helfand: „Read Only Memory. A new interactive DVD mines provocative layers of storytelling“, zu finden im Internet unter http://www.sfgate.com (Stand 14.09.2004). 96 Ebd. 144

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DVD-ROM und Buch zusammen wie ein Nachforschungsteam, wie Holmes und Watson, bezeichnet. Der Nutzer selbst muss entscheiden, welchen Pfad er weiter verfolgt, welches Material er begutachtet und welche Schlüsse er daraus zieht. Er konstruiert die Geschichte und hat ausreichend Material zur Hand, um zu unterschiedlichen Lesarten zu gelangen. Dabei wird die Aufmerksamkeit des Nutzers durch die vielzähligen Bögen, die sich über Inhalte und Schichten spannen, herausgefordert. Die Schuld oder das vergossene Blut scheint die einzelnen Schichten zu durchdringen. Die im Datenbank-Material von Bleeding Through angelegte Geschichte setzt sich im Kopf des Nutzers zusammen. Sie entsteht wie ein Palimpsest aus verschiedenen Schichten. Dabei gehören Anteile dieser Schichten nicht nur semantisch zusammen, sondern entstammen auch unterschiedlichen historischen Phasen. Beim Durchqueren geht es weniger um das Freilegen der Tat an sich, als vielmehr um eine Beweisführung aus labyrinthisch angelegten Fragmenten. Neugier und Sehnsucht des Nutzers werden durch die in der Datenbank-Erzählung97 vorhandenen Elemente angesprochen und motivieren ihn, die Schichten weiter zu durchdringen. Die Selektivität seiner Auswahl wird dem Nutzer bewusst gemacht, indem ihm die Elemente nicht betrachteter Menüpunkte verschlossen bleiben. Damit wird die Konstitution von subjektiver Realität anschaulich. Bei der Umsetzung mentaler Prozesse spielt auch das Erinnern eine gewichtige Rolle. Essentiell ist hierbei das nicht-Anwesende, die Leerstellen, wie die lückenhafte Erinnerung Mollys, die nur noch in Fotografien erhaltenen Stadtansichten aus früheren Zeiten und das spurlose Verschwinden des Ehemannes Walt. Die ultimativ richtige Entscheidung und passende Lösung erscheinen nicht als Schlusspunkt der Nutzung dieser DVD-ROM. Zentrales Element ist vielmehr die Aporie, die Unmöglichkeit, eine endgültige Aussage treffen zu können, einen finalen Schluss zu finden.

97 Zur Bedeutung der Datenbank in der Narration später mehr (III 6). 145

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Lev Manovich: Soft Cinema98 Soft Cinema – Die Installation Das Kino stellt, so Manovich99, einen Ausdruck für die Logik des Industriezeitalters dar: die Filmbilder in einheitlicher Größe auf dem Filmstreifen stellt er in den Kontext der Fließbandproduktion. Wie der Produktionsprozess als Aneinanderreihung einfacher und kurzer, repetetiver Handlungen zu verstehen sei, so habe auch das Kino aus einer Abfolge von Einstellungen, die nacheinander auf einer Leinwand projiziert werden, sequenzhafte Erzählungen hervorgebracht. Dabei seien die beiden Schlüsseltechnologien der Industrialisierung, das elektrische Licht und der Motor, für die Entwicklung des Filmprojektors entscheidend gewesen. Daraus ergibt sich die Frage nach dem Kino des Informationszeitalters, nach neuen Produktions- und Distributionsstrukturen, die mit der Schlüsseltechnologie dieser Zeit, dem digitalen Rechner, einhergehen.

Abb. 48: Visualisierung der Datenbank-Organisation Um dieses ästhetische Terrain zu erkunden, orientiert sich Manovichs Soft Cinema-Konzept an den folgenden Grundideen: Der Bildschirm ist in mehrere Frames aufgeteilt. Die Gestaltung des Bildschirmbildes und die Abfolge der Medienelemente in den Frames folgen vom Autor festgelegten Regeln, die in der Soft CinemaSoftware eingeschrieben sind. Diverse Medienelemente, darunter 98 http://www.softcinema.net (Stand 17.03.05). 99 Lev Manovich: The Language of New Media. Cambridge, Mass: MIT Press 2001, Kapitel 5. 146

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Ton, Bild, Grafik, Film, sind in einer Datenbank organisiert, aus der eine unendliche Anzahl unterschiedlichster Filme generiert werden könnte bzw. generiert wird. Das bewegte Bild in Soft Cinema besteht nur zu einem Teil aus Film- bzw. Videomaterial. Hinzu kommen Grafiken, 3D-Animationen, Diagramme und andere. Die Datenbank-Organisation der 425 Videoclips ist ausschnittsweise als dynamisches System in einer Animationssequenz visualisiert (siehe Abbildung 48). Soft Cinema, von Lev Manovich als artist in residence am Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe entwickelt, wurde erstmals in der Ausstellung Future Cinema100 gezeigt. Die Installation besteht aus drei Teilen, in denen jeweils die gleichen Videosequenzen (footage, das Manovich selbst mit der Videokamera gedreht hat) gezeigt werden: Algorithmic Cinema Diese Darstellung kreist um algorithmisch gesteuerten Schnitt. Die Anordnung der Video-Einstellungen wird zum Teil von einem Computerprogramm in Echtzeit ausgewählt: Einstellungen eins und zwei sind beispielsweise vormontiert, Einstellungen drei und vier werden vom Programm aus einem Datenbank-Verzeichnis für diesen Abschnitt möglicher Einstellungen nach einem Skript und festgelegten Regeln ausgewählt. Es folgt wieder eine vormontierte Einstellung und so weiter. Das Programm koordiniert nicht nur die Abfolge der Einstellungen, sondern auch die Anzahl der Fenster, deren Größe und Inhalt. Auf diese Weise ist eine Wiederholung ausgeschlossen. Durch die Programmierung kann auch eine bestimmte inhaltliche Kombination (was soll der Betrachter in welchem Moment sehen können?) festgelegt werden. Den kurzen Videos sind in der Datenbank Stichworte zugeordnet, die sich auf den Ort der Aufnahme, Bildinhalt und ähnliches sowie formalästhetische Angaben wie Bildkomposition oder Farbgebung beziehen und die dem Programm als Orientierungspunkte dienen.

100 16.11.2002-30.03.2003 in Karlsruhe am Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM), anschließend auch in Tokio und Seoul. 147

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Abb. 49: Die Datenbank-Angaben zu den einzelnen Videos (Auszug)

Abb. 50: Übersicht der Videos in der Datenbank (Auszug)

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Macro Cinema Dieser Bereich greift die Ästhetik der multiplen Fenster aus TVSendeformaten und der Computernutzung auf und setzt diese für den Film um: der Bildschirm ist in viele kleine Flächen, sogenannte Frames, aufgeteilt. Manovich verweist in diesem Zusammenhang auf die Gemälde Mondrians.101

Abb. 51 und 52: Beispiele für Flächenaufteilung in Soft Cinema In einem größeren Frame wird eine Videosequenz abgespielt, andere Fenster zeigen Text, Grafiken oder Bilder, die mit der Videosequenz in Zusammenhang stehen. Die Sequenz im großen Fenster läuft mit normaler Geschwindigkeit ab, die Inhalte der kleineren 101 Bereits bei Olia Lialinas Hypertext-Arbeit war die Assoziation mit Mondrians Gitternetzstrukturen auffällig. Mondrian hatte diese abstrakten Kompositionen in den zwanziger Jahren als eine Struktur der Offenheit entwickelt. Das Gitternetz als vorgefertigte Ordnungsstruktur wird torpediert, indem die unterschiedlichen Wechselwirkungen in den Fokus rücken. Ihm ging es um das „interplay of difference“ (Loe Feijs im Aufsatz „Divisions of the Plane by Computer“, Leonardo, Vol. 37, No. 3, S. 217), bei dem jedes Element zum Gesamtzusammenhang beiträgt, ohne dass ein Element dominierend wirkt. Die Komplexität der Beziehungen zwischen den einzelnen Flächen, die zum Teil in Pastelltönen eingefärbt und von schmalen oder breiten Linien getrennt sind, bildeten das Hauptaugenmerk dieser Arbeiten. Diese Beziehungen sind dynamischer Art, aufbauend auf dem fundamentalen Gegensatz zwischen horzontaler und vertikaler Linie. Bei den vorliegenden digitalen Werken wird die Gitternetzstruktur ebenfalls zur Kompositionsfläche für multiple Inhalte. Doch es muss festgestellt werden, dass die Aufmerksamkeit sich auf die Stellen richtet, an denen sich Text oder Bild bewegt bzw. das Element, das von ihm am deutlichsten in Einklang mit dem off-Text zu bringen ist. In Mike Figgis’ Film Timecode (2000), bei dem die Bild- und Toninhalte der viergeteilten Leinwand live gemischt werden, stellt sich ebenso schnell der Effekt ein, dass sich die Aufmerksamkeit auf den Handlungsstrang konzentriert, bei dem Ton und Bild synchron und dominant zu sein scheinen. 149

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Fenster laufen mit unterschiedlichen, wechselnden Geschwindigkeiten, schnell oder langsam.

Abb. 53: Nutzung der Flächen in Soft Cinema Scalable Cinema Diese Form basiert auf dem Prinzip der Variabilität digitaler Medien: ein Video kann in unterschiedlichen Formaten für verschiedene Konfigurationen genutzt werden. Die Videosequenz in diesem Teil der Arbeit wird in drei verschiedenen Versionen angeboten: in Fernsehqualität, in sehr hoher Auflösung und in sehr geringer Auflösung. Alle drei Teile der Installation nutzen drei unterschiedliche Projektionstechniken. Im Konzept spielt das Ausstellungsdesign eine große Rolle. Manovich hat in Zusammenarbeit mit Architekten Entwürfe für verschiedene räumliche Ausstellungsszenarien erstellt: beispielsweise ein kleiner geschlossener Raum, der wie ein Wohnzimmer wirkt, oder ein weiter offener Raum, der nur einen flachen Bildschirm enthält. Die Entwürfe können als Vorschläge oder Versionen für eine spezifische Anordnung des neuen, fluiden Dispositivs gelesen werden, in dem Software gegenwärtig, aber nicht sichtbar ist.

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Abb. 54 und 55: Verschiedene Architektur-Entwürfe für Soft Cinema Soft Cinema – Die DVD Eine andere Ausrichtung wiederum erhält das Soft Cinema-Projekt auf der 2005 erschienenen DVD-Version.102 Da in dem Speichermedium DVD die Echtzeit-Zusammenstellung technisch nicht umsetzbar ist, die bei der Installation jeden Film neu generiert, hat Manovich einen Kompromiss gefunden: Die DVD als statisches Medium enthält mehrere Versionen eines Film und wechselt beim Betrachten zwischen diesen Versionen. Dies hat zur Folge, das bei mehrmaligem Anschauen leichte Veränderungen im Bildschirmaufbau und bei der Kombination der Medienelemente bemerkbar sind.

102 Lev Manovich und Andreas Kratky: Soft Cinema – navigating the database. Cambridge, Mass.: MIT Press 2005. Diese DVD ist ebenfalls – wie die vorhergehende Arbeit von Norman Klein – unter Zusammenarbeit mit Andreas Kratky entstanden. 151

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Viel stärker als in den Versionen der Installation sind für den Betrachter zusammenhängende Geschichten vorzufinden, sie sind an filmische Genre angelehnt und haben einen starken Akzent auf der subjektiven Perspektive eines Protagonisten. Der technische Kontext rückt hier in den Produktions-Hintergrund als Software, die endlos neue Filme kreiert, ohne dass diese sich in der Abfolge und Gestaltung exakt wiederholen würden.

Abb. 56: DVD-Ausgabe Der Film Mission to Earth handelt, soviel ist aus den Film-, Bildund off-Sprecher-Text-Elementen zu erfahren, von der Protagonistin Inga, die vor 20 Jahren als Beobachterin auf die Erde entsandt wurde und sich seitdem hier aufhält. Ihr Heimatplanet Alpha-1 hinkt 20 Jahre hinter der technologischen und kulturellen Entwicklung der Erde hinterher. Vor diesem Hintergrund finden Überlegungen zum Kalten Krieg und zur psychologisch traumatisierenden Position von Immigranten statt. Gleichzeitig sichtbare Fenster zeigen an, was die Protagonistin sieht, denkt und woran sie sich erinnert. Die Gestaltung wird so auch thematisch fortgeführt: es geht um „variable Identität“, darum, parallele Leben zu führen, um die Gespaltenheit zwischen verschiedenen Realitäten (im Leben einer außerirdischen Immigrantin). Das Ende bleibt offen: ihre Mission ist vorüber, aber man erfährt nicht, ob sie auf der Erde bleibt oder zurückkehrt.

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Abb. 57: Screenshot aus Mission to Earth Andreas Kratky gibt zur Grundidee des Films Absences an, er habe die assoziativen Fähigkeiten des Nutzers, aus präsentiertem Material einen sinnvollen Zusammenhang zu konstruieren, nutzen wollen, um eine kohärente Geschichte herzustellen. Dazu wurden der ‚Datenbank-Erkundung‘ zwei unterschiedliche Bildwelten zugrunde gelegt: einerseits idyllisch anmutende Landschaften, andererseits trister Stadtalltag. Sie ist in der Auswahl ihrer filmischen Mittel an den Film Noir angelehnt: die Schwarz-Weiß-Bilder zeigen düstere Impressionen einer Stadt an einem regnerischen Abend. Die durch einen Frame laufenden kurzen Textzeilen lassen vermuten, dass der – nicht sichtbare – Protagonist und Ich-Erzähler die Stadt heute verlassen will. Es ist von einem Freund die Rede, der heute heiratet, es sind Schritte zu hören, urbane und Industrie-Landschaften wechseln mit abstrakten Detailaufnahmen. Als Nutzer fragt man sich, ob er nun die Stadt tatsächlich verlässt oder gerade dabei ist, es sich anders zu überlegen. Am Ende ist ein erhelltes Fenster zu sehen. Bei erneutem Sehen bietet sich ein wieder anderer Kontext: die Erzählung beginnt mit Bäumen und einer Waldlandschaft. Der Text ist identisch. Die Schritte auf der Tonebene scheinen hier durch die Bilder, mit denen sie nun zusammentreffen, Einsamkeit darzustellen. Der Soundtrack folgt den Bildern, indem die visuellen Daten die Syn153

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thetisierung des Tons über die Soft Cinema-Software steuert. Die über die Bilder generierten Tonspuren überlagern sich, da auf der Bildschirmseite ca. drei Bild-Frames erscheinen. Kratky bezeichnet die Software als kreatives Werkzeug103 des Künstlers. Die durch sie gesteuerte Datenbank für Absences ist vom Künstler in Bildeigenschaften sortiert und bietet somit Zugriffsparameter: Kontrast, Helligkeit, Bewegung, Struktur, Differenz zwischen oberem und unterem Bildrand, Differenz zwischen Mitte und Rand, konkreter und abstrakter Inhalt der Bilder. Bei dem Film Texas handelt es sich um eine Datenbank-Arbeit zur globalen Stadt. Eine junge Frau ist in einem chinesischen Restaurant zu sehen, Gespräche und Beobachtungen sind zu hören und/oder zu sehen. Er endet mit den Worten „ein merkwürdiger Geruch breitete sich aus. Dies war das letzte, das sie fühlte.“ Diese Soft Cinema-Erzählung verwendet in den Frames Standbilder, Filmausschnitte, Texteinblendungen, die zeitversetzt mit einer voice-over-Stimme erscheinen, grafische Darstellungen der Datenbank-Erzählung, Störbilder, abstrakte Pixeldarstellungen, einen bewegten Balken (als werde gerade etwas geladen), Töne und Musik. Die Datenbank mit vier Stunden Video- und Bewegtbildern und die Tondatenbank (mit drei Stunden Voice-over-Erzähler und fünf Stunden Musik) sind nach den gleichen zehn Parametern verschlagwortet (Drehort, Länge, Helligkeit, Kontrast, Inhalt, Kameraperspektive,-bewegung und so weiter), so dass die Software über die Nutzung dieser Schlagworte Ton und Bild gleichermaßen steuern kann. Das bedeutet, dass die mit dem Element verbundenen Schlagworte zu einer Verbindung innerhalb der Erzählung führen. Manovich verbindet mit Soft Cinema den Versuch, ein filmisches Erzählen zu entwickeln, das dem ‚Leben zwischen den Schichten‘ entspricht: zwischen Vergangenheit und Zukunft, Ost und West, hier und dort, Stadt und Natur, Leben und Tod. Die simultanen Informationen auf der visuellen und akustischen Ebene fordern die Assoziationen des Betrachters heraus und lassen ihn Zusammenhänge konstruieren – oder laden ihn ein, sich mit der Bewegung der Erzählung treiben zu lassen, gerade ohne einen Sinn suchen zu wollen. Bildinhalte und -bewegungen bauen eine visuelle Informa103 Ebd. Booklet S. 32. 154

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tionsdichte auf, die in der räumlichen Montage104 des Frame-Bildschirms die Aufmerksamkeit und Konzentration des Benutzers spielerisch in ihren Bann zu ziehen scheint. Die Zeit, die dieser für eine Erzählung zu investieren bereit ist, variiert immens: von ca. 8 Sekunden durchschnittlicher Verweildauer vor einem Bild im klassischen Museum105, 15 Sekunden für einen kurzen Werbespot, über den 90minütigen Kinofilm, 40 Stunden durchschnittliche Nutzung eines Computerspiels bis zu Hunderten von Stunden für eine Daily Soap. Die Speicherkapazität der Datenträger lässt nun verschiedene Varianten einer möglichen Erzählung zu. Beschäftigt mit der Konstruktion der ‚idealen‘ Reihenfolge und dem Erkennen von Gesetzmäßigkeiten, ist das mehrmalige Schauen einer solchen DVD für den Rezipienten attraktiv. Ein erheblicher Reiz der Soft Cinema-Filme besteht in der Thematisierung des Produktionsprozesses, der in der Rezeption nur sehr vage nachvollzogen werden kann. Die zugrundeliegenden Metadaten sind zwar für die einfache Rezeption nicht ausschlaggebend, können aber durch die Nutzung der zugehörigen Online-Angebote von Soft Cinema in Erfahrung gebracht werden. Das Werk besteht aus Software und Datenbankinhalten wie Grafiken, Animationen und Filmsequenzen. Es thematisiert Bildschirmästhetik sowie Wahrnehmungsfigurationen der Gegenwart. Die Arbeit ist nicht interaktiv, sie ist durch den Programmdurchlauf endlos variabel und zeigt nicht zwei Mal dasselbe. Die Interaktivität liegt hier zwischen Programm und Datenbank. Dieser Aspekt der Arbeit verstärkt noch einmal auf eine andere Art als in Layers of Los Angeles den Eindruck digitaler Erzählungen, dass sich diese in der Interaktion neu konstruiert. Im Falle von Soft Cinema geschieht dies vorrangig in der Interaktion zwischen Erzählfragmenten der Datenbank und der Software.

104 Die Frame-Inhalte wechseln abrupt, es gibt keine Überblendungen oder Auflösungen. Die zeitliche Montage ist ersetzt durch die softwaregesteuerte Suche innerhalb der Datenbank. Was hier als räumliche Montage bezeichnet wird, bezieht sich vielmehr auf die Gleichzeitigkeit der Bilder auf dem Bildschirm. 105 Aus: Axel Wirths: „Ort und Raum“, in: Der elektronische Raum – 15 Positionen zur Medienkunst. Ostfildern: Verlag Cantz, 1998, S. 12. 155

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Bei den vorgestellten Arbeiten handelt es sich allesamt um interaktive künstlerische Formen, die über einen Zeitraum von 10 Jahren hinweg digitale Medien als Erzählmedium nutzen. Es findet eine unterschiedlich gestaltete und nutzergesteuerte Zusammenfügung von Text, Bild, Bewegtbild und Ton statt. Layers of Los Angeles und My boyfriend erschließen sich dem Betrachter nur durch aktive Teilnahme innerhalb des überwiegend durch das in Kapitel II untersuchten medialen Dispositivs. Er bestimmt den weiteren Verlauf der Rezeption innerhalb der vom Künstler angelegten Möglichkeiten. Der Nutzer dieser Erzählungen bewegt sich „streunend“ durch das Material und durchdringt die angelegten Schichten der Erzählungen. Die Datenbank-Struktur und ihre Software-Steuerung können prinzipiell so gestaltet sein, dass sie, Sergei Eisensteins Montagetheorie weiterverfolgend, Elemente kontrastierend gegenüberstellt oder, Jean-Luc Godards filmischer Praxis entsprechend, disjunktiv mit Erzählmaterial umgeht, d.h. es als bewusst getrennte Versatzstücke einer offensichtlich zusammengehörigen Einheit organisiert. Die Interaktion mit den angebotenen Erzählfragmenten innerhalb der Struktur und dem Kontext der Erzählung ist Teil des Sinnbildungsprozesses des Nutzers. Die als „offen“ zu bestimmenden Werke sind den poststrukturalistischen Ideen unendlicher Auslegungs-Möglichkeiten und der Skepsis gegen feststehende Wahrheiten verpflichtet. Auch die in den Arbeiten vermittelten kulturellen Zeit- und Raumstrukturen sind Teil der durch die Medien erfolgende Subjektkonstitution. Sie prägen den Eindruck, den der Rezipient von der Welt und vom Menschen erhält. Für die dargelegten Beispiele lässt sich dahingehend sagen, dass sie nicht eine alternative Weltsicht präsentieren, sondern vielmehr das Feld dafür bereitstellen, um den Bedeutungsprozess transparent zu machen, aus dem eine Weltsicht entsteht. Die Erzählelemente und/oder Datenbankinhalte beinhalten die Möglichkeit von Sinn, aber auch dessen Durchkreuzung und Subversion. Sie bieten dem Nutzer spielerisch Untersuchungsfelder zu verschiedenen Möglichkeiten der Bedeutungskonstruktion und zur Generierung von Bedeutungszusammenhängen, ohne dass dieser zugleich in einem Taumel beliebiger Interpretationen unterzugehen droht. Félix Guattari und Gilles Deleuze konstatieren in Rhizom (1992), dass die Konzepte der neuen Medienwirklichkeit der Vielheit der Denkmodelle verpflichtet sind. Geflechte und Gewebe –

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Rhizome106 – seien als Gegenentwürfe zu überalterten Relationsgefügen und als metaphysische Forderungen nach der Umdeutung der Aussagenproduktion zu verstehen. In diesem Sinne sind die Arbeiten der Medienkunst als Studien zu Präsentations- und Verstehenskonventionen lesbar. Sie implizieren einen Nutzer, der in der Lage und bereit ist, sich aktiv an der Konstruktion der Erzählung zu beteiligen und durch die Verknüpfung von Erzählfragmenten Bedeutung entstehen zu lassen. Dies bedarf der Medienkompetenz des Nutzers: das Verständnis der Konstruktion einer Erzählung ist notwendig, um diese im Kontext der Medienkunst anwenden zu können. Einer völligen Beliebigkeit steht die Lenkung der Sinnkonstruktion durch die Anlage von Interaktionswegen in der Datenbank, die Auswahl der Erzählfragmente und die Kontextualisierung der Interaktion durch das Interface entgegen. Im Folgenden steht die Datenbank-Erzählung im Mittelpunkt, um sich die Bedingungen solchen digitalen Erzählens genauer anzusehen. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie wichtig nun Kohärenz und damit auch Stereotype und Konventionen sind. Zum Abschluss folgt die Darlegung eines zentralen Aspekts digitalen Erzählens: die Rolle des Raumes.

Die Datenbank-Erzählung Datenbanken sind generell dazu angelegt, bestimmte Materialien (Daten) innerhalb einer zumeist großen Menge gesammelter Daten auffindbar zu machen. Diese großen Datenmengen können ebenso aus Sammlungen und Archiven stammen, wie aus Bildungs-, Überwachungs- und anderen denkbaren Kontexten. Die Datenbank selbst liefert keine präfigurierten Ordnungen. Erst durch eine intelligente Zugänglichmachung sind diese Datensätze nutzbar, weshalb sie nach bestimmten Regeln und Merkmalen erfasst, geordnet, gespeichert und abrufbar sind.

106 Der Begriff ‚Rhizom‘ bezeichnet Wurzelstöcke von Staudengewächsen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass es keine Hauptwurzel gibt und nicht jeder Strang auf einen gemeinsamen Ursprung zurück geht, wie dies z.B. in der binär verzweigten grafischen Baumstruktur der Fall ist. 157

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Für einen dynamischen und produktiven Zugriff müssen die Inhalte oder Objekte der Datenbank durch sogenannte Metadaten beschrieben werden. Dieses Verfahren wird in der Musik als „Sampling“ bereits seit einiger Zeit praktiziert und bildet die Grundlage für populär gewordene Formen wie z.B. HipHop. Die Metadaten (Schlüsselbegriffe, keywords oder codes) können vom Computer weiter verarbeitet werden: anhand dieser kann er die Datenbankinhalte finden, verschieben oder verbinden. Der Terminus „Datenbank-Erzählung“ stammt von Lev Manovich107, der die Datenbank als kulturelle Form des digitalen Zeitalters betrachtet, deren Entsprechung im Raum das Archiv darstelle.108 Ausgehend vom modularen Aufbau einer Software – wie etwa der Bildbearbeitungssoftware Photoshop (Adobe) – gelangt Manovich zum Paradigma der Datenbank. Diese Programme enthalten einerseits eine Bibliothek von Möglichkeiten, ein Set manipulierbarer Bestandteile, aber auch eine Ablaufroutine, nach der die Arbeitsschritte vollzogen werden. Der Datenbank-Künstler kann Schrift-, Bild- und Musikcodes in parallel geführten Datensätzen abspeichern und diese auf eine neue Art digital zusammenfügen, komponieren. Diese Datensätze, numerische Repräsentationen, bilden die narrativen Elemente, die kleinsten Erzähleinheiten der Datenbank-Erzählung. Die Datenbank ermöglicht die Kombination von Daten beziehungsweise narrativen Elementen nach zuvor festgelegten Parametern. Der für eine Erzählung essentielle Prozess der Auswahl und Kombination obliegt somit der mit der Datenbank verbundenen Software. Die Transformation einer Datenbank beziehungsweise von Inhalten aus einer Datenbank in eine Erzählung wird durch die Kennzeichnung einiger Ereignisse innerhalb der Datenbank als Eröffnungsmotive, anderer als Schlussmotive und wiederum anderer als Überleitungen bewirkt. Ein Element, das die Form eines Eröffnungsgeschehens annimmt, muss dann bestimmte, für die Software in den Metadaten erkennbare Charakteristika aufweisen. Insofern ist von einem Paradigmenwechsel zu sprechen: es ist nicht so, dass die syntagmatische Ebene eine explizite Narration präsentiert und die paradigmatische Ebene von Optionen (narrative Formen betreffend) nur implizit vorhanden ist, sondern die Wahlmöglichkeiten sind ex107 In Manovich, a.a.O. Siehe auch Joke Brouwer et al.: Making art of databases. Rotterdam: NAI Publishers, 2003. 108 Manovich, a.a.O., S. 218-243. 158

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plizit vorhanden, während die dabei entstehende Narration nur noch implizit existiert.109 Die Datenbank spielt nicht zwangsläufig erkennbare erzählerische Logiken durch, sie kann zufallsgesteuert – je nach Festlegung der Metadaten und der sie steuernden Software – zu Konstellationen und unkonventionellen Kombinationen von Erzählelementen kommen, die jenseits der bewusst kontrollierten Möglichkeiten seitens des Nutzers sind. In The Language of New Media stellt Manovich Narration und Datenbank als zwei konkurrierende Kulturformen gegenüber.110 Die Soft Cinema DVD-Version sowie Norman Kleins Bleeding Through demonstrieren eindrücklich, dass diese Formen im Zusammenspiel eine den Nutzer ergreifende Dynamik entwickeln können. Der Nutzer legt die Mechanismen des Geschichtenerzählens frei. Die Datenbank-Erzählung ermöglicht ihm, zu erproben, wie sehr Auswahl notwendig ist, um eine stringente Geschichte zu erzählen. Mit dem Aufheben der linearen Abfolge werden ideologische Implikationen derselben erahnbar.111 In der Zusammenfügung von Narration und Datenbank verschieben sich Konsum und Macht über die Geschichte auf die Kreation und Rezeption derselben. Das einzelne Element der Datenbank-Erzählung erhält erst im Kontext der Datenbank seinen Sinn. Auffällig ist, dass beim Erlernen der Arbeit am Computer weniger das Erstellen von Dateien, als vielmehr die Kenntnis der Möglichkeiten von Verweisstrukturen und Ablagesystemen von zentraler Bedeutung ist. Besonders bei der Zugänglichmachung multimedialer Datenbank-Objekte in einem gro109 Vgl. S. 231 ebd. 110 Ebd.: „database and narrative are natural enemies“ (S. 225) und „In new media, the database supports [...] a form whose logic is the opposite of the logic of the material form itself – narrative.“ (S. 228). 111 Suggeriert eine Ordnung doch immer auch eine objektive Struktur der Welt, während in jüngerer Zeit, analog zu Erzählstrukturen, variable und provisorische Erklärungsmodelle bevorzugt werden. Gemeint ist hiermit die praktische Erfahrbarkeit der Erzählkritik, wie sie beispielsweise Laura Mulvey im Aufsatz „Visuelle Lust und narratives Kino“ (1973, dt.1980) formuliert, indem sie deutlich macht, dass Frauen meist nur als Objekte im Film in Erscheinung treten. Die anglo-amerikanische feministische Filmtheorie hat anhand der filmsprachlichen Konventionen des Erzählkinos herausgearbeitet, wie diese Bedeutungsproduktionen sowie diskursive Autorität maßgeblich begründen. 159

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ßen Kontext, wie dem Internet, kommt es zur Begegnung mit einer vielfältigen Praxis der Einordnung. Indem die Vernetzung eine dynamische Produktionsstruktur bildet, entsteht eine Potenzierung von Sinn, die im Extremfall wieder in Un-Sinn umkippen kann. Es ist zu beobachten, dass die Softwareindustrie als Reaktion auf die Flut von Informationen bzw. Daten im Internet den Wechsel von HTML zum Semantic Web112 vornimmt. Dies bedeutet den Übergang von einfacher Beschreibung zur strukturellen Komposition, einer Semantik, die sich bislang auf technische Angaben beschränkt (zum Beispiel Dateiformate, Farben), jedoch noch nicht auf inhaltlicher Ebene einsetzbar ist.113 Die Datenbank-Erzählung hat strenggenommen ein offenes Ende und ist grundsätzlich ohne Eröffnungsphase. Sie hat weder Höhepunkte noch Auflösungen und ist endlos fortsetzbar. Der Nutzer übernimmt die Funktion der Welterklärung selbst. Die Wirklichkeits- und Medienerfahrung des Nutzers ist essentiell für das Zusammenfügen der disparaten und dispersen Materialien des Datenbankreservoirs. Das Ziel ist es, eine für ihn schlüssige Welterklärung zu konstruieren, indem die Geschichten, die in den Datenbankelementen verborgen liegen, gefunden, erkannt oder entdeckt werden. Der Benutzer „findet“ seine Geschichte, aber auch die „Erfindung“ spielt eine Rolle. Ein und dasselbe Ereignis kann einen unterschiedlichen Punkt der Geschichte ausmachen: die Er112 Siehe hierzu: Dieter Fensel, James Hendler, Henry Liebermann und Wolfgang Wahlster (Hg.): Spinning the Semantic Web: Bringing the World Wide Web to Its Full Potential. Cambridge, Mass.: MIT Press 2003. 113 Eine solche inhaltliche Kontextualisierung wird in Bezug auf die Bedeutung des Bildes im Science-Fiction-Film Minority Report (Spielberg, 2002) aufgegriffen. „Pre-Cogs“ (in seltsamer Flüssigkeit dahintreibende Wesen mit seherischen Fähigkeiten) produzieren „Gedankenbilder“ zukünftiger krimineller Taten. Diese Bildfragmente nutzt der Fahnder, indem er sie auf dreidimensionalen Bildschirmen mit Bildern realer Orte und Personen abzugleichen versucht, sie damit strukturiert, auf Spuren der Realität hin überprüft und interpretiert. Die Suche nach der Wahrheit ist immer wieder die Suche nach dem richtigen Bild. Eine der Bildlieferantinnen im Film stellt immer wieder die Frage nach der Rezeptionsfähigkeit: „Can you see?“. Während der Spielberg-Film die Erlangung einer neuen Sicht thematisiert, wird der grundlegende Zweifel am Bild und an der Wahrheit der Wahrnehmung angesichts der multiperspektivischen Sicht der Welt in Matrix (Andrew and Larry Wachowski, 1999) konstatiert. 160

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mordung des Abgeordneten kann ein Anfang, ein Ende oder ein Übergangsereignis sein und drei verschiedene Geschichten erzählen. Die Anordnung der Ereignisse (aus einer Datenbank) zu einer Fabel wirft Fragen auf: Was geschah als nächstes? Wie geschah es? Warum ereigneten sich die Dinge so und nicht anders? Wie ging das alles am Schluss aus? Fragen nach möglichen Verbindungen zwischen Ereignissen, die eine (nach-)vollziehbare Geschichte machen; immer der Frage folgend: Worauf läuft das alles hinaus? Was soll das Ganze? Dies führt zum Problem der Kohärenzbildung.

Die Schaffung von Kohärenz Die Datenbank repräsentiert die Welt als Auflistung von Themen. Sie verweigert jegliche Zuordnung und Systematisierung. Der Nutzer der Datenbank-Erzählung wird nicht versuchen, die Gesamtheit des Datenbankinhalts auszulesen, sondern probieren, aus dem vorhandenen Material eine für ihn sinnstiftende und bedeutungsvolle Geschichte hervorzubringen. Die notwendige Kohärenz wird von ihm im Nutzungsprozess geschaffen. Diese Konstellation ist in gewisser Weise durchaus mit der des Lesers im Leseprozess zu vergleichen. Doch die DatenbankErzählung ist nicht durch das Erzählen eines Autors strukturiert, sondern konstituiert sich in der Wechselwirkung mit dem Benutzer. Die Rezeption digitaler Erzählungen ist charakterisiert durch den Prozess des Auf- und Durcharbeitens von medialen (Erzähl-)Fragmenten, ohne einen übergeordneten kohärenten Zusammenhang präsentiert oder (nach-)vollziehbar vor Augen zu haben. Die Pfade des Nutzers verlaufen zwar linear, doch sie werden allein durch das Interesse des Nutzers, seiner Suche nach Ordnungsmustern, gelenkt. Die Narration wird so als dynamisch und fluktuierend erfahren. Sie ist virtuell, nicht re-kapitulierbar114, sie besteht aus dem Folgen von Links, aus dem Durchschreiten des Materials. Sie wird mit ihrer Nutzung aus dem Bereich der Möglichkeiten in die augenblickliche Wirklichkeit geführt. Somit kann die digitale Erzählung als virtuell und aktuell bezeichnet werden. Die Bemühungen des Nutzers gehen dahin, die Fragmente, beziehungsweise Datensätze, nach allgemeinen Kausalgesetzen in Be114 Eine Ausnahme bilden E-Games, bei denen der Spielstand abgespeichert und damit die Nutzungspfade nachvollziehbar gemacht werden können. 161

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ziehung zu bringen, Einheiten in Sinnzusammenhänge zu integrieren, das heißt, einzelne Einheiten in Form von Ursache-Wirkung oder Teil-Ganzem miteinander zu verbinden. Dies ist im Beispiel Soft Cinema anschaulich, wo die Tonebene einen Frame der Bildschirmoberfläche zu kommentieren scheint – wenn der Nutzer dies so lesen möchte. Dabei oszilliert seine Aktivität zwischen Beteiligung und Betrachtung. Die zunächst irritierenden und sich möglicherweise widersprechenden Erzählfragmente der Datenbank bedürfen der Komplettierung und Konsistenzbildung durch den Benutzer. Er wird versucht sein, einen Zustand als „Wenn ... dann“ –Veränderung, als eine Folge von Kausalitäten zu betrachten. Diese internalisierte kulturelle Disposition macht sich die Datenbank-Erzählung zunutze, ohne dass dies explizit ausformuliert wäre. Der Nutzer versucht, wie am Beispiel My Boyfriend came back from the war deutlich wurde, die Ereignisse einer Zeitlichkeit und Kausalität zuzuordnen. Wolfgang Iser spricht vom Leser als einem Punkt im Text, der sich innerhalb des Textgefüges ständig selbst verschiebt. Der Nutzer nimmt in seiner „mäandernden Rezeption“ (siehe Kapitel II) den Habitus vom „wandernden Blickpunkt des Lesers“115 auf und fügt die wahrgenommenen Fragmente in seinem Bewusstsein zu Sinnzusammenhängen höherer Ordnung.116 Er tut dies immer in Erwartung auf Kommendes und im Hinblick auf Erinnertes, das im Fortschreiten der Rezeption Änderungen unterworfen ist, da sich gegebenenfalls die Aufmerksamkeit auf Dinge verschiebt, die noch nicht absehbar waren, als die Erinnerung sich bildete. Der Blickpunkt des Nutzers vereint die in der Datenbank-Narration vorhandenen Perspektiven. Die Möglichkeit der Datenbank-Erzählung, die aus der interaktiven Beteiligung den individuellen Verlauf einer Geschichte konstruieren lässt, löst nicht uneingeschränkte Begeisterung aus: „Die Freiheit wird als Last und als Pflicht empfunden, Entscheidungen treffen zu müssen, die der Lust am hingebungsvollen Konsumieren einer 115 Wolfgang Iser: Der Akt des Lesens. München: Wilhelm Fink Verlag 1976, S. 178. 116 Siehe auch: Karl Ludwig Pfeiffer:“Ich lese, also bin ich (nicht)“. In: Ralf Schnell (Hg.): Wahrnehmung – Kognition – Ästhetik. Bielefeld: Transcript Verlag 2005, S. 213-236. 162

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Geschichte entgegensteht. Im Grunde beruht das erfolgreiche Geschichtenerzählen darauf, dass der Hörer dem Erzähler die Kompetenz und Verantwortung für die Erzählung vollständig überlässt. Der Erzähler stellt die Regeln auf und übernimmt die Gewähr für den Verlauf der Handlung. Eigenverantwortung seitens desjenigen Nutzers, der sich als Leser versteht, wird hier als Frustration erfahren.“117

In der Tat lassen die Vielzahl an Möglichkeiten die Narration nicht greifbar erscheinen. Viele Wege sind zugleich anwesend und abwesend. Der Benutzer ist permanent angehalten, selbst Kategorien zu entwickeln und zu erproben – die Mühe, bekannte Repräsentationsformen wiederfinden zu wollen, führen zu anhaltender Unsicherheit. Durch die fehlende Kohärenz ist das Fragmentarische immer Teil der Narration. Es bleibt beim Nutzer der Eindruck zurück, den falschen Erzählstrang erwischt und die eigentliche Geschichte verpasst zu haben. In der digitalen Narration bedeutet Kohärenz die aktive Konstruktion von Zusammenhängen, die von metatextuellen Instruktionen (neben strukturellen Vorgaben wie Hypertext auch Nutzungsgewohnheiten und mediale Erfahrungen) gelenkt werden. Kann gar keine erkennbare Korrelation gebildet werden, so kommt es zu Irritation, die in Enttäuschung und Resignation, oder aber auch in Interesse und Neugier münden kann. „Alles nur durch ‚und‘ und ‚und‘ verbunden“ schreibt Elisabeth Bishop in dem Gedicht Über 2000 Abbildungen und eine vollständige Konkordanz.118 Zu viele Möglichkeiten ohne erkennbare inhaltliche Anknüpfungspunkte in einem Projekt machen die Auswahl schwierig und entropiebedroht. Der Gefahr völliger Beliebigkeit wirken vorhandene Stereotype119 und mediale Konventionen je117 Slavoj Zizek: „Die Virtualisierung des Herrn“. In: Brigitte Felderer (Hg.): Wunschmaschine Welterfindung. Eine Geschichte der Technikvisionen seit dem 18. Jahrhundert. Wien, New York: Springer Verlag 1996, S. 115. 118 Elisabeth Bishop: Die Farben des Kartographen. Gedichte. Salzburg, Wien, Franfurt/Main: Residenz Verlag 2001, S. 35. 119 Jenseits des pejorativ konnotierten Klischees versteht Peter Wuss in Anlehnung an die kognitive Psychologie unter Stereotyp eine semantische Metastruktur, die einzelne Medienprodukte verbindet und weit über Grenzen des Genres hinausgehen. Sie gewinnen erst durch das Auftreten in größeren Mengen medialer Texte an Kontur. Sie können, längere und intensive filmische Sozialisation vorausgesetzt, als medienspezifisches Vorwissen beim Nutzer angenommen 163

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doch entgegen. Sie nutzen das mediale Vorwissen des Nutzers, sein Regelwissen, die Kenntnis des beständigen Recyclings narrativer Erzählmuster120 und bieten der „Frustrierung der „romanhaften“ Instinkte des Zuschauers“121 Einhalt. Sie profitieren von den Schemata, Prinzipien und Abfolgemustern, die der Nutzer durch den Gebrauch von Medien habitualisiert hat.122 Diese medialen Referenzen können explizit oder implizit in der digitalen Erzählung erscheinen und bei der Organisation von Signifikanz eingesetzt werden. Es ist wahrscheinlich, dass das Interaktionspotential umso größer ist, je konventioneller Versatzstücke der Erzählung sind. Genrekonventionen dienen dann dazu, Übergangswahrscheinlichkeiten zu modellieren und Beliebigkeit zu reduzieren. Deutlich modellierte Bestandteile in Soft Cinema: Texas betreffen die Vorstellung der Chinesin als Protagonistin und den auch bei mehrfacher Nutzung immer gleichen Schluss, der eine Katastrophe vermuten lässt. Bleeding Through liefert das Portrait der alten Dame und setzt uns ins Bild darüber, dass ihr zweiter Mann verschwunden ist und im Stadtviertel maßgebliche Veränderungen stattgefunden haben. werden. Peter Wuss: „Filmische Wahrnehmung und Vorwissen des Zuschauers. Zur Nutzung eines Modells kognitiver Invariantenbildung bei der Filmanalyse“. In: Knut Hickethier und Hartmut Winkler (Hg.): Filmwahrnehmung. Dokumentation der GFF-Tagung 1989. Berlin: Edition Sigma, 1990. S. 67-81. 120 Lev Manovich spricht in diesem Zusammenhang von Transcodierung (siehe Kapitel I Abschnitt Prinzipien digitaler Medien). Beispielsweise werden filmische Gestaltungsmodi wie Lichtgebung, Filmausschnitte, Ton/Bild-Zusammenfügungen, Figurenkonstellation und mehr stereotyp übernommen. 121 Eco 1973, a.a.O., S. 203. 122 Der Historiker Hayden White (Metahistory. Frankfurt/Main: Fischer Taschenbuch Verlag 1994, S. 9-10) hebt hervor, dass Strategien der Darstellung zugleich Strategien der Erklärung sind. Erzählung sei eine Methode, unwahrscheinliche Ereignisse wahrscheinlich zu machen. Das Werk eines Historikers bezeichnet er als eine „Struktur in der Form einer Erzählung“ (ebd. S. 9). Der Historiker hat eine bestimmte Menge von ‚Daten‘“, vergleichbar mit der Datenbank, einen Theoriebegriff zur Erklärung und eine narrative Struktur zur Kontextualisierung einer Ansammlung von Ereignissen. Er unterscheidet drei Strategien, die der Historiker nutzen kann, um den Eindruck einer Erklärung zu erwecken: formale Schlussfolgerungen (argument), Erklärung durch narrative Strukturierung (emplotment) und Erklärung durch ideologische Implikationen. 164

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My Boyfriend arbeitet mit Anleihen aus dem Melodram, Manovich verwendet in seinen Arbeiten Versatzstücke des Film-Noir (beispielsweise in den Stadt-Einstellungen in Absences), biografische Erzählungen und fiktive Dokumentationen lassen sich in den Datensätzen in Bleeding Through und Soft Cinema finden. Die Komplexität und das Ineinandergreifen verschiedener medialer Formen wie beispielsweise in Soft Cinema durch Text, Animation, Bild und Film erfordern beim Rezipenten differenziertes Formenwissen. Bedeutung konstituiert sich allein durch die Fähigkeiten des Nutzers, in der Rezeption seine Kompetenzen einsetzen zu können. Die Komplexität der Datenbank-Erzählung stellt hohe Anforderungen an Imagination und Wahrnehmung, um Plausibilitäten zu erkennen. Aus der Sicht des Nutzers ist der ‚Erfolg‘ abhängig von der erzielten Kohärenz, dem Komplettieren von Unvollendetem, der erhellenden Kraft und der erlebten Lust bei der Entwicklung der individuellen Lesart. Während eine für den Benutzer gelungene interaktive Erzählung diese Kriterien erfüllt, muss dies nach Art des Werkes weiter differenziert werden: so ist es bei einem Projekt im Kontext von Telepräsenz oder Partizipation das (gemeinschaftliche) Erlebnis, das im Mittelpunkt steht. Der Genuss seiner machtvollen Position kann sich für den Nutzer aber ebenso im ungestraften Erproben destruktiver Phantasien manifestieren. Wie gezeigt werden konnte, besteht ein starker Bezug zwischen der digitalen Erzählung und den Mediengewohnheiten, genauer: den medialen Dechiffrierungskompetenzen des Nutzers. Dabei schlagen sich subjektive Präferenzen in der Konsistenzbildung nieder. Mit der Frage „Wie urteilen ohne Maßstäbe?“ dient diese dem Nutzer auch der Anschauung seiner selbst: seiner Wertvorstellungen, Realitätsauffassungen, Urteilsnormen und Weltanschauungen. Er hat die Möglichkeit, sein eigenes Begründungssystem zu erarbeiten. Die eigene Lesart anderen zu kommunizieren – und in Austausch mit anderen darüber zu treten – macht, wie in dem „Museum“ genannten virtuellen Kommunikationsraum von My Boyfriend anschaulich wird, einen weiteren Reiz aus. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die strukturelle Komplexität nicht zwingend auf der inhaltlichen Ebene der Einzel-

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fragmente wiederzufinden ist – was sich als eine Bedingung für ein erfolgreiches Funktionieren der Struktur herausstellt. Die Rezeption der Datenbank-Erzählung als produktiver Akt des Bewusstseins des Rezipienten postuliert einen Modell-Nutzer, der hohen Ansprüche an Aufmerksamkeit, Erinnerungsvermögen, Kompetenz und Interesse genügen muss. Im Rezeptionsakt schließlich entsteht ein Netz von Beziehungsmöglichkeiten. Der Nutzer hat verschiedene (nicht beliebige) Möglichkeiten zur Schließung der textuellen Offenheit erprobt. Dabei ist mit dem Gefundenen auch das nicht-Gefundene, ein Mehr, gemeint. Das heißt, es handelt sich nicht einfach um subjektiv variable Aussagen durch das Zusammenfügen von einzelnen Fragmenten, sondern um Standpunktverhältnisse der Beobachtung.

Möglichkeits-, Handlungs- und Erfahrungsräume Wie bereits im ersten Teil dieses Kapitels herausgestellt wurde, tritt die (temporäre) Sinnfindung im medialen Text an die Stelle der ‚Welterklärung‘. Die digitale Erzählung ist dabei gekennzeichnet durch ein verzweigtes Netzwerk von Erzählelementen, das der Nutzer selbst erschließt. Die Erzählung bedarf somit der aufwändigen Organisation eines ‚Möglichkeitsfeldes‘.123 In diesem Sinne steht die räumliche Orientierung als maßgebliche Konstituente digitaler Erzählungen im Zentrum der Betrachtungen. Die folgenden Ausführungen widmen sich dem Umgang mit und der Definition von Raum, mit seinen formalen, sozialen und urbanen Aspekten. Die alltägliche Computer-Schnittstelle, der Bildschirm, schwankt in seiner Konzeption, wie in Kapitel II beschrieben, zwischen Illusionsraum und Navigationsfeld. Die Metaphernbildung um digitale Medienartefakte kreist um räumliche Beschreibungen, wenn vom ‚Datenraum‘, der ‚Datenautobahn‘124, dem ‚Cyberspace‘ und ‚informational landscapes‘ in den Begriffen ‚map‘, ‚net‘, ‚landscape‘, ‚portal‘, ‚chatroom‘ die Rede ist. Der Raum dient als Metapher für die Navigation und auch die Orientierungsbewegung 123 Eco, 1973, a.a.O, S. 203. 124 Siehe hierzu Weert Canzler, Sabine Helmers und Ute Hoffmann: „Die Datenautobahn – Sinn und Unsinn einer populären Metapher.“ In: Forum Wissenschaft, 12. Jg., Nr. 1, 1995, S. 10-15. 166

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im komplexen Hypertext wird mit dynamischen Raum-Bewegungen konnotiert: ‚stöbern‘, ‚navigieren‘, ‚surfen‘, ‚sich verlieren‘ und viele andere mehr. Der Netzsurfer wird von Lev Manovich gar als Reinkarnation des europäischen Flâneurs des 19. Jahrhunderts und des amerikanischen Eroberers betrachtet.125 Diese Sichtweise findet ihre Bestärkung in der Benennung der ersten populären Browserprogramme: Internet Explorer und Netscape Navigator. Neben dieser metaphorischen Seite ist die im wörtlichen Sinne verstandene interface-gesteuerte Bewegung in Räumen, die digitale Medien herstellen, ein weiteres beachtenswertes Feld. Lev Manovich spricht hier vom „navigable space“.126 Er untersucht die Raumkonzepte verschiedener E-Games und stellt fest, dass in Ego-Shooter-Spielen wie Doom oder explorativen Adventure-Spielen wie Myst das Fortschreiten der Handlung bei allen Genreausprägungen der E-Games durch die Bewegung im Raum stattfindet. Weitere Anwendungsfelder wie Simulationen, die in zahlreichen Berufszweigen zu Ausbildungs- und Trainingszwecken eingesetzt werden, führen ihn zu dem Schluss, den navigierbaren Raum als Paradigma der digitalen Medienkultur zu betrachten.127 Ebenso wie die Datenbank, für die der navigierbare Raum das adäquate Interface bildet, verfügt dieser über eine lange kulturgeschichtliche Tradition128, doch beide scheinen in den digitalen Medien ihre technische Vervollkommnung erreicht zu haben. Um die Bedeutung des Raumes für die digitale Erzählung zu veranschaulichen, erfolgt an dieser Stelle erneut ein kurzer Exkurs in den Bereich der E-Games und der Reise des Spielers.129 Die Topoi des 125 126 127 128

Manovich, a.a.O., S. 273. Ebd. S. 244-285. Ebd. S. 248. An dieser Stelle sei nur auf die Architektur und Mnemotechnik verwiesen. Siehe bei Stefan Goldmann „Statt Totenklage Gedächtnis: Zur Erfindung der Mnemotechnik durch Simonides von Keos“. Poetica 21/1-2, 1989, S. 43-66. 129 Mary Fuller und Henry Jenkins betrachten Nintendo-Spiele als Reiseerzählungen: „[A]ll that matters is staying alive long enough to move between levels, to see what spectacle awaits us on the next screen“. In: Mary Fuller und Henry Jenkins: „Nintendo® and the New World Travel Writing: A Dialogue“. In: Steven G. Jones (Hg.): CyberSociety. Computer mediated Communication and Community. Thousand Oaks (CA): Sage 1995, S. 61. 167

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medialen Erzählens lassen oftmals auf die 1969 in A Hero with Thousand Faces von Mythenforscher Joseph Campbell herausgearbeiteten mythischen Strukturen schließen. Campbells Modell der „Reise des Helden“, in den Bereich des Films rekontextualisiert von Christopher Vogler130, ist im eGame wörtlich zu verstehen. Als Raumerfahrung des Nutzers ist sie von grundlegender Bedeutung: sie kann als eine Art Landkarte eines psychischen bzw. spirituellen Prozesses beschrieben werden. Bei digitalen Erzählungen handelt es sich um eine Reise des ‚Inter-aktinauten‘.131 Was er erfährt, ist die augenblickliche (nicht unbedingt später noch nachvollziehbare) Manifestation der individuell gewählten Route und somit eine im Rahmen der Programmierung individuelle Geschichte.

Abb. 58: Diagramm des Monomythos

130 Christopher Vogler: Die Odyssee des Drehbuchschreibers. Frankfurt/Main: Zweitausendeins, 1997. 131 Für weiterführende Untersuchungen siehe Britta Neitzel: Gespielte Geschichten. Narration und visueller Diskurs in Computerspielen. Münster: LIT Verlag 2005 sowie Evelyne Keitel, Gunter Süß, Randi Gunzenhäuser, Angela Hahn (Hg.): Spielkultur: Stichworte zur kulturwissenschaftlichen Computerspielanalyse. Lengerich: Pabst Science Publishers, 2003. 168

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Der Raumeffekt wird, noch stärker als dies beim Desktop der Fall ist, so inszeniert, als betrete der Nutzer eine weitere Welt – aber eine, die sich gänzlich von der alltäglichen Wirklichkeit unterscheidet, und in der andere Gesetze gelten. So ist es nur konsequent, wenn die Produzenten von Computerspielen wie Myst diese nicht als „Spiel“ bezeichnen, sondern als „narrative environments“. Lösungsanleitungen für Spiele heißen demnach auch „walkthroughs“. Die Erzählung von Actionspielen wie Lara Croft und Max Payne basiert neben den Bild- auch auf Klangräumen: die elaborierte 3D-Technik in Grafik und Ton132 verstärkt den Raumeffekt, das Eintauchen in die virtuelle Raumwelt, und läßt auch die Einschränkungen der Handlungsfreiheit leichter vergessen.133 Für den Nutzer bedeutet dies, dass er diese Welt körperlich – mittels seiner Bildschirm-Repräsentation als Pfeil, Figur oder anderem – erkundet. Nachdem er durch die Genrezugehörigkeit und/oder das Intro des Spiels über die Rahmenfiktion im Bilde ist, wird er mit einem zunächst festgelegten Ziel (etwas zu finden, zu lösen, zu bekämpfen) auf die Reise geschickt. Er betritt den digitalen Erzählraum, agiert dort und verändert damit die vorgefundene Welt. Das Zurücklegen eines Weges bedeutet hier Abenteuer, Mutprobe und Entdeckung. Der Nutzer selbst muss ein Ziel erreichen. Es handelt sich keineswegs um die Entfaltung eines Charakters (in diesem Falle des Protagonisten, das heißt: des Spielers), sondern es geht um die Bewährung des Spieler-Ichs in der vorgefundenen Umgebung. Zahlreiche Zufälle und Hindernisse stellen sich ihm in den Weg. Der Spieler soll sich in diesen Erfahrungsräumen ‚unter Beweis stellen‘. Dabei wandert er durch labyrinthische Räume, die komplex und dynamisch miteinander in Verbindung stehen und ein exploratives Vorgehen herausfordern, um die dieser Welt zugrundeliegenden Regeln zu verstehen.

132 Die Soundeffekte begleiten die grafische Inszenierung und intensivieren diese. So sind im Bullet Time-Modus Atem und Herzschlag zu hören. 133 Analysen der oben genannten Spiele finden sich in: Randy Gunzenhäuser: „Darf ich mitspielen? Literaturwissenschaften und Computerspiele“ http://computerphilologie.uni-muenchen.de/jg00/gunzenh /gunzenh.html (Stand 18.08.2004) und „Raum, Zeit und Körper in Actionspielen: Max Payne“. http://www.dichtung-digital.com/2002 /03-22-Gunzenhaeuser.htm (Stand: 03.03.2005). 169

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Die Rollen von Zuschauer und Darsteller fallen in der Person des Spielers zusammen. Die Perspektive des Nutzers auf diese Welt verändert sich mit jeder Bewegung. Die Vorstellung eines externen Beobachters wurde, wie Florian Rötzer hervorhebt, „nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Kunst immer mehr aufgebrochen“.134 Dies ist in der Aufhebung der Trennung von Beobachter und Beobachtetem in der Person des Users im Spiel besonders deutlich. Damit wird die „Wunschkonstellation“, wie Hartmut Winkler sie nennt135, deutlich, die für das neue Medium so wichtig ist. Darunter ist die Ebene des Begehrens zu verstehen, wie sie in Kapitel II thematisiert wurde, ein auch der Kommunikation und dem literarischen Text entgegengebrachtes Verlangen nach Nähe, nach der Aufhebung der Differenz zwischen dem Ich und dem Gegenüber. Wie Katherine Hayles zeigt, führen die im Computerspiel verhandelten „weichen“, gestaltbaren Körperkonzepte136 auch zu Möglichkeiten ironischer Lesarten und damit zu selbstreflexivem Spielen mit Begehren und Identitäten. In Kapitel I wurde bereits kurz skizziert, dass die ästhetische Konzeption derartiger Erfahrungsräume eine wichtige Konstituente der Medienkunst ausmacht. Der Versuch, die Räume auf den Aspekt des Spiels oder der Geschichte zu reduzieren, so Nick Montfort137, würde der interaktiven Erzählung nicht gerecht. Statt in der Spielforschung und Narrativik sollten Aspekte der Architektur, der künstlichen Intelligenz und der Poesie bei der Analyse interaktiver Artefakte Berücksichtigung finden.138 134 Florian Rötzer: „Aspekte der Spielkultur in der Informationsgesellschaft.“ In: Gianni Vattimo und Wolfgang Welsch (Hg.): Medien – Welten – Wirklichkeiten. München: Wilhelm Fink Verlag 1997, S. 178. 135 Winkler, 1997, a.a.O., S. 11 und Schluß: Strategie im Reich der Wünsche, S. 331-338. 136 N. Katherine Hayles: „The Seduction of Cyberspace“. In: Verena Andermatt Conley (Hg.): Rethinking Technology. Minneapolis: University of Minnesota Press 1993, S. 173-190. 137 Nick Montfort: „Interactive Fiction as ‚Story‘, ‚Game‘, ‚Storygame‘, ‚Novel‘, ...“ in: Noah Wardrip-Fruin (Hg.): First person: new media as story, performance and game. Cambridge, Mass.: MIT Press 2004, S. 316. 138 „So wie Architekten (Tschumi, Droege als zwei Beispiele) sich auch intensiv mit den Inhalten der Kommunikation beschäftigen, so gelangen Künstler aus dem Umfeld der Telematik, Telekommuni170

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Eine inzwischen zum Klassiker der Medienkunst avancierte Arbeit soll diesen Aspekt genauer beleuchten. Die 1988 von Jeffrey Shaw entwickelte und inzwischen zum Bestandteil der Dauerausstellung des Museums „Zentrum für Kunst und Medientechnologie“ (ZKM) in Karlsruhe zählende interaktive Installation The Legible City. Der Nutzer fährt auf einem im Ausstellungsraum fest montierten Fahrrad (=Interface) und vor seinen Augen zieht auf der Bildschirmfläche gemäß seinen Fahrbewegungen und seiner Geschwindigkeit eine virtuelle Stadt vorüber. Vor dem Lenker befindet sich ein kleiner Monitor, der einen Übersichtsplan zeigt. Er kann in Strassen einbiegen und sich seinen Weg durch die Stadt bahnen, die aus Buchstaben und damit wiederum aus Texten besteht. Die Arbeit geht auf eine reale Stadt zurück. Es ist, je nach Konfiguration, New York, Karlsruhe oder Amsterdam. Jeder Buchstabe repräsentiert ein reales Gebäude – der Arbeit liegen die Archivalien der Stadtgeschichte zugrunde. Insofern geht Shaws Arbeit über die reine Kreation eines navigierbaren Raumes – der kein Illusionsraum ist – hinaus: er verbindet damit auch die Forderung nach einer Anbindung an den realen Raum, eine Verbindung zur echten Stadt. Zugleich bietet die Arbeit dadurch, dass sie die gewohnte ästhetische Rezeption durchbricht, Gelegenheit über die Gestaltbarkeit der öffentlichen Umwelt nachzudenken, darüber, was man in ihr tun und erleben möchte. Dieser Bereich, in dem Politik und Kultur zusammentreffen, zeichnet sich in frühen mit Raumkonzepten arbeitenden Netzaktivitäten ab: 1994 wurde das Stadtprojekt De Digitale Stad (Amsterdam) gegründet, wenig später folgten andere Städte, wie beispielsweise die Internationale Stadt Berlin. Diesen Internetadressen bot die Metapher der Stadt den funktionalen Aspekt als Begegnungs- und Kommunikationsort. Man konnte Einwohner dieser virtuellen Stadt werden und dort Informationen erhalten, Ausstellungen besuchen, Leute treffen. Mit diesen Projekten war die Hoffnung verbunden, Rückwirkungen auf den Alltag der realen Stadt zu erzielen und einen neuen Austausch ohne soziale Hindernisse zu fördern, der neue Informationswege hervorbringen sollte. Die Metapher der Stadt sollte die kation, Netzwerke wie Roy Ascott, Fred Forst oder Dan Foresta zu einer ‚Informationsarchitektur‘.“ Jürgen Claus: „Medien – Parks – Labors. Aus der Praxis des elektronischen fin de siècle“. In: Kunstforum, Nr. 97, Nov./Dez. 1988, S. 84. 171

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Gemeinsamkeit des Unterfangens, ohne Notwendigkeit gemeinsam eine virtuelle Welt zu errichten und mit Leben zu füllen, unterstreichen. Sie impliziert einen Kommunikationsort jenseits des Gewöhnlichen, einen Sammelpunkt, einen Ort der Überraschungen, der individuellen Selektion von Kontakten, der Bildung von Gemeinschaften und des – wenn gewünscht – distanzierten Umgangs miteinander.139 Christine Weiske und Ute Hoffmann kommen zu dem Schluss: „Die digitalen Städte exportieren das soziale Muster Stadt in die Netzwelt.“140 Sie formulieren für die weitere Forschungsperspektive: „Im Zentrum der bisherigen Stadtforschung standen sozial heterogene Stadträume. Was bislang fehlt, ist eine Epistemologie materiell heterogener Stadt-Räumlichkeiten und ihrer Bewohner. [...] Der Kern der persönlichen Raumsphäre ist der Leib. Die Grenzen dieser Raumsphäre sind in Bewegung geraten.“141

Der zweckfreien Kommunikation folgte jedoch mit dem kommerziellen Boom des Internet die kommerzielle Nutzung als professionelles Serviceangebot. Über diesen Überlegungen löste sich auch die Internationale Stadt Berlin 1997 auf. Dennoch kann man im Zusammentreffen lokaler und globaler Räume beziehungsweise Strukturen von hybriden Orten oder „Heterotopien“142 sprechen, in denen sich Nutzer als virtuelle Bewohner in Beziehung setzen.143 139 Siehe Christine Weiske und Ute Hoffmann: „Die Erlebniswelt als Stadt“. Informationen zur Raumentwicklung. Heft 6, 1996, S. 370. 140 Ebd. S. 375. 141 Ebd. 142 Laut Wahrig Deutsche Rechtschreibung: „Entstehung von Geweben an falscher Stelle“. Im Gegensatz zur Utopie bezeichnet Foucault im Jahr 1967 damit Gegenplatzierungen, wirksame Orte realisierter Utopien, in denen die wirklichen Orte „repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können“ (Michel Foucault: „Andere Räume“, in: Karlheinz Barck, Peter Gente, Heidi Paris, Stefan Richter (Hg.), Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. Leipzig: Reclam 1990, S. 37). 143 Weitere Überlegungen zur Stadt im Kontext digitaler Medien finden sich in: Florian Rötzer (Hg.): Telepolis. Urbanität im digitalen Zeitalter. Mannheim: Bollmann Verlag 1995 und William J. Mitchell: City of Bits. Space, Place, and the Infobahn. Cambridge (Mass.): MIT Press 1995 sowie Stefan Iglhaut et al. (Hg): Stadt am Netz. Ansichten von Telepolis. Mannheim: Bollmann Verlag 1996. Ebenso 172

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Der aus binären Zeichen und Text geschriebene „Erzähl-“Raum entsteht durch die Bewegung des Nutzers beim Navigieren durch das Datenmaterial, dadurch, dass dieser entscheidet, benutzt, seine individuelle Struktur entwickelt. Es handelt sich damit um einen persönlichen, individuellen Raum, da er von den Nutzerbewegungen – nicht nur seiner Wahrnehmung – geprägt wird. Damit geht es unwillkürlich um eine Neubewertung des Raumes, um Standortbestimmungen, wobei auf bewährte Repräsentationen des Raumes verzichtet wird und es sich stattdessen um einen Raum von Zeichen und Text handelt. Dieser Raum wird nicht imaginiert, sondern (mehr oder weniger ausgeprägt) durch körperliche Bewegungen verursacht und physisch erlebt. Ein wichtiger und herausragender Schwerpunkt der Arbeiten ist die körperliche Erfahrbarkeit, nicht reine Veranschaulichung oder intellektuelle Abstraktion. Dem entspricht der Vorgang der Rezeption als „Surfen“ oder „Browsen“ durch Informationsangebote und Datenmengen, dem nicht unbedingt das zielgerichtete Anvisieren zugrunde liegt. Grahame Weinbren spricht in diesem Zusammenhang vom dynamischen „Ocean of Streams of Story“144, in dem die Nutzerbewegungen zum Vermischen von Erzählsträngen führen. Diese Erlebnisräume sind durchaus in der Tradition immersiver Techniken zu verorten, die, wie Oliver Grau nachgezeichnet hat, in den Bildwelten pompejanischer Wandmalerei beginnen und bis hin zur technisch möglichen Immersion des Betrachters in Virtual Reality-Systemen145 reichen. Diese Steigerung illusionistischer Aspekte mutet an wie die Erfüllung immersiver Holodeck-Fantasien, die Fernsehzuschauer aus der Serie Star Trek kennen. Dies ist jedoch nur ein singulärer Aspekt der interaktiven Erzählung, der auf den Illusionismus abzielt und nicht die allgemeine Zielrichtung darstellt. Neben der Illusion, an einem anderen Ort zu sein, ist das Eingreifen an einem entfernten realen Raum ein weiterer Aspekt bei der Nutzung digitaler Erzählräume. Christoph Rodatz: „Navigieren, Surfen, Flanieren und das Netz“. In: Andreas Lösch et al. (Hg.): Transforming Spaces. The Topological Turn in Technology Studies. 2003. Online-Publikation: http:// www.ifs.tu-darmstadt.de/gradkoll/Publikationen/transformingspace s.html (Stand 10.09.2005). 144 Grahame Weinbren: „In the Ocean of Streams of Story“. In: Millenium Film Journal, No. 28. USA Frühjahr 1995, S. 15-30. 145 Oliver Grau: Virtuelle Kunst in Geschichte und Gegenwart. Visuelle Strategien. Berlin: Reimer Verlag 2001. 173

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Der Rezipient bewegt sich in diesen Räumen, indem er nachfolgende Zustände oder Räumlichkeiten antizipiert. Er stellt sich den Ablauf von Ereignissen oder den Zustand von Dingen vor. Er stellt „Hypothesen über Weltstrukturen“146 auf. Indem er vorherzusehen versucht, was geschehen wird, spekuliert er darüber, was möglich ist. Er nimmt an, dass es Ähnlichkeiten zwischen seiner Alltagswelt und der Erzählwelt gibt, dass hier wie dort die gleichen Gesetze gelten. Der Nutzer bezieht die objektiven Bedingungen, die Regeln dieser Erzählwelt, und seine medialen Erzählkenntnisse sowie seine subjektiven Bedingungen, seine persönlichen Wertvorstellungen, sein Beurteilungsvermögen und so weiter in die – mehr oder weniger unbewusste – (Navigations-)Überlegung ein. Er muss sich also Gedanken machen über das Funktionieren und die Grundlagen dieser Welt. Er kann spielerisch so viele Wege erproben, wie die Software beziehungsweise die Hypertext-Struktur vorgesehen hat. Indem reale und imaginäre Räumlichkeiten und Umgebungen bei der von Performances, Installationen und Websites genutzten technologischen Vernetzung ineinander verwoben werden, entstehen ‚Seins-Räume‘, deren unterschiedliche Ausformungen die Beiträge des Bandes Networked narrative environments as imaginary spaces of being147 beleuchten. Künstler nutzen in diesen Fällen die Bandbreite digitaler Medien, um technische Netzwerke als narrative Räume zu erkunden: Darunter fallen ebenso Software-Kunst, Chat, Online-Theater wie Telepräsenz. Zentrales Thema hierbei ist immer wieder die menschliche Anwesenheit. Net Congestion (2000 von Chameleons 3, Regie: Steve Dixon und Paul Murphy) bringt Live-Theater in den Cyberspace: Den Zuschauern ist es möglich, durch Interaktion in Echtzeit die Performance, die (nur) im Netz stattfindet, zu kreieren. Die Online-Performance basiert auf einer live übertragenen Theaterbühne, auf der Schauspieler mit vorbereiteten Videoprojektionen interagieren. Zugleich haben Webnutzer, die das Live-streaming verfolgen, die Möglichkeit via in den Theaterraum projiziertem Chatfenster Dialoge und Handlungsverläufe vorzuschlagen, die die Schauspieler in Echtzeit umsetzen. Die vorbereitete und die improvisierte Perfor-

146 Eco, 1990, a.a.O., S. 143. 147 Zapp (Hg.), 2004, a.a.O. 174

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mance vermischen sich. Die Schauspieler werden zu Marionetten der Webnutzer.148 Der in diesen Arbeiten entstehende Raum wird von den Autoren des Bandes als ein dritter Raum beschrieben, der sich aus realen und virtuellen Bestandteilen zusammensetzt. Dieser Zwischenraum erlaube das Collagieren von Räumen mit unterschiedlichem Stellenwert (Galerie, Strasse, Bühne, Web) über Netzwerke, die Zeit und Entfernung überwinden. Resultat seien kurzlebige, episodische und nutzerdeterminierte Erzählungen, die gelegentlich das Banale und Ordinäre streifen und von der Faszination der computergestützten Kommunikation zwischen den Mediennutzern zeugen.149 Das Netzwerk wird in den aufgeführten Arbeiten zu einem zentralen Bestandteil des künstlerischen Rüstzeugs erhoben. In allen angeführten Werken ist die Sprache meist wichtiger als das Visuelle. Konstitutive Elemente sind nicht die visuellen oder materiellen Ausdrucksmittel, sondern Links, Austausch, Debatten und Handlungen über Distanzen hinweg.150 Die distanzüberwindende Technik der ans Internet angeschlossenen Webcam ermöglicht den Blick des Betrachters auf Live-Bilder. Das Bild, das die Vorstellung eines entfernten Raumes transportiert, erhält über das Internet eine weitere Qualität: die der Echtzeit. Diese Live-Kamerabilder stehen meist im Kontext von Wetter-, Verkehrsinformationen, als persönliche Webcams mit exhibitionistischem Charakter oder von Überwachungssystemen. Sie heben die Dichotomie zwischen privatem und öffentlichem Raum – ebenso wie einzelne Fernsehformate – auf und kehren die Beobachterperspektiven um. Andrea Zapp erhob dies zum Dreh- und Angelpunkt ihres Online-Kunstprojekts Little Sister (2000)151, die sie als „The World’s First Online Surveillance Soap“ bezeichnet. Es handelt sich um eine 148 Vgl. Steve Dixon: „Adventures in Cyber-theatre (or the Actor’s Fear of the Disembodied Audience)“, ebd. S. 99-121. 149 Auch wenn sich die Dialoge in derartigen technologischen Konstellationen oft auf der „Hallo“-Ebene erschöpfen. 150 Diese Gemeinschaftlichkeit verlangt nach einer Neuprägung des Publikums- bzw. Nutzerbegriffs. Den Aspekten der Partizipation, Kollaboration und Kommunikation zollen die verwendeten Bezeichnungen wie Co-Konspirator, Co-Autor oder spect-actor Tribut. 151 http://www.azapp.de/littlesister/ (Stand 03.10.2005). 175

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Internetseite mit Live-Webcams. Schwarzweißbilder sind auf einer Halbkugel angeordnet, die Überwachungsspiegel an öffentlichen Plätzen assoziieren lässt. Beim Anklicken eines Bildes wird die Bildübertragung der entsprechenden Kamera aktiviert: Straßenecken, Läden, Menschen bei der Arbeit oder in der Wohnung sind zu beobachten und bilden die Erzählfragmente mit denen der, sich angesichts dieser teilweise sehr persönlichen Live-Bilder vielleicht doch etwas unbehaglich fühlenden, Zuschauer operieren kann. Die Website, die mit ihren öffentlichen und privaten Schauplätzen eine Narration ohne Endpunkt bietet, reflektiert die voyeuristischen Ausprägungen der Technologie und greift das Phänomen des RealityTV auf.

Abb. 59: Das Webcam-/Soap-Projekt Little sister Telepräsenz-Projekte152 hingegen nutzen nicht nur den Blick an einen entfernten Ort, sondern auch und vor allem die Präsenz, die Möglichkeit des Agierens an einem entfernten Ort. Telepräsenz bedeutet Manipulation über Distanz hinweg und ist eine Form der Machtausübung des Nutzers. Manovich führt in diesem Zusammen152 Sie sind in der Traditionslinie der Echtzeit-Telekommunikationstechnologien (Telegraf, Telefon, Television) zu verorten und verbinden diese mit Elementen der Robotik sowie der Virtuellen Realität. 176

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hang die „Image Instruments“ an.153 Dabei handelt es sich um Bilder, die für weitere Handlung zugrunde gelegt werden, wie Diagramme, Karten, Röntgenbilder und Radarbilder. Die telematische Kunst ist an der Partizipation, der Einmischung und/oder dem Ausdruck des Nutzers ausgerichtet und demontiert damit das brüchig gewordene Sender-Empfänger-Modell der Massenmedien. Der Nutzer ist, in Arbeiten wie dem Klassiker Telegarden (1996, Ken Goldberg u.a.), nicht nur Beobachter, sondern auch Akteur im beobachteten Geschehen.

Abb. 60: Eine Ansicht des Telegarden Die einbeziehende Teilnahme wird hier für ferngesteuerte Eingriffe über das Internet genutzt und sorgt für das telerobotische Wässern eines Gartens, das der Nutzer über Webcam beobachten kann. Diese kleine Ansammlung realer Pflanzen154 wird gemeinsam von einer sich immer wieder neu formierenden Online-Gemeinschaft versorgt. Neben der distanzüberschreitenden Roboterbedienung steht die Nutzergemeinschaft im Vordergrund des Projekts. Es ist vorgesehen, dass ein Nutzer nach dem einhundertsten Besuch bzw. Wässern die Möglichkeit hat – sofern noch Platz auf dem Areal zur Verfügung steht – den Roboter anweisen zu können, eine neue Pflanze auszusäen.

153 Lev Manovich: The Language of New Media. Cambridge, Mass: MIT Press 2001. S. 167/168. 154 Seit 1996 befindet sich der Garten im Erdgeschoss des Linzer Ars Electronica Centers. 177

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Die Installation Telematic Dreaming (Finnland 1992, Paul Sermon155) geht von zwei Betten an unterschiedlichen Orten (einer Galerie in Lappland und einem Museum in Helsinki) aus, die über ISDN-Telekonferenz-Schaltung miteinander verbunden sind. Der Nutzer im Bett ist zugleich Teil des Systems, das er beobachtet und mit dem er interagiert. Über ISDN-Leitung werden live chromakey-bearbeitete Videobilder miteinander kombiniert und auf die in den beiden Räumen vorhandenen Monitore übertragen. Die räumlich voneinander entfernten Personen können im virtuellen Raum auf dem Monitor miteinander interagieren. Auf diesem Monitorbild sehen sich beide Teilnehmer gemeinsam in einem Bett.

Abb. 61: Fotografie des Installationsaufbaus an einem Ort des Telematic Dreaming Da in dieser Fassung die Tonebene ausgeblendet ist, sind die Benutzer genötigt, mittels Gesten in diesem virtuellen gemeinsamen Bett zu kommunizieren. Die technologisch ermöglichte scheinbare Berührung thematisiert auf ein Neues das Zusammenwirken von Auge und Hand. Der Nutzer ist am zweiten Ort abwesend, handelt jedoch in dem virtuellen Raum, der auf dem Videomonitor gezeigt wird. Das Gefühl potentieller Anwesenheit bei der Teilnahme an einem Telepräsenz-Projekt vergleicht Axel Wirths mit dem „Phantomschmerz eines Amputierten“.156 Die Selbst-Verdoppelung als mediale Repräsentation des Körpers157 (nicht mehr nur die technische Erweiterung des Körpers) ist erforderlich, um die Anwesenheit 155 Weitere telematische Arbeiten sind The tables turned (1997 ZKM Karlsruhe) und There’s no simulation like home (England 1999). 156 Axel Wirths: „Ort und Raum“. In: Der elektronische Raum – 15 Positionen zur Medienkunst. Hg. Kunst- und Ausstellungshalle der BRD GmbH, Bonn. Ostfildern: Cantz Verlag 1998, S. 15. 157 Vergleiche hierzu Jutta Weber und Corinna Bath (Hg.): Turbulente Körper, soziale Maschinen. Opladen: Leske + Budrich, 2003. 178

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des Abwesenden zu inszenieren und zu erzeugen. Es entsteht ein Nebeneinander von Hier und Dort, verschiedene Schichten von Anwesenheit. Es gibt keinen „lokalen“ Raum der Handlung, da es sich um einen von beiden geografischen Angaben unabhängigen Raum handelt. Trotz geografischer Entfernung teilen die Fernhandelnden Echtzeit-Erfahrungen. Sich an anderen Orten gegenwärtig zu machen bedeutet die globale Ausdehnung der Anwesenheit.158 Die Installationen erlauben Untersuchungen über das Verhältnis von Nähe und Distanz in der Telepräsenz sowie über Gruppen-Interaktionen ohne physischen Kontakt. Diese Entwicklung greift den Zusammenhang von Massenkommunikation und Publikumsinteraktion, wie sie Donald Horton und Richard Wohl beschreiben159, auf und legt nahe, das Konzept der „parasozialen Interaktion“ auch für den Kontext der digitalen Medien aufzugreifen. Es beschreibt das Phänomen, dass sich das Publikum während einer Fernseh- oder Radiosendung als eine Gruppe formiert, die wechselweise rezipiert und teilnimmt und dabei eine parasoziale Soziabilität aufweist, die es als komplementär zum realen sozialen Leben empfindet. „Die Funktion der Sendung realisiert sich für die Zuschauer [...] durch Rollenübernahme, durch die die Sendung erst vervollständigt wird.“160 Der Zuschauer übernimmt freiwillig eine „Antwortrolle“161, in der er „die Kontrolle über den Inhalt seiner Beteiligung“ 162 behält und sie nicht zugunsten einer Figurenidentifikation (wie im Film) aufgibt. Andere Haltungen wie „Zurückweisung, Analyse, vielleicht sogar zynisches Amüsement“163 sind auch in dieser von Horton und Wohl beschriebenen Interaktion möglich. Die Verbindung geografisch unterschiedlicher Orte suggeriert für den Nutzer neben Simultanität und Allgegenwart eine Bewegung durch die Welt. Er ist an diesen Orten virtuell anwesend, kann 158 Die Qualität der Verbindung ist abhängig von der Qualität der Datenanbindung, nicht von der geografischen Verbindung. 159 Donald Horton und R. Richard Wohl: „Massenkommunikation und parasoziale Interaktion“. In: Ralf Adelmann et al. (Hg.): Grundlagentexte zur Fernsehwissenschaft. Theorie – Geschichte – Analyse. Konstanz: UVK-Verlagsgesellschaft 2002. S. 74-104. 160 Ebd. S. 84. 161 Ebd. S. 82. 162 Ebd. S. 83. 163 Ebd. 179

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dort anderen Menschen begegnen und dort agieren. Im einsamen Akt des Navigierens im Netz hat der Nutzer zugleich die Möglichkeit virtueller Begegnungen, unter Umgehung der Grenzen von Raum und Zeit und ohne dabei seinen Computer zu verlassen. Das Internet mit seinen Möglichkeiten der Synchronizität und der Interkonnektivität kann eine neue Art von Beziehungen zwischen den Netznutzern und dem Kommunikationsraum zulassen. Der elektronische Möglichkeitsraum kann dabei auch zum sozialen ZusatzRaum werden.164 Der kanadische Medienkünstler Steve Mann formuliert die Spezifik seiner Kunst, die Überwachungstechnologien dem Nutzer selbst verfügbar macht, folgendermaßen: „the most fundamental matter of this device is, without any doubt, to empower the individual with a ‚particular space of information‘, customized, personalized, operated and controlled by himself“. Interessengemeinschaften formieren sich, für deren Zusammentreffen gewöhnlich ein gemeinsamer geografischer Treffpunkt notwendig ist. Nachfolgend werden einige Projekte vorgestellt, um einen Eindruck der Vielfalt kollaborativer Netzkunst aufzuzeigen: Eines der ersten kollaborativen Kunstprojekte dürfte Douglas Davis’ The World’s First Collaborative Sentence165 sein, das 1994 begonnen wurde und bis zum Jahr 2000 über 200.000 Text-, Tonund Bild-Beiträge mit Inhalten von banal bis philosophisch, vulgär bis poetisch erhalten hatte. Ebenfalls 1994 entstand die Arbeit The Fileroom Censorship Archive166 von Antoni Muntadas. Es handelt sich um eine politische Netzarbeit, ein offenes Zensur-Archiv, das historische und aktuelle Fälle sammelt und öffentlich zugänglich hält. Es wird seit 2001 von der US-Organisation National Coalition against Censorship betrieben. Ein weiteres Beispiel ist Mongrels XReport (2002)167, eine Arbeit, die auf verschiedenen Ebenen konzipiert ist, als Sticker-Kam164 Ein Beispiel aus der Welt der E-Games ist der äußerst populäre ‚Sozial-Simulator‘ The Sims, in dem anhand virtueller Charaktere, die ein Eigenleben führen, sich verändern und entwickeln, soziale Interaktionen erprobt werden können. 165 http://ca80.lehman.cuny.edu/davis/Sentence/sentence1.htm (Stand: 01.08.2005). Die einzige Auflage für die Nutzer war, ihren Beitrag nicht mit einem Punkt zu beenden. Es erregte zudem besonders Aufsehen, da es zu den wenigen online-Werken gehört, das (im Januar 1995) Kunstkäufer gefunden hat. 166 http://www.thefileroom.org (Stand: 01.08.2005). 167 http://www.mongrelx.org/ (Stand: 01.08.2005). 180

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pagne auf der Strasse, digitaler Routenplaner, als Datenbank mit individuell abrufbaren Hinweisen und als Website. Sie versteht sich als ‚öffentlicher Dienst‘, um das Bewusstsein für Überwachung im öffentlichen Raum zu stärken. Dabei ist sie auf die aktive Teilnahme und Kollaboration der ‚Betrachter‘ angewiesen168, die Informationen über die Aufstellung von Überwachungskameras im öffentlichen Raum zusammentragen. Die aus den mit digitalen Medien verbundenen urheberrechtlichen Konflikten hervorgegangene Kooperationskultur freier Software169 macht sich die Arbeit des indischen Raqs Media Collectives170 zum Vorbild und bietet mit dem OPUS-Projekt171 seit 2001 eine Internet-Plattform an, auf der Nutzer aufgefordert sind, digitale Objekte zu speichern und anderen zur Verfügung zu stellen. Die Sammlung von Ton-, Bild-, Text- und Videodateien stellt dann das digitale und kreative Gemeineigentum dar, das sich der kollektiven Autorenschaft verpflichtet hat. Die Refugee Republic172 bildet einen virtuellen Online-Staat für Flüchtlinge der Welt. Die Bewohner dieses landlosen Globalisierungs-Staates können als Pioniere der ‚postgeografischen‘ Zukunft gelten. Auch wenn die Website Inhalt vermissen lässt, so öffnet sie einen programmatisch neuen Weg. Die Arbeit nutzt das Spannungsfeld zwischen Individualität und Kollektiv. Jan Hoet bezeichnete in einem Interview173 die Auseinandersetzung über dieses Spannungsfeld als für unsere Zeit prägend. Die Ortlosigkeit des Kollektivs, das in der Anonymität verschwinde, sei Auslöser sowohl des derzeitigen Terrorismus als auch der Arbeiten aktueller Kunst. Das Kollektiv, dessen Logik zur Konfliktlösung der von Soldaten durchgeführte Krieg gewesen sei, sei vom stärker gewordenen Ego verdrängt wor168 Diese Arbeit des britischen Künstlerkollektivs Mongrel bespricht Gloria Sutton in ihrem Aufsatz „Network Aesthetics: Strategies of Participation within Net.Art“, In: Zapp (Hg.), 2004, a.a.O., S. 17 ff. 169 Gemeint sind OSS und copyleft, in Kap. IV mehr hierzu. 170 Mitglieder dieser Künstlergemeinschaft sind Monica Narula, Jeebesh Bagchi und Shuddhabrata Sengupta. 171 http://www.opuscommons.net (Stand: 01.08.2005). 172 http://www.refugee.net (Stand: 01.08.2005) von Ingo Günthers – einem ehemaligen Assistenten Name June Paiks – ins Leben gerufen. 173 Jan Hoet: Westkunst und Globalisierung. Interview im Deutschlandfunk im Rahmen der Reihe „Ende der Weltkunst?“ am 13.03. 2005. Autor: Rainer B. Schossig. Audio on demand: http://www.d radio.de/dlf/sendungen/kultursonntag/354385 (Stand 04.08.2005). 181

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den, dessen Konfliktlösung in individuellen Attacken von Selbstmordattentätern seinen Ausdruck finde und so einen Ort für sich suche. Eine große Rolle hierbei habe die Globalisierung gespielt. Das kollektive Bewusstsein habe auch die „bedeutungsvolle“ Kunst nicht mehr. An ihre Stelle seien individuelle (Lebens-)Erfahrungen (sowohl von Künstlern als auch von Rezipienten) getreten. Die Feststellung, dass die eigenen Erfahrungen und die Erfahrungen der Anderen unterschiedlich seien, machten die derzeitigen Spannungen zwischen Ländern, Kulturen und Menschen aus. Wird in diesen Projekten ein soziales Ideal in die Form einer Technologie gegossen? Mit der Entstehung von Online-Gemeinschaften ist sicherlich der Effekt verbunden, dass das Medium anschaulicher und menschlicher für viele Nutzer wird. Besonders die kollaborativen Raum-Arbeiten der digitalen Kunst sind als Reaktionen zu lesen auf das Verständnis des unmittelbaren Lebensumfelds, das oftmals von eingezäunten Wohnvierteln und beengenden Städten gekennzeichnet ist. Eine Installation der Raqs Collective auf der Dokumenta XI dokumentiert dies sehr eindringlich mit einer Vielzahl gesammelter Verbote, die den realen Lebensraum dominieren. Ob die hybridisierten Räume als ‚dritte Räume‘ den hohen Anspruch der Emanzipationsbestrebungen von territorialen Machtdispositiven genügen können, wird sich zeigen müssen: „Überholte Traditionen des öffentlichen Bereichs, die Soziologie der Postindustrialisierung, die Abgegrenztheit der Identität sind einer Art verteiltem Eingebettetsein – oder besser Eingetauchtsein – des Selbst in den Medien-Landschaften der Telekultur gewichen, die eine kommunikative Praxis hervorbringen muss, deren Grenzen im physikalischen Raum noch nicht festgelegt worden sind. Die Technologien der neuen Medien entwerfen vielmehr eine kognitive Geographie der Rezeption, der Kommunikation, die in Bereichen hervortritt, deren Beherrschung der Materie von kurzer Dauer ist, deren Position im Raum jeglicher fester Grundlage entbehrt und deren Präsenz an Partizipation gemessen wird, und nicht an den Zufälligkeiten des Ortes.“174

Wie deutlich wurde, handelt es sich bei der Verräumlichung der Narration in der digitalen Medienkultur um Gefüge von Möglich174 Timothy Druckrey: „Cn Command, Control, Communcation, Culture, Consciousness, Cognition […]“ S. 222-235. In: Felderer (Hg.), a.a.O., S. 234. 182

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keiten, um Handlungsräume für den Benutzer, der aufgefordert ist, sich in diskursive Felder einzubringen, in die Handlung einzugreifen, selbst zu ordnen und komplexe Wechselbeziehungen einzugehen. Der Nutzer muss hierfür (je nach Interface mehr oder weniger) mobil sein, er muss sich durch dieses Gefüge hindurch bewegen. Über die Schnittstellen gelangt er in interaktive Bereiche, die er als Modellwelten nutzen kann. Basis dieser digitalen Modellwelten ist die Feststellung, dass Sinnkonstruktionen ein Eigenleben führen. Das Paradigma der Darstellung von Wirklichkeit ist heute abgelöst von der Modellgenerierung. „Die Welt selbst rückt als Denkmöglichkeit ins Blickfeld“.175

Die Verräumlichung der Narration In Anbetracht der vorhergehenden Erkenntnisse kann man seitens des interaktiven Kunstwerkes weniger von Narration sprechen, es liegt vielmehr ein Erfahrungs- oder Möglichkeitsraum vor. Die ‚Narration‘ entsteht in der Aktivität des Nutzers. Das Kunstwerk, das im Prozessualen seinen Raum findet, verweigert sich der Speicherung. Es ist als vergangenes Geschehen nicht ein weiteres Mal abrufbar. Es wurde festgestellt, dass eine immer kompliziertere Technologie eingesetzt wird, um einfache und kleine Signifikanten hand zu haben und immer wieder neu zu kombinieren. Dies bedeutet für die Rezeption, dass sie ein Akt schöpferischer Improvisation sein muss. Denn das digitale Kunstwerk ist virtuell und aktuell176, es erfordert die selbständige Mitwirkung des Rezipienten auf der Grundlage der (Re-)Konstruktion vorhandenen Materials. Dabei handelt es sich nicht um eine völlige Unbestimmtheit und Unbegrenztheit der Möglichkeiten. Inhaltlich wie formal finden sich in digitalen Medienerzählungen Genres wieder, die in der Literatur entwickelt wurden

175 Vgl. Peter Weibel: „Virtuelle Realität: Der Endo-Zugang zur Elektronik“. In: Florian Rötzer und Peter Weibel (Hg.): Cyberspace. Zum medialen Gesamtkunstwerk. München: Boer Verlag 1993, S. 35. 176 Siehe hierzu auch Claus Pias: „Adventures als Ereignis und Zählung“ in Dichtung-Digital http://www.dichtung-digital.com/2002/ 03/15-pias/index5.htm Abschnitt 5.: Datenbanken erzählen (Stand: 25.06.2004). 183

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und deren filmische Ausformungen prägend für deren Darstellung sind. Allerdings steht in digitalen Medien der Interaktionsaspekt, also Fragen der Beteiligung und des Eingreifens in das Geschehen, im Mittelpunkt. Die Schablonenhaftigkeit der Genreverwendung bietet dabei dem Nutzer die Gelegenheit, Bekanntes im Unbekannten wiederzufinden. Kollektives Wissen über Symbole und Motive, das durch Stereotype des Fernsehens und Kinos geformt wurde, kann hier angewendet werden. Dabei dient die Genreverwendung auch dem Ziel, Koordinaten für die Nutzer zu liefern, innerhalb derer sie agieren und spielerisch deren Grenzen zu überschreiten versuchen können. Kernpunkte der kulturellen Diskursform – als solche wurde die Narration im vorliegenden Kapitel behandelt –, sind ihre Dialogund Interaktivitätsangebote. Die Position des Nutzers ist mit den Begriffen des „impliziten Lesers“ (Iser177) und des „Betrachters im Bild“ (Kemp178) nur unzureichend beschrieben – seine Aktivität geht über die Imagination hinaus: Er erlebt, bewegt sich und agiert. Die Aktivitäten des Nutzers sind mit Erprobungen zu vergleichen: „Das Spielen einer parasozialen Rolle kann somit eine Erkundung und Entwicklung neuer Rollenmöglichkeiten bedeuten wie in den experimentellen Phasen tatsächlicher oder angestrebter sozialer Mobilität.“179 Derartige Wechselwirkung zwischen Sinnkonstitution und BewussteinsRealität, dem Bewusst-Werden, trägt zur Konstituierung des rezipierenden Subjekts bei. Die Subjektivität des Nutzers ist über den Sinnhorizont der digitalen Erzählung hinaus betroffen, wenn, „in einer solchen Formulierung des Unformulierten immer zugleich die Möglichkeit liegt, uns selbst zu formulieren und dadurch das zu entdecken, was unserer Bewusstheit bisher entzogen schien“.180 Die fragmentarische Sicht, wie sie die Datenbank-Erzählung demonstriert, ist unter diesem Gesichtspunkt Symptom einer neuen Form von Subjektivität.181 Dabei schlägt sich nieder, dass Identität 177 Wolfgang Iser: Der Akt des Lesens. München: Wilhelm Fink Verlag 1976. 178 Wolfgang Kemp: Der Betrachter im Bild. Köln: DuMont, 1985. 179 Donald Horton und R. Richard Wohl, a. .a .O., S. 89. 180 Wolfgang Iser, a.a.O., S. 255. 181 Den Aspekt der Subjektivität hat Sherry Turkle in Bezug auf vernetzte Kommunikationsformen empirisch untersucht in Life on the Screen: Identity in the Age of the Internet. New York: Simon and Schuster 1995. 184

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heute „immer weniger monolithisch, sondern nur noch plural möglich ist“.182 Diese „offenen, prozessualen und multiplen Identitäten“183 sollen als variable Formen verstanden werden, als unterschiedlich stark betonte Facetten einer Persönlichkeit. Sie sind Ausdruck dafür, dass es sich beim Ich-Zentrum um eine Konstruktion handelt und die Art und Weise des Denkens gestaltbar ist. Wie gezeigt werden konnte, bildet der Raum hierbei eine maßgebliche Konstituente. Dem reisenden Nutzer eröffnet sich ein Tableau an Erlebnisräumen, die zugleich als Parallelwelten zur Verfügung stehen, als Möglichkeitsräume Wirklichkeitsmodelle erproben lassen und unterschiedliche kulturelle Räume miteinander verbinden können. Horton und Wohl legen im Zusammenhang mit der parasozialen Interaktion nahe, das diese auf „Anforderungen einer veränderlichen sozialen Situation“184 vorbereitet, indem sie sich dem Rollenwechsel widmet und diesen temporär erprobt. Die Untersuchung der kommunikativen Struktur dieses Materials, der Mensch-Maschine-Schnittstellen und der Entwürfe, die mit ihrer Hilfe Gestalt gewinnen, haben zum Ergebnis geführt, dass der Nutzer sich und seine Beziehung zur Welt über das Werk konstituiert und so eine Reaktion auf die gesellschaftliche und kulturelle Situation bildet, in der es entstanden ist. Notwendige Untersuchungen darüber, worauf diese sozialen Experimente basieren und was diese Gemeinschaften zusammenhält, stehen bei der Betrachtung der kollaborativen und partizipativen Netzkunstarbeiten noch aus.

182 Wolfgang Welsch führt fort: „Leben ist unter heutigen Bedingungen Leben im Plural, will sagen: Leben im Übergang zwischen unterschiedlichen Lebensformen.“ Ästhetisches Denken. In: ders.: „Identität im Übergang“. Stuttgart: Reclam Verlag 1990, S.168-200. 183 Randi Gunzenhäuser: „Thesen zum Thema Computerspiele und Textbegriff“. 2000 in dem IASL online-Diskussionsforum Netzkommunikation und ihre Folgen http://www.dichtung-digital.de/ IASL-Forum/Gunzenhaeuser-20-Jun-00.htm (Stand:10.07.2002). 184 Horton und Wohl a.a.O., S. 91. 185

ZUSAMMENFASSUNG

UND

AUSBLICK

Digitale Medien und das ‚Neue‘ Digitale Medien erweitern und differenzieren die Medienkultur. Die vorliegende Arbeit hat es sich zum Ziel gesetzt, Formen der gesellschaftlich-ästhetischen Praxis digitaler Medienkultur zu untersuchen. Als erster Schritt wurden Kontinuitäten, insbesondere mit dem Film, aufgezeigt sowie die Frage nach dem ‚Neuen‘ im Kontext digitaler Medien gestellt. Die Momente der Kontinuität und des Bruches seien hier noch ein mal zusammen gefasst: Die digitale Erzählung basiert auf multimedialen Erzähl-Elementen, die im Datenbank-Format angelegt sind. Das hybride Datenbankmaterial kann aus Genremischungen und Medienzitaten bestehen, die sich Printmedien, Film, Comic, Theater und anderer bedienen sowie Formen der Popkultur, der traditionellen Kunst und der Massenkommunikation zusammen bringen und in neue Proportionsverhältnisse setzen. Der Nutzer selbst führt durch seine Entscheidungslogik intermediale Montagen der disparaten Elemente in Form von cross cuttings, polyperspektivischem Switchen, assoziativem Verknüpfen und Navigieren aus. Aus dem scheinbar Ungeformten in den Elementen der Datenbank ergeben sich in der Nutzung variable Strukturen, die diverse Lesarten zulassen. Die Verräumlichung der Narration führt zu Erzähl- und Handlungsräumen, die dem aktiven Nutzer eine Reise durch die Narration ermöglichen. Auf unterschiedlichsten Ebenen (wie System und Kontext) finden währenddessen wechselseitige Kommunikationsprozesse statt, deren Knotenpunkt der Nutzer darstellt. Insofern kann immer nur von einer potentiellen Narration die Rede sein, denn sie „existiert nicht in aktiv autonomer Form“.1

1

Claudia Giannetti: Ästhetik des Digitalen. Wien, New York: Springer Verlag 2004, S. 189. 187

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Die Kontinuität des Werks hängt von der Interkommunikation der User und der „progressiven Generierung“2 einer netzförmigen Kontaktarchitektur ab. Das Netz dient hierbei als anschauliches Beispiel für die Vielzahl von Wirklichkeiten. Die digitale Erzählung entspricht Jean François Lyotards Feststellung vom „Ende der Grossen Erzählungen“ in seiner Diagnose über das postmoderne Zeitalter. Erst mit dem Dissens über den Konsens, der Pluralität, so das Fazit postmoderner Theoretiker, kann deutlich werden, die Komplexität der Prozesse und Phänomene nicht grundlegend zu ergründen ist. Dies betrifft ebenfalls das Subjekt, dass nicht mehr als einheitlich und festgeschrieben wahrgenommen wird. Jedoch wird diese radikale Pluralität nicht als Beliebigkeit, Auflösung, Indifferenzerzeugung oder gar Katastrophe empfunden, wie Wolfgang Welsch sie von den Negativ-Visionen der Postmoderne bei Emile Michel Cioran, Jean Baudrillard, Dietmar Kamper und Peter Sloterdijk vertreten sieht.3 Der Wunsch nach neuen Formen der Subjektkonstitution, nach temporären und facettenhaften Identitäten, wird, wie man anhand von Julia Kristeva4 und Homi K. Bhabha5 beobachten kann, an die digitalen Medien herangetragen. Insofern für die Medienkunst konstatiert werden, dass sie Szenarien zur Bewältigung von Kontingenzerfahrungen bereit hält und somit Ausdruck für ein Bedürfnis nach Orientierung ist. Ist den Inhalten der digitalen Medien nicht wirklich Neues zu attestieren, so liegt dies, der McLuhan Aussage „The Medium is the Message“ folgend, vielmehr in den neuen Organisationsformen digitaler Medien. Wie anhand der Aspekte der Sinnlichkeit und der gesellschaftlichen Diskursfunktion heraus gearbeitet wurde, ist digitale Medientechnik nicht per se defizitär, entmenschlicht und vereinsamend. Die Gestaltungstendenzen in den Mensch-Maschine-Schnittstellen machen deutlich, wie die Hierarchie der menschlichen Sinne aufgebrochen wird: die kulturelle Dominanz des Sehsinns ver2 3 4 5

Ebd. S. 88. Wolfgang Welsch: Unsere postmoderne Moderne. Weinheim: Acta Humaniora, 1987, S. 87. Julia Kristeva: Fremde sind wir uns selbst. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 1990. Homi K. Bhabha: The Location of Culture. London, New York: Routledge, 1994. 188

ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

schiebt sich zugunsten der Aufwertung der Taktilität und damit des körperlichen Erlebens.6 Dies geschieht in handlungsbezogenen Möglichkeitsräumen, in denen sich ein körperbezogenes Bewusstsein immer wieder in den kontingenten Beziehungen des Hier und Jetzt konstituiert. Der reale Raum der Installation oder der virtuelle dritte Raum bestimmen und beschränken die Handlungsmöglichkeiten des Nutzers. Er befindet sich in einer spezifischen physischen Situation, die vom Künstler als ein für Erfahrungsprozesse vorgesehener Ort eingerichtet wurde. Diese Räume erschließen sich nicht denkend, sondern im Wahrnehmungsprozess des sich bewegenden Nutzers. Der Effekt ist ein sich handelnd manifestierendes Körperbewusstsein, von dem auch im Kontext des Tanzes die Rede ist.7 In Anlehnung an die körperbezogenen Erkenntnismodelle Frederick S. Perls und der Phänomenologie Maurice Merleau-Pontys geht es darum, Bewusstsein als Ergebnis der Interaktion von Mensch und Umwelt auszubilden. Bewegung ist dabei gleichsam wie Sehen eine Art des Weltbezugs. Der Körper als „Ort leibbezogenen Verstehens“8 ist auch in den raum- und körperbezogenen Installationen Bruce Naumanns zentral: auch ihm geht es um die Kreation von Situationen, die ästhetische Wahrnehmungsprozesse provozieren.9 „Der neue Trend der interaktiven Künste kann damit als Feedback-Bewegung gesehen werden, um die körpereigenen Sinne wiederzuentdecken, die Sensibilität der menschlichen Organe, die die Informationszivilisation 6

7 8

9

Die Nahsinne Riechen und Berühren bekommen wieder Gewicht gegenüber dem lange Zeit dominanten Sehsinn. Nicht nur der Blick mäandert, auch der Nutzer digitaler Medien ist mit miniaturisierten und mobilen Medien selbst im realen Raum unterwegs. Die Mobilität des Nutzers und die des Mediums sind in absehbarer Zeit gekoppelt. Siehe hierzu: Söke Dinkla und Martina Leeker (Hg.): Tanz und Technologie. Auf dem Weg zu medialen Inszenierungen. Berlin: Alexander Verlag 2002. Friederike Wappler: „Ein Bewusstsein seiner selbst gewinnt man nur durch ein gewisses Maß an Aktivität. Überlegungen zur handlungsbezogenen Ästhetik Bruce Naumanns“ In: Kai-Uwe Hemken (Hg.) Bilder in Bewegung. Traditionen digitaler Ästhetik., Köln: DuMont BuchVerlag 2000, S. 128. „Von der Malerei zur Skulptur. Ein Interview mit Lorraine Sciarra“ in: Christine Hoffmann (Hg.): Bruce Naumann. Interviews 1967 – 1988. Amsterdam: Verlag der Kunst 1996, S. 86. 189

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durch das Wechselspiel der Reaktionen darauf, genossen oder unter unter [sic] ihr gelitten haben. Und wieder ist es dieselbe Erscheinung des Wiederentdeckens des Spielens als eines Grundpfeilers der Kunst in der langen Geschichte ihrer Entwicklung.“10

Mit der Aufwertung des Spielerischen und der Ablösung hierarchischer Strukturen durch heterogene Rhizomgeflechte geht auch die Unmöglichkeit der Aufrechterhaltung bzw. Unhaltbarkeit von Dichotomien einher: „Es geht um die Auflösung von Oppositionen, die das lebensweltlich Ephemere des Spielens unterstreichen, nicht weil der Betrachter in einem ultimativen Sinne zum Akteur wird, sondern weil der Prozeß der Kunst in die Gegebenheiten des Alltäglichen in vielerlei Weise eingebunden ist.“11

Dualismen wie Körper und Identität, Sinne und Verstand, Nähe und Distanz, Inhalt und Form, Medienwirklichkeit und Alltagsrealität, Privatheit und Öffentlichkeit, Autor und Leser scheinen in Auflösung begriffen und verlieren ihre konstituierende oppositionelle Qualität. Dies als Verlust oder Desorientierung zu empfinden, so zeigt Siegfried J. Schmidt auf, ist der Struktur der Wirklichkeitsmodelle, wie sie die Mediensozialisation geprägt hat, geschuldet. Er weist darauf hin, „daß die bereits mit den neuen Medien Sozialisierten an strikten Unterscheidungen des Typs wahr/falsch, wirklich/unwirklich, real/irreal gar nicht mehr in derselben Weise interessiert sind, wie das bei Printsozialisierten der Fall ist, bzw. nur noch in bestimmten Bereichen und zu bestimmten Zwecken daran interessiert sind.“12

10 Itsuo Sakane: „Durch Interaktive Kunst zur Selbsterkenntnis“. In: Georg Hartwagner, Stefan Iglhaut und Florian Rötzer (Hg.): Künstliche Spiele. München: Boer Verlag 1993, S. 93. 11 Hans Ulrich Reck: „Imaginäre Effekte. Künstlerische Konzepte der Einwirkung auf den Betrachter – ein Parcours der Affinitäten und Distanzen zwischen Raum und Zeit“. In: Kai-Uwe Hemken (Hg.): Bilder in Bewegung. Traditionen digitaler Ästhetik. Köln: DuMont Buchverlag. 2000. S. 81. 12 Siegfried J. Schmidt: „Konstruktivismus als Medientheorie“. In: Wolfgang Nöth, und Karin Wenz: Medientheorie und die digitalen Medien. Kassel: Kassel University Press 1998, S. 38-39. 190

ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

Es kann keine Rückkehr zu Kommunikationsverhältnissen einer anderen Medienepoche geben, sondern es geht vielmehr darum, mit den Spannungsverhältnissen zwischen Möglichkeiten und Wirklichkeiten umzugehen und Orientierungsangebote für die Bewältigung der Probleme dieser Epoche zu schaffen. Das bedeutet, es ist nicht mehr die Frage, was ‚richtig‘ ist, sondern wie der Mensch in einem Umfeld von Verweisüberschüssen und gleichberechtigten Alternativen sein Handeln und Verhalten ausrichten kann. Demnach sind diese Formen „eher zur Bewältigung moderner Umweltkomplexität geeignet“13 als retrogradierend-nostalgischen Harmonievorstellungen. Das neue Lektüremodell, das digitale Medien als Verfahren zum Umgang mit Orientierungsproblemen bieten, ist durch multiple Identitäten und nicht-lineare Handlungsketten gekennzeichnet. Die Datenbank dient dabei als Organisationsmodell von Möglichkeitsfeldern, um gänzlicher Zufälligkeit und Beliebigkeit zu entgehen. Damit ist die digitale Kunst Ausdruck der aktuellen Kultur, die gekennzeichnet ist durch Prozesse, die nicht von linearen Ereignisketten bestimmt sind, sondern von Möglichkeitsfeldern und Ambiguitäten. Über den Bereich der reinen Ästhetik hinaus können diese Arbeiten der Medienkunst zu Möglichkeiten der Selbstfindung und Autonomie des heutigen Menschen beitragen. Denn die Suche nach Identität wird in der von intermedialen Bezügen geprägten Populärkultur bestimmt durch mediale Inszenierungen, die nach ihrer Eignung zu Selbstbildern abgewogen werden.14 Der Nutzer nimmt in der virtuellen ‚Reise‘landschaft wahr, wird gewahr und formiert sich zwischen Altbekanntem und Überraschendem. Peter M. Spangenberg beschreibt den Ausgestaltungsprozess „temporalisierte Vielheit“ personaler „Multioptions-Identitäten“ als „dynamische Konfigurationen von Kontingenzen und oft widersprüchlichen Eigenschaften“.15 13 Peter M. Spangenberg „‚... and my Eyes are only Holograms‘. Formen operierender Kontingenz in hybriden Medien.“ In: Irmela Schneider und Christian W. Thomsen (Hg.): Hybridkultur. Medien Netze Künste. Köln: Wienand Verlag 1997, S. 152. 14 Lothar Mikos: „Erinnerung, Populärkultur und Lebensentwurf. Identität in der multimedialen Gesellschaft“ In: medien praktisch. Zeitschrift für Medienpädagogik. Heft 1/99, S. 4-8. 15 Peter M. Spangenberg: „Medialität als ästhetische Strategie der Moderne. Zur Diskursgeschichte der Medienkunst“. In: Peter Gendolla 191

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Digitale Erzählungen stellen also den Wirklichkeitsentwürfen traditioneller Erzählformen kognitiv und sinnlich erfahrbare Möglichkeitsräume, die der Lebenskultur des 21. Jahrhunderts entsprechen, entgegen. Digitale Medienkunst greift zentrale Fragen der gesellschaftlichen Selbstorganisation und des Selbstverständnisses in der Diskussion um Medientechnik und Gesellschaftsstruktur in einer multipluralen, multiperspektivischen und individualisierten Gesellschaft auf und unternimmt den Versuch, diese Problemlagen künstlerisch zu perspektivieren. Dabei nimmt die künstlerische Betrachtungsweise nur eine unter einer Vielzahl möglicher ‚Vergegenständlichkeitsformen‘ von Erkenntnissen ein.16

Rückwirkungen auf Film und Fernsehen Bei der Gestaltung digitaler Medienkunst werden diskursive Regeln im Sinne Michel Foucaults erstellt, die Machtverhältnisse weiterführen oder etablieren. Diese Regeln wirken sich auf traditionelle Medien aus und beeinflussen deren Diskursstrukturen. Einen sehr kurzen Einblick sollen die folgenden Ausführungen gewähren: Wie in den vorausgehenden Untersuchungen deutlich wurde, besteht eine enge Verbindung zwischen dem Film und der Entwicklung digitaler Medien. Die Symbiose des Films mit dem Digitalen wiederum ist gekennzeichnet durch elaborierte digitale Effekttechnik, die überwältigende Bildsensationen im Action und ScienceFiction-Kino ermöglichen.17 Jedes Bild ist flüchtiger Moment und muss sogleich dem nächsten Effekt weichen. Die Bildsensation drängt sich vor das Erzählen. Nicht die gute Geschichte, sondern die effektvolle Präsentation steht im Mittelpunkt des postklassischen Hollywood-Kinos. Dieses um digitale Technologien erweiterte Mainstream-Kino erin-

und Irmela Schneider, Norbert M. Schmitz, Peter M. Spangenberg (Hg.): Formen interaktiver Medienkunst. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag 2001, S. 160. 16 Die Koppelung an Kunst ist nicht zwingend, sie ist allenfalls bevorzugter Schwerpunkt der vorliegenden Studie. Erleben, Spektakel und Unterhaltung innerhalb der digitalen Medienkultur sind gleichermaßen zu Selbstwahrnehmung und Reflexion der Wahrnehmungen in der oben dargestellten Potentialität geeignet. 17 Siehe hierzu David Bordwell: Narration in the Fiction Film. Madison, Wisconsin: The University of Wisconsin Press 1985, S. 176. 192

ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

nert an die Spektakel-Kultur des frühen Kinos, an die VaudevilleTheater, Vergnügungsparks und Jahrmärkte. Eine weitere Facette des Umgangs mit der Kontingenzerfahrung des Alltags hat sich hier herausgebildet: sie wird gezähmt durch die Informationsentleerung und die Konzentration auf Performativität18 in Bildern der Zerstörung und der Katastrophe sowie in Spektakeln wie der Trilogie Der Herr der Ringe, Harry Potter und Star Wars. Handlungsverläufe orientieren sich zunehmend an der Logik von E-Games.19

Abb. 62: Der Film Timecode zeigt vier Handlungsstränge zugleich auf der viergeteilten Leinwand Neben der Bezugnahme auf Bild- und Erzählerfahrungen der Nutzer aus dem E-Games-Bereich werden intermediale Quellen wie Werbung, Comic, Internet, Fernsehen in die filmische Erzählung integriert. Das Effektkino arbeitet ebenso mit hochgradig reduzierten Plots, Stereotypen und narrativen Simplifizierungen, ohne jedoch Interaktivität zu bieten. In den Fällen, in denen Interaktivität ausprobiert wird – in Expanded Cinema-Projekten, Peter Kriegs Experimente zum interakti18 Peter M. Spangenberg: „Medialität als ästhetische Strategie der Moderne. Zur Diskursgeschichte der Medienkunst“. In: Gendolla et al. (Hg.), a.a.O., S. 157. 19 Bordwell, a.a.O., S. 177. 193

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ven Kino, 1990 mit der Software Cinematrix für interaktives Kino – scheitert es am institutionellen Charakter von Kino. Jüngste Arbeiten, die die Hypertext-Struktur in das Medium Film transformieren, nutzen bewusst ein Medium, dass linear organisiert ist. Sie wecken die Erwartung einer traditionellen narrativen Struktur, lösen diese jedoch auf. Beispiele hierfür sind de Palmas Spiel auf Zeit (1998) und Mike Figgis’ Timecode (2000). Im Bereich des Fernsehens gab es einige wenige Versuche, dialogische Erzählstrategien digitaler Medien im Fernsehen aufzugreifen. Darunter zählt die TV-Produktion Mörderische Entscheidung, ein Krimi von Oliver Hirschbiegel, der 1992 aus zwei verschiedenen Perspektiven erzählt und zeitgleich auf ARD und ZDF ausgestrahlt wurde. Ein weiteres Beispiel ist die Web Soap Etagezwo – nach dem bekannten und bewährten Muster der Soap Opera – die unter http://www.etagezwo.de ihren virtuellen Platz hatte. Ziel dieses Formats sollte die Konvergenz zwischen Internet und TV-Ausstrahlung sein. Neben der Ausstrahlung im Vormittagsprogramm war nachts noch eine Computernachhilfe passend zur aktuellen Folge vorgesehen. Allerdings war Etagezwo nur ein kurzer Ausstrahlungszeitraum bis Ende 2000 beschieden. Die strategische Entscheidung der Fernsehsender, Angebote im Bereich digitaler Medien zu entwickeln – ein interaktiver Roman bei arte zum Beispiel – fiel offenbar, um junge Zuschauerschichten zu erreichen. All diese Projekte haben sich bislang als erfolglos erwiesen. Dabei geht es oft um die Fortsetzung der Konstellation von Zuschauer-Konsumenten und des Product-Placements in digitalem Format: der Traum von der anklickbaren Show-Moderator-Weste, die mit dem Shopping-Anbieter verlinkt ist. Neben ihren dispositiven Unterschieden sind Film und Fernsehen wesentlich stärker als aktuell die digitalen Medien in nationale Kontexte und Strukturen eingebunden, so dass sie daher rigideren Reglementierungen, die mit ökonomischen und gesellschaftlichen Erwartungen einhergehen, unterliegen. Die ARD/ZDF-Onlinestudie 2005 konstatiert eine Komplementärbeziehung zwischen den klassi-

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schen Medien und dem Internet bei insgesamt angestiegenem Medienkonsum.20 Zur Zukunft des Kinos und der veränderten Situation des Fernsehens in Zeiten digitaler Medien versammelt der von Thomas Elsaesser herausgegebene Band Cinema Futures: Cain, Abel or Cable? The Screen Arts in the Digital Age21 unterschiedliche Ansätze. Die Entwicklung der Angebote22, der Geräte und die Verschmelzung in den Anwendungsbereichen, wie der internettaugliche Fernseher und die Heim-Kinoausstattung, werden weitere Veränderungen in der mediengestützten Wahrnehmung auslösen und bieten ein weites Feld für zukünftige Forschungen.

Ausblick Die Frage nach der Übertragung dieser Limitierungen des tatsächlichen Raumes in den derzeit noch von zahllosen Möglichkeiten durchsetzten virtuellen Raum digitaler Medien – als semantische und reglementierende Strukturen – erscheint vom Nutzer und der in den Medien vertretenen ökonomischen und gesellschaftlichen Interessen abhängig. Bislang korrespondierten die großen Innovationsschritte im Medienbereich, die zur Etablierung der digitalen Medien führten, mit gesellschaftlichen Entwicklungen wie der schwindenden Bindewirkung traditioneller Zusammenhänge (Familie, soziales Umfeld, Religion), der Individualisierung und der Pluralisierung von Lebensstilen.23 Insofern repräsentieren und spiegeln die untersuchten digitalen Erzählungen die aktuelle Auffassung vom Subjekt. Dispositive medienvermittelter Welt- und Selbstwahrnehmung werden hinterfragt und thematisiert. 20 Birgit von Eimeren und Beate Frees: „Nach dem Boom: Größter Zuwachs in internetfernen Gruppen“, Media Perspektiven 8/2005, S. 362-379. 21 Thomas Elsaesser (Hg.): Cinema Futures: Cain, Abel or Cable? The Screen Arts in the Digital Age. Amsterdam: Amsterdam University Press 1998. 22 Zur Digitalisierung des Kinofilms siehe Martin Loiperdinger (Hg.): Celluloid Goes Digital – Historical-Critical Editions of Films on DVD and the Internet. Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier 2003. 23 Gerhard Schulze: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt/Main, New York: Campus 1992. 195

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„Wir wollen Menschen vernetzen, nicht Computer – Social Connectivity.“24 Diese Maxime verfolgen Rena Tangens und padeluun mit ihrer Art d’Ameublement. In Anlehnung an Erich Saties Musique d’Ameublement verfolgt dieses Kunstkonzept die Leitidee, Menschen einen Rahmen für Kommunikation, Aktivität und Austausch zu bieten. Realisiert wurden seit Mitte der 1980er Jahre u.a. die Veranstaltungsreihe PUBLIC DOMAIN (im ‚realen Leben‘), welche die Mitgestaltung der gegenwärtigen technologischen Entwicklung anzuregen trachtet, das Mailbox-System BIONIC und digitale Bürgernetze wie Zerberus, das erste deutschsprachige Mailbox-Netz, das sich Themen wie dem Umweltschutz, Politik und Verbraucherschutz widmete und mit seinem Namen und Selbstverständnis auf die Mythologie des Höllenhundes anspielt: mehrere Köpfe, bissig und wachsam.

Abb. 63: Das Zerberus-Logo Heute gelten Rena Tangens und padeluun als Wächter der Privatsphäre und Selbstbestimmung des Einzelnen angesichts der Technisierung des Alltags (einer somit nicht spezifisch zu benennenden Gegenpartei). Dies findet jährlich öffentlichkeitswirksam seinen Ausdruck in der Verleihung des Big Brother Awards, dem ‚Oscar‘, der Firmen, Institutionen oder Personen wegen Datenschutzverletzungen oder Überwachungsaktivitäten brandmarkt.25

24 Padeluun und Rena Tangens: „Warum Ratten leise singen“ in: Martin Rost (Hg.): Die Netz-Revolution. Auf dem Weg in die Weltgesellschaft. Frankfurt/Main: Eichborn 1996, S. 137. 25 Der Preis, dessen Konzept in vielen anderen Ländern aufgegriffen wurde, ging an die Rabattkarte „Payback“ für die Erfassung und Archivierung von Konsumdaten, an die Bayer AG wegen UrinDrogentests an ihren Auszubildenden, das Ausländerzentralregister für institutionalisierte Diskriminierung und „Toll Collect“ aufgrund der Erfassung von KFZ-Kennzeichen, um nur einige Beispiele zu nennen. 196

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Mit der Gestaltung virtueller und alternativer öffentlicher Räume und der Kommunikation über Techniknutzung tritt die diskursive Funktion der Medien in den Vordergrund. Diese könnten als soziale Räume fungieren, die der Emanzipation dienen, indem sie zur Formierung und Verhandlung von Gemeinschaften – Kollektive im Sinne Hoets – dienen. Dabei geht es nicht nur um alternative Möglichkeiten, sondern um gleichzeitige und folgenreiche Handlungsoptionen. Dem Gefühl politischer und gesellschaftlicher Ohnmacht steht die Omnipotenz und Handlungsvielfalt im virtuellen Raum als reizvolle Alternative gegenüber. Der Wunsch nach Beeinflussung und Gestaltung von Sinnzusammenhängen im eigenen Leben findet in den digitalen Handlungs- und Kommunikationsräumen scheinbar seine virtuelle Erfüllung. Der amerikanische Literaturwissenschaftler Michael Hardt und der italienische Philosoph Antonio Negri bezeichnen die Weltordnung des 21. Jahrhunderts, die politische Dimension der digitalen Medienkultur, als ‚Empire‘.26 Die Autoren stellen das Empire als eine Maschinerie von Macht dar, die sich aus einem Netz international operierender Konzerne, transnationaler Organisationen und wenigen übermächtigen Nationalstaaten begründet. Neben dem „Zustand permanenter Kriegsführung“27 sei ein weiteres Kennzeichen des Empire die weitgreifende Hybridität, die sich auf alle Bereiche erstrecke, wie in der Mensch-Maschine-Beziehung, das Vermischen lokaler und transnationaler Regierungsinstitutionen, sozialen Räumen zwischen Privatem und Öffentlichem sowie das Verschmelzen von Arbeitszeit und Freizeit. In ihrer kritischen Theorie der Globalisierung treten die Autoren u.a. für die Weltbürgerschaft und einen weltweiten „Soziallohn“ ein. Das neue Verständnis der Globalisierung finde seinen Ausdruck in der ‚Multitude‘28: einer offenen Gesellschaft, in der Unterschiede erhalten bleiben und Kooperation zwischen allen Beteiligten mög26 Michael Hardt und Antonio Negri: Empire. Die neue Weltordnung. Frankfurt/Main, New York: Campus Verlag 2002. 27 Diese Zeit des globalen Krieges sei mit den Ereignissen des 11. September 2001 angebrochen. Michael Hardt und Antonio Negri: Multitude. Krieg und Demokratie im Empire. Frankfurt/Main, New York: Campus Verlag 2004, S. 9 und S. 18. 28 Ebd. 197

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lich sein soll. Die von Michael Hardt und Antonio Negri entworfene Multitude wird als eine nicht raumgebundene weltumspannende Befreiungsbewegung skizziert, deren Basis das Internet nicht nur als Plattform zur Zusammenarbeit, sondern vor allen Dingen als Modell zur notwendig befundenen Entwicklung neuer Organisationsformen – wie im Bereich der „immateriellen Arbeit“29 bereits geschehen – bilde. Die Aushandlung des Gemeinsamen – die Autoren führen immer wieder die Sprache als Vergleich an – finde „im Raum dazwischen“ statt, „im sozialen Raum der Kommunikation“.30 Sie formiere sich nicht durch formelle Absprachen zwischen Individuen, sondern gewinne Kontur durch vorübergehende kollektive Praxen. „Die Multitude wird mittels kooperativer sozialer Interaktionen geschaffen“.31 Im Unterschied zu bisherigen Strukturen in Parteien und sozialen Klassen sei hier die Aufrechterhaltung kultureller, religiöser und politischer Vielfalt ein zentraler Punkt. Die Multitude, keine passive Masse, sondern ein „Schwarm“32 unterschiedlicher und aktiv Handelnder, befinde sich auf der Suche nach einer neuen „Logik des politischen Aktivismus“, der Erfindung einer „neue(n) Waffe(n) für die Demokratie“33, die „konstruktiv, expansiv und konstitutiv“34 sei. Staatliche Machtinstrumente wie militärische Truppen würden angesichts dessen gänzlich ihrer Berechtigung beraubt. Die Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten der Multitude sei bereits in der ‚Open Source Software‘-Bewegung (OSS) antizipiert.35 29 Gemeint sind die technischen Produktionsorganisationen, die das Fließband abgelöst haben. ebd. S. 126 ff und S. 127 f. 30 Ebd. S. 249. 31 Ebd. 32 Ebd. S. 112. 33 In diesem Zusammenhang nennen die Autoren die sogenannten ‚kissins‘ der Queer-Aktivisten. 34 Alle Hardt/Negri, 2004, a.a.O., S. 382. 35 Entgegen der Praxis gesetzlich geschützter Software und mit ausdrücklicher Zielsetzung, das Softwaremonopol Microsofts zu durchbrechen, handelt es sich um kostenlos zur Verfügung gestellte Software und Quellcodes. Der sicht- und manipulierbare Quellcode ermöglicht individuelle Anpassungen oder gemeinschaftliche Weiterentwicklungen der Software. Das von einer weltweiten Nutzergemeinschaft entwickelte kostenlose Betriebssystem Linux stellt inzwischen eine ernsthafte Konkurrenz zu Microsofts Windows dar. OSS verfolgt die Maxime „Freier Zugang zu Information und Tech198

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Dies mag an die Demokratieverheißungen, die sich als „kalifornische Ideologie“ in die frühe Geschichte des Internet einschrieben36, erinnern, doch das Potential und die Entwicklungsbewegung des neuen Mediums besteht trotz berechtigter Zweifel auch darin, für neue politische und kulturelle Akzente zu sorgen. Die Videoaktivisten, die unter Umgehung der Fernseh-Berichterstattung im Internet Weltöffentlichkeit erreichen, um Rassismus und diktatorische Verfahrensweisen in ihrem Land anzuprangern37 sind nur ein Beispiel. Auf gesellschaftlicher Ebene stehen die endlos vielfältigen kleinen, nebeneinander existierenden Gemeinschaften in scharfer Opposition zum traditionellen Rollenverständnis von Politik und machtvollen Institutionen.38 Der Sieg der Kunstmarke etoy über den E-Commerce-Giganten eToys hat eindrucksvoll demonstriert, wie Informationstechnologien Machtverhältnisse erschüttern können: Etoy, 1994 gegründet von einer Gruppe aus Künstlern, Architekten, Programmierern, Anwälten und Designern, um die traditionellen Kategorien der Kunstwelt nologie für alle“. Der Schutz vor Kommerzialisierung erfolgt durch eine General Public License (GPL), die im Gegensatz zum Copyright auch Copyleft genannt wird. Diese Lizenz enthält Reglements zum Schutz der Gemeinschaft sowie der Nutzungsfreiheit und weisen auf Rechte und Pflichten der Person hin, die den Programmiercode verändert. 36 Tilman Welther arbeitet als Kennzeichen von „Medienrevolutionen“ heraus, dass diese Geschichte darstellt, als sei sie „dem Menschen ab jetzt zur souveränen Gestaltung anheim gestellt“. In: Tilman Welther: Medienrevolutionen und Redereflexe. Die Etablierung neuer Medien im Spiegel ihrer Diskurse. Dissertation am Fachbereich Sprach- und Literaturwissenschaft der Universität Gesamthochschule Siegen, 2000. S. 287 online: http://www.ub.uni-siegen.de/pub/diss/fb3/2004/ welther/welther.pdf (Stand: 03.10. 2005). 37 Die traditionelle Dokumentarfilm-Forschung nimmt sich inzwischen auch der Internet-Filme an. Vergleiche hierzu den Artikel „Wo geht es hier zur Camcorder Revolution?“ von Jörn Hagenloch in Telepolis (Heise Verlag) vom 08.03.2005. http://www.telepolis.de/r4/artikel/ 19/19623/1.html (Stand 18.03. 2005) zum Symposion Camcorder Revolution, das im März 2005 in Köln von der Stiftung Kultur, dem Filmbüro NRW und dem Stuttgarter Haus des Dokumentarfilms ausgerichtet wurde. 38 Zu gesellschaftspolitischen Implikationen der digitalen Technologien siehe u.a. Achim Bühl: Cybersociety. Mythos und Realität in der Informationsgesellschaft. Köln: PapyRossa Verlag 1996. 199

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zu sprengen und als Künstlergruppe in rein digitaler Identität aufzutreten. Die Mitglieder „verkaufen“ ihre reale Existenz gegen Aktienpapiere der etoy.corporation, um eine anonyme Existenz als etoy.agent zu führen. Die Bezeichnungen von etoy in der Presse variieren von einer „Kunstgruppe“ zur „Firma“ bis zur „Sekte“. Der US-Spielzeugkonzern eToys hatte die Domain www.etoy.com schließen lassen und es kam zum spektakulären „TOYWAR“ 1999, den etoy über kreative Beteiligungsstrategien finanzierte und bei dem schließlich der vermeintlich übermächtige Konzern das Nachsehen hatte.39

Abb. 64: Grafik im Rahmen der ToywarKampagne

Abb. 65: Entwicklung der eToys-Aktie im Verlauf des Toywar

Allein bleibt die Frage nach dem Umgang mit den Medien, der sich im weltweiten Maßstab doch weitgehend auf das passive konsumieren beschränken dürfte und die Hoffnung auf eine „Multitude“ vermutlich als schöne Utopie erscheinen lässt. Der Diskurs um die Welt(un)ordnung40 und deren Bewältigung verbindet sich in der Arbeit mit Raumkonzepten, wie dem „Third Space“ von Homi K. Bhabha41, die Entwürfe der kulturellen Identität fern von vorgegebenen Rastern (wie Nationalitäten, Hautfarben) 39 Siehe hierzu http://toywar.etoy.com/ (Stand: 18.03.2005). 40 Vgl. Hardt/Negri, 2002, a.a.O.,; Bassam Tibi: Die neue Weltunordnung. Westliche Dominanz und islamischer Fundamentalismus. Berlin: Propyläen, 1999. 41 Bhabha, a.a.O., S. 32 f. 200

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erörtern. Bhabha geht ursprünglich von der Kritik an rassistischen und kolonialen Denkfiguren aus. Der Literaturwissenschaftler bezeichnet mit dem „Third Space“ einen erkenntnistheoretischen Raum, in dem die Aushandelbarkeit von kulturellen Identitäten, Bedeutungen und Repräsentationen stattfindet. Es stellt sich die Frage, inwiefern die tatsächlichen Lebensverhältnisse, in denen nach Geschlecht, Rasse und Nationalität identifiziert und nach Einkommen und Vermögen klassifiziert wird, hierdurch zu erschüttern sind. Die von Bhabha formulierten Wünsche einer neuen, temporären Subjektivität finden sich herangetragen an die Subjektkonstitution im Kontext digitaler Medien. In der historischen Perspektive der vergangenen 100 Jahre beinhaltet jede technische Neuerung das Versprechen gesteigerter individueller Entfaltungsmöglichkeiten42 und erhöhter Selbstbestimmung des Subjekts innerhalb der Medien- und Kulturstrukturen. Die vorliegende Arbeit trägt dazu bei, die der digitalen Medienkultur zugrundeliegenden Wunschstrukturen offen zu legen. „Da Wünsche in der Differenz zu dem, was ist, ihre Kraft entfalten, sind sie die einzige Instanz, die dem Tatsächlichen und seiner drohenden Totalisierung entgegentreten kann.“43 Derartige Wunschstrukturen werden auch weiterhin Antrieb technologischer und medialer Entwicklungen sein.

42 Siegfried Zielinski: Video – Apparat/Medium, Kunst, Kultur. Frankfurt/Main: Verlag Peter Lang 1992, S. 13 ff. 43 Hartmut Winkler: Docuverse. Zur Medientheorie der Computer. München: Boer Verlag 1997, S 338. 201

BILDNACHWEISE Trotz umfangreicher Recherchen ist es nicht in allen Fällen gelungen, die Copyright-Inhaber einzelner Reproduktionen ausfindig zu machen. Abb. 1  Bill Waterson, aus: Something Under My Bed Is Drooling. The Calvin and Hobbes Collection. London: Warner Books 1988. Abb. 2  Bill Waterson, aus: Auf dem Sprung. Frankfurt/ Main: Fischer Verlag 1989. Abb. 3  David Carson, aus: David Carson und Lewis Blackwell: The End of Print. München: Bangert Verlag 1995. Abb. 4  Jean Tinguely, aus: http://www.medienkunstnetz.de (Stand: 01.12.2005). Abb. 5  Nam June Paik, ebd. Abb. 6  Lynn Hershman, ebd. Abb. 7  Jeffrey Shaw, ebd. Abb. 8  Orlan, Carnal Art, ebd. Abb. 9  Masaki Fujihata, Bildschirmfoto aus Impalpability, artintact 5. CD-ROM Magazin interaktiver Kunst. Herausgegeben vom Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe: Hatje Cantz 1999. Abb. 10 Standbild aus Persona, Regie: Ingmar Bergman, 1966. Abb. 11 © Regionales Rechenzentrum für Niedersachesen (RRZN), aus: http://www.rrzn.uni-hannover.de/ (Stand 01.12.2005) Abb. 12 © Société Kandinsky, aus: Jelena Hahl-Koch: Kandinsky. Stuttgart: Verlag Hatje, 1993, S. 281, Abb. 335. Abb. 13 Standbild aus Stargate, Regie: Roland Emmerich, 1994. Abb. 14 Screenshot, priv. Abb. 15 Nach: Hans Tietze und Erika Tietze-Conrat: Kritisches Verzeichnis der Werke Albrecht Dürers, Band II/2. Basel, Leipzig: Holbein-Verlag 1938. 203

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Abb. 16 Abb. 17 Abb. 18 Abb. 19 Abb. 20

Abb. 21

Abb. 22 Abb. 23 Abb. 24

Abb. 25

Abb. 26 Abb. 27 Abb. 28 Abb. 29

Abb. 30 Abb. 31

Screenshot, priv. Screenshot, priv.  Cornelia Sollfrank, aus: http://www.medienkunst netz.de (Stand: 01.12.2005) Screenshot, priv.  Colin Piepgras, aus: Jasia Reichardt: „Die Paradoxe mechanischen Lebens“. In: Brigitte Felderer (Hg.): Wunschmaschine Welterfindung. Eine Geschichte der Technikvisionen seit dem 18. Jahrhundert. Wien, New York: Springer Verlag 1996, S. 480.  Masaki Fujihata, Bildschirmbild aus Impalpability, artintact 5. CD-ROM Magazin interaktiver Kunst. Herausgegeben vom Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe: Hatje Cantz 1999. Screenshot, priv. Miniaturisierte Bilder aus den Ergebnissen der InternetBildsuchmaschine Google (Stand 01.12.2005). © Ken Feingold. Screenshot aus Junkman, 1995 erstellt für artintact 3. CD-ROM Magazin interaktiver Kunst. Herausgegeben vom Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe: Hatje Cantz 1996. Motion Platform, Illustration zu Frank Biocca: „Virtual Reality Technology“, in: Journal of Communication, Herbst 1992, Bd. 42, Nr. 4, S. 26. Abbildung nach: Brigitte Felderer (Hg.): Wunschmaschine Welterfindung. Eine Geschichte der Technikvisionen seit dem 18. Jahrhundert. Wien, New York: Springer Verlag 1996, S. 256. Standbild aus eXistenZ, Regie: David Cronenberg, 1999. © Ulrike Gabriel, aus: http://www.medienkunstnetz.de (Stand: 01.12.2005). © David Rokeby, ebd. © Cindy Sherman, aus: Amanda Cruz et al.: Cindy Sherman: Retrospective. New York: Thames and Hudson, 2. Auflage, 2000, S. 127, Abb. 94. © Cindy Sherman, , ebd., Abb. 117. © Cindy Sherman, aus: Zdenek Felix et al.: Cindy Sherman: Photoarbeiten 1975-1995. München, Paris, London: Schirmer/Mosel 1995, o.S., Abb. 9. 204

BILDNACHWEISE

Abb. 32 Abb. 33 Abb. 34 Abb. 35 Abb. 36

Abb. 37

Abb. 38

Abb. 39

Abb. 40 Abb. 41 Abb. 42

Abb. 43 Abb. 44 Abb. 45 Abb. 46 Abb. 47 Abb. 48

Abb. 49 Abb. 50 Abb. 51 Abb. 52 Abb. 53

Aus: Jon Samsel, Darryl Wimberley: Writing for Interactive Media. New York: Allworth Press 1998, S. 29. Aus: ebd., S. 25. Aus: ebd, S. 33. Aus: ebd., S. 28. Aus: Ulrike Spierling et al.: Setting The Scene. Playing Digital Director In Interactive Storytelling And Creation, Darmstadt: Zentrum für Grafische Datenverarbeitung, 2002, S. 35. © Brenda Laurel. Aus: Brenda Laurel: Computers As Theatre, Boston: Addison Wesley Longman 2000, S. 70 und 72 (Abb. 3.1 und 3.2). © Clemens Franz. Aus: Clemens Franz: Adaptive Digital Storytelling. Diplomarbeit an der Fachhochschule Johanneum, 2003, S. 8. http://dmt.fh-johanneum.at/ new/mm/pdf/da_all/jg99-diplomarbeit_franz.pdf (Stand: 27.08.2004). © Olia Lialina. Screenshot aus: My Boyfriend Came Back From The War. http://www.teleportacia.org/war/ war.html (Stand: 14.03.2005). © Olia Lialina, ebd. © Olia Lialina, ebd. © Norman M. Klein: Bleeding Through: Layers of Los Angeles 1920-1986. Hrsg. Labyrinth Project, Annenberg Centre, Los Angeles, ZKM/Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe, 2003. © Norman M. Klein, ebd. © Norman M. Klein, ebd. © Norman M. Klein, ebd. © Norman M. Klein, ebd. © Norman M. Klein, ebd. © Schoenerwissen/ Office for Computational Design, Datenbank-Visualisierung zu Soft Cinema, aus: http:// www.softcinema.net (Stand: 01.12.2005). © Lev Manovich, aus: http://www.softcinema.net (Stand: 01.12.2005). © Lev Manovich, ebd. © Lev Manovich, ebd. © Lev Manovich, ebd. © Lev Manovich, ebd. 205

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Abb. 54 Abb. 55 Abb. 56 Abb. 57 Abb. 58

Abb. 59 Abb. 60 Abb. 61 Abb. 62 Abb. 63 Abb. 64

Abb. 65

© Lev Manovich, Entwurf von Ruth M. Lorenz, aus: http:// www.softcinema.net (Stand: 01.12.2005). © Lev Manovich, Entwurf von Andreas Kratky, ebd. © Lev Manovich, ebd. © Lev Manovich, ebd. © Clemens Franz. Aus: Clemens Franz: Adaptive Digital Storytelling. Diplomarbeit an der Fachhochschule Johanneum, Graz, 2003, S. 31, Abb. 6. Online: http:// dmt.fh-johanneum.at/new/mm/pdf/da_all/jg99-diplom arbeit_franz.pdf (Stand: 27.08.2004). © Andrea Zapp, aus: http://www.azapp.net/ls.html (Stand: 01.12.2005). © Ken Goldberg, aus: http://www.telegarden.org (Stand: 01.12.2005). © Paul Sermon, aus: http://www.medienkunstnetz.de (Stand: 01.12.2005). © Columbia Pictures Inc. © padeluun, aus: http://www.zerberus.com (Stand: 01.12.2005). © etoy, aus: Reinhold Grether „How the Etoy Campaign Was Won“, Telepolis online: http://www.heise. de/tp/r4/artikel/5/5843/1.html (Stand: 01.12.2005). © etoy, ebd.

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DANK

Für den erfolgreichen Abschluss der vorliegenden Arbeit schulde ich vielen Menschen meinen Dank. Mein herzlichster Dank gilt Peter und Marlies Feußner, Anja Todtenhaupt und Ursula SchmidtEffing ohne deren tatkräftige Unterstützung die vorliegende Arbeit nicht entstanden wäre. Danken möchte ich Prof. Dr. Heinz-B. Heller und Prof. Dr. Angela Krewani für das Interesse am gewählten Thema und die Betreuung meines Dissertationsvorhabens. Ebenso sei Christian Schicha für die Bereitschaft zur kurzfristigen Korrektursichtung gedankt. Schließlich gab mir mein Sohn Mika den Anlass zu effektivem Zeitmanagement und hat mich immer wieder in den Alltag zurück geholt. Die Arbeit möchte ich meinen leider viel zu früh verstorbenen Eltern Hannelore und Georg Missomelius widmen. Marburg, im Juli 2006 Petra Missomelius

Kultur- und Medientheorie Simone Dietz, Timo Skrandies (Hg.) Mediale Markierungen Studien zur Anatomie medienkultureller Praktiken Dezember 2006, 270 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN: 3-89942-482-4

Jutta Zaremba New York und Tokio in der Medienkunst Urbane Mythen zwischen Musealisierung und Mediatisierung Oktober 2006, ca. 225 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., ca. 24,80 €, ISBN: 3-89942-591-X

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Georg Stauth, Faruk Birtek (Hg.) ›Istanbul‹ Geistige Wanderungen aus der ›Welt in Scherben‹

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Michael C. Frank Kulturelle Einflussangst Inszenierungen der Grenze in der Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts

Oktober 2006, ca. 400 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 31,80 €, ISBN: 3-89942-552-9

August 2006, 232 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-535-9

Petra Missomelius Digitale Medienkultur Wahrnehmung – Konfiguration – Transformation

Barbara Becker, Josef Wehner (Hg.) Kulturindustrie reviewed Ansätze zur kritischen Reflexion der Mediengesellschaft

September 2006, 234 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 3-89942-548-0

Bettina Mathes Under Cover Das Geschlecht in den Medien September 2006, ca. 220 Seiten, kart., ca. 23,80 €, ISBN: 3-89942-534-0

August 2006, 296 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN: 3-89942-430-1

Antje Krause-Wahl, Heike Oehlschlägel, Serjoscha Wiemer (Hg.) Affekte Analysen ästhetisch-medialer Prozesse August 2006, 196 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 3-89942-459-X

Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de

Kultur- und Medientheorie Martin Pfleiderer Rhythmus Psychologische, theoretische und stilanalytische Aspekte populärer Musik August 2006, 390 Seiten, kart., 30,80 €, ISBN: 3-89942-515-4

Regina Göckede, Alexandra Karentzos (Hg.) Der Orient, die Fremde Positionen zeitgenössischer Kunst und Literatur

Ralf Adelmann, Jan-Otmar Hesse, Judith Keilbach, Markus Stauff, Matthias Thiele (Hg.) Ökonomien des Medialen Tausch, Wert und Zirkulation in den Medien- und Kulturwissenschaften Juli 2006, 338 Seiten, kart., 19,80 €, ISBN: 3-89942-499-9

Juli 2006, 214 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 24,80 €, ISBN: 3-89942-487-5

Michael Treutler Die Ordnung der Sinne Zu den Grundlagen eines ›medienökonomischen Menschen‹ Juli 2006, 282 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 3-89942-514-6

Georg Mein (Hg.) Kerncurriculum BA-Germanistik Chancen und Grenzen des Bologna-Prozesses Juli 2006, 94 Seiten, kart., 11,80 €, ISBN: 3-89942-587-1

Petra Gropp Szenen der Schrift Medienästhetische Reflexionen in der literarischen Avantgarde nach 1945 Juli 2006, 450 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN: 3-89942-404-2

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