Erfolgreiche Digitale Transformation von Shared Services [1. Aufl.] 9783658304836, 9783658304843

Shared Service Organisationen (SSOs), die in vielen Unternehmen deren interne Geschäftsprozesse (z. B. Rechnungswesen/Fi

392 11 5MB

German Pages XVI, 190 [204] Year 2020

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Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XVI
Herausforderungen der digitalen Transformation von Shared Services und Shared Service Organisationen (Thomas M. Fischer, Kai-Eberhard Lueg, Lorenz Schneck, Rolf Brühl)....Pages 1-18
Implementierung digitaler Prozesse (Herbert Woratschek, Ulrich Borgdorf, Daniel Dornbusch, Thorben Finken, Christian Große, Roland Haefs et al.)....Pages 19-74
Human Resource Management in digitalisierten SSO (Rolf Brühl, Daniel Dornbusch, Karsten Hoyer, Konstanze Hölker, Thomas Laux, Robert Lieglein et al.)....Pages 75-125
Risikomanagement im Rahmen der Digitalisierung von Shared Services (Peter Kajüter, Christoph Carus, Jens Knoblauch, Javier Sánchez y Garcia, Martin Steuernagel, Ingo Susemihl)....Pages 127-146
Business Analytics in Shared Service Organisationen (Thomas M. Fischer, Kai-Eberhard Lueg, Martin Steuernagel, Barbara Mauch-Maier, Frank Schüler, Daniela Hofbeck et al.)....Pages 147-187
Back Matter ....Pages 189-190
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Erfolgreiche Digitale Transformation von Shared Services [1. Aufl.]
 9783658304836, 9783658304843

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ZfbF-Sonderheft  74 | 20

ZfbF Thomas M. Fischer Kai-Eberhard Lueg  Hrsg.

Erfolgreiche Digitale Transformation von Shared Services

ZfbF-Sonderheft Band 74/20 Reihe herausgegeben von Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e. V. Köln, Deutschland

Die ZfbF-Sonderhefte sind aktuellen Themen aus allen Gebieten der Betriebswirtschaftslehre gewidmet. Sie enthalten entweder Monografien oder Sammelbände mit Aufsätzen zu dem jeweiligen Spezialthema, vor allem aus Rechnungswesen und Steuern, Finanzierung, Marketing sowie Organisation, Management und digitalen Märkten. Besonderes Kennzeichen ist die enge Verbindung von Theorie und Praxis. Die Reihe der ZfbF-Sonderhefte wurde 1972 neben der Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung (ZfbF) etabliert. Bisher wurden pro Jahr ein bis zwei Sonderhefte zu einem breiten Spektrum von Themen der Betriebswirtschaftslehre veröffentlicht. Die Qualitätssicherung der ZfbF-­Sonderhefte erfolgt durch die renommierten Herausgeber der ZfbF. Die ZfbF ist die älteste und renommierteste betriebswirtschaftliche Fachzeitschrift im deutschsprachigen Raum. Sie wurde 1906 von Eugen Schmalenbach als Zeitschrift für handelswissenschaftliche Forschung (ZfhF) gegründet und ab 1949 in neuer Folge geführt. 1963 erhielt sie den heutigen Namen. 2000 wurde ihre Schwesterzeitschrift in englischer Sprache, die Schmalenbach Business Review (SBR), ausgegliedert. Träger der ZfbF und der SBR ist die Schmalenbach-­Gesellschaft für Betriebswirtschaft e. V. Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Schriftführender Herausgeber Prof. Dr. Dr. h.c. Alfred Wagenhofer, Universität Graz, Österreich Redaktion Dr. Birgit Beinsen, Universität Graz, Österreich Herausgeber Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Ballwieser, Universität München, Deutschland Prof. Dr. Marina Fiedler, Universität Passau, Deutschland Prof. Dr. Karen Gedenk, Universität Hamburg, Deutschland Prof. Dr. Martin Klarmann Karlsruher Institut für Technologie, Deutschland Prof. Dr. Rainer Niemann, Universität Graz, Österreich Prof. Dr. Tobias Kretschmer Universität München, Deutschland Prof. Jörg Rocholl, PhD, European School of Management and Technology, Deutschland Prof. Dr. Ulrich Schreiber, Universität Mannheim, Deutschland Prof. Dr. Thorsten Sellhorn, Universität München, Deutschland Prof. Dr. Martin Spann, Universität München, Deutschland Prof. Dr. Erik Theissen, Universität Mannheim, Deutschland

Prof. Dr. Marliese Uhrig-Homburg, Karlsruher Institut für Technologie, Deutschland Herausgeberrat Prof Dr. Dr. h.c. Wolfgang Ballwieser (Vorsitz) Universität München, Deutschland WP StB Klaus Becker, KPMG AG, Deutschland Ludger Becker, Bayer AG, Deutschland Prof. Dr. Clemens Börsig, Deutschland Prof. Dr. Mark Ebers, Universität zu Köln, Deutschland Prof. Dr. Edgar Ernst, Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung, Deutschland WP StB Georg Graf Waldersee, Ernst & Young GmbH, Deutschland Dr. Lars Grünert, Trumpf GmbH & Co. KG, Deutschland Dr. Alan Hippe, F. Hoffmann-La Roche AG, Schweiz Stefan Krause, Deutschland Prof. Dr. Bernhard Pellens, Ruhr-Universität Bochum, Deutschland WP StB Prof. Dr. Martin Plendl, Deloitte, Deutschland Prof. Dr. Caren Sureth-Sloane, Universität Paderborn, Deutschland Dr. Markus Warncke, Villeroy & Boch AG, Deutschland

Weitere Bände in dieser Reihe http://www.springer.com/series/15235

Thomas M. Fischer  •  Kai-Eberhard Lueg Hrsg.

Erfolgreiche Digitale Transformation von Shared Services

Hrsg. Thomas M. Fischer Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insb. Rechnungswesen und Controlling Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Nürnberg, Deutschland

Kai-Eberhard Lueg Chief Operating Officer - Global Business Services Siemens AG München, Deutschland

ZfbF-Sonderheft ISBN 978-3-658-30483-6    ISBN 978-3-658-30484-3  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-30484-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Das konzerninterne und – externe Umfeld, in dem Shared Service Organisationen (SSOs) operieren, ist von starken Umwälzungen geprägt, die zu laufenden Änderungen und neuen Anforderungen bei den SSOs führen. Der Arbeitskreis Shared Services der Schmalenbach-Gesellschaft hat bereits in seinem Beitrag „Digitale Transformation und Leadership in Shared Service Organisationen“1 die Trends zur Digitalisierung und Automatisierung in Unternehmen sowie die sich hieraus ergebenden Chancen und Risiken für SSOs aufgezeigt. Die i. d. R. globale Organisationsstruktur der SSOs ermöglicht sowohl eine räumliche Diversifikation als auch ein sehr hohes Potenzial für virtuelle Kooperation auf digitalen Plattformen, um einen globalen Ressourcenausgleich und Business Continuity Management zu erreichen. Wichtige globale Entwicklungen lassen mittelfristig einen weiteren Bedeutungszuwachs der SSOs durch die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen in Konzernen erwarten: Die Veränderung der geopolitischen Lage, eine stärkere Gewichtung internationaler Nachhaltigkeitsziele sowie die gegenwärtig schwer quantifizierbaren Auswirkungen der Corona-Pandemie gehen einher mit dem Rückgang von lange Zeit erfolgreichen Geschäftsmodellen bei gleichzeitig aufkommenden Tendenzen zu wirtschaftlichem und zu politischem Protektionismus. Die Bündelung von zunächst dezentral ausgeführten Arbeitsabläufen in den SSOs bildet die Basis für die betriebswirtschaftliche Optimierung der Prozesse. Aktuell sind von SSOs nicht mehr nur kontinuierliche Effizienz- und Effektivitätssteigerungen in einer oftmals bereits stark optimierten Prozesslandschaft gefordert, sondern die Entwicklung neuer, dynamischer und krisenresistenter Geschäftsmodelle, aus denen zusätzliche Wertbeiträge für den Konzern und die Kunden der SSOs entstehen. Dieses Sonderheft baut auf den Diskussionen auf, die in den Sitzungen des Arbeitskreises Shared Services seit der Publikation des ZfbF-Sonderhefts 70/17 „Erfolgreiche Führung von Shared Services“ (hrsg. von T. M. Fischer und M. Vollmer, Wiesbaden 2017) geführt wurden. Die Inhalte beschreiben, wie im Kontext der Di1  Beitrag im Sonderheft „Betriebswirtschaftliche Implikationen der digitalen Transformation“ (hrsg. von S. Krause und B. Pellens, Wiesbaden 2018, S. 29–48).

V

VI

Vorwort

gitalisierung die bestehenden Nutzenpotenziale von SSOs neu bewertet werden, wie der digitale Transformationsprozess in SSOs erfolgreich initiiert und gesteuert wird und wie die Potenziale ihrer Kunden mit einer neuen Rolle der SSOs als P ­ romotoren der digitalen Transformation gehoben werden. Die Ausführungen werden anhand zahlreicher Praxisbeispiele aus den im Arbeitskreis vertretenen Unternehmen veranschaulicht. Das vorliegende ZfbF-Sonderheft gliedert sich in fünf Kapitel: Kap. 1 stellt die Auswirkungen der Digitalisierung auf Unternehmen und Unterstützungsfunktionen dar, die zu einer Veränderung der internen und externen Anforderungen an SSOs führen. Zur Bewertung der Potenziale, die SSOs zur Verfügung stehen, um auf die neuen Anforderungen zu reagieren, werden zunächst bestehende Stärken von Shared Services in Abgrenzung zu alternativen Organisationsmodellen anhand verschiedener Ertragsmechanismen kategorisiert. Anschließend wird eine sich durch die Digitalisierung ergebende Neubewertung der Stärken vorgenommen sowie beispielhaft beschrieben, wie durch SSOs über Effizienz- und Effektivitätssteigerungen hinaus eine Wertschöpfung für den Konzern generiert wird. Die Überlegungen münden in ein neues Rollenverständnis von SSOs als Promotoren der digitalen Transformation im Konzern. Das Kap. 2 erläutert verschiedene Faktoren, die für eine nachhaltige Wertschöpfung durch SSOs erforderlich sind: die Technologien, die SSOs für die digitale Prozesstransformation einsetzen, sowie die Erfolgsfaktoren zu deren Implementierung. Zunächst werden Ansätze zur Verbesserung des grundlegenden digitalen Werkzeugkastens von SSOs, Enterprise-Resource-Planning(ERP)-Systeme und Cloud-­ Lösungen, vorgestellt. Darauf aufbauend werden Innovationen zur Prozessautomatisierung diskutiert, die als wichtige Bestandteile der Automatisierungshierarchie in Shared Service Centers (SSCs)  etabliert wurden. Robotic Process Automation (RPA) und Robotic Desktop Automation (RDA) bieten in ihrer Grundform als Brückentechnologie eine sehr effiziente Möglichkeit, repetitive Aktivitäten mit strukturiertem Input durch Imitation menschlicher Aktionen zu automatisieren und Mitarbeiterressourcen für anspruchsvollere Aufgaben freizugeben. Diese Technologien stoßen jedoch an Grenzen bei Anpassungen der Software, auf der sie operieren, sowie bei unstrukturiertem Input. Im Anschluss werden daher Ansätze beschrieben, wie RPA durch sog. Cognitive Intelligence zur Bewältigung anspruchsvollerer Aufgaben bei nichtstrukturierten Daten eingesetzt werden kann. Eine weitere Anwendung von sog.  künstlicher Intelligenz sind Chatbots, die zunehmend erfolgreich gegenüber SSO-Kunden als Informationsquelle und Gesprächspartner auftreten und somit hohes Potenzial zur Automatisierung der zahlreichen kommunikationsbezogenen SSO-Aktivitäten aufweisen. Zuletzt wird mit der Blockchain eine Grundlagentechnologie vorgestellt, die in SSOs zwar noch keine breite Anwendung gefunden hat, aber für viele Aktivitäten im Dienstleistungsportfolio der SSOs in der Zukunft revolutionäre Auswirkungen entfalten kann. Entsprechende Entwicklungen sollten durch die Digitalisierungsstrategie der SSOs berücksichtigt werden. In Kap. 3 wird die digitale Transformation von HR-Shared Service Organisationen anhand von Fallbeispielen aus der Praxis großer Unternehmen beschrieben. Die Analyse zahlreicher Fallbeispiele wird jeweils durch wissenschaftliche Befunde er-

Vorwort

VII

gänzt. Besonderes Gewicht liegt dabei auf folgenden drei Anforderungen: Fähigkeiten der Mitarbeiter und des Managements, Transformationsfähigkeit der SSOs sowie ein sich wandelndes Rollenverständnis von SSOs. Einzelne Fallbeispiele diskutieren die Herausforderungen einer kontinuierlichen Digitalisierung und evaluieren den Nutzen, der durch die Einführung digitaler Technologien für Personalmanagement und Mitarbeiter entsteht. Weitere Fallstudien aus der Unternehmenspraxis analysieren allgemein sich verändernde Anforderungen an die Qualifikation von Management und Mitarbeitern beim Übergang von transaktionalen zu wissensbezogenen Anforderungen sowie die spezifischen Erfordernisse in digitalisierten SSOs. Abschließend erörtern Anwendungsfälle die Veränderungen im Aufgabenspektrum digitalisierter HR-Shared Services sowie Erfahrungen bei der Einbeziehung von Business Process Outsourcing-Anbietern. Das Kap. 4 beschäftigt sich mit den Risiken für SSOs, die aufgrund der Digitalisierung entstehen können. Die konzeptionellen Ausführungen werden durch Praxisbeispiele veranschaulicht. Zuerst wird die Relevanz des Managements von IT-­ Risiken für SSOs dargestellt sowie eine Abgrenzung der grundlegenden Begriffe und Risikoarten vorgenommen. Danach werden Ansätze zum Management der aufgezeigten Risiken diskutiert. Hier wird zunächst erläutert, in welcher Form und in welchem Umfang eine Verpflichtung zur Erfassung von IT-Risiken in den SSOs bei Unternehmen besteht. Ebenso wird analysiert, anhand welcher Mechanismen die aus der Digitalisierung entstehenden Risiken in den SSOs identifiziert und bewertet werden können. Abschließend zeigen Beispielfälle zur Risikosteuerung, wie die SSOs bestehende IT-Risiken diversifizieren können. Das Kap. 5 behandelt die Chancen und Risiken, die der Einsatz von Business Analytics für SSOs birgt. In Abschn. 5.1 werden die konzeptionellen Grundlagen zu Business Analytics vermittelt und anhand von Fallbeispielen die konkrete Ausprägung in der SSO-Praxis erläutert. Im Abschn. 5.2 wird Business Analytics als Geschäftsmodell von Shared Services und dessen Potenzial zur Schaffung zusätzlicher Werte für den Konzern diskutiert. Hierbei werden Wertschöpfung, Wertübertragung sowie Wertrealisation im Business Analytics Center of Expertise konzeptionell erfasst und anhand von Praxisbeispielen veranschaulicht. Abschn.  5.3 widmet sich den Auswirkungen digitaler Technologien auf die Steuerung in SSOs. Hier werden einerseits die Vorteile dargestellt, die sich aus dem Einsatz digitaler Technologien und Fähigkeiten, besonders Business Analytics, für die Steuerung von SSOs ergeben. Andererseits werden die Herausforderungen diskutiert, die speziell bei der Steuerung der neuen digitalen Geschäftsmodelle zu beachten sind. Hierzu schließt das Sonderheft mit der Fallstudie „Virtual Delivery Center“ zum Controlling eines Automation-as-a-Service-Geschäftsmodells. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung des Sonderhefts bestand der AK Shared Services aus folgenden Mitgliedern: Dr. Ulrich Borgdorf Prof. Dr. Rolf Brühl

Vice President Finance Services/ Senior Project Lead, innogy SE Inhaber des Lehrstuhls für Unternehmensethik und Controlling, ESCP Europe Business School, Berlin

VIII

Vorwort

Zentralbereichsleiter, Münchener Rückversicherung AG Prof. Dr. Nils Crasselt Inhaber des Lehrstuhls für Con­ trolling, Bergische Universität Wup­pertal Dr. Daniel Dornbusch Senior Vice President, Business Services EMEA, BASF Services Europe GmbH Thomas Eckardt Leiter Prozessmanagement Supply Chain & Service Center Konzernbeschaffung, Volkswagen AG Michael Felix Geschäftsführer, Burda Services GmbH Dr. Thorben Finken Chief Administrative Officer, Olympus Europa SE & Co. KG Prof. Dr. Thomas Fischer (Arbeitskreisleiter) Inhaber des Lehrstuhls für Rechnungswesen und Controlling, Fried rich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Andrea Gerdau Geschäftsführerin, SRH Beteiligungs GmbH Christian Große Vice President Accounting EMEA, Fresenius Medical Care Deutschland GmbH Ulrich Henrik Haastert Vice President Finance Services, E.ON SE Dr. Roland Haefs Corporate Vice President Shared Services, Henkel AG & Co. KGaA Andreas Hilf Head of Global Business Services, Boehringer Ingelheim GmbH Dr. Karsten Hoyer Senior Vice President, Global Head of HR Solutions, Bayer AG Prof. Dr. Peter Kajüter Inhaber des Lehrstuhls für BWL, insb. Internationale Unternehmens­ rechnung, Westfälische Wilhelms-­ Universität Münster Axel Kauhausen Managing Director, Beiersdorf Shared Services GmbH Jens Knoblauch Executive Director Digital & Business Services, Linde GmbH Heiko Knocke Senior Vice President, Head of Global Finance Shared Services, SAP SE Christoph Carus

Vorwort

Dr. Sandra Krey Thomas Laux Kai-Eberhard Lueg (Arbeitskreisleiter) Barbara Mauch-Maier Mario Pellegrino Lothar Pott

Javier Sánchez y Garcia Dr. Frank Schüler

Martin Steuernagel

Piotr Stopa

Maximiliane Straub Dr. Wolfgang Straub Stefan Troßbach Jens Bruno Wilhelm

Jörg Wolfhard Prof. Dr. Herbert Woratscheck

IX

Bereichsleitung Rechnungswesen & Finanzprozesse, MAN Truck & Bus SE Vorstand Finanzen, Deutsche Telekom Services Europe SE Chief Operating Officer  - Global Business Services, Siemens AG Director Shared Service Accounting, Daimler AG Senior Vice President, Head of CFO Strategy 2022, Merck KGaA Leiter Rechnungswesen MSD/Leiter Service Center MSD, Media-­ Saturn Deutschland GmbH Head of thyssenkrupp Business Services GmbH Managing Director DHL Global Forwarding, Freight – Global Service Centers, DHL Global Forwarding Management GmbH Head of Global Delivery LGBS, Lufthansa Global Business Services GmbH Vice President Global Shared Services Organization, ZF Friedrichshafen AG Vorsitzende Global Business Services, Robert Bosch GmbH Senior Vice President, Projektleiter HR-Transformation, Evonik Industries AG Geschäftsführer, Bertelsmann Accounting Services GmbH Head of Corporate Accounting & Head of Global Business Services, BSH Hausgeräte GmbH Geschäftsführer, Bilfinger Shared Services GmbH Inhaber des Lehrstuhls für Dienstleistungsmanagement, Universität Bayreuth

X

Vorwort

Die Präsentationen und Diskussionen in den Arbeitskreistreffen an den Standorten unserer Mitglieder sowie in den öffentlichen Sitzungen des Arbeitskreises stellen ein bedeutendes Fundament für die Schwerpunktsetzung im vorliegenden ZfbF-Sonderheft dar. Wesentliche konzeptionelle Meilensteine zur Aggregation von Fähigkeiten in SSCs, zur Einführung von digitalen Technologien in Shared Service-­ Prozessen sowie zu Best Practices der digitalen Transformation von SSOs wurden auf dem 71. Deutschen Betriebswirtschafter-Tag 2017 unter dem Thema ­„Cross-­Border, Lean, Digital  – Shared Services as Enabler of Synergies in Post Merger Integration“ sowie auf dem 73. Deutschen Betriebswirtschafter-Tag 2019 unter dem Thema „Shared Services als Partner für die digitale Transformation der Finanzfunktion“ präsentiert und diskutiert. Die regelmäßigen Treffen der Arbeitsgruppe „Personalstrategie in digitalisierten SSOs“ im Arbeitskreis Shared Services mündeten in Kap. 3 dieses Sonderhefts. Die Erstellung des Sonderhefts erfolgte je Kapitel unter der Verantwortung der akademischen Vertreter im Arbeitskreis, Herrn Prof. Dr. Rolf Brühl, Herrn Prof. Dr. Thomas M. Fischer, Herrn Prof. Dr. Peter Kajüter sowie Herrn Prof. Dr. Herbert Woratschek. Die Leiter des Arbeitskreises Shared Services im Zeitraum der Erstellung des Sonderhefts, zugleich Herausgeber dieses ZfbF-Sonderhefts, sind: • Aus dem Hochschulbereich, Herr Prof. Dr. Thomas M.  Fischer, Friedrich-­ Alexander-­Universität Erlangen-Nürnberg, • aus der Unternehmenspraxis, Herr Kai-Eberhard Lueg, Siemens AG. Als Leiter des Arbeitskreises danken wir allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der im Arbeitskreis vertretenen Unternehmen für die fachliche Unterstützung bei der Erstellung des Sonderhefts sowie Herrn Lorenz Schneck, Friedrich-­Alexander-­ Universität Erlangen-Nürnberg, für seine sehr engagierte und umsichtige Koordination der Sitzungen unseres Arbeitskreises und das sehr sorgfältige Zusammenführen der Kapitel der vorliegenden Publikation. Frau Svenja Fahlberg, Frau Gina Trebes und Herrn Stefan Achtner, Friedrich-­ Alexander-­Universität Erlangen-Nürnberg, danken wir für ihre Unterstützung bei der Durchsicht und Formatierung des Manuskripts. Die zukünftige fachliche Tätigkeit des Arbeitskreises Shared Services wird weiter geprägt sein durch den Fortschritt der digitalen Technologien, die Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle in den SSOs und die  Ausführung neuer Aufgaben für interne und externe Kunden. Aktuelle Informationen zum Arbeitskreis Shared Services sind auf der Website der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e. V. unter https://rebrand.ly/ sharedservices verfügbar. Nürnberg, Deutschland München, Deutschland  im Juli 2020

Thomas M. Fischer Kai-Eberhard Lueg

Inhaltsverzeichnis

1 Herausforderungen der digitalen Transformation von Shared Services und Shared Service Organisationen������������������������������������������   1 Thomas M. Fischer, Kai-Eberhard Lueg, Lorenz Schneck und Rolf Brühl 1.1 Auswirkung der digitalen Transformation auf Unternehmen und Unterstützungsfunktionen������������������������������������������������������������   3 1.2 Neubewertung der Shared Service-Strategie��������������������������������������   4 1.2.1 Höhere transaktionale Effizienz und Effektivität��������������������   6 1.2.2 Dynamische Fähigkeiten in der digitalen Transformation������   8 1.3 Zusammenfassung und Ausblick��������������������������������������������������������  14 Literatur��������������������������������������������������������������������������������������������������������  15 2 Implementierung digitaler Prozesse��������������������������������������������������������  19 Herbert Woratschek, Ulrich Borgdorf, Daniel Dornbusch, Thorben Finken, Christian Große, Roland Haefs, Heiko Knocke, Piotr Stopa, Marcell Vollmer, Jens Bruno Wilhelm und Lorenz Schneck 2.1 Einführung������������������������������������������������������������������������������������������  20 2.2 Enterprise Resource Planning und Cloud Solutions ��������������������������  22 2.2.1 Grundlagen der digitalen Transformation������������������������������  22 2.2.2 Case Study: Das SAP S/4HANA Greenfield Implementation-­Projekt der innogy SE („°s4i“)��������������������  24 2.3 Robotic Process Automation und Cognitive Automation ������������������  29 2.3.1 Technologieklassifizierung ����������������������������������������������������  29 2.3.2 Voraussetzungen zur Implementierung����������������������������������  31 2.3.3 Bewertung des Potenzials ������������������������������������������������������  32 2.3.4 Use Cases��������������������������������������������������������������������������������  34 2.4 Virtuelle Assistenten ��������������������������������������������������������������������������  44 2.4.1 Begriffserklärung��������������������������������������������������������������������  44 2.4.2 Varianten ��������������������������������������������������������������������������������  45 2.4.3 Einsatzmöglichkeiten in Shared Services ������������������������������  47

XI

XII

Inhaltsverzeichnis

2.4.4 Risiken der Nutzung ��������������������������������������������������������������  49 2.4.5 Aspekte der Implementierung������������������������������������������������  50 2.4.6 Use Cases im Bereich Shared Services����������������������������������  52 2.5 Blockchain������������������������������������������������������������������������������������������  57 2.5.1 Grundlagen, Chancen und Risiken der Blockchain����������������  57 2.5.2 Anwendungen der Blockchain und Shared Services��������������  62 2.5.3 Anwendungsbeispiele für den Einsatz in Beschaf­ fungsprozessen������������������������������������������������������������������������  64 2.6 Zusammenfassung und Ausblick��������������������������������������������������������  68 Literatur��������������������������������������������������������������������������������������������������������  69 3 Human Resource Management in digitalisierten SSO ��������������������������  75 Rolf Brühl, Daniel Dornbusch, Karsten Hoyer, Konstanze Hölker, Thomas Laux, Robert Lieglein, Claus Peter Schründer und Stefan Troßbach 3.1 Neue Anforderungen an Mitarbeiter und Management von Shared Service Centern����������������������������������������������������������������������  76 3.1.1 Herausforderungen der Digitalisierung: Auf dem Weg zur agilen Organisation ����������������������������������������������������������  76 3.1.2 Technologien in digitalisierten Shared Service ­Organisationen������������������������������������������������������������������������  80 3.1.3 Mitarbeiterqualifikation in digitalisierten Shared Service Organisationen – von transaktionalen zu wissensintensiven Anforderungen������������������������������������������  91 3.1.4 Leadership in digitalisierten Shared Service Organisationen – von transaktionaler zu transformationaler Führung������������������������������������������������������������������������  97 3.2 Organisation digitaler Human Resources Shared Services���������������� 106 3.2.1 Wandel und Weiterentwicklung der Shared Service Organisation���������������������������������������������������������������������������� 106 3.2.2 Business Transformation- und Mergers and Acquisition Support in automatisierten Human Resources Operations – von funktionaler Dienstleistung zum integrierten Wertbeitrag���������������������������������������������������������� 107 3.2.3 Fremd- oder Eigenfertigung von Shared Services – Auswirkungen auf die Transformationskompetenz von Shared Service Centern���������������������������������������������������� 115 3.3 Zusammenfassung und Ausblick�������������������������������������������������������� 120 Literatur�������������������������������������������������������������������������������������������������������� 121 4 Risikomanagement im Rahmen der Digitalisierung von Shared Services�������������������������������������������������������������������������������������������������������� 127 Peter Kajüter, Christoph Carus, Jens Knoblauch, Javier Sánchez y Garcia, Martin Steuernagel und Ingo S ­ usemihl 4.1 Auswirkungen der Digitalisierung auf die Risikolage von Shared Service Centern���������������������������������������������������������������������� 128

Inhaltsverzeichnis

XIII

4.2 IT-Risiken in Shared Service Centern������������������������������������������������ 129 4.3 Risikomanagement in Shared Service Centern���������������������������������� 133 4.3.1 Allgemeine Anforderungen���������������������������������������������������� 133 4.3.2 Identifikation und Bewertung von Risiken aus der Digitalisierung������������������������������������������������������������������������ 135 4.3.3 Maßnahmen zur Risikosteuerung ������������������������������������������ 137 4.4 Zusammenfassung und Ausblick�������������������������������������������������������� 144 Literatur�������������������������������������������������������������������������������������������������������� 145 5 Business Analytics in Shared Service Organisationen���������������������������� 147 Thomas M. Fischer, Kai-Eberhard Lueg, Martin Steuernagel, Barbara Mauch-Maier, Frank Schüler, Daniela Hofbeck und Lorenz Schneck 5.1 Konzeptionelle Grundlagen zu Business Analytics���������������������������� 148 5.1.1 Definition und inhaltliche Abgrenzung von Business Analytics �������������������������������������������������������������������������������� 148 5.1.2 Entwicklungsstufen von Business Analytics�������������������������� 150 5.1.3 Der Business Analytics-Prozess���������������������������������������������� 153 5.2 Business Analytics als Geschäftsmodell von Shared Service Organisationen������������������������������������������������������������������������������������ 154 5.2.1 Wertschöpfung in Business Analytics-Geschäftsmodellen���� 155 5.2.2 Wertübertragung in Business Analytics-­Geschäftsmodellen�� 162 5.2.3 Wertrealisation in Business Analytics-Geschäftsmodellen���� 168 5.3 Einfluss digitaler Geschäftsmodelle auf die Steuerung von Shared Service Organisationen ���������������������������������������������������������� 171 5.3.1 Anwendung von Business Analytics im Controlling von Shared Service Organisationen���������������������������������������� 171 5.3.2 Steuerung digitaler Shared Service-Geschäftsmodelle���������� 176 5.4 Zusammenfassung und Ausblick�������������������������������������������������������� 182 Literatur�������������������������������������������������������������������������������������������������������� 183 Stichwortverzeichnis������������������������������������������������������������������������������������������ 189

Abkürzungsverzeichnis

Abb. Abbildung AG Access Governance, Aktiengesellschaft AGB Allgemeine Geschäftsbedingungen AI Artificial Intelligence AK Arbeitskreis AKEU Arbeitskreis Externe Unternehmensrechnung BA Business Analytics BCM Business Continuity Management BI Business Intelligence BPM Business Process Management BPO Business Process Outsorcing BSI Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik CA Cognitive Automation CBV Capability-Based View CEO Chief Executive Officer CISO Chief Information Security Officer CoE Center of Expertise DALM Data Analytics Lifecycle Model DAO Dezentralisierte Autonome Organisation DGFF DHL Global Forwarding, Freight EDI Electronic Data Interchange EDV Elektronische Datenverarbeitung E2E End-to-End ERP Enterprise Resource Planning FTE Full Time Equivalent GBS Global Business Services GSC Global Service Centers GSSO Global Shared Services Organisation HR Human Resources I2R Idea-to-Robot IAG Identity Management und Access Governance XV

XVI

IDM Identity Management IFRS International Financial Reporting Standards ISO Internationale Organisation für Normung IT Informationstechnologie KI Künstliche Intelligenz KPI Key Performance Indicator LEAP LGBS Explores Analytics Project LGBS Lufthansa Group Business Services Mio. Millionen Mrd. Milliarden O2C Order-to-Cash OCR Optical Character Recognition OLAP Online Analytical Processing P2P Purchase-to-Pay PaaS Platform-as-a-Service PoC Proof of Concept RBV Resource-Based View RDA Robotic Desktop Automation RPA Robotic Process Automation SLA Service Level Agreement SOD Segregation of Duties SSC Shared Service Center SSO Shared Service Organisation(en) Tab. Tabelle USt-ID Umsatzsteuer-Identifikationsnummer VDC Virtual Delivery Center VRIN Valuable, Rare, Inimitable und Non-substitutable ZfbF Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung

Abkürzungsverzeichnis

1

Herausforderungen der digitalen Transformation von Shared Services und Shared Service Organisationen Thomas M. Fischer, Kai-Eberhard Lueg, Lorenz Schneck und Rolf Brühl

Zusammenfassung

Infolge der Digitalisierung müssen Unternehmen ihre Fähigkeiten anpassen, um digitale Technologien, Daten und Wissen in vorhandenen und neuen Geschäftsmodellen wertsteigernd einsetzen zu können. Die Auswirkungen der Digitalisierung führen auch zu Veränderungen bei der Shared Service Organisation (SSO), die in vielen Konzernen Unterstützungsaktivitäten bündelt und als Dienstleistungen den operativen Einheiten im Konzern anbietet. Die Anforderungen aus der Digitalisierung sowie die aus den Stärken der SSO entstehenden Potenziale machen eine Neubewertung der Shared Service-Strategie im Vergleich zu anderen strategischen Handlungsoptionen notwendig. Darüber hinaus bieten neue digitale Geschäftsmodelle der SSO im Bereich Automatisierung und Business Analytics zusätzliche Optionen zu einer nachhaltigen Wertschaffung für die Kunden der SSO. Zur Unterstützung der Realisierung dieser Erfolgspotenziale sollte für die SSO gegenüber den Stakeholdern ein neues Rollenbild als Promotor der digitalen Transformation im Konzern entwickelt werden.

T. M. Fischer (*) Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insb. Rechnungswesen und Controlling, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] K.-E. Lueg Chief Operating Officer - Global Business Services, Siemens AG, München, Deutschland L. Schneck Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Nürnberg, Deutschland R. Brühl ESCP Europe Wirtschaftshochschule Berlin, Berlin, Deutschland © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. M. Fischer, K.-E. Lueg (Hrsg.), Erfolgreiche Digitale Transformation von Shared Services, ZfbF-Sonderheft 74/20, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30484-3_1

1

2

T. M. Fischer et al.

Die durch die Digitalisierung eröffneten Chancen und Risiken für Unternehmen erfordern eine Neubewertung der Shared Service-Strategie, relativ zur Durchführung der Aktivitäten dezentral innerhalb der Geschäftseinheiten oder zum Outsourcing der Dienstleistung an sog. Business Process Outsourcing (BPO)-Anbieter. Um die erfolgreiche Umsetzung der durch die Digitalisierung entstehenden Potenziale von Shared Services und der Shared Service Organisation (SSO), die in diesem Son­ derheft beschrieben werden, zu unterstützen, entwickeln wir für die SSO ein innovatives Rollenbild als Promotor der digitalen Transformation im Konzern. Obgleich Shared Services eine für die Unternehmenspraxis relevante Strategie darstellen, ist der Themenbereich sowohl in der Organisationsforschung als auch in den funktionsspezifischen Forschungsgebieten stark unterrepräsentiert. Dies betrifft besonders wissenschaftliche Erkenntnisse aus empirisch-quantitativen Studien (vgl. Richter und Brühl 2017, S. 32). Durch die Shared Service-Forschung werden Fra­ gestellungen aus verschiedenen Funktionsbereichen, z. B. Rechnungswesen, Finanzen, Personal, Beschaffung und Logistik oder Wirtschaftsinformatik, mit Aspekten der Organisations- und Managementforschung verknüpft. Nicht zuletzt aus dieser Positionierung der Shared  Service-Forschung als Schnittstelle unterschiedlicher betriebswirtschaftlicher Disziplinen ergeben sich große Potenziale für relevante Forschungsergebnisse. Die nachfolgend in diesem Sonderheft der Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung (ZfbF) dargestellten Entwicklungen zur digitalen Transformation von Shared Services und der SSO basieren auf empirisch-qualitativen Befunden im Arbeitskreis (AK) Shared Services und in den jeweiligen Mitgliedsunternehmen, die von den Unternehmensvertretern erstellt und unter wissenschaftlicher Leitung der akademischen Vertreter des Arbeitskreises gesammelt, synthetisiert und in einen konzeptionellen Rahmen eingebunden werden. Das Kap. 1 dieses Sonderhefts ist wie folgt aufgebaut: Im Abschn. 1.1 beschreiben wir die Auswirkungen der Digitalisierung auf Unternehmen und Unterstützungsfunktionen, die zu einer Veränderung der internen und externen Anforderungen an die SSO führen. Sodann führen wir in Abschn. 1.2 in die Neubewertung der Shared Service-Strategie relativ zu alternativen Organisationsformen ein, die angesichts der Verbindung der geschilderten Anforderungen mit neu entstehenden Erfolgspotenzialen der SSO erforderlich wird. In den Unterabschnitten werden die Stärken, auf denen die Erfolgspotenziale beruhen, aus konzeptioneller Sicht nach Ertragsmechanismen des Unternehmens aufgeschlüsselt und damit zusammenhängende Chancen und Herausforderungen erläutert. Hierbei verweisen wir jeweils auf die folgenden Kapitel des Sonderhefts, in denen Chancen und Herausforderungen im Detail erläutert werden. Das Kapitel schließt in Abschn. 1.3 mit einer Zusammenfassung sowie der Motivation eines neuen Rollenbilds der SSO als Promotor der digitalen Transformation im Konzern.

1  Herausforderungen der digitalen Transformation von Shared Services und …

1.1

3

 uswirkung der digitalen Transformation auf A Unternehmen und Unterstützungsfunktionen

Digitale Geschäftsmodelle sind neben einer verteilten Wertschaffung und einer kontinuierlichen Evaluation, z. B. auf Basis digitaler Plattformen und den Möglichkeiten von Big Data, durch eine starke Zentrierung auf Kunden gekennzeichnet (vgl. El Sawy und Pereira 2013, S. 10). Diese wird beispielsweise deutlich in (s. zur Geschäftsmodellterminologie Teece 2010, S. 172) • der Kombination von Individualität und Standardisierung in der Wertschöpfung, z. B. die „Massenproduktion“ individualisierter Services unter Einsatz von digitalen Plattformen und künstlicher Intelligenz (KI); • ganzheitlichen Formen der Wertübertragung an die Kunden, z. B. Bereitstellung von Dienstleistungen über digitale Plattformen; • und präziseren Arten der Wertsicherung durch die Unternehmen, z. B. Gain­ Sharing-­ Modelle.1 Angesichts dieser Merkmale und der schnellen Skalierbarkeit digitaler Geschäftsmodelle sind die lange Zeit erfolgreichen Geschäftsmodelle marktführender Unternehmen von Disruption bedroht. Die neuen Wettbewerber sind oftmals Digitalkonzerne oder Start-up-Unternehmen. Sie verfügen im Vergleich zu klassischen Industrieunternehmen über wenig kostenintensives Sachanlagevermögen, aber weisen häufig eine hohe Liquiditätsausstattung, Toleranz gegenüber Anlaufverlusten sowie Risikoakzeptanz auf und können durch schnelle Entscheidungsprozesse agil über Branchengrenzen hinweg operieren. Durch eine digitale Transformation soll einer, den Fortbestand der Unternehmen bedrohenden Disruption oder der Entstehung neuer Wettbewerber durch die Nutzung sich bietender Chancen mit eigenen disruptiven Geschäftsideen vorgebeugt werden. ▶▶ Definition:

Digitale Transformation  (vgl. Brynjolfsson und McAfee 2012, S. 56; Hess et al. 2016, S. 124; El Sawy et al. 2016, S. 142)

Bei der digitalen Transformation handelt es sich um die kontinuierliche Anpassung von Fähigkeiten bezüglich des Einsatzes digitaler Technologien, Daten und Wissen im Unternehmen, um • • • •

die Effektivität, Effizienz und Transparenz von Prozessen zu verbessern, innovative Güter und Dienstleistungen anzubieten, Geschäftsmodelle kundenzentriert auszurichten und hierdurch Wettbewerbsvorteile zu erzielen und zu erhalten, die eine Steigerung des Unternehmenswerts ermöglichen.

1  Gain  Sharing-Modelle bezeichnen im Outsourcing die Aufteilung von Erträgen aus Effizienzund Effektivitätssteigerungen zwischen Kunde und Outsourcing-Anbieter.

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Die durch die Digitalisierung ausgelösten Dynamiken beschränken sich nicht auf die Primärfunktionen der Unternehmung. Auch die Unterstützungsfunktionen müssen sich anpassen, um dem Management und den operativen Einheiten die Konzentration auf ihre Kernaufgaben zu ermöglichen. Dies beginnt beim Reporting und geht über kaufmännische und zunehmend auch technische Dienstleistungen bis hin zur Durchführung komplexer Mergers und Acquisitions (M&A). Gleichzeitig verändern sich Anforderungen an die Unterstützungsfunktionen über die gesamte Wertkette. Beispiele hierfür sind: • Im Rechnungswesen und Reporting müssen Big-Data-Eigenschaften (5 Vs) erfüllt werden, d. h. es müssen größere Datenmengen („volume“) aus unterschiedlichen Quellen („variety“) einbezogen und mit höherer Aktualität („velocity“) sowie Zuverlässigkeit („veracity“) abgebildet werden, um eine wertsteigernde Entscheidung („value“) zu ermöglichen. Auch steigt die Anforderung an die Flexibilität, mit der Erfolgswirkungen von Änderungen im operativen Geschäft abgebildet werden können (vgl. AKEU 2018, S. 302 ff.). • An die Informationstechnologie (IT) stellen Manager bezüglich beruflich eingesetzter Anwendungen zunehmend höhere Anforderungen im Hinblick auf Mobilität, Bedienkomfort, Integration und individuelle Konfigurierbarkeit (vgl. AK Digital Finance 2018, S. 248 ff.). • In Einkaufsprozessen bieten E-Procurement-Technologien das Potenzial für hohe Effizienz- und Effektivitätssteigerungen (vgl. AK Einkauf und Logistik 2018, S. 106 f.). • Bei Human Resource (HR) spielt eine innovative Außendarstellung des Unternehmens sowie die Ansprache und Betreuung von (potenziellen) Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern über sämtliche digitale Kommunikationskanäle eine entscheidende Rolle, besonders im Hinblick auf hochqualifizierte Fachkräfte. Darüber hinaus sind neue Arbeitsformen, wie virtuelle Teams oder agile Methoden, zu unterstützen.

1.2

Neubewertung der Shared Service-Strategie

In vielen großen Unternehmen und Konzernen werden Unterstützungsprozesse nicht mehr dezentral, d.  h. fragmentiert in operativen Einheiten, Divisionen und Ländergesellschaften, durchgeführt, sondern in Form eines internen Outsourcings in der SSO zentralisiert und als Shared Services durch ein Shared Service Center (SSC) an die operativen Einheiten geliefert. ▶▶ Definition: Shared Services 

(aufbauend auf Brühl et al. 2017, S. 16) Shared Services sind transaktions- und wissensbasierte Dienstleistungen, die im Konzern gebündelt von einer Organisationseinheit (i. d. R. SSO) an mehrere interne Geschäftseinheiten, aber auch externe Kunden erbracht werden, mit dem Ziel der Effizienz-,

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Effektivitäts- und Flexibilitätssteigerung sowie zusätzlichen Wertschaffung in innovativen Geschäftsmodellen. Shared Services konkurrieren mit zwei alternativen Organisationsmodellen: Erstens die dezentrale Durchführung in den operativen Einheiten oder zweitens das Outsourcing der Dienstleistung an einen externen BPO-Anbieter. Wird die SSO als Tochterunternehmen des Konzerns, aber unabhängig von den operativen Einheiten positioniert, kann sie die Stärken beider Alternativen verbinden (vgl. Kajüter et al. 2017, S. 32 ff.). Eine funktionierende SSO ist Grundlage für die Realisation beträchtlicher Erfolgspotenziale im Konzern. In Tab. 1.1 werden Stärken dargestellt, die mit der Umsetzung einer Shared Service-Strategie assoziiert werden. Die Implementierung und das Wachstum einer SSO erfolgen typischerweise in drei Entwicklungsphasen (vgl. Lueg 2013, S. 9 ff.): Die Lift-and-Drop-Phase beginnt mit der Entscheidung zur Umsetzung der Shared  Service-Strategie und besteht aus der Übertragung ausgewählter Aktivitäten bzw. Teilprozesse aus den Geschäftseinheiten („lift“) in die neue Shared  Service-Umgebung („drop“). In der anschließenden Change-Phase beginnt die SSO mit der Optimierung der übernommenen Prozesse im Hinblick auf die in Service Level Agreements mit den internen Kunden festgehaltenen Ziele der Kostensenkung und Qualitätssteigerung der Aktivitäten. Die Phase geht einher mit neuen Anforderungen an das Qualifikationsprofil von Management und Mitarbeitern der SSO. Wurden die Prozessausführung in der Tab. 1.1  Stärken des Shared Service-Modells gegenüber alternativen Strategien (vgl. AK Shared Services 2018; Brühl et al. 2017; Janssen und Joha 2006; Minnaar und Vosselman 2013; Richter und Brühl 2017) Gegenüber Business Process Outsourcing Höhere Effizienz und Effektivität • Verbleib der Kontrolle über die Ausführung von Aktivitäten sowie der Datenhoheit im eigenen Unternehmen • Vollständige Vorteile aus Größen-, Verbund- und Lohnkosteneffekten • Gemeinsame strategische Oberziele mit operativen Einheiten im Konzern • Besseres Verständnis kundenspezifischer (Prozess-)Anforderungen

Gegenüber dezentraler Durchführung

• Stärkere Markt-, Dienstleistungs- bzw. Kundenorientierung • Höhere Transparenz und bessere Automatisierbarkeit durch Zentralisierung, Standardisierung, Harmonisierung und Dokumentation • Bessere Ressourcenallokation und 24/7-Verfügbarkeit • Anreiz zu Prozessinnovationen und kontinuierlichen Verbesserungen Verbesserung der Ressourcenbasis und Schaffung strategischer Flexibilitätsvorteile • Stärkere Position auf Arbeitsmärkten durch • Spezialisierung und Verbleib bzw. Angebot besserer Karrierechancen Aufbau von Fähigkeiten innerhalb des • Höhere Diversität in der Mitarbeiterschaft Konzerns • Kulturelle Verankerung von Kosten- und • Aufbau von dynamischen Fähigkeiten Qualitätszielen innerhalb des eigenen Unternehmens • Höhere Flexibilität und Skalierbarkeit, keine • Erhaltung der Balance zwischen Zeitverluste beim Anlauf oder Kostenremanenz Leistungserbringung und beim Kapazitätenabbau Prozessverbesserung

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SSO stabilisiert und die Möglichkeiten zur Optimierung umfassend ausgeschöpft, bietet sich für die SSO der Eintritt in die fortschrittlichste Entwicklungsphase „Enhance and Innovate“ an. Wie im Folgenden gezeigt wird, ergeben sich in der letzten Stufe mit den Möglichkeiten der Digitalisierung die höchsten Synergiepotenziale. Die Möglichkeiten der Digitalisierung erfordern eine Neubewertung der Strategiealternativen, Durchführung in den Geschäftseinheiten, Shared Services oder Outsourcing: Für einzelne Stärken der SSO, besonders hinsichtlich der manuellen Ausführung von Aktivitäten, lässt sich ein gradueller Bedeutungsrückgang über die nächsten Dekaden prognostizieren (vgl. Frey und Osborne 2017). Andere bestehende Stärken, wie transaktionale Vorteile und die in der Organisationsform angelegten dynamischen Fähigkeiten, werden jedoch zum fundamentalen Wegbereiter der digitalen Transformation im Konzern. Darüber hinaus schaffen neue Geschäftsmodelle der SSO Potenziale für zusätzliche Wertbeiträge. In den folgenden beiden Abschnitten werden einzelne Stärken von Shared Services im Zusammenhang mit den ihnen zugrunde liegenden Theorieperspektiven und Ertragsmechanismen erläutert.2 Dabei werden, ausgehend von den bisherigen Bedingungen, die Potenziale der Stärken in der digitalen Transformation dargestellt, die Herausforderungen bei der Realisierung der Potenziale diskutiert sowie die Auswirkung auf die Bewertung der Shared Service-Strategie und die Rolle der SSO im Konzern erörtert.

1.2.1 Höhere transaktionale Effizienz und Effektivität Zur Begründung von Stärken der SSO im Hinblick auf transaktionale Effizienz und Effektivität überwiegen zwei Theorieperspektiven.3 Kompetenzorientierte Theorien, z. B. die ressourcenbasierte Theorie (vgl. Penrose 1959; Wernerfelt 1984; Barney 1991), leiten Unterschiede in der Wertschaffung zwischen Wettbewerbern aus einer abweichenden Ressourcenausstattung oder unterschiedlichen Fähigkeiten, diese auszuschöpfen, ab (vgl. Drnevich und Croson 2013, S.  487). In den Governance-­ orientierten Theorien, insbesondere der Transaktionskostentheorie (vgl. Williamson 1981) ergeben sich Stärken des Unternehmens aus einer im Vergleich zu den Wettbewerbern vorteilhafteren Allokation von für die Steigerung des Unternehmenswerts relevanten Ressourcen (vgl. Drnevich und Croson 2013, S. 487). Beide Theorieperspektiven unterscheiden sich dadurch, dass die Transaktionskostentheorie Antworten auf die Frage sucht, inwieweit sich Eigenschaften der Transaktionen auf die Organisationsgestaltung (Vertragsgestaltung) auswirken (vgl. Williamson 1985). Sie hilft somit bei den konstitutiven Entscheidungen, wie der 2  Zur Abbildung des Wertbeitrags von Investitionen in Unterstützungsaktivitäten auf Unternehmensebene ist eine konzeptionelle Koppelung der Investitionen mit einem Ertragsmechanismus notwendig (vgl. Drnevich und Croson (2013) am Beispiel der IT-Funktion). 3  Über die Darstellung der unterschiedlichen Theorieperspektiven hinaus wird keine gleichzeitige Gültigkeit der Theorien unterstellt, da die jeweils zugrunde liegenden Annahmen abweichen und zu gegenläufigen Empfehlungen führen können (s. dazu z. B. McIvor 2009).

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Frage der Organisation von SSOs oder ob Unterstützungsaktivitäten an einen BPO-Anbieter vergeben werden (vgl. Kajüter et al. 2017, S. 32 ff.). Insbesondere für die standardisierten, transaktionalen Unterstützungsaktivitäten bietet sich eine Marktlösung an (vgl. Minnaar und Vosselman 2013). Transaktionale Vorteile durch marktorientierte Steuerung Grundsätzlich unabhängig von der digitalen Transformation können sich aus einer Shared Service-Strategie transaktionale Vorteile ergeben, wenn die horizontale Beziehung zwischen Geschäftseinheiten und SSO durch die Etablierung von Marktmechanismen innerhalb des Konzerns („hierarchical arm’s length control“, Speklé 2001, S.  430) gesteuert wird (vgl. Minnaar und Vosselman 2013; Speklé 2001).4 Besteht für operative Einheiten die Möglichkeit des externen Bezugs von standardisierten Unterstützungsdienstleistungen und erweisen sich die mit der SSO ausgehandelten Konditionen bezüglich einer Kosten-Qualität-Kombination als nachhaltig schlechter im Vergleich zu externen Alternativen, droht ein potenzieller Ausstieg der operativen Einheiten aus der Shared Service-Strategie (sog. „exit threat“, Minnaar und Vosselman 2013). Aus dieser Steuerungsform ergeben sich angesichts des Innovationsdrucks auf die Unterstützungsaktivitäten durch die Digitalisierung besondere Vorteile: Aufgrund der hohen Unsicherheit, mit der entsprechende Innova­ tionen a priori behaftet sind, ist es effektiver und effizienter, Experten mit Detailkenntnissen zu den Unterstützungsprozessen mit der Erkennung des Innovationsbedarfs und der Auswahl geeigneter Ansätze zu betrauen. Der Erfolg der Innovation offenbart sich oftmals erst bei Abbau der bestehenden ­Informationsasymmetrie im Zeitverlauf nach der Implementierung. Bei der beschriebenen Steuerungsform wird der Innovationsprozess durch Marktanreize getrieben, wobei gleichzeitig, im Gegensatz zum Outsourcing, ein Abfluss von Wissen und Know-­how außerhalb des Konzerns vermieden wird (vgl. Speklé 2001). Für die SSO bestehen somit starke Anreize für digitale Service- und Prozessinnovationen, um ein bezüglich Qualität, Kosten und Diversifikation vergleichbares Dienstleistungsportfolio anzubieten wie digitalisierte externe Anbieter. Durch die betriebliche Nähe und hohe Durchlässigkeit zwischen SSO und Konzern wird der aus der Marktorientierung entstehende positive Innovationsdruck auf Funktionen im gesamten Konzern übertragen. Der beschriebene Mechanismus kann seine Wirkung nur dann vollständig entfalten, wenn ein möglicherweise während der Implementierung einer Shared Service-Strategie eingeführter Kontrahierungszwang, d. h. die Verpflichtung der operativen Einheiten, Dienstleistungen vorranging von der SSO zu beziehen, aufgehoben wird. Verbesserte Effizienz und Effektivität bei transaktionalen Prozessen Durch die Digitalisierung ergeben sich für die SSO zahlreiche Möglichkeiten, die internen Dienstleistungen einerseits kostengünstiger und in höherer Qualität anzubieten und andererseits das Leistungsportfolio der SSO, sowohl bezüglich des In Die vertikale Beziehung zwischen Konzernleitung und SSO wird weiterhin über einen klassischen hierarchischen Controlling-Ansatz gesteuert. 4

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halts der Dienstleistung als auch deren Individualisierungsgrad, zu erweitern. Durch die Automatisierung in Enterprise Resource Planning (ERP)-Systemen oder Business Process Management (BPM)-Plattformen, Robotic Process Automation (RPA) bzw. Robotic Desktop Automation (RDA) und KI (z. B. Chat Bots) können transaktionale Aktivitäten zunehmend mit weniger oder ganz ohne menschliche Arbeitskräfte ausgeführt werden (vgl. AK Shared Services 2018). Darüber hinaus lassen sich Unterstützungsaktivitäten im Konzern über den gesamten Prozessverlauf in der sog. End-to-End (E2E)5-Perspektive (vgl. Davenport und Short 1990) automatisieren. Der Konzern kann von den durch die Automatisierung realisierten Einsparungen bzw. den durch Service- und Prozessinnovationen erzielten Überschüssen, wie bisher bei Größen-, Verbund- und Lohnkostenvorteilen, ohne Abzug der Marge eines externen Anbieters, profitieren. Derzeit sind Unterstützungsprozesse noch nicht vollständig automatisierbar, da auch in transaktionalen Aktivitäten Ausnahmen auftreten, die einen menschlichen Entscheider notwendig machen und eine automatisierte Umsetzung gegenwärtig nicht rentabel machen würden. Mit zunehmendem technischen Fortschritt kann ein gradueller Rückgang des Anteils dieser Ausnahmen prognostiziert werden. Damit einhergehend sinkt die Bedeutung von Labor Arbitrage6 für transaktionale Tätigkeiten. Dies zeichnet sich auch in Reshoring-Tendenzen ab (vgl. Benstead et  al. 2017). Eine gegenläufige Tendenz zeigt sich bei expertisebasierten Aktivitäten. Hier werden zunehmend anspruchsvolle und komplexe Tätigkeiten, die sich in a­ bsehbarer Zeit noch nicht automatisieren lassen, in sog. Centers of Expertise (CoE)7 gebündelt (vgl. Harritz 2018). Bei Verfügbarkeit entsprechender Kompetenzen in Near- oder Offshore-Regionen können in der SSO weiterhin signifikante Vorteile aus Lohnkostendifferenzen realisiert werden.

1.2.2 Dynamische Fähigkeiten in der digitalen Transformation Ressourcenorientierte Ansätze geben Antworten auf die Frage, wie sich Ressourcenkonfigurationen auf die Wertschaffung auswirken. Da in diesem Sonderheft die digitale Transformation und somit die Wandlung von SSOs aufgrund innovativer Technologien und neuer Organisationsansätze analysiert werden, ist die Weiterentwicklung der ressourcenorientierten Ansätze durch fähigkeitsorientierte Ansätze für die Analyse erfolgversprechend. Mittels der ressourcenorientierten Ansätze („resource-based view“, RBV) werden Unternehmen als Bündel unterschiedlicher Ressourcen betrachtet, wobei ein sehr weiter Ressourcenbegriff verwendet wird. Es wird zwischen materiellen Vermögenswerten wie Produktionsstätten oder Maschinen und immateriellen Vermö5  E2E-Prozesse haben Schnittstellen mit Kunden und Lieferanten des Unternehmens (vgl. Dumas et al. 2018). 6  Lohnkostendifferenzen zwischen dem Sitz der operativen Einheiten und dem SSC-Standort in einer Offshoring-Region. 7  Daneben ist auch die Bezeichnung Center of Excellence oder Excellence Center geläufig.

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genswerten wie Organisationsstrukturen oder einer Organisationskultur unterschieden (vgl. Barney 1991; Wernerfelt 1984). Eine zentrale Annahme des RBV ist, dass die Wertschaffung eines Unternehmens durch seine Ressourcen bestimmt wird, weil diese das Unternehmen in die Lage versetzen, Dienstleistungen oder Produkte zu erstellen und zu vertreiben (vgl. Barney 1991). Um einen Wettbewerbsvorteil8 aufgrund einer vorteilhaften Ressourcenbasis zu erlangen, müssen die sog. VRIN-­ Eigenschaften9 vorliegen (vgl. Barney 1991), die in der ressourcenbasierten Theorie beschrieben werden. Während Werthaltigkeit und Seltenheit von den meisten, z. B. in Abschn. 1.2.1 genannten Technologien erfüllt werden, sind die Nichtimitierbarkeit und Nichtsubstituierbarkeit zumindest bei käuflich zu erwerbenden Technologien i. d. R. nicht gegeben (vgl. El Sawy und Pereira 2013). Diese entfalten ihr Erfolgspotenzial erst dann, wenn VRIN-Eigenschaften durch den komplementären Einsatz mit anderen Ressourcen begründet werden, z. B. in Abläufen der SSO, mit denen die nachgefragten Leistungsangebote erstellt werden. Eine folgerichtige Weiterentwicklung der Theorie betont, dass Unternehmen ihre Ressourcenbasis effektiv und effizient nutzen müssen, um erfolgreich zu sein (vgl. Newbert 2007). Daher argumentiert der fähigkeitsorientierte Ansatz („capability-based view“, CBV), dass Unternehmen hierfür bestimmte Fähigkeiten benötigen (vgl. Helfat et  al. 2007). Durch das Konstrukt der Fähigkeit („capability“) einer Organisation wird die ­Eigenschaft erfasst, eine Aufgabe, wie z. B. die Erstellung oder den Vertrieb einer Dienstleistung, zu beherrschen (vgl. Helfat et al. 2007). Während sich sog. operative Fähigkeiten („operational capabilities“) auf Aufgaben der Organisation im Tagesgeschäft beziehen, zielen die in den nächsten Abschnitten beschriebenen dynamischen Fähigkeiten („dynamic capabilities“) auf die Schaffung, Veränderung oder Erweiterung der Ressourcenbasis ab (vgl. Helfat et al. 2007; Leih et al. 2015) und sichern die strategische Flexibilität für den langfristigen Wandel (vgl. Winter 2003). Sie spiegeln somit die Fähigkeit eines Unternehmens wider, innovative Strukturen umzusetzen (vgl. Teece et al. 1997). Wesentliche Treiber von dynamischen Fähigkeiten sind beispielsweise die Qualitäten und Werte des Managements (vgl. Hoffmann und Meusburger 2018), die Organisationsstruktur (vgl. Eisenhardt et al. 2010) sowie die Mitarbeiterfähigkeiten und die Flexibilität (vgl. Bhattacharya et al. 2005). Um die Vielfalt der Mechanismen zu beschreiben, die dynamischen Fähigkeiten zugrunde liegen, bietet sich die Kategorisierung von dynamischen Fähigkeiten nach Teece (2007, 2014) an. Dieser unterteilt dynamische Fähigkeiten in die Dimensionen Wahrnehmen von Chancen („sensing“) und Gestalten des Unternehmensumfelds („shaping“), Ergreifen von Chancen („seizing“) sowie die Rekonfiguration von Unternehmensressourcen („reconfiguring/transforming“). Naturgemäß liegt der  Zwar stehen SSOs ohne externes Angebot nicht inm direkte Wettbewerb wie ein marktorientiertes Unternehmen, es kann jedoch angenommen werden, dass die SSO einen Wettbewerbsvorteil auf Konzernebene unterstützt oder, unter der in Abschn. 1.2.1 genannten organisationalen Ausgestaltung, im Wettbewerb mit externen Dienstleistungsanbietern in Bezug auf die operativen Einheiten im Konzern steht. 9  VRIN steht für „valuable“, „rare“, „inimitable“ und „non-substitutable“ (vgl. Barney 1991). 8

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Schwerpunkt der SSO auf Maßnahmen der Rekonfiguration von Ressourcen, insbesondere durch Organisationsgestaltung und Einsatz neuer Technologien. Im Folgenden wird zunächst beschrieben, welche konkreten dynamischen Fähigkeiten in der SSO entstehen können und warum diese besonders im Zusammenhang mit der digitalen Transformation bedeutsam sind. Sodann werden Treiber von dynamischen Fähigkeiten in der SSO vorgestellt, d. h. Charakteristika der Organisationsform, die die Entstehung von dynamischen Fähigkeiten begünstigen. Fähigkeiten zur Rekonfiguration von Ressourcen Fähigkeiten zur Rekonfiguration von Ressourcen, die die SSO entwickeln kann, um­ fassen u. a. die kontinuierliche Optimierung, die schnelle Skalierung und Individualisierung von Unterstützungsprozessen sowie die Bündelung von Wissensressourcen im Konzern. Eine bereits in anderen Zusammenhängen identifizierte dynamische Fähigkeit stellt die kontinuierliche Optimierung dar (vgl. Anand et al. 2009; Camisón und Puig-Denia 2016). Hierunter versteht man das systematische Vorgehen zur Identifizierung und Implementierung von Ansätzen zur Innovation von Arbeitsabläufen bzw. die Umsetzung regelmäßiger Initiativen zur Prozessverbesserung (vgl. Anand et  al. 2009, S.  444). Zumindest ab der zweiten Entwicklungsphase von Shared Services (s. zuvor unter Abschn. 1.2) sind Vorgaben in Bezug auf Prozessund Serviceverbesserungen regelmäßig zentrale Bestandteile des SSO-Zielsystems (vgl. Wendland 2013, S.  171 ff.) und werden u.  a. mit Unterstützung von Prozessmanagementverfahren wie Total Quality Management, Six Sigma oder ISO 9000 verfolgt. Wie im Abschnitt zur verbesserten Effizienz und Effektivität bei transaktionalen Prozessen in Abschn. 1.2.1 beschrieben, können im Rahmen der Digitalisierung zusätzlich zur Ablaufgestaltung zahlreiche digitale Prozessanalyse- und Automatisierungstechnologien eingesetzt werden. Chancen und Herausforderungen der Prozessautomatisierung für Shared Services werden nachfolgend in Kap. 2 (Implementierung digitaler Prozesse) erläutert. Eine weitere Fähigkeit zur Rekonfiguration der SSO ist die schnelle Skalierung und Individualisierung von Unterstützungsprozessen (vgl. z. B. „scaling and stretching“ bei den Hertog et al. 2010, S. 503 ff. oder Flexibilitätsvorteile in der Supply Chain bei Eckstein et al. 2015). Die im Rahmen einer Shared Service-Strategie in den operativen Einheiten verbleibenden Funktionen („retained organizations“) werden von Routinetätigkeiten entlastet und können sich stärker auf die Anforderungen im Wertschöpfungsprozess der operativen Einheiten ausrichten, d. h. besser differenzieren (vgl. Felin und Powell 2016, S. 82). Durch die digitale Transformation kann selbst die SSO-Plattform ihr Leistungsportfolio differenzieren und ihren Kunden die Dienstleistungen zunehmend kostengünstiger, im Sinn einer individuellen Massenproduktion, anbieten. Zugleich verhindert die flexible Strukturierung, dass für vergleichbare Anforderungen in verschiedenen operativen Einheiten die für deren Erfüllung notwendigen Ressourcen mehrfach aufgebaut werden, wodurch neben Ineffizienzen zusätzlich Inkompatibilitäten vermieden und die langfristige Wartbarkeit und damit die Funktionsfähigkeit unterstützt werden. Im Rahmen der

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Digitalisierung betrifft dies besonders den Einsatz neuer Technologien, wie RPA, BPM oder KI, zu deren erfolgreicher Einführung und nachhaltigem Betrieb sowohl grundlegende Programmierkenntnisse, Fähigkeiten in Projektmanagement und Anwendungsentwicklung als auch detaillierte Erfahrungen hinsichtlich des zu automatisierenden Geschäftsprozesses notwendig sind (vgl. AK Shared Services 2018, S. 34 f.). Flexible Infrastrukturen von Unterstützungsprozessen für die schnelle Skalierung entwickeln ihr Potenzial auch bei der Restrukturierung des Konzerns, der Neuausrichtung von Geschäftsbereichen sowie bei Ausgründungen und Akquisitionen (vgl. AK Shared Services 2017). Bei konzerninternen Projekten mit hohen Anforderungen an Personenzahl und Know-how können Shared Services Vorteile generieren (vgl. AK Shared Services 2019), beispielsweise bei der Vereinheitlichung und Erneuerung von ERP-Systemen auf der Basis von In-Memory-­Datenverarbeitung sowie der Entwicklung und Implementierung innovativer digitaler Plattformen. Eine wichtige Fähigkeit der Rekonfiguration ist die Bündelung von Wissen bzw. Expertise zur Verbesserung der wissensbasierten Ressourcenbasis und deren Bereitstellung im Konzern. Der Beitrag von Shared Services, das intellektuelle Kapital des Konzerns neu zu organisieren bzw. weiterzuentwickeln, ist bereits seit Längerem bekannt (vgl. Bergeron 2003). Die SSO bündelt Wissen aus unterschiedlichen Quellen (vgl. Meijerink et al. 2013), wie Fachwissen aus dem jeweiligen Funktionsbereich (vgl. Cooke 2006), Informationen aus der Kundenbeziehung (vgl. Ulrich 1995) und Wissen aus Prozessen, IT und Organisationsabläufen (vgl. Farndale et al. 2009; Ulrich 1995). Die in der SSO ablaufenden Prozesse zur Aggregation von Know-how stellen somit einen entscheidenden Erfolgsfaktor zur Generierung von organisationalem Wissen dar (vgl. Grant 1996). Durch die detaillierte Dokumentation von kontextabhängigen Kenntnissen und Abläufen der Unterstützungsfunktionen in der  SSO, einschließlich der Besonderheiten der in den ­operativen Einheiten übrigen funktionalen Abteilungen, bleiben operationale Fähigkeiten dem Konzern langfristig, unabhängig von personalen Erfahrungsträgern bzw. bei der Veränderung von Ressourcen im Konzern erhalten (vgl. Herbert und Seal 2014, S. 136 ff.). Umgekehrt ermöglicht eine zentrale Bereitstellung von Expertise an die operativen Einheiten, dass anspruchsvolle Anforderungen, z.  B. die Einführung von IFRS 16, korrekt erfüllt werden, für die in lokalen Abteilungen nicht hinreichend operative und dynamische Fähigkeiten verfügbar sind und deren Aufbau für einmalige Projekte nicht rentabel ist (vgl. Helfat et al. 2007, S. 7 ff.). Als zusätzliches Angebot kann die SSO aus den von ihr verarbeiteten lokalen Daten und vorhandenen Datenzugriffen Erkenntnisse gewinnen, diese auf Basis der vorhandenen Prozess- und Analysekompetenz kombinieren und den betroffenen Einheiten (bzw. als Lösungsansatz auch anderen operativen Einheiten) als Vorschläge zur Verfügung stellen (vgl. Felin und Powell 2016, S. 82). Das Kap. 3 (Human Resource Management in digitalisierten SSO) legt dar, wie HR-SSOs die digitale Transformation des Konzerns durch Organisation von Wissen und Anpassung der Fähigkeiten der Mitarbeiter begleiten.

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Treiber von dynamischen Fähigkeiten in der SSO Treiber von dynamischen Fähigkeiten in der SSO finden sich in der Organisationsstruktur, dem Aufbau der IT-Systeme sowie der Organisationskultur. Ein struktureller Treiber ergibt sich durch die Erweiterung von transaktionsorientierten Centers of Scale um sog. Centers of Expertise (CoE), die wissensbasierte Services im Konzern anbieten und das Aktivitätenportfolio der  SSO im Konzern vergrößern (vgl. Harritz 2018). Durch die zunehmende Verbreitung des Betriebsmodells der Global Business Services (z. B. Wirtz et al. 2015) entstehen weitere interfunktionelle Synergien und es entfallen Silostrukturen in der SSO, wodurch sich insgesamt positive Wirkungen auf die Generierung von intellektuellem Kapital im Konzern erzielen lassen. Darüber hinaus werden die Digitalisierung und E2E-­ Prozessoptimierung erleichtert. Die in der Unternehmenspraxis aufgebauten SSOs sind eine vergleichsweise junge Organisationsform,10 die im Hinblick auf Flexibilität eher aktiv gestaltet wird, als dass sie über die Jahrzehnte gewachsen ist. Dies spiegelt sich auch in der technologischen Infrastruktur der SSO wider, die dynamische Fähigkeiten fördert: Durch den Aufbau von Plattformen für die von der SSO übernommenen Prozesse, in Abb. 1.1 am Beispiel der Siemens Global Business Services verdeutlicht, werden Strukturen digitalisierter Prozesse geschaffen, die zusätzliche Flexibilität in den Konzern einbringen (vgl. Eisenhardt et al. 2010, S. 1266 f.). Darüber hinaus ist in der SSO eine schnelle Reaktionsfähigkeit sowohl in den Routinen als auch in der Organisationskultur verankert (zur Relevanz bezüglich dynamischer Fähigkeiten vgl. Bock et  al. 2012): Dynamische Fähigkeiten zur Neugestaltung von Prozessen und der IT-Integration stellen Erfolgsfaktoren der SSO-Einführung dar (vgl. Richter und Brühl 2020). SSC sind durch eine relativ

Abb. 1.1  Digitale Plattformen der Siemens Global Business Services (illustrativ; Siemens AG)  Der durchschnittliche Zeitraum, in dem SSOs von den Mitgliedsunternehmen des AK Shared Services eingesetzt werden, beträgt im Jahr 2020 etwa 14  Jahre (vgl. AK Shared Services 2018, S. 30).

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hohe Fluktuation der Belegschaft gekennzeichnet, was starren Strukturen vorbeugen und zur Entwicklung von Routinen führen kann, die eine flexible und schnelle Neukonfiguration von Ressourcen, z.  B. in der digitalen Transformation, begünstigen. Zuletzt kann die SSO, wie bereits am Beispiel der Prozessplattformen gezeigt, dazu beitragen, dynamische Fähigkeiten durch digitale Technologien aufzubauen bzw. zu erweitern (vgl. Pavlou und El Sawy 2010; Roberts und Grover 2012, S.  237 ff.), da sie technologisches Wissen mit gewachsenen Prozesskenntnissen verbinden. Beispiele für die Erweiterung von dynamischen Fähigkeiten zur Wahrnehmung („sense“) umfassen Analytics-as-a-Service zur Neukundengewinnung (konzernexterner Fokus; vgl. AK Shared Services 2018) und Process Mining (vgl. van der Aalst 2016) zur Prozessoptimierung und Risikoerkennung (konzerninterner Fokus). Ein steigender Automatisierungsgrad, eine umfassende Verarbeitung von prozess- und personenbezogenen Daten und eine stärkere Einbindung des Konzerns sowie der SSO in digitale Ökosysteme gehen einher mit einer erhöhten Exposition gegenüber IT-Risiken (vgl. AKEU 2018, S. 309 f.). Welche Herausforderungen sich für Shared Services, u. a. aus dem Gesichtspunkt der IT-Sicherheit, ergeben, wie sich die digitale Transformation generell auf die Risikoexposition der SSO auswirkt und welche Maßnahmen vom SSO-Management zur Sicherstellung der Governance erforderlich sind, wird nachfolgend in Kap. 4 (Risikomanagement im Rahmen der Digitalisierung von Shared Services) erläutert. Neue digitale Geschäftsmodelle Damit aus dem in der SSO aggregierten Wissen für Einheiten im Konzern nachhaltig Wert geschaffen werden kann, müssen Wertpotenziale identifiziert, erhoben, übertragen und gesichert werden (s. auch Abschn. 1.1). Hierzu kann die SSO neue As-a-Service-Geschäftsmodelle anbieten (s. Gleich et al. (2017) zur Geschäftsmodell-Innovation in der SSO). Beispiele für ein mögliches Wertangebot sind Automatisierung oder Business Analytics (vgl. AK Shared Services 2018). Während gängige Geschäftsmodelle, z. B. Analytics-as-a-Service, regelmäßig nur eine Analytics-­Plattform und ausgewählte Module bereitstellen, können SSOs ihre Digitalisierungs- und Prozesserfahrung dazu verwenden, um internen Kunden anhand von individuellen Analysen neue Einsichten zu vermitteln (Insights-as-a-Service), ohne dass wettbewerbsrelevante Daten den Konzern verlassen. Die SSO wird somit zum Inkubator für Innovationen bei den Unterstützungsaktivitäten, die anschließend im Konzern verbreitet oder auch an externe Kunden vertrieben werden können. Wie Business Analytics innerhalb der SSO, z. B. zur Verbesserung der Steuerung, eingesetzt werden kann und welche Wertschaffungspotenziale neue Geschäftsmodelle der SSO im Bereich Business Analytics bieten, wird in Kap.  5 (Business Analytics in Shared Service Organisationen) dargestellt. Mit der erfolgreichen Etablierung innovativer, digitaler Geschäftsmodelle innerhalb des Konzerns gewinnen erneut Überlegungen an Aktualität, bestehende Shared Service-Strategien durch das Angebot an externe Kunden zu ergänzen. In der Vergangenheit wurden entsprechende Überlegungen oft kritisch betrachtet. Im

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Hinblick auf die Attraktivität, Mittelzuflüsse von außerhalb des Konzerns zu erzielen, bestand das Risiko, dass SSOs ihre Ressourcen zum Nachteil interner Kunden überproportional auf externe Kunden konzentrieren. Die Kostenstruktur digitaler Dienstleistungen vermindert dieses Risiko: Sofern entsprechende digitale Plattformen bereits etabliert wurden, weisen digitale Services i. d. R. niedrige Grenzkosten auf. Soweit die Anforderungen interner und externer Kunden kompatibel sind, d. h. bereits vorhandene digitale Anwendungen für externe Kunden nicht stark angepasst werden müssen, könnten aus dem externen Angebot von SSO-Dienstleistungen zusätzlich hohe Deckungsbeiträge für die bereits intern entstandenen Fixkosten aus der vorausgegangenen Entwicklung digitaler Anwendungen erzielt werden. Bei einer Shared  Service-Strategie mit externem Angebot sollten die Wertversprechen identifiziert werden, mit denen sich die SSO von BPO-Anbietern und Softwareunternehmen, besonders im Hinblick auf die Nutzbarmachung der zuvor erläuterten Stärken, auch für externe Kunden abgrenzen kann.

1.3

Zusammenfassung und Ausblick

Durch eine marktorientierte Steuerung, die Effizienz, Effektivität und Innovation in die Unterstützungsfunktionen trägt, durch Sammlung und Verbreitung digitalen Know-hows im Konzern sowie durch die Schaffung von Flexibilitätsvorteilen haben SSOs das Potenzial, sich als Promotor der digitalen Transformation von Geschäftsprozessen im Konzern zu etablieren. Zusätzlich zum Effizienz- und Exzellenzstreben müssen noch stärker Kundenorientierung und Innovationsfähigkeit von den Mitarbeitern der SSO verinnerlicht werden, sodass diese Ziele nachhaltig in der Organisationskultur der SSO verankert werden. Gegenüber den Stakeholdern der SSO, besonders der Konzernleitung und den operativen Einheiten, ist Vertrauen für diese neuen, anspruchsvollen Rollen der SSO zu schaffen. Die Unterstützung durch Vertreter aus dem Top-Management sollte deshalb gesucht werden. Mit der vorliegenden Publikation möchte der AK Shared Services der Schmalenbach-Gesellschaft dazu beitragen, die neue Rolle der SSO aufzuzeigen und die SSO-Stakeholder hierfür zu sensibilisieren. Die folgenden Kapitel erläutern die einzelnen Bausteine der erfolgreichen digitalen Transformation von Shared Services und unterstützen SSOs dabei, die neu ent­ stehenden Potenziale der Digitalisierung zu identifizieren und auszuschöpfen. Das Kap. 2 erläutert die Grundlagen der durch die Digitalisierung für die SSO verfügbar werdenden Technologien. In Kap. 3 werden Chancen und Herausforderungen dargestellt, die sich aus der digitalen Transformation für den Human  Resources-­ Bereich von SSOs ergeben. Das Kap. 4 beschreibt Risiken, die durch neue techno­ logische und personelle Konstellationen entstehen, und wie diesen durch geeignete Maßnahmen der Governance entgegengewirkt werden kann. In Kap.  5 werden Chancen erläutert, die sich aus der Stellung der SSO als Datenzentrale des Konzerns ergeben, wie Big Data in der Steuerung von SSOs eingesetzt werden und wie aus Analytics neue digitale Geschäftsmodelle der SSO für konzerninterne- und externe Kunden entstehen können.

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2

Implementierung digitaler Prozesse Herbert Woratschek, Ulrich Borgdorf, Daniel Dornbusch, Thorben Finken, Christian Große, Roland Haefs, Heiko Knocke, Piotr Stopa, Marcell Vollmer, Jens Bruno Wilhelm und Lorenz Schneck

Zusammenfassung

Dieses Kapitel stellt verschiedene grundlegende Technologien vor, die von Shared-­ Service-Organisationen (SSO) zur digitalen Transformation einge­setzt werden und erläutert die Erfolgsfaktoren für deren Einführung in SSO. Innovationen beim technologischen Fundament der SSO-Aktivitäten, Enterprise-Resource-Planning(ERP)-Systeme und Business-Process-Manage­ment(BPM)-Plattformen bieten neben immensen Chancen auch große Herausforderungen. Mit Robotic Process Automation (RPA) können Automatisierungslösungen kurzfristig effizient implementiert und Defizite in der Systemlandschaft überbrückt werden. Die Verbindung von RPA mit künstlicher Intelligenz (KI), sog. Cognitive Automation sowie deren Einsatz bei text- und sprachbasierten virtuellen Assistenten haben das Potenzial, Shared Service-­Prozesse grundlegend zu verändern. Die erfolgreiche Anwendung dieser Technologien wird anhand von Use Cases bei den Mitglieds-

H. Woratschek (*) Universität Bayreuth, Bayreuth, Deutschland E-Mail: [email protected] U. Borgdorf innogy SE, Essen, Deutschland D. Dornbusch BASF Services Europe GmbH, Berlin, Deutschland T. Finken OLYMPUS EUROPA SE & CO. KG, Hamburg, Deutschland C. Große Fresenius Medical Care Deutschland GmbH, Bad Homburg, Deutschland © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. M. Fischer, K.-E. Lueg (Hrsg.), Erfolgreiche Digitale Transformation von Shared Services, ZfbF-Sonderheft 74/20, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30484-3_2

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20

H. Woratschek et al.

unternehmen im Arbeitskreis Shared Services demonstriert. Noch weitreichendere Auswirkungen werden Anwendungen der Blockchain- und Distributed-Ledger-Technologien auf SSO-Aktivitäten haben; hier liegen bisher jedoch wenige Beispiele für einen operativen Einsatz vor.

2.1

Einführung

Die Stärken eines Shared-Service-Modells gegenüber klassischen Zentraleinheiten bzw. der dezentralen Durchführung in den operativen Einheiten bestehen in einer höheren transaktionalen Effizienz und Effektivität, in einer verbesserten Ressourcenbasis und in strategischen Flexibilitätsvorteilen (s. Kap. 1). Um diese Stärken auch im digitalen Zeitalter zu erhalten und weiter auszubauen, müssen SSO ihre Geschäftsmodelle, Dienstleistungen und Prozesse in immer kürzeren Abständen im Hinblick auf veränderte Umweltbedingungen überprüfen und anpassen (vgl. Kajüter et al. 2017, S. 30). Die Digitalisierung und Automatisierung von Geschäftsprozessen zwischen den Schnittstellen mit Kunden, Lieferanten und weiteren Stakeholdern ist die Grundlage für eine digitale Transformation der SSO und des gesamten Konzerns. Digitale Prozesse bieten das Potenzial zur Realisation beträchtlicher Kostensenkungen und Qualitätssteigerungen, ermöglichen den Mitarbeitern der SSO eine Fokussierung auf anspruchsvolle, kreative und interaktive Tätigkeiten, entfalten durch digitale Technologien komplementäre Wirkungen zu dynamischen Fähigkeiten und sind die Basis innovativer digitaler Geschäftsmodelle der SSO (vgl. Arbeitskreis Shared Services 2018, S. 34). Die Herausforderungen und Chancen, die sich bei der Implementierung dieser essenziellen Voraussetzung der digitalen Transformation für SSO ergeben, werden im Folgenden beschrieben.

R. Haefs Henkel AG & Co. KGaA, Düsseldorf, Deutschland H. Knocke SAP SE, Walldorf, Deutschland P. Stopa ZF Friedrichshafen AG, Czestochowa, Polen M. Vollmer Boston Consulting Group, Frankfurt am Main, Deutschland J. B. Wilhelm BSH Hausgeräte GmbH, München, Deutschland L. Schneck Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Nürnberg, Deutschland

2  Implementierung digitaler Prozesse

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Die Grundlage für die Etablierung digitaler Prozesse ist der Zugang zu konsistent gespeicherten Daten. Enterprise-Resource-Planning(ERP)-Systeme beinhalten viele grundlegende Funktionen für diesen Zugang (vgl. Dumas et  al. 2018, S. 14 ff.). Die Kombination von ERP mit digitalen Plattformen, z. B. Business-­ Process-Management(BPM)- und Robotic-Process-Automation(RPA)-Plattformen, sowie Cloud Solutions ermöglicht die Verarbeitung riesiger Datenmengen und ist die Basis für neue digitale Geschäftsmodelle der SSO, wie Automation- oder Analytics-­as-a-Service. Daher werden in Abschn. 2.2 die Herausforderungen bei der Weiterentwicklung der ERP-System- und Prozesslandschaft erläutert. Dabei spielt die Entwicklung von ergänzenden cloudbasierten Hosting-Umgebungen eine entscheidende Rolle (vgl. Giessmann und Legner 2016, S.  553–556; Sebastian et al. 2017, S. 203). Dies wird anhand des Beispiels des ERP „SAP S/4HANA“ Greenfield Implementation-Projekts der innogy SE („°s4i“) veranschaulicht. Plattformen sind als Kernbaustein digitaler Organisationsformen und Geschäftsmodelle in den verschiedenen Disziplinen des Dienstleistungsmanagements sehr unterschiedlich definiert (vgl. Breidbach und Brodie 2017, S. 746 ff.). Eine Übersicht zu den unterschiedlichen für SSO relevanten Konzeptualisierungen von Plattformen bietet Tab. 2.1. In Abschn. 2.2.1 werden Cloud Solutions als Plattformen – im Speziellen als Platform as a Service (PaaS) – betrachtet. Nachfolgend werden in Abschn. 2.2 zunächst die Bedeutung von ERP und Cloud Solutions in der digitalen Transformation von SSO diskutiert sowie die Faktoren der erfolgreichen Einführung von S4/HANA bei der innogy SE erläutert (Borgdorf). Tab. 2.1  Plattformen in unterschiedlichen, für SSO relevanten Disziplinen Disziplin Marketing I

Marketing II

Management I

Management II

Wirtschaftsinformatik

Konzeptualisierung von Plattformen Angebotsseite: Umgebungen zur Vereinfachung der Koproduktion, z. B. in der Informations- und Kommunikationstechnologie; Nachfrageseite: Cloud Solutions zur Ermöglichung eines Erfahrungsaustauschs, z. B. soziale Medien Physische oder virtuelle Kontaktstellen zur Integration von Ressourcen mit dem Ziel der Co-Creation von Werten Technische Plattformen aus der Perspektive der Interaktion Geschäftsmodelle von Intermediären: Besitzer kontrollieren ihr intellektuelles Eigentum sowie die Governance; Provider betreiben Schnittstelle für Produzenten und Konsumenten Platform as a Service: Zur Verfügung gestellte Anwendungen und Tools, z. B. webbasierte Entwicklungsplattformen, häufig in der Cloud

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Breidbach et al. (2014)

Adner und Kapoor (2010); Dougherty und Dunne (2011) Van Alstyne et al. (2016)

Giessmann und Legner (2016); Giessmann und Stanoevska-­ Slabeva (2013); Lawton (2008a, b)

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H. Woratschek et al.

Mit RPA können Computer repetitive, aber auch zunehmend komplexe Aufgaben übernehmen, die ursprünglich von Mitarbeitern ausgeführt wurden. Die Folgen von RPA für SSO werden in Abschn.  2.3 herausgearbeitet. Dabei wird auf die Voraussetzungen für die Implementierung von digitalen Prozessen sowie auf die Identifikation und auf den Bewertungsprozess des Potenzials von RPA eingegangen. Anschließend wird die Implementierung von RPA anhand mehrerer Use Cases in den SSO illustriert. Der erste Anwendungsfall bezieht sich auf die Erstellung und Änderung von Preisen im Beschaffungsprozess von Henkel (Haefs). Der zweite Use Case beschreibt den Einsatz von RPA im Order-to-Cash-Prozess von BSH (Wilhelm). Der dritte Use Case behandelt die Bereitstellung von Zahlungsavisen in Kundenportalen (Stopa). Der vierte Case beinhaltet die Anwendung von Cognitive Automation (CA). Am Beispiel der intelligenten Verarbeitung von Auftragsbestätigungen wird die Kombination von RPA und CA bei BASF gezeigt (Dornbusch). In Abschn. 2.4 (Virtuelle Assistenten) werden v. a. digitale Prozesse diskutiert, die auf Interaktionen zwischen Menschen und Maschinen in SSO abzielen. Dies geschieht vorrangig mit Chatbots, die an einer digitalen Schnittstelle eingegebene Texte oder Sprache erkennen und verarbeiten (vgl. Lamontagne et al. 2014; Henne et al. 2014). Mit zwei Use Cases werden die Herausforderungen beschrieben und die Vorteilhaftigkeit des Einsatzes virtueller Assistenten in SSO belegt. Der erste Use Case beschreibt einen Chatbot, der bei SAP die Nutzer in der Bestellung, Nutzung und Rückgabe von Firmenwagen unterstützt (Knocke). Der zweite Case behandelt den Einsatz eines Chatbots für Mitarbeiteranfragen im Bereich Human Resources der BASF SE (Dornbusch). Die Stärke von SSO liegt in der Abwicklung von standardisierten Prozessen, die häufig gebündelt werden. Dies ist insbesondere in Einkauf und Beschaffung, wie beim Procure-to-Pay-Prozess der Fall. Hier ist es wichtig, die Herkunft von Waren, Rohstoffen oder nachhaltigen Produktionsweisen über die gesamte Lieferkette hinweg transparent und möglichst fälschungssicher zu dokumentieren. In solchen Fällen bieten die Blockchain- bzw. Distributed-Ledger-Technologien (DLT) neue Möglichkeiten. Daher wird in Abschn. 2.5 erläutert, wie diese Technologien funktionieren und in welchen Branchen sie generell eingesetzt werden können. Anhand dreier Fallstudien wird der Nutzen erläutert, den der zukünftige Einsatz in SSO für den sicheren und schnellen Informationsaustausch, für den Echtheitsnachweis der Warenherkunft und für die Zertifizierung von nachhaltigen Produktionsverfahren mit sich bringen wird (Vollmer sowie Schneck).

2.2

Enterprise Resource Planning und Cloud Solutions

2.2.1 Grundlagen der digitalen Transformation ERP-Systeme können aus drei unterschiedlichen Perspektiven definiert werden. Erstens handelt es sich dabei um Computersoftware. Zweitens kann ERP als Planung mit dem Ziel betrachtet werden, alle Geschäftsprozesse und Daten einer

2  Implementierung digitaler Prozesse

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Unternehmung in einer umfassenden und einheitlichen Struktur abzubilden. Drittens kann es als Schlüsselelement einer Infrastruktur betrachtet werden, das zu einer Lösung im geschäftlichen Bereich führt (vgl. Klaus et al. 2000, S. 142). In diesem Kapitel steht ERP für Software zur rechtzeitigen und bedarfsgerechten Planung, Steuerung und Verwaltung von Ressourcen in einem Unternehmen (vgl. Markus et al. 2000; Dumas et al. 2018, S. 14 ff.). ERP-Systeme integrieren somit die Unterstützungsprozesse eines Unternehmens, die häufig in SSO ausgegliedert sind. Hierzu gehören z. B. Finanzprozesse, Personalverwaltungsprozesse, Produktionsprozesse, Einkaufsprozesse und Lieferketten. Die neueste Generation von ERP-Systemen nutzt intelligente Technologien, wie Machine Learning oder KI, um Transparenz und Effizienz für jeden Geschäftsprozess sicherzustellen. Ein ERP-System besteht dabei aus mehreren Applikationen, die Daten austauschen und eine gemeinsame Datenbank teilen. ERP-Systeme können je nach Implementierung im Unternehmen in drei Kategorien eingeteilt werden: On Premise, d. h. fest beim Kunden implementierte Systeme, Cloud, d. h. in zentralen Datenzentren gehostete Systeme oder Hybrid, d. h. eine Mischung aus On Premise und Cloud (vgl. SAP o. J.). Cloud Solutions sind eine strategische Option für Softwareunternehmen geworden, die erheblich nutzbringend für die gemeinsame Entwicklung komplementärer Komponenten und Applikationen mit Partnern sind (vgl. Giessmann und Legner 2016). Cloud-Computing bezeichnet die Bereitstellung eines bedarfsgerechten sowie rasch und unter minimalem Verwaltungs- und Koordinationsaufwand verfügbaren Netzwerkzugriffs auf ein Kontingent an Rechnerkapazitäten (vgl. Mell und Grance 2010, S. 50). Durch Cloud-Computing sowie das diesbezüglich gewachsene Ökosystem können SSO IT-Dienstleistungen beziehen, ohne selbst eine Serverinfrastruktur vorhalten und verwalten zu müssen (vgl. Matros 2012, S. 2). Cloud Solutions führen zu einer Veränderung von Geschäftsmodellen, Wertschöpfungsketten und Geschäftsprozessen (vgl. Zumstein und Kunischewski 2016, S. 321). In den letzten Jahren setzen sich auch in SSO zunehmend sog. intelligente Technologien durch, zu denen KI und Machine Learning gehören. Intelligente Technologien ermöglichen die Vernetzung unterschiedlicher Systeme, sodass z.  B. eine Maschine das benötigte Material selbstständig anfordert und die Bestellung automatisch auslöst. Intelligente Technologien im produzierenden Industriebereich werden häufig unter dem Oberbegriff Industrie 4.0 zusammengefasst (vgl. Soder 2014, S. 97). Die Herausforderung für SSO ist neben der Vielzahl der digitalen Technologien, die einen unterschiedlichen Reifegrad aufweisen, auch die Koordination und die Reduktion der Komplexität. Eine neue Generation von ERP-Systemen und BPM-Plattformen in SSO ermöglicht die Steuerung und Integration der intelligenten Technologien. Die Abb. 2.1 gibt einen Überblick über die Entwicklung von Mainframe Servern und PC zu intelligenten Technologien, wie sie in den jeweiligen Zeiträumen auch in SSO Einzug gehalten haben.

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Abb. 2.1  Entwicklung von Mainframe Servern und PC zu intelligenten Technologien (SAP SE)

2.2.2 C  ase Study: Das SAP S/4HANA Greenfield Implementation-Projekt der innogy SE („°s4i“) Im Folgenden wird anhand des Beispiels der innogy SE gezeigt, wie die digitale Transformation in einer SSO umgesetzt und das Konzept des Intelligent Enterprise erfolgreich verwirklicht werden kann.1 Dazu werden die Aspekte von der Projektmotivation über die Projektplanung und das agile Projektmanagement bis hin zu den erreichten Erfolgen und dem Aufbau einer zukunftsfähigen IT-Architektur dargestellt. Die innogy SE wurde im Jahr 2016 aus den drei Unternehmensbereichen Erneuerbare Energien, Netz- und Infrastruktur und Vertrieb des RWE-Konzerns gebildet. Mit 3,9 Gigawatt Erzeugungskapazität aus erneuerbaren Energien, 574.000 km Gesamtlänge an Strom- und Gasleitungsnetzen sowie rund 23 Mio. Kunden entstand ein führendes europäisches Energieunternehmen. In Abb.  2.2 sind die Unternehmensbereiche von innogy SE dargestellt. Die Ausprägung der innogy SE als eigenständiges Unternehmen bedingte insbesondere eine weitreichende Neuorganisation der ERP-System- und -Prozesslandschaft. Die innogy SE nutzte die Aufbruchstimmung im neugegründeten Unternehmen, um die neu entstandenen Anforderungen mit einem Technologiesprung auf die neueste ERP-Generation SAP S/4HANA zu bewältigen. Dahinter stand das Motiv, das Unternehmen über die drei Unternehmensbereiche durch eine Standardisierung und Optimierung der ERP-Systeme und -Prozesse einheitlich und effizient aufzustellen und einen „Digitalen Kern“ als Fundament für eine umfassende Digitalisierung des gesamten Geschäfts zu schaffen. Der Leitsatz „Einfach & Einheitlich“ 1  Die folgenden Ausführungen zur Case Study beruhen auf unternehmensinternen Informationen von innogy SE und SAP.

2  Implementierung digitaler Prozesse

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Abb. 2.2  Unternehmensbereiche und Schlüsselkennzahlen der innogy SE (innogy SE)

fasste diesen Anspruch und den Auftrag an das Ende 2016 initiierte Projekt „°s4i“ (S/4HANA for innogy SE) zusammen. Große ERP-Projekte sind naturgemäß mit hohen Risiken behaftet. Es drohen Zeitverzug, Budgetüberschreitungen und ein Verfehlen der inhaltlichen Anforderungen  – mit unter Umständen erheblichen Auswirkungen auf das operative Geschäft. Im Bewusstsein dessen und weil S/4HANA zu jener Zeit noch ein sehr neues Produkt war, wurde beim Aufsatz des Projekts besondere Aufmerksamkeit auf den Aspekt der Risikominimierung gelegt. Die Strategie zur Risikominimierung umfasste zwei grundlegende Entscheidungen: Erstens, die Zahl der beteiligten Parteien klein zu halten und insbesondere auf eine Zwischenschaltung von Dienstleistern zu verzichten (s.  auch Abb.  2.3). Die innogy SE setzte konsequent auf eine ganzheitliche und partnerschaftliche Zusammenarbeit mit SAP. Dementsprechend wurde nicht nur auf die Software, sondern auch auf die IT-Infrastruktur von SAP, HANA Enterprise Cloud und SAP Designund Implementation-Services zurückgegriffen. Damit wurde die Zahl potenziell konfliktbehafteter Schnittstellen durch klare Verantwortlichkeiten minimiert und die Lösung von Problemen im Zusammenspiel zwischen Hard- und Software eindeutig SAP zugewiesen. Neben SAP war noch ein externes Consulting-­Unternehmen mit einem kleinen Team zur Besetzung des Projektsekretariats eingebunden. Der externe Partner nahm zudem Qualitätssicherungsaufgaben wahr und beriet innogy SE zu einzelnen betriebswirtschaftlichen Fragestellungen. Das Projektmanagement und die Steuerung des Zusammenspiels mit SAP lagen indes allein bei innogy SE. Die zweite grundlegende Entscheidung beinhaltete die Anwendung der SAP Activate-­Methode. Diese von SAP neuentwickelte formalisierte Methode zur Implementierung von S/4HANA beruht auf zwei wesentlichen Elementen: den SAP-­ Best-Practice-Prozessen und dem SAP Solution Manager. Die Best-Practice-Prozesse umfassen die grundlegenden Funktionalitäten aus den Bereichen Rechnungswesen, Controlling, Einkauf und Logistik, die jedes (größere) Unternehmen benötigt. Der Vorteil ist: Die Best Practices stehen direkt im System zur Verfügung und sind auf die Struktur der Software abgestimmt. Damit

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Abb. 2.3  Schaffung klarer Verantwortlichkeiten durch Begrenzung der Anzahl der beteiligten Parteien (innogy SE)

konnte die Projektleitung von Beginn an auf ein grundsätzlich fertig ausgestaltetes System verweisen; es fehlte im Prinzip nur noch die Datenmigration. Die aus den Fachbereichen delegierten Projektmitglieder forderten anfangs vehement zahlreiche Modifikationen und Modifizierungen. Diese waren allerdings ausreichend zu begründen. Vor allem mussten die Kosten, die aus der zusätzlichen Komplexität sowohl für das Projekt als auch für den laufenden Betrieb des Systems erwachsen würden, gerechtfertigt werden. Diese neue Vorgehensweise wich somit von der bis dato üblichen Organisation von IT-Projekten nach der klassischen Wasserfallmethode ab. Nach der Wasserfallmethode werden zunächst alle (häufig auch widersprüchlichen) Anforderungen der Unternehmensfunktionen gesammelt und anschließend der  – damit oftmals überforderten  – IT zur Implementierung übergeben. Die bei innogy SE angewendete SAP-Activate-Methode bewirkte demgegenüber eine Beweislastumkehr und nahm die Unternehmensfunktionen in die Pflicht: Wer vom Standard abweichen wollte und mithin zusätzliche Komplexität schafft, hatte die Sinnhaftigkeit seiner Forderungen darzustellen. Der Leitsatz „Einfach & Einheitlich“ bildete den Bewertungsmaßstab. Das hatte einen sehr disziplinierenden Effekt auf alle Projektbeteiligten bezüglich eines verantwortungsvollen Umgangs mit den verfügbaren Ressourcen und im Sinn einer Fokussierung auf das Wesentliche. In Abb. 2.4 ist die Fokussierung auf das Wesentliche durch den Start mit den SAP-­ Best-Practice-Prozessen sowie dem Begründungs- und Priorisierungszwang für darüber hinausgehende Anforderungen dargestellt. Die Implementierung selbst war agil organisiert (zu agilen Methoden vgl. Schwaber und Sutherland 2017). Das Projekt verfügte über 17 funktionsübergreifend zusammengestellte Teams zur Abdeckung der verschiedenen Arbeitsbereiche. In der Spitze waren rund 200 Personen involviert. Die Teams organisierten sich in ihren Arbeitsbereichen selbst. Jedem Team stand ein sog. Product Owner vor, der sich für die Abnahme der Arbeitsergebnisse und für die Erfüllung der fachlichen Anforderungen verantwortlich zeichnete.

2  Implementierung digitaler Prozesse

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Abb. 2.4 Stufenweises Vorgehen zur Beschränkung auf die wesentlichen Anforderungen (innogy SE)

Die Implementierung erfolgte in einem strengen dreiwöchigen Rhythmus, in sog. Sprints. Zu Beginn eines jeden Sprints stand die Planung. Dazu sichtete und priorisierte jedes Team die in seinem Arbeitsbereich noch offenen Anforderungen und legte auf dieser Basis das Arbeitsprogramm (Backlog) für die kommenden drei Wochen fest. Danach ging es an die eigentliche Implementierung. Am Ende eines jeden Sprints wurden die Arbeitsergebnisse und der Arbeitsfortschritt bewertet (Sprint Review). Schlusspunkt bildete jeweils die gemeinsame Reflexion der Fragen, was gut und was nicht so gut gelaufen war und was mit Blick auf die zukünftige Zusammenarbeit noch verbessert werden könnte (Sprint Retrospective). Die Implementierung wurde mithilfe des SAP Solution Managers zentral gesteuert und überwacht. Dieses Tool verwaltete alle Anforderungen und machte den jeweiligen Implementierungsstatus sichtbar, und zwar differenziert nach Arbeitsbereichen und den dafür verantwortlichen Projektteams. Diese Transparenz ermöglichte eine jederzeitige, faktenbasierte Beurteilung des Projektfortschritts und förderte zudem einen der Sache sehr dienlichen Wettbewerb zwischen den Teams um die besten Ergebnisse. Die Abb. 2.5 zeigt die zentrale Steuerung und Überwachung der agilen Implementierung mit dem SAP Solution Manager. Die agile Vorgehensweise fügte die einzelnen Projektmitglieder in einem sich größtenteils selbst steuernden und v. a. schnell lernenden und damit im Ergebnis gleichermaßen effektiven wie effizienten System zusammen. In diesem System waren die Implementierungsdauer und das Implementierungsbudget (weitgehend) vorgegebene Größen. Dabei nahm das Projektmanagement bewusst in Kauf, nicht alle formulierten Anforderungen erfüllen zu können. Die im Sprintrhythmus regelmäßig stattfindenden Priorisierungen der jeweils noch offenen Anforderungen stellten jedoch sicher, dass das realisiert wurde, was den Teams wichtig und dementsprechend für das Unternehmen von hoher Relevanz war. Überflüssige Anforderungen blieben unberücksichtigt. Nach 15 Monaten Design- und Implementierungsarbeit sowie einer anschließenden dreimonatigen Phase für Integrationstests, Datenmigration und Schulung der

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Abb. 2.5  Zentrale Steuerung und Überwachung der agilen Implementierung mit dem SAP Solution Manager (innogy SE)

Endnutzer konnte das System Anfang 2019 erfolgreich in den Produktivbetrieb überführt werden, und zwar innerhalb der zu Projektbeginn gesetzten Termin- und Budgetvorgaben. Das neue System deckt die Prozesse des Rechnungswesens, des Controllings und des Finanzwesens, des Einkaufs und der Materialwirtschaft sowie Bau- und Wartungsprozesse ab. Es zeichnet sich durch eine einheitliche Datenbasis für Rechnungswesen und Controlling aus („Single Source of Truth“). Aufwendige Abstimmungshandlungen zwischen verschiedenen Zahlenwelten sind nicht mehr erforderlich; der Fokus kann von vornherein auf die inhaltliche Würdigung der Zahlen gerichtet werden. Da das System zudem alle Daten im Arbeitsspeicher des Rechners hält, kann für Berichts- und Analysezwecke quasi in Echtzeit auf den aktuellen Datenstand zugegriffen werden („real-time reporting“). Fragen lassen sich direkt und – in den Grenzen des Berechtigungskonzepts – vom jeweiligen Nutzer selbst klären. Der Zugriff auf die Daten und das Arbeiten mit dem System werden durch eine grafische Benutzeroberfläche und spezielle Applikationen, die durch die jeweiligen Prozesse führen, unterstützt. Damit gestaltet sich die Bedienung deutlich intuitiver als in der Vergangenheit. Moderne Workflows, leistungsfähige Auswertungswerkzeuge und ergänzende Module für das Stammdatenmanagement und die Benutzer- und Berechtigungsverwaltung runden das Paket ab. Inzwischen wurde das den „Digitalen Kern“ bildende S/4HANA-System um die SAP-Cloud-Plattform ergänzt. Dies ist in Abb. 2.6 visualisiert. Die Cloud-Plattform stellt eine Reihe moderner Werkzeuge zur Verfügung, insbesondere weitere Datenbankfunktionalitäten, RPA-, Machine Learning- und Chatbot-Komponenten sowie Bausteine zur Entwicklung mobiler Anwendungen. Mit diesen Werkzeugen lassen sich vergleichsweise einfach und schnell regionale und segmentspezifische Sonderanforderungen sowie über den SAP-Standard hinausgehende funktionale Erweiterungen realisieren. Das ermöglicht die gebotene Flexibilität in den operativen

2  Implementierung digitaler Prozesse

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Abb. 2.6  IT-Architektur aus „Digitalem Kern“ und Cloud-Plattform zur Auflösung des Interessenkonflikts zwischen Ordnung und Freiheit (innogy SE)

Bereichen des Unternehmens, in denen es sich im Wettbewerb zu differenzieren gilt. Zugleich stellt die Anbindung der Cloud-Plattform an den „Digitalen Kern“ sicher, dass die für das Gesamtunternehmen relevanten Informationen ordnungsgemäß im „Digitalen Kern“ hinterlegt werden und dort für eine standardisierte Weiterverarbeitung und Berichterstattung zur Verfügung stehen – was insbesondere für die unternehmensweit agierenden Funktionen Rechnungswesen, Controlling und Einkauf von entscheidender Bedeutung ist. Die Architektur aus „Digitalem Kern“ mit Fokus auf standardisierte unternehmensweite Prozesse zu minimalen Kosten und Cloud-Plattformen für flexible Prozessgestaltung in den wettbewerbsrelevanten operativen Unternehmensbereichen löst so den in den früheren ERP-Generationen und auch in Best-of-Breed-Installationen häufig auftretenden Interessenkonflikt zwischen Ordnung und Freiheit – und weist damit den Weg in die digitale Zukunft.

2.3

Robotic Process Automation und Cognitive Automation

2.3.1 Technologieklassifizierung Die Leistungsfähigkeit von Computern steigt exponentiell. Dies kommt in Moore’s Law zum Ausdruck, das besagt, dass sich die Dichte von Komponenten integrierter Schaltkreise in regelmäßigen Abständen verdoppelt (vgl. Schaller 1997). Diese Entwicklung führt dazu, dass IT-Systeme in SSO heute dazu in der Lage sind, Aufgaben zu übernehmen, die noch vor wenigen Jahren undenkbar schienen. Viele Aufgaben, die derzeit noch menschlichen Mitarbeitern vorbehalten sind bzw. noch bis vor kurzer Zeit waren, werden damit der Automatisierung zugänglich. Eine Reihe von Softwareanbietern reagierte darauf und entwickelte Software­ lösungen, die es Unternehmen ermöglichen, mit relativ einfachen Mitteln Prozesse

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zu digitalisieren. Eine dieser vergleichsweise schlanken und flexiblen Automatisierungslösungen wird als RPA bezeichnet (vgl. Czarnecki und Auth 2018; Lacity und Willcocks 2016; Moffitt et al. 2018; van der Aalst et al. 2018; Willcocks et al. 2017). Korrekt programmiert simuliert RPA-Software die Tätigkeiten eines menschlichen Bedieners am PC – sie ist dabei allerdings sehr viel schneller, macht keine Flüchtigkeitsfehler und kann rund um die Uhr arbeiten. Zur Klassifizierung der derzeit relevanten Technologien bietet es sich an, die Extremfälle im Kontinuum von strukturierten und nichtstrukturierten Daten zu betrachten. Am einfachsten sind strukturierte, digitale Daten zu verarbeiten. Die Prozesse laufen dabei regelbasiert ab und führen zu einem deterministischen Ergebnis (vgl. Lacity und Wilcocks 2016, S. 43). Sind die Daten nicht strukturiert, weisen aber ein Muster auf, z. B. Tabellen, bei denen das Layout und die Spaltenreihenfolge wechseln, ist eine Verarbeitung technisch anspruchsvoller. Grundsätzlich ist eine Verarbeitung der Daten von rein regelbasiert (wenn-dann) zu probabilistischen Entscheidungen vorstellbar, z. B. die Beurteilung von Schadensfällen bei Versicherungen oder die Höhe von Rückstellungen beim Jahresabschluss. Regelbasierte Ansätze sind bei Ermessensentscheidungen überfordert. CA-basierte Lösungen hingegen sind lernfähig und nutzen große Datenmengen unterschiedlicher Datenquellen zur Entdeckung sowie Interpretation von Strukturen (vgl. Welcker 2018). Am schwierigsten sind unstrukturierte Daten zu verarbeiten, wie z.  B.  Fließtext oder Sprache. Hier werden zunehmend probabilistische Lösungen durch intelligente Algorithmen erzeugt (vgl. Lacity und Wilcocks 2016, S. 43). In Abb. 2.7 wird dieser Zusammenhang dargestellt. In der linken unteren Ecke befindet sich die einfachste, aber gleichzeitig die reifste Technologie – RPA. Strukturierte Daten werden regelbasiert verarbeitet. Die nächste Stufe, CA, ist ebenfalls relativ weit entwickelt und wird bereits in zahlreichen SSO eingesetzt, um z. B. ein-

Abb. 2.7  Klassifizierung der Robotic Process Automation (Eigene Darstellung)

2  Implementierung digitaler Prozesse

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gegangene E-Mails an zuständige Bearbeiter zuzuweisen oder bei einfachen Anfragen, wie z. B. der Anforderung von Rechnungskopien, eine automatische Antwort zu generieren. Die dritte Kategorie der KI ist in der praktischen Anwendung in Shared Services derzeit in der Erprobung, wird aber noch nicht in der Breite eingesetzt. Die in Abb. 2.7 gezeigten Kategorien regelbasierte Automatisierung („rule-based automation“), CA und KI („artificial intelligence“) sind nicht eindeutig voneinander abgrenzbar. So werden z. B. im Bereich RPA bereits Anwendungen als intelligent bezeichnet, die Entscheidungen oder Bewertungen zwar unterstützen, aber keineswegs eigenständig durchführen, wie z. B. bei der Identifizierung von Kundenpro­ blemen oder bei Compliance-Prozessen (vgl. Scheer 2018, S. 126 f.).

2.3.2 Voraussetzungen zur Implementierung Für die Auswahl von für RPA besonders geeigneten Prozessen sind verschiedene Eigenschaften zu beurteilen (vgl. Allweyer 2016, S. 4; Willcocks et al. 2017, S. 22 und 40 ff.): • • • • • •

der Standardisierungsgrad; das Vorliegen von Strukturen; die Stabilität eventueller Strukturen im Zeitverlauf; die Komplexität; der Datentyp (besonders auch, ob digitale oder analoge Medien vorliegen) sowie die Anzahl der Anwendungen, die ein Prozess durchläuft.

Hierbei sind bei der erfolgreichen Implementierung von digitalen Prozessen in SSO insbesondere die folgenden Voraussetzungen hinsichtlich der Prozessstandardisierung und der Stammdatenqualität zu erfüllen. • Prozess-Standardisierung In global agierenden Unternehmen bilden sich regelmäßig nach Geschäftseinheit oder Land spezifische Vorgehensweisen heraus, wie bestimmte Transaktionen bearbeitet werden. Diese Tendenz zu einem uneinheitlichen Prozessdesign ist partiell auf unterschiedliche legale oder regulatorische Anforderungen zurückzuführen. Zum größeren Teil basiert diese Uneinheitlichkeit der Prozesse jedoch auf dem Setzen von Prioritäten der lokalen Organisationen. Häufig tritt dieser Effekt verstärkt auf, wenn Konzerne durch Akquisitionen wachsen. Bei RPA-­ Implementierungen führen unterschiedliche Prozesse dazu, dass z. B. jedes Land eine separat entwickelte oder zumindest angepasste Softwarelösung (Bot) benötigt, die bestimmte Aufgaben automatisiert ausführt. Bei einheitlichen Standardprozessen hingegen kann ein Bot in mehreren Geschäftseinheiten und Ländern eingesetzt werden. Der Aufwand, einen Bot zu konfigurieren, ist in diesem Fall sowohl von der Anzahl der durchzuführenden Transaktionen als auch von

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der Anzahl der Geschäftseinheiten und Länder unabhängig. Somit ergibt sich durch die Standardisierung ein signifikanter Effizienzgewinn für die Implementierung in SSO. Dies gilt umso mehr für die Maintenance des Bots im laufenden Betrieb, in der die Kosten maßgeblich von der Anzahl der zu wartenden Bots abhängen. • Stammdatenqualität Deutlich stärker als Menschen sind Bots bei der Ausführung von Aktivitäten auf die Qualität und Vollständigkeit der Stammdaten angewiesen. Fehler in den Stammdaten sorgen für Ausnahmen, Abweichungen und Probleme, mit denen Sachbearbeiter und RPA-Lösungen umgehen müssen. Wenn z.  B. eine Telefonnummer fehlt, kann der Bot nicht – wie ein Mensch – verfügbare Quellen ermitteln und nutzen, um die Daten zu vervollständigen. Im Vorfeld eines RPA-­Projekts sollte daher die Prüfung bzw. gegebenenfalls Bereinigung und Vervollständigung von Stammdaten durchgeführt werden.

2.3.3 Bewertung des Potenzials RPA bietet sich als Möglichkeit zur Automatisierung von repetitiven, strukturierten und regelbasierten Prozessen an, bei denen auf verschiedene IT-Systeme zugegriffen werden muss. Durch die Automatisierung kann der Prozess effizienter ablaufen und damit höhere Volumina bei gleichbleibender Qualität verarbeitet werden. Ziel von RPA ist es, die Kapazitäten der Mitarbeiter in SSO für kreative und anspruchsvolle Aufgaben frei zu machen. Zu Beginn eines RPA-Projekts sollten die relevanten Stakeholder identifiziert und eingebunden werden. Dabei hängen die erforderlichen Ressourcen und die Zusammensetzung vom Umfang des Projekts ab (vgl. Smeets et al. 2019, S. 63 ff.). Die Auswahl der zu automatisierenden Prozesse kann bereits vorgegeben sein bzw. durch einen Workshop oder durch die Analyse einer Prozessliste erfolgen (vgl. Smeets et al. 2019, S. 63). In SSO haben sich Prozessworkshops mit Prozessverantwortlichen und Automatisierungsexperten als sehr gut geeignetes Format zur Identifikation geeigneter Prozesse erwiesen. In solchen Workshops wird der Ist-Prozess auf Einzelschrittebene dokumentiert und besprochen. Bereits in diesem ersten Schritt können Prozessverbesserungen und Teilprozesse mit hohem manuellen Aufwand identifiziert werden. Im zweiten Schritt werden diese Teilprozesse gemäß den Anforderungen von RPA analysiert, um geeignete Potenziale zu erkennen. Im dritten Schritt findet eine Priorisierung der Potenziale statt. Dabei wird nicht nur der erwartete Mehrwert (Effizienz, Qualität) der Automatisierung berücksichtigt, sondern auch die Komplexität der Lösung und der Wartungsaufwand werden in Betracht gezogen, z. B. die Änderungshäufigkeit in den zugrunde liegenden Systemen. Um das RPA-Potenzial in den SSC-Prozessen strukturiert zu bewerten, haben sich folgende drei Schritte bewährt:

2  Implementierung digitaler Prozesse

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1. Eine große Erleichterung ist das Vorhandensein von detaillierten und aktuellen Prozessdokumentationen, die den Ist-Zustand beschreiben. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Dokumentation nicht immer im nötigen Detailierungsgrad vorliegt bzw. nicht immer aktuell ist. Daher wird im Prozessworkshop basierend auf der vorhandenen Dokumentation der Prozess mit den Prozessexperten aus Governance („process owner“) und Operations (Dienstleistungserbringung) besprochen (vgl. auch zur Zusammensetzung eines erforderlichen RPA-­ Projektteams Smeets et al. 2019). Diese Diskussion wird sinnvollerweise durch Automatisierungsexperten begleitet, die die Aufgabe haben, gezielt geeignete Prozessschritte für die Digitalisierung zu identifizieren. Medienbrüche, Warteschleifen, Triggerpunkte, Rückfragen sowie Validierungs- und Qualitätspunkte im Prozess sind im Team zu diskutieren. Es ist nicht unüblich, dass durch diese Transparenz und Diskussion bisher unerkannte Potenziale identifiziert werden. 2. Nach Identifikation potenzieller Anwendungsfälle werden diese auf ihre RPA-Relevanz geprüft. Ein Prozess ist repetitiv, wenn er in einem relevanten Volumen wiederholt durchgeführt wird. Der zweite wichtige Aspekt ist Struktur innerhalb des Prozesses, aber auch die Struktur der Daten, die verarbeitet werden sollen. Eine Aktivität ist regelbasiert, wenn die Behandlung von Input durch klare Regeln beschrieben werden kann und deren Anwendung zu einem konstanten Ergebnis führt. Für alle Aktivitäten, deren Behandlung nicht auf eindeutigen Regeln basiert oder durch externe Ereignisse unbestimmt beeinflusst wird, sind weitergehende CA-Ansätze erforderlich. In einer näheren Betrachtung auf Teilprozess- und Teilschrittebene ergeben sich dann zumeist doch noch Potenziale, da Teilschritte wiederum regelbasiert ablaufen und somit durch RPA unterstützt werden können. 3. Im dritten Schritt erfolgt die Bewertung der Potenziale als Business Case. Quantitative (Freisetzung von Kapazitäten) und qualitative Vorteile (Zuverlässigkeit, Qualität und Geschwindigkeit) werden den Kosten für Erstellung und Betrieb der RPA-Lösung gegenübergestellt. Elemente, die bei der Kostenschätzung berücksichtigt werden, sind u. a. die Anzahl der anzubindenden Systeme, die Anzahl der Prozessschritte, die automatisiert werden, und die Fragestellung, ob auch externe Applikationen angebunden werden sollen. Damit ist i. d. R. eine umfassende Kosten-Nutzen-Bewertung möglich. Zum Beispiel können Automatisierungspotenziale in der täglichen Reporterstellung aus vielen unterschiedlichen internen und externen Quellen stammen, die auf den ersten Blick relevant erscheinen, aber aus Kosten-Nutzen-Betrachtungen nicht mehr lohnenswert für die Digitalisierung sind. Meist ist die Anbindung einer Vielzahl von Systemen nicht nur aufwendig, sondern erfordert auch eine intensive Wartung aufgrund von Änderungen in den Berichtsstrukturen, die bei externen Systemen nicht beeinflusst werden können. Technologien wie Process Mining bieten das Potenzial, den ersten und zweiten Schritt der Prozessbewertung zu unterstützen, indem der Ist-Prozess nicht durch Expertise dokumentiert, sondern durch Process Mining visualisiert wird (vgl. van der Aalst 2011, 2016; Accorsi et al. 2012; Günther et al. 2008). Mit diesen Techno-

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logien und den integrierten Analysefunktionen kann die Identifizierung der RPA-­ Use-­Cases beschleunigt und stärker faktenbasiert durchgeführt werden. Der Fokus liegt auf der richtigen Priorisierung. Der Bewertungsprozess des Potenzials von RPA ist in Abb. 2.8 dargestellt.

2.3.4 Use Cases 2.3.4.1 Beschaffungsprozess – Erstellung und Änderung von Preisen im Einkaufsinfoansatz Henkel AG & Co. KGaA Für die Firma Henkel AG & Co. KGaA ist der Einkauf von Roh- und Verpackungsmaterialien ein wesentliches Element in der Wertschöpfungskette. Einkaufspreise müssen stets aktuell in den Warenwirtschaftssystemen hinterlegt sein, um fundierte Entscheidungen in der Lieferkette und bei der Produktkalkulation treffen zu können. Nachdem neue Konditionen für Rohstoffe durch den Einkauf vertraglich fixiert wurden, wird das SSC via E-Mail informiert. Die Sachbearbeiter führen zunächst eine Qualitätsprüfung unter den Aspekten Vollständigkeit, Korrektheit und Konsistenz durch. Sollte die regelbasierte Qualitätsprüfung nicht erfolgreich sein, wird via E-Mail eine Rückfrage an den Einkauf gestellt mit der Bitte, die nötigen Daten zu korrigieren. Im Fall der erfolgreichen Prüfung werden entweder Einzel- oder Massenänderungen der Konditionen im Warenwirtschaftssystem durch den Sachbearbeiter durchgeführt. Der Regelfall sind Massenänderungen, da Roh- und Packstoffe in verschiedenen Produktionsstätten genutzt werden. In diesem Fall ist es notwendig, zunächst die derzeitig gepflegten Konditionen aus dem IT-System zu extrahieren und die Änderungen, meist manuell in Excel, durchzuführen, die sich aus den neuen Konditionen ergeben. Danach werden diese Änderungen final in das Warenwirtschaftssystem geladen.

Abb. 2.8  Bewertungsprozess des Potenzials von Robot Process Automation (Eigene Darstellung)

2  Implementierung digitaler Prozesse

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Im Anschluss erfolgt ein zweistufiger Qualitätscheck: 1. Zunächst wird der erfolgreiche Upload der Daten in SAP geprüft, da gelegentlich Fehler durch ungewollte Formatänderungen entstehen, z. B. wenn ein falsches Dezimaltrennzeichen verwendet wird oder eine Datumseinstellung eine falsche Reihenfolge enthält. 2. Ein weiterer Schritt besteht in der Simulation der neuen Materialkosten durch ein Produktkostentool (FACT). Dabei werden die neu durch das System berechneten Materialkosten mit den Konditionsänderungen in der Anfrage-E-Mail verglichen, um unerwartete Abweichungen zu identifizieren, die sich z. B. aus falschen Preis-/Mengenangaben ergeben. Nach erfolgreicher Prüfung wird dieser Anwendungsfall abgeschlossen, indem der Einkauf via E-Mail informiert wird. Dieser Anwendungsfall wurde mit einem hohen RPA-Potenzial bewertet, da er repetitiv, strukturiert und regelbasiert ist. Die Kosten-Nutzen-Analyse hat einen attraktiven Business Case ergeben. Zum einen wird dieser Prozess tausendfach im Monat mit hohem manuellen Aufwand durchgeführt. Zum anderen ist der vorliegende Geschäftsprozess ein strukturierter Prozess mit klar definierten Eingabedaten. Der Prozess durchläuft unterschiedliche Medien (E-Mail, Excel, SAP). Eine Qualitätssicherung ist notwendig, da an verschiedenen Stellen im Prozess Fehler durch manuelle Bearbeitung entstehen können, z.  B. bei der Eingabe von Daten oder bei nicht konsistenten Preis-/Mengenangaben. Die Qualitätssicherung erfolgt regelbasiert und eine Vorhersage der zu erwarteten Ergebnisse ist möglich. Der Prozess ist sehr stabil und unternehmensweit standardisiert. Durch RPA konnten viele Schritte automatisiert werden – von der Erfassung einer Anfrage, der Prüfung der Qualität von Eingabedaten inklusive Nachfragen beim Einkauf, bis zur Durchführung von Änderungen im Warenwirtschaftssystem inklusive der Benachrichtigung des Einkaufs. Nur die finale Prüfung des Ergebnisses erfolgt noch durch den Sachbearbeiter, da hier eine Bewertung stattfinden muss, die nur schwer durch ein Regelwerk abgedeckt werden kann. Durch die Anwendung von CA kann auch dieser Schritt zukünftig automatisiert werden. Die Abb. 2.9 zeigt den Ablauf des Prozesses. Durch die Automatisierung konnte die Arbeitsleistung von mehreren Vollzeitmitarbeitern ersetzt werden. Des Weiteren wurden eine hohe Qualität und deutlich kürzere Durchlaufzeiten erreicht. Informationen können somit präziser und deutlich früher der Lieferkette und der Finanzorganisation zur Verfügung gestellt werden.

2.3.4.2 Automatisierte Verarbeitung von Bestellanforderungen bei den BSH Global Business Services Die BSH Global Business Services ist eine Einheit der BSH Haushaltsgeräte GmbH, in der interne Unterstützungsprozesse aus den Bereichen Accounting, Einkauf, Human Resources und weiteren Funktionen in einer SSO gebündelt werden.

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Purchasing Master Data Info Record Specialist (SSC)

Local Purchasing (LP)/ Category Team Member

Purchasing Master Data Info Record Creation Upload oad Contract for approval based on CSCA (FSA, elist, others) on Contract Pricelist, Management Emptoris

Is Contract Commercial Term Sheet (CTS)?

Execute cute Contract in Emptoris

@

Yes

Send e-mail request manually to SSC for PIR request

Outlook

Receive manual e-mail request

Outlook

Outloo Outlook

Outlook

Contract Management

C Co nttract Contract Manage g ment Management

Notes: s: 1. Forr AP, IMEA and Americas, majority of the requests quests are received in YMMUP templates 2. Forr Europe, there is no standard template and request quest comes in different format No Microsoft osoft Excel

Receive e-mail query from SSC Manila on reason for returning e-mail request (non-compliance or missing missin information))

Provide necessary information and action

Contract Management

Microsoft Excel

Microsoft Excel

Microsoft Excel

@ Receive automatic e-mail trigger of the contract

Perform Pre-Quality Checks, gatekeeping process on requested information

Information Complete?

Contract Management

No

Outlook

Send e-mail to FP to inform reason for returning the email request (noncompliance or missing information) Outlook

Yes Automatic E-mail

Make necessary changes and update details in YMMUP Template

SAP

YUMMUP

No

Information Correct?

Outlook

Perform Post Quality Checks of request information versus SAP information Contract Management

Outlook

YUMMUP

Create purchasing view in material, PIR and SL. Download YMMUP Template and fill in with requested information

SAP

YUMMUP

Upload updated YMMUP Template in SAP

SAP

YUMMUP

Go to FACT Tool website. Create a new request

FACT Tool

SAP

Send e-mail to FP confirming that the request has been processed and completed Outlook

Yes

Abb. 2.9 Prozessdiagramm: Stammdatenänderung im Einkaufsinfoansatz (Henkel AG & Co. KGaA)

Zu den von BSH Global Business Services angebotenen Dienstleistungen gehört die zentrale Abwicklung des Bestellprozesses. Dieser Prozess wird in einem Bestellcenter gebündelt, in dem Mitarbeiter mit einem Arbeitsumfang von 35 Vollzeitkräften (FTE) beschäftigt sind und umfasst insbesondere folgende Einzelaktivitäten: Die Verarbeitung von Bestellanforderungen, die Benutzerunterstützung, das Anlegen neuer Stammdaten von Lieferanten, die Beantwortung von Lieferantenanfragen und die Käuferunterstützung. Weiterhin entwickeln die Mitarbeiter zusammen mit der IT-Abteilung die eingesetzten EDV-Systeme weiter. Bei dem verwendeten Bestellsystem handelt es sich um eine SAP-Lösung mit individuellen Anpassungen. Der Bestellprozess selbst erfordert eine enge Abstimmung zwischen dem internen Besteller von BSH, dem Bestellcenter und den externen Lieferanten (Abb. 2.10). Ein zentraler, durch erheblichen personellen Aufwand gekennzeichneter Prozessschritt ist die Prüfung der Bestellanforderungen. Jährlich gehen im Bestellcenter über 360.000 Bestellanforderungen ein, von denen rund 140.000 Freitextbestellungen mit einem Wert von über 500  € sind. In der Vergangenheit waren pro Bestellanforderung 17 verschiedene manuelle Prüfschritte notwendig. Zu überprüfen sind u. a. die Produktkategorie, die Möglichkeit der Katalogbestellung, der passende Lieferant, die Vertragskonditionen und die gewählte Versandmethode. Der

2  Implementierung digitaler Prozesse Create shopping cart Local

Shopping Cart Functional checks IT, Controlling

Shopping Cart

Order center check Order Center

37 Shopping Cart cost approval Local

Purchase Order

Order Processing

Order Center

Supplier

Delivery/ Goods receipt Local

Abb. 2.10  Order-to-Cash-Prozess bei BSH (BSH Hausgeräte GmbH)

Zeitbedarf für diese Prüfungen lag in der Vergangenheit bei durchschnittlich zwölf Minuten pro Fall, sodass sich der jährliche Zeitbedarf für die Prüfung der Bestellungen auf rund 28.000 Stunden belief. Durch die Einführung einer automatisierten Verarbeitung der Bestellanforderungen sollte die Anzahl der manuellen Prüfschritte verringert und somit der notwendige Zeitbedarf reduziert werden. Gleichzeitig sollten dabei typische Fehler, wie die Wahl einer falschen Produktkategorie oder die Verwendung des Freitextfelds anstelle der Auswahl vorhandener Katalogeinträge vermieden werden. Freitextbestellungen sollten eigentlich nur dann erfolgen, wenn keine Katalogprodukte mit vordefinierten Konditionen vorhanden sind. Häufig werden sie aber aus Bequemlichkeit durchgeführt oder weil das Katalogprodukt vom Besteller nicht gefunden wurde. Das Projekt zur Einführung des automatisierten Bestellprozesses erfolgt in zwei Phasen, wobei die erste bereits abgeschlossen ist. In der ersten Phase wurden zwei Prüfschritte, die Verifizierung der Produktkategorie und die Überprüfung der Kataloge, automatisiert. Die Wahl der zutreffenden Produktkategorie ist notwendig, damit die richtigen Genehmigungsprozesse gestartet werden können. Durch die Überprüfung der Kataloge sollen Bestellungen identifiziert werden, bei denen der Besteller eine Freitextbestellung ausgelöst hat, obwohl ein Katalogeintrag vorliegt. In diesem Fall wird die Bestellung mit einem entsprechenden Vermerk an den Besteller zurückgeschickt. Durch die Automatisierung der beiden o. g. Prüfschritte wurden durchschnittlich drei Minuten manueller Bearbeitung pro Vorgang eingespart. Das entspricht insgesamt 7000 Stunden pro Jahr. Für weitere acht Prozessschritte wurde die zukünftige Automatisierung als machbar eingeschätzt. Hierbei handelt es sich u.  a. um den Lieferantencheck, die Überprüfung der Konditionen, die Versandmethode und das automatisierte Anlegen einer Bestellung. Die Umsetzung der Automatisierung erfolgte durch RPA.  Auf Basis der RPA-Plattform „Automation Anywhere“ wurden die vorhandenen manuellen Schritte eins zu eins in einem Software-Bot umgesetzt. Dieser Software-Bot arbeitet auf der Benutzeroberfläche wie ein Shared-Service-Mitarbeiter und repliziert dessen Bearbeitungsschritte. Die Voraussetzung hierfür sind strukturierte Daten und eindeutige Regeln zur Bearbeitung. Für die Überprüfung der Produktkategorie kommen hierbei historische Daten mit Schlüsselwörtern zum Einsatz. Der Software-­ Bot nutzt existierende Teilautomatisierungen (z. B. Makros) und übergibt das Ergebnis der technischen Prüfschritte an die Mitarbeiter zur Fertigstellung. Der Umsetzungsprozess basierte auf einer detaillierten Prozessbeschreibung, in der der bisherige Prozess mit einer Schritt-für-Schritt-Anleitung inklusive Screenshots dokumentiert wurde. Dieses Process Design Document wurde mittels der SIPOC-­Methode erstellt, wonach der Lieferant (Supplier), die Input-Daten, der

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Prozess, die Output-Daten und der Kunde (Customer) erfasst wurden. Ein besonderer Fokus lag dabei auf den verwendeten Daten und den angewandten Geschäftsregeln. Als Herausforderung zeigte sich, dass die Arbeitsanweisungen für den Roboter detaillierter sein müssen als für einen Mitarbeiter. Für viele Schritte, die ein Mensch aufgrund seiner Erfahrungen ohne weitere Erklärung intuitiv richtigmacht, benötigt der Software-Bot eine genaue Prüfanleitung durch einen konkreten Algorithmus. Als Beispiel sei die Überprüfung des Datums genannt, bei der ein Mensch im Unterschied zum Software-Bot keine näheren Erläuterungen benötigt, um dieses zu erkennen. Nach der Dokumentation wurde die Prozessbeschreibung in eine technische Lösungsbeschreibung (Solution Design Document) überführt. Bereits die Abbildung des Prozesses genau in der Weise, wie er bislang vom Mitarbeiter durchgeführt wurde, würde durch die höhere Geschwindigkeit des Software-Bot zu einem Effizienzgewinn führen. Häufig kann eine weitere Verbesserung dadurch erzielt werden, dass der Software-Bot bestimmte Prüfungen gleich auf größere Datenmengen anwenden kann. In diesem Fall wäre der Prozess an die geänderte Prüfreihenfolge anzupassen. Die eigentliche Erstellung des Software-Bot erfolgte in enger Abstimmung zwischen Spezialisten aus der IT und Prozessexperten. Dabei zeigte sich im Laufe der technischen Erstellung, dass die Bewältigung von Abweichungen im Standardprozess für einen Menschen aufgrund seines Erfahrungswissens flexibler zu bewältigen ist als für einen Software-Bot. Die Einführung der digitalen Lösung für die Prüfung der Bestellanforderungen wird seitens der BSH Global Business Services sehr positiv bewertet und führte zu einer deutlichen Verbesserung der Prozessperformance. Insbesondere konnte der manuelle Prüfaufwand bereits mit den im ersten Sprint bearbeiteten Prüfschritten um 25 % reduziert werden. Die Mitarbeiter haben dementsprechend mehr Zeit für höherwertige Beratungsthemen. Eine Verbesserung der Qualität des Bestellprozesses konnte durch die Erhöhung der Katalograte erzielt werden, sodass bereits verhandelte Konditionen häufiger genutzt werden. Gleichzeitig ist auch die Fehlerquote gesunken. Insgesamt konnten Kosteneinsparungen von 20 bis 30 % erreicht werden. Durch die Automatisierung werden zudem weitere Vorteile erzielt. So tragen die höhere Skalierbarkeit, die bessere Compliance und die Reduktion manueller Fehler zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung bei. Eine verbesserte Kundenzufriedenheit wird durch die höhere Servicequalität, den schnelleren, rund um die Uhr verfügbaren Service sowie eine verbesserte Customer Journey im Bestellprozess erreicht. Schließlich steht den Mitarbeitern mehr Zeit für kritische und wertschöpfende Tätigkeiten zur Verfügung, sodass Nachfragespitzen besser ausgeglichen werden können. Diese Effekte, verbunden mit der Reduzierung langweiliger Routinetätigkeiten, tragen auch positiv zur Mitarbeiterzufriedenheit bei. Bei der Durchführung des Automatisierungsprojekts wurden zahlreiche Erfahrungen gemacht, die sich auch auf ähnliche Projekte übertragen lassen:

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• Ein entscheidender Aspekt ist, eine positive Grundeinstellung der Mitarbeiter gegenüber den Automatisierungslösungen zu erreichen. Es ist hilfreich, die Mitarbeiter in die Auswahl der zu automatisierenden Prozesse aktiv einzubinden (Bottom-up-Ansatz), da diese sich so für die Automatisierungslösung einsetzen können und nicht dagegen arbeiten. • Weiterhin bedeutsam ist die kontinuierliche Weiterentwicklung und Qualifizierung der Mitarbeiter im Hinblick auf die sich ändernden Anforderungsprofile im Zuge der fortscheitenden Digitalisierung und Automatisierung. Dies eröffnet die Möglichkeit, das Personal für höherwertige Tätigkeiten einzusetzen, da künftig Routinetätigkeiten weitestgehend automatisiert durchgeführt werden. • Durch die Nutzung von Software-Bots ergeben sich neue Aspekte im Bereich Risikomanagement. Da Software-Bots unter eigenen User-IDs laufen und über weitere Passwörter auf andere Applikationen zugreifen, muss sichergestellt werden, dass jederzeit eine Nachvollziehbarkeit besteht, in wessen Zugriff sich die User-ID befand und welche Aktivitäten maschinell ausgeführt wurden. Hierzu sind eine Zugriffssteuerung der Roboter-ID, die Administration der Passwörter mit einem gesicherten Passwort-Safe sowie eine detaillierte Protokollierung der ausgeführten Bearbeitungsschritte zu gewährleisten. • Ein weiterer Aspekt ist die Sicherstellung der Prozessstabilität („business continuity“). Durch die hohen Skalierungsmöglichkeiten ist es wirtschaftlich, die Automatisierungslösung redundant (gespiegelt) aufzusetzen („high availability/ desaster recovery“). Darüber hinaus müssen Maßnahmen definiert werden, wie bei einem längerfristigen Ausfall der Automatisierungslösung zu verfahren ist („manual backup“).

2.3.4.3 Automatisierter Abruf von Zahlungsavisen in Kundenportalen bei ZF Friedrichshafen Viele Kunden der SSO des Automobilzulieferers ZF Friedrichshafen versenden nach der Durchführung einer Zahlung kein Zahlungsavis über die präferierte Lösung, Electronic Data Interchange (EDI), sondern stellen die Zahlungsmitteilungen auf ihren Online-Portalen zur Verfügung. Von dort können sie manuell heruntergeladen und weiterverarbeitet werden. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass der Kunde das Avis per E-Mail zuschickt. Die erforderlichen Dokumente liegen i. d. R. als PDF- oder Excel-Datei vor. Ohne diese Avise ist der automatisierte Abgleich des Zahlungseingangs mit den offenen Posten des Kunden deutlich schwieriger und weniger zuverlässig. Auf den unterschiedlichen Kundenportalen muss sich der Mitarbeiter der SSO täglich manuell einloggen, die erforderlichen Unterlagen herunterladen und die Dokumente auf seinem Computer zwischenspeichern. Die Verarbeitung der Zahlungsinformationen erfolgt mithilfe eines dafür spezialisierten SAP Add-On. Ein Hochladen in dieses Add-On ist nur als Excel-Datei in einem strukturierten Format möglich. Falls die Dokumente als PDF heruntergeladen wurden, müssen die Dateien in eine strukturierte Excel-Datei kopiert werden. Liegen die Daten bereits

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als Excel-Datei vor, muss die Excel-Datei in das vorgegebene Format umgewandelt und anschließend eingespielt werden. Die Software vergleicht nun die angegebenen Referenznummern sowie Beträge mit den offenen Posten der Kunden. Im Anschluss erfolgt ein automatischer Zahlungsausgleich mit den offenen Posten auf den Kundenkonten. Für Zahlungsmitteilungen, die per E-Mail versendet werden, gilt der gleiche Ansatz wie für die heruntergeladenen Dokumente auf den Online-Portalen. Die Dokumente müssen vor dem Hochladen in das strukturierte Excel-Format umgewandelt werden. Der Prozess wird täglich von Mitarbeitern in fünf regionalen SSC durchgeführt und erfordert einen hohen manuellen Aufwand. Auf globaler Ebene wird dieser standardisierte Prozess tausendfach durchgeführt. In diesem Prozess gibt es keine Ausnahmen bzw. Entscheidungen, die getroffen werden müssen. Der Prozess ist standardisiert und folgt einer globalen Arbeitsanweisung. Da der Prozess regelbasiert und standardisiert ist, erfüllt er die Voraussetzungen für RPA. Eine systembasierte Lösung ohne RPA ist zurzeit noch nicht vorhanden, da das ERP-System keine Möglichkeit bietet, die Dokumente eigenständig von den Portalen abzufragen bzw. zwischenzuspeichern. Es bleibt weiterhin die bevorzugte Lösung, die Zahlungsavise der Kunden per EDI zu übertragen. Somit wird dieser Use Case als Übergangsszenario gesehen, bis die Quote der EDI-Anbindungen für Zahlungsmitteilungen ausgebaut ist. Des Weiteren soll die Funktionalität des Prozesses auf die Extrahierung der Zahlungsavise aus den empfangenen E-Mails erweitert werden. Mit Einführung der RPA-Technologie entfällt für den Mitarbeiter das Bearbeiten der Zahlungsavise. In der Steuerung des Bots wird hinterlegt, dass an jedem Tag zu bestimmten Uhrzeiten definierte Prozessschritte selbstständig ausgeführt werden. Diese Prozessschritte starten mit dem Öffnen des Internetbrowsers und dem Herunterladen der Zahlungsavise. Alle folgenden Prozessschritte werden vom Bot übernommen. Bei unerwarteten Fehlern, z. B. wenn der Bot sich nicht im Online-Portal einloggen kann, wird automatisch eine E-Mail an einen Mitarbeiter aus dem Bereich Bot-Überwachung gesendet. Sollte der Fehler keinen technischen, sondern fachlichen Hintergrund haben, setzt sich der Mitarbeiter der Bot-Überwachung mit den zuständigen Mitarbeitern in der Debitorenbuchhaltung in Ver­bindung. In Abb. 2.11 ist der komplette manuelle Prozess gegenübergestellt, der zukünftig vollautomatisiert durch die digitale Implementierung von RPA verarbeitet wird. Das Projekt wurde in der Praxis noch nicht vollständig abgeschlossen. Es wird aber erwartet, dass durch die Digitalisierung dieses bisher manuellen Prozesses Kapazitäten von circa acht FTEs eingespart werden. Zudem wird durch die Implementierung von RPA in der SSO nicht nur eine bessere Qualität sichergestellt, sondern auch die Durchlaufzeit verkürzt. Damit ist es möglich, schneller die Informationen über offene Debitorenrechnungen zu erhalten. Aufgrunddessen können offene Forderungen zeitnah berichtet werden. Dies führt zu deutlich effizienteren Prozessen in der SSO.

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Abb. 2.11  Prozessdiagramm Zahlungsavisbearbeitung (ZF Friedrichshafen AG)

2.3.4.4 Intelligente Verarbeitung von Auftragsbestätigungen mit Rule Based Robotic Process Automation und Cognitive Automation bei BASF Im Purchase-to-Pay-Prozess spielt die Auftragsbestätigung eine wichtige Rolle, da sie einerseits die rechtlich verbindliche Annahme der Bestellung darstellt und andererseits mögliche Abweichungen im Lieferungs-/Leistungsumfang bzw. -termin bereits vor dem Wareneingang und der Rechnungsbuchung anzeigt und damit deren frühzeitige Klärung erlaubt. Das Selektieren, Auslesen und Buchen von papier- oder PDF-basierten Auftragsbestätigungen ist in der Praxis ein mehrstufiger und aufwendiger Prozess, da die Dokumente je nach Kreditor individuell gestaltet sind und somit keinem standardisierten Layout entsprechen. Des Weiteren sind Abweichungen häufig in den Positionsdaten verborgen, z. B. Liefermenge oder Liefermengeneinheit, und die bestätigten Daten müssen schließlich feldweise in das ERP-System überführt werden. Im Fall von Abweichungen gibt es unterschiedliche Schwellenwerte, die je nach Bestellwert, Warengruppe oder Priorität der Bestellung verschiedene Freigabeworkflows nach sich ziehen. Für die automatisierte Verarbeitung liegen also zunächst weder strukturierte Daten noch ein genau spezifizierter Folgeprozess vor. Wird dieser Prozess in seine Komponenten zerlegt, so gibt es Tätigkeiten, die Entscheidungen mit Erfahrungswissen erfordern: • die Unterscheidung von Auftragsbestätigungen von ähnlichen Dokumenttypen, z. B. Lieferscheinen, sowie • das Erkennen und Auslesen der richtigen Daten, z. B. Lieferant, Liefertermin, Positionsdaten und deren Speicherung in einem strukturierten Datensatz. Andererseits gibt es Tätigkeiten, die einer vorher definierten Arbeitsroutine folgen: • der Vergleich der strukturiert vorliegenden Daten der Auftragsbestätigung mit den Daten der entsprechenden Bestellung,

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• das Auslösen vorher definierter Informations- und Genehmigungsprozesse anhand spezifizierter Schwellenwerte und • das Übertragen des strukturierten Datensatzes der Auftragsbestätigung ins ERP-System. Dieser Anwendungsfall lässt sich demnach nicht nur mit regelbasierten RPA-­ Lösungen abbilden, sondern erfordert auch die Entdeckung sowie Interpretation von Strukturen und somit CA. Die einzelnen Prozessschritte werden im Folgenden beschrieben und in Abb. 2.12 auf den einzelnen Technologieebenen dargestellt. Für die Prozessschritte, die Urteilsvermögen und selbstständiges Lernen erfordern, wurde eine Cloud-Plattform ausgewählt, die zunächst mittels Optical Character Recognition (OCR; vgl. Mithe et al. 2013) den Dokumenteneingang digitalisiert. Im nächsten Schritt erfolgt eine automatische Klassifizierung des Dokumenttyps anhand vorher bereitgestellter Lerndaten in Form von Beispieldokumenten. Diese Lerndaten werden durch den operativen Betrieb weiter verfeinert, sodass die Klassifizierungsqualität mit dem Bearbeitungsvolumen steigt. Für den Dokumenttyp „Auftragsbestätigung“ werden dann weitere Bearbeitungsschritte durchgeführt, wie z.  B. die Lieferantenerkennung, das Auslesen von Kopf- und Positionsdaten, das Konvertieren in Standardformate, wie den INCO-Term „Ab Werk“ in den Code „EXW“. Schließlich werden die ausgelesenen Daten für die Weiterverarbeitung in einem strukturierten Datensatz bereitgestellt. Die nun folgenden Schritte wurden mit einer regelbasierten RPA-Lösung umgesetzt. Kern dieser Lösung ist ein Regelwerk, das für verschiedene Abweichungen und deren Kombinationen unterschiedliche Folgeprozesse vorsieht, z. B. Informati­onsE-Mails oder Genehmigungsworkflows. Die RPA-Lösung ist so konfiguriert, dass sie in regelmäßigen Zeitintervallen Stapel von neu eingegangenen Auftragsbestätigungen abarbeitet. Dazu öffnet der RPA-Bot den strukturierten Datensatz, liest die enthaltene Bestellnummer aus und öffnet die betreffende Bestellung im ERP-System. Anschließend vergleicht der Bot die bestätigten Daten mit den ursprünglichen Daten der Bestellung. Im Fall einer Abweichung wird die im Regelwerk spezifizierte Anweisung ausgeführt. Falls keine Abweichung vorliegt, bucht der Bot die bestätigten Daten im ERP-System und protokolliert seine Aktion. Ein Vergleich zwischen dem traditionellen, manuellen Prozess mit der aktuellen Kombination aus CA und dem regelbasierten RPA zeigt eine Reihe von Vorteilen sowie einige kritische Punkte auf: • Höhere Effizienz: Der Einsatz von Vollzeitkräften für das Auslesen und Buchen von Auftragsbestätigungen sinkt mit der Digitalisierung des Prozesses signifikant. Die verbleibende Arbeit liegt nun hauptsächlich in der Verifizierung nicht fehlerfreier oder nicht vollständig ausgelesener Dokumente und in der Bearbeitung von Abweichungen.

Abb. 2.12  Prozessdarstellung Auftragsbestätigung (BASF SE)

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• Bessere Transparenz: Die automatisierte Verarbeitung ermöglicht bessere Auswertungen im Hinblick auf den Erhalt von Auftragsbestätigungen sowie auf die Anzahl von Abweichungen. Diese Datenbasis kann wiederum für entsprechende Folgeaktivitäten genutzt werden. • Kürzere Durchlaufzeiten: Durch den Entfall manueller Prüf- und Bearbeitungsschritte lässt sich die Durchlaufzeit erheblich verkürzen. Dies wiederum schafft mehr Zeit für die Klärung substanzieller Abweichungen, z. B. einem verschobenen Liefertermin. • Voraussetzung für weitere Integrationsvorteile: Bei Betrachtung der gesamten Supply-Chain ist die Auftragsbestätigung nur ein Dokumenttyp, der relevante Statusinformationen enthält. Je mehr Dokumenttypen, z. B. Lieferscheine, Avise etc. nach dem gleichen Muster bearbeitet werden, desto engmaschiger ist die Kontrolle über den Gesamtprozess und desto höher ist die Qualität der daraus resultierenden Planungsdaten. • Nichtspezifizierte Sonderfälle: Bei technischen Innovationen gehen mit den Vorteilen häufig neue Risiken und Nachteile einher. Präzedenz- und Sonderfälle in Form neuer Dokumentenlayouts, unübliche Abkürzungen, Hand- und Designschriften werden oftmals nicht selbstständig von der Plattform erkannt und bearbeitet. Hier ist menschliche Intervention erforderlich. • Ausfall einzelner Systemkomponenten: Nach der Realisierung der Effizienzpotenziale hängt die Sicherheit des operativen Betriebs an der Stabilität der Systemkette, die wiederum so stark wie ihr schwächstes Glied ist. Kommt es zum Ausfall einer einzelnen Komponente, stehen i. d. R. keine Back-up-Teams mehr zur Verfügung, die den Prozess manuell weiterbearbeiten können. Insofern kommt einer redundanten Systeminfrastruktur und einem kontinuierlichen Monitoring eine besondere Bedeutung für die zuverlässige Serviceerbringung zu. Wie im vorliegenden Anwendungsfall von Shared Services beschrieben, liegt der Mehrwert nicht mehr allein in einer einzelnen Automatisierungskomponente, sondern in einer intelligenten Kombination verschiedener Lösungen. Aktuell lässt sich in vielen Organisationen der Wandel von punktuellen Use Cases zur Digitalisierung kompletter Prozesse bzw. Prozessketten beobachten. Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung modularer Lösungen weiter zunehmen, die sich individuell konfigurieren lassen.

2.4

Virtuelle Assistenten

2.4.1 Begriffserklärung Virtuelle Assistenten sind ein sich aktuell vielversprechend entwickelnder Anwendungsbereich von KI in der Praxis. Als virtueller Assistent wird eine Software bezeichnet, die auf gesprochene oder geschriebene Anfragen hin Aufgaben für einen Benutzer ausführen kann (vgl. Marinchak et  al. 2018, S.  5749; Strohmann et  al.

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2018).2 Virtuelle Assistenten können mit Nutzern interagieren, um Aufgaben zu erledigen, Informationen zu beschaffen und ihre Fähigkeiten basierend auf dem Feedback des Nutzers zu verbessern (vgl. Lamontagne et  al. 2014). Sie agieren als Schnittstelle zwischen Systemen, Anwendungen, Kunden und Anbietern von Dienstleistungen (vgl. Henne et al. 2014), wodurch sich eine breite Einsatzmöglichkeit in SSO eröffnet. Virtuelle Assistenten erscheinen in der Literatur und Praxis unter verschiedenen Bezeichnungen. Der Begriff Chatbot wurde etabliert, da Nutzer mit der Software Nachrichten in natürlicher, geschriebener oder gesprochener Sprache austauschen („chatten“) können. Stucki et al. (2018, S. 72) sehen einen Unterschied zwischen virtuellen Assistenten und Chatbots dahingehend, dass Chatbots lediglich dazu dienen können, einen Gesprächspartner zu simulieren, ohne weitergehende Aufgaben des Nutzers zu erfüllen. Sprachgesteuerte virtuelle Assistenten werden auch als „vocal social agents“ (vgl. Guzman 2016) oder Sprachassistenten („voice assistants“; vgl. McTear et al. 2016) bezeichnet. Sie werden bereits in größerem Umfang im Consumer-Bereich eingesetzt, z. B. für Online-Suche, Online-Shopping, Steuerung von Smart-Home-­ Geräten oder auf PC, Tablets und Smartphones zur Medienwiedergabe, Navigation und Erstellung von E-Mails, To-do-Listen oder Kalendereinträgen. Über die Interpretation von gesprochenen Texten hinaus sind bestimmte virtuelle Assistenten in der Lage, mit einer synthetisierten Stimme zu antworten (vgl. Vtyurina und Fourney 2018). Der Begriff der Intelligenz bei virtuellen Assistenten bezieht sich auf die Unterscheidbarkeit ihrer Handlungen im Vergleich zu einem Menschen (vgl. Balakrishnan und Honavar 2001). Inwieweit dies gelingt bzw. das Denkvermögen zwischen Computer und Mensch sich ähneln, ist Gegenstand des Turing-Tests (vgl. Saygin et al. 2000) oder des Lovelace-Tests (vgl. Bringsjord et al. 2003). Besitzt der virtuelle Assistent eine verkörperte Form, z. B. einen Character, wird er als „embodied conversational agent“ (vgl. Eisman et al. 2012, S. 3136) bezeichnet. Ausgestattet mit Sensoren und Aktoren sowie einem Mindestmaß an Selbststeuerung bzw. Autonomie wird der Begriff menschenähnlicher sozialer Roboter („humanoid social robot“) verwendet (vgl. Zhao 2006). Ein Anwendungsfall, bei dem die physische Präsenz des Assistenten von Relevanz ist, ist z. B. der Einsatz von humanoiden Robotern durch HR-SSO für das Recruiting oder zur Unternehmenspräsentation auf Messen (vgl. Microsoft o. J.).

2.4.2 Varianten Um das Potenzial des Einsatzes virtueller Assistenten in SSO einschätzen zu können, ist eine Differenzierung von konversationsimitierenden, aufgabenerfüllenden, 2  Alternative Bezeichnungen sind auch virtuelle persönliche Assistenten (vgl. McTear et al. 2016), digitale Assistenten (vgl. Guzman 2016) oder intelligente digitale Agenten (vgl. Balakrishnan und Honavar 2001).

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(proaktiv) bedürfniserkennenden und emotionswahrnehmenden Chatbots sinnvoll (vgl. Shum et al. 2018). Die konversationsimitierenden Chatbots zielen auf die Imitation menschlichen Verhaltens in einer text- oder sprachbasierten Konversation ab. Die aufgabenerfüllenden Chatbots sind in vielen Bereichen anwendbar, erfordern aber eine strukturierte Interaktion. Ziel ist es, komplexe Datenanforderungen des Nutzers von Systemen im Hintergrund komfortabel zu erfüllen und zwar auch bei fehlenden Vorkenntnissen der Systeme. Ein Anwendungsbeispiel sind ERP-Systeme oder BPM-Plattformen in SSO. Die entsprechenden Chatbots sind für sehr strukturierte Aufgaben in Service- und Unterstützungsfunktionen sehr gut geeignet. Ein aufgabenerfüllender Chatbot kann z. B. die Beschaffung von geringwertigen Materialien anstoßen, Informationen aus den Buchhaltungssystemen ermitteln oder einem Mitarbeiter Auskunft zu den hinterlegten Personaldaten geben. Bedürfniserkennende und emotionswahrnehmende Chatbots erweitern das Einsatzspektrum durch zusätzliche KI-Funktionen. Diese Chatbots erlauben es, z. B. bei telefonischer Interaktion eine Endlosschleife zwischen Menschen und Maschine zu vermeiden. Anhand von bestimmten Parametern kann der emotionswahrnehmende Chatbot die Emotionen eines Kunden beurteilen (vgl. Lee et  al. 2017; Oh et  al. 2017; Xu et al. 2017). Bedürfniserkennende und emotionswahrnehmende Chatbots leiten unter bestimmten Bedingungen den Kunden an einen Call-Center-Mitarbeiter der SSO weiter. Chatbots können ihre Fähigkeiten durch Lernen laufend erweitern. Die menschliche Sprache ist nicht immer eindeutig, da Wörter oft mehrere Bedeutungen haben, von denen sich die relevante erst aus dem Kontext erschließt. Beispielsweise kann es sich bei einem Ball um ein Sportgerät oder um eine Tanzveranstaltung handeln. Durch KI werden Chatbots in die Lage versetzt, die kontextuellen Beziehungen besser zu erfassen. Der rasante Fortschritt auf dem Gebiet der KI wird langfristig die Anforderungen an die Strukturiertheit der von Chatbots zu erledigenden Aufgaben weiter senken. Ein sehr fortgeschrittenes Beispiel ist ein virtueller Assistent von Google, der für einen Nutzer autonom Termine beim Friseur vereinbart (vgl. Fuest 2018) oder eine Reservierung im Restaurant vornimmt (vgl. Springer 2019), wobei der Assistent in einer Konversation jeweils auch Rückfragen seitens der angefragten Stelle korrekt beantwortet. Virtuelle Assistenten weisen eine text- bzw. sprachbasierte Dialogschnittstelle auf, die eine wechselseitige Interaktion ermöglicht. Eine solche Dialogschnittstelle bietet eine Reihe von Vorteilen gegenüber der traditionellen grafischen Benutzerschnittstelle: • Sie ermöglicht eine andere (und möglicherweise effizientere) Art und Weise, Aufgaben an die Software zu delegieren. Statt sich durch Menüs und Drop-­ down-­Felder zu navigieren, kann die Frage als Text- oder Sprachnachricht gestellt werden. • Sie ermöglicht erweiterte Interaktionen und die Ausführung von mehrstufigen Aufgaben.

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• Sie orientiert sich an in der Mensch-Mensch-Kommunikation üblichen Konventionen der Gesprächsführung. Die zunehmende Verbreitung von Chatbots ist zum Teil durch die enormen Fortschritte im Bereich der KI begründet, insbesondere durch evolutionäre Algorithmen und Deep Learning (vgl. Tiedemann 2018). Damit geht eine höhere Genauigkeit bei Technologien zur Spracherkennung und zum Verstehen von natürlicher Sprache einher. Virtuelle Assistenten sind nur ein Anwendungsbereich der maschinellen Spracherkennung. Andere Bereiche sind automatische Übersetzungen von fremdsprachigen Texten, wie z. B. DeepL (vgl. Schmalz 2019), Übersetzungs-Apps mit Spracherkennung, wie z. B. Dragon (vgl. Di Giusto und Scherler 2016) oder Übersetzungen auf mobilen Geräten mit Sprachein- und -ausgabe, wie z. B. SayHi (vgl. Settele 2019). Im Geschäftsumfeld können so Mitarbeiter global in ihrer jeweiligen Muttersprache miteinander kommunizieren oder Vertrags- und Gesetzestexte in fremden Sprachen ohne spezifische Kenntnisse derselben nachvollziehen. Bei der Entwicklung einer Dialogschnittstelle können vielfältige Aspekte eine Rolle spielen, wie etwa • die Auswahl und Verwendung verschiedener Ein- und Ausgabemedien; • Maßnahmen zur Förderung einer kontinuierlichen Einbindung in die Arbeitsprozesse; • Ideen zur Schaffung einer persönlicheren und angenehmeren Benutzererfahrung; • der Einsatz von Personas und Branding; • Messungen der Qualität von Interaktionen; • die Entwicklung von Richtlinien, z. B. zur Gestaltung effektiver Eingabeaufforderungen, zur Erzeugung natürlich klingender Stimmen, zum kooperativen Handeln, zur Einsatzbereitschaft in den unterschiedlichsten Situationen und • die Simulation von menschlicher Gesprächsführung bis zu dem Punkt, dass keine Unterscheidung zum Gespräch mit einem Menschen mehr möglich ist.

2.4.3 Einsatzmöglichkeiten in Shared Services Global tätige Unternehmen stehen vor einer Reihe von geschäftlichen Herausforderungen, wie z. B. • eine zunehmende Anzahl von internen und externen Kundenanfragen mit geringer Wertschöpfung, die aber wichtig für die Zufriedenheit der Kunden sind, die hohe Transparenz und zeitnahes Feedback erwarten; • hohe Kosten für einen Qualitätsservice über eine Vielzahl von Kanälen (Call-­ Center, E-Mail, soziale Medien); • ein Zuwachs an für Unternehmen verfügbaren Informationen, unhandliche und zeitaufwendige Tools für Navigation und Datennutzung und • die Notwendigkeit, in mehreren Sprachen zu kommunizieren.

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Demgegenüber stehen einige klare Vorteile beim Einsatz von virtuellen Assistenten in SSC: • die Bereitstellung eines Rund-um-die-Uhr-Service durch mühelose Skalierung mit der Chatbot-Plattform, • bessere Beziehungen zwischen Kunden und Mitarbeitern durch schnelle und effiziente Problemlösung, • ein sofortiger Zugriff auf wichtige Informationen über eine benutzerfreundliche Schnittstelle, • eine erhöhte Verfügbarkeit durch Integration von Chatbots in alle Kommunikationskanäle und Unternehmenssysteme, • die Bereitstellung einer immer individuelleren Benutzererfahrung durch ständige Verbesserungen von Algorithmen und • eine konstante Weiterentwicklung von vorhandenen Chatbots durch neue Technologien wie Deep Learning oder evolutionäre Algorithmen. Das Potenzial von virtuellen Assistenten mit Text- bzw. Sprachfunktion wird angesichts der Relevanz, die Telefon- und E-Mail-Kommunikation in strukturierten Service-Prozessen noch immer haben, deutlich. Werden Serviceprozesse für verschiedene Zielgruppen verglichen, z. B. Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter, so gibt es trotz der inhaltlichen Unterschiede gleichartige Muster in der Inbound- und Outbound-Kommunikation. Beispielsweise existieren in allen genannten Bereichen sog. häufig gestellten Fragen (FAQ), wie „Wann wird meine Ware geliefert?“, „Wann wird meine Rechnung bezahlt?“ oder „Wie kann ich Elternzeit beantragen?“. Ein zweites Muster bezieht sich auf die Unterstützung bei anspruchsvolleren Anfragen, z. B. „Wie wende ich das Produkt für meinen Zweck richtig an?“, „Wie registriere ich mich auf einer Ausschreibungsplattform?“ oder „Wie fülle ich eine Bedarfsanforderung richtig aus?“. In diesen Fällen reicht eine einfache Antwort nicht mehr aus, sondern es bedarf einer komplexeren Frage-Antwort-Sequenz entlang eines Entscheidungsbaums. Ein drittes Muster sind Anfragen nach außen, wie z. B. Zahlungserinnerungen, die Einführung neuer Qualitätsstandards oder die Erinnerung an die überfällige Leistungserfassung. Hier ziehen einfache Serien-E-Mails regelmäßig Rückfragen nach sich, die häufig manuell bearbeitet werden müssen. Werden bestimmte Typen von Anfragen mit einer überschaubaren Anzahl von Varianten in Echtzeit bearbeitet, ist der Einsatz eines text- oder spracherkennenden Chatbots sinnvoll. Letztere werden im folgenden Beispiel von BASF auch Voice Agents genannt. Voice Agents stellen in diesem Zusammenhang eine Sonderform des Chatbots dar. Durch den Einsatz einer Speech-to-Text- bzw. Text-to-Speech-Komponente wird aus einem textbasierten Chatbot ein Voice Agent, der gesprochene Sprache verstehen und erzeugen kann. Dieses Verfahren wird bereits seit geraumer Zeit in Sprachassistenten für den Consumer-Bereich wie z. B. Siri, Alexa oder Cortana ver-

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wendet. Um die Eignung für den professionellen Einsatz in Unternehmen zu prüfen, sollten vorab u. a. folgende Fragen geklärt werden: • In welchen Sprachen soll der Service angeboten werden? Die Qualität der Spracherkennung unterscheidet sich zum Teil deutlich zwischen einzelnen Sprachpaketen. • Mit welchen Dialekten ist zu rechnen? Die Spracherkennung ist häufig auf die jeweilige Hochform der Sprache ausgerichtet und nicht in der Lage, im Dialekt gesprochenen Input korrekt zu interpretieren. • Welche Hintergrundgeräusche sind in dem jeweiligen Use Case zu erwarten? Wird der Voice Agent z. B. aus einer Produktionshalle oder einem Großraumbüro angerufen, kann sich das negativ auf die Spracherkennung auswirken. Dies ist insbesondere bei Service-Hotlines zu bedenken. • Wie nachsichtig und geduldig ist der Anrufer? Folgt der Gesprächsverlauf nicht dem vorher beschriebenen Dialogbaum, kann dies mitunter in ermüdenden Schleifen und in Frustration enden. Insofern sollten erste Use Cases bei wohlwollenden Zielgruppen geplant werden.

2.4.4 Risiken der Nutzung Neben den hohen Nutzenpotenzialen müssen, gerade im Umfeld einer kritischen Öffentlichkeit, einige Risiken, insbesondere im Umgang mit persönlichen Daten von Kunden und Mitarbeitern, mit großer Sorgfalt berücksichtigt und proaktiv gesteuert werden, um u.  a. vertrauensvolle Geschäftsbeziehungen zu bewahren. So sind u. a. die folgenden Herausforderungen zu bewältigen: • Unberechtigte Zugriffe auf die Systemplattformen der virtuellen Assistenten dürfen nicht zu einem uneingeschränkten Zugriff auf die Systeme der Quelldaten führen. • Manipulierte virtuelle Assistenten können unerwünschte Ergebnisse produzieren oder gar unerwünschte falsche Entscheidungen treffen, wenn keine weiteren Eingriffe erfolgen. Daher ist eine regelmäßige Analyse kritischer Szenarien und deren Konsequenzen durch den Einsatz virtueller Assistenten in SSO unabdingbar. Im Shared-Service-Umfeld wird zudem häufig das Argument vorgebracht, dass die Übergabe bestimmter Tätigkeiten an RPA oder virtuelle Assistenten zukünftig deren fortlaufende Schnittstellenanpassung und Weiterentwicklung erschwert, da diese nur durch menschliche Erfahrung und Intelligenz möglich ist, die jedoch aus der Leistungserbringung herausgenommen wurde. Dieses Argument wird jedoch dadurch entkräftet, dass der Einsatz digitaler Plattformen den großen Vorteil mit sich bringt, dass alle Prozessschritte automatisch dokumentiert werden. Hierdurch entsteht eine hochtransparente Basis für die Feststellung und die Analyse von Abweichungen sowie möglicher weiterer Verbesserungen.

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Zu bedenken ist auch die rechtliche Unsicherheit beim Einsatz von KI, z. B. die Wirksamkeit eines Vertragsschlusses über einen virtuellen Assistenten oder die Haftung für Konsequenzen, die aus einer fehlerhaften Entscheidung des virtuellen Assistenten entstehen. Zum einen ist die Ursache eines Schadens bei vernetzten Geräten schwierig auszumachen und zum anderen ergeben sich neue Arten von Schäden, z. B. in der Privatsphäre. Grundsätzlich kommen zur Beurteilung der rechtlichen Situation auf Menschen zugeschnittene gesetzliche Anforderungen zur Anwendung, die umgedeutet werden müssen (vgl. Wendehorst 2020). Damit verbunden existieren Risiken bei der Implementierung, angesichts derer der Einbezug sachkundiger Juristen notwendig ist. Die Unterstützung durch KI weist zudem ethische Probleme auf, sodass durch die Europäische Kommission Leitlinien für vertrauenswürdige KI entwickelt werden (vgl. Europäische Kommission 2019). So erlernte z. B. der Microsoft Chatbot Tay auf Basis der Inhalte von Twitter-Nutzern rassistische und misogyne Tendenzen. Die Qualität virtueller Assistenten hängt u. a. von den Trainingsdaten ab, die offensichtlich nicht adäquat definiert wurden, wenn solche Probleme auftreten. Derartige Vorfälle können in SSO vermieden werden, wenn u. a. folgende Punkte beachtet werden (vgl. Toll 2019): • genaue Definition des Anforderungsprofils im Rahmen von KI als Teil einer Gesamtstrategie; • Bereitstellung adäquater Trainingsdaten; • Zusammenstellung eines diversen Planungsteams und • Nutzung eines Managed Self-Learning-Ansatzes, d.  h. ein virtueller Assistent wird zunächst über einen adäquaten Datensatz trainiert und anschließend erfolgt die Freigabe des neu erworbenen Wissens durch menschliche Experten.

2.4.5 Aspekte der Implementierung Der Markt für verhaltensorientierte Chatbots bzw. virtuelle Assistenten wird durch verschiedene Anbieter geprägt (vgl. Abraham 2019; Försch 2018). Daher ist ein sorgfältiger Auswahlprozess bezüglich eines geeigneten Anbieters in SSO erforderlich. Die Hauptkriterien sind eine einfache Architektur, Implementierungsoptionen und die Kompatibilität mit der bestehenden Systemlandschaft, z.  B. mit den ERP-Systemen. Das Implementieren eines virtuellen Assistenten in einer ohnehin komplexen technischen Landschaft von SSO stellt eine Herausforderung dar. Für die Implementierung in SSO müssen verschiedene Aspekte beachtet werden (vgl. Försch 2018; Shum et al. 2018; Stucki et al. 2018; Toll 2019): • Backend-Services für die Verbindung zu den Enterprise-Systemen und externen Datenquellen, wobei strukturierte (z.  B. aus ERP- und Managementinformati-

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onssystemen) und unstrukturierte Daten (z.  B. von Social-Media-Plattformen) verarbeitet werden müssen; Werkzeuge zum Entwerfen der Regeln für die Chatbox-Konversation („chatbot builder“ z. B. SAP 2017); Natural-Language-Processing-Mechanismen zur Verarbeitung der Benutzeräußerungen; die Trainingsphase des Chatbots; ein Authentifizierungsmechanismus, um sicherzustellen, dass ausschließlich berechtigte Personen den Chatbot nutzen; eine Benutzerschnittstelle, z.  B. eine Webseite, eine Mobile-App oder eine Collaborations-­Plattform, wie Workplace, Skype oder Slack, über die die Interaktion mit Services von Drittanbietern möglich wird und Akzeptanztests mit Nutzern bzw. die Überwachung der Interaktion zwischen Chatbot und Nutzern.

Hierbei sind gegebenenfalls kulturelle Unterschiede in verschiedenen Ländern hinsichtlich der Führung von Gesprächen zu beachten. So sind beispielsweise in manchen Ländern knappe Antworten angemessen, während in anderen Ländern höflicher Smalltalk üblich ist. Die Unterstützung in mehreren Sprachen und der Speech-to-Text-Funktion sind zwei weitere wichtige Aspekte. Vor allem für die schriftliche Kommunikation haben die meisten Unternehmen eine globale Sprache definiert. Des Weiteren verdienen Training und Überwachung des Chatbots eine nähere Betrachtung durch die SSO. Das Training eines Chatbots wird idealerweise durch die Chatbot-Entwickler gemeinsam mit einer Auswahl der Zielbenutzergruppe vorgenommen (vgl. Toxtli et al. 2018). Hier führt Beharrlichkeit zum Erfolg. Wird das Training allein den Benutzern oder Administratoren überlassen, besteht ein hohes Risiko für Misserfolge und Enttäuschungen: Benutzer ohne einschlägige technologische Kenntnisse neigen dazu, die Leistungsfähigkeit aktueller Chatbot-Lösungen über einen spezifischen Kontext hinaus zu überschätzen. Daher sind auch nach dem Beginn des operativen Einsatzes Anpassungen bzw. weitergehende Trainings des Chatbots unbedingt erforderlich. Genauso wichtig ist es, Endanwender umfassend über das Potenzial und die Grenzen von Chatbots zu informieren. Der Einsatz von Chatbots bei der Betreuung von externen Kunden nimmt stetig zu. Die unternehmensinterne Nutzung steckt jedoch noch in den Kinderschuhen. In der Nutzung von Chatbots zeichnen sich unseres Erachtens zurzeit v.  a. zwei Trends ab: 1. Einerseits werden hochspezialisierte Chatbots entwickelt, die auf eine geringe Bandbreite von Aufgaben oder nur eine einzige Aufgabe zugeschnitten sind, z. B. ein Chatbot zur Beantwortung häufig gestellter Fragen mithilfe vorhandener Wissensdatenbanken oder zur Bestellung von Waren oder Dienstleistungen. 2. Andererseits wird es generalistische Chatbots geben, die treffender mit dem Begriff „intelligent virtual assistants“ beschrieben werden. Diese decken ein

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möglichst breites Aufgabengebiet ab und eignen sich für die unterschiedlichsten Benutzerbedürfnisse. Sie sind somit in der betrieblichen Praxis von SSO einsetzbar. So könnten intelligente virtuelle Assistenten beispielsweise Funktionen zur Budgetkontrolle übernehmen, Bestellvorgänge durchführen oder Dienstreisen planen. Die Vielzahl der möglichen Anwendungsfälle stellt SSO vor die Herausforderung, die verschiedenen Chatbots über eine einheitliche Plattform auszuwählen oder miteinander zu verknüpfen. Die Nutzer müssen über den Chatbot auf spezifische Anwendungsfälle zugreifen können. Daher sollten die Chatbots über eine solche Qualität und Auffassungsgabe verfügen, dass sie den Nutzer im Umgang begeistern und durch die Konversation begleiten, bis die gewünschte Aufgabe ausgeführt wurde. Hierzu müssen die Chatbots den Kontext verstehen, in dem ein bestimmter Anwendungsfall stattfindet. Plattformen, wie z. B. der SAP Co-Pilot, bieten eine Möglichkeit, Chatbots unterschiedlicher Anwendungsfälle in SSO zu verknüpfen.

2.4.6 Use Cases im Bereich Shared Services Zunächst wird mit dem Case Car Fleet am Beispiel von SAP beispielhaft illustriert, wie Chatbots in SSO mithilfe einer Kommunikationsplattform an bestehende Systeme angebunden werden können. Anschließend wird ein virtueller Assistent für Mitarbeiteranfragen im Bereich HR von BASF vorgestellt, auf den gegenwärtig textbasiert, zukünftig aber auch sprachbasiert zugegriffen werden kann. Beide Use Cases zeigen, dass die Entwicklung in SSO von rein aufgabenerfüllenden Chatbots hin zu proaktiv bedürfniserkennenden virtuellen Assistenten verläuft.

2.4.6.1 Chatbot Car Fleet Die Beliebtheit von Chatbots im externen Kundensupport steckt zwar in Deutschland noch im Anfangsstadium, birgt aber große Potenziale (vgl. Kawohl und Haß 2018). Die Vorteile sind hier beispielsweise: • Verfügbarkeit rund um die Uhr, • eine hohe Skalierbarkeit und • die Vermeidung von Warteschleifen. Dementsprechend haben Chatbots auch Relevanz für die Betreuung der internen Kunden von SSO. Effizienz und gleichzeitige Optimierung der Kundenzufriedenheit waren die Beweggründe für die Entwicklung eines Chatbots für die interne Kommunikation im Zusammenhang mit der Bereitstellung von Firmenfahrzeugen bei der SAP SE.  Die Aktivitäten betreffen etwa 14.000  Mitarbeiter. Der Chatbot deckt hierbei Fragestellungen zum gesamten Lebenszyklus der Bereitstellung eines Firmenwagens ab:

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• Bestellung, besonders die Überprüfung der Berechtigung, die Ermittlung der mit der Bereitstellung verbundenen Kosten und die zur Auswahl stehenden Fahrzeugtypen; • Nutzung, besonders Wartung, Reifenwechsel, Tankkarten sowie die Erfassung von Schäden, und • Rückgabe des Fahrzeugs. Als Kommunikationsplattform dient hierbei der SAP Digital Assistant CoPilot, der eine einfache Integration mit den bestehenden SAP-Systemen ermöglicht und zudem bereits über eine mobile Anwendung verfügt. Bisher mussten die Firmenwagennutzer interne Portalseiten durchsuchen oder Hotlines anrufen. Diese Art der Kommunikation wird jedoch oft als einseitig, mühsam und langsam empfunden. Mit der Nutzung des Chatbots Car Fleet bietet sich den internen Kunden nun ein vereinfachter Zugang zu den wesentlichen Informationen. Die Funktionsweise des Chatbots lässt sich anhand des folgenden Beispiels beschreiben: Ein Firmenwagennutzer möchte beispielsweise wissen, wann sein bestellter Firmenwagen geliefert wird. Diese Frage gibt er in das Frontend des Bots – in diesem Fall SAP CoPilot – ein. Das Frontend schickt die Nachricht an eine Natural Language Processing Engine, die aus der Anfrage zwei Informationen extrahiert: Die Intention („intents“) des Nutzers und eventuelle Zusatzinformationen, die in der Nachricht des Nutzers enthalten sind („entities“). In unserem Beispiel bezieht sich der Intent auf die Firmenwagenbestellung. Die Entities umfassen u. a. die Nutzerdaten und Bestellinformationen. Diese Informationen werden an das Dialogmanagement weitergereicht, das entscheidet, wie weiter vorzugehen ist. Beispielsweise kann auf das ERP-System zugegriffen werden, um zu erkennen, ob schon ein Lieferdatum eingepflegt ist oder es sinnvoller wäre, Kontakt mit dem jeweiligen Fahrzeuglieferanten aufzunehmen. Mit den Informationen des Dialogmanagements formuliert eine Language Generation Engine den Antwortsatz: „Dein Firmenwagen wird am 15.9. geliefert.“ und sendet diesen zurück an das Frontend bzw. den Nutzer. Folgende Erfolgsfaktoren tragen zur Erhöhung der Akzeptanz von Chatbots bei den internen Kunden von SSO bei: • eine möglichst einfache und intuitive Bedienbarkeit; • ein Zugang über verschiedene von der Nutzergruppe eingesetzte Plattformen, z. B. Mobile und Desktopanwendungen; • eine klare, verständliche und gut lesbare Darstellung und Strukturierung der Ergebnisse; • ein hoher Grad an Fehlerfreiheit der generierten Antworten sowie • eine merkliche Reduktion der bei der Aktivität entstehenden Kosten in Form von manuellem Arbeitsaufwand. Schlussendlich müssen auch Chatbots in den kontinuierlichen Verbesserungsprozess der SSO eingebunden werden. Hierzu ist ein entsprechendes Monitoring der Botnutzung eine wesentliche Voraussetzung. Diese umfasst beispielsweise

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• Nutzungsdaten, z. B. die Anzahl der gesamten Nutzer, der neuen Nutzer und der aktiven Nutzer; • Message-Daten, z. B. die Anzahl der gesendeten Messages und der (nicht) erfolgreichen Konversationen sowie die Konversationsdauer; • Qualitäts-Key-Performance-Indicators, z.  B.  Kundenzufriedenheit, Abschlussrate („goal completion rate“) und Fehlerrate („fallback rate“). Eine weitere Anfrage ist in Abb. 2.13 dargestellt. Hierbei handelt es sich um eine Anfrage, wie mit einem Schaden am Firmenwagen umzugehen ist.

2.4.6.2 Chatbot für Mitarbeiteranfragen im Bereich Human Resources der BASF SE Die Mitarbeiteranfragen im Bereich HR der BASF SE werden in SSO mithilfe von proaktiv bedürfniserkennenden Chatbots erbracht, die sowohl eingegebene Texte als auch Sprache erkennen können. Für die Beantwortung von Mitarbeiteranfragen zu Personalthemen bestehen mehrere Teams, die sowohl nach Sachthemen als auch nach Sprachkenntnissen organisiert sind. Die Anfragen werden per Telefon oder E-Mail gestellt und – nach Authentifizierung  – am Telefon beantwortet oder als Text in einem HR-System Abb. 2.13  Chatbot Car Fleet (SAP SE)

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abgelegt. Etwa zwei Drittel der Anfragen betreffen Standardthemen, die entweder unmittelbar oder nach Durchführung einer individuellen Prüfung im ERP-System beantwortet werden können. Der HR-Bereich plant, einen Chatbot mit ERP-Integration für die Beantwortung von Standardanfragen einzurichten – in der ersten Ausbaustufe als eine rein textbasierte Lösung, später auch als Voice Agent. Ziel ist es, die Arbeitslast in den entsprechenden Teams zu reduzieren, um mehr Zeit für wertschöpfende Tätigkeiten zu schaffen und eine konstante Antwortqualität zu gewährleisten. Die Themengebiete, die der Chatbot bearbeiten soll, können anhand der Absicht der Anfragen sog. Intents spezifiziert werden. Für jeden Intent gibt es je nach Sprache unterschiedliche Formulierungsbeispiele und Antworten aus früheren Anfragen, mit denen der Chatbot trainiert werden kann. Für Themen, die erst im Dialog spezifiziert werden können, z. B. Jahresurlaub buchen, Resturlaubsanspruch anzeigen oder bestehenden Urlaub stornieren, können entsprechende Dialogbäume modelliert werden. Durch eine Systemschnittstelle soll ein lesender und schreibender Zugriff auf das HR-ERP-System möglich sein. Da dieser Zugriff im laufenden Dialog stattfindet, wird eine hohe Performance mit geringen Antwortzeiten erwartet. Der Chatbot soll über ein Benutzer-Interface im In­ tranet erreichbar sein und den Benutzer anhand seiner Anmeldedaten ohne weitere Authentifizierung erkennen. Gemeinsam mit einem Implementierungspartner wird das Projekt in Arbeitspakete gegliedert. Ein Paket ist z. B. das Zusammenstellen der einzelnen Intents je Sprache mit Beispielformulierungen und Standardantworten. Ein weiteres Paket beschäftigt sich mit der technischen Ausgestaltung der ERP-Schnittstelle. Darüber hinaus gibt es Pakete für Intranet-Integration, Change und Kommunikation sowie für die laufende Verbesserung der Intent-Erkennung (Training). Die Umsetzungsdauer von der Idee bis zur Veröffentlichung beträgt etwa ein Jahr. Nach mehrmonatigem Live-Betrieb ist folgende Zwischenbilanz hinsichtlich der Benutzerakzeptanz, der Effizienzsteigerung und der Erkennung des Intent der Anfragen zu verzeichnen: • Benutzerakzeptanz: Nach einem zunächst zögerlichen Start kommt inzwischen etwa ein Drittel der Anfragen zu den spezifizierten Standardthemen über den Chatbot. Es ist eine steigende Tendenz der Benutzerakzeptanz zu verzeichnen. • Effizienzsteigerung: Das Anfragevolumen, das direkt vom Chatbot bearbeitet wird, führt zu einer sofortigen Entlastung in den entsprechenden Teams. Dieser Effekt wird zumindest aktuell noch von zusätzlichen Aufgaben im Bereich Chatbot-­Training kompensiert. Diese weiteren Aktivitäten im Bereich Chatbot-­ Training werden jedoch im Zeitverlauf tendenziell abnehmen. • Sprach-/Intent-Erkennung: Für die Erkennung der Sprache und des Intent nutzt der Chatbot einen KI-Algorithmus, das sog. Natural Language Processing. Die Güte und das Konfidenzniveau dieses Verfahrens steigt bis zu einem gewissen Punkt mit der Anzahl vorgegebener Formulierungsbeispiele und dem thematischen Abstand zu benachbarten Intents. So wirken sich mehr unterschiedliche Fragenbeispiele und eine sinnvolle Abgrenzung der Themenbereiche positiv auf

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die richtige Intent-Erkennung aus. Ordnet der Chatbot Benutzeranfragen dem falschen Intent zu und beantwortet sie damit falsch, können diese Fehlzuordnungen im Nachhinein manuell korrigiert werden. Für künftige Anfragen kann auf diese Weise die Antwortqualität gesteigert werden. Anhand dieses Beispiels ist zu erkennen, dass bereits heute in SSO eine Entwicklung von rein sprach- und aufgabenerkennenden Chatbots hin zu proaktiv bedürfniserkennenden virtuellen Assistenten im Gange ist, aber noch nicht komplett vollzogen wurde. Zurzeit sind dem Einsatz virtueller Assistenten noch Grenzen ­gesetzt. Neuartige oder komplexe Anfragen, für die noch keine Intents oder Dialogbäume existieren, sind weiterhin von menschlichen Experten zu bearbeiten. In diesem Fall kann jedoch im Chatbot eine Weitervermittlung zu einem Fachexperten konfiguriert werden. Die Abb. 2.14 zeigt ein Beispiel für eine Mitarbeiteranfrage im Bereich HR, die mithilfe des BASF-Chatbots Alex bearbeitet wird. Die Buzzwords künstliche Intelligenz und Machine Learning suggerieren, dass Technologien wie Chatbots und Voice Agents quasi selbstständig Aufgaben in SSO übernehmen könnten. Dem ist zumindest aktuell noch nicht so. Die entsprechenden Algorithmen beschränken sich bei Chatbots zumeist auf die Intent-Erkennung an-

Abb. 2.14  BASF-Chatbot Alex für Mitarbeiteranfragen zu Human-Resources-Themen (BASF SE)

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hand initial bereitgestellter Beispiele. Das sinnvolle Clustern der einzelnen Themengebiete, das Modellieren der Dialogbäume bei mehrstufigen Anfragen, das Bereitstellen von Systemschnittstellen und das Nacharbeiten falscher Antworten sind heute noch menschliche Tätigkeiten, die in entsprechenden Projekten einzuplanen sind. Bei Betrachtung des bisherigen Innovationstempos sind in den genannten Bereichen möglicherweise baldige Fortschritte zu erwarten, sodass in SSO weitere Echtzeitanwendungsfälle mit Chatbots und Voice Agents anstehen.

2.5

Blockchain

Die Blockchain ist eine aktuell sehr prominent positionierte Technologie, die v. a. durch das Blockchain-basierte Zahlungssystem Bitcoin (Nakamoto 2008) der breiten Öffentlichkeit bekannt geworden ist. Der Fokus dieses Abschnitts liegt auf der Auswirkung von Blockchain bzw. Distributed Ledger Technologien (DLT) auf SSO, besonders auf den Chancen und Risiken der Anwendung der Blockchain sowie erster implementierter Konzeptionen. Der Abschn. 2.5.1 geht daher zunächst kurz auf wesentliche Begrifflichkeiten im Zusammenhang mit der Technologie ein, die für das Verständnis der folgenden Ausführungen erforderlich sind. Für eine detaillierte Behandlung der zugrunde liegenden Technologiebausteine3 sowie der Ausgestaltung in verschiedenen DLT-Konzepten, sei auf die jeweils angegebene Literatur verwiesen. Sodann werden verschiedene Anwendungsgebiete der Blockchain dargestellt (Abschn. 2.5.2). Zuletzt werden drei Beispiele für den erfolgreichen Einsatz der Blockchain in Purchase-to-Pay(P2P)-Prozessen bzw. der Dokumentation in der Supply Chain beschrieben (Abschn. 2.5.3).

2.5.1 Grundlagen, Chancen und Risiken der Blockchain Eine Definition des Begriffs Blockchain kann aus verschiedenen Perspektiven erfolgen (vgl. Mougayar 2016, S. 4): In technologischer Hinsicht handelt es sich um eine Datenbank, in der ein verteiltes, öffentlich einsehbares Transaktionsregister gespeichert ist. Ökonomisch betrachtet ist die Blockchain ein Netzwerk, das den Austausch von Werten zwischen gleichrangigen Teilnehmern ermöglicht. Aus der Governance-­Perspektive wird durch die Blockchain ein Mechanismus zur Validierung von Transaktionen ohne die Notwendigkeit der Hinzuziehung von Intermediären implementiert. Der Begriff DLT wird oft synonym mit Blockchain verwendet (vgl. Underwood 2016, S. 15), erfasst aber auch andere Konzeptionen, bei denen Transaktionen nicht in Form von Blöcken abgespeichert werden (vgl. Schlatt et al. 2016, S. 7), z. B. gerichtete azyklische Graphen (Hedera Hashgraph 2020; IOTA Foundation 2020). 3  Die einzelnen Bestandteile, aus denen die Blockchain-Technologie aufgebaut ist, waren bereits vor dem Entwurf des Bitcoin bekannt und werden auch in anderen Anwendungen eingesetzt.

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Eine erste Anwendung der Blockchain stellten Kryptowährungen und -zahlungssysteme dar. Das Kryptozahlungssystem mit der größten Verbreitung, Bitcoin, weist aktuell eine Marktkapitalisierung in einem zwei- bzw. dreistelligen Milliarden-­ Dollar-­Bereich auf (CoinMarketCap 2020). Die Funktionalität der Blockchain ergibt sich aus der Kombination einzelner Bausteine (vgl. Judmayer et  al. 2019, S. 340), die auch unter dem Begriff Kryptoökonomik (vgl. Buterin 2015) zusammengefasst werden. Diese umfasst besonders • Technologien und Protokolle, die den Austausch von Transaktionen zwischen den Teilnehmenden in einem verteilten Netzwerk ermöglichen (Transaktionsfähigkeit); • die kryptografischen Methoden, mit denen die Legitimität der Transaktionen sichergestellt wird, und • einen Mechanismus, der bestimmt, welche der von einzelnen Teilnehmenden initiierten Transaktionen von allen als gültig erachtet werden (Transaktionskonsens), sowie eine Anreizgestaltung, an dieser Konsensbildung mitzuwirken (Berentsen und Schär 2017). Die ursprüngliche Konzeption der Blockchain wird mit folgenden fundamentalen Charakteristika (vgl. Xu et al. 2017, S. 244) beschrieben: Durch die Verbuchung in der Blockchain werden die Einträge irreversibel gespeichert, ihre Integrität wird gegen Manipulation geschützt und ihre Urheberschaft wird unwiderlegbar und eindeutig nachgewiesen. In Bezug auf das gesamte Netzwerk besteht unter allen Teilnehmenden Transparenz bezüglich jedes in der Blockchain verbuchten Eintrags sowie gleiche Berechtigung bezüglich der Mitwirkung an der Kryptoökonomik. Das Zusammenspiel der Bausteine zeigt sich am Beispiel der Durchführung einer Transaktion auf der Blockchain (vgl. Bambara und Allen 2018, S. 1 ff.), s. auch die konzeptionelle Darstellung in Abb. 2.15. Möchte eine Person im Netzwerk einen Eintrag in der Blockchain verbuchen, z. B. eine Wertübertragung, signiert sie den Vorgang zunächst mit ihrem persönlichen kryptografischen Schlüssel. Die Berechtigung zur Durchführung der Transaktion ist an den Besitz des entsprechenden Schlüssels geknüpft und in Form der Signatur für alle Teilnehmenden des Netzwerkes anhand des öffentlichen Schlüssels nachprüfbar. Die Transaktion wird anschließend durch einen Knoten, d.  h. einen Teilnehmenden, der eine vollständige Version der Blockchain vorhält, im Netzwerk verbreitet und von anderen Teilnehmenden verifiziert. Gemeinsam mit weiteren verifizierten Transaktionen wird der Eintrag von einem Netzwerkknoten zu einem

Abb. 2.15  Verbuchung einer Transaktion auf der Blockchain (Eigene Darstellung)

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Block bestimmter Größe gepackt, der mit der bestehenden Blockchain verknüpft werden soll, um die Transaktion für die Zukunft irreversibel auf der Blockchain zu verbuchen. Um Einigkeit über den nächsten zu ergänzenden Block unter allen verteilten Teilnehmenden zu erreichen, den Blockbildungsprozess für eine Konsensfindung zu verlangsamen und die Irreversibilität zu garantieren, sind verschiedene Verfahren, sog. Konsensmechanismen, denkbar. Beim Proof-of-Work ist die Erbringung eines Arbeitsaufwands, der mit hohen (Energie-)Kosten verbunden ist, erforderlich. Der Proof-of-Work sorgt dafür, dass es unwirtschaftlich wird, die Blockchain nachträglich zu verändern. Der Aufwand für Änderungen steigt, je weiter am Anfang der Blockchain der zu ändernde Block liegt. Dies kann in Form eines mathematischen Problems erfolgen, das einerseits den zu erstellenden Block mit dem letzten Block der gültigen Blockchain eindeutig verbindet sowie, andererseits, eine Lösung nur durch Ausprobieren ermöglicht und damit eine hohe Rechenleistung erfordert. Die Lösungsversuche werden von bestimmten Netzwerkknoten, den sog.  Minern durchgeführt, die, sofern sie als Erster die richtige Lösung „erraten“, eine Kompensation für ihren Arbeitsaufwand erhalten (vgl. Berentsen und Schär 2017, S. 206 ff.). Bei Vorliegen der Lösung kann deren Korrektheit durch die Teilnehmenden des Netzwerks ohne hohen Rechenaufwand überprüft und der Block zur Blockchain hinzugefügt werden. Die Transaktion ist somit in die Blockchain geschrieben und abgeschlossen.4 Da in der Lösung auch eine Verknüpfung zum jeweils vorangehenden Block enthalten ist und dies für jeden Block, vom aktuellsten bis zum ersten erstellten Block der Blockchain gilt, können die Netzwerkknoten die Integrität der ihnen vorliegenden Version der Blockchain jederzeit überprüfen. Die oben beschriebene Funktionalität geht beim Einsatz durch Unternehmen einher mit Herausforderungen bezüglich der Skalierbarkeit des Systems, des Datenschutzes von auf der Blockchain abgelegten Informationen sowie der generellen Kontrollierbarkeit des Blockchain-Netzwerks (vgl. Xu et al. 2019, S. 19 f.). Dementsprechend wurden die DLT-Konzeptionen erweitert, wodurch einerseits bestehende Restriktionen überwunden wurden und andererseits Vorteile aus den oben beschriebenen fundamentalen Charakteristika teilweise oder vollständig verloren gingen. Durch den Proof-of-Work wird der Durchsatz an Transaktionen auf der Blockchain gebremst. Hierdurch wird die Skalierbarkeit der Blockchain eingeschränkt bzw. bewirkt, dass in Zeiten mit hohem Transaktionsaufkommen die an die Miner zu zahlende Kompensation stark ansteigt. Dies kann zur Folge haben, dass bei der Übertragung kleiner Werte die Transaktionskosten den Wert der Transaktion übersteigen. Weiterhin wurde das Verfahren aufgrund des hohen Energieverbrauchs und

4  Weitere Bedingungen sind denkbar, z.  B., dass zwischenzeitlich eine bestimmte Anzahl neuer Blöcke an den Block angehängt wurden, der die besagte Transaktion enthält, wodurch eine rückwirkende Änderung verteuert wird.

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der damit verbundenen Emission von Kohlenstoffdioxid kritisiert.5 Entsprechende alternative Konzeptionen umfassen Konsensmechanismen, die keinen hohen Rechenaufwand erfordern, z. B. Proof-of-Stake sowie nicht auf einer Blockchain basierende DLT, die folglich kein Mining von Blöcken erfordern. Einen weiteren Ansatz stellt die Abkehr von der Dezentralität bzw. der symme­ trischen Verteilung von Lese-, Schreib- und Konsolidierungsrechten im Netzwerk dar. Zwar machen diese in vielen Anwendungen gerade die Vorteile (vgl. Buterin 2015) im Sinn einer Blockchain-Revolution (Tapscott und Tapscott 2016) aus, würden aber in zahlreiche Einsatzszenarien für Unternehmen mit Wettbewerbsnachteilen erkauft. Beispielsweise könnten Fehler im Protokoll den raschen Übergang in eine neue Version der Blockchain erfordern oder der Öffentlichkeit zugängliche Einträge in der Blockchain könnten von Wettbewerbern zum eigenen Vorteil analysiert werden. Folglich existieren Blockchain-Konzepte mit unterschiedlicher Ausgestaltung bezüglich der Bereitstellung und Zulassungsbeschränkung (vgl. Xu et al. 2019, S. 49 f.). Bei öffentlichen Blockchains („public blockchains“), wie der Bitcoin- oder Ethereum-­Blockchain, wird die Kontrolle dezentral im Rahmen der beschriebenen kryptoökonomischen Mechanismen ausgeübt. Jeder kann am Betrieb des Netzwerks mitwirken, Änderungen am Blockchain-Protokoll können von allen Teilnehmenden akzeptiert oder ablehnt werden. Dementsprechend kommt es bei fundamentalen Anpassungen des Protokolls vereinzelt zu einer Aufspaltung („fork“) der Blockchain in verschiedene Zweige.6 Im Gegensatz dazu hängen Betrieb und Weiterentwicklung bei nichtöffentlichen oder Konsortien-Blockchains („private/consortium blockchain“) von einem oder mehreren zentralen Akteuren ab (vgl. Attaran und Gunasekaran 2019, S. 16 f.; Bambara und Allen 2018, S. 14). Meist analog dazu ausgestaltet ist der Berechtigungsumfang der Netzwerkteilnehmenden. Bei genehmigungsfreien Blockchains („permissioned blockchains“) werden die Rechte der Teilnehmenden, z. B. die Blockchain zu lesen, Transaktionen zu verbuchen oder am Konsens im Netzwerk mitzuwirken, beschränkt (vgl. Xu et  al. 2019, S.  48 f.). Während nichtöffentliche Blockchains regelmäßig nicht genehmigungsfrei sind, können öffentliche Netzwerke mit Beschränkung oder ohne eine solche („permissionless“) ausgestaltet sein. Da sich Vor- und Nachteile  – und damit ermöglichte Einsatzszenarien  – einer (nicht-)öffentlichen bzw. (nicht-)genehmigungsfreien Blockchain stark unterscheiden, gibt Tab. 2.2 hierzu einen Überblick. Hybride Blockchains ermöglichen die Kombination verschiedener Charakteristika, z. B. die Vorgabe, welche Informationen öffentlich bzw. eingeschränkt zugänglich sind und welche Bereiche dezentral bzw. zentral organisiert werden (vgl. Kirchmayr et al. 2019, S. 31 f.). Zur Erhöhung des Durchsatzes können beispielsweise zusätzliche, über der Blockchain liegende Schichten als Verrechnungskonten fun5  Der jährliche Energieverbrauch des Bitcoin-Netzwerks ist vergleichbar dem der Tschechischen Republik (vgl. Digiconomist 2020). 6  Ein Beispiel für eine Aufspaltung ist die Teilung der Ethereum-Blockchain in Ethereum und Ethereum Classic im Jahr 2010 (s. nachfolgend das Beispiel zu The DAO).

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Tab. 2.2  Eigenschaften öffentlicher und nichtöffentlicher Blockchains. (Quelle: Xu et  al. (2017), S. 249) Blockchain-Typ Öffentlich Konsortium Nichtöffentlich

Fundamentale Charakteristika Hoch Mittel Niedrig

Kosteneffizienz Niedrig Mittel Hoch

Durchsatz Niedrig Mittel Hoch

Flexibilität Niedrig Mittel Hoch

gieren, sodass nicht jede Transaktion in die Blockchain geschrieben werden muss (Lightning Network 2020). Im Vergleich zu den in Abschn.  2.3 und  2.4 vorgestellten Technologien stellt Smart Contracts (Szabo 1996) einen fundamentaleren Automatisierungsansatz dar. Die Automatisierung besteht nicht in der Übertragung einzelner Schritte zur Abwicklung eines Sachverhalts, z. B. eines Vertrags, vom Mitarbeiter auf eine Software. Vielmehr wird der Vertrag selbst durch Software verkörpert (vgl. Riehm 2019, S. 87). Im Zusammenhang mit DLT sind Smart Contracts einfache Computerprogramme, die in der Blockchain gespeichert und auf einem „Weltcomputer“, z. B. der Ethereum Virtual Machine (ethereumbook 2020), ausgeführt werden (vgl. Xu et al. 2019, S. 7). Dadurch können Einträge in der Blockchain, z. B. die Übertragung von Werten, an den Eintritt bestimmter Bedingungen oder externer Signale gekoppelt werden, wodurch ein faktischer Zustand in der Zukunft automatisch und auf der Blockchain irreversibel herbeigeführt werden kann. Bei einer dezentralisierten autonomen Organisation (DAO) handelt es sich um eine auf Basis von DLT etablierte Organisationsform ohne hierarchische Strukturen. Alle Abläufe im Unternehmen, die in regulären Unternehmen auf Gesetzen, Unternehmensrichtlinien und rechtlichen Verträgen basieren, sind in der DAO durch Smart Contracts umgesetzt. Dies umfasst beispielsweise Investitionsentscheidungen oder die Ausschüttung an die Teilnehmenden (vgl. Bambara und Allen 2018, S. 123). Auch der Vorteil der Irreversibilität der Blockchain geht mit Risiken einher: Das durch die Unveränderbarkeit erzeugte Commitment der beteiligten Parteien bedeutet, dass nach Veröffentlichung keine Updates eingespielt werden können und die Anwendung nicht deaktiviert werden kann, sofern dies nicht bereits beim Entwurf berücksichtigt war. Fehler oder Schwachstellen in den Programmen können nur durch ein Aufweichen des Irreversibilitätsgrundsatzes behoben bzw. geschlossen werden. Das durch z. B. Verschlüsselung, Verkettung und Validierung erzeugte Sicherheitsversprechen der Blockchain umfasst weiterhin nur das Protokoll bzw. die Transaktionen der Blockchain selbst, nicht aber die Funktionalität von Smart Contracts oder die korrekte Implementierung von Anwendungen zum operativen Betrieb, wie Netzwerkknoten oder Wertspeicher. Im Beispiel von The DAO wurde die Ethereum-Blockchain teilweise rückabgewickelt, um einen Vermögensabfluss aus dem Verfügungsbereich der Organisation infolge einer Schwachstelle rückgängig zu machen (crunchbase 2020). Mehr noch als bei klassischer Software sind daher umfangreiches Testen und ein Code-Audit erforderlich. Werden Smart Contracts

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durch externe Signale, sog. Oracles, getriggert, müssen auch diese vor Manipulation geschützt werden. Die Überlegungen beim Einsatz der Blockchain und von Smart Contracts gehen über den rein technischen Bereich hinaus. Bei Blockchain-Anwendungen muss die Rechtssicherheit der durch die Blockchain oder die auf ihr basierenden Smart Contracts herbeigeführten faktischen Zustände geprüft werden. Beispiel hierfür ist die unterschiedliche rechtliche Bewertung einerseits einer von einem Smart Contract herbeigeführten Aufhebung der Gasversorgung durch das Versorgungsunternehmen und andererseits die Sperrung einer Wohnung durch den Vermieter. Bei Letzterer kann die Blockchain den Vermieter zwar vor einer kryptotechnischen, nicht jedoch vor einer ökonomischen Rückabwicklung der Transaktion bewahren (vgl. Riehm 2019). Viele für SSO relevante Anwendungsfälle, z. B. die Blockchain als Grundbuch oder Handelsregister, setzen darüber hinaus in Deutschland eine entsprechende Anerkennung durch den Gesetzgeber voraus.

2.5.2 Anwendungen der Blockchain und Shared Services Potenzielle und bereits realisierte Blockchain-basierte Anwendungen können den Bereichen IT, Rechtswesen bzw. staatliche Verwaltung, Versicherungs- und Bankenwesen sowie der Unternehmenssteuerung zugeordnet werden, wobei besonders aus den letzteren drei Gebieten zukünftig starke unmittelbare Auswirkungen auf SSO zu erwarten sind. Bei den Anwendungen treten die in Abschn. 2.5.1 beschriebenen Unterschiede zwischen öffentlichen und nichtöffentlichen Blockchains zutage. Nichtöffentliche oder hybride Blockchains kommen zur Anwendung, um die Abwicklung von Transaktionen zwischen bestehenden Marktteilnehmern zu verbessern. Mit öffentlichen Blockchains werden revolutionäre Ansätze verfolgt, an deren Ende ein Grad an Disintermediation steht, der bisher in der digitalen Transformation beobachtete Entwicklungen weit übersteigt. Mit Anwendungen im IT-Bereich werden die Grundlagen für die weiterführende Verwendung im Finanz-, Rechts- und Unternehmensbereich gelegt. Wichtige Entwicklungen umfassen ein Internet  3.0, in dem durch den Einsatz der Blockchain-Technologie die Bedeutung zentraler Akteure reduziert und die Cybersecurity verbessert werden sollen. Besondere Bedeutung kommt sog. DApps zu, also Computerprogrammen, deren Quellcode sowie Bestandsdaten auf einer Blockchain abgelegt werden und deren Nutzung über mit kryptografischen Verfahren geschützte Werteinheiten („tokens“) realisiert wird (vgl. Johnston et al. 2015). Hierdurch werden auch verteilte Versionen des unter Abschn. 2.2 beschriebenen Cloud Computing bzw. Cloud Storage umgesetzt (vgl. Bambara und Allen 2018, S. 57 ff.). Weiterhin können DLT im Internet der Dinge (Internet of Things) angewandt werden, um zentrale Ausfallspunkte zu eliminieren sowie eine eindeutige Identifikation der Geräte und sichere Kommunikation zwischen ihnen zu ermöglichen (vgl. Attaran und Gunasekaran 2019, S. 34 f.).

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Anwendungen der Blockchain im rechtlichen bzw. staatlichen Bereich umfassen besonders verschiedene Formen von Registern bzw. Identitätsnachweisen. In weiterer Zukunft könnten die Technologien auch zur Automatisierung bei der Vergabe bzw. Auszahlung staatlicher Leistungen oder für die transparente Aufzeichnung bei Wahlen eingesetzt werden (vgl. Xu et al. 2019, S. 13). Beispielsweise hat Estland bereits im Jahr 2008 begonnen, staatliche Register, wie Grundbücher und Handelsregister, durch Blockchains zu sichern (vgl. PwC 2019, S. 7). Entsprechende Ansätze haben in Deutschland Eingang in die generelle Digitalstrategie der Regierung gefunden (vgl. BMWi/BMF 2019). Finanzdienstleistungen gehören hinsichtlich des Einsatzes von Blockchain-­ Technologie in operativen Anwendungen zu den fortschrittlichsten Branchen. Bankenspezifische und branchenübergreifende Konsortien sind maßgeblich an der Entwicklung von Netzwerken für die Handelsfinanzierung beteiligt, bei denen nichtöffentliche Blockchains, wie Corda von R3 oder Hyperledger Fabric der Linux Foundation verwendet werden (MarcoPolo 2020; we.trade 2020). In Bezug auf öffentliche Blockchains sind unter dem Begriff Decentralized Finance (DeFi) DLT- bzw. Smart-Contract-basierte Anwendungen für von Inter­ mediären unabhängige Finanzdienstleistungen entstanden. Die Dienstleistungen umfassen z.  B.  Geldanlage, Kreditvergabe, Versicherungen, Analysten- und Pro­ gnosedienstleistungen sowie Handelsplattformen für Kryptowährungen und Derivate.7 Angesichts geringer Regulierung bzw. Kontrolle besteht aktuell eine erhöhte Gefahr von Scams, Cyberangriffen sowie sonstigen, prinzipiell durch das Kapitalmarktrecht sanktionierten Handlungen (Xu et al. 2019, S. 12). Das breiteste, jedoch noch wenig entwickelte Anwendungsfeld für Blockchain und DLT stellt der Einsatz zur Unternehmenssteuerung im weiteren Sinn dar. Hierunter fallen zahlreiche Möglichkeiten zur Dokumentation und zum Tracking in Supply Chains und der Logistik, z. B. in der Pharmaindustrie und dem Gesundheitswesen, der Nahrungsmittelindustrie oder der Medienbranche. Auch neue Sharing-­ Geschäftsmodelle und Smart-Energy-Projekte im Energiesektor setzen auf die Blockchain (Attaran und Gunasekaran 2019). Drei implementierte Anwendungsfälle zur Unternehmens- bzw. Supply-Chain-Steuerung und -Dokumentation werden im folgenden Abschnitt im Detail erläutert. Wie bereits in den vorangegangenen Ausführungen dargestellt, arbeiten SSO im operativen Geschäft, z. B. in Finance/Accounting und HR, mit Daten von hohem Wert für den Konzern. Deren Fehlerhaftigkeit oder ein unberechtigter Zugriff kann schwerwiegende Wettbewerbsnachteile, wie rechtliche und reputationsbezogene Konsequenzen für den Konzern und die SSO nach sich ziehen (s. dazu ausführlich Kap. 4). Angesichts dessen muss das Management der SSO beim Einsatz komplexer, vergleichsweise wenig umfassend erprobter Technologien innerhalb des operativen Geschäfts besondere Vorsicht walten lassen. Dem Einsatz der Blockchain in SSO sollte daher eine gründliche Abwägung zwischen den Risiken der neuen Technologien und dem Mehrwert vorausgehen, den die Blockchain im Vergleich zu etablierten, langfristig getesteten Alternativen besitzt.  Eine Übersicht findet sich z. B. unter https://defiprime.com/.

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Zur Identifikation wertschöpfender Einsatzmöglichkeiten in der SSO sollte Blockchain nicht als Technologie für eine Herausforderung vorgegeben werden, die bereits durch eine der in den vorangegangenen Abschnitten (Abschn.  2.2,  2.3 und  2.4) dargestellten Technologien zufriedenstellend überwunden werden kann. Nach Mougayar (2016) sollten vielmehr folgende Überlegungen angestellt werden: • Ergibt sich die Blockchain im Kontext einer Herausforderung als beste Lösung? Ein Beispiel ist die Möglichkeit, im Procure-to-Pay bzw. in der Supply Chain die Funktionen des ERP-Systems über die Unternehmensgrenzen hinaus zu erweitern. Dies wird auch nachfolgend bei den Anwendungen zur Verifizierung der Echtheit von Produkten in der Supply Chain beschrieben. • Welche neuen Chancen können durch die Blockchain erschlossen werden? Beispielsweise könnte die SSO in die Abwicklung von Finanzdienstleistungen eingebunden werden, um neben einer individuellen Risikoreduktion eine verbesserte Informationslage über die Kunden zu erhalten. • Welche Anwendungsbereiche in der eigenen Organisation ergeben sich ausgehend von den Fähigkeiten, die durch die Blockchain impliziert werden? Beispielsweise kann durch den Einsatz von Smart Contracts in Verbindung mit Internet-of-Things(IoT)-Geräten die Effizienz bei Wareneingangs- und Qualitätskontrollen, der Rechnungsstellung sowie beim Bezahlungsvorgang verbessert werden. Die in den Anwendungsfällen beschriebenen Wertübertragungs- und Dokumentationsfunktionen betreffen zu einem großen Teil Unterstützungsprozesse und damit das Kerngeschäft von SSO. In diesem Sinn ist die intensive Beobachtung der Entwicklung und gegebenenfalls Erprobung der entsprechenden Technologien für SSO unerlässlich, um Expertise für zukünftige Einsatzszenarien aufzubauen. Das Management der SSO sollte sich dementsprechend mit allen Grundbausteinen der Technologie sowie den vielfältigen Einsatzbereichen auseinandersetzen. Da wertsteigernde Lösungen die Konzerngrenzen überschreiten, kommt weiterhin dem Austausch mit Peers und die Identifikation geeigneter Kooperationspartner mit entsprechender Expertise hohe Bedeutung zu.

2.5.3 A  nwendungsbeispiele für den Einsatz in Beschaffungsprozessen Im Folgenden werden drei Anwendungsbeispiele für Blockchains im End-to-End-­ Prozess Procure-to-Pay bzw. in der Supply Chain einer Unternehmung dargestellt. Das erste Beispiel zeigt, wie der Informationsaustausch in der Supply Chain mithilfe von Blockchain-Trackern sicherer und schneller ausgestaltet werden kann. Das zweite Beispiel zeigt, wie mit Blockchains die Echtheit eines Zertifikats der Produktherkunft sichergestellt werden kann. Das dritte Beispiel zielt auf die Zertifizierung einer nachhaltigen Produktionsweise ab.

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2.5.3.1 Tracker für den Austausch von Informationen Das Blockchain-basierte Trackingsystem Saleable Returns Verification von SAP ermöglicht es Pharmagroßhändlern, die Echtheit der von Krankenhäusern und Apotheken zurückgegebenen Pharmaprodukte bzw. deren Verpackungen zu verifizieren. In Abb. 2.16 wird der Aufbau des Blockchain-Trackers dargestellt. Mithilfe des Information Collaboration Hub for Life Science wird zunächst die Rückgabe nicht verbrauchter Medikamente an den Großhandel verfolgt. SAP plant, den Einsatz der DLT auf eine breitere Palette von pharmazeutischen Lieferkettenprozessen auszuweiten. Das Potenzial zur Optimierung besteht in Bezug auf etwa 60 Mio. jährlich getätigten pharmazeutischen Rücksendungen an US-amerikanische Großhändler, die einem Wert von schätzungsweise 7 Mrd. US$ entsprechen. Während im Finanzsektor aufgrund des hohen Standardisierungsgrads sehr schnell Blockchains eingesetzt wurden, wird von der Gesundheitsbranche erwartet, dass sie nun diesem Beispiel folgt. Dabei stehen Effizienz und erhöhte Produktsicherheit im Vordergrund. Viele Gesundheitsorganisationen werden noch im Laufe des Jahres die Phase von Pilotprojekten hinter sich lassen und Blockchains für das Operation Management und für die Patientenidentifizierung nutzen. Die Kompatibilität von Blockchains könnte den Datenaustausch unterstützen und damit als Alternative zum heutigen Informationsaustausch im Gesundheitswesen dienen. Im Fall kompatibler Blockchains entsteht ein ineinandergreifendes Netzwerk, das in der Lage ist, sicher und zügig Patientendaten an Gesundheitsdienstleister, Apotheken, Versicherungsgesellschaften und klinischen Forschern zu übermitteln. Die sich durch Blockchains bietenden Möglichkeiten im Gesundheitswesen sind in Abb. 2.17 dargestellt.

Abb. 2.16  Returns Verification for U.S. Supply Chain (SAP SE 2019)

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Abb. 2.17  Möglichkeiten der Blockchain im Gesundheitswesen (Eigene Darstellung in Anlehnung an Krawiec et al. 2017, S. 4)

2.5.3.2 Herkunftsnachweis von Produkten über die gesamte Lieferkette Unternehmen wie Everledger bieten eine DLT-basierte Unternehmenssoftwareplattform. DLT wird dabei genutzt, um Transparenz für die Herkunft von Edelsteinen, Metallen und Mineralien in der Welt sicherzustellen. Es handelt sich um einen Service, der innerhalb einer eng abgegrenzten Industrie angeboten werden kann. Früher übliche papierbasierte Prozesse ermöglichten Betrug, da Menschen die Zertifizierung duplizieren oder manipulieren konnten. Es gab kein globales Verzeichnis, um die Echtheit von Herkunftszertifikaten zu beweisen. Everledger bietet einen digitalen Abstimmungsmechanismus. Wenn ein Zertifikat in einem Land erstellt wird, werden die Informationen in ein globales Register geschrieben, sodass in einem anderen Land, beinahe in Echtzeit, ein Abgleich der Zertifikate möglich ist. Sind beispielsweise Diamanten mithilfe einer Lasergravur unter der Oberfläche des Steins nummeriert, kann deren Echtheit mit einem digitalen Zertifikat auf der Blockchain glaubhaft bescheinigt werden. Die Einführung in die Blockchain oder DLT hat aufgezeigt, wie Vertrauen entlang komplexer Lieferketten zur sicheren Identifizierung von Geschäftspartnern hergestellt werden kann. Die Möglichkeiten, neue, den individuell definierten Unternehmensstandards entsprechende Lieferanten zu finden sowie die anschließende Transparenz über jeden Verarbeitungsschritt schaffen neue Möglichkeiten, die Verbraucheranforderungen zu erfüllen und neue Geschäftsmodelle zu etablieren. Die Technologie zeigt große Potenziale für die Steuerung von Unternehmen innerhalb der Lieferkette, die in SSO genutzt werden können. Die aktuellen Heraus-

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forderungen bei der noch geringen Nutzung und der sich damit entwickelnden Standardisierung sowie die zum Teil noch hohen Transaktionskosten wurden angesprochen. Die schnelle Entwicklung von Technologien, wie Cloud-Lösungen, geringere Kosten für Speicherplatz und die 5G-Technologie für die Nutzung von großen Datenmengen während der Verarbeitung und des Transports klingen vielversprechend für die zukünftige Verbreitung. Die Digitalisierung ermöglicht die Einbindung weiterer Technologien, wie z. B. IoT, d. h. von Sensoren, die mit den Waren zusammen transportiert werden und die GPS-Daten verwenden. Diese können dann im ERP System nachgehalten und verarbeitet werden (SAP Ariba 2017).

2.5.3.3 Zertifizierung nachhaltiger Produktionsweisen Die Blockchain kann weiterhin in der Supply Chain eingesetzt werden, um die Zertifizierung einer nachhaltigen Produktionsweise über die gesamte Lieferkette sicherzustellen. Dies wird am folgenden Beispiel für den Fall von Palmöl illustriert (Vollmer 2018). Die kritische Berichterstattung von Medien und Umweltorganisationen über die sozialen und Umweltfolgen von Ernte und Herstellung von Palmöl (Albert-­ Schweitzer-­Stiftung 2016) führten zu gemeinsamen Initiativen von staatlichen Akteuren und Nichtregierungsorganisationen. Der Kern bei der Sicherstellung der Nachhaltigkeit ist die vollständige Transparenz über die Ernte, den Transport, die Produktion und den Handel. Aktuell sind lediglich 17 % der weltweiten Palmölproduktion als „nachhaltig & fair“ zertifiziert. Der World Wide Fund For Nature (WWF) hat es sich nun zum Ziel gemacht, in Zusammenarbeit mit dem Roundtable on Sustainable Palm Oil (RSPO), diesen Anteil auf 100 % zu erhöhen (BMAS o. J.). DLT können die Schaffung von Transparenz über die Produktion und den Handel von Palmöl sicherstellen, wenn die entsprechenden Informationen in Einkaufssysteme integriert werden. Die Abb.  2.18 gibt einen Überblick über die unterschiedlichen Akteure in Palmölhandel und -produktion sowie deren Integration in die Block­chain.

Abb. 2.18  Blockchain Use Case: Palmöl (Vollmer 2018)

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Durch den Einsatz der Blockchain über die gesamte Lieferkette können im Bereich der Beschaffung eingesetzte SSO die nachhaltige Arbeitsweise von Handelspartnern verifizieren. Die Blockchain liefert in Echtzeit Transparenz bezüglich aller Aktionen zwischen Lieferanten, Kunden und Logistikpartnern, stellt die Datengrundlage für das Auftragsmanagement bei Bestellungen und Wareneingang dar und unterstützt bei der Lieferantenauswahl. Die Blockchain-Technologie garantiert somit, dass der Inhalt von transaktionellen Daten nicht manipuliert oder gelöscht werden kann, ohne dass andere Beteiligte über Inkonsistenzen informiert werden. Somit werden Audit-Trails zur Überwachung von Änderungs- und Löschungshandlungen äußerst sicher gemacht. Die aufgezeigten Beispiele geben einen Überblick über unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten der Blockchain und der DLT. Da der Procure-to-Pay-Prozess in vielen Unternehmen in SSO durchgeführt wird, sind die Beispiele geeignet, die aktuell stattfindenden und bevorstehenden Veränderungen durch die disruptive Technologie Blockchain aufzuzeigen.

2.6

Zusammenfassung und Ausblick

Die Digitalisierung ermöglicht SSO einerseits, Prozesse kostengünstiger und qualitativ hochwertiger auszuführen, andererseits ihren Kunden auch völlig neue Leistungen anzubieten. Cloud Solutions (PaaS) bieten Anwendungen und Tools, die in Verbindung mit ERP-Systemen und BPM-Plattformen neue digitale Geschäftsmodelle ermöglichen. Somit können riesige Datenmengen schnell verarbeitet und Prozesse deutlich effektiver und effizienter digitalisiert werden. Im Ergebnis werden durch die Implementierung digitaler Prozesse in SSO Fehlerraten vermindert, Durchlaufzeiten verkürzt, Stückkosten gesenkt und die Skalierbarkeit in Prozessen gesteigert, unter Beibehaltung kundenspezifischer Leistungsausprägungen, besonders die Kombination der Vorteile standardisierter Massenproduktion und kundenorientierter individueller Leistungserbringung. Darüber hinaus kann auch die Transparenz und Compliance verbessert werden. Zur Erreichung dieser Ziele sind bei der Implementierung digitaler Prozesse sinnvollerweise klare Verantwortlichkeiten zu schaffen, die Anzahl der beteiligten Parteien zu beschränken, Implementierungsteams agil zu organisieren und eine Architektur aus „Digitalem Kern“ für standardisierte unternehmensweite Prozesse sowie individueller digitaler Plattformen für flexible Prozesse in wettbewerbsrelevanten operativen Unternehmensbereichen zu etablieren. RPA, virtuelle Assistenten und Blockchain/DLT sind neben ERP-Systemen und BPM-Plattformen innovative digitale Technologiekonzepte, die hierzu in SSO eingesetzt werden können und zum erheblichen Teil auch schon realisiert wurden. In vielen Fällen ist feststellbar, dass SSO aufgrund ihrer hohen dynamischen Fähigkeiten in den jeweiligen Unternehmen eine Vorreiterrolle in der Prozessautomatisierung spielen. Durch den Einsatz von KI-Technologien kann die Automatisierung zunehmend über die rein regelbasierten Tätigkeiten hinausgehen. Es gibt bereits erste Anwen-

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dungen mit probabilistischen Ergebnissen (CA). Prozesse werden hinsichtlich ihrer Repetitivität, Strukturiertheit und Regelbasiertheit geprüft, um anschließend nach Kosten-Nutzen-Kriterien priorisiert zu werden (Freisetzung von Kapazitäten, Zuverlässigkeit, Qualität, Geschwindigkeit, Erstellungs- und Betriebskosten). Auf Basis dieser Priorisierung wird z. B. die Erstellung und Änderung von Preisen im Beschaffungsprozess und der Bereitstellung von Zahlungsavisen in Kundenportalen von SSO illustriert oder die intelligente Verarbeitung von Auftragsbestätigungen in SSO durchgeführt. In SSO werden bereits heute Chatbots bzw. virtuelle Assistenten eingesetzt. Hierbei kann grundsätzlich zwischen konversationsimitierenden, aufgabenerfüllenden, bedürfniserkennenden und emotionswahrnehmenden Chatbots unterschieden werden. Virtuelle Assistenten mit KI sind bereits in SSO anzutreffen. So wird durch den Chatbot Car Fleet der Nutzer bei der Bestellung, Nutzung und Rückgabe von Firmenwagen oder durch einen Chatbot für Mitarbeiteranfragen in SSO unterstützt. Dies lässt bereits die Entwicklung von rein aufgabenerfüllenden Chatbots in Richtung bedürfniserkennenden virtuellen Assistenten erkennen. Blockchains bzw. DLT können Procure-to-Pay-Prozesse oder die Supply Chain in SSO unterstützen. Neben der Digitalisierung und Automatisierung mithilfe von ERP, BPM oder RPA-Plattformen werden neue SSO-Leistungsinhalte ermöglicht. Zum Beispiel ist es häufig wichtig, die Herkunft von Waren oder Rohstoffen oder nachhaltige und faire Produktionsweisen über die gesamte Lieferkette hinweg glaubhaft und möglichst fälschungssicher in effizienter und effektiver Weise zu dokumentieren. Im Hinblick auf einen möglichen zukünftigen Einsatz der Blockchain in zentralen SSO-Prozessen sollten sich Manager auch mit dieser Technologie auseinandersetzen und die Entwicklung in diesem Bereich aufmerksam beobachten.

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Human Resource Management in digitalisierten SSO Rolf Brühl, Daniel Dornbusch, Karsten Hoyer, Konstanze  Hölker, Thomas Laux, Robert Lieglein, Claus Peter  Schründer und Stefan Troßbach

Zusammenfassung

In diesem Kapitel wird die digitale Transformation von HR Shared-Service-­ Centern (SSC) an Fallbeispielen aus der Praxis großer Unternehmen analysiert. Als theoretischer Bezugsrahmen für diese Analyse dienen die ressourcen- und fähigkeitsorientierten Ansätze, an denen sich die Entwicklungen von SSC nachzeichnen lassen. SSC sind in der Lage, mittels ihrer operativen und dynamischen Fähigkeiten wichtige Wertbeiträge für ihr Unternehmen zu leisten. Ihre Entwicklung kann daher Quelle von Wettbewerbsvorteilen sein, die jedoch nur realisiert R. Brühl (*) Lehrstuhl für Unternehmensethik und Controlling, ESCP Business School, Berlin, Deutschland E-Mail: [email protected] D. Dornbusch BASF Services Europe GmbH, Berlin, Deutschland K. Hoyer HR Solutions, Bayer AG, Leverkusen, Deutschland K. Hölker Global Business Services, Siemens AG, München, Deutschland T. Laux Deutsche Telekom Services Europe SE, Bonn, Deutschland R. Lieglein Global HR IT, Services & Analytics, Linde GmbH, Pullach, Deutschland C. P. Schründer HR Operations, Lowell Group, Bonn, Deutschland S. Troßbach Bertelsmann Accounting Services GmbH, Rheda-Wiedenbrück, Deutschland © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. M. Fischer, K.-E. Lueg (Hrsg.), Erfolgreiche Digitale Transformation von Shared Services, ZfbF-Sonderheft 74/20, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30484-3_3

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werden, wenn einige Voraussetzungen erfüllt sind. In diesem Kapitel werden insbesondere drei Voraussetzungen illustriert und diskutiert: Die Fähigkeiten der Mitarbeiter und des Managements, die Transformationsfähigkeit der SSC sowie ein gewandeltes Rollenverständnis von SSC.

3.1

 eue Anforderungen an Mitarbeiter und Management N von Shared Service Centern

3.1.1 H  erausforderungen der Digitalisierung: Auf dem Weg zur agilen Organisation Wie die einleitenden Kapitel eindrücklich gezeigt haben, erfasst die Digitalisierung das gesamte Geschäftsmodell von Unternehmen und stellt neue Anforderungen an die Mitarbeiter und die Führung von Shared-Service-Organisationen (SSO). Schlüsselinnovationen, wie sie mit der Digitalisierung einhergehen, treiben die schöpferische Zerstörung in Marktwirtschaften voran (vgl. Schumpeter 1926). Sie sind mit umfassenden Änderungen in Wirtschaft und Gesellschaft verbunden, wirken sich auf die Arbeitsmärkte und damit unmittelbar auf das Human Resource Management (HRM) aus. Nach ersten Studien über mögliche massive Arbeitsplatzverluste durch die Digitalisierung  – in manchen Studien wurden 50%ige Verluste für die US-­ Wirtschaft prognostiziert (vgl. Frey und Osborne 2013, 2017) – geben neuere Studien insbesondere für Deutschland ein differenzierteres Bild: • Bei einem Vergleich zwischen einer vollständig digitalisierten Arbeitswelt im Jahr 2035 mit einer Entwicklung auf Basis des bisherigen Entwicklungspfads ergeben sich für Deutschland für das Gesamtniveau der Beschäftigung nur geringe Auswirkungen (vgl. Zika et al. 2018, S. 1 f.). • Allerdings zeigen sich erhebliche Verschiebungen dadurch, dass Branchen, Berufsfelder und Regionen unterschiedlich betroffen sind (vgl. Zika et  al. 2018, S. 2 ff.). • Detaillierte Studien für Dienstleistung zeigen Potenziale der Substitution innerhalb verschiedener Berufsfelder. So sind durch Automatisierung von Routinetätigkeiten besonders in den Bereichen Büroberufe und Personalwesen viele Arbeitsplätze betroffen (vgl. Wolter et al. 2016, S. 57). Insbesondere der letzte Aspekt deutet auf einen fundamentalen Zusammenhang hin, der die zukünftige Arbeitswelt in SSO prägen wird. Digitalisierung führt zu veränderten Anforderungen an die Mitarbeiter und die Führung, weil Arbeitsprozesse und ihre Arbeitsumgebung sich an die Digitalisierung anpassen. Dies führt zum Beispiel dazu, dass Mitarbeiter sich nicht nur vermehrt auf digitalisierte Informationen einzustellen haben, sondern generell ihr Wissen über die einzusetzenden Informations- und Kommunikationstechnologien ständig aktuell zu halten ist. Hiermit ist eine wesentliche Funktion eines nachhaltigen HRM angesprochen: Mitarbeiter für die Digitalisierung so zu qualifizieren, dass sie mit diesen Entwicklungen Schritt halten können (vgl. Werning 2017, S. 81f.).

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▶▶ Mit

einem nachhaltigen Human Resource Management wird das Personalmanagement auf die gleichzeitige Beachtung von ökologischen, ökonomischen und sozialen Zielen ausgerichtet (vgl. Kirschten 2017, S.  18). Zentral für die Nachhaltigkeit ist die Entwicklung des Humankapitals innerhalb des Unternehmens, was sich insbesondere in der Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter ausdrückt.

Gegenüber dieser mehr an den Informations- und Kommunikationstechnologien orientierten Entwicklung stellen sich dem HRM darüber hinaus gehende Anforderungen: • Die Digitalisierung führt zu einer veränderten Organisation von SSO, die sich durch eine verstärkt ganzheitliche Prozessorientierung, eine Kultur des häufigen Wandels und eine größere Selbstverantwortung der Mitarbeiter auszeichnet (vgl. Weigert et al. 2017, S. 326). • Mit der Digitalisierung wird sich die Rolle der SSO verändern. Es ist zu erwarten, dass der Anteil der transaktionsorientierten Aufgaben zunehmend weniger Mitarbeiter binden wird und dafür der Anteil der wissensbasierten Aufgaben steigt (vgl. Schwarz 2018, S. 194). Je mehr sich Dienstleistungen auf Basis neuer Geschäftsmodelle entwickeln, umso mehr wandeln sich die Kompetenzanforderungen an die SSO und deren Mitarbeiter sowie Führungskräfte (vgl. Santos et al. 2015, S. 51 f.). • Eine weitere Rollenveränderung wird in den Fallstudien dieses Kapitels beschrieben: Der bereits angesprochene zunehmende Wandel im Umfeld von Unternehmen führt zu verstärkten Anpassungsbemühungen der Prozesse und Organisationsstrukturen im Abgleich mit den Absatz- und Beschaffungsmärkten. Support-Funktionen, die erst in späten Phasen dieser Bemühungen eingeschaltet werden, können zum Hemmschuh einer Anpassung werden. Es ist mithin eine stärkere strategische Einbindung von HRM zu erwarten (vgl. Jochmann und Asgarian 2017, S. 24). • Somit unterliegt auch das von vielen Unternehmen übernommene Shared-­ Service-­Modell von Ulrich (1995) einem stetigen Wandel (vgl. Ulrich et  al. 2008; Ulrich und Grochowski 2012). Schon diese kurzen Hinweise zeigen, dass die Digitalisierung umfassende Veränderungen im HRM von SSO auslöst. Diese Entwicklung bezieht sich auf die Strukturen und Prozesse innerhalb des SSO und wirkt sich daher unmittelbar auf die Mitarbeiter in den SSO aus. Eine vereinfachende Abbildung weist darauf hin, dass sich die Rolle der Mitarbeiter danach richtet, welches Organisationsdesign angestrebt wird (Abb. 3.1). Tendenziell verlangen Geschäftsmodelle, die auf effizienten Routinetätigkeiten beruhen, nach einer hierarchischen Struktur von Weisung und Kontrolle, in der Mitarbeiter klare Prozessanweisungen zur Umsetzung erhalten (vgl. Rotzinger und Stoffl 2015, S.  6). Wird hingegen auf zunehmende Dynamik mit einem flexiblen Design reagiert – agiles Netzwerk –, dann wird von Mitarbeitern u. a. eine stärkere Kundenorientierung (vgl. Jochmann und Asgarian 2017, S. 24) und mehr Verant-

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Abb. 3.1  Organisationsdesign und Rolle von Mitarbeitern (Eigene Darstellung in Anlehnung an Rotzinger und Stoffl 2015, S. 6)

wortung in ihrer Arbeitsbewältigung verlangt (vgl. Schäfer et al. 2018, S. 27). Wenn die zukünftige Entwicklung von SSO vermehrt zu wissensbasierten Aufgaben führt, dann ist anzunehmen, dass in SSO häufiger agile Netzwerke zu finden sein werden. Die Abb. 3.1 deutet somit an, dass Mitarbeiter von SSO, die überwiegend als Umsetzer tätig sind – eher transaktionale Aufgaben – und die in die Rolle von Gestaltern wechseln sollen – eher wissensbasierte Aufgaben –, mit neuen Anforderungen konfrontiert werden. Im einleitenden Kap.  1 sind fähigkeitsorientierte Ansätze („capability-based view, CBV) herangezogen worden, um die Wandlung von SSC aufgrund innovativer Technologien und neuer Organisationsansätze zu beschreiben und zu erklären. Eine zentrale Aussage des fähigkeitsorientierten Ansatzes ist es, dass Unternehmen bestimmte Fähigkeiten benötigen, um ihre Ressourcenbasis wertsteigernd zu nutzen (vgl. Helfat et al. 2007; Teece 2007; Helfat und Winter 2011). • Zum einen sind dies operative Fähigkeiten, mit denen Unternehmen ihr laufendes Geschäft effektiv und effizient betreiben, um Wert für das Unternehmen zu schaffen (vgl. Karna et al. 2016). Erfolgreiche SSO verfügen über operative Fähigkeiten, die firmenspezifische Ressourcen zur Durchführung unterstützender Tätigkeiten wie Buchhaltung, Finanzen und Personal (HR) einsetzen und Dienstleistungen für Endnutzer erbringen (vgl. Gospel und Sako 2010). In diesem Sinn betreffen Ressourcen u. a. Humanressourcen wie Mitarbeiter, Informationstechnologie (IT) wie Enterprise Resource Planning (ERP)-Systeme, Organisationsstruktur und Kenntnisse des operativen Geschäfts und der internen Prozesse des Unternehmens. • Zum anderen sind dies dynamische Fähigkeiten, um die Ressourcen im Unternehmen neu zu schaffen, zu modifizieren oder bestehende Ressourcen zu rekonfigurieren (vgl. Teece et al. 1997; Helfat et al. 2007; Leih et al. 2015). Mit der

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Digitalisierung benötigt ein Unternehmen zusätzlich dynamische Fähigkeiten, die eine strategiekonforme Transformation der Ressourcen ermöglichen. Dynamische Fähigkeiten des Unternehmens setzen voraus, dass sie durch die Fähigkeiten des Managements und der Mitarbeiter (vgl. Bhattacharya et  al. 2005; Hoffmann und Meusburger 2018) sowie einer adäquaten Organisationsstruktur unterstützt werden (vgl. Eisenhardt et al. 2010). Zusammenfassend lassen sich aus dieser kurzen Skizze mehrere Aspekte hervorheben: 1. Unternehmen benötigen operative Fähigkeiten, um die Prozesse von SSO effektiv und effizient durchzuführen. Meist wird dann der Blick auf transaktionale Prozesse gerichtet. 2. Zur Bewältigung der Digitalisierung sind dynamische Fähigkeiten notwendig, die sich auf unterschiedliche Ressourcen auswirken, z. B. a. Anforderungen an die Mitarbeiter wandeln sich, z. B. dadurch, dass ein höherer Anteil wissensbasierter Aufgaben zu verzeichnen ist. b. Mit der Digitalisierung gehen Veränderungen von Organisationsstrukturen und Organisationskulturen einher. Tendenziell führt Digitalisierung zu flexi­ bleren, agilen Strukturen, die mit flachen Hierarchien verbunden sind. c. Beide Tendenzen wirken sich auch auf das Management von SSO aus, denn veränderte Anforderungen an die Mitarbeiter und veränderte Organisationsstrukturen sowie Organisationskulturen stellen auch das Management vor neue Herausforderungen. In diesem Kapitel wird der Wandel zur digitalen HR-SSO aus diesen drei Blickwinkeln vorgenommen. Zunächst werden Mitarbeiter und Management im Fokus der Betrachtung sein und in einem zweiten Schritt betrachten wir die Auswirkung der Digitalisierung auf die Organisation von SSC. Im Folgenden sind die Entwicklungen zu einer digitalisierten SSO in sieben Fallstudien von Unternehmen nachzuzeichnen. In diesen Fallstudien zeigen sich beispielhaft Ausprägungen für dynamische Fähigkeiten (Teece 2007) mit den drei Dimensionen (1) Wahrnehmen von Chancen („sensing“), (2) Ergreifen von Chancen („seizing“) und (3) Rekonfiguration und Transformieren von Ressourcen („reconfiguring/transforming“; s. Abschn. 1.2.2), die jeweils im Anschluss an die Darstellung der Fälle analysiert und diskutiert werden, wobei ein Schwerpunkt der Analyse auf der Rekonfiguration liegt. Zunächst wird am Fallbeispiel von Siemens aufgezeigt, vor welchen Herausforderungen SSO stehen, wenn die Digitalisierung schrittweise umgesetzt wird: Es werden der Einsatz digitaler Technologien beschrieben und ihre Auswirkungen auf das Personalmanagement analysiert (Hölker). Der zweite Fall der Deutsche Telekom illustriert den Einsatz digitaler Technologien am Beispiel einer Mitarbeiter-App (Laux). Der nächste Fall fokussiert ebenfalls am Beispiel der Deutsche Telekom auf die Anforderungen an die Mitarbeiter von SSO, die sich aufgrund der Digitalisierung verändern (Schründer). Ergänzt werden diese Fälle durch eine Darstellung der damit verbundenen veränderten Anforderungen an

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die Führungskräfte am Fallbeispiel der digitalisierten SSO von Bertelsmann (Troßbach) und von BASF (Dornbusch). Auswirkungen der digitalen Transformation auf die Organisation von SSC werden abschließend auf Basis zweier Themen behandelt. Zum einen wird das veränderte Aufgabenspektrum im Rahmen von Transformationsprozessen am Beispiel von Bayer (Hoyer), zum anderen werden Erfahrungen des Outsourcings von Leistungen des SSC bei Linde beschrieben und analysiert (Lieglein).

3.1.2 Technologien in digitalisierten Shared Service ­Organisationen 3.1.2.1 Von Automatisierung und künstlicher Intelligenz Unternehmensprofil Siemens

Siemens ist ein weltweit tätiges Unternehmen mit dem Fokus auf Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung. Als einer der größten Anbieter energieeffizienter, ressourcenschonender Technologien ist Siemens führend bei Systemen für die Energieerzeugung und -übertragung sowie die medizinische Diagnose. Bei Lösungen für Infrastruktur und Industrie nimmt das Unternehmen eine Vorreiterrolle ein. Im Geschäftsjahr 2019, das am 30. September 2019 endete, erzielte Siemens einen Umsatz von 86,8 Mrd. € und einen Gewinn nach Steuern von 5,6 Mrd. €. Ende September 2019 hatte das Unternehmen weltweit rund 385.000 Beschäftigte.

Human Resources Shared Services im Wandel Die HR Shared Services von Siemens sind seit 1. April 2019 Teil der Global Business Services (GBS). Siemens verfolgt damit das in der Strategie Vision 2020+ hinterlegte Ziel, den operativen und strategischen Geschäftseinheiten einen Partner of Choice für intelligente, digitale End-to-End-Servicelösungen mit globaler Reichweite anzubieten. Die GBS werden die Geschäftseinheiten flexibler und schneller als bisher in ihren Anforderungen bedienen und befreien sie damit in erster Linie von administrativen (z. B. die Erfassung und Pflege von Personaldaten) und transaktionalen (z.  B. die Entgeltabrechnung) Aufgaben. Aber auch wissensbasierte Routineaufgaben, wie z.  B. die Beantwortung von Mitarbeiteranfragen zu HR-­ Prozessen werden zunehmend Bestandteil des GBS-Lösungsangebots. Damit positionieren sich die GBS klar als integraler Bestandteil der globalen Siemens Wertschöpfungskette, mit dessen Hilfe Wettbewerbsvorteile durch Supportprozesse erlangt werden, indem sich die Geschäftseinheiten auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren können und die GBS markt- und konkurrenzfähige Supportleistungen erbringt. Damit wandelt sich das Bild traditioneller HR-Funktionen, von einem Verwalter zu einem relativ neuen, zukunftweisenden Selbstverständnis. Das Portfolio der von der GBS angebotenen HR-Services bietet dabei wichtige Dienstleitungen für den gesamten Lebenszyklus eines Mitarbeiters an (Abb. 3.2), beginnend mit der Erfassung von Personaldaten über die Durchführung der Entgeltund Reisekostenabrechnung bis hin zur Beantwortung individueller Mitarbeiteranfragen oder der Durchführung von Aktienbeteiligungsprogrammen. Die in dieser Form angebotenen Dienstleitungen weisen dabei typischerweise folgende Charakteristika auf: Es handelt sich um

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Abb. 3.2  Portfolio der GBS HR Shared Services entlang des Lebenszyklus eines Mitarbeiters (Siemens AG)

• • • •

skalierbare, repetitive Standarddienstleistungen oder wissensbasierte Lösungen im Bereich des Personalmanagements mit Digitalisierungspotenzial und alle Dienstleistungen haben eine strenge Marktorientierung.

Als Schlüsseltreiber aller Aktivitäten ist dabei die Employee Experience, d. h. die Orientierung an den Bedürfnissen und Erwartungen der betreuten Mitarbeiter der Geschäftseinheiten im Fokus. Und diese ist bei Siemens durchaus komplex: Mit 1.500 Mitarbeitern in über 50 Ländern werden 385.000 Mitarbeiter in 70 Ländern sowie mehr als 240.000 Pensionäre in 12 Ländern bedient. Für die Entwicklung und den Ausbau der Partner-of-Choice-Position laufen mehrere Transformationsprojekte, die auf den folgenden drei Säulen ruhen, wobei der dritten Säule klar das größte Potenzial zuzuschreiben ist: 1. Optimierung der Standorte und der externen Dienstleister für die globale Dienstleistungsgestellung 2. Bereinigung des Portfolios von lokalen Sonderthemen 3. Einführung neuer Technologien, insbesondere Robotic Process Automation (RPA), Cloud und künstliche Intelligenz (KI). Nutzen der Einführung von Technologie in die Human Resources Shared Services Im Vergleich zu anderen in Shared Services erbrachten Dienstleistungen sind die HR-Services durch hohe länderspezifische Heterogenität geprägt. Unterschiedliche lokale Gesetze, Regularien oder Kollektivvereinbarungen müssen zuverlässig und fehlerfrei umgesetzt werden. Zudem erwarten Mitarbeiter, als Grundvoraussetzung für eine positive Employee Experience traditionell in ihrer Landessprache betreut zu werden, wenn es um für sie unmittelbar bedeutsame Vorgänge geht (Beispiel: Fragen zur Entgeltabrechnung).

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Vor diesem Hintergrund hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine stark fragmentierte Landschaft von IT-Applikationen einerseits und lokalen Prozessen andererseits herausgebildet. Dies stellt aufgrund ihrer Komplexität hohe Anforderungen an die Möglichkeit, sie zu einem globalen Standard zu transformieren. Ein nicht unerheblicher Teil dieser Komplexität kann mithilfe moderner Technologien bewältigt werden. Zwar gibt es robotergestützte Automatisierung sowie künstliche neuronale Netze (KNN) bzw. KI bereits seit den 1980er-Jahren, aber erst die Einführung der Cloud ermöglicht es, die weltweiten Systeme und Daten so zu vernetzen, dass Roboter den erforderlichen unbegrenzten Zugriff auf Daten und sämtliche vorhandenen analytischen Kapazitäten erhalten. Die Cloud schafft so für die HR Shared Services den wesentlichen Katalysator für eine Digitalisierung, die die Transformation hin zu einem Partner of Choice beschleunigt. Durch benutzerfreundliche Oberflächen in Form von Apps oder Chatbots, die ständige Verfügbarkeit und den mobilen Zugriff von verschiedenen Endgeräten werden zudem Möglichkeiten für neue Interaktionsmodelle mit dem HR Shared Service geschaffen. Der Nutzen der Integration der HR Shared Services in die GBS lässt sich somit allgemein in • der Schaffung der globalen Plattform, • der Vereinfachung und Standardisierung von Prozessen als Unterstützung für eine Bündelung in Service Centern, • der auf der Cloud-Technologie beruhenden besseren Nutzungsmöglichkeit für bestehende und neue RPA-Lösungen und KI zusammenfassen. Diese bewirken, sobald umgesetzt, sofort eine höhere Flexibilität in Bezug z. B. auf Employee Experience, die Einbindung von Partnern oder die Skalierbarkeit der Services. Bei Siemens wird mit der HR Cloud eine Digitalisierungsplattform geschaffen, die durch das Zusammenbringen aller für den Mitarbeiter und die Führungskraft relevanten Funktionen eine neue und moderne Employee Experience anbietet. Diese erstreckt sich über alle typischen Personaldienstleistungen, angefangen beim Recruiting von Mitarbeitern oder Planung für Fremdarbeiter, der Personaladminis­ tration über das Zeitmanagement, die Reiseplanung und -abrechnung, das Performance Management und die Personalentwicklung und -schulung bis hin zur Planung und Durchführung von Vergütungsfragen. Mitarbeiter wie Führungskräfte können jederzeit über das Endgerät ihrer Wahl (PC, Smartphone, Tablet) auf die jeweils für sie relevanten Inhalte – weltweit, einfach und in einheitlicher Darstellung – zugreifen und den Fortschritt transparent verfolgen. Durch die ständige Verfügbarkeit und benutzerfreundliche Oberfläche können Workflows (z. B. die Freigabe einer Sonderzahlung) auch unterwegs auf Reisen durchgeführt werden und so die Umsetzung der jeweiligen Inhalte des Workflows nicht nur durch die Optimierung der Backoffice-Funktionen, sondern auch durch die enge Einbindung der betroffenen Mitarbeiter und Führungskräfte beschleunigt werden.

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In Gestalt des digitalen HR-Assistenten CARL, der die Technologien Cloud und KI vereint, wird für diese Inhalte ein neues, im Sinn der Employee Experience ansprechendes Interaktionsmodell geschaffen. Auswirkung der neuen digitalen Technologie für das Personalmanagement von HR Shared Services Die neuen Möglichkeiten, die der Einsatz der dargestellten Technologien bietet, haben einen erheblichen Einfluss auf das Personalmanagement von Shared Services. Dabei ist der Einsatz von Technologie nicht allein aus der Perspektive Sub­ stitution von Mitarbeitern zu betrachten. Vielmehr verändern die Technologien die Arbeitswelt der HR Shared Services ganzheitlich. Die Allokation von Arbeit, das Arbeitsgebiet, die Arbeitsweise sowie das Arbeitsumfeld mit den damit verbundenen Fragestellungen der Führung und Organisation sind nur einige Bereiche, die durch die stärkere technologische Durchdringung verändert werden. Im Folgenden sollen diese Veränderungen und Einflüsse nun exemplarisch aus drei wesentlichen Perspektiven eingehender betrachtet werden. Perspektive 1: Allokation von Mitarbeitern Eine Kernaufgabe des HR-Managements ist es, die richtigen Mitarbeiter bezüglich ihrer Qualifikation und Kompetenz zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen Zahl zur Verfügung zu stellen. Dabei stehen die Personalplanung und -beschaffung vor der besonderen Herausforderung, dass die zugehörigen HR-Services in einem hohen Maß von der Expertise der daran beteiligten Mitarbeiter abhängig sind, die zum Teil aufgrund der lokalen Besonderheiten sehr spezifisch ist (z. B. Entgeltabrechnung). Gleichwohl standen die HR Shared Services unter dem Wettbewerbsdruck zu anderen Dienstleistern sowie unter dem von den Kunden weitergegebenen Kostendruck. Als Reaktion darauf waren die Shared Services in den letzten Jahrzehnten v. a. von der Bündelung und Verlagerung von Dienstleistungen in Länder mit Lohnkostenarbitrage geprägt. Diese Bündelung und Verlagerung erhöhten aber auch das Risiko der Beschaffung von qualifiziertem Personal, da die entsprechende Expertise i. d. R. nicht an den betroffenen Standorten und schon gar nicht mit dem für das Zielland relevanten spezifischen Knowhow verfügbar war. Durch die Unterstützung der im HR-Cloud-Projekt eingesetzten Technologien werden die Personalplanung und -beschaffung in eine neue Ausgangslage versetzt: Zum einen wird der Personaleinsatz für einfache, transaktionale Tätigkeiten reduziert, d.  h., die Vorteile der Lohnkostenarbitrage bestimmter Standorte sinken. Zum anderen – und das ist der weitaus relevantere Bestandteil – ermöglichen der durch RPA und KI stark vereinfachte globale Zugriff auf die relevanten Informationen sowie die ständige Verfügbarkeit der betroffenen Systeme die Entwicklung ganz neuer Konzepte der Personalrekrutierung (z. B. „talent acquisition“). Darüber hinaus unterstützt die cloudbasierte Technologie den Einsatz von flexiblen Arbeitsmodellen wie Teilzeit, Click- oder Crowd-Working und erlaubt Zugang zu raren Nischenprofilen ohne geografische Hemmnisse. Gleiches gilt für die Implementierung verbesserter globaler Supportfunktionen für die weltweit einheitlichen Standards.

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Aus strategischer Sicht bietet die Digitalisierungsplattform der HR Cloud mit ihren Möglichkeiten der Datenanalyse und Prognose für die bei Siemens praktizierte strategische Personalplanung ein neues Maß an Planungsinput. Perspektive 2: Neue Kompetenzen Neben den eher analytischen Fragen der Personalplanung ändert sich durch den Einsatz von Technologien auch das Kompetenzprofil der meisten Mitarbeiter in den HR Shared Services. Durch den Einsatz der HR Cloud werden bestimmte Tätigkeiten, die bisher von Servicemitarbeitern durchgeführt wurden, z. B. die Änderung von persönlichen Daten des Mitarbeiters, durch Automatisierung (RPA) und durch den Mitarbeiter im Self-Service durchgeführt. Dadurch werden HR-Kapazitäten freigesetzt, die sich auf die neuen Schnittstellen konzentrieren können, z. B. Eskalationen von Fällen, in denen Self-Service-Prozesse nicht zum Abrechnungsstichtag abgeschlossen wurden, oder aber für die Pflege und Optimierung der Systeminfrastruktur eingesetzt werden können, z. B. die Anpassung auf die unternehmensspezifischen Gegebenheiten bei Release-Wechseln der eingesetzten Standardsoftware. Darüber hinaus kann durch die freiwerdenden administrativen Ressourcen das Serviceangebot ständig weiterentwickelt werden, um für die Kunden immer neue Wertbeiträge zu heben. Neben den Aktivitäten im Rahmen des Kompetenzmanagements zur strategischen Entwicklung der Organisation als auch zur individuellen Weiterentwicklung werden bei Siemens daher verschiedene Angebote zum individuellen Kompetenzaufbau innerhalb der HR Shared Services angeboten (Abschn. 3.1.3 Fallbeispiel der Deutsche Telekom). • Ein Beispiel für ein individuelles Angebot zum Kompetenzaufbau sind bei Siemens die digitalen Lernwelten, die für jeden Mitarbeiter zugänglich und jederzeit verfügbar sind. Diese Lernwelten werden für bestimmte Kompetenzen (z.  B. für technologische Kompetenzen im Bereich der KI) oder Arbeitsfelder (z.  B.  Einkauf) definiert und machen relevante Lerninhalte aus verschiedenen Quellen verfügbar. So hat der Mitarbeiter die Möglichkeit, sowohl für sein Arbeitsfeld als auch für andere Interessen Wissen auf der Basis von verschiedenen prägnanten Quellen aufzubauen, die von den Kuratoren der Lernwelt auf ihre Qualität geprüft werden. • Ein anderes Beispiel ist das Programm des Reverse Mentoring, bei dem in Anlehnung an das klassische Mentoring ein älterer Mentee durch einen jüngeren Mentor bezüglich der Anwendung und Relevanz von neuen Technologien beraten wird. Dadurch wird der Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen den Generationen herbeigeführt und der selbstverständliche Umgang mit Technologien, wie er von den jüngeren Mitarbeitern der Generation Y gelebt wird, auf ältere Mitarbeiter übertragen und dort mit deren Erfahrungsschatz und Prozessverständnis kombiniert. Vor diesem Hintergrund versteht Siemens den Einsatz der genannten Technologien und damit einhergehende Wechsel der Anforderungsprofile an die HR-­

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Mitarbeiter nicht als Bedrohung für die Arbeitsplatzsicherheit, sondern, in Verbindung mit der Bereitstellung der dafür erforderlichen Instrumente, als echte Chance zur Weiterbildung und Entwicklung. Perspektive 3: Change Management Die viel beschriebene digitale Transformation, die symptomatisch an der Einführung neuer Technologien wie Cloud, RPA oder KI sichtbar wird, stellt neue Anforderungen an die Führung von Mitarbeitern. Traditionelle Organisationsformen und Prozesse für die Entwicklung von neuen Produkten werden aufgebrochen und auf die Anforderungen von schnelleren Entwicklungszyklen mit den Konzepten von Agile Modeling und SCRUM angepasst. Unter dem Leitgedanken der transformationalen Führung verändern sich die Rolle und das Kompetenzprofil von Führungskräften von Organisation und Kontrolle zu Inspiration und Motivation. Bei der Einführung des digitalen HR-Assistenten CARL wurde beispielsweise bewusst die klassische Aufbauorganisation verlassen und ein Team gebildet, das in nur drei Tagen unter Einsatz von Design Thinking die Vision des digitalen Assistenten zur Maximierung der Employee Experience entwickelte und nach nur drei Wochen unter der Anwendung agiler Co-Creation-Methodik einen ersten Piloten als Proof of Concept präsentieren konnte. Drei Monate nach der ersten Idee konnte eine erste Fassung (Minimum Viable Product) in den Realbetrieb übernommen werden und dort sukzessive mit neuen Inhalten und Anwendungsfällen ergänzt werden. Auch bei der Einführung der HR Cloud hat Siemens auf die Mithilfe der betroffenen Mitarbeiter für die erfolgreiche Implementierung der neuen Technologie gesetzt und sich der Konzepte Change Ambassador und Key Change Leader bedient. Der Change Ambassador hatte dabei die Aufgabe, die Kollegen zur Nutzung der neuen Technologie und der Softwareoberfläche zu beraten und zu inspirieren, die Anpassung an die Besonderheiten der Geschäftseinheit voranzutreiben sowie diese an das Projektteam zurückzuspiegeln. Damit verbunden waren auch die Etablierung der neuen Arbeitsweise in der Gesamtorganisation sowie die Kommunikation zu personalisierten Change-Impacts. Die Anforderungen an das Profil der Change Ambassador lagen dabei zu 75 % in den Fähigkeiten zur lösungsorientierten Beratung, der enthusiastischen Kommunikation und zum funktionsübergreifenden Networking. Im Sinn des Schneeballsystems waren zudem Key Change Leader nominiert, die identifizierte betroffene Personengruppen aus Mitarbeitern der HR Shared Services als auch Mitarbeitern aus den Geschäftseinheiten erfolgreich durch die Veränderung führten. Fazit Die Nutzung von neuen Technologien in SSO ist ein Imperativ unserer Zeit. Die Nutzenerwartungen sind hoch und die ersten Erfahrungen in der Einführung vielversprechend. Jedoch stehen auch Investitionen in Technologie immer unter Prüfung auf ihre Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit. Bisherige Erfahrungen zeigen, dass eine vollständige Automatisierung weder in Bezug auf die flexible Anpassung

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in einer VUKA1-Welt noch in Bezug auf die Gesamtkosten einer Aufgabenteilung zwischen Mensch und Maschine zielführend ist. Die Siemens GBS positioniert sich wie eingangs dargestellt als wertschöpfender Vermittler zwischen nicht automatisierbaren, spezialistisch geprägten HR-Tätigkeiten und weitestgehend technologischer Unterstützung in repetitiven und einfachen wissensbasierten Tätigkeiten. Damit steht das HR-Management der Siemens SSO vor der Herausforderung, ihre Mitarbeiter und Führungskräfte bestmöglich in der digitalen Transformation zu begleiten und ihnen Instrumente und Konzepte zur Verfügung zu stellen, die ihnen einen kreativen und lösungsorientierten Umgang mit Technologie ermöglichen. Leitbilder zur transformationalen Führung, Angebote zur Kompetenzentwicklung oder neue Konzepte der Anreizgestaltung und von Arbeitszeitmodellen sind dafür Beispiele. Diskussion Dynamische Fähigkeiten sollen nachhaltig wertschaffend wirken, d. h., mithilfe von dynamischen Fähigkeiten müssen sich nachhaltige Wettbewerbsvorteile ergeben (vgl. Helfat et al. 2007). Das vorliegende Fallbeispiel zeigt, dass Siemens diesen für das Kerngeschäft von Unternehmen notwendigen Mechanismus auf ihre GBS-­ Organisation anwendet. Beispielsweise ist mit der Forderung nach einer strengen Marktorientierung verbunden, dass relative Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Anbietern von HR-Services erkannt werden. Aus einem internen Dienstleister von Personalverwaltung entsteht schrittweise eine Geschäftseinheit, die marktorientiert geführt wird und die ihre dynamischen Fähigkeiten einsetzt, um nachhaltig Nutzen für ihre (internen) Kunden zu schaffen. Im Fallbeispiel wird eine Reihe von dynamischen Fähigkeiten angesprochen. • Beispielhaft zeigt sich dies bei der Entwicklung des HR-Assistenten CARL, bei dem neue Organisationsformen für Projekte, wie das Design Thinking, realisiert wurden und mit agilen Arbeitsweisen das Kundenprodukt entstand (vgl. Jäger und Petry 2018, S.  83 ff.). Interdisziplinäre Teams, die in agiler Arbeitsweise neue Kundenlösungen entwickeln, finden sich häufig in Unternehmen, die ihre digitale Transformation vorantreiben (vgl. Warner und Wäger 2019, S. 337; Witschel et al. 2019, S. 1060 f.), und mit dieser Organisationsform wichtige Ressourcen mobilisieren, um die Chancen zu ergreifen („seizing“, Teece 2007), die die digitale Transformation bietet. • Im Beispiel wird auch das Cloud-Computing eingesetzt, dass eine digitale Plattform für einen weltweiten Datenzugriff schafft (vgl. Schwarz 2018, S. 188). Der Kundennutzen stellt sich auch für diese Technologie nicht automatisch ein, sondern erst, wenn mit dieser Technologie neue, flexible Arbeitszeitmodelle über diese Plattformen angeboten werden. Es kommt somit auf die Transformationsfähigkeiten und Rekonfigurationsfähigkeiten an, die im Unternehmen aufgebaut werden müssen (vgl. Hess 2019, S. 200 ff.).

 Akronym für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität.

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Sicherlich können auch IT-Fähigkeiten als Teil von dynamischen Fähigkeiten angesehen werden, wenn KI-Technologien, Cloud-Computing oder RPA eingesetzt werden. Allerdings ist zu bedenken, dass sie erst in Kombination mit anderen dynamischen Fähigkeiten zur Schaffung von Kundennutzen führen, der zur Wertschaffung im Unternehmen beiträgt. Einige Studien weisen darauf hin, dass durch IT keine dauerhaften Wettbewerbsvorteile möglich sind, weil die Technologien für alle verfügbar sind (vgl. Chae et al. 2014, S. 321). Dies ist ein Grund, warum viele Unternehmen wesentliche Teile ihrer IT auslagern und dies wahrscheinlich auch die Digitalisierung nicht grundlegend ändern wird (vgl. Hess 2019, S. 199 f.).

3.1.2.2 Mitarbeiter-App für personalwirtschaftliche Services Da häufig die Erfahrung der Kunden („user experience“) im Zentrum der Digitalisierung steht, womit in diesem Abschnitt zum Personalbereich die Erfahrung der Mitarbeiter angesprochen ist, bietet es sich an, an einem konkreten digitalen Service diese Erfahrungen und ihre Auswirkungen zu analysieren. Die Deutsche Telekom und ihre Human Resources Shared Service Organisation Die Deutsche Telekom AG gehört mit rund 184 Mio. Mobilfunkkunden, 27,5 Mio. Festnetz- und 21  Mio.  Breitbandanschlüssen zu den führenden integrierten Telekommunikationsunternehmen weltweit. Das Unternehmen ist in mehr als 50 Ländern vertreten und erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2019 mit rund 211.000 Mitarbeitern 80,5 Mrd. € Umsatz. Die Deutsche Telekom Services Europe SE (DTSE) ist ein SSC, in dem die operativen Prozesse aus den Bereichen Finanzen, Einkauf, HR und Reporting gebündelt werden. Der für die Personalservices verantwortliche Hire-to-Retire(H2R)-Bereich bietet seinen internen Kunden mit etwa 1.000 Mitarbeitern ein umfassendes Portfolio von über 250 Personalprodukten. Neben den transaktionalen Kernleistungen, wie Arbeitszeit, Gehalt und Besetzung, zählen hierzu auch zusätzliche Services, wie z. B. Übersetzungsdienste oder internes Vorschlagswesen.

Zentrale personalwirtschaftliche Serviceleistungen waren in der Vergangenheit durch viele kleinteilige, manuelle Schritte mit mehreren beteiligten Personen gekennzeichnet. Dies sei am Beispiel der Services Krankmeldung und Zeiterfassung verdeutlicht. Krankmeldung Wenn in der Vergangenheit ein Mitarbeiter krankgeschrieben wurde, hat er den Arbeitgeber per E-Mail oder Telefon informiert. Anschließend hat er die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per Brief an den Arbeitgeber geschickt. Beim Arbeitgeber wurde der Brief an das zuständige Sekretariat weitergegeben. Die Krankmeldung wurde dort manuell erfasst und archiviert. Zeiterfassung In der Vergangenheit mussten sich die Mitarbeiter eines Standorts an Terminals mit ihrer Karte einstempeln. Auf Dienstreisen war diese Möglichkeit nur eingeschränkt (an anderen Standorten des Unternehmens) oder gar nicht gegeben. In diesen Fällen musste die Zeiterfassung nachträglich durch das Sekretariat manuell eingegeben

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werden. Ein Nachteil dieses Systems war neben dem umständlichen Ablauf auch der relativ teure Unterhalt der Zeiterfassungsterminals. Zur effizienteren Gestaltung der Serviceprozesse und gleichzeitig auch zur Verbesserung des Kundenerlebnisses der Telekom-Mitarbeiter hat sich die DTSE entschlossen, eine Mitarbeiter-App zu entwickeln. Diese bündelt als intuitive und einfach bedienbare Schnittstelle zwischen Mitarbeitern und Arbeitgeber verschiedene personalwirtschaftliche Services, darunter die Krankmeldung und die Zeiterfassung. Für diese beiden Prozesse kann die App wie folgt eingesetzt werden. Krankmeldung Ist der Mitarbeiter krankgeschrieben, kann er mit wenigen Klicks das Attest an den Arbeitgeber weiterleiten. Dazu fotografiert er das Attest mit dem Smartphone, prüft die Daten und sendet es ab. Die weitere Verarbeitung beim Arbeitgeber inklusive der Verbuchung erfolgt automatisch. Zeiterfassung Der Anwender hat für die Kernfunktionalität, also die Erfassung der täglichen Arbeitszeit, zwei Buttons zur Auswahl: Kommen und Gehen. Die Abb.  3.3 veranschaulicht die Benutzeroberfläche. Auch nachträgliche Buchungen können anhand manueller Zeitangeben direkt im Service erfolgen. Eine Bearbeitung durch das Sekretariat ist nicht mehr notwendig.

Abb. 3.3  Benutzeroberfläche der Mitarbeiter-App für den Service Zeiterfassung (Deutsche Telekom Services Europe SE)

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Durch die Mitarbeiter-App als innovatives Gestaltungselement im Serviceprozess konnten erhebliche Verbesserungen erzielt werden. Die App bietet die Möglichkeit der mobilen, standortunabhängigen Nutzung der Services und trägt insbesondere zur Verbesserung des Kundenerlebnisses bei. Der zuvor papierbasierte und hochgradig manuelle Prozess der Krankmeldung wurde durch einen vollständig digitalen Prozess ersetzt. Die Abb. 3.4 verdeutlicht die Prozessabläufe vor und nach Einführung der Mitarbeiter-App. Für die Mitarbeiter hat die App zudem den Vorteil, dass sie nicht mehr gezwungen sind, sich trotz Krankheit um die Zusendung des Attests per Brief zu kümmern. Die Weiterleitung des Attests erfolgt bequem per App und nicht auf dem Postweg. Dadurch wird der Prozess zudem papierlos, was die Weiterverarbeitung erleichtert und im Regelfall eine vollständige Automatisierung ermöglicht. Beim Service Zeiterfassung verbessert sich ebenfalls das Kundenerlebnis durch die Bereitstellung eines intuitiv nutzbaren Service; gleichzeitig entfallen die manuellen Buchungen in den Sekretariaten. Durch den Verzicht auf die Terminalzeiterfassung können zukünftig Ersatzinvestitionen ausbleiben. Bei der Einführung der Mitarbeiter-App als innovative Servicelösung stand in technischer Sicht das Smartphone als Medium zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Mittelpunkt. Um die eindeutige Identifikation des Nutzers sicherzustellen und eine sichere Verbindung mit dem internen Telekom-Netz zu gewährleisten, ist ein vom Konzern administriertes Smartphone, ein Managed Device, erforderlich. Das Managed Device stellt eine eindeutige Beziehung zwischen Mitarbeiter, Gerät und Service her. Es bildet die Grundlage für den Zugriff auf das interne Telekom-­ Netz und ermöglicht das Senden und Empfangen von internen Daten. Zudem ermöglicht es die Fernkontrolle des Geräts zur Überprüfung auf Schadsoftware. Das Managed Device sendet die Daten verschlüsselt per Hypertext Transfer Protocol

Abb. 3.4  Prozess des Services Krankmeldung vor und nach Einführung der Mitarbeiter-App (Deutsche Telekom Services Europe SE)

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Secure (Https) an die Mobile-API, die die Daten an die Backend-Systeme SAP, Archivierung in die elektronische Personalakte und das Portal zur Information der Führungskräfte (MyPortal) weiterleitet. Die Abb. 3.5 verdeutlicht den Ablauf. Eine technische Herausforderung war die automatisierte Extraktion der Daten aus unterschiedlichen Layouts des Attests. Durch eine automatisierte Texterkennung müssen diese semistrukturierten Daten stabil und schnell verarbeitet werden. Bei der gefundenen Lösung sieht der Mitarbeiter das Ergebnis direkt nach dem Abfotografieren und kann die erkannten Daten gegebenenfalls vor der Weiterleitung anpassen. Somit wird die Korrektheit der Datenmeldung sichergestellt. Die Mitarbeiter-App und die integrierten Services wurden als agile Entwicklungsprojekte in mehreren Sprints realisiert. Ein Erfolgsfaktor waren die cross-­ funktionalen Teams mit Kollegen aus den jeweiligen Fachbereichen und der IT. Alle Entwicklungen wurden durch interne IT-Kräfte der Deutschen Telekom durchgeführt. Die Einführung der Mitarbeiter-App erfolgte in mehreren Schritten. Sie wurde zunächst mit einer Gesellschaft pilotiert, anschließend begann der Rollout in allen deutschen Konzerngesellschaften. Am Beispiel des von der Mitarbeiter-App unterstützten Services Krankmeldung werden die Herausforderungen auf dem Weg in die digitale Arbeitswelt deutlich. Digitalisierungsprojekte müssen neben neuen technischen Lösungen auch immer direkte Veränderungen bei den Mitarbeitern berücksichtigen. Als Voraussetzung für die Nutzung der Mitarbeiter-App stellt die Telekom allen Mitarbeitern in Deutschland im Rahmen des Projekts Smartphone for All ein Endgerät für die dienstliche Nutzung zur Verfügung. Trotzdem werden die mobilen Services noch nicht von allen entsprechend ausgestatteten Mitarbeitern verwendet. Da die Übermittlung einer Krankmeldung weiterhin per Brief möglich ist, gibt es keinen Zwang zur Nutzung der App. Die aktuellen und zukünftigen Mitarbeiter müssen offen für die neuen digitalisierten Lösungen sein und diese anwenden. Da die Apps intuitiv sehr gut bedienbar sind, sollte es keine größeren Einstiegshürden geben. Wichtig ist, dass die

Abb. 3.5  Datenerfassungsprozess beim Service Krankmeldung mittels Managed Device (Deutsche Telekom Services Europe SE)

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Abb. 3.6  Kundenzufriedenheitsmessung für den App-Service Krankmeldung (Deutsche Telekom Services Europe SE)

Führungskräfte mit gutem Beispiel vorangehen, die neuen Services selbst nutzen und die Anwendung der Apps in den Teams thematisieren. Hierzu zählt auch die Nutzung gängiger Kommunikationsplattformen zur Informationsvermittlung an alle Mitarbeiter. Weiterhin wird die Bereitschaft der Mitarbeiter, sich auf digitale Lösungen einzulassen, durch ein kontinuierliches Qualifizierungsprogramm unterstützt. Die bei der Einführung der Mitarbeiter-App anvisierten Ziele einer höheren Kundenzufriedenheit, einer verbesserten Nachhaltigkeit und einer Effizienzsteigerung durch Prozessautomatisierung wurden erreicht. Der Zielerreichungsgrad bezüglich der Kundenzufriedenheit wurde durch eine Mitarbeiterbefragung gemessen. Die Abb.  3.6 zeigt die Ergebnisse für den Service Krankmeldung. Die Rückmeldungen der Mitarbeiter fielen sehr positiv aus. Sowohl die einfache Bedienbarkeit und übersichtliche Strukturierung als auch die störungsfreie Nutzung wurden positiv bewertet. Der erreichte Product-Consumer-Index von 8,85 (auf einer Skala von 1 bis 10) ist aus Sicht der DTSE ein sehr erfreuliches Ergebnis. Mit Blick auf das Ziel Nachhaltigkeit soll die Menge des eingesparten Papiers ermittelt werden, die sich aus der Anzahl der per App eingereichten Krankmeldungen ergibt. Diese Messung soll erstmals für das Kalenderjahr 2019 erfolgen. Bei der Einführung der Mitarbeiter-App treten aber auch neue Risiken auf. Insbesondere bietet das Smartphone ein potenzielles weiteres Eingangstor für unberechtigten Zugang in das Telekom-Netz. Um das Risiko des Missbrauchs zu minimieren, muss die eindeutige Zuordnung von Device, Mitarbeiter und Service sichergestellt werden. Die konzernweit geltenden Anforderungen hinsichtlich IT-Sicherheit und Datenschutz wurden für die Mitarbeiter-App und damit auch für die Services Krankmeldung und Zeiterfassung erfüllt. Zur Nutzung der App ist grundsätzlich eine Zwei-Faktor-Autorisierung notwendig. Es erfolgt sowohl eine Anmeldung am Gerät als auch an der Mitarbeiter-App. Bei einer Verlustmeldung des Smartphones werden die Services direkt gesperrt und vom Smartphone entfernt.

3.1.3 Mitarbeiterqualifikation in digitalisierten Shared Service Organisationen – von transaktionalen zu wissensintensiven Anforderungen Im Fallbeispiel von Deutscher Telekom ist bereits angedeutet, dass dynamische Fähigkeiten meist mit veränderten Anforderungen an Mitarbeiter und Management

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verbunden sind. Der Einsatz von modernen IT-Systemen und modernen Organisations- und Projektmethoden ändert das Anforderungsprofil und zwingt zur Weiterentwicklung von Mitarbeiterkompetenzen. Treiber der Veränderung Zur Steigerung der operativen Effizienz des H2R-Bereichs, wurden bereits vielfältige Kostensenkungs- und Optimierungsmaßnahmen erfolgreich umgesetzt, u.  a. Automatisierungen, Einführung von Mitarbeiter- und Manager-Self-Services sowie Six-Sigma-/Lean-Management-Methoden. Zudem wurden auch erste aktuelle digitale Technologien selektiv eingeführt. Insgesamt ist festzustellen, dass sich die Rahmenbedingungen für den H2R-­ Bereich in letzten Jahren zunehmend verändern. Als Treiber des Veränderungsprozesses treten externe Faktoren stärker in den Vordergrund, insbesondere: • zunehmende Wettbewerbsintensität, die sich z. B. in Kostensenkungserwartungen ausdrückt; • steigende Notwendigkeit der Internationalisierung für Kunden; • aber auch ein sich spürbar verstärkendes VUKA-Umfeld. Neben den externen Faktoren werden auch die internen Treiber zunehmend relevant: • Hierbei ist zunächst festzustellen, dass die Kunden (Mitarbeiter der Deutschen Telekom), aufgrund ihrer Erfahrungen mit Bestellprozessen im privaten Umfeld, z. B. durch Online-Shops, eine deutlich einfachere und intuitivere Bedienbarkeit sowie höhere Transparenz erwarten. • Infolge rechtlicher Erfordernisse, aber auch getrieben durch das Ziel einer weiteren Steigerung der Arbeitgeberattraktivität nimmt auch die Anzahl der bereitgestellten Personalprodukte kontinuierlich zu. • Da sich die Geschäftseinheiten der oben bereits angeführten Wettbewerbsintensität gegenüberstehen, drängen sie darauf, die Leistungen des H2R-Bereichs zu immer günstigeren Kosten beziehen zu können. Transformation von H2R und Anforderungen an Mitarbeiter Um diesen Anforderungen zu begegnen, wurden zunächst selektiv digitale Lösungen eingeführt  – z.  B.  Bots und Anwendungen auf mobilen Endgeräten (Apps), wodurch es zwar gelang, einzelne Prozesse zu vereinfachen, ein nachhaltiger und signifikanter Effekt war auf diesem Weg allerdings nicht erreichbar. Aus diesem Grund wurde ein umfassendes Digitalisierungs- und Transformationsprogramm ini­ tiiert, das neben Verbesserungen der technischen Infrastruktur und Prozessoptimierungen auch fundamentale Veränderungen der Arbeitsweise aller Mitarbeiter zur Folge hat. Für diese ergeben sich somit neue Anforderungen bezüglich:

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• fachlichen Kompetenzen, • Methodenkompetenzen und • Sozial- und Führungskompetenzen. Fachliche Kompetenzen Im HR-Shared-Service wurden die Aufgaben bislang sehr arbeitsteilig organisiert. Die primäre Rolle der Mitarbeiter ist die des HR-Spezialisten, fachlich getrennt nach, z. B. Gehalts-, Arbeitszeit-, oder Einstellungsthemen. Für jeden HR-Service gibt es somit einzelne wenige Mitarbeiter, die über ein sehr tiefes Fachwissen verfügen. Der entscheidende Vorteil des Modells besteht in der sehr hohen Effizienz der Aufgabenerledigung, unter Voraussetzung konstanter Rahmenbedingungen. Zu den wesentlichen Nachteilen zählt allerdings die eingeschränkte Kundenzentrierung. So ist es bei der arbeitsteiligen Organisation nur selten möglich, Kundenservices vollständig aus einer Hand zu leisten. Häufig sorgen unklare Zuständigkeiten für Prozessineffizienzen und damit verbundenen Fehlerbehebungen, die zu längeren Bearbeitungszeiten führen. Da die Mitarbeiter jeweils nur eine Teilleistung erbringen, fehlt ihnen zudem der Blick auf den vollständigen Service aus Kundenperspektive. Vor dem Hintergrund der gestiegenen Kundenerwartungen an einfache und intuitive Prozesse, erweist sich dies zunehmend als kritisch. Ein weiterer Nachteil des Spezialistenmodells besteht ferner in der suboptimalen Auslastung der Mitarbeiter entlang der gesamten Serviceproduktionskette: Die Spezialisierung schränkt die Möglichkeit einer gleichmäßigen Arbeitsverteilung auf die Mitarbeiter erheblich ein, obwohl sie besonders bei schwankendem Auftragsvolumen erforderlich ist. Im H2R-Bereich der Telekom wurden daher verschiedene neue Rollen geschaffen: • HR Service Consultant: Sie bieten zukünftig stärker ganzheitliche Serviceleistungen und sind zuständig für die Beratung und das Lösen von Sonderfällen der Kunden, die nicht mittels Self-Service erledigt werden können. • HR User Experience Designer: Diese Rolle ermöglicht ein positives Serviceerlebnis aus Kundenperspektive. Hierzu zählen u. a. intuitive Nutzerführung von Self-Service-Prozessen und IT-Workflows, Entbürokratisierung von Beschreibungen sowie weitere konsequente Vereinfachungen des Leistungsportfolios. Ebenso soll diese Rolle sicherstellen, dass bei der Entwicklung neuer Services von Anfang an die Kundensicht berücksichtigt wird. • HR Process & System Expert: Mitarbeiter in dieser Rolle identifizieren durch systematische Datenanalysen mögliche Ineffizienzen und Kundenprobleme, erarbeiten hierzu effizientere und kundenzentrierte Prozesse und realisieren diese Anpassungen in Arbeitsabläufen und technischen Systemen. • Information & Knowledge Expert: Sie sind verantwortlich für die verständliche Aufbereitung und Strukturierung von Informationen, wie z. B. Neuigkeiten bei Services sowie bezüglich rechtlicher Änderungen und deren Implikationen sowie nutzerzentrierte Bereitstellung und laufende Aktualisierung der Informationen in den IT-Systemen.

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Die Einführung der neuen Rollen erfolgt sukzessive im Rahmen des Digitalisierungs- und Transformationsprogramms. In diesem Zusammenhang werden mit konkretem Bezug auf die neuen IT-Systeme On- und Offsite-Schulungen der Mitarbeiter systematisch durchgeführt. Darauf folgend werden die Mitarbeiter im Rahmen des Programms unter Begleitung an die neuen Aufgaben herangeführt. Methodenkompetenzen Im Hinblick auf die veränderten Rahmenbedingungen sind neben den neuen fachlichen Rollen auch vielfältigere Methodenkompetenzen von elementarer Bedeutung. So werden die Mitarbeiter systematisch befähigt, agile Arbeitsmethoden selbst­ ständig anzuwenden. Zur Förderung der kundenzentrierten Sichtweise wurde insbesondere die Design-­ Thinking-­Methodik in der Deutschen Telekom systematisch eingeführt. Hierzu werden die Mitarbeiter geschult, diese Methodik anzuwenden, darüber hinaus moderieren Facilitatoren die Umsetzung in unterschiedlichen Projekten. In diesem Zusammenhang wird auch die Anwendung unterschiedlicher Kreativitätstechniken, aber auch kundenzentrierter Leitprinzipien, wie z. B. „simplicity“, umfassend vermittelt. Insbesondere bei der Entwicklung neuer Dienstleistungen und deren Implementierung in IT-Systemen, ist die Scrum-Methodik, auch in der Deutschen Telekom, von großer Bedeutung. Die Mitarbeiter haben hierzu die Möglichkeit, in Trainings ein grundlegendes Verständnis der agilen Werte und Prinzipien sowie der charakteristischen Merkmale des Scrum-Frameworks kennenzulernen. In diesem Zusammenhang werden auch relevante Techniken wie Mediation, Moderation, Coaching etc. vermittelt. Mit dem Ziel, die Vernetzung der Mitarbeiter zu fördern, werden darüber hinaus gesonderte Trainings zum mobilen Arbeiten und zur mobilen Führung durchgeführt. In den Schulungen lernen Mitarbeiter und Führungskräfte kennen, wie z. B. Teammeetings mittels technischer Unterstützung effektiv und wertschätzend durchgeführt werden können, auch wenn die Teammitglieder an unterschiedlichen Standorten arbeiten. Hierbei ist es insbesondere wichtig, mit Führungskräften und Mitarbeitern eine effektive und effiziente Feedbackkultur bei räumlicher Trennung einzuüben. Sozial- und Führungskompetenzen Zur nachhaltigen effektiven Umsetzung der agilen Führung im Unternehmen ist es wichtig, die interne Kultur weiterzuentwickeln und neue Sozial- und Führungskompetenzen zu fördern: • Zielvorgabe und -umsetzung: Bei den Zielen stehen verstärkt Kundenbedürfnis und -zufriedenheit im Vordergrund. Deutlich wird dies durch eine regelmäßige systematische Messung entsprechender Key Performance Indicators (KPI), insbesondere Managerfeedback, Kundenfeedback und Reklamationszahlen. Bei der Operationalisierung von Zielen wurde im Rahmen des Digitalisierungs- und Transformationsprogramms lediglich eine Zielvision als Richtung vorgegeben.

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Die Ausgestaltung der konkreten Umsetzungsschritte zur Zielerreichung obliegt jedoch den individuellen Teams, die somit über einen hohen Freiheitsgrad verfügen. Verantwortungsübernahme: Ergebnisverantwortung für ganzheitliche Kundenservices wird weniger von Einzelpersonen, sondern vielmehr von funktionsübergreifend besetzten Teams übernommen. Diese Teams wurden befähigt und ermutigt, selbstständig Entscheidungen zu fällen. Hierzu ist es wichtig eine Fehlerkultur zu etablieren, bei der Scheitern nicht nur zugelassen wird, sondern Menschen ermutigt werden, unternehmerisch zu handeln. Kooperation: Die intensive Vernetzung von Mitarbeitern wird durch verschiedene Maßnahmen gezielt gefördert. So werden u.  a. Einzelbüros sukzessive durch ansprechende Großraumbüros ersetzt, in denen die Mitarbeiter über keinen festen Arbeitsplatz mehr verfügen, sondern sich situativ zu Arbeitsgruppen zusammenfinden können. Ferner werden besonders erfolgreiche Kooperationen bei Projekten mittels eines internen Awards gezielt gewürdigt. Kommunikation: Zur Unterstützung der Kommunikation wurden vielfältige technische Plattformen eingeführt, wie z. B. ein internes soziales Netzwerk. Darüber hinaus wird den Mitarbeitern die Möglichkeit eröffnet, sich aktiv, hierarchieunabhängig in Diskussionen einzubringen und Ideen zu platzieren. Entwicklungsfähigkeit: Mit dem Ziel, die Entwicklung der Mitarbeiter individuell zu fördern, wird ein hohes Maß an Freiräumen bei der Belegung von Trainings eingeräumt, die zudem häufig leicht nutzbar per Online-Kurs zur Verfügung gestellt werden.

Fazit Wie vorangehend dargestellt, gab es im HR Shared Service bis vor kurzem eine hohe Anzahl unterschiedlicher Spezialistenprofile, wobei ein Überblick über die unterschiedlichen Fähigkeiten und deren Ausprägungen nur eingeschränkt existierte. Zur Schaffung von Transparenz wurden im Rahmen eines Piloten die Soll-­ Fähigkeitsprofile der einzelnen Abteilungen systematisch strukturiert und die tatsächlichen individuellen Fähigkeitsausprägungen der zugehörigen Mitarbeiter ermittelt. Diese Transparenz ermöglichte zwar eine gewisse Standardisierung von Aufgabenprofilen, allerdings war der zeitliche Aufwand für deren Erstellung sehr hoch. Auch war der konkrete Nutzen bezüglich der neuen Anforderungen lediglich begrenzt, da auf diesem Weg keine Flexibilisierung der Kompetenzen erreicht werden konnte. Im Hinblick auf die sich zunehmend verändernden Rahmenbedingungen und die Notwendigkeit der konsequenten Digitalisierung ist es vielmehr erforderlich, übergreifend ausgerichtete und kundenzentrierte fachliche, methodische sowie Sozialund Führungskompetenzen zu entwickeln. Dies kann insbesondere mittels eines umfassenden Transformationsprogramms erfolgreich unterstützt werden. Die HR Shared Services der Deutsche Telekom befinden sich am Anfang dieser Veränderung, um die nächste Stufe der Professionalisierung zu erreichen.

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Diskussion Dynamische Fähigkeiten werden als strategischer Ansatz primär für Organisationen betrachtet. Dies führte zu dem Vorwurf, dass der Fähigkeitenansatz die notwendigen individuellen Fähigkeiten von Managern ausblendet. Teece (2007) hat auf diesen Vorwurf reagiert und einen ersten Entwurf einer Mikrofundierung vorgelegt, der sich auf Manager und häufig Top-Manager fokussiert und sich in diesem Abschnitt in den Fähigkeiten des Wahrnehmens, des Ergreifens und der Rekonfiguration widerspiegeln (Schilke et al. 2018). Das Fallbeispiel von Telekom zeigt jedoch, dass neben der Entwicklung von operativen Fähigkeiten (Kompetenzen) der HR-­ Mitarbeiter spezifische Fähigkeiten angestrebt werden, die als dynamische Fähigkeiten anzusehen sind. So werden bei der Telekom im Kompetenzfeld Methoden spezifische Techniken wie Design-Thinking oder Scrum angesprochen, die Mitarbeiter zur Transformation von Prozessen und Ressourcen befähigen sollen (vgl. Warner und Wäger 2019). Beide Methoden sollen der Entwicklung von Agilität als Kompetenz dienen (vgl. Camboni und Simée 2018, S. 178). Im Mittelpunkt des Fallbeispiels stehen die veränderten operativen Aufgaben und Rollen, die im Zuge der digitalen Transformation als wichtige Meilensteine angestrebt werden. Ausgehend von einem Kompetenzmodell (Sonntag und Schaper 2016) werden beispielsweise in der Fachkompetenz die kundenorientierten Rollen betont, die von einer ehemalig spezialisierten Funktion zu einem ganzheitlichen Betreuungsverhältnis übergehen sollen. Innerhalb der dritten Gruppe werden insbesondere die Sozialkompetenzen angesprochen, die als kritisch für den Erfolg der Digitalisierung angesehen werden. Mehrere Sozialkompetenzen werden im Fallbeispiel und in der Literatur zur Digitalisierung betont (Deutsche Gesellschaft für Personalführung 2016): • Es wird ein höheres Maß an Eigenverantwortung erwartet, weil mit flacheren Hierarchien und verstärkter Dezentralisation sowie Delegation zu rechnen ist (vgl. Creusen et al. 2017, S. 79 f.). • Mit dem Aufbau flexibler, netzwerkartiger Organisationsstrukturen geht ein erhöhter Bedarf an Kommunikationsfähigkeit einher, der technische Expertise, sich in der digitalen Welt orientieren zu können, ebenso umfasst wie die Fähigkeit, sich zügig in verschiedenen Teamstrukturen zurechtzufinden, eigene Netzwerke aufzubauen und zur lernenden Organisation durch Wissensteilung beizutragen (vgl. Anderson und von Rohrscheidt 2018, S. 384 f.; Camboni und Simée 2018, S. 177 f.). • Agilität umfasst daher eine ständige Bereitschaft zur Veränderung (vgl. Weissenberger-­Eibl 2018, S. 222). In einer sich schnell verändernden Wissensgesellschaft geht dies mit einer erhöhten Lernbereitschaft einher. So bekommt das Schlagwort vom lebenslangen Lernen eine neue Relevanz. Wesentliche Voraussetzung für dynamische Fähigkeiten ist somit das Humankapital, d. h. das Wissen, die Fähigkeiten und die Expertise der Mitarbeiter im Unternehmen (vgl. Bontis 1999, S. 443). Das Humankapital spielt bei der Absorption

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neuen Wissens eine zentrale Rolle und trägt wesentlich zu kontinuierlicher Innovation und damit zum Erfolg von Unternehmen bei (vgl. Hsu und Wang 2012). Im Fallbeispiel wird das Kompetenzfeld Führungskompetenz angesprochen, das für die digitale Transformation neue Anforderungen an die Führung (Leadership) stellt, weil sich beispielsweise die Forderung nach Agilität nicht nur an Mitarbeiter richten kann. Vielmehr sind damit weiterreichende Änderung in der Führung und Führungsorganisation verbunden.

3.1.4 Leadership in digitalisierten Shared Service Organisationen – von transaktionaler zu transformationaler Führung Herausforderungen für die Führung Die vorgestellten Fallbeispiele der Unternehmen zeigen, dass sich die Führung auf veränderte Anforderungen einzustellen hat. Im Fokus von SSO steht die Verbesserung der Prozesseffektivität und -effizienz (vgl. Brühl et al. 2017, S. 16). Die Digitalisierung ist für viele Prozesse, die typischerweise in SSC bearbeitet werden, schon sehr lange charakteristisch. Neue digitale Technologien erweitern allerdings die Möglichkeiten, Prozesse zu optimieren und das Leistungsangebot in völlig neuer Weise und größerem Ausmaß weiterzuentwickeln. Hinzu kommen neue Anforderungen aus den operativen Bereichen des Unternehmens. Für die Führungskräfte bedeutet dies, Veränderungen zu initiieren und zu steuern sowie auf äußere Veränderungen zu reagieren und diese mitzugestalten. Damit geht eine Vervielfachung der Handlungsmöglichkeiten einher, die zu bewerten und auszuwählen sind. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind typische Herausforderungen zu benennen, denen sich Führungskräfte stellen müssen. • Das Ausmaß und die Geschwindigkeit von Veränderungen steigen durch die Digitalisierung. Diese zu steuern, tritt gleichberechtigt neben die Führung des Tagesgeschäfts und erfordert weitere Kompetenzen, wie z.  B.  Organisationsentwicklung, Change Management und Verständnis für Machtdynamiken. Außerdem benötigen Veränderungsprozesse Ressourcen und Zeit, deren Bedarf leicht unterschätzt wird, die jedoch für den erfolgreichen Wandel notwendig sind (vgl. Roehl 2017, S. 256). • Die Anzahl an Handlungsmöglichkeiten beispielsweise hinsichtlich der Gestaltung der Prozesse, des Einsatzes von Technologien oder der Weiterentwicklung der Organisation vervielfachen sich. Sie sind zu bewerten, auszuwählen und erfolgreich umzusetzen. Diese Herausforderung ist an sich nicht neu. Doch können Erfahrungen aus vergangenen Optimierungen oder Restrukturierungen, die Bewertungs- und Entscheidungsprozesse zwar erleichtern, bei tiefergehenden, disruptiven und schnelleren Veränderungen allerdings oft nicht übertragen werden. • Die Ziele sind beim Einsatz neuer Technologien nicht nur weniger konkret als bei bewährten Technologien und deren laufender Optimierung, sie entstehen vielmehr erst innerhalb von Innovationsprozessen, die die Führungskräfte

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e­ rmöglichen sollen. Die Organisation muss dazu bewegt werden, sich mit diesen Technologien auseinanderzusetzen, die relevanten Zusammenhänge etwa zu den Prozessen, Technologien, Daten oder Organisationseinheiten zu erkennen und Lösungsansätze zu entwickeln. Es ist die Aufgaben von Führung, der Organisation auf diesem Weg Orientierung zu geben und organisatorische sowie informelle Strukturen zu schaffen. • Qualifizierte, erfahrene Mitarbeiter werden in der SSO für das operative Tagesgeschäft wie für die Projektarbeit benötigt. Das Tagesgeschäft ist durch neue interne wie externe Anforderungen, z. B. neue Geschäftsmodelle, Einsatz neuer operativer Technologien, Restrukturierungen und regulatorische Anforderungen, von zunehmenden Veränderungen geprägt. Durch die Digitalisierung werden transaktionale, regelbasierte Tätigkeiten noch weitergehender als bisher automatisiert, entfallen oder werden nicht mehr von einem SSC angeboten, z. B. Integration in operative Prozesse, neue technologische und organisatorische Ansätze für Business Process Outsourcing (BPO). Dadurch nehmen koordinierende, steuernde, gestaltende und wissensbasierte Tätigkeiten zu und neuartige Leistungen der SSO entstehen. Beide Entwicklungen erfordern i. d. R. andere Qualifikationen von Mitarbeitern und Führungskräften als die wegfallenden Aufgaben. So entstehen neue Aufgabenprofile wie z. B. Data Analyst, IT Engineer und Change Manager. In Unternehmen sind die neu entstehenden Stellen oft nur zum kleinen Teil durch die Weiterqualifizierung von Mitarbeitern aus den Bereichen zu besetzen, in denen Leistungen entfallen. Die Führungskräfte müssen neue Mitarbeiter gewinnen oder entwickeln, die am Arbeitsmarkt sehr gefragt sind, und gleichzeitig Lösungen für Mitarbeiter finden, die den geänderten Anforderungen nicht entsprechen. • Dabei prägen Unsicherheit und fehlende Erfahrungswerte den Arbeitsalltag. Die Veränderungen und Unsicherheiten gelten für die Mitarbeiter und für die Führungskräfte wie für die übrige Organisation. Die Führungskräfte „haben nun die Aufgabe, trotz eigener Unsicherheit den Mitarbeitern ein Gefühl von Orientierung und Zielsetzung des Unternehmens zu vermitteln und für Zielerreichung zu sorgen“ (vgl. Roehl 2015, S. 10). Alle genannten Punkte illustrieren die mit dem Kürzel VUKA bezeichnete Beschreibung der heutigen Unternehmensumwelt, wobei damit i. d. R. hohe Ausprägungen gemeint sind. Sie beschreiben Phänomene, die sich auf Mitarbeiter, Führungskräfte und Organisation auswirken. Aus der klassischen Organisationslehre sind zwei typische Reaktionsweisen hoher Unsicherheit bekannt, mit denen Unternehmen reagieren: 1. Organisationen spezialisieren sich, sodass sich jede Funktion oder Abteilung auf die sich schnell ändernden Bedingungen ihrer Umwelt anpassen (vgl. Lawrence und Lorsch 1967). 2. Bei sich schnell verändernden, komplexen Umweltbedingungen entwickeln Unternehmen eine organische Organisationsstruktur, die sich durch wenig ausgeprägte Hierarchie, hohe Dezentralisierung, vermehrte Teambildung, hohe An-

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passungsfähigkeit und geringe Formalisierung auszeichnet (vgl. Burns und Stalker 1961; Ireland et al. 2009). Im Folgenden wird insbesondere auf das zweite Phänomen eingegangen, denn es beschreibt bereits skizzenhaft, welche organisatorischen Veränderungen durch die Digitalisierung angestoßen werden. Transaktionale und transformationale Führung Kurzgefasst lässt sich eine veränderte Führungsauffassung durch den Wandel von transaktionaler Führung zur transformationalen Führung beschreiben. Während sich transaktionale Führung auf den materiellen und immateriellen Austausch zwischen Managern und Mitarbeitern konzentriert, ohne die sinnstiftende Wirkung der Tätigkeit zu thematisieren, soll die transformationale Führung die intrinsische Motivation ansprechen und somit die Identifikation mit ihren Aufgaben und der Organisation fördern (vgl. Schütze-Kreilkamp 2017, S. 20 f.). Die Abb. 3.7 zeigt idealtypisch vier Komponenten nach Bass und Avolio (1990). Transformationale Führung zeichnet sich somit durch die Vorbildfunktion von Managern aus, die ihre Mitarbeiter durch Motivation inspirieren, sich für die Organisation und ihre Ziele einzusetzen, ferner ihre Mitarbeiter anregen, neue Ideen und Ansätze zu entwickeln, und durch ihre Unterstützung zur individuellen Entwicklung der Mitarbeiter beitragen (vgl. Northouse 2016, S. 167 ff.). Es sind insbesondere diese Komponenten, von denen erwartet wird, dass sie bei der Transformation zur Digitalisierung von SSO positive Wirkung entfalten (vgl. Sprenger 2017, S. 7 ff.). Im folgenden Fallbeispiel von Bertelsmann werden exemplarisch einige Veränderungen aufgezeigt, die das Management von digitalisierten SSC betreffen.

Abb. 3.7 Komponenten der transformationalen Führung (Eigene Darstellung in Anlehnung an Bass und Avolio 1990)

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Unternehmensprofil Bertelsmann Bertelsmann ist ein Medien- (RTL Group, Penguin Random House, Gruner+Jahr und BMG), Dienstleistungs- (Arvato, Bertelsmann Investment, Bertelsmann Printing Group) und Bildungsunternehmen (Bertelsmann Education Group), das in rund 50 Ländern der Welt aktiv ist und seinen Kunden erstklassige Medienangebote und innovative Servicelösungen bietet. Mit 126.447 Mitarbeitern erzielte das Unternehmen im Geschäftsjahr 2019 einen Umsatz von 18,0 Mrd. €

Von der Idee zum Roboter: Digitale Transformation in einem Accounting Shared Service Center Für eine SSO ergeben sich durch die Digitalisierung vielfältige Chancen, die eigenen Prozesse zu optimieren und das Leistungsangebot zu erweitern. Ein möglicher Ansatz zur digitalen Transformation ist die RPA. Die Technologie erlaubt es, Daten aus bestehenden IT-Systemen und anderen digitalen Datenquellen zusammenzutragen und zu verarbeiteten. Hierdurch wird es möglich, Buchhaltungsprozesse zu automatisieren, die durch Programmabläufe in den bestehenden Systemen, durch Schnittstellen o. ä. bisher nicht oder nur mit unwirtschaftlich hohem Aufwand automatisiert werden konnten. Die Bertelsmann Accounting Services (BeAS) startete im Jahr 2017 ein RPA-­ Projekt und nutzt die Technologie nicht nur zur Prozessautomatisierung, sondern um die SSO als Ganzes für die Digitalisierung im Rechnungswesen aufzustellen. Die Einbindung der Mitarbeiter in das Projekt erlaubt es, Mitarbeiter mit unterschiedlichem Hintergrund zu identifizieren und auszubilden, um die digitale Transformation voranzutreiben. Die laufende Kommunikation zum Projekt trägt zur Sensibilisierung der gesamten Organisation bei. Dem Projekt ging der Austausch mit anderen Bereichen im Konzern, die diese Technologie bereits operativ einsetzen, mit Softwareanbietern, mit den SSO anderer Unternehmen und externen Beratern voraus, um Impulse zu sammeln. Die Investitions- und Projektplanung, die Softwareauswahl und die Zusammenstellung des Projektteams erfolgten gemeinsam mit Kollegen aus einer operativen Einheit im Konzern, die bereits RPA-Projekte verantwortet haben. Ein kritischer Erfolgsfaktor für ein RPA-Projekt ist die Auswahl geeigneter Anwendungsfälle (Use Cases) und das Einbeziehen aller relevanten Mitarbeiter. Die Belegschaft der BeAS wird regelmäßig über alle wesentlichen Projekte, so auch das RPA-Projekt, informiert. Außerdem werden gezielt interaktive Formate (z. B. World-­ Café, Projektmarktplatz) eingesetzt und die Belegschaft je nach Thematik in Gruppen eingebunden. Bereits vor dem Projektstart wurden alle Mitarbeiter zur Einführung in das Thema zu einem Impulsvortrag eingeladen, der auf großes Interesse gestoßen ist und von Anbeginn zu einer sachlichen Diskussion beigetragen hat. Die Mitarbeiter, die im Kernteam oder in Teilprojekten mitwirken, wurden intern in Workshops vorbereitet. Die Use Cases wurden bottom-up über alle BeAS-Prozessbereiche an allen Standorten identifiziert. Die Auswahl erfolgte bis hin zum Go-live über einen mehrstufigen Prozess, in den Mitarbeiter, Führungskräfte und Prozessexperten einbezogen wurden. Der Auswahlprozess wurde von einem RPA-Kernteam der BeAS sowie vom Projektpartner aus einem anderen Konzernunternehmen begleitet, der

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Erfahrung in Implementierungsprojekten und dem operativen Betrieb von RPA hat. Außerdem arbeitete der Risikomanager der BeAS an Fragestellungen zum internen Kontrollsystem und den Berechtigungskonzepten mit. Zur Auswahl der Use Cases wurden Kriterien wie das Ersparnispotenzial, Payback-­ Zeiten, die Komplexität und die Umsetzungssicherheit herangezogen. Außerdem wurden Pilotfälle festgelegt, die geeignet sind, gezielt Erfahrungen zu sammeln, die Zusammenhänge für die Organisation praktisch begreifbar zu machen und Basisautomatisierungsmodule zu schaffen, die für andere Prozesse weiterverwendet werden können. Darüber hinaus war zu prüfen, ob die identifizierten robotergestützten Automatisierungsschritte nicht besser durch Optimierung in den bestehenden Systemen oder an anderer Stelle im Prozess erreicht werden können. Die Projektarbeit folgt klassischen Prinzipien des Projektmanagements und der Anwendungsentwicklung. Im Gegensatz zu Optimierungsprojekten, die sich auf größere zusammenhängende Prozesse beziehen, ergeben sich die Use Cases häufig aus abgrenzbaren Teilprozessen in bestehenden Systemumgebungen. Die Use Cases werden daher überwiegend durch die Einbeziehung der am Prozess beteiligten Mitarbeiter identifiziert, die hierzu mit der RPA-Technologie und der Arbeitsweise im Projekt vertraut gemacht werden. Hierdurch gelingt es deutlich schneller Anwendungsfälle zu finden, als dies durch eine umfassende Prozessanalyse möglich ist. Gleichwohl muss das Projektteam sicherstellen, dass die Anwendungsfälle im gesamten Prozessablauf und den bestehenden Systemen gesehen werden, auch in Hinblick auf Optimierungsmöglichkeiten, die zukünftig über den betrachteten Anwendungsfall hinaus entstehen oder die gegebenenfalls an anderer Stelle besser erreicht werden können. 1 . Schritt: Durchführung von Potenzialworkshops je Prozessbereich 2. Schritt: Auswahl der Use Cases für die erste Entwicklungswelle 3. Schritt: Validierung der ausgewählten Use Cases anhand von Prozessworkshops 4. Schritt: Erstellung der detaillierten Prozessbeschreibung 5. Schritt: Agile Softwareentwicklung 6. Schritt: User-Acceptance-Test 7. Schritt: Soft-Release mit Hypercare 8. Schritt: Volle Produktivsetzung Ausgehend vom gemeinsamen Prozessverständnis wurden in den Potenzialworkshops die Kriterien für ein hohes Automatisierungspotenzial eines Prozesses erklärt. Die Mitarbeiter und das RPA-Team haben so gemeinsam Ideen für geeignete Anwendungsfälle abgeleitet und bewertet. Im zweiten Schritt wurden alle identifizierten Use Cases verglichen und die Use Cases für die erste Entwicklungswelle ausgewählt. Im Rahmen eines Prozessworkshops (Schritt  3) mit den am Prozess beteiligten Mitarbeitern („subject matter experts“) wurden die ausgewählten Use Cases validiert, d. h. Prozessvarianten aufgenommen und die Prozessstabilität und ‑komplexität auf RPA-Umsetzung hinterfragt. Darauf aufbauend wurde im Schritt 4 mit den Mitarbeitern die detaillierte Prozessbeschreibung erstellt. Im Rahmen einer agilen Softwareentwicklung (Schritt 5) wurden die Mitarbeiter laufend einbezogen

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und die entwickelten Teilautomatisierungen durchgesprochen. Nach Entwicklung der Automatisierung haben die Mitarbeiter mit dem RPA-Team User-Acceptance-­ Tests durchgeführt und dokumentiert (Schritt 6). Aufgrund möglicher Abweichungen zwischen Test- und Produktivsystem und möglicher Entwicklungs- und Testlücken wurde der Soft-Release-Termin gemeinsam mit den Prozessverantwortlichen festgelegt, um Risiken für den Betrieb möglichst gering zu halten (Schritt 7). In der Hypercare-Phase wurden der Output der Automatisierung von den Mitarbeitern überwacht und Produktionsprobleme direkt mit dem RPA-Team besprochen und behoben. Nach voller Produktivsetzung als letzter Schritt bestimmen die Prozessverantwortlichen den Einsatzplan der RPA-Technologie. In der Regel wurden die RPA-Automatisierungen so flexibel entwickelt, dass die Mitarbeiter über Konfigurationsdateien den Roboter selbst anpassen können. Im Rahmen der Projektarbeit wurden außerdem Anwendungsbeispiele für einfachere Automatisierungsschritte mit Visual Basic for Applications (VBA) identifiziert, die verhältnismäßig einfach und sicher durch Sachbearbeiter selbst eingesetzt werden können. Hierzu wurden für Mitarbeiter aus allen Bereichen Schulungen durchgeführt. Der Einsatz von VBA wird durch das Projektteam begleitet und durch Abnahme der konkreten Anwendungen qualitätsgesichert. Neben dem Ziel, die Prozesseffizienz und -qualität unmittelbar zu erhöhen, erlaubt der Einsatz von RPA, weitere Leistungen anzubieten, die bisher in anderen Bereichen manuell durchgeführt werden oder zu aufwendig waren (z. B. Auswertungen und Analysen für Controlling, Einkauf oder Vertrieb). Ferner bestätigen die ersten Erfahrungen, dass die Sachbearbeiter stärker an der Optimierung der Prozesse und der Erbringung weiterer Leistungen beteiligt werden können. Hierzu war es zunächst wichtig, Mitarbeiter zusammenzubringen, die jeweils Erfahrungen mit den bestehenden Prozessen und mit der RPA-Technologie mitbringen. Außerdem zeigte sich, dass die Fähigkeiten der Führungskräfte, Prozesse, Projekte und Veränderungen in den Buchhaltungsteams zu managen, stärker gefordert werden. Dies wird auch für weitere Entwicklungsstufen digitaler Technologien bis hin zum Einsatz von KI gelten. Neben den Erfahrungen im technischen Umgang mit diesen Technologien sind unter Führungsgesichtspunkten bei den BeAS insbesondere die Entwicklung von Mitarbeitern und die Beteiligung der Organisation an umfassenden Veränderungs- und Innovationprozesse wichtig. Leadership und Kompetenz machen den Unterschied Unternehmensprofil BASF Chemie für eine nachhaltige Zukunft – dafür steht BASF. Wir verbinden wirtschaftlichen Erfolg mit dem Schutz der Umwelt und gesellschaftlicher Verantwortung. In der BASF-Gruppe arbeiten 117.628 Mitarbeiter daran, zum Erfolg unserer Kunden aus nahezu allen Branchen und in fast allen Ländern der Welt beizutragen. Unser Portfolio haben wir in sechs Segmenten zusammengefasst: Chemicals, Materials, Industrial Solutions, Surface Technologies, Nutrition & Care und Agricultural Solutions. BASF erzielte 2019 weltweit einen Umsatz von rund 59,3 Mrd. €.

Die vier Shared-Services-Standorte der BASF wurden Anfang 2016 zu einer globalen Organisation zusammengeführt. Die Standorte erbringen mit ihren gut 3.000 Mitarbeitern Services in den Bereichen Finance, HR, Procurement, Controlling sowie Environmental, Health and Safety. Jeder der vier Standorte entstand un-

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abhängig und entwickelte eigene Traditionen und Regeln. Mit dem Zusammenschluss wurden viele übergreifende Teams und Rollen geschaffen, um als eine Organisation näher zusammenzurücken. Im anschließenden Strategieprozess spielten der digitale Wandel und die Möglichkeiten neuer Technologien entscheidende Rollen. Wir sind zu der Erkenntnis gelangt, dass unsere bisherigen Führungs- und Entscheidungsstrukturen nicht geeignet sind, um diesen Wandel erfolgreich zu gestalten. Dies hat zu einigen wesentlichen Veränderungen in unserer SSO geführt. Die erste wesentliche Erkenntnis ist: Der digitale Wandel kommt in einer enormen Geschwindigkeit und erfasst alle geschäftlichen Aktivitäten. Die klassischen Aktivitäten in Shared Services sind hier besonders früh und in besonders hohem Maß betroffen. Dieser Geschwindigkeit begegnen wir als Organisation mit dem Leitbild, dass alle 3.000 Mitarbeiter die Veränderung aktiv mitgestalten. Jeder Einzelne ist in der Rolle, die Herausforderungen und Chancen in seinem Umfeld zu sehen, zu begreifen und für den Geschäftserfolg der BASF Gruppe zu nutzen. Mitarbeiter, die Chancen der Digitalisierung nutzen sollen, müssen vielfältig befähigt werden. An erster Stelle steht dabei Transparenz über alle Daten und Informationen, die verfügbar oder notwendig sind, um zu beurteilen und zu entscheiden. Wir haben dazu eine Plattform geschaffen, auf der sich Mitarbeiter austauschen, ihr Wissen teilen und auf der alle Daten zu unseren Geschäftsprozessen transparent gemacht werden. Alle 3.000 Mitarbeiter haben gleichermaßen Zugang zu dieser Plattform. Die zweite wesentliche Erkenntnis ist: Die tiefgreifende Veränderung der Organisation kommt nicht durch ein Konzept, eine Strategie oder die dringende Aufforderung des Managements. Unser Weg zur Veränderung ist die ständige Offenheit zum Experimentieren. Ein erstes Experiment zu Transparenz von entscheidungsrelevanten Informationen war die Einführung von RPA. Am Anfang stand das Angebot einer externen Beratung, das Thema und die Potenziale im Rahmen einer Managementpräsentation vorzustellen. Wir haben uns kurzerhand entschieden, den externen Experten vor einer Kamera präsentieren zu lassen und haben alle Mitarbeiter zu dieser Online-Präsentation eingeladen. Im Nachgang haben wir wöchentlich über Fortschritt und neue Erfahrungen mit der Technologie in globalen Videokonferenzen berichtet. Heute verbreiten wir den Stand zu neuen Technologien auf unserer gemeinsamen Plattform, auf die alle Mitarbeiter zugreifen können. Ein anderes Experiment war die Entwicklung und Einführung eben jener globalen Plattform. Entgegen unseres üblichen Vorgehens in der Entscheidungsfindung haben wir ein kleines Team zusammengestellt, das möglichst divers unsere globale Organisation mit ihren verschiedenen Mitarbeitern und allen notwendigen funktionalen Expertisen abdeckt. Der Auftrag an dieses Team war die Einführung einer globalen Plattform zum Austausch und zur Schaffung von Transparenz, die die Mitarbeiter tatsächlich nutzen und die sie begeistert. Dem Team wurde ein Sponsor aus dem Management zur Seite gestellt. Der Anfang war nicht einfach. Das Team war verwirrt über das neue Vorgehen. Das Fehlen einer Führungskraft im Team ließ die Organisation und die nächsten Schritte zunächst völlig offen. Im ersten Meeting mit dem Sponsor nach vier Wochen hatte sich das Team gerade gesammelt. Der entscheidende Durchbruch war aber bereits gelungen. Anstelle einer Präsentation mit der Bitte um Bestätigung oder Freigabe informierte das Team über seine erste Entscheidung. Der

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Sponsor wurde informiert, dass die vom Management der Service Organisation freigegebene und bestellte Softwarelösung für eine globale Plattform als ungeeignet erachtet wird und der Bestellvorgang beendet wurde. Die anfallenden Kosten würden gerade analysiert und das Team hätte eine bessere und insgesamt günstigere Lösung vor Augen. Am Ende dieser Entwicklung steht die Einführung einer globalen Plattform, die tatsächlich begeistert und mittlerweile nicht nur bei den Mitarbeitern der SSO für Enthusiasmus sorgt. Wir stellen die Rolle von Führung auch in weiteren Experimenten infrage. In ersten Teams haben wir gute Erfahrungen mit der Rekrutierung von Führungskräften durch die betroffenen Mitarbeiter gemacht. Dies ist sowohl für die Führungskraft als auch für die Mitarbeiter ein sehr lehrreicher Prozess. Die dritte wesentliche Erkenntnis ist: Auch eine befähigte Organisation, in der alle Mitarbeiter nach den bestmöglichen Lösungen suchen, braucht gute Führung. Wir haben uns auf dem Weg des digitalen Wandels in vielen Dialogen die Frage kritisch gestellt und sie wurde auch von Mitarbeitern an das Management gerichtet: Brauchen wir noch Führungskräfte? Unsere klare Antwort lautet mittlerweile: Ja, wir brauchen Führungskräfte! Wir haben uns dann auf den Weg gemacht und in der Organisation breit erarbeitet, was wir unter guter Führung verstehen. Dabei war uns das Projekt Oxygen von Google eine große Hilfe. Unser Verständnis von Führung hat sich grundlegend gewandelt und wir sind dabei, dies auch in der Organisation zu verankern. Eine gute Führungskraft coacht und begleitet ein Team. Eine gute Führungskraft hört zu und entwickelt das eigene Team. Eine gute Führungskraft kann bei den täglichen Problemen der Mitarbeiter mitreden. Sie gibt Feedback, das die Mitarbeiter umsetzen können, und sie formuliert anspruchsvolle Ziele für das eigene Team. Führungskräfte bleiben in unserem Verständnis damit auch für die erfolgreiche Einführung von Technologie und die Ergebnisse in der Bearbeitung der Geschäftsprozesse verantwortlich, unabhängig davon, ob einzelne Aktionen von einem Mitarbeiter oder einer Maschine ausgeführt werden. Wir haben unser Führungsverständnis in einem Katalog mit zehn grundlegenden Faktoren guter Führung niedergelegt. Alle disziplinarischen Führungskräfte der Globalen Shared Service Organisation (GSSO) erhalten auf dieser Basis zweimal im Jahr Rückmeldung von ihren Mitarbeitern. Die Ergebnisse veröffentlichen wir in aggregierter Form natürlich auch auf unserer globalen Plattform. Gleichzeitig arbeiten wir an der Reduzierung von Hierarchie und einer schnelleren Entscheidungsfindung so tief in der Organisation wie nur eben möglich. Ein wichtiges Prinzip in diesem Prozess ist das Verständnis, dass niemand eine wichtige Entscheidung allein treffen sollte. Die Vision unserer GSSO greift alle unsere Erfahrungen auf. Wir haben unser Handeln an vier Jetstreams ausgerichtet, die Veränderungen in der Organisation beschleunigen. 1. Alle Mitarbeiter, und dazu gehören auch die Führungskräfte, machen den Unterschied. Zusammenarbeit über funktionale und organisatorische Grenzen hinweg und gute Führung sind hier entscheidende Faktoren. 2. Die flexible und breite Anwendung von Technologie definiert in Zukunft die Wettbewerbsfähigkeit von Shared Services. Wir experimentieren in allen Ar-

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beitsgebieten mit neuer Technologie und erweitern die Expertise in unserer Belegschaft. 3. In einer digitalen Zukunft ist die Kompetenz der Mitarbeiter ein entscheidender Faktor. Klassische Erfolgsfaktoren in Shared Services werden dadurch nachhaltig verändert. 4. Shared Services dienen dem operativen Geschäftserfolg. Mit kompetenten Mitarbeitern und flexibler Technologie ist die Ausrichtung am operativen Geschäft der Kern unserer Vision. Diskussion Einleitend wird darauf verwiesen, dass von einer transformationalen Führung positive Effekte erwartet werden. In diesem Abschnitt interessiert insbesondere der Zusammenhang zwischen transformationaler Führung und Innovation. Schon früh wurde spekuliert, dass transformationale Führung zu höherer i. S. v. vermehrter Innovation führt. Beispielsweise verbindet sich mit der Dimension „geistige An­ regung“ (Abb. 3.7) die Erwartung, dass sie die Kreativität und die Innovationsfä­ higkeit von Mitarbeitern steigert (vgl. Bass 1999, S. 11). Auch wenn es einzelne empirische Befunde gibt, die einen solchen positiven Zusammenhang bestätigen (z. B. Jung et al. 2003), zeichnen Metaanalysen ein deutlich komplexeres Bild der Zusammenhänge, insbesondere verschiedene Mediatoren und Moderatoren können den Zusammenhang beeinflussen (vgl. Felfe 2006; Rosing et al. 2011). Übertragen auf den in diesem Abschnitt fokussierten Kontext, ist daher vor einer verkürzten Sicht auf diese komplexen Zusammenhänge zu warnen. Auch wenn hier betont wird, dass wissensbasierte Aufgaben zunehmen, folgt daraus nicht, dass die transaktionsbasierten Aufgaben wegfallen. Sie werden nur zunehmend durch automatisierte Systeme übernommen. Daraus folgt, dass die effiziente Bewältigung dieser Aufgaben weiterhin das Selbstverständnis von SSC und die Erwartungen der Geschäftseinheiten mitprägen wird (vgl. Schwarz 2018, S. 180 f.). Somit gilt festzuhalten, dass neben der Entwicklung von dynamischen Fähigkeiten die operativen Fähigkeiten des Unternehmens nicht vernachlässigt werden sollten (vgl. Schoemaker et al. 2018, S. 17 f.). Für die Führung von SSO besteht daher die Herausforderung, beide Aufgaben im Blick zu haben. Mit der Ambidexterität ist eine solche Balancierung von Bestehendem und Neuem benannt, d. h. operative Exzellenz und Innovationsfähigkeit sind gleichzeitig zu verfolgen (vgl. Gibson und Birkinshaw 2004). Dies wirkt sich dementsprechend auf die Führung von SSO aus, d.  h. es sollte eine dementsprechende Strategie der Ambidexterität vorhanden sein, auf die sich das Management verständigt hat, und es sollte eine Abstimmung zwischen den Ressourcen stattfinden, um sie effektiv und effizient zu nutzen (vgl. O’Reilly III und Tushman 2011, S. 10 ff.). Im Fallbeispiel von Bertelsmann zeigt sich, dass eine weitere dynamische Fähigkeit von Relevanz für die digitale Transformation ist. Führungskräfte fördern in allen Phasen der Einführung von RPA-Technologien die Zusammenarbeit zwischen Mitarbeitern, Führungskräften und weiteren externen Experten (vgl. Allred et  al. 2011). Sie ist direkt mit der wichtigen Dimension der transformationalen Führung

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verbunden, mit der Mitarbeiter angeregt werden, neue Ideen und Lösungen zu suchen und anzuwenden (vgl. Felfe 2006, S. 164). Kontextabhängige Führung nimmt auf diese Befunde Rücksicht und zeigt Tendenzen auf, in welchen Kontexten eine transformationale Führung als angemessen angesehen werden kann. Erste Studien zeigen, dass die in diesem Abschnitt angesprochene Bedeutung von Führungskräften ernst genommen werden muss: Ihre Identifikation mit der Organisation ist eine wesentliche Einflussgröße für die Innovationsfähigkeit von Mitarbeitern (vgl. Deichmann und Stam 2015). Im Fallbeispiel von BASF wird ferner darauf verwiesen, dass für erfolgreiches Handeln im SSC Führungskräfte weiterhin benötigt werden, allerdings den Mitarbeitern vom Team mehr Verantwortung übertragen wird und sie bei der Auswahl und Beurteilung ihrer Teamführung eine Mitentscheidungsrecht eingeräumt wird. Beides sind typische Merkmale von agilen Organisationsstrukturen: flachere Hie­ rarchien und Entscheidungsdezentralisation insbesondere in zunehmend selbstständig geführten Teams (vgl. Scheller 2017, S.  171 ff.). Dies leitet zum nächsten Schwerpunkt dieses Kapitels über: der Auswirkung der digitalen Transformation auf die Organisation von SSC in Unternehmen.

3.2

 rganisation digitaler Human Resources O Shared Services

3.2.1 W  andel und Weiterentwicklung der Shared Service Organisation Wie hat sich die Organisation von Shared Services in den letzten Jahren entwickelt und welche zukünftigen Trends sind absehbar? Mit dem Fähigkeitsansatz, der neben der Rekonfiguration bestehender Ressourcen insbesondere die innovativen (dynamischen) Fähigkeiten betont, lassen sich zwei Entwicklungslinien von SSC aufzeigen, die bei den in diesem Kapitel behandelten Fällen eine große Rolle spielen und in denen die digitale Transformation ein wesentlicher Treiber ist: 1. von der funktionalen Organisation der SSO zur Global Business Service Organisation, 2. die SSO als aktiver Partner in Transformationsprozessen. Zunächst sind die Entwicklungsschritte der Organisation von Shared Services zu skizzieren. Ursprung von SSO ist die Einsicht, dass dezentral verteilte Dienstleistungen, insbesondere in multinational aufgestellten Unternehmen, mit einer Reihe von Nachteilen verbunden sind, die durch die Einführung von SSO vermieden werden. Angestrebt wird eine Kostenreduktion durch die Skalierung von transaktionalen Prozessen verbunden mit einer Qualitätsverbesserung der Dienstleistungen (vgl. Brühl et al. 2017, S. 3 f.). Organisatorisch wird dies durch funktional spezialisierte SSO realisiert, wie z.  B.  SSO für Rechnungswesen, Finanzen, IT oder Personal (HR). Nach diesem ersten Schritt einer isolierten Entwicklung funktionaler SSO

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folgte in vielen Unternehmen der Schritt zu einer multifunktionalen Organisation ihrer SSO (vgl. Suska und Weuster 2016, S. 27 f.). Sie zeichnen sich durch das gemeinsame Nutzen von Ressourcen und das allmähliche Entstehen von expertisebasierten Dienstleistungen (Center of Expertise) aus, die über die einzelnen Funktionen hinausgreifen. Multifunktionale SSO gelten jedoch nur als Zwischenschritt zu einer globalen Aufstellung von SSO: Sie werden als Global Business Service Organisation (GBSO) bezeichnet. Die Digitalisierung ist ein Treiber dieser Entwicklung. So lassen sich durch gemeinsame Ressourcennutzung, wie z. B. dem Cloud-Computing und gemeinsamen Serviceplattformen, Wertbeiträge für das Unternehmen schaffen (vgl. Arbeitskreis Shared Services 2018, S. 37). Auch die bereits in der multifunktionalen Organisationsform angelegte Entwicklung zu einer vermehrten End-to-End-­ Perspektive wird maßgeblich durch die Digitalisierung getragen, denn durch die hohe Standardisierung ist eine Automatisierung einzelner Prozessschritte vorbereitet (vgl. Suska und Weuster 2016, S. 21). Eine GBSO zeichnet sich daher durch eine umfassende Übernahme von Dienstleistungen im Unternehmen aus, die konsequent auf die End-to-End-Perspektive ausgerichtet, in hohem Maß integriert und zunehmend durch expertisebasierte Dienstleistungen geprägt sind. Voraussetzung für die Einführung eines GBSO ist eine entsprechende Digitalisierungsstrategie. Hierfür sind ERP-Systeme ebenso unabdinglich wie digitale Plattformen, die häufig als Cloud-Lösungen realisiert werden. Es zeigt sich, dass die Rekonfiguration der Ressourcen zu den wesentlichen Fähigkeiten erfolgreicher SSO gehört. Im engen Zusammenhang mit dieser Entwicklung verschiedener Organisationsformen von SSC stehen die Wandlung des Aufgabenspektrums, eine zunehmend wissensbasierte (expertiseorientierte) und somit innovationsorientierte Auffassung von Business Services. Im folgenden Fall wird eine innovative Rolle von SSO beschrieben und somit die einleitend aufgezählte Funktion aufgegriffen, dass SSO aktive Partner in Transformationsprozessen sein können. Das folgende Beispiel von Bayer zeigt eindrucksvoll, wie eine SSO in einem umfassenden Transformationsprozess, wie einem Zusammenschluss von Unternehmen, eine zunehmend aktive Rolle übernimmt.

3.2.2 B  usiness Transformation- und Mergers and Acquisition Support in automatisierten Human Resources Operations – von funktionaler Dienstleistung zum integrierten Wertbeitrag Unternehmensprofil Bayer Bayer ist ein weltweit tätiges Unternehmen mit Kernkompetenzen auf den Life-Science-Gebieten Gesundheit und Ernährung. Mit seinen Produkten und Dienstleistungen will das Unternehmen den Menschen nützen, indem es zur Lösung grundlegender Herausforderungen einer stetig wachsenden und alternden Weltbevölkerung beiträgt. Gleichzeitig will der Konzern seine Ertragskraft steigern sowie Werte durch Innovation und Wachstum schaffen. Bayer bekennt sich zu den Prinzipien der Nachhaltigkeit und steht mit seiner Marke weltweit für Vertrauen, Zuverlässigkeit und Qualität. Im Geschäftsjahr 2019 erzielte der Konzern mit rund 104.000 Beschäftigten einen Umsatz von 43,5 Mrd. €. Die Investitionen beliefen sich auf 2,9 Mrd. € und die Ausgaben für Forschung und Entwicklung auf 5,3 Mrd. €.

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Der Wandel in Shared Service Organisationen Vorbei sind die Zeiten, in denen Operationsfunktionen im Konzern ausschließlich als rein transaktionale Umsetzer funktionaler Geschäftsprozesse genutzt wurden. Skalierte Prozesse, effizient gestaltete Schnittstellen und smarte Systemlösungen sind neben Mitarbeitern mit entsprechend generalistischer Expertise noch immer die Basis vieler SSO (vgl. Fincher et al. 2013). Konzerne, wie im folgenden Beispiel die Bayer AG, erwarten weitere Wertbeiträge von ihren SSC. Sie benötigen agile, lernende Operationsfunktionen, die neben ständiger Verbesserung von Effizienz und Qualität im operativen Tagesgeschäft auch das gestalterische Potenzial und Engagement aufbringen, sich flexibel und schnell auf sich verändernde Geschäftssituationen und -modelle auszurichten und vertrauensvolle Partner mit funktionsübergreifender Expertise und digitalem Weitblick sind. Als Partner der Geschäftseinheiten leisten konzerninterne Operationsfunktionen heute einen wichtigen End-to-End-Wertbeitrag zu Operational Excellence, d. h. der bestmöglichen Gestaltung und Umsetzung aller geschäftsunterstützenden Prozesse, und Digital Enabling, d. h. der Gestaltung innovativer, digitaler Geschäftslösungen. Sie übernehmen darüber hinaus auch umfangreiche Verantwortung für die Sicherstellung von Unternehmenstransformationen (vgl. SSON Analytics 2018, S. 9). Transformationen – Herausforderungen und Gewinn zugleich Der Wertbeitrag einer integrierten Operation gilt insbesondere für die Gestaltung und Ausführung von Transformationsprojekten. Solche Veränderungen sind nicht mehr nur Ausnahmesituationen, die alle paar Jahre vorkommen  – Mergers-and-­ Acquisition(M&A)-Aktivitäten und Portfoliomanagement sind heute zumeist ein Kernelement der Geschäftsstrategie und damit auch Teil des damit verbundenen operativen Geschäfts. Entscheidend ist der Anspruch, den eine Organisation im Kontext von M&A-­ Aktivitäten an die wertschöpfende Kompetenz ihrer Operations stellt: Traditionell erfolgt die Einbindung nachrangig und fokussiert sich auf transaktionale Notwendigkeiten zur Sicherstellung der Post Merger Integration. Inhaltliche Anpassungen – etwa im Prozessdesign – werden dann nicht holistisch, sondern erratisch gehandhabt und sind als Workaround weder effizient noch effektiv. So entstehen Pfadabhängigkeiten, die alle folgenden Transformationen nur noch weiter komplizieren. Auch auf Mitarbeiterseite führt das zu Unmut – die Employee Experience leidet unter Prozessfragmentierung und zeitlicher Verzögerung. Die Rolle der Operations unterliegt im Ergebnis einer Metamorphose: Dort sind nicht mehr nur die Auswirkungen einer Transformation spürbar, sondern ist unmittelbare Mitgestaltung erforderlich (vgl. Chandok et al. 2016, S. 4 ff.). Eine Spezialisierung auf Projektaktivitäten zur Unterstützung von Transformationsprozessen rückt mehr und mehr in den Mittelpunkt, bei gleichzeitigem Anspruch auf qualitätsorientiertes Tagesgeschäft. Um hier beiden Anforderungen gerecht werden zu können, werden zunehmend die Chancen der Digitalisierung genutzt. So bieten neue Technologien vielfältige Möglichkeiten Services anders und automatisierter abzuwickeln (Abb.  3.8). Beispielsweise werden über RPA diverse

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Standardaufgaben zunehmend von Bots gesteuert. Chatbots übernehmen die Individualkommunikation in den Front Offices für Standardfragen und Technologien der KI helfen dabei, Kandidaten und Bewerbungen zu begutachten sowie individualisierte Trainingsaktivitäten vorzuschlagen. Digitalisierungsprojekte können zu einer positiven User Experience führen (vgl. Rodriguez 2018) und Mitarbeiter bekommen Raum für komplexere Tätigkeiten, z. B. im Kontext des M&A-Geschäfts. Bayer und Monsanto – eine multidimensionale Transformation Mit dem Erwerb von Monsanto gehört Bayer zu den weltweit führenden, innovativen Agrarunternehmen im Bereich Saatgut und Pflanzenschutzlösungen. Diese größte Übernahme in der Unternehmensgeschichte bedeutet auch für die HR- und HR-Operations-Funktion ein gigantisches Projekt: Es wurden über 23.000 Mitarbeitende in 68 Ländern transferiert. Organisationskulturen und -strukturen, Kompetenz und Diversität, Vertragskonditionen und Serviceleistungen und die dahinterliegenden Prozess- und Systemarchitekturen wurden im Rahmen von Due Diligence und Integrationsplanung analysiert, abgeglichen und zur Integration vorbereitet. Target State Scenario und Fit-Gap-Analyse weisen den Weg zur Umsetzung und globalen Implementierung. Dies erfordert ein hohes länderübergreifendes Engagement vieler Beteiligter: im Projektmanagement, in der Prozessgestaltung und nicht zuletzt in der Implementierung, z. B. von Mitarbeiterstammsätzen, Organisationsund Kostenstellenstrukturen sowie Berechtigungskonzepten. Der erlebbare Wertbeitrag einer HR Operations schlägt sich spätestens am sog. Tag 1 in einer positiven Mitarbeitererfahrung nieder. Dann nämlich, wenn sich Beschäftigte beider Unternehmenshistorien unter einer gemeinsamen E-Mail-­ Adresse, in einer gemeinsamen Organisationsstruktur und mit Zugang zu ersten gemeinsamen Serviceangeboten in einem integrierten Portal wiederfinden. Dies sind beispielsweise eine globale Jobbörse des Unternehmens oder Lern- und Weiterbildungsangebote, die von allen Mitarbeitern gleichermaßen genutzt werden können.

Abb. 3.8  Automatisierungsgrad der Human Resources Services bei Bayer (Bayer AG)

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Pre-Merger-Aktivitäten als zusätzlicher Komplexitätstreiber Pre-Merger-Aktivitäten sind eine weitere wichtige Komponente für eine erfolgreiche Übernahme. Im Fall der Monsanto-Akquisition hat Bayer erstmals eine sog. Carve-out-Solution aufgesetzt. Aufgrund der Auflagen der Wettbewerbsbehörden zur Übernahme von Monsanto musste Bayer Crop-Science-Geschäfte veräußern. Über eine lange Zeit war offen, welche Geschäfte konkret abgegeben werden mussten und wer für deren Übernahme infrage kommen könnte. Die Geschäftsfelder konnten einzeln oder insgesamt an einen strategischen Investor mit entsprechender Infrastruktur oder an einen Finanzinvestor abgegeben werden. Gleichzeitig war klar, dass wenig Zeit für Carve-out und Übernahme seitens des Käufers zur Verfügung stehen würde. Eine nachrangige Beteiligung von HR Shared Services würde hier schnell an ihre Grenzen stoßen. Daher definierte ein funktionsübergreifendes Team ein vollkommen neues, innovatives Konzept für den Carve-out, in dem die Operations-Funktionen eine wichtige Rolle spielten. Die mit den Geschäften der zu veräußernden Einheiten verbundenen Services wurden inklusive neu zu definierender Systeme und Prozesse – für HR-­ Prozesse, IT, Beschaffung sowie Finanzen und Accounting – vorab aus der Bayer-­ Welt herausgelöst, als autonome Einheit aufgestellt und durch einen externen Service-­Provider versorgt. Mit Übergabe dieser autonomen Einheiten konnte der Käufer diese vollkommen unabhängig von Bayer betreiben. Ein solches Hand-over ist kein einfaches Unterfangen, insbesondere dann, wenn der Blueprint einer aufnehmenden Organisation (noch) nicht existiert. Hier sind neben einer umfangreichen Prozess-, Schnittstellen- und Projektkompetenz auch Geschäftskontext und Bedarfseinschätzung gefragt, verbunden mit Expertise zu relevanten rechtlichen Anforderungen in unterschiedlichen Ländern und Unternehmensformen. Eine kompetente, global aufgestellte Projektorganisation im abgebenden Unternehmen ist dafür erfolgsentscheidend. Mit dem Blueprint der Carve-out-Solution kann schnell und flexibel reagiert werden – und das bereits vor Vertragsunterzeichnung. Dieses Vorgehen liefert also zusätzliche Kaufargumente und sorgt dafür, dass das abzugebende Geschäft am Markt noch attraktiver wird. Denn der Clou ist, dass der Käufer nun selbst entscheiden kann, wie er nach dem Kauf die Integration seinerseits weiterführt. Er hat beispielsweise keinen so hohen Zeitdruck und kann in Ländern, in denen er noch nicht präsent ist, agieren, ohne eine zusätzliche eigene Unternehmensstruktur aufbauen zu müssen. Zusammenfassend sind aus dem oben genannten Fallbeispiel folgende Trends ableitbar: • Geschäftstransformationen sind nicht mehr nur Ausnahme, sondern Regel • Gestaltung von Veränderung (bezüglich Konditionen/Angeboten/Prozessen/Systemen) geht mit Implementierung und Ausführung einher (Employee Experience) • Operations-Funktionen können einen integrierten Wertbeitrag leisten: –– länder-, gesellschafts- und funktionsübergreifend –– gestaltungs- und ausführungsübergreifend

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–– agil und effizient • Digitalisierung hilft, Prozessabläufe zu standardisieren und gleichzeitig Leistungsangebote im Sinn einer positiven User Experience zu segmentieren und zu individualisieren Schauen wir noch einmal zurück auf das traditionelle Verständnis der Operations-­ Funktionen: Wurde früher von Transformationsaktivitäten oder M&A gesprochen, waren die ausführenden Parteien erst sehr spät involviert. Lediglich der reine Umsetzungspart stand hier auf dem Plan. Pakete mit Guidelines, Strukturen, Prozessdesign etc. wurden vorbereitet und an das SSC übergeben. Und was passierte dann? Erst während der Implementierung wurden Widersprüche oder ineffiziente Services identifiziert, was wiederum zur Nachbesserung im Design mündete. Dieser Kreislauf war zeitweise sehr aufwendig und führte zu Unverständnis bei den Mitarbeitenden. Demnach war es konsequent, dass die Operations-Funktionen als kompetenter Partner in der Begleitung und Implementierung von Transformationsprojekten etabliert und frühzeitig mit am Tisch sitzen muss. Bei Bayer wurde dieser Wertbeitrag erkannt – und der Erfolg in jüngsten Transformationen aus den letzten vier Jahren bestätigt diesen Ansatz. Die Abb. 3.9 gibt einen Überblick über die Transformationen bei Bayer. HR Operations bei Bayer vereint damit heute in der Implementierung von Geschäftstransformationen und M&A zwei gleichermaßen herausfordernde Verantwortungsfelder: Die Sicherstellung des laufenden Servicegeschäfts auf der einen Seite und die effektive Integration bzw. den Carve-out zusätzlichen Servicebedarfs bzw. -umfangs auf der anderen Seite, getreu dem HR Purpose bei Bayer: „We enable our people to create a better life“.

Abb. 3.9  Einschlägige Transformationen bei Bayer der letzten Jahre mit Fokus auf den Beitrag von HR Operations (Bayer AG)

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Chancen für den Konzern sind Chancen für den Mitarbeiter Der neue Fokus von HR Operations und die enorme Bandbreite an Aufgaben, im Rahmen klassischer HR-Prozesse und Transformationsprojekte, bieten auch den Mitarbeitern der HR Operations viele neue Anreize und Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln (vgl. Neumann 2018). Derzeit sind etwa 20 % der Beschäftigten des HR SSC in Projekten eingesetzt. Die HR-Operations-Funktion unterstützt das Business zudem bei Prozessdesign- und Projektaktivitäten. On-the-Job werden im Rahmen einer Talentpipeline notwendige M&A-Kompetenzen projektbezogen und länderübergreifend entwickelt. Bayer fördert Mitarbeitende dabei systematisch. Talentierte Beschäftigte haben die Möglichkeit, an kleineren und größeren Projekten mitzuwirken und dabei im Tandem mit einem erfahrenen Kollegen zu arbeiten. Im nächsten Schritt übernehmen sie dann erste eigene Verantwortungsbereiche in einem Projekt. Das stellt in Summe einen hohen Qualitätsstandard sicher und bringt gleichzeitig auch frischen Wind und neue Ideen ein. Mittlerweile wurde zudem eine funktionsübergreifende Post-Merger-Integration(PMI)-Community bei Bayer aufgesetzt. Die Mitwirkung daran erweitert den Erfahrungsschatz von Operations noch stärker. Auch ein PMI-Playbook, das Methoden, Formate, Inhalte und Wege eines üblichen Vorgehens beschreibt, hilft sowohl neuen als auch erfahrenen Projektmanagern, ihr Know-how zu erweitern. Die Experten der Community arbeiten eng mit anderen Bereichen zusammen, wie etwa Business Analytics oder internen Strategieabteilungen. Dies erlaubt vielfach eine frühzeitige Einbindung in die Analysephase von Projekten, sodass Unternehmensbewertungen, Due-Diligence-Analysen und der Scope möglicher Transformationsund Integrationsprojekte von Anfang an unterstützt und bewertet werden können. Nicht nur die fachliche Expertise kann mit jedem Projekteinsatz ausgebaut werden. Funktions- und länderübergreifende Arbeit erweitert auch den persönlichen Horizont. Zudem erschließen sich neue generalistische Kompetenzfelder, etwa im Projekt- und Prozessmanagement, im Veränderungsmanagement, im Bereich digitaler Entwicklung und Anwendung sowie im Kontext virtueller Führung und Zusammenarbeit. Begleitende Interventionen wie Coaching, Mentoring, Shadowing, International Assignments, Learning & Training Academies, Communities & Tutorials runden die On-the-Job-Entwicklung ab. Mit diesem integrierten Entwicklungskonzept können erfahrene Kollegen ihr Wissen weitergeben und die operative M&A-Kompetenz für das Unternehmen nachhaltig sicherstellen und ausbauen. Ressourcen, Netzwerke und Perspektiven werden aufgebaut, ganz unabhängig von Strukturen und Hierarchien und Prioritäten des Tagesgeschäfts. Was bringt die Zukunft? Effizienz, Qualität und Engagement werden weiterhin die Zutaten sein für den Wertbeitrag einer Funktion im Konzern, die sich der Employee Experience verschrieben hat. Die Dosis dieser Zutaten und damit die Rezeptur für den Wertbeitrag ändert sich, abhängig zum einen vom Geschmack, d. h. den Erwartungen der Beschäftigten im Unternehmen, und zum anderen von den Anforderungen des Unternehmens, dem „fit for purpose“ im jeweiligen wirtschaftlichen Kontext (Abb. 3.10).

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Entwicklungsfähigkeit und Veränderung im Konzern werden zum neuen „base case“ bzw. Tagesgeschäft einer integrierten Operations. Dabei stehen neben Prozesskompetenz auch Nutzersegmente und deren Bedarfe im Vordergrund. Neue Rollen im Kontext User Experience und Engagement ergänzen Kompetenz in Transformation und Digital Enabling. Die Interaktion der Mitarbeiter in diesen Rollen erfolgt themen- und projektgesteuert in Netzwerken und Communities, länder-, funktions- und auch unternehmensübergreifend. Make-or-Buy-Entscheidungen werden im Kontext von Seeker-Solver-Ansätzen neu bewertet. HR Operations bei Bayer hat sich kontinuierlich vom funktionalen Dienstleister zum Partner entwickelt, der einen integrierten Wertbeitrag liefert, zum ersten im klassischen Kompetenzfeld des operativen Personalmanagements im Kontext von Operational Excellence und des SSC Delivery Networks des Konzerns, zum zweiten im Bereich Business Transformation und M&A: Hier hat sich HR Operations als kompetenter Partner der Geschäftsfelder bewiesen, der in zentralen Projekt- und Transformationsthemen eine jederzeit flexible und agile Einsatzgestaltung relevanter HR-Ressourcen erlaubt. Automatisierung und Digitalisierung sind ein dritter zen­ traler Erfolgsfaktor, der weiter ausgebaut wird, um Effizienz und Employee Experience bei Bayer dynamisch voranzubringen. Diskussion Das Fallbeispiel der HR Operations von Bayer zeigt, wie sich das Aufgabenspek­ trum im Zuge der Digitalisierung weitet und wissensbasierter Lösungskompetenz ein höherer Stellenwert zukommt. Mit der Transformationsfähigkeit einer Organisation ist eine zentrale dynamische Fähigkeit angesprochen, die es dem Unternehmen ermöglicht, innovative Lösungen zu entwickeln, die für die erfolgreiche Transformation, z.  B.  Rekonfigurationen für einen Unternehmenszusammenschluss, notwendig sind (vgl. Maatman und Bondarouk 2014, S. 157 f.). Es zeigt sich am Beispiel von Bayer, dass hierfür eine veränderte Rolle im Unternehmen anzustreben ist. Damit die mit den veränderten Rollen von Organisationseinheiten verbundenen Vorteile erreicht werden, sind mehrere wichtige Aufgaben zu bewältigen:

Abb. 3.10  Fit for purpose to drive HR Operations @ Bayer (Bayer AG)

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1. Die SSC müssen ihre organisationale Identität ändern („Wofür stehen wir in Zukunft?“). Häufig ist die vorherige Rolle durch den überwiegend transaktionalen Charakter der Aufgaben geprägt. Damit geht einher, dass das SSC als Unterstützungsfunktion eine eher passive Rolle übernimmt. Während die anderen Geschäftseinheiten Wertbeiträge durch ihre aktiv gestalteten Marktleistungen für das Unternehmen erbringen, wird den SSC die Rolle zugeschrieben, die sich daraus ergebenden Verwaltungsleistungen möglichst effizient zur Verfügung zu stellen. Will das Management des SSC zu einer aktiveren Rolle wechseln, muss es dieses passive Selbstverständnis überwinden. 2. Die Geschäftseinheiten müssen ihre Wahrnehmung der Rolle der SSC ebenfalls ändern. Das Fallbeispiel illustriert dies für einen Unternehmenszusammenschluss, für den das SSC einen Teil der im Prozess notwendigen Auslagerungsaktivitäten übernommen hat. Mit diesem Wertbeitrag hat das SSC eine aktive Rolle übernommen, sich von der passiven Rolle eines transaktionsorientierten Centers gelöst und eine erste sichtbare und für das Unternehmen positive Konsequenz geschaffen. Dies wird die aktive Rolle unterstützen und bei den Geschäftseinheiten für Akzeptanz sorgen. Wenn die Geschäftseinheiten jedoch diesen Beitrag nicht erwarten, vielmehr weiterhin auf eine effiziente Umsetzung der transaktionsorientierten Rolle bestehen, entstehen häufig Insellösungen innerhalb der Geschäftseinheiten, deren Wertbeitrag für das Unternehmen fraglich ist (vgl. Meijerink und Bondarouk 2013). 3. All dies muss durch die zentrale Geschäftsführung unterstützt werden, denn ein Rollen- oder Leitbild der SSO ist ein zentraler Baustein der langfristigen Entwicklung von Unternehmen. Wenn die Geschäftsführung noch am alten Rollenbild von transaktionalen Dienstleistern festhält, behindert dies die Entwicklung der notwendigen dynamischen Fähigkeiten innerhalb der SSC (vgl. Maatman und Bondarouk 2014, S. 170). 4. Im Fallbeispiel liegt der Fokus auf den Transformationsfähigkeiten von SSC und es wird nur angedeutet, welche veränderten Anforderungen auf die Mitarbeiter und die Führungskräfte zukommen. Sie sind aber erklärtermaßen eine notwendige Voraussetzung für ein erfolgreiche Umsetzung des neuen Rollenbilds (s. hierzu ausführlich Abschn. 3.1.3 und 3.1.4). Es zeigt sich damit, dass dem Verhältnis zwischen Geschäftseinheiten und den SSC eine entscheidende Bedeutung zukommt. Sicherlich hat dieses Verhältnis viele relevante Aspekte, die aufeinander einwirken. In diesem Abschnitt fokussieren wir uns auf die veränderte Rolle von SSC, die mit der digitalen Transformation einhergeht und die von den Geschäftseinheiten auch wahrgenommen werden muss. Wenn dies geschieht und mithin das Verhältnis entsprechend angepasst wird, kann dies zu positiven Effekten führen: So zeigt sich, dass formale durch informale Controlling-­ Mechanismen ergänzt werden, um Vertrauensbeziehungen zwischen den Partnern zu entwickeln (vgl. Maatman und Meijerink 2017, S. 1311). Die Geschäftseinheiten haben somit Vertrauen in die Beziehung zum SSC, weil sie deren Vertrauenswürdigkeit, insbesondere in Bezug zu deren Fähigkeiten und Integrität, als hoch einschätzt (vgl. Mayer et al. 1995, S. 717 ff.).

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Der folgende Fall thematisiert diese Beziehungen unter dem Aspekt des Outsourcings und welche Auswirkungen dies u. a. auf Vertrauen innerhalb des Unternehmens hat.

3.2.3 F  remd- oder Eigenfertigung von Shared Services – Auswirkungen auf die Transformationskompetenz von Shared Service Centern Unternehmensprofil Linde Linde ist ein weltweit führendes Industriegase- und Engineering-Unternehmen mit einem Umsatz von 25 Mrd. EUR im Jahr 2019. Linde Gase werden in unzähligen Anwendungen eingesetzt, von lebensrettendem Sauerstoff für Krankenhäuser über hochreine und Spezialgase für die Elektronikfertigung bis hin zu Wasserstoff für saubere Brennstoffe und vieles mehr.

Entscheidungskriterien für einen Make-or-buy-Ansatz Für jede Leistung, die im Unternehmen erstellt wird, kann gefragt werden, ob diese Leistung vom Unternehmen (Eigenfertigung) erstellt oder von externen Anbietern (Fremdbezug bzw. Outsourcing) bezogen werden soll. Insbesondere in der Diskussion über die Kernkompetenzen werden Unterstützungsaktivitäten wie z. B. die internen Dienstleistungen als auslagerungsfähig angesehen, weil sie nicht zum Kern der Fähigkeiten zu zählen sind, der über die Wettbewerbsfähigkeit entscheidet (vgl. Lyons und Brennan 2014, S. 148). Um komplexe Entscheidungsprobleme zu lösen und die Entscheidung zu fundieren, wurde in Theorie und Praxis eine Reihe von Kriterien entwickelt. In einer ersten Analyse sind die Beweggründe für die Entscheidung für oder gegen die Einführung von HR Shared Services sehr unterschiedlich: • Kostenkontrolle und Kostentransparenz; • Prozessharmonisierung und -standardisierung; • Fokussierung auf das Kerngeschäft und Abgabe von reinen Unterstützungsfunktionen; • Standardisierung der Compliance u.  a. in den Bereichen Datenschutz, Steuer, Kontrollsystemen etc.; • Zukauf von externem Know-how; • Reduzierung des internen Investitionsbedarfs für HR IT; • Zentralisierung von zunächst rein transaktionalen Services, um daraus wertsteigernde Tätigkeiten anzubieten; • bessere Unterstützung von M&A-Tätigkeiten, z. B. durch Standardisierung von Transitional Service Agreements, einfachere Skalierbarkeit des Volumens, Möglichkeit Know-how aufzubauen. Doch ausschlaggebend für den Start einer derartigen Transformation ist häufig nur eines der oben genannten Kriterien. So auch im Fall von Linde: Im Jahr 2009 wurde die Notwendigkeit erkannt, sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren und die Kosteneffizienz aller wesentlichen Unterstützungsfunktionen zu steigern. In

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dessen Folge entwickelte sich eine Serie von Initiativen und Pilotprojekten mit dem ersten BPO-Piloten für Finanzprozesse. Abschließend wurde 2012 nach zwei erfolgreichen Piloten Shared Services als Teil der Unternehmensstrategie definiert, um infolgedessen einen neuen Organisationsbereich entstehen zu lassen (Pilot  1: 2009–2011 BPO für Finanzdienstleistungen; Pilot 2: 2009–2011 Internes SSC für Finanzdienstleistungen). Mit dieser Anpassung der Unternehmensstrategie stand der HR Bereich von Linde 2012 vor der Grundsatzfrage, welches das geeignete Vehikel für die Zentralisierung von HR-Administrationsfunktionen ist, um neben der Steigerung der Kosteneffizienz gleichzeitig die klassische HR-Partnerfunktion zu stärken. Es stellte sich die Frage, ob in den Eigenaufbau von Center-Strukturen investiert oder ähnlich „plug & play“ die Partnerschaft mit einem BPO-Provider gewählt werden sollte. Folgende Kriterien wurden für die Bewertung, ob „make“ oder „buy“, herangezogen. • Existenz von internen SSC-Strukturen; • vorhandene IT-Infrastruktur für den SSC-Betrieb (z. B. Knowledge Base, Ticketsystem, Telefonsystem, Service-Measurement-System, Robotics-Plattform); • existierendes HR-IT-Plattformkonzept; • Stellung der Marke Linde an möglichen Center-Standorten; • kritische Masse des Transaktionsvolumens für den Betrieb eines eigenen HR SSC; • Sprachbedarf vs. Sprachverfügbarkeit am Center-Standort; • internes Know-how für den Center-Betrieb; • Zentralisierungsgrad der HR-Organisation; • Dauer der Transition; • Produktivitätsfaktoren; • Grad der Prozessstandardisierung. Wahl des geeigneten Plattformkonzepts Drei wesentliche Plattformkonzepte wurden im Fall von Linde, abgeleitet aus den Erfahrungen der Einführung von Shared Services für den Finanzbereich, bewertet: • Captive Center: Der Betrieb von HR Shared Services innerhalb des Linde-­ Konzerns unter der Marke Linde. • Hybrid: Der Betrieb von HR Shared Services in einem Mix aus internem SSC und BPO mit einem externen Partner. Die Trennung kann dabei prozessual und oder geografisch erfolgen (Beispiel: Kontakt Center – intern, Lohnabrechnung – extern). • Full BPO: Die vollständige Abgabe der Tätigkeit an einen externen Provider und interner Verbleib der Providersteuerung. Der HR-Bereich von Linde hat sich 2013 – orientiert an den bereits erwähnten Kriterien – für einen Full-BPO-Ansatz entschieden. Dies ergab sich im Wesentlichen durch folgende Eigenschaften, die man dem BPO-Ansatz zusprach: Die Marke

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Linde war an klassischen Near- und Offshore-Standorten im Umfeld des Shared-Service-Arbeitsmarkts wenig bekannt, wodurch die Personalbeschaffung als erhöhtes Risiko gesehen wurde. Erschwerend kam hinzu, dass sich der gesamte infrage kommende Mitarbeiterbetreuungsbereich von rund 40.000  Mitarbeitern auf 22 Länder mit einem notwendigen Sprachbedarf von zehn Sprachen erstreckte. Um einen kommerziellen Vorteil zu erzielen und alle Sprachen abdecken zu können, wurde eine Trennung der Center Nearshore und Offshore in Betracht gezogen, wodurch sich der an einem Standort notwendige Personalbedarf nochmals deutlich reduziert hätte. Darüber hinaus gab es insbesondere im Nearshore-Bereich für europäische Sprachen kein bestehendes Center, auf das aufgebaut hätte werden können. Gleichzeitig wurde die Transformationsgeschwindigkeit eines externen Betreibers deutlich besser bewertet, die nicht zuletzt durch im BPO-Umfeld übliche, vertraglich garantierte Produktivitätssteigerungen untermauert wird. Eben jene vertraglichen Verpflichtungen erzwingen einen nachhaltigeren Druck auf Prozessharmonisierung und erhöhen den Innovationsbedarf. Dabei wurde auch die technologische Komponente als vielversprechender bewertet, da ein externer Anbieter über die notwendigen Plattformen, sei es im Umfeld Kontakt-Center (Beispiele: Telefonsystem, Chatbots, Workflow-­Anwendungen) oder im transaktionalen Bereich (Beispiel: Robotics-Anwendungen), verfügt, die intern erst aufgebaut werden müssen. Einfluss des gewählten Plattformkonzepts auf die Unternehmensidentifikation Doch bei der Wahl des Plattformkonzepts ist die Auswirkung auf die Akzeptanz innerhalb eines Konzerns nicht zu unterschätzen. Gleichwohl Linde zum Entschluss kam, dass ein am Shared-Service-Markt etablierter externer Anbieter über Vorteile in der Personalbeschaffung am externen Markt verfügt, so führt es in der Unternehmensidentifikation zu Nachteilen. Es lässt sich feststellen, dass interne SSC, bei denen Mitarbeiter Teil der Linde-­ Belegschaft sind, eine höhere Akzeptanz erfahren, als jene, die durch einen externen Provider betrieben werden. Dies liegt zum einen an sehr rationalen Betrachtungen: Der externe Provider verfolgt in der langfristigen Partnerschaft ein individuelles kommerzielles Interesse. Die Steigerung der Rentabilität seiner Kundenbeziehung ist u. a. auch durch Serviceanpassungen möglich. Dem Change-Request-Verfahren wird im Provider-Management weitaus mehr Fokus gewidmet als dies bei internen SSC der Fall ist. Der Flexibilisierungsgrad, ein sehr wohl erwünschter Effekt, ist geringer in der Zusammenarbeit mit einem externen Anbieter. Auch der Effekt der Schlüsselressourcen ist nicht zu unterschätzen. Es werden in der externen Vergabe vertragliche Regelungen getroffen, was die Auswahl von Schlüsselressourcen betrifft, doch die Abhängigkeit, insbesondere was das Management eines Accounts betrifft, ist höher als bei internem Betrieb. Neben den sehr rationalen Betrachtungen, kommen klassische Change-­Probleme hinzu: Dem geringeren Flexibilisierungsgrad wird gleichzeitig fehlender Innovationsdrang zugeordnet. Im Zuge der in allen Organisationen laufenden Digitalisierungsinitiativen wird grundsätzlich infrage gestellt, warum Services abgegeben werden, die eventuell durch technologischen Fortschritt kostengünstig auch in-­

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house betrieben werden könnten. Dem Gedanken der Schnelligkeit durch Digitalisierung wird eine Starrheit der Center-Strukturen vorgeworfen. Der Unabhängigkeit der Wahl der besten IT-Plattform steht der Vorwurf der reinen Vermarktung der eigenen Produkte entgegen. Gelingt es in den jeweiligen Businessfunktionen nicht, ein durch einen externen Partner betriebenes SSC als Teil des Konzerns in der Kultur zu integrieren, sinkt die Fehlertoleranzrate beträchtlich. Etablierte Service-Messkonzepte, die insbesondere aufgrund der vertraglichen Verpflichtungen im Full-BPO-Ansatz unabkömmlich sind, werden infrage gestellt und die Messgenauigkeit wird bestritten. Nachweisliche Fehler führen daher schnell dazu, dass dieser Ansatz grundsätzlich infrage gestellt wird. Welche Herausforderung es darstellt, Shared Services als Teil der Unternehmenskultur zu verankern, extern oder auch intern betrieben, zeigt sich, wenn die gesamte Unternehmenskultur auf den Prüfstand gestellt wird. Linde und Praxair Inc. sind im Jahr 2018 durch einen Merger of Equals zur Linde PLC verschmolzen, der zum 01.03.2019 sein operatives Closing hatte. Im Zuge der Verschmelzung zum Branchenprimus im Industriegasebereich und zu einem der am Markt wertvollsten Chemieunternehmen galt und gilt es, neben der Zusammenlegung der Businessbereiche auch eine neue Unternehmenskultur zu entwickeln. Während Linde über eine langjährige Erfahrung mit einem ausgeprägten GSS-Bereich verfügte, hat die Praxair Inc. dies noch nicht als Teil der eigenen Unternehmensstrategie definiert. Auch wenn die Unternehmensstrategie der Linde PLC dem Bereich Shared Services weiterhin einen hohen Stellenwert beimisst – ausgedrückt durch den Fortbestand der SSC in der neuen Organisation und Wachstumszielen, so ist der Einzug als Teil der Unternehmenskultur und Unternehmensidentifikation zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht zu erwarten. Insbesondere das Konzept des FullBPO bedarf einer deutlich stärkeren Erklärung und der Nachweisführung, dass es als erfolgreiches Modell etabliert werden kann. Erfolgreich lässt sich hierbei auf zwei Kernelemente reduzieren: 1 . Ökonomische Attraktivität durch hohe Wertbeiträge 2. Erfolgreiche Transitionen Insbesondere Punkt  2 ist unausweichlich damit verbunden, ob der Full-BPO-­ Ansatz einen nachhaltigen Modellcharakter hat und damit positive Weichen stellt, auch in der Linde PLC Akzeptanz in der Unternehmenskultur zu finden. Wechsel des Plattformkonzepts – Beweggründe Grundsätzlich können sich die bereits beschriebenen Plattformkonzepte auch gegenseitig ersetzen. So kann der Wechsel beispielsweise von Captive Center zu Full BPO erfolgen oder von Full BPO zu Captive Center. Die Beweggründe folgen jedoch häufig einem grundsätzlichen Muster: • Ökonomisch getrieben • Akzeptanzgetrieben  – meist ausgedrückt durch den mangelnden Eintritt einer Erwartungshaltung, u. a.:

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–– –– –– ––

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Verschlechterung der wahrgenommenen Servicequalität Probleme in der Ablauforganisation Probleme in der Aufbauorganisation Transformationsgeschwindigkeit und damit auch nicht Erfüllung an die erwartete Weiterentwicklung der Dienstleistung

Im Fall von Linde kamen verschiedene Plattformwechsel in den vergangenen drei Jahren zum Tragen: • 2019: Wechsel von Full-BPO- zum Hybrid-Modell • 2016: Wechsel vom Captive-Modell zum Full-BPO-Modell Während der Wechsel des Plattformkonzepts im Jahr 2016 durch ökonomische Vorteilhaftigkeit begründet war, ist der Wechsel vom Full-HR-BPO-Ansatz in ausgewählten Ländern zum Hybrid-Modell vielschichtiger motiviert. Im Grundsatz wurde nicht nur eine wahrgenommene, sondern auch eine messbare Verschlechterung der Servicequalität verzeichnet. Sie ergab sich aus diversen Problemen im Ablauf sowie der aufbauorganisatorischen Gestaltung des BPO-­ Ansatzes in den betroffenen Geschäftseinheiten. Ausschlaggebend für den Wechsel war am Ende das mangelnde Vertrauen in das Modell des Full BPO, weil es nicht gelang, den Full-BPO-Ansatz vollends in die Unternehmenskultur und in die Unternehmensidentifikation zu integrieren. Auch wenn nun in den betroffenen Landesgesellschaften im Rahmen des Hybrid-Modells der identische Center-Ansatz etabliert wird, mit dem gleichen externen Payroll-Anbieter, wird dem Captive-­Linde-SSC-­ Team höheres Vertrauen ausgesprochen, die Dienstleistungserbringung in der gewünschten Servicequalität zu erbringen. Diskussion Das Fallbeispiel illustriert eindringlich, wie facettenreich Entscheidungen über Eigen- oder Fremdbezug für Shared Services sind. Es erfolgt daher eine Konzentration auf die im Kapitel entwickelten Fragen, wie sich die Digitalisierung auf HR Service Center auswirken wird und welche Rolle HR in der Transformation von Unternehmen übernimmt. Wie bereits in der Diskussion zum Fall von Bayer abschließend erwähnt, ist Vertrauen eine wichtige Voraussetzung, um die Beziehungen zwischen Geschäftseinheiten und SSC erfolgreich zu gestalten. Die Forschung zeigt seit vielen Jahren, dass dies insbesondere für die Beziehungen von Outsourcing-Partnern gilt (vgl. Inkpen und Dinur 1998; Sako und Helper 1998; Qi und Chau 2013). So zeigen Qi und Chau (2013), dass Vertrauen eine Vorbedingung für Informationsaustausch und damit für den Erfolg von IT-Outsourcing ist. Im Fallbeispiel fehlt es jedoch an diesem Vertrauen in den Geschäftspartner (BPO Provider) in mehrerer Hinsicht. Zum einen sind Qualitätsmängel aufgetreten, die von den Geschäftseinheiten wahrgenommen werden und die gepaart mit einer geringeren Fehlertoleranz zu einer negativen Beurteilung von HR Shared Services führt. Zum anderen wird eine mangelnde Flexibilität des BPO-Providers festgestellt, wie dies auch in weiteren Fallstudien

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beschrieben wird (z. B. in Patel et al. 2017). Es wird daher angeregt, BPO-Provider und damit Outsourcing dann zu wählen, wenn die Marktverhältnisse als stabil angesehen werden, hingegen interne Lösungen vorzuziehen, wenn das Unternehmen sich transformiert (vgl. Sako 2010, S. 29). Das Vertrauen in die Fähigkeiten eines Geschäftspartners ist somit eine zentrale Dimension des Vertrauens (vgl. Sako und Helper 1998, S. 388). Mit dem mangelnden Vertrauen in die Flexibilität ist im Fallbeispiel verbunden, dass den HR Shared Services die Innovationsfähigkeit abgesprochen wird. In diesem Abschnitt konzentriert sich der Blick auf die Transformationsfähigkeiten von Unternehmen, wie sie sich insbesondere in der digitalen Transformation zeigen. Sie sind als dynamische Fähigkeiten bezeichnet worden. Die in diesem Abschnitt zusammengetragenen Erfahrungen von Unternehmen zeigen, dass Unternehmen und mit ihnen SSC in der Transformation dynamische Fähigkeiten entwickeln, die im Prozess der digitalen Transformation notwendig sind. Ein Auslagern von Tätigkeiten, auf deren Basis dynamische Fähigkeiten entwickelt werden, ist daher nur sehr eingeschränkt zu empfehlen. Die im Abschn.  3.2.2 vorgestellten neuen Rollen für die SSC werden von den Geschäftseinheiten nur dann akzeptiert, wenn sie darauf vertrauen, dass SSC diese Fähigkeiten entwickeln. Diesen Zusammenhang bestätigen Fainshmidt und Frazier (2017), indem sie zeigen, dass sich ein Klima des Vertrauens im Unternehmen positiv auf die dynamischen Fähigkeiten und somit auf den durch sie zu erlangenden Wettbewerbsvorteil auswirken.

3.3

Zusammenfassung und Ausblick

In Kap. 3 wird die digitale Transformation am Beispiel von HR-SSC in mehrerer Hinsicht und an Fallbeispielen aus der Praxis großer Unternehmen analysiert. Wie Hausberg et al. (2019) aufzeigen, ist die Forschung zur digitalen Transformation im Personalmanagement noch unterentwickelt. Die qualitativen Fallstudien in diesem Kapitel können daher erste Ansatzpunkte für weitergehende Forschung in diesem wichtigen Teilgebiet der Betriebswirtschaftslehre aufzeigen. Als theoretischer Bezugsrahmen für diese Analyse dienen die ressourcen- und fähigkeitsorientierten Ansätze, an denen sich die Entwicklungen von SSC nachzeichnen lassen. Eine wichtige Erklärung dieser Ansätze liegt vielen Überlegungen von Unternehmen bezüglich ihrer SSC zugrunde (vgl. Warner und Wäger 2019; Witschel et al. 2019): SSC sind in der Lage, mittels ihrer operativen und dynamischen Fähigkeiten wichtige Wertbeiträge für ihr Unternehmen zu leisten. Ihre Entwicklung kann daher eine Quelle von Wettbewerbsvorteilen sein, die jedoch nur realisiert werden, wenn einige Vo­ raussetzungen erfüllt sind. In den Fallbeispielen werden insbesondere drei Voraussetzungen illustriert und diskutiert: 1 . Fähigkeiten der Mitarbeiter und des Managements 2. Transformationsfähigkeit der SSC 3. Gewandeltes Rollenverständnis von SSC

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Die ersten beiden Voraussetzungen sollen einen Fit zwischen den Fähigkeiten von Mitarbeitern, Management und Organisation von SSC mit der organisationalen Flexibilität ermöglichen, um die strategische Entwicklung – digitale Transformation – des Unternehmens zu unterstützen (vgl. Ordóñez de Pablos und Lytras 2008, S. 51 f.). Die Fallbeispiele zeigen, dass insbesondere dynamische Fähigkeiten, mit deren Hilfe neue Ressourcen entwickelt und bestehende Ressourcen verändert und neu konfiguriert werden, im Zentrum des Interesses stehen müssen, wenn die digitale Transformation gelingen soll. Transformationsfähigkeiten von Mitarbeitern, Management und somit auch der Organisation von SSC sind daher notwendige Voraussetzung für die digitale Transformation (vgl. Turner und Crawford 1998). Ein adäquates Change-Management galt bereits für die erfolgreiche Einführung von primär transaktional orientierten SSC (vgl. Cooke 2006, S. 221 ff.), dies umfasste auch eine klare Kommunikation der verschiedenen Rollen von SSC (vgl. McCracken und McIvor 2013, S. 1701). Wenn SSC vermehrt wissensbasierte Aufgaben übernehmen, geht dies mit einer veränderten Rolle innerhalb des Unternehmens einher. Durch die Fallstudien, insbesondere die Transformationsunterstützung durch die Bayer HR Operations wird das Potenzial von Wertbeiträgen durch SSC aufgezeigt. Es wird hingegen auch offensichtlich, dass zur erfolgreichen Realisierung dieser Wertbeiträge die Rollenerwartungen von SSC, Geschäfts- und Funktionseinheiten sowie oberster Führungsebene aufeinander abgestimmt sein sollten. Im letzten Fallbeispiel von Linde wird problematisiert, inwieweit die Auslagerung von Aktivitäten des SSC Einfluss auf diese Zusammenhänge nehmen kann. Generell ist festzuhalten, dass dynamische Fähigkeiten wie z. B. die Transformationsfähigkeit eine Möglichkeit darstellen, Wettbewerbsvorteile zu erlangen, was ein wesentlicher Grund ist, sie nicht auszulagern (vgl. Gospel und Sako 2010, S. 1374).

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Weissenberger-Eibl, M. A. (2018). Schöne digitale Arbeitswelt. Wie sieht Arbeit im Jahr 2030 aus? In B. Volkens & K. Anderson (Hrsg.), Digital human. Der Mensch im Mittelpunkt der Digitalisierung (S. 213–224). Frankfurt a. M.: Campus. Werning, E. (2017). Personal. In A. Dreier, R. Merk & B. Seel (Hrsg.), Digitalisierung und Industrie 4.0 – Herausforderungen für den Mittelstand (S. 81–91). Bielefeld: Fachhochschule des Mittelstands. Witschel, D., Döhla, A., Kaiser, M., Voigt, K.-I., & Pfletschinger, T. (2019). Riding on the wave of digitization: Insights how and under what settings dynamic capabilities facilitate digital-driven business model change. Journal of Business Economics, 89(8–9), 1023–1095. Wolter, M. I., Mönnig, A., Hummel, M., Weber, E., Zika, G., Helmrich, R., Maier, T., & Neuber-­ Pohl, C. (2016). Wirtschaft 4.0 und die Folgen für Arbeitsmarkt und Ökonomie: Szenario-­ Rechnungen im Rahmen der BIBB-IAB-Qualifikations-und Berufsfeldprojektionen. Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Zika, G., Helmrich, R., Maier, T., Weber, E., & Wolter, M. I. (2018). Regionale Branchenstruktur spielt eine wichtige Rolle. Arbeitsmarkteffekte der Digitalisierung bis 2035. IAB-Kurzbericht (9/2018).

4

Risikomanagement im Rahmen der Digitalisierung von Shared Services Peter Kajüter, Christoph Carus, Jens Knoblauch, Javier Sánchez y Garcia, Martin Steuernagel und Ingo ­Susemihl

Zusammenfassung

Die Digitalisierung verändert die Risikolage von Shared-Service-Centern (SSC). Sie führt zu neuen und in ihrer Bedeutung gestiegenen IT-Risiken. Hierzu gehören auch Risiken aus Cyberangriffen. Das Management dieser Risiken erfordert eine enge Zusammenarbeit zwischen Risikomanagement-, IT- und Shared-­ Service-­Einheiten sowie deren Kunden in den operativen Bereichen. Für die Identifikation und Bewertung der IT-Risiken können grundsätzlich die bewährten Instrumente des Risikomanagements herangezogen werden. Maßnahmen zur Risikosteuerung umfassen v. a. die Regelung von Zugriffsrechten, die Datensicherung und das Notfallmanagement. Für die Überwälzung von Cyberrisiken ist der Abschluss spezieller Versicherungen zu erwägen.

P. Kajüter (*) Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Münster, Deutschland E-Mail: [email protected] C. Carus Münchener Rückversicherung AG, München, Deutschland J. Knoblauch Linde GmbH, Pullach, Deutschland J. Sánchez y Garcia thyssenkrupp Business Services GmbH, Essen, Deutschland M. Steuernagel Lufthansa Global Business Services GmbH, Frankfurt am Main, Deutschland I. Susemihl Siemens AG, München, Deutschland © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. M. Fischer, K.-E. Lueg (Hrsg.), Erfolgreiche Digitale Transformation von Shared Services, ZfbF-Sonderheft 74/20, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30484-3_4

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128

4.1

P. Kajüter et al.

 uswirkungen der Digitalisierung auf die Risikolage A von Shared Service Centern

Durch die Zentralisierung und Standardisierung von Prozessen in SSC verändert sich regelmäßig die Risikolage eines Unternehmens (vgl. Kajüter et al. 2017, S. 52). Einerseits sind risikoreduzierende Effekte möglich, da mit der Standardisierung i. d. R. eine höhere Qualität und Compliance einhergehen. Andererseits werden mit der Zentralisierung von Prozessen aber auch Vorteile der Risikodiversifikation aufgegeben – meist zugunsten von Effizienzgewinnen. So können z. B. durch die Bündelung von Buchhaltungsprozessen in SSC regelmäßig Kosteneinsparungen realisiert werden. Gleichzeitig steigt jedoch die Gefahr, dass menschliche oder technische Fehler nicht auf eine Einheit beschränkt bleiben, sondern im Extremfall alle Einheiten im Unternehmen betreffen. Moderate Einzelrisiken können sich auf diese Weise zu bedeutsamen Klumpenrisiken entwickeln. Dieses generelle Phänomen wird durch die Digitalisierung von Shared Services noch verstärkt. Obgleich die digitale Ausführung von Prozessen erhebliche neue Kosteneinsparpotenziale eröffnet, ruft sie neue und in ihrer Bedeutung gestiegene Risiken hervor. Die durch die Digitalisierung veränderte Risikolage ist auf mehrere Gründe zurückzuführen. Hierzu gehören v. a. die zunehmende Automatisierung von Prozessen, die stärkere Vernetzung der IT-Systeme (Internet of Things) und die Verarbeitung großer Datenvolumina. Die zunehmende IT-gestützte Abwicklung von Prozessen lässt klassische IT-Risiken, wie den unberechtigten Zugriff auf Daten, an Bedeutung gewinnen. Die Vernetzung von IT-Systemen erhöht gegenseitige Abhängigkeiten und führt beim Eintritt von Risiken meist zu höheren Schäden. Große Datenvolumina implizieren ein hohes Schadenpotenzial bei ihrem Missbrauch oder Verlust. Dabei kommt hinzu, dass es sich bei den in SSC verarbeiteten Daten oftmals um sensitive, vertrauliche Informationen handelt, wie z. B. Daten von Mitarbeitern und Kunden. Veränderte und neue Risiken durch die Digitalisierung gibt es grundsätzlich in allen Bereichen des Unternehmens. Sie haben aber aufgrund der Zentralisierung von Prozessen, dem hohen Transaktionsvolumen und der Verarbeitung sensitiver Daten für SSC einen herausgehobenen Stellenwert (vgl. ScottMadden 2016). Das Risikomanagement in SSC muss daher die aus der Digitalisierung resultierenden Risiken systematisch identifizieren, bewerten und gegebenenfalls durch entsprechende Maßnahmen steuern. Vor diesem Hintergrund ist es Ziel dieses Kapitels, typische IT-Risiken in SSC aufzuzeigen und ihre Handhabung zu erläutern. Dabei sollen sowohl aktuelle Herausforderungen als auch erfolgversprechende Lösungsansätze aus der Praxis dargestellt werden. Praxisbeispiel: Digitalisierung durch Robotic Process Automation bei thyssenkrupp

Robotic Process Automation (RPA) ist eine Technologie, die Teile von Geschäftsprozessen automatisiert. Sie bedeutet die autonome Bearbeitung strukturierter Geschäftsaufgaben und ‑prozesse durch digitale Softwareroboter. Diese

4  Risikomanagement im Rahmen der Digitalisierung von Shared Services

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innovative Technologie ermöglicht die Automatisierung sich wiederholender und regelbasierter Prozesse und standardisierter Aufgaben, die traditionell in SSC von Menschen ausgeführt werden. Mit RPA kann ein Roboter vorhandene Anwendungen entweder unter einem Bot-Benutzer („unattended bot“) oder im menschlichen Benutzerkontext („attended bot“) verwenden. Ein Beispiel sind wiederholte Dateneingabefunktionen oder Downloads. Diese digitalen Roboter können Prozesse gemäß ihren Anweisungen und anderen Programmen vollständig selbstständig abwickeln. In den SSC von thyssenkrupp sind beide Arten von Bots im Einsatz. Als Beispiel für einen Attended Bot wurde im Rahmen des internen Kontrollsystems die vorbereitende, bisher manuelle Tätigkeit automatisiert. Dies ermöglicht, dass sowohl der SAP-Download aller gebuchten Vorgänge als auch die per Zufallsgenerator ermittelte Stichprobe per Excel dem Prüfer zur Verfügung gestellt wird. Des Weiteren ist bei thyssenkrupp ein Unattended Bot zur Validierung vorgegebener Umsatzsteueridentifikationsnummern (USt-ID) im Einsatz. Hier wird eine vorgegebene USt-ID auf Basis der webbasierten Auskunftsdatei des Bundeszentralamts für Steuern maschinell auf Gültigkeit geprüft. Das Ergebnis wird dem Antragsteller per E-Mail innerhalb kürzester Zeit zur Verfügung gestellt. Ein wesentlicher Vorteil der RPA-Software sind ihre flexiblen Einsatzmöglichkeiten, denn sie kann an jedes beliebige System angebunden werden. So sind Bots beispielsweise in der Lage, Informationen von Webseiten abzurufen und in ERP-Systeme oder Excel-Tabellen zu übertragen. Sie schaffen somit Kapazitäten und führen dank weniger Fehlern zu höherer Arbeitsqualität. Bevor RPA in den SSC-Einheiten bei thyssenkrupp eingeführt werden konnte, erfolgte eine umfassende Bewertung der Technologie durch diverse Bereiche der Organisation (wie z.  B.  Information Security, Data Protection). Des Weiteren sind in der Anwendung detaillierte Kenntnisse über Aufbau, Datenflüsse, Schnittstellen und Abhängigkeiten wichtig, um sowohl eine Risikoanalyse durchführen, als auch den Schutzbedarf und daraus resultierende Schutzmaßnahmen ableiten zu können.

4.2

IT-Risiken in Shared Service Centern

Risiko gehört zu den schillernden Begriffen und wird sowohl im Alltag als auch in der Wissenschaft in sehr unterschiedlicher Bedeutung verwendet (vgl. Kajüter 2012, S. 16 ff.). Im allgemeinen Sprachgebrauch werden unter Risiken meist Gefahren oder Schadenspotenziale verstanden. Weiterhin werden Risiken oftmals definiert als mögliche künftige Entwicklungen oder Ereignisse, die zu einer negativen Abweichung von den Unternehmenszielen führen können. Diesem Begriffsverständnis wird auch hier für die IT-Risiken in SSC gefolgt. ▶▶ Unter

IT-Risiken sind demnach mögliche Entwicklungen oder Ereignisse zu verstehen, die die angestrebte Informationssicherheit beeinträchtigen. Informationssicherheit als allgemeines Ziel im Zusammenhang mit der Nutzung von IT-Systemen umfasst drei Unterziele (vgl. Königs 2017, S. 159):

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• Vertraulichkeit: Die Informationen sind ausschließlich den autorisierten Personen oder Systemen zugänglich. Eine missbräuchliche Nutzung der Daten durch unautorisierte Personen oder Systeme soll damit vermieden werden. • Integrität: Die Informationen werden lediglich in der vorgesehenen Weise erzeugt und verarbeitet. Sie sind daher weder fehlerhaft noch verfälscht. Autorisierte Personen oder Systeme können sich daher auf die Informationen verlassen. • Verfügbarkeit: Die Informationen sind von den autorisierten Personen oder Systemen in der definierten Weise nutzbar (zeitliche Verfügbarkeit, Aktualität, Format). Informationssicherheit erfordert mithin neben dem Schutz der Informationen auch den Schutz der IT-Systeme, die die Informationen erzeugen, verarbeiten und speichern, vor Entwicklungen und Ereignissen, die die Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit von Informationen beeinträchtigen. Solche Entwicklungen oder Ereignisse können ihren Ursprung außerhalb oder innerhalb eines SSC (oder Unternehmens) haben. Dementsprechend lassen sich externe und interne IT-Risiken unterscheiden. Diese können absichtlich herbeigeführt werden oder unabsichtlich entstehen (Tab. 4.1). Von Menschen absichtlich initiierte Ereignisse, die die Informationssicherheit beeinträchtigen, sind z. B. ­Hackerangriffe oder Softwaremanipulationen. Sie fügen dem Unternehmen bewusst einen Schaden zu und stellen kriminelle Handlungen dar. Unabsichtlich aus dem Unternehmensumfeld ausgelöste Risiken beruhen auf höherer Gewalt. So können Naturkatastrophen zu einem Datenverlust führen oder die Verfügbarkeit der IT-Systeme einschränken. Auch unternehmensintern können unabsichtlich aus menschlichem oder technischem Versagen IT-Risiken resultieren (z. B. durch Fehler beim Umgang mit IT-Systemen). Im Zusammenhang mit der Digitalisierung wird häufig auch von Cyberrisiken gesprochen. Hierbei handelt es sich um eine besondere Form von IT-Risiken, die bei digitalen und vernetzen Systemen (dem sog.  Cyberraum) entstehen können (vgl. Königs 2017, S. 405 ff.). Cyberrisiken können wie IT-Risiken absichtlich oder unabsichtlich herbeigeführt werden und ihren Ursprung innerhalb oder außerhalb des SSC (oder Unternehmens) haben. Breite Aufmerksamkeit haben hierbei spektakuläre kriminelle Angriffe auf Daten und IT-Systeme von Unternehmen oder Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung erlangt. So wurde z. B. Rheinmetall 2019 Opfer Tab. 4.1  IT-Risiken (Beispiele; eigene Darstellung) IT-­ Risiken Absichtlich Extern Hackerangriff Datendiebstahl durch Dritte Intern Wissentliche Softwaremanipulation durch Mitarbeiter Datendiebstahl durch Mitarbeiter aufgrund nicht geregelter Zugriffsrechte

Unabsichtlich Naturkatastrophen (Überflutung, Erdbeben, Feuer) Dateneingabefehler Infektion mit Malware durch versehentliches Öffnen infizierter E-Mails Datenverlust durch technisches Versagen, Programmierfehler (z. B. bei RPA) oder mangelnde Kompatibilität von IT-Systemen

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eines Hackerangriffs, der zu erheblichen Produktionsausfällen führte. Cyberattacken gab es auch auf Bayer, BMW, Deutsche Telekom, Siemens und thyssenkrupp. Sogar der Deutsche Bundestag wurde schon häufiger zum Ziel von Hackerangriffen. Dabei gelang es den Cyberspionen, die Daten von zahlreichen Bundestagsabgeordneten sowie sensible Daten aus dem Außen- und Verteidigungsministerium zu erbeuten. An der Universität Gießen fiel Ende 2019 das gesamte IT-System nach einem Cyberangriff für mehrere Wochen aus. Solche Cyberattacken, bei denen die Angreifer anonym bleiben und damit drohen, IT-Systeme oder ganze Betriebsabläufe lahmzulegen, vertrauliche Informationen stehlen, digitale Prozesse manipulieren und Lösegelder erpressen, haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen (vgl. PwC 2018, S.  18). Nach einer Studie des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) war im Jahr 2018 jedes dritte befragte Unternehmen Ziel von Cyberangriffen (vgl. BSI 2018). Große Unternehmen wie Siemens werden mit etwa 1000 Angriffen im Monat konfrontiert (vgl. Fromm 2019). Einer Studie von McAfee zufolge entstehen durch Cyberkriminalität weltweit jährlich Kosten in Höhe von rund 445  Mrd.  US$, wovon etwa 200  Mrd.  US$ auf die USA, China, Japan und Deutschland entfallen (vgl. McAfee 2014). Der Cyber-Sicherheitsrat Deutschland schätzt die Schäden durch Cyberkriminalität auf jährlich bis zu 50 Mrd. € (vgl. Cyber-Sicherheitsrat Deutschland e.V. 2015). Ebenso sind die umfangreichen Maßnahmen, die Unternehmen zum Schutz vor Cyberrisiken ergreifen, mit hohen Kosten verbunden. Schätzungen zufolge werden jährlich rund 120 Mrd. US$ weltweit in IT-Sicherheit investiert – Tendenz steigend (vgl. Fromm 2019). Obgleich die genaue Höhe der Schäden durch Cyberrisiken und die Kosten für die Bewahrung von Informationssicherheit nur schwer schätzbar sind, verdeutlichen die hohen Schadenpotenziale eindrucksvoll die hohe Bedeutung dieser vorsätzlich ausgelösten Risiken. SSC sind aufgrund der Zentralisierung und Digitalisierung ihrer Prozesse in besonderer Weise IT- und Cyberrisiken ausgesetzt. Diesen Risiken sollte daher im Rahmen der Risikomanagementsysteme in SSC besondere Aufmerksamkeit ­zuteilwerden. Praxisbeispiel: Warum Siemens in der Cybersicherheit eine Führungsrolle übernehmen muss

Smartphones, Onlineshopping, Netflix, Apple Pay – die Liste der sich aufgrund der Digitalisierung bietenden Möglichkeiten ist lang. Im gleichen Maß, wie sich diese innovativen digitalen Systeme in unserem Alltag etablieren, nehmen jedoch auch die digitalen Bedrohungen zu. Die gleichen Herausforderungen gelten auch für die Digitalisierung der Industrie, unseren Infrastrukturen oder der Energieversorgung – selbst, wenn die Anwendungen dort ein wenig anders aussehen als in unserem Privatleben. So wird etwa die Zukunft der Fertigung v. a. durch die Kommunikation der Maschinen untereinander ermöglicht. Die Steuerung der Betriebstechnik basiert dann auf Software und Konnektivität. Ohne einen ausreichenden Schutz können

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Hacker Zugriff auf vertrauliche Informationen wie beispielsweise die Entwicklungsdaten von Produkten erlangen, den Betrieb unterbrechen und so die gesamte Lieferkette lahmlegen. Sinngemäß gilt dies gleichermaßen für die Wertschöpfungsketten in Shared-Service-Organisationen (SSO). Das Internet der Dinge ermöglicht es auch, Infrastrukturen mit intelligenten Geräten auszustatten und spielt so eine entscheidende Rolle beim Aufbau nachhaltiger, smarter Städte. Dort werden digitale Systeme hauptsächlich zur Steuerung der Einrichtungen und Services eingesetzt, die diese Städte am Laufen halten. Dies schließt auch Smart Metering, Echtzeitanalysen, Überwachungslösungen im Bereich Umweltverschmutzung, das Gesundheitswesen sowie die Infrastruktur und den Betrieb von Stromnetzen mit ein. Sollte die Integrität eines dieser Systeme durch Schadsoftware beeinträchtigt werden, könnten die Folgen verheerend sein. Industrie, Energie oder Infrastruktur: Das sind alles Geschäftsfelder, auf denen Siemens führend ist. Mit Blick auf die oben genannten Herausforderungen gilt daher: Ohne Cybersicherheit wäre ein Unternehmen wie Siemens in den nächsten zehn Jahren existenziell bedroht. Die gute Nachricht: Aufgrund seiner Spitzenposition bei der industriellen Digitalisierung hat Siemens früh erkannt, dass Cybersicherheit ein integraler Bestandteil der digitalen Revolution ist. Deshalb hat das Unternehmen einen ganzheitlichen Ansatz im Bereich Cybersicherheit entwickelt, der seine Infrastruktur, seine Produkte, seine Lösungen und Services so gut wie möglich schützt. Dabei geht es nicht nur darum, Technologien bereitzustellen oder die Investitionen in die Infrastruktur zu erhöhen, sondern es geht insbesondere in IT-Umgebungen um das Know-how und wie man somit den gesamten Kontext und die gesamte Umgebung berücksichtigen kann. Mit Erfolg: Mit seinem holistischen Ansatz ist Siemens heute ein Vorreiter auf dem Gebiet der Cybersicherheit. Auch SSO profitieren von der geschützten Infrastruktur und dem vorhandenen Cybersecurity-Know-how. Im besonderen Fokus steht hier der Schutz vor Betrugsversuchen, beispielsweise einer Umleitung von Zahlungen, die von der SSO verwaltet werden. Dieses Thema wird immer wichtiger, nicht nur aus ­Gründen der eigenen Betriebssicherheit und dem Vermögensschutz, es ist zunehmend auch ein wichtiges Argument in der Vermarktung von Dienstleistungen der SSO. Dennoch: Ein Unternehmen kann die Herausforderungen der Cybersicherheit nicht allein bewältigen. Deshalb hat Siemens 2018 die weltweit erste Charta für mehr Cybersicherheit ins Leben gerufen. Zwei Jahre nach Unterzeichnung ist diese Charter of Trust auf 17 Mitglieder angewachsen und kann bereits Erfolge vorweisen. Mit ihren zehn Grundprinzipien hat die Charter etwa erstmals ein gemeinsames Verständnis für Cybersecurity geschaffen und arbeitet gemeinsam mit den Partnern an deren Umsetzung. Zur Stärkung der Cybersicherheit in der Lieferkette hat Siemens z.  B. 17  Mindestanforderungen in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen international verankert und verbindlich gemacht. Weitere wichtige Themenfelder, an denen die Charter of Trust arbeitet, sind Aus- und Fortbildung, Cybersicherheit ab Werk und nicht zuletzt die Schaffung von mehr

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Transparenz in der Cybersicherheit, um ein sichtbares Vorbild für andere sein zu können. Auch das ist ein wichtiges Signal: Cybersecurity ist keine Option mehr, sondern ein Muss.

4.3

Risikomanagement in Shared Service Centern

4.3.1 Allgemeine Anforderungen SSC sind grundsätzlich in das konzernweite Risikomanagementsystem einzubinden, unabhängig davon, ob sie Teil des (Mutter-)Unternehmens sind oder als rechtlich selbstständige Tochtergesellschaft geführt werden (vgl. Kajüter et al. 2017, S. 52). Diese Notwendigkeit resultiert aus § 91 Abs. 2 Aktiengesetz (AktG). Gemäß der Gesetzesbegründung ist der Vorstand eines Mutterunternehmens i. S. v. § 290 AktG verpflichtet, all jene Tochtergesellschaften in das konzernweite Risikomanagementsystem einzubeziehen, von denen bestandsgefährdende Entwicklungen für das Mutterunternehmen ausgehen können (vgl. zum Risikokonsolidierungskreis Kajüter 2011). Obgleich dies nur im Einzelfall zu beurteilen ist, dürfte dies auf SSC aufgrund der dort zentralisierten Aufgaben regelmäßig zutreffen. Gemäß § 91 Abs. 2 AktG ist der Vorstand einer Aktiengesellschaft verpflichtet, „geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden“. Dies impliziert nach herrschender Meinung eine zweistufige Verpflichtung: Zum einen muss der Vorstand ein Risikofrüherkennungssystem einrichten und zum anderen ein darauf ausgerichtetes Überwachungssystem aufbauen. Beides gehört zu der allgemeinen Leitungsaufgabe des Vorstands (§ 76 AktG) und konkretisiert dessen Sorgfaltspflicht (§ 93 Abs. 1 AktG). Das Risikofrüherkennungssystem dient dazu, den Vorstand (oder analog bei der GmbH die Geschäftsführung) frühzeitig über bestandsgefährdende Risiken zu informieren. Hierzu sind strukturierte Prozesse der Identifikation, Bewertung und Kommunikation von Risiken im Unternehmen bzw. Konzern und mithin auch in SSC zu etablieren. Die Entscheidung über Art und Umfang der Maßnahmen zur Risikosteuerung liegt dagegen allein im Ermessen des Vorstands. Das ebenfalls einzurichtende interne Überwachungssystem soll nicht die Risiken selbst, sondern die Einhaltung der vom Vorstand ergriffenen Maßnahmen zur Risikofrüherkennung und Risikobewältigung überwachen. Grundsätzlich kommen dafür sowohl laufende, in die betrieblichen Abläufe integrierte, prozessabhängige Kontrollen und organisatorische Sicherungsmaßnahmen als auch prozessunabhängige Prüfungen in Betracht. Während die Risikofrüherkennung häufig vom Controlling unterstützt wird, ist die interne Überwachung in größeren Unternehmen meist an die interne Revision delegiert. Die Einbeziehung von SSC in ein konzernweites Risikomanagementsystem impliziert, dass die IT-Risiken aus der Digitalisierung der Shared Services im Rahmen der regulären Risikomanagementprozesse identifiziert, bewertet, kommuniziert und gesteuert werden. Mithin kann auf das bewährte Instrumentarium zur Erfassung,

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P. Kajüter et al.

Bewertung und Berichterstattung über die Risiken zurückgegriffen werden (vgl. Gleißner 2017, S. 99 ff.). Neben der Einrichtung formaler Strukturen und Prozesse sind auch die Stärkung des Risikobewusstseins bei den Mitarbeitern und die Schaffung einer Risikokultur im SSC für ein effektives Risikomanagement unabdingbar. Mitarbeitern sind die mit der Nutzung digitaler Prozesse verbundenen Risiken oftmals nicht oder nicht in vollem Umfang bewusst. Es empfiehlt sich daher, Mitarbeiter durch Schulungen und regelmäßige Information für die IT-Risiken zu sensibilisieren (vgl. Berger 2015). Dem kommt gerade bei SSC aufgrund der häufig starken Mitarbeiterfluktuation eine hohe Bedeutung zu. Organisatorisch erfordert das Management der IT-Risiken in SSC eine enge Abstimmung mit der für die IT-Sicherheit allgemein verantwortlichen IT-Abteilung im Unternehmen (vgl. ScottMadden 2017a, b, c). In großen Konzernen wie Siemens existieren daneben spezielle Abteilungen zur Cybersecurity Defense (vgl. Fromm 2019). Oftmals haben diese Fachabteilungen eine konzernweite Richtlinienkompetenz für die Informationssicherheit (vgl. Bertram und Endres 2013, S. 252). Zudem bestehen häufig spezielle Stellen oder Abteilungen für das konzernweite Risikomanagement, die ebenfalls interne Richtlinien für das Risikomanagement vorgeben. Die Schnittstellen zwischen der Risikomanagementabteilung, der IT-Abteilung, dem SSC als IT-Anwender und dessen internen Kunden sollten daher klar definiert und Verantwortlichkeiten für den Umgang mit IT-Risiken eindeutig geregelt werden. Praxisbeispiel: Risikomanagement beim Einsatz von Robotic Process Automation im Lufthansa Konzern

Im Lufthansa Konzern wurde für die Digitalisierung von Shared-Service-­ Prozessen mittels RPA ein neuartiges Risikomanagementkonzept entwickelt. Dies umfasst die Bereiche (IT-)Governance, Security und applikationsspezifische Prozesse und Kontrollen. Über alle für den Einsatz von RPA relevanten Risiken wurde eine etwa 30 Kriterien umfassende Prüf- und Kontrolldokumentation entwickelt. Hierdurch werden Risiken strukturiert beschrieben und bewertet, Verantwortlichkeiten dokumentiert, notwendige Kontroll- und ­Testaktivitäten sowie Aufgabenverteilungen bei der RPA-Entwicklung und dem RPA–Routinebetrieb konkret beschrieben. Dies führt zu einer umfassenden internen Dokumentation, die nicht nur für die Kunden der Lufthansa SSO im Umgang mit den Risiken neuer Digitalisierungsmethoden wichtig ist, sondern auch die Grundlage für interne und externe Prüfungen der SSO-Prozesse darstellt. Für die neuen RPA-Prozesse im Lufthansa Konzern wurde eine klare schriftliche Regelung der Strategie in Absprache mit der IT-Abteilung sowie den verantwortlichen (Chief) Information Security Officers im Unternehmen erstellt. Dadurch wird sichergestellt, dass die Digitalisierungsstrategie nicht der IT-­ Strategie des Konzerns zuwiderläuft und alle für die Cybersicherheit relevanten Prozesse eingehalten werden. Die Governance muss zudem sicherstellen, dass neue Rollen definiert und Verantwortlichkeiten klar kommuniziert werden, da durch die Einführung von RPA völlig neue Strukturen entstanden sind. Ebenso

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wurden neue RPA-spezifische Risiken dokumentiert, die regelmäßig und belegbar auf ihre Relevanz überprüft werden. Da Datenvolumen zunehmen und vermehrt auf Cloud-basiertes Arbeiten umgestellt wird, steigt die Gefahr von Angriffen auf die bestehenden Systeme von außen. Regelmäßige Penetrationstests und eine enge Zusammenarbeit mit den Cybersecurityabteilungen, transparente Strukturen, Schnittstellen und Prozesse bilden die Grundlage für ein funktionierendes Risikomanagement sowie die Überprüfbarkeit der Risiken.

4.3.2 I dentifikation und Bewertung von Risiken aus der Digitalisierung Im Rahmen der Risikoidentifikation gilt es, alle Risiken des SSC systematisch zu erfassen. Dieser erste Schritt im Risikomanagementprozess ist deshalb so bedeutsam, weil nur die erfassten Risiken bewertet, kommuniziert und gegebenenfalls gesteuert werden können. Für die Risikoidentifikation können vorab Risikofelder definiert werden. Ein solches Risikofeld stellen IT-Risiken oder speziell Cyberrisiken dar. Die Identifizierung der Risiken obliegt grundsätzlich den Risikoverantwortlichen, also dem Management. Dieses kann methodisch durch das Controlling und im Fall von IT-Risiken fachlich durch IT-Experten unterstützt werden. Dem Controlling obliegt dabei die Aufgabe, die identifizierten Risiken auf Vollständigkeit zu prüfen und Doppelerfassungen zu beseitigen. IT-Experten können hierbei ihr technisches Wissen einbringen. Bei der Risikoidentifikation handelt es sich um eine regelmäßige bzw. permanente Aufgabe, da stets neue IT-Risiken auftreten und bekannte Risiken sich in ihrer Bedeutung verändern können (vgl. Kajüter 2009, S. 119). Eine systematische Risikoidentifikation sollte daher neben einer stichtagsbezogenen Risikoinventur eine kontinuierliche Erfassung von Risiken beinhalten. Eine Risikoinventur stellt eine systematische Bestandsaufnahme aller Risiken dar. Sie kann zum einen zentral durch das Management des SSC erfolgen (Top-­ down-­Ansatz). Zum anderen besteht die Möglichkeit, einzelne Standorte oder Abteilungen einer SSO selbst mit der Risikoinventur für ihren Bereich zu betrauen und die Ergebnisse anschließend zusammenzufassen (Bottom-up-Ansatz). Auch eine Kombination beider Ansätze ist möglich, um z. B. die Vor- und Nachteile beider Vorgehensweisen zu berücksichtigen. So gewährleistet der Top-down-Ansatz eine einheitliche Vorgehensweise, während der Bottom-up-Ansatz eher das Bewusstsein und die Verantwortlichkeit für die IT-Risiken bei den Mitarbeitern stärkt. Ergänzend zur Risikoinventur können mit Kennzahlen, Indikatoren oder durch sog.  schwache Signale Risiken kontinuierlich identifiziert werden (vgl. Kajüter 2009, S. 120 f.). Kennzahlen können bereits eingetretene Entwicklungen aufzeigen (z. B. Anzahl der Cyberangriffe) und durch Trendextrapolation auf Risiken hinweisen. Unerwartete Trendbrüche werden damit allerdings nicht erfasst. Indikatoren beruhen auf dem Umstand, dass sich Risiken mit zeitlichem Vorlauf durch wahrnehmbare Veränderungen in einer anderen Erscheinung oder Entwicklung erkennen lassen. Hierbei muss ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Indikator und der

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nicht direkt beobachtbaren risikobehafteten Entwicklung vorliegen (z.  B.  Anzahl Studierender der Informatik als Indikator für künftige IT-Fachkräfte). In der Praxis ist es indes meist schwierig, für Risiken allgemein und speziell für IT-Risiken geeignete Frühwarnindikatoren zu finden. Das auf Ansoff (1975) zurückgehende Konzept der schwachen Signale greift auf Erkenntnisse der Diffusionstheorie zurück und geht davon aus, dass Diskontinuitäten und daraus resultierende Risiken nicht abrupt auftreten, sondern sich durch unscharfe, vage Informationen andeuten. Ein Beispiel hierfür sind Tendenzen in der Rechtssprechung und Gesetzgebung (z. B. zu Datenschutz und IT-Sicherheit). Die Schwierigkeit dieses Ansatzes besteht darin, schwache Signale als solche zu erkennen und von irrelevanten Phänomenen zu unterscheiden (vgl. Krystek und Müller 1999, S. 181). Die im Rahmen der Risikoidentifikation erfassten Risiken sind anschließend zu ordnen und zu analysieren. Durch die Analyse der Risikoursachen können oftmals weitere Risiken erkannt werden, da zwischen einzelnen Risiken Ursache-­Wirkungs-­ Beziehungen bestehen. So können z.  B.  IT-Risiken in Form des Missbrauchs von Kundendaten Ursache für Absatzrisiken sein; der temporäre Ausfall von IT-­ Systemen kann Produktionsrisiken auslösen. Die Analyse solcher Wirkungsketten ermöglicht ein vertieftes Verständnis der Risikolage. Ziel der anschließenden Risikobewertung ist es, die Bedeutung der identifizierten Risiken zu ermitteln. Hiermit wird eine Entscheidungsgrundlage für eventuelle Maßnahmen zur Risikosteuerung geschaffen. Risiken können im Hinblick auf ihre Eintrittswahrscheinlichkeit und ihre mögliche Schadenshöhe bewertet werden. Beide Bewertungsdimensionen bestimmen zusammen den Grad der Bedrohung, die von einem Risiko ausgeht. Problematisch ist, dass in der Praxis bei vielen Risiken, so auch bei den IT-Risiken in SSC, nur unvollkommene Informationen über die Ausprägung der beiden Risikodimensionen vorliegen, sodass meist subjektive Schätzungen erforderlich sind. Nur bei wenigen Risiken (z. B. bei Wechselkursen) ist es möglich, auf der Grundlage empirischer Daten objektive Wahrscheinlichkeitsverteilungen für Risiken abzuleiten. Daher sind die von den Risikoverantwortlichen, gegebenenfalls mit Unterstützung von IT-Experten, durchgeführten Risikobewertungen einer kritischen Plausibilitätsprüfung zu unterziehen. Sofern die Eintrittswahrscheinlichkeit und die potenzielle Schadenshöhe nicht verlässlich quantifiziert werden können, lassen sich die Risiken auch qualitativ bewerten. Dabei können für die Eintrittswahrscheinlichkeit und die Schadenshöhe verschiedene Klassen (z. B. gering, mittel, hoch) gebildet werden. Die so quantitativ oder qualitativ bewerteten Risiken lassen sich sehr anschaulich in einem Risikoportfolio darstellen und nach ihrer Dringlichkeit in verschiedene Klassen einteilen (z. B. A-, B- und C-Risiken). Wie andere Risiken können auch IT-Risiken in SSC einer Brutto- oder einer Nettobetrachtung unterzogen werden. Erstere bewertet die Risiken ohne Berücksichtigung von ergriffenen Maßnahmen der Risikobewältigung. Demgegenüber zeigen die Nettowerte der Risiken das nach den umgesetzten Risikosteuerungs­ maßnahmen noch vorhandene und damit zu tragende Restrisiko. Die intensive Auseinandersetzung mit den beiden Ebenen (brutto vs. netto) schafft das notwen-

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dige Verständnis beim Management über vorhandene und ggf. fehlende Maßnahmen zur Risikosteuerung. Um ein Bild von der Gesamtrisikolage zu erlangen, sind die bewerteten Einzelrisiken zu aggregieren. Dies kann qualitativ anhand einer Auflistung der wesentlichen Einzelrisiken oder anhand von Risikoportfolios erfolgen (vgl. Kajüter 2009, S. 123 f.). Obwohl auf diese Weise nur grobe Tendenzaussagen zum Gesamtrisiko möglich sind, handelt es sich um eine pragmatische Vorgehensweise, die die unterschiedliche Bedeutung der Einzelrisiken aufzeigt. Dadurch wird auch erkennbar, welcher Stellenwert den IT-Risiken im Vergleich zu anderen Risiken im SSC zukommt. Eine quantitative Risikoaggregation ist über Schadenerwartungswerte oder Risikosimulationen möglich. Erstere sind in ihrer Aussagekraft jedoch begrenzt, Letztere werden aufgrund von Verständnisproblemen häufig nicht eingesetzt.

4.3.3 Maßnahmen zur Risikosteuerung Für wesentliche Risiken stellt sich die Frage ihrer Bewältigung. Hierbei existieren drei allgemeine Handlungsoptionen: die Vermeidung, die Reduzierung und die Überwälzung von Risiken (vgl. Diederichs 2018, S.  172 ff.; Gleißner 2017, S. 287 ff.). IT-Risiken aus der Digitalisierung von Shared Services zu vermeiden, würde bedeuten, auf die Potenziale der Digitalisierung zu verzichten. Beispielsweise könnte auf die Automatisierung von Prozessen durch RPA-Bots in SSC verzichtet werden, um damit einhergehende Risiken von vornherein auszuschließen. Die Risikovermeidung mag in einigen Bereichen sinnvoll sein, nicht aber vollumfänglich. Daher ist die Risikoreduzierung allgemein die häufiger verfolgte Handlungsalternative. Maßnahmen zur Risikoreduzierung können ursachen- oder wirkungsbezogen sein (vgl. Braun 1984, S. 251). Sie knüpfen mithin an den beiden Dimensionen der Risikobewertung an. Ursachenbezogene Maßnahmen zielen da­ rauf ab, die Eintrittswahrscheinlichkeit von IT-Risiken in SSC zu reduzieren. Wirkungsbezogene Maßnahmen verringern das Schadensausmaß bei Risikoeintritt. Ein Beispiel für ursachenbezogene Maßnahmen sind klar geregelte Zugriffsrechte auf IT-Systeme und Daten. Hierbei handelt es sich um eine seit langem ­bekannte Thematik, die jedoch im Rahmen der Digitalisierung von Prozessen in SSC eine besondere Aufmerksamkeit erfordert. Zugriffsrechte können grundsätzlich durch Passwörter geschützt werden. Ebenso spielt die Funktionstrennung eine wichtige Rolle. Die folgenden Praxisbeispiele geben hierzu einen Einblick. Praxisbeispiel: Zugriffsrechte für Bots bei thyssenkrupp

Bei thyssenkrupp gelten für Attended und Unattended Bots die gleichen Sicherheitsvorgaben zur Implementierung von Passwörtern, wobei der Attended-Bot mit den Login-Daten des jeweiligen Endanwenders arbeitet und der Unattended-­ Bot eigene Login-Daten hat. Die Passwörter für den Unattended-Bot dürfen nicht vom Menschen eingesehen werden.

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Änderungen an Bot-Prozessen müssen geregelt erfolgen. Alle Änderungen werden bei thyssenkrupp geplant, getestet, genehmigt und dokumentiert. Wenn Änderungen durchgeführt werden, müssen Rückfalllösungen vorhanden sein. Es ist immer sicherzustellen, dass das angestrebte Sicherheitsniveau während und nach den Änderungen erhalten bleibt.

Praxisbeispiel: Identity Management und Access Governance bei der Lufthansa Group Business Services

Eine der größten Herausforderungen in der IT eines Unternehmens ist heutzutage das Identity Management und die Access Governance (IAG). Die Grundproblematik besteht hierbei darin, dass einer großen, heterogenen Menge von Benutzern eine unüberschaubare Anzahl von Objekten, wie beispielsweise Funktionen in einer Applikation, gegenübersteht. Neue technologische Entwicklungen, wie z. B. Cloud-Lösungen oder Digitalisierung mithilfe von Apps, machen diese Aufgabe noch komplexer. Betrachtet man dieses Thema vor dem Hintergrund eines SSC, das Kundendaten verwaltet, wird klar, dass IAG-Risiken hier im besonderen Maß überwacht werden müssen. Schon in einem normalen mittelständischen bis großen Unternehmen besitzt ein Anwender häufig eine Vielzahl von Benutzerkonten, die jeweils personenbezogene Daten und Berechtigungsinformationen beinhalten. Es ist davon auszugehen, dass Mitarbeiter in einem SSC generell Zugriff auf eine noch größere Anzahl von Systemen haben. Mit jedem einzelnen System steigt jedoch der Synchronisations- und Pflegeaufwand im IAG überproportional an. Diese zunehmende Komplexität bewirkt fast zwangsläufig eine verminderte Datenqualität. Hierdurch entstehen Sicherheitslücken bei der Berechtigungsvergabe, die Datenmissbrauch und Wirtschaftskriminalität begünstigen. Laut einer Studie von PwC stammen knapp sechs von zehn Tätern bei wirtschaftskriminellen Handlungen aus dem eigenen Unternehmen bzw. sind Geschäftspartner oder Dienstleister (vgl. PwC 2017, S. 20). Betrugsfälle können dabei unkalkulierbare Dimensionen einnehmen. Einzelschäden erreichen dabei eine Schadenshöhe von durchschnittlich 24 Mio. € (vgl. PwC 2018, S. 21). Auch der Gesetzgeber hat reagiert, um die Wirtschaft und die einzelnen Unternehmen vor diesen Gefahren zu schützen (z. B. Bundesdatenschutzgesetz § 9; Gesetz über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, § 2 Abs. 2, und der IT-Grundschutzkatalog). Beispielsweise fordert der IT-Grundschutzkatalog (APP.4.2.A6) für die Definition von Zugriffsberechtigungen die Einhaltung von allgemein anerkannten Konstruktionsprinzipien, wie dem Prinzip der minimalen Rechte, dem Vier-Augen-Prinzip oder dem Prinzip der Funktionstrennung (Segregation of Duties, SOD). Doch was diese Prinzipien für das einzelne Unternehmen bedeuten und welches Risiko sich z. B. hinter einem speziellen Funktionstrennungskonflikt verbirgt, ist in der unternehmenseigenen Richtlinie für Access Governance (AG) im Detail zu definieren. Dabei sind entsprechende Risikoüberwachungsprozesse zu etablieren.

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Die Verwaltung von Benutzerkonten und deren Veränderungen im Zeitablauf, die sog. Joiner-, Mover-, Leaver-Prozesse sind im Identity Management (IDM) zu beschreiben und ebenso im Unternehmen zu implementieren. Dedizierte IDM- und AG-Tools bieten heute die technische Möglichkeit, Benutzerdaten verschiedener Systeme zentral zu administrieren, Berechtigungsvergabe und -entzug zu automatisieren und zu kontrollieren sowie die Berechtigungsadministration zu vereinfachen und Funktionstrennungsprinzipen zu überwachen. Ein effizientes IAG fußt somit auf dem Zusammenspiel von Prozessen, Richtlinien und Technologien. Ende 2018 hat die Lufthansa Group Business Services (LGBS) ein Projekt aufgesetzt, in dem die einzelnen SOD-Risiken innerhalb der einzelnen Shared-­ Service-­Prozesse und über Prozessgrenzen hinweg abstrakt definiert und nach Risikokategorien klassifiziert wurden. Um diese abstrakten Risiken mit einem IAG-Tool prüfen zu können, wurden sie in technische Funktionen und Berechtigungsobjekte übersetzt. Mit dieser neu erstellen Matrix startet auch das Clean-­ up-­Projekt, in dem ein Redesign der aktuellen SAP-Rollen stattfindet. Aktuell steht die LGBS vor der Einführung einer umfangreichen, toolgestützten IAG-­ Lösung, die die Nachhaltigkeit der neu geschaffenen Berechtigungskonzepte gewährleisten soll. Generell sollte sich das Management des SSC bewusst sein, dass die Umsetzung einer IAG-Strategie ganz besondere Herausforderungen mit sich bringen kann. In Fall eines SSC ist die IAG-Strategie in Abstimmung mit den verschiedenen Kunden zu implementieren, was eine Standardisierung der Prozesse erschwert. Am einfachsten ist daher der ganzheitliche Ansatz, bei dem der interne Dienstleister und der Kunde eine gemeinsame IAG-Strategie ausarbeiten und umsetzen. Selbst bei normalen IAG-Projekten vereinnahmt die Ausarbeitung der IAG-Richtlinien und der IAG-Prozesse üblicherweise schon 80 % des zeitlichen Aufwands. In der Dienstleister-Kunde-Beziehung müssen jedoch die Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu einzelnen IAG-Themen noch klarer zwischen den Parteien ausgehandelt werden. Beispielsweise sollten klare Data-­ownership-­ Konzepte vorliegen damit Standardprozesse wie Rollengenehmigungs-Workflows oder regelmäßige User-Rezertifizierungen definiert werden können. Daher ist die konstruktive und kooperative Zusammenarbeit mit den Kunden ein wichtiger Faktor für den Erfolg eines solchen Projekts.

Praxisbeispiel: Risiko- und kostenoptimierte Systemzugriffsrechte bei der Skalierung von Robotic Process Automation bei Linde Global Business Services

Bei der Einführung von RPA bei Linde im Jahr 2018 stellte sich die Frage des Berechtigungskonzepts für die RPA-Bots als digitale Mitarbeiter. Ein RPA-Bot kann unterschiedliche Programme und Transaktionen mit unterschiedlichen Nutzerberechtigungen im Sekundentakt ausführen und somit auch wechseln. Daraus ergeben sich neue Anforderungen für das Berechtigungskonzept, da die bekannte Funktionstrennung (SOD) durch das benutzerbezogene Rollenkonzept ihre Wirkung nicht mehr entfalten kann.

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Jeder Bot hat seine eigenen Systemzugriffsrechte, um die ihm zugeteilten Prozesse zu bearbeiten. Es stellt sich die jedoch Frage, wie viele Systemzugänge ein einzelner Bot je Applikation benötigt. Eine Möglichkeit wäre, dass jeder Bot möglichst viele Systemzugänge mit möglichst kleinen Rollen für den speziellen Prozess haben sollte, um das Missbrauchsrisiko zu reduzieren. Zur Optimierung der Lizenzkosten sollte jeder Bot jedoch möglichst wenige Systemzugänge nutzen, die dann alle notwendigen Berechtigungen für das jeweilige System haben. Auf den ersten Blick erscheint es so, dass sich das Missbrauchsrisiko dadurch signifikant erhöht, da der Bot umfangreiche Systemberechtigungen zugewiesen bekommt und beispielsweise Lieferanten anlegen und gleichzeitig Zahlungen freigeben könnte. Faktisch ist dies jedoch nicht der Fall, da der Bot die ihm zugeteilten separaten Zugänge im Sekundentakt wechseln könnte und die Begrenzung der Systemzugriffsrechte keine Auswirkung hätte. Bei Linde hat man sich deshalb zu einer Verschiebung von einem traditionell benutzerbezogenen Rollenkonzept hin zur Funktionstrennung zwischen der Softwareentwicklung und dem Betrieb der Roboter entschieden. Das bedeutet konkret: • Die Einheit mit Bedarf für Prozessautomatisierung (beantragende Einheit) muss die Anforderung dokumentieren und freigeben. Insbesondere müssen im Prozess enthaltene Kontrollen, Funktionstrennungen und Genehmigungsvorgaben entsprechend berücksichtigt werden. • Die Programmierung der Artefakte hat durch einen Entwickler auf Basis dieser Anforderungen zu erfolgen. Ein zweiter unabhängiger Entwickler muss die Programmierung der Bots auf Korrektheit und Einhaltung der Entwicklungsstandards überprüfen. • Die Kundenabnahme der Entwicklung erfolgt im Test (User-­Acceptance-­ Test), bei dem die beantragende Einheit die Funktion des Artefakts und die Übereinstimmung mit seinen Vorgaben überprüft. • Nur nach Freigabe durch die beantragende Einheit darf der Bot-Betreiber („scheduler“, z. B. das SSC) den Bot in die Produktivumgebung transportieren und ausführen. • Nur der Bot-Betreiber darf Zugang zu Bots im laufenden Betrieb haben, um einen reibungslosen Arbeitsablauf sicherzustellen. Eingriffe dürfen nur mit entsprechender Dokumentation und unter Überwachung erfolgen (z. B. Bildschirmaufzeichnung und Protokollierung). • Notwendige Korrekturen am Programmcode dürfen nur vom Entwickler außerhalb der Produktivumgebung erfolgen und benötigen einen weiteren Test und Freigabeprozess. • Die Aufgaben der beantragenden Einheit, der Softwareentwickler und der Bot-Betreiber müssen von unterschiedlichen Personen wahrgenommen werden. Die hier definierte Rollenverteilung zwischen der beantragenden Einheit, dem Artefaktentwickler und dem Bot-Betreiber sollte genau dokumentiert und regelmäßig überprüft werden. Es empfiehlt sich, die Prozessbeschreibung dem Ab-

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schlussprüfer und der internen Revision vorzulegen, um auch deren Zustimmung zu diesem kosten- und risikooptimierten Ansatz zu bekommen. Zur Risikoreduzierung können auch wirkungsbezogene Maßnahmen ergriffen werden. Sie verringern nicht die Eintrittswahrscheinlichkeit eines Risikos, sondern das Schadensausmaß bei Risikoeintritt. Der finanziell bewertete Schaden kann bei IT-Risiken in unterschiedlicher Form auftreten. Anknüpfend an die drei Unterziele der Informationssicherheit kann die Vertraulichkeit von Daten verletzt, die Integrität (Fehlerfreiheit) von Daten beeinträchtigt oder die Verfügbarkeit von Daten und IT-Systemen eingeschränkt sein. Solche Wirkungen bei Risikoeintritt lösen regelmäßig Folgewirkungen aus: Die Reputation des Unternehmens wird durch Datenmissbrauch geschädigt, gegebenenfalls drohen Schadenersatzforderungen. Feh­ lerhafte Daten oder nicht verfügbare IT-Systeme verursachen Störungen im Betriebsablauf und führen möglicherweise zu Produktionsausfällen. Wirkungsbezogene Maßnahmen zielen darauf ab, solche negativen Auswirkungen zu reduzieren. So kann z.  B. die Verfügbarkeit von Daten durch regelmäßige Back-up-­ Speicherungen sichergestellt werden. Darüber hinaus tragen Notfallpläne dazu bei, im Fall eines Risikoeintritts schnell reagieren zu können und den Schaden gering zu halten. Praxisbeispiel: Datensicherung und Business Continuity Management bei thyssenkrupp

Durch technisches Versagen, versehentliches Löschen oder gezielte Manipulation können gespeicherte Daten unbrauchbar werden bzw. im schlimmsten Fall ganz verloren gehen. Eine Datensicherung soll den Verlust von Daten und Informationen gering halten, idealerweise verhindern. So lautet eine obligatorische Vorgabe bei thyssenkrupp, ein Datensicherungskonzept für jedes System und für jede Applikation zu erarbeiten. Für RPA (Unattended Bot) wird heute schon eine tägliche Sicherung der aktuell laufenden Prozesse durchgeführt. Dabei werden auch die bei Bedarf gespeicherten Prozessdaten auf dem Server gesichert. Diese Sicherung wird vorgehalten und ermöglicht ein Rollback. Für alle Bot-Prozesse (Attended und Unattended Bots) werden die entwickelten Prozesse in einem Repository gesichert. Dadurch können auch ältere Versionen für eine Prüfung oder ein Rollback genutzt werden. Durch das Repository sind zudem die Änderungsverfolgung des Quellcodes möglich und eine revisionssichere Archivierung gewährleistet. Das Business Continuity Management (BCM) bei thyssenkrupp nutzt Methoden und Maßnahmen, die darauf abzielen, dass wesentliche Bereiche in Notfallbzw. Krisensituationen nicht bzw. nur innerhalb eines definierten Rahmens gestört werden und strukturiert wieder zur Verfügung gestellt werden können. Hierfür wurde einerseits die Minimierung des Schadensausmaßes festgelegt und andererseits die Bereitstellung strukturierter und angemessener Notfallpläne erarbeitet.

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Im BCM werden bei thyssenkrupp alle Aspekte betrachtet, die zur Fortführung von unternehmenskritischen Geschäftsprozessen und Services bei Auftreten eines Ereignisses erforderlich sind. Dies betrifft nicht nur die Ressource Informationstechnik, sondern durchaus auch Bereiche wie Gebäude und Personal. Die dritte Handlungsoption besteht in der teilweisen oder vollständigen Überwälzung von Risiken an einen externen Dritten, z. B. an eine Versicherung oder an Vertragspartner (vgl. Diederichs 2018, S. 174 ff.). Hierbei wird weder die Eintrittswahrscheinlichkeit noch das Schadensausmaß an sich verringert; es wechselt lediglich der Risikoträger. Für die Überwälzung von Risiken an ein Versicherungsunternehmen zahlt der Versicherungsnehmer eine Prämie. Die Höhe dieser Prämie hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z. B. der Eintrittswahrscheinlichkeit des Risikos, der Höhe des potenziellen Schadens und der Selbstbeteiligung. Im Schadensfall ist der Versicherungsgeber verpflichtet, den entstandenen Schaden durch Zahlung eines Geldbetrags auszugleichen. Die Möglichkeit zur Überwälzung von Risiken an ein Versicherungsunternehmen besteht nur für solche Risiken, bei denen entsprechende Versicherungsprodukte am Markt angeboten werden. Typischerweise handelt es sich dabei um Risiken, deren Schadenspotenzial sehr hoch ist, bei gleichzeitig aber sehr geringer Eintrittswahrscheinlichkeit. Dies trifft z. B. auf Risiken aus Naturkatastrophen zu, nicht aber auf allgemeine Absatzrisiken. Zudem muss eine Reihe weiterer versicherungsmathematischer Kriterien erfüllt sein, damit Risiken in der Versicherungswirtschaft als versicherbar gelten (vgl. Haas und Hofmann 2014, S. 395 ff.). Ebenso muss die Schadenursache definierbar und die Schadenwirkung eingrenzbar sein. Zu beachten ist, dass Versicherungen i. d. R. nur die monetären Schäden kompensieren, nicht aber nichtmonetäre Folgeschäden wie Reputations- oder Marktanteilsverluste. Daher stellt die Überwälzung von Risiken durch den Abschluss einer Versicherung immer nur eine selektiv einsetzbare Maßnahme dar. Als Folge der Digitalisierung und der dadurch veränderten Risikolage werden mittlerweile auch spezielle Versicherungen gegen Cyberrisiken am Markt angeboten (vgl. Haas und Hofmann 2014, S. 382 ff.). Versichert werden dabei quantifizierbare Eigen- und Drittschäden. Erstere umfassen z. B. Kosten aus der ­Wiederherstellung von Daten und IT-Systemen infolge von Diebstahl, Manipulation oder Zerstörung sowie Umsatzausfälle infolge einer Betriebsunterbrechung nach einer Cyberattacke. Letztere beinhalten z. B. Schadenersatzansprüche Dritter aufgrund von Vermögensschäden. In der Regel muss ein immaterieller Schaden an Daten oder IT-Systemen entstanden sein, beispielsweise die unberechtigte Offenlegung elektronischer Daten oder die Androhung von Manipulationen im Rahmen einer Erpressung. Physische Schäden an IT-Systemen werden hingegen durch klassische IT-Versicherungen abgedeckt, was gegebenenfalls zu Abgrenzungsproblemen führen kann. Cyberrisikoversicherungen ergänzen mithin traditionelle Ertragsausfall- und Unternehmenshaftpflichtversicherungen und erfordern Deckungen aus unterschiedlichen Bereichen. Für SSC ist zu prüfen, ob bereits ein Versicherungsschutz über eine konzernweite

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Cyberrisikoversicherung besteht und dieser angesichts des besonderen Risikopotenzials von SSC hinreichend bemessen ist. Praxisbeispiel: Cyberversicherungen bei Munich Re

Als weltweit führender Anbieter von Cyberversicherungslösungen hat Munich Re in den letzten Jahren massiv in den Aufbau von weltweiten Ressourcen, Prozessen und Serviceangeboten investiert. So wurde beispielsweise mit dem Bereich Corporate Underwriting Cyber eine Zentraleinheit nur für diesen Versicherungszweig geschaffen. Darüber hinaus wurden dedizierte Cyber-Underwriter in den teils internationalen Geschäftseinheiten eingestellt bzw. ausgebildet. Ziel ist es, Cyberrisiken global sowie für alle Industriezweige und Unternehmensgrößen versicherbar zu machen. Dies stellt hohe Anforderungen an das Risikomanagement. Das konsequente Monitoring aktueller technologischer Entwicklungen sowie Cybersicherheitstrends mit den einhergehenden Bedrohungen und Vulnerabilitäten ist sehr wichtig. So stellt z.  B. die von der Munich Re entwickelte Cyber Exposure World Map die unterschiedlichen Bedrohungen durch Cyberrisiken in den Ländern dar. Sie gibt einen Einblick in das jeweilige regulatorische Umfeld, zeigt externe Vorfälle und aggregierte Statistiken. Da sich die Risikolandschaft schnell und fortschreitend ändert und kaum historische Daten verfügbar sind, haben Schadenmanagement, Kumulkontrolle, Portfoliosteuerung, Performancemanagement und eine adäquate Risikobewertung, Risikoselektion sowie Risikobepreisung einen unabdingbaren Stellenwert. Darüber hinaus ist Munich Re in ein starkes internationales Netzwerk bestehend aus Cybersecurity-Serviceanbietern, staatlichen bzw. supranationalen Behörden, Wissenschaft und Forschung sowie Versicherungsverbänden und relevanten institutionellen Einrichtungen eingebunden. Eine vernetzte Welt und das Fortschreiten von Technologien wie dem neuen 5G-Standard oder KI bieten Chancen in allen gesellschaftlichen Bereichen. Sie erhöhen gleichzeitig aber auch Abhängigkeiten und eröffnen immer professioneller agierenden Cyberkriminellen neue Angriffsflächen. Die cyberkriminelle Welt agiert zunehmend zielgerichtet, vernetzt und kollaborativ. Neueste Technologien werden in allen Angriffsphasen genutzt, um Ziele zu identifizieren, Schwachstellen zu erkennen und auszunutzen sowie Spuren zu verwischen. Angreifer erhöhen dadurch den Grad an Automatisierung und Effizienz, was wiederum in höheren Schäden resultiert. Dies und immer komplexere Abhängigkeiten vieler Unternehmen (durch beispielsweise moderne Lieferketten oder die Digitalisierung von globalen Shared Services) erhöhen auch die Anforderung an das Risikomanagement deutlich. Aus den von Angriffen besonders betroffenen Branchen kommt auch die größte Nachfrage für Cyberversicherungen: aus dem Gesundheitswesen, der produzierenden Industrie sowie von IT-, Finanz- und Dienstleistungsunternehmen. Mit dem kontinuierlichen Wachstum des Cyberversicherungsmarkts in den vergangenen Jahren hat sich auch das Angebot an Lösungen qualitativ verbessert.

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Deckungen im kommerziellen Bereich werden zunehmend standardisiert; für große Industrieunternehmen herrschen individuelle Lösungen vor. Wesentliche Deckungselemente sind unverändert der Schutz bei Betriebsunterbrechung und Datendiebstahl. Bei kleineren und mittleren Unternehmen steigt das Bewusstsein für die eigene, oft substanzielle Exponierung. Munich Re unterstützt seine Kunden im Cyberrisikomanagement mit einem gesamtheitlichen Ansatz. Dieser beruht darauf, Risiken zu verstehen, versteckte Cyberrisiken in bestehenden Policen (Silent Cyber) transparent zu machen und die Risiken nicht nur singulär, sondern im Zusammenwirken des gesamten Portfolios adäquat einzuschätzen und so versicherbar zu machen. Ob und welche Maßnahmen zur Bewältigung der IT-Risiken im SSC ergriffen werden, ist im Einzelfall zu entscheiden. Dabei sind die allgemeine Risikopolitik und die Risikotragfähigkeit zu berücksichtigen. Zudem gilt es zu beachten, dass risikoreduzierende oder -überwälzende Maßnahmen regelmäßig mit Kosten verbunden sind. Zusätzliche IT-Sicherheit ist nicht zum Nulltarif erhältlich. Daher ist der Nutzen solcher Maßnahmen in Form geringerer Kosten durch Risikoeintritte mit den Kosten für die Sicherungsmaßnahmen abzuwägen, um einen optimalen Grad der Risikobewältigung (optimaler Sicherheitsgrad) zu bestimmen (vgl. Gleißner 2017, S. 287). Angesichts der praktischen Schwierigkeit, Kosten und Nutzen exakt zu quantifizieren, ist das Optimum indes nur recht grob abschätzbar.

4.4

Zusammenfassung und Ausblick

Die Digitalisierung bietet für SSC neue Kosteneinsparpotenziale. Sie geht aber auch mit neuen und in ihrer Bedeutung geänderten Risiken einher. Hierbei handelt es sich v. a. um IT-Risiken, die interner oder externer Natur sein können. Aufgrund der in ihnen zentralisierten Prozesse und der Verarbeitung sensitiver Daten sind SSC in besonderem Maß auch den Risiken aus Cyberangriffen ausgesetzt. Diese Risikolage macht ein systematisches Risikomanagement unabdingbar. Hierbei kann grundsätzlich auf die etablierten Systeme und Prozesse zurückgegriffen werden. Allerdings empfiehlt es sich, bei der digitalen Transformation von SSC zu prüfen, ob gerade die durch die Digitalisierung weiter an Bedeutung gewinnenden IT-Risiken vollständig erfasst und sachgerecht bewertet sind. Ebenso ist zu überprüfen, ob zusätzliche Maßnahmen zur Risikosteuerung erforderlich sind, v. a. im Bereich der Zugriffsrechte und der Datensicherung sowie der Versicherung von Cyberrisiken. Die Digitalisierung führt in SSC zum Einsatz neuer Technologien, wie z. B. Predictive Analytics. Hieraus können sich in der Zukunft möglicherweise auch neue Shared Services im Bereich des Risikomanagements für die operativen Geschäftseinheiten entwickeln. Insofern geht es perspektivisch nicht nur um das Management von IT-Risiken in SSC, sondern auch um die Nutzung digitaler Technologien für Shared Services im Bereich des konzernweiten Risikomanagements.

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Business Analytics in Shared Service Organisationen Thomas M. Fischer, Kai-Eberhard Lueg, Martin Steuernagel, Barbara Mauch-Maier, Frank Schüler, Daniela Hofbeck und Lorenz Schneck

Zusammenfassung

Durch Digitalisierung steigen Dynamik, Komplexität und Volatilität des Unternehmensumfelds mit einer nachhaltigen Auswirkung auf die Chancen und He­ rausforderungen für die Shared Service Organisation (SSO). Dieses Kapitel beschreibt, wie Business Analytics (BA) von der SSO eingesetzt werden kann, um Erkenntnisse aus den zahlreichen im Konzern vorliegenden Daten zu gewinnen. Diese stellen die Grundlage von neuen BA-Geschäftsmodellen für die SSO dar, deren Aufbau unter den Aspekten der Wertschöpfung für den Konzern über Effizienz- und Effektivitätssteigerungen hinaus, Wertübertragung an die Kunden der SSO und Wertrealisation mit geeigneter Lenkungswirkung diskutiert wird. Ferner wird erläutert, wie das Controlling der SSO durch Integration von BA-­ Ansätzen in das Informations-, Planungs- und Kontrollsystem verbessert werden kann und wie neue digitale Shared Service-Geschäftsmodelle gesteuert werden. Die Umsetzung der konzeptionellen Überlegungen wird durch zahlreiche Praxisbeispiele veranschaulicht, welche untermauern, dass BA zunehmend wichtige T. M. Fischer (*) · D. Hofbeck · L. Schneck Inhaber des Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre, insb. Rechnungswesen und Controlling, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Nürnberg, Deutschland E-Mail: [email protected] K.-E. Lueg Chief Operating Officer - Global Business Services, Siemens AG, München, Deutschland M. Steuernagel Lufthansa Global Business Services GmbH, Frankfurt am Main, Deutschland B. Mauch-Maier Daimler AG, Stuttgart, Deutschland F. Schüler DHL Global Forwarding, Freight – Global Service Centers, Bonn, Deutschland © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. M. Fischer, K.-E. Lueg (Hrsg.), Erfolgreiche Digitale Transformation von Shared Services, ZfbF-Sonderheft 74/20, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30484-3_5

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Fähigkeiten für die SSO darstellen, um Wettbewerbsvorteile für ihre Kunden zu generieren.

Um die Relevanz von Business Analytics (BA) für die Erschließung neuer Potenziale in der Shared Service Organisation (SSO) zu verdeutlichen, werden im Folgenden zunächst konzeptionelle Grundlagen zu BA vermittelt (Abschn. 5.1). Anschließend wird diskutiert, wie BA als neues digitales Geschäftsmodell der  SSO gestaltet werden kann (Abschn. 5.2). Um durch die BA-Dienstleistungen Wertbeiträge im Konzern zu erzielen, werden hierzu die Wertschöpfung, -übertragung und -realisierung im Dienstleistungsportfolio einer SSO erläutert. Danach wird aufgezeigt, welche Auswirkungen neue digitale Shared Service-Geschäftsmodelle auf die Steuerung der SSO haben (Abschn.  5.3). Hier wird zunächst dargestellt, wie Fähigkeiten aus neuen digitalen Geschäftsmodellen, wie BA-Services, im Controlling eingesetzt werden können, um das SSO-Management angesichts neuer, mit der Digitalisierung einhergehender Herausforderungen zu unterstützen. Anhand einer Fallstudie wird verdeutlicht, durch welche innovativen Ansätze die digitalen Shared  Service-Geschäftsmodelle erfolgreich gesteuert werden. Der Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung (Abschn. 5.4).

5.1

Konzeptionelle Grundlagen zu Business Analytics

Die v.  a. in digitalen Geschäftsmodellen verfügbaren sehr großen Datenbestände (Big Data) haben einen starken Einfluss auf die Innovations-, Entwicklungs- und Wettbewerbsfähigkeit (vgl. Berman et al. 2018, S. 67; Cao 2017, S. 14 f.; Demirkan und Delen 2013, S. 412) der SSO, insbesondere, wenn durch die SSO auf die Datenbestände direkt zugegriffen werden kann. Die daraus generierten Informationen ­ermöglichen eine schnellere sowie i. d. R. verbesserte Entscheidungsfindung und tragen zur Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen, bei einer weiter fortschreitenden digitalen Transformation der Geschäftsmodelle, bei (vgl. Chen et al. 2012, S. 1166; Seiter et al. 2018, S. 57). Hierbei kommt BA eine sehr hohe Bedeutung zu (vgl. Chen et al. 2012, S. 1166). Nachstehend erfolgen zunächst eine Definition und inhaltliche Abgrenzung von BA (Abschn.  5.1.1). Ferner werden die BA-Entwicklungsstufen erläutert (Abschn.  5.1.2). Daran schließt sich ein Überblick zum BA-Prozess an (Abschn. 5.1.3).

5.1.1 D  efinition und inhaltliche Abgrenzung von Business Analytics In der wissenschaftlichen Literatur wird BA aus unterschiedlichen Erklärungsper­ spektiven als Fähigkeit („capability“), Sammlung von Methoden, spezifische Akti­

5  Business Analytics in Shared Service Organisationen

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vität, Entscheidungsparadigma oder Wettbewerbsvorteil beschrieben (vgl.  Akter und Wamba 2016, S. 178; Holsapple et al. 2014, S. 133). In enger Verbindung zu BA steht der Begriff Data Science, der interdisziplinär die Gebiete Statistik, Informatik, Datenverarbeitung, Kommunikation, Management sowie Soziologie verbindet, um aus Daten neue Erkenntnisse zu gewinnen und diese in Entscheidungen zu transformieren (vgl. Cao 2017, S. 4 ff.). Demnach stellt Data Science einen übergeordneten Begriff dar, der BA und inhaltlich verwandte Begriffe, wie z. B. (Data) Analytics, umfasst (vgl. Cao 2017, S. 4; Seiter et al. 2018, S. 20). (Data) Analytics bezieht dabei Theorien, Technologien, Werkzeuge und Prozesse für ein tiefgehendes Datenverständnis ein (vgl. Cao 2017, S.  4; Dedić und Stanier 2017, S. 119). Innerhalb von Data Science gilt (Data) Analytics als eigenständiges Gebiet, zu dem z. B. Big Data Analytics gehört (vgl. Dedić und Stanier 2017, S. 116; Gluchowski 2016, S. 276; Lanquillon und Mallow 2015, S. 56). Big Data Analytics wurde etabliert, um die vorhandenen großen Bestände an strukturierten, semi- sowie unstrukturierten Daten (Big Data) im Unternehmen effektiv und effizient mithilfe von Advanced Analytics zu verarbeiten (vgl. Cao 2017, S. 4; Lokhande und Khare 2015, S. 37; Russom 2011, S. 8; Talia 2013, S. 98; Tsai et al. 2015, S. 2). Advanced Analytics bezeichnet die Kombination von statistischen Methoden mit Machine Learning, um damit aussagefähige Prognosemodelle zu erstellen. Aufgrund der Zukunftsorientierung von Advanced Analytics sind Predictive Analytics sowie Prescriptive Analytics als wesentliche Teilgebiete anzusehen (vgl. Chamoni und Gluchowski 2017, S. 11; Trinks und Felden 2017, S. 4843). Als übergeordneter Begriff umfasst Business Intelligence (BI) die Strategien, Prozesse, Anwendungen und Technologien für die Sammlung, Analyse, Verarbeitung und Präsentation von Geschäftsinformationen, um eine effektive Entscheidungsfindung im Unternehmen zu ermöglichen (vgl. Dedić und Stanier 2016, S.  226; Fink et  al. 2016, S. 2). Da sich BI auf die Versorgung des Managements mit historischen Informationen durch Dashboards, Reports oder Online Analytical Processing (OLAP) fokussiert, werden Descriptive Analytics sowie Diagnostic Analytics darunter subsumiert (vgl. Gluchowski 2016, S. 276; Işık et al. 2013, S. 13 f.; Lanquillon und Mallow 2015, S.  57).1 Abb.  5.1 veranschaulicht die begriffliche Einordnung und Abgrenzung von BA. Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen wird BA wie folgt definiert: BA ermöglicht durch statistische, qualitative und quantitative Verfahren die Sammlung, Aufbereitung und Analyse großer, interner und externer sowie vergangenheits- und zukunftsbezogener Datenbestände. Darauf basierend erfolgt eine evidenzgetriebene Planung und Entscheidungsfindung, durch die Strukturen und Abläufe im Unternehmen beeinflusst werden. BA ermöglicht, die vorhandenen Unternehmensressourcen effektiv und effizient einzusetzen und neue Produkte, Dienstleistungen und wertschöpfende Geschäftsmodelle zu entwickeln, um dadurch nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Entsprechend der zugrunde gelegten Definition umfasst BA sowohl eine vergangenheits- als auch zukunftsbezogene Analyse von Daten. Demzufolge werden durch BA verschiedene Methoden von BI und Big Data miteinander verbunden.

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T. M. Fischer et al. Data Science (Data) Analytics Big Data Analytics

Business Analytics Business Intelligence

Big Data Advanced Analytics

Descriptive Diagnostic Predictive Analytics Analytics Analytics

Prescriptive Analytics

Abb. 5.1  Einordnung und Abgrenzung von Business Analytics (Eigene Darstellung in Anlehnung an Dedić und Stanier 2017, S. 115; Gluchowski 2016, S. 277)

5.1.2 Entwicklungsstufen von Business Analytics BA kann nach verschiedenen Entwicklungsstufen differenziert werden, die grundsätzlich im Kontext der SSO anwendbar sind (vgl. IBM Corporation 2017, S. 3). Das nachfolgende Beispiel aus der SSO der Lufthansa AG zeigt den Einsatz von Sales Analytics in der Praxis. Anschließend wird anhand des Beispiels erläutert, wie die einzelnen BA-Stufen entwickelt werden. Sales Analytics – Ein Anwendungsfeld von Business Analytics bei der Lufthansa AG

Einen Großteil der Flugscheine verkaufen Fluggesellschaften über Reisebüros an ihre Passagiere. Im Zuge dieser Vermittlertätigkeit stellen die Reisebüros die entsprechenden Beförderungsdokumente aus und nehmen Zahlungsmittel entgegen. Für die Fluggesellschaften im Lufthansa Konzern besteht daher für eine länderspezifisch unterschiedlich lange Zeitspanne das Risiko, dass die erhaltene Bezahlung für die vertraglich zugesicherte Beförderung zunächst dem Reisebüro zukommt, das die entsprechenden Gelder erst in einem zweiten Schritt an die Fluggesellschaften, über ein vom Branchenverband International Air Transport Association (IATA) global betriebenes Clearingsystem, weiterleitet. Über dieses Clearingsystem wickeln die Fluggesellschaften des Lufthansa Konzerns jährlich Forderungen in Höhe von etwa 7 Mrd. € gegenüber Reisebüros ab. Da länderspezifisch die Abrechnungszyklen (täglich bis monatlich), die Zahlungsziele (bis zu 15  Tage) und die Forderungsabsicherungen variieren, bestehen derzeit lau-

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151

fende Forderungsrisiken in Höhe von mehreren 100  Mio.  €. Aufgrund einer zunehmenden Anzahl v.  a. betrügerischer Bankrotte wurde eine intensivere Überwachung der täglichen Reisebüroumsätze zur Identifikation verdächtiger Verkaufsmuster notwendig, um kritischen Kontrahenten kurzfristig das Recht zum Flugscheinverkauf zu entziehen. Hierzu wurde mit Unterstützung des Data Analytics & Artificial Intelligence Teams (LGBS Explores Analytics Project;  LEAP) der Lufthansa Group Business Services GmbH (LGBS)  eine Anwendung geschaffen, die Millionen Verkaufsdatensätze sowie sämtliche seitens IATA verfügbaren Daten analysiert und die Reisebüros hinsichtlich ihrer Bankrottwahrscheinlichkeit in risikoreich und nichtrisikoreich klassifiziert. Hierfür wurden auf Basis historischer Daten und der Ableitung relevanter, fachlicher Attribute unterschiedliche Modelle trainiert (u. a. logistische Regression, Random Forest), die auf tägliche Verkaufs- und IATA-Daten angewendet werden, um die risikoreichen Einzelfälle zu selektieren, deren Entwicklung zu bewerten und sie in grafischen Oberflächen zur weiteren Betrachtung darzustellen. Eine grafische Darstellung dieses Sales Analytics-Prozesses ist in Abb. 5.2 gegeben. Descriptive Analytics beschreibt die Analyse historischer und gegenwärtiger Daten (vgl. Cao 2017, S. 17 f.). Hierzu wird die Datenbasis dekodiert, mit Daten aus weiteren Quellen kombiniert, in ein anschauliches Darstellungsformat transformiert sowie im jeweiligen Kontext interpretiert (vgl. Siow et al. 2018, S. 13). Geeignete Methoden sind z. B. Assoziations-, Cluster- und Ausreißeranalysen sowie Social-­ Network-­Analysen (vgl. Seiter 2017, S. 25). Die Ergebnisse werden als Diagramm, Dashboard oder in einem Report dargestellt (vgl. Delen und Demirkan 2013, S. 361; Siow et al. 2018, S. 13). Descriptive Analytics eignet sich z. B. zur Identifikation von Plan-Ist-Abweichungen einer Geschäftseinheit (vgl. Delen und Demirkan 2013, S.  361). Im Shared  Service-Kontext könnte eine deskriptive Analyse im

Abb. 5.2  Der Sales Analytics-Prozess (Lufthansa AG)

 Für eine nähere Definition von Descriptive Analytics und Diagnostic Analytics s. Abschn. 5.1.2.

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T. M. Fischer et al.

Order-­to-Cash-Prozess2 ergeben, dass in der vergangenen Betrachtungsperiode ein im Vergleich zur Vorperiode erhöhter Forderungsausfall eingetreten ist (vgl. vorhergehendes Beispiel zum Sales Analytics-Prozess). Diagnostic Analytics wird eingesetzt, um zu erkennen, weshalb ein Ereignis eingetreten ist oder gerade eintritt (vgl. Shao und Jain 2014, S. 2194 f.). Um die Ursachen für bestimmte Ereignisse zu identifizieren, sind Annahmen notwendig, die die postulierten Abhängigkeiten oder Strukturen auf der Basis von Erfahrungen oder konzeptionellen Überlegungen begründen (vgl. Shao und Jain 2014, S. 2194 f.; Siow et al. 2018, S. 12). Im genannten Beispiel könnte Diagnostic Analytics zur Überprüfung von Hypothesen, wie z. B. der Häufung von Forderungsausfällen im Zusammenhang mit betrügerischen Geschäftsmodellen von Vertriebspartnern der Geschäftseinheit, Anwendung finden. Predictive Analytics verwendet mathematische Verfahren, wie z. B. Klassifikationen, Regressions- und Zeitreihenanalysen sowie künstliche neuronale Netze, um Erklärungs- und Vorhersagemuster, wie beispielsweise Trends, Assoziationen und Affinitäten, zu entdecken (vgl. Delen und Demirkan 2013, S. 361). Um Vorhersagen für die Zukunft zu treffen und gleichzeitig deren Zuverlässigkeit zu beurteilen, müssen die Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen Modellvariablen bekannt sein (vgl. Hair 2007, S. 303; Shmueli und Koppius 2011, S. 554). In Bezug auf das Beispiel könnte Predictive Analytics bei einer neuen Transaktion eine Vorhersage bezüglich der Wahrscheinlichkeit treffen, ob die Transaktion im Zusammenhang mit einem in Betrugsabsicht handelnden Vertriebspartner steht. Prescriptive Analytics zielt darauf ab, mit den Ergebnissen der durchgeführten Datenanalysen die optimale Maßnahme aus den verfügbaren Alternativen auszuwählen (vgl. Cao 2017, S. 18; Siow et al. 2018, S. 13). Mit Prescriptive Analytics könnte im obigen Beispiel den operativen Mitarbeitern ein Werkzeug an die Hand gegeben werden, mit dem riskante Transaktionen erkannt oder entsprechende Anfragen von Vertriebspartnern automatisiert identifiziert und mit einer Standardnachricht abgelehnt werden. Bei der Auswertung der Daten werden v. a. multivariate Analysemethoden eingesetzt, die die verschiedenen Variablen entweder in Bezug auf das Vorhandensein bestimmter Zusammenhänge untersuchen (Strukturen-prüfende Methoden) oder darauf abzielen, zwischen den Variablen neue Beziehungen zu erkennen (Strukturen-­ entdeckende Methoden) (vgl. Backhaus et al. 2018, S. 13 ff.). Damit die verschiedenen Methoden effektiv und effizient eingesetzt werden, sind jeweils die Zielsetzung der Datenanalyse, die Charakteristika der Daten und die spätere Darstellungsform zu berücksichtigen (vgl. Gluchowski 2016, S. 278). Abb. 5.3 zeigt eine Übersicht zu Strukturen-prüfenden und -entdeckenden Methoden sowie zu erläuternden Anwendungsbeispielen.

2  In einem Order-to-Cash-Prozess (Bestellprozess) werden alle Aktivitäten zusammengefasst, die im Unternehmen vom Eingang einer Kundenbestellung bis zur Zahlung des Kaufpreises erforderlich sind.

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Strukturen-prüfende Methoden Methode Regressionsanalyse Nichtlineare Regression Zeitreihenanalyse Varianzanalyse Diskriminanzanalyse Logistische Regression Kontingenzanalyse Strukturgleichungsanalyse Conjoint-Analyse

Anwendungsbeispiel Abhängigkeit der Nachfrage einer BA-Dienstleistung von Budget und Servicequalität Untersuchung der Diffusion von BA-Innovationen und BA-Leistungen Analyse und Prognose der zeitlichen Entwicklung der Plattformnutzung/des Automatisierungsgrads Wirkung alternativer Darstellungsformen der Daten auf die Verständlichkeit der Informationen Unterscheidung der Kunden hinsichtlich ihrer spezifischen Merkmale Ermittlung des Erfolgsbeitrags von BA-Anwendungen in Abhängigkeit von der Dauer ihrer Verfügbarkeit Zusammenhang zwischen BA-Aufwand und Unternehmenserfolg Abhängigkeit der Kundentreue von der subjektiven Dienstleistungsqualität des BA-SSCs Ableitung der Nutzenbeiträge alternativer Visualisierungsmethoden von Informationen zur Gesamtpräferenz der Kunden

Strukturen-entdeckende Methoden Methode Faktorenanalyse Clusteranalyse Neuronale Netze Multidimensionale Skalierung Korrespondenzanalyse

Anwendungsbeispiel Verdichtung einer Vielzahl von Eigenschaftsbeurteilungen der BA-Dienstleistungen auf zugrunde liegende Beurteilungsdimensionen Erstellung von Prozessanalysen zur Identifikation ähnlicher Aufgabenbereiche Untersuchung von End-to-End-Prozessen und Identifikation möglicher Optimierungspotenziale Positionierung verschiedener Analysemethoden im Wahrnehmungsraum der Konsumenten Darstellung von Dienstleistungen und Dienstleistungsmerkmalen in einem gemeinsamen Raum

Abb. 5.3  Strukturen-prüfende und -entdeckende Methoden (Eigene Darstellung in Anlehnung an Backhaus et al. 2018, S. 14)

5.1.3 Der Business Analytics-Prozess Für einen hohen Grad an Zuverlässigkeit und Korrektheit des identifizierten Zusammenhangs wird im BA-Prozess ein strukturiertes und standardisiertes Vorgehen empfohlen (vgl. Lanquillon und Mallow 2015, S. 68 f.). Nachfolgend wird das Data Analytics Lifecycle Model (DALM) beschrieben, das aufgrund seiner generischen

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Phasenstruktur ohne größere Anpassungen auf BA übertragbar ist (vgl. Lanquillon und Mallow 2015, S. 69; Song und Zhu 2016, S. 370; Storey und Song 2017, S. 63).3 In der ersten Phase, dem Business Understanding, sind die spezifischen Projektziele und ‑anforderungen zu identifizieren, um das zu lösende Kundenproblem konkret zu definieren (vgl. Huber et  al. 2018, S.  404). Unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen müssen ein Projektplan entwickelt und quantifizierbare Erfolgsfaktoren bestimmt werden (vgl. Chapman et al. 2000, S. 14 ff.). In der zweiten Phase, dem Data Understanding, werden grundlegende Hypothesen über vermutete Zusammenhänge zwischen den unabhängigen und abhängigen Variablen entwickelt. Dabei ist insbesondere auf eine hohe Datenqualität bezüglich Vollständigkeit, Genauigkeit und Fehlerfreiheit zu achten (vgl. Chapman et al. 2000, S. 18 ff.). Elementarer Bestandteil der dritten Phase, der Data Preparation, ist die finale Generierung des zu analysierenden Datensatzes. Hierzu gehören u.  a. die Auswahl von Datenquellen und Attributen sowie die Bereinigung, Integration und Formatierung der Daten (vgl. Wirth und Hipp 2000, S. 34). In der vierten Phase, dem Model Planning, werden die Parameter, Methoden und Techniken identifiziert, aus denen in der folgenden fünften Phase, dem Model Building, das BA-­Gesamtmodell durch effektive und effiziente Algorithmen und weitere Werkzeuge konfiguriert wird (vgl. Song und Zhu 2016, S. 370). In der sechsten Prozessphase, der Evaluation, erfolgt die Validierung des generierten BA-Modells, um die Aussagefähigkeit der bisher erzielten Analyseergebnisse und die Erreichung der vorab definierten Ziele zu beurteilen (vgl. Chapman et al. 2000, S. 11). Die Implementierung der erzeugten und evaluierten Analysemodelle in Management-Dashboards kennzeichnet die siebte Phase, das Deployment (vgl. Storey und Song 2017, S. 63). Zur Dokumentation und Kommunikation der BA-Ergebnisse an die Entscheidungsträger dienen Berichte und Abschlusspräsentationen (vgl. Lanquillon und Mallow 2015, S. 73). In der achten und letzten Phase, Review und Monitoring, wird die Leistung der bereitgestellten Lösungen durchgehend überwacht und auf Verbesserungspotenziale hin untersucht (vgl. Song und Zhu 2016, S. 370 ff.). Die Reihenfolge der einzelnen Phasen ist jeweils an den spezifischen Kontext anzupassen. Dabei sind gegebenenfalls einzelne Phasen oder der gesamte Prozess mehrfach zu durchlaufen (vgl. Lanquillon und Mallow 2015, S. 70).

5.2

 usiness Analytics als Geschäftsmodell von B Shared Service Organisationen

Durch die Generierung von relevanten Informationen aus verfügbaren Datenbeständen kann BA als Treiber für die Transformation des Geschäftsmodells in einer SSO eingesetzt werden (vgl. Teece 2010, S. 172). Im Folgenden wird erläutert, welche

3  Für einen Überblick über alternative Prozessmodelle zur Datenanalyse, wie beispielsweise das Knowledge Discovery in Databases Model oder das Sample, Explore, Modify, Model, Assess (SEMMA) Model, s. Shafique und Quaiser (2014).

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Aspekte jeweils bei der Wertschöpfung („value creation“; Abschn. 5.2.1), der Wertübertragung („value delivery“; Abschn. 5.2.2) und der Wertrealisierung („value capture“; Abschn.  5.2.3) im Rahmen der Implementierung von BA in einer SSO zu berücksichtigen sind. Im Hinblick auf die organisatorische Ausgestaltung des BA-Geschäftsmodells bietet es sich an, ein separates Business Analytics-Shared Service Center (BA-SSC) zu etablieren.

5.2.1 Wertschöpfung in Business Analytics-Geschäftsmodellen Grover et al. (2018) untersuchen die Wertschöpfung durch BA aus der Perspektive des Resource- bzw. Capability-Based View (vgl.  Kap.  1). Voraussetzung für die Wertschöpfung durch BA in der SSO sind entsprechende BA-Fähigkeiten. Diese sind zunächst in einem Prozess „Aufbau von Fähigkeiten“ zu generieren. Anschließend kann ihr Potenzial im Prozess „Einsatz von Fähigkeiten“ realisiert und entsprechende Werte geschaffen werden. Ausgangspunkt für den Aufbau von Fähigkeiten ist die Implementierung einer BA-Infrastruktur, die sich zusammensetzt aus (vgl. Grover et al. 2018, S. 397 ff.): • Datenbasis • Analytics-Portfolio • Qualifikation der Mitarbeiter Zur Datenbasis gehören z. B. Daten aus ERP-Systemen und digitalen Plattformen, Nutzerinteraktionen (Task Mining), Web- und Social-Media-Aktivitäten sowie weiteren externen Datenbanken (z. B. über Finanzkurse, Nachrichten, Wettbewerber oder externe Kunden) und eine entsprechende Plattform, die das Sammeln, Integrieren und Verwalten der Datenbestände ermöglicht. Unabhängig davon, ob die Datenbasis lokal oder über eine Cloud bereitgestellt wird, muss die verwendete Plattform das Teilen von Daten, die Erfassung neuer Datentypen und die Integration weiterer Datenquellen ermöglichen (vgl. Grover et al. 2018, S. 397 ff.). Aus diesem Grund sind relevante Aspekte in Bezug auf Sicherheits-, Datenschutz-, und Compliance-­ Risiken frühzeitig vom SSO-Management zu erörtern bzw. mit dem jeweiligen Process Owner und der Konzern-IT abzustimmen. Im Rahmen des Analytics-Portfolios müssen Entscheidungen bezüglich der Datenaggregation, ‑transformation, der verwendeten Tools und der Analysemodelle getroffen werden. Weitere, sehr bedeutsame Ressourcen sind das Fachwissen und die Erfahrung der eingesetzten Mitarbeiter, wie z. B. Data Scientists, Entwickler, Programmierer, Modellierer und Analysten, um die BA-Strategie in der SSO umzusetzen und die Ergebnisse zu interpretieren (vgl. Grover et al. 2018, S. 397 ff.). Beim anschließenden Einsatz von Fähigkeiten unterscheiden Grover et al. (2018) sechs Mechanismen der Wertschöpfung, die eine Beziehung zwischen den BA-­ Fähigkeiten und den zu erreichenden Wertzielen schaffen. Diese umfassen:

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• Transparenz und Kontrolle • Entdeckung von neuen Zusammenhängen und Experimentieren mit neuen Ansätzen • Prognose und Optimierung • Individualisierung und Kundenzentrierung • Einbeziehen von externen Daten und externem Wissen • Kontinuierliche Überwachung und proaktive Anpassung4 Das Potenzial eines BA-Geschäftsmodells, in der SSO oder für die Geschäftseinheiten einen Wettbewerbsvorteil zu generieren, hängt von den in Kap. 1 beschriebenen VRIN-Eigenschaften der BA-Fähigkeiten ab (vgl. Grover et al. 2018, S. 392). Aus den BA-Fähigkeiten müssen sich ökonomisch verwertbare Vorteile erzielen lassen. Die durch BA zu realisierenden Werte können sich einerseits auf die Leistungsmerkmale der SSO selbst, aber auch auf die Wettbewerbsfähigkeit der Funktionen und Geschäftseinheiten beziehen, die das Angebot des BA-SSC für sich in Anspruch nehmen. Die Wertpotenziale umfassen, z. B. eine gesteigerte Qualität der Entscheidungsfindung, eine Erhöhung der Effizienz durch automatisierte BA-­ Prozesse, eine Verbesserung der Zufriedenheit der internen oder externen Kunden sowie eine optimierte Leistungsfähigkeit der SSO bzw. Steigerung der Wettbewerbsposition der Geschäftseinheiten, z. B. durch Produkt- und Serviceinnovationen (vgl. Grover et al. 2018, S. 400 ff.). Darüber hinaus kann eine SSO die Rolle als Promotor der digitalen Transformation überzeugender vermitteln, wenn sie die BA-Geschäftsmodelle in ihr Dienstleistungsportfolio integriert. Das BA-Geschäftsmodell der SSO kann Alleinstellungsmerkmale aufweisen, die nur schwierig in einer anderen Organisationsform replizierbar oder durch Alternativen ersetzbar sind. Gegenüber einer individuellen Implementierung in den Geschäftseinheiten oder Funktionen ergeben sich durch eine gebündelte Bereitstellung im BA-SSC Skalenvorteile, da z. B. knappe BA-Ressourcen, wie Kapazitäten von Data Scientists, besser ausgenutzt und hierdurch das Vorhalten entsprechender Ressourcen sowie der Aufbau anspruchsvoller Fähigkeiten rentabel werden (vgl. AK Shared Services 2018). Darüber hinaus ergeben sich Verbundvorteile, wenn durch einen standardisierten und harmonisierten Ansatz in Bezug auf BA kostspielige Parallelentwicklungen vermieden werden und der Expositionsgrad für IT-Risiken aufgrund einer besseren Datenintegration und -migration sinkt (vgl. Schüritz et  al. 2017, S. 395). Weiterhin werden durch die End-to-End-Prozessperspektive vieler SSOs die vorhandene Silo-Mentalität einzelner Funktionsbereiche aufgelöst sowie die bereichs- und funktionsübergreifende Nutzung von Daten und Expertise zur Schaffung von Werten durch BA begünstigt. Hier erweist sich besonders auch die Position der SSO an der Schnittstelle zwischen internen Kunden, funktionalen Experten, Konzern-IT sowie externen Dienstleistern als einzigartig. Das folgende Beispiel der Siemens AG zeigt, wie in deren Global Business Services (GBS) funktionales Expertenwissen, Prozesskenntnisse sowie BA- und IT-­ Know-­how gebündelt werden.

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Schaffung von dynamischen Fähigkeiten durch Business Analytics bei der Siemens AG

SSOs schaffen Werte im Konzern durch den komplementären Einsatz von Fähigkeiten und digitalen Technologien, z. B. Kombination von BA mit Robotic Process Automation (RPA). Wie die folgende Fallstudie der Warenwirtschaftsanwendung Intelligent Inventory Recommender zeigt, die von Siemens GBS in Kooperation mit der operativen Einheit Siemens Energy entwickelt wurde, können durch neue Shared  Service-Geschäftsmodelle Wettbewerbsvorteile für den Konzern generiert werden. Mit weltweit über 1.500 Mitarbeitern bietet der Bereich Controls and Digitalization Services von Siemens Energy seinen internationalen Kunden Lösungen für die Modernisierung der Leit- und Automatisierungstechnik in Kraftwerken sowie Dienstleistungen für den Betrieb entsprechender Anlagen an. Die Siemens GBS unterstützen Siemens Energy bei der Optimierung ihres Purchase-­to-Pay-­ Prozesses.5 Durch den Einsatz von Advanced Analytics auf Basis der GBS-eigenen Datenplattform wurde die Optimierung der Logistikprozesse bei einer weitgehenden Just-in-Time-Fertigung in den Produktionsstätten von Siemens Energy erzielt. So werden beispielsweise bis zu 30 % des kostenwirksamen Lagerbestands gesenkt. Weitere Vorteile der Lösung ergeben sich durch die weitgehende Vermeidung von Fehlbeständen und der dadurch entstehenden Folgekosten, durch eine Erhöhung der Liefertreue von Zulieferern aufgrund der Optimierung der Lieferantenauswahl sowie durch die Automatisierung von Logistikabläufen. Die Anwendung umfasst drei Abschnitte, die in einer Schleife durchlaufen werden (s. Abb. 5.4): Im ersten Anwendungsschritt des Intelligent Inventory Recommender werden die relevanten Bestands- und Produktionsdaten aus den Warenwirtschafts- und Produktionssteuerungssystemen ausgelesen. Im zweiten Schritt prognostiziert ein Modul der Anwendung mithilfe von Machine Learning die Durchlaufzeiten und die entsprechenden periodenbezogenen Bedarfe in der Produktion. Als Ergebnis ist das von Siemens GBS entwickelte Modell beispielsweise in der Lage, die durchschnittliche Vorhersagegüte von Lead-Times um mehr als 50 % zu verbessern. Zuletzt adjustiert ein Softwareroboter (RPA) die Ober- und Untergrenzen der Vorratsbestände im Hinblick auf die prognostizierte Ausbringung und löst gegebenenfalls automatisch die Rücknahme von Überbeständen bei den Zulieferern aus. Neben diesen kurzfristig wirkenden Optimierungsmöglichkeiten schaffen die GBS durch Lösungen wie dem Intelligent Inventory Recommender dynamische

4  Für eine ausführliche Erläuterung der Mechanismen der Wertschöpfung s.  Grover et  al. 2018, S. 400 f. 5  Der Purchase-to-Pay-Prozess fasst die Aktivitäten zusammen, die im Unternehmen bei der Beschaffung von Ressourcen zur Erstellung von Gütern und Dienstleistungen erforderlich sind. Er umfasst die Transaktionen von der Abgabe einer Bestellung bis zur Zahlung des Kaufpreises an den Lieferanten.

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Abb. 5.4  Business Analytics-Lösung der Siemens Global Business Services: Der Intelligent Inventory Recommender (Siemens AG)

Fähigkeiten für den Siemens-Konzern, da Siemens Energy durch die verbesserte Transparenz seine Kapazitäten schneller und flexibler auf Änderungen im Unternehmensumfeld, besonders den Beschaffungs- und Absatzmärkten, anpassen kann. Die von GBS aufgebauten dynamischen Fähigkeiten basieren insbesondere auf drei Fundamenten: Digitalisierungskompetenz, funktionsbezogenen Fachkenntnissen und einer kundenzentrierten Innovationskultur. Die konzerninterne Bereitstellung von BA durch die SSO besitzt weitere Vorteile gegenüber der Nutzung externer BA-Anbieter: Ein BA-SSC arbeitet in großem Umfang mit den Daten, die die SSO täglich im operativen Geschäft generiert bzw. bearbeitet. Dies ist vorteilhaft, da sensible Daten für eine Analyse innerhalb der Konzerngrenzen verbleiben. Weiterhin besteht ein hoher Grad an fachbezogener Expertise bei Fragen zur Verfügbarkeit und Interpretation von Daten. Durch die Verantwortlichkeit der SSO für eine konzernweite Datenplattform wird sichergestellt, dass die Datenbasis aktuell gehalten wird und Informationen zum Nutzen des gesamten Konzerns, z. B. im Sinn einer API-Strategie6, strukturiert abgelegt werden können (vgl. Schüritz et al. 2017, S. 395). Mit der durch die Digitalisierung gestiegenen Datenverfügbarkeit ist die Existenz von BA-Fähigkeiten entscheidend für die Identifikation neuer zukunftsorientierter Geschäftsmodelle im gesamten Konzern (vgl. Schüritz et  al. 2017, S.  395). BA-Fähigkeiten können nicht rasch erworben

 API steht für Application Programming Interface.

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werden, sondern entstehen in einem Lernprozess durch entsprechende Qualifikation von Mitarbeitern und Management in Kombination mit der Entwicklung individualisierter BA-Werkzeuge sowie von Strukturen, Abläufen, Governance und einer BA-Kultur (vgl. Grover et al. 2018, S. 392 ff.). Zur Realisation der aus diesen Potenzialen entstehenden Wettbewerbsvorteile müssen BA-Fähigkeiten im gesamten Konzern aufgebaut und weiterentwickelt werden. Das folgende Praxisbeispiel der Daimler AG verdeutlicht, wie BA-Services in der SSO zur Generierung eines einzigartigen Wertversprechens eingesetzt werden. Schnelligkeit. Effizienz. Skalierbarkeit – Der Mehrwert von Business Analytics bei der Daimler AG

Im Mercedes-Benz-Werk in Bremen werden jährlich mehr als 400.000 Fahrzeuge produziert, wofür Millionen Einzelteile benötigt werden. Bei der Ein- bzw. Auslagerung von Teilen müssen Differenzen zwischen Systembuchungen und tatsächlichen Lagerbeständen vermieden werden. Treten diese dennoch auf, müssen sie anschließend durch das Finance & Accounting im Shared Service Center (SSC) korrigiert werden. Die hierfür notwendigen Prozesse gestalteten sich bislang umständlich, ineffizient und repetitiv. Zudem verursachten sie tagelangen manuellen Aufwand, um die relevanten Daten aus fünf Quellsystemen zu aggregieren und sie für eine Bestandsanalyse aufzubereiten. Zur Lösung dieses Problems wurde, gemeinsam mit dem Bereich Data & Analytics Finance Mercedes-­Benz Cars, ein automatisierter Daten-Workflow entwickelt, der die Wareneingangs- und Ausgangsbuchungen in nur vier Minuten harmonisiert und in einem Dashboard visualisiert. Letzteres stellt das Kernelement dieser Datenlösung dar. Treten im Bestandsmonitoring Differenzen zwischen den buchhalterischen Werten und dem logistischen Teilebestand auf, wird die benötigte Bestandsanalyse über das neu eingeführte, interaktive Dashboard schnell durchgeführt. Während die neue Datenlösung zunächst in der Programmiersprache Python entwickelt wurde, wird das verknüpfte Dashboard schon heute autark vom SSC aktualisiert. Die Integration des Datenmodells in die kollaborative Data-  und Analytics-Plattform und deren Workbench vom Hersteller Dataiku ermöglicht das Hochladen neuer Inputdateien per Drag and Drop. Der hinterlegte Workflow und die verknüpfte Datenvisualisierung werden auf Basis der neuen Daten aktualisiert. In dem erzeugten interaktiven Tableau-Dashboard sind in fünf Reitern alle relevanten Datenvisualisierungen auf unterschiedlichen Ebenen dargestellt: der Wareneingang und -ausgang des Mercedes-Benz-Werks auf Kosten- und Mengenebene, der berechnete Lagerbestand auf Sachnummern- und Baureihenebene sowie die Stückkosten im Zeitverlauf. Das hinterlegte Kalkulationsschema läuft vollautomatisiert, wodurch Bestände und Auffälligkeiten zeitnaher, regelmäßiger und genauer geprüft, etwaige Differenzen erkannt und Korrekturen frühzeitig eingeleitet werden können. Das Risiko von Bestandsdifferenzen aufgrund von Abweichungen zwischen den Logistik- und Accounting-Daten wird somit minimiert. Die Bestandsanalyse als Ganzes wird auf diese Weise mithilfe von BA standardisiert, skaliert, visualisiert und dediziert auf granularer Ebene.

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Die Realisierung des Wertversprechens gegenüber den Kunden, z. B. den Business Units, erfordert die Entwicklung, das Testen und die Implementierung konkreter BA-Anwendungen. Die Initiierung ist einerseits möglich, wenn das BA-SSC proaktiv relevante Hypothesen, z.  B. zum Kundenverhalten, formuliert und anschließend innerhalb des konzernweiten Datenbestands nach Mustern sucht. Die Ergebnisse werden sodann an die Geschäftseinheiten zur Interpretation und Festlegung von geeigneten Maßnahmen transferiert. Andererseits kann das BA-SSC von den Geschäftseinheiten mit konkreten Anwendungsfällen beauftragt werden. Das Tätigkeitsspektrum des BA-SSC richtet sich in diesem Fall danach, ob dessen Leistung vorrangig in der Bereitstellung konkreter und bereits realisierter Anwendungen liegt oder ob die Geschäftseinheiten bei der Untersuchung und Definition von Anwendungsfällen unterstützt werden. Letzteres könnte beispielsweise im Rahmen eines Design Thinking Workshops oder einer Data Discovery Session erfolgen, in der Data Scientists aus dem BA-SSC mit den zuständigen Mitarbeitern der Business Unit kooperieren, um z. B. ausgewählte Datensätze zu analysieren (vgl. Schüritz et al. 2017, S. 397). Nach Identifizierung und Definition potenzieller BA-Anwendungen obliegt dem Management des BA-SSC die Entscheidung darüber, ob dafür jeweils ein „Proof of Concept“ (PoC) erstellt wird. Um die spätere Akzeptanz einer neu zu entwickelnden BA-Anwendung sicherzustellen, ist es von Vorteil, ein Steering Committee unter Beteiligung der Business Units einzusetzen. Nach der Genehmigung der BA-Anwendung erfolgt die Überprüfung von deren Durchführbarkeit durch Use Cases mit ausgewählten Teams. Diese bestehen i. d. R. aus einem Projektmanager, Data Scientists und Data Analysten. Auch die Einbindung von Managern sowie späteren Nutzern aus den Business Units ist zur Durchführung von Testläufen und Einholung von Feedbacks angebracht. Die spezifische Vorgehensweise während der PoC-­ Phase folgt i. d. R. dem Verlauf eines BA-Prozesses (s. Abschn. 5.1.3) und kann mehrere Monate dauern. Die Initiierung der Implementierungs- und Weiterentwicklungsphase wird eingeleitet, sobald die Evaluierung des PoC durch das BA-SSC und die Business Units vorliegt. Hierzu ist eine bilaterale Bestätigung zur Durchführbarkeit des Anwendungsfalls sowie die Sicherstellung der Finanzierung notwendig. Für die eigentliche Implementierung sind drei Alternativen anwendbar: Zum einen kann die Realisierung durch das BA-SSC erfolgen, zum anderen ist die Ausführung durch die IT der SSO oder durch die IT in den beteiligten Business Units möglich. Schließlich kann auch ein externer Dienstleister vom BA-SSC oder den Geschäftseinheiten beauftragt werden (vgl. Schüritz et al. 2017, S. 398). Das folgende Beispiel beschreibt, wie Contract Analytics bei der Lufthansa AG als BA-Anwendung identifiziert und innerhalb der SSO implementiert wurde. Contract Analytics der Lufthansa AG

Verträge mit Lieferanten enthalten wichtige Informationen zu Zahlungskonditionen, volumenbedingten Preisabsprachen, Vertragsstrafen und anderen werthaltigen Konditionen. Diese Konditionen werden im Lufthansa Konzern entweder in den Einkaufssystemen oder in den Lieferantenstammdaten der Buchhaltung

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erfasst. Anhand von erkannten Einzelfällen in den Bereichen Zahlungskonditionen und Vertragsstrafen bestand jedoch die Vermutung, dass es Abweichungen zwischen den vertraglich vereinbarten Konditionen, den in den Datenbanken erfassten Werten sowie den im Einzelfall angewendeten Konditionen gibt. Innerhalb des Lufthansa Konzerns liegen mehr als 60.000 Einkaufsverträge vor, die die Grundlage für die Materialversorgung, das Lieferantenmanagement und die Finanzprozesse bilden. Zusätzlich werden in den verschiedenen SAP-Systemen der Konzerngesellschaften etwa 450.000 Lieferantenstammdaten gepflegt und jährlich über 2 Mio. Eingangsrechnungen verarbeitet. Aus dieser großen und teilweise unstrukturierten Datenmenge sind neue Erkenntnisse nur durch BA möglich, die durch Systeme mit Artificial Intelligence (AI) unterstützt werden. Das LEAP der LGBS  hat daher im Jahr 2018  in einer engen und agilen Zusammenarbeit der LEAP Data Science Experten mit den fachlichen Einkaufsexperten innerhalb von drei Sprints (sechs Wochen) einen ersten Prototyp für die Contract Analytics AI [ConAn] entwickelt, der es ermöglicht, aus Millionen von Seiten von Einkaufsverträgen Erkenntnisse zu gewinnen, ohne diese selbst lesen zu müssen. [ConAn] nutzt hierbei, wie in Abb.  5.6 dargestellt, eine Optical-Character-­ Recognition(OCR)-Pipeline (vgl.  Abb.  5.5), um Bilddokumente in Text- und Strukturinformationen umzuwandeln und diese in einer Datenbank zu speichern. In the event the Lead Time is exceeded, HPA, in addition to any other rights provided for by this Agreement or by law, shall be entitled to claim a penalty charge of 1.5 RULE % of the current catalogue list price BASE for a new item for each delayed item per week up to a maximum of 10 CAP % the Lead Time is exceeded 10.2.2 Penalty For every event in which the TAT is exceeded, LHT in addition to any other rights provided by this Agreement or by

law gas the right to claim a penalty of an amount equal to one point five percent (1.5 %) per Day of the current price of the Services BASE on such item up to a maximum of fifteen percent (15 CAP %) of such price LHT in addition to any other rights provided by this Agreement or by law shall be entitled to

claim penalty of 2.5 % of the relevant BASE repair price BASE , per day the TAT is exceeded. For the penalty no maximum will be imposed.

Abb. 5.5  Optical-Character-Recognition(OCR)-Pipeline bei Lufthansa AG (Lufthansa AG)

Abb. 5.6  Der Contract Analytics-Prozess (Lufthansa AG)

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Auf Basis dieser semistrukturierten Daten werden durch Analytics- und AI-Ansätze (beispielsweise Machine Learning) die gewünschten Informationen extrahiert. Diese sind über eine Reporting-Oberfläche analysierbar oder über eine Systemschnittstelle direkt verfügbar. In einem ersten Anwendungsfall zur Analyse der Zahlungskonditionen (Zahlungsziel und Skonto) wurden für eine Konzerngesellschaft sämtliche Beleginformationen zu Eingangsrechnungen mit den in SAP hinterlegten Stammdaten und den mittels [ConAn] ausgelesenen Vertragsdaten abgeglichen. Hieraus ergaben sich Erkenntnisse, sowohl zu nicht in SAP hinterlegten, aber vertraglich vorhandenen Skontovereinbarungen, als auch zu in SAP erfassten, aber nicht angewendeten Skontovereinbarungen sowie zu früh gezahlten Rechnungen mit einem Potenzial von etwa 300.000 € pro Jahr. Entsprechende Weiterentwicklungen von [ConAn] führen dazu, anwendbare Vertragsstrafen innerhalb der Verträge einer anderen Konzerngesellschaft aufzudecken und diese mit den korrespondierenden Leistungsdaten der Lieferanten abzugleichen. Durch die erste [ConAn]-basierte App wurde es möglich, zusätzliche Forderungen in Höhe von etwa 2,5 Mio. € pro Jahr gegenüber den Lieferanten durchzusetzen.

5.2.2 W  ertübertragung in Business Analytics-­Geschäftsmodellen Für die Wertübertragung in BA-Geschäftsmodellen müssen die Rollen von digitalen Plattformen beim Leistungsaustausch festgelegt und die damit verbundenen Auswirkungen auf das Leistungsangebot des BA-SSC berücksichtigt werden. Durch eine Plattform werden die notwendige Infrastruktur und die Regeln für den Leistungsaustausch zwischen dem Ersteller der BA-Leistung, hier das BA-SSC, und dem Empfänger, hier die Geschäftseinheiten oder externe Kunden, bereitgestellt (vgl. van Alstyne et al. 2016, S. 58). Wesentliche Vorteile von internen digi­ talen Plattformen liegen in der einfacheren Konnektivität mit anderen genutzten Technologien, Testbarkeit, flexibleren Verarbeitungskapazitäten, leichteren Wartungsfähigkeit und niedrigeren laufenden Kosten. Durch die Gestaltung der Plattform sollten das Nutzererlebnis und die Bedienfreundlichkeit positiv beeinflusst werden, um eine hohe Akzeptanz und Verbreitung zu erreichen (vgl. Sedera et al. 2016, S. 369). BA-Plattformen benötigen eine Ausführungsumgebung (Runtime Environment) zur Datenverarbeitung und eine Entwicklungsumgebung (Workbench) zur Anpassung der jeweiligen BA-Lösungen an die spezifischen Anforderungen des Endnutzers (vgl. Güernes et al. 2013, S. 6 f.). Die Laufzeitumgebung umfasst dabei verschiedene Komponenten, die dem BA-Prozess von der Dateneingabe bis hin zur Ausgabe von Ergebnissen folgen. Im ersten Schritt findet die Erfassung von Daten aus internen und externen Quellen durch Data Acquisition statt. Anschließend übernimmt das Storage, das aufgrund der Implementierung geeigneter Datenmodelle eine hohe Leistungsfähigkeit und Flexibilität aufweisen sollte, die Speiche-

5  Business Analytics in Shared Service Organisationen

People

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Cloud

Reporting

Tools

Analytics

Scientist

Analytics

Data

Data

Workbench

Analytic Apps

Framework Analytic Services

Tools

Engineer

Integration

Data

Data

Processing

Runtime Environment

User

End

User

Tools

Visualization

Business

Storage Data Acquisition

Abb. 5.7  Struktur und Elemente einer BA-Plattform (Eigene Darstellung in Anlehnung an Güernes et al. 2013, S. 6)

rung der Daten innerhalb des Systems. Die Verbindung zwischen der Datenspeicherung und den Analytic Services wird durch Processing erreicht, wo die verschiedenen Verarbeitungsalgorithmen implementiert sind. Analytic Services beinhalten definierte Analysealgorithmen für einzelne, abgegrenzte Datenbereiche. Anhand des Framework werden verschiedene Analytic Services kombiniert, um ein spezifisches Ergebnis zu erzielen; insofern stellt Analytics das zentrale Element der Plattform dar. Analytic  Apps sollen dem Endnutzer eine geschäftsorientierte Funktionalität durch Bündelung von Analysefunktionen bieten. Durch Visualization/Reporting ist eine integrierte, endnutzerorientierte Darstellung und Berichterstellung verfügbar. Zur Anpassung der Analytic Apps an die spezifischen Anforderungen des Endnutzers lassen sich im Rahmen des Workbench Environments weitere Tools einfügen. Mittels Data Integration Tools wird beispielsweise die Anbindung der vorhandenen internen Systeme an die Plattform übernommen. Danach erfolgt die konkrete Implementierung der benötigten Analysefunktionen durch Data Analytics Tools, um den bereitgestellten Workflow zu modellieren, zu testen und gegebenenfalls in Bezug auf die verwendeten Datensätze anzupassen. Zuletzt werden die End User Tools für die Business User eingebunden. Diese un­terteilen sich in Non-technical Business End-User und Subject Matter Experts. Während Erstere v. a. die Ergebnisse der Tools und deren Integration sowie Visualisierung benötigen, kommt Letzteren eine bedeutsame Rolle zu, da sie den Geschäftskontext für die Interpretation der statistischen Ergebnisse beisteuern und bei der Identifikation von Analysemustern durch ihr Feedback unterstützend tätig werden (vgl. Güernes et  al. 2013, S.  6 ff.). Die Struktur einer digitalen BA-Plattform und ihre wesentlichen Elemente verdeutlicht Abb. 5.7.

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Das folgende Praxisbeispiel veranschaulicht die Anwendung einer BA-Plattform in der SSO der Siemens AG. Aufbau einer BA-Plattform bei Siemens Global Business Services

Um eine BA-Plattform organisationsweit zu implementieren, wurde bei Siemens  GBS ein integrativer Ansatz gewählt: Hierbei liegt der Fokus nicht nur auf dem Aufbau einer technischen BA-Plattform, sondern auch auf einem funktionsübergreifenden Kollaborationsmodell, das das technische Potenzial dieser Plattform voll ausschöpft und so Mehrwert für den Kunden generiert. Die hochmoderne BA-Plattform ist konzernweit verfügbar und bildet das technologische Fundament der wertschöpfenden Analytics-Aktivitäten von GBS. Sie wird von einem Team aus internen und externen Analytics-Experten kontinuierlich weiterentwickelt. In der vorliegenden Infrastruktur werden die Daten zentral und sicher administriert. Der Cloud-basierte Data Lake der GBS baut auf dem bereits existierenden SAP HANA Data Lake von Siemens auf, in dem die Daten zentral und in Echtzeit vorgehalten werden. Im GBS Data Lake werden die bereits vorhandenen Daten von Siemens durch GBS-spezifische Daten ergänzt. Einheitliche Extract-Transform-Load-Prozesse, eine stabile Datenqualität, gemeinsame Data Governance und entsprechende Data Security sorgen dafür, dass das Potenzial der Plattform voll ausgeschöpft werden kann. Die technischen Merkmale von unterschiedlichen Amazon Web Services ermöglichen es, die angereicherten Daten in logischen Datenmodellen und -strukturen für die Kunden aufzubereiten. Durch diese Vorgehensweise fungiert die BA-Plattform als Single Source of Truth über die gesamte GBS hinweg und ermöglicht es, funktionsübergreifende Zusammenhänge aufzudecken und zu optimieren. Daneben profitieren die Kunden von den Synergien einer kosteneffizienten, organisationsweiten Plattform. Auf dieser technischen Infrastruktur aufbauend, werden kundenspezifische Analytics-Anwendungsfälle durch ein funktionsübergreifendes Projektteam umgesetzt. Dieses besteht sowohl aus einem zentralen Team von Analytics-­Experten (wie beispielsweise Data Engineers, Data Scientists, Data Quality Stewards etc.) als auch aus einem Pool von Businessexperten aus der jeweiligen Geschäftseinheit. Die Analytics-Experten sind nicht nur für die technische Instandhaltung und Weiterentwicklung der BA-Plattform zuständig, sondern auch für die Unterstützung und Beratung der Kunden. Ein Schwerpunkt ist dabei, den Kunden die wertschöpfenden Fähigkeiten dieser Plattform für ihren spezifischen Geschäftskontext aufzuzeigen und diese gemeinsam zu realisieren. Um sicherzustellen, dass die BA-Plattform zu jeder Zeit die Vorteile neuester technologischer Entwicklungen voll ausschöpft, evaluieren die Analytics-­ Experten kontinuierlich aufstrebende Analytics-Technologien wie beispiels-

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weise ThoughtSpot am Markt und bewerten deren Potenziale im Kontext der Kundenanforderung. Durch diese Vorgehensweise wird sowohl sichergestellt, dass die Kunden von der bereits vorhandenen technischen Infrastruktur und dem Expertenwissen des Analytics-Teams profitieren, als auch, dass neue, kurzzyklische Entwicklungen zeitnah entdeckt und innerhalb der BA-Plattform berücksichtigt werden. Bei den Business-Experten in den Geschäftseinheiten handelt es sich um einen Pool aus analytisch versierten Mitarbeitern. Diese verfügen über tiefes Prozesswissen, um die Möglichkeiten der BA-Plattform für ihren jeweiligen Geschäftskontext zu erkennen. Diese Experten suchen aktiv nach neuen Geschäftsmöglichkeiten und teilen ihre Anforderungen und Erkenntnisse kontinuierlich mit den Analytics-Experten in der SSO. Ein derartiges Kollaborationsmodell innerhalb von GBS erlaubt es nicht nur, die Synergien und Skaleneffekte einer organisationsweit verfügbaren, einheitlichen BA-Plattform zu realisieren, sondern gewährleistet auch, dass die BA-­ Plattform kontinuierlich aufgrund von Entwicklungen am Markt oder neuen Anforderungen der Kunden weiterentwickelt wird. Diese Vorgehensweise setzt eine zentrale, hochmoderne Datenbasis voraus, die entsprechend zum Analytics-­ Reifegrad des jeweiligen Kunden in dessen spezifischen Geschäftskontext gezielt eingesetzt werden kann. Die Übertragung des Wertversprechens erfordert die Spezifizierung des Leistungsangebots durch das BA-SSC. Hierbei wird zwischen rein digitalen sowie produktbasierten Dienstleistungen unterschieden (vgl. Täuscher et  al. 2017, S.  188). Technische Beratungen oder Schulungen, die Unterstützung der Business Units in ihren BA-Tätigkeiten durch problemorientierte Anwendungen und Lösungen, das Hosting von Datenzentren sowie -infrastrukturen oder das Erbringen konkreter As-a-Service-Leistungen gehören beispielsweise zum Leistungsangebot des BA-­ SSC (vgl. Cao 2017, S.  25). Die Servicequalität wird dabei vorrangig durch den sofortigen Zugriff auf die BA-Plattform, die Verfügbarkeit notwendiger Daten, den effektiven Einsatz der BA-Tools sowie die Anpassungsfähigkeit an das Produktgeschäft der Business Units determiniert (vgl. Tamm et al. 2013, S. 7 f.). Eine essenzielle Basis zur Abwicklung von Beratungen bildet das Angebot für Schulungen, um dadurch die Akzeptanz von BA im Konzern zu fördern (vgl. Schüritz et al. 2017, S. 394 ff.). Neben beratenden Leistungen kann das BA-SSC aber auch unterstützende Tätigkeiten erbringen. Hierzu zählt beispielsweise die Implementierung professionell erstellter und verbesserter BA-Tools, z.  B.  Active-­ Dashboard-­Systems, zur laufenden Verwendung beim Endnutzer oder die Einbettung von Algorithmen zur automatisierten Entscheidungsfindung in die betrieblichen Prozesse der Business Units (vgl. Chae 2014, S. 2; Khalifa et al. 2016, S. 3 ff.; Tamm et al. 2013, S. 5 ff.). Zusätzlich nimmt das BA-SSC eine beratende oder leitende Rolle in Bezug auf Data-Warehouse-Anforderungen, die Datenqualität, die Auswahl der Toolsets und den Aufbau der Rechenzentren, der Netzwerke, der Kommunikation sowie der Sicherheit ein, um den Einsatz der BA-Tools in der gesamten Unter-

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nehmensorganisation zu sichern (vgl. Cao 2017, S. 25; Tamm et al. 2013, S. 5). Das BA-SSC schafft auf diese Weise auch alle Voraussetzungen, damit BA in den Business Units (weitgehend) selbstständig eingesetzt werden kann. Ein zusätzliches Leistungsangebot des BA-SSC besteht in der Bereitstellung von Analytics-as-a-Service bzw. Agile Analytics (vgl. Demirkan und Delen 2013, S. 419). Bei diesem Servicemodell werden Analytics über eine Cloud-basierte, universelle Analyseplattform innerhalb des gesamten Konzerns angeboten. Diese Architektur ermöglicht die Bereitstellung unterschiedlicher Datenanalysetools, die von den Business Units entsprechend ihrer Zielsetzung konfiguriert werden. Gleichzeitig werden die effiziente Verarbeitung und Analyse von sehr umfangreichen Datenbeständen zeitnah ermöglicht. Neben intern gespeicherten Daten aus den Business Units können zusätzlich externe Datenquellen in die BA-Plattform eingespeist werden (vgl. Demirkan und Delen 2013, S.  419; Güernes et  al. 2013, S.  5). Die Realisierung von Analytics-as-a-Service in einem Geschäftsmodell kann durch fünf differenzierte Ansätze erfolgen. Visualization-as-a-Service bietet neben grundlegenden Berichts- und Auswertungsfunktionen auch interaktives Reporting, Dash­ boards und digitale Boardrooms an. Ohne die Anwendung konkreter Analysealgorithmen oder -modelle erhalten die Business Units Einblicke in ihre Daten, indem diese durch Diagramme, Grafiken und Plots visualisiert werden. Im Rahmen von Self-Service-Analytics-as-a-Service werden Descriptive und Predictive Analytics, mehrdimensionale Berichterstattung und statistische Modellierung zur Anwendung bereitgestellt (vgl. Naous et al. 2017, S. 496 ff.). Die Nutzer werden dadurch befähigt, maßgeschneiderte Analysen intuitiv, schnell und flexibel durchzuführen und aus großen Datenmengen verwertbare Informationen abzuleiten, ohne BA-Spezialisten konsultieren zu müssen (vgl. Alpar und Schulz 2016, S. 151). Durch Analytics-Platform-as-a-Service werden wiederum Advanced-Analytics-Algorithmen und Techniken, wie beispielsweise Machine Learning und Data Mining, zur Verarbeitung und Modellierung von Daten, sowie Plattformfunktionen zur Entwicklung und Integration von Anwendungen bereitgestellt. Big-Data-Analytics-as-a-Service bieten eine Infrastruktur sowie Ressourcen für die Verarbeitung von Big Data. Um die Analyse von Streaming-Daten auf Internet-of-Things-Plattformen zu ermöglichen, stellt Edge-Analytics-as-a-Service eine Infrastruktur zur Datenspeicherung und -verarbeitung in Echtzeit bereit (vgl. Naous et  al. 2017, S.  496 f.). Analytics-as-a-­ Service erlaubt so eine ganzheitliche und effektivere Entscheidungsfindung in den vom BA-SSC bedienten Organisationseinheiten. Die gleichzeitige Nutzung von Cloud Services ermöglicht eine noch bessere Skalierbarkeit und kostengünstigere Bereitstellung der BA-Anwendungen (vgl. Demirkan und Delen 2013, S. 419). Zur Standardisierung und Definition der angebotenen Dienstleistungen bietet es sich an, einen Servicekatalog zu entwickeln. Informationen über anfallende Kosten und deren Verrechnung können hierbei bereits enthalten sein (vgl. Deloitte 2016b, S. 4). Im Folgenden wird am Beispiel der Daimler AG gezeigt, wie Analytics-­as-a-­ Service in deren SSO bereitgestellt wird.

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TACHO – Business Analytics Dienstleistungen bei der Daimler AG

TACHO ist eine von der SSO aufgebaute As-a-Service-Lösung, die den Fachbereichen (Kunden) individuell auf sie zugeschnittene Berichts- und Dashboard-­ Anwendungen zur Verfügung stellt. Die technische Umsetzung basiert auf Microsoft PowerBI Desktop zur Modellierung sowie der Reporting-Server-Lösung für die Ausgabe und Anzeige der Berichte. TACHO bietet dynamische Reports, die auf allen Endgeräten in einem standardmäßig verfügbaren Tool zur Verfügung gestellt werden. Das zugrunde liegende Geschäftsmodell sieht einen agilen Entwicklungsprozess, die Auswahl aus einem modularen Serviceportfolio und ein wettbewerbsfähiges Preismodell vor. Das operative Know-how über die End-to-End-Geschäftsprozesse, das im SSC vorliegt, ermöglicht ein kompetentes Sparringspartnering mit dem Kunden. Der Kunde erhält eine Lösung, bei der sowohl die Implementierung als auch die laufende Pflege aus einer Hand kommt. Inhaltlich werden bei der Implementierung die Key Performance Indicator (KPI)-Definition, das Berichts- und Dashboard-­ Design und die Erstellung der Datenmodelle von einem ­PowerBI-­Expertenteam vorgenommen. Im laufenden Betrieb werden die Pflege des Dashboards, das Datenmanagement, das Berechtigungsmanagement und die Vorhaltung der notwendigen IT-Infrastruktur ebenfalls aus der SSO übernommen. Auf Wunsch des Kunden wird die Pflege auch an ihn selbst übergeben. In diesem Fall findet durch das SSO-Expertenteam eine entsprechende Übergabe mit Schulung statt. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor ist die angewandte agile Entwicklungsmethodik Scrum. In der ersten Phase fokussiert sich das Projektteam in Sprints nur auf das Endprodukt. Herausforderungen der Datenbereitstellung und Datenanbindung werden in der zweiten Phase vorgenommen. Hierdurch ist es möglich, dem Kunden in kurzer Zeit ein lauffähiges Dashboard bzw. die entsprechenden Berichte bereitzustellen. Die durchschnittliche Implementierungszeit beträgt, abhängig von der Komplexität des Reports bzw. Dashboards, zwischen einem und fünf Monaten. Die Optimierung der Datenbereitstellung und -anbindung erfolgt sukzessive im operativen Betrieb. Die Finanzierung erfolgt in der Implementierung über ein Projekt-Service  Level  Agreement (Projekt-SLA) und die Pflege über ein Betriebs-SLA. Der Kunde erhält am Ende des Prozesses ein dynamisches Berichtsinstrument, das eine transparente und übersichtliche Darstellung der Daten bietet. Die Kundengruppen, die TACHO bislang nutzen, kommen aus den Bereichen Accounting, Controlling, Steuern und M&A. Neben dem klassischen Reporting, das auf das laufende Geschäft bezogen ist, nahmen die Anfragen zu, PowerBI für die Berichterstattung von größeren Projekten einzusetzen, um flexibel, einfach und intuitiv zwischen den unterschiedlichen Betrachtungswinkeln navigieren und somit steuern zu können. Die ersten Kick-offs sind dazu bereits gestartet. Auf lange Sicht ist das Ziel, PowerBI im Bereich Controlling als Standardtool zur Berichterstattung und Datenanalyse zu etablieren. Daher sind im SSC neben dem Expertenteam bereits ein Drittel der Controller (etwa 70 Mitarbeiter) in PowerBI geschult.

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5.2.3 Wertrealisation in Business Analytics-Geschäftsmodellen Für die Wertrealisierung im BA-Geschäftsmodell sind für die Entscheidungsträger des BA-SSC v. a. Informationen hinsichtlich der Kosten bedeutsam, die durch die BA-Services entstehen und inwieweit diese im Rahmen eines Chargeback-Modells an die Empfänger verrechnet werden können. Über die Lenkungswirkung der gewählten Verrechnungsmethode kann sichergestellt werden, dass Ressourcen des BA-SSC gemäß dem jeweils erzielbaren Wertschöpfungspotenzial auf Projekte verteilt werden. Um die verursachungsgerechte Allokation entstehender BA-Kosten auf die Leistungsempfänger sicherzustellen, ist ein Chargeback-Modell erforderlich. Dieses ermöglicht auch die Kontrolle der entstandenen Kosten, die damit einhergehende Verbesserung der Entscheidungsfindung, die effektive Nutzung bestehender Ressourcen sowie die Verbesserung der Profitabilität durch Kostentransparenz bei den BA-Prozessen (vgl. Mithu und Tomai 2010, S. 358; Stefanov et al. 2012, S. 61). Das Charge­ back-Modell sollte für eine erfolgreiche Kostenverrechnung fünf Eigenschaften erfüllen (vgl. Stefanov et al. 2012, S. 64 ff.). Die Richtigkeit des Systems erfasst das Verhältnis, in dem die verrechneten Kosten zu den tatsächlich im BA-­SSC angefallenen Kosten stehen. Je näher die tatsächlich entstandenen Kosten an den verrechneten Kosten liegen, desto größer ist das damit einhergehende Vertrauen der Kunden in das BA-SSC. Das Kriterium der Wirtschaftlichkeit quantifiziert den Nutzen des Chargeback-Modells im Verhältnis zu den daraus entstehenden Kosten. Weiterhin sind die Verständlichkeit des Verrechnungssystems und die Übersichtlichkeit hinsichtlich der Zusammensetzung der Transferpreise zu berücksichtigen. Um Kostensenkungspotenziale aufseiten der Kunden zu fördern und die Akzeptanz des Systems zu steigern, ist die Beeinflussbarkeit der jeweils verrechneten Kosten beim Kunden einzubeziehen. Im Folgenden wird angenommen, dass die BA-Dienstleistungen durch das BA-­ SSC neu etabliert werden. Die für die Durchführung performanter BA-Analysen erforderliche Hardware, d.  h. besonders Server und Netzwerkinfrastruktur, stellt einen grundlegenden Kostenfaktor für das BA-SSC dar. Die Beschaffung und Verwaltung der Hardwareinfrastruktur obliegt i. d. R. der Konzern-IT, die durch das SSO-Management ab Projektbeginn einbezogen werden sollte. Der entstehende Investitionsbedarf hängt vom Analytics-Portfolio sowie den bereits im Konzern bestehenden IT-Ressourcen, z. B. BI-Infrastruktur und ERP-Systemen, ab. Der Kostenverlauf für die erforderliche Software wird determiniert durch die Entscheidung zur Beschaffung einer lokalen Software-Lizenz (On-Premise) oder den Bezug als Software-as-a-Service. Personalkosten machen regelmäßig den Großteil der Gesamtkosten von BA aus (vgl. birst 2013, S. 3 f.). Neben Gehältern und Zuschlägen sind auch die Büroräume und Arbeitsplätze sowie die individuelle Computerausstattung der Mitarbeiter im BA-SSC zu berücksichtigen. Dazu kommen Ausgaben für Schulungsmaßnahmen, Fortbildungen bei Systemupdates sowie Kosten externer Dienstleitungen, z. B. im Rahmen von Softwarewartungsverträgen (vgl. Negash 2004, S. 185).

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Die typische Kostenstruktur von BA-Services zeigt tendenziell einen hohen Fixkostenblock. Des Weiteren verursacht die Bereitstellung jeder weiteren digitalen Leistungseinheit sehr geringe variable Stück- bzw. Grenzkosten. Folglich werden die Gesamtkosten letztendlich durch die Fixkosten determiniert. Diesen Zusammenhang veranschaulicht Abb. 5.8. Für die Verrechnung der Kosten und der damit einhergehenden Bestimmung von Verrechnungspreisen bestehen verschiedene Optionen. Bei der Entscheidung über die Verrechnungsart können z. B. kostenorientierte und verhandelte Verrechnungspreise herangezogen werden (vgl. Fischer et al. 2015, S. 458; Lehmann und Buxmann 2009, S. 454). Bei Ersteren wird der Preis mit Daten aus der Kostenrechnung gebildet (vgl. Lehmann und Buxmann 2009, S. 454). Die Verwendung der Kostenaufschlagsmethode eignet sich bei individuell beauftragten BA-Services. Lediglich bei der Vergütung entstehender Entwicklungskosten (Fixkosten) im Zusammenhang mit standardisierten BA-Anwendungen des operativen Geschäfts spielt diese Form der Preisbildung, aufgrund der bei digitalen Services geringen Grenzkosten, eine eher untergeordnete Rolle (vgl. Brüninghaus et al. 2018, S. 160; Lehmann und Buxmann 2009, S.  454). Bei verhandlungsbasierten Verrechnungspreisen stehen sich das BA-SSC und die jeweilige Business Unit als autonome Vertragspartner gegenüber, die in einem Verhandlungsprozess die Kostenverrechnungssätze individuell festlegen (vgl. Fischer et al. 2015, S. 458). Im Kontext digitaler Services gewinnen Preismodelle wie Pay-per-Use durch die Möglichkeit zur detaillierten Erfassung der erbrachten Leistungen immer stärker an Bedeutung (vgl. Simon und Fassnacht 2016, S. 582). Bei Pay-per-Use erfolgt die Abrechnung in Abhängigkeit von der tatsächlichen Nutzung des BA-Services. Als Bemessungsgrundlage dienen bei diesem Modell beispielsweise die Anzahl der durchgeführten Transaktionen oder die Dauer der beanspruchten Services. Als hy­ bride Form könnte eine Kombination aus nutzungsunabhängigen und nutzungsabhängigen Zahlungen sowie die Anwendung verschiedener Bemessungsgrundlagen (z. B. kosten- und qualitätsbezogene Leistungsabrechnung) vereinbart werden (vgl. Lehmann und Buxmann 2009, S. 455). Nachfolgendes Praxisbeispiel stellt die Kostenstruktur des LEAP bei der LGBS dar. Kosten Gesamtkosten

Stückkosten

Variable Stückkosten (~ 0) Ausbringungsmenge

Abb. 5.8  Kostenstruktur digitaler Business Analytics-Services (Eigene Darstellung in Anlehnung an Ortelbach und Hagenhoff 2004, S. 14)

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Das Data Analytics & Artificial Intelligence Team (LEAP) – Einführung von Analytics in der Lufthansa Group Business Services

Das LEAP der LGBS entstand Ende 2016 als Projekt mit fünf Mitarbeitern, die anfänglich je nur 30 % ihrer Arbeitszeit aufwendeten, mit dem Ziel: • die Analytics-Potenziale der LGBS basierend auf der Umsetzung von mehreren Prototypen konkreter Anwendungsfälle zu evaluieren, • sukzessive eine Data Analytics IT-Infrastruktur aufzubauen sowie anhand dessen • den Data Analytics Ansatz und die agile Arbeitsweise in der Organisation zu tragen. Nach dem Test diverser Tools, der Erschließung relevanter Datenquellen und den ersten erfolgreichen Analytics-Versuchen, u. a. in den Bereichen Procurement (z.  B.  Vertragsanalysen) und Revenue Accounting (Erlös-Forecasting), wurde der Aufgabenbereich im Jahr 2019 als Routineaufgabe und Dienstleistung für verschiedenste Fachbereiche im Konzern etabliert. Aktuell arbeiten sieben Analytics-Spezialisten in Hamburg und sechs in Krakau (Polen) sowohl als fest kontrahierte Kapazitäten als auch projektbezogen mit Aufwandsverrechnung für Kunden im Lufthansa Konzern. Der Gesamtaufwand der LEAP-Aktivitäten in Höhe von etwa 1,3 Mio. € pro Jahr setzt sich dabei im Wesentlichen aus Personalkosten (90 %) sowie IT Infrastruktur und Lizenzkosten (10 %) zusammen. Die interne Leistungserbringung zwischen der jeweiligen Geschäftseinheit und dem BA-SSC erzeugt ein Kunden-Lieferanten-Verhältnis (vgl. Steuernagel et  al. 2017, S. 102). Zur Regelung der Geschäftsbeziehungen werden SLAs verwendet, die getroffene Leistungsvereinbarungen zwischen dem BA-SSC und der jeweils die BA-Services empfangenden Business Unit beinhalten (vgl. Bangemann 2012, S. 99; Becker et al. 2009, S. 90 f.; Lohrmann und Riedel 2015, S. 274). SLAs beinhalten typischerweise die Festlegung des jeweiligen Ziels der Kooperation sowie eine Beschreibung der zu erbringenden Dienstleistung. Zusätzlich gehört eine Erklärung über die Form der Wertübertragung inklusive detaillierter Angaben zu Servicekontaktpersonen, Verfügbarkeit und verwendete Kommunikationsmittel zu den Inhalten eines SLA.  Für eine höhere Transparenz können auch die Leistungsniveaus und Kosten von externen Benchmarks in die SLAs aufgenommen werden (vgl. Bangemann 2012, S. 94 f.). Ferner ist es wichtig, auch die Leistungsverpflichtungen des BA-SSC durch vertraglich vereinbarte KPIs, wie z. B. Prozessdurchlaufzeit, Reaktionszeit, Fehlerquote oder Prozessvolumen, zu quantifizieren (vgl. Bangemann 2012, S.  94 f.; Lohrmann und Riedel 2015, S.  275). Auch die Verpflichtungen der Business Units können in Form sog. Operating Level Agreements berücksichtigt werden (vgl. Lohrmann und Riedel 2015, S. 274). Diese legen Mitwirkungspflichten, wie die Bereitstellung servicerelevanter Daten, die Information über mögliche Änderungen sowie die Kommunikationskanäle zwischen den Vertragspartnern fest. Einen weiteren inhaltlichen Aspekt stellen Beschreibungen über denkbare Prozessverbesserungen im Rahmen der Leistungserbringung und

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deren zu erwartenden Wirkungen, Regelungen bei auftretenden Problemen und Konflikten sowie die Laufzeit des Agreements dar (vgl. Bangemann 2012, S. 95).

5.3

 influss digitaler Geschäftsmodelle auf die Steuerung E von Shared Service Organisationen

Durch die Digitalisierung ist das Umfeld von Unternehmen von steigender Dynamik geprägt. Wie in Kap. 1 dargestellt, geht die zunehmende Dynamik auch mit großen Herausforderungen für die SSO einher. Um angesichts der Herausforderungen das SSO-Management bei der Identifikation und Implementierung von Maßnahmen zu unterstützen, können im Controlling der SSO die Fähigkeiten aus neuen digitalen Shared Service-Geschäftsmodellen, wie BA-Services eingesetzt werden (vgl. ICV 2016, S. 4; Kieniger et al. 2015, S. 11). Im Folgenden wird auf die Anwendung von BA im Controlling von SSOs eingegangen (Abschn. 5.3.1) und die Steuerung von digitalen Shared Service-Geschäftsmodellen erläutert (Abschn. 5.3.2).

5.3.1 A  nwendung von Business Analytics im Controlling von Shared Service Organisationen Nachfolgend werden zuerst Anwendungsfelder erläutert, in denen BA als Werkzeug im Controlling der SSO eingesetzt wird (Abschn. 5.3.1.1). Anschließend wird aufgezeigt, welche Chancen und Risiken beim Einsatz von BA-Services im Controlling der SSO entstehen können (Abschn. 5.3.1.2).

5.3.1.1 Anwendungsfelder von Business Analytics im Controlling der Shared Service Organisation Die zielgerichtete Datennutzung zur effektiven und effizienten Entscheidungsunterstützung spielt im Controlling der SSO eine wichtige Rolle. Aus diesem Grund gewinnt die Verwendung von BA auch hier zunehmend an Bedeutung. Mehanna et al. (2018) haben einen Bezugsrahmen zur Realisierung und Strukturierung von BA für Controlling-Aufgaben entwickelt. Im Folgenden werden die fünf identifizierten Einsatzbereiche Analyse, Forecast, Optimierung, Simulation und Radar (vgl. Mehanna et al. 2018, S. 40) in Bezug auf die SSO erläutert. Ein grundlegendes Anwendungsfeld für BA im Controlling der SSO liegt in der Analyse, d. h. im Aufbau von Systemen für die Echtzeitanalyse großer Datenbestände, um Erkenntnisse hinsichtlich Strukturen, Regelmäßigkeiten, Zusammenhängen und Auffälligkeiten zu generieren. Die Datenanalysen werden mit unterschiedlichen Datenbeständen (z.  B.  OLAP) und unter Anwendung verschiedener statistischer Methoden (z.  B.  Regressionen) für die Informationsversorgung des SSO-Managements durchgeführt (vgl. Mehanna et al. 2018, S. 40). Die zunehmende Verfügbarkeit von internen und externen Daten, die leistungsfähigere IT-Infrastruktur sowie fortgeschrittene Datenanalysefähigkeiten der Mitarbeiter bilden die Grundlage für Digital Forecasts im Controlling einer SSO (vgl. Mehanna 2016, S.  23). Die Prognose steuerungsrelevanter KPIs der SSO durch quantitative Werttreibermodelle stellt beispielsweise eine konkrete Anwendungs-

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möglichkeit für Digital Forecasts dar (vgl. Mehanna et al. 2018, S. 40 ff.). Durch die Verwendung komplexer statistischer Modelle sowie eine Kombination verschiedener Analysemethoden im Rahmen des Ensemble Modellings wird eine verbesserte Prognosequalität erreicht (vgl. Satzger et al. 2018, S. 48 ff.). Die Anwendung von Optimierungen dient zur Erzielung von Produktivitäts- und Effizienzvorteilen im Controlling. Im Einzelnen ermöglicht die datengetriebene Fundierung von konkreten Maßnahmen dem Management in der SSO eine verbesserte Erreichung der Planziele (vgl. Mehanna et al. 2018, S. 42 ff.). Eine wesentliche Unterstützung der Entscheidungsfindung ergibt sich aus Simulationen, d. h. der Berechnung verschiedener Zukunftsszenarien unter Berücksichtigung von Unsicherheiten. Damit lassen sich durch die Variation einzelner Modellparameter die Auswirkungen konkreter Maßnahmen auf den Wertbeitrag oder einzelne Werttreiber der SSO ermitteln und anschließend vergleichen (vgl. Mehanna et al. 2018, S. 42 ff.). Durch den Einsatz eines Radars, das das externe Umfeld einer SSO kontinuierlich analysiert und überwacht, wird das Controlling in der SSO wirksam unterstützt (vgl. Chen et al. 2012, S. 1; Mehanna et al. 2018, S. 43). Die Ergebnisse können in der SSO zur Früherkennung sowie in der Chancen-/Risikoanalyse eingesetzt werden. Aber auch der Einsatz von Issue Monitorings und Umfragen zur Kundenzufriedenheit bei Business Units sowie Technologiebewertungen sind denkbar (vgl. Michaeli 2006, S. 21 ff.). Das nachfolgende Beispiel verdeutlicht anhand von Mitarbeiterbefragungen und Marktanalysen zwei Anwendungsfelder für BA in der SSO der Siemens AG. Employee Survey und Market Analytics – zwei Anwendungsfelder für Business Analytics bei der Siemens AG

Durch die Nutzung von BA erweitert Siemens seine Möglichkeiten, um durch Monitoring und Analysen effektivere sowie effizientere Optimierungsmaßnahmen in nahezu Echtzeit für schnelle Handlungsempfehlungen abzuleiten. Ein Anwendungsbeispiel sind die regelmäßig durchgeführten  Employee Surveys. Die Mitarbeiterzufriedenheit stellt in der Unternehmenskultur von Siemens einen zentralen Baustein dar, auch da sie eine gute Basis für Ideen zur Optimierung von Unternehmensprozessen bildet. Deshalb werden regelmäßig Mitarbeiterzufriedenheitsmessungen in allen globalen Einheiten online und in Echtzeit durchgeführt. Die Erhebung der Daten, die Analyse der Ergebnisse in Kombination mit den Unternehmensprogrammen zu Mitarbeitertrainings sowie die Zuordnung zu Mitarbeiterkategorien erfolgt dabei ganzheitlich über digitale Instrumente. Das damit verbundene Monitoring bringt nicht nur schnelle Erkenntnisse, wodurch Optimierungsmaßnahmen zeitnah  ergriffen werden können, sondern trägt auch zur Steigerung der Mitarbeiterzufriedenheit bei. Auch im Rahmen von Market Analytics findet BA bei Siemens Anwendung. Die strategische Kundenzufriedenheit und deren Management stellt einen wesentlichen Erfolgsfaktor für das Unternehmen dar. Die Messung der Zufriedenheit (Net Promoter Score) über alle digitalen Kanäle, alle relevanten Prozesse,

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die Ableitung analytischer Erkenntnisse in Kombination mit AI-Methoden, Sprachanalysen und der Transfer in die Vertriebsorganisation aller Vertriebspersonen, wird durch die Nutzung von BA beschleunigt, erbringt zielgenaue Maßnahmen und erhöht den Kundennutzen durch die Anwendung nachfrageorientierter Sales-Aktivitäten. Konkret bedeutet dies, dass die Bestimmung der Zufriedenheit des Kunden, seine Begeisterung bzw. Unzufriedenheit mobil, digital oder analog durch Beobachtung, Befragung etc. an allen Kundenkontaktpunkten (Webcontact, Sales, Angebot, Lieferung etc.) erhoben wird, um das Kundenprofil mit den internen Aktivitäten zur Ursachenermittlung und Festlegung von Handlungsempfehlungen abzugleichen. Auf diese Weise wird ein System zur Steigerung und Optimierung der Kundenerfahrung (Customer Experience) entlang der individuellen Customer Journey genutzt. BA wird aber auch eingesetzt, um detaillierte Erkenntnisse über die zentralen Erfolgs- und Werttreiber für den Kunden in Bezug auf deren Produkte und Leistungen zu erlangen.  Durch Informationen über die Preisbereitschaft der dortigen Abnehmer wird die Erstellung und Bepreisung der Angebote verbessert. Über Preisanalyseprozesse, die sich aus verteilten Informationsquellen speisen, lassen sich die Preisbereitschaft der Kunden für bestimmte Produktpakete ableiten, Preisabsatzkurven simulieren und die Preisstruktur optimieren. Die Verwendung von BA im Controlling ermöglicht, langfristig die gesamte Wertschöpfungskette der SSO einzubeziehen (vgl. Mehanna et  al. 2018, S.  40). Aufgrund der Festlegung von Ziel- und Grenzwerten sowie Kontrollmöglichkeiten und Sanktionsmechanismen stellen auch SLAs ein wichtiges Werkzeug im Performance-­Controlling einer SSO dar (vgl. Bangemann 2012, S. 96; Becker et al. 2009, S. 90 ff.; Lohrmann und Riedel 2015, S. 274 ff.).

5.3.1.2 Chancen und Risiken beim Einsatz von Business Analytics Aus der Integration von BA-Services in das Controlling der SSO ergeben sich zahlreiche Chancen; es müssen jedoch auch in diesem Zusammenhang entstehende Risiken berücksichtigt werden. Zunächst kommt der Datenqualität der vorgelagerten IT-Systeme eine entscheidende Rolle zu. Zum Beispiel müssen die Stammdaten regelmäßig und systematisch gepflegt werden. Zudem werden Kennzahlensysteme benötigt, die einen Bezug zur Strategie aufweisen und aussagefähige Informationen über schwache Signale aus dem Umfeld sowie detaillierte Indikatoren über interne Abläufe bereitstellen (vgl. Gleich 2011, S. 14; Greiling 2009, S. 92; Kleindienst 2017, S. 44). Damit können Innovationsimpulse rechtzeitig gegeben werden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken (vgl. Gleich 2011, S. 13 f.; Kleindienst 2017, S. 45). Starre und deterministische Kennzahlensysteme mit einer überwiegend vergangenheitsbezogenen Datenanalyse reichen aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen für ein aussagefähiges Con­ trolling in der SSO nicht mehr aus (vgl. Gleich 2011, S. 13 ff.; Greiling 2009, S. 92; Kleindienst 2017, S.  43 ff.). Vielmehr sind für ein ziel- und zukunftsorientiertes

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Controlling in der SSO die Informations-, Planungs- und Kontrollsysteme mithilfe von BA in geeigneter Form weiter zu entwickeln. BA stellt zahlreiche Analysemethoden, -tools und -anwendungen bereit, die die Auswertungsmöglichkeiten von Datenbeständen sowie komplexer Inhalte verbessern und ein schnelles, datengetriebenes Controlling ermöglichen (vgl. AKEU 2018, 303 ff.). Die für BA benötigte technische Daten- und Methodenintegration sowie die Anwendung kollaborativer Systeme fördern die organisatorische Vernetzung, woraus ein ganzheitliches Controlling mit detaillierten und umfangreichen Informationen etabliert werden kann (vgl. Jacob et al. 2017, S. 73). Die gewonnene Erfahrung aus der Anwendung von digitalen Technologien verbessert die Datenqualität und -sicherheit, was die Leistungsfähigkeit des Controlling-Systems weiter erhöht (vgl. AKEU 2018, S. 305 ff.). Unterstützt wird dies durch präzisere Prognosen, die mithilfe von BA erstellt werden können, um ein zukunftsgerichtetes Controlling aufzubauen (vgl. Gluchowski und Chamoni 2016, S. 227 f.; Kieniger et al. 2015, S. 5 ff.; Popovič et al. 2018, S. 216; Seufert und Schiefer 2005, S. 221 ff.). Auf diese Weise entsteht ein agiles Controlling, durch das das Management in die Lage versetzt wird, auf aktuelle Entwicklungen zeitnah zu reagieren und ad hoc geeignete Maßnahmen einzuleiten. Auch die Prozessautomatisierung zur Effektivitätssteigerung im Controlling wird durch BA-Methoden, wie z.  B.  Process Mining entlang der End-to-End-Prozesse, erhöht. Die durch kontinuierliche Echtzeit-­Datenüberwachung und -auswertung gestiegene Transparenz trägt ebenfalls zu Prozessverbesserungen bei (vgl. AKEU 2018, S. 302 ff.; Jacob et al. 2017, S. 73). Durch den Einsatz von Visual Analytics, z. B. Digital Cockpits, Boardrooms sowie Dashboards, wird eine benutzerfreundliche Darstellung und Informationsvermittlung unterstützt (vgl. Gluchowski und Chamoni 2016, S. 112 ff. und S. 317). Anhand von qualitativ hochwertigen und aktuellen Informationen wird letztlich eine proaktive, flexible sowie regelkreisbasierte Prozesssteuerung mithilfe von KPIs für eine effektive Informationsversorgung des Managements gewährleistet (vgl. AKEU 2018, S. 303 ff.; Jacob et  al. 2017, S.  73). Das nachfolgende Praxisbeispiel beschreibt die Entwicklung neuer KPIs durch den Einsatz von BA zur Weiterentwicklung der Performance Cockpits in der SSO der Siemens AG. Entwicklung des Controllings in der Shared Service Organisation der Siemens AG

Key Digital Indicators Digitalisierung wird bei Siemens als wichtiger Hebel zur Erreichung von Kosten-, Qualitäts-, Transparenz- und Schnelligkeitszielen gesehen. Dabei stellt die Messung des Grads der Digitalisierung, approximiert durch die Prozessautomatisierung, einen wichtigen Parameter dar. Auch bei den Geschäftseinheiten besteht hohes Interesse an einer Messung des Grads der internen Prozessautomatisierung. Hierfür wurde das Konzept der Key Digital Indicators zur Messung der Wertschaffung, zusätzlich zu den klassischen monetären und nichtmonetären Leistungskennzahlen, entwickelt. Die Daten werden dabei mithilfe einer Software in geeigneter Form aufbereitet.

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Quality Cockpit und Performance Review (Performance- und Qualitätsmessung inklusive Ursachenidentifizierung und Prozessanalysen) Im Shared Service-Kontext stellt größtmögliche Transparenz einen wesentlichen Faktor bei der automatisierten Leistungserbringung dar. Um dies zu erreichen, werden die Kundenzufriedenheit und die Identifikation von Performance Gaps sowie Verbesserungsmöglichkeiten innerhalb der SSO immer wichtiger. Aus diesem Grund wurde bei Siemens das sog. Quality Cockpit eingeführt und über die letzten zehn Jahre hinweg funktionsübergreifend etabliert. Dabei handelt es sich um ein hochautomatisiertes und weltweit einheitliches Reporting-­ Tool, das die Qualitäts- und Leistungstransparenz auf globaler Ebene über mehr als 90 Länder und 600 Konzernunternehmen hinweg sicherstellt. In Abstimmung mit den Kunden wurden 28 standardisierte KPIs eingeführt, die weltweite Vergleichbarkeit und einen sukzessiven Ausbau ermöglichen. Mittlerweile erfolgt eine automatisierte Messung und Visualisierung durch den direkten Zugriff auf den Hana Data Lake sowie mithilfe einer Process  Mining  Software. Diese erlaubt es, Auswertungen bis auf Transaktionsebene hinunter aufzuschlüsseln. Weiterhin werden im Rahmen des Quality Cockpits auch erweiterte Data Analytics-Möglichkeiten, wie z.  B.  Skontoverluste und ihre Ursachen, Schritt für Schritt ausgebaut sowie fallbezogene Sonderanalysen ermöglicht. Dadurch erlaubt das Quality Cockpit die systematische Identifikation von Prozessverbesserungs- und Automatisierungspotenzialen sowie das Erstellen von faktenbasierten Zielvorgaben als auch die Nachverfolgung derselbigen. Das schafft die Basis für regelmäßige, faktenbasierte Performance Reviews mit den Kunden. Im Folgenden werden wesentliche Herausforderungen und Risiken aufgezeigt, die sich durch den Einsatz von BA für die SSO ergeben. Von zentraler Bedeutung ist der Aufbau geeigneter System- und Prozessarchitekturen sowie Infrastrukturen zur Bereitstellung einer ausfallgeschützten Datenversorgung. Hierfür erforderlich ist die Entwicklung eines Implementierungs- oder Migrationsplans für eventuell notwendige Upgrades der IT-Infrastruktur, die Anpassung von Prozessen, die Bereinigung von Stammdaten und die Integration eines Schnittstellenmanagements sowie erforderlicher Plattformen (vgl. AKEU 2018, S. 303 ff.). Zusätzlich erfordern kürzere Planungszyklen und individualisierte Anwendungen den Aufbau einer flexiblen Arbeitsumgebung mithilfe agiler Methoden, z. B. Scrum, Dynamic System Development Method (DSDM) oder eXtreme Programming (XP) (vgl. Huber 2015, S. 60 ff.; Kulkarni et al. 2017, S. 524). Des Weiteren muss ein möglichst heterogenes Analyseteam im SSO-Controlling etabliert werden, das funktionsübergreifende Fähigkeiten verschiedener Experten innerhalb des BA-SSC und der Business Units einbezieht, um das Fachwissen zu bündeln und die Agilität bei der Entwicklung von BA-Anwendungen zu erhöhen (vgl. Gwanhoo und Weidong 2010, S. 90; Kowalczyk und Buxmann 2015, S. 3 ff.; Matsudaira 2015, S. 44). In diesem Kontext bedeutsam sind die Rollen des Chief Data Officers (CDO), Data Scientists, Data Engineers, Data Miners und Analytic Integrators (vgl. Cao 2017, S.  29; Kowalczyk und Buxmann 2015, S. 3 ff.; Tubas et al. 2017, S. 126 ff.). Diese Profile erfordern ein vielfältiges Repertoire an technischen und analytischen Fähigkeiten

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sowie Geschäftskenntnissen und kommunikativen Eigenschaften (vgl. Deloitte 2016a, S. 6). Insbesondere der Aufbau der Datenkompetenz, d. h. die Fähigkeit Daten zu lesen, zu bearbeiten, zu analysieren und zu diskutieren, gewinnt zunehmend an Bedeutung. Hierfür erforderlich ist die Anpassung der Kultur durch Kommunikation des Datenwerts, die Entwicklung des Fähigkeitsniveaus der Mitarbeiter und die Etablierung entsprechender Schulungsprogramme. Eine weitere Herausforderung besteht in der Vermeidung des Wissensverlusts aufgrund von Mitarbeiterfluktuation und substitution durch Prozessautomatisierung. Ein besonderes Risiko der Digitalisierung ergibt sich aus der erhöhten Konzentration von sensiblen Daten in Cloud-Lösungen sowie performanteren Infrastrukturen, die den schnellen Verlust wertvoller Datenbestände durch Übertragung an Unbefugte ermöglichen. Gleichzeitig werden auch die Methoden und Vorgehensweisen für Cybercrime-Angriffe immer ausgefeilter. Neben Viren, Trojanern und Spyware werden Schadprogramme zum Manipulieren und Zerstören von Daten zunehmend relevanter. Eine besondere Herausforderung stellt deshalb die Auseinandersetzung mit datenschutzrechtlichen Aspekten und die Entwicklung entsprechender Schutzkonzepte für Cybercrime-­Angriffe dar (vgl. AKEU 2018, S. 306 ff.).7

5.3.2 Steuerung digitaler Shared Service-Geschäftsmodelle Wie in Abschn. 5.3.1 erläutert, kann BA vielfältig im Controlling der SSO eingesetzt werden. Gleichzeitig ergeben sich aus den digitalen Shared Service-Geschäftsmodellen neue Anforderungen, die für eine erfolgreiche Steuerung der SSO zu berücksichtigen sind. Der folgende Use Case der DHL Global Forwarding, Freight (DGFF) – Global Service Centers (GSC) verdeutlicht neue Anforderungen bezüglich der Steuerung am Beispiel eines Virtual Delivery Centers (VDC) im indischen Chennai. Als erstes wird das Geschäftsmodell des VDC innerhalb des DHL-Konzerns kurz beschrieben (Abschn. 5.3.2.1). Anschließend wird in Ausschnitten dargestellt, welche innovativen Steuerungsansätze die DGFF – GSC für das VDC implementiert hat (Abschn. 5.3.2.2). Der Aufbau des Use Cases orientiert sich dabei an der Steuerung im eigentlichen Sinn (Planung, kybernetische Systeme und Anreizsysteme), den administrativen Strukturen (Organisation, Prozesse und Corporate Governance) sowie der Führung und Unternehmenskultur (vgl. zu diesen Ebenen und den zugehörigen Elementen grundlegend Malmi und Brown 2008).8 Neben einem Einblick in die

7  Das Bundesamt für Sicherheit in Informationstechnik (BSI) veröffentlichte hierzu einen Leitfaden zur Erkennung, Bewertung und Maßnahmenergreifung im Rahmen des IT-Grundschutzes (BSI 2012). 8  Das Framework (vgl. Malmi und Brown 2008, S. 290 f.) umfasst, entsprechend der im angloamerikanischen Raum verbreiteten Bezeichnung Management Control, alle Systeme und Instrumente, mit denen Manager sicherstellen, dass das Verhalten und die Entscheidungen der Mitarbeiter mit den Zielen und Strategien des Unternehmens übereinstimmen. Dementsprechend werden Organisation, Prozesse und Corporate Governance nachfolgend auch als administrative, Führung und Unternehmenskultur als kulturelle Steuerungsinstrumente bezeichnet.

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Anforderungen an die Steuerung digitaler Geschäftsmodelle veranschaulicht der Use Case, wie unterschiedliche, in den vorangegangenen Kapiteln dieses Sonderhefts beschriebene, technologische und administrative Innovationen in Shared Services ineinandergreifen, um Wertbeiträge im Konzern zu generieren.

5.3.2.1 Geschäftsmodell des Virtual Delivery Centers Das VDC bietet als Service Center automatisierte Geschäftsprozesse für interne Kunden, d. h. Geschäftseinheiten, an. Die Bezeichnung Virtual Delivery Center ergibt sich aus dem Begriff virtuelles  Vollzeitäquivalent (Virtual „Full Time Equivalent“; FTE), also eine Software, die Prozessautomatisierung (s. Abschn. 2.3) ermöglicht, und vergleichbar zu einem menschlichen Mitarbeiter in den IT-Systemen des SSC agiert. Die Ausgangssituation sowie das Geschäftsmodell des VDC lässt sich wie folgt beschreiben: Beispiel

DGFF ist der führende Anbieter von Dienstleistungen in Bezug auf Luft-, Seeund Landfracht im Deutsche Post DHL Konzern. DGFF vermittelt Transportdienstleistungen zwischen Versendern und Transporteuren für eine optimale Routenplanung und Transportabwicklung. Dabei bedient sich DGFF einer Global Shared Services Organisation (GSSO) über fünf Standorte. Das Serviceangebot des DGFF - GSC umfasst die Generierung von Wettbewerbsvorteilen bei seinen Kunden und Partnern in Form von Produktivitätssteigerungen und der Sicherstellung einer konstant hohen Leistungsqualität. Zur Erbringung seiner Leistungen bedient sich das GSC u.  a. seines zentralen VDC. Durch die Automatisierung von Geschäftsprozessen ermöglicht das VDC eine bessere Informationsversorgung und Transparenz sowie die Beseitigung von Engpässen und die optimale Nutzung fachbezogener Fähigkeiten der Mitarbeiter, letzteres insbesondere durch eine Neufokussierung der Tätigkeitsschwerpunkte von repetitiven hin zu anspruchsvollen Aktivitäten, wie der Behandlung komplexer Spezialfälle sowie dem Eskalationsmanagement. Die mit der Automatisierung einhergehenden Kosteneinsparungen stellen ein relevantes Ergebnis der VDC-Aktivitäten dar. Das Wertangebot soll aber die Schaffung umfassender strategischer Potenziale für die GSSO sowie die Geschäftsbereiche von DGFF vermitteln. Ausgangspunkt für die Wertübertragung ist zunächst die Automatisierung von Prozessen innerhalb der GSSO, wodurch neben direkten Effizienz- und Effektivitätseffekten spezifische Fähigkeiten zur Prozessautomatisierung aufgebaut werden können. Die Automatisierung der internen Geschäftsabläufe im GSC diente somit als Wegbereiter und Nukleus für den Aufbau des VDC. Die realisierten Einsparungen in internen Geschäftsabläufen des SSC haben die notwendigen Investitionen im Aufbau des VDC ermöglicht. Mit der Etablierung des VDC hat das GSC sein Serviceangebot konsequent um die Prozessautomatisierung-as-a-Service erweitert, um Wettbewerbsvorteile in den Kernaktivitäten von DGFF zu fördern. Neben der Planung und Umset-

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zung von Prozessautomatisierungen mit anschließendem Betrieb der Prozessautomatisierung bietet das VDC auch den reinen Betrieb lokal realisierter Prozessautomatisierungen an. Hierbei ist hervorzuheben, dass das VDC auch als Center of Excellence (CoE) für Prozessautomatisierung in DGFF agiert und damit die notwendigen Tools, Methoden und Standards verpflichtend festlegt. Vor der Inbetriebnahme jeglicher Prozessautomatisierungen führt das VDC eine eingehende Prüfung zur Einhaltung der Qualitätsstandards durch. Das VDC verrechnet seine Leistung anhand von kostendeckenden Standardpreisen. Die Leistung der Planung und Umsetzung erfolgt auf Basis von Tagessätzen. Der Betrieb wird nicht anhand der Anzahl an RPA-Lizenzen, sondern anhand von Zeitblöcken à acht Stunden Infrastrukturkapazität in Bezug auf die Prozessautomatisierung verrechnet. Die optimale Auslastung der bestehenden Infrastruktur liegt somit im Wesentlichen in der Verantwortung des VDC und wird vergleichbar mit einem 24/7-Schichtbetrieb geplant. Dies folgt der Überlegung, strategische Vorteile der digitalen Transformation nicht durch kurzfristige Kostenabwägungen zu unterbinden. Um die Lenkungsfunktion, d. h. die Allokation der Ressourcen des VDC auf Automatisierungsprojekte mit dem höchsten Wertsteigerungspotenzial sicherzustellen, wird ein System von Steuerungsinstrumenten bei der Projektauswahl und Implementierung eingesetzt (s. Fortsetzung des Use Cases). In Kombination mit einer durchschnittlichen Amortisationszeit von RPA unter einem Jahr wird das Projektrisiko auf einem geringen Niveau gehalten. Seit dem Aufbau des VDC hat die GSSO über 150 RPA-Bots in 16 Servicebereichen des operativen Logistikgeschäfts und des klassischen Backoffice-­ Bereichs der DGFF installiert. Dies entspricht den repetitiven Aktivitäten von 450 FTE, sodass die Mitarbeiterkapazitäten nun in anspruchsvollere Tätigkeiten fließen.

5.3.2.2 Neue Steuerungsansätze im Virtual Delivery Center Im Folgenden werden die in digitalen Geschäftsmodellen bestehenden Anforderungen an Steuerungsinstrumente und die korrespondierende Ausgestaltung im VDC beschrieben. Administrative Steuerungsinstrumente lenken die Handlungen der Mitarbeiter durch die Strukturierung von Prozessen, die Regelung der Zusammenarbeit sowie die Übertragung von Verantwortlichkeiten für die Ausführung und Überwachung der Aktivitäten (vgl. Malmi und Brown 2008, S. 292). Die Auswirkungen der Digitalisierung auf administrative Elemente in Shared Services wurden bereits in Kap. 2 zu digitalen Prozessen, in Kap. 3 zur Organisation bzw. dem HR-Bereich sowie in Kap. 4 zum Risikomanagement bzw. der Governance verdeutlicht. Im VDC wurden die administrativen Steuerungsinstrumente wie folgt implementiert: Beispiel

Die Übertragung der Verantwortung für Prozessautomatisierung auf ein SSC innerhalb der GSSO – das VDC – erfolgte bei DGFF im Hinblick auf die Heraus-

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forderung, innovative und stark kundenzentrierte Automatisierungslösungen mit einer globalen Automatisierungs-Governance und hocheffizienten Implementierungsprozessen zu verbinden. Dementsprechend gliedert sich das VDC in drei Verantwortungsbereiche: Eine Automation Factory zur Planung und Realisierung von Prozessautomatisierungen. Zur Überwachung und Optimierung des laufenden Betriebs wird die Automatisierungslösung anschließend an die Operations übergeben. Ergänzt werden diese Bereiche durch ein Digital Service Lab, das fortwährend Use Cases für weitere Prozessautomatisierungen auf Basis neuer technologischer Möglichkeiten identifiziert. Darüber hinaus dient das VDC gleichzeitig als CoE für den Geschäftsbereich DGFF und definiert als solches die Methoden, Tools und Standards. Das CoE bedient sich hierbei agiler Organisationsmethoden. Um Anreize für hohe Innovationsstärke zu schaffen, besteht innerhalb von DGFF kein Kontrahierungszwang der Geschäftseinheiten in Bezug auf die Planung und Realisierung von Automatisierungspotenzialen. Die Geschäftseinheiten sind lediglich angehalten, den Tools, Methoden und Standards des CoE zu folgen und den Betrieb der Prozessautomatisierung über das VDC sicherzu­stellen. Zur Steuerung einer effektiven und effizienten Implementierung der Automatisierung und eines kontrollierten RPA-Betriebs hat das VDC einen End-to-End-­ Prozess, Idea-to-Robot (I2R), entwickelt. Der I2R-Prozess beschreibt detailliert Aktivitäten, Aufgaben, Richtlinien und Werkzeuge über den RPA-Lebenszyklus: Von der Sammlung der Automatisierungsidee über das Design der User Story bis zur Konfiguration, der Bereitstellung an die internen Kunden und, zuletzt, die Deaktivierung der Software. Um das Risiko von zeitlichen und finanziellen Planabweichungen zu senken und die Automatisierung eng am Nutzerbedarf zu orientieren, steuert das VDC die Implementierungsphase des I2R-Prozesses mit Methoden des agilen Projektmanagements. Die agile Vorgehensweise wird auch durch eine innovative Organisationsmatrix gefördert, die die gesamten DGFF erfasst. In horizontaler Ebene bilden Chapter entsprechend der Geschäftsbereiche aufgeteilte Gemeinschaften mit vergleichbarem Fachwissen. Horizontal werden die Chapter von nach Regionen gegliederten Squads überspannt. Diese sollen, analog zu Scrum-Teams9, bei der Implementierung der Automatisierung möglichst autonom handeln. Grundlegende Systeme und Abhängigkeiten werden durch den Tribe für Prozessautomatisierung bereitgestellt, dem alle regionalen Squads angehören. Weiterhin kommt eine Reihe von digitalen Werkzeugen zum Einsatz, die die Steuerung unterstützen. Diese umfassen die Projektsoftware Jira, die Open Source BA-Plattform Kibana sowie den Orchestrator der RPA-Plattform UiPath.

9  Scrum bezeichnet ein Rahmenwerk, mit dem komplexe Aufgabenstellungen bearbeitet und hochwertige Lösungen produktiv und kreativ erzeugt werden können (vgl. Schwaber und Sutherland 2017, S. 3).

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Die Steuerungsinstrumente im engeren Sinn, Planung und finanzielle, nichtfinanzielle sowie hybride Kennzahlensysteme, stehen im Fokus der operativen Steuerung digitaler Geschäftsmodelle in der SSO. Entsprechend eines Regelkreislaufs ermögli­ chen sie die Vorgabe und Abstimmung der von den Mitarbeitern zu erreichenden Ziele und die Anpassung von Aktivitäten im Fall einer Zielabweichung (vgl. Malmi und Brown 2008, S.  292). Bei einem auf Prozessinnovationen basierenden Geschäftsmodell, wie beim VDC, muss die Steuerung über den gesamten Lebenszy­ klus, beginnend bei einem geeigneten Bewertungskalkül für das Transformationsprojekt (vgl. Obermaier und Grottke 2017, S. 121 f.), gewährleistet sein. Im VDC zeigt sich folgendes Bild: Beispiel

Ein zentraler Erfolgsfaktor für die Steuerung des digitalen Geschäftsmodells des VDC liegt im Bewertungskalkül, inwieweit eine Aktivität zur Automatisierung geeignet ist. Die Entscheidung im Rahmen der Bedarfsermittlung hat eine große Auswirkung auf den Erfolg der weiteren Implementierung und den Betrieb der Automatisierungslösung. Dementsprechend hat das VDC den Ablauf in einem Teilprozess von I2R, Bedarfsverwaltung, detailliert festgelegt und nutzt ein differenziertes Bewertungsschema mit einem zweistufigen Aufbau. In der ersten Stufe erfolgt eine Machbarkeitsprüfung, in der die Prozesse beispielsweise auf Medienbrüche, bestehende Dokumentation, Varianten sowie ihren repetitiven und regelbasierten Charakter geprüft werden. Die zweite Stufe umfasst eine Nutzeneinschätzung, bei der u. a. die strategische Bedeutung, die Qualitätsverbesserungs- und Kosteneinsparungspotenziale sowie die Skalierbarkeit der Automatisierungslösung evaluiert werden. Aktivitäten, die eine positive Nutzeneinschätzung erhalten, werden in Form eines Business Cases bewertet. Als Kernkennzahlen dienen hierbei die auf Basis von Prozess-Zeit-Messungen berechneten Virtual FTE, die in der Bedarfsanalyse und während der Konfiguration noch als Targeted Virtual FTE (im Sinn eines Forecasts) bezeichnet werden und in der Produktion als Actual Virtual FTE berechnet und berichtet werden. Für die operative Steuerung von Implementierung und Betrieb der RPA-Bots setzt das VDC ein umfassendes Leistungsmessungssystem ein. Die darin enthaltenen Indikatoren erfassen den gesamten RPA-Lebenszyklus in verschiedenen Dimensionen. Bedarf Für welche Aktivitäten können Bots eingesetzt werden? Beispiele: Anzahl an Automatisierungsideen, Planbedarf an Virtual FTE. Implementierung Welche Ressourcen und Fähigkeiten stehen für die Implementierung zur Verfügung? Beispiele: Anzahl wiederverwendbarer Softwarebausteine, Lizenzen oder Best Practices. Wie viele Automatisierungsprojekte befinden sich in welcher Implementierungsphase? Beispiele: laufende oder abgeschlossene Sprints, Änderungsanforderungen, revidierter Planbedarf an Virtual FTE.

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Betrieb Wie viele Bots werden operativ eingesetzt? Beispiele: Ist-Bedarf an Virtual FTE, Anzahl virtueller Einheiten („consecutive eight hours of processing time“), automatisierte Prozessschritte, Plan- und Ist-Laufzeit von Bots. Wie zuverlässig arbeiten die Bots? Beispiele: Verfügbarkeit, Unterbrechungen, Kompatibilität mit der Systemlandschaft. Durch seine kybernetischen Elemente wird das Leistungsmessungssystem im VDC für eine diagnostische Steuerung des Bot-Betriebs genutzt. Um einen einheitlichen Steuerungsansatz in klassischen und virtuellen SSCs zu ermöglichen, werden für Kennzahlen teilweise Annahmen für menschliche Mitarbeiter auf Virtual FTE übertragen. Zum Beispiel umfasst eine virtuelle Einheit a­ utomatisierte Prozessschritte inklusive der zum Betrieb erforderlichen Aufwendungen im Umfang von acht FTE-Stunden. Darüber hinaus wird das Leistungsmessungssystem, aufgrund der dem I2R-Prozess zugrunde liegenden agilen Methodik, besonders bei der Implementierung in hohem Umfang interaktiv eingesetzt, z. B. in Meetings wie dem Sprint Planning, dem Daily Scrum, dem Sprint Review oder der Sprint Retrospective. Hierbei kommen zudem spezifische Berichterstattungs- und Steuerungsinstrumente, wie das Design und Sprint Backlog, zum Einsatz. Das Reporting im VDC erfolgt über ein Dashboard, das nach den oben genannten Dimensionen, Bedarf, Implementierung und Betrieb, gegliedert ist und eine Granularität bis auf Projektebene wiedergibt. Neben dem Projektverantwortlichen werden die Projektphase, der Fertigstellungsstand, Start- und Zielzeitpunkt und der Automatisierungsumfang gemessen in FTE erfasst. Zusätzlich erfolgt eine Bewertung bezüglich Zeitplan, Qualität und Risiko. Kulturelle Steuerungsinstrumente umfassen die Werte und sozialen Normen, die zur Beeinflussung der Handlungen der Mitarbeiter geschaffen und durch das Unternehmen vermittelt werden (vgl. Malmi und Brown 2008, S. 292). Bereits in transaktionsorientierten Center of Scale sind kulturelle Steuerungsinstrumente von Bedeutung, um kontinuierlich die Kosten der übernommenen Prozesse zu senken und die Qualität der für die internen Kunden erbrachten Services zu verbessern (vgl. Lueg 2013, S.  18). Digitale SSC-Geschäftsmodelle sind ferner gezeichnet durch eine Kultur der Offenheit gegenüber neuen Technologien sowie hohe Kundenzentrierung (vgl. AK Shared Services 2018), um anspruchsvolle digitale Technologien mit komplexen Kundenbedürfnissen in Einklang zu bringen. Weiterhin weisen die digitalen Geschäftsmodelle ein hohes Innovationspotenzial bezüglich Services und Prozessen auf. Für die Realisation dieser Innovationspotenziale erweisen sich kulturelle Steuerungselemente als vorteilhaft (vgl. Grabner et al. 2018). Entsprechend wurden für das VDC kulturelle Steuerungselemente realisiert: Beispiel

Die grundlegenden Werte, die die Führung des VDC den Mitarbeitern vermittelt, fokussieren wie auch in klassischen SSCs Effizienzverbesserungen. Darüber

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hinaus ist jedoch ein starker Bezug zu aktuellen Technologien sowie zur Rolle von Shared Services als Promotor der digitalen Prozesstransformation im gesamten Konzern enthalten. Die Vision des VDC beschreibt den Anspruch, der Anbieter von Prozessautomatisierung innerhalb der DGFF-Geschäftseinheiten zu sein. Die Mission des VDC umfasst die Implementierung von branchenführenden Automatisierungslösungen in allen Prozessen, um eine hohe Prozesseffizienz zu erzielen. Die Aktivitäten im VDC erfordern eine intensive Kooperation von Mitarbeitern mit unterschiedlichem fachlichem Hintergrund in Logistik oder IT. Um einen reibungslosen Einstieg zu ermöglichen und eine Kultur von Innovation und Verbesserung im VDC zu etablieren, erhalten neue Mitarbeiter im VDC eine dreiwöchige Schulung, die sowohl fachspezifische und IT-Fähigkeiten, als auch Soft Skills umfasst. Die Fähigkeiten der Mitarbeiter in einzelnen Rollen werden präzise erfasst und bei Bedarf gezielt weiterentwickelt. Das VDC der DGFF – GSC ist ein Beispiel für ein neues, digitales Shared Service-­ Geschäftsmodell. Wertschöpfung, Wertübertragung und Wertrealisation erfolgen im VDC als Komplement zu bestehenden klassischen SSCs, unterscheiden sich jedoch substanziell von diesen. Zum kreativen Prozess der Bedarfsfindung, der effektiven und effizienten Implementierung von Automatisierungslösungen sowie dem erfolgreichen und sicheren Betrieb sind von der SSO neue Steuerungsinstrumente auf verschiedenen Ebenen zu etablieren. Dieser Use Case hat gezeigt, wie administrative Steuerungsinstrumente, d. h. Organisationsform, Prozesse und Governance, das Fundament für innovative und effektive Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen bilden. Für die operative Steuerung setzt das VDC auf ein umfangreiches Leistungsmessungssystem und ein geeignetes Bewertungskalkül für digitale Prozesstransformationen. Zugleich lenken kulturelle Steuerungsinstrumente den Fokus der Mitarbeiter auf Effizienz sowie Transformation und fördern ein Ökosystem, in dem Mitarbeiter mit unterschiedlichem fachlichem Hintergrund intensiv kooperieren und, zusammen mit einer steigenden Anzahl virtueller Arbeitskräfte, Werte für den DHL-Konzern schaffen.

5.4

Zusammenfassung und Ausblick

Aufgrund der Digitalisierung steigen Dynamik, Komplexität und Volatilität des Unternehmensumfelds mit einer nachhaltigen Auswirkung auf die Chancen und He­ rausforderungen für die SSO (vgl. Almeida und Azevedo 2016, S. 125; Kleindienst 2017, S. 1). In diesem Beitrag wurde gezeigt, wie BA die Extraktion von Erkenntnissen aus Big Data ermöglicht und die Grundlage für neue Shared  Service-­ Geschäftsmodelle darstellt. Ferner wurde erläutert, wie das Controlling der SSO durch Anpassung des Informations-, Planungs- und Kontrollsystems im Hinblick auf BA verbessert werden kann und wie neue digitale Shared Service-­Geschäftsmodelle gesteuert werden. Zusätzlich zeigen verschiedene Praxisbeispiele, dass BA ein nütz-

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liches Werkzeug für die  SSO darstellt, um den Herausforderungen der digitalen Transformation zu begegnen, und dazu beiträgt, Wettbewerbsvorteile für Shared Service-Kunden zu generieren.

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Stichwortverzeichnis

A Analytics 151 B Blockchain 57 Business Analytics 148 C Chatbot 46 Cloud-Computing 23 Cognitive Automation 30 Controlling 171 Cyberrisiken 130 Cyberversicherung 143 D Digitale Transformation 3 Digitalisierung 2 Distributed Ledger Technology 57 Dynamische Fähigkeiten 9 E ERP-System 22 F Fähigkeiten 6 Fähigkeitsorientierter Ansatz 8 Führung 97

H Hacker 132 Human Resource Management 76 I Informationssicherheit 130 Integrität 130 IT-Risiken 129 M Make-or-buy 115 P Plattform 162 Post Merger Integration 112 Process Mining 33

R Rekonfiguration 10 Ressourcenbasierte Theorie 6 Risikomanagement 128 Risikosteuerung 137 Robotic Process Automation 30 S S/4HANA 25 Shared Services 4 Smart Contract 61 Standardisierung 128

© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 T. M. Fischer, K.-E. Lueg (Hrsg.), Erfolgreiche Digitale Transformation von Shared Services, ZfbF-Sonderheft 74/20, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30484-3

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190 T Transaktionskostentheorie 6 V Verfügbarkeit 130 Vertraulichkeit 130 Virtual Delivery Center 177 Virtueller Assistent 44

Stichwortverzeichnis W Wertrealisierung 168 Wertschöpfung 155 Wertübertragung 162

Z Zentralisierung 128