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German Pages 332 Year 2014
Jochen Hennig Bildpraxis
Jochen Hennig (Dipl.-Phys., Dr. phil.) ist als Wissenschaftshistoriker und Kurator an der Humboldt-Universität zu Berlin tätig. Er forscht zur Geschichte des wissenschaftlichen Sammelns sowie zu Bild und Experiment in der Wissenschaft.
Jochen Hennig
Bildpraxis Visuelle Strategien in der frühen Nanotechnologie
Gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Förderinitiative »Wissen für Entscheidungsprozesse. Forschung zum Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Gesellschaft« Dieses Buch dient als Publikation der Dissertation »Bildpraxis in der Rastertunnelmikroskopie. Historische Untersuchungen zu Experimenten und ihren Visualisierungen in der frühen Nanotechnologie 1982-1992« an der Fakultät für Mathematik und Naturwissenschaften der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhaltsverzeichnis I. Einleitung: Tunnelmikroskopie aus bild- und wissenschaftshistorischer Sicht I.1 I.2 I.3
Die Bilderfrage „Bildpraxis“: Zur Analyse von Bild und Praxis Tunnelmikroskopie als Teil rezenter Wissenschaftsgeschichte
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II. Etablierung der Tunnelmikroskopie als neues bildgebendes Verfahren
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II.1 Übergänge zwischen Grafen und dinglichen Darstellungen II.2 Instrumentelle Bedingungen und Bildstörungen II.3 Analoge und digitale Bildpraxis
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III. Anwendungsfelder der Tunnelmikroskopie
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III.1 Der Erfolg: Silizium-Oberflächen als atomare Landschaften III.2 Die Krise: Zufällige Ähnlichkeiten in DNA-Untersuchungen III.3 Neue Perspektiven: das Einzelne im Visier der Oberflächenphysik
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IV. Historische und kulturelle Einbettungen
221
IV.1 Bildtraditionen von Atomdarstellungen IV.2 Weltbilder der Nanotechnologie
221 253
V. Schluss: Tunnelmikroskopie als implizite Bildwissenschaft
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VI. Apparat
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VI.1 Interviews und Gespräche mit Praktikern der Tunnelmikroskopie VI.2 Unveröffentlichte Quellen VI.3 Veröffentlichte Quellen VI.4 Abbildungsverzeichnis VI.5 Dank
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I. Einleitung: Tunnelmikroskopie aus bild- und wissenschaftshistorischer Sicht
I.1 Die Bilderfrage Das Visuelle hat Konjunktur. Zunehmend deutlicher wird der Stellenwert des Bildes, seine Schlüsselrolle für Wissenschaft und Forschung und damit seine Bedeutung für die Generierung und Kommunikation von Wissen. Ein Paradebeispiel für den Beitrag von Bildern zum Selbstverständnis von Forschungsfeldern und zur Herausbildung ihrer Identität ist die Nanotechnologie: Ohne Bilder wäre der Aufstieg der Nanotechnologie zu einer weithin sichtbaren Zukunftstechnologie nicht vorstellbar. Die Entwicklung bildgebender Verfahren wie des Rastertunnelmikroskops Anfang der 1980er Jahre ist in ihrem Gründungsmythos fest verankert, tunnelmikroskopische Bilder atomarer Nanolandschaften und atomare Schriftzüge gehören zu den massenmedial verbreiteten Ikonen aktueller Forschung. Die Nanotechnologie ist damit ein Paradebeispiel, dass Bilder zum Selbstverständnis von Forschungsfeldern und zur Herausbildung ihrer Identität beitragen. Damit einher geht die gegenwärtig kaum mehr umstrittene Sicht, dass Bilder an der Hervorbringung, Stabilisierung und Verbreitung von Wissen maßgeblich beteiligt sind. In den Wissenschaften, wie in anderen gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen auch, wird Wissen nicht nur diskursiv, durch Sprachlichkeit und Mathematisierung, geformt, sondern beruht auch auf körperlichen Aneig-
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nungen und – eng damit verknüpft – auf visuellen Praktiken.1 Diese unterschiedlichen Wissensformen sind inkommensurabel, so ist eine inkorporierte Fingerfertigkeit nicht vollends durch sprachliche Beschreibungen zu fassen2 und eine Bildbeschreibung kann niemals den visuellen Eindruck der Betrachtung gänzlich ersetzen. Vielmehr unterliegen die unterschiedlichen Wissensformen jeweils ihren eigenen Logiken und transportieren Überschüsse, die nicht untereinander transformierbar sind. Unter dieser Prämisse haben sich verschiedene Bereiche der Wissenschaftsforschung – wie die Wissenschaftssoziologie, die Wissenschaftsgeschichte und die Wissenschaftsphilosophie – der spezifischen Rolle von Bildern zugewandt,3 und auch die Kunstgeschichte besinnt sich in den letzten Jahren verstärkt auf ihre Tradition, Bilder jenseits der Kunst zu ihrem Untersuchungsgegenstand zu zählen. 4 1 | Zur engen Verknüpfung von Auge und Hand, Haptischem und Visuellem in den Naturwissenschaften siehe Bredekamp 2005 und Bredekamp 2007; Hans Belting hat im Rahmen seiner Bildanthropologie das Verhältnis von Bild und Körper bestimmt und daraus die Untrennbarkeit von inneren und äußeren Bildern abgeleitet (Belting 2001). Die Analyse wissenschaftlicher Praxis, die beispielsweise die manuelle Bedienung eines optischen Mikroskops und den dabei einzuübenden Blick durch ein Okular umfasst, verhält sich dazu komplementär und zeigt, wie wissenschaftshistorische Studien zur Erweiterung bildwissenschaftlicher Theorien beitragen können. 2 | Im Rahmen der Replikation historischer Experimente zur wissenschaftshistorischen Analyse ist dieser Befund immer wieder offensichtlich geworden, vgl. Heering, Rieß, Sichau 2000. Harry Collins hat aus wissenschaftssoziologischer Sicht die Aufmerksamkeit auf nonverbale Kommunikation zur Erlernung von Fingerfertigkeiten gelenkt (Collins 1985). 3 | Für einen strukturierenden Literaturüberblick, der die Vorreiterrolle wissenschaftshistorischer Studien zu Bildern für die Geschichtswissenschaft im Allgemeinen hervorhebt, siehe Heßler 2003; einen guten Überblick über den Forschungsstand geben folgende Sammelbände: Heintz, Huber 2001; Heßler 2006d; Bredekamp, Dünkel, Schneider 2008. 4 | Mit der Halbjahresschrift „Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik“, herausgegeben von Horst Bredekamp, Matthias Bruhn und Gabriele Werner, existiert ein kunsthistorisch ausgerichtetes Publikationsorgan, das seit 2003 in bisher 15 Themenbänden Bilder jenseits der Kunst in den Blick nimmt und einen Überblick über das Forschungsgebiet bietet; programmatisch die Einleitung des ersten Bandes: Bredekamp et al. 2003; zur Tradition der Kunstgeschichte, sich mit Bildern jenseits der Kunst auseinanderzusetzen, siehe Bredekamp 2003. Zur Konvergenz unterschiedlicher disziplinärer Ansätze bei der historischen Analyse wissenschaftlicher Bilder siehe auch Hentschel 2000, 12.
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Die vielzitierten – und mittlerweile oftmals aus ihren Entstehungszusammenhängen herausgelösten – Begriffe des „pictorial turn“ (Mitchell 1992) und des „iconic turn“ (Boehm 1994a) verweisen auf diese verstärkte Aufmerksamkeit für den Eigenwert des Visuellen, der in der sprachorientierten westlichen Welt lange vernachlässigt wurde, da „die abendländische Tradition des Denkens den Bildern eine eigene Erhellungskraft nicht zugetraut hat“ (Boehm 1994a, 30). Dabei sah Boehm die Aktualität der Bilderfrage durch eine neue Bilderflut begründet und Mitchell stellte die von ihm selbst konstatierte Hinwendung zur Spezifik des Bildes und seinem Eigenwert in Zusammenhang mit der Konjunktur des Visuellen seit den 1980er Jahren. Diese Konjunktur des Visuellen ist selbstverständlich im Kontext medientechnologischer Entwicklungen zu sehen: der Entwicklung neuer digitaler bildgebender Verfahren, Reproduktionstechniken und Kommunikationsmedien. All diese Techniken gehen auf wissenschaftliche Entwicklungen zurück. Doch trotz der zahlreichen Diskussionen über die vermeintliche „neue Macht der Bilder“5 und das angebliche „Ende der Gutenberg-Galaxis“ (Bolz 1993) liegen bisher keine wissenschafts- und bildhistorisch dichten Studien über die Genese solcher neuen Verfahren in den Laboren und den Gebrauch der mit ihnen produzierten Bilder in der Zirkulation zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit vor.6 An dieser Stelle setzt die vorliegende Studie an, mit einer Analyse der Erstellung, Gestaltung und Verwendung tunnelmikroskopischer Bilder und der Bestimmung ihres Eigenwertes in der Wissensgenerierung und -kommunikation. Der gewählte Zeitraum zwischen 1982 und 1992 ermöglicht es, die ersten Entwicklungsschritte der neuen Technik im IBM-Labor Rüschlikon ebenso nachzuverfolgen wie die Prominenz des Instruments aufgrund der Nobelpreisverleihung 1986 und seine Rolle in der sich Ende der 1980er Jahre herausbildenden Nanotechnologie, deren Frühgeschichte im Rahmen dieser Untersuchung aufgearbeitet wird. In ihrer Blickrichtung folgt diese Studie der These, dass im naturwissenschaftlichen Labor nicht nur neue Verfahren der Bildgebung 5 | So beispielsweise der Untertitel des Buches „Iconic Turn“ (Maar, Burda 2004). 6 | Thomas Söderqvist hat in seinen Überlegungen, warum zeitgenössische Wissenschaftsgeschichtsschreibung ein solches Nischendasein führt, auf den hohen natur wissenschaftlichen Anspruch solcher Studien hingewiesen (Söderqvist 1997, 9), was sich auf bildhistorische Studien übertragen lässt und sicher ein Grund für den Forschungsstand ist.
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zur Verfügung gestellt wurden, sondern sich die Naturwissenschaften auch ihrerseits transformiert und eine neue Sichtbarkeit erlangt haben. So ist bereits von einer „Piktorialisierung“ (Heintz, Huber 2001, 9) und einer „Medialisierung“ (Weingart 2001, 244) der Wissenschaften die Rede; in wissenschaftlichen Zeitschriften sei eine ehemals „protestantische Askese“ einer „Farbenpracht und Eleganz von Kunstzeitschriften“ gewichen (Bredekamp 2005, 111). Solche Feststellungen sind nicht etwa ahistorisch verkürzend gemeint – denn sie leugnen keineswegs die Geschichte naturwissenschaftlicher Bildverwendungen und immer wieder aufgetretene Konjunkturen des Visuellen. Doch die diesmalige „Wiederkehr der Bilder“ (Boehm 1994a)7 wird begleitet von einer zuvor nicht zu beobachtenden Begleiterscheinung: den Bemühungen um eine bildkritische Reflexion. Vor diesem Hintergrund – dass neue, aus Laboren stammende Techniken als Ursache aktueller Bildreflexionen benannt werden – zielt diese Studie nicht zuletzt darauf ab, sich über ein Movens der aktuellen Diskussionen über Bilder zu vergewissern. 8
I.2 „Bildpraxis“: Zur Analyse von Bild und Praxis Vier zentrale wissenschafts- und bildhistorische Perspektiven durchziehen diese Studie zur Erzeugung und Verwendung von Bildern in der Rastertunnelmikroskopie:9 1. Tunnelmikroskopische Bilder sind in die naturwissenschaftliche Praxis eingebunden, sie sind das Ergebnis instrumentell-experimenteller Hervorbringungen und werden in einem Netz mit anderen 7 | Eine Geschichte der über Jahrhunderte immer wieder aufflammenden Auf fassung, in einem neuen Zeitalter des Bildes zu leben, scheint noch nicht geschrieben, doch lässt sich die Wiederkehr dieses Bewusstseins als Symptom einer lang an-haltenden Bildunterschätzung interpretieren. Noch ist offen, ob die aktuelle Bilddiskussion dazu beizutragen vermag, das Bewusstsein für historische Konjunkturen von Bildern zu schärfen, was sich in einer Abkehr von der Rede von einer „neuen Bilderflut“ und einer „neuen Macht der Bilder“ niederschlagen könnte. 8 | So finden sich auch in bildhistorischen Texten, die keine explizit wissenschaftshistorische Ausrichtung besitzen, immer wieder Verweise auf Wissenschaftsbilder als eine Motivation dieser Studien, siehe beispielsweise Belting 2005, 9. 9 | Die Perspektiven sind angelehnt an ein gemeinsam mit Martina Heßler (Leiterin und Initiatorin) und Dieter Mersch entwickeltes Forschungsprojekt zur visuellen Wissenskommunikation, vgl. Heßler, Hennig, Mersch 2004.
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Methoden und theoretischen Beschreibungen interpretiert und verwendet. Damit sind sie operative Bilder, die sich auf etwas beziehen und als Instrumente wissenschaftlicher Erkenntniserzeugung Aussagen über etwas ermöglichen bzw. Fragen über etwas aufwerfen können. Dass sich tunnelmikroskopische Bilder auf etwas beziehen und Aussagen über etwas ermöglichen, heißt nicht, dass sie wiedergebenden, abbildenden Charakter hätten. Vielmehr bringen diese Bilder das, worüber sie etwas aussagen, erst hervor. Indem sie etwas erzeugen und etwas sichtbar machen, sind sie konstruktiv an der Wissenserzeugung beteiligt.10 Die Untrennbarkeit dieser Gleichzeitigkeit verleiht der Frage, was die Bilder zeigen, ihre epistemische Komplexität und macht die Frage nach der Referenz dieser Bilder damit prekär. 2. Diese operativen Bilder erzeugen jedoch nicht nur Sinn durch ihren Bezug auf die Untersuchungsgegenstände, sondern auch durch sinnstiftende Wahrnehmungsgewohnheiten und Bildtraditionen. Der Einsatz von Farben, Kontrasten, Anordnungen, räumlichen Relationen, Perspektiveindrücken, Licht und Schatten ist keinesfalls neutral, sondern prägt unweigerlich die Erzeugung neuen Wissens, das ohne diese Veranschaulichung schlichtweg nicht existiert. Wissenschaftsbilder stehen in Bezug zu den Untersuchungsgegenständen und gleichzeitig beziehen sie sich auf Vor-Bilder. Durch die Offenlegung dieser Bezüge soll die mediale Spezifik und Aufgeladenheit visuellen Wissens bestimmt werden. 3. Die „neuen“ bildgebenden Verfahren der letzten Jahrzehnte und die Wiederkehr der Bilder werden oftmals mit großer Selbstverständlichkeit mit digitalen Techniken in Zusammenhang gebracht. Dementsprechend wird auch das Tunnelmikroskop oftmals als digitales Instrument genannt, was auf eine Grundhaltung verweist, die von einer Dichotomie zwischen alten, analogen und neuen, digitalen Techniken ausgeht. Doch vernachlässigt diese Sicht die Tatsache, dass ein Instrument wie das Tunnelmikroskop seit den späten 1970er Jahren zunächst als analoges Instrument realisiert worden ist und erst anschließend der schnelle Übergang zu einer digitalen
10 | In diesem Sinn finden die Begriffe „Sichtbarmachung“ und „bildgebende Verfahren“ im Folgenden bewusste Verwendung. Auf eine weitere Facette der (Un-) Sichtbarkeit und (Un-)Sichtbarmachung, die nicht im Zentrum dieser Arbeit steht, aber für wissenschaftlich-medizinische Bilder grundsätzlich bedeutend ist, hat Claudia Reiche mit ihrer Studie zur Unsichtbarkeit der Klitoris in anatomischen Darstellungen hingewiesen und damit eine kulturelle Unsichtbarkeit thematisiert (Reiche 2006).
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Technik mit entsprechender Nutzung der Computergrafik erfolgte. Damit ist diese historische Studie zur Tunnelmikroskopie geeignet, gleichermaßen Brüche und Kontinuitäten im Übergang von analogen zu digitalen Techniken zu verfolgen. Die Analyse gilt dabei Transformationen bezüglich der Bildpraxis und steht damit im Gegensatz zu medienwissenschaftlichen Polarisierungen der Diskussion während des Untersuchungszeitraums. Diese ist seit den 1970er Jahren durch die Prophezeiung der „Agonie des Realen“ (Baudrillard 1978) und des damit einhergehenden Verlusts sämtlicher Bezüge zur realen Welt und in den 1980er Jahren durch Schlagworte wie „virtuelle Realität“ geprägt. Ziel dieser Studie ist es, den Einsatz digitaler Techniken gemeinsam mit der Zurichtung realer Dinge in der Probenpräparation, der körperlichen Interaktion mit Instrumenten und der Betrachtung von Bildern in Form von materiellen Ausdrucken und Monitordarstellungen zu analysieren.11 4. Das Tunnelmikroskop erhielt auch außerwissenschaftliche Aufmerksamkeit. Die Bilder fanden in den 1980er Jahren sicherlich nicht in dem Ausmaß Verbreitung wie beispielsweise die Fraktalbilder. Zudem ist die Technik auf Labortätigkeiten beschränkt und hat nicht das Potenzial, zu einem Alltagsgegenstand zu werden wie die digitale Fotografie, die ebenfalls ursprünglich in wissenschaftlichen Laboren entwickelt wurde. Nichtsdestotrotz mäandern tunnelmikroskopische Bilder vor allem im Zusammenhang mit der Nanotechnologie durch unterschiedliche Medien, erscheinen in wechselnden Kontexten und finden massenmediale Verbreitung; sie sind normal geworden12 und haben innerhalb des Gründungsmythos der Nanotechnologie bereits einen historischen Platz eingenommen. Vor diesem Hintergrund ermöglicht diese Fallstudie, die visuelle Kommunikation von der experimentellen Praxis bis zur Verbreitung in den Massenmedien und die dabei stattfindenden Transformationen zu analysieren und die Zirkulation von Bildern zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit nachzuvollziehen. Diese vier Dimensionen werden im Begriff der „Bildpraxis“ gebündelt, der als analytisches Werkzeug dient, um den Umgang mit Bildern in der Rastertunnelmikroskopie im Speziellen zu fassen und damit gleichzeitig ein Konzept zur Beschreibung des epistemischen
11 | Zur Frage nach der Materialität des Computerbildes siehe Guminski 2002, 179ff. 12 | Zum Normierungs- und Normalisierungsprozess wissenschaftlicher Bilder siehe Gugerli, Orland 2002.
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Status von Bildern in experimentellen Wissenschaften im Allgemeinen zu entwickeln. Ausgangspunkt dieser Studie ist das Anliegen, sowohl den Spezifika des Bildes als auch den Spezifika experimenteller wissenschaftlicher Praxis gleichermaßen gerecht zu werden. Die Untersuchung der Bildpraxis ist dabei immer auch als Analyse von Bild und Praxis aufzufassen, da die Praxis auf die Erstellung des Bildes zuläuft und das Bild in der Praxis seine spezifische Wirkung entfaltet. Methodisch heißt das, in einem dauernden Wechselspiel die Bilder zu ihrer formalen Analyse kurzfristig aus ihrem Verwendungszusammenhang herauszulösen und diesen Schritt mit einer detaillierten Rekonstruktion ihres Kontextes – ihrer Erstellung, Deutung und Verwendung zur Kommunikation – zu verschränken; bildspezifische und wissenschaftshistorische Betrachtungsweisen treten in der Analyse der Bildpraxis in ein dauerndes Wechselspiel.13 Die Verwendung des Begriffs „Bildpraxis“ geschieht in Einklang mit einem alltäglichen, unreflektierten Gebrauch und Verständnis des Begriffs, der sich als Umgang mit Bildern umschreiben lässt, und geht in seiner Präzisierung gleichzeitig darüber hinaus. So wird ein weiter Praxis-Begriff, wie er in der Wissenschaftsgeschichte seit den 1980er Jahren anzutreffen ist, aufgegriffen. Dazu gehört die Berücksichtigung manueller Tätigkeiten, von Fingerfertigkeiten und inkorporiertem Wissen in engerem Sinne, wie es für die Probenpräparation und den Umgang mit den Instrumenten notwendig ist. Diese Arbeitsschritte sind keinesfalls der Bildpraxis vorgelagert, sondern immanenter Teil der Bilderzeugung. Bereits die Probenpräparation zielt, ebenso wie die Schaffung von künstlichen experimentellen Bedingungen wie tiefen Temperaturen, einem Ultrahochvakuum oder die Messung unter Einwirkung eines von außen angelegten 13 | Auch in der Medienwissenschaft, Wissenschafts- und Kunstgeschichte findet der Begriff zumeist ohne nähere Begriffsbestimmung Verwendung. Am weitesten entwickelt im hier ausgeführten Sinne scheint er bei Robert Felfe, der die Bildpraxis Johann Jakob Scheuchzers als dessen Nutzung von Bildern zur Wissenserzeugung und -verbreitung auffasst (vgl. Felfe 2003). Regula Valérie Burri knüpft in ihrer Studie zur Praxis medizinischer Bilder an soziogische Untersuchungen von Wissenschaftspraxis an und erweitert die Theorien in Richtung des Bildgebrauchs, blendet die formale Analyse der Bilder jedoch weitgehend aus (Burri 2008). In seinem Überblick und Ausblick dahingehend, welche Fragen an Bilder durch die Wissenschaftsgeschichte zu stellen seien, schließt Pang schon 1997 im Sinne dieser Studie mit der Forderung, Herstellung und Verwendung von Bildern in den Blick zu nehmen (Pang 1997, 171).
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Magnetfeldes, auf die Hervorbringung definierter Formen ab.14 Dass der einzuübende Umgang mit den Instrumenten als Bestandteil der Bildpraxis aufgefasst wird, hat zur Konsequenz, dass das Instrument nicht als Körper- oder Sinneserweiterung aufzufassen ist, sondern vielmehr von einer Interaktion zwischen Körper und Instrument auszugehen ist.15 Diese manuellen Tätigkeiten sind an andere Formen impliziten Wissens gekoppelt. So werden Instrumente mitunter nach Gehör bedient (vgl. Mody 2005) und Parameter am Instrument während des Messprozesses im Wechselspiel mit der Beobachtung von Aufzeichnungen verändert. Auge, Ohr und Hand agieren im Wechselspiel.16 Neben diesen Tätigkeiten bedingen aber auch das grundsätzliche Funktionsprinzip des Instruments sowie technische Implementierungen das Bild, ohne es zu determinieren. So bleibt ein gestalterischer Freiraum, beispielsweise um Kontraste durch Grautöne oder andere Farbverläufe hervorzuheben, dessen Ausfüllung es zu bestimmen gilt, da in ihm das Bild seine kulturelle Aufladung erfährt und seinen visuellen Überschuss entfaltet. Des Weiteren stellt die Deutung der Bilder durch die Akteure einen gewichtigen Teil der Bildpraxis dar. Ein Bild wird mit den Ergebnissen aus komplementären Methoden abgeglichen, es kommen Erfahrungen in der Mustererkennung ebenso zur Anwendung wie theoretische Interpretationen unterschiedlicher Abstraktions- und Mathematisierungsgrade.17 So kann ein Bild direkt im Anschluss an das Experiment von einem Experimentator gedeutet 14 | Vgl. dazu das Interview zwischen Horst Bredekamp und dem Technischen Bild zur Stilgeschichte wissenschaftlich-technischer Bilder: Bildbeschreibung: eine Stilgeschichte technischer Bilder? Interview mit Horst Bredekamp; erscheint in Bredekamp, Dünkel, Schneider 2008. 15 | Während diese Sicht in der Wissenschaftsgeschichte durch die zahlreichen Studien zum Verhältnis von Experiment und Instrument eine gewisse Selbstverständlichkeit erlangt hat, ist in bildwissenschaftlichen Diskussionen noch die Sicht einer Körpererweiterung verbreitet. Martin Schulz hat diese Tradition aufgezeigt und beispielsweise auf den Untertitel „Extension of Man“ in McLuhans „Understanding Media“ aufmerksam gemacht (Schulz 2005, 107). 16 | Diese Sicht widerspricht selbstverständlich radikal dem momentan populär verbreiteten Paradigma der Hirn- und Kognitionsforschung, dass der Körper ein ausführendes Anhängsel des Gehirns sei. Eine differenzierte Auseinandersetzung mit diesen Positionen würde aber den Rahmen dieser Arbeit sprengen. 17 | Friedrich Steinle hat mit seiner Unterscheidung zwischen explorativem und theoriebestimmtem Experimentieren den Blick auf unterschiedliche Abstraktionsgrade der Herangehensweise und auch Deutung im Labor gelenkt (Steinle 2005).
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werden und außerdem für einen Theoretiker Anlass zur Entwicklung vertiefender mathematisch-abstrakter Beschreibungen geben. Diese Möglichkeit und Notwendigkeit zur Interpretation verweist auf die Eigenart wissenschaftlicher Bildpraxis, dass sich bei aller präparativer Zurichtung der Probe und Beherrschung des Instruments instrumentell-experimentelle Bilder auch durch die Erzeugung von Ungeklärtem und Überraschendem, zum Zeitpunkt des Auftretens noch nicht Einzuordnendem – kurz: von Differenzen18 – auszeichnen. So kann ein Experimentator beim Anblick eines Bildes durchaus vertraute Strukturen entdecken und gleichzeitig von anderen Merkmalen irritiert sein. Das Bild ist dann sowohl abschließendes Zwischenergebnis eines Experiments als auch öffnender Ausgangspunkt für Folgeforschungen zur näheren Bestimmung und Interpretation. Weiterhin gehören die Auswahl einzelner Bilder aus der Produktion einer großen Anzahl sowie die Neuordnung zu Serien und das Vergleichen ausgewählter Bilder zur Bildpraxis der Naturwissenschaften.19 Die Analyse der Bildpraxis – im Sinne einer Analyse von Bild und Praxis – berücksichtigt damit einerseits solche Bildreihungen und Bildvergleiche durch die Experimentatoren bei der Auswertung im Labor oder in ihren Publikationen und stellt andererseits analytisch davon zu trennende Bildvergleiche an, die nicht die Laborpraxis aufgreifen, sondern durch das Ziel der bildhistorischen Analyse motiviert sind.20 Ludwik Fleck hat die „Bereitschaft für gerichtetes Wahrnehmen“ als „Hauptbestandteil des Denkstils“ ausgemacht (Fleck 1980 [1935], 121). Es ist Teil naturwissenschaftlicher Bildpraxis, eine solche Bereitschaft zur Bildinterpretation aufzubringen und damit einhergehend entsprechende Fähigkeiten auszubilden. Die historische Analyse der Bildpraxis changiert zwischen der Aufdeckung, dem Nachvollzug sowie der Benennung dieses gerichteten Wahrnehmens durch 18 | Hans-Jörg Rheinberger nutzt unter Bezug auf Jacques Derrida den Begriff der „Differenz“, um diese überraschenden Abweichungen, die er als zentral für experimentelle Dynamiken ansieht, zu beschreiben; siehe Rheinberger 2001a, 9. 19 | Zur Rolle des Bildausschusses, der sich selbstverständlich nicht nur in der Wissenschaft findet, siehe Bredekamp, Bruhn, Werner 2006. 20 | Der bildtheoretische Stellenwert von Ähnlichkeiten und Vergleichen gibt durchaus Anlass zu Diskussionen, so hat Umberto Eco Ähnlichkeit als Analyseinstrument verworfen, da sie immer auf kulturellen Konventionen basiere und damit nichts über eine Relation zwischen den Dingen aussage (vgl. Schulz 2005, 80). In dieser Studie sollen aber gerade die kulturellen Konventionen in der naturwissenschaftlichen Bildpraxis reflektiert werden und im Bewusstsein einer eigenen kulturellen Prägung mit bildhistorischen Vergleichen und Ähnlichkeitsbezügen konfrontiert werden.
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die Experimentatoren auf der einen Seite und einer Bereitschaft zur analytischen Anwendung des Denkstils der historischen Bildanalyse, wie die Kunstgeschichte ihn herausgebildet hat, auf der anderen Seite.21 Die Erstellung und Verwendung von Wissenschaftsbildern ist an die Erzeugung von Wissen und damit immer auch an Kommunikation gebunden. Bereits die instrumentelle Aufzeichnung eines Bildes ist ein erster Kommunikationsschritt, da die Untersuchungsgegenstände in der Erzeugung der Inskription mitunter erst hervorgebracht und damit kommunizierbar werden.22 In weiteren Schritten kommt es zur Kommunikation im engsten Kollegenkreis, zwischen Experimentatoren und Theoretikern, zur Einbindung der Bilder in Diskussionen, Vorträge und Publikationen. In dieser Arbeit wird das Kommunikationsmodell von Stephen Hilgartner aufgegriffen, das sich dadurch auszeichnet, keine Grenzziehung zwischen Professionellem und Populärem vorzunehmen. Vielmehr verweist er mittels einer Strömungs-Metapher auf ein Kontinuum zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit, indem er eine Vielzahl von Kontexten benennt, in denen wissenschaftliches Wissen downstream kommuniziert werde – beispielsweise vom Laborgespräch über wissenschaftliche Artikel, Anträge zur Mitteleinwerbung und Lehrbücher bis hin zur massenmedialen Verbreitung. Eine Grenzziehung ist nicht mehr gegeben, vielmehr erfährt der Begriff der Popularisierung eine Flexibilität. Die Aufmerksamkeit wird auf die Frage gelenkt, wie im Kommunikationsprozess ausgehandelt wird, was als wissenschaftlich und was als populär gilt (Hilgartner 1990, 524-529). Wissen erfährt in diesen wechselnden Kontexten Stabilisierungen und Transformationen, so dass nicht von einem „Einbahnstraßenmodell“ in dem Sinne auszugehen ist, dass es lediglich zu einer Vereinfachung in Downstream-Richtung kommen würde, sondern vielmehr unterschiedliches Wissen entsteht. Dementsprechend weist Hilgartner auf die Wirkungen des Kommunikationsprozesses auch in entgegengesetzter Upstream-Richtung hin. In diesem Sinne findet die Terminologie Hilgartners in dieser Studie Verwendung.23
21 | Nach Michael Heidelberger ist seit den 1950er Jahren durch die Arbeiten von Norwood Russell Hanson allgemein anerkannt, dass Beobachtungen von Vorwissen und Wahrnehmungsgewohnheiten abhängen (Heidelberger 1998, 86). 22 | Grundlegend zur Beschreibung von Labortätigkeit als Erstellung und Arbeit mit Inskriptionen, die in der Form von Bildern auftreten können, aber nicht müssen: Latour, Woolgar 1979.
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Dieses Kommunikationsmodell, das nicht explizit mit Blick auf die visuelle Kommunikation entwickelt wurde, zielt auf die Umfeldabhängigkeit von Wissen ab. Genau eine solche Kontextabhängigkeit wird wiederum für Bilder im Allgemeinen hervorgehoben, ohne damit ausdrücklich Bilder aus dem Bereich der Wissenschaft im Sinn zu haben (Müller 2001, 18). Die Umfeldabhängigkeit der Wissensrezeption als auch der Bildrezeption überlagern sich im Bereich visueller Wissenschaftskommunikation. Die wissenschaftliche Praxis, Bilder in unterschiedlichen Kontexten zu verwenden, bedarf differenzierter Betrachtungen; so hat Ludwik Fleck festgestellt: „Wenn von Naturwissenschaften die Rede ist, vergisst man meist, daß es eine naturwissenschaftliche, lebendige Praxis gibt und parallel eine papierene, offizielle Gestalt. [...] Die Praxis der Naturwissenschaften läßt sich aber aus keinem Buche kennenlernen, denn ihre übliche Art und Weise wird verschwiegen.“ (Fleck 1983 [1929], 50) Die hier vorgelegte Analyse tunnelmikroskopischer Bildpraxis sieht sich in Einklang mit dieser Feststellung von Fleck, indem sie die „übliche Art und Weise“ der Labortätigkeit in den Blick nimmt, ohne sich über Lehrbuchdarstellungen anzunähern;24 gleichzeitig geht die Analyse der Bildpraxis – in Einklang mit Fleck – von einem weiter gefassten Praxis-Begriff aus, da sie auch das Erstellen der „papierenen, offiziellen Gestalt“ als festen Bestandteil wissenschaftlicher Tätigkeiten auffasst. Auch als sich in der Wissenschaftsgeschichte seit den 1980er Jahren im „new experimentalism“ (Ackermann 1989) eine wohl begründete Gegenbewegung zur wissenschaftshistorischen und -theoretischen Analyse von isolierten Ergebnissen etablierte, hat mit23 | Bruce Lewenstein hat Hilgartners Modell dahingehend kritisiert, dass sich unterschiedliche Kommunikationszusammenhänge nicht linear anordnen ließen, sondern dass es situationsabhängig sei, welcher Kontext mehr in Richtung upstream bzw. downstream einzuordnen sei. Lewenstein schlägt dementsprechend ein netzartiges Modell vor, in dem unterschiedliche Kontexte in variablen Wechselverhältnissen stehen (Lewenstein 1995, 426). Hilgartner ist es jedoch keineswegs um eine Festschreibung einer linearen Abfolge gegangen und so wird die Terminologie hier im Bewusstsein dieser Kritik Lewensteins verwendet, der keine eigenen Begrifflichkeiten entwickelt hat. Unter eben dieser Prämisse hat beispielsweise auch Nieman die Terminologie von Hilgartner verwendet (Nieman 2000, 37). 24 | Ein Hauptkritikpunkt an zahlreichen Studien auch jüngeren Datums zu Wissenschaftsbildern ist, dass sie unter der Nichtberücksichtigung dieses Hinweises von Fleck leiden, so dass Bilder aus massenmedialen Kontexten unter Vernachlässigung der lebendigen Laborpraxis mit den Bildern der Wissenschaft gleichgesetzt werden; daher berücksichtigt diese Analyse der Bildpraxis stets die Kommunikationssituation.
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unter die Trennung von Produkt und Praxis dazu geführt, die Produkte nicht mehr der historischen Analyse zu unterziehen.25 Doch da die Praxis auf die Erstellung einer bestimmten Form hinausläuft 26 und die Form ihre Lebendigkeit in der Wissensgewinnung entfacht, lässt sich die Bildpraxis lediglich fassen, wenn die Produkte, die verfertigten Formen, mit in den Blick genommen werden. 27 So erfolgt die Analyse tunnelmikroskopischer Bildpraxis ausdrücklich in Anknüpfung an Perspektiven des „new experimentalism“ und verbindet diese mit der formalen Bildbeschreibung und -analyse. Eine Bildbeschreibung kann das Bild grundsätzlich nicht in allen seinen Facetten erfassen – es ist gerade ein Ausgangspunkt dieser Arbeit, dass bildliches und sprachliches Wissen nicht ineinander transformierbar sind. So kann eine Beschreibung immer nur demonstrativ-hinweisend sein, ohne den Anspruch erheben zu können, das Bild informativ in allen seinen Ausformungen zu ersetzen und vor dem geistigen Auge erscheinen zu lassen (vgl. Baxandall 1990, 36). Die Erfassung formaler Aspekte muss dann mit dem Vorwissen und den Interpretationen der Akteure konfrontiert werden. Die sprachliche Bildanalyse kann nur im changierenden Wechselspiel naturwissenschaftlicher und bildanalytischer Terminologien geschehen. Ohne dass die Arbeit die ontologische Frage nach der Definition des Bildes in den Mittelpunkt stellen würde, lässt sich feststellen, dass neben flächigen Bildern auch Grafen und Diagramme als Ergebnisse tunnelmikroskopischer Aufzeichnungen und Darstellungsprozesse als Bilder aufgefasst werden, da sie durch visuelle Strukturen Sinn erzeugen. Bilder werden damit nicht als repräsentierend im Sinne von wiedergebend aufgefasst, vielmehr wird für den Repräsentationsbegriff die Skepsis, die beispielsweise Hans-Jörg Rheinberger ausgedrückt hat, geteilt: Rheinberger sieht diesen Begriff mit einer 25 | So z.B. Andrew Pickering mit seiner Aufforderung „From Science as Knowledge to Science as Practice“ (Pickering 1992), wobei unter dieser Prämisse Pickerings dann wiederum Collins und Yearly relativierend feststellen: „The representation had a power that the activity in the laboratory did not have.“ (Collins, Yearley 1992, 311) 26 | Die auf den ersten Blick widersprüchliche Möglichkeit, auf die Realisierung einer Form abzuzielen und doch gleichzeitig Differenzen zu generieren, wird in mehreren Abschnitten dieser Arbeit diskutiert, vgl. vor allem Kapitel III.1 und III.3. 27 | Mit diesem Schwerpunkt hebt sich das Konzept der Bildpraxis von wissenschaftshistorischen Studien im Rahmen des „new experimentalism“ zu Repräsentationen in der wissenschaftlichen Praxis ab; für eine Übersicht über wichtige Impulse aus diesem Bereich siehe vor allem Lynch, Woolgar 1990.
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„umfangreiche[n] Metaphysik der Präsenz und Repräsentanz“ aufgeladen (Rheinberger 2001b, 57).28 Rheinberger stellt den Aspekt der Sichtbarmachung, also der Hervorbringung im Prozess der Bilderstellung im Gegensatz zur Wiedergabe von etwas Gegebenem, in den Vordergrund. Dieser konstruktive Aspekt wird hier als Eigenart des Bildes aufgefasst, so dass bewusst von tunnelmikroskopischen Bildern und dem Tunnelmikroskop als bildgebendem Verfahren die Rede ist. Eine Unterschätzung des Bildes als Abbild in Relation zu einem Urbild wird damit ausgeschlossen, vielmehr zielt die Studie explizit auf eine Auffassung vom Bild jenseits dieser platonistischen Engführung ab. Während die Hinwendung zur Analyse wissenschaftlicher Praxis in den letzten 25 Jahren auch als Gegenbewegung zum „linguistic turn“ motiviert war, da die Fokussierung auf sprachliche Repräsentationen den Blick auf Laborpraktiken verstellt hatte, 29 unterläuft eine Zuwendung zum Visuellen in keiner Weise diese Wendung, sondern sucht sie zu erweitern. Die Analyse der Bildpraxis findet ihren Zugang keinesfalls über fertig gestaltete Endprodukte wissenschaftlicher Praxis, sondern fasst die Lebendigkeit des Bildes als Teil der lebendigen Laborpraxis auf. Der „iconic turn“ kann somit gegenüber dem Paradigma des „linguistic turn“ nicht nur eine Verschiebung von Sprache zum Visuellen leisten, sondern sucht manuelle und visuelle Praktiken zu verbinden und trägt den materiellen Kulturen wissenschaftlicher Praxis Rechnung. „Practical turn“ und „iconic turn“ verbinden sich nicht lediglich in ihrer Abkehr vom „linguistic turn“, wenn die Bildanalyse die Erzeugung und Verwendung von Bildern – also körperliche, kognitive, visuelle und soziale Tätigkeiten – mit berücksichtigt und Bilder als Teil materieller Wissenschaftskultur aufgefasst werden.
I.3 Tunnelmikroskopie als Teil rezenter Wissenschaftsgeschichte Bisher scheinen nicht nur keine historisch dichten bildgeschichtlichen Analysen „neuer“ bildgebender Verfahren aus den Naturwissenschaften vorzuliegen, auch die wissenschaftliche Praxis der Physik nach 1945 ist lediglich äußerst bruchstückhaft wissenschaftshistorisch erfasst. Ein Großteil der vorliegenden Literatur behandelt die Forschung in Großforschungsanlagen wie etwa Teilchenbeschleunigern, obwohl nur ein geringer Prozentsatz forschender Physiker auf diesem 28 | Siehe zur Kritik am Repräsentationsbegriff aus wissenschaftsgeschichtlicher und -soziologischer Sicht: Lynch 1994; Hagner 1997.
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Gebiet tätig ist (Kaiser 2000, 567). Andere weit ausdifferenzierte, im Vergleich zu Großforschungsprojekten an unzähligen Orten stattfindende Forschungen, etwa auf dem Gebiet der Festkörperphysik, sind nur durch exemplarische Fallstudien wissenschaftshistorisch erfasst (Hoddeson 1992).30 Vor diesem Hintergrund erscheint die Rastertunnelmikroskopie schon als „Schwerpunkt“ rezenter Physikgeschichtsschreibung. So ist sie Gegenstand der Dissertation von Cyrus Mody von der Cornell University in Ithaca zur Instrumentengeschichte der Rastersondenmikroskopie (Mody 2004a) und weiterer wissenschaftshistorischer bzw. -philosophischer Aufsätze zu ausgewählten Aspekten dieses bildgebenden Verfahrens.31 Mody hat in seiner Studie die Rastersondenmikroskopie seit 1970 verfolgt und einen Schwerpunkt auf Tunnelmikroskopie in den 1980er Jahren gelegt. Seine Differenzierungen zwischen der Einbettung des Instruments in die Oberflächenphysik einerseits, vor allem in den Industrielaboren der Ostküste der USA, und den weit gefächerten, wenig formalisierten Anwendungen im universitären Ausbildungsbetrieb in Kalifornien andererseits, haben das Feld entscheidend strukturiert. Die damit beschriebene Heterogenität des Instrumentengebrauchs wird in der Analyse tunnelmikroskopischer Bildpraxis aufgegriffen.32 Die vorliegende Studie versteht sich als im besten Sinne komplementär zu der Instrumentengeschichte von Mody, da die Analyse der Bildpraxis 29 | Selbstverständlich lässt sich auch die sprachliche Verfassung wissenschaftlicher Artikel oder das Laborgespräch als Teil wissenschaftlicher Praxis auf fassen und analysieren; grundlegend dazu: Knorr Cetina 2002 [1981] und Lynch 1985. 30 | Sicherlich bieten die von Naturwissenschaftlern verfassten Reviews, die einen festen Bestandteil naturwissenschaftlicher Publikationspraxis darstellen, auch für Historiker wichtige Einblicke in die Entwicklung von Forschungsfeldern, doch rückt gemäß der inneren Logik naturwissenschaftlicher Veröffentlichungen in diesen Überblicken die Forschungspraxis in den Hintergrund. Das Ziel solcher Reviews ist zumeist die Kanonisierung eines Forschungsfeldes, die eine wissenschaftshistorische Studie wie diese gerade aufzudecken sucht. 31 | Die meisten dieser Forschungen sind im Kontext von Reflexionen zur Nanotechnologie und ihrer Vorgeschichte entstanden; siehe: Baird, Shew 2004; Buchwald 2000; Bürdel 2006; Granek, Hon 2007; Grube 2006a; Hanson 2004; Hessenbruch 2004 und 2006; Missomelius 2006; Mody 2004a, b; Nieman 2000, 117-133; Nordmann 2006a und 2003; Robinson 2004; Soentgen 2006; Wegrowe 2001; für Bildreflexionen durch Tunnelmikroskopiker selbst siehe Heckl 2004, Krug 2001. 32 | Zur Kritik an der Tradition der Wissenschaftsforschung, solche Heterogenitäten unberücksichtigt zu lassen, siehe Pickering 1995, 94.
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die Analyse instrumentell-experimenteller Bedingungen aufgreift und mit weiteren Perspektiven der Bildanalyse und der visuellen Kommunikation verknüpft.33 Eine Detailstudie zur frühen Instrumentengeschichte haben Giora Hon und Galina Granek vorgelegt (Granek, Hon 2007). Arne Hessenbruch hat historisch detaillierte Fallstudien zur Rastertunnelmikroskopie vorgenommen, in denen er zum einen die Rhetorik des Neuartigen als Charakteristikum für die Einführung des Tunnelmikroskops herausgearbeitet hat (Hessenbruch 2004) und zum anderen die Etablierung der Tunnelmikroskopie in Aarhus zum Anlass nahm, das Wechselverhältnis zwischen Wissenschaft, Öffentlichkeit und Wirtschaft zu beleuchten. Während diese instrumentenhistorischen und -soziologischen Studien den Bildgebrauch nicht zum Untersuchungsgegenstand hatten, haben Philosophen die Bilder atomarer Strukturen reflektiert, jedoch nur vereinzelt die Bildpraxis und den konkreten Kontext einzelner Bilder berücksichtigt. Der Wissenschaftsphilosoph Alfred Nordmann hat am Beispiel medial weit verbreiteter tunnelmikroskopischer Bilder die zugrunde liegenden Weltbilder analysiert (Nordmann 2003, 2006a). Diese Form der Bildkritik wird im Folgenden aufgegriffen. Ein Großteil philosophischer Studien zur Rastersondenmikroskopie ist hingegen von der Abwertung von Bildern geprägt: So hat der Philosoph Pieter Vermaas bemängelt, dass der Wellencharakter subatomarer Entitäten in den Bildern nicht zum Ausdruck käme, und der Philosoph Davis Baird merkte an, dass Filme die Dynamik atomarer Dimensionen besser verdeutlichen könnten als tunnelmikroskopische Bilder.34 Auch der Philosoph Jens Soentgen wartete mit einem Verbesserungsvorschlag auf: Eine Umsetzung in Töne würde den Prozesscharakter der Messung 33 | Neben den inhaltlich-methodischen Perspektiven verhalten sich auch die ausgewählten Fallstudien komplementär: So orientiert sich die vorliegende Arbeit wie auch die von Mody sowohl an tunnelmikroskopischen Forschungsfeldern als auch an Orten der Forschung. Es kommt dabei durchaus zu Überschneidungen, aber auch zur Untersuchung unterschiedlicher Standorte, etwa der Universitäten Stanford und Santa Barbara bei Mody und der Universität Basel hier. Dies entspricht einer Schwerpunktlegung auf Regionen und Sprachräume, in denen die Arbeiten entstanden sind, was in beiden Arbeiten sicherlich nicht dem Vorsatz nationaler Wissenschaftsgeschichtsschreibung, sondern vielmehr der Zugänglichkeit der Quellen und der Erreichbarkeit der Interviewpartner geschuldet ist. 34 | Vorträge von Pieter Vermaas und Davis Baird im Rahmen der Tagung „Imaging NanoSpace – Bildwelten der Nanotechnik“ (Zentrum für interdisziplinäre Forschung an der Universität Bielefeld, 11.-14. Mai 2005).
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besser vermitteln als ein Bild; die Umsetzung in Töne sei die präzisere mediale Auf bereitung (Soentgen 2006, 110). Nach dem Philosophen Gernot Grube produzieren die Bilder ein „absolut unfundiertes und wahrscheinlich irreführendes Verständnis der physikalischen Realität an der Nanoskala“ („produce an absolutely unfounded and probably misleading understanding of physical reality at the nano scale“, Grube 2006a, 209). Die Bilder seien „nicht kontrolliert durch empirische Daten“ („not controlled by empirical data“, Grube 2006a, 205) und Physiker bewahren sich seiner Meinung nach „den bescheidenen naiven Blick und sehen Abbildungen“ (Grube 2006b, 194). All diese philosophischen Ikonoklasmen haben gemeinsam, sich nicht einmal zum Ziel gesetzt zu haben, die konkreten Interpretationen und Wege der Erkenntnisgewinnung durch die Tunnelmikroskopiker nachzuvollziehen. Sie messen rastersondenmikroskopische Bilder an einem Wahrheitsanspruch bezüglich der Wiedergabe von Eigenschaften von Atomen, der im Entstehungs- und Deutungszusammenhang des Labors überhaupt nicht existiert – vielmehr entsteht dieser Anspruch, wie in dieser Arbeit gezeigt wird, erst im Prozess der Popularisierung. Anstatt sich den naturwissenschaftlichen Auswertungen, Erkenntnismethoden und Kontroversen, in die diese Bilder involviert sind, zu widmen, nehmen die bildablehnenden Philosophen die Haltung naturwissenschaftlicher Laien ein und werfen allein aus diesem Verständnis den Physikern mitunter Naivität vor. Doch indem einzelne Bilder aus ihrem Entstehungs- und Argumentationszusammenhang herausgerissen werden, geht die Möglichkeit verloren, nachzuvollziehen, wie die Bilder im Labor interpretiert werden, wie es Teil der Forschungspraxis ist herauszufinden, auf was die Bilder verweisen und welche Transformationen des Wissens im Prozess der Kommunikation vonstatten gehen. Wenn den Bildern ein Zeichenstatus abgesprochen wird, ist dies mit dem Anspruch verbunden, dass einem Bild ein zeichenhafter Charakter immanent sein könne, anstatt davon auszugehen, dass dieser immer nur von den beteiligten Personen erkannt und zugeschrieben werden kann.35 Die hier verfolgte Analyse der Bildpraxis zielt darauf ab, zu beschreiben, in welchen Komplexen wissenschaftlicher Praxis die Deutung tunnelmikroskopischer Bilder erfolgte und welche Sinnzuschreibungen in unterschiedlichen Kontexten erfolgen. Es wird im Folgenden argumentiert, dass der von Philosophen oftmals konstatierte unangemessene „Anblick“ von Atomen das Ergebnis vieler Übersetzungsschritte und einer umfeldabhängigen Rezeption 35 | Vgl. Heßler 2006a, 27-30; allgemeiner zur Zeichentheorie, die immer nur eine Zuschreibungstheorie sein kann: Wiesing 2005, 37ff.
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ist, die die folgende Studie offen zu legen versucht. Der Wissenschaftssoziologe Bruno Latour hat mit seinem Konzept der Repräsentationskette ein Instrumentarium für die Beschreibung solcher mehrstufiger Prozesse geschaffen und den Blick auf die vielfältigen Transformationen von den ersten Aufzeichnungen bis hin zu publikationsfähigen Forschungsergebnissen gelenkt. Die Referenz ist nach Latour in der Kette und der losen Verbindung zwischen den einzelnen Gliedern der Kette – also den einzelnen Transformationsschritten – zu sehen, anstatt die Referenz zwischen Anfangs- und Endglied der Kette anzunehmen (Latour 2002 [1993], 72). Dieser Hinweis Latours ist auch für die Analyse tunnelmikroskopischer Bilder höchst wertvoll und deckt das Kernproblem der ikonoklastischen philosophischen Studien auf, die die Bilder leichtfertig als „unkontrolliert“ abtun. Die historische Rekonstruktion der Bildpraxis schließt die Offenlegung der von Latour thematisierten Transformationsschritte und den losen Zusammenhalt der Kettenglieder ein. Unter dieser Voraussetzung lassen sich dann beispielsweise Kontexte, in denen tunnelmikroskopische Bilder als Abbilder von Atomen eingesetzt werden, kritisch analysieren.
Zur Auswahl der Mikrostudien Die Hinwendung zur Analyse wissenschaftlicher Praxis führt aufgrund der Notwendigkeit zur Detailuntersuchung unweigerlich zur Erstellung von Mikrostudien, die mitunter das Problem mit sich bringen, den Blick nicht für historische Entwicklungen öffnen zu können. Die Analyse tunnelmikroskopischer Bildpraxis stellt sich der Herausforderung durch die detaillierte Untersuchung mehrerer Fallstudien aus einem mehrjährigen Zeitraum, um den Wandel der Bildpraxis von den Anfängen bis zur Etablierung nachzuvollziehen und dabei die Ausprägung heterogener Praktiken berücksichtigen zu können. Damit fällt der Auswahl der Mikrostudien eine entscheidende Rolle zu. Ein Wissenschaftsfeld wie die Tunnelmikroskopie, die von einzelnen Wissenschaftlern oder kleinen Gruppen betrieben wird, bringt eine Vielfalt von Arbeiten hervor, die nicht allesamt zu erfassen sind. So sind im Zeitraum von 1982 bis 2008 rund 27.000 Artikel zur Tunnelmikroskopie publiziert worden,36 tunnelmikroskopische Jahrestagungen werden von rund 1.500 Wissenschaftlern besucht. 36 | Internetabfrage im Science Citation Index nach dem Suchbegriff „scanning AND tunneling AND microscop*“; der Einsatz des „*“-Zeichens diente dabei zur Trunkierung.
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Für die historische Analyse stellt die Handhabung dieser Komplexität unweigerlich eine Herausforderung dar und die Auswahl einzelner Themenfelder ist bereits das Ergebnis historischer Reflexion.37 Eine erste Annäherung geschah in Anlehnung an historische Überblicke wie Reviews durch Naturwissenschaftler 38 und Aufsatzsammlungen, in denen die Tunnelmikroskopiker die aus ihrer Sicht zentralen Artikel zusammengefasst haben (Neddermeyer 1993; Martin 1995). Um den dabei vorgenommenen Engführungen und Linearisierungen nicht zu folgen, wurden sie mit den Beiträgen in den jährlich erscheinenden Tagungsberichten verglichen. Von großem Wert war zudem die Dissertation von Cyrus Mody. Diese Auswertungen von Schriftquellen wurden durch bibliografische Methoden39 und Hinweise von Interviewpartnern ergänzt. Auf dieser Grundlage wurde der Untersuchungszeitraum im Wesentlichen auf die Jahre von 1982 bis 1992 begrenzt, in denen die Methode der Tunnelmikroskope entwickelt und stabilisiert wurde. Die Gemeinschaft der beteiligten Wissenschaftler wuchs von vier an der Entwicklung der Methode beteiligten Personen im IBM-Labor Rüschlikon zu Beginn der 1980er Jahre auf über ein Dutzend Wissenschaftler, die sich Ende 1984 zu einem informellen Austausch in einem Hotelzimmer im mexikanischen Cancun trafen, rapide an. 1990 trafen sich bereits rund 1.000 Wissenschaftler zur tunnelmikroskopischen Jahrestagung (vgl. Wiesendanger, Güntherodt 1992, 8). Erfolge wie die Nobelpreisverleihung 1986 fallen in diesen Zeitraum, aber auch eine Krise im Zuge der Kontroverse um die Potenziale zur DNA-Untersuchung. Der Übergang vom analogen zum digitalen Instrument lässt sich ebenso in diesem Rahmen nachvollziehen wie die Einbettung des Tunnelmikroskops als Instrument der ab den späten 37 | Jeff Hughes hat darauf hingewiesen, dass die Komplexität und Quantität rezenter Forschung und damit auch der Quellen in der Wissenschaftsgeschichte mitunter zu einer ablehnenden Haltung gegenüber der Erforschung aktueller Wissenschaft führt. Andere Zweige der Geschichtswissenschaften wie Politik- und Militärgeschichte seien mit ähnlichen Problemen konfrontiert, ohne in gleicher Weise hinterfragt zu werden. Es handele sich hier vielmehr um eine methodische Herausforderung, die es anzunehmen gelte (Hughes 1997, 23). 38 | Behm, Hösler 1985; Binnig, Rohrer 1986a; Feuchtwang, Cutler 1987; Golovchenko 1986; Hansma, Tersoff 1987; Hansma et al. 1988; Rohrer 1990 und 1992 und 1994; Tromp 1989. 39 | So wurde mit Hilfe des Science Citation Index bei Abfragen zu bestimmten Themenfeldern die Zitierhäufigkeit abgefragt, um die Rezeption einzelner Aufsätze zu ermitteln, ohne dass solche quantitativen Methoden systematisiert worden wären.
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1980er Jahren propagierten Nanotechnologie. Während der gewählte Zeitraum die Inklusion solcher Aspekte ermöglicht, bringt die Begrenzung des Zeitraums einen Ausschluss anderer Themenkomplexe, wie etwa die Dominanz des Internets in der visuellen Kommunikation seit den 1990er Jahren, mit sich. Die Auswahl tunnelmikroskopischer Themenfelder berücksichtigt einerseits Forschungsfragen, die eine breite Resonanz erfuhren, so dass die Downstream-Kommunikation bis in die populären Massenmedien nachvollzogen werden kann. Auf der anderen Seite ist es das Anliegen dieser Studie, nicht lediglich den erfolgreichen, weil breit rezipierten tunnelmikroskopischen Arbeiten zu folgen, sondern Spezifika alltäglicher Bildpraxis zu identifizieren, zu der Umwege und Sackgassen ebenso unweigerlich gehört wie der experimentelle Misserfolg. Dazu wurden neben Themenfeldern auch Orte der Tunnelmikroskopie identifiziert und die lokale Bildpraxis möglichst breit aufgearbeitet. An der Universität Basel wurde beispielsweise früh mit tunnelmikroskopischer Forschung begonnen, eine internationale Spitzenstellung konnte jedoch erst mit einiger Verzögerung erzielt werden. Doch bereits während der Basler Pionierzeit haben sich gewisse Gestaltungsformen und Routinen herausgebildet und stabilisiert, der sich diese Analyse tunnelmikroskopischer Bildpraxis widmet. Experimentelle Methoden wie die Tunnelmikroskopie werden im Labor nicht isoliert betrieben, vielmehr koppeln mehrere Methoden zu einem Ensemble von Experimentalsystemen (vgl. Rheinberger 2001a, 66ff.). Um dieser Praxis gerecht zu werden, berücksichtigt die Analyse tunnelmikroskopischer Bildpraxis auch den Einsatz komplementärer Methoden wie Elektronenbeugung oder Feldionenmikroskopie. Während es zur naturwissenschaftlichen Praxis gehört, in Präsentationen Bilder zu vereinzeln, ist es ein Ziel dieser Arbeit, diesen Prozess offen zu legen, anstatt ihm zu folgen. Das Geflecht der Experimentalsysteme wird damit ebenso in den Blick genommen wie seine Entflechtung im Prozess der Kommunikation. Neben Veröffentlichungen in Fachzeitschriften, Lehrbüchern und Massenmedien sind zur historischen Rekonstruktion der Bildpraxis vor allem nicht publizierte Bilder und Interviews hinzugezogen und aufeinander bezogen worden. Da weder öffentliche Institutionen wie Archive oder Museen noch Forschungseinrichtungen wie Universitäten und Industrielabore Bilder aus dem Laboralltag systematisch sammeln oder dokumentieren, befinden sich die noch erhaltenen, unveröffentlichten Bilder im Besitz der jeweiligen Experimentatoren. Der Kontakt zu Tunnelmikroskopikern, Programmierern von Bildsoftware und Mitarbeitern der Werkstätten diente damit sowohl der Erschlie-
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ßung von Quellenmaterial als auch der Durchführung von Interviews. Der Grad der Dokumentation variierte stark und bedeutet seinerseits ein erstes Indiz für die Heterogenität tunnelmikroskopischer Bildpraxis, die auch die Sortierung, Sammlung und Dokumentation von Bildern umfasst: Einige Experimentatoren hatten keinen einzigen Ausdruck oder Fotoabzug ihrer experimentell erzeugten Bilder bewahrt, hatten die Bilder als Gebrauchsgegenstände aufgefasst, die nach der Auswertung und Publikation keinen Zweck mehr erfüllten. 40 Andere Wissenschaftler haben auch nichtpublizierte Bilder sowie einzelne Bearbeitungsschritte detailliert archiviert. 41 Mitunter stellte sich das Problem des Zugangs zu digitalen Bildern, da trotz existierender Speichermedien mit den entsprechenden Datensätzen die erforderliche Software zur Darstellung der Bilder nicht mehr existierte. Unabhängig von der Verwendung analoger und digitaler Medien sind Phasen erfolglosen Experimentierens kaum durch Bilder dokumentiert und rekonstruierbar – Ausschuss, Störungen und Rauschen, die keine Anhaltspunkte zur Interpretation bieten, landen im Laboralltag im realen oder digitalen Papierkorb. 42
40 | Die Fotohistorikerin Kelley Wilder hat für die Spektroskopiegeschichte festgestellt, dass den fotografisch festgehaltenen Spektren in der quantitativen Spektroskopie des 20. Jahrhunderts nicht der Status eines Bildes, eines Fotos oder eines bewahrenswerten Objektes zukommt (Wilder 2006; mündliche Korrespondenz mit Kelley Wilder). Wissenschaftliche Museen und Archive sammeln grundsätzlich Bilder, sehen momentan aber zunächst den Bedarf, zu erfassen, welche Bildbestände aus der Forschungspraxis existieren (mündliche Korrespondenz mit Wilhelm Füßl, Archivleiter des Deutschen Museums, München). 41 | Die Wertschätzung drückte sich beispielsweise mir gegenüber in dem mit einem Lachen formulierten Satz „Das ist mein Leben“ aus, als mir Dario Anselmetti seine archivierten Bilder leihweise übergab und um sorgfältigen Umgang bat. Eine solche Situation zeigt den Nutzen von persönlichen Gesprächen zur Rekonstruktion emotionaler Bindungen als Teil wissenschaftlicher Praxis. 42 | Es gibt sicherlich historische Ausnahmen, beispielsweise Arthur Goodspeeds „Röntgenaufnahmen“, die ihm fünf Jahre vor Röntgens Entdeckung widerfahren sind und die er aufbewahrt hat, so dass im Nachhinein die Schwelle vom Artefakt zum Fakt überschritten wurde (vgl. Geimer 2002, 331-333). Peter Geimer führt auch aus, dass Wissenschaftler das „unvermeidliche Auftauchen von irgend etwas … beschäftigt“ (Geimer 2002, 330), dass die Trennung von Zufall und Absicht, von Fall und Unfall nicht eindeutig sei. Bei aller grundsätzlichen Zustimmung zu diesem Befund scheint es doch auch Phasen des Experimentierens zu geben, während derer Bilder mangels Anknüpfungspunkten schlichtweg als Ausschuss klassifiziert werden.
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Die Interviews wurden als offene Leitfadeninterviews geführt, wobei die Leitfäden jeweils an den übergeordneten Perspektiven dieser Arbeit zur Bildpraxis und individuell an den spezifischen Tätigkeiten der jeweils interviewten Personen entwickelt wurden. Dem methodischen Ansatz dieser Arbeit entsprechend waren auch die Fragen in den Interviews von einem Wechselspiel zwischen einer verstehenden, innerphysikalische Inhalte und Logiken nachvollziehenden Haltung einerseits und einer historisierenden, bildanalytischen Perspektive andererseits geprägt. Wichtiger Bestandteil sämtlicher Interviews war die gemeinsame Sichtung von Instrumenten, Skizzen und tunnelmikroskopischen Bildern. Für diese Konkretisierung, die auch zum Repertoire der Oral History zählt (vgl. Howarth 1998, 44), wurden zum einen publizierte Bilder verwendet, die schon zur Vorbereitung auf die Interviews dienten, zum anderen auch Instrumente und unpublizierte Bilder aus dem Besitz der interviewten Personen, die während der Interviews gemeinsam gesichtet wurden. Die Erschließung der Entstehungs- und Verwendungskontexte dieser Bilder ging einher mit ihrer Nutzung als Memorierungshilfen, da sie häufig nicht Teil der kanonisierten Erinnerungen waren. 43 Neben den Interviews, die aufgenommen und transkribiert wurden, spielten auch informelle Gespräche als heuristisches Werkzeug eine wichtige Rolle. Sie fanden mitunter im Anschluss an die Interviews am Kopierer, bei gemeinsamen Laborbesichtigungen oder gemeinsamem Essen statt. Informelle Einschätzungen der Kollegen wurden fast ausschließlich in solchen Zusammenhängen geäußert. 44 Die historische Rekonstruktion zeitgenössischer wissenschaftlicher Praxis scheint ohne den Kontakt zu den beteiligten Personen, die Möglichkeit zu Interviews und Erschließung des Quellenmaterials in ihrem Privatbesitz nicht möglich. Vorbehalten gegen Oral History ist zu entgegnen, dass an Interviews nicht die Erwartungshal43 | Nicht alle angefragten Personen standen für Interviews zur Verfügung, zentrale Personen wie die Begründer der Methode sehen die Geschichte bereits hinreichend dokumentiert. Eine andere Person, deren Ergebnisse aus heutiger Sicht nicht mehr haltbar sind, gab beispielsweise „fehlende Muße“ als Grund für die Absage an. 44 | Soraya de Chadarevian hat von gleichen Erfahrungen berichtet (Chadarevian 1997, 57). Anlass zu weiteren Gesprächen waren Recherchen für das Deutsche Museum, München, das eine Sammlung zur Nanotechnologie aufbaut; diese Gespräche wurden ebenfalls nicht aufgezeichnet, die Aussagen der Gesprächspartner flossen durchaus in diese Arbeit ein.
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tung herangetragen werden darf, dass sie zu Tage bringen‚ „wie es wirklich war“. Vielmehr muss ihnen gegenüber eine kritische Haltung eingenommen werden, die berücksichtigt, dass Interviews im Gegensatz zu anderen Quellen von vornherein der Erstellung einer historischen Rekonstruktion dienen (vgl. Söderqvist 1997, 8; Chadarevian 1997, 60). Interviews stellen immer einen Akt kommunikativer Auseinandersetzung dar, der eine für Tunnelmikroskopiker ungewohnte Situation bedeutet, der sich auf den Historiker motivierend und elativierend auswirken kann und der unvorhersehbare Aufmerksamkeiten für lokale Situationen, Arbeitsbedingungen und Mentalitäten generieren kann. 45
Der Aufbau der Studie Die Struktur der Studie greift in ihrer grundsätzlich systematischen Gliederung auf Grundzüge einer chronologischen Ordnung zurück, um beispielsweise Theorieentwicklungen und den daraus resultierenden Wandel der Bildinterpretationen nachvollziehen zu können. Im Zentrum von Kapitel II steht die Etablierungsphase des Instruments. Die Realisierung des Tunnelmikroskops zeigt sich nicht als Ergebnis eines theoretisch vorbestimmten Weges zur Entwicklung eines bildgebenden Verfahrens, sondern als geprägt von experimentellen Dynamiken und visuellen Gestaltungen, die sich auf die nachfolgende Praxis paradigmatisch ausgewirkt haben (Kapitel II.1). Im darauf folgenden Abschnitt (Kapitel II.2) wird die Rolle einer einzelnen Komponente des Instruments, nämlich der feinen, die Probe abrasternden Spitze, für die Erzeugung und Interpretation der Bilder analysiert. Dabei handelt es sich nur scheinbar um ein technisches Detail, zeigt sich doch, dass sich die Frage nach der Kontrolle des Bildes, nach der Identifizierung von Störungen, nach der Herausbildung überraschender Forschungsdynamiken sowie nach der technischen Bedingtheit der Bilder an dieser Komponente exemplarisch entwickeln lässt. Andere technische Komponenten wie die Elektronik rücken in der Arbeit in den Hintergrund, um die Analyse nicht mit technischen Details zu überfrachten. Die Einführung digitaler Techniken wird 45 | Außer für Interviews wurden weitere Personen wegen Detailfragen per E-Mail kontaktiert; dies geschah, wenn sie durch eine begrenzte Tätigkeit in die Bildpraxis der Tunnelmikroskopie involviert waren, beispielsweise durch die Präparation einer Probe, oder aber, wenn etwa ein Detail bezüglich des Entstehungskontextes eines einzelnen Bildes nachgefragt wurde.
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in Kapitel II.3 anhand unterschiedlicher Standorte vergleichend aufgezeigt, um der Heterogenität dieses Übergangs bezüglich der Bildpraxis gerecht zu werden. Die Einführung geschah keineswegs durch vorgefertigte Softwareprodukte, sondern durch Programmierungen vor Ort in unterschiedlicher Konstellation bezüglich der Verfügbarkeit von instrumentellen Infrastrukturen und Kenntnissen. Während sich Kapitel II an den Prinzipien und technischen Komponenten des Instruments orientiert, widmet sich Kapitel III verschiedenen Anwendungsfeldern der Tunnelmikroskopie. Die in Kapitel III.1 beschriebene Untersuchung von Siliziumoberflächen hat den Durchbruch der Methode bedeutet. An dem Beispiel zeigt sich der komplementäre Charakter der Tunnelmikroskopie zu anderen Methoden der Oberflächenphysik und die ausgeprägte Bildfaszination, die das Tunnelmikroskop von den anderen Methoden abhebt. Ergänzend dazu wird in Kapitel III.2 mit der tunnelmikroskopischen Untersuchung von DNA ein Misserfolg thematisiert. Dabei wird keinesfalls die Tatsache, dass es zu einer Kontroverse kam und dass Ergebnisse aus Publikationen zurückgenommen werden mussten, als Misserfolg angesehen, da dies als wissenschaftliche Normalität zu deuten ist; vielmehr zeigt sich, dass mangelnde Bildkritik zu einem Reputationsverlust der Methode führte und auch erfolgversprechende Ansätze darunter litten. In einem dritten Anwendungsfeld – der Anwendung als lokale Methode – zeigt sich in besonderer Weise, wie technische und ästhetische Momente miteinander verschränkt sind. Die technische Möglichkeit zur Untersuchung einzelner Inhomogenitäten transformierte die Grundhaltung der Oberflächenphysik, die sich zuvor an der Untersuchung des Regelmäßigen orientiert hatte. Gleichzeitig ging mit dem lokalen Charakter des Tunnelmikroskops die Möglichkeit einher, auf einzelne atomare und molekulare Strukturen zuzugreifen und sie zu manipulieren. Auch diese Experimente waren nicht das Ergebnis eines zielgerichteten Forschungsprogramms, sondern einer Aneinanderreihung immer wieder auftretender, zunächst zufälliger Beobachtungen (Kapitel III.3). Diese Experimente sollten die Wahrnehmung des Instruments entscheidend prägen, erhielten die Bilder doch eine weite Rezeption und trugen zur Ausbildung des Gründungsmythos der Nanotechnologie bei. Damit leitet dieses Anwendungsfeld in die historischen und kulturellen Einbettungen der Tunnelmikroskopie über, die in Kapitel IV ausgeführt werden. Zunächst wird die weite Rezeption und Anpassungsfähigkeit tunnelmikroskopischer Bilder aus der Anknüpfung an Darstellungstraditionen des Atoms als Kugel, die sich bereits in der frühen Neuzeit ausgebildet haben, entwickelt (Kapitel IV.1). Abschließend wird argumentiert, dass keineswegs allein die technisch-wissenschaftlichen
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Potenziale für den prominenten Status der Tunnelmikroskopie in der Herausbildung der Nanotechnologie verantwortlich sind, sondern dass tunnelmikroskopische Bilder im Gegensatz zu Bildern anderer oberflächenphysikalischer Verfahren mit den Weltbildern, die durch die Nanotechnologie aufgerufen wurden, in Einklang gebracht werden konnten (Kapitel IV.2). Damit bleibt die Wirkmacht tunnelmikroskopischer – und damit auch nanotechnologischer – Bilder nicht auf ihr wissenschaftsinternes Erklärungspotenzial beschränkt, vielmehr stellen die Bilder zugleich ein kulturelles Phänomen dar. Abschließend werden allgemeine wissenschafts- und bildhistorische Schlüsse aus der Fallstudie zur Bildpraxis in der Tunnelmikroskopie abgeleitet (Kapitel V).
II. Etablierung der Tunnelmikroskopie als neues bildgebendes Verfahren In diesem Kapitel wird die die Einführung des Rastertunnelmikroskops – im Folgenden auch als Tunnelmikroskop und als STM (Scanning Tunneling Microscope) bezeichnet – als neues bildgebendes Verfahren aus den in der Einleitung benannten Perspektiven nachgezeichnet. Die Erläuterungen des Funktionsprinzips im ersten Abschnitt sind eng mit grundsätzlichen Fragen nach Referenz und Repräsentation verknüpft. Das Tunnelmikroskop beruht auf der Abrasterung der Probenoberfläche mittels einer feinen Spitzen, wobei durch das Anlegen einer Spannung zwischen Spitze und Probe ein kleiner Tunnelstrom zwischen diesen beiden Komponenten fließt. Durch die Messung und Veranschaulichung von Orten gleichen Tunnelstroms beim Abrastern der Probe mit der Spitze wird ein Parameter konstruiert und anschaulich gemacht, der außerhalb eines tunnelmikroskopsischen Experiments schlichtweg nicht existiert und den es damit vor der Entwicklung des Tunnelmikroskps nicht gab. Folgerichtig war die quantitative Beschreibung eines solchen Tunnelstroms zuvor auch nicht Teil physikalischer Forschung gewesen und es existierte keine Theorie, die aussagte, wie die aufgezeichneten Werte aus tunnelmikroskopischen Experimenten zu deuten seien.1 1 | Zwar waren eindimensionale Tunnelprobleme zu Beginn der 1980er Jahre schon weitgehend untersucht und beschrieben worden, doch zeichnet sich das Tunnelmikroskop gerade durch seine Sensitivität für die Dreidimensionalität der Oberflächenstruktur aus, so dass eine direkte Übernahme dieser Theorien nicht möglich war, vgl. Tersoff, Hamann 1983, 1998.
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Doch die zentrale Frage, was auf tunnelmikroskopischen Bildern eigentlich zu sehen ist und wie mit diesen Bildern Wissen erzeugt und kommuniziert wird, lässt sich nicht allein aus dem Funktionsprinzip, der theoretischen Beschreibung der aufgezeichneten Parameter und der Frage nach der zugrunde liegenden Referenz verstehen. Es bedarf zusätzlich der Analyse der Darstellungsform und der Einbettung in unterschiedliche Kommunikationszusammenhänge. Dazu wird im ersten Abschnitt gezeigt, wie in der Darstellung abstrakter Parameter an Bildtraditionen angeknüpft und dadurch das erzeugte Wissen geprägt wird. Neben dem Funktionsprinzip bedingen auch einzelne instrumentelle Komponenten die Bildwelten der Rastertunnelmikroskopie. Besonders prekär stellt sich dabei die Rolle der feinen Spitze des Instruments dar, die die Oberfläche abscannt; ihre Herstellung und Rolle für die Interpretation der Bilder wird im zweiten Unterkapitel ausgeführt. Anhand dieser Ausführung zur Rolle einer instrumentellen Komponente wird exemplarisch der Umgang mit Bildstörungen als zentralem Aspekt tunnelmikroskopischer Bildpraxis diskutiert. Im dritten Abschnitt dieses Kapitels wird dann die Einführung der Computergrafik als prägendes Element tunnelmikroskopischer Bildpraxis vorgestellt. Da die ersten Tunnelmikroskope analog waren, es dann aber schnell zu einer Entwicklung digitaler Instrumente kam, lässt sich der Übergang zur Digitalisierung beschreiben. Auch in diesem Abschnitt gilt die Aufmerksamkeit sowohl den Bildern selbst, als auch den Praktiken der Erstellung, Interpretation und Kommunikation.
II.1 Übergänge zwischen Grafen und dinglichen Darstellungen Die Realisierung des Rastertunnelmikroskops zu Beginn der 1980er Jahre im IBM-Forschungslabor Rüschlikon nahe Zürich hatte ihren Ursprung keinesfalls in einer Entscheidung des IBM-Forschungsmanagements, ein bildgebendes Verfahren mit atomarer Auflösung zu entwickeln, das auf der kontrollierbaren Messung und Darstellung des Tunnelstroms beruhte. Ebenso wenig existierten Verbindungen zu dem Projekt von Russell Young und seinen Mitarbeitern, die um 1970 am US-amerikanischen National Bureau of Standards – dem heutigen National Institut of Standardization and Technology – bereits Oberflächen mit einem ähnlichen Prinzip, nämlich der Messung und Steuerung eines Stromes zwischen einer Sonde und der Probe, untersucht hatten,
II. E TABLIERUNG
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ohne dass sie die Methode hätten etablieren können. 2 Vielmehr ist das Tunnelmikroskop ein Beispiel für ein Instrument, das sich aus Forschungen mit ursprünglich anderen Zielsetzungen ergab. Dies heißt nicht, dass es im Rahmen anderer Forschungen gänzlich nebenbei abgefallen wäre; zwischen dem Vorsatz, ein Mikroskop zu bauen, und dessen Realisierung lag eine zweijährige Arbeitsphase. Ihren Ausgang nahm die Entwicklung des Tunnelmikroskops in der Rückschau in Forschungen an den sogenannten JosephsonJunctions, die im IBM-Labor Rüschlikon in den 1970er Jahren als zentrales Projekt verfolgt wurden und nie in die ursprünglich erhoffte Anwendung, den Bau schneller, tiefgekühlter Hochleistungsrechner, münden sollten. Im Rahmen des Josephson-Projekts wurde man aufmerksam auf Inhomogenitäten an Oberflächen, die den Stromfluss durch die Junctions unvorhersehbar machten. Heinrich Rohrer, Seniorwissenschaftler in Rüschlikon, und der kurz zuvor in Frankfurt promovierte Gerd Binnig, die beide seit ihren Doktorarbeiten im Bereich der Supraleitung forschten, setzten sich zum Ziel, das Auftreten und die Eigenschaften dieser lokalen Störstellen zu bestimmen.3 Dieses Ziel stand nicht im Einklang mit dem gängigen Denkstil der Festkörperund Oberflächenphysik: Die damalige Forschung zielte grundsätzlich auf gemittelte Aussagen über ausgedehnte Festkörper idealer Struktur ab und ließ damit kaum Aussagen über niedrigdimensionale Strukturen zu. Rückblickend bemerkte Gerd Binnig im Jahr 2001 zu dieser Forschungsausrichtung: „I think it is very difficult to think back and imagine now, but at the time people thought in terms of regular everything – crystals and surfaces were thought of as perfectly ordered. Heini [Rohrer] realized that lack of order was interesting, and that one would have to look locally. Most people at the time did not even consider it interesting.“ (Interview Hessenbruch – Binnig/Rohrer) Binnig hebt die Ungewöhnlichkeit des damaligen Ansatzes in der Retrospektive hervor. Sein Hinweis, dass die Erinnerung an die – aus heutiger Sicht 2 | Young 1966 und 1971; Young, Ward, Scire 1972. Das Instrument befindet sich im Besitz des Smithsonian Institute, Washington, das auch ein Interview mit Young geführt hat, aber weder die Präsentation des Instruments noch die historische Aufarbeitung weiter verfolgt hat (Brief von Russell Young an den Verfasser, Juli 2006). Für eine historisch-soziologische Reflexion, warum der Topografiner in der Forschungslandschaft eines Nationallabors um 1970 sich nicht durchsetzen konnte, siehe Mody 2004a, 38ff. 3 | Heinrich Rohrer betonte zu Beginn eines Interviews mit dem Wissenschaftshistoriker Arne Hessenbruch zu den Motivationen zur Tunnelmikroskopie: „The idea was to look at inhomogeneities.“ (Interview Hessenbruch – Rohrer/Binnig).
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befremdliche – Denkweise nicht leicht falle, verdeutlicht den grundsätzlichen Wandel im Denken der Festkörper- und Oberflächenphysik seit dem Ende der 1970er Jahre; es ist ein Wandel, der durch das Tunnelmikroskop und die mit ihm kreierten Bildwelten angestoßen wurde (vgl. Kapitel III.3). Eine erste Notiz dazu, eine lokale Untersuchungsmethode zum Bau eines „Mikroskops“ umzusetzen, findet sich unter dem Datum des 5. Januar 1979 in Gerd Binnigs Laborbuch: „Mit einer Tunnelstromabklinglänge von 1 Å und einem Krümmungsradius der Nadel von 1000 Å –> Ortsauflösung x = 45 Å –> Mikroskop für Metall (Halbleiter-) Oberflächen“. 4 Schon acht Monate später, am 20. September 1979, meldeten Binnig und Rohrer eine Patentschrift mit dem Titel „Raster-Tunnelmikroskop“ an (Binnig, Rohrer 1984 [1979]), in der sie die Funktionsweise des Instrumentes ausführten, obwohl dessen Realisierung noch bis zum Sommer 1981 auf sich warten lassen sollte.5 Die folgenden zwei Jahre standen im Zeichen aufwendiger experimentellinstrumenteller Arbeiten. Es galt, eine Idee zu verwirklichen, die zu Beginn der Josephson-Junctions-Untersuchungen noch nicht absehbar gewesen war. Diese experimentellen Tätigkeiten führte Binnig nicht etwa im Rahmen einer offiziell neu ausgerichteten IBM-Forschungsstrategie aus, vielmehr räumte sein Vorgesetzter Heinrich Rohrer ihm neben anderen Projekten den Raum ein, die Arbeit am Tunnelmikroskop weiter zu verfolgen.6 Das ehemals ambitionierte Projekt zu den 4 | Zitiert nach einem Faksimile der Seite aus Binnigs Laborbuch in Quate 1986, 28. 5 | Zu der patentrechtlichen Problematik, dass Binnig und Rohrer einen Grundgedanken ohne praktische Umsetzung anmeldeten, siehe Zech 2004, 87, der ausführt, dass „eine Erfindung im Anmeldezeitpunkt ausführbar sein und darüber hinaus vom Anmelder so dargestellt werden [muss], dass ein Fachmann sie mit einer beschränkten Zahl von Fehlversuchen nacharbeiten kann“. Dass hiervon im Fall des STM keine Rede sein kann, zeigen die Realisierung von Binnig und Rohrer erst zwei Jahre später und die Replikation durch andere erst in einem Abstand von weiteren zwei Jahren. Binnig und Rohrer hatten in ihrer Patentschrift ein aufwendigeres Gerät mit der Möglichkeit zum Messen bei tiefsten Temperaturen und im Ultrahochvakuum angekündigt, als sie dann zunächst umsetzen konnten: „The instrument was beautifully designed […] But the instrument was so complicated, we never used it. We had been too ambitious, and it was only seven years later that the principal problems of a low-temperature and UHV instrument were solved.“ (Binnig, Rohrer 1986, 395) Für weitere Details dieser Instrumentenentwicklung siehe Granek, Hon 2007. 6 | Mody weist auf die Forschungskultur bei IBM in Rüschlikon um 1980 hin, die eine solche Nischentätigkeit ermöglichte, ganz im Gegensatz zu dem Umfeld von Young, der seine Arbeit am Topografiner hatte einstellen müssen (Mody 2004, 85ff.).
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Josepson-Junctions stellte IBM zu Beginn der 1980er Jahre ein; es hatte das Rüschlikoner Labor an den Rand „kollektiver Depression“ gebracht7 – und sollte doch zu ursprünglich nicht intendierten Forschungsprojekten führen, die einige Jahre später in die größten Erfolge des Forschungslabors mündeten: Die Verleihung des Nobelpreises an Binnig und Rohrer 1986 für die Entwicklung des Rastertunnelmikroskops und ein Jahr später an Georg Bednorz und Alexander Müller für die Entdeckung der Hochtemperatur-Supraleitung verhalf dem Labor zu einer zuvor nicht gekannten internationalen Reputation.
Frühe grafische Aufzeichnungen zum Vakuumtunneln an einem Ort Binnig und Rohrer verfolgten während ihrer gut zweijährigen Tätigkeiten auf dem Weg von der Idee zur Realisierung des Tunnelmikroskops zunächst ein Zwischenziel: das Vakuumtunneln an einem Punkt zwischen einer Metallspitze und einer Platinoberfläche mit der trennenden Vakuumlücke als Potenzialbarriere. Das Phänomen des Tunnelstroms ist ein quantenphysikalisches Phänomen, das schon in der Frühzeit der Quantenphysik theoretisch beschrieben worden war (Nordheim, Fowler, 1928). Es geht um die Möglichkeit, dass ein Potenzialwall durch Ladungsträger durchtunnelt werden kann, selbst wenn deren Energie niedriger ist als das Maximum der Barriere. Nach klassischen physikalischen Beschreibungen ist dies unmöglich; der Strom könnte demnach die Vakuumlücke nicht durchfließen. Es handelt sich um ein quantenphysikalisches Phänomen, das mit sinnlichen Alltagserfahrungen nicht in Deckung zu bringen ist. In den ersten experimentellen Realisierungen des Tunnelns seit Ende der 1950er Jahre arbeitete man mit Schichtsystemen: Dünne isolierende Oxidfilme dienten zumeist als Barriere zwischen zwei Elektroden, deren Abstand durch die Filme kontrolliert stabil gehalten werden konnte.8 Im Gegensatz zu solchen Tunnelexperimenten an Schichtsystemen stellte für die Realisierung des Vakuumtunnelns die definierte Heranführung der zwei Leiter bis auf einen Abstand von wenigen Ångström ein Problem dar, dessen experimentelle Realisie7 | Ein ehemaliger Mitarbeiter am IBM-Forschungslabor hat im Gespräch diese drastische Formulierung zur Beschreibung der Stimmung in Rüschlikon zu Beginn der 1980er Jahre verwendet. 8 | Esaki, Giaever und Josephson erhielten 1973 gemeinsam den PhysikNobelpreis für ihre Arbeiten zum Tunneleffekt. Zur Herausbildung einer Wissenschaftlergemeinschaft um diesen Forschungsgegenstand siehe Mody 2004a, 73f.
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rung lange Zeit als unüberwindbar gegolten hatte. Es gab zwar seit Beginn der 1970er Jahre Nachrichten über einzelne Realisierungen des Vakuumtunnelns, doch diese blieben ohne nennenswerte Resonanz – weder die Experimente einer russischen Gruppe um V. M. Lutskii (Lutskii, Kornev, Elinson 1966),9 die Arbeiten von Ulrich Poppe am Forschungszentrum Jülich (Poppe, Wühl 1981; Poppe 1981)10 oder die des US-Amerikaners Clayton Teague (Teague 1978) erhielten zum Zeitpunkt ihrer Publikation Aufmerksamkeit. Erst im Zuge der Entwicklung des Tunnelmikroskops erschienen diese Arbeiten dann – gleichsam als Vorarbeiten – in neuem Licht.11 Gemeinsam war all diesen Experimenten die Technikidee,12 eine spitze und eine flächige Elektrode einander anzunähern. Auch Binnig und Rohrer verfolgten dieses Prinzip und waren bei ihren Experimenten in der Größenordnung von Ångström wie ihre Vorgänger vor die Probleme der Kontrollierbarkeit der Annäherung und der Vibrationsdämpfung gestellt. Binnig und Rohrer griffen hier auf ihre experimentellen Erfahrungen mit Supraleitern zurück. Es gelang ihnen, die mit Dauermagneten ausgestattete Tunneleinheit, die während der Experimente abgesehen von den Zuleitungen über einer supraleitenden Schüssel schwebte, vollkommen mechanisch zu entkoppeln (Binnig et al. 1982a, 178). Sie materialisierten ihr persönliches Know-how und ihre Gewohnheiten aus ihren Forschungen zur Supraleitung in ihrem ersten Prototypen. Erst in folgenden Gerätegenerationen gelangten sie zu weniger aufwendigen Bauweisen, in denen das Dämpfungssystem erheblich vereinfacht werden konnte. Zur Minimierung von Vibrationen – Trittschall durch Kollegen, Gebäudevibrationen durch Autoverkehr unweit des Labors etc. – experimentierte Binnig nachts; in der Nacht vom 16. März 1981 ge9 | Zitiert nach Mody 2004. 10 | Die Instrumente und Originalaufzeichnungen sowie Labortagebücher befanden sich noch in Poppes Besitz und konnten im Rahmen der Recherchen für diese Arbeit und für die Ausstellung Nanolabor an das Deutsche Museum, München übergeben werden. 11 | So publizierte Teague seine bereits 1976 durchgeführten Experimente im Jahr 1986 noch einmal (Teague 1986) und Poppe vergewisserte sich nach den Nachrichten von Binnig und Rohrer aus Rüschlikon erneut der Potenziale seiner Apparatur (Gespräch Poppe 2006). Auch diese Experimente führten, ebenso wie die des bereits erwähnten Russell Young, nicht zur Ausbildung einer Forschungstradition. Im Gegensatz zu Young waren sie nicht auf eine Abrasterung der Oberfläche und damit auf die Realisierung eines bildgebenden Verfahrens ausgelegt. 12 | Zum Begriff der Technikidee siehe Frercks 2001.
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Abb. II.1.1: Diagramm zum Vakuumtunneln zwischen einer Wolframspitze und einer Platinoberfläche (Binnig et al. 1982, 179).
langte er erstmals zu einer Messung, die er als gelungenes Vakuumtunneln zwischen einer Spitze und einer Platinplatte interpretierte (vgl. Binnig, Rohrer 1986, 395). Binnig und Rohrer zeichneten in ihren Experimenten den gemessenen Strom während der Annäherung der Spitze an die Oberfläche mit Hilfe eines xy-Schreibers auf. Sie publizierten zu diesen ersten erfolgreichen Messungen ein Diagramm, in das mehrere Kurven eingezeichnet sind (Abb. II.1.1).13 Die y-Achsen zeigen die logarithmische Darstellung des Widerstands, aufgetragen auf der linken Seite, bzw. des Stroms, aufgetragen auf der rechten Seite, in Abhängigkeit vom Abstand zwischen Wolframspitze und Platinelektrode, der an der x-Achse aufgetragen ist. Sie schließen sich an der Oberseite zur geschlossenen Form eines Rechtecks, so dass sie die fünf Grafen einrahmen. Diese sind nebeneinander angeordnet und von rechts nach links mit den Buchstaben A-E indiziert; die damit vorgegebene Leserichtung von rechts nach links entspricht laut Text der Reihenfolge der Erstellung der Kurven (Binnig et al. 1982a, 179). Pfeile an den Grafen A-C indizieren die jeweilige Bewegungsrichtung der Spitze. Deutlich wird, dass sowohl während der Annäherung als auch während der Wegführung der beiden Elektroden Messungen durchgeführt
13 | Zu einer Formgeschichte des Kurvendiagramms, die sich bis in das Jahr 1000 zurückverfolgen lässt, siehe Vogelsang 2006 und die dort angegebene Übersichtsliteratur.
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wurden. Jeder einzelne Graf in der Form einer gezackten Linie ist von einer Ausgleichsgeraden durchzogen.14 Die Ausgleichsgeraden stehen zu den aufgezeichneten zackigen Geraden in einer ästhetischen Relation, indem sie ein Ähnlichkeitsverhältnis erzeugen: Die Ausgleichsgeraden bringen die Ähnlichkeit der zackigen Grafen mit der Geraden zur Geltung; diese Ähnlichkeit legitimiert wiederum, weitere Auswertungsschritte auf den Ausgleichsgeraden zu basieren. Hinweise Binnigs und Rohrers auf die Empfindlichkeit der Apparatur und die Probleme der Vibrationsdämpfung (Binnig et al. 1982a, 178) lassen den zittrigen, nicht idealen Verlauf der von dem Schreiber aufgezeichneten Linien plausibel erscheinen; er erzeugt Authentizität. In der logarithmischen Darstellung entspricht eine Gerade der erwarteten exponentiellen Abhängigkeit des Tunnelwiderstands von dem Abstand zwischen den beiden Elektroden.15 Die Ähnlichkeit der aufgezeichneten Linien zu den Geraden bildet damit das zentrale Ergebnis der Experimente, das im Diagramm kommunizierbar und evident wird. Das Diagramm offenbart weitere Merkmale visueller Strategien: Eine gestrichelte Linie markiert einen Übersprung von Graf B zu C, dessen Ausgangs- und Endpunkt mit I und II beziffert sind. Binnig und Rohrer haben die Entscheidung getroffen, nicht lediglich die Grafen A, D und E zu zeigen, sondern eine unbeabsichtigte Störung in das publizierte Diagramm aufzunehmen, die sie als Resultat einer freiwerdenden thermischen Spannung deuteten (Binnig et al. 1982a, 179). Dass auch trotz eines solchen Sprunges die Grafen anschließend wieder ähnlich einer Geraden verlaufen, zeigt die Beherrschbarkeit der Störung und bringt damit ein Maximum an Kontrolle zum Ausdruck. Auch die von Binnig und Rohrer beanspruchte Reproduzierbarkeit ihrer Messungen, die sie explizit als Indiz für einen Tunnelstrom durch ein Vakuum und nicht durch eine nicht reproduzierbare Verunreinigung anführten (Binnig et al. 1982a, 179), wird im Diagramm durch die Publikation von fünf Grafen nebst Ausgleichsgeraden sichtbar. Binnig und Rohrer vergewisserten sich selbst der Reproduzierbarkeit, ohne dass ein allgemeingültiges Kriterium existieren könnte, 14 | Binnig und Rohrer haben in einem Tagungsband die Messungen A-C und B-D in zwei getrennten Diagrammen publiziert (Binnig et al. 1982b), die hier angeführten Argumente sind auch auf diese alternative Darstellung übertragbar. 15 | Dies hatten schon Fowler und Nordheim 1928 in ihren ersten theoretischen Ausarbeitungen zum eindimensionalen Tunneln angegeben (Fowler, Nordheim 1928).
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wann ein experimenteller Befund als hinreichend belegt angesehen werden kann (Galison 1987, 2ff.). Nach ihrer Selbstvergewisserung beschlossen sie in einem weiteren Schritt, diese fünf Grafen zur Behauptung von Reproduzierbarkeit zu publizieren – ohne anzugeben, wie viele Messungen sie zu ihrer eigenen Überzeugung durchgeführt hatten. Basierend auf der Feststellung der Ähnlichkeit der fünf Aufzeichnungen zur Gerade werteten Binnig und Rohrer die Ausgleichsgeraden quantitativ aus, um die materialabhängige Austrittsarbeit – also die zur Herauslösung der Elektronen aus der Metallober fläche notwendige Energie, die durch die Materialien Wolfram (Spitze) und Platin (Platte) bestimmt war – zu ermitteln und mit den bekannten Literaturwerten für Platin und Wolfram zu vergleichen. Sie bezogen sich auf den Formalismus von Fowler und Nordheim, nach dem für das eindimensionale Tunneln die Ableitung der logarithmischen Stromänderung nach dem Ort – also die Steigung der Geraden in ihren Grafen – proportional zur Wurzel der Austrittsarbeit sei (Binnig et al. 1982a, 179), und übertrugen dieses Verhältnis auf ihre experimentelle Situation einer Spitze über einer Fläche. Sie gründeten diesen Auswertungsschritt nicht auf den ursprünglichen Aufzeichnungen, sondern auf den Ausgleichsgeraden, die sie aus diesen visuell-zeichnerisch „gewonnen“ hatten. Ganz im Sinne von Bruno Latours Konzept der Repräsentationsketten entfernten sich Binnig und Rohrer in diesen produktiven Transformationsschritten vom Untersuchungsgegenstand, um Aussagen über ihn zu ermöglichen (Latour 2000, 83). Für Binnig und Rohrer zeigte sich in ihren ersten Auswertungen, dass die Werte in ihren Messungen wesentlich unter den Literaturwerten von 5 eV lagen. Die Aufzeichnungen hatten also einerseits durch die Ähnlichkeit zur Geraden die Erwartungen Binnigs und Rohrers erfüllt und warfen doch andererseits bei der quantitativen Auswertung neue Fragen auf. Sie waren zugleich Ergebnis wie auch Anlass zu Folgeuntersuchungen. In ihrem Bemühen, die experimentell erzeugten Werte den Literaturwerten anzugleichen, veränderten Binnig und Rohrer das Prozedere der Spitzenreinigung und verbesserten das Vakuum (Binnig et al. 1982a, 179), woraus sie die zunehmende Steigung der Grafen von A bis D begründeten. Zudem nahmen sie eine Neueichung der Piezomotoren, die die Spitze bewegten, vor, da sich aus dieser Kalibrierung die Abstandsänderung zwischen Spitze und Probe und damit letztlich auch die Werte der Austrittsarbeit bestimmten (Binnig, Rohrer 1986, 397). Die Piezomotoren als ursprünglich technische Komponenten rückten also innerhalb des Experi-
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mentalsystems ins Zentrum der Aufmerksamkeit und wurden zum Untersuchungsgegenstand.16 In den Publikationen erwähnten Binnig und Rohrer nicht die Notwendigkeit der Neueichung der Piezos,17 schilderten aber die Verbesserung der Reinigung der Spitze und des Vakuums. Die nun abgeleiteten Werte für die Austrittsarbeit näherten sich von 0,6 eV (Graf A) über 0,7 eV (Graf B und C) auf 3,2 eV (Graf D und E) dem Literaturwert von 5 eV an (Binnig et al. 1982a, 179). Während Binnig und Rohrer durch diese Veränderungen der Apparaturen und Präparationstechniken für sich selber Erfolge verbuchen konnten, erlitten sie in ihrem Versuch, ihre Ergebnisse zu publizieren und so Verbündete zu gewinnen, zunächst einen Rückschlag, da die renommierte Zeitschrift Physical Review Letters ihren Beitrag ablehnte. Rohrer urteilte retrospektiv: „I think he did not get it.“ Und Gerd Binnig ergänzte: „He missed the point. In the paper we did explain what it might be used for, but he did not understand it.“ (Interview Hessenbruch – Binnig/Rohrer) Die Gutachter hatten also – so die Einschätzung von Binnig und Rohrer – das Entwicklungspotenzial der Messung für die weitere Entwicklung zum Rastertunnelmikroskop unterschätzt. Gerd Binnig hob bezüglich der Ablehnung auch den Aspekt der Glaubwürdigkeit hervor: „Well, yes, sometimes people don’t give you the real reason for their decision. I think that incredulity did play a role. They did not believe us, but they did not phrase it as directly. The referees have to give you some kind of argument. If they have a gut feeling against the paper, they give you a different reason for rejecting it. That sounds more reasonable.“ (Interview Hessenbruch – Binnig/Rohrer) Auch visuelle Strategien können keine letztendliche Beweiskraft erzielen, sondern lediglich zu einer Gemengelage von Argumentationen, Verweisen und Plausibilitäten beitragen, die letztlich das „Gefühl“ der Rezpienten, wie in diesem Fall der Gutachter, bestimmen. Gerd Binnig hatte in der Nacht des 16. März 1981 im Anblick der Aufzeichnung einer zittrigen Linie, die einer Geraden ähnelte, im Bewusstsein der Vorexperimente und Vorüberlegungen einen lang ersehnten Glücksmoment erlebt und die Aufzeichnung besaß aus seiner Erfahrung heraus Evidenz. Doch diese Evidenz zu kommunizieren, erwies sich als schwierig – trotz des Einsatzes visueller Strategien. 16 | Diese Sicht nimmt das Konzept des Experimentalsystems auf, wie es von Rheinberger entwickelt wurde, siehe z.B. Rheinberger 2001a, 24ff. 17 | Binnig und Rohrer gaben in ihrer Nobelpreisrede zahlreiche Einblicke in die Praxis und die Umwege ihrer frühen Tunnelexperimente, die in den Originalveröffentlichungen aufgrund der üblichen Glättungen und Rhetoriken keine Erwähnung gefunden hatten.
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Die Erzeugung erster rastertunnelmikroskopischer Bilder Binnig und Rohrer hatten es beim Bau ihres Instruments in Zusammenarbeit mit Christoph Gerber und Eduard Weibel aus den IBMWerkstätten nicht auf die Demonstration des Vakuumtunnelns zwischen Spitze und Platinplatte abgesehen. Vielmehr hatten sie bereits die Möglichkeit vorgesehen, die Spitze nicht nur an einem Ort vertikal annähern zu können, sondern sie auch horizontal über die Oberfläche bewegen zu können, um zu ortsaufgelösten Messungen zu gelangen. Sie hatten dazu ein zweistufiges System zur Bewegung der Spitze entwickelt, das eine Grobannäherung mit Hilfe der so genannten „Laus“ und eine Feinannäherung mit Hilfe eines Piezo-Dreibeins vorsah.18 Dieses Piezo-Dreibein ermöglichte die Bewegung der Spitze in den drei Raumrichtungen und damit ein Abscannen der Probenoberfläche. Zur Steuerung der Spitze während des Scannens wurde eine Elektronik mit einem Feedbackmechanismus entwickelt, der die vertikale Position der Spitze während des Scannens so anpassen konnte, dass ein ursprünglich eingestellter Tunnelstrom konstant gehalten wurde. Da der Tunnelstrom exponentiell mit größer werdendem Abstand zwischen Spitze und Probe abnimmt, wurde die Spitze bei einer Erhöhung des Tunnelstroms von der Probe entfernt, um wieder zu dem eingeregelten Wert des Stroms zu gelangen, beim Absinken des Tunnelstroms wurde die Spitze über den Rückkopplungsmechanismus angenähert. Der Tunnelstrom ist im Rastertunnelmikroskop damit Mess- und Steuergröße zugleich. Ein xy-Schreiber zeichnet die Position der Spitze beim Abrastern der Oberfläche auf. Alle tunnelmikroskopischen Bilder, die in diesem Modus erzeugt werden, zeigen Orte konstanten Tunnelstroms zwischen zwei Elektroden, nämlich der Spitze und einer flächigen Probe, bei einer vorgegebenen Spannung sowie einem festgelegten Strom, auf den der Rückkopplungsmechanismus einregelt. Diese Referenz ist tunnelmikroskopischen Bildern gegeben, wobei die Orte gleichen Tunnelstroms zwischen Spitze und Probe ausschließlich während des Experimentes existieren. Ein Gegenbeispiel verdeutlicht diesen Sachverhalt: Die Messung infraroten Lichts mit einer Infrarotkamera macht unsichtbare Strahlung sichtbar, die auch ohne die Infrarotmessung physikalisch vorhanden ist. Im Tunnelmikroskop jedoch wird erst durch das Experiment die Messgröße der Orte gleicher Tunnelströme erzeugt. Als alles entscheidende Fragen schließt sich an, wie 18 | Zu technischen Details dieser Instrumentengeschichte siehe Granek, Hon 2007.
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die Orte gleichen Tunnelstroms – also die Referenz – zu interpretieren und zu beschreiben sind und welche Rückschlüsse sie auf die Probe ermöglichen. Bis heute ist jede Beschreibung eine Annäherung – ein Modell. Ein weiterer bedeutender Schritt in der Entwicklung zum Rastertunnelmikroskop bestand in der Realisierung der Abrasterung, die keines falls sofort gelangen, obgleich die Vorrichtungen zum Abrastern der Oberfläche bereits in dem Instrument zur Messung des Tunnelstroms an einem Ort implementiert waren. Da der kleine Kreis der involvierten Personen, Binnig und Rohrer sowie ihre Kollegen aus den Werkstätten, Gerber und Weibel, allesamt nicht als Oberflächenphysiker ausgebildet waren, fehlte ihnen das Wissen bezüglich einer geeigneten Probe, um das Instrument an ihr zu testen und zu stabilisieren. Aus ihren Experimenten mit dem Halbleiter Galliumarsenid und den Metallen Gold, Kupfer und Silber hatten sie keine eindeutigen Schlüsse ziehen können. In informellen Diskussionen während einer Kaffeepause schlug ihnen Richard Gambino die Verwendung eines CaIrSn 4-Kristalls vor. Gambino weilte als Gastwissenschaftler aus dem größten IBM-Labor in Yorktown Heights nördlich von New York City in Rüschlikon und war ein Experte im Bereich des Kristallwachstums. Dieser Kristall schien ihm geeignet, da seine Gitterkonstante mit 10 Å hinreichend groß und die Orientierung eindeutig war. Aus seinen eigenen Forschungen waren ihm die Literaturwerte bekannt und er hatte den Kristall mittels Röntgenbeugung und optischer Interferenzmikroskopie untersucht.19 Auf der Basis dieses Vorwissens bezüglich der grundsätzlichen Eigenschaften wie auch der konkreten Beschaffenheit der vorliegenden Probe gelang Binnig und Rohrer nun schließlich ein erster Scan, in dem atomare Stufen des Kristalls aufgelöst waren. Im Frühjahr 1982, also zweieinhalb Jahre nach ihrem Patentantrag, sendeten Binnig und Rohrer einen Artikel über das „Scanning Tunneling Microscope“ an die Physical Review Letters ein, der dieses mal direkte Akzeptanz fand. Zentrales Anliegen der Publikationen war nicht die Präsentation von neuen Erkenntnissen über die untersuchten Proben, sondern die Demonstration der experimentellen Realisierung des Prinzips des Tunnelmikroskops. Zum CaIrSn 4-Kristall veröffentlichten sie zwei übereinander angeordnete Bilder (Abb. II.1.2). Im unteren Diagramm spannt ein Koordinatensystem zwei kartesische Raumachsen auf, in dem zwei zittrige Linien eingezeichnet sind. Sie geben die Spur der Spitze beim Abrastern der Oberfläche 19 | E-Mails von Richard Gambino an den Verfasser vom 11.12. und 20.12. 2006.
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Abb. II.1.2: Die ersten publizierten rastertunnelmikroskopischen Bilder 1982 (Binnig et al. 1983, 59).
unter Beibehaltung des gewählten Tunnelstroms wieder, wie sie von einem xy-Schreiber aufgezeichnet wurde. Eingefügte gestrichelte Linien zeigen Plateaus an. Die Beschriftungen „mono“, „double“ und „triple“ bezeichnen die atomaren Stufen, die als Resultat der quantitativen Auswertungen und im Abgleich mit Literaturwerten gewonnen wurden. Binnig und Rohrer bezeichneten die beiden Linien in der Bildunterschrift als „individual scans“, was sie von den verdichteten Linien im darüber befindlichen Bild unterschied. In oberen Bild verlaufen mehrere Linien gewellt von links oben nach rechts unten und vermitteln den Eindruck eines gewellten Teppichs. Lediglich die unterste Linie verläuft ähnlich zittrig wie die Linien im Grafen darunter. In der Bildunterschrift heben die Autoren die Herkunft dieser Linie hervor: „The bottom line is as measured.“ (Binnig et al. 1982c, 59) Die anderen Linien geben nicht die Messung wieder, sie sind in der zeichnerischen Wiedergabe „geglättet“ („smoothed“, Binnig et al. 1982c, 59). Damit geben sie nicht die Aufzeichnung mittels des xy-Schreibers wieder, sondern sind das Ergebnis eigenhändiger Zeichnungen, die den zittrigen Verlauf der von dem Instrument aufgezeichneten Linien geglättet haben. Oberhalb der achten Linie sind zwischen den geglätteten, durchgezogenen Linien gestrichelte Linien als Interpolation ergänzt, auf die ebenfalls in der Bildunterschrift hingewiesen wird. Außerdem sind einzelne Strichelchen ergänzt, die einen Schatteneindruck erzeugen, auf die jeder Hinweis fehlt. Der Unterschied zum allerersten Diagramm – dem Diagramm zum Vakuumtunneln an einem Ort – ist offensichtlich: Binnig und Rohrer gaben in diesem Fall nicht die instrumentell erzeugten Aufzeichnungen wieder, wie sie
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es im Diagramm zum Vakuumtunneln an einem Ort praktiziert hatten, indem sie die zittrige Linie der Aufzeichnung und die Ausgleichsgerade überlagert hatten. Vielmehr zogen sie hier ein anderes Register und ließen durch ihre zeichnerische Ausführung ihre Deutungen und Interpretationen in die publizierte Darstellung einfließen.20 Sie verfolgten das ästhetische Ziel einer flächigen Darstellung und kopierten von der Aufzeichnung des xy-Schreibers nur die unterste Linie zum Nachweis der Authentizität. Vor diesem Hintergrund – der Glättung und Ergänzung von Linien – lässt sich die obere Darstellung weniger als ein tunnelmikroskopisches Bild auffassen denn als Zeichnung, die durch den Bezug auf eine tunnelmikroskopische Aufzeichnung legitimiert ist. Wieder mit dem Modell der Repräsentationskette gedacht sund den Worten Bruno Latours gesprochen, haben Binnig und Rohrer im Akt des Zeichnens und durch die Erstellung einer Übersetzung etwas gewonnen, was den Verlust – den genauen Verlauf der zittrigen Linien – wieder aufwog (Latour 2000, 81). Der Gewinn ist in diesem Fall ein ästhetischer: die als Bildobjekt wahrnehmbare Fläche. Die Verdichtung von Linien zu einer flächigen bzw. objekthaften Gestalt stellt einen phänomenologischen Tatbestand dar, dessen Bedeutung der Medienphilosoph Lambert Wiesing pointiert hat: „Wie ein Bildträger in der Lage ist, das Bewusstsein ,eines gegenwärtig sich präsentierenden Bildobjekts’ beim Betrachter zu erzeugen, ist zumindest derzeit unerklärlich – und das ist auch nicht sehr verwunderlich, denn hätte man eine Erklärung, so hätte man nichts Geringeres als eins der größten Rätsel der Menschheit gelöst. Die Beziehung zwischen Bildträger und Bildobjekt ist die Beziehung zwischen einem physikalischen und einem intentionalen Objekt.“ (Wiesing 2005, 52)21 Zwischen unterem und oberem Diagramm besteht ein signifikanter Unterschied in der Wahrnehmung, da nur im oberen Bild die Linien derart miteinander korrespondieren, dass eine Fläche sichtbar wird. Anstatt nach wahrnehmungspsychologischen Gründen dafür zu suchen, erscheint es zur Analyse der Bildpraxis wichtiger festzuhalten, dass Binnig und Rohrer in ihrer Bildgestaltung – also der Erstellung einer Zeichnung auf Grundlage eines Ausdrucks – auf die Wahrnehmung eines intentionalen Objektes abgezielt haben. Dies gelang ihnen 20 | Lorraine Daston und Peter Galison haben gezeigt, dass die Ideale wissenschaftlicher Objektivität einem historischen Wandel unterliegen, dass beispielsweise eine mechanische Objektivität, scheinbar frei vom Eingriff des Experimentators, durch ein Ideal des eingreifenden Experten abgelöst wurde (Galison 1998; Galison, Daston 1992). Beide Facetten haben Binnig und Rohrer innerhalb kurzer Zeit genutzt. 21 | Wiesing verwendet ein durch Anführungsstriche markiertes Zitat Husserls.
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nicht allein durch die Kontrolle des Instruments, sondern durch die Erstellung einer zeichnerischen Übersetzung und die dabei vorgenommenen Glättungen und Interpolationen. Trotz des Wandels der Wahrnehmung zwischen individuellen Linien und Bildobjekt bleiben beide Darstellungen Spielarten von Diagrammen, handelt es sich bei den Linien, ob interpoliert oder nicht, um Grafen. Gemeinhin wird für Grafen hervorgehoben, dass sie mehr Informationen auf einen Blick zugänglich machen können als etwa Zahlenkolonnen in einer tabellarischen Darstellung. Deutlich wird nun bei diesen Diagrammen: Es können in Diagrammen nicht lediglich mehr Quantitäten erfasst werden, sondern auch ein visueller Überschuss erzeugt werden, wie es beim beschriebenen Übergang zur Wahrnehmung einer dinglichen Oberfläche der Fall ist. Für die Darstellungen der ersten beiden publizierten rastertunnelmikroskopischen Bilder Binnigs und Rohrers lässt sich ein Hierarchiewechsel zwischen diagrammatischen und bildlichen Anteilen feststellen, indem im unteren Bild die Grafen den Skalen untergeordnet werden, im Gegensatz dazu im oberen Bild die Grafenschar als Bildobjekt für sich selbst trägt und die Skalen – gleichsam analog zu einem Motiv – in dessen Mitte verlegt sind. Diese Möglichkeit, dass linienhafte Grafen einerseits Skalen zugeordnet sind und sich gleichzeitig zu einer figürlichen Darstellung verdichten, scheint in diagrammatischen Diskussionen bisher ausgeblendet und wird daher im Folgenden in einem kurzen historischen Exkurs weiter exploriert und anschließend an die tunnelmikroskopische Bildpraxis rückgebunden.22 Unter der hier entwickelten Perspektive des figürlichen Bildobjekts und der hierarchischen topologischen Ordnung zwischen maschinell aufgezeichneten Linien und Skalen im Diagramm lassen sich beispielsweise maschinell erzeugte Linienbilder betrachten, wie sie seit Beginn des 19. Jahrhunderts durch Reliefkopiermaschinen Verbreitung fanden. In einem Reliefbild einer Münze lenkt ein Hebel die Erhebungen in seitliche Auslenkungen, die mit einem Stift aufgezeichnet wurden, um. Diese maschinell erzeugten Bilder dienten zur Erstellung eines 22 | Steffen Bogen und Felix Thürlemann haben wohl am deutlichsten artikuliert, Diagramme als eigenständige Darstellungsform aufzufassen und zu ihrer Beschreibung nicht zwischen den beiden Opponenten Bild und Text zu changieren, sondern diagrammatische Merkmale zu bestimmen. Sie gehen von einer Verschränkung von Bildlichkeit und Zuordnungsrelationen aus und sehen ein hierarchisches Verhältnis zwischen unterschiedlichen Zeichen im Diagramm und ihren topologischen Relationen zueinander (Bogen, Thürlemann 2003).
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a
b
c d Abb. II.1.3 a-d: Instrumentell erzeugte Linienbilder mit unterschiedlicher Ausprägung diagrammatischer Formen: a) mittels einer Relief kopiermaschine im Jahr 1840 hergestelltes Bild; b) Oberflächenuntersuchung von Holz durch Gustav Schmaltz 1929; c) Untersuchung eines optischen Gitters durch Young mit dem Topografiner um 1970; d) tunnelmikroskopisches Bild einer Nickeloberfläche (a: Frieß 1993, 187; b: Schmaltz 1929, 1464; c: Young, Ward, Scire 1972, 1001; d: Baro et al. 1984, 1304).
Reliefs beispielsweise einer Münze (Abb. II.1.3 a). Die grundsätzlich quantifizierbare Auslenkung des Hebels wurde nicht vermittelt und dementsprechend finden sich in den Bildern keine Skalen; das Ziel der maschinellen Abrasterung war mit dem Entstehen eines figürlichen Eindrucks erreicht.23 In den Natur- und Materialwissenschaften der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert fanden Reliefkopiermaschinen mit ähnlichem 23 | Zur Geschichte der Maschinenlinien im Bild siehe Frieß 1983.
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Funktionsprinzip Einsatz, vor allem mit dem Ziel der Vergrößerung und der Darstellung von Rauhigkeiten. So untersuchte Gustav Schmaltz im Jahr 1929 Holzoberflächen, indem er sie sowohl mit einer feinen Nadel abrasterte als auch fotografierte. In der Veröffentlichung zu diesen Arbeiten stellte er einzelne abgerasterte Linien den Fotos der untersuchten Oberflächen, aufgenommen unter unterschiedlichem Lichteinfall, gegenüber (Abb. II.1.3 b). Bei dieser Arbeit am Limit der technisch möglichen Vergrößerung gelang es nicht mehr, mehrere Linien in dem Sinne zueinander in Relation zu bringen, dass sich ein Bildobjekt zeigte; auch ließen sich die Rasterlinien nicht in den Fotos lokalisieren und waren nicht als Ausschnitt des Fotos erkennbar. Dafür hinterlegte Schmalz die Rasterlinien mit einem Gitter, das die Darstellung dominierte, und wertete somit den quantifizierenden Charakter der Aufzeichnung auf (Schmaltz 1929). Während das Prinzip des von Schmaltz verwendeten Instruments dem des Rasterkraftmikroskops verblüffend ähnlich war,24 entwickelte Russell Young am US-amerikanischen National Bureau of Standards (dem heutigen National Institute of Standards and Technology) um 1970 mit dem Topografiner ein Instrument, das in seiner Funktionsweise dem Rastertunnelmikroskop vergleichbar war, indem der Strom zwischen einer Spitze und einer flächigen Probe zur Untersuchung von Oberflächenstrukturen genutzt wurde.25 Young gelang es bei der Abrasterung von Repliken optischer Gitter mehrere Scans so in Relation zu setzen, dass das Relief des Untersuchungsgegenstandes als Bildobjekt erkennbar wurde (Abb. II.1.3 c). Damit ging die Reduktion der Achsen zu Maßstäben einher, die die Größenverhältnisse und damit das Auflösungs- und Leistungsvermögen des Topografiners anzeigten. Die Proben, die Binnig und Rohrer tunnelmikroskopisch untersuchten, stellten unterschiedliche Anforderungen an die Methode und so gelang es ihnen in der Frühzeit nicht immer, eine hohe Auflösung und damit eine Verdichtung der Linien zu erzielen. In der publizierten Aufzeichnung einer Untersuchung von absorbiertem Sauerstoff auf einer Nickeloberfläche im Jahr 1984 stehen die einzelnen Linien nicht in unmittelbarer Verbindung und erzeugen nicht den Anblick einer Oberfläche. Dafür schufen Binnig und Rohrer aus Skalen ein rahmendes Äußeres, denen die Grafenschar im Inneren zugeordnet werden konnte (Abb. II.1.3 d). In all ihren publizierten tunnelmi24 | Beim Rasterkraftmikroskop wird die Spur der Spitze nicht wie beim Tunnelmikroskop durch einen konstanten Strom, sondern eine konstante Kraftwirkung zwischen Spitze und Probe bestimmt. 25 | Young, 1972; zur Geschichte des Topografiners siehe Mody 2004a, 44ff.
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kroskopischen Linienbildern, in denen sich der Eindruck einer Oberfläche einstellte und sich ein Bildobjekt hervorhob, reduzierten sie die Skalen und verlegten sie zumeist in das Innere des Bildes. Es ist ein empirischer Befund, dass in der Geschichte der Rasterbilder wie in der frühen Tunnelmikroskopie die Erzeugung eines Bildobjekts – ohne logisch zwingenden Grund – mit einer Reduktion der Skalen einhergeht. Ein visuell dominantes Bildobjekt wird nicht in Konkurrenz zu visuell präsenten Skalen gesetzt, diese finden erst Einsatz, wenn das Zusammenspiel der Linien nicht zur Ausbildung einer figürlichen Form führt. Die Bildpraxis war dabei von dem Bestreben bestimmt, figürliche Bildobjekte zu erzeugen, die sich durch eine „artifizielle Präsenz“ (Wiesing 2005) auszeichnen.
Gestaltung und Deutung tunnelmikroskopischer Aufzeichnungen durch Experimentatoren Diese Bildpraxis des Strebens nach der Hervorhebung eigenständiger Bildobjekte ging für Binnig und Rohrer mit der Frage nach der physikalischen Deutung der Aufzeichnungen einher. Während Binnig und Rohrer die Aufzeichnungen ihrerseits aktiv gestalteten und in Anlehnung an die Gestalt makroskopischer Objekte herrichteten, sahen sie sich doch gleichzeitig mit Kurvenverläufen konfrontiert, deren Interpretation zum Zeitpunkt der Entstehung noch offen war. Diese Offenheit galt für Bildobjekte genauso wie für einzelne Linien: Die Unterschiede in der Rezeption, hervorgerufen durch die Nähe der Linien zueinander, änderten nichts an der entscheidenden Frage, wie Flächen bzw. Linien gleichen Tunnelstroms zu deuten seien. Im Verlauf der Untersuchung von Gold(110)-Oberflächen konnten Binnig und Rohrer auf eine weiter entwickelte Scaneinheit zurückgreifen; deren Dämpfung basierte nicht mehr auf einer durch Supraleitung entkoppelten Scaneinheit, sondern auf der Verwendung einer Federauf hängung und besaß so eine erheblich höhere Stabilität (Binnig et al. 1982c, 59). Einzelne Linien zur Wiedergabe der Spur der Spitze wiesen keine zackigen Verläufe mehr auf, sondern erschienen wesentlich geglätteter. Bezüglich der Probenpräparation konnten sie auf die Erfahrungen von Karl-Heinz Rieger, einem in Rüschlikon tätigen Kristallografen zurückgreifen (Binnig et al. 1982c, 60); die Proben wurden besputtert und auf 600° Celsius erhitzt. Unter solchen Präparationen rekonstruieren die Oberflächen, das heißt, es kommt zu energetisch möglichst günstigen Anordnungen der Oberflächenatome. Diese Anordnung unterscheidet sich von der im isotropen Inneren des
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Festkörpers und führt zur Neuanordnung der obersten Atomschichten, deren Beschreibung sich die Oberflächenphysik zur Aufgabe macht.26 Damit variiert mitunter auch die Größe der Einheitszelle an der Oberfläche – also der kleinsten periodisch wiederkehrenden Einheit – von der Größe der Einheitszelle im Innern des Kristalls. Die Kantenlängen der Oberflächeneinheitszellen werden im Verhältnis zu den Kantenlängen der Einheitszellen im Festkörper angegeben; so stimmt bei einer Au(110)-1x1-Rekonstruktion die Größe der Oberflächeneinheitszelle mit der im Innern überein; im Beispiel der sehr viel komplexeren Si(111)-7x7-Rekonstruktion (vgl. Kapitel III.1) sind beide Kantenlängen der Oberflächeneinheitszelle jeweils siebenmal so lang wie die der Einheitszellen im Inneren des Kristalls. Anfang der 1980er standen in der Oberflächenphysik mehrere Modelle bezüglich der Au(110)-Oberflächenrekonstruktion zur Diskussion, wobei Beugungsverfahren – allen voran LEED-Untersuchungen – ein sogenanntes. Missing-row-Modell nahe legten; demnach kam es an der Oberfläche nicht zu einer einfachen 1x1-Anordnung, in der sich die Oberflächenatome gleichmäßig verteilten, sondern zu Anordnungen, in denen ganze Reihen von Oberflächenatomen frei blieben. Binnig und Rohrer bewegten sich mit ihren tunnelmikroskopischen Gold-Untersuchungen in einem kontrovers diskutierten Feld – im Gegensatz zu den CaIrSn 4-Experimenten war die Oberflächenstruktur der Probe nicht bekannt. Bereits in ihrer ersten tunnelmikroskopischen Publikation präsentierten Binnig und Rohrer neben den CaIrSn 4-Aufzeichnungen auch die Ergebnisse ihrer Gold-Untersuchungen, in denen sich durch die Nähe der aufgezeichneten Linien jeweils der Eindruck von Oberflächenkonturen ergab (Abb. II.1.4). Entsprechend den Ausführungen der letzten Abschnitte beschrieben sie die Darstellungen nicht als „graphs“, sondern als „Au pictures“ (Binnig et al. 1982c, 59). Und sie fügten die Aufzeichnung nicht in ein äußeres Koordinatensystem ein, sondern verlegten Darstellungen der Gitterausrichtungen in die Aufzeichnungen und versahen die Pfeile mit Skalierungen, die laut Bildunterschrift jeweils 10 Ångström entsprachen. Damit sind beide Darstellungen etwa um das Doppelte überhöht. Während im oberen Bild die Verdichtung der Linien den Eindruck von Schattenwurf erzeugt, sind im unteren Bild zu diesem Zweck – wie im oberen Bild 26 | Damit findet in der Physik der Begriff der Oberfläche eine andere Verwendung als in der historischen Bildwissenschaft, in der Oberfläche als das Sichtbare aufgefasst wird, aber nicht die darunter befindlichen Schichten einschließt; beide Bedeutungen finden in dieser Arbeit je nach Kontext Verwendung.
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Abb. II.1.4: Rastertunnelmikroskopische Bilder einer Gold-Untersuchung (Binnig et al. 1982, 59).
zur CaIrSn 4-Kristall-Untersuchung – einzelne Strichelchen von Hand ergänzt. Des Weiteren sind im unteren Bild unterhalb der untersten Scanlinie schwarze Punkte eingetragen, die laut Bildunterschrift die „möglichen Positionen“ von Goldatomen angeben. Damit wird erstmals im Rahmen eines tunnelmikroskopischen Bildes auf die atomare Dimension des Verfahrens und das Potenzial, atomare Anordnungen zu analysieren, verwiesen. Doch in dieser ersten Zusammenführung einer tunnelmikroskopischen Aufzeichnung mit den etablierten symbolischen Darstellungen von Atomanordnungen kommt es zum Fauxpas: Da sich die Punkte in gleichmäßigen Abständen befinden, wie es eine Seitenansicht des kubisch-flächenzentrierten Gitters des Goldes nahe legt, wird die Überhöhung der Scans mit unterschiedlichen Skalen in der Vertikalen und Horizontalen nicht aufgegriffen. Damit existiert ein Bruch im Maßstab zwischen den indexikalischen Linien der tunnelmikroskopischen Aufzeichnung und der symbolischen Darstellung des Kristallgitters darunter. Diese Beobachtung soll nun keinesfalls als Abwertung von Binnigs und Rohrers Leistung missverstanden werden; vielmehr zeigt sich an diesem Punkt die enorme Schwierigkeit, etablierte Darstellungskonventionen mit den Bildwelten eines neuen Verfahrens zu vereinen: Binnig und Rohrer rekurrierten auf die gewohnte symbolische Darstellung des Atomgitters, ohne die Eigenarten des Neuen zu berücksichtigen – daran scheiterte letztlich ihre Auswertung.
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Abb. II.1.5: Rastertunnelmikroskopisches Bild einer Gold-Untersuchung mit atomarer Auflösung; schraffiert, beschnitten und um Pappstreifen ergänzt (Privatbesitz Christoph Gerber).
Aus ihren ersten Bildern leiteten Binnig und Rohrer ab, dass die Oberfläche glatt rekonstruieren würde, wiesen diese Interpretation in ihrer darauf folgenden Veröffentlichung zu Gold-Untersuchungen jedoch selbst als fehlerhaft zurück (Binnig et al. 1983b, L380). In ihren neueren Experimenten, in denen sie nach eigener Vermutung durch die Verwendung besserer Spitzen zu höheren Auflösungen gekommen waren, leiteten sie eine Anordnung der Atome an der Oberfläche in Übereinstimmung mit dem Missing-row-Modell ab und konnten damit an Ergebnisse von Beugungsexperimenten anknüpfen. Auch in dieser Phase zielten Binnig und Rohrer bei der Auswertung und Präsentation auf die Realisierung einer dinglichen Darstellung ab (Abb. II.1.5). Sie schnitten am oberen und am unteren Rand des Ausdrucks des xy-Schreibers an einzelnen Linien entlang und ergänzten unten und links Pappstreifen, um den Eindruck einer räumlichen Ansicht auf einen Körper zu suggerieren. In der Aufzeichnung fügten sie Bleistiftschraffuren hinzu, die den Eindruck von Körperschatten durch die Verdichtung der Linien noch verstärkten. Sie dienten der Auswertung, da im Prozess des Zeichnens die Oberflächenkonturen erschlossen wurden und sich erst durch die Schraffuren ablesen lässt, wo Reihen von Erhebungen verlaufen – die zeichnende Hand fungiert zugleich als denkende Hand (vgl. Bredekamp 2005). Zugleich erzeugen Schatten einen visuellen Mehrwert, da sie anzeigen, dass „etwas“ existiert, was Schatten werfen kann. Der Schatten suggeriert
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Abb. II.1.6: Rastertunnelmikroskopisches Bild und schematische Auswertung einer Gold-Untersuchung (Binnig et al. 1983b, L381).
eine schattenwerfende Ursache und damit die Wahrnehmung einer opaken Oberfläche. Neben den Bleistiftschraffuren fielen auch in den gelben, mit Buntstift vorgenommenen Markierungen von Flächen gleicher Höhe Auswertung und Kommunizierbarkeit zusammen, da so Orte gleicher Höhe erkennbar wurden. Im nächsten Transformationsschritt fotografierten Binnig und Rohrer das so gewonnene Bild auf schwarzem Hintergrund, womit sie auf die Präsentation des Bildes eines freigestellten Körpers mit einer hügelig gewellten Oberfläche abzielten. So erzeugten sie in ihrer zeichnerischen Interpretation Wissen, das im Verlauf der Präsentation und Kommunikation verfestigt, aber durch unterschiedliche, im Folgenden beschriebene Kontexte auch transformiert wurde. In ihrer zugehörigen Publikation in einer Fachzeitschrift wählten sie einen Ausschnitt dieses Bildes, der in Graustufen abgedruckt wurde (Abb. II.1.6). Mit dem Titel „(111) Facets as the Origin of Reconstructed Au(110) Surfaces“ stellten Binnig und Rohrer erstmals nicht die Vorstellung des neuen Instruments, sondern dessen Anwendung und den Erkenntnisgewinn bezüglich der Probe in den Mittelpunkt (Binnig et al. 1983b). In der Aufzeichnung sind einzelne Bereiche der Oberfläche mit den Buchstaben A und B sowie zugehörigen Querschnittslinien indiziert, um Details hervorheben und benennen zu können; links verdeutlicht ein Schema in einer Mischung aus Schnittzeichnung und Aufsicht die abgeleiteten Atomanordnungen, Pfeile zeigen den
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dynamischen Prozess der Atomanordnung im Verlauf der Rekonstruktion an. Das Schema liefert damit die grafische Auswertung der rastertunnelmikroskopischen Aufzeichnung, dass die Atome an der Oberfläche nicht gleichmäßig rekonstruieren, sondern lokal veränderliche Reihen ausbilden. Damit befanden sich die STM-Auswertungen im Einklang mit dem durch LEED-Untersuchungen bereits nahegelegten Missing-row-Modell und Binnig und Rohrer konnten bereits angenommene Abstände der ausgebildeten Reihen bestätigen (Binnig et al. 1983b, L380). Gleichzeitig konnten sie Inhomogenitäten sichtbar machen und so zusätzliche örtliche Informationen liefern, die über die LEED-Ergebnisse hinausgingen. STM und LEED traten in Bezug zueinander, wodurch ein Abgleich tunnelmikroskopischer Ergebnisse mit bekanntem Vorwissen möglich war, andererseits unterschieden sie sich ausreichend, um die tunnelmikroskopischen Experimente als eigenständige Ergebnisse präsentieren zu können. Binnig und Rohrer stellten in ihrer Publikation explizit fest, nicht auf eine Theorie für ein Tunnelexperiment zwischen kleinskaligen, nicht-planaren Strukturen zurückgreifen zu können (Binnig et al. 1983b, L380) und entsprechend in ihren Auswertungen wenig formalisierte Interpretationen zu bemühen. Grundsätzlich lässt sich zusammenfassen, dass sie Erhebungen im Bild, die sie durch die Bleistiftschraffuren hervorgehoben hatten, als Positionen von Atomen deuteten und dafür den Begriff der Topografie als eine allgemeine, qualitative Deutung der Aufzeichnung verwendeten: „In general, the corrugation observed with the STM reflects qualitatively the topography of the surface.“ (Binnig et al. 1983b, L380) Sie definierten diesen Begriff nicht, der seine Problematik in der atomaren Dimension daraus bezieht, dass er die Vorstellung einer definierten Oberfläche suggeriert, die wiedergegeben – und damit abgebildet – werden könnte. Eine solche Vorstellung widerspricht dem Sachverhalt, dass das Tunnelmikroskop erst die Orte gleichen Tunnelstroms erzeugt, anstatt definierte Orte wiederzugeben. Dem entsprechend fanden sich in der Publikation auch andere, relativierende Deutungen dieser Orte: „Essentially, it is closely related to the corrugation of the electron density near the Fermi level in the middle of the vacuum gap, folded with the instrumental resolution. Because of the smoothing effect of the conduction electrons, the corrugations of the core positions are considerably stronger than those observed.“ (Binng et al. 1983b, L380) Hier bringen Binnig und Rohrer zum Ausdruck, dass die Orte gleichen Tunnelstroms grundsätzlich auf Elektronendichten schließen lassen und jeder Rückschluss über die Positionen von Atomen ein vermittelter ist.
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Das Tunnelmikroskop eröffnete neue, zuvor nicht existierende Repräsentationsräume; gleichzeitig etablierten Binnig und Rohrer Bildgestaltungen, die an Sehgewohnheiten der vertrauten, makroskopischen Welt anschlossen. In der Rhetorik von Binnig und Rohrer zeigt sich ihr Wissen um die Notwendigkeit, auf diesen Sachverhalt aufmerksam zu machen: „[…] the middle row is not resolved, be it for insufficient instrumental resolution and/or weak corrugation of the electron density (recall, that the STM tests the corrugation of the wavefunction in the middle of the vacuum gap and not the core corrugation) […]“ (Binnig et al. 1983b, L381; Hervorhebung JH). Diese Notwendigkeit zur Erinnerung der Leser resultiert aus der Gestalt-ung der Bilder: Die vertraute gewellte Oberfläche bringt die Abstraktheit der eingeschriebenen Eigenschaften nicht zum Ausdruck. Während die Publikationsrhetorik in der Fachzeitschrift Surface Science damit von Abwägungen und Relativierungen geprägt war, schlugen Binnig und Rohrer in einem Beitrag in den Physikalischen Blättern einen weitaus eindeutigeren Ton an (Binnig, Rohrer 1983a). Mit ihrem Beitrag in der Mitgliederzeitschrift der Deutschen Physikalischen Gesellschaft wandten sie sich an ausgebildete Physiker und Studierende der Physik und damit an ein Fachpublikum gleichzeitig kam es im Rahmen eines Übersichtsartikels zur didaktischen Reduktion, um die Themen über die Grenzen einzelner Forschungsbereiche hinweg verbreiten zu können. Binnig und Rohrer präsentierten ihre mit Schraffuren und Pappstreifen versehene Aufzeichnung der Gold-Untersuchung als eines von mehreren „mit dem Raster-Tunnel-Mikroskop aufgenommene[r] Bilder“ (Abb. II.1.7; Binnig, Rohrer 1983a, 17). Dieses Bild in schlechter Wiedergabequalität war das erste wissenschaftliche Farbbild in den Physikalischen Blättern überhaupt, was den hohen Status, der dem Bild zugesprochen wurde, verdeutlicht. 27 Zudem verwendeten sie die Rhetorik von der „Topografie einer Au(110)-Oberfläche“ (Binnig, Rohrer 1983a, 17), ohne diesen Ausdruck zu definieren oder zu relativieren, wie sie es in ihrer innerwissenschaftlichen Publikation getan hatten. In ergänzenden Schema-Zeichnungen erläuterten sie ihr Modell der Gold(110)-Rekonstruktion (Abb. II.1.7 unten) und verwiesen damit zugleich auf das Potenzial des STM, zu Fragen nach atomaren Strukturen beizutragen. 27 | Zuvor sind bereits farbige Werbeanzeigen in den Physikalischen Blättern üblich gewesen, was darauf hinweist, dass Farbbilder als Instrumente im Kampf um Aufmerksamkeiten eingesetzt werden und sich wissenschaftliche Bildpraktiken denen aus der Wirtschaft angeglichen haben.
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Abb. II.1.7: In den Physikalischen Blättern publizierte Auswertung zur tunnelmikroskopischen Gold-Untersuchung mit bearbeitetem STM-Bild (vgl. Abb.II.1.8) und Modellen zur Interpretation; die Bildqualität entspricht der Originalpublikation. (Binnig, Rohrer 1983, 17).
Zwischen den Ausführungen in Surface Science und in den Physikalischen Blättern, die sich beide an professionell ausgebildete Physiker wendeten, kam es zu einer signifikanten Ausdifferenzierung in der sprachlichen Ausgestaltung der Präsentation: Während Binnig und Rohrer in Surface Science den Begriff der Topografie verwendeten, ihn gleichzeitig aber durch den Verweis auf quantenphysikalische Interpretationen relativierten, nutzten sie ihn in der Kommunikation in den Physikalischen Blättern selbstverständlich. Im Prozess der Kommunikation wurde damit die Deutung tunnelmikroskopsicher Bilder als Oberflächenabbildung propagiert, die die Bildgestaltung zuließ bzw. nahelegte. Während Binnig und Rohrer in dem Surface ScienceArtikel die Interpretation des Bildes thematisierten und es als Ausgangspunkt für Folgeforschungen präsentierten, setzen sie in den Physikalischen Blättern auf die Evidenz des Bildes.
Funktionsskizzen des Rastertunnelmikroskops Im Folgenden wird beschrieben, wie Theoretiker sich der Deutung der Gold-Untersuchungen annäherten und eine Theorie der Tunnel-
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mikroskopie entwickelten. Zuvor wird nachvollzogen, wie Binnig und Rohrer zunächst mit der Bewerkstelligung dieser Aufgabe auf sich allein gestellt waren und versuchten, das Eigenleben ihres Experimentierens einzuholen.28 Bereits in ihrem Patentantrag aus dem Jahr 1979 beschrieben und skizzierten Binnig und Rohrer das Funktionsprinzip des Instruments und entwickelten damit eine erste Theorie des Tunnelmikroskops, auch wenn diese nicht mathematisch-theoretisch formalisiert war. Sie nutzten eine Skizze, um das Grundprinzip des Abrasterns zu verdeutlichen (Abb. II.1.8). Sie skizzierten die Spitze als rundliche Form über einer Probenoberfläche, die sie als dreidimensionalen, gewellten Körper andeuteten; zur Verstärkung des Raumeindrucks fügten sie ein kartesisches Koordinatensystem hinzu. Eine gewellte, gepunktete Linie führt nahezu tangential an der „Spitze“ entlang, darunter befindet sich in regelmäßigem Abstand eine gestrichelte Linie, die laut Text auf der Probenoberfläche verläuft: „Eine gestrichelte Linie auf der Probenoberfläche deutet den Weg des Fußpunktes unterhalb der Spitze 5 auf der Oberfläche der Probe 4 an. Eine punktierte Linie im Abstand der Vakuum-Tunnelbarriere markiert den Weg der Spitze selbst.“ (Binnig, Rohrer 1984 [1979], 6) In dieser Skizze und Erläuterung zeigt sich das Dilemma, dass die atomare Dimension niemals „richtig“ dazustellen ist: Es wird eine Oberflächenkontur vorgegeben, die auf atomarer Skala nicht existiert bzw. einer Definition bedürfte. Gerade die Korrespondenz zwischen gestrichelter und gepunkteter Linie suggeriert eine Abbildung einer Linie auf der Oberfläche durch die Spur der Spitze, die in dieser Form den bildtheoretischen Status der aufgezeichneten Spur der Spitze grundsätzlich verfehlt: Die Spur der Spitze bildet eben nicht eine vorhandene Oberflächenkontur ab, sondern erst im Experiment wird durch den konstant gehaltenen Tunnelstrom ein Parameter erzeugt, der außerhalb der experiment-ellen Anordnung nicht existiert und keine bestehende Korrespondenz auf der Oberfläche besitzt. Binnig und Rohrer machen auch keinen Versuch, einen Parameter auf der Oberfläche zu benennen, der der gestrichelt gezeichneten Linie entsprechen würde. Vielmehr weisen sie selbst zu Beginn ihrer Erläuterung des Instruments auf die Problematik hin:
28 | Diese Formulierung ist selbstverständlich angelehnt an Ian Hackings bekannt gewordenes Schlagwort vom Eigenleben des Experiments, womit er nachdrücklich auf das Potenzial des Experiments zur Wissensgenerierung hingewiesen hat (Hacking 1996 [1983], 250).
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„Bei Geräten, die noch atomare oder molekulare Bereiche aufzulösen gestatten, kann man eigentlich nicht mehr von einer Abbildung im Sinne eines visuellen Betrachtens sprechen. Dennoch geben solche Geräte genügend Information, die Rückschlüsse auf die Struktur und die Zusammensetzung der Probenoberfläche ermöglicht.“ (Binnig, Rohrer 1984 [1979], 2)
Doch der Charakter des „Rückschließens“ auf Grundlage von „Information“, den Binnig und Rohrer ansprechen, findet in ihren Funtionsskizzen keine Entsprechung. Vielmehr entsprechen diese Skizzen ebenfalls in der Patentschrift befindlichen Beschreibungen, nach denen im Fall örtlich konstanter Austrittsarbeit „die Spitze in einem definierten Abstand allen Unebenheiten und Rauhigkeiten der Probenoberfläche folgt. Der Stellstrom der Höhen-Verstellvorrichtung ergibt so ein getreues Abbild der Oberflächenform. Das ausgewertete Bild des Raster-Tunnelmikroskops ergibt bei konstanter Austrittsarbeit der Probe ein außerordentlich stark vergrößertes Bild der Probenoberfläche.“ (Binnig, Rohrer 1984 [1979], 7) Doch das „getreue Abbild der Oberflächenform“ ist unmöglich, wenn „man eigentlich nicht mehr von einem Abbild sprechen kann“. Damit trat bereits in der ersten Abhandlung über die Rastertunnelmikroskopie, noch zwei Jahre vor der ersten erfolgreichen Messung, im Vermittlungsprozess für Patentanwälte eine terminologische und bildtheoretische Konfusion auf, in der die Herstellung eines Abbildes gegen die instrumentellexperimentelle Erzeugung eines Parameters ausgespielt wird. Dieses Wechselspiel zwischen dem Wissen um die Konstruiertheit und Interpretationsbedürftigkeit tunnelmikroskopischer Bilder und der im Kommunikationsprozess suggerierten scheinbaren Abbildung einer gegebenen Oberfläche sollten die Bildpraxis in der Tunnelmikroskopie über Jahre begleiten. In der ersten Zeitschriftenpublikation zum Tunnelmikroskop veröffentlichten Binnig und Rohrer eine komplexere Skizze (Abb. II.1.9), in der neben einer schematischen Darstellung der Steuerung und der Piezomotoren wiederum die Spitze als geometrisch ideale, runde Form dargestellt war. Die Probe ist im Gegensatz zur Patentschrift nicht gewellt, sondern als glatter Körper mit einer einzelnen scharfen Kante eingezeichnet. Eine mit C bezeichnete Inhomogenität in der Oberfläche ist gleichsam einer Pfütze als Fleck dargestellt. Damit haben Binnig und Rohrer für die Darstellung des Funktionsprinzips wiederum eine Abstraktion gewählt, die keinesfalls eine Messung atomarer Prozesse nahe legt, auch wenn sie in der Publikation das Potenzial des Instruments zur Messung auf „atomarer Skala“ („atomic scale“, Binnig et al. 1982c, 60) hervorhoben.
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Abb. II.1.8: Skizze zum Funktionsprinzip des Tunnelmikroskops aus dem Patentantrag von Binnig und Rohrer 1979 (Binnig, Rohrer 1984 [1979], 3 Bl./1).
Wiederum haben sie auf der Probenoberfläche eine schwarze Linie gezeichnet, die eine definierte Oberfläche markiert und zu der die gestrichelte Linie als Spur der Spitze in Relation gesetzt ist. Die gestrichelte Linie weicht oberhalb der Kante durch ihre abgerundete Form von der Oberflächenkontur ab, was Binnig und Rohrer mit dem Radius der Spitze begründen. Auch oberhalb der Inhomogenität mit veränderter Austrittsarbeit kommt es zu einer Abweichung zwischen der Spur der Spitze und der Geraden auf der Probenoberfläche. „The broken line indicates the z displacement in a y scan at (A) a surface step and (B) a contamination spot, C, with lower work function.“ (Binnig et al. 1982c, 58) Entgegen dieser Beschriftung, die die z-Auslenkung der Spitze gegenüber einer y-Auslenkung anführt und die Spur der Spitze als interpretationsbedürftig darstellt, zeigt die Skizze die Spur der Spitze gegenüber einer Referenzlinie auf der Oberfläche. Zwar kommt es zu einer Abweichung, aber diese misst sich an einem Urbild. Damit lässt auch diese vielfach reproduzierte Funktionsskizze nicht erkennen, dass im Experiment ein neuer Parameter erschaffen wird, sondern bleibt der Relation zu einer gegebenen Oberflächenkontur verhaftet. Zum Zeitpunkt der Patentanmeldung wie auch der ersten Veröffentlichung existierte keine Theorie des Vakuumtunnelns, die das Tunneln zwischen einer Spitze und einer Oberfläche hätte fassen können. In den erläuternden Skizzen versuchten Binnig und Rohrer diese Lücke visuell zu füllen und griffen auf eine Abbildrelation zurück.
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II.1.9: Häufig reproduzierte Funktionsskizze des Rastertunnelmikroskops aus Binnig und Rohrers erster Publikation (Binnig et al. 1982, 58).
Bilddeutungen durch Theoretiker Eine frühe Theorieentwicklung nahmen Jerry Tersoff und D. R. Hamann an den Bell Laboratories in New Jersey vor, die diese auch auf die Gold-Untersuchungen anwandten.29 Während bis zu diesem Zeitpunkt Binnig und Rohrer die Experimente vorangetrieben hatten und sich theoretischer Überlegungen und Deutungen bedient hatten, die sie im Wesentlichen aus der Beschreibung des eindimensionalen Tunnelns durch eine Potenzialbarriere abgeleitetet hatten, stellten nun die beiden Theoretiker Tersoff und Hamann eine Theorie vor, die die Anordnung einzelner Atome auf einer Oberfläche berücksichtigte. Sie kamen zu einer guten Übereinstimmung mit den experimentellen 29 | Binnig und Rohrer befanden sich innerhalb des Labors in Rüschlikon mit den Theoretikern Erich Stoll und Alexander Baratoff im Austausch, die auch zur Theorie des STM publiziert haben (Stoll, Baratoff 1984) und von denen Heinrich Rohrer retrospektiv sagte: „They were more or less our discussion partners.“ (Interview Hessenbruch – Binnig/Rohrer, 9); auf die Rolle Stolls wird noch im Kapitel II.3 eingegangen. Ein Ansatz von Nico Garcia, der aus Madrid in Rüschlikon zu Gast war, wird in Kapitel II.2 kurz vorgestellt. Der Theorie von Tersoff und Hamann wird hier größere Aufmerksamkeit geschenkt, da sie für die Weiterentwicklung der Tunnelmikroskopie prägend war und eine notwendige Voraussetzung zum Verständnis der weiteren in dieser Arbeit vorgestellten STM-Untersuchungen und Interpretationen darstellt.
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Ergebnissen Binnigs und Rohrers, erhöhten damit entscheidend die Glaubwürdigkeit von deren Messungen30 und prägten die Interpretation rastertunnelmikroskopischer Bilder über Jahre. Mit dieser Pionierarbeit führten sie eine Modellbildung ein, deren Grenzen schon bald deutlich werden sollten (vgl. Kapitel III.1; III.3), etablierten aber auch einen neuen Formalismus und Abstraktionsgrad, auf den sich die Experimentatoren in ihren Auswertungen beziehen konnten. Hamann, ein theoretischer Halbleiterphysiker in den Bell Laboratories, war Ende 1982 als Gutachter eines von Binnig und Rohrer bei den Physical Review Letters eingereichten Artikel zu Siliziummessungen (vgl. Kapitel III.1) auf die Tunnelmikroskopie aufmerksam geworden. Schon bald stand ihm der Postdoc Jerry Tersoff zur Seite. Zentrales Element in Tersoffs und Hamanns Theoriebildung zur Tunnelmikroskopie bildete die denkbare Modellierung der abrasternden Spitze als ein unten abgerundeter Kegel mit dem Radius r (Abb. II.1.10; Hamann, Tersoff 1983, 1998). Gleichzeitig nahmen sie für die Probe atomar aufgelöste Berechnungen vor und implementierten damit eine atomare Sichtweise in der Rastertunnelmikroskopie. Die Annahme einer Oberflächentopografie war damit endgültig hinfällig, wie auch Tersoff in einem späteren Lehrbuchbeitrag zur STM-Theorie noch einmal klar formuliert hat: „So long as the features resolved are on the nanometer scale or larger, interpretation of the STM images as a surface topograph (complicated by local variations in workfunction) is generally adequate. But soon after the invention of STM, Binnig et al. reported the first atomic-resolution images. [Verweis auf Binnig et al. 1983a] On the atomic scale, it is not even clear what one would mean by a topograph. The most reasonable definition would be that a topograph is a contour of constant surface charge density. However, there is no reason why STM should yield precisely a contour of constant charge density, since only the electrons near the Fermi level contribute to tunnelling, whereas all electrons below the Fermi level contribute to the charge density. Thus on some level, the interpretation of STM images as surface topographs must fail.“ (Tersoff 1993, 35; Hervorhebung JH) 30 | Interview Hessenbruch – Binnig/Rohrer, 10: „AH: And if we think about the various communities out there who might have doubted your work, to have a theory like this was good? HR: I think that the two theoretical papers [von Tersoff/Hamann und von Garcia (Anm. JH)] changed everything except with a few guys who simply refused to give up the idea that this was nothing but simulation – even after the simulation. GB: Yeah, that’s true.“
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Abb. II.1.10: Modellierung der Spitze als abgerundeter Kegel in der Theorie von Tersoff und Hamann (Tersoff, Hamann 1983, 1998).
Tersoff und Hamann leiteten her, dass jeweils an den Orten der Probe, über denen sich die Spitze befand, elektronische Eigenschaften bestimmt werden konnten, da der Tunnelstrom zu der lokalen Zustandsdichte nahe des Fermi-Niveaus proportional sei (Tersoff, Hamann 1983, 1999; Tersoff, Hamann 1985, 807). Das Modell – also die Vereinfachung – der Spitze ließ die Entwicklung einer Theorie zu, die nicht mehr von einem Tunnelstrom zwischen Spitze und Probe ausging, sondern die Orte gleichen Tunnelstroms alleine als Eigenschaften der Probe beschreibbar machten. Sie leugneten dabei nicht die Abhängigkeit der Aufzeichnung von der Beschaffenheit der Spitze, argumentierten aber, dass in der Praxis diese Beschaffenheit nicht bekannt sei und deshalb eine Theorie vorteilhaft sei, die nur Eigenschaften der Probe beinhalte (Tersoff, Hamann 1985, 805). Lokale Zustandsdichten entsprechen dabei lokalen Aufenthaltsdichten von Elektronen, der Zusatz „nahe des Fermi-Niveaus“ schränkt ein, dass lediglich Elektronen einer bestimmten Energie zum Tunnelstrom beitragen. Hamann und Tersoff führten computergestützte Rechnungen der lokalen Zustandsdichten für die 1x2 und 1x3-Rekonstruktionen der Gold(110)-Oberflächen durch und publizierten Bilder, in denen sie ihre Berechnungen visualisierten (Abb. II.1.11; Tersoff, Hamann 1983, 2000). Sie zeichneten die Positionen der Atomkerne als Kreise und Quadrate und die berechneten Konturen gleicher lokaler Zustandsdichten in unterschiedlichen Abständen von den Kernen ein. Für die gestrichelte Linie merkten sie an, dass sie mit der Spur einer Spitze mit einem plausiblen Radius von 9 Å gleichzusetzen sei. Aus bildtheoretischer Sicht bedeutsam ist das Verschwinden jeglichen Abbildcharakters in der Darstellung Tersoffs und Hamanns. Während Binnig und Rohrer in ihren Funktionsskizzen in der Patentanmeldung (Abb. II.1.8) und in den ersten Publikationen in wissenschaftlichen Journalen (Abb. II.1.9) mangels bestehender Theorie die Spur der Spitze zu einer Oberflächenkontur in Relation setzten, existieren in dem Bild Tersoffs und Hamanns eine Vielzahl von Linien
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Abb. II.1.11: Simulation gleicher lokaler Zustandsdichten einer Gold-Oberfläche; gestrichelt die Berechnung der Bahn einer tunnelmikroskopischen Spitze mit einem Radius von 9 Å (Tersoff, Hamann 1983, 2000).
konstanter lokaler Ladungsdichte, wobei der Spitzenradius darüber entscheidet, welcher dieser Linien die Spur der Spitze entspricht. Keine Korrugation wird als Abbild einer anderen Linie dargestellt; vielmehr wird die Eigenständigkeit jeder einzelnen Linie gleicher lokaler Ladungsdichte hervorgehoben. Tersoff und Hamann stellten auch die Frage, inwieweit die Konturlinien Rückschlüsse auf die Positionen einzelner Atome zuließen, und führten für die 1x3-Rekonstruktion aus, dass eine fehlende Atomreihe unterhalb der obersten Atomschicht zu einer kaum wahrnehmbaren Veränderung der Spur der Spitze führe würde (Tersoff, Hamann 1985, 812). Sie relativierten damit die Deutungen Binnigs und Rohrers, die aus den Aufzeichnungen eindeutige Schlüsse auf die atomare Struktur gezogen hatten. Vor allem relativierten sie damit auch die visuelle Evidenz tunnelmikroskopischer Bilder und machten auf die Notwendigkeit und Möglichkeit zur Interpretation deutlich. Gleichzeitig wiesen sie auch darauf hin, dass für eine Metalloberfläche – im Gegensatz zu einer Halbleiteroberfläche – die Kontur der tunnelmikroskopischen Aufzeichnungen insofern grundsätzlich der Positionen von Atomen folgt, als dass die Präsenz eines Atoms zu einer – mitunter minimalen – Erhebung führt (Tersoff, Hamann 1985, 812). Sie gaben jedoch auch einen Ausblick auf Halbleiter, in denen je nach Polung zwischen Spitze und Probenoberfläche besetzte oder unbesetzte Zustände zum Tunnelstrom beitragen würden, so dass nicht mehr unabhängig von den Messparametern eine Erhebung der Position eines Atoms zugeordnet werden könnte (Tersoff, Hamann 1985, 812; vgl. Kapitel III.1).
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Die Kontextabhängigkeit des Bilderwissens Schon der Vergleich von Binnigs und Rohrers Artikeln in den Physikalischen Blättern und in Surface Science hat gezeigt, welch unterschiedliche Interpretationen tunnelmikroskopischer Bilder in verschiedenen Kommunikationszusammenhängen möglich waren. Nun kam es in den theoretischen Ausarbeitungen Tersoffs und Hamanns zu einer weiteren Ausdifferenzierung. Tersoff und Hamann negierten in ihrem Theorie-Artikel eine Deutung als Topografie – sprachlich, theoretisch und visuell –, und nahmen quantitative Auswertungen und Berechnungen vor. Damit lagen drei unterschiedliche Deutungen vor. Eine Mittelposition nahm der Surface Science-Artikel von Binnig und Rohrer ein: Binnig und Rohrer diskutierten qualitativ die Korrugationen der Spitze und setzten sie in Relation zu Positionen einzelner Atome. Sie verwendeten die Deutung der Topografie und machten doch auch auf die Problematik dieser Deutung aufmerksam. Zudem wiesen sie auf die sich dabei ergebenen quantitativen Widersprüche hin. In ihrem Artikel in den Physikalischen Blättern vertraten sie dagegen eine Interpretation der Darstellung als Topografie. Ihre Gestaltung der Bilder ließ diese Bildverwendungen zu; dem Leser und Betrachter der Physikalischen Blätter wurde ermöglicht, ein Bildobjekt wahrzunehmen, ohne das Gefühl einer defizitären Deutung zu haben. Keine dieser drei Deutungen war „wahr“, doch in der detailliertesten und abstraktesten Deutung, der Theorie von Hamann und Tersoff, lag die größte Betonung auf dem modellhaften, vereinfachenden Charakter. In der größten Vereinfachung, der Deutung als Topografie in den Physikalischen Blättern fand hingegen die eindeutigste Rhetorik Verwendung. Das von Binnig und Rohrer gestaltete Bild war an die unterschiedlichen Abstraktionsgrade der Interpretationen anschlussfähig. Durch die unterschiedlichen Kontextualisierungen und die problematische Verwendung als Abbild verlor es jedoch nie seinen Bezug zu der Messung, vielmehr war im Expertenkreis die Anknüpfung an abstrakte Theorien jederzeit herstellbar und damit die Deutung als Zeichen stets abruf bar.31
31 | Der Medienphilosoph Lambert Wiesing hat darauf hingewiesen, dass der Zeichencharakter keine Eigenschaft eines Bildes ist, sondern dass es sich nur um eine Zuweisung handeln kann, ein Bild als Zeichen zu deuten und es demnach zu denotieren. Damit wendet sich Wiesing gegen Zeichentheoretiker wie Nelson Goodman, die Bilder als Untermenge von Zeichen aufgefasst haben (Wiesing 2005, 26-29).
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II.2 Instrumentelle Bedingungen und Bildstörungen Jedes tunnelmikroskopische Bild ist technisch und instrumentell bedingt: Die Orte gleichen Tunnelstroms, die aufgezeichnet werden, werden erst durch den Betrieb des Instruments hervorgebracht; sie würden ohne dieses Instrument nicht existieren. Doch neben diesem Grundprinzip bedingen zahlreiche Faktoren – technische Komponenten – die aufgenommenen Messwerte und damit letztlich auch die Bilder; beispielsweise speisen zeitabhängige Prozesse in der Rückkopplungselektronik in die Messwerte ein oder es schlagen sich nichtlineare Eigenschaften der Piezomotoren in der Datenerfassung nieder. Solche Faktoren bedingen das Bild, freilich ohne es zu determinieren. Im Folgenden wird mit der abrasternden Spitze exemplarisch eine entscheidende technische Komponente des Instruments skizziert und ihr Status für die Bildpraxis reflektiert. Der hohe Status dieser Komponente zeigte sich bereits in der Theoriebildung von Hamann und Tersoff, die auf der Annahme einer geometrisch einfach beschreibbaren Spitze gründete (vgl. Kapitel II.1). Sie rechtfertigten das einfache Modell einer sphärischen Spitze damit, dass in der Praxis die atomare Struktur der Spitze nicht bekannt sei. Gleichzeitig zeigte sich in der Praxis aber auch, dass die Spitze nicht immer so ideal geformt war, wie es die Modellierung in der Theorie annahm. Solche Unregelmäßigkeiten der Spitze beeinflussen die Messung und zeichnen sich daher im Bild ab. Im Folgenden wird aufgezeigt, dass die Strategien der Tunnelmikroskopiker, diesem Tatbestand Rechnung zu tragen, die Theoriebildung, die Entwicklung von Fingerfertigkeiten, die experimentelle Praxis, die Interpretation von Bildern sowie Publikationsstrategien geprägt haben. Besonderes Augenmerk gilt dem hohen Status von informellem Erfahrungswissen sowie dem Status von Bildstörungen, die sich teils erst als Ergebnis komplexer Auswertungen als solche identifizieren lassen, sich teils aber auch nicht eindeutig klassifizieren lassen.32 Damit erodiert auch die Vorstellung, dass technische Bilder wie die der Rastertunnelmikroskopie eindeutig bestimmbaren, fest vorgegebenen instrumentellen Bedingungen unterliegen würden – denn die Bedingungen ihrerseits stehen zur Disposition.33 32 | Peter Geimer hat in der historischen Bildforschung die Aufmerksamkeit von der Unterscheidung zwischen Fakt und Artefakt hin zu der Frage verschoben, ob und wann eine solche Unterscheidung bezüglich einer Struktur im Bild noch zu treffen sei (Geimer 2002, 341). Diese Sicht fußt auf der grundsätzlichen Dialektik von Fakt und Artefakt im Experiment, vgl. dazu etwa Rheinberger 2003.
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Abb. II.2.1: Modellierung von Spitze und Oberfläche als Wellen unterschiedlicher Amplitude (Garcia, Ocal, Flores 1983, 2002).
Die Mikroskopspitze als unbekannte instrumentelle Komponente Mit ihrer Modellbildung der Spitze als homogener sphärischer Körper (vgl. Kapitel II.1) hatten Hamann und Tersoff eine Hierarchie zwischen Spitze und Probe geschaffen, die die Spitze als Gegebenes und die Probe als Unbekanntes festschrieb, was sich keinesfalls zwangsläufig aus dem physikalischen Funktionsprinzip des Tunnelmikroskops ergibt: so wird immer der Tunnelstrom zwischen Spitze und „Probe“ als Mess- und Steuergröße aufgenommen, beide Komponenten werden im Experiment aneinander vorbeigeführt, die physikalischen Eigenschaften von beiden Komponenten gehen in den Messprozess ein. Anders ausgedrückt: Die Beschaffenheit der Probe und der Zustand der Spitze sind stets Referenten für ein tunnelmikroskopisch erzeugtes Bild. Dementsprechend finden sich in Binnigs und Rohrers frühen Publikationen mitunter Benennungen einer spitzen und einer flachen Elektrode.34 Der Begriff der Probe suggeriert ein eindeutig benennbares hierarchisches Verhältnis zwischen untersuchender und untersuchter Elektrode, der erst durch den Einsatz einer definierten Spitze als beherrschte technische Komponente seine Rechtfertigung 33 | Teile dieses Unterkapitels sind bereits in Hennig 2006a publiziert worden. 34 | In ihren frühen Publikationen zum Vakuumtunneln nutzten Binnig und Rohrers selbst noch Terminologien, die keine eindeutige Zuweisungen einer Probe beinhalteten: „a platinum plate and a Wolfram tip“ (Binnig et al. 1982b, 2075); „tip and plate“ (Binnig et al. 1982a, 178). Mit der Benennung ihrer Apparatur zum Vakuumtunneln als „Mikroskop“ ging eine eindeutige Zuordnung von instrumentellen Komponenten und der Probe einher.
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erhält – ein Idealzustand, der in der Praxis immer wieder entgleitet und mitunter nicht einmal angestrebt wird. In frühen Theorieansätzen – noch vor dem von Hamann und Tersoff – wurden dementsprechend Versuche unternommen, Spitze und Probe gleichberechtigt zu beschreiben. So gründete Thomas Feuchtwang seine Theorie der Tunnelmikroskopie auf einer Faltung zwischen den Eigenschaften der Spitze und der Probe (Feuchtwang, Cutler, Miskovsky 1983). Auch der spanische Theoretiker Nico Garcia, der während der frühen STM-Experimente als Gast in Rüschlikon weilte und in der Frühzeit als wichtiger Ansprechpartner für Binnig und Rohrer fungierte, modellierte in einer der ersten Theorien zum Tunnelmikroskop sowohl die Probe als auch die Spitze gleichberechtigt, indem er beide mittels eines periodischen Profils beschrieb (Abb. II.2.1). Die Periode der Spitze war dabei so groß gewählt, dass benachbarte Maxima nicht koppelten (Garcia, Ocal, Flores 1983, 2002). Auch wenn sich ein solches Modell nicht durchzusetzen vermochte, verdeutlicht es die Denkansätze während der frühen Tunnelmikroskopie, die Beschaffenheit von Spitze und Probe gleichberechtigt in die Theorie der Tunnelmikroskopie einfließen zu lassen. Das Bestreben von Hamann und Tersoff, die Ergebnisse als Eigenschaft der Probe interpretieren zu können, verliert damit seine Selbstverständlichkeit. Während jede tunnelmikroskopische Messung tatsächlich von der Beschaffenheit beider Komponenten abhängt, gelang es in der Praxis, die Spitze grundsätzlich so weit zu kontrollieren, dass die Bildinterpretation der physikalischen Beschaffenheit der Probe gelten konnte – mit der Einschränkung, dass in der Praxis die Frage nach der Beschaffenheit der Spitze jederzeit virulent werden konnte. So stand die Spitze nicht nur im Mittelpunkt theoretischer Beschreibungen, auch den Experimentatoren Binnig und Rohrer war von Anbeginn bewusst, dass der Erfolg der Messungen und das Auflösungsvermögen des Tunnelmikroskops durch die Form der Spitze bestimmt sein würde.35 In der explorativen Frühphase ihrer Experimente, in der sie ohne eine ausformulierte theoretische Beschreibung die Realisierung des Tunnelmikroskops vorantrieben, griffen sie zunächst auf Spitzen der Feldionenmikroskopie zurück, die in einem anderen bildgebenden Verfahren bereits ihre Eignung zur atomaren Auflösung unter Beweis gestellt hatten. Mit diesen Spitzen erzeugte Bilder zeigten jedoch nicht die gewünschte Auflösung der Oberflächen. Binnig und Rohrer interpretierten die Probleme dahingehend, dass die langen, dünnen Spitzen des Feldionenmikroskops 35 | Vgl. Binnigs Eintrag in sein Labortagebuch am 5.1.1979, zitiert in Kapitel II.1.
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für die Verwendung im Tunnelmikroskop zu instabil seien und während des Abrasterns verbiegen würden (Gerber 09/03; Binnig et al. 1982c, 58). Christoph Gerber, der für den Bau des ersten Tunnelmikroskops in den IBM-Werkstätten verantwortlich war, stellte daraufhin mit Hilfe einer Schleifmaschine aus einem Wolframdraht steifere Spitzen her, und tatsächlich gelang damit die Erstellung von Bildern mit erhöhtem Auflösungsvermögen. Das Schleifen als vergleichsweise grobes mechanisches Herstellungsverfahren ließ im Fertigungsprozess keine atomare Präzision und Kontrolle zu, aber die tunnelmikroskopischen Bilder erlaubten den Rückschluss, dass dennoch ein einzelnes unterstes Atom an der Spitze am Tunnelprozess beteiligt sein musste. Erst im tunnelmikroskopischen Bild erwies sich die Spitze als atomar strukturiert, so dass das mechanische Herstellungsverfahren des Schleifens rückwirkend seine Rechtfertigung fand.36 Die Möglichkeit, dass ein einzelnes Atom an einer makroskopisch rauen Spitze für den Tunnelstrom hauptverantwortlich sein kann, liegt in der exponentiellen Abnahme des Tunnelstroms mit zunehmendem Abstand zwischen den beiden Elektroden begründet. Damit trägt etwa ein benachbartes zweites Atom mit geringfügig größerem Abstand zur Probe kaum mehr zum Tunnelstrom bei. In der Folgezeit konnten neben dem Schleifen weitere Herstellungsverfahren mit geringem instrumentellen Aufwand erprobt und angewandt werden, so beispielsweise das Abkneifen eines Drahtes mit einer Zange und das Ätzen in einem Becherglas. Jedes dieser Verfahren, die zum Zeitpunkt ihrer Durchführung keine Kontrolle auf atomarer Skala vorsahen, war auf seine nachträgliche Rechtfertigung durch die Realisierung atomarer Auflösung im tunnelmikroskopischen Bild angewiesen. Und auch wenn ein Verfahren als grundsätzlich geeignet galt, musste im Laboralltag jeder einzelne Tunnelmikroskopiker die notwendigen handwerklichen Schritte einüben und in der Produktion jeder einzelnen Spitze unter Beweis stellen. 36 | Hans-Jörg Rheinberger hat darauf hingewiesen, dass ein mikroskopisches Präparat immer nur Präparat im Vorgriff auf seine Sichtbarmachung sein kann, dass zwischen Präparation und der Vergewisserung des Erfolges dieser Tätigkeit in der Sichtbarmachung eine Lücke klafft (Rheinberger 2003, 13). Die Situation hier ist vergleichbar, da der Erfolg des Schleifens der Spitze sich erst im Nachhinein in der tunnelmikroskopischen Sichtbarmachung zeigt, sie unterscheidet sich jedoch, da die Spitze gemeinhin als Teil des Instruments aufgefasst wird; gleichzeitig ist diese Konstellation wiederum mit Rheinbergers Konzept des Experimentalsystems kompatibel, da technische Komponenten und epistemische Dinge nicht als solche festgeschrieben, sondern variabel sind (Rheinberger 2001a, 27ff.).
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Während die Proben im Anschluss an ihre Präparation mit Methoden der Elektronenbeugung und der Auger-Spektroskopie auf ihre Homogenität und ihre chemische Reinheit überprüft werden konnten und damit vor der Durchführung der Experimente ein Vorwissen über ihre Beschaffenheit bestand, fehlten für die Spitze entsprechende Zwischenschritte. Für sie konnte die Eignung nicht vorab eruiert werden, vielmehr konnte sie sich im Experiment und damit im Wechselspiel mit der Probe immer erst nachträglich zeigen. Trotz der Erfolge der explorativen Spitzenpräparation bestand das Bedürfnis, den Prozess weiter zu kontrollieren. Experimentatoren der ersten Stunde drückten ihr Unwohlsein über die Situation aus, die sie mitunter als „alchemistisch“ (Ringger 1986, 19) und damit als unwissenschaftlich erachteten.
Bemühungen um externe Kontrolle der Spitze Eine Methode, die zu einer Systematisierung bezüglich der Beschaffenheit der Spitze bemüht wurde, war ihre elektronenmikroskopische Untersuchung. Diese konnte zwar Aufschlüsse über den Winkel und Radius der Spitze liefern, nicht aber über ihre atomare Struktur (Abb. II.2.2). Vielmehr zeigte sich, dass Spitzen, die im elektronenmikroskopischen Bild eine wenig ideale Form zeigten, sich im Tunnelmikroskop als atomar spitz und damit als Vollendung einer technisch erstellten Spitze schlechthin erweisen konnten. Hatte Robert Hooke in der Frühzeit der Mikroskopie ideale Spitzen der Natur wie den Stachel einer Biene vergleichsweise unvollendeten Spitzen menschlicher Fabrikation gegenübergestellt (vgl. Krohn 2006, 6; Wendler 2002), zeigte sich gut 300 Jahre später, dass von Menschenhand hergestellte Spitze ultimative Perfektion besitzen konnten. Doch auf diese Perfektion konnte lediglich indirekt durch die Interpretation der STM-Bilder rückgeschlossen werden – und nicht direkt über das elektronenmikroskopische Bild. So konnte die Tunnelmikroskopie auch einer grob geschliffenen Form eine atomare Präzision entlocken, welche der Elektronenmikroskopie verborgen blieb. Während die Vergrößerung des Elektronenmikroskops zunächst hatte zeigen können, dass auch Spitzen vorne abgerundet waren, kehrte sich der Befund nun um, da sich die Auflösung als zu gering erwies, um die letzte Perfektion zeigen zu können.37 In der Praxis bestand der Nutzen elektronenmikroskopischer Untersuchungen der Spitze allerdings nicht in der Verfertigung von Bildern, die das Ideal der Spitzenform zeigten, sondern in der Möglich-
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Abb. II.2.2: Elektronenmikroskopische Bilder tunnelmikroskopischer Spitzen (Demuth et al. 1986, 398).
keit, durch die Erzeugung von Bildern vor und nach dem Einsatz der Spitze im tunnelmikroskopischen Experiment Rückschlüsse auf mögliche Veränderungen in ihrer Beschaffenheit zu ziehen. Dieses Wissen über die Spitze konnte wiederum in die Interpretation tunnelmikroskopischer Bilder eingehen.38 Auch die Feldionenmikroskopie wurde in der Folgezeit erneut für die Tunnelmikroskopie bemüht, obwohl sich die feldionenmikroskopischen Spitzen in der ersten Verwendung in Rüschlikon nicht bewährt hatten. Das Feldionenmikroskop hatte Erwin Wilhelm Müller (19111977) mit seinen Kollegen an der Penn University aus Experimenten mit dem Feldemissionsmikroskop, die er am Fritz-Haber-Institut in Berlin begonnen hatte, entwickelt.39
37 | In einer anderen Konstellation des Wechselverhältnisses von Spitzenverfeinerung und Mikroskopie wurden im 19. Jahrhundert mittels Spitzen mikroskopische Testobjekte verfertigt, die mitunter das Auflösungsvermögen der Mikroskope überstiegen, vgl. Ditzen 2007. 38 | Im Rahmen von Interviewterminen und Laborbesuchen wurde der hohe Status elektronenmikroskopischer Bilder der Spitze im Forschungsalltag immer wieder deutlich, beispielsweise bei der Sichtung von Labortagebüchern, in die solche Bilder eingeklebt wurden. 39 | Eine bild- und wissenschaftshistorische Aufarbeitung des Feldionenmikroskops scheint noch auszustehen und das Bewusstsein für dieses Instrument bei Physikern ausgeprägter zu sein als bei Vertretern der Wissenschaftsforschung. So hat der Nanowissenschaftler Eric Heller auf der historisch ausgerichteten Tagung „Imaging Nanospace“ (Zentrum für interdisziplinäre Forschung an der Universität Bielefeld, 11.-14. Mai 2005) darauf hingewiesen, dass er die Feldionenmikroskopie gegenüber der Rastersondenmikroskopie durch die Schwerpunktlegung der Wissenschaftsforschung für unterrepräsentiert hält.
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Abb. II.2.3: Schema zur Erläuterung des Funktionsprinzips eines Feldionenmikroskops (Müller, Tsong 1969, 2).
Das Funktionsprinzip des Feldionenmikroskops lässt sich anhand einer Funktionsskizze von Tien Tzou Tsong erläutern (Abb. II.2.3), der in den 1960er Jahren im Labor von Müller arbeitete und durch Lehrbücher zur Verbreitung und Kanonisierung der Methode beitrug. Die mit „Specimen“ bezeichnete spitzenförmige Anode befindet sich in einer Kammer, die mit dem sogenannten Abbildungsgas gefüllt ist. Die Atome des Gases werden an der Spitzenoberfläche entweder polarisiert oder aber bei geeigneter Abstimmung zwischen der Temperatur, den physikalischen Eigenschaften des Abbildungsgases und der angelegten Spannung ionisiert. Solche Ionisationen finden zuerst an Orten der größten Feldstärke und damit an den herausstehenden atomaren Stufen und Einzelatomen der Spitze statt. Die dort positiv ionisierten Atome – in der Skizze mit „+“ gekennzeichnet – bewegen sich radial zum Fluoreszensschirm und werden dort bei ihrem Auftreffen sichtbar. Eine Feldionenmikrografie 40 (Abb. II.2.4) zeigt demnach Spuren der einfallenden Ionen, deren Verteilung durch Feldvariationen an der Spitze bestimmt ist. Diese Feldvariationen sind wiederum von der atomaren Struktur der Spitze abhängig, so dass sich in einer Feldionenmikrografie eine Vermittlung dieser Struktur zeigt. Trotz dieser Vermittlungsschritte wurde das Feldionenmikroskop als erstes Instrument zur direkten Sichtbarmachung atomarer Strukturen gefeiert, 41 da es sich von Beugungsmethoden abhob, die Spuren im reziproken Raum erzeugen (vgl. Kapitel III.1). 40 | Der Begriff ist im Deutschen nicht gebräuchlich, doch ist er einerseits an den englischen Begriff „Field Ion Micrograph“ angelehnt und wird gleichzeitig dem Einschreibungscharakter der Methode gerecht. 41 | So lautet der erste Satz in dem Lehrbuch von Müller, Tsong: „Field ion microscopy is the only means known today for viewing directly [Hervorhebung JH] the atomic structure of solid surfaces in atomic detail.“ (Müller, Tsong, 1969, 1); im historischen Überblick des aktuellen Standard-Lehrbuches heißt es: „In 1956, the field ion microscope enabled extensive details of the atomic structure of the solid surface to be seen directly [Hervorhebung: JH] for the first time.“ (Miller et al. 1996, 3)
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Abb. II.2.4: Typisches feldionenmikroskopisches Bild aus einem Lehrbuch (Müller, Tsong 1969, 5).
Im Vergleich der Prinzipien von Feldionenmikroskop und Rastertunnelmikroskop lässt sich für beide Verfahren eine feine Spitze als Voraussetzung zur Bildgebung mit atomarer Auflösung konstatieren. 42 Während jedoch im FIM die Spitze gleichzeitig als Anode einen Teil des Instruments als auch das einzig mögliche Untersuchungsobjekt darstellt, wird in der Tunnelmikroskopie versucht, über die Wechselwirkung zwischen Spitze und Probe Informationen über die Probe zu erhalten. Zum Zeitpunkt der Entwicklung des Tunnelmikroskops zu Beginn der 1980er Jahre war die Forschungsgemeinschaft der Feldionenmikroskopie überschaubar. Dies lässt sich durch die begrenzte Anwendbarkeit der Methode, die auf die Untersuchung der atomaren Struktur von Spitzen beschränkt blieb, begründen, aber auch als Folge der Haltung von Erwin Müller, der wenig an der Verbreitung der Methode interessiert war und vielmehr auf die Ausbildung eines Herrschaftswissens im eigenen Labor setzte (vgl. Mody 2004a, 43). Binnig und Rohrer verfolgten für die Tunnelmikroskopie die entgegengesetzte Strategie und trugen auf Tagungen und in Kolloquien über die Methode vor, sie suchten den informellen Austausch, arbeiteten mit Gästen im Labor in Rüschlikon, und auf Reisen verhalfen Gerd Binnig 42 | Selbstverständlich erfordern auch andere Mikroskope mit atomarer Auflösung eine feine Spitze in unterschiedlicher Konfiguration, so etwa das Elektronenmikroskop, das Rasterkraftmikroskop und das Optische Nahfeldmikroskop.
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und Christoph Gerber in so manchem Labor der Tunnelmikroskopie zum Durchbruch. 43 Im Bell Laboratory, das traditionell in Konkurrenz zu IBM-Laboren stand, war die Nachricht über das Tunnelmikroskop aus Rüschlikon zunächst mit großer Skepsis aufgenommen worden; auch hier wendete eine Präsentation Rohrers die Stimmung (Mody 2004a, 136). Dieser Vortrag gab den Anstoß für Wissenschaftler an den Bell Laboratories, auch in Murray Hill in die Tunnelmikroskopie einzusteigen, wo sie sich wie an keinem anderen Ort sonst auf ein Netz von Expertisen in der Festkörper-, Oberflächen- und Halbleiterphysik stützen konnten. Zu dieser ersten Generation von Bell-Tunnelmikroskopikern gehörten Young Kuk und P. J. Silverman, die eine Kombination aus Tunnel- und Feldionenmikroskop bauten, um die Spitze des Tunnelmikroskops feldionenmikroskopisch überprüfen zu können. Dazu konnte die Spitze in zwei unterschiedlichen Modi betrieben werden: im STM-Modus durch Anlegen einer Spannung zwischen Spitze und einer Probe oder im FIM-Modus mit Feldionisation in einer Gasatmosphäre und entsprechender Sichtbarmachung der Ionenverteilung auf einem Schirm. Zur experimentellen Voruntersuchung und Bestimmung der Probe integrierten sie ein LEED und ein Auger-Spektroskop in die Apparatur. In dieser Kombination von vier Methoden lässt sich das Tunnelmikroskop als zentrales Instrument auffassen, dessen zwei wesentliche Komponenten Spitze und Probe jeweils gleichberechtigt durch jeweils spezifische Instrumente – FIM für die Spitze bzw. LEED und Auger für die Probe – untersucht werden konnten. In der ersten Publikation von Kuk und Silverman galt die Aufmerksamkeit allerdings kaum der Beschaffenheit der „Probe“, sondern richtete sich auf die Spitze. 44 Kuk und Silverman kombinierten Bilder aus den zwei unterschiedlichen Modi mit einer schematischen Skizze der Spitze (Abb. II.2.5). In dem Schema symbolisieren Kreise die Anordnung der Atome an der Spitze: Sechs spiegelsymmetrisch angeordnete, schraffierte Kreise verdeutlichen laut Text die oberste Atom43 | Gespräch an der Universität Basel mit den Tunnelmikroskopikern Mayer, Güntherodt, Gerber, Hidber; Güntherodt erzählte – sicherlich überspitzt –, wie sich Mitte der 1980er Jahre anhand der Nachrichten aus verschiedenen Laboren über den Durchbruch in der Tunnelmikroskopie die Reiseroute Binnig und Gerbers nachzeichnen ließ und spielte damit auf den Status von Laborbesuchen an. 44 | Im Folgenden wird die Bildstrategie ihrer ersten Publikation (Kuk, Silverman 1986) in den Applied Physics Letters diskutiert; die Argumente sind übertragbar auf ihre spätere, etwas ausführlichere Publikation in einem Tagungsband (Kuk, Silverman 1988).
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schicht (Kuk, Silverman 1986, 1598), zwei gestrichelte Kreisen symbolisieren Atome, die zu erwarten gewesen wären, aber laut Interpretation des feldionenmikroskopischen Bildes durch Kuk und Silverman zu fehlen schienen. Geschlossene Kreise symbolisieren die Positionen einer darunter befindlichen Atomschicht. 45 Das Schema interpretiert das feldionenmikroskopische Bild, indem es Vorwissen über die mögliche atomare Anordnung einbringt und eine symmetrische Anordnung der Atome nahe legt. 46 Das isolierte FIM-Bild hätte ohne die Autorität der Zeichnung durchaus als Nachweis einer Asymmetrie gesehen werden können. Die ungleichmäßig angeordneten, hellen Bereiche wurden erst durch das Diagramm als geordnete Atomstruktur kommunizierbar. 47 Die Eignung der feldionenmikroskopisch definierten Spitze für die Tunnelmikroskopie zeigten Kuk und Silverman in der Erstellung eines tunnelmikroskopischen Linienbildes (Abb. II.2.5 unten). Die hellen Linien auf dunklem Grund als Ergebnis einer tunnelmikroskopischen Messung, die auf einem Oszilloskopschirm sichtbar gemacht wurde, sind zu regelmäßigen Wellen angeordnet und finden aufgrund einer 5-fachen Überhöhung des Bildes ihre Ausprägung (vgl. Kuk, Silverman 1986, 1598).Das STM-Bild steht nach Aussage der Autoren in Einklang mit den LEED-Untersuchungen der Probe, die nicht publiziert wurden. Die zentrale Aussage der Bildzusammenstellung liegt im Einklang der Bilder, die allesamt Ordnung und Kontrolle ausdrücken. Das Diagramm bändigt das feldionenmikroskopische Bild, die Überhöhung des tunnelmikroskopischen Bildes lässt eine geordnet, harmonisch gewellte Struktur erkennen. Die Kohärenz zwischen den Methoden entsteht nicht durch die Hervorbringung ähnlicher Formen oder Strukturen, sondern in der Kategorie der Ordnung. Während Kuk und Silverman angaben, dass sich die Spitze durch Scans im tunnelmikroskopischen Modus nicht verändert habe und dies im FIM-Modus beobachtbar gewesen sei (ebd.), stellten sie sehr wohl eine Veränderung der Struktur der Spitze fest, wenn sie einen kurzzeitigen erhöhten Spannungsimpuls anlegten. Solche Impulse gehörten zur Routine der Tunnelmikroskopie für den Fall, dass eine 45 | Zur symbolischen Darstellung von Atomen durch Kreise vgl. Kapitel IV.1. 46 | Ähnlich hat Michael Lynch in einer Untersuchung zum Verhältnis von Fotografie und Diagramm in der Biologie gezeigt, dass Diagramme nicht allein als Vereinfachung dienen, sondern mitunter erst im Zusammenspiel beider Repräsentationsformen Phänomene erschlossen werden (Lynch 1991, 216ff.) 47 | Ähnliche Bezüge wie hier zwischen Diagramm und STM-Bild beschreibt Michael Lynch zwischen Diagrammen und Fotos in der Biologie (Lynch 1990, 157ff.).
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Abb. II.2.5: Bildzusammenstellung mit einer schematischen Darstellung der atomaren Struktur einer Spitze, feldionen- und tunnelmikroskopischem Bild, Pfeil zur Verdeutlichung der Scanrichtung und Ausrichtung der Gold-Oberfläche (Kuk, Silverman 1986, 1598).
Veränderung der Spitze im tunnelmikroskopischen Bild beobachtet worden war, und sollten dem Säubern bzw. der Rekonfiguration der Spitze dienen (Kuk, Silverman 1986, 1598; Heckl 07/03; Schweizer 10/03). Kuk und Silverman veröffentlichten auch zur Beschaffenheit der Spitze nach einem solchen Spannungsimpuls eine Zusammenstellung aus einem FIM- und einem STM-Bild (Abb. II.2.6). Das feldionenmikroskopische Bild zeigt eine unregelmäßige Anordnung heller Flecken, die nach Kuk und Silverman keine Rückschlüsse auf die atomare Struktur der Spitze zuließ (Kuk, Silverman 1986, 1598). 48 Dementsprechend zeigten sie in diesem Fall kein korrespondierendes Diagramm, da das Chaos des feldionenmikroskopischen Bildes ein solches Ordnung schaffendes Schema nicht zuließ. Die Unordnung im FIM-Bild fand keine Bändigung im Diagramm. Das zugehörige tunnelmikroskopische Bild zeigt im Vergleich zum Bild mit klar strukturierter Spitze deutlich weiter auseinanderliegende Linien, die Wellenstruktur ist weniger klar angeordnet und das Ergebnis einer 25-fachen Überhöhung. Wieder korrelieren die Bilder der beiden Methoden, diesmal durch die Zunahme der Unordnung gegenüber den vorhergehenden Bildern. Gleichzeitig werteten Kuk und Silverman die Heuristik, mit einem Spannungsimpuls eine Säuberung der Spitze vorzunehmen, ab. In ihrem Anspruch auf Ordnung und Kontrolle hielten sie eine solche, auf Erfahrungen und Fingerfertigkeiten basierende Methode für wenig wissenschaftlich und drückten am Ende ihres Artikels die Erwartung baldiger Besserung 48 | Eine solche Überhöhung ist eine ästhetische Entscheidung, durch die die Kurvenverläufe überhaupt erst erkennbar werden und durch die es gleichzeitig zu einer Annäherung an Schönheitsideale der gewellten Linie kommt; zur Ausprägung dieses Ideals siehe Vogelsang 2006.
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Abb. II.2.6: Bildzusammenstellung eines feldionen- und eines tunnelmikroskopischen Bildes nach einer Veränderung der Spitze durch den Betrieb (Kuk, Silverman 1986, 1598).
aus: „It is expected that further studies of this type will replace the empirical nature of present STM lore with a more fundamental scientific understanding of the tunneling tip’s role.“ (Kuk, Silverman 1986, 1599). Die Vorhersage von Kuk und Silverman sollte sich nicht erfüllen, da die wenig formalisierten, auf einfachem instrumentellem Aufwand beruhenden Methoden der Spitzenpräparation sich weiterhin als erfolgreich erweisen sollten. Die Nutzung der Feldionenmikroskopie wurde nur in Laboren weiter verfolgt, in denen ausreichend Kapazitäten zur Verfügung standen, um unterschiedliche methodische und instrumentelle Ansätze parallel verfolgen zu können, wie etwa in Rüschlikon. Heinrich Rohrer wusste von feldionenmikroskopischen Experimenten im Labor von Gert Ehrlich in Illinois, einem der Pioniere der Feldionenmikroskopie. Dort konnten einzelne Atome aus der Gasphase an der Spitze adsorbiert und kontrolliert werden. Rohrer konnte den bei Ehrlich tätigen Postdoc Hans-Werner Fink für die Rüschlikoner STM-Gruppe gewinnen. Fink baute nach seiner Ankunft in Rüschlikon 1984 in Kooperation mit der Werkstatt, ähnlich wie Kuk und Silverman es in den Bell Laboratories realisiert hatten, eine Kombination aus STM und FIM (Fink 11/04). Für den Betrieb verfolgte Fink gleichwohl weitergehende Ziele, die an seine Experimente in Illinois anknüpfen sollten: Er plante nicht lediglich die Kontrolle der Spitze mittels der Feldionenmikroskopie, sondern die Verfertigung von Spitzen mit atomarer Präzision, indem er einzelne Atome aus dem Gas der feldionenmikroskopischen Kammer an der Spitze platzierte (Fink 11/04). Im Rahmen dieser Zielsetzung schuf Fink im feldionenmikroskopischen Modus zunächst durch Feldverdampfung Spitzen mit einem aus lediglich drei Atomen bestehenden Plateau, um dann in einem nachgelagerten Schritt durch Anlegen eines entsprechenden
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Abb. II.2.7: Bildreihe aus feldionenmikroskopischen Bildern einer atomar feinen Spitze (unten) und Fotos eines zugehörigen Modells aus Glaskugeln (oben) (Fink 1986, 464).
Feldes ein weiteres einzelnes Atom aus der Gasphase auf diesem Trimer zu platzieren. Er hatte die Kontrolle über den Bau einer ultimativ filigranen Spitze erlangt, eine Skulptur atomarer Präzision geschaffen – doch es war nicht leicht, diesen Erfolg visuell zu kommunizieren. Fink präsentierte seine Ergebnisse in Form von Reihen feldionenmikroskopischer Bilder, in denen er den schrittweisen Auf bau einer solchen Spitze zeigte bzw. umgekehrt den ebenso möglichen Rückbau durch die Entfernung einzelner Atome (Abb. II.2.7). Er kombinierte seine Bildreihe mit Fotos von Glaskugeln, die Modelle der Spitze bzw. einzelner atomarer Schichten zeigten. In dem ersten Bild oben links sind die zu einer Pyramide angeordneten Kugeln mit einer goldenen Kugel gekrönt, im Bild rechts daneben sind die obersten drei Atomschichten durch einzelne Kugeln symbolisiert, nebeneinander ausgebreitet und spotartig beleuchtet. Finks Erfolge im Spitzenbau erfuhren durchaus Aufmerksamkeit in der Downstream-Kommunikation; so räumte Calvin Quate aus Stanford seinen Experimenten in einem Übersichtsartikel zur Tunnelmikroskopie in Physics Today breiten Raum ein, auch als Fink die Platzierung eines vordersten Atoms noch nicht gelungen war (Quate 1986, 29-31). Nachdem Fink dann auch mit einem letzten Atom die Spitze hatte krönen können, fertigte IBM einen Film an, für den ein weiteres Glasmodell der Spitze hergestellt wurde (Abb. II.2.8; Fink 11/04). 49 Doch während den Modellen dieser
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Abb. II.2.8: Glaskugelmodell einer feldionenmikroskopischen Spitze (IBM-Labor Rüschlikon).
atomgenau gefertigten Spitze durch die entsprechende Beleuchtung ein magischer Glanz verliehen wurde, blieb Fink der erhoffte Durchbruch durch die Anwendung in der Tunnelmikroskopie verwehrt. Zeitnah zu seinen experimentellen Erfolgen erhielten Binnig und Rohrer den Nobelpreis und Fink sah seinem Projekt dadurch den „Wind aus den Segeln genommen“ (Fink 11/04). Binnig und Rohrer hatten den Physik-Olymp auch mit den schlichten Mitteln und explorativen Methoden der Spitzenerstellung erklimmen können, was den Bedarf an komplementären und vor allem weit aufwendigeren Verfahren enorm schmälerte. Zudem gelang es Fink nicht, den konkreten Nutzen seines Ansatzes nachzuweisen, da es ihm beispielsweise nicht glückte, reproduzierbare feldionenmikroskopische Bilder der Spitze vor und nach dem rastertunnelmikroskopischen Rastern zu erzeugen. Stattdessen sah die Spitze nach rastertunnelmikroskopischen Experimenten „immer ziemlich katastrophal aus“ (Fink 11/04). Trotz der Vorschusslorbeeren und der großen Hoffnungen, die in Finks Experimente gesetzt worden waren, und trotz seines Teilerfolgs, Spitzen mit atomarer Präzision produzieren zu können, waren seine Experimente 49 | Dass ein solcher Film durchaus wissenschaftsintern verbreitet und rezipiert wurde, zeigt seine Erwähnung in einem innerwissenschaftlichen Review-Artikel (Hansma, Tersoff 1987, R9).
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in der Tunnelmikroskopie nicht mehr nachgefragt. Er erkannte die Situation und wechselte den Anwendungsbereich seiner Spitzen, indem er sie als Quelle kohärenter Elektronen für holografische Verfahren erfolgreich einsetzte (Fink 11/04) und er seinen Vorsprung in der Spitzenpräparation dort auszunutzen wusste. Auch persönliche Vorlieben und der von Binnig mit Rohrer und Gerber gepflegte Experimentierstil mögen der weiteren Verbreitung des feldionenmikroskopischen Ansatzes im Weg gestanden haben. Binnig und Gerber, der stärker noch als Rohrer in die tägliche Experimentierpraxis involviert war, favorisierten explorative Ansätze unter Verwendung einfacher Mittel, in die sich die auf Fingerfertigkeiten beruhende handwerkliche Fertigung der Spitzen gegenüber der Nutzung eines instrumentell aufwendigen Verfahrens einreihte. Dass mit dem Einsatz handwerklich einfacher Methoden sogar kokettiert wurde, zeigt sich in der hämischen Überschrift eines Artikels von Finks IBM-Kollegen Erich Stoll: „Why Do ‚Dirty‘ Tips Produce Higherresolution Images when Grafite is Scanned in a Scanning Tunneling Microscope?“ (Stoll 1988) Stoll führte aus, dass Grafitschichten, die sich an geätzten Spitzen gleichsam als Verunreinigung bildeten, gerade die notwendigen elektronischen Eigenschaften zur hochaufgelösten Messung von Grafitoberflächen boten, diese Verunreinigungen den im Vakuum hergestellten Metallspitzen jedoch fehlten (ebd.). Dass atomare Präzision mit schmutzigem Werkzeug erzielt werden konnte, suggerierte eine Verwegenheit gegenüber der Verwendung aufwendigerer Techniken aus der Vakuumphysik. So setzte sich die Möglichkeit, durch die Kombination von Feldionen- und Rastertunnelmikroskopie Spitzen mit äußerster Präzision für die Tunnelmikroskopie zur Verfügung zu stellen, nicht dauerhaft und in breiter Anwendung durch (Fink 11/04, Gespräch Stroscio 02/04).50 Doch obwohl der eingeschlagene Pfad, Feldionenmikroskopie einzusetzen, sich retrospektiv lediglich als Seitenweg in der Entwicklung der Tunnelmikroskopie erweisen sollte, trug er doch zur Verbreitung und Etablierung der Methode bei. Forscher wie Kuk und Silverman konnten tunnelmikroskopische und feldionenmikroskopische Bilder in Relation setzen, die Kohärenz beider Methoden 50 | Vereinzelt kommen bis heute solche Gerätekombinationen vor, beispielsweise in dem in Kapitel III.3 thematisierten STM-Labor von Don Eigler im IBM Labor Almaden (E-Mail von Don Eigler an den Verfasser vom 6.12.2005). Im National Institute for Science and Technology bei Washington habe ich eine von Joseph Stroscio aufgebaute STM-Hochleistungsanlage besichtigen können, in deren Vakuumkammer ebenfalls ein FIM zur Untersuchung der Spitze integriert war.
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demonstrieren und damit zur Einbettung des Tunnelmikroskops in ein Netz komplementärer Methoden beitragen. Die Verbreitung der skills zur Spitzenherstellung mit einfachen Hilfsmitteln geschah kaum mittels systematischer Publikationen. Einerseits sicherlich infolge der grundsätzlichen Schwierigkeit, durch Übung erworbene Geschicklichkeit zu verbalisieren,51 andererseits galt die Herstellung der Spitzen wohl auch als Erfolgsgeheimnis, das nicht preisgegeben werden sollte und musste, da die tunnelmikroskopischen Bilder als Referenz für die Qualität der Spitzen dienten.52 Neben der Spitzenfertigung etablierten sich auch zur Spitzensäuberung Prozeduren, die auf Erfahrungswissen beruhten. Während Kuk und Silverman zu zeigen versucht hatten, dass ein kurzzeitig erhöhter Spannungsimpuls zu einem Ordnungsverlust an der Spitze führt, erwies sich in der alltäglichen Laborpraxis ein solcher Spannungsimpuls als erfolgreiche Strategie zur Säuberung der Spitze. Dieser Impuls konnte durch das Drehen an einem Potentiometer erzeugt werden und veranlasste Tunnelmikroskopiker mitunter sogar zum Betrieb halbanalog gesteuerter Instrumente, anstatt rein digitale, über die Tastatur gesteuerte Instrumente zu verwenden (Heckl 02/06). In der scheinbaren so einfachen Drehbewegung eines kleinen Knopfes zwischen zwei Fingern, die sich am Widerstand des Potentiometers orientiert, kommt die Notwendigkeit zur manuellen Interaktion mit dem Instrument zum Ausdruck. Sie ist ebenso Teil tunnelmikroskopischer Bildpraxis wie die visuelle Überprüfung des Erfolges dieser Strategie, der sich an der Veränderung der Bilder vor und nach einem solchen Spannungsimpuls bemisst.
Die Spitze im Bild Während die Schulung von Fingerfertigkeiten, wie sie zur Spitzenpräparation notwendig sind, kaum durch Publikationen erfolgte, kam 51 | Harry Collins brachte diese Problematik auf den Punkt: „The Major point is that the transmission of skills is not done through the medium of the written word.“ (Collins 1982, 54) 52 | Einer der wenigen zu diesem Thema publizierten Artikel erschien von Allan Melmed, einem der Pioniere der Feldionenmikroskopie und frühen Mitarbeiter von Erwin Müller, unter dem bemerkenswerten Titel „The Art and Science and other Aspects of Making Sharp Tips“ (Melmed 1991) – bemerkenswert, weil in naturwissenschaftlichen Fachveröffentlichungen den Aspekten von wörtlich zu nehmender ‚Handwerkskunst‘ kaum Raum eingeräumt wird.
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Abb. II.2.9 (entspr. Abb. II.1.3d): Tunnelmikroskopisches Bild einer Nickel-Oberfläche mit höherer Auflösung im unteren Teil als im oberen (Baro et al. 1984, 1304).
es durchaus zur Veröffentlichung von Bildern, anhand derer die Einflüsse dieser Praktiken deutlich wurden. So lässt sich das bereits im Zusammenhang der Graf/Bild-Thematik diskutierte Bild einer Untersuchung von absorbiertem Sauerstoff auf Nickel auch im Kontext des Einflusses der Veränderlichkeit der Spitze sehen (Abb. II.2.9): Während im unteren Teil des Bildes Kurven mit ausgeprägten einzelnen Maxima zu sehen sind, die Binnig und Rohrer als Merkmale einer atomaren Auflösung deuteten, finden sich in der oberen Hälfte der Aufzeichnungen keine solch klar definierten Strukturen. Diesen Wechsel in der Auflösung beim Scannen von unten nach oben interpretierten Binnig und Rohrer als Veränderung an der Spitze beim Abrastern der Probe (Baro et al. 1984, 1304). Zweifaches Vorwissen lag diesem Schluss zugrunde: die Erfahrung, dass Veränderungen der Spitze auftreten können, sowie Vorkenntnisse über die konkrete Probe, die die Experimentatoren zunächst durch Ionenbeschuss und Ausglühen präpariert und gereinigt hatten, um sich anschließend mittels Auger-Spektroskopie und Elektronenstreuung (LEED) von der Reinheit und Homogenität der Probe zu vergewissern (Baro et al. 1984, 1304). Auf Grundlage dieses Vorwissens ließ sich schließen, dass nicht eine Inhomogenität der Probe im oberen Teil für die im Bild schwächer ausgebildeten Strukturen verantwortlich zeichnete, sondern eine Veränderung der Spitze. Ihr Zustand wurde als variabler angenommen als der der Probe. In der Störung erhielt das Herstellungsverfahren seine Präsenz im Bild. Dass die Gruppe um Binnig und Rohrer diese Präsenz auch in die Veröffentlichung übernahm, ist als aktive Entscheidung und damit als Bildstrategie anzusehen. Binnig und Kollegen zeigten sich wahrlich nicht zurückhaltend in der Bildbearbeitung und auch die Wahl von Ausschnitten gehörte in ihr Repertoire. So wäre auch im
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Fall dieses Bildes eine Auswahl des unteren Teils des Bildes möglich gewesen. Während in der Frühzeit solche Störungen aufgrund der Veränderung der Spitze in die Publikationen aufgenommen wurden, verschwanden sie in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre weitestgehend aus den Veröffentlichungen. Sie wurden von einem Bildideal abgelöst, in dem geglättete Darstellungen jeglichen Verweis auf den Herstellungsprozess verdrängten. Da aber die Verwendung fehlerhafter oder verschmutzter Spitzen weiterhin unausweichlich fester Bestandteil des Laboralltags war, fielen nun Labor- und Publikationspraxis auseinander. Es blieb für Tunnelmikroskopiker nach wie vor unabdingbar und problematisch zu interpretieren, ob sich die Spitze während des Experiments verändert hatte und ob möglicherweise Strukturen, die sich im Bild zeigten, solchen Veränderungen zuzuschreiben seien. Die Wissenschaftshistoriker Peter Galison und Lorraine Daston haben mit ihren Arbeiten ein Bewusstsein für den historischen Wandel von Idealen der Objektivität erzeugt (Daston, Galison 1992; Galison 1998). Sie identifizierten für das 19. Jahrhundert ein Ideal mechanischer Objektivität, nach dem die apparative Aufzeichnung möglichst unberührt bleiben sollte. Dieses Ideal wurde ab 1920 von einem Bildgebrauch überlagert, der einen beurteilenden, interpretierenden und eingreifenden Experten vorsah. Galison sieht hierin einen holistischen, kognitiven Prozess des Beurteilens, der sich nicht allein an benennbaren Quantitäten festmachen ließe (Galison 1998, 342). Von solchen Beurteilungen war in diesem Kapitel die Rede, wenn die Interpretation eines Bildes als Ergebnis einer Veränderung der Spitze beschrieben wurde, und es ist die Erfüllung eines Objektivitätsideals, wenn Bilder mit Störungen ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr gezeigt werden. Damit lassen sich zwei Zeitskalen identifizieren, auf denen das Bildideal wandelbar ist: Einerseits gibt es die längerfristige Zeitskala in der Größenordnung von Jahrzehnten – hier hat man es mit dem Wandel vom Ideal mechanischer Objektivität zum Leitbild des eingreifenden Experten zu tun; letzteres Ideal sollte schließlich in der Tunnelmikroskopie dominant werden. Weiter gibt es die kürzere Zeitskala – in deren Rahmen galt es zunächst, im Zusammenhang mit der Etablierung eines neuen Instruments die Fähigkeit zur Beurteilung zu erwerben und zu kommunizieren. In dieser frühen Phase wurden die Bilder scheinbar so gezeigt, wie die Maschine sie erschuf. Dass sich wie im Beispiel der Nickel-Untersuchung eine Veränderung der Spitze während des Abrasterns, die zu deutlich reduzierter Auflösung im Bild führt, eindeutig als Störung benennen lässt, ist dem Ideal einer im unteren Bildteil „unsichtbaren“ Spitze geschuldet.
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Im Folgenden werden drei Beispiele aus Rüschlikon, München und Stanford ausgeführt, in denen in jeweils unterschiedlicher Konstellation die Grenzziehung bezüglich dessen, was als Störung gilt, durchlässig wird.
Die Deutung von Asymmetrien in Rüschlikon In Rüschlikon wurde die Instrumentenentwicklung weiter vorangetrieben, wobei sich das neue „pocket size instrument“ (Gerber at al. 1986) durch seine kompakte Bauweise und die Kombination mit weiteren Methoden der Oberflächenuntersuchung wie der UHV-Rasterelektronenmikroskopie und der Auger-Spektroskopie auszeichnete.53 Das Elektronenmikroskop diente dem Auffinden geeigneter Gebiete auf der Probe, das Auger-Spektroskop der Überprüfung der chemischen Zusammensetzung im Hinblick auf Verunreinigungen. Mit der Untersuchung von Highly Oriented Pyrolithic Graphite (HOPG) widmeten sich Binnig und Kollegen einer Probe, deren atomare Oberflächenstruktur bekannt war und deren elektronische Eigenschaften für die Tunnelmikroskopie interessant erschienen. Die gängige Probenpräparation von HOPG war denkbar einfach und bestand aus dem Abziehen von Tesafilm von der Grafitfläche, so dass sie auch für Experimentatoren, die zuvor nicht mit Grafit gearbeitet hatten, problemlos zu realisieren war. Tunnelmikroskopische Bilder zeigten nach dieser Präparation absolute Sauberkeit und atomare Flachheit, was zuvor laut den Autoren lediglich als „tacit assumption“ gegolten hatte (Binnig, Fuchs et al. 1986, 32). Ein publiziertes Bild (Abb. II.2.10) zeigt einen Ausdruck, in dem eine Vielzahl von Linien wellenförmig von links oben nach rechts unten verläuft, eingefügt in ein Koordinatensystem. Auf mehrere Aspekte der untereinander angeordneten, gewellten Linien nahmen die Autoren im Text der Publikation detailliert Bezug. Die Periodizitäten in drei Richtungen korrelierten sie mit der bekannten Hexagonalstruktur des Grafits, die leicht gebogene Form der Achsen entlang einzelner Periodizitäten erklärten sie mit dem thermischen Drift während der Messung. Sie setzten ihre Interpretation in einem weiteren Detail, nämlich der Asymmetrie jedes einzelnen Maximums, fort: „The left-right asymmetry (steeper upward slopes from right to left) is not an artefact of data acquisition, but should be attributed to an asymmetric tunnel 53 | UHV steht für Ultrahochvakuum; die Auger-Spektroskopie ist eine auf der Analyse von aus einem Festkörper emittierten Elektronen beruhende spektroskopische Methode.
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Abb. II.2.10: Tunnelmikroskopisches Bild von Grafit mit asymmetrischen Maxima (Binnig et al. 1986, 32).
tip." (Binnig, Fuchs et al. 1986, 32) Die Experimentatoren schenkten diesem Detail, auf das sie bei der Präparation der Probe und der Spitze sowie der Einrichtung des Instruments nicht abgezielt hatten, Aufmerksamkeit. Die Interpretation gründete auf profundem Vorwissen, da sie die Struktur der Probe als Ursache für die beobachtete Asymmetrie ausschließen konnten. Auch die Möglichkeit, dass andere Komponenten des Experimentalsystems, nämlich die Piezomotoren zur Bewegung der Spitze, für derartige Asymmetrien verantwortlich zeichneten, war zuvor in Erwägung gezogen worden, doch konnten die Autoren aufgrund der Erfahrungen ihrer Kollegen Erich Stoll und Hartwig Thomas diese Überlegungen verwerfen. Stoll und Thomas hatten sich detailliert mit der Elektronik und der Datenverarbeitung auseinandergesetzt und argumentiert, dass eine solche Asymmetrie nicht durch die Nichtlinearität der Piezomotoren begründet sei ( Thomas, Stoll 1984; Stoll 1986). Auf Grundlage der experimentellen Erkundung anderer technischer Komponenten konnte die Asymmetrie der Struktur der Spitze zugeschrieben werden. Die Asymmetrie war nicht beabsichtigt gewesen, lässt sich aber dennoch nicht eindeutig als Störung bewerten, da sie zu weiteren Arbeiten Anlass geben sollte und damit konstruktiv der weiteren Erkenntnisgewinnung diente. Der Theoretiker Jerry Tersoff griff die Ergebnisse aus Rüschlikon auf und setzte sich zum Ziel, den Befund in seine Theorie zu integrieren. Er argumentierte, dass selbst bei einem Tunnelstrom durch ein einzelnes vorderstes Atom der Spitze die Möglichkeit zu einer asymmetrischen Aufzeichnung gegeben sei, wenn die Atomschicht hinter dem vordersten Atom asymmetrisch angeordnet sei
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(Tersoff 1986, 442). Experimentatoren griffen diese Theorie auf und berücksichtigten sie in der Interpretation ihrer tunnelmikroskopischen Bilder und ihrer Spitzenherstellungen (Park et al. 1987, 2866). Damit ist ein Idealtypus tunnelmikroskopischer Bildpraxis gegeben: Ein experimenteller Befund konnte innerhalb eines Experimentalsystems einer Komponente zugeordnet werden und ein Theoretiker konnte ihn in eine formale Beschreibung integrieren; andere Experimentatoren konnten sich auf diese Beschreibung beziehen und ihre Praxis darauf ausrichten. In diesem Zyklus zwischen Experiment und Theorie wandelte sich ein Artefakt zum Fakt. Neues Wissen war erzeugt, das sich darin ausdrückte, eine zunächst unerwartete Form – und zwar asymmetrische Maxima – nun als erwartbare, interpretierbare Form wahrnehmen zu können. Damit wurde sie gleichzeitig zur beherrschbaren und letztlich zur vermeidbaren Form, so dass einem Ideal der Publikation symmetrischer Maxima genüge getan werden konnte.
Zur Uneindeutigkeit der Störung Auch bezüglich der Veränderung der Spitze im Verlauf einer Messung ist die Zuschreibung einer Störung nicht immer so eindeutig möglich wie im Beispiel der Nickel-Untersuchung in Rüschlikon, in der sich ein hochaufgelöster unterer Teil von einem niedrig aufgelösten und somit als gestört deklarierbaren oberen Teil unterscheiden ließ. So beobachtete Rolf Jürgen Behm von der Universität in München während einer Gold-Untersuchung eine Ausnahmeerscheinung, da sich ober- und unterhalb einer Spitzenveränderung gleich hohe Auflösung zeigte (Abb. II.2.11). Während im unteren Bildteil die Maxima die hexagonale Anordnung des atomaren Gitters widerspiegelten, waren es im oberen Bildteil die Minima, die diese Gitterstruktur reproduzierten, da sich die elektronischen Zustände der Spitze geändert hatten (Barth et al. 1990, 9309). Behm äußerte sich in der Rückschau zur Publikationswürdigkeit dieses Bildes: JH: „Zu der Zeit [der Veröffentlichung 1990] war es wahrscheinlich nicht mehr unbedingt nötig, so ein Artefakt zu veröffentlichen?“ RB: „Nein, denn das hat ja eine klare Aussage. Hier habe ich ja atomare Auflösung oben und unten. Das heißt, ich kann jetzt nicht sagen, welches eine gute Spitze ist und welches eine schlechte. Wenn man sagt, eine gute Spitze hat atomare Auflösung, eine schlechte hat keine atomare Auflösung, dann ist das klar. Hier haben aber beide Zustände atomare Auflösung, trotzdem geben
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Abb. II.2.11: Tunnelmikroskopisches Bild einer Gold-Oberfläche mit diagonal verlaufender Domänengrenze; durch eine Veränderung der Spitze kam es zu einer Kontrastveränderung während des Abrasterns (Barth et al. 1990, 9309).
sie jeweils ein ganz anderes Bild. Das ist der Punkt in dem Bild. Dass also die Aussagen ,hohe Auflösung ist gut, schlechte Auflösung ist schlecht’ und ,es gibt nur einen guten Zustand und viele schlechte’ nicht ausreicht. Hier sieht man auf einmal, dass es auch viele gute [Zustände] gibt.“ (Behm 07/05)
Hier gab es nicht den guten oder den schlechten Zustand und damit auch nicht mehr die Störung. Der Wechsel war nicht im Detail interpretierbar, sondern beobachtbar und als Form beschreibbar. Mit dem Verschwinden dieser Eindeutigkeit rückte eine „Störung der Verweisung“ (Geimer 2002) an die Stelle der Störung. Auch eine unkontrollierte Spitze konnte eine perfekte Spitze sein. Eine weitere Spielart zur Rolle der Spitze für die Bilderzeugung und -interpretation zeigte sich in den Publikationen der Arbeitsgruppe um Cal Quate in Stanford. Quate hatte seit 1982 zu den ersten Anhängern der Tunnelmikroskopie gehört. Zuvor hatte er sich mit akustischer Mikroskopie beschäftigt, in der eine Sonde UltraschallSignale aussendet und die an der Probe reflektierten Signale detektiert.54 Damit besaß er in seinem Labor Erfahrungen im Bereich der Steuerung von Rastersondentechniken und war mit Problemen der Daten- und Bildverarbeitungen vertraut. 54 | Für einen Überblick zur akustischen Mikroskopie siehe Quate 1985; für eine wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung mit der akustischen Mikroskopie siehe Hacking 1996 [1983], 341ff.
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Abb. II.2.12: Zusammenstellung tunnelmikroskopischer Bilder einer Silizium-Oberfläche mit unterschiedlichen Spitzen (Park, Nogami, Quate 1987, 2864).
Bezüglich des Einflusses der Spitzen veröffentlichte die Quate-Gruppe 1987 einen Artikel mit dem Titel „Effect of tip morphology on images obtained by scanning tunneling microscopy“ (Park et al. 1987). Dort präsentierten sie eine Bildserie bestehend aus vier Graustufenbildern a) bis d), die aus tunnelmikroskopischen Untersuchungen der Si(111)7x7-Rekonstruktion resultierten (Abb. II.2.12). In jedes der vier Bilder ist eine aus weißen Linien bestehende Raute eingefügt, die jeweils die Einheitszelle des Siliziums markiert. Auch wenn die Rauten in Größe und Ausrichtung variieren, lenken sie den vergleichenden Blick des Betrachters auf die unterschiedlichen, aber gleichzeitig doch mit Ähnlichkeitsmerkmalen versehenen Strukturen in ihrem Inneren. Während in Bild a) zwölf regelmäßig angeordnete, helle Kreise unterschiedlicher Intensität angeordnet sind, ist die Anordnung in b) wesentlich ungeordneter, in c) verschwimmen die Kreise zu Linien, während in d) die 12 hellen Kreise in der Raute jeweils durch einen weniger stark ausgeprägten Kreis Ergänzung finden. Bild a) entsprach dem unter Tunnelmikroskopikern bekannten Bild dieser Silizium-Probe (vgl. Kapitel III.1) und wurde in der Bildunterschrift als „standard image of the 7x7 reconstruction“ bezeichnet (Park et al. 1987, 2864). Die Autoren wiesen gleich im ersten Absatz des Aufsatzes auf die gute Übereinstimmung mit vorhergehenden Arbeiten anderer Gruppen hin und untermauerten damit den Status des Bildes als Referenz. Diesen Status als bekannte, stabilisierte Komponente untermauerten sie durch die Benennung von Präparations- und Voruntersuchungsschritten wie Elektronen- und Röntgenbeugungen (Park et al. 1987, 2863).
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Abb. II.2.13: Schema zur grafischen Interpretation des Bildes in Abb. II.2.12 oben rechts (Park, Nogami, Quate 1987, 2865).
Die Autoren bezogen die drei anderen Bilder auf Bild a). Park, Nugomi und Quate argumentierten für Bild c), dass zwei Atome nebeneinander auf der Seite der Spitze am Vakuumtunneln beteiligt gewesen seien und dafür verantwortlich zeichneten, dass sich jeder helle Punkt doppelt zeige (Park et al. 1987, 2863). Für Bild d) argumentierten sie, dass die beiden am Tunneln beteiligten Atome einen leichten Höhenunterschied aufweisen würden, so dass der Tunnelstrom und daraus resultierend die Helligkeit der Kreise im Bild unterschiedlich stark ausgeprägt seien. Die Interpretation von Bild b) gestaltete sich komplexer, da das Muster ungeordneter wirkt und nicht direkt als Dopplung oder Verschiebung der Anordnung in a) erkennbar ist. Die Autoren argumentierten grafisch mit Hilfe einer Skizze (Abb. II.2.13), in der sie die Anordnung der Si-7x7-Adatome55 in zweifacher Ausführung überlagerten: ein Mal mit durchgezogenen Kreisringen in einer ebenfalls durchgezogen gezeichneten Einheitszelle und ein zweites Mal mit schraffierten Kreisen in einer gestrichelt gezeichneten Einheitszelle. Das bei einer entsprechenden Verschiebung entstehende Muster deuteten sie als Erklärung für das Bild b), indem sie annahmen, dass zwei um 14,8 Ångström auseinander liegende Atome an der Spitze am Tunnelstrom beteiligt gewesen seien. Die Unordnung in Bild b) konnten sie anhand der Skizze deuten und Rückschlüsse auf die Struktur der Spitze ziehen. 55 | Adatom-Modelle gehen von adsorbierte Atomen an der Oberfläche aus. (siehe auch Kapitel III.1)
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In diesen Bildern und den zugehörigen Auswertungen wendete sich das Verhältnis von technischer Komponente und Probe: Die SiliziumOberfläche, ursprünglich die Probe, stellte den stabilisierten Teil, die Spitze wurde zum Untersuchungsgegenstand. Sie konnte keine Störung mehr verursachen, da sie unbekannt war und zur Disposition stand. In der tunnelmikroskopischen Bildpraxis gebührt der Struktur der Spitze eine allgegenwärtige Aufmerksamkeit, die sich aus handwerklicher Erfahrung, Seherfahrungen und dem Einsatz von komplementären Untersuchungsmethoden speist. Diese Fertigkeiten erfahren ebenso wie Bilder mit eindeutigen Störungen keinen Widerhall in Publikationen, vielmehr fallen Laborerfahrungen und Publikationspraxis auseinander. Das Beurteilen der Spitzen durch die Interpretation der Bilder ist ebenso Teil der Bildpraxis wie das Verwerfen und Auswählen von Bildern. Tunnelmikroskopiker entscheiden, ob es adäquat ist, eine Bildstörung, verursacht durch die Spitze, in die Publikation mit aufzunehmen. Die Entscheidungen beziehen ihre Brisanz aus der Tatsache, dass die Zuordnung, was als Störung gilt, immer aufs Neue uneindeutig bleibt. Entsprechend lassen sich Störungen auch nicht aus Publikationen verbannen, da sich das Artefakt möglicherweise auf dem Gebiet des Fakts befindet. Da Neudemarkationen nach Beendigung der Experimente möglich sind, finden sie immer wieder den Weg aus dem Labor.
II.3 Analoge und digitale Bildpraxis Sämtliche frühen tunnelmikroskopischen Bilder erzeugten Binnig und Rohrer mit Hilfe analoger Instrumente in dem Sinne, dass eine analoge Elektronik den Rückkopplungsmechanismus steuerte und ein analoger xy-Schreiber die Spur der Spitze aufzeichnete. Im Folgenden wird die Einführung der Computergrafik in der Rastertunnelmikroskopie beschrieben,56 wobei wieder die in Kapitel I.1 aufgezeigten Perspektiven und damit die Analyse der Bildpraxis mit dem Augenmerk auf technische Erzeugung, Verwendungszusammenhänge und Gestaltungen der Bilder im Mittelpunkt stehen. Die Betrachtung der Bilder 56 | In anderen Forschungsfeldern wie der Astronomie hatte die Computergrafik zu Beginn der 1980er Jahre bereits Einzug gehalten, so dass der im Folgenden beschriebene Übergang von analogen zu digitalen Techniken bezüglich der Tunnelmikroskopie exemplarischen Charakter hat.
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nach formalen Gesichtspunkten geschieht dabei im Bewusstsein der grundsätzlichen Eigenart digitaler Bilder, dass ein gegebener diskreter, adressierbarer und operabler Datensatz in unterschiedliche sinnlich wahrnehmbare Darstellungsformen überführt werden kann: in Zahlenkolonnen, Töne oder aber in Bilder unterschiedlichster Gestaltung.57 Doch in der Praxis kommt es nicht zur Realisierung zahlloser Darstellungsformen, sondern einiger weniger. Während medientheoretische Diskussionen zum digitalen Bild häufig zu ontologischen Fragen nach dem Bild führen, der Bildstatus als prekär angesehen wird und eine Flüchtigkeit der Bilder konstatiert wird,58 wird im Folgenden aufgezeigt, welche konkreten Bilder auf Monitoren oder Ausdrucken mit welchen Mitteln zu welchem Zweck realisiert wurden. Das Funktionsprinzip des Tunnelmikroskops lässt bereits im analogen Modus mit der Hervorbringung von Orten gleichen Tunnelstroms während des Experiments eine Urbild-Abbild-Relation hinfällig werden, was hier nicht als Krise des Bildes, sondern als Krise platonistischer Erwartungen an das Bild aufgefasst wird. Diese Sichtbarmachung überlagert sich in der digitalen Tunnelmikroskopie mit der Konstellation, dass ein Datensatz in Form von Bildern zur Anschauung gebracht wird.59 Damit lässt sich analytisch gewinnbringend die tunnelmikroskopische Messung zur Datenerzeugung vom Schritt der Bildgebung auf Grundlage dieser Daten trennen (Pias 2003, 50). Da sich in der Praxis die Datenerhebung aber immer die Erzeugung von Bildern zum Ziel setzt, wird auch im weiteren der Gesamtprozess von der Probenpräparation über die instrumentell-experimentelle Erzeugung bis zur computergrafischen Darstellung der Daten als bildgebendes Verfahren aufgefasst. Unter dieser Voraussetzung ist der Weg frei für einen Blick auf die in der Praxis realisierten Bilder, auf die Analyse der Auswahl- und Gestaltungskriterien, die durch Fragestellungen der Protagonisten, mathematische Operationen am Datensatz, technische Möglichkeiten 57 | Die Möglichkeit zur Umsetzung der Daten in Töne gehört vereinzelt zur tunnelmikroskopischen Praxis, doch auch diese Experimente zielen stets auf die Erstellung eines Bildes ab. In einer Fallstudie in Kapitel III.3 wird der Einsatz von Tönen in seinem Verwendungszusammenhang analysiert. 58 | Siehe dazu Schneider 2008. 59 | Martina Heßler spricht von einer „doppelten Unsichtbarkeit“ solcher digitalen Bilder (Heßler 2006b); Claus Pias hat unter Hinweis auf diese Schichtung und die Verbildlichung digitaler Daten den Begriff des „digitalen Bildes“ gar gänzlich negiert (Pias 2003); Frieder Nake und Susanne Grabowski haben von der Sichtbarkeit des Computerbildes eine „vorborgene, ja: unsichtbare Seite“ unterschieden (Nake, Grabowski 2005, 136).
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und Bedingungen, Bildtraditionen und Kommunikationszusammenhänge bestimmt sind. Dabei zeigt sich im Einklang mit neueren historischen Arbeiten zu digitalen Bildern und ihrer Verwendungspraxis, dass digitale Techniken die analogen nicht abgelöst haben, vielmehr erweist sich die Einführung digitaler Bilder in der Tunnelmikroskopie als vielfältig verschachtelter Prozess.60 Der Medienphilosoph Claus Pias hat darauf hingewiesen, dass sich die Auffassung von analogdigital als Gegensatzpaar historisch auf die Diskussionen während der Macy-Konferenzen (1946-1953) zurückführen lässt (Pias 2004, 296ff.). Der Blick auf die Praxis bietet die Möglichkeit, sich aus dieser Denktradition, die vielerorts noch ihre medientheoretische Fortsetzung findet,61 zu lösen und lässt den Übergang von analogen zu digitalen Techniken als ein Geflecht von Brüchen, Kontinuitäten und Transformationen identifizieren, anstatt sie dichotom zu denken. Während die Diskussionen um das Verhältnis analog-digital größtenteils durch Meta-Theorien geprägt sind und damit a priori getroffene Definitionen und Zuschreibungen den Blick auf die Praxis versperren (Adelmann 2004, 287ff.), werden entsprechend dem grundsätzlichen Ansatz dieser Arbeit auch in diesem Unterkapitel ausgehend von Mikrostudien allgemeinere Beschreibungen entwickelt. Die Fallstudien reflektieren die Situation in den 1980er Jahren in dem Bewusstsein, dass Techniken und Gewohnheiten im Umgang mit digitalen Medien sich im historischen Wandel befanden. Der fokussierte Blick auf die Einführungsphase ermöglicht es, sich erst später ausgebildeter Selbstverständlichkeiten bewusst zu werden.62 Zwei Standorte werden ausführlich vorgestellt: Zunächst die schon bekannte IBM-Arbeitsgruppe in Rüschlikon um Gerd Binnig und Heinrich Rohrer, die bereits zu einem Zeitpunkt, als noch keine andere Gruppe überhaupt tunnelmikroskopische Experimente hatte replizieren können, die Digitalisierung einführte und dabei für die Folgezeit paradigmatische Weichenstellungen vornahm. Zum Vergleich 60 | Die Abkehr von der Sicht einer Dichotomie kommt beispielsweise in dem Buchtitel „Analog/digital. Opposition oder Kontinuum?“ zum Ausdruck (Schröter, Böhnke 2004). Für das BMBF-Forschungsprojekt, in dessen Rahmen diese Arbeit entstand, wurde zunächst ergebnisoffen die Frage nach einer digitalen Zäsur gestellt. 61 | So nennt es beispielsweise Wolfgang Ernst als Ziel der von ihm verfolgten Medienarchäologie, „Diskontinuitäten [zu] akzentuieren“ (Ernst 2004, 50), anstatt – wie in dieser Arbeit beabsichtigt – die Überlagerung von Kontinuitäten und Diskontinuitäten in den Blick zu nehmen. 62 | So würde beispielsweise bei der Analyse digitaler wissenschaftlicher Bildpraxis in den 1990er Jahren zwangsläufig die Nutzung des Internets in den Blickpunkt geraten.
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wird die Arbeitsgruppe an der Universität Basel um Hans-Joachim Güntherodt herangezogen, die sich als eine der ersten Universitätsgruppen der Tunnelmikroskopie zuwandte und ebenfalls zunächst analoge Geräte baute, um dann zur Verwendung digitaler Geräte überzugehen. Aufgrund der unterschiedlichen Ressourcen an der Universität Basel und dem IBM-Industrieforschungslabor in Rüschlikon verhalten sich die beiden Fallstudien zueinander komplementär und lassen die Heterogenität bei der Einführung der Computergrafik deutlich hervortreten. Zur weiteren Ausführung dieser Vielfalt werden im Anschluss an die beiden Schweizer Fallstudien noch vergleichsweise kurz die STM-Arbeitsgruppen an der Universität München und der Universität in Santa Barbara vorgestellt, an denen aus unterschiedlichen Gründen erst mit Verzögerung digitale Techniken eingesetzt wurden. Während die Ausführungen in diesem Kapitel II.3 den Schwerpunkt auf die Tätigkeiten der Softwareprogrammierer legen, findet in den Fallstudien der folgenden Kapitel die Spezifik des Digitalen in den Tätigkeiten der Experimentatoren und Theoretiker laufend Berücksichtigung.63
Computergrafik bei IBM in Rüschlikon: Rückgriff auf Ressourcen Auch wenn Binnig und Rohrer ihre ersten tunnelmikroskopischen Untersuchungen durchaus erfolgreich publizierten, sie sich selbst des großen Potenzials der Methode vergewissern konnten und sie sowohl innerhalb des IBM-Labors in Rüschlikon als auch außerhalb Anhänger für die Rastertunnelmikroskopie gewinnen konnten, beschränkte sich die Resonanz auf die ersten Experimente in den Jahren 1981-1982 doch auf Einzelpersonen (Mody 2004a, 102). Den Durchbruch erzielten sie erst durch die erfolgreiche Anwendung ihrer neuen Methode auf eine besondere Form des Siliziums, nämlich auf die Silizium(111)-7x7Rekonstruktion (vgl. Kapitel III.1; Mody 2004a, 136-138). Die atomare Struktur dieser Oberfläche stellte Anfang der 1980er Jahre eine unter Oberflächenphysikern heiß diskutierte Frage dar. Binnig und Rohrer hatten sich bereits vor den Gold-Untersuchungen an dieser Probe versucht, sie aber wegen Schwierigkeiten bei der Probenpräparation zunächst zurückstellen müssen (Binnig, Rohrer 1986a, 398). Als Gerd 63 | Damit liefert diese Studie auch einen Beitrag zu dem bildhistorischen Desiderat, das Zusammenspiel von Experimentatoren und Bilderzeugern zu untersuchen, vgl. Hentschel 2000, 42.
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Abb. II.3.1: Kopie des Ausdrucks der bahnbrechenden tunnelmikroskopischen Si(111)-7x7-Messung am 18. Oktober 1982 (Privatbesitz Hartwig Thomas).
Binnig dann eine Messung an Si(111)-7x7 mit atomarer Auflösung gelang, stieß dies rege Forschungsaktivitäten an, durch die die Tunnelmikroskopie in der Folgezeit – komplementär zu anderen Methoden der Oberflächenphysik – zur Auflösung der atomaren Struktur der Si(111)-7x7-Rekonstruktion beitragen konnte (vgl. Kapitel III.1). Gleichzeitig wurde im Zuge der Auswertung dieser Messung im IBM-Labor Rüschlikon die Computergrafik in die Tunnelmikroskopie eingeführt. Das Ziel einer lateralen atomaren Auflösung von Si(111)-7x7 erreichte Binnig erst nach vielen vergeblichen Experimenten, in deren Verlauf er die Probenpräparation eingeübt und unzählige Modifikationen am Instrument vorgenommen hatte. In der Nacht des 18. Oktober 198264 gelangte er mittels eines xy-Schreibers zu einem Ausdruck, auf dem sich ein Muster zeigte, das seinen Erwartungen an die atomare Struktur der Silizium-Oberfläche entsprach (Abb. II.3.1). Auf der linken Seite des Ausdrucks zeigen sich gewellte Linien in einem Plateau, die im vorderen Teil regelmäßige Muster ausbilden, im rechten Teil des Bildes steigen die Linien ohne die Ausformung von 64 | Die Datierung orientiert sich an dem Vermerk dieses Datums auf der Kopie des Ausdruckes, der zur weiteren Auswertung verwendet wurde.
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Abb. II.3.2: Foto eines Papiermodells, basierend auf dem Ausdruck in Abb. II.3.1 (Binnig et al. 1983, 120).
Oberflächenmustern zu einem Hügel an. Das periodische Muster in dem Plateau deutete Binnig als atomare Strukturmerkmale der Probe. Für sich persönlich kam Binning in Anbetracht dieses Ausdrucks zu dem Befund, Si(111)-7x7 mit Hilfe des Tunnelmikroskops atomar aufgelöst zu haben – doch veröffentlichte er nie den Originalausdruck, sondern bearbeitete ihn für die Kommunikation mit Kollegen und einer weiten Öffentlichkeit. Sowohl die experimentelle Erstellung dieses Ausdrucks als auch die zunächst folgenden Schritte der Bildbearbeitung basierten ausschließlich auf dem Einsatz analoger Techniken: Binnig und Gerber kopierten den Ausdruck vielfach, schnitten entlang der einzelnen Linien Streifen aus und klebten diese, jeweils durch einen Plexiglasstreifen getrennt, zu einem dreidimensionalen Papiermodell zusammen. Sie beleuchteten dieses Modell und fotografierten es – selbstverständlich mit einer analogen Kamera. Das Resultat dieser Bearbeitungsschritte war ein Bild (Abb. II.3.2), in dem sich vor schwarzem Hintergrund ein heller dreidimensionaler Körper von der linken unteren zur rechten oberen Ecke des Bildes erstreckt. Die gestreifte Oberfläche zeigt ein rautenförmiges, hügeliges Muster. Die wellige Form wirkt wie ein glättendes Tuch über einem
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unebenen Untergrund, was der Kunsthistoriker Martin Kemp durch die Beschreibung von Erhebungen, „die sich [...] ausnehmen wie Kugeln unter einer Schneedecke“ (Kemp, 2000, 216), zum Ausdruck gebracht hat.65 Die Nebeneinanderstellung des ursprünglichen Ausdrucks und des publizierten Bildes zeigt, dass die Bearbeitung eine Bilddynamik zu entfachen vermochte, die zum Hervortreten eines Bildobjektes führte, dessen Oberflächenrelief im Gegensatz zum Originalausdruck eine deutlich ausgeprägte gewellte Struktur mit deutlich ausgeprägten einzelnen Erhebungen und Mulden zeigt. Des Weiteren unterscheidet sich das Foto des Modells von dem ursprünglichen Ausdruck durch die Wahl eines Ausschnitts, da in dem Papiermodell die zwei Rauten – die Elementarzellen des 7x7-Siliziums – den Mittelpunkt des Bildes bilden, wobei auch noch ein Teil der unstrukturierten Erhebungen rechts der Rauten mit in das Papiermodell übernommen wurde. Eine Fokussierung auf die wesentlichen Ergebnisse ging mit einer Integration von Unregelmäßigkeiten zur Erzeugung von Authentizität einher. Zudem ragt von links die Lampe zur Beleuchtung des Modells in die Fotografie hinein und bietet damit einen Verweis auf die Bilderstellung.66 Binnig und Rohrer integrierten keine Skalen in das Bild, sondern konzentrierten sich auf die isolierte Darstellung eines gewellten Körpers. In der Bildunterschrift ihrer Erstveröffentlichung des Bildes
65 | Nicht nur Kemp kommt zu diesem Vergleich, auch in den Bildwelten der Tunnelmikroskopie tauchen Bilder von Schneeflächen immer wieder auf, so das Bild einer Buckelpiste auf einem Messestand der Firma Nanonis während der Tagung ICN+T 2006 in Basel und auch zu Beginn einer PowerPoint-Präsentation des Tunnelmikroskopikers Thomas Jung während eines bildwissenschaftlichen Workshops in Basel im Februar 2007. Martin Kemp hat in seinem Buch ein modifiziertes, idealisiertes Bild abgedruckt, da die Lampe, die in der Originalveröffentlichung sichtbar in das Bild hineinragt, herausretuschiert ist, so dass ein Verweis auf den Entstehungszusammenhang eliminiert ist (vgl. Kemp 2000, 216). Eine solche Ästhetisierung, wie sie im Buch des Kunsthistorikers Kemp vorkommt, findet sich in keiner der vielzähligen Reproduktionen dieses Bildes im naturwissenschaftlichen Kontext, da es Teil der dortigen Bildpraxis ist, Bilder möglichst getreu der Originalversion wiederzugeben. 66 | Die Betrachtung des Schattenwurfes zeigt, dass keinesfalls allein die Lampe in der Position oben links für die Beleuchtung des Papiermodells verantwortlich gewesen sein kann; damit handelt es sich um einen symbolischen Verweis, der keinesfalls die Bilderstellung komplett rekonstruieren lässt.
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wiesen sie auf eine 55-prozentige Überhöhung hin (Binnig et al. 1983a, 120), die bereits in der Steuerung der Piezomotoren angelegt war und der Erwartung an bestimmte Amplituden und Kurvenverläufe entsprang. In den folgenden Reproduktionen des Bildes fand die Überhöhung keine Erwähnung mehr, die gewohnte, sinusförmige Wellenform erzeugte diesbezüglich auch keinen Bedarf. Das Foto des Papiermodells diente zunächst zur Kommunikation im engsten Kollegenkreis, wie der Programmierer Hartwig Thomas, der im Umfeld Binnigs und Rohrers tätig war, im Rückblick hervorhebt: „Das war ein Geniestreich vom Gerd, dass er das gemacht hat, denn dieser Akt, dieses einzelne Teil, hat es geholt. Die allererste interne Werbung hat es ja auch gebraucht und ohne das Teil hätte es nicht funktioniert – den innersten fünf Leuten [zu zeigen], dass man hier wirklich etwas Heißes hat – den Labordirektor hätte man nicht mit den Strichen überzeugen können, wohl aber mit dem Pappding.“ (Thomas 09/03)
Neben dieser laborinternen Kommunikation wurde das Papiermodell auch in verschiedenen Downstream-Schritten zur weiteren Kommunikation eingesetzt. Das Foto fand weite Verbreitung in wissenschaftlichen Fachartikeln im Anschluss an die Messung (Binnig, Rohrer 1982; Binnig et al. 1983a) sowie in Review-Artikeln zum Tunnelmikroskop.67 25 Jahre nach seiner Erstellung ist es fester Bestandteil von Vorträgen zur Geschichte der Rastertunnelmikroskopie.68 Ebenso wie in ihren Untersuchungen von Gold und CaIrSn 4 haben Binnig und Rohrer auch die Aufzeichnung ihrer Silizium-Untersuchung ohne den Einsatz von Computergrafik überformt und in die Gestalt eines Körpers mit einer wellenförmigen Oberfläche gebracht. Der Eindruck atomarer Landschaften und die Anlehnung an makroskopische Sehgewohnheiten, die auch die Bildgestaltungen der Folgezeit prägen sollten (vgl. Kapitel IV.2), stellen keine Domänen der Computergrafik dar, sondern konnten bereits mit den Hilfsmitteln des Schraffierens, Schneidens, Klebens, Beleuchtens und der analogen Fotografie erzeugt werden.
67 | Behm, Hösler 1985; Binnig, Rohrer 1986; Rohrer 1994; DiNardo 1994. 68 | So z.B. Wolfgang Heckl in einem Vortrag am Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik der HU Berlin am 7.7.2003 und Christoph Gerber in der Eröffnungssektion der Tagung ICT&N 2006 in Basel, wo das 25-jährige STM- und das 20-jährige AFMJubiläum gefeiert wurden.
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Dieser Befund widerspricht der verbreiteten Auffassung von Rastersondenmikroskopen als grundsätzlich digitalen bildgebenden Verfahren.69 Ein neues bildgebendes Verfahren mit der Hervorbringung von Strukturen in der atomaren Dimension wie die Tunnelmikroskopie scheint unbewusst als digitales Verfahren aufgefasst zu werden – ein blinder Fleck im Bewusstsein für das Potenzial analoger bildgebender Verfahren und Bildbearbeitungen zur Sichtbarmachung des Unanschaulichen, der einem Denken von einer Ablösung „alter“ analoger Verfahren durch „neue“ digitale entspringt.70
Hartwig Thomas’ digitale Bildbearbeitungen Ergänzend zur analogen Bildbearbeitung vollzog der Programmierer Hartwig Thomas die Einführung digitaler Bildbearbeitung in die Tunnelmikroskopie, indem er den Ausdruck der Si(111)-7x7-Untersuchung aus der Nacht des 18. Oktober 1982 einscannte und den so erzeugten Datensatz mittels Bildsoftware in Bilder umsetzte. Der dazu im IBMLabor Rüschlikon verwendete Flachbettscanner mit einem Auflösungsvermögen von 600 dpi stellte in den frühen 1980er Jahren eine technische Ressource außergewöhnlicher Leistungsfähigkeit dar, die in Physiklaboren keineswegs verbreitet war (Thomas 09/03).71 Hartwig Thomas war 1978 nach Abschluss seines Mathematikstudiums an der Universität Zürich als Predoc in die Computerabteilung des IBM-Labors Rüschlikon gekommen und hatte unter der Leitung 69 | William Mitchell beispielsweise geht selbstverständlich davon aus, dass tunnelmikroskopische Landschaftsansichten von Atomen dem Computer geschuldet sein müssten (Mitchell 1992, 12); Martin Schulz hat darauf hingewiesen, dass technizistisch ausgerichtete Vertreter der Medientheorie analoge Verfahren mit Abbildungen, die auf einem Urbild beruhen, verbinden würden und nur „neuen“ digitalen Verfahren das Potenzial zu Sichtbarmachungen im Sinne von Hervorbringungen zusprechen würden (Schulz 2005, 114); dieser Sicht tritt das Konzept der „doppelten Unsichtbarkeit“ entgegen (vgl. Fußnote 4 in diesem Kapitel). 70 | Das Basteln des Modells ist in der Wissenschaftsgemeinschaft mitunter mit einer ironischen Haltung begleitet worden, so ist Binnig, Gerber und Rohrer während einer elektronenmikroskopischen Tagung in Kalifornien im Januar 1983 „spaßeshalber“ ein Preis für die beste Bildbearbeitung verliehen worden (E-Mail von Heinrich Rohrer an den Verfasser vom 7.3.2006). 71 | Bis in die 1980er Jahre befanden sich ausreichende Rechenleistungen und Peripheriegeräte wie Scanner zur Bildbearbeitung fast ausschließlich in US-amerikanischen Projekten zur nationalen Sicherheit (vgl. Schröter 2004, 340).
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Abb. II.3.3 a,b: Zwei unterschiedliche Punktraster zur Darstellung von Graustufen (Privatbesitz Hartwig Thomas).
von Peter Stucki zu Graustufen in der Computergrafik geforscht, also zu Kontrastdarstellungen mittels Grautönen am Computer monitor und auf Ausdrucken (Stucki, Kocher, Thomas 1980).72 Losgelöst von physikalischen Forschungen im IBM-Labor hatte Thomas dazu beispielsweise das Foto eines Tigers aus dem Züricher Zoo verwendet, um unterschiedliche Punktraster zu erproben (Abb. II.3.3 a, b)73. Durch seinen Vater, einen Physik-Professor an der Universität Basel, bestand ein persönlicher Kontakt zu Heinrich Rohrer und anderen Physikern im IBM-Labor, so dass Thomas angefragt wurde, seine Erfahrungen aus der Grundlagenforschung zur digitalen Bildbearbeitung in die STM-Gruppe einzubringen (Thomas 09/03). Die Anwendung seiner eigenen Forschungen konnte Thomas, unterstützt von Binnig und Rohrer, mit der Auswertung und Kommunikation ihrer Ergebnisse verbinden. So fand die Zusammenführung zuvor eingeübter digitaler Bildbearbeitung mit der Rastertunnelmikroskopie, die zunächst als analoges Verfahren stabilisiert worden war, zu einem 72 | Medienwechsel haben immer wieder die Frage nach der Realisierung von Graustufendarstellungen aufgeworfen; siehe zur Entwicklung eines Hochdruckverfahrens für die Fotografie um 1880 Peters 2007, zur Entwicklung der Funktelegrafie Schneider, Berz 2002, II. 73 | Auch in anderen Pionierarbeiten zur Nutzung der Computergrafik dienten zunächst Scans von analogen Vorlagen zur Erzeugung digitaler Datensätze, um mit diesen digitale Bildbearbeitungen zu erproben, so in den 1950er Jahren, als gescannte Daten erstmals auf Oszilloskopen dargestellt wurden (vgl. Mitchell 1992, 3), oder in den Arbeiten von Harmon und Nowlton in den Bell Laboratories 1967 (vgl. Reifenrath 1999, 147).
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Abb.II.3.4: Ausdruck ausgewählter Linien nach der Digitalisierung der Aufzeichnung aus Abb. II.3.1 (Privatbesitz Hartwig Thomas).
digitalen bildgebenden Verfahren ihre Realisierung durch einen informellen Kontakt, bei gleichzeitiger hoher Professionalisierung der beteiligten Personen und Verfügbarkeit aufwendiger technischer Infrastrukturen.74 Zur Ausgabe der Bilder nutzte Thomas neben dem Monitor einen ihm aus seinen vorherigen Arbeiten bereits vertrauten Electric Erosion Printer, der einzelne Punkte in silberbeschichtetes Papier einbrannte. So reproduzierte er zunächst Liniendarstellungen des ursprünglichen Ausdrucks, beispielsweise mit der Auswahl nur jeder dritten Linie (Abb. II.3.4). Ein solches Bild beruht auf der instrumentellen Erzeugung mit einer analogen Apparatur und anschließender Digitalisierung, also der Verkettung mehrerer, hintereinander geschalteter analoger und digitaler Arbeitsschritte. In einem weiteren Schritt überführte Thomas die Auslenkung der Maxima in Höhenwerte und interpolierte in einer Aufsicht die diskreten Linien zu Flächen gleichen Tunnelstroms. Die Ausdrucke zeugen von mehrstufigen Bearbeitungsschritten, in denen zunächst noch verwaschen wirkende Linien zu sehen sind (Abb. II.3.5), 74 | Eine ähnliche Situation hat es bei der Erzeugung von Fraktalen gegeben; Mandelbrot selbst hebt seinen Eindruck eines informellen Charakters seiner Tätigkeit Anfang der 1970er Jahre hervor, während die Infrastrukturen am IBM-Labor ebenfalls hervorragend waren (vgl. Samuel 2005b, 33f.).
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Abb. II.3.5: Ausdruck zur Messung vom 18. Oktober 1982 (vgl. Abb. II.3.1) nach der Digitalisierung, der Realisierung einer Aufsicht und dem Ausgleich des thermischen Drifts, wodurch sich die abgerundeten Ränder erklären(Privatbesitz Hartwig Thomas).
Abb. II.3.6: Graustufenaufsicht der Silizium-Messung mit weiteren Interpolationen gegenüber Abb. II.3.5 (Privatbesitz Hartwig Thomas).
bis Thomas schließlich einen flächigen Eindruck erzeugen konnte (Abb. II.3.6).75 Mit den Interpolationen unterwarf Thomas den Datensatz einer mathematischen Logik (vgl. Pias 2003, 58) und vergewisserte sich seiner Bearbeitungsschritte anhand von Ausdrucken. 75 | Lev Manovich hat Scanlinien gerade als Mischform kontinuierlicher und diskreter Codierung bezeichnet, da die Linie ihrerseits kontinuierlich verläuft, sich aber diskret vom Untergrund abhebt (Manovich 2001, 28). Entsprechend lässt sich auf der Wahrnehmungsebene für die tunnelmikroskopischen Linienbilder ein diskreter Charakter konstatieren, während das digitalisierte Bild gegenläufig einen flächigen Eindruck erzeugt, da einzelne Pixel und Rasterpunkte des Graustufendrucks vom Auge nicht mehr aufgelöst werden. So kann ein Bild auf unterschiedlichen Ebenen gleichzeitig einen diskreten/digitalen wie auch einen kontinuierlichen/analogen Status besitzen; im Folgenden wird der Begriff des Digitalen jedoch lediglich auf die Computergrafik mit der Sichtbarmachung diskreter, adressierbarer Datensätze bezogen. Schröter führt aus, dass Luhmann digital/analog als Kontinuum gedacht hat, während für Kittler ein gegebenes technisches Dispositiv auf verschiedenen Ebenen zugleich analog und digital sein kann (Schröter 2004, 24); ich folge letzterer Sichtweise.
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Mit den mathematischen Operationen löste keinesfalls eine diskursive Logik die visuelle Praxis ab, vielmehr ließen sich die Veränderungen am Datensatz ausschließlich anhand der Bilder visuell-ästhetisch abschätzen, was gegebenenfalls wiederum zur Modifikation der angewendeten Algorithmen führte. Der Komplexität der Veränderung Hunderter von Daten durch die Anwendung eines Algorithmus war nur der Gesichtssinn gewachsen. Obwohl digitale Bilder immer wieder eine Abwertung als flüchtige Bilder erfahren, handelt es sich doch durch die Arbeit am Monitor und mit Ausdrucken um Materialisierungen und Konkretisierungen, die Thomas in Augenschein nahm, die er zum Vergleich nutzte und anhand derer er seine Programmierungen weiter entwickeln konnte. Die Interpolationen führten zur Erschaffung neuer Datenpunkte, die nicht im Verlauf des Experimentes erzeugt wurden. Diese – bezüglich der Frage nach der Referenz der Daten prekäre – Situation bildet jedoch keinesfalls ein Spezifikum digitaler Bildpraxis, sondern knüpft auf unterschiedlichen Zeitskalen an wissenschaftliche Auswertungspraxis an: Das Zeichnen von interpolierenden Ausgleichskurven lässt sich über Jahrhunderte zurückverfolgen, die grafischen Auswertungen und zugehörigen mathematischen Überlegungen zu Magnetfeldmessungen durch Johann Heinrich Lambert aus den 1760er Jahren stellen einen frühen Kristallisationspunkt einer solchen Geschichte dar (vgl. Vogelsang 2006). Damit hatte sich über Jahrhunderte eine grafisch-visuelle Praxis entwickelt, in der die zeichnende Hand Lücken zwischen experimentell erhobenen Datenpunkten schloss.76 Als direkter, zeitnaher Bezugspunkt konnten Hartwig Thomas die Auswertungen durch Gerd Binnig dienen, der in Linienausdrucken mittels zeichnerischer Ergänzungen den Übergang zum Flächigen vollzogen hatte (vgl. Abb. II.1.15). Die mathematischen Interpolationen von Hartwig Thomas haben einen vergleichbaren epistemischen Status wie diese Auswertungstraditionen und unterscheiden sich in der ausführenden Praxis doch signifikant, da die Programmierung und Anwendung einer mathematischen Logik die zeichnende, denkende Hand abgelöst hat. In keinem Ausdruck von Hartwig Thomas finden sich zeichnerische Ergänzungen von ihm oder Gerd Binnig, und auch in späteren Ausdrucken digitaler tunnelmikroskopischer Bilder befinden sich keine von Hand vorge76 | In meinem eigenen Physikunterricht und -studium wurde gelehrt, dass Interpolationen und Ausgleichsgeraden „schön“ sein sollten; eine – sicherlich lohnenswerte – Historisierung dieses Schönheitsideals würde den Rahmen dieser Studie jedoch sprengen.
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nommenen Ergänzungen zur Interpolation, Schattenbildung oder farbigen Markierung.77 Vielmehr dienten Befehle zur Erstellung digitaler Bilder, die in einem „dubitativen Prozess“ (Lunenfeld 2002, 167) visuell begutachtet und revidiert werden konnten, bis der Bildeindruck zufriedenstellend war. Während sich in anderen Bereichen digitalen Bildeinsatzes wie der Chaostheorie mit ihren Fraktalbildern die Computergrafik und zeichnerische Elemente von Hand ergänzten (Samuel 2005a) oder in der Architektur die Handzeichnung und das plastische Modell keineswegs obsolet geworden sind, sondern sich mit Computergrafiken ergänzen, kam es in der Tunnelmikroskopie durch die Einführung der Computergrafik zum Bruch mit der Handzeichnung. Sicherlich zeichneten Tunnelmikroskopiker weiterhin kristallografische Modelle von Oberflächen zur Auswertung oder markierten Stellen in den Ausdrucken, doch in der Formung der Messergebnisse erhielt allein das bildschöpferische Potenzial der Computergrafik die Oberhand. Ein mathematisches Ideal, das keinesfalls ikonoklastische Züge trug, setzte sich durch. Mit Hilfe flächiger Aufsichtsdarstellungen (Abb. II.3.6) konnte Thomas für die Silizium-Messung wesentlich genauer die Positionen der Maxima und Minima ermitteln, als dies mit dem ursprünglichen Linienausdruck (Abb. II.3.1) oder dem Papiermodell (Abb. II.3.2) möglich gewesen wäre. Das Bild und seine digitale Bearbeitung wurden zum Instrument einer dem Experiment nachgelagerten Auswertung und Erkenntnisgewinnung. So stellte sich heraus, dass sich die Maxima, die Binnig und Rohrer mit den Positionen einzelner Atome korrelierten (Binnig et al. 1983a, 121), in den Ausdrucken nicht auf geraden Linien, sondern in gekrümmter Anordnung zueinander befanden. Da für die Position der Atome an der Oberfläche der Si(111)-7x7-Rekonstruktion eine streng geometrische, lineare Anordnung zu erwarten war und thermisch bedingter Drift während der Messung einen plausiblen Grund für die beobachtete Verzerrung darstellte, quantifizierte Hartwig Thomas die Krümmung und subtrahierte sie vom gesamten Datensatz (Thomas 09/03). Das Vorwissen über die Probe, Erwartungen an das Bild und Kenntnisse über den Messprozess bildeten die Grundlage für die Anwendung des Algorithmus. In den Ausdrucken (Abb. II.3.6 u. 7) zeugt die Krümmung am Rand von dem am 77 | Recherchen zu einem heterogenen Arbeitsfeld, wie es die Tunnelmikroskopie darstellt, können nie zu einer Gewissheit führen, dass nicht doch in Einzelfällen solche Zeichnungen vorgenommen wurden, doch ergibt sich dieser Befund aus der Sichtung zahlreicher Bildbestände im Besitz von Experimentatoren, Programmierern und Werkstattmitarbeitern.
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Abb. II.3.7: Perspektivdarstellung der Silizium-Messung (Privatbesitz Hartwig Thomas).
Datensatz vorgenommenen mathematischen Eingriff. Er diente dazu, den Bezug der Darstellung zur Probe zu erhöhen, indem der Effekt der thermischen Verzerrung während des Abrasterns rückgängig gemacht wurde. Dass sich kein Verlust des Bezugs zur Probe einstellte, sondern dieser sogar verfestigt wurde, da Effekte des Messprozesses eliminiert wurden, war dem Vorwissen über Probe und Messprozess geschuldet. Die Frage nach der Referenzialität entschied sich in der Einbettung der Bildbearbeitung in das Wissen aus einem komplexen Experimentalsystem. Thomas probierte auf explorative Weise unterschiedliche mathematische Operationen und Darstellungen: „Ich habe einfach gespielt. Sie [Binnig und Rohrer] waren dann aber relativ begeistert. Das ist alles Spielerei mit dem einen Bild.“78 (Thomas 09/03) Binnig und Rohrer verwendeten die „Spielereien“ für ihre Auswertungen sowie für fachwissenschaftliche Publikationen (vgl. Kapitel III.1), aber Thomas produzierte auch aus eigener Initiative Darstellungen für die Downstream-Kommunikation. So stellte Hartwig Thomas perspektivische Anblicke von Hügellandschaften her und druckte sie ebenfalls wieder mit dem Electric Erosion Printer aus (Abb. II.3.7). Er griff in seiner digitalen Bildgestaltung das Foto des Papiermodells (Abb. II.3.2) auf und verknüpfte es mit digitaler Ästhetik, in der metallische, opake Oberflächen ohne jede Tiefenschärfe dominierten. Ein Film über die Tunnelmikroskopie, den IBM 1984 in Auftrag gab, griff auf Thomas’ Bildvorlagen zurück (Abb. II.3.8). Auch nach zwei Jahren diente die 78 | Hartwig Thomas meint mit „dem einen Bild“ die eine Messung vom 18. Oktober 1982 und verwendet damit den Begriff des Bildes für den Datensatz und nicht – wie es ansonsten in dieser Arbeit der Fall ist – für die bildliche Umsetzung des Datensatzes mittels Software.
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Abb. II.3.8: Filmstill aus „Das Rastertunnelmikroskop“ von 1984 (Privatbesitz Hartwig Thomas).
Messung in der Nacht vom 18. Oktober 1982 als Aushängeschild. Da Binnig und Rohrer durch Vortragsreisen beschäftigt waren und da die hochempfindlichen Geräte während ihrer Anwesenheiten in Rüschlikon nicht stabil genug betrieben werden konnten, um fortlaufend neue Messungen an der Si(111)-7x7-Rekonstruktion mit atomarer Auflösung durchführen zu können, brachte Thomas über zwei Jahre immer neue Bilder ein und derselben Messung in Umlauf und konnte eine wachsende Nachfrage befriedigen. Für den erwähnten Film zur Rastertunnelmikroskopie erstellte er unterschiedliche perspektivische Ansichten, die abfotografiert und zu einer Filmsequenz aneinander gefügt wurden (Thomas 09/03). Der Film zeigt damit einen virtuellen Flug über eine atomare Gebirgslandschaft, der im Zusammenhang mit der Nobelpreisverleihung 1986 an Binnig und Rohrer international für ein breites Publikum ausgestrahlt wurde. Thomas prägte mit seinen Bildstrategien den Eindruck von den Potenzialen der Technik. Der ursprüngliche Ausdruck einzelner Linien (Abb. II.3.1) hatte sich über eine Kette von Transformationen unter Einsatz von Computergrafik zu einem Flug über eine atomare Landschaft gewandelt.
Die Beiträge Erich Stolls zur digitalen Bild- und Datenbearbeitung Neben Hartwig Thomas, der parallel zu seiner Dissertation befristet im IBM-Labor tätig war und anschließend eine eigene Software-Firma gründete, war der theoretische Physiker Erich Stoll wesentlich in die digitale Bildbearbeitung involviert. Stoll kam nicht wie Thomas aus dem Forschungsbereich der Computergrafik, sondern hatte zu Beginn der 1980er Jahre als theoretischer Physiker einen Großteil der Rechenkapazität des IBM-Labors Rüschlikon für Computersimulationen von
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Phasenübergängen und nichtlinearen Systemen beansprucht (Thomas 09/03; Stoll 1991, 77). Im Rahmen seiner STM-Tätigkeit trug er zum einen zur Entwicklung einer Theorie der Tunnelmikroskopie bei (Stoll 1984), zum anderen widmete er sich der Programmierung einer Software zur Bildbearbeitung. Im Gegensatz zu den ersten computergestützten Bildbearbeitungen durch Hartwig Thomas, die auf dem Einscannen analog erstellter Linienausdrucke beruht hatten, konnte Erich Stoll schon bald auf Datensätze zugreifen, die während des Betriebs des Tunnelmikroskops direkt gespeichert wurden und die Daten der Höhenposition der Spitze in Abhängigkeit der xy-Koordinaten enthielten (Stoll 1985, 443). Die Speicherung der anfallenden Datenmengen geriet zum Problem, da die Geschwindigkeit der Messungen zur Minimierung des thermischen Drifts bis an die Grenzen des Rückkopplungsmechanismus erhöht wurde und damit die Kapazitäten digitaler Datenerfassung überstieg. So wurden um 1985 in Rüschlikon als Zwischenlösung die x-, y- und z-Signale mit Hilfe von Spannungsfrequenzwandlern in Frequenzen umgewandelt, die dann auf einem Vierspur-Tonbandgerät aufgezeichnet wurden (Marti 07/05). Während die Einführung digitaler Computergrafik im IBM-Labor Rüschlikon einerseits auf der Verfügbarkeit hochwertiger technischer Ressourcen wie Scanner und Drucker beruhte, bedurften die Dynamiken und Anforderungen tunnelmikroskopischer Praxis der Improvisation mit der Kombination digitaler und analoger Techniken. Stoll explorierte die Datenbearbeitung in exemplarischer Ausführlichkeit am Beispiel des Diagramms zur Untersuchung von absorbiertem Sauerstoff auf Nickel (Abb. II.3.9), das bereits bezüglich des Verhältnisses von Diagrammatik und Bildobjekt (vgl. Kapitel II.1) und bezüglich der Sichtbarkeit des Zustandes der Spitze im Bild (vgl. Kapitel II.2) thematisiert wurde. Stoll enttarnte dieses bereits von Binnig und Rohrer veröffentlichte Bild in einer eigenen Publikation zur Daten- und Bildverarbeitung als Ergebnis zahlreicher Bearbeitungsschritte, auf die die Autoren in der Erstveröffentlichung nicht hingewiesen hatten. Stoll stellte dem bereits publizierten Bild eine Darstellung des ursprünglich aufgezeichneten Datensatzes (Abb. II.3.10) gegenüber und indizierte die Stellen, an denen er Bildbearbeitungen vorgenommen hatte, mit den Ziffern 1 bis 6. An den mit „1)“ gekennzeichneten Stellen habe er „smoothly interpolted“ (Stoll 1985, 447), da es sich bei den Auslenkungen um Störungen gehandelt habe, die unabhängig von den Oberflächenkorrugationen seien. Mit „2)“ kennzeichnete Stoll das in der Rastertunnelmikroskopie üblicherweise auftretende Gefälle zwischen der Probe und der durchschnittlichen horizontalen Bewegungsrichtung der Spitze, das in der ursprünglichen Darstellung für den
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Abb. II.3.9 (entspr. Abb. II.1.3 d und Abb. II.2.9): Tunnelmikroskopisches Bild zu einer Nickel-Untersuchung nach zahlreichen digitalen Bearbeitungsschritten (Baro et al. 1984, 1304).
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Abb. II.3.10: Darstellung des Datensatzes einer Nickel-Messung vor mathematischen Operationen am Datensatz; Unterschiede zur Darstellung in Abb. II.3.9 sind markiert (Stoll 1985, 447).
Verlauf der Linien von links unten nach rechts oben verantwortlich war. Dieser Bearbeitungsschritt wurde schnell zum Standard in der Rastertunnelmikroskopie und wird bis heute routinemäßig ohne Nennung in den Publikationen angewendet. Stoll hat zudem, wie es auch Hartwig Thomas praktiziert hatte, den thermischen Drift, der während des Scannens auftritt und durch ungleiche Abstände zwischen den Linien zum Ausdruck kommt (in Abb. II.3.10 mit 3) bezeichnet), berechnet und vom Datensatz subtrahiert. Des Weiteren eliminierte er niederfrequentes Rauschen, das er äußeren Vibrationen zuschrieb (4) und Verschiebungen der Anfangspunkte aufeinanderfolgender Scanlinien (5). Zudem hat Stoll hochfrequentes Rauschen mit einem Tiefpassfilter unterdrückt (6). Damit hat Stoll unterschiedliche Schritte der Bildbearbeitung vorgestellt, deren Anwendung jeweils allein durch das Vorwissen über die Gründe der eliminierten Strukturen gerechtfertigt waren. Die Eingriffe, die Stoll am Beispiel der Nickel-Untersuchung eingeübt und ausgeführt hat, resultieren aus dem Wissen, dass die Messwerte nicht allein den Orten gleichen Tunnelstroms zwischen Spitze und Probe entsprachen, sondern der Interaktion vieler Komponenten entsprangen: der Spitze und der Probe, Vibrationen durch die Motoren, eventuell Vakuumpumpen und Trittschall; zudem überlagerten zeitkritische Prozesse wie die Trägheit des Rückkopplungsmechanismus
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und Nichtlinearitäten in den Piezomotoren in den Daten. Das Bemühen um die Bestimmung der Probe ließ für Stoll einen Großteil dieser Einflüsse als „Rauschen“, „Fehler“ oder „Störung“ erscheinen. Stolls Eingriffe bezogen sich auf die Komponenten, derer er mathematisch habhaft werden konnte, die er der Logik digitaler Bilder unterwerfen konnte. Die Veränderung der Spitze im oberen Bildteil konnte er nicht mathematisch fassen und folglich nicht revidieren (vgl. Kapitel II.2). Da die Schritte der Bildbearbeitung durch den Experimentator, dessen Aufgabe die Manipulation – das Eingreifen – ist, nur durch Vorwissen legitimiert sein können und seinen Zuschreibungen unterliegen, können Fehleinschätzungen unterlaufen, die mitunter die Gefahr eines vollständigen Referenzverlustes bergen. So warnte Stoll in einer seiner Publikationen zur Bildbearbeitung: „As a warning to uncritical STM users it should be emphasized that 1/f noise is strongly correlated and can generate appealing self-similar landscapes.“ (Stoll 1991, 70) In der Praxis entscheiden die Experimentatoren, ob sie mathematische Operationen am Datensatz vornehmen und ob sie diese Arbeitsschritte transparent machen. So haben Binnig und Rohrer in ihrer ursprünglichen Publikation die Bearbeitungsschritte Stolls nicht benannt. Vielmehr stand das Linienbild in der Formtradition analoger Tunnelmikroskopie und Binnig und Rohrer haben mit diesem Bild – wie in Kapitel II.2 ausgeführt – den Einfluss der Beschaffenheit der Spitze in dem Bild verdeutlicht. Damit suggerierten sie, Störungen und instrumentelle Bedingungen im Bild transparent zu machen. Der unerwähnte Einsatz der digitalen Bildbearbeitung unterlief diesen Anspruch. Erst die subversive Publikationsstrategie von Erich Stoll hat im Nachhinein mit dem Mittel der Gegenüberstellung des Bildes vor und nach der digitalen Bearbeitung die Bearbeitungsschritte aufgedeckt.79 Auf der ersten STM-Tagung in Oberlech ist Jene Golovchenko, Tunnelmikroskopiker an den Bell Laboratories, mit der mangelnden Transparenz der Bildpraxis hart ins Gericht gegangen (Feenstra 08/06). Die Gemeinschaft handelte bei solchen Zusammenkünften die Gepflogenheiten der Transparenz ihrer Datenbearbeitung aus, die dem isolierten Bild nicht anzusehen sind. Eine Liniendarstellung teilt nicht mit, ob sie als Ergebnis eines analogen Verfahrens aufgezeichnet wurde oder ob sie das Ergebnis eines digitalen Verfahrens ist, in 79 | Erich Stoll besaß nicht immer die Unterstützung der Institutsleitung: Als IBM Ende der 1980er Jahre erstmals in die Verlustzone rutschte, gehörte Stoll zu den ersten Forschern, denen ein Auflösungsvertrag mit einer Abfindung angeboten wurde, den er akzeptierte. Der subversive Charakter seiner Publikation entspricht dieser Stimmungslage.
II. ETABLIERUNG
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dessen Verlauf ein diskreter Zeichensatz gespeichert und bearbeitet wurde, um ihn dann aufzuzeichnen. Kontroversen um die Authentizität von Bildern lassen sich jedoch nicht allein an ihrer technischen Erstellung festmachen: So kam es in der Frühzeit der Tunnelmikroskopie zu einer Skepsis gegenüber der Glaubwürdigkeit von Binnigs und Rohrers frühen Linienbildern wie dem ursprünglich analog erzeugten Ausdruck der Si(111)-7x7Untersuchung, der bei einigen Oberflächenphysikern den Verdacht erregte, dass es sich um eine Computersimulation und damit eine Fälschung handeln würde.80 In der Folgezeit, nach der Etablierung digitaler tunnelmikroskopischer Verfahren, spielten solche Vorwürfe keine Rolle mehr. Nicht der analoge oder digitale Charakter der Aufzeichnungen gab den Ausschlag für eine Skepsis bezüglich der Echtheit, sondern die Frage nach der Wiederholbarkeit der Experimente, der Einbettung in ein Netz experimenteller Verfahren und theoretischer Deutungen. Neben der Programmierung von Routinen, die auf Operationen am Datensatz ausgelegt waren, investierte Stoll einen erheblichen Teil seiner Kapazitäten in die Erstellung einer Software zur Darstellung der Daten als Bilder. In einem von Stoll gestalteten Bild zu einer DNA-Untersuchung scheinen, gleichsam einer dreidimensionalen Karte, aus einem türkisblauen Ozean, durch dessen klares Wasser man auf die Unebenheiten des Meeresgrundes zu blicken vermag, begrünte Inseln aufzusteigen, die sich zu bräunlichen Felsen erheben (Abb. II.3.11).81 Erich Stoll griff bewusst kartografische Farbcodierungen auf, um an Sehgewohnheiten anzuknüpfen (Stoll 1985, 442). Gleichzeitig transportierte er damit – möglicherweise unbewusst – Ideale der Anschaulichkeit, die im 19. Jahrhundert neben den geometrisch-mathematischen Anforderungen an Karten die Entwicklung hin zu einer „physiologisch-optischen Farbenskala“ motiviert hatten (Siemer 2007, 86-93).82 Zugleich setzte er die Landschaftsmetapher, die die Mikroskopie seit ihrer Erfindung über Jahrhunderte begleitet hat (vgl. Kapitel IV.2), ins Bild. Darüber hinaus hat Stoll den dreidimensionalen Perspektiv- und Beleuchtungseindruck, den ja auch 80 | E-Mail von Heinrich Rohrer an den Verfasser vom 7.3.2006. 81 | Zu den mit diesen Bildern verbundenen Fragestellungen siehe Kapitel III.2. 82 | Der Einsatz der Farbenplastik begann im 19. Jahrhundert, die „Physiologisch-optische Farbenskala“ von Karl Peucker stellte 1910 einen Höhepunkt dieses Bestrebens dar (Peucker 1910; nach: Siemer 2007, 86ff.); zur Politik der Topografie und der kartografischen Ordnung im 19. Jahrhundert am Beispiel der Schweiz siehe Gugerli, Speich, 2002.
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Abb. II.3.11: Tunnelmikroskopisches Bild zu einer DNA-Untersuchung mit kartografischer Farbkodierung und Simulation von drei Lichtquellen (IBM-Labor Rüschlikon).
Hartwig Thomas schon entwickelt hatte, weiter verfeinert. Dazu hat sich Stoll mit Beleuchtungen in Fotostudios auseinandergesetzt und die übliche Verwendung von drei Lichtquellen in rastertunnelmikroskopischen Darstellungen simuliert.83 Damit setzte er sich explizit zum Ziel, eingeübte Lichtarrangements auf tunnelmikroskopische Bilder zu übertragen und durch die simulierte Beleuchtung die Plastizität des Dargestellten zu erhöhen. Wenn Anwender der Software nun eine dreidimensionale Darstellung gewählt hatten, wurden diese Algorithmen und Darstellungskonventionen automatisch aktiviert. Stoll hatte mit dem Farbcode und der Simulation der Beleuchtung persönliche Vorlieben in die Bildgestaltung implementiert. Nutzer der Software kritisierten im Nachhinein diese bei IBM in Rüschlikon eingesetzte Software, da sie dem Nutzer durch viele Vorgaben zu wenig Freiheiten geboten habe (Gespräch Anselmetti 06/05). Während Hartwig Thomas die dreidimensionalen Darstellungen mit simulierter Beleuchtungssituation zunächst für einen Film für die Öffentlichkeit produziert hatte, zielte Erich Stoll nicht primär auf eine solche Downstream-Kommunikation ab. Ohne Blick auf Wissenschaftspopularisierungen führte er aus, dass die Darstellungen „aesthetically pleasing and informative and convincing“ (Stoll, 1991, 76) 83 | Stoll bezeichnete im persönlichen Gespräch die Simulation dieser Beleuchtungssituation als persönliches Erkennungsmerkmal in tunnelmikroskopischen Bildern; publiziert hat er diese Softwareentwicklung zunächst in Stoll, Baratoff 1988, 152, und ausführlicher auch unter expliziter Bezugnahme auf die Adaption aus Fotoateliers in Stoll 1991, 72.
II. ETABLIERUNG
Abb. II.3.12: Analogsimulationen zur Darstellung von Messdaten in isometrischer Projektion (Privatbesitz Hans-Rudolf Hidber).
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Abb. II.3.13: Analoge tunnelmikroskopische Aufzeichnung in isometrischer Projektion (Ringger 1986, 76).
sein sollten. Während die ästhetisch ansprechende Gestaltung ebenso wie der informative Charakter der eigenen Auswertung und der Befriedigung eigener Ansprüche dienen kann, zielt das Attribut der Überzeugungsfähigkeit eindeutig auf die Kommunikation mit anderen ab. 84
Analoge und digitale Bildpraxis an der Universität Basel Die Einführung der Computergrafik war bei IBM in Rüschlikon durch lokale Infrastrukturen wie die Verfügbarkeit von Hochleistungsscannern und Druckern sowie eine Forschungsabteilung zur digitalen Bildbearbeitung und -ausgabe geprägt. Solche Voraussetzungen waren an Universitäten Anfang der 1980er Jahre nicht gegeben,85 auch nicht in 84 | In der Wissenschaftsforschung haben sich Michael Lynch und Steve Woolgar mit der Bildpraxis von Astronomen auseinandergesetzt und festgestellt, dass diese in ihrem Selbstverständnis Bildgestaltungen zum Zwecke von Popularisierungen und innerwissenschaftliche Bildpraxis voneinander trennen, ohne die wechselseitigen Einflüsse zu sehen (Lynch, Woolgar 1988). Für Stoll bestand überhaupt kein Anlass zu einer solchen Trennung, da Festkörperphysiker überhaupt nicht gewohnt waren, gegenüber einer allgemeinen Öffentlichkeit zu kommunizieren, sondern sich diese Gewohnheit erst durch die Herausbildung der Nanotechnologie entwickelt hat (vgl. Kapitel IV.2). 85 | Eine Ausnahme bildete die Arbeitsgruppe um Cal Quate an der Stanford University in Kalifornien, wo schon beim Einstieg in die Tunnelmikroskopie in den frühen 1980er Jahren die digitale Bildbearbeitung etabliert war; ich danke Cyrus Mody für diesen mündlichen Hinweis.
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der Arbeitsgruppe um den Physikprofessor Hans-Joachim Güntherodt an der Universität Basel, die zu den Pionieren der Tunnelmikroskopie außerhalb von industriellen Forschungslaboren gehörte. Die Basler Gruppe begann zunächst mit der Realisierung analoger Geräte, um dann auf digitale Techniken umzusteigen. Im Folgenden wird zunächst die analoge Bildpraxis in Basel exemplarisch beschrieben, um vor diesem Hintergrund den Übergang zur digitalen Bildpraxis und die Spezifika derselben zu diskutieren.
Erste analoge Experimente In Basel bildete ein Kolloquiumsvortrag Gerd Binnigs im Physikinstitut am Freitag, den 23. April 1982, 86 den Ausgangspunkt zum Einstieg in die Tunnelmikroskopie. Zu den Zuhörern des Kolloquiums gehörte auch der Leiter der Elektronikwerkstatt von Güntherodts Gruppe, Hans-Rudolf Hidber, dem der spielerische, ungezwungene Bildumgang Binnigs im Gedächtnis blieb. So hatte Binnig während seines Vortrags die wellenförmigen Linien eines tunnelmikroskopischen Bildes durch das Zeichnen einer Palme in eine Südseelandschaft verwandelt (Hidber 04/05). Studierende und Universitätsangehörige lernten so die neue Methode der Tunnelmikroskopie mittels Binnigs spielerischer Grundhaltung kennen, der sich in seinem Bildumgang keinesfalls einem Ideal der Seriosität verpflichtet sah.87 Und gleichzeitig fand sich auch in dieser Nebensächlichkeit die vertraute Metapher der mikroskopischen Landschaft wieder, die es lohnt, bereist und aufgespürt zu werden, und derer sich Binnig in ironischer Geste bemächtigte. Am Montag nach dem Vortrag besprach Güntherodt mit Hidber, den Bau eines Tunnelmikroskops in Basel anzugehen (Hidber 04/05). Güntherodt und Hidber glaubten, sich damit eine anspruchsvolle, aber auch lösbare Aufgabe zu stellen und das nötige Know-how zu besitzen. Güntherodt verfolgte die Strategie, den Kontakt nach Rüschlikon 86 | Hans Rudolf Hidber ist noch im Besitz der Kolloquiumsankündigung, auf der der Termin angegeben ist. 87 | Diese Offenheit der Gestaltung sollte sich in einer toleranten Haltung von Binnig und Rohrer gegenüber anderen Tunnelmikroskopikern fortsetzen, da sie nie anstrebten, Kontrolle über die Gemeinschaft der Rastertunnelmikroskopie auszuüben. Wie wenig selbstverständlich diese Haltung ist, zeigt der Vergleich mit der Frühphase der Elektronenmikroskopie, in der die Pioniere der Methode eine strikte Kontrolle über Gestaltung und Interpretation der Bilder durchgesetzt haben (vgl. Rasmussen 1997, 52ff.)
II. ETABLIERUNG
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zunächst nicht zu intensivieren, sondern möglichst eigenständig zu einer Realisierung zu kommen. Der erste Diplomand auf dem Gebiet, Markus Ringger, erinnert sich:88 „Herr Güntherodt hat uns eigentlich verboten, Kontakt aufzunehmen mit Binnig und Rohrer. Er wollte, dass man das selbst erarbeitet. Ich glaube, es waren zwei Dinge: Erstens hatte ich das Gefühl […], dass die nicht sehr freigiebig wären mit ihren Informationen – etwas, was sich im Nachhinein als völlig falsch herausgestellt hat. Und zweitens, dass wir uns unabhängig in die Problematik hinein vertiefen und damit wahrscheinlich fundiertere Erkenntnisse erlangen, wie es geht, bevor man fragt wie es geht und es kopiert.“ (Ringger 04/05)
Güntherodt hoffte, das neue Instrument für die Untersuchung von metallischen Gläsern, sein damaliger Forschungsschwerpunkt, gewinnbringend einsetzen zu können (Güntherodt 04/05). Er hatte also eine konkrete Anwendung im Sinn. Dass die Rastersondenmikroskopie für die nächsten 20 Jahre bis zu seiner Emeritierung seine Forschung bestimmen würde und seine Arbeitsgruppe wiederum die Forschung auf diesem Gebiet mit prägen würde, war an diesem Montagvormittag im April 1982 selbstverständlich nicht absehbar oder planbar. 89 Hidber widmete sich der Entwicklung einer Steuerelektronik zur Bewegung der Spitze über der Probenoberfläche und zur Aufzeichnung des Signals mit Hilfe eines xy-Schreibers. Dazu nahm er das Foto des Papiermodells (Abb. II.3.2) als Vorlage und erprobte zunächst die Darstellung analog simulierter Messwerte in einer isometrischen Projektion (Hidber 04/05). Die Darstellung einer sofa-ähnlichen Form zeugt von dieser explorativen Phase (Abb. II.3.12). Hidber implementierte dieses Programm in die Elektronik des ersten Basler Tunnelmikroskops, worauf sämtliche Aufzeichnungen von Markus Ringger, dem ersten Basler Diplomanden auf diesem Feld, bedingt durch die Elektronik die äußere Form eines plastischen Körpers in isometrischer Projektion aufwiesen (Abb. II.3.13). Dem Experimentator 88 | Harry Collins hat nicht bloß auf den hohen Status informellen Wissenstransfers hingewiesen, sondern auch behauptet, dass für diese Frage in den Naturwissenschaften kein Bewusstsein ausgebildet sei (Collins 1985, 76). Die Gespräche in Basel, aber auch im IBM-Labor in Yorktown (vgl. Kapitel III.1), haben bei mir einen gegenteiligen Eindruck hinterlassen, da sowohl Bemühungen informellen Austauschs als auch Entscheidungen, eben diesen nicht zu suchen, bewusst getroffen wurden. 89 | Der Erfolg dieser Forschungsausrichtung zeigt sich u.a. darin, dass heute mehr als 15 Schülerinnen und Schüler Güntherodts Professuren im Bereich der Rastersondenmikroskopie bekleiden.
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N ANOTECHNOLOGIE
Abb. II.3.14: Tunnelmikroskopische Bilder einer Grafit-Messung durch Ringger in Basel (Ringger 1986, 102).
blieb lediglich die Möglichkeit, über ein Potentiometer den Winkel der Achsen zueinander zu variieren. Binnigs Bastelei eines Papiermodells war zur Handlungsanweisung von Hidber geworden, der Diplomand und spätere Doktorand Markus Ringger konnte nur innerhalb dieser Vorgaben Bilder erzeugen. Die frühe Basler tunnelmikroskopische Bildpraxis war durch diese Formgebung, aber gleichzeitig auch durch die Auswertung und Interpretation einzelner Experimente sowie die Einbettung der Tunnelmikroskopie in komplexe Experimentalsysteme geprägt. Ringger hat nach anfänglichen Experimenten an metallischen Gläsern, mit denen er an den damaligen Schwerpunkt der Güntherodt-Gruppe angeknüpft hatte, seine Untersuchungen auf Grafit ausgedehnt und damit eine Standardprobe der Tunnelmikroskopie ausgewählt. Für Ringger stand dabei ebenso wenig wie für die Tunnelmikroskopiker in Rüschlikon die wohlbekannte Struktur des Grafits zur Disposition (vgl. Kapitel II.2), sondern die Stabilisierung des eigenen Instruments und das Ziel, dessen Leistungsvermögen anhand der Grafit-Untersuchungen bis zur atomaren Auflösung zu steigern. In einem von Ringger erzeugten und in seiner Dissertation publizierten STM-Bild von Grafit (Abb. II.3.14 unten) zeugen die Formen von der Überlagerung mehrerer Einflussfaktoren und den instrumentellen Bedingungen: Zum einen zeigt sich auch in diesem Bild ein dreidimensionaler Körper, da – wie ausgeführt – Hidber eine isometrische Projektion in die Elektronik des Instruments implementiert hatte. Zweitens hebt sich in den aufgezeichneten Spuren der Spitze eine Linie deutlich vom Verlauf der anderen ab. Eine solche Abweichung von der Erwartung konnte von Ringger eindeutig als Störung
II. ETABLIERUNG
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Abb. II.3.15: Grafische Auswertung zur GrafitMessung in Abb. II.3.13 (Ringger 1986, 101).
identifiziert werden und er interpretierte den Kurvenverlauf als das Ergebnis einer unplanmäßigen Veränderung der Spitze während des Messvorgangs (wie es in Kapitel II.2 ausgeführt wurde). Davon epistemisch zu trennen ist als Drittes der Verlauf der restlichen Grafen, der ebenfalls von der Erwartung abwich, da die Abstände der einzelnen Maxima nicht Ringgers Erwartungen an die Messung entsprachen. Anders als die Abweichung durch die Veränderung der Spitze zog dieser Befund Folgeuntersuchungen nach sich. Ringger bestimmte die Abstände der Maxima aus den Eigenschaften der Piezomotoren, die die Spitze über die Oberfläche führten. Er stellte nun, ebenso wie Binnig und Rohrer es während ihrer ersten Experimente zum Vakuumtunneln getan hatten (vgl. Kapitel II.1), die Eichung der Piezos in Frage. Da etwas Unerwartetes und Erklärungsbedürftiges im Bild aufgetreten war, wandelte sich der Status der Piezomotoren innerhalb des Experimentalsystems von technischen Komponenten hin zu Untersuchungsgegenständen. Ringgers weiteres Vorgehen nahm durch diese veränderte Aufmerksamkeit einen ungeplanten Verlauf, da er Kooperationspartner zur Untersuchung der Piezomotoren suchen musste. Gemeinsam mit einem Doktoranden in Neuenburg gelangte er unter Einsatz laserinterferometrischer Messungen zu dem Ergebnis, dass sich die Eigenschaften der Motoren durch Erhitzungen und das Anlöten von Kontakten verändert hatten (Hidber 04/05). Doch auch damit war die Anordnung der Maxima aus seiner Grafit-Messung für Ringger noch nicht geklärt: Nun bestand das technische Problem für ihn darin, die einzelnen Scans nicht in geringerem Abstand zueinander durchführen zu können. So versuchte er geometrisch zu lösen, wo die einzelnen Scans auf der Oberfläche entlangliefen. Anhand einer Skizze (Abb. II.3.15) machte er plausibel, dass eine Abweichung der Scanrichtung gegenüber der Hauptrichtung des Grafits zu dem Muster und den Abständen im tunnelmikroskopischen Bild führen würde. Die Bildpraxis von Ringger lässt sich damit als Verschränkung zweier Grundmuster beschreiben: die gezielte Formgebung durch Hidbers Elektronik, der an die Gestaltungen von Binnig, Rohrer und
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Gerber anknüpfte und damit die Erzeugung eines gegenständlichen, plastischen Eindrucks in den Bildern der Rastertunnelmikroskopie fortsetzte – Ringger musste dieser Gestaltung folgen, da sie in das Instrument implementiert war. Gleichzeitig zeigten sich innerhalb der Ausbildung dieser Darstellungstradition unerwartete Kurvenverläufe, die von der Erwartung abwichen und zu unvorhersehbaren Folgeuntersuchungen führten. Im Fall von Ringgers Experimenten waren diese Aktivitäten von der Basler Haltung geprägt, bewusst nicht in informellen Austausch mit Binnig, Rohrer und Gerber zu treten. Da diese die Notwendigkeit zur Neueichung der Piezos nicht publiziert hatten (vgl. Kapitel II.1), musste Ringger persönlich die entsprechenden Erfahrungen noch einmal sammeln. Die soziale Konstellation, die Kommunikations- und Publikationspraktiken sowie das Auftauchen überraschender Strukturen im Bild bestimmten Ringgers Bildpraxis und damit seine Wissensaneignung.
Digitales Präsentieren und alltägliche Praxis Auch in Basel entstand der Wunsch, computergestützte Bildbearbeitung zu nutzen, und Güntherodt konnte seinen damaligen Studenten Lukas Rosenthaler dafür gewinnen, Software zur Daten- und Bildverarbeitung zu programmieren. Er forcierte dieses Anliegen im Vorfeld einer Tagung: LR: „Ich weiß noch, Professor Güntherodt kam zu mir kurz vor der Diplomarbeit und sagte: Ich brauche dringend Bilder am Computer bis zum Montag – und das war am Donnerstag; die Hardware war schon dafür vorgesehen, aber die Software war offensichtlich noch nicht da.“ JH: „Das war speziell für die Konferenz?“ LR: „Das war einfach, dass IBM das hatte; er hat kurz vorher erfahren, dass Binnig/Rohrer ein digitales Bild präsentieren werden und dann musste er das auch haben.“ (Rosenthaler 04/05)90
Nicht die Nutzbarmachung im Labor zur Auswertung der Messungen, sondern die Präsentation und Kommunikation im Kollegenkreis gaben den Ausschlag zu diesem Schritt. Güntherodt räumte der Prä90 | Sicherlich erfuhren Binnig und Rohrer Mitte der 1980er Jahre eine andere Aufmerksamkeit als die Basler Gruppe, doch relativiert das keinesfalls die Wahrnehmung Rosenthalers, dass ihr Handeln durch den Versuch, Aufmerksamkeit zu erzeugen, geprägt war.
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sentation von Ergebnissen einen hohen Stellenwert ein, so erinnert sich eine ehemalige Habilitandin: „Güntherodt waren schöne Bilder wichtig.“ (Hermann 02/06) Im Tagungskontext konnte Güntherodt die Beherrschung des STM und die Beherrschung der Computergrafik präsentieren. In Zeiten einer zunehmender „Medialisierung der Wissenschaften“ (Weingart 2001, 244ff.) griffen zunehmend die Gesetze der Medienindustrie in der Konkurrenz um Aufmerksamkeiten. Sie schlugen sich in der alltäglichen Laborpraxis nieder, da der Präzedenzfall der Bildpräsentation im Tagungskontext auf die alltägliche Bildpraxis rückwirkte.91 So führte für Rosenthaler der Weg von einem kurzfristigen Hilfsdienst zu einer Diplom- und später einer Doktorarbeit, in denen er eine Software zur Daten- und Bildbearbeitung programmierte. Im Gegensatz zum IBM-Labor in Rüschlikon musste er mit einer bescheidenen technischen Ausrüstung vorlieb nehmen, die er gleich im ersten Abschnitt einer Veröffentlichung zur Datenbearbeitung als „cheap [...] microcomputer“, „low cost graphic terminals“ und „data acquisition system, which is not state of the art“ (Rosenthaler et al. 1988, 393) einstufte. Der erste Schritt bestand in der Erstellung einer Software, mit der er „im Prinzip einen xy-Plotter simuliert“ hatte (Rosenthaler 04/05) (Abb. II.3.16 a). Während Hidber dem Foto von Binnig und Gerbers Papiermodell gefolgt war und er die Bildgestaltung für die Experimentatoren vorgegeben hatte, folgte nun Rosenthaler beim Schritt der Digitalisierung zunächst den analogen Formgebungen Hidbers. Rosenthaler wählte eine Parallelprojektion (Rosenthaler 1988, 36), konnte damit Gewohnheiten der Experimentatoren aus ihrer analogen Bildpraxis bedienen und gleichzeitig die verfügbaren monochromen Bildschirme zur Liniendarstellung nutzen. Diese „einfach gehaltene“ Grafik (Rosenthaler 1988, 36) erforderte keine große Rechenleistung und konnte auch bei großen Scangeschwindigkeiten zur Minimierung des thermischen Drifts zeitgleich zur Messung auf dem Monitor dargestellt werden. Rosenthaler hob den technischen Fortschritt dieser digitalen Darstellung hervor: Ein analoger xy-Schreiber wäre für solche Bildproduktionen zu träge gewesen (Rosenthaler 1988, 35). Die Liniendarstellungen konnten synchron zur Messung am Monitor beobachtet werden und die Messungen damit einer ersten Einschätzung unterzogen werden, während dann nachträglich die Möglichkeiten zur Bearbeitung des gespeicherten Datensatzes und zur Wahl unterschiedlicher Darstellungsformen 91 | Anhand von DNA-Darstellungen hat Martina Heßler an einem konkreten Motiv die Veränderung wissenschaftlicher Bilder im Zuge dieser Medialisierung nachvollzogen (Heßler 2007).
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Abb. II.3.16 a,b: a) Computergrafische Nachahmung analoger Linienaufzeichnungen (vgl. analoge Aufzeichnung in Abb. II.3.13) und b) flächige Darstellung der selben Messung (a: Anselmetti et al. 1988, 509; b: Privatbesitz Anselmetti).
genutzt werden konnten (Rosenthaler 04/05). Liniendarstellungen (Abb. II.3.16 a) konnten so beispielsweise in Aufsichten in Graustufendarstellungen überführt werden (Abb. II.3.16 b). Während Hartwig Thomas bei IBM in Rüschlikon wenig Austausch mit den Experimenten hatte (Thomas 09/03), unterschied sich Rosenthalers Position in der Basler Gruppe fundamental: „Ich hatte meinen Arbeitsplatz im Labor neben den Tunnelmikroskopen und der UHV-Anlage. Ich habe dort programmiert, ich war mitten drin. Ich glaube, das war wichtig, um mit den Leuten [Experimentatoren] die Software so zu machen, dass sie reibungslos funktioniert. Das ist auch heute ein Prinzip, das ich beim Umgang mit Computern allgemein empfinde. Die Leute, die Software schreiben, die müssen mittendrin im Problem sein, sonst funktioniert es nicht. Sonst schreibt man an den Bedürfnissen vorbei. Und das war durch diese kleine Gruppe und durch diese räumliche Enge förmlich gegeben. Dann kam auch die Kritik sofort. Ich habe die Software entwickelt und die dann übergeben und die Leute haben sie, während ich sie entwickelt habe, laufend gebraucht und gesagt: ,Du, das ist zu umständlich. Könntest du nicht noch das machen‘ und ,Schau mal, das tolle Resultat, aber weißt du, jetzt sollte eigentlich noch das gehen, kannst du das?‘ Es war ein dauernder Dialog während der Entwicklung.“ (Rosenthaler 04/05)
Doch auch dieser enge Austausch schloss nicht aus, dass Rosenthaler mit Programmierungen und der Lösung von Problemen konfrontiert war, in die er die Experimentatoren nicht involvierte. So stellte beispielsweise die Bestimmung von Farbabstufungen innerhalb einer
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Farbe für die Codierung der z-Werte für Rosenthaler eine Herausforderung dar, die er für sich alleine löste: „Farbe ist natürlich etwas ganz, ganz Schwieriges und das habe ich erst viel, viel später begriffen, was Farbe eigentlich für eine Bedeutung hat. Ich weiß, ich habe tagelang, wirklich tagelang damit verbracht, eine Farbskala zu finden, die visuell gleiche Abstände hat. Das war unglaublich schwierig. Heute weiß ich, warum das so schwierig ist.92 Ich weiß noch, da habe ich wirklich zwei, drei Wochen einfach probiert, probiert, probiert [...], bis ich einfach Farbabstände gefunden hatte, 4 oder 16, die wirklich gleichmäßig wirken. Das war zum Beispiel so etwas, da hat niemand was davon gewusst, dass ich dieses Problem habe. Das habe ich nicht groß erzählt, sondern ich habe einfach gewusst, um keinen falschen Eindruck zu erwecken, muss der Farbabstand gleich sein, sonst kann man etwas falsch interpretieren, es muss visuell aussehen wie gleiche Abstände, auch im Farbbereich – wie macht man das? Das war einfach Arbeit. Die hat vermutlich niemand ganz gesehen, begriffen, und das war dann wirklich der Computerfreak, der einfach etwas macht und am Schluss hat man alles selbstverständlich gefunden.“ (Rosenthaler 04/05)
Rosenthaler hebt damit einen Blackboxing-Prozess hervor; über seine Software führte er Farbabstufungen ein, die für die Nutzer selbstverständlich wirkten und daher nicht mehr hinterfragt wurden. Gleichzeitig macht er auf die epistemische Wirkmächtigkeit seiner Farbauswahl aufmerksam: Er sieht die Interpretation der Bilder und damit die Erzeugung von Wissen durch die Wahl der Farben, die er durch die Implementierung in der Software den Experimentatoren vorgegeben hatte, berührt. Rosenthaler stellte als Programmierer den Experimentatoren die Software zur Verfügung und prägte damit beispielsweise deren Farbstrategien, gleichzeitig nahm er, wie Thomas und Stoll, auch seinerseits Bildgestaltungen außerhalb der Auswertung von Experimenten zur Präsentation vor. Rosenthaler verfertigte stereoskopische Bilder (Abb. II.3.17; Rosenthaler 1988, 129-134), deren Wert er in der Rückschau in der Erzeugung von Aufmerksamkeit sieht: LR: „Es geht auch darum: Was will man mit dem Bild erreichen? Ich glaube, ein Bild hat immer auch einen Zweck. Ein schönes Bild, schön mit Computergrafik 92 | Rosenthaler ist heute im Fachbereich Medienwissenschaften der Universität Basel beschäftigt und arbeitet zur Konservierung von Softwarekunst, so dass er dem Bildthema verhaftet geblieben ist und er dementsprechend seine damalige Tätigkeit reflektiert.
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Abb. II.3.17: Paar stereoskopischer tunnelmikroskopischer Bilder (Rosenthaler 1988, 135).
gerechnet, das ist ideal für eine Publikation, die vielleicht für die Allgemeinheit gedacht ist, oder man will einen Blickfang in einem Paper machen, dass die Leute das auch anfangen zu lesen. Das ist legitim und wichtig. Umgekehrt kann ein Bild, das langweilig aussieht, unter Umständen mehr wissenschaftliche Informationen enthalten. Man verfolgt dann einen anderen Zweck damit. Ich glaube, je nach Verwendungszweck, je nach Ziel, das man erreichen will, ist beides legitim und beides durchaus vertretbar. Also ich habe zum Beispiel – darauf war ich stolz – Stereobilder gemacht, zum Teil mit Anaglyphen, also mit rot-blau, die dann mit einer farblichen Brille auf dem Bildschirm betrachtet werden konnten. [...] Wir haben dann zum Teil Dias hergestellt aus diesen zwei Blickwinkeln, die man dann mit einem Guckkasten anschauen konnte.“ JH: „Ein Stereoskop.“ LR: „Stereoskopisch, genau. Das war, sagen wir, wissenschaftlich nicht unbedingt interessant, aber es war natürlich ein Blickfang, mit dem konnte man auch die Wissenschaft nach außen vermitteln. [...] Ich weiß noch, dass wir bei der ersten STM-Konferenz in Kalifornien diesen Guckkasten mit diesem Stereobild mithatten, und das war schon ein rechter Blickfang.“ JH: „In Oxnard?“ LR: „Ja, in Oxnard. Da waren die Leute stehen geblieben. Das war lustig!“ (Rosenthaler 04/05)
Rosenthaler übertrug die Stereoskopie, eine Technik des 19. Jahrhunderts,93 auf das neue Medium der Computergrafik, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Zweifach nennt Rosenthaler in diesem Zusammenhang reflexartig zunächst ein allgemeines, außerwissenschaftliches Publikum als Adressaten, um dann mit dem „Blickfang in einem Paper“ 93 | Zur Technikgeschichte der Stereoskopie, ihrer Faszination und Verbreitung siehe Hoffmann 2002 [1990].
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b)
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c)
Abb. II.3.18 a-c: Demonstration des Einsatzes eines Fourier-Filters in einer Publikation Rosenthalers: a) tunnelmikroskopisches Bild in Graustufenaufsicht, auf das bereits ein Meridian-Filter angewendet worden ist; b) Darstellung der Fourier Transformation mit kreisförmiger Maske: Information innerhalb der Maske bleibt erhalten, außerhalb wird gefiltert; c) Tunnelmikroskopisches Bild nach der Filterung und Rücktransformation in Aufsicht mit simulierter Beleuchtung (Rosenthaler et al. 1988, 395).
und der Nennung einer Konferenz, auf der Tunnelmikroskopiker unter sich waren, jeweils auch wissenschaftsinterne Zielgruppen anzuführen. Im kalifornischen Oxnard trafen sich 1987 sämtliche Tunnelmikroskopiker der Zeit; die Basler Gruppe konnte zu diesem Zeitpunkt noch keine Aufmerksamkeit durch neue oberflächenphysikalische Forschungsergebnisse oder Instrumentenverbesserungen erzielen und versuchte diese Lücke durch die Präsentation außergewöhnlicher Bildbearbeitungen zu schließen. Digitale Bildbearbeitung diente hier nicht als Instrument der Erkenntnisgewinnung, sondern zur Gewinnung von Aufmerksamkeit. Neben Tätigkeiten zur Darstellung der Daten befasste sich Rosenthaler auch mit der Programmierung von Optionen zur Datenbearbeitung, die exemplarisch am Beispiel der Fourier-Transformation vorgestellt wird und das Wechselspiel zwischen der Anwendung mathematischer Operationen am Datensatz und visueller Beurteilung an der bildlichen Darstellung der modifizierten Daten verdeutlicht. Der Datensatz aus einer tunnelmikroskopischen Messung im Realraum kann durch eine Fourier-Transformation in den Frequenzraum übertragen werden, was sich zur Hervorhebung und Auswertung von Periodizitäten eignet. Periodizitäten der Daten im Realraum erscheinen im Frequenzraum – genauer gesagt: in der Darstellung der Beträge der erhaltenen komplexwertigen Zahlen im Powerspektrum – als Peaks. Besteht das Powerspektrum aus einigen wenigen scharfkantigen Peaks, ist dies ein Indiz für eine hohe Periodizität, verteilte Werte außerhalb der Peaks lassen auf nichtpe-
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N ANOTECHNOLOGIE
Abb. II.3.19: Typische Bildgestaltung in der Dissertation von Dario Anselmetti (Anselmetti 1990, 28).
riodische Signale des Datensatzes im Realraum schließen. Wird von einem tunnelmikroskopischen Bild (Abb. II.3.18a) das Ergebnis einer Fourier-Transformation dargestellt (Abb. II.3.18b), erfasst die Transformation die periodischen und nichtperiodischen Informationen des gesamten Bildraumes. Mit Hilfe einer kreisförmigen Maske (siehe Abb. II.3.18b) ließen sich Bereiche um das Zentrum bzw. um Peaks auswählen, deren Koeffizienten für die Rücktransformation erhalten blieben, während andere Koeffizienten außerhalb der Maske und damit in größerer Entfernung von den Peaks, die zu nichtperiodischen Strukturen beitrugen, gelöscht wurden. In der Darstellung der Rücktransformation (Abb. II.3.18c) zeigte sich die Hervorhebung der periodischen Strukturen bei einer gleichzeitigen Unterdrückung nicht periodischen Rauschens gegenüber dem Ausgangsbild (Abb. II.3.18a).94 Auch bei der Überführung in den abstrakteren Frequenzraum sind visuelle und mathematische Praxis in der Wahl und Positionierung der Maske sowie in der Beurteilung dieser Auswahl anhand der Darstellung der Rücktransformation aneinander gekoppelt. Die Operationen sind dabei an eine Erwartung bezüglich der Periodizität der Messwerte gebunden.95 Rosenthaler verband seine Ausführungen zu diesem Filter mit einem warnenden Hinweis: „Es ist durchaus möglich, mit Hilfe eines Maskenfilters aus einem Bild, das nur weißes Rauschen enthält, eine perfekte periodische Struktur zu generieren. [...] Es ist grosse Vorsicht geboten, dass durch die Filtermaske nicht neue Information in das Bild 94 | Die Beispiele stammen aus Rosenthaler et al. 1988. 95 | Wie in Kapitel III.3 ausgeführt wird, ist es ein Charakteristikum der Tunnelmikroskopie im Vergleich zu anderen Methoden der Oberflächenphysik, lokale Inhomogenitäten untersuchen zu können, so dass die Aufmerksamkeit gerade nicht mehr idealen periodischen Strukturen, sondern den Abweichungen davon gilt. Trotz dieser grundsätzlichen Eigenschaft kommt es immer wieder zur Untersuchung periodischer Strukturen und damit auch zum Einsatz des Fourier-Filters.
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Abb. II.3.20: Typische Bildgestaltung in der Dissertation von Roland Wiesendanger (Wiesendanger 1987, 192).
gesteckt wird!“ (Hervorhebung Rosenthaler; Rosenthaler 1988, 97) Die Warnung zielt auf die Gefahr eines Referenzverlustes ab, dem lediglich durch Vorsicht und damit durch Vorwissen über die Probe und den Messprozess begegnet werden kann. Während Rosenthaler einerseits durch das Programmieren der Software Vorgaben wie die Wahl der Farbverläufe implementierte hat und die Anwender zwangsläufig innerhalb dieser Vorgaben agierten, gab er ihnen andererseits die Möglichkeit zur Bildgestaltung, wie sie Markus Ringger bei seiner Verwendung der analogen Elektronik von Hans Rudolph Hidber nicht zur Verfügung stand. Die diversen Möglichkeiten zur Verbildlichung des Datensatzes führten innerhalb der Basler Gruppe zur Herausbildung individueller Vorlieben bei der Bildgestaltung. Ein Vergleich der Dissertationen von Dario Anselmetti (Anselmetti 1990) und Roland Wiesendanger (Wiesendanger 1987) zeigt bei Anselmetti einige wenige Bilder in Aufsicht mit Graustufendarstellungen (Abb. II.3.19). Dieser zurückhaltenden, minimalistischen Ästhetik steht eine Vielzahl von Bildern bei Wiesendanger gegenüber, die in ihrer metallisch glänzenden, pseudo-dreidimensionalen, mit leuchtenden Farben ausgestatteten Gestaltung die üppige Ästhetik der späten 1980er Jahre aufgreifen (Abb. II.3.20). Die Digitalisierung gab jedem einzelnen Experimentator eine Farbpalette zur individuellen Nutzung an die Hand,96 so dass sich auch innerhalb einer Gruppe wie der in Basel persönliche Ausdifferenzierungen ausprägen konnten. Die unterschiedlichen Gestaltungen bei Anselmetti und Wiesendanger korrelieren mit ihren instrumentellen Praktiken: Während Anselmetti in seiner Arbeit eine handflächengroße, kompakte und schnörkellose Gerätearchitektur präsentierte (Anselmetti 1990), wartete Wiesendanger mit dem Bau einer 96 | Reflexionen zur Computergrafik führen immer wieder auf den Befund ihrer Anknüpfung an die Gesetze der Malerei, vgl. Samuel 2005a, 23f.; Bredekamp 2004, 20f.; Mitchell 1992, 7.
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üppigen, überquellenden Großanlage auf ( Wiesendanger 1987). Sowohl in den Bildgestaltungen als auch im Instrumentenbau spiegeln sich ihre ästhetischen Zugänge wider.97 Diese persönlichen Vorlieben erfuhren in der Publikationspraxis eine Nivellierung: Während in Dissertationen die Möglichkeit zur Einbindung von Farbbildern bestand (vgl. Rosenthaler 1988; Wiesendanger 1997), die auf Fotografien der Monitordarstellungen beruhten,98 konnte die Basler Gruppe aus Kostengründen keine Farbbilder, mitunter nicht einmal Graustufenbilder, sondern lediglich binäre Linienbilder publizieren (Rosenthaler 04/05).
Analoge Bildbearbeitung in München Die Fallbeispiele des IBM-Labors in Rüschlikon und der Physik-Arbeitsgruppe Güntherodts an der Universität Basel führen die Personen- und Umfeldabhängigkeit des Übergangs von analogen zu digitalen Techniken vor Augen. Wie unterschiedlich dieser Übergang sich gestalteten konnte, wird bei der Betrachtung anderer Orte früher Rastertunnelmikroskopie weiter deutlich: Mit Arbeitsgruppen an den Universitäten in München und Santa Barbara werden zwei Orte vorgestellt, an denen digitale Techniken äußerst verzögert zum Einsatz kamen. An der Universität München beispielsweise begannen die Postdoktoranden Jürgen Behm und Wolfgang Hösler ab 1983 mit dem Bau eines STM, um Prozesse an Oberflächen zu untersuchen. Behm und Hösler konnten als Oberflächenphysiker auf ihre experimentellinstrumentellen Erfahrungen im UHV-Bereich und in der Probenpräparation zurückgreifen (Behm 07/05) und somit eine Apparatur bauen, in der das STM mit einem Auger-Spektroskop und LEED zur Oberflächenuntersuchung sowie Vorrichtungen zum Sputtern und Erhitzen der Probe zur Probenpräparation kombiniert war (Behm et al. 1986a, 1330). Sie setzten das Tunnelmikroskop zur Analyse von Inhomogenitäten an der Oberfläche ein, indem sie die Rolle von Stufen für die Reaktivität an der Oberfläche (Hösler, Behm, Ritter 1986) und die Korrelation zwischen Stufen und Domänengrenzen (Behm et al. 1986) untersuchten. 97 | Auch in einem zeitlichen Abstand von 20 Jahren entsprachen ihre Präsentationen im Rahmen der Tagung ICN+T im Jahr 2006 in Basel diesen jeweiligen persönlichen ästhetischen Vorlieben. 98 | Monitore wurden abfotografiert, da keine Drucker zur Ausgabe der Bilder in entsprechender Qualität zur Verfügung standen (vgl. Rosenthaler 1988, 51).
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Anders als die Universitätsgruppe in Basel suchten Behm und Hösler den Kontakt zum IBM-Labor in Rüschlikon, um im persönlichen Austausch Informationen über Elemente wie die Regelungselektronik, mit deren Bau sie weniger vertraut waren, zu erhalten (Behm 07/05). Aus diesem Kontakt resultierte auch eine gemeinsame Publikation mit Gerd Binnig (Behm et al. 1986). Auch bezüglich digitaler Bildbearbeitung bestanden keine Erfahrungen und so nutzten auch Behm und Hösler zunächst einen xy-Schreiber zur Ausgabe. Behm erinnert sich: JH: „Gab es in dieser Phase bei Ihnen auch schon das Bemühen, Computergrafik einzuführen? Hatten Sie das Gefühl, dass die Gruppen, die schon Computergrafik hatten, im Vorteil waren […]?“ JB: „Wir haben natürlich gesehen, was die anderen machen. Das war eine schlichte Abschätzung: Was machen wir? Das war eine Frage der manpower. Wir haben uns gesagt, wir haben zwei Varianten: Variante eins ist, wir nehmen die Apparatur so wie sie ist und sehen zu, dass wir Daten kriegen. Die sind vielleicht nicht so schön dargestellt, aber es ist ein neues Ergebnis. Oder wir investieren jetzt ein halbes Jahr in eine Bildauswertung. Wir hatten auch selber keine Erfahrungen. In Rüschlikon hat das der Stoll dann geschrieben, aber so einen hatten wir nicht. Uns hätte das ewig gekostet. Dann haben wir gesagt: ,Nein, es ist besser, dass wir lieber unsere Physik machen und den Rest kriegen wir dann irgendwie schon hin.‘ Dann haben nachher zwei Physikstudenten, die die Diplomarbeiten gemacht hatten, angefangen, was zu schreiben. Deswegen sind wir da später eingestiegen, weil wir gesagt haben, lieber produzieren wir erst die Ergebnisse und ich glaube, das war auch nicht dumm.“ (Behm 07/05)
Die Nutzung von Bildsoftware stellte für Behm eine Option, aber keine Notwendigkeit dar und war von den zur Verfügung stehenden Ressourcen abhängig. Auch als andernorts bereits Computergrafik genutzt wurde und das STM damit zu einem digitalen bildgebenden Verfahren geworden war, wurden parallel analoge Geräte betrieben. Ebenso betont Behm bezüglich der Bildbearbeitung die Orientierung an der Praxis anderer Gruppen, die sich auch in der Adaption des Baus eines Papiermodells niederschlug. Behm und Hösler veröffentlichten zur Untersuchung von Platin zwei Fotos eines Modells aus zwei leicht verschobenen Perspektiven (Abb. II.3.21; Behm et al. 1986, 1331; Hösler, Behm, Ritter 1986, 405).99 Wieder zeigt sich die visuelle Gravitationswirkung des 99 | Wie bei dem Papiermodell von Binnig und Rohrer handelt es sich auch bei diesem Modell um eine stark überhöhte Darstellung, in diesem Fall um eine etwa 65-fache.
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Abb. II.3.21: Fotos von einem Papiermodell, mit dem Behm und Hösler dem Vorbild aus Rüschlikon (Abb. II.3.2) gefolgt sind; der SchwarzWeiß-Kontrast ohne weitere Graustufen entspricht der Darstellung in der Originalpublikation (Hösler, Behm, Ritter 1986, 405).
Papiermodells aus Rüschlikon innerhalb der Gemeinschaft früher Rastertunnelmikroskopiker, die die Realisierung eines Reliefs aufgriffen. Ähnlich wie Binnig und Rohrer unternahmen Behm und Hösler keine persönlichen Anstrengungen zur Nutzung der Computergrafik, sondern nutzten Möglichkeiten bastlerischer Bildinszenierungen. Binnig und Rohrer standen jedoch im IBM-Labor Rüschlikon im Gegensatz zu Behm und Hösler an der Universität München frühzeitig begleitend Personen und Ressourcen zur Verfügung, die aus eigener Initiative und mit eigenem Interesse die Digitalisierung vorantrieben.
Oszilloskopdarstellungen in Santa Barbara Ähnlich wie Behm und Hösler den Nutzen der Anwendung von Computergrafik abschätzten und für die ihnen zur Verfügung stehenden Ressourcen als zu aufwendig ablehnten, wurde auch in der von Paul Hansma geleiteten STM-Gruppe an der University of California in Santa Barbara in der Anfangszeit auf die Nutzung von Computergrafik verzichtet und als Ausgabemedien lediglich Oszilloskope verwendet, deren Schirme abfotografiert wurden. Die daraus resultierenden weißen Linien auf dunklem Grund wurden zu einem Erkennungszeichen der Arbeitsgruppe (Abb. II.3.22). Hansma hatte beschlossen, nicht im Ultrahochvakuum zu experimentieren und damit der Konkurrenz mit Arbeitsgruppen aus Industrielaboren oder erfahrenen Oberflächenphysikern aus dem Weg zu gehen. Statt dessen wollte er
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Abb. II.3.22: Foto eines Oszilloskopschirms, wie es für die frühe rastersondenmikroskopische Publikationspraxis in Santa Barbara typisch war (Sonnenfeld, Hansma 1988, 212).
mit Messungen an Luft und Flüssigkeiten eine andere Nische besetzen (vgl. Mody 2003, 190). Im Gegensatz zu UHV- und Tieftemperaturmessungen ermöglichte dies eine ungleich schnellere Abfolge von Messungen und den Bau vielfältiger Gerätetypen sowie die explorative Erprobung unterschiedlicher Präparationstechniken. Der dazu erforderliche Erwerb von informellem Wissen ging mit einem schnellen Wechsel der Untersuchungsgebiete einher (Mody 2003, 192), so dass das Auftreten von Fehlern als Teil des Arbeitsprozesses selbstverständlich akzeptiert wurde. Cyrus Mody hat in seiner instrumentenhistorischen Studie das Vorgehen Hansmas als Taktik der „moving targets“ (Mody 2003, 221) bezeichnet, da zum Zeitpunkt einer Kontroverse über ein Ergebnis die gesammelten Erfahrungen im Gerätebau oder der Probenpräparation schon in einer neuen Anwendung eingebracht werden konnten. Die entsprechende Kontroverse bezog sich bei dem Tempo des Experimentierens in Santa Barbara somit immer schon auf vergangene, bereits überholte Experimente. Dementsprechend hat Jan Hoh, ein früherer Mitarbeiter Hansmas, dessen Strategie im Interview mit Mody beschrieben: „Paul [Hansma] has published a lot of papers that were just terrible [...] His favourite papers were the ones where you couldn’t quite be sure if you were right or wrong. If you are right it’s very important, if you’re wrong, pfft, you’re wrong, okay ... Paul was just motoring a hundred miles an hour and was leaving a bit of a mess in his wake ... Paul has said that ,look, people will forgive you if you’re wrong. If you’re right occasionally, and you are right on important things, people will forgive you if you’re wrong. If you are always wrong it’s not so good, you want to be right, particulary in the beginning, and after that you can be wrong occasionally and it’s okay, people just don’t hold it against you ...‘.“ (nach Mody 2004a, 206)
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Das schnelle Arbeitstempo (100 Meilen pro Stunde gelten auf den Highways der USA als hohe, ja sogar überhöhte Geschwindigkeit) und das Zulassen von Fehlern ging mit Bildgestaltungen einher, in die nicht viel Zeit investiert wurde. Das Erscheinungsbild der hellen Linien auf dunklem Grund als Ergebnis eines Polaroidfotos des Oszilloskops geht mit der Haltung einher, Ergebnisse anzubieten und zur Diskussion zu stellen – die Möglichkeit der Fehlinterpretation inbegriffen. Aufwendige Bildbearbeitungen zeugen von intensiver Auseinandersetzung und schaffen Verantwortlichkeiten; Linien auf dem Oszilloskop erwecken den Anschein, Ergebnis des Experiments zu sein, die in ihrer Urform, den Idealen mechanischer Objektivität verpflichtet,100 weitergegeben werden. Die Praxis der Bilderzeugung, aber auch die formale Gestaltung einzelner Bilder, finden damit ihre Entsprechung in den Idealen von Paul Hansma, den informellen Wissenserwerb und explorativen Instrumentenbau in den Mittelpunkt seiner universitären Ausbildung zu stellen. Doch auch in Santa Barbara wurde die Bildbearbeitung eingeführt, zunächst durch die Adaption einer Bildsoftware, die in der Arbeitsgruppe um Joe Demuth am IBM-Forschungslabor Yorktown Heights entwickelt worden war (Schneir et al. 1988, 285; Marti 07/05). Der Postdoc Othmar Marti, der zuvor in Rüschlikon mit dem Bau eines Tieftemperatur-STM eine der ersten Dissertationen zur Tunnelmikroskopie verfertigt hatte, störte sich an der mangelnden Transparenz dieser Fremdsoftware, deren Algorithmen ihm nicht bekannt waren (Marti 07/05). Der Blackboxing-Prozess der Softwareentwicklung war noch im Gange und der Wunsch nach Transparenz bezüglich der Algorithmen zeugt von einem Bewusstsein für die Relevanz und Brisanz der Daten- und Bildverarbeitung.101 Marti baute eigenhändig ein System auf, das die digitale Datenaufnahme und -bearbeitung sowie die Umwandlung in ein Videosignal und damit die Grautondar-
100 | Zum Ideal der mechanischen Objektivität vgl. Daston, Galison 1992. 101 | Der Blackboxing-Prozess ist immer noch nicht zum Abschluss gekommen, so arbeiten einzelne Wissenschaftler wie Randy Feenstra immer noch mit eigenhändig programmierter Software (Feenstra 08/06). Ab den späten 1980er Jahren hat die Firma Digital Instruments die Marktführung im Bereich der kommerziellen Tunnelmikroskopie übernommen, obwohl Elektronik und Software wenig transparent waren (Mody 2004a, 284ff.). Trotz diesbezüglicher Kritik tat das der Verbreitung dieser Instrumente keinen Abbruch, möglicherweise diente diese Form der Automatisierung ihr sogar, da offenere Systeme wie die von Park Instruments auch mehr Kompetenz in diesem Bereich erforderten.
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Abb. II.3.23: Titelseite von Science in einer farbig codierten Aufsicht (Hansma et al. 1988).
stellung auf einem Fernseher sowie die Speicherung mit einem Videorekorder ermöglichte (Marti, Gould, Hansma 1988, 838).102 Die Gruppe aus Santa Barbara nutzte die Technik zur Bildbearbeitung sowohl zur Erkenntisgewinnung, pflegte aber auch einen spielerischen Umgang, wie die Gestaltung einer Titelseite von Science zeigt (Abb. II.3.23). Hansma, Marti und Kollegen hatten einen Übersichtsartikel über die Rastersondenmikroskopie in der Ausgabe 102 | Um dieses Gerät Arlunya TF5000 Image Processor, Princeton Electronic Products, und seinen Einsatz in der Tunnelmikroskopie ranken sich mittlerweile Legenden, da es durch seine Störungsanfälligkeit nur durch einige wenige Personen wie Gerd Binnig und Othmar Marti zu bedienen war; neben Santa Barbara fand es auch in Stanford Verwendung und Gerd Binnig nahm es nach seinem dortigen Gastaufenthalt mit nach München, so dass es eine gewisse Verbreitung gefunden hat.
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publiziert (Hansma et al. 1988), doch abgesehen von einer Kurznotiz in der Heftinnenseite fand sich keine textliche Bezugnahme zu dem Titelbild. Es schmückte die Zeitschrift losgelöst von den Inhalten. Durch die Wahl von Farben, die jeweils durch einen schwarzen Streifen voneinander getrennt sind, zeigt sich zwischen dem Titel und der Unterschrift „Advances in Instrumentation“ in einem schwarzen, quadratischen Rahmen ein Muster rundlicher Formen, die sich in gewellten Bändern von links oben nach rechts unten ziehen. Weiße und schwarze Ovale bilden im Wechsel die Zentren der einzelnen Formen. Die z-Werte sind in diesem Bild mit den Farbcodierungen der Bausteine elektrischer Widerstände belegt worden – Farbcodierungen, die im Physiklabor bekannt waren, die aber inerhalb eines rastersondenmikroskopischen Bildes nicht der Sinnerzeugnis dienten. Die digitale Bildbearbeitung konnte zu einem freien Spiel der Farben und Formen genutzt werden, ohne dem Zwang zu unterliegen, Wissenschaftlichkeit ausdrücken zu müssen. Die unbekümmerten, spielerischen und explorativen Ansätze in Hansmas Gruppe in Santa Barbara, die den Instrumentenbau und Experimentierstil prägten, setzten sich in psychedelisch anmutenden Gestaltungsformen, die an die Popkultur anknüpften, fort.
Resümee: Der Digital-Analog-Übergang als Geflecht aus Kontinuitäten und Brüchen (i) Die aufgeführten Beispiele zur Einführung digitaler Techniken in Arbeitsgruppen, die den Fortgang der Bildpraxis in der Tunnelmikroskopie paradigmatisch bestimmt haben, zeigen die Einführung der Digitalisierung als heterogenen und vielschichtigen Prozess. Weder eine rein erfindungsorientierte Technikgeschichte der Computergrafik noch eine Auffassung von analog/digital als Gegensatzpaar weiß eine solche Praxis zu fassen. Die Übergänge waren geprägt von lokalen Gegebenheiten bezüglich technischer Ressourcen, persönlicher Kompetenzen, Motivationen und Vorlieben sowie durch Einbettungen in Forschungsstrategien an Universitäten und in Industrielaboren. Die Parallelexistenz von analogen und digitalen Techniken in verschiedenen Arbeitsgruppen führte zu keinen Abgrenzungen oder Unkompatibilitäten in der Kommunikation oder im Abgleich von Ergebnissen. Vielmehr war auch die Praxis in Laboren, an denen grundsätzlich digitale Techniken eingeführt waren, von einer Verschachtelung digitaler und analoger Techniken geprägt. Die Digitalisierung analog erzeugter Ausdrucke durch Scannen,
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das analoge Speichern digital erzeugter Datensätze mit Hilfe von Videobändern und Tonbändern oder das analoge Abfotografieren von Computermonitoren sind unterschiedliche Ausdrucksformen dieser Überlagerungen. Das Fortleben analoger Techniken zeigte sich bereits in der bewussten Beibehaltung analoger Steuerungen, um per manueller Drehung an einem Potentiometer das haptische Empfinden beim Erzeugen eines Spannungsimpulses ausnutzen (vgl. Kapitel II.2), das sich durch die Eingabe digitaler Werte per Tastatur nicht ersetzen lässt. Experimentatoren begründen die Beibehaltung analoger Techniken entgegen üblicher reflexartiger Zuschreibungen mit der Intensivierung der Interaktivität zwischen Experimentator und Instrument. Auch 25 Jahre nach Einführung der digitalen Tunnelmikroskopie bleiben Nischen ausgebildet, in denen analoge Instrumente weiter existieren, beispielsweise zum Zwecke der Ausbildung oder zum Abgleich und Eichen neuer Elektroniken.103 Die Heterogenität von Programmen zur Daten- und Bildbearbeitung, die sich in der Frühzeit der Tunnelmikroskopie durch eigenständige Programmiertätigkeiten an vielen Standorten ausgebildet hat, ist auch durch die Kommerzialisierung der Instrumente und Softwarepakete nicht vollständig homogenisiert worden. Auch wenn einige wenige Anbieter große Teile des Marktes beherrschen, existieren keine Festlegungen auf Konventionen oder bestimmte Softwarepakete. Die Übereinkünfte über den Gebrauch von Filtern oder Darstellungen geschehen informell und implizit. Damit unterscheidet sich die Softwareverwendung in der Tunnelmikroskopie, die in unterschiedlichen Disziplinen flexiblen Einsatz findet, von dem Einsatz in einem Feld wie der Hirnforschung, in der sich eine Standardsoftware herausgebildet hat, deren Nichtverwendung der Rechtfertigung bedarf (Gespräch Poeppel).104 (ii) Die Einführung der Digitalisierung hat zu einer Verschiebung der sozialen Strukturen im Labor geführt, da mit den Programmierern und Softwareentwicklern eine neue Personengruppe an der Tunnel103 | Solche Nischen sind auch in anderen Bereichen analoger/digitaler Medien zu beobachten, beispielsweise beim Analogplattenspieler, der sich einen festen Nischenplatz neben digitalen CD-Techniken erobert hat. 104 | Der Hirnforscher, Linguist und Biologe David Poeppel hat in einem gemeinsamen Gespräch mit der Kunsthistorikerin Angela Fischel und dem Neurobiologen Randolf Menzel ausgeführt, dass er die Standardsoftware verwendet, um in seinen Publikationen nicht die Verwendung einer anderen Software begründen zu müssen; Teile des Gesprächs – nicht aber diese Passage – sind als Interview abgedruckt in: Fischel, Hennig 2004.
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mikroskopie beteiligt wurde. Die Programmierer lassen sich in Anlehnung an den Wissenschaftshistoriker Steven Shapin als „Invisible Technicians“ bezeichnen (Shapin 1989), insofern sie wenig Erwähnung in den Veröffentlichungen zur Rastertunnelmikroskopie finden, sie damit nicht zum Kernbereich der Erkenntnisgewinnung gezählt werden.105 Die Programmierer waren ihrerseits in Fächern wie Physik, Mathematik oder Ingenieurwesen akademisch ausgebildet und konnten sich – im Gegensatz zu den von Shapin beschriebenen Technikern – ihrerseits in einer wissenschaftlichen Gemeinschaft, nämlich der für Bild- und Datenverarbeitung etablieren. Ihre Programmiertätigkeiten und Bildbearbeitungen stellten sie zum einen in den Dienst der Auswertungen durch die Experimentatoren, verfolgten aber auch den Zweck, die Möglichkeiten digitaler Bildbearbeitung an einem neuen Anwendungsgebiet ausloten zu können. Auch in der Bildgestaltung wurden sie aus eigener Initiative, losgelöst von Auswertungen der Messungen, tätig, beispielsweise für die Produktion von Filmen oder aber auch im Rahmen von Präsentationen während wissenschaftsinterner tunnelmikroskopischer Tagungen, auf denen mitunter das Medium im Mittelpunkt stand. Diese Kommunikation fand keinesfalls losgelöst von der Laborpraxis statt, vielmehr stellten solche Präsentationen Präzedenzfälle dar, bevor sie in den Alltag Einzug hielten. Im Bereich der Softwareprogrammierung agierten die Experimentatoren im Rahmen eines Blackboxing-Prozesses, der ihnen einerseits ein Feld vielfältiger Gestaltungsmöglichkeiten eröffnete, sie aber gleichzeitig, beispielsweise durch programmierte Farbverläufe, auch begrenzte. (iii) Obwohl sich digitale Datensätze aus tunnelmikroskopischen Messungen auf vielfältigste Weisen in Bildern darstellen lassen, zeichnen sich in der konkreten Realisierung einige Fluchtlinien deutlich ab. So bezogen sich digitale Bilder auf analoge Vor-Bilder, wie es in der Nachahmung des Papiermodells von Binnig und Rohrer besonders deutlich zum Ausdruck kam. Doch auch in dieser Anlehnung prägten sich gleichzeitig Spezifika der digitalen Form aus, so etwa in der Schärfe der Konturen ohne jede Tiefenschärfe und der Ausbildung technisch kühl wirkender Oberflächen. Der Übergang von linienhaften zu flächigen Bildern erscheint als übergeordnetes Prinzip digitaler Form, auch wenn zunächst durchaus die digitale Nachahmung analoger Linienbilder praktiziert wurde. In den Formgebungen durch die Programmierer lässt sich eine Akzentuierung einer Dinghaftigkeit 105 | Hartwig Thomas wurde mitunter in Rahmen von Publikationen gedankt, doch hatte er keine Präsenz wie die Werkstättenmitarbeiter, die vielfach als CoAutoren genannt wurden.
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und Anschaulichkeit ausmachen, die sich in stereoskopischen Bildern und der Simulation von Beleuchtungssituationen ausdrückt.106 Damit ist die Deutung der Parameter, die zur anschaulichen Darstellung kommen – nämlich Orte gleichen Tunnelstroms – keineswegs vorweggenommen oder festgelegt; gleichzeitig lässt sich die Möglichkeit zur Rezeption als Objekte konstatieren. Neben diesen Formgebungen wurden Freiheiten zur Bildgestaltung im Einklang mit jeweiligen Ausbildungsidealen genutzt wie etwa an der Universität in Santa Barbara, wo der informelle Wissenserwerb im Zentrum stand. (iv) Die Datensätze wurden – beispielsweise in der Anwendung von Filtern – einer mathematischen Logik unterworfen, wobei die Auswertung und Beurteilung dieser Operationen an der bildlichen Darstellung der Daten geschah. Die mathematische Logik löste in der Praxis keinesfalls eine visuelle Logik ab; vielmehr traten mathematische und visuelle Praktiken in ein Wechselverhältnis. Hartwig Thomas etwa hat zahlreiche Ausdrucke zur Wirkung der Anwendung von Filtern erstellt und anhand dieser konkreten Bilder seine Programmierungen beurteilt und weiter entwickelt. Der Einsatz von Filtern ließ sich immer nur aufgrund von Vorwissen über die Probe bzw. das Experiment rechtfertigen, konnte er doch theoretisch zu einem völligen Referenzverlust führen – wie dies auch bei analogen Interpolationen der Fall sein kann. Der Status einer solchen Operation entscheidet sich immer nur im Geflecht von Experimentalsystemen. Brisanz entsteht dadurch, dass das nötige Vorwissen häufig impliziter Art ist (vgl. Kapitel III.2). Eine Veränderung im Wandel von der analogen zur digitalen Bildpraxis stellte die Verlagerung von Operationen – wie beispielsweise Interpolationen – von der zeichnenden Hand zur mathematischen Logik dar. Ein Algorithmus füllt die Lücke zwischen den Messwerten, nicht mehr das Zusammenspiel von Hand und Auge im Prozess des Zeichnens. (v) Aktive Gestaltungen tunnelmikroskopischer Bilder haben sich keinesfalls als Domäne digitaler Techniken entpuppt, vielmehr wurde schon in der Frühzeit der Tunnelmikroskopie mittels analoger Bildbearbeitung der Eindruck von Bildobjekten und dreidimensionaler 106 | Rosenthaler hat betont, bewusst eine dingliche Wahrnehmung anzustreben: „Die Daten werden so behandelt, als beschrieben sie einen Gegenstand, der in die Hand genommen werden kann.“ (Rosenthaler 1988, 108) Auch Stoll hat die Anknüpfung an makroskopische Sehgewohnheiten bewusst verfolgt (vgl. Stoll 1991, 72; Stoll 1985, 442).
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atomarer Landschaften erzeugt. Die Bedeutung dieser Arbeitsschritte scheint kaum überschätzbar zu sein, nicht zuletzt durch die Adaption dieser Gestaltungen in die Routinen digitaler Bildverarbeitung. Gleichzeitig erfuhren die Auswertungen und Tätigkeiten im Anschluss an die instrumentell-experimentelle Datenerzeugung im Zuge der Digitalisierung eine weitere Aufwertung. Die Bedeutung des Einsatzes verschiedener Darstellungen, die sich auf ein und denselben oder auch einen veränderbaren Datensatz beziehen, lässt sich erst im Folgenden durch die Berücksichtigung der physikalischen Fragestellungen in den Fallstudien in vollem Umfang ermessen. Es zeigt sich, dass Arbeitsschritte digitaler Bildbearbeitung – mathematische Operationen genauso wie Formgebungen – maßgeblich an der Wissensgenerierung beteiligt waren.
III. Anwendungsfelder der Tunnelmikroskopie Die Neuentwicklung des Rastertunnelmikroskops ging mit seiner Erprobung und Stabilisierung einher. Die Bildpraxis war in dieser Phase der Neuentwicklung, wie im vorhergehenden Kapitel dargestellt, von dem Versuch geprägt, das Potenzial des Instruments auszuloten, eine zugehörige Theorie zu entwickeln und digitale Bildbearbeitung anzuwenden. In einem Experimentalsystem wie der Tunnelmikroskopie sind solche Ansätze und Fragen stets auf dynamische Weise mit Erkundungen der Probe verwoben, geschieht die Zurichtung und Untersuchung der Probe sowie die Modifikation des Instruments in einem dauernden, häufig nicht vorhersehbaren Wechselspiel. So hatten Binnig und Rohrer die definierte Prosssbe CaIrSn 4 vermessen, um daran das Instrument zu stabilisieren und zu erkunden, ohne auf einen Erkenntnisgewinn bezüglich der Probe zu hoffen. Nicht mehr die Anwendungen aus dem IBM-Projekt zu den Josephson-Junctions Ende der 1970er Jahre, aus denen die Idee zur Rastertunnelmikroskopie entstanden war, standen im Mittelpunkt; vielmehr hatte mit der Realisierung des Instruments eine Dynamik eingesetzt, die zu anderen Anwendungsbereichen und der Entwicklung eines bildgebenden Verfahrens führte. Im Folgenden wird mit der Analyse dreier Anwendungsfelder eine nächste Phase der Tunnelmikroskopie in den 1980er Jahren vorgestellt. In dieser Phase standen Erkenntnisse über die Probe im Zentrum des Interesses, auch wenn die Methode und ihre Theorie fortlaufend weiter entwickelt wurde. Die Fallstudien sind so zusammengestellt, dass deutlich wird, wie heterogen sich die Bildpraxis – selbst für den be-
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grenzten Anwendungsbereich eines einzelnen Instruments innerhalb eines bestimmten Zeitraums – gestaltete.1 Zunächst wird die Untersuchung der Si(111)-7x7-Rekonstruktion vorgestellt, die dem Tunnelmikroskop zu allgemeiner Akzeptanz und Bekanntheit verhalf – so wäre die Nobelpreisverleihung an Binnig und Rohrer ohne diesen Beitrag zur Oberflächenphysik kaum denkbar gewesen (Kapitel III.1). Ein anderes Untersuchungsfeld, die Anwendung auf biologische Proben, hatten Binnig und Rohrer ebenfalls schon in der Frühphase der Tunnelmikroskopie in Angriff genommen, doch sollte es Ende der 1980er Jahre zu einer tiefen Krise dieses Forschungszweiges kommen (Kapitel III.2). Als drittes Anwendungsgebiet wird der Zugriff des Tunnelmikroskops auf das Einzelne – einzelne Atome, Moleküle und Inhomogenitäten – vorgestellt und damit einhergehend der zunächst bei der Entwicklung des Instruments nicht absehbare Einsatz zur Manipulation von Oberflächen. Dieser Anwendungsbereich prägte durch die Hervorbringung emblematischer Bilder die Wahrnehmung des Rastertunnelmikroskops entscheidend und ebnete den Weg zu den Visionen einer Nanotechnologie, die auf der Darstellbarkeit, Manipulation und Beherrschbarkeit atomarer Strukturen beruhen.
III.1 Der Erfolg: Silizium-Oberflächen als atomare Landschaften Warum die atomare Oberflächenstruktur der Ende der 1950er Jahre entdeckten Silizium(111)-7x7-Rekonstruktion (Schlier, Farnsworth 1959) Anfang der 1980er Jahre zu den prominentesten Fragen der Oberflächenphysik gehörte, lässt sich kaum eindeutig beantworten (vgl. Mody 2004, 102). Es war nicht die Folge eines anwendungsorientierten Interesses, findet für den Bau von Schaltkreisen doch Silizium(100) 1 | Ian Hacking hat in den 1980er Jahren bereits darauf hingewiesen, wie heterogen sich der Gebrauch unterschiedlicher Mikroskope darstellt, wenn die wissenschaftliche Praxis in den Blick genommen wird (Hacking 1996 [1983], 316), so dass die im Folgenden aufgezeigte Heterogenität der Bildpraxis für ein einzelnes Instrument die Weiterführung dieses Gedankens bedeutet. Ein solcher Ansatz, Heterogenitäten bei der Analyse naturwissenschaftlicher Bildpraxis in den Blick zu nehmen, steht bewusst im Gegensatz zur Formulierung von Genealogien und Universalerklärungen über den Status wissenschaftlicher Bilder, wie sie auch Peter Geimer bei aktuellen kunsthistorischen Auseinandersetzungen mit Bildern jenseits der Kunst festgestellt und kritisiert hat (vgl. Geimer 2003, 32-36).
III. A NWENDUNGSFELDER
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Verwendung (vgl. Eastman 1980, 492). Vielmehr lag die Attraktivität dieser Untersuchung wohl in der Komplexität der Oberflächeneinheitszelle der Silizium(111)-7x7-Rekonstruktion begründet. Sie hob sich durch ihre Größe mit Kantenlängen von jeweils 7 Atomabständen von anderen Oberflächenrekonstruktionen ab; sie bot damit ein Betätigungsfeld zur Anwendung komplementärer experimenteller und theoretischer Methoden der Oberflächenphysik, was sie zu einem methodenübergreifend weit bekannten „test object“ (Mody 2004, 58) der Oberflächenforschung werden ließ. Die mit den Untersuchungsmethoden der Oberflächenphysik erzeugten Beugungsbilder der Si(111)-7x7-Rekonstruktion hatten unter Festkörperphysikern aufgrund der Komplexität der Struktur einen hohen Wiedererkennungs- und Faszinationswert.2 Während sich aus den Beugungsexperimenten die Kantenlängen der Oberflächeneinheitszelle mit der jeweils siebenfachen Kantenlänge der Einheitszelle im Innern des Kristalls eindeutig ableiten ließen – daher die Benennung der 7x7-Rekonstruktion – standen bezüglich der detaillierten atomaren Oberflächenanordnung Anfang der 1980er Jahre eine Vielzahl von Modellen zur Diskussion.3 Grundsätzlich lassen sie sich in zwei Kategorien einordnen: einerseits Modelle, die lediglich von einer Verzerrung der Anordnung der Oberflächenatome gegenüber der Anordnung im Innern des Festkörpers ausgingen, und andererseits Modelle, die eine grundsätzliche atomare Neuanordnung an der Oberfläche vorsahen (Miller, Haneman 1979, 1270). Letztere Kategorie lässt sich wiederum in Vacancy-Modelle und Adatom-Modelle unterteilen; Vacancy-Modelle sehen Leerstellen, Adatom-Modelle sehen zusätzliche adsorbierte Atome zur Reduktion der freien Bindungen und damit zu einer energetisch günstigen Anordnung vor. 2 | Horst Niehus meinte im Gespräch, dass sich „auch heute noch jeder Physiker sein erstes 7x7-Beugungsbild ausdruckt“. Der Kunsthistoriker James Elkins hat ein kristallografisches Beugungsbild zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen gemacht, inwieweit Wissenschaftsbilder einen Gegenstandsbereich für Kunstmuseen und Kunstgeschichte darstellen und dies mit der Ähnlichkeit zu Werken von Surrealisten wie Yves Tanguy und Roberto Matta begründet (Elkins 1999, 28-30). Statt den Schönheitsidealen der Naturwissenschaftler zu folgen und sie zum Anlass zur Beschäftigung mit ihren Bildern zu nehmen, werden in dieser Arbeit Bilder aus der wissenschaftlichen Praxis analysiert, ohne ihre Ähnlichkeit zu Bildern in der Kunst an den Anfang zu stellen; vielmehr wird die Faszination für solche Bilder seitens der Naturwissenschaftler als Teil ihrer Praxis beschrieben. 3 | Für einen Überblick über die bis Anfang der 1980er Jahre eingesetzten Methoden und entwickelten Modelle siehe Eastman 1980.
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Abb.III.1.1: Elektronenbeugungsbild der Si(111)7x7-Rekonstruktion (Miller, Hanemann 1979, 1275).
Abb.III.1. 2a, b: Schemata mit Aufsicht (a) und Seitenansicht (b) der atomaren Oberflächenstruktur der Si(111)-7x7-Rekonstruktion (Chadi 1984, 4474).
Bilder im Fourier-Raum und im Realraum Die Bildpraxis der Oberflächenphysik war bis in die 1980er Jahre wesentlich durch die Arbeit mit Beugungsexperimenten geprägt, in denen Teilchen bzw. Wellen an den Proben gebeugt werden. Die aufgenommenen Bilder zeigen Spuren dieser Experimente im Fourier-Raum (Abb. III.1.1), wobei Darstellungen im Fourier-Raum und im Kartesischen Raum – in der Oberflächenphysik als Realraum bezeichnet – durch Fourier-Transformationen in Bezug gesetzt werden können. Es ist jedoch nicht möglich, aus Beugungsbildern durch Fourier-Transformationen eindeutig die Anordnung im Realraum zu ermitteln, da dazu Intensitäten und Phaseninformationen bekannt sein müssen, aus den Beugungsbildern aber lediglich die Intensitäten abzulesen sind. Oberflächenphysikalische Darstellungen im Realraum beschränkten sich bis Anfang der 1980er Jahre auf schematische Zeichnungen zur Veranschaulichung der atomaren Anordnungen an den obersten Atomschichten des Kristalls, die von der Oberflächenrekonstruktion tangiert waren. In Aufsicht (Abb. III.1.2 a) und in Seitenansicht
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Abb.III.1.3a,b: Schemata atomarer Oberflächenmodelle von Chadi (a) und Ino (b) um 1980 (Miller, Haneman 1981, L239 u. L240).
(Abb. III.1.2 b) symbolisierten Kreise einzelne Atome, wobei die unterschiedlichen atomaren Schichtungen durch die Größe der Kreise oder die Liniendicke codiert waren. Während es aufgrund der fehlenden Phaseninformation nicht möglich war, von den Beugungsbildern eindeutig auf die atomaren Anordnungen zu schließen, war es umgekehrt möglich, von den entworfenen Modellen der Atomanordnung ausgehend zugehörige Beugungsbilder zu simulieren und diese dann wiederum mit den experimentell erzeugten Beugungsbildern zu vergleichen. Ein idealtypisches Beispiel dieser Abläufe stellte die Entwicklung von Modellen der Si(111)-7x7-Rekonstruktion durch die Forschergruppe um Chadi (Abb. III.1.3 a) und Ino (Abb. III.1.3 b) dar, die diese aus Beugungsexperimenten abgeleitet hatten (Chadi et al. 1980, Ino 1980). Daraufhin berechneten die australischen Forscher Miller und Haneman Beugungsbilder dieser Modelle und verglichen diese mit einer Mittlung mehrerer experimenteller Aufnahmen (Abb. III.1.4; Miller, Haneman 1980, L242). Dieser Vergleich geschah explizit sowohl visuell als auch numerisch („comparison both visually and numerically“ (Miller, Haneman 1980, L237)), indem sie sowohl die Intensitätsverhältnisse ausgewählter Punkte berechnet (Miller, Haneman 1980, L243) als auch Formvergleiche angestellt haben. Mathematisch quantifizierbare und ästhetische, auf Ähnlichkeitsaussagen beruhende Argumente wurden komplementär angestellt und kommuniziert. Ohne erkennbare Hierarchie zwischen diesen beiden Zugängen nutzten Haneman und Miller den Vergleich zwischen Simulation und Experiment, um die vorgeschlagenen Atomstrukturen zu validieren. Sie sahen – und berechneten – für das Modell Chadis schlechtere Übereinstimmung als für das von Ino und nutzten Letzteres als Ausgangspunkt zur Entwicklung eines eigenen, modifizierten
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Abb.III.1.4: Bildvergleiche von simulierten und experimentell erzeugten Beugungsbildern; von oben nach unten Simulationen beruhend auf einem Modell von Chadi (vgl. Abb III.1.3a), einem von Ino (vgl. Abb. III.1.3b), einem von Miller und Haneman sowie unten das experimentell erzeugte Bild (Miller, Haneman 1981, L242).
Oberflächenmodells der Si(111)-7x7-Rekonstruktion (Miller, Haneman 1980, L241). Vor dem Hintergrund dieser Bildpraxis der Oberflächenphysik, die durch experimentelle Beugungsbilder im reziproken Raum und symbolische Darstellungen der Atomanordnungen im Realraum geprägt war, bedeuteten tunnelmikroskopisch erzeugte Bilder atomarer Auflösung im Realraum eine neue Klasse von Bildern in der Oberflächenphysik. Dies galt auch bereits für Binnigs und Rohrers erste – noch analoge – STM-Anwendungen auf die Si(111)-7x7-Rekonstruktion, in denen sie nicht die erhoffte laterale, sondern lediglich eine vertikale atomare Auflösung erzielen konnten (Abb. III.1.5). In dem Ausdruck ließen sich atomare Stufen erkennen, die sie entsprechend ihrer frühen Bildbearbeitungen durch Bleistiftschraffuren hervorhoben. Die linienhafte Aufzeichnung ergänzten sie zu einem Körper, um ein Bildobjekt zu erzeugen. Sie konnten durch die Kalibrierung des Instruments die Stufenhöhen in atomarer Dimension ermitteln und stellten die Messung weniger als abgeschlossenes Ergebnis denn vor allem als „ermutigend“ („encouraging“, Binnig, Rohrer 1983c, 242) für weitere Experimente dar. Noch blieben sie auf die Aussage beschränkt, ein bildgebendes Verfahren mit vertikaler atomarer Auflösung im Realraum entwickelt zu haben. Bereits mit diesem Zwischenergebnis führten sie neue Bildwelten in die Oberflächenphysik ein, die in dem Journal Surface Science, in dem sie die Messung mit dem Bild publizierten, zuvor nicht existiert hatten. Erwin Panofsky hat in seinem berühmten Aufsatz über die Perspek tive als „symbolische Form“ ausgeführt, wie die Perspektive
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Abb.III.1.5: Binnig und Rohrers erstes publiziertes STM-Bild der Si(111)-7x7 mit horizontaler atomarer Auflösung; zeichnerisch ergänzt zu einem Körper (Binnig, Rohrer 1983, 241).
selber und damit die Erfassung des Raumes zur immanenten Bedeut ung eines Bildes wird (Panofsky 1998 [1927]). In ihren Bildgestaltungen zelebrierten Binnig und Rohrer die Erfassung, Ausfüllung und Eroberung des euklidischen Raumes – oder in der Sprache der Oberflächenphysik gesprochen: des Realraumes. Diese Ausdehnung in alle Raumrichtungen geschah keinesfalls „von selbst“, da die zweidimensionalen Ausdrucke der x-, y- und z-Signale in der Projektion des xy-Schreibers keinen perspektivisch-räumlichen Eindruck erzeugten, sondern dieser vielmehr das Ergebnis bewusster Bildbearbeitungen mittels Bleistiftschraffuren oder der Ergänzung von Pappstreifen zur Suggest ion des Eindrucks eines Körpers war (vgl. Abb. II.1.5; Abb. II.3.2; Abb. III.1.5). Eine andere Strategie stellte das Verschieben des Blattes nach dem Ausdruck jeder einzelnen Scanlinie dar, was gleichfalls dem Bemühen galt, einen Perspektiveindruck zu erzeugen. 4 All diese Praktiken stellten Strategien dar, innerhalb derer ein Anblick von Körpern entstand, die sich in alle Raumrichtungen ausdehnen. Die Symbolik und Eigenartigkeit lag in der vorherigen Bildpraxis der Oberflächenphysik begründet, die ihre experimentellen Spuren im reziproken Raum erzeugt hatte. Vor diesem Hintergrund bedeuteten die Perspektivdarstellungen in tunnelmikroskopischen Bildern eine neue Erfassung des aus der makroskopischen Welt gewohnten Raumes im oberflächenphysikalischen Labor.
4 | Heinrich Rohrer hat in einer E-Mail an den Verfasser vom 7.3.2006 von
dieser Praxis berichtet.
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Bahnbrechende Experimente der Tunnelmikroskopie an Silizium Das Haupthindernis, die Silizium-Experimente weiter voran zu treiben, bestand für Binnig und Rohrer, die beide keine ausgebildeten Oberflächenphysiker waren, in der Probenpräparation, so dass sie sich zunächst der Untersuchung von Gold-Proben zuwandten, um das Tunnelmikroskop weiter zu explorieren. Währenddessen wartete im Hintergrund die Si(111)-7x7-Untersuchung auf ihre Erfüllung, für die sich die Situation wendete, als Franz Himpsel als Gast des IBM-Labors Yorktown Heights in Rüschlikon vortrug, der in der Si(111)-7x7-Präparation erfahren war und vor Ort die notwendigen Hinweise geben konnte (Mody 2002, 104f.; Binnig et al. 1983a, 123). Grundsätzlich waren unter Oberflächenphysikern Erfahrungen zur Präparation dieser Probe verbreitet, doch war der Wissenstransfer nach Rüschlikon von einem solchen Besuch abhängig. Im Gegensatz zu Richard Gambino, der Binnig und Rohrer ebenfalls als Besucher aus Yorktown Heights ein CaIrSn 4-Kristall zur Verfügung gestellt hatte (vgl. Kapitel II.1), versetzte Himpsel nun Binnig und Rohrer in die Lage, ihre Si-Proben selber zu präparieren. Die Präparation und damit die bewusste und gekonnte Formung der Probe stellt die grundsätzliche Voraussetzung des Einsatzes eines bildgebenden Verfahrens wie des STM zur Hervorbringung eines gezielt geformten Bildes dar, selbst wenn zum Zeitpunkt der Präparation das Aussehen eines solchen Bildes, das mit einer neuen Methode erzeugt werden sollte, nicht im Detail absehbar war. Während Binnig und Rohrer in der Folgezeit mehrfach Ausdrucke erzeugten, auf denen mutmaßlich die Minima der cornerholes, also die Eckpunkte der Einheitszellen zu sehen waren, hielten sie es für zu riskant, damit nach außen zu treten (Binnig, Rohrer 1986, 398). Das gewellte Linienmuster aus der Nacht des 28. Oktober 1982 hingegen zeigte eine solche Komplexität an geordneten, periodischen Formen (Abb. III.1.6), dass sie auch ohne die Replikation der Ergebnisse oder eine ausgearbeitete Theorie5 überzeugt waren, das Ergebnis einer Wechselwirkung zwischen Spitze und Probe auf atomarer Skala vorliegen zu haben. Auch wenn die Anordnung der Maxima in der Folgezeit Anlass zu vielfältigen Folgeuntersuchungen gab, konnte die Komplexität des Musters von Anbeginn dazu beitragen, dass die Si(111)-7x7-Struktur für Oberflächenphysiker erkennbar war. Durch die Komplexität der Form eignete sich Si(111)-7x7 in der 5 | Diese Silizium-Messung motivierte erst Hamann und Tersoff zur Entwicklung der in Kapitel II.1 vorgestellten Theorie, existierte also zum Zeitpunkt der ersten Auswertung durch Binnig und Rohrer noch nicht.
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Folgezeit als Testobjekt der Tunnelmikroskopie, da ein einzelnes Bild Evidenz für eine stabile Messung mit atomarer Auflösung erzeugen konnte. Bei einfacher strukturierten Proben wie Grafit mit einer einfachen Periodizität hingegen konnten stets Spitzeneffekte, Artefakte von Filtern oder Moiré-Effekte für die Hervorbringung der erwarteten Struktur verantwortlich zeichnen – was für die rhombische Form und die Binnenstruktur der Si(111)-7x7-Einheitszelle ausgeschlossen werden konnte. Während durch die Präparation bereits eine Formung des Untersuchungsgegenstandes vorgenommen wurde, bildete die Überhöhung um 55 Prozent (Binnig et al. 1983a, 120) in der Darstellung mit dem xy-Schreiber und die Erstellung des Papiermodells (Abb. III.1.7) weitere Schritte der Überformung. Sie führten zur Anknüpfung an Sehgewohnheiten, die Hervorhebung eines Bildobjektes und eine perspektivische Raumgreifung, doch vor dem Hintergrund des Forschungsstandes zur atomaren Struktur von Si(111)-7x7 entpuppte sich diese Anschlussfähigkeit als nur eine Seite der Medaille: Die zwölf Maxima, die innerhalb einer Einheitszelle hervortraten, standen nicht in Einklang mit einem einzigen der vielzähligen kursierenden Modelle der Silizium-Rekonstruktion. So war das Bild einerseits das Ergebnis des erfolgreichen Betriebs des Tunnelmikroskops und gab andererseits gleichzeitig Anlass zu Folgeforschungen. Die über raschende Anordnung der Maxima stellte eine Differenz zu dem vormaligen Forschungsstand dar und fungierte als treibende Kraft einer weiterführenden Forschungsdynamik.6 Sowohl die äußere Rahmung als auch die Binnenstruktur prägten den Fortgang der Wissenschaft auf jeweils unterschiedliche Art: die äußere Gestalt, indem sie die Erschließung des Realraums durch die Oberflächenphysik manifestierte und zum vielfach nachgeahmten und damit stilbildenden Vorbild tunnelmikroskopischer Bilder wurde, und die Binnenstruktur, da sie entscheidende neue Hinweise zur Erforschung der atomaren Oberflächenstruktur von Si(111)-7x7 liefern sollte. Für Binnig und Rohrer stellte sich die Aufgabe, das Muster aus Maxima und Minima zu deuten, sowohl bezüglich einer Theorie des 6 | Diese Gleichzeitigkeit der Anschlussfähigkeit an Bekanntes und der Abweichung von bisherigen Modellen entspricht der von Rheinberger, Hagner und WahrigSchmidt beschriebenen Konstellation, dass Repräsentationen unter der Bedingung eines differenziellen Anschlusses Neues ermöglichen (Rheinberger, Hagner, WahrigSchmidt 1997, 19), wobei es in dieser Arbeit bezüglich der Anschlussfähigkeit zu einer Akzentuierung formaler visueller Ähnlichkeiten und Bildtraditionen kommt.
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Abb.III.1.6: (entspr. Abb. II.3.1): Linienausdruck der Si(111)-7x7 mit atomarer Auflösung (Privatbesitz Hartwig Thomas).
Tunnelmikroskops (zur Erinnerung: die in Kapitel II.1 vorgestellten Theorien existierten zu diesem Zeitpunkt noch nicht) als auch bezüglich der atomaren Struktur der Si(111)-7x7-Oberfläche. Zur Auswertung publizierten sie neben dem Bild des Papiermodells eine von Hartwig Thomas erstellte Aufsicht, in der die Maxima hell und die Minima dunkel codiert waren (Abb. III.1.8). Thomas hatte dieses Bild in einem mehrschrittigen Verfahren erzeugt, indem er zunächst eine interpolierte Aufsicht erstellt und den thermischen Drift ermittelt und subtrahiert hatte (vgl. Kapitel II.3). Anschließend mittelte er die Strukturen der beiden aufgezeichneten Einheitszellen, um so eine durchschnittliche Einheitszelle zu berechnen (Thomas 09/03). Diese gemittelte Einheitszelle fügte Thomas mehrfach aneinander, so dass ein ornamenthaftes Bild mit periodischem Muster entstand. Nicht mehr eine rautenförmige Einheitszelle bildete den Mittelpunkt des Bildes, sondern ein ausgeprägtes Minimum, das sich als schwarzer Kreis zeigte und um das herum sich kreisförmig die hellen Kreise anordneten. Die sechsfache Symmetrie, die aus den Beugungsverfahren für Si(111)-7x7 bekannt war, rückte in den Mittelpunkt. Weder die Bearbeitungsschritte auf dem Weg zu dem hochsymmetrischen Ornament noch die Tatsache, dass das Foto des Papiermodells und das digitale Ornament auf ein und dieselbe Messung zurückgingen, fand in der Publikation Erwähnung. Binnig und Rohrer nahmen in ihrer
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Abb.III.1.7: (entspr. Abb. II.3.2): Foto eines Papiermodells, beruhend auf Abb. III.1.6 (Binnig, Rohrer et al. 1983, 120).
Nobelpreisrede 1986 Stellung zu dieser Bildstrategie, die sie während eines Ausflugs in die Schweizer Alpen ersonnen hatten: „We returned convinced that this would attract the attention of our colleagues, even of those not involved in surface science. We helped by presenting both an unprocessed relief model assembled from the original recorder traces with scissors, Plexiglas, and nails, and a processed top view; the former for credibility, the latter for analysis and discussion.“ (Binnig, Rohrer 1986, 401)
Binnig und Rohrer publizierten nach eigenen Angaben das Papiermodell aus Gründen der Glaubwürdigkeit und bezeichneten es als unbearbeitet („unprocessed“), wohl, da sie keine Filter eingesetzt oder Datenbearbeitung vorgenommen hatten – die einschneidenden Veränderungen vom Originalausdruck zum Foto des Modells hielten sie für vernachlässigbar. Doch den Attributen „unbearbeitet“ sowie „glaubwürdig“ wäre zunächst einmal der Originalausdruck gerecht geworden; nach der Argumentation von Binnig und Rohrer bestand keine Notwendigkeit zur Publikation des Papiermodells. Vielmehr zeigt sich die Darstellung eines Körpers in Zentralperspektive als Selbstzweck des Bildes. Binnig und Rohrer bezogen sich im Publikationstext nicht auf das Papiermodell, sondern das digital erzeugte Ornament. In der zuge-
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Abb.III.1.8: Periodisches Bild der Si(111)-7x7 in Aufsicht, zusammengesetzt aus rechnerisch gemittelten Einheitszellen (Binnig, Rohrer et al. 1983, 121).
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Abb.III.1.9: Schematische Darstellung des von Binnig und Rohrer vorgeschlagenen Oberflächenmodells der Si(111)-7x7Rekonstruktion (Binnig, Rohrer et al. 1983, 120).
hörigen Bildunterschrift erwähnten Binnig und Rohrer die sechsfache Rotationssymmetrie, die sich in dem digital bearbeiteten Bild zeigte, womit sie an Erkenntnisse aus Beugungsexperimenten anschließen konnten. Die unterschiedliche Ausprägung der Minima und die geringen Höhenunterschiede zwischen verschiedenen Maxima deuteten sie zunächst als Artefakt des Instruments (Binnig et al. 1983a, 121). Die Maxima ordneten sie den Positionen einzelner Atome zu: „Since tunneling is expected to occur predominately from the dangling bonds, the maxima observed should reflect the dangling-bond position of the topmost atoms.“ (Binnig et al. 1983a, 121) Somit konnten sie Ähnlichkeiten zu einem Adatom-Modell von Walter Harrison erkennen, der allerdings nicht 12, sondern 13 Adatome mit jeweils einem freien Bindungsarm (dangling bond) vorgesehen hatte (Harrison 1976, 18). Binnig und Rohrer schlugen ein modifiziertes Modell mit 12 Adatomen vor (Binnig et al. 1983a, 121), das sie innerhalb der Konventionen der Oberflächenphysik schematisch darstellten (Abb. III.1.9). In
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einer Aufsicht symbolisierten Kreise die Positionen einzelner Atome, wobei die Adatome durch die symbolische Andeutung dreier Bindungsarme gekennzeichnet waren. Die Restatome symbolisierten sie als Kreise mit zusätzlichem Kreisring. Durch die Gegenüberstellung der von Hartwig Thomas erstellten Aufsicht und dieses symbolischen Schemas erzeugten sie im Gegensatz zu der Bildpraxis unter Einsatz von Beugungsverfahren eine direkte Korrespondenz und Vergleichbarkeit der Form des Schemas und des experimentellen Bildes im Realraum. Der Schritt der Umrechnung in den reziproken Raum, der für die Bildvergleiche mit den Ergebnissen von Beugungstechniken notwendig war, entfiel. Die weitere Bildpraxis Binnigs und Rohrers bezüglich Si(111)-7x7 war vorrangig durch die Präsentation und Interpretation der Ergebnisse dieser einen Messung vom 18. Oktober 1982 geprägt, wobei sie auf die Bildbearbeitungen von Hartwig Thomas zurückgriffen. Im Abgleich der tunnelmikroskopischen Aufzeichnung mit den in der Oberflächenphysik kursierenden Modellen rückte die Frage nach der Symmetrie der Einheitszelle in den Vordergrund. Während Binnig und Rohrer in ihrer ersten Veröffentlichung unterschiedliche Ausprägungen der Maxima und Minima als Messungenauigkeiten interpretiert hatten, widmeten sie sich gemeinsam mit Hartwig Thomas nun erneut dieser Frage. Thomas realisierte unter enormem programmiererischem Aufwand farbige Ausdrucke,7 in denen die Höhen der Maxima und Minima durch die Wahl der Farben vergleichbar wurden. Noch bevor Erich Stoll kartografische Farbcodierungen eingeführt hatte (vgl. Kapitel II.3), wählte auch Thomas eine solche Farbabfolge, skurrilerweise aber in umgekehrter Abfolge: Die Minima waren bräunlich gekennzeichnet, mittlere Höhen mit Grüntönen versehen und die Maxima blau und violett (Abb. III.1.10). Für Thomas stand nicht wie für Stoll die Darstellung von Landschaften im Mittelpunkt, sondern die quantitative Auswertung mittels Farbeinsatz. Mit Hilfe seiner Definition der Farbskalen wiesen die Ausprägungen der Minima und Maxima Asymmetrien auf. Nicht durch die Adressierung des Datensatzes und die Ermittlung numerischer Werte ermittelte er die Höhen der Maxima, sondern durch die geschickte Festlegung von Schwellenwerten, die einzelne Maxima und Minima in unterschiedlichen Farben erscheinen ließ. In dieser visuellen Praxis setzte Thomas Farbe sowohl als Erkenntnis- als auch als Evidenzinstrument ein. 7 | Der Treiber des Druckers sah die Ausgabe farbiger Schriftzeichen vor, aber nicht die von Punktrastern, so dass eine aufwendige Umprogrammierung zur Ausgabe farbiger Punktraster nötig war (Gespräch Thomas 09/03).
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Abb.III.1.10: Farbausdruck zur Si(111)-7x7-Messung vom 28. Oktober 1982 mit umgekehrt kartografischer Farbkodierung zum Vergleich der Höhen der Maxima und Minima (Privatbesitz Hartwig Thomas).
Abb.III.1.11: Publiziertes Bild zur Verdeutlichung der Asymmetrie innerhalb der Si-(111)-7x7-Einheitszelle (Binnig et al. 1985, L375).
So revidierten Binnig und Rohrer nach zwei Jahren den Befund ihrer ersten Veröffentlichung und publizierten nun, dass ihre tunnelmikroskopischen Bilder eine Asymmetrie in der Einheitszelle auf wiesen. Sie veröffentlichten dazu unter dem Titel „Revisiting the 7 x 7 reconstruction of Si(111)“ (Binnig et al. 1985) sowohl Ergebnisse einer neuen Messung als auch ihre Messung vom Oktober 1982 in neuer Form, in der nun die Grauskalen nicht mehr eine ähnliche, sondern eine unterschiedliche Höhe der Maxima und Minima auswiesen: Die Maxima in der linken Hälfte der Einheitszelle erschienen dunkler und damit niedriger als in der rechten Hälfte (Abb. III.1.11). Binnig und Rohrer bezeichneten die Farbwahl als nicht skaliert („brightness not to scale“; Binnig et al. 1985, L375), vielmehr wählten sie die Grautöne zur Hervorhebung gewünschter Ergebnisse und folgerten, dass die Ungleichheit der beiden Hälften deutlich zu sehen sei (ebd.). War in der Erstveröffentlichung die damals schon festgestellte unterschiedliche Höhe als Messartefakt gedeutet worden und dementsprechend eine Farbcodierung gewählt worden, die die Maxima ähnlich hoch erschienen ließ, machte nun die geänderte Farbzuweisung ein
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gegenteiliges Ergebnis evident, obwohl dieselben Messwerte zugrunde lagen. Die Kommunikation des Wissens war an die bildliche Darstellung der Daten gebunden.
Weiterführung der Silizium-Untersuchungen in Yorktown Heights Binnigs und Rohrers Präsentationen der Ergebnisse der Si(111)-7x7Rekonstruktion seit Anfang 1983 führten einerseits zu Aufmerksamkeit und sogar Begeisterung, andererseits waren sie von Skepsis über die Authentizität und die Aussagekraft der Bilder begleitet, die so weit führte, sie als Ergebnis einer Simulation zu verdächtigen.8 Erst die Bestätigung durch andere Gruppen konnte diese Zweifel überwinden, doch erwies sich der Nachbau des Tunnelmikroskops und die Replikation der Experimente als äußerst schwierig und ließ Jahre auf sich warten. Vor allem durch Vorträge Gerd Binnigs motiviert, versuchten einige Wissenschaftler Rastertunnelmikroskope aufzubauen und beschritten dabei bezüglich der Wissensaneignung und des Wissenstransfers unterschiedliche Wege: So verfolgte die Gruppe an der Universität Basel um Hans-Joachim Güntherodt zunächst die Strategie, das Gerät zu bauen, ohne im direkten Austausch mit Wissenschaftlern und Technikern aus dem Labor in Rüschlikon zu stehen, um durch das Beschreiten dieses kurzfristig mühsamen Weges einen profunden Bestand lokalen Wissens auf bauen zu können (vgl. Kapitel II.3). Andere Institute waren stärker auf eine möglichst schnelle Realisierung des STM bedacht und setzten auf informellen, mündlichen Austausch mit Rüschlikon, so etwa die Münchner Behm und Hösler, die telefonisch Rat bezüglich der Komponenten, mit denen sie nicht vertraut waren, einholten (Behm 07/05). Innerhalb von IBM wurden aus dem US-amerikanischen Labor in Yorktown Heights Wissenschaftler nach Rüschlikon geschickt, um durch gemeinsame Tätigkeit vor Ort die notwendigen Fähigkeiten zum anschließenden Auf bau eines Tunnelmikroskops im eigenen Labor zu erwerben. Doch dieser Austausch konnte keinen Erfolg garantieren; so war zunächst der erfahrene IBM-Elektronenmikroskopiker Oliver Wells nach Rüschlikon geschickt worden, ohne dass er in seinem Heimatlabor in Yorktown Heights anschließend ein STM erfolgreich hätte realisieren können. Die Wahl eines Elektronenmikroskopikers schien für den Bau eines anderen Mikroskoptypus einerseits naheliegend, andererseits hatten sich Elektronenmikroskopiker über Jahrzehnte an die Verwendung 8 | E-Mail von Heinrich Rohrer an den Verfasser vom 7.3.2006.
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kommerzieller Instrumente gewöhnt, ohne Erfahrungen im Selbstbau zu sammeln (Mody 2004a, 135). Zudem war das gemeinsame Experimentieren vor Ort in Rüschlikon beeinträchtigt, da Binnig und Rohrer durch Vortragsreisen selten im Labor präsent waren und die Instrumente äußerst unzuverlässig liefen, so dass selbst ein mehrwöchiger Forschungsaufenthalt keine Garantie bedeutete, an einem erfolgreichen Betrieb teilzunehmen (Feenstra 08/06).9 Denn obwohl das Funktionsprinzip des Tunnelmikroskops einfach erscheint, war die Praxis von hohen instrumentellen und experimentellen Ansprüchen zur Präparation der Spitze, dem kontrollierten Annähern der Spitze an die Probe im Ångström-Bereich und der Vermeidung von Vibrationen geprägt. Als Ende 1984, zwei Jahre nach der bahnbrechenden Silizium-Messung in Rüschlikon, die erfolgreiche Replikation trotz zahlreicher Bemühungen unter wachsender Unruhe immer noch ausstand, organisierte Cal Quate aus Stanford einen informellen Workshop im mexikanischen Ferienort Cancun. Ein Dutzend Wissenschaftler, die sich auf dem Gebiet versucht hatten, trafen sich mit Heinrich Rohrer (Mody 2004a, 140f.). Auf bauend auf den zuvor gesammelten Erfahrungen und diesem Treffen stellten sich bald Erfolge bei den beteiligten Gruppen ein. Die lange Phase erfolglosen Experimentierens bedeutete die Produktion von zahlreichen Aufzeichnungen und damit tunnelmikroskopischen Bildern, die nicht den Erwartungen entsprachen. Jede einzelne Gruppe dürfte zunächst versucht haben, Vakuumtunneln an einem Ort ohne Scannen zu realisieren, wie es auch Binnigs und Rohrers erster Schritt gewesen war. So wurden zuerst StromSpannungs-Kennlinien erstellt, um sich der exponentiellen StromAbstand-Abhängigkeit zwischen Spitze und Probe zu vergewissern (Tromp 03/04). Die Aufzeichnungen all dieser sich über Jahre hinziehenden, erfolglosen Experimente wurden verworfen und weggeworfen und erhielten keine Sichtbarkeit in Publikationen, waren aber wesentlicher Bestandteil tunnelmikroskopischer Bildpraxis. So konnten Erfahrungen über die Einflüsse unterschiedlicher Quellen von Vibrationen gesammelt werden, was für den späteren Einsatz von Filtern zur Trennung von „Signal“ und „Rauschen“ als Grundlage diente (vgl. Kapitel II.3). Ähnliches gilt für den Bereich der Spitzen9 | Die Beschreibung des Wissenstransfers steht in vielerlei Hinsicht in Einklang mit den Beschreibungen des Wissenschaftssoziologen Harry Collins; doch während Collins davon ausgeht, dass es kein Bewusstsein seitens der Experimentatoren für das Problem des Wissenstransfers gebe (Collins 1985, 76), deuten die hier benannten Strategien auf das Gegenteil hin.
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präparation und ihre anschließende Beurteilung, die ebenfalls auf informellem Erfahrungswissen beruhte (vgl. Kapitel II.2). So ist es kein Zufall, dass die Gruppen, die sich frühzeitig der Tunnelmikroskopie zugewandt hatten, in der Folgezeit aus diesen Erfahrungen schöpfend das Feld über Jahre entscheidend prägen konnten. Die Gruppe um Joe Demuth aus dem IBM-Labor in Yorktown Heights gehörte zu den ersten Tunnelmikroskopikern, die die Si(111)7x7-Experimente erfolgreich replizieren konnten und ihre Ergebnisse auf dem Workshop 1985 im österreichischen Oberlech präsentierten.10 Der Wissenschaftssoziologe Harry Collins hat darauf hingewiesen, dass die Wiederholbarkeit eines Experiments in der Wissenschaftstheorie weithin als Voraussetzung eines wissenschaftlichen Anspruchs gesehen wird, dass in der Praxis die Replikation aber eher selten vorkomme, da sie kein Prestige einbringe und deshalb im Einzelfall besonders motiviert sein müsse (Collins 1985, 19). Das heißt auf die Bildpraxis bezogen, dass es nur in Ausnahmefällen Bestrebungen gibt, bereits existierende Bilder exakt nachzuahmen. Für die Gruppe um Demuth lag die Motivation in der Replikation der Si-Experimente darin, durch ein solches Experiment die Leistungsfähigkeit ihres Instruments, das sich von dem aus Rüschlikon unterschied, unter Beweis stellen zu können (Demuth et al. 1986a, 399; Demuth et al. 1986b, 1322). Demuth war für den Annäherungsmechanismus zwischen Spitze und Probe nicht der Methode von Binnig, Rohrer und Gerber gefolgt, sondern war zu einer kompakteren Bauweise gelangt (Demuth et al. 1986b, 1321). Neben ihrer Erfahrung im Instrumentenbau war die Gruppe in der Probenpräparation geübt. Ruud Tromp, ein Postdoc, hatte sich bereits während seiner Dissertation mit der Struktur der Si(111)-7x7 befasst und sowohl unterschiedliche Beugungsmethoden als auch Simulationen an dieser Rekonstruktion durchgeführt (Tromp et al. 1983; Tromp, van Loenen 1984 u. 1985). In Übersichtsartikeln hatte er unterschiedliche Modelle mit experimentellen Befunden verglichen, besaß also einen hervorragenden Überblick über die existierenden Modelle und stand mit einer Vielzahl der Forscher aus diesem Bereich im persönlichen Kontakt (Tromp 03/04). Für 10 | Im Folgenden wird dem exemplarischen Ansatz dieser Studie folgend die Tätigkeit einer IBM-Arbeitsgruppe aus Yorktown Heights herausgegriffen, da sie wesentlich zu diesem Forschungsfeld beitrug; zudem stand mit Ruud Tromp einer der Hauptprotagonisten für ein Interview zur Verfügung und machte unveröffentlichtes Bildmaterial zugänglich. Eine Forschungsgruppe an den Bell Laboratories um Becker, Golovchenko und Swartzentruber war ebenfalls zeitgleich in dem Bereich aktiv und erfolgreich, ihre Bildpraxis ähnelte der in der hier vorgestellten Fallstudie.
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Tromp und Kollegen bedeutete das Ziel, die Ergebnisse aus Rüschlikon zu replizieren, einen ersten Schritt im Rahmen ihres Plans, durch weitere Detailuntersuchungen die atomare Struktur des Si(111)-7x7 zu untersuchen. Dabei konnten sie durch ihre Erfahrungen mit anderen Methoden auf breiteres oberflächenphysikalisches Vorwissen zurückgreifen als Binnig und Rohrer. Tromp erinnert sich auch nach über 20 Jahren an die Nacht, in der sie das lang ersehnte Ziel erreichten: „I remember the night when we were taking this particular image [Abb. III.1.12] which was on May 23, probably 1985, [...] we were working at night and line scans particularly looked like good, that there was something on the monitor that looked periodic. So I took one of these images out on a floppy disc and I went to one of these big monochrome graphic monitors and, you know, uploaded the image to the mainframe. We were taking it on a PC and I uploaded it on a mainframe and after 15 minutes or so of massaging the data I could see basically the cornerholes and they were very close together and it turned our scan calibration was off by a factor 5 or 10 or something and so we went back to the lab and said: let’s take a much smaller scan and see what’s on then and then we got this [Abb. III.1.12], right?“ (Tromp 03/04)
Wie auch bei Binnig und Rohrer zeigte sich der Durchbruch bezüglich der rastertunnelmikroskopischen Messungen der Si-7x7 bedingt durch die Komplexität der Form in einem einzigen Bild. In Yorktown Heights basierten schon die ersten Messungen auf einem digitalen System mit einem speicherbaren Datensatz. Trotzdem knüpfte die Gruppe zunächst an die analogen Linienbilder Binnigs und Rohrers an und publizierte einen Linienausdruck (Abb. III.1.12). Ähnlich wie in Binnigs und Rohrers erstem – unveröffentlichten – Ausdruck zeigt sich am rechten Rand eine unstrukturierte Erhebung, während im linken Bildteil geordnete Strukturen sichtbar sind. Im unteren Drittel des Bildes sind die Korrugationen weniger stark ausgeprägt, was Demuth und Kollegen als Veränderung der Spitze während des Scannens deuteten (Demuth et al. 1986a, 399). In Einklang mit der Publikationspraxis der Frühzeit wählten sie zunächst keinen Bildausschnitt, sondern veröffentlichten anfänglich solche Artefakte (vgl. Kapitel II.2). In ihrer ersten Publikation thematisierten sie auch explizit die Möglichkeit der Erstellung von Graustufenbildern und des Farbeinsatzes mittels Computergrafik sowie der mathematischen Operation am Datensatz durch den Einsatz von Filtern, wozu sie Beispiele präsentierten (Demuth et al. 1986a, 400f.). Die Elektronik und Software hatte Paul Schroer angefertigt, der zuvor an der University
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Abb. III.1.12: Erstes erfolgreiches Bild der Si(111)-7x7 durch die Gruppe um Tromp und Demuth in Yorktown Heights (Demuth et al. 1986, 399).
of Cornell im Raketenabwehrprojekt SDI mit Bildverarbeitung und Fragen der Kontrastverstärkung zur automatischen Erkennung von Flugkörpern beschäftigt war (Schroer 03/04). Der Wissenstransfer zwischen einem solchen hochfinanzierten nationalen Prestigeprojekt unter weitgehender Geheimhaltung und der Tunnelmikroskopie geschah nicht in Form von Produkten wie Softwarepaketen, sondern durch das Know-how einer Person, die ihr erworbenes Wissen auf die Tunnelmikroskopie anwenden konnte. Bei aller Anknüpfung und Ähnlichkeit zu den Bildern aus Rüschlikon zeigten sich in den Bildern aus Yorktown Heights auch Unterschiede: Der Scanbereich des Instruments war größer und so konnten mehr Einheitszellen untersucht werden; durch die Bekanntheit der Größe und der äußeren Form der 7x7-Einheitszelle eignete sich ein solches Bild auch ohne Skalierung, im Expertenkreis auf den Scanbereich aufmerksam zu machen: „People were very excited about it to see the large scale.“ (Tromp 03/04) Zudem fehlten in einigen Einheitszellen einzelne Maxima, was das Potenzial des Instruments, im Unterschied zu Beugungsverfahren lokale Inhomogenitäten zu untersuchen, unterstrich. Neben der Möglichkeit zur Darstellung im Realraum sollte dies die Oberflächenphysik tiefgreifend verändern (vgl. Kapitel III.3).
Spektroskopische Experimente und der Ausbau visueller Dominanz Die Gruppe um Demuth setzte sich in der Folgezeit die Detailuntersuchung der elektronischen Eigenschaften der Si(111)-7x7-Rekonstruktion zum Ziel und dehnte sie aus, indem sie durch die Variation der
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Abb. III.1.13: Oszilloskopsignal zur Kontrolle tunnelspektroskopischer Messungen während des Experimentierens (Privatbesitz Ruud Tromp).
Spannung zwischen Spitze und Probe spektroskopische Messungen vornahm. Binnig und Rohrer hatten dieses Feld der Tunnelspektroskopie bereits angestoßen (Binnig, Rohrer 1986, 361ff.; Interview Hessenbruch – Binnig/Rohrer), doch perfektionierten Demuth und Kollegen diesen Ansatz sowohl bezüglich der experimentellen Ausführung als auch der Interpretation. Tunnelspektroskopische Experimente ließen sich nicht durch das Abscannen der Probe mit zunächst einer ausgewählten Spannung und der anschließenden Wiederholung dieses Prozederes mit einer anderen Spannung durchführen, da sich der Abstand zwischen Spitze und Probe von Messung zu Messung verändert hätte (Gespräch Tromp 03/04; Hamers 1992, 85), so dass die Vergleichbarkeit der Messungen untereinander eingeschränkt gewesen wäre. Vielmehr entwarf die Gruppe um Demuth einen Messmodus, in dem der Rückkopplungsmechanismus zur vertikalen Steuerung der Spitze ein- bzw. ausgeschaltet werden konnte. Dabei wanderte die Tunnelspitze bei einer angelegten Spannung von beispielsweise 2V von einem Messpunkt zum nächsten. An diesem Messpunkt angekommen, wurde zunächst die Höhe der Spitze durch den aktivierten Rückkopplungsmechanismus derart variiert, dass ein festgelegter Strom von beispielsweise 1 mA eingeregelt wurde; der Rückkopplungsmechanismus schaltete sich nun aus, so dass die Position der Spitze konstant blieb, während der Strom in Abhängigkeit von 48 unterschiedlichen Spannungen gemessen und gespeichert wurde. Anschließend wurde wieder bei einer Spannung von 2V zum nächsten Messpunkt gescannt und an diesem Punkt die Messungen wiederholt. Während des Experiments sahen die Experimentatoren lediglich die Strom-Spannungs-Kurven auf einem Oszilloskop (Abb. III.1.13) und konnten sich anhand der Signale des Erfolgs der Messung vergewissern:
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„In these spectroscopic experiments we would monitor the I-V curve and the tunneling current live on the oscilloscope. The feedback we got from the oscilloscope was as important as anything else. So we always had a live trace of tunneling current on the oscilloscope and that was something we wanted all the time. That was the real live signal that we were dealing with.“ (Tromp 03/04)
Die Experimentatoren bildeten Kompetenzen aus, solche Signale interpretieren zu können und während des Experimentierens das Gelingen einer Messung abschätzen zu können. Doch für die weitere Auswertung und Kommunikation kamen Tromp und Kollegen zu einer Anschaulichkeit, die nicht auf einer Vielzahl von Strom-SpannungsKurven, sondern einer beträchtlichen Umsortierung der Daten beruhte, indem sie jeweils Messungen mit ein und derselben Spannung einander zuordneten. Sie nutzten damit die Möglichkeiten digitaler Datenbearbeitung zu einer Neuanordnung der Daten, die auf eine visuelle Erfassung und Vergleichbarkeit abzielte. Sie publizierten ein Tableau, in dem sie in 14 Bildern für 14 verschiedene Spannungen die Ströme codiert in Grautönen darstellten (Abb. III.1.14). Unter dieser neuen Anordnung, die die Abfolge der ursprünglichen Datenerhebung durchbrach, wurden etwa 300.000 Messwerte, die innerhalb weniger Minuten aufgenommen wurden, in einer Anordnung von 14 Bildern sichtbar und vergleichbar. Damit kam es einerseits zu einer Reduktion der Information, da in den Bildern die Werte als Grautöne codiert sind und die Messwerte nicht mit der numerischen Genauigkeit, mit der sie gemessen worden sind, abgelesen werden können; andererseits kam es zu einer Maximierung von Information, die sinnlich zu verarbeiten, zu vergleichen und zu kommunizieren war. Die Anordnung in zwei Spalten ermöglichte eine Gruppierung von Messungen mit unterschiedlichen negativen Spannungen der Probe gegenüber der Spitze in der linken Spalte und positiven Spannungen der Probe gegenüber der Spitze auf der rechten Seite, jeweils mit steigender Spannung von oben nach unten. Einzelne Bilder (I bis L in Abb. III.1.14) zeigten Strukturen, wie sie aus vorherigen tunnelmikroskopischen Untersuchungen bekannt waren, in anderen Bildern der selben Probe traten jedoch signifikant andere Anordnungen auf (D bis G in Abb. III.1.14). 11 Mit diesem Tableau machte die New Yorker Gruppe offensichtlich, dass solche tunnelspektroskopischen Bilder 11 | Das Bild unten rechts erscheint in der Publikation als homogener Grauton, in der originalen Druckvorlage waren allerdings leichte Strukturen erkennbar (gemeinsame Sichtung von Bildern mit Ruud Tromp aus dessen Privatbesitz).
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Abb. III.1.14: Tableau zum Vergleich tunnelspektroskopischer Messungen bei 14 unterschiedlichen Spannungen (Hamers, Tromp, Demuth 1987, 349).
von Halbleitern nicht zwangsläufig die Anordnung der Atome oder unabhängig von den Messparametern definierbare Eigenschaften der Probe wiedergeben. Dies bedeutete jedoch keinesfalls ein Defizit der Methode, vielmehr vergrößerte sich aus Sicht der Oberflächenphysiker das Potenzial des Instruments beträchtlich, indem sich aus der Spannungsabhängigkeit des Tunnelstroms tiefe Einblicke in die elektronischen Eigenschaften erzielen ließen. Während beispielsweise Binnig und Rohrer mit Hilfe von Hartwig Thomas zunächst anhand einer Messung versucht hatten, die Symmetrie der Einheitszelle zu explorieren, zeigten die spannungsabhängigen Messungen eine komplexe Konstellation: Bei einigen Spannungen zeigten sich Symmetrien bezüglich der beiden Hälften der Einheitszelle, andere Messungen zeigten Asymmetrien. Solche Beobachtungen lieferten eine Vielzahl von Anhaltspunkten für den Abgleich mit den kursierenden Modellen der atomaren Si-7x7-Oberflächenstruktur und diesbezüglichen Ergebnissen aus komplementären Methoden der Oberflächenphysik. Tromp urteilte im Nachhinein über das Tableau mit den 14 Bildern:
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„[...] in the surface science paper we chose to publish a whole array like this, just to show that we did in fact get these images all simuntaniously. There is a tremendous amount of information in these images, right? I mean there was so much data that was coming out of this machine, you know, it wasn’t almost possible to completely analyze all of these data.“ (Tromp 03/04)
In der Auswertung der komplexen Informationen konnten Tromp, Demuth und Kollegen nicht auf eine elaborierte Theorie wie die von Tersoff und Hamann zurückgreifen, da diese weder für das Beispiel der Silizium-Oberfläche noch für spektroskopische Messungen ausgearbeitet war. Eine Übertragbarkeit auf die Experimente war lediglich für eine Spannung von 2V zwischen Probe (positiv) und Spitze (negativ) möglich, nicht aber für die Spannungsabhängigkeit der Ergebnisse, auf die die Experimente abgezielt hatten (Tromp, Hamers, Demuth 1986, 1388f). Vielmehr bedeuteten spektroskopische Messungen, die neben der Gruppe um Demuth und Tromp auch andernorts verfolgt wurden, Inspiration für die Arbeit der Theoretiker. Modelle, die entgegen dem Ansatz von Hamann und Tersoff Probe und Spitze gleichberechtigt behandelten, erfuhren eine Konjunktur. Der Yorktown-Heights-Theoretiker Norton Lang entwickelte Modelle, in denen zwei planare Metallelektroden mit jeweils einem adsorbierten Atom aneinander vorbei geführt wurden – eine Elektrode ließ sich als Spitze, die andere als Probe annehmen (Lang 1986a, b). Langs Modell glich damit dem Ansatz von Garcia aus der Frühzeit der Tunnelmikroskopie, der Spitze und Probe gleichberechtigt sinusförmig angenommen hatte (vgl. Kapitel II.1), hob sich aber von diesen letztlich doch unzulänglichen Annahmen durch ein realistischeres, aber auch komplexeres Modell auf atomarer Skala ab. Lang konnte zunächst für kleine Spannungen die Dominanz der lokalen Zustandsdichten theoretisch bestimmen und damit die Ergebnisse von Hamann und Tersoff bestätigen (Lang 1986a, 1164 u. 1166). In seinen weiteren Ausarbeitungen hielt er die gleichberechtigte Betrachtung von Probe und Spitze bei und gelangte an Modellsystemen zur Spannungsabhängigkeit der Messergebnisse (Lang 1987). Auch wenn sich die Ergebnisse Langs nicht direkt auf den Halbleiter Silizium anwenden ließen, hatten doch experimentelle Ergebnisse aus der Tunnelspektroskopie grundsätzlich den Theoretiker Lang zu einem neuen Ansatz in der Modellierung der Tunnelmikroskopie inspiriert. Für bestimmte Voraussetzungen stand sein Modell in Einklang mit den Ergebnissen von Tersoff und Hamann, gleichzeitig ging es über diese hinaus und ließ sich auf die Tunnelspektroskopie anwenden. In diesem Wechselspiel von experimentellen und theoretischen Entwicklungen kam es
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zu einer Erhöhung der Komplexität bei der Deutung tunnelmikroskopischer Bilder. Die Arbeiten von Demuth, Tromp und Kollegen motivierten neue Theorieentwicklungen zur Tunnelmikroskopie und -spektroskopie im Allgemeinen und gaben Aufschlüsse über die Struktur der Si(111)7x7-Rekonstruktion im Speziellen. Tromp und Kollegen nutzten ihre fundierten Vorkenntnisse über die unterschiedlichen kursierenden Modelle: Sie erkannten, dass die Ergebnisse ihrer spektroskopischen Untersuchungen in Einklang mit der Annahme der Existenz von 12 Adatomen mit freien Bindungsarmen und darunter liegenden Restatomen standen. Die Asymmetrien korrelierten sie mit der Hypothese von stacking faults und damit einer Anordnung, in der tiefere atomare Schichten nicht in gleichmäßiger Abfolge mit den obersten atomaren Schichten liegen. Die tunnelmikroskopischen Bilder waren damit nicht mehr allein durch die Position der obersten Atome bestimmt, sondern gaben ebenso Aufschlüsse über Anordnungen und elektronische Eigenschaften tiefer liegender Atomschichten. Diese drei Charakteristika – adatoms, restatoms und stacking fault – wiesen auch einige der Modelle auf, die Mitte der 1980er Jahre diskutiert wurden. Ruud Tromp nutzte zur weiteren Validierung dieser Modelle seine Fähigkeiten zur Programmierung von Simulationen, die er aus seiner früheren oberflächenphysikalischen Ausbildung mitbrachte. Tromp hatte – ganz im Einklang mit der Bildpraxis der Oberflächenphysik – Beugungsbilder zu atomaren Oberflächenmodellen simuliert und diese mit experimentellen Beugungsbildern verglichen (Tromp 1985; Tromp 03/04). Ganz in der Tradition dieser Bildpraxis simulierte er nun tunnelmikroskopische Bilder verschiedener Modelle von atomaren Oberflächenanordnungen und verglich diese mit seinen experimentellen Ergebnissen, um mit Hilfe eines solchen Bildvergleichs die einzelnen Modelle verifizieren bzw. falsifizieren zu können. In einer Vorauswahl entschied er sich zur Simulation von fünf der vielen damals kursierenden Modelle: das Modell von Binnig und Rohrer sowie die Modelle der Oberflächenphysiker McRae, Takayanagi, Chadi und Snyder, die allesamt auf Grundlage von Beugungsexperimenten Modelle entwickelt hatten. Seine Programmierung stützte Tromp auf die Theorie von Tersoff, die für ihn mathematisch und programmiertechnisch handhabbar war. Obgleich die tunnelspektroskopischen Experimente der Gruppe um Tromp und Demuth die Grenzen dieser auf einem einfachen Modell beruhenden Theorie aufgezeigt hatten, versprach sie doch, einen gewissen Geltungsbereich zu besitzen, und es existierte auch keine adäquate alternative mathematische Beschreibung.
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Abb. III.1.15: Vergleich von fünf simulierten und einem experimentell erzeugten tunnelmikroskopischen Bild (Tromp, Hamers, Demuth 1986, 1389).
Die Ergebnisse seiner Simulationen präsentierte er zum Zwecke der Vergleichbarkeit ebenfalls in einem Tableau von sechs Bildern – fünf simulierten und einem experimentell ermittelten – sowie jeweils zwei zugehörigen Grafen (Abb. III.1.15); die Grafen stellten ein Oberflächenprofil entlang der langen und der kurzen Diagonalen der rhombischen Einheitszellen dar. Die obere Reihe zeigt die Simulationen der Modelle von Binnig, Snyder, Takayanagi, die untere die von Chadi und McRae sowie ein experimentelles Ergebnis aus Tromps Gruppe. Während in die Theorie von Tersoff und Haneman die Spannung zwischen Spitze und Probe nicht einging und damit dieser Parameter auch nicht in die fünf Simulationen eingegangen war, wusste Tromp, dass sein experimentelles Bild sehr wohl von der angelegten Spannung abhing. Er musste eine Auswahl aus den zahlreichen Messungen mit unterschiedlichen Spannungen treffen und sah für eine Spannung von 2V eine Vergleichbarkeit, da diese Spannung ebenso wie die Theorie von Tersoff die geometrische Anordnung der Atome an der Oberfläche hervortreten ließ (Tromp, Hamers, Demuth 1986, 1389). Tromp und Kollegen diskutierten für jede der fünf Simulationen die Ähnlichkeiten und Unterschiede zum experimentell erzeugten Bild (Tromp, Hamers, Demuth 1986, 1390) und hoben in ihrer Auswertung die Ähnlichkeit zwischen dem experimentell erzeugten Bild und der auf Takayanagis Modell beruhenden Simulation hervor: „The agreement between the image calculated for this model and the experimental image shown in Fig. 2(f) is striking, particularly in view of the strong qualitative disagreement of the other models shown. [...] We consider this exceptionally good agreement strong support for Takayanagi’s model [sic!].“ (Tromp, Hamers, Demuth 1986, 1390).
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Sie verdeutlichten diese Übereinstimmung in ihrem Tableau visuell durch die Platzierung des Takayanagi-Modells direkt über dem experimentellen Bild. Die Auswertung war geprägt durch mehre offene Parameter, da sowohl die Frage nach dem ‚richtigen‘ Modell als auch die Anwendbarkeit von Tersoffs Theorie für eine Simulation zur Disposition standen. Dennoch konnte der Bildvergleich nach Tromps Einschätzung zur Erkenntnisgewinnung beitragen: „By doing these comparisons of these models with the experiment you get a feeling what looks reasonable.“ (Tromp 03/04) Die Entwicklung eines „Gefühls“ verdeutlicht, dass nicht eine einzelne, eindeutig benennbare Tatsache, sondern eine sich verdichtende Gemengelage von Indizien Tromp zu seinen Schlüssen führte. So führten Tromp und Kollegen neben ihrem Ähnlichkeitsargument zwischen Experiment und Simulation auch Ergebnisse aus der Elektronenbeugung, Ionenstreuung und Röntgenbeugung als Indizien für Takayanagis Modell an (Tromp, Hamers, Demuth 1986, 1390) und nahmen dies zum Anlass, in weiteren Veröffentlichungen Takayanagis Modell und ihre tunnelmikroskopischen Ergebnisse aufeinander zu beziehen und zusammen zu publizieren. Tromp erzielte in der Folgezeit eine visuelle Vorherrschaft und Präsenz bezüglich der Si(111)-7x7-Struktur, die sowohl die von Takayanagi als auch die von Binnig und Rohrer in den Schatten stellte. Es war nicht Takayanagi selbst, der sein Modell in aufmerksamkeitsträchtige Zeitschriften wie Science brachte, sondern Tunnelmikroskopiker wie Ruud Tromp und Jene Golovchenko mit ihren elaborierten visuellen Kompetenzen und Strategien (Golovchenko 1986; Tromp, Hamers, Demuth 1986). So gestaltete Tromp ein Tableau bestehend aus vier Bildern und einem darunter befindlichen Schema (Abb. III.1.16). Oben links ist ein Kugelmodell zu sehen, das Takayanagis Si(111)-7x7-Modell in Aufsicht zeigt. Einzelne Atome sind entsprechend der Konvention als Kugel symbolisiert, wobei durch einen Farbverlauf innerhalb eines jeden Kreises der dreidimensionale Kugeleindruck entsteht. Die Realisierung einer solchen Ansicht mit Hilfe der Computergrafik war Mitte der 1980er Jahre keineswegs Standard und bedurfte eines programmiererischen Aufwandes, den Tromp – im Gegensatz zu Takayanagi – betrieb: „I did Ion scattering at this time and I did very detailed Monte Carlo simulations of this structure so I knew all the atoms and I wrote a program in which I put different sized spheres. You see the orange atoms are a lot bigger, and the blue atoms are a bit smaller, and than I wrote my own ray-tracing program so if you look at this closely you see there are shadows and stuff like that so I wrote a little ray-tracing program to generate images like this.“ (Tromp 03/04)
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Abb. III.1.16: Tableau zur Korrespondenz von Takayanagis Modell und tunnelmikroskopischen Bildern (Privatbesitz Ruud Tromp).
Eine gelbe Linie hebt die äußere Umrandung einer Einheitszelle hervor, außerdem sind Atome in den drei unterschiedlichen Farben weiß, gelb und blau symbolisiert. Diesem Ausgangsbild folgen drei tunnelmikroskopische Bilder, die jeweils eine dieser Farbgebungen aufgreifen und in denen auch jeweils ein gelber Rhombus die sofortige Vergleichbarkeit gewährleistet. In dem orange-rötlichen Bild oben rechts sind in der rechten Hälfte des Rombus sechs ungleichmäßige Flecke zu sehen, die sich in der linken Hälfte deutlich schwächer, kaum wahrnehmbar wiederfinden. Die Korrelation zu den orangefarbenen Atomen im Modell oben links ist durch deren Positionen grundsätzlich gegeben, auch wenn die orangefarbenen Kugeln im Modell im Gegensatz zu den Flecken im experimentell erzeugten Bild symmetrisch erscheinen. Auch im Vergleich der weißen Darstellungen kommt es zum Bruch, da die Positionen der zwölf weißen Flecke im experimentellen Bild in der modellierten Aufsicht mit den orangefarbenen Atomen besetzt sind. Die blauen, fast dreieckigen Flecken im vierten Bild unten rechts korrespondieren dagegen wieder mit den Positionen blauer Kugeln in dem Modell. Die Zusammenstellung macht
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Abb. III.1.17: Takayanagis eigene Darstellung seines Oberflächenmodells der Si(111)-7x7-Rekonstruktion in Seitenansicht (oben) und Aufsicht (unten) (Takayanagi et al. 1985, 382).
deutlich, dass das Tunnelmikroskop durchaus Aufschlüsse über Positionen einzelner Atome im Realraum ermöglichte und dass durch unterschiedliche Spannungen verschiedene Zustände und damit Positionen verschiedener Atome zur Geltung kamen – eine genaue Übereinstimmung und Zuordnung ließ sich nicht erzielen, vielmehr taten sich Lücken auf, die durch eine interpretatorische Übersetzungsleistung zu füllen waren. Die Skizze unter den vier Bildern symbolisiert die atomare Anordnung im Schnitt entlang der langen Diagonalen einer Einheitszelle und greift Konventionen der Oberflächenphysik auf. Ein Vergleich mit der Darstellung aus Takayanagis eigenen Publikation (Abb. III.1.17; Takayanagi 1985a u. b) macht jedoch auch Unterschiede deutlich: Takayanagi hat konsistent in seiner schwarz-weißen Skizze die Position eines jeden Atoms durch einen Kreis symbolisiert, wobei die unterschiedliche Größe der Kreise verdeutlicht, dass nicht alle Atome direkt in der Schnittebene liegen. Tromp hat im Gegensatz dazu gelbe und blaue Orbitale ergänzt, um die Korrespondenz zu den STM-Bildern und seiner Aufsicht hervorzuheben. Wieder zielte Tromp darauf ab, visuelle Korrespondenzen zwischen Konventionen der Oberflächenphysik und den neuen Bildwelten der Tunnelmikroskopie herzustellen. Dabei bleiben die Zuordnungen auf Vorwissen und Aufmerksamkeiten angewiesen: Die Asymmetrie zeigt sich im Bild oben links durch gräuliche Kugeln in der linken Hälfte der Einheitszelle, in der Schnittzeichnung ist sie in der untersten Reihe von kleinen ausgefüllten Kreisen sichtbar. Diese vergleichsweise detaillierten Abweichungen in den Modellen zwischen den beiden Hälften der Einheitszelle verstärken sich zu einer offensichtlichen Asymmetrie im tunnelmikroskopischen Bild oben rechts. Oberflächenphysiker verfügen über Erkennungscodes,12 um in der Schnittzeichnung unten auf der Seite sofort das Vorliegen
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von stucking faults zu bemerken, und Tromps Darstellungen griffen ein solches Vorwissen auf. Neben diesen Darstellungen, die der Kommunikation der spannungsabhängigen, tunnelspektroskopischen Ergebnisse sowie von Takayanagis Modell dienten, gehörte zu Tromps Bildreservoire zu den Silizium-Messungen auch eine Darstellung, die kaum Aufschlüsse über die Positionen der Maxima zuließ und sich damit zur oberflächenphysikalischen Auswertung kaum eignete. Das Bild zeigt eine dreidimensionale Darstellung, in der der Farbverlauf des Hintergrundes den Eindruck eines Himmels und damit einer Landschaftsdarstellung evoziert (Abb. III.1.18). Dieses unpublizierte Bild entstammte nicht seinen eigenen Programmierungen, sondern ging auf den Programmierer Richard Voss zurück: RT: „[...] we had a Guy in the lab, Richard Voss, [...] he was deeply into graphics with Benoît Mandelbrot and did fractals and did stuff like that. He had a lab filled with graphics equipment and he had all these fancy programs where you could do displays like this. This was more for fun, this was just to, you know, if you give a conference talk or stuff like that with people put just a flushing image in there.“ JH: „But you can’t see the pattern, I think.“ RT: „No, from science point of view it’s useless, it’s playing, making pretty images.“ JH: „But it was useful to interest people!“ RT: „That’s right, that’s why we did it, just to go to conferences to show pictures like this [...], so this was not serious, but it was really just to show people that this was pretty cool stuff.“ (Tromp 03/04)
Die ästhetische Banalität eines solchen von Richard Voss verfertigten Bildes steht im Kontrast zur Komplexität der sonstigen visuellen Praxis von Tromp.13 Richard Voss hatte als langjähriger Mitarbeiter von Benoît Mandelbrot für gebirgs- und landschaftsähnliche Gestaltungen von Fraktalen verantwortlich gezeichnet und vor allem vielfältige 12 | Den Begriff der Erkennungscodes hat Umberto Eco verwendet, um auf die Rolle von Vorwissen zur Wahrnehmung von Strukturen als Charakteristikum hinzuweisen (Eco 1972, 206). 13 | In einer wissenschaftlichen Publikation danken Tromp und Co-Autoren Richard Voss für die Unterstützung bei der Bildbearbeitung und es findet sich unter den 16 Bildern dieser Publikation eine perspektivische „Landschaftsdarstellung“, wie sie in den Veröffentlichungen der Gruppe ansonsten nicht üblich war (Hamers et al. 1986, 5355 u. 5357).
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Abb. III.1.18: Tunnelmikroskopisches Bild einer atomaren Landschaft, das Tromp in Vorträgen verwendet hat (Privatbesitz Ruud Tromp).
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Abb. III.1.19: Als Landschaft gestaltetes Fraktalbild von Richard Voss aus dem Jahr 1982 (Samuel 2005, Bd. 2 Abb. 40).
Beleuchtungssituationen mit Hilfe der Computergrafik ausprobiert (Abb. III.1.19; vgl. Samuel 2005b, 32), Doch trotz der formalen Ähnlichkeit zwischen fraktalen Landschaften und atomaren SiliziumLandschaften aus Voss programmierender Hand klafft eine große Lücke zwischen dem epistemischen Status der Fraktal- und der STM-Bilder: Während Voss in den Fraktalen die Ähnlichkeit zu Landschaften durch den Einsatz von Farb- und Lichteffekten inszenierte, um sie anschließend in einem simplen Zirkelschluss als Landschaften wiedererkennen zu können,14 und er weiterhin die Selbstähnlichkeiten der Fraktale als Indiz einer Ähnlichkeit von Mikro- und Makrokosmos auffasste (Samuel 2005b, 34), existierten in der Tunnelmikroskopie keine solchen expliziten Ähnlichkeitsbehauptungen.15 Doch auch ohne solche Schlussfolgerungen transportierten die Landschaftsdarstellungen eine Metapher, die im Aufstieg der Nanotechnologie ihre Wirkmächtigkeit entfalten sollte (vgl. Kapitel IV.2). Und ähnlich wie in den stereoskopischen Bildern Lukas Rosenthalers galten Wissenschaftler auf Tagungen als Zielgruppen dieser Aufmerksamkeits- und 14 | Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp hat herausgearbeitet, wie „krude“ die Argumentation ist, wenn von „optischen Ähnlichkeiten auf die strukturelle Wesensverwandtschaft“ geschlossen wird (Bredekamp 1991, 279). 15 | Dass grundsätzlich auch in Atomdarstellungen das Analogieprinzip, das von einer Ähnlichkeit zwischen dem Kleinen und dem Großen ausgeht, als Ideal hergehalten hat, zeigte die Entwicklung des Bohr’schen Atommodells als „Planetenmodell“.
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Faszinationserzeugung. Tromp, der das Feld wie kaum ein Zweiter beherrschte und dessen spektroskopische Bilder das Maß der Dinge darstellten, konnte es sich leisten, mit „unseriösen“ (Tromp 03/04) und ästhetisch banalen Bildern aufzutreten. Er schuf damit eine Distanz zu anderen Tunnelmikroskopikern, die sich Mitte der 1980er Jahre um die Erzeug ung ihres ersten „seriösen“ Si(111)-7x7-Bildes bemühten. Gegenüber einer breiten Öffentlichkeit gab sich die Gruppe um Tromp ihrerseits „seriös“, so publizierten sie in der New York Times das blaue tunnelspektroskopische Bild aus Tromps Tableau (Abb. III.1.16), das keine Anknüpfungspunkte an Darstellungstraditionen von Atomen, Landschaften oder mikroskopischen Bildwelten bot. Die Koketterie mit dem Unseriösen war ausschließlich Teil innerwissenschaftlicher Kommunikation. Ruud Tromp sollte sich kurze Zeit nach diesen Experimenten aus der Tunnelmikroskopie zurückziehen. Er wechselte in die Elektronenmikroskopie mit wesentlich besser stabilisierten Instrumenten, später kletterte er die Karriereleiter im IBM-Management empor. Die tunnelmikroskopischen Experimente erschienen ihm zu zeitraubend, die Instrumente zu wenig stabilisiert. Auch der Laboralltag solch führender Experimentatoren wie Tromp war von langen Phasen erfolglosen Experimentierens geprägt, die nur seltenst von Momenten des Erfolgs durchbrochen wurden. Aus den Frustrationen dieser Phasen speiste sich im Falle des seltenen Erfolgs die Motivation zu aufwendigen Bildbearbeitungen und -gestaltungen. Diesbezüglich bietet Tromps Bildpraxis mit der Durchführung äußerst empfindlicher Hochvakuumexperimente einen Kontrast zur Gruppe in Santa Barbara, wo in schneller Folge Messungen an Luft durchgeführt wurden und die Bilder ohne hingebungsvolle Gestaltung in „Rohform“ publiziert wurden (vgl. Kapitel II.3).
Schlagbilder der Tunnelmikroskopie Die Arbeiten der Gruppe um Joe Demuth und Ruud Tromp in Yorktown Heights hatten zunächst die Wiederholbarkeit der Messungen von Binnig und Rohrer bedeutet, gingen anschließend aber auch darüber hinaus.16 Obwohl sie das Si(111)-7x7-Oberflächenmodell Binnigs und Rohrers in Details widerlegt hatten und dem Modell Takayanagis zur 16 | Hier sind noch einmal die Arbeiten von Becker, Swartzentruber und Golovchenko zu nennen, denen der gleiche Status wie den Arbeiten der Gruppe um Tromp und Demuth zuzusprechen ist (vgl. Fußnote 9 in diesem Kapitel).
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Durchsetzung verhelfen konnten, das dieser auf der Grundlage von Beugungsexperimenten aufgestellt hatte, werteten sie doch gleichzeitig die Tätigkeiten Binnigs und Rohrers und die Tunnelmikroskopie als Methode auf. Dass Binnig und Rohrer in der Kontroverse um die detaillierte Struktur unterlegen waren, führte zu keinerlei Vorbehalten gegenüber ihren Arbeiten, vielmehr überwog die Wertschätzung gegenüber der Tunnelmikroskopie, weil diese zu aktuellen Fragen der Oberflächenphysik beitragen konnte. Die Verleihung des Nobelpreises an Binnig und Rohrer wäre ohne die Silizium-Experimente und die Verbreitung der zugehörigen Bilder kaum denkbar. Als das Nobelpreiskomitee am 15. Oktober 1986 die Verleihung des Physiknobelpreis 1986 zu einer Hälfte an Ernst Ruska für die Entwicklung der Elektronenmikroskopie und zur anderen Hälfte an Gerd Binnig und Heinrich Rohrer für die Entwicklung der Rastertunnelmikroskopie bekannt gab, erzeugte dies in der deutschen Presse ein großes Echo.17 Es brachte Diskussionen um den Wissenschaftsstandort Deutschland mit sich18 und stellte die Personen, zumeist die Deutschen Binnig und Ruska, manchmal auch den Schweizer Rohrer, in den Mittelpunkt der Berichterstattung. Diesem Schwerpunkt entsprach auch die Auswahl der Bilder mit sich wiederholenden Porträts der drei Forscher, teilweise mit einem Tunnelmikroskop bzw. Elektronik-Schränken im Hintergrund. Tunnelmikroskopische Bilder tauchten in der Bericht17 | Die folgende Auswertung geschah mit Hilfe eines Pressespiegels des IBMLabors Rüschlikon zur Berichterstattung über den Nobelpreis für Physik 1986 in der deutschen Tages- und Wochenpresse; darin sind 193 Meldungen, Artikel und Kommentare aus 101 Tageszeitungen vom 16.10.1986 sowie 15 Beiträge aus 15 Wochenzeitungen und -zeitschriften zusammengestellt. Das Spektrum reichte von der FAZ über Bild bis zur Kreiszeitung Verden-Diepholz-Syke, von der Bunten bis zu den VDI-Nachrichten, und umfasste damit die internationale Tagespresse ebenso wie die Boulevardpresse und Lokalzeitungen, aber auch Wochenmagazine für eine allgemeine und auch eine speziell technisch interessierte Leserschaft. 18 | Vor allem der damalige Forschungsminister Heinz Riesenhuber wurde mehrfach mit den Worten zitiert: „Es geht aufwärts mit der deutschen Wissenschaft. Der Leistungswille macht sich wieder bemerkbar.“ Kritische Auseinandersetzungen mit dieser Sichtweise erfolgten in Kommentaren, beispielsweise in der Stuttgarter Zeitung vom 17.10.1986 im Leitartikel S. 1, in dem angeführt wurde, dass Ruskas Erfindung erfolgt sei, bevor die Wissenschaft in Deutschland durch den Nationalsozialismus nachhaltig zerstört wurde, und dass Gerd Binnig den Preis für die Kooperation mit einem Schweizer in einem Schweizer Industrielabor eines US-amerikanischen Konzerns erhalten habe, was Rückschlüsse auf die deutsche Forschung nicht rechtfertige.
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erstattung kaum auf, obwohl IBM seiner Pressemitteilung ein tunnelmikroskopisches Bild der Si(111)-7x7-Rekonstruktion beigefügt hatte (IBM 1986). Von den über 200 Artikeln, die im IBM-Pressespiegel zusammengestellt waren, präsentierte lediglich ein einziger Beitrag in der Welt ein solches Bild. Alle anderen Beiträge verzichteten darauf, eine Anwendung des ausgezeichneten bildgebenden Verfahrens zu zeigen, vielmehr zogen sie sogar Stellvertreter vor. Das Westfalenblatt aus Bielefeld beschrieb fälschlicherweise ein elektronenmikroskopisches Bild einer Milbe als rastertunnelmikroskopisches Bild: „Die Vergrößerung mit dem RTM kann aus der einfachen Spinnmilbe ein furchterregendes Monstrum machen.“19 Statt eines tunnelmikroskopischen Bildes wurde hier mit der Monsterdarstellung ein über Jahrhunderte geprägter Topos der Naturbeobachtung bemüht. 20 Ähnlich verfuhr die Wochenillustrierte Die Bunte, in der es zwar einerseits heißt: „Das revolutionäre Raster-Tunnelmikroskop erfüllt einen 150 Jahre alten Traum: einzelne Atome an Oberflächen als hügelförmige, dreidimensionale Gebilde sichtbar zu machen.“21 Doch statt einer bildlichen Entsprechung erschien neben diesem Text das elektronenmikroskopische Bild eines Spermatozoens. Wieder wurde ein Motiv, das die Mikroskopiegeschichte seit Anbeginn über Jahrhunderten begleitet hat, ausgewählt, anstatt dem Betrachter die Erfüllung des „150 Jahre alten Traums“ auf der Bildebene zu gönnen. 22 Dass die Redakteure und Agenturen bei ihrer Berichterstattung fast vollständig auf tunnelmikroskopische Bilder verzichteten bzw. in Einzelfällen lieber Jahrhunderte alte Topoi der Mikroskopie aufgriffen, verdeutlicht, dass sie die Bilder mit atomarer Auflösung im Realraum als wenig attraktiv erachteten. Faszination lösten diese Bilder lediglich bei einem Fachpublikum aus, so dass man während Kolloquien mitunter „eine Stecknadel fallen hören konnte“.23 Doch ein solches Fachpublikum wusste um den experimentellen Aufwand und ließ sich von der 19 | Westfalenblatt Bielefeld, 16.10.1986, o.S. 20 | Daston, Park 2002. 21 | Die Bunte, Extra-Blatt, 23.10.1986, o.S.; die Zeitangabe von 150 Jahren wurde nicht begründet. 22 | Zum Prioritätenstreit über die mikroskopische Entdeckung der Spermatozoen in den Niederlanden im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts und die daraus resultierende Rolle wurmförmiger Strukturen für die mikroskopische Forschung siehe Ditzen 2006a, 47-50. 23 | So Gerd Binnig im Rahmen eines Kolloquiumvortrags an der LMU München im Herbst 1986 über die frühe Präsentation tunnelmikroskopischer Bilder (Audiomitschnitt von Wolfgang Heckl).
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Neuartigkeit des Zugangs gegenüber den herkömmlichen Beugungsbildern in der Oberflächenphysik begeistern. Auch nach dem Konsens über die atomare Struktur der Si(111)7x7-Rekonstruktion und der Verleihung des Nobelpreises waren STMUntersuchungen dieser Probe keineswegs hinfällig geworden. Vielmehr entwickelte sie sich zur Standardprobe, der sich Einsteiger in die Tunnelmikroskopie gleichsam als Initiationsritual stellen mussten, um die Leistungsfähigkeit eines Instruments oder eines Experimentators unter Beweis zu stellen, sowohl zur Selbstvergewisserung als auch in der Demonstration gegenüber anderen. Der Tunnelmikroskopie-Gruppe an der Universität Basel, die früh in die Methode eingestiegen war (vgl. Kapitel II.2), haftete über Jahre der Makel an, die Si(111)-7x7 nicht mit atomarer Auflösung darstellen zu können. Der Erfolg durch Roland Wiesendanger im Jahr 1990 bedeutete für die gesamte Gruppe eine „Erlösung“ (Gespräch Anselmetti 06/05). Das Bild aus Basel (Abb. III.1.20) zeigt vier Terrassenstufen in hellem Blau vor schwarzem Hintergrund.24 Während die einzelnen Terrassen als ideal geordnete, eng geknüpfte Struktur erscheinen, sind innerhalb der Kanten unregelmäßige Strukturen erkennbar. Dieses Zusammenspiel von Ordnung und Brüchen drückt ein Maximum an Kontrolle aus. Die ästhetische Gestaltung diente der Veranschaulichung von Details innerhalb der Stufen, doch korrelierte sie auch mit dem hohen symbolischen Wert des Bildes. Die Reputation der gesamten Basler Gruppe stieg, das Bild wurde entsprechend gerne hergezeigt. Roland Wiesendanger nutzte das Motiv als Einladungskarte zu seiner Habilitationsfeier, 25 es fand Verwendung als erstes Bild in der Einleitung eines von Wiesendanger und Güntherodt herausgegebenen Handbuchs zur Tunnelmikroskopie (Güntherodt, Wiesendanger 1992, 6) und 1995 wurde es in den Basler Institutskalender aufgenommen.26 An vielen Standorten der Tunnelmikroskopie kam der symbolische Wert der Si-7x7-Bilder immer wieder aufs Neue zum Tragen, so beispielsweise in der Kooperation zwischen dem Experimentator Horst 24 | Das Bild wurde farbig und in Graustufen publiziert, zunächst in Wiesendanger et al. 1990 und Tarrach et al. 1991. 25 | Eine solche Karte fand sich im Privatbesitz von Dario Anselmetti. Eine ähnliche Situation beschreibt Falk Müller für den Einsatz elektronenmikroskopischer Bilder als Grußpostkarten (Müller 2006, 82). 26 | Vgl. die Präsentation des Kalenders im Internet: http://monet.unibas.ch/ gue/cat/1995/ (Mai 2008).
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Abb.III.1.20: Ausgestaltung der ersten Basler Si-7x7-Messung mit atomarer Auflösung (Privatbesitz Dario Anselmetti).
Niehus und dem Instrumentenbauer Karl Besocke im Forschungszentrum Jülich. In Jülich hatte ein Einladungsvortrag durch Binnig die anfängliche Skepsis der Institutsleitung gegenüber der Tunnelmikroskopie zerstreuen können (Niehus 04/06, Besocke 05/06). Der im Instrumentenbau geschulte Besocke bereiste die Labore in Rüschlikon und München, entschied sich aber nicht für eine Nachahmung der dortigen Geräte, sondern realisierte 1986 ein Tunnelmikroskop in einer neu entwickelten, äußerst kompakten Bauart (Besocke 1986). Er patentierte und verkaufte das Instrument in seiner eigenen häuslichen Firma, in der er schon seit 1980 Kelvinsonden produziert hatte (Besocke 05/06).27 Der Oberflächenphysiker Niehus hatte bereits durch einen Vortrag Binnigs erstmals von der Tunnelmikroskopie erfahren und sich von den Experimenten im Realraum begeistert gezeigt (Niehus 04/06). Später lernte er im Rahmen eines Gastaufenthaltes in Yorktown Heights die Si-Experimente der Demuth-Gruppe kennen und konnte nach seiner Rückkehr nach Jülich das dort erworbene Wis27 | Die Instrumentengeschichte der Rastertunnelmikroskopie stellt bezüglich der Kommerzialisierung bisher die US-amerikanischen Firmen in den Vordergrund, während die Firma Delta Phi von Karl Besocke keine Erwähnung findet (vgl. Mody 2004a, Kapitel 7 u. 8); dies kann auch darin begründet sein, dass Besocke nach anfänglichen Erfolgen seine STM-Sparte an Zeiss verkauft hat, wo das Produkt nicht erfolgreich weiter produziert und vermarktet wurde.
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Abb. III.1. 21: „Aushängeschild“ von Niehus zu seinen ersten erfolgreichen Si-7x7Messungen (Privatbesitz Niehus).
sen bei seinen tunnelmikroskopischen Experimenten gewinnbringend anwenden. Er integrierte ein STM Besockes in eine UHV-Anlage und konnte am 12. Februar 1989 tunnelmikroskopische Bilder der 7x7-Rekonstruktion bei unterschiedlichen Spannungen mit atomarer Auflösung erzeugen (Niehus 04/06). Die Nachricht verbreitete sich schnell unter den Oberflächenphysikern in Jülich und Niehus erstellte eine Tafel, auf der er vier Fotos des Monitors zu diesen Messungen zusammenstellte (Abb. III.1.21). Die Bilder wurden zu seinem Aushängeschild, das er in seinem Labor aufhängte und das auch nach seiner Berufung auf eine Professur an der Humboldt-Universität zu Berlin bis zu seiner Emeritierung im Sommer 2006 als Wandschmuck in seinem Labor diente. Einer tunnelmikroskopischen Veröffentlichung zur Struktur der NiAl(111)-Oberfläche stellte Niehus ein Bild der Si-7x7 voran, um das Leistungsvermögen des von ihm verwendeten Instruments zu belegen: „The performance of the STM is illustrated in the topograph of a Si(111)(7x7) surface in fig. 1.“ (Niehus et al. 1990, L9) Während diese Rhetorik auf das Instrument als Voraussetzung des Bildes abzielte, wies es zugleich auch Niehus als kompetenten Tunnelmikroskopiker aus, hatte er doch sein Erfahrungswissen, das er sich in Yorktown Heights angeeignet hatte, in die Experimente eingebracht (Niehus 04/06). Auch Karl Besocke profitierte von Niehus’ Leistung, indem er dessen Bilder in den Verkaufskatalog seines Instruments integrierte und damit
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Abb. III.1. 22: Niehus‘ Bilder der Si-7x7-Rekonstruktion in Besockes Verkaufsprospekt in einer Aufsicht (unten links) und in einer Perspektivdarstellung (unten rechts) (Besocke o.J.).
verdeutlichen konnte, dass mit seinem Instrument die Hürde einer atomaren Si-7x7-Auflösung zu nehmen war. Instrumentenbauer wie auch Experimentator konnten anhand ein und derselben Messung vermittelt über Bilder ihre Kompetenzen gleichermaßen zum Ausdruck bringen. Besocke nutzte Bilder von Niehus’ Messungen, die er sowohl als Aufsicht in Graustufen (Abb. III.1.22 unten links) als auch in Perspektivdarstellung, umrandet von einem mit weißen Linien gezeichneten Kubus (Abb. III.1.22 unten rechts), darstellte. Während er die Graustufenaufsicht als „unprocessed raw data“ (Besocke o.J., 3) und damit als neutral bezeichnete, wies er die dreidimensionale Ansicht in der Bildunterschrift als „Example of imaging software“ (Besocke o.J., 4) aus. Damit schafft Besocke eine Hierarchie zwischen diesen beiden Darstellungen, indem er die Aufsicht als ursprünglicher auffasst als die Perspektivansicht. Diese Kategorien lassen sich ausschließlich an Gewohnheiten und Konventionen messen und sind Ausdruck der Einbettung der Tunnelmikroskopie in die Bildkonventionen der Oberflächenphysik gegen Ende der 1980er Jahre. Dass für Besocke die Aufsicht in Graustufen als Adaption der Bildpraxis aus 28 | Die Perspektive der Normalisierung und Normierung wissenschaftlichtechnischer Bilder wird in dem Sammelband „Ganz normale Bilder“ (Orland, Gugerli 2002) diskutiert.
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der Ober flächenphysik normal geworden war28 und er die Perspektivdarstellung als nachgelagerten Schritt darstellte, kehrte die Praxis aus der Frühzeit der tunnelmikroskopischen Si-7x7-Untersuchungen um: Binnig und Rohrer hatten zunächst ein Papiermodell erzeugt und die Perspektivansicht im Foto als „unprocessed“ bezeichnet, um sie dann im Anschluss daran durch Thomas’ computergrafische Darstellungen in Aufsicht realisieren zu lassen (vgl. Kapitel II.3). Diese Variabilität verdeutlicht die Anpassungsfähigkeit tunnelmikroskopischer Si(111)-7x7-Bilder. Sie konnten sich sowohl von Beugungsbildern abheben, indem sie in perspektivischen Darstellungen den euklidischen Realraum erfüllten, als auch an die Konventionen der Oberflächenphysik anschließen. Sie ermöglichten Programmierern die Anwendung ihrer Kenntnisse auf dem Gebiet der Oberflächenphysik und konnten zur Klärung der atomaren Oberflächenstruktur des Siliziums sowie deren Vermittlung beitragen; sie motivierten Theoretiker, Modelle der Tunnelmikroskopie zu entwickeln, konnten aber auch atomare Landschaften darstellen und bei Physikern Faszination auslösen. Dieses Potenzial, als „boundary objects“ (Star, Griesemer 1989) unterschiedlichen Interessen gleichermaßen zu dienen, ergab sich keineswegs aus dem technischen Potenzial von selbst, sondern war in hohem Maß Bildstrategien geschuldet, die auf die Erzeugung solcher Anschlussfähigkeit abzielten.
III.2 Die Krise: Zufällige Ähnlichkeiten in DNA-Untersuchungen Während die anfängliche Bildpraxis der Rastertunnelmikroskopie durch die Verwendung von Proben mit bekannter Präparationstechnik, die Schaffung von definierten, kontrollierten Bedingungen wie dem Experimentieren im Vakuum und den Einsatz komplementärer Methoden der Oberflächenphysik geprägt war, versuchten Binnig und Rohrer, die nicht fest in der Oberflächenphysik verwurzelt waren, schon bald nach der ersten Stabilisierungsphase die Grenzen des neuen Verfahrens auf explorative Weise hinauszuschieben. Zu den Anwendungsfeldern gehörten auch biologische Proben, die keinesfalls zur Domäne eines IBM-Forschungslabors, wohl aber zu der anderer mikroskopischer Verfahren wie der Elektronenmikroskopie zählten. Diese Anwendung auf biologische Proben, die im Folgenden exemplarisch am Beispiel von DNA-Untersuchungen ausgeführt wird, 29 sollte zur Herausbildung einer anderen Bildpraxis führen als in der Oberflächenphysik. So lässt sich die Heterogenität, die Ian Hacking bereits in
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den frühen 1980er Jahren in seiner Praxisanalyse für unterschiedliche mikroskopische Verfahren ausfindig machte (Hacking 1981, 316), auch innerhalb eines Verfahrens wie der Rastertunnelmikroskopie und innerhalb eines überschaubaren Zeitraums von wenigen Jahren feststellen. Aus diesem Grund werden auch in der nun folgenden Darstellung langfristig ausgebildete Bildtraditionen und Auffassungen vom Bild in Verschränkung mit lokalen und für die eingesetzten Experimentalsysteme spezifischen Gegebenheiten betrachtet.30 Die DNA-Untersuchungen sollten die noch junge Tunnelmikroskopie nach anfänglich großen Hoffnungen auf diesem Gebiet in eine Krise stürzen, die die Reputation des Verfahrens schädigte. Die Analyse dieses Anwendungsfelds bildet damit eine Kontrastfolie zu den Untersuchungen der Silizium-Oberfläche, die nach anfänglicher Skepsis unter Oberflächenphysikern in eine zunächst nicht absehbare Erfolgsgeschichte umschlug.
Gestaltungen im Anschluss an Erwartungen Erste STM-Experimente mit DNA hatten Binnig und Rohrer bereits 1983 in der Frühzeit der Tunnelmikroskopie nach den erfolgreichen Experimenten an Gold- und Silizium-Oberflächen angestellt. Die Untersuchungen fielen in eine Zeit, in der sich die Formierung des Human Genome Project zur Entschlüsselung der DNA abzeichnete. Ein Instrument, das bezüglich Metallen und Halbleitern sein Potenzial zur atomaren Auflösung und „direkten Abbildung“ im Sinne von Bildern im Realraum bereits unter Beweis gestellt hatte, gab zur grundsätzlichen Hoffnung Anlass, auch die Basenfolge der DNA „direkt“ im Bild ablesen bzw. anschauen zu können.31 Der überraschende Er29 | Damit wird ein Beispiel ausgeführt, das stärker im Rampenlicht stand als die Untersuchung anderer biologischer Proben und dementsprechend wirkmächtig für den Fortgang der Forschung war. Die Untersuchung der Verbreitung bis auf Titelseiten von Zeitschriften geht einher mit der Berücksichtigung von unpubliziertem Bild- bzw. Filmmaterial aus dem Laboralltag. Die Debatte um die DNA-Untersuchungen ist bereits durch Cyrus Mody aus wissenschaftssoziologischer Sicht ohne Berücksichtigung der Bildpraxis ausgebreitet worden (Mody 2004, Kapitel 6). 30 | Für eine direkte Gegenüberstellung tunnelmikroskopischer Bildpraxis in der Anwendung auf Halbleiter und auf biologische Proben siehe Hennig 2006b. 31 | Die Polymerasekettenreaktion, die den Laboralltag in der gentechnischen Forschung revolutioniert und beschleunigt hat, wurde 1985 entwickelt, also nach diesen ersten STM-Experimenten an DNA.
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folg, aus einem Instrument zur lokalen Analyse von Störstellen im Josephson-Junctions-Projekt ein bildgebendes Verfahren atomarer Auflösung entwickelt zu haben, verlieh Tunnelmikroskopikern den Mut und das Selbstbewusstsein, ein zweites solches Großprojekt, nämlich das „Buch des Lebens“ als Bilderbuch zu zeichnen, in Angriff zu nehmen.32 Die tunnelmikroskopische Praxis zur Untersuchung einer biologischen Probe unterschied sich schon mit dem ersten Schritt der instrumentell-experimentellen Bildproduktion, nämlich der Probenpräparation, grundsätzlich von den Halbleiter- und Metalluntersuchungen. Zwar waren Binnig und Rohrer, die nicht als Oberflächenphysiker ausgebildet waren, bereits in letzteren Experimenten auf die Hilfe von Kollegen angewiesen gewesen (vgl. Kapitel II.1 u. III.1), doch bestand Einigkeit, dass die für andere Methoden eingeübten Präparationstechniken in der Tunnelmikroskopie anwendbar waren. Bezüglich biologischer Proben wie DNA, deren Leitungseigenschaften weitgehend unbekannt waren,33 stellte sich die grundsätzliche Frage, wie sie für die Untersuchung mit einem Instrument, das über den Stromfluss zwischen Spitze und Probe gesteuert wurde, hergerichtet werden könnten. Es schien offensichtlich, dass die organischen Moleküle auf ein leitendes Substrat aufgebracht werden mussten, was nicht zu den Routinen in biologischen Präparationstechniken gehörte. Zudem erwies es sich als problematisch, die Probe derart auf dem Substrat aufzutragen, dass sie sich während des Scannens durch einen Kontakt mit der Spitze nicht verschob.34 Im Gegensatz zu den Präparationen von Metallen und Halbleitern suchten Binnig und Rohrer eine Kooperation außerhalb von IBM und fanden Partner im Institut für Zellbiologie der ETH Zürich (Binnig, Rohrer 1984a, 44). Doch auch bei dieser Zusammenarbeit blieb die Frage nach der Eignung der jeweiligen Präparation akut, standen die Präparationstechniken selbst zur Disposition.35 32 | Die Geschichte der DNA-Forschung zeigt die fortlaufende Transformation ihrer Auffassung, so beispielsweise durch die Herausbildung und Verbreitung der Interpretation als Code (vgl. Brandt 2004); zum Bild der DNA und zur Doppelhelix als kulturelle Ikone siehe Heßler 2007. 33 | Ein kurzer historischer Abriss über Untersuchungen zur Leitfähigkeit von DNA, die auch um die Jahrtausendwende noch kontrovers diskutiert wurde, findet sich in einem Review zu diesem Thema: Dekker, Ratner 2001. 34 | Diese Ausführungen zielen auf die Untersuchung einzelner Moleküle auf einem Substrat ab, die Situation gestaltete sich bei der Untersuchung dünner organischer Filme anders, da auf Erfahrungen in der Präparation von LangmuirBlodgett Filmen zurückgegriffen werden konnte (Heckl 02/06).
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Für ihre frühen Experimente nutzten Binnig und Rohrer Grafit als Substrat, das sich aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften, spaltbar, inert und kristallin zu sein, sowie durch die denkbar einfache Möglichkeit zur atomar glatten Präparation mittels Abziehen eines Tesafilmstreifens als Standardsubstrat etablieren konnte. Sie gaben ihrer ersten DNA-Untersuchung nicht den Stellenwert eines eigenständigen Ergebnisses, sondern gaben ihr innerhalb eines Übersichtsartikels in einem wenig verbreiteten Band zur sechsten Tagung der European Physical Society, die in Prag stattgefunden hatte, den Status einer von zahlreichen Facetten der Methode. Das publizierte Bild (Abb. III.2.1) zeigt zahlreiche untereinander angeordnete, horizontal verlaufende, helle Linien, die, jeweils leicht rechts gegenüber der vertikalen Mittelachse verschoben, Maxima ausbilden. Diese sind ihrerseits durch eine kurvige, vertikal verlaufende, helle Linie miteinander verbunden, so dass sich der Eindruck einer durch das Bild verlaufenden, schlängelnden Erhebung ergibt. Die Buchstaben „DNA“ in der linken unteren Bildecke geben die Erhebung als Porträt dieses Moleküls aus. In der ausführlichen Bildunterschrift mit Angabe von Messparametern wie Strom und Spannung heißt es, dass – „for better viewing“ – das Bild um 180 Grad gedreht auf dem Kopf abgedruckt sei (Binnig, Rohrer 1984a, 44). Ursprünglich habe sich ein „Tal“ („valley“, ebd.) gezeigt, da die Spitze über der isolierenden Probe zur Beibehaltung eines konstanten Tunnelstroms durch den Rückkopplungsmechanismus abgesenkt worden sei. Über der Probe, so die Interpretation, wurde zwischen Spitze und Grafit-Substrat sowohl die Vakuumlücke als auch die DNA-Probe als isolierende Schicht durchtunnelt. Binnig und Rohrer gingen im Fall des um 180 Grad gedrehten Bildes von einem „better viewing“ aus, da statt einer Einkerbung eine Erhebung und damit ein auf der Oberfläche liegendes, sich nach oben abhebendes etwas wahrnehmbar wurde. Sie entsprachen einer vorgefertigten, intuitiven Erwartungshaltung, auch wenn sie ihre Beobachtung eines Tals mit dem Funktionsprinzip des Tunnelmikroskops in Übereinstimmung bringen konnten. Sie schrieben die 180-Grad-Drehung dem Bild ein, indem sie die Beschriftung DNA im Bild platzierten, so dass auch in einer späteren Reproduktionen diese 35 | Hans-Jörg Rheinberger hat auf die Unsicherheit über das Gelingen einer Probenpräparation hingewiesen, da dies sich immer erst im Nachhinein zeigen könne (Rheinberger 2003, 13). Im Beispiel der tunnelmikroskopischen Festkörperuntersuchungen ist dieser Schritt durch die Voruntersuchungen mit diversen Instrumenten unterteilt worden, für die STM-Untersuchung der biologischen Proben trifft das Argument gänzlich zu.
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Abb. III.2.1: Das erste tunnelmikroskopische Bild einer DNA Untersuchung (Binnig, Rohrer 1984, 44).
Drehung als Form der Bildbearbeitung beibehalten wurde (Hansma, Tersoff 1987, R17). Die Rhetorik in der Veröffentlichung ist nicht, wie es die Bilddrehung ausdrückt, von der Beschreibung eines Bildobjektes, das sich vom Untergrund abhebt, geprägt, sondern von der Interpretationsbedürftigkeit aufgezeichneter Messwerte. Dies schlug sich in der Relativierung der Sichtbarkeit der Probe nieder, indem Binnig und Rohrer das Verb „seen“ mit Anführungsstrichen versehen: „They [small objects on surfaces] are ‚seen‘ either by their tunnelling energy spectrum or the modification of the electronic properties of their supporting surfaces.“ (Binnig, Rohrer 1984a, 44) So interpretierten Binnig und Rohrer im Text die ursprünglich erzeugte Absenkung der Spitze an der Stelle der DNA. Obwohl die DNA nur unter Einschränkung „gesehen“ werden konnte, lag ihnen gleichzeitig an der Erzeugung eines „besseren Anblicks“ („better viewing“), indem sie durch die Drehung des Bildes die Form an die Annahme der Untersuchung von DNA auf einer Oberfläche anglichen. Bildliche Erfüllung einer Erwartung und sprachliche Relativierung klafften auseinander. Auch nachdem Gerd Binnig 1985 das Schweizer IBM-Labor für ein Sabbat-Jahr Richtung Stanford verlassen hatte, führten nachfolgende Tunnelmikroskopiker in Rüschlikon in Kooperation mit Biologen die Untersuchungen von DNA fort. Sie variierten die Bedingungen gegenüber den ersten Experimenten, indem sie nicht mehr in Vakuum, sondern unter atmosphärischen Bedingungen experimentierten. Ein großes Problem bestand in der Praxis darin, Orte auf dem Substrat auszumachen, an denen sich Moleküle befanden. Mitunter mussten zwei Tage lang immer neue Scans durchgeführt werden, bis sich ein Signal zeigte, dass nicht allein dem Grafit-Untergrund, sondern der DNA zugesprochen werden konnte (Travaglini et al. 1987, 383). In
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Abb. III.2.2: Bilder von recADNA-Filamenten aufgenommen mit konstantem Tunnelstrom (oben) und der Stromänderung in Abhängigkeit des Abstandes zwischen Spitze und Probe (unten) (Travaglini et al. 1987, 384).
zwei komplementären Bildern zeigten sich Strukturen, die die Experimentatoren den zuvor präparierten recA-DNA-Filamenten zuordneten (Abb. III.2.2). Das obere Bild ist ein Resultat des gewöhnlichen tunnelmikroskopischen Modus mit einem konstanten Tunnelstrom von 50 pA, das untere das Ergebnis einer gleichzeitig durchgeführten schnellen Modulation der Spitze, um über die Abhängigkeit des Stroms vom Abstand Spitze/Probe die lokalen Tunnelbarrieren zu bestimmen. In der Zusammenstellung der beiden Bilder zeigt sich eine Korrelation der Spur der Spitze im Modus gleichen Tunnelstroms mit der lokalen Tunnelbarriere. Der Anblick einer plastischen, perspektivischen Oberfläche ist einer Bildbearbeitung durch die Experimentatoren geschuldet, die während des Ausdrucks dieser Bilder mit einem xy-Schreiber nach der Aufzeichnung einer einzelnen Linie das Blatt verschoben, um einen dreidimensionalen Eindruck zu erwecken (Travaglini et al. 1987, 384). Mit dieser Praxis formten sie die Aufzeichnungen mit dem Ziel der Erstellung perspektivischer Darstellungen, die darin dem Papiermodell der Silizium-Untersuchung als auch Ringgers Experimenten mit der von Hidber implementierten Elektronik ähnelten. Gleichzeitig überlagerte sich auch in dem Beispiel der DNA-Untersuchung diese Formgebung mit dem Auftreten interpretationsbedürftiger Binnenstrukturen im Bild. Die Autoren markierten Unregelmäßigkeiten im oberen Ausdruck mit Pfeilen und deuteten sie als Verschiebung der Probe durch die Spitze, ohne über die Art der Wechselwirkung
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mutmaßen zu wollen (Travaglini et al. 1987, 386). Ähnlich wie es für Veränderungen der Spitze während des Scannens der Fall war (vgl. Kapitel II.2), wurde in der Anfangszeit der Tunnelmikroskopie auch ein solches Artefakt nicht aussortiert, sondern publiziert, um auf die Möglichkeit des Auftretens und seiner phänomenologischen Interpretation hinzuweisen. Das Ergebnis, dass sich die Probe im Bild konstanten Tunnelstroms als Erhebung zeigte und dies mit einer Erhöhung der Tunnelbarriere einherging, widersprach Binnigs und Rohrers erster Inter pretation, dass sich an der Stelle des DNA-Moleküls im Modus gleichen Tunnelstroms eine Furche ausbilden würde. Rohrer und Travaglini interpretierten ihren neuen Befund, indem sie nun einen Tunnelstrom lediglich zwischen Spitze und DNA-Molekül annahmen und – im Gegensatz zur Deutung der ersten DNA-Untersuchung – von einer weiteren Elektronenleitung durch die DNA zum Substrat ausgingen (Travaglini et al. 1987, 388). Dass sie zuvor in ihrem Vakuumexperiment die DNA als Isolator angenommen hatten, nun jedoch als Leiter, sahen sie in Übereinstimmung mit anderen tunnelmikroskopischen Untersuchungen biologischer Proben an Luft. Sie gingen von einem Ladungstransport durch das Molekül und nicht von einem Oberflächenladungstransport aus (ebd.). Damit lieferten Travaglini und Rohrer einen Beitrag zur Frage nach der Leitfähigkeit von DNA, die in den 1990er Jahren eine Konjunktur erleben und kontrovers diskutiert werden sollte (vgl. Dekker, Ratner 2001). Mit der Frage nach den Leitungsmechanismen in der Probe, der Bindung zwischen Probe und Substrat und dem Tunnelmechanismus an Luft waren sehr viel mehr offene Parameter gegeben als etwa im Fall der Si-7x7-Untersuchung. Diese Situation führte die Experimentatoren zu der Strategie, einzelne Komponenten des Experimentalsystems durch den Rückgriff auf Routinen aus der Elektronenmikroskopie zu stabilisieren: So erhöhten in Rüschlikon Travaglini, Amrein und Kollegen ihre Kenntnis über die Proben, indem sie die DNA mit Metall bedampften, wie es in der Elektronenmikroskopie üblich war.36 Neben der Anknüpfung an gewohnte Präparationsroutinen war nun auch die Leitfähigkeit bekannt, da der Metallfilm als elektronisch homogen angenommen werden konnte, so dass sie die tunnelmikroskopischen Bilder im Modus des konstanten Tunnelstroms als Wiedergabe der Topografie der Beschichtung deuten konnten (Amrein et al. 1988, 515). 36 | Zur Geschichte der Metallbedampfung in der Elektronenmikroskopie siehe Rasmussen 1997, Kapitel 4.
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Abb. III.2.3 (entspr. Abb. II.3.11): Tunnelmikroskopisches Bild eines recADNA-Komplexes, bedampft mit einem PT-Ir-C-Film; simulierte Lichtquellen und kartografischer Farbcode führen zum Eindruck einer Südseelandschaft (Amrein et al. 1988, 515).
Abb. III.2.4: Diagramm zur Struktur der DNA als Doppelhelix von Watson und Crick (Watson, Crick 1953, 737).
Die Bilder gestaltete Erich Stoll als molekulare Landschaften (Abb. III.2.3), indem er den von ihm entwickelten kartografischen Farbcode verwendete und die Simulation dreier Lichtquellen anwandte (vgl. Kapitel II.3).37 Wie die Drehung des Bildes als auch das Verschieben des Papiers im xy-Schreiber nach der Aufzeichnung jeder einzelnen Linie waren Stolls Gestaltungen dem Paradigma der Anknüpfung an Sehgewohnheiten und -traditionen verpflichtet. Er brachte damit seine Freiheit in der Bildgestaltung zum Ausdruck, die doch ihrerseits in den Bemühungen der Computergrafik der 1980er Jahre um pseudorealistische Darstellungen gefangen war. Seine Gestaltung lässt sich mit der ersten Publikation von Watson und Crick 1953 zur Struktur der Doppelhelix kontrastieren, in der ein schlichtes Diagramm (Abb. III.2.4) mit den Worten unterschrieben war: „This figure is purely diagrammatic. [...]“ (Watson, Crick 1953, 737; vgl. Bredekamp 2005, 109f.) Diese asketische Gestaltungsweise der 1950er 37 | Stoll bezeichnete in der Rückschau die Simulation einer solchen Beleuchtungssituation als persönliches Erkennungsmerkmal in tunnelmikroskopischen Bildern (Stoll 09/03); publiziert hat er die Technik in Stoll, Baratoff 1988, 152 und ausführlicher auch unter expliziter Bezugnahme auf Fotoateliers in Stoll 1991, 72.
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Jahre mit einer zurücknehmenden Bildunterschrift steht im Gegensatz zu Stolls Gestaltungsfreude, die die Möglichkeit und Freiheit zur Bildgestaltung ausreizte und die Möglichkeit der Nachahmung einer Südseelandschaft an die Stelle eines Verweises auf den diagrammatischen Charakter tunnelmikroskopischer Rasterbilder setzte. Neben der Präsentation eines derart gestalteten Bildes stand der Abgleich mit der Elektronenmikroskopie im Vordergrund der Publikation: Die Auflösung der tunnelmikroskopischen Bilder schien höher zu sein als die von Rasterelektronenmikroskopen (Amreim et al. 1988, 515), des Weiteren ermöglichte die STM-Messung, den Höhenverlauf aus den aufgezeichneten Werten abzulesen, anstatt wie im Fall der Elektronenmikroskopie auf geometrische Auswertungen der Schatten angewiesen zu sein (Amrein et al. 1988, 516). Doch obwohl die Tunnelmikroskopiker diese Vorzüge gegenüber der Elektronenmikroskopie hervorhoben, bedeutete die Metallbedampfung für die Ziele der Tunnelmikroskopiker nur einen ungeliebten Zwischenschritt, da sie auf die Sequenzierung und damit chemische Unterscheidung einzelner Molekülgruppen ohne verdeckende Metallschicht abzielten.
Erfolgsmeldungen Ende der 1980er Jahre nahm die Anzahl experimenteller Arbeitsgruppen, die unbeschichtete DNA und andere organische Proben tunnelmikroskopisch untersuchten, stark zu und entwickelten sich zu einem ausgebildeten Zweig der Tunnelmikroskopie. Die Einbettung in theoretische Modellbildungen wie die von Hamann und Tersoff war für biologische Proben nicht zu erhoffen; die Strukturen waren bei weitem zu komplex, als dass eine Modellbildung auf atomarer Ebene in Aussicht gestanden hätte (Heckl 07/03). Die Veröffentlichungsstrategien waren durch die Präsentation von Bildern geprägt, in denen auf Ähnlichkeiten zu existierenden DNA-Darstellungen hingewiesen wurde. Spezifische Fragen der tunnelmikroskopischen Experimente, wie die Frage nach dem Stromfluss zwischen Molekül und Substrat, wurden hingegen kaum adressiert. So publizierte die Biochemikerin Patricia Arscott mit ihren Kollegen von der University of Minnesota im Juni 1989 erstmals Bilder von DNA in der Z-Form (Arscott et al. 1989). In einer Bildserie präsentierten sie ein tunnelmikroskopisches Bild der DNA, eine Ausschnittsvergrößerung, ein computergeneriertes Modell der elektrostatischen Oberfläche des Moleküls sowie ein Modell der Van-der-Waals-Oberfläche, die auch in den gängigen
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Abb. III.2.5: Bildserie mit einem tunnelmikroskopischen Bild (a), einer Ausschnittsvergrößerung (b) und computergenerierten Modellen der elektrostatischen Oberfläche (c) sowie der Van-der-Waals-Oberfläche (d); die Autoren mussten nach einer Kontroverse eingestehen, dass die zunächst behaupteten Ähnlichkeiten einer Verwechslung der Skalierungen geschuldet waren (Arscott et al. 1989, 485).
CPK-Modellen38 dargestellt wird (Abb. III.2.5). Das erste Bild der Serie war mit einer Skala versehen, nicht jedoch die Ausschnittsvergrößerung und die beiden Computermodelle. Arscott und Kollegen sahen große Ähnlichkeiten zwischen ihren rastertunnelmikroskopischen Aufnahmen und der elektrostatischen Oberfläche, nicht jedoch zu der Vander-Waals-Oberfläche. Sie nahmen Bildvergleiche zu unterschiedlichen – bekannten – Darstellungen vor, um Ähnlichkeiten zu postulieren, die sie nicht näher ausführten. Neben diesen Bildvergleichen nutzten sie Fourier-Analysen, um zu argumentieren, dass die untersuchte Struktur Periodizitäten in den Größenordnungen von 41.5, 20.4, 14.5 und 7 Ångström aufweisen würde, was mit den bekannten Werten von DNA korrelierte. 38 | Siehe zur Verwendung von CPK-Modellen Kapitel IV.1.
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Abb. III.2.6: Cover von Nature zu einem vermeintlichen DNA-Bild auf atomarer Skala (Driscoll et al. 1990, Titelseite).
Diese Argumentationen wiesen große Mängel gegenüber wissenschaftlichen Standards auf, mitunter waren sie schlichtweg fehlerhaft. So lassen Fourier-Transformationen sinusförmiger Signale lediglich auf die größte der aus ihr berechneten Periodizitäten schließen – im Beispiel der DNA-Untersuchung auf 42 Ångström – nicht aber auf irgendwelche Teiler, die ebenso gut Schwebungen dieser Periodizitäten darstellen können. Des Weiteren klafften die Maßstäbe zwischen den von Arscott und Kollegen verglichenen Bildern um einen Faktor 2 auseinander, was dem Betrachter durch die fehlenden Skalen in den Bildern b, c, d (Abb. III.2.5 b-d) nicht sogleich offensichtlich wurde. Ein Jahr nach der Veröffentlichung ihres Artikels nahm die Gruppe um Arscott in einer kurzen Korrespondenz in Nature zu diesen Punkten Stellung (Arscott et al. 1990) und reagierte damit auf Kritik durch andere Tunnelmikroskopiker.39 Die Forscher räumten Fehlinterpretationen ein und wiesen auf Gemeinplätze tunnelmikroskopischer Praxis hin, etwa dass die Auswertung komplex sei und vielfältige Faktoren wie die Form der Spitze berücksichtigt werden müssten (Arscott et al. 1990, 706). Des Weiteren rechtfertigten sie sich: „We did not notice the discrepancy in dimensions, and were seduced by the excellent visual match between the STM image and the 39 | Arscott und Kollegen nannten Pui Shing Ho von der Oregon State University sowie Michael Youngquist und Robert Driscoll vom Caltech, die diese Kritik geübt hätten, ohne eine Referenz anzuführen (Arscott et al. 1990, 706).
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Abb. III.2.7: Gegenüberstellung eines tunnelmikroskopischen Bildes mit einem Van-der-Waals-Modell von DNA (Driscoll et al. 1990, 295).
elctrostatic model.“ (Ebd.) Mit diesem Verweis auf verführerische Eigenschaften der Bilder gestanden sie mangelnde Bildkritik ein, indem sie einen eindeutig benennbaren Fehler in der Interpretation mit dem visuellen Überschuss der Bilder begründeten, dem sie nicht gewachsen gewesen seien. Sie hatten in ihren Bildgestaltungen und Methoden des Bildvergleichs Ähnlichkeiten angestrebt, um diesen dann ihrerseits zu erliegen. Obwohl Arscott und Kollegen solche Mängel in ihrer Inter pretation zugaben, hielten sie doch an ihrer Behauptung fest, dass die Periodizitäten in ihren Bildern die Helixstrukturen von DNA „klar zeigen“ würden („show clearly“; Arscott et al. 1990, 706), ohne dass sie diesen Versuch der Rechtfertigung weiter ausführten. Einen vermeintlichen Höhepunkt erreichten die tunnelmikroskopischen DNA-Forschungen durch eine Veröffentlichung von Michael Youngquist und Robert Driscoll vom renommierten California Institute of Technology, die zuvor zu den Kritikern von Arscott gehört hatten und nun ihrerseits prestigeträchtig auf einem Nature-Titelbild eine Erfolgsmeldung verkündeten: Neben der Schlagzeile „Atomic-Scale Imaging of DNA“ war vor schwarzem Hintergrund eine gewellte blaue Struktur zu sehen, aus der wiederum gelbliche Konturen nach oben hervortraten (Abb. III.2.6). Mehrere tunnelmikroskopische Darstellungsparadigma sind in diesem Bild adaptiert worden: Dreidimensionale Körper, die sich von einem schwarzen Hintergrund abheben, bildeten seit Binnigs und Rohrers Foto des Si-Papiermodells einen festen Bestandteil tunnelmikroskopischer Bildwelten und auch der kartografische Farbcode gehörte zum Standard. In dem zugehörigen Artikel stellten die Autoren eine weitere Darstellung der selben Messung einem Modell der Van-der-Waals-Oberflächen gegenüber (Abb. III.2.7) und boten
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mit einer Ausschnittsvergrößerung weitere Vergleichsmöglichkeiten an. Diese Gegenüberstellungen zeigen laut Autoren eine „gute Ähnlichkeit der allgemeinen Merkmale“ („There is good agreement in the general features […]“) und das Bild spreche für die Darstellung atomarer Merkmale („[…] the image suggests atomic features.“; Driscoll et al. 1990, 296). Aus den Bildvergleichen folgerten sie, dass Molekülstrukturen – backbone und Basenpaare – im tunnelmikroskopischen Bild sichtbar seien. Unterschiede zwischen tunnelmikroskopischem Bild und Modell, die sie nicht näher benannten, seien erklärbar, etwa durch thermischen Drift während des Experiments oder Kriecheffekte der Piezos, vor allem sei aber auch keine exakte Übereinstimmung zwischen getrockneter DNA in Vakuum auf einem Substrat und einem Modell, das aus kristallografischer Röntgenstrukturanalyse gewonnen wurde, zu erwarten (Driscoll et al. 1990, 296). In einem Folgeartikel, in dem sie die gleichen Bilder zeigten, 40 bemerkten die Autoren in rechtfertigender Haltung, dass sie selber über die Ähnlichkeit überrascht gewesen seien (Youngquist et al. 1991, 1306) – um dann den Bildvergleich zum Ausgangspunkt all ihrer Argumentationen zu machen. Andere Gruppen, die in der Tunnelmikroskopie noch keine weiteren Meriten verdient hatten, vermeldeten Erfolge in der Untersuchung von DNA, so Forscher um M. J. Miles aus Norwich (Miles et al. 1990), eine Gruppe um den römischen Forscher Gelsomina de Stasio, die behauptete DNA, während des Replikationsvorgangs beobachtet zu haben (De Stasio et al. 1991), und eine italienische Gruppe um Cricenti leitete in einem Science-Artikel aus einem Bildvergleich eine „klare Evidenz für die Helix-Struktur der DNA“ ab („clear evidence of the helicity of the DNA structure“; Cricenti et al. 1989, 1226). In Lodz glaubten Ryszard Olinski und Kollegen die Rechtsdrehung der Helix beobachtet zu haben (Olinski et al. 1992), während die Tunnelmikroskopiker David Dunlap und Carlos Bustamante in Albuquerque, New Mexico, sich schon weiter wähnten und ihre Bilder im November 1989 in Nature als Evidenz für die Möglichkeit tunnelmikroskopischer Sequenzierung von DNA anpriesen (Dunlap, Bustamante 1989, 204); eine dänische Gruppe aus Aarhus legte dar, dass ihre Bilder den minor groove „direkt visualisieren“ würden (Bendixen et al. 1990, 705). 41
40 | Tatsächlich hatte Driscoll nur eine solche Messung mit vermeintlich atomarer Auflösung erzielt, wie sein Laborbuch auswies und er unumwunden zugab; Gespräch mit Wolfgang Heckl, der Driscoll in seinem Labor in Caltech besucht hat. 41 | Zur Öffentlichkeitswirksamkeit der zuletzt genannten Gruppe siehe die Fallstudie bei Hessenbruch 2006.
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Kritik auf Basis von Erfahrung Die Skepsis gegenüber diesen Erfolgsmeldungen und den Präsentationen solcher DNA-Bilder mit atomarer Auflösung speiste sich nicht zuerst aus theoretischen Überlegungen oder Vorbehalten gegenüber einzelnen ästhetischen, auf Ähnlichkeiten beruhenden Argumentationen, sondern war zum großen Teil der Tatsache geschuldet, dass erfahrene Tunnelmikroskopiker, die seit Jahren mit unterschiedlichen Instrumenten unter unterschiedlichen Experimentierbedingungen die Grenzen der Methode immer weiter hinausgeschoben hatten, zu keinen vergleichbaren Ergebnissen kamen. Vielmehr verfügten sie über einen Erfahrungsschatz, der ihnen bei der Deutung von Bildern aus DNA-Untersuchungen zugute kam und zu einer skeptischen Haltung führte. So gehörte für erfahrene Rastertunnelmikroskopiker die Untersuchung von Grafit, das in den meisten DNA-Experimenten als Substrat diente, fest zum Repertoire. Grafit hatte in der Tunnelmikroskopie an Luft und in Flüssigkeiten den Status einer Standardprobe erhalten, ähnlich wie Si(111)-7x7 in der UHV-Tunnelmikroskopie (vgl. Mody 2004a, 222ff.). Während sich die Si-7x7-Einheitszelle durch ihre Komplexität ausgezeichnet hatte, war die Grafit-Oberfläche durch eine einfache Periodizität charakterisiert. Diese Eigenschaft machte sie für Fehlinterpretationen anfällig. Wenn sich Grafit-Bestandteile an der Spitze anlagerten, kam es zu einer Überlagerung von Grafit an der Spitze und Grafit auf der Probe, was zu Moiré-Effekten mit idealen periodischen Mustern führen konnte, die häufig als atomare Auflösung missgedeutet wurden (Mody 2004, 235ff.). Diese Möglichkeit zur Fehlinterpretation führte zu einer Intensität der Untersuchung. Auch die Ausprägung der aufgezeichneten Korrugationen, die größere Amplituden aufwiesen, als es aus der Theorie des Tunnelmikroskops und den bekannten Eigenschaften des Grafits zu erwarten gewesen wäre, trugen zu einer lebhaften Kontroverse und einer intensiven Auseinandersetzung bei. Die Kraftwirkung zwischen Spitze und Probe rückte in das Zentrum der Untersuchungen. In Stanford mündete das Interesse von Gerd Binnig, Christoph Gerber und Cal Quate an dieser Frage sogar in die Entwicklung des Rasterkraftmikroskops, bei dem die Kraftwirkung zwischen einer ebenfalls wieder atomar feinen Spitze und der Probe die aufgezeichneten Signale erzeugen (Binnig, Quate, Gerber 1986). Durch diese mehrjährigen Kontroversen und Entwicklungen war ein Teil der Tunnelmikroskopiker mit einer großen Erfahrung in der Untersuchung von Grafit ausgestattet, das in den meisten Untersuchungen biologischer Proben als Untergrund diente. Diese Erfahrungen zeigten,
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dass sich auch in Untersuchungen einer reinen Grafitoberfläche ohne biologische Proben Fehlstellen und Verwerfungen zeigten, die den Strukturen, die als DNA präsentiert worden waren, glichen. Zwei Publikationen zu dieser Thematik erschütterten das Forschungsfeld tunnelmikroskopischer DNA-Untersuchungen auf fundamentale Weise: Die erste stammte von Carol Clemmer und Thomas Beebe von der University of Utah, die zweite verfasste Gerd Binnig gemeinsam mit seinem Münchner Mitarbeiter Wolfgang Heckl. Clemmer und Beebe publizierten 1991 in Science Bilder von HOPG (Highly Ordered Pyrolytic Graphite), die vorhergehenden Bildern aus Publikationen zu DNA-Bildern glichen (Clemmer, Beebe 1991, 641). So zeigten sie beispielsweise eine Bildfolge, in der mehrere längliche, parallel verlaufende Stränge mit periodischer Struktur einmal über eine glatte Oberfläche und einmal über mehrere Stufen verlaufen (Abb. III.2.8). Sie präsentierten zudem einen Grafen, in dem die Periodizitäten einzelner dieser Stränge sichtbar wurden und griffen damit das Bildarrangement von Arscott und Kollegen auf – mit dem alles entscheidenden Unterschied, das Arscott den Bildern die Evidenz zugesprochen hatte, bekannte DNA-Strukturen zu zeigen! Indem Clemmer und Beebe die gleichen Argumentationen für reinen Grafit anführten, zerplatzten die Ansprüche von Arscott und anderen Experimentatoren, Aussagen zur DNA aus ihren Bildvergleichen ableiten zu können. In einem rhetorisch ausgefeilten Artikel sparten Clemmer und Beebe nicht mit Kritik an früheren Arbeiten aus dem eigenen Labor und an weithin sichtbaren Journalen („highly visible, broadly viewed journals“; Clemmer, Beebe 1991, 640), die tunnelmikroskopische DNA-Untersuchungen trotz großer Skepsis unter erfahrenen Tunnelmikroskopikern ein Forum gegeben hätten. Sie betonten, nicht über einzelne Arbeiten von Kollegen urteilen zu wollen, sondern die breite wissenschaftliche Gemeinschaft auf klären zu wollen („to enlighten the broader scientific community“) und ein „kritisches Auge“ („critical eye“; Clemmer, Beebe 1991, 640) etablieren zu wollen. Anders gesagt, sahen Clemmer und Beebe ihre Aufgabe nicht in Detailkritik, sondern einer grundsätzlichen methodischen Problematik, da sie die Ausbildung von Bildkritik als Basis der Auswertung und der Publikationspraxis vermissten. Die im Abstract ihres Artikels angekündigte „Diskussion“ (Clemmer, Beebe 1991, 640), ob HOPG weiterhin als Substrat in der biologischen Tunnelmikroskop verwendbar sei, endete in einem ebenso knappen wie eindeutigen Fazit: „[...] we strongly suggest that investigators use another substrate for biological STM studies.“ (Clemmer, Beebe 1991, 642)
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Abb. III.2.8: Tunnelmikroskopische Grafit-Bilder mit großer Ähnlichkeit zu zuvor publizierten mutmaßlichen DNA-Bildern (Clemmer, Beebe 1991, 641).
Ein ähnliches Argumentationsmuster wie Beebe und Clemmer verfolgte auch Gerd Binnig mit seinem Münchner Kollegen Wolfgang Heckl. Binnig war nach seinem Aufenthalt an der Universität Stanford fast zeitgleich mit der Nobelpreisverleihung 1986 der Auf bau einer externen IBM-Arbeitsgruppe an der LMU München zugestanden worden. Binnig erhielt eine Professur für Experimentalphysik, und der Mechaniker Christoph Gerber, der schon an der Entwicklung des STM maßgeblich beteiligt gewesen war, folgte ihm, wie schon nach Kalifornien, nun auch in den Freistaat Bayern. Motiviert durch sein Interesse an biologischer Rastersondenmikroskopie, suchte Binnig Kooperationspartner, die mit der Präparation organischer bzw. biologischer Proben vertraut waren, und traf auf Wolfgang Heckl, der während seiner Doktorandenzeit eine große Routine in der Präparation von Langmuir-Blodgett-Filmen erworben hatte (Heckl 02/06). Binnig und Heckl führten gemeinsame Experimente durch, die Heckl als Grundlage tunnelmikroskopischer Bildpraxis ansieht: „Ich muss sehr viel Erfahrung haben. Ich muss lange, lange Stunden experimentiert haben und das habe ich mit dem Gerd Binnig natürlich auch gemacht und da bin ich ihm natürlich auch sehr dankbar, weil ich mit ihm damals, als er noch wirklich Zeit gehabt hat, nächtelang gesessen habe und die Intuition gelernt habe – den Trick, wie man es machen muss.“ (Heckl 07/03)
Heckl hebt den hohen Status des informellen Erfahrungswissens hervor, das er sich in gemeinsamer Tätigkeit mit Binnig aneignen konnte. Viele Stunden verbrachten sie im Labor am Monitor und beobachteten tunnelmikroskopische Bilder, so auch von DNA-Untersuchungen, die sie mit Video aufzeichneten (Abb. III.2.9 a-f). Sie scannten ohne
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Unterbrechung in ständiger Wiederholung die Probe ab, veränderten Parameter und beobachteten Veränderungen in den Bildern, die durch Wechselwirkungen zwischen der Spitze und der Probe entstanden. Binnig konnte seine Erfahrungen in der Bedienung der Instrumente und der Bildinterpretation an Heckl weitergeben und gemeinsam erweiterten sie ihren Erfahrungsschatz und ihr Bildrepertoire – beides konnten sie in der Kontroverse um tunnelmikroskopische DNA-Untersuchungen produktiv einbringen. 42 Sie nutzten diesen Erfahrungsschatz jedoch nicht, um selber Ergebnisse über DNA-Untersuchungen zu publizieren, sondern veröffentlichten, wie schon Beebe und Clemmer, Untersuchungen reiner GrafitProben, mit denen sie den Argumentationsmustern vorhergehender DNA-Publikationen die Grundlage entzogen. Sie publizierten aus ihrem Bild-Fundus43 ein tunnelmikroskopisches Grafit-Bild und stellten es einem computerberechneten DNA-Modell gegenüber (Abb. III.2.10). Damit griffen sie Vergleiche von Driscoll und Arscott auf, die aus solchen Ähnlichkeiten die Darstellung molekularer DNA-Strukturen gefolgert hatten. Binnig und Heckl deuteten ihr STM-Bild jedoch als grain boundary von Grafit, das mit einer Doppelspitze abgescannt worden sei, woraus sich die Sichtbarkeit eines Doppelstrangs erkläre. Damit gingen sie über den Befund von Clemmer und Beebe hinaus, indem sie die Formen in ihren Grafitbildern nicht lediglich als Möglichkeit zur Verwechslung präsentierten, sondern ihrerseits deuteten und damit Kontrolle demonstrierten. Neben der Aufmerksamkeit für eine Doppelspitze wiesen sie darauf hin, dass sich Domänengrenzen an Stellen ausbildeten, wo gegeneinander gedrehte Grafitgitter aneinander stießen. 42 | Ein VHS-Videofilm aus dem Besitz von Wolfgang Heckl zeigt als seltenes historisches Quellmaterial solche Messungen, in denen im Rhythmus von etwa 3 Sekunden ein Scan dem anderen folgt; Grundlage war eine Umwandlung der digitalen Signale in ein Videosignal, wie es auch Othmar Marti in Santa Barbara verwendet und Binnig es aus Stanford nach München mitgebracht hatte. Zu Gesprächen von Wissenschaftlern bei der gemeinsamen Sichtung von Bildern siehe Lynch 1985, der mit seiner Laborstudie zur Elektronenmikroskopie die Aufmerksamkeit der Wissenschaftsforschung auf den „shop talk“ – das informelle Laborgespräch – gerichtet hat. Bildet für die historische Analyse die Existenz des VHS-Bandes schon einen Glücksfall, lässt sich das Gespräch selbstverständlich nicht mehr rekonstruieren; vielmehr können sich historische und ethnografische Studien in einem solchen Punkt ergänzen. 43 | Wolfgang Heckl hat im Gespräch erwähnt, dass Binnig und er für die im Folgenden beschriebene Publikation nicht Bilder gezielt produziert hätten, sondern sie auf ihren Bestand zurückgegriffen hätten.
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b
c
d
e Abb. III.2.9 a-f: Filmstills aus gemeinsamen tunnelmikroskopischen DNA-Untersuchungen von Binnig und Heckl aus dem Jahr 1989 (Privatbesitz Wolfgang Heckl).
f
Damit konnten sich nach den Auswertungen von Binnig und Heckl an diesen grain boundaries unterschiedliche Periodizitäten im Bereich von 3 bis 50 Å ausbilden – und folglich auch Periodizitäten in der Größenordnung, wie DNA-Moleküle sie aufweisen (Heckl, Binnig 1992, 1077). Die Argumentation von Arscott und Kollegen, dass Periodizitäten ein unverwechselbares Indiz für die Auflösung von DNA-Strukturen seien (Arscott et al. 1990, 706), war damit hinfällig. Zudem zeigten Binnig und Heckl, dass die Untersuchung der Gitterausrichtung auf beiden Seiten einer periodischen Struktur Aufschlüsse über deren Ursprung
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Abb. III.2.10: Tunnelmikroskopisches Bild von Grafit mit Domänengrenzen neben einem DNA-Modell (Heckl, Binnig 1992, 1077).
geben könnte (Abb. III.2.11) – sind die beiden Gitter gegeneinander verdreht, ließe sich ein trennendes Gebilde als grain boundary identifizieren (Heckl, Binnig 1992, 1075). Binnig und Heckl waren aus ihrer mehrjährigen Erfahrung heraus routinemäßig in der Lage, atomare Auflösung des Grafits zu realisieren, hatte Binnig doch seit 1985 vielfältige Experimente an dieser Probe durchgeführt. In Bildern anderer Autoren, die – wie etwa auch auf dem Nature-Titelbild (Abb. III.2.6) – DNA auf Grafit zumeist freigestellt vor schwarzem Hintergrund ohne Verweis auf einen strukturierten Untergrund zeigten, fehlte diese Auflösung und damit auch die Möglichkeit zu einer Analyse, wie Binnig und Heckl sie einforderten. Und so verkniffen sie sich auch nicht den für naturwissenschaftliche Publikationsrhetorik unüblichen Hinweis auf die Notwendigkeit von Erfahrungswissen, da Stufenlinien in Grafit durch „einen erfahrenen Experimentator leicht zu bemerken seien“ („steplines on graphite [...] are easy to recognize by an experienced experimentalist“; Heckl, Binnig 1992, 1075). Mit ihrer Deutung gaben Binnig und Heckl im Gegensatz zu Clemmers und Beebes Kritik einen Hinweis, wie Domänengrenzen zu identifizieren seien, so dass Grafit weiterhin als Substrat für die Untersuchung biologischer Moleküle genutzt werden könnte. Gleichzeitig schlugen sie Molybdändisulfid (MoS2) als alternatives Substrat vor, dass sich durch die äußerst seltene Ausbildung von Stufen und Domänengrenzen auszeichne. Der Vergleich zwischen STM-Bildern von Molekülen auf Grafit und auf MoS2 könnte als weitere Heuristik zur Interpretation dienen (Heckl, Binnig 1992,
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Abb. III.2.11: Atomar aufgelöstes Grafit-Bild mit Auswertungen zum Winkel zwischen aneinandergrenzenden Domänen (Heckl, Binnig 1992, 1075).
1078). Der Bayer und Alpinist Wolfgang Heckl kannte Fundorte von MoS2 in den Alpen, nutzte es im eigenen Labor und verschickte es in den nächsten Jahren weltweit (Heckl 02/06). Ein persönlicher, lokaler Zugang zu den Ressourcen bestimmte die Praxis des Vergleichens zwischen Grafit und MoS2.
Fehlende Bildkritik als Ursache der Krise Die Veröffentlichung von Clemmer und Beebe, die dann durch weitergehende Erklärungen und die Autorität Gerd Binnigs als Erfinder der Methode und Nobelpreisträger eine weitere Fundierung erfuhr, beendete die Folge immer neuer Erfolgsmeldungen über atomar aufgelöste DNA-Bilder und bedeutete die weitgehende Einstellung der Forschungsaktivitäten in diesem Bereich. 44 Selbst Forscher, die erfolgversprechende Experimente zur Leitfähigkeit der DNA durchgeführt hatten und die Rolle von Wasserfilmen und die Bindung zwischen Substrat und Molekül in den Blick genommen hatten, wendeten sich
44 | Experimentatoren wie Driscoll beharrten weiterhin auf ihren Interpretationen (Heckl 02/06), doch konnten sie keine Verbündeten mehr gewinnen. Ihr Bild blieb wirkmächtig und fand im Internet ohne Hinweis auf die Kontroverse Verbreitung, etwa im Dezember 2003 als „Nano Picture of the Day“: http://www.nanopicoftheday. org/2003Pics/DNA%20Up%20Close.htm (Mai 2008).
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von dem Themenfeld ab, das mit einem zu großen Ballast negativer Reputation belastet war (Guckenberger 02/06). 45 Da Kontroversen Teil wissenschaftlicher Alltagspraxis sind und grundsätzlich nie ein Punkt definiert werden kann, ab dem ein experimentelles Ergebnis als soweit gesichert angesehen werden kann, dass seine Publikation nicht mit dem Risiko der Widerlegung behaftet wäre (vgl. Galison 1987, 3), schließt sich die Frage an, warum im Fall der DNA-Untersuchung durch eine Kontroverse ein ganzes Forschungsfeld in Misskredit geraten konnte. Zu ihrer Beantwortung werden im Folgenden zunächst einzelne Argumentationsschritte aus dieser Kontroverse mit Argumentationen aus erfolgreichen Anwendungen der Tunnelmikroskopie verglichen. Es zeigt sich, dass die Problematik weniger in einzelnen logischen Schlüssen begründet lag, als vielmehr in einer unzulänglich ausgeprägten Bildkritik. Das Scheitern der Experimente an DNA mit mangelnder theoretischer Vorhersagbarkeit zu erklären, wäre unangemessen, da es den explorativen Charakter tunnelmikroskopischer Forschung verkennen würde. So hatten ja auch Binnig und Rohrer die Methode der Tunnelmikroskopie zunächst ohne eine vorgefertigte Theorie, vielmehr gegen die Skepsis von Theoretikern und Oberflächenphysikern, durch explorative Experimente vorangetrieben. Im Fall der DNA-Untersuchungen zeigten sich als Ergebnis eines jedes Experiments Signale, die es zu hinterfragen galt: Lag ihre Ursache in der Beschaffenheit der Spitze begründet, welche Annahmen über die Leitfähigkeit von DNA konnte man machen, welche Rolle spielten die Struktur und Leitfähigkeit von Grafit als Untergrund? Auch die Kritik, dass lediglich einzelne, nicht reproduzierte STM-Messungen den Publikationen zugrunde lagen, relativiert sich vor dem Hintergrund, dass auch Binnig und Rohrer zunächst lediglich ein einzelnes Bild der Si-7x7-Rekonstruktion hatten erzeugen können, das zwei Jahre auf die Replikation durch andere Experimentatoren warten musste. Und in der weiteren Auswertungen stellte beispielsweise Tromp Formvergleiche zwischen experimentellen Ergebnissen und einer Simulation an, die ihrerseits aufgrund der Neuartigkeit der Methode zur Erprobung stand. 46 Keiner der vergleichbaren Argumentationsschritte der Verfechter atomarer Auflösung der 45 | Die Leitungseigenschaften von DNA wurden in den 1990er Jahren kontrovers diskutiert und die Annahme, dass Wasserfilme auf dem Molekül für die Leitfähigkeit verantwortlich seien, verfestigte sich (vgl. Gruner 2003), so dass eine Fährte tunnelmikroskopischer Experimente späte Bestätigung erhielt. 46 | Für weitere Beispiele solcher Vergleiche und eine reflektierte Beschreibung ihres Status siehe Krug 2001, 136f.
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DNA kann folglich als monokausale Erklärung für das Scheitern dienen. Vielmehr lag die Grundsätzlichkeit und Zuspitzung dieser Kontroverse darin begründet, dass der Status des Bildes, der zuvor nie explizit thematisiert worden war, zur Debatte stand. So hatte das Ziel einer Abbildbarkeit von DNA in Anlehnung an die berühmte Form der Doppelhelix eine Eigendynamik entwickelt, die die Reflexion der Potenziale und der Eigenart des Verfahrens vergessen ließen. Es war legitim gewesen, dass Binnig und Rohrer ihr Bild auf den Kopf gestellt hatten (Abb. III.2.1), dass Rohrer und Kollegen das Papier nach der Aufzeichnung einer jeder Scanlinie verrückt hatten (Abb. III.2.2) und dass Stoll durch Farbwahl und Simulation von Lichtquellen einen Landschaftseindruck erzeugt hatte (Abb. III.2.3). Doch während in den Auswertungen zu diesen Experimenten die Messdaten einer Deutung im Rahmen des Wissens über die Tunnelmikroskopie unterzogen wurden, etablierte sich gleichzeitig die Nachahmung von Vor-Bildern und die Erfüllung von Erwartungen zum Selbstzweck. Die Bilder zeigten nicht die Notwendigkeit zur Interpretation bezüglich des zugrunde liegenden Messprozesses. Vielmehr war die Bildpraxis tunnelmikroskopischer DNA-Bilder gegen Ende der 1980er Jahre vielerorts von dem problematischen Wunsch getrieben, bekannte Formen zu entdecken und Abbilder der DNA, wie sie aus Modellen bekannt war, zu erzeugen. Autoren wie Clemmer und Beebe beklagten, dass erwarteten Strukturen hinterhergejagt worden sei: „[...] this approach of hunting for the expected structure has been used“ (Clemmer, Beebe 1991, 642). Tunnelmikroskopische Untersuchungen an Halbleitern hatten zuvor gezeigt, dass sich aus den Bildern keinesfalls eindeutig die Positionen einzelner Atome ersehen ließen. Die Untersuchung komplexer biologischer Moleküle mit unbekannten Leitungseigenschaften, die mit einem Substrat Bindungen eingingen, bildete eine ungleich komplexere Situation. Dass dennoch die Wiedergabe von Molekülmodellen angestrebt wurde, ist Ausdruck einer Wirkmacht der Bilder, die auf einem tief verwurzelten Wunsch nach einem Abbild gründete und die durch die Gestaltung der frühen DNA-Bilder, sobald sie aus ihren Entstehungs- und Argumentationskontexten herausgelöst waren, forciert wurde. Die Sehnsucht nach der Abbildbarkeit von DNA hatte unter einigen Rastertunnelmikroskopikern einen unkritischen Bildumgang gefördert, dem auch die Gutachtermechanismen von Publikationsorganen wie Science und Nature keinen Einhalt boten. Während vor allem Neulinge der Tunnelmikroskopie von dieser Bildeuphorie ergriffen waren, existierte unter Tunnelmikroskopikern zeitgleich durchaus ein reflektiertes Bewusstsein für die Problematik. Ein Experimentator
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erinnerte sich im Gespräch mit dem Wissenschaftssoziologen Cyrus Mody: „If you look around on graphite, eventually you can find anything you want. [...] Literally if you look around long enough you’ll see what you want to see. We had a term for that – ‚face of Jesus‘. If you looked around long enough you’d see the face of Jesus. But it took a long time for people to figure that out because of course they put these things down, they’d look around for a few weeks and they’d see what they wanted to see and they’d publish a picture.“ (Mody 2004a, 243)
Die Metapher des Jesusgesichts lässt sich nicht nur als Suche nach einer beliebigen Form, die auch einem Gesicht ähneln könnte, interpretieren, sondern bildtheoretisch grundsätzlicher deuten: die Vera Icon steht beispielhaft für den tief verwurzelten Wunsch nach dem Abdruck des Jesusgesichts als materielle Übertragung und damit als direktes Abbild (Belting 2005, Kapitel I). So wie sich in den Darstellungen des Leichentuchs das Bild Jesu verselbstständigte, schien sich die DNA in den tunnelmikroskopischen Bildern von ihrem Medium, ihrem Herstellungsprozess und dem Substrat als Untergrund freimachen zu können. So schwebte auf dem Titelbild von Nature die DNA in gewohnter Form freigestellt vor schwarzem Hintergrund, während in der Kritik durch Binnig und Heckl der Schlüssel zur Interpretation darin bestand, nicht lediglich die biologische Probe, sondern gleichzeitig das Substrat, auf dem die Probe aufgebracht war, mit hoher Auflösung zu vermessen und bildlich darzustellen. So stand in der Kontroverse um die DNA-Bilder der Status des Bildes als Abbild zur Diskussion. Während das Verfahren der Tunnelmikroskopie einen solchen Anspruch grundsätzlich erodieren ließ und beispielsweise Ruud Tromp und Kollegen in ihren Bildtableaus die Generierung unterschiedlicher Formen durch die Wahl der Parameter im Experiment verdeutlicht hatten, setzte sich in der Bildgestaltung der DNA-Untersuchungen zunächst der Wunsch nach einer Mimesis fort. Doch dieser Versuch der Versöhnung der Bildwelten der Tunnelmikroskopie mit neoplatonistischen Bildvorstellungen musste scheitern. Die Gemeinschaft der Tunnelmikroskopiker konnte diesen Konflikt aus ihrer eigenen Mitte heraus aufklären, musste aber den Preis des Reputationsverlustes eines Forschungsfeldes zahlen und in der Folgezeit darauf verzichten, den konstruktiven Eigenwert der Bilder in der Untersuchung der Leitungseigenschaften von DNA auf einem Substrat produktiv nutzen zu können. Fehlendes Bewusstsein für Bildkritik hatte die Nutzbarmachung des Bildes zur Wissensgenerierung eingeschränkt.
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III.3 Neue Perspektiven: das Einzelne im Visier der Oberflächenphysik Den Ausgangspunkt der Tunnelmikroskopie hatte Ende der 1970er Jahre der Versuch von Gerd Binnig und Heinrich Rohrer gebildet, lokale Messungen an Störstellen 47 in Oxidfilmen vornehmen zu können – ohne dass sie damit von vornherein die Entwicklung eines bildgebenden Verfahrens intendiert hatten (vgl. Kapitel II.1). Für das letztlich aus diesen Bestrebungen hervorgegangene STM stellt die Möglichkeit zur lokalen Untersuchung ein Charakteristikum dar, das dieses Instrument von klassischen Beugungsmethoden der Oberflächenphysik, die grundsätzlich gemittelte Informationen über ideale Gitterstrukturen liefern, unterscheidet. So konnte das Tunnelmikroskop nicht nur zur Auflösung von Oberflächenrekonstruktionen mit Anordnungen periodisch sich wiederholender Elementarzellen beitragen, sondern innerhalb dieser periodischen Strukturen einzelne Abweichungen und Fehlstellen sichtbar machen. Die ersten Experimente und Publikationen von Binnig und Rohrer waren jedoch zunächst noch von dem Versuch geprägt, Anknüpfungen an die klassische Oberflächenphysik herzustellen. So veröffentlichten sie beispielsweise in ihrer ersten Silizium-Publikation das vom Programmierer Hartwig Thomas gestaltete Bild einer „Durchschnittseinheitszelle“, die sie zu einem periodischen Ornament idealer Symmetrie fortsetzten (Abb. III.3.1). Doch während zwei ideal präparierte Einheitszellen in ihren physikalischen Eigenschaften grundsätzlich ununterscheidbar sind, treten auch bei Oberflächen in atomarem Maßstab lokale Abweichungen auf, sei es durch einzelne fehlende Atome oder durch die Einlagerung von Atomen anderer Elemente. Solche Fehlstellen fanden sich beispielsweise in den frühen Replikationen von Binnigs und Rohrers Silizium-Untersuchungen durch die Gruppe um Joe Demuth in Yorktown Heights. Durch ein Instrument mit großem Scanbereich konnten sie in einem Bild etliche Einheitszellen nebeneinander sichtbar machen, in denen an mehreren Stellen einzelne Adatome fehlten (Abb. III.3.2). Ein solches Bild zeigte den Oberflächenphysikern in Yorktown Heights, dass es ihnen nicht nur gelungen war, Si(111)-7x7 atomar aufzulösen, sondern auch, dass sie nun ein Instrument zur 47 | Der Begriff „Störstelle“ wird hier als Terminus technicus aus der Festkörperphysik übernommen, wobei im Folgenden gerade die Normalität einer solchen Störung und ihre Notwendigkeit zu Erklärung bestimmter physikalischer Phänomene her vorgehoben wird.
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Abb. III.3.1: (entspr. Abb. III.1.8): Bild idealer Symmetrie der Si(111)7x7-Rekonstruktion (Binnig et al. 1983, 121).
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Abb. III.3.2: Bild der Si(111)-7x7 mit Abweichungen von der idealen Oberflächenstruktur (basiert auf den selben Messdaten wie Abb. III.1.12) (Demuth et al. 1986, 401).
Hand hatten, das es ihnen ermöglichte, lokale Singularitäten zu untersuchen. 48 Obwohl auch die Gruppe um Demuth sich in der Anfangszeit der Tunnelmikroskopie grundsätzlich der Aufklärung der idealen Si-Einheitszelle zuwendete, rückten solche Fehlstellen teils beabsichtigt, teils überraschend immer wieder in den Mittelpunkt tunnelmikroskopischer Untersuchungen und damit überhaupt erst in das Bewusstsein der Oberflächenphysik (Niehus 04/06). So hat auch Heinrich Rohrer in einem Festvortrag anlässlich des 25. Geburtstags der Tunnelmikroskopie nicht nur das Potenzial des STM zur lokalen Messung hervorgehoben, sondern auch die Veränderung der Denkweisen innerhalb der Oberflächenphysik, die durch eben dieses Potenzial angeregt worden sei. Lokale Singularitäten rückten zunehmend ins Zentrum des Interesses, die „Störstellen“ wandelten sich zum Normalfall. Dass die Untersuchung lokaler Abweichungen nicht allein durch neue technische Möglichkeiten zu erklären ist, sondern dem Zusammenspiel von Erkenntnisinteressen und ästhetischen Idealen entsprang, wird im Folgenden beispielhaft an der Bildpraxis von Dario 48 | Bei der gemeinsamen Sichtung des Bildes erwähnte Ruud Tromp sofort die Sichtbarkeit der Fehlstellen (Tromp 03/04).
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Anselmetti beschrieben. Anschließend wird im zweiten Teil dieses Unterkapitels eine weitere Facette lokaler Experimente analysiert, nämlich die lokale Manipulation mit Hilfe der Spitze des Tunnelmikroskops. Es wird deutlich, dass auch die Zirkulation und Berühmtheit der tunnelmikroskopischen Bilder, in denen einzelne Atome mit dem STM gezielt angeordnet wurden, nicht allein als technischer Fortschritt zu erklären sind, sondern wesentlich den historisch-kulturellen Aufladungen der Bilder geschuldet sind.
Die Ästhetik der Fehlstellen Dario Anselmetti begann 1988 seine Doktorarbeit in Basel in der Gruppe von Hans-Joachim Güntherodt (vgl. Kapitel II.2) und sollte zu der Generation Basler Rastersondenmikroskopiker gehören, die diesen Standort an internationales Niveau heranführen konnte. Sein Einstieg in die Methode erfolgte 1988, zwei Jahre nach der Nobelpreisverleihung an Binnig und Rohrer sowie ein Jahr nach der Auszeichnung von Georg Bednorz und Alexander Müller für deren Forschungen zur Hochtemperatursupraleitung. 49 Anselmetti setzte sich das ambitionierte Ziel, diese beiden Themenfelder zu verbinden und Hochtemperatursupraleiter tunnelmikroskopisch zu untersuchen. Auf seine Forschungen wird im Laufe dieses Abschnitts noch eingegangen werden. Zunächst widmete sich Anselmetti jedoch dem Bau eines Tieftemperatur-STM mit der Möglichkeit zur atomaren Auflösung. Er baute ein kompaktes Tunnelmikroskop, für dessen Realisierung es Standardprobleme der Tieftemperaturphysik zu lösen galt, da in der Basler Arbeitsgruppe keine Erfahrungen in diesem Bereich existierten. So musste er etwa der Materialfrage nach geeigneten Schmiermitteln nachgehen, sich der Herausforderung stellen, die Auswirkungen der Vibrationen des brodelnden Stickstoffs, der zur Kühlung diente, auf das Gerät zu dämpfen, und der Kondensation begegnen, die in der Apparatur auftrat, da er die Messungen nicht im Ultrahochvakuum durchführte. Zudem war das Instrument in einem Kryostaten nur über Umlenkungen zu bedienen, was sich auf die Gerätearchitektur, aber auch die Handhabung auswirkte, da im Unterschied zu Experimenten bei Raumtemperatur nicht direkt am Gerät Hand angelegt werden konnte, sondern eine indirekte, vermittelte Bedienung erforderlich war (Anselmetti 06/05). 49 | Zur Geschichte der Hochtemperatursupraleitung mit einem besonderen Augenmerk auf die Rolle der Medien für dieses Forschungsfeld siehe Nowotny, Felt 2002 [1996].
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Grafiteinlagerungsverbindungen als Schönheitsflecke Neben seinem ursprünglichen Ziel, der Untersuchung von Supraleitern, widmete sich Anselmetti auch den tunnelmikroskopischen Standardproben der Zeit und gelangte so nahezu zwangsläufig zu Experimenten mit Grafit, an denen sich ja bereits der erste Basler Doktorand der Tunnelmikroskopie, Markus Ringger, versucht hatte (vgl. Kapitel II.3). Anselmetti gelang es, atomare Auflösung zu erzielen, und er stellte die periodischen Grafitbilder mit Hilfe von Rosenthalers Software (vgl. Kapitel II.3) vielfältig dar (Abb. III.3.3 a-c). Die Experimente fielen in eine Zeit, in der bei der Interpretation von Grafitbildern das Problem von Moiré-Effekten virulent geworden war (vgl. Kapitel III.2) und die Arbeitsgruppe in Stanford um Cal Quate mit Hilfe von Computersimulationen darauf hingewiesen hatte, dass periodische Strukturen in STM-Bildern von Grafit auf Spitzeneffekte zurückzuführen seien (Mizes, Park, Harrison 1987; Mizes 1988, 55-73). Damit war für eine Vielzahl von Grafituntersuchungen, die solche periodischen Strukturen zeigten, die Frage aufgeworfen, ob sie wirklich das Ergebnis atomarer Auflösung darstellten.50 Anselmetti bezog sich auf diesen aktuellen Forschungsstand und leitete daraus seine Motivation ab, anhand der Untersuchung lokaler Defekte auf Grafit zu zeigen, dass „auch wirklich lokale Tunnelexperimente mit monoatomarer Spitze und kleinen Wechselwirkungen“ durchgeführt werden konnten (Anselmetti 1990, 16). Dario Anselmetti untersuchte Grafiteinlagerungsverbindungen unterschiedlicher Alkalimetalle, so auch die von Cäsium. In seiner Dissertation publizierte er zu diesen Experimenten ein Bild, in dem zehn in sich strukturierte Streifen leicht geneigt vertikal verlaufen. Der vierte und fünfte Streifen von links sind durch eine Abweichung von dem Streifenmuster durch einen in sich strukturierten Fleck, der gegenüber der Mittelposition leicht nach links verschoben ist, miteinander verbunden (Abb. III.3.4). Anselmetti war sich der ästhetischen Wirkung dieses Bildes sehr bewusst: DA: „Diese hochsymmetrischen Figuren mit diesem – sagen wir einmal – Schönheitsfleck, das macht ja ein Bild noch schöner und noch eindrücklicher.“ JH: „Und auch authentischer!“ DA: „Ja, ich sage immer, das ist wie bei einem Model, der Cindy Crawford, mit dem Leberfleck auf einer Seite, und das macht das eben aus. Die Symmetrie 50 | In der Diskussion, die später auch in der Rasterkraftmikroskopie noch einmal aufkam, fand der Begriff der „true atomic resolution“ (Hervorhebung JH) Verwendung, um die Auflösung einzelner Atome hervorzuheben.
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Abb. III.3.3 a-c: Darstellungen von Grafit-Messungen vollkommener Periodizität durch Anselmetti (Privatbesitz Dario Anselmetti).
Abb. III.3.4: Ausschnitt eines STMBildes einer Grafiteinlagerungsverbindung (Privatbesitz Dario Anselmetti).
Abb. III.3.5: Ursprüngliches Bild der Grafiteinlagerungsverbindung, aus dem Anselmetti einen Ausschnitt gewählt hat (vgl. Abb. III.3.4) (Privatbesitz Dario Anselmetti).
ist ein Schönheitsideal, aber die Symmetrie darf nicht perfekt sein, da muss irgendwie ein Makel da sein, damit es noch schöner wird.“ (Anselmetti 06/05)
Anselmetti ordnet sein Bild in das Ideal der Symmetriebrechung und damit einem Fluchtpunkt anthropogener Formgebung schlechthin ein. Dabei war die Platzierung der Anomalie das Ergebnis einer Bildbearbeitung, da sie in dem ursprünglichen Foto des Bildschirms (Abb. III.3.5) weiter versetzt von der Mitte gelegen hatte. Anselmetti wählte einen Ausschnitt, um den „Schönheitsfleck“ innerhalb des Bildes platzieren zu können. Anselmetti inszenierte den Fleck in einer Weise, die sich keineswegs von selbst, durch die Gegebenheit der Probe oder die technische Bedingtheit der Bilderzeugung ergeben hatte. Auch die Variation der Belichtungszeiten und der Blenden beim Fotografieren des Bild-
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schirms, wie es auf den Negativstreifen ersichtlich wird (Abb. III.3.6), zeugt von der Akribie jedes einzelnen Schrittes der Bilderzeugung. Doch lassen sich diese letzten, ästhetisierenden Schritte der Bildbearbeitung nicht isoliert betrachten, vielmehr bildeten sie den Endpunkt einer Bildpraxis, die bereits in der Planung der Experimente ihren Ausgangspunkt nahm und sich durch die instrumentelle Erstellung zog. So weist Dario Anselmetti selbst auch 15 Jahre später auf die Komplexität dieses Prozesses hin: JH: „Was macht ein Bild schön?“ DA: „Damit verbinde ich den Schweiß, den ich vergossen habe, um dieses Bild zu machen, damit verbinde ich die Freude, morgens um 3 Uhr, wenn diese Bilder auf dem Schirm erschienen. Das ist wie eine Droge, da erinnere ich mich immer noch gerne dran. Diese Domänen, diese nichtperiodischen Defekte zu sehen, das war mein erklärtes Ziel, und in dieser Nacht lag das alles offen. Das war der Einstieg in die hochauflösenden Geschichten, wo die Natur sich offenbart hat – das klingt jetzt vielleicht ein wenig theatralisch, aber wenn man sieht, was an Mühen nötig war, diese Experimente zu fahren, dann geht das auch damit einher.“ (Anselmetti 06/05)
Die Mühen und experimentellen Anforderungen waren von der Problematik geprägt, dass aufgrund der hohen Reaktivität der Proben an Luft die STM-Experimente in einer hochreinen Inertgas-Atmosphäre durchgeführt werden mussten (Anselmetti 1990, 22). Zu diesem Zweck gab es in Basel eine Argonkammer, die tagsüber von anderen Wissenschaftlern genutzt wurde und Anselmetti erst am Abend zur Verfügung stand. Erst dann konnte er die große, menschenleere Halle betreten und seine Experimente vorbereiten, um sie zwischen 20:00 und 3:00 Uhr nachts durchzuführen. Die Bedienung des Instruments in der Argonkammer geschah von Hand ohne automatische Annäherungsmechanik und bedurfte daher „unglaublicher Verrenkungen“ (Anselmetti 06/05). Der Erfolg dieser Anstrengungen offenbarte sich ihm im Bild, das nicht leicht zu erhalten gewesen war. Der Aufwand und die Entbehrungen führten zu einer Wertschätzung und einer Verbundenheit, die sich in der akribischen, ästhetisierenden Gestaltung mittels Bildsoftware und Kamera im Anschluss an die experimentelle Erzeugung der Daten ausdrückten. Seine Bilder zu den Einlagerungsverbindungen konnte Anselmetti als atomare Auflösung interpretieren, da sich innerhalb der Periodizität eine Anomalie herausbildete, die nicht einem Moiré-Effekt geschuldet sein konnte. Damit konnte Anselmetti seinen Erfolg, Grafit mit atomarer Auflösung untersucht zu haben, in einem einzelnen Bild
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Abb. III.3.6: Negativstreifen der Fotografien des Bildschirms zu den Grafiteinlagerungsverbindungen (Privatbesitz Dario Anselmetti).
vermitteln. Er hatte die Anomalie zum einen durch ihre Inszenierung zum Selbstzweck erhoben, zum anderen konnte er sie innerhalb der Diskussionen um die atomare Auflösung von Grafit als Argument nutzbar machen. Auf einer weiteren Auswertungsebene verglich er unterschiedliche Einlagerungsverbindungen und stellte für kleine Alkalimetalle wie Lithium und Kalium die Ausbildung einer stabilen hexagonalen Überstruktur fest (Anselmetti 1990, 23ff.), während sich eine solche Hexagonalstruktur bei größeren Alkalimetallen wie Rubidium und Cäsium nach etwa 30 Minuten in 1-D-Strukturen verwandelte. Während dieses Übergangs ging die Korrugationshöhe in den STM-Bildern von 2,5 auf 0,5 Å zurück, wofür Anselmetti verschiedene Interpretationsansätze vorschlug (Anselmetti 1990, 33ff.). Rückblickend urteilte Anselmetti über diese Experimente: „Man hat wenige Fragen beantwortet, aber man hat neue Fragen erzeugt.“ (Anselmetti 06/05) Diese Hervorhebung des Aufwerfens von Fragen als Motor experimenteller Wissenserzeugung deckt sich mit Beschreibungen aus der Wissenschaftstheorie (vgl. Rheinberger 2001a), doch kam es neben dieser Öffnung für Neues und Unerwartetes gleichzeitig zu einer Verfestigung des Tunnelmikroskops als Instrument zur Untersuchung lokaler Strukturen.51 Dieser Vorgang stellt sich als Zusammenspiel von Erkenntnisinteresse, technischer Realisierung und ästhetischer Handlung dar, in dessen Verlauf Anselmetti entgegen der gängigen Praxis in der Oberflächenphysik eine Abweichung – und nicht das Regelmäßige – hervorhob. Für Anselmetti offenbarte sich in diesen „nichtperiodischen Defekten“ die „Natur“ – eine Natur, die „Schönheitsflecke“ aufweist. Er selber weiß um den künstlichen Charakter des Experimentierens, das auf die Probenpräparation und die Notwendigkeit einer Argonatmosphäre angewiesen ist, und gleichzeitig äußert sich für ihn in der Abweichung von der Regelmäßigkeit 51 | Anselmetti selbst hebt in seinem Fazit des entsprechenden Dissertationskapitels diesen Aspekt der Rastersondenmikroskopie hervor (Anselmetti 1990, 37f.).
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die Natur.52 Durch seine Zielsetzung, lokale Anomalien zu untersuchen, seine entbehrungsreichen experimentellen Realisierungen sowie seine Positionierung und damit gleichzeitig auch Inszenierung des Schönheitsflecks konnte Anselmetti der Schönheit der Natur zu ihrer Entfaltung verhelfen, wie es andere, mittelnde Verfahren der Oberflächenphysik nicht vermochten: Historisch weit zurückreichende Ideale der Naturschönheit flossen in die rastertunnelmikroskopische Bildpraxis ein.53
Schrauben als Schlüssel zur Supraleitung Das ästhetische Moment in Anselmettis Bildpraxis war keinesfalls durch die Kommunikation mit einer außerwissenschaftlichen Öffentlichkeit geprägt, sondern Teil einer alltäglichen, wissenschaftsinternen Labor- und Publikationstätigkeit. So publizierte Anselmetti gemeinsam mit seinen Basler Kollegen die Ergebnisse der Lithium- und KaliumEinlagerungsverbindungen in einem Fachjournal (Anselmetti et al. 1988), das im vorhergehenden Abschnitt detailliert beschriebene Bild der Cäsium-Einlagerungsverbindung druckte er zunächst in seiner Dissertation ab (Anselmetti 1990, 31), später auch in einem Handbuch zur Rastertunnelmikroskopie (Wiesendanger, Anselmetti 1992, 152). In seinen weiteren Forschungen gelangte Anselmetti dann aber durch die Entdeckung von lokalen Unregelmäßigkeiten auf supraleitenden 52 | Ein solches „intuitives, technologisches Naturverständnis“ hat der Wissenschaftsphilosoph Gregor Schiemann auch in nanotechnologischen Publikationen wiedergefunden (Schiemann 2006, 120). Er selbst beschreibt das Verhältnis von Natur und Nanotechnologie als uneindeutig, hält die unterschiedlichen Beziehungen aber doch für charakterisierbar. Hans-Jörg Rheinberger hat darauf hingewiesen, dass Natur im Experiment nicht die Referenz, sondern beispielsweise durch Verunreinigungen eine Gefahr darstellt, die es auszuschließen gilt (Rheinberger 1997, 274). Eine andere historische Linie, in die sich diese Naturauffassung bei aller technischen Bedingtheit einordnen lässt, ist Henry Talbots Auffassung der Fotografie als „pencil of nature“, die sich auch in der Fotografiegeschichte bis in die jüngste Zeit in einer Oszillation zwischen „Naturhervorbringung“ und „technischer Konstruktion“ äußert, anstatt dieses Gegensatzpaar in historischer Perspektive zu reflektieren; siehe zu dieser Kritik auch Geimer 2002. 53 | Die Wissenschaftssoziologen Michael Lynch und Samuel Edgerton sind Mitte der 1980er Jahre bei der Beobachtung digitaler Bildbearbeitung in der Astronomie zu einem ähnlichen Ergebnis gekommen und haben die beobachtete Praxis in die Tradition der Naturperfektionierung eingeordnet (Lynch, Edgerton 1988).
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Filmen zu einem Befund, mit dem das Potenzial des Tunnelmikroskops, lokale „Störstellen“ zu identifizieren, bis in Tageszeitungen Verbreitung fand. Während er bereits in Basel 1988 seine Dissertation mit dem Ziel begonnen hatte, die Felder der zwei Physiknobelpreise für die Tunnelmikroskopie (1986) und die Hochtemperatursupraleitung (1987) zu verknüpfen, so hatte er nach Fertigstellung seiner Dissertation 1990 die Möglichkeit, im IBM-Labor Rüschlikon mit zweien dieser Nobelpreisträger zusammenzuarbeiten.54 Er wurde Mitarbeiter in der STMArbeitsgruppe von Heinrich Rohrer, in die auch Christoph Gerber nach seinen gemeinsamen Tätigkeiten mit Binnig in Stanford und München zurückgekehrt war. Neben dieser institutionellen Einbindung entstand ein für den Laboralltag typischer informeller Kontakt zu Georg Bednorz, einem der Nobelpreisträger für die Untersuchung der Hochtemperatursupraleitung. Hauptsächlich in den Frühstücks-, Mittags- oder Kaffeepausen wurden am Kaffeautomaten gemeinsame Experimente geplant, da Georg Bednorz „immer am Kaffeeautomaten rumhing“ (Anselmetti 06/05). Die so entstehende Kooperation zwischen der STM- und der Supraleiter-Gruppe führte zur tunnelmikroskopischen Untersuchung dünner, supraleitender YBa2Cu3O7-Filme bei Raumtemperatur, die weite Aufmerksamkeit erfuhr. Zum Zeitpunkt dieser tunnelmikroskopischen Experimente herrschte Einigkeit, dass Anomalien in den Filmen für die Aufrechterhaltung der Supraleitung verantwortlich sein müssten. Solche Gitterfehler sollten als sogenannte Pinning-Zentren dienen, so dass sich die Flusslinien nicht mehr im Gitter bewegen könnten (Gerber et al. 1991, 279). Da ohne Gitterfehler die Flusslinien „wandern“ würden und der Strom unterhalb der gemessenen Werte begrenzt wäre, ließen sich die beobachteten hohen kritischen Stromdichten der Supraleiter nur durch die Postulierung solcher bis dahin nicht näher bestimmbarer, lokaler Pinning-Zentren erklären. Die Art dieser Unhomogenitäten war unbekannt und motivierte die Experimente mit dem STM (Anselmetti 06/05). Die Filme wurden gemäß den Erfahrungen aus den Forschungen zur Supraleitung ohne weitere Anpassungen für die STM-Experimente präpariert. Es bestanden spezielle Anforderungen an das Tunnelmikroskop, da die Messungen mit sehr kleinen Strömen im pA-Bereich 54 | Auch während seiner Dissertation hat Anselmetti schon Supraleiter untersucht (Anselmetti et al. 1988b), aber mit diesen Experimenten keine Erfolge und Aufmerksamkeiten erzeugen können wie mit den im Folgenden beschriebenen Experimenten.
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durchgeführt werden mussten. In Rüschlikon existierte ein solches Instrument mit entsprechender Elektronik aus den Untersuchungen von Proteinen, das nun auf die Messungen an Supraleitern übertragen werden konnte (Anselmetti 06/05). Das in den Publikationen zu diesen Experimenten zentrale Bild, das sowohl in türkisen Farbtönen (Abb. III.3.7) als auch in Graustufendarstellung veröffentlicht wurde, zeigt unregelmäßig ausgefranste, schraubenförmige Strukturen, die nach unten hin immer dunkler werden. Die enorme Tiefendynamik, die durch die Ausschöpfung der Farbbereiche erzielt wird und an Bilder von Unterwasser- oder Eislandschaften erinnert, lässt die Größenverhältnisse nicht erahnen: Bei einem lateralen xy-Scanbereich von 700 x 700 nm sind einzelne Schichten lediglich 1,2 nm dick, so dass der gesamte Messbereich in z-Richtung lediglich 15 nm beträgt. Das Bild selbst enthielt keine Skalierung der Farbcodierung, vielmehr wurde die Quantifizierung in den Text verlagert. Die Farbwahl ließ keinesfalls die Größenverhältnisse erkennen, sondern erzeugte eine maximale Tiefendynamik, die die Ausbildung schraubenförmiger Formen hervorhob. Dieses Ergebnis war einerseits überraschend, da elektronenmikroskopische Untersuchungen dieser Filme auf glatte Oberflächen hingedeutet hatten, und gleichzeitig war es doch anschlussfähig, da aus der Kristallforschung die Ausprägung von Schraubenpyramiden bekannt war (Schlom et al. 1991, 2007). Die Rüschlikoner Rastertunnelmikroskopiker und Supraleitungsforscher interpretierten die Bilder dahingehend, dass die Filme nicht schichtweise, sondern von Gitterdefekten ausgehend in Schraubenversetzungen wachsen würden (Gerber et al. 1991, 279). In weiteren Auswertungen untersuchte die Experimentatorengruppe aus Tunnelmikroskopikern und Supraleitungsforschern die Dichte der Schraubenversetzungen in Abhängigkeit von Parametern wie z.B. der Dicke der Filme. Entsprechend den Konventionen der Festkörperphysik, die bis dahin nicht von lokalen, sondern statistischen Methoden geprägt war, rechneten sie die tunnelmikroskopisch lokal beobachteten Schrauben auf die Fläche eines Quadratzentimeters hoch (Gerber et al. 1991, 279). Die so ermittelten 109 cm-2 Schraubenversetzungen konnten die beobachteten Stromdichten in Supraleitern nur bedingt erklären: Während sie mit den Werten bei niedrigen Magnetfeldern in Einklang standen (Gerber et al. 1991, 279), konnten sie die Messergebnisse in hohen Magnetfeldern nicht erklären (Gerber et al. 1991, 280). Die Rezeption der Experimente war entscheidet durch die Publikation ähnlicher Ergebnisse von einer Gruppe um Marilyn Hawley aus Los Alamos geprägt, die am 29.3.1991 – und damit nur einen Tag
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Abb. III.3.7: Tunnelmikroskopisches Bild, das eine schraubenförmige Struktur auf einem Hochtemperatursupraleiter zeigt (Privatbesitz Dario Anselmetti).
nach der Nature-Veröffentlichung der IBM-Gruppe aus Rüschlikon – in Science publiziert worden waren (Hawley 1991).55 Die Ergebnisse über den tunnelmikroskopischen Nachweis der Ausbildung schraubenförmiger Gebilde stabilisierten sich wechselseitig und erlangten Aufmerksamkeit in der Downstream-Kommunikation, beispielsweise in Form von Nachrichten in Publikationsorganen wissenschaftlicher Gesellschaften wie den Physikalischen Blättern (anonym 1991) und dem populärwissenschaftlichen Spektrum der Wissenschaft (G.T. 1991) bis hin zu Artikeln in Tageszeitungen – von der New York Times (28.3.1991) bis zu den Schaff hauser Nachrichten (23.4.1991). Im Gegensatz etwa zur Nachricht über die Nobelpreisverleihung an Binnig 55 | Schon in der Nature-Ausgabe, in der Anselmetti und Kollegen publiziert hatten, veröffentlichte die Nature-Physikredakteurin Laura Garwin einen vergleichenden Artikel der Beobachtungen aus Rüschlikon und Los Alamos, in dem sie die beiden Arbeiten als gleichzeitig und unabhängig voneinander durchgeführte Forschungen, die sich gegenseitig bestätigen, darstellte (Garwin 1991, 277); die spätere Berichterstattung übernahm diese Sichtweise.
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und Rohrer druckte auch die Tagespresse rastertunnelmikroskopische Bilder der Schraubenformen ab – gerade im deutschsprachigen Raum häufig das von Dario Anselmetti und seinen Kollegen.56 Dabei wurde der vorsichtig formulierte Tenor der ursprünglichen Publikationen beibehalten, dass die Spiralen für die Supraleitfähigkeit verantwortlich sein könnten. Obwohl die Interpretation noch spekulativ war, stellten das Bild und die gezeigten Strukturen bereits ein Ergebnis dar, dessen Reproduzierbarkeit nicht angezweifelt wurde, das publikationswürdig und medienwirksam war. Das Tunnelmikroskop erfuhr damit eine weite Wahrnehmung als ein Instrument, dass produktive Unregelmäßigkeiten auf supraleitenden Filmen offenbarte. Gleichzeitig warfen die Bilder im innerwissenschaftlichen Kreis neue Fragen nach ihrer Interpretation auf, gerade weil sie ein unangezweifeltes, an zwei Orten nahezu zeitgleich reproduziertes Ergebnis darstellten und somit die prinzipielle Ausbildung schraubenförmiger Gebilde nicht zur Diskussion stand. Die Fragen betrafen beispielsweise die physikalische Deutung der lokalen Fehlstellen, die sich als kleine schwarze Punkte in Anselmettis Bild zeigten. Ihre erste Erwähnung hatten diese Punkte in einem Beitrag der Physikredakteurin von Nature, Laura Garwin, gefunden, die einen Vergleich zwischen den Ergebnissen aus Rüschlikon und Los Alamos vorgenommen hatte. Dort wurden die Punkte als 2 nm tiefe Löcher interpretiert (Garwin 1991, 277). In Folgeartikeln widmete sich die Rüschlikoner Gruppe wiederholt der Interpretation dieser Stellen und argumentierte, dass diese Stellen keine Folge der Messung durch einen unbeabsichtigten Kontakt zwischen Spitze und Probe während des Abscannens seien (Schlom et al. 1992, 169); dabei blieb jedoch ungeklärt, ob diese kleinen Fehlstellen als Löcher (also als strukturelle Effekte) oder als isolierende Orte (also als elektronische Effekte) interpretiert werden müssten (Schlom et al. 1992, 169; Mannhart et al. 1992, 127). Innerhalb dieser Folgepublikationen zeigten die Autoren Bilder, die auf der ursprünglichen Messung beruhten und sich durch die Wahl der Ausschnitte und der perspektivischen Ansichten unterschieden (Abb. III.3.8 a, b). Diese neuen Darstellungen – Beispiele digitaler Bildgestaltung auf der Basis eines einzelnen Datensatzes – dienten nicht neuen Einblicken oder Interpretationsmöglichkeiten, sondern der Lenkung der Aufmerksamkeit auf diese Fehlstellen. In späteren Forschungen wurde durch den Einsatz komplementärer Methoden wie der Rasterkraftmikroskopie den Löchern eine 56 | Vgl. Pressespiegel des IBM-Labors Rüschlikon zu diesem Thema.
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Abb. III.3.8 a,b: Weitere Ansichten der Messungen der schraubenförmigen Strukturen (vgl. Abb. III.3.7) mit Lenkung der Aufmerksamkeit auf punktförmige Inhomogenitäten (a: Schlom et al. 1992, 171; b: Mannhart et al. 1992, 126).
zentrale Rolle zur Erklärung der hohen Stromdichten in der Supraleitung zugeschrieben, da sie als Pinning-Zentren fungierten (Dam et al. 1999). Die ursprünglichen Interpretationen der Rüschlikoner Gruppe, dass die Schrauben als Pinning-Zentren dienten, wurden damit abgelöst. Doch die Bilder blieben Bestandteil der Zuwendung zu lokalen Abweichungen, die nicht allein dem technischen Potenzial des Tunnelmikroskops geschuldet war. Wie auch in den Bildern der Grafit-Einlagerungsverbindungen wurden die Inhomogenitäten in den Bildern inszeniert, war es ein Ergebnis der Experimente, die Aufmerksamkeiten mit den Mitteln der Bildgestaltung auf Inhomogenitäten zu lenken.
Einsatz des Tunnelmikroskops zur Manipulation der Proben Ebenso wie die Spitze des Tunnelmikroskops als lokale Messsonde Inhomogenitäten auf Oberflächen aufzulösen vermochte, konnte sie auch zur lokalen Modifikation der Probe eingesetzt werden. Grundsätzlich waren die Probenpräparation und der Betrieb des Instruments von dem Bemühen geprägt, dass die Spitze die Probe nicht veränderte. Gleichzeitig wurde schnell nach der Etablierung in einer gegenläufigen Entwicklung das Potenzial des Tunnelmikroskops zur gezielten Manipulation der Probe verfolgt, wobei es häufig eine Frage der Auffassung und der nachträglichen Zuschreibung war, ob ein Eingriff als ungewollte Beschädigung oder gezielte Manipulation gewertet wurde.
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Erste tunnelmikroskopische Manipulationen in Basel Die Annäherung von Spitze und Probe auf einen Abstand von wenigen Ångström gehörte zu den großen Herausforderungen des anfänglichen Gerätebaus, so dass immer wieder die Spitze in die Probe gerammt wurde. Auch Markus Ringger, der in Basel einen alternativen Annäherungsmechanismus zu Gerd Binnigs „Laus“ entwickelte, hatte mit diesem Problem zu kämpfen. 1984, als noch kaum eine Gruppe außerhalb Rüschlikons ein Tunnelmikroskop gebaut hatte, publizierte er die Veränderung einer Palladium-Oberfläche durch den Kontakt mit der Spitze (Ringger et al. 1984). Die Uneindeutigkeit der Grenze zwischen Ereignis oder Unfall findet auch in Ringgers Rückschau ihre Fortsetzung: „Dann bin ich mal mehr per Zufall – nein, ich glaube mit Absicht – ich weiß auch nicht mehr – mit der Spitze in das Palladium reingefahren und habe dann darüber gescannt und dann hatte man einen Eindruck der Spitze gesehen.“ (Ringger 04/05)
Die Trennlinie zwischen Absicht oder Zufall erodierte in einer Experimentierpraxis, in der Unvorhergesehenes und Unbeabsichtigtes zu neuen Ereignissen führte. Da eine Wechselwirkung zwischen Spitze und Probe aber zur Zeit der Experimente als zu vermeiden galt, mischte sich für Ringger ein Unbehagen in seine Neuinterpretation: „Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich habe mich da fast noch ein bisschen geschämt, weil ich fragte, was das soll, einfach eine Oberfläche zu beschädigen und das dann zu verkaufen.“ (Ringger 04/05). Auch in Ringgers weiteren Experimenten sollte ein Störfall zur zunächst nicht intendierten Manipulation von Oberflächen führen. Zur Deutung seiner tunnelmikroskopischen Untersuchung von amorphem Palladium-Silizium (Pd81Si19) untersuchte Robert Schlögl in Cambridge die Probe mit Hilfe eines Elektronenmikroskops und entdeckte Spuren im Abstand der rastertunnelmikroskopischen Scanlinien (Abb. III.3.9). Um den Ursprung der Linien zu verifizieren, rasterte Ringger in Folgeexperimenten die Probe mit dem STM kreuzweise ab und wiederum zeigten sich entsprechende Muster im elektronenmikroskopischen Bild (Abb. III.3.10). Ringger und Kollegen argumentierten, dass diese Muster nicht durch mechanischen Kontakt, sondern chemischen Einfluss hervorgerufen seien, und publizierten die Bilder als „Nanometer Lithografie“ (Ringger et al. 1985). In dieser Publikation nannten sie nicht die Ergebnisse weiterer Folgeuntersuchungen, in denen sie eine defekte Öldiffusionspumpe zur
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Abb. III.3.9: Ein elektronenmikroskopisches Bild zeigt unerwartete Spuren einer vorhergegangenen STMUntersuchung (Ringger et al. 1985, 833).
Abb. III.3.10: Absichtlich mit dem Tunnelmikroskop erzeugte Spuren im elektronenmikroskopischen Bild (Ringger et al. 1985, 834).
Erzeugung des Vakuums als Grund für die Ablagerung eines Films aus Kohlenwasserstoffen und Kohlensauerstoff auf der Probe ausfindig machten. Die Spuren in den elektronenmikroskopischen Experimenten deuteten sie als Folge der Kondensation von Kohlenstoff während der tunnelmikroskopischen Experimente (Ringger 1986, 81). Mit der Veröffentlichung konnte die Basler Gruppe Aufmerksamkeit auf ihre Tätigkeiten lenken (Ringger 04/05), vor allem ermöglichten sie die Sichtweise, das STM als Instrument zur Lithografie aufzufassen. Spätere Artikel zum Einsatz des Tunnelmikroskops als Methode zur Oberflächenmodifikation bezogen sich auf die Publikation Ringgers als früheste Experimente in diesem Bereich und machten damit – sicherlich unwissentlich – eine defekte Vakuumpumpe, die Öl auf die Probe gespritzt hatte, zum Ausgangspunkt dieses viel beachteten Anwendungsfeldes der Tunnelmikroskopie.
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Verschieben atomarer Strukturen In der Folgezeit bildete sich keinesfalls eine zielgerichtete Forschungsrichtung zur Oberflächenmodifikation aus, vielmehr kam es immer wieder von Neuem vor, dass die Beobachtung einer zunächst unbeabsichtigten Oberflächenveränderung systematisch weiter verfolgt wurde. An den Bell Laboratories gehörten Becker, Golovchenko und Swartzentruber zur ersten Generation von Tunnelmikroskopikern nach Binnig und Rohrer, die ähnlich wie die Gruppe um Demuth, Hamers und Tromp am rivalisierenden IBM-Labor in Yorktown Heights spektroskopische Si(111)-7x7-Untersuchungen durchgeführt hatten (vgl. Becker et al. 1985, Golovchenko 1986). Sie wandten ihr in den Silizium-Untersuchungen erworbenes Know-how der spannungsabhängigen Tunnelmikroskopie auf ihren neuen Untersuchungsgegenstand, die Germanium(111)-Rekonstruktion, an. Bei der Veränderung der Spannung bemerkten sie mitunter auftretende Transformationen der Probe unterhalb der Spitze (Becker et al. 1987, 420) und verfolgten diesen Befund in ihren weiteren Experimenten. Dazu variierten sie Parameter wie Strom und Spannung und führten Vergleichsmessungen an Silizium durch. Obwohl sie den physikalischen Mechanismus der Modifikation nicht klären konnten, gelang es ihnen, experimentelle Routinen zu entwickeln, durch die sie die Reproduzierbarkeit der Oberflächenmodifikation erheblich steigern konnten (Becker et al. 1987, 420f.). Sie publizierten ein exemplarisches Bilderpaar, das eine Germanium-Oberfläche vor und nach einer Oberflächenmodifikation zeigte (Abb. III.3.11). Beide Bilder weisen die äußere Form eines Parallelogramms auf, so dass für erfahrene Tunnelmikroskopiker die Korrektur des thermalen Drifts zum Ausdruck kommt. Im linken Bild finden sich helle Flecken unterschiedlicher Intensität, so eine Reihe von Flecken, die durch ein weißes Kästchen markiert als Einheitszelle der Germanium(111)-2x8-Rekonstruktion ausgewiesen wurden, und drei ineinander übergehende Flecken in der oberen linken Ecke, die als Referenz für den Bildvergleich dienten. Im rechten Bild ist die Fehlstelle aus der oberen linken Ecke nach unten gewandert, was die Autoren mit thermischem Drift zwischen den beiden Messungen erklärten (Becker et al. 1987, 420). Dass durch die Parallelogrammform der Drift während der Einzelmessungen erkennbar war, erhöhte die Plausibilität dieser Argumentation. In Relation zu dieser Fehlstelle war im rechten Bild ein ausgeprägter Fleck zu sehen, der im linken Bild keine Entsprechung fand. Ein Pfeil markierte diese Stelle, die Beschriftung mit dem Wort „Bit“ griff eine Rhetorik der Informations-
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Abb. III.3.11: Bildvergleich vor und nach der Manipulation einer Germanium-Oberfläche mit der Mikroskopspitze (Becker, Golovchenko, Schwartzentruber 1987, 420).
speicherung auf. Die Veränderungen in der Ausprägung der Flecken in der links markierten Einheitszelle thematisierten die Autoren nicht, obwohl diese Veränderungen ähnlich augenfällig wirken. Der Bildvergleich war auf die Steuerung der Aufmerksamkeit durch den Pfeil angewiesen, die indizierte Stelle bezeichneten die Autoren als „main feature“ (Becker et al. 1987, 420). Während die Rhetorik des Haupttextes von der Angabe experimenteller Details dominiert war, endete der Artikel mit einer grundsätzlichen Einordnung der Experimente: „[...] we hope to have shown that man can manipulate a few chosen atoms for his own purposes.“ (Becker et al. 1987, 421) Damit hievten die Autoren ihr tunnelmikroskopisches Experiment auf eine neue Ebene der grundsätzlichen Kontrolle und Nutzbarmachung atomarer Strukturen durch den Menschen, der dadurch neuen Handlungsspielraum erhielt. Die hier angedeutete Rhetorik sollte – wie in Kapitel IV.2 argumentiert wird – für Folgeexperimente und die Herausbildung der Nanotechnologie paradigmatisch werden, sie erhielt ihre volle bildliche Entfaltung aber erst in späteren Experimenten. In der Folgezeit mehrten sich die Publikationen zu Manipulationen mit Hilfe des Tunnelmikroskops, wobei die Gruppe um Cal Quate in Stanford eine neue visuelle Marke zu setzen vermochte. Bereits in der Frühzeit der Tunnelmikroskopie hatte die Gruppe in Stanford Zugriff auf digitale Computergrafik und bereits vor der Realisierung hoch aufgelöster Bilder hatte sie mit Hilfe von Bildbearbeitungen Aufmerksamkeit erzielen können.57 Aus einer solchen Bildpraxis heraus, die auf die Generierung von Aufmerksamkeit ausgerichtet war, präsentierte die Gruppe um Quate 1989 einen Schriftzug „Stanford University April 1989“, den sie durch 496 einzelne Löcher mit einem Tunnelmikroskop in Grafit erzeugt hatte (Abb. III.3.12). Die einzelnen Buch57 | Ich danke Cyrus Mody für diesen mündlichen Hinweis.
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Abb. III.3.12: Erstes publiziertes Bild eines tunnelmikroskopisch erzeugten Schriftzugs (Albrecht et al. 1989, 1728).
staben waren etwa 300 Å hoch, einzelne Löcher hatten einen Durchmesser von minimal 20 Å; die Reproduzierbarkeit gaben die Autoren mit 496 Löchern bei nur 498 Versuchen an (Albrecht et al. 1989, 1728). Sie schlossen auf einen chemischen Ursprung der Löcher, da sie diese nur in atmosphärischer Umgebung, nicht aber in einem Vakuum mit einem Druck unter 10 Torr erzeugen konnten. Mechanische Ursprünge wären zudem auszuschließen, da die Spitze zum Zeitpunkt des Spannungsimpulses zur Erzeugung der Löcher angehoben worden sei, außerdem hätten andere Experimente die Elastizität von Grafit gegenüber der Spitze des Tunnelmikroskops gezeigt (Albrecht et al. 1989, 1729). Die Evidenz, in atomarer Dimension manipuliert zu haben, erzeugte die Gruppe aus Stanford im Gegensatz zu den Forschern der Bell Laboratories nicht durch einen Bildvergleich, sondern durch das Motiv der Schrift in einem einzelnen Bild. Die informationstechnologische Rhetorik des „Bit“ aus den Bell Laboratories ersetzte sie durch die althergebrachte Kulturtechnik des Schreibens und begaben sich damit in eine lange Tradition, die Kontrollierbarkeit von Natur durch Technik bzw. im Experiment zu demonstrieren: Schreibautomaten des 18. Jahrhunderts und Schrift als Motiv in Georg Lichtenbergs Elektrophor-Figuren sind zwei prominente Beispiele.58 Die Mikroskopie besaß in ihrer Gründungszeit das Selbstverständnis, im Buch der Natur – neben der Bibel das zweite Buch Gottes – in einem metaphorischen Sinn lesen zu können (Ditzen 2007, 58). Auch das Schreiben des Vaterunser durch den Mikroskopiker William Webb im 19. Jahrhundert59 oder das Gedankenexperiment Richard Feynmans in seiner nachträglich 58 | Ich danke Peter Heering für den Hinweis auf diese Tradition. 59 | W. Webb (1872-1874), zitiert nach: Ditzen 2007.
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vielbeachteten Rede „There is plenty of room at the bottom“,60 in der er den geringen Platzbedarf der Enzyklopaedia Britannica im Fall verkleinerter Schrift zu verdeutlichen suchte (Feynman 1960a, b) gruppierten sich um die Miniaturisierung von Schrift (Ditzen 2006b). Alfred Nordmann hat die Erzeugung von Schrift im tunnelmikroskopischen Experiment als keineswegs streng wissenschaftliche Anstrengung, sondern als „geradezu archaischen Akt“ gedeutet (Nordmann 2006, 119), durch den eine Anwesenheit und Tätigkeit in der Nanowelt bezeugt werde (Nordmann 2006, 126). Auch durch deutlich reduziertere Zeichen als den aufwendigen Schriftzug „ Stanford University April 1989“ hätten die Experimentatoren in Stanford in einem einzelnen Bild den Erfolg ihrer Technik verdeutlichen können. Die Anfertigung des gesamten Schriftzugs mit der Anfertigung von 496 Löchern zeugte von einer Ausdauer und Freude am Gestalten, die über die Notwendigkeit zur Kommunikation eines Versuchsergebnisses weit hinaus ging.
Das atomare IBM-Logo als Emblem der Tunnelmikroskopie Einen Höhepunkt erlebte die Modifikation von Oberflächen mit Hilfe des STM durch die Experimente Don Eiglers im kalifornischen IBMLabor Almaden am 9. November 1989. Gemeinsam mit seinem damaligen deutschen Postdoc Erhard Schweizer publizierte er in Nature eine Bildfolge von sechs Bildern zu seinen Experimenten, in denen er einzelne Xenon-Atome auf einem Nickel-Untergrund mit der Spitze des Mikroskops hatte verschieben können (Abb. III.3.13). Scheinbar aus kleinen Kügelchen schuf er schrittweise aus einer ursprünglichen Unordnung die Buchstaben „I B M“. Im Vergleich zu dem zittrigen Verlauf des Schriftzugs aus Stanford, der der unkontrollierbaren Willkür der Maschinen geschuldet schien, wies die letztliche Anordnung der Atome im Schriftzug IBM eine perfekte Ordnung auf. Sie war der Tatsache geschuldet, dass die Xenon-Atome nur an bestimmten Positionen des Nickel-Kristalls positioniert werden konnten. Da der Untergrund im Bild nicht aufgelöst wurde, schien die Präzision der Anordnung der maximalen Kontrolle durch den Experimentator geschuldet. Diese zielgerichtet erscheinende Abfolge von Bildern war der End60 | Richard P. Feynman: There’s plenty of room at the bottom. Die Rede hat Feynman am 29.12.1959 am Caltech gehalten, abgedruckt wurde sie zunächst in Zeitschrift Engineering and Science am Caltech, kurze Zeit später in der populären Saturday Review (Feynman 1960a und b).
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Abb. III.3.13: Bildserie aus den Experimenten zur Erzeugung des Schriftzugs „IBM“ (Eigler, Schweizer 1990, 525).
punkt einer Entwicklung, die ebenso wie die lithografischen Experimente von Markus Ringger in Basel und die Germanium-Experimente von Becker in den Bell Laboratories ihren Ausgang in der ursprünglich überraschenden Beobachtung genommen hatten, dass die Spitze die untersuchte Oberfläche veränderte. Ursprünglich war es das Ziel des Tieftemparaturphysikers Don Eiglers gewesen, im IBM-Labor Almaden ein Tunnelmikroskop höchster Auflösung aufzubauen, mit dem er im Ultrahochvakuum und bei Temperaturen von 4 K Adsorbate untersuchen konnte. Konkrete Anwendungen hatte Eigler mit diesen grundlagenorientierten Experimenten nicht im Blick (Schweizer 10/03). Gemeinsam mit dem Postdoc Paul Weiss realisierte Eigler eine komplexe Apparatur (Abb. III.3.14), die eine Vielzahl von Instrumenten zur Präparation und Voruntersuchung der Probe umfasste. Die Experimentatoren konnten sich durch die vorgeschalteten LEEDUntersuchungen über die Homogenität der Probe und durch AugerUntersuchungen über ihre Reinheit vergewissern, so dass ihnen bei der Auswertung der rastertunnelmikroskopischen Bilder ein präzises Vorwissen über den Zustand der Probe zur Verfügung stand, an dem
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Abb. III.3.14: Skizze der Apparatur, mit der Eigler die Proben präpariert, oberflächenphysikalisch untersucht und tunnelmikroskopisch manipuliert bzw. vermessen hat (Privatbesitz Erhard Schweizer).
sie die STM-Bilder abgleichen konnten. Hans-Jörg Rheinberger hat den Hinweis gegeben, dass in der Mikroskopie zwischen der Probenpräparation und dem Bild im Mikroskop eine Phase der Ungewissheit über das Ergebnis der Präparation liegt (Rheinberger 2003, 13), die im Fall dieses Tunnelmikroskops durch die Untersuchung mit zwischengeschalteten Instrumenten in kleinere Intervalle unterteilt wurde. Die Tunnelmikroskopie etablierte sich nicht nur komplementär zu anderen Verfahren der Oberflächenphysik, sondern integrierte diese anderen Verfahren in ihren Apparaturen und Experimentierpraktiken. Das Tunnelmikroskop selbst befand sich im unteren, auf 4 K abkühlbaren Teil der Apparatur, gemeinsam mit einem Vorverstärker, der ebenso wie die Piezomotoren auf einen Betrieb bei diesen tiefen Temperaturen ausgerichtet war. Die große Empfindlichkeit und Präzision eines solchen Instruments, bei dem bereits, wenn „ein Draht ein bisschen wackelte, [...] mehr Rauschen da [war] als Signal“ (Schweizer 10/03), führte unweigerlich zu einer hohen Störanfälligkeit, die in der Erinnerung Erhard Schweizers, der Weiss als Postdoc nachgefolgt war, lebhaft zum Ausdruck kommt: „Das Gerät war das damals absolut Beste gewesen. [...] Das Problem war nur – und das ist wirklich häufig gewesen –, dass man eine Probe gereinigt hatte, sie angeguckt hatte, runtertransportiert hatte. Dann hat es bei dem Temperaturgradienten einen ganzen Tag gebraucht, bis man damit arbeiten konnte – und dann ging es nicht, aus irgendeinem Grund. Wir haben geguckt – und: schwarzer Bildschirm. Dass es so richtig gut lief, wie es laufen konnte,
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passierte vielleicht an einem Tag in der Woche – wenn’s gut kam. Die Sache ist: Man sieht nur, es läuft nicht. Jetzt ist die Frage: Was läuft nicht? Ist der Kontakt schlecht? Man muss alles aufwärmen, das heißt, das Helium muss raus, das brauchte einen Tag. Dann konnte man das Gerät angucken und dann stellte man zum Beispiel fest: Bei Raumtemperatur läuft es hervorragend, und man hatte keine Idee, warum es zuvor nicht lief. [...] Und bis es wieder läuft und man wieder eine saubere Probe runter gebracht hat, vergeht eine Woche. Eine Woche Turnover-Zeit. Auch wenn nichts kaputt war – man muss einfach irgendwo ein wenig drehen und dann läuft es wieder. Da vergeht eine Woche und man hat noch nichts gemacht. Und das passiert häufiger: Man bringt die Probe runter und es läuft nicht! Läuft nicht! Was ist los? Beim Abkühlen kann es ein Problem geben, na, Sie wissen es ja selbst. Und wenn es lief, hat es so phantastisch tolle Sachen geliefert – unglaublich! Es war so stabil gewesen, rund 100x mal stabiler als jedes andere Gerät damals. Das war unglaublich, aber das Problem war, dass es die meiste Zeit nicht lief.“ (Schweizer 10/03)
Ebenso wie Dario Anselmetti, der sein Empfinden für die Schönheit der Bilder mit den Mühen nächtlichen Arbeitens in Relation gesetzt hat, aber auch wie Ruud Tromp, der trotz größter Erfolge das Feld der Tunnelmikroskopie aufgrund der Unzuverlässigkeit der Instrumente verließ, bedeutete für Eigler, Weiss und Schweizer die Arbeit mit dem Instrument eine zeitintensive Auseinandersetzung. Sie war Teil einer Bildpraxis, die in ihrer Akribie, den Schriftzug „IBM“ in einer ganztägigen Prozedur zu verfertigen, ihre Fortsetzung fand. Die von Schweizer beschriebenen Störungen konnten die Experimentatoren von anderen Abweichungen gegenüber ihren Erwartungen und Hoffnungen trennen: Statt der erwarteten dunkleren kreisförmigen Formen an den Stellen einzelner adsorbierter Atome zeigten sich immer wieder einzelne Streifen und Versetzungen (Abb. III.3.15). Eigler und Kollegen deuteten diese Formen als Verschiebung der Atome während des Scanprozesses. Diese Beobachtung war durch Eigler keineswegs intendiert oder erwartet worden, knüpfte aber an die Erfahrungen anderer Tunnelmikroskopiker an, die von einer Veränderung der Probe durch die Wechselwirkung mit der Spitze berichtet hatten. Eigler und seine Kollegen entschieden, ursprüngliche Ziele aufzugeben und der neuen Fährte nachzugehen. Sie entwickelten eine Systematik, die zunächst nicht auf eine theoretische Beschreibung bzw. Quantifizierung der Wechselwirkung zwischen Tunnelspitze und bewegten Atomen als Grundlage für weitere Experimente abzielte. Vielmehr bestand sie in explorativen Variationen experimenteller Parameter, indem Eigler und Kollegen nach Alternativen zum Platin-Kristall als Untergrund für das adsorbierte Xenon
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Abb. III.3.15: Tunnelmikroskopisches Bild als Ergebnis versehentlich verrückter Atome (Privatbesitz Erhard Schweizer).
suchten. Dabei konnten sie auf persönliche Erfahrungen aus Experimenten im IBM-Labor Almaden zurückgreifen: „Es herrschte eine sehr gute Atmosphäre. IBM war damals ein Paradies gewesen. Es war toll, auch wegen der zwei Nobelpreise [...] Kennen Sie zum Beispiel Joe Stöhr, der in der Oberflächenphysik gut war? Ich habe ihn nach einem Kristall mit bestimmten Eigenschaften gefragt und da hat er die Schublade aufgemacht und gesagt: Der Kristall hat die Eigenschaften, die ihr braucht. [...] Wenn er nicht kooperationsbereit gewesen wäre und man den Kristall erst hätte bestellen müssen, hätte das Wochen gebraucht. Und so sagte Joe einfach: Nimm doch den!“ (Schweizer 10/03)
Joachim „Joe“ Stöhr konnte ihnen mit Nickel einen auf atomarer Ebene ‚raueren‘ Kristall zur Verfügung stellen, so dass sich die adsorbierten Atome nicht so leicht und unbeabsichtigt verschieben ließen wie beim Platin.61 In den Folgeexperimenten gelang es Eigler, Einstellungen am Tunnelmikroskop zu finden, so dass die adsorbierten Xenon-Atome entweder mit der Spitze gezielt bewegt wurden oder aber die Spitze herkömmlich zum Abrastern der Oberfläche eingesetzt werden konnte, ohne Verschiebungen zu verursachen. 61 | Bei den hier erwähnten Kristallen handelt es sich jeweils um Nickel (110) und Platin (111).
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Im Modus des Verschiebens nutzte Eigler die akustische Umsetzung der Signale und wurde erfahren darin, zu hören, wann sich die Spitze über einem Atom befand, wann ein solches Atom durch die Spitze bewegt wurde und wann es abgesetzt war. Im Wechsel damit erzeugte er Bilder, in denen die veränderten Positionen der Atome sichtbar wurden. Dieser komplementäre Einsatz akustischer und optischer Umsetzungen prägte die Praxis mit ihren jeweiligen medialen Eigenarten: Während die akustische Umsetzung in einer zeitlichen Abfolge geschah und den zeitkritischen Aspekt des Scannens widerspiegelte, machte das Bild im Gegensatz dazu sämtliche während des Scanprozesses aufgenommenen Daten auf einen Blick erfassbar.62 Eigler und andere Wissenschaftler, die mit akustischen Umsetzungen während der Experimente arbeiteten, spielten mitunter die Klänge auf Tagungen vor, doch erfolgte die Interpretation der Daten und der Abgleich mit der Theorie anhand der visuellen Umsetzungen.63 Für ihre Publikation wählten Eigler und Schweizer eine Bildgestaltung (Abb. III.3.13), die sich von den Schwarz-Weiß-Darstellungen in Aufsicht, wie sie im Labor zur Verfügung standen (Abb. III.3.15), unterschied. Sie wählten – wie sie auch in der Bildunterschrift ver62 | Cyrus Mody hat nach einem Besuch von Eiglers Labor in Almaden berichtet, dass sich das Aneinanderfügen von Atomen in der akustischen Umsetzung anhöre wie das Zusammenfügen von Lego-Steinen, dass es also in der akustischen Umsetzung der Daten wie auch in ihrer visuellen Darstellung zu einer Anknüpfung an Alltagsgewohnheiten kam. 63 | Der Philosoph Jens Soentgen hat in einem bildskeptischen Aufsatz versucht, die akustische Umsetzung rasterkraftmikroskopischer Daten – die er auch als „acoustic images“ bezeichnet – den visuellen Umsetzungen als überlegen darzustellen. Die akustischen Repräsentationen seien „wesentlich präziser als das zweidimensionale Bild“ (Soentgen 2006, 101), die „Geräusche sind wesentlich näher dran am Geschehen als das Bild“, und so „entspricht die akustische Repräsentation viel eher den quantenmechanischen Grundeinsichten als die visuelle Repräsentation, die so tut, als seien Atome Dinge […]“. Die Bilder könnten bloß als „objektive Repräsentation wahrgenommen werden […]“ (Soentgen 2006, 109). Den Kontext der Bilderzeugung und -interpretation nimmt Soentgen nicht in den Blick und trägt Erwartungen an das Bild heran, die seinem Verwendungszusammenhang nicht entsprechen. Jede Repräsentation erzeugt einen Eigenwert, der im Rahmen einer Bildkritik zu entschlüsseln ist, da weder die Umsetzung in Töne noch in Zahlenkolonnen noch in Bilder „näher dran“ ist als eine andere Repräsentationsform. Zur Rekonstruktion des Kontextes der rastersondenmikroskopischen Bilder, auf die sich Soentgen bezieht, siehe Hennig 2008b. Zur vielschichtigen Rolle von Tönen im Labor – vom Radio bis zur akustischen Überprüfung der Funktionstätigkeit von Instrumenten – siehe Mody 2005b.
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merkten (Eigler, Schweizer 1990, 525) – eine Differenzialdarstellung, in der nicht den Höhenpositionen der Spitze beim Abrastern der Oberfläche Graustufen zugeordnet wurden, sondern der Bewegungsrichtung der Spitze während des Scannens: Das Anheben der Spitze wurde mit hellen Grautönen versehen, nahezu waagerechte Bewegungen mit mittleren Grautönen und das Absenken mit dunklen Grautönen.64 Eine unvermeidbare Schieflage der Kristalloberfläche im Mikroskop wurde bei dieser Umsetzung der Messwerte in ein Bild nicht offensichtlich. Gleichzeitig konnte an makroskopische Sehgewohnheiten angeknüpft werden, da der Anblick von links beleuchteter Kugeln einen Schatten nach rechts suggerierte, ohne dass dabei, wie in vielen anderen tunnelmikroskopischen Bildern, eine Lichtquelle simuliert worden wäre. Die Serie aus sechs Bildern fördert ein weiteres Charakteristikum tunnelmikroskopischer Bildpraxis zutage, da die atomare Struktur der Spitze im Laufe der Experimente Veränderungen unterworfen war (vgl. Kapitel II.2). Eigler produzierte seine Spitzen, indem er einen Draht mit einem Seitenschneider abriss (Schweizer 10/03). In den Bildern a und b zeigt sich jedes Xenon-Atom als einzelnes Maximum, was den Rückschluss erlaubt, dass ein einzelnes Atom an der Spitze am Tunnelprozess beteiligt war (Abb. III.3.13). In den Bildern c, d, e zeigte sich hingegen jedes Xenon-Atom als komplexe Struktur einer Haupt- und zweier Nebenmaxima, was sich durch eine Veränderung der atomaren Struktur erklären lässt. Erst im letzten Bild f ist wieder jedes adsorbierte Xenon-Atom durch eine einzelne Erhebung gekennzeichnet.65 Nur durch die Verwendung einer Spitze mit solch idealer atomarer Struktur erhielt dieses Bild seinen selbsterklärenden Charakter. Damit vermochte es an Darstellungstraditionen des Atoms anzuknüpfen. Die weitere Karriere der Bilder war durch zwei Tendenzen geprägt – ihre Interpretation durch Theoretiker sowie ihre massenmediale Verbreitung. Erst nach den erfolgreichen Experimenten publizierte Eigler 64 | Zur vorherigen Verwendung von Differenzialdarstellungen siehe Abraham, Williams, Wickramasinghe 1988, zur Erhöhung der Stabilität gegen Rauschen und Vibrationen durch diesen Modus siehe Stoll, Gimzewski 1991. 65 | E-Mail von Eigler an den Verfasser vom 6.12.2005: „The double dot aspect of some of the images was because the distribution of atoms at the end of the tip was not ideal. It was tolerably acceptable for the task at hand. I do not recall whether we purposefully changed the distribution of atoms at the end of the tip for the final picture, or whether as a result of the imaging and manipulation we inadvertently moved around some atoms on the end of the tip.“
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Abb. III.3.16: Vergleich experimentell und theoretisch ermittelter Werte zur tunnelmikroskopischen Untersuchung einzelner adsorbierter Xenon-Atome (Eigler et al. 1991, 1191).
gemeinsam mit seinen Postdocs Weiss und Schweizer sowie dem Theoretiker Lang einen Artikel zur Theorie tunnelmikroskopischer Messungen von adsorbiertem Xenon. Zu Beginn ihres Artikels stellten sie ein Spannungsverhältnis des experimentellen Befundes zur aktuellen Theorie fest, wonach Zustandsdichten nahe des Fermi-Niveaus die Orte gleichen Tunnelstroms zwischen Spitze und Probe bestimmen würden: „Now Xe, as with the other rare-gas atoms, when adsorbed on a metal surface makes virtually no contribution to the state density at the Fermi level. It was therefore somewhat surprising to find that Xe is readily visible in the STM.“ (Eigler et al. 1991, 1189). Die Verwendung von Xenon war also keineswegs theoretischen Vorüberlegungen entsprungen, sondern vielmehr Eiglers Affinität zu Experimenten mit Xenon, an die sich Schweizer erinnert: „Das ist eine Sache, von der ich nicht weiß, warum Don Xenon so mag. Don mag Xenon. Er hat mal bei seiner Doktorarbeit was auf Xenon gemessen; ein Hund von ihm hieß Xenon und er wollte einfach Xenon nehmen. Das war keine Frage gewesen.“ (Schweizer 10/03). Eine persönliche Vorliebe, Erfahrungen und Gewohnheiten hatten den Ausschlag für die Wahl von Xenon gegeben. Auch die Wahl von Nickel als Untergrund hatten sie in informellem Austausch mit Stöhr auf explorative Weise getroffen und Experimente durchgeführt, die erst später theoretisch eingeholt wurden. Der Theoretiker Lang argumentierte gemeinsam mit den Experimentatoren, dass auch Zustände weit entfernt vom Fermi-Niveau einen Beitrag in STM-Messungen liefern könnten, wenn das zugehörige Orbital weit in die Vakuumlücke hineinragen würde (Eigler et al. 1991, 1189). Sie schlossen, dass die alleinige Berücksichtung der Energiezustände nahe des Fermi-Niveaus nicht hinreichend sei (Eigler et al. 1991, 1190), konnten die experimentellen Ergebnisse aber gleichzeitig mit der Theorieentwicklung von Hamann und Tersoff versöhnen (Eigler et al. 1991, 1191).
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Abb. III.3.17: Version des atomaren Logos, das im Anschluss an die wissenschaftlichen Publikationen im Internet Verbreitung gefunden hat (URL: http://www. almaden.ibm.com/vis/stm/atomo.html; Stand: Mai 2008).
Darüber hinaus lagen mit diesen Messungen erstmals experimentelle Ergebnisse vor, die mit der Theorie Langs zu tunnelmikroskopischen Experimenten adsorbierter Einzelatome abgeglichen werden konnten. Dies geschah in Form eines visuellen Vergleichs zwischen zwei Grafen, die experimentell und theoretisch bestimmte Werte darstellten (Abb. III.3.16). Damit konnten die Experimente Eiglers in die damals arrivierteste Theorie zur Tunnelmikroskopie rückgebunden werden und gleichzeitig zu ihrer Validierung beitragen. In der Downstream-Kommunikation wurde das Bild aus diesem komplexen Experimentalsystem herausgelöst und das isolierte Bildobjekt fand Verbreitung bis in die Massenmedien. IBM publizierte das atomare Logo in ganzseitigen Zeitungsanzeigen. Der auf das Bild bezogene Text lautete: „Als es Wissenschaftlern der IBM zum ersten Mal gelang, einzelne Atome gezielt zu positionieren, setzten sie daraus unseren Firmennamen zusammen.“66 Die Darstellung der Atome in Kugelform wirkte für die Zeitungsleser „normal“ und widerspruchsfrei. 66 | Erhard Schweizer war im Besitz einer Anzeige aus der Wochenzeitung Die Zeit, die nicht datierbar war. Anfragen bei IBM und der Zeit haben keinen Aufschluss über die genaue Ausgabe, in der die Anzeige geschaltet war, gegeben.
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In einem anderen weit verbreiteten Bild des IBM-Logos griff die Bildgestaltung wieder auf den zentralperspektivischen Anblick eines freigestellten Körpers vor schwarzem Hintergrund zurück (Abb. III.3.17). Die hellblauen Maxima erheben sich kühl metallisch glänzend aus dem grauen Untergrund, so dass sich einzelne Xenon-Atome deutlicher abheben, als dies in der Differenzialdarstellung (Abb. III.3.13) der Fall war. Das Bild war nicht in eine wissenschaftliche Publikation eingebunden,67 vielmehr stand es zur Neukontextualisierung, beispielsweise im Internet, zur Verfügung. Auf der IBM-Homepage des Forschungslabors Almaden wird es bis heute innerhalb einer Bildergalerie („STM Image Galery“) als Kunstwerk geführt. Der Titel „The Beginning“ spielt auf den Aufstieg der Nanotechnologie und die zentrale Rolle, die Eiglers Experiment in diesem Kontext zugesprochen wird, an (vgl. Kapitel IV.2). Eigler wird als Künstler („artist“) bezeichnet und als Medium wird „Xenon on Nickel (110)“ genannt.68 Die Möglichkeit zu dieser Isolierung und Rekontextualisierung des Bildes und die Möglichkeit, in unveränderter Gestalt in verschiedenen Kommunikationszusammenhängen eingesetzt zu werden, fand ihren Ausgang in der Bildpraxis der Tunnelmikroskopie, die sich durch die Ergreifung des Realraums, die Schaffung von Bildobjekten und den Zugriff auf das Einzelne von vorhergehenden Verwendungen bildgebender Verfahren in der Oberflächenphysik abhob. Die Bildgestaltung und Formgebung ermöglichte den direkten Weg durch verschiedene Medien, da sich die Differenzialdarstellung (Abb. III.3.13) ebenso wie die Perspektivdarstellung des metallisch wirkenden Körpers (Abb. III.3.17) als gleichermaßen wissenschaftlich exakt wie auch anschlussfähig an eine Darstellungstradition des Atoms erwies. Im folgenden Kapitel wird diese Tradition näher bestimmt und darauf auf bauend die Rezeption des atomaren Logos als Ausdruck des Weltbildes und der Versprechungen der Nanotechnologie diskutiert.
67 | Davis Baird und Ashley Shew irren, wenn sie schreiben, dass dieses Bild von Eigler und Schweizer in ihrem Nature-Artikel publiziert worden wäre (Baird, Shew 2004, 145) und verwechseln es mit dem Bild aus Abb. III.3.13. 68 | http://www.almaden.ibm.com/vis/stm/atomo.html (Mai 2008).
IV. Historische und kulturelle Einbettungen Zur Analyse tunnelmikroskopischer Bildpraxis zwischen 1982 und 1992 wurden in den vorhergehenden Kapiteln immer wieder Rückgriffe auf andere Techniken und Bildtraditionen vorgenommen. Im Folgenden werden solche historischen Einbettungen weiter fundiert, indem tunnelmikroskopische Bilder in die Tradition kugelförmiger Atomdarstellungen eingeordnet werden. Aus dieser Historisierung lässt sich nachvollziehen, wie tunnelmikroskopische Bilder in unterschiedlichen Kontexten anschlussfähig sein konnten und trotz der hohen instrumentellen Anforderungen an ihre Erstellung und der komplexen quantenphysikalischen Deutungen in ihrer massenmedialen Verbreitung an Vorkonzepte der allgemeinen Öffentlichkeit anschließen konnten. In einem weiteren Schritt wird gezeigt, dass diese Anknüpfungsfähigkeit auch dazu beitrug, die Tunnelmikroskopie im Gründungsmythos der Nanotechnologie zu verankern. Die Weltbilder der Nanotechnologie konnten durch tunnelmikroskopische Bilder eine experimentelle Fundierung erfahren; gleichzeitig konnten sich die Tunnelmikroskopiker über die Herausbildung der Nanotechnologie in neuen Kontexten verorten und sie erfuhren ein Ausmaß an Aufmerksamkeit, wie es für sie als Oberflächenphysiker zuvor undenkbar gewesen wäre.
IV.1 Bildtraditionen von Atomdarstellungen Der erwähnte Anknüpfung Eiglers an makroskopische Sehgewohnheiten (vgl. Kapitel III.3) und die dadurch ermöglichte Rezeption eines Experiments, in dem einzelne Atome verschoben wurden, durch Leser von Tageszeitungen, setzt implizit die Ausprägung einer kol-
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lektiven Vorstellung und damit eines kollektiven Bildgedächtnisses1 bezüglich der Gestalt von Atomen als kugelförmige Gebilde voraus. Die Adaption einer solchen Bildtradition durch die Tunnelmikroskopie ist alles andere als selbstverständlich, da Atome per se keine äußere Gestalt besitzen und der in der Tunnelmikroskopie dargestellte Parameter – Orte gleichen Tunnelstroms zwischen einer Spitze und einer flachen Probe – vor der Realisierung der Experimente überhaupt nicht existiert hatte und auch nicht antizipiert worden war. Auch hatten ja beispielsweise die tunnelspektroskopischen Experimente an Silizium gezeigt, dass Messparameter wie die Spannung zwischen Spitze und Probe die Spur der Spitze entscheidend bestimmen und sich damit keinesfalls der Ort eines Atoms in einer tunnelmikroskopischen Aufzeichnung zwangsläufig als Erhebung ausprägt. Dennoch lässt sich eine Konvergenz zwischen der aus einer Setzung entstandenen Formtradition zur Darstellung des Atoms und den Bildwelten der Tunnelmikroskopie feststellen. Zur Analyse dieses Sachverhalts werden im Folgenden zunächst zentrale historische Etappen bildlicher Atomdarstellungen und ihrer Verbreitung über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten skizziert, da sich die Ausprägung des kollektiven Bildgedächtnisses nur in dieser historischen Dimension erfassen lässt. Anschließend wird anhand eines in den 1980er Jahren prominenten Untersuchungsfeldes der Tunnelmikroskopie – der tunnelspektroskopischen Untersuchung von Gallium-Arsenid (GaAs) – die Konvergenz tunnelmikroskopischer Bilder zur Kugelformdarstellung aufgezeigt. Es zeigt sich, dass sich auch in diesen Experimenten eine Anknüpfung an Bildtraditionen keinesfalls „von selbst“ ergab, sondern nur als Ergebnis mehrfacher Übersetzungsschritte und Zurichtungen der Bilder zu verstehen ist.
Die Tradition kugelförmiger Atomdarstellungen Es stellt ein neueres Ergebnis bildhistorischer Forschung dar, dass die Ikonografie des Atoms im späten 16. Jahrhundert ihren Ausgangspunkt in den Werken von Giordano Bruno nahm. Die verbreitete Annahme, dass solche Atomdarstellungen in der griechischen 1 | Die Kulturwissenschaftler Jan und Aleida Assmann haben die Theorie des kulturellen Gedächtnisses entwickelt, das sich wenig systematisiert ausbildet und über einen breiten Zeithorizont erstreckt (Assmann 1988). Der Begriff des kollektiven Bildgedächtnisses soll den Anteil der Bilder bei der Ausprägung solcher kollektiver Gedächtniswelten zum Ausdruck bringen.
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Abb. IV.1.1: Kreisförmige Darstellungen von Atomen durch Giordano Bruno (Bruno 1591).
Antike ihren Ausgang genommen hätten, geht auf die Rezeption antiker Texte zurück, die eher Zeugnis von den Atomvorstellungen der Übersetzer ablegen, die ihre eigenen, neuzeitlich geprägten bildlichen Vorstellungen des Atoms beispielsweise in ihre Übersetzungen der Texte von Lukrez projizierten, als dass diese in den Originaltexten angelegt wären (Schirrmacher 2007a, 114). Auch die Präsentation von didaktischen Modellen, die auf solchen Übersetzungen beruhen, an Orten größter öffentlicher Wahrnehmung, wie dem Deutschen Museum in München,2 tragen zur Verbreitung dieser Vorstellungen von antiken Atommodellen bei (Schirrmacher 2007a, 113). Der Wissenschaftsphilosoph Christoph Lüthy hat hingegen gezeigt, dass Bruno die in der Antike verankerte grundsätzliche Möglichkeit, dass die Kugel eine von mehreren denkbaren Formen des Atoms sei, aufgegriffen und mit mathematischen Idealen seiner Zeit zusammengeführt hat, um die Kreis- bzw. Kugelform als einzig mögliche Form zu postulieren und zu verbildlichen (Abb. IV.1.1; Lüthy 2003, 123-125). Nachfolgende Mathematiker, Naturforscher und Wissenschaftler griffen diese Form auf, die sich zu einer Konstante in den sich wandelnden Vorstellungen über den Auf bau der Materie und damit auch des Atoms entwickelte.3 Dabei lag den Darstellungen nicht grundsätzlich das Anliegen zugrunde, das Aussehen von Atomen zu zeigen, vielmehr 2 | Die am Deutschen Museum gefertigten Atommodelle werden in der Ausstellung zur Atomphysik präsentiert und sind in der Begleitpublikation abgebildet (Berr, Pricha 1997 [1987], 16f.).
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Abb. IV.1.2: Kugelmodelle von Molekülen des Chemikers August Wilhelm Hofmann(Hofmann 1865).
entfachten mitunter zunächst symbolische, also durch Konventionen geleitete Verwendungen eine Dynamik, die Vorstellungen vom Aufbau der Materie formten und verfestigten. So hat der Chemiker August Wilhelm Hofmann 1865 in London Molekülmodelle aus Croquetbällen und Draht verwendet, um in seinen Vorlesungen den Aufbau von Molekülen zu veranschaulichen (Abb. IV.1.2). Die ursprünglich didaktisch motivierten Modelle erfuhren schnell Verbreitung und wandelten sich zu Instrumenten der Forschung, mit denen Chemiker mögliche Isomere bestimmter Verbindungen postulierten (vgl. Meinel 2004, 262). Der Chemiehistoriker Christoph Meinel hat die Modelle als Ausdruck eines Selbstverständnisses der Chemiker interpretiert, Architekten der Materie zu sein (Meinel 2004, 252) und die Rolle dieser Anschauung für die Herausbildung neuer sterischer Konzepte in der Chemie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hervorgehoben (Meinel 2004, 265). Die Anschaulichkeit der ursprünglich zur Wiedergabe bekannten Wissens eingesetzten Modelle entwickelte eine Dynamik und Wirkmacht, die in der Folgezeit chemische Raumkonzepte zu prägen vermochte (Meinel 2004, 270).4 Solche Kugeldarstellungen überstanden die Diskussion des ausgehenden 19. Jahrhunderts, ob Atomen eine physikalische Realität zuzu3 | Eine weiter gefasste Sicht, dass die Kugelformen generell „eindrucksvolle Beispiele für Konvergenz und anthropologische Konstanz in der menschlichen Kultur“ seien (Wullen 2006, 8), verfolgte die Ausstellung „Kreis Kugel Kosmos“ an den Staatlichen Museen in Berlin (Pergamonmuseum, 8. Juni bis 27. August 2006) und der zugehörige Katalog (Wullen, Ebert 2006). 4 | Für einen Vergleich der Praxis des Zugreifens aufs Atom zwischen dem Umgang mit Modellen im 19. Jahrhundert und dem manipulativen Einsatz des Tunnelmikroskops siehe Buchwald 2000.
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sprechen sei oder ob sie nicht vielmehr eine anschauliche Heuristik zur Beschreibung kontinuierlicher Materie seien. In der Herausbildung der Quantenphysik bis 1930 stand der Status bildlicher Darstellungen von atomaren Strukturen zur Debatte, da einige Protagonisten Bildern grundsätzlich die Fähigkeit absprachen, der Abstraktion der Quantenphysik gerecht werden zu können; sie hielten allein mathematische Beschreibungen mit Hilfe von Formeln für angemessen (Miller 1978). Doch auch während dieser mehrjährigen Diskussionen blieb parallel in der Kristallografie oder Chemie die Symbolisierung des Atoms als Kugel unangetastet. In der Folgezeit führte die Kugeldarstellung eine friedliche Koexistenz sowohl mit Darstellungen des Bohrschen Atommodells, in dem, einem Planetensystem ähnlich, Elektronen um einen zentralen – mit der Sonne vergleichbaren – Kern kreisen,5 als auch mit den neu entwickelten Bildwelten der Quantenphysik, in der diffuse, wolkenähnliche Darstellungen die Beobachtungswahrscheinlichkeiten von Elektronen veranschaulichten.6 Eine neuerliche Konjunktur erlebten Kugeldarstellungen in der Mitte des 20. Jahrhunderts. In der Molekularbiologie führte der Einsatz von Beugungsmethoden zur Aufklärung zuvor unbekannter Molekülstrukturen, die zunächst in einer Formenvielfalt, schnell aber vorrangig mit Hilfe von Kugeln dargestellt wurden. Ihre Popularisierung fanden sie in Fernsehsendungen und Ausstellungen, unter denen die Ausstellungen während der Expo 1958 in Brüssel einen Höhepunkt bildeten (vgl. Chadarevian 2002, 153ff.). In dem „Internationalen Palais 5 | Die Ausformung dieses Planetenmodells bedarf sicherlich weiterer bildhistorischer Reflexionen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht zu leisten sind. Grundsätzlich ist das über Jahrhunderte stabile Bestreben zu beobachten, im Sinne des Analogiegesetzes das Große und das Kleine analog zu beschreiben und zu veranschaulichen. Solche Ähnlichkeitsaussagen sind in den 1980er Jahren im Zusammenhang mit Fraktalbildern geäußert worden, in expliziter Form aber nicht für tunnelmikroskopische Landschaftsbilder (vgl. Kapitel III.1). 6 | Zu frühen Darstellungen wolkenförmiger Aufenthaltswahrscheinlichkeiten siehe White 1931, der rotierende Propeller in Langzeitbelichtung fotografiert hat, um Unschärfen zu erzeugen. Arne Schirrmacher hat den Hinweis geliefert, dass trotz der vielfachen theoretischen Umbrüche sich lediglich diese drei Ikonografien bezüglich des Atoms herausgebildet haben (Schirrmacher 2007b, 41f.). In ihrer Herausbildung kam es immer wieder zu Annäherungen und Überlagerungen, beispielsweise in den Skizzen Sommerfelds, die als Vorlagen für Modelle am Deutschen Museum dienten, in denen er versuchte, Übergänge vom Planetenmodell zu diffusen Verteilungen zu visualisieren (abgedruckt in: Sichau 2005, 151). Zur Erzeugung visueller Evidenz bezüglich der Existenz von Atomen durch Jean Perrin siehe Bigg 2008.
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Abb. IV.1.3 : Kugelmodell auf der Expo 1958 in Brüssel (de Keyser 1958, 221)
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Abb. IV.1.4: Postkarte mit Bild des Atomiums in Brüssel, dem Symbol des Atomzeitalters (Privatbesitz JH).
der Naturwissenschaften“ fanden kugelförmige Atomdarstellungen in jedem der vier Teilbereiche Atom – Molekül – Kristall – Zelle Verwendung, so dass sich Physik, Biologie und Chemie in dieser einheitlichen Formensprache der Kugelform begegneten: Sämtliche Gegenstandsbereiche, Kristallstrukturen der unbelebten Natur ebenso wie Proteine im Körper des Menschen, konnten formal analog gedacht und versinnbildlicht werden (Abb. IV.1.3).7 Das Atomium als gigantisches Modell eines Eisenkristalls überragte diese Ausstellung und stand als architektonisches Symbol des Atomzeitalters für den Anspruch, auch den alten, auf Eisen beruhenden Industrien neuerdings auf der atomaren Ebene zu begegnen (Hennig 2008). Die Kugeldarstellung des Atoms fand in Form von Postkarten, Titelseiten von Reiseführern, Briefmarken und Geldnoten Verbreitung und erfuhr in dieser Präsenz Selbstverständlichkeit und Normalität (Abb. IV.1.4).8 Lehrfilme stellten ein weiteres Medium zur populären Verbreitung von Atomdarstellungen in der weltweiten „Atoms for Peace“Kampagne der 1950er Jahre dar und suggerierten die Natürlichkeit der Erforschung des Atoms.9 In dem Lehrfilm „Energie aus Materie“ aus der Göttinger Filmproduktion Hans-Heinrich Kahl, der auch auf der Weltausstellung in Brüssel im Palais der Wissenschaften vorgeführt wurde (Gueben 1958, 218), versuchte die Anfangssequenz die Größenordnung des Atoms anhand der Vergrößerung einer Nadel zu 7 | Zu den Wissenschaftsausstellungen innerhalb der Expo 1958 siehe die Ausgabe der Naturwissenschaftlichen Rundschau vom Juni 1958. 8 | Zur Baugeschichte des Atomiums siehe Scharf 2000. 9 | Elizabeth Walker Mechling hat in ihrer Analyse des Walt-Disney-Films „Dein Freund das Atom“ die Natürlichkeit der Handhabung und Erforschung des Atoms als zentrales Motiv identifiziert (Mechling 1995).
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Abb. IV.1.5 a-c: Standbilder aus dem Lehrfilm „Energie aus Materie“: Vergrößerungen einer Nadel mit einem optischen Mikroskop (a), einem Elektronenmikroskop (b) und Bild mit einem hypothetisch angenommenen Mikroskop zur weiteren Vergrößerung (c) (Kahl 1956).
verdeutlichen.10 Die Vergrößerungen mit Hilfe eines herkömmlichen optischen Mikroskops (Abb. IV.1.5 a)11 und eines Elektronenmikroskops (Abb. IV.1.5 b) geben noch keinerlei Hinweise auf atomare Strukturen, vielmehr würde, laut Audiokommentar, erst eine weitere 10.000-fache „Vergrößerung“ einzelne Atome sichtbar machen – eine Aussage, die die grundsätzliche Möglichkeit zur Abbildung von Atomen transportierte. Die nachgelieferte Ansicht, die sich mit einem Mikroskop solcher Leistungsfähigkeit ergeben würde, zeigte seitlich beleuchtete, kugelförmige Erhebungen, die die Bildwelten der Tunnelmikroskopie 10 | Zur historischen Aufladung des Motivs der Nadel in der Mikroskopie vgl. Kapitel II.2. 11 | Die Darstellung ähnelt formal dem Bild, das Robert Hooke im Jahr 1665 in der Mikrographia von einer Nadel publiziert hat; zu Hookes Darstellung der Nadel siehe Wendler 2002.
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vorherzusehen schienen (Abb. IV.1.5 c). Die formale Ähnlichkeit zu den Darstellungen einzelner Xenon-Atome auf einem Nickel-Untergrund, die Eigler 30 Jahre später realisierte, ist frappierend, auch wenn in den 1950er Jahren keinesfalls ein Instrument vorhergesagt wurde, mit dem Orte gleichen Tunnelstroms gemessen und verbildlicht würden. Auch wird Eigler sicher nicht eine einzelne solche Darstellung aus einem Lehrfilm der 1950er Jahre als Vorlage seiner Bildgestaltungen gedient haben, und doch zeigt sich eine formale Anknüpfung, die keineswegs durch technische Bedingungen gegeben war, sondern durch die Wahl der Messparameter und einer Differenzialdarstellung entstand (vgl. Kapitel III.3). Erst durch die Anknüpfung an solche Bildtraditionen konnte Eiglers Bild in den Massenmedien zirkulieren und dort von Zeitungslesern im Einklang mit ihren unbewussten Erwartungen an das Aussehen von Atomen rezipiert werden. Gleichzeitig ging in dieser Rezeption die in dem Lehrfilm gehegte Technikutopie, Atome mit Hilfe eines Mikroskops sichtbar machen zu können, in Erfüllung.
Kalottenmodelle: Visualisierungen und konstruktive Erkenntnisinstrumente Neben solchen massenmedialen Verbreitungen von Atomdarstellungen, die zur Schaffung einer kollektiven Vorstellung des Atoms beitrugen, fand in den 1950er Jahren der Einsatz kalottenförmiger Molekülmodelle in der Forschungspraxis Verbreitung. In den Modellen definierte der Van-der-Waals-Radius der einzelnen Elemente die Außenflächen der Kalotten, so dass sie Bindungsabstände und -winkel zwischen den Atomen wiedergaben.12 Das Aneinanderfügen der raumfüllenden Kalottenmodelle ließ mögliche Anordnungen der Atome im Molekül erschließen. Erste Vorschläge für solche Kalotten hatte bereits 1934 der deutsche Physiker Herbert Arthur Stuart geliefert (Stuart 1934). Die nachhaltigsten Entwicklungen fanden später am California Institute of Technology in Pasadena unter der Feder führung von Robert Corey und Linus Pauling, einem ausgesprochenen Verfechter anschaulicher Erkenntnisgewinnung, statt (Abb. IV.1.6; Corey, Pauling 1953). Da die Handhabung dieser Modelle von Corey und 12 | Die Kalottenmodelle werden damit auch als raumfüllende Modelle bezeichnet; Moleküldarstellungen mit Lücken zwischen den Kugeln, die einzelne Atome symbolisieren, geben immer Anlass zu Vorstellungen, dass sich zwischen den Atomen „etwas“ befinden würde; eine historische Aufarbeitung dieser Vorstellungen scheint noch auszustehen.
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Abb. IV.1.6: Linus Pauling mit Kalottenmodellen in den 1950er Jahren (Caltech Archives).
Pauling mit Nachteilen im praktischen Umgang behaftet waren, da sie beispielsweise beim Bau großer Moleküle zu schwer, aber auch zu teuer waren, initiierten US-amerikanische Wissenschaftsorganisationen 1960 eine Weiterentwicklung, die der Programmdirektor Walter Koltun nach fünfjähriger Entwicklungsarbeit unter dem Namen C-P-K-Modelle, benannt nach Corey, Pauling und Koltun, präsentierte (Koltun 1965). C-P-K-Modelle entwickelten sich zu einem Standardinstrument molekularer und kristallografischer Forschung (Francoeur 1997; Francoeur, Segal 2004) und auch Tunnelmikroskopiker setzten diese Modelle bzw. Abwandlungen heuristisch ein, wenn sie Strukturen und Anordnungen organischer Moleküle auf Oberflächen untersuchten. Den konstruktiven Charakter des haptischen Einsatzes von Kugelmodellen beschreibt Wolfgang Heckl bezüglich der Interpretation tunnelmikroskopischer Untersuchungen der DNA-Base Guanin auf MoS2 und auf Grafit: WH: „Wir haben lange Zeit damit zugebracht, mit Modellen am Boden zu spielen, mit diesen Tischtennisballmodellen. Wir haben Tischtennisbälle auf eine Platte geklebt – ohne das wäre es wahrscheinlich gar nicht gegangen – und auf dieser Platte haben wir immer die Moleküle hin und her geschoben und dieses mechanische Einrasten gesucht: Wann passt es, wann fühlen wir, dass Moleküle gut hinpassen?“ JH: „Sie haben keine Quantenmechanik betrieben?“ WH: „Überhaupt nicht – überhaupt nicht, das wäre ein Fallout gewesen, hätte
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Abb. IV. 1.7: Bildzusammenstellung von Binnig und Heckl mit einer tunnelmikroskopischen Untersuchung eines MoS2-Substrats (A) und von adsorbiertem Guanin auf diesem Substrat (B) sowie einer Ausschnittsvergrößerung mit interpretierenden Einzeichnungen und Indizierungen (C) (Heckl et al. 1991, 8003).
uns überhaupt nicht geholfen, da hätten wir komplizierte Gleichungen gehabt, Elektronendichten oder sonst was. Das war simples Versuchen und das skaliert so schön, der normale Tischtennisball skaliert genau mit diesen furchtbar teuren C-P-K-Molekülmodellen [...] und es ist so, wenn ein Molekül, das man da über die Oberfläche schieben kann, an einer bestimmten Stelle einrastet, [...] dann ist das ja Epitaxie, mechanisch mit der Hand gespürt. Das heißt, dieses Einrasten und auch diese Energiedichte, die Energieminimierung der Neuordnung hat uns praktisch den Hinweis gegeben, wie wir diese Bilder interpretieren können.“ (Heckl 07/03)
Sicherlich existierte in Heckls Gruppe ein Bewusstsein für die quantenphysikalischen Beschreibungen und parallel zur Verwendung der Modelle mag es mathematisch-formale Berechnungen gegeben haben, doch relativiert dies nicht den spielerischen, dinglichen und haptischen Anteil der Erkenntnisgewinnung mittels der Modelle.13 In der zugehörigen Publikation haben Heckl, Binnig und Kollegen zunächst eine Serie von drei STM-Bildern publiziert (Abb. IV.1.7), in denen Messungen eines MoS2-Substrats (A), adsorbierten Guanins auf diesem Substrat (B) sowie eine Ausschnittsvergrößerung mit inter pretierenden Einzeichnungen und Indizierungen (C) zu sehen 13 | In einer etwas anderen Wendung der Lesart und Interpretation dieses Interviewausschnitts ist es interessant, wie Heckl die Arbeit mit den Modellen in den Vordergrund stellt, wie er geradezu damit kokettiert, keine Quantenphysik betrieben zu haben, was darauf schließen lässt, dass die Gewinnung komplexer Ergebnisse mit einfachen Mitteln unter Experimentatoren als Ideal gilt.
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Abb. IV. 1.8: C-P-K-Modelle von Guanin auf Tischtennisbällen als Modell eines MoS2-Substrats (Heckl et al. 1991, 8004).
waren. Während der Untergrund in Bild A eine periodisch-symmetrische Struktur aufwies, zeigten sich im Bild B des Guanins asymmetrische Flecke unterschiedlicher Form und Ausrichtung. Mit den Markierungen in Bild C stellten die Autoren innerhalb dieses Fleckenmusters Ordnungen her, indem sie mit einem Quadrat eine Einheitszelle markierten, mit einer gezackten Linien einen Winkel von 95 Grad zwischen den hellen Flecken verdeutlichten und im linken Teil des Bildes die Strukturen der tunnelmikroskopischen Aufnahme mit modellhaften Darstellungen des Guanins überlagerten. Dieser Serie stellten Heckl und Kollegen in ihrer Publikation ein Foto von C-P-K-Modellen der Guanin-Strukturen auf Tischtennisbällen, die als Modell des MoS2-Substrats dienten, zur Seite (Abb. IV.1.8). Sie verwiesen auf Korrelationen zwischen dieser modellhaften Anordnung und dem STM-Bild bezüglich der in Bild C auch eingezeichneten Abstände und Winkel zwischen einzelnen Molekülen (Heckl et al. 1991, 8004). Damit argumentierten sie mit Ähnlichkeiten zwischen den experimentellen und modellhaften Bildern, die auf der Bildoberfläche messbar und einzuzeichnen waren. In der Rhetorik der Publikation wiesen die Autoren das Modell als Ableitung aus dem STM-Bild aus („a model, deduced from STM images“; Heckl et al. 1991, 8004), während Heckl im Interview in der Rückschau den konstruktiven Eigenwert der Verwendung der C-P-K- und Tischtennisballmodelle hervorhob. Die unterschiedlichen Gewichtungen in diesen unterschiedlichen Kontexten schließen sich nicht aus, verweisen vielmehr auf ein Wechselspiel zwischen Bildinterpretation, Nutzung gegenständlicher Modelle und Indizierungen im STM-Bild im Prozess visuell-haptischer Auswertung. In Rekapitulation der bisher diskutierten Fallstudien lassen sich damit zwei Facetten des Verhältnisses von tunnelmikroskopischen Bildern
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und Kugeldarstellungen bestimmen: zum einen eine Annäherung der tunnelmikroskopischen Bilder wie im Fall des IBM-Logos, in dem einzelne Xenon-Atome kugelförmig auf dem Nickel-Untergrund erschienen; zum anderen im komplementären Einsatz, wenn Kalottenmodelle oder kristallografische Kreisdarstellungen neben tunnelmikroskopische Bilder gestellt wurden, um bestimmte Modelle oder Interpretationen plausibel erscheinen zu lassen. In letzterem Fall kam es immer wieder zu Übereinstimmungen, aber auch Brüchen, wie in dem Tableau von Ruud Tromp, in dem er STM-Bilder und Strukturmodelle aufeinander bezog (vgl. Abb. III.1.16). In solchen Bildvergleichen, zu denen auch Heckls Guanin-Bildserien zählen, kam es zu Vergleichen von Formen, Winkeln und Abständen. Das bedeutete im Vergleich zur Bildpraxis beim Einsatz von Beugungsverfahren einen Wandel im Verhältnis zwischen experimentell erzeugtem Bild und schematischer Skizze, da bei Beugungsverfahren immer die Vermittlung über die abstrakte Fourier-Transformation notwendig war (vgl. Kapitel III.1). Doch auch ein Vergleichen zwischen tunnelmikroskopischem Bild und Modell konnte nicht voraussetzungslos geschehen, sondern war auf einen Komplex von Auswertungen und Vorwissen angewiesen. Die Folgen einer Unterschätzung dieses häufig impliziten Vorwissens wurden in der Kontroverse um die „Abbildbarkeit“ von DNA virulent, in der aus Formähnlichkeiten zwischen STM-Bild und Modell vorschnelle Schlüsse gezogen wurden (vgl. Kapitel III.2).
Galliumarsenid-Untersuchungen: Aufzeichnungen lokaler Zustandsdichten Im Folgenden wird exemplarisch im Detail ausgeführt, dass tunnelmikroskopische Bilder keinesfalls aufgrund ihres Funktionsprinzips Positionen einzelner Atome als Erhebungen zeigen, dass es aber im experimentellen und gestalterischen Prozess schrittweise zu einer Konvergenz an solche dinglichen Vorstellungen des Atoms kam. Mit den Untersuchungen von Galliumarsenid (GaAs) durch Randy Feenstra und Joseph Stroscio im IBM-Labor Yorktown Heights wird dazu die Bildpraxis eines weiteren prominenten STM-Forschungsfeldes der 1980er Jahre rekonstruiert. Dazu werden die vielfältigen Transformationsschritte in der Gestaltung und der Kontextualisierung der Bilder aufgezeigt. Aus methodischer Sicht wird damit die Frage adressiert, wie einerseits vorgefertigte Vorstellungen in die tunnelmikroskopische Bildpraxis Einzug halten können, wo andererseits die Bilder als Ergebnisse von Experimenten keinesfalls vorab determiniert sind, sondern immer wieder gegenüber
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theoretischen Vorhersagen Überraschungen hervorbringen, es zur Ausbildung von „Differenzen“14 kommt und unvorhersehbare neue Fragen aufgeworfen werden. Visuelle Erkenntnisgewinnung erscheint damit als Ergebnis einer Verschränkung der historischen Aufladung von Bildern, die sich aus dem Bezug von Bildern auf Vor-Bilder ergibt, mit der Dynamik experimenteller Praxis, die nicht vorgezeichnet ist und immer die Möglichkeit bietet, Überraschungen hervorzubringen. Der Halbleiterphysiker Randy Feenstra war nach seiner Promotion zu optischen Eigenschaften von „Defekten“ in Halbleitern 1982 am Caltech als Postdoc an das IBM-Labor in Yorktown Heights gekommen (Feenstra, Fein 1986, 471) und besaß die Freiheit der eigenen Themenwahl. Durch sein Interesse an Oberflächenphysik gelangte er im Sommer 1982 nach Rüschlikon und lernte das STM damit zu einer Zeit kennen, als die grundsätzliche Möglichkeit des Vakuumtunnelns aufgezeigt war, der Durchbruch der erfolgreichen Si(111)-7x7-Messung im Oktober 1982 aber noch ausstand (Mody 2004a, 137f.). Feenstra nahm das Risiko auf sich, sich dieser neuen, noch in der Erprobungsphase befindlichen Methode zu widmen und gehörte zu den Wissenschaftlern, die bis zum Herbst 1984 zunächst erfolglos versuchten, das Tunnelmikroskop zu replizieren und erst nach dem erfolgreichen informellen Workshop in Cancun zu ersten erfolgversprechenden Ergebnissen gelangten. Feenstra baute sein Instrument gemeinsam mit dem Elektrotechniker Aaron Fein, der die Elektronik realisierte (Fein et al. 1987). Sie leisteten Pionierarbeit sowohl bezüglich der elektronischen Komponenten als auch der Gerätearchitektur, da sich ihr Instrument durch die Möglichkeiten, ein hohes Magnetfeld (B = 8T) an die Probe anzulegen und es bei tiefen Temperaturen zu betreiben, auszeichnete. Außerdem zielten Feenstra und Kollegen auf ein hohes Auflösungsvermögen ab, das auch die Untersuchung von Proben mit wesentlich kleinerer Korrugation als denen bei Si(111)-7x7-Messungen ermöglichen sollte (Stroscio 02/04). Während sich Si(111)-7x7 über Jahre für viele Gruppen zum ultimativen Leistungstest ihrer Instrumente und Expertisen entwickelte, war Feenstra so ambitioniert, selbstbewusst und risikobereit, bereits frühzeitig die Grenze in der Instrumentenentwicklung weiter hinaus schieben zu wollen. Nach den ersten erfolgreichen Experimenten stieß Joseph Stroscio als weiterer Postdoc zu der Gruppe. Stroscio hatte in seiner oberflächenphysikalischen Dissertation elektronenspektroskopische Untersuchungen durchgeführt und brachte damit Erfahrungen mit Probenprä14 | Der Begriff der Differenz wird hier, wie in der Einleitung erläutert, im Sinne Hans-Jörg Rheinbergers verwendet (vgl. Kapitel I.1).
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parationen, oberflächenphysikalischen Fragestellungen und dem Umgang mit einer äußerst empfindlichen Methode ein (Stroscio 02/04). Die Nachwuchswissenschaftler Feenstra, Stroscio und Fein konnten ihre Ambitionen mit komplementären Kompetenzen in Instrumentenbau, Computerprogrammierung, Oberflächen- und Halbleiterphysik bündeln und Mitte der 1980er Jahre eine Führungsrolle in der STMForschung übernehmen.15 Nach ersten erfolgreichen Messungen an Si(100) (Feenstra, Oehrlein 1986) widmete sich Feenstra zunächst der Untersuchung der Si(111)2x1-Rekonstruktion, also einer Si(111)-Oberfläche mit deutlich kleinerer Einheitszelle als der der 7x7-Rekonstruktion, die sich ohne Erhitzen einstellt und damit der anwendungsorientierten Ausrichtung im IBM-Industrielabor Yorktown Heights entsprach (Stroscio 02/04).16 Neben der Erforschung der elektronischen und strukturellen Eigenschaften der Probe, die in den 1980er Jahren nicht dermaßen im Rampenlicht stand wie die 7x7-Rekonstruktion, aber doch Gegenstand lebhafter Kontroversen war (Stroscio 02/04), stellten Feenstra und Kollegen den Betrieb des Tunnelmikroskops bei unterschiedlichen Spannungen zwischen Spitze und Probe in den Mittelpunkt (Stroscio, Feenstra, Fein 1986). Mit dieser Verortung in der Tunnelspektroskopie standen ihre Arbeiten im Zeichen einer Atmosphäre großer Konkurrenz zu anderen tunnelspektroskopischen Projekten, vor allem zur Gruppe um Gene Golovchenko aus den konkurrierenden Bell Laboratories, als auch vor allem innerhalb von Yorktown Heights zur Gruppe um Demuth und Tromp (Tromp 03/04; vgl. Mody 2004, 130ff.). Nicht zuletzt die Architektur des Gebäudes in Yorktown Heights, das der finnische Stararchitekt Eero Saarinen entworfen hatte, beflügelte diese Situation: Während separate, abgeschlossene Laborräume als Rückzugsorte dienten, mündeten die großzügigen Flure in zentrale soziale Treffpunkte wie die Cafeteria, was zu einer ständigen Oszillation von Rückzug und Präsenz führte.17 Feenstras Realisierung tunnelspektroskopischer Untersuchungen unterschied sich von denen der Gruppe um Tromp und Demuth, die 15 | Eine solche Beurteilung lässt sich aus dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren treffen: zahlreiche Publikationen in renommierten Zeitschriften, vor allem in den Physical Review Letters; häufiges Zitieren ihrer Artikel; die Präsenz bei Tagungen und die Übernahme von Editorials; Verbreitung ihrer Ergebnisse in der DownstreamKommunikation sowie die persönlichen Karriereschritte, die Feenstra eine Professur in Carnegie Melone und Stroscio eine hohe Forschungsposition im NIST einbrachten; Fein folgte Stroscio als Elektroniker (Fein 02/04). 16 | Feenstra und Kollegen haben die Ergebnisse vielfach publiziert, die zentralen Ergebnisse finden sich in Stroscio, Feenstra, Fein 1986.
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Abb. IV. 1.9: Darstellungen von Si(111)-2x1-Untersuchungen mit unterschiedlicher Polung zwischen Spitze und Probe; im Diagramm sind die Messwerte entlang der Linien A und A’ extrahiert (Stroscio, Feenstra, Fein 1986, 2581).
sukzessive an einzelnen Stellen Strom-Spannungs-Messungen vornahm (vgl. Kapitel III.1), dadurch, dass Feenstra in einer Scanrichtung eine bestimmte Spannung anlegte, jedoch bei jedem zweiten Scan in der Rückrichtung die Polung wechselte – war in einer Scanrichtung die Spitze positiv gegenüber der Oberfläche gepolt, war sie in die andere Richtung negativ gepolt. Zur Auswertung und Präsentation trennte Feenstra die so gewonnenen Messwerte in zwei Datensätze und erstellte Bilder, die die Werte der jeweiligen Polungen getrennt zeigten (Abb. IV.1.9). Die Farbwahl der Aufsichten mit Minima in dunklen und Minima in hellen Grautönen stand selbstverständlich in Einklang mit allgemeinen Seh- und Bildgewohnheiten, wonach tiefer liegendes dunkel, höher liegendes hell erscheint. Die äußere Trapezform verweist auf die rechnerische Korrektur des thermischen Drifts; Hilfslinien zwischen den Punkten A, A’ bzw. B und B’ indizieren gleiche Stellen auf der Probe, wodurch im Vergleich der beiden Bilder die Abhängigkeit der Positionen der Maxima (helle Flecken) von der 17 | Tromp hat im gemeinsamen Gespräch in der Cafeteria des IBM-Labors Yorktown Heights auf die Eigenart der Architektur hingewiesen und sie mit Gesten untermauert; zu den Laborbauten Saarinens siehe Knowles, Leslie 2001. Mody vergleicht die Architektur der industriellen Großlabore mit denen von Überwachungsanstalten, wie Michel Foucault sie beschrieben hat (Mody 2004a, 170). Trotz solcher Befunde scheint die Rolle des Laborraums für die experimentelle Praxis weiterhin nicht adäquat erschlossen, wie Replikationen von Experimenten, während derer sich die Frage nach dem Raum unausweichlich stellt, wiederholt gezeigt haben (vgl. Rieß 1998, 164f.).
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Polung zwischen Spitze und Probe sinnfällig wird. Darüber hinaus extrahierten Feenstra und Stroscio die Daten entlang der Linien A-A und A’-A’ und stellten sie als Grafen dar (Abb. IV.1.9 unten). Auch diese Datenreduktion vom flächigen Bild, in dem eine Vielzahl von Daten durch Grautöne codiert war, hin zum linienhaften Graf, in dem eine reduzierte Datenmenge durch Skalen quantifiziert werden konnte, zielte auf eine visuelle Vergleichbarkeit der Positionen von Minima und Maxima ab; vertikale Linien parallel zur y-Achse machen evident, dass die Positionen der Minima im oberen Graf mit den Positionen der Maxima im unteren Graf zusammenfallen. Stroscio und Feenstra konnten nun interpretieren, dass sich bei positiver Polung der Spitze gegenüber der Probe Elektronen aus gefüllten Zuständen der Si-Probe zur Spitze bewegten, während bei negativer Polung der Spitze gegenüber der Probe die Elektronen von der Spitze bevorzugt in die unbesetzten Zustände des Siliziums flossen. Bei der positiven Polung erhöhte sich der Tunnelstrom an Orten gefüllter Zustände, bei negativer Polung an Orten leerer Zustände (Stroscio, Feenstra, Fein 1986, 2581). Als Ergebnis konnten Feenstra, Stroscio und Fein festhalten, dass tunnelmikroskopische Bilder Informationen über die räumliche Verteilung unterschiedlicher Zustände liefern, anstatt die Anordnung der Atome wiederzugeben (Stroscio, Feenstra, Fein 1986, 2581). Vermittelt über die Interpretation der elektronischen Zustände ließen sich auch Informationen über die Positionen von Atomen gewinnen, aber eine Anknüpfung an Bildund Vorstellungstraditionen, nach denen einzelne Atome als kugelförmige Erhebungen erschienen, war keinesfalls gegeben. Ganz im Gegenteil negierten diese tunnelmikroskopischen Bilder solche materiellen Atomvorstellungen. Stroscio erinnert sich in der Rückschau auf diese Experimente, dass auch für die Experimentatoren selbst die Sichtbarkeit der räumlichen Verteilung der Zustände ein überraschendes Ergebnis dargestellt hatte: „[...] I mean we were on the silicon 2x1 surface; we were very surprised when we saw the first images taken at one bias, take the images at the opposite polarity and the features completely shifted, and that was, you know, nobody expected that. So that showed [...] that the features in the images were really the electron states and not simply, where the atoms are. And so it really is an electron map at a certain energy.“ (Stroscio 02/04
Mit dieser Erkenntnis aus den Si-Untersuchungen, dass elektronische Zustände in räumlicher Abhängigkeit gemessen werden konnten,
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widmeten sich Feenstra und Stroscio in der Folgezeit ausgiebig der Untersuchung von Gallium-Arsenid (GaAs), einem III-V-Halbleiter aus dem dreiwertigen Gallium und dem fünfwertigen Arsen. 18 Die Ausgangslage war neben dem Vorwissen aus den Si-Experimenten durch die Arbeiten der Theoretiker Tersoff und Hamann an den Bell Laboratories geprägt, die bereits STM-Experimente an Gallium-Arsenid simuliert hatten und daraus in ihrer Pionierarbeit zur Theorie der Tunnelmikroskopie Vorhersagen abgeleitet hatten. Sie hatten GaAs als „eine der einfachsten Halbleiteroberflächen“ („one of the simpliest semiconductor surfaces“; Tersoff, Hamann 1985, 812) ausgewählt und aufgrund der bekannten elektronischen Struktur des GaAs(110) STM-Ergebnisse in Abhängigkeit von der Polarität zwischen Spitze und Probe vorhergesagt. Gleichzeitig stellten sie in Frage, ob das Auflösungsvermögen des Tunnelmikroskops zur Untersuchung dieser Probe ausreichen würde. Tersoff und Hamanns theoretische Überlegungen zum Auflösungsvermögen des Tunnelmikroskops basierten auf ihrer bewusst vereinfachenden Annahme einer idealen sphärischen Spitze mit eine Radius von 9 Å (vgl. Kapitel II.1), die Gitterkonstante des GaAs(110) war allerdings als kleiner als 6 Å bekannt (Tersoff, Hamann 1985, 812). Sie zielten mit ihren Berechnungen nicht primär auf einen direkten Vergleich zu den Ergebnissen von Experimenten, deren Realisierbarkeit sie als zweifelhaft ansahen, als vielmehr auf die Übertragbarkeit ihrer Ergebnisse, die sie am einfachen Modellsystem GaAs entwickelt hatten, auf andere Halbleiter mit ähnlichen physikalischen Eigenschaften (ebd.). Für die Experimentatoren Feenstra und Stroscio waren die Erwartungen zu Beginn der Experimente damit durch eine Überlagerung mehrerer experimenteller Erfahrungen und theoretischer Vorhersagen geprägt: Zum einen konnten sie an ihre eigenen experimentellen Befunde anknüpfen, da sie die tunnelmikroskopische Bestimmung unterschiedlicher Zustände durch die Variation der Spannung bereits an einer anderen Probe realisiert hatten, zum anderen hatten Simulationen von Tersoff und Hamann auch für GaAs ein vergleichbares Ergebnis nahe gelegt; andererseits hatten die beiden Theoretiker gleichzeitig ihre Vorhersage relativiert, da sie der Durchführbarkeit der Experimente mit atomarer Auflösung skeptisch gegenüber standen. Doch trotz dieser Zweifel, die sich aus der Modellbildung der Theore18 | Feenstra hatte bereits vor seinen Si-Arbeiten tunnelmikroskopische Experimente an GaAs(110) durchgeführt und diese auch publiziert (Feenstra, Fein 1985); die Tunnelspektroskopie hatte er jedoch zuerst an den Silizium-Proben realisiert und anschließend auf GaAs übertragen.
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tiker speiste, gelangen Feenstra und Stroscio tunnelspektroskopische Experimente an GaAs mit atomarer Auflösung, womit sie das theoretisch vorherbestimmte Auflösungsvermögen übertrafen. Sie übernahmen ihre Routinen aus den Si-Messungen und operierten wieder in einer Scanrichtung mit einer bestimmten Spannung zwischen Spitze und Probe, und legten während jedes zweiten Scans in Rückrichtung eine andere Spannung entgegengesetzter Polung an. Zudem griffen sie routinemäßig auf Feenstras Auswertungssoftware zur Trennung von Daten gleicher Polarität nach Abschluss der Messung zurück und wählten wiederum die Darstellung dieser zwei getrennten Datensätze in zwei separaten Bildern, die Daten von exakt demselben Ausschnitt der Probe veranschaulichten (Abb. IV.1.10). Rechtecke markierten jeweils eine Einheitszelle und damit gleiche Orte auf der Oberfläche. Innerhalb der Rechtecke zeigten sich helle und dunkle Stellen – sprich: die Minima und Maxima in der Spur der Spitze – als Ergebnisse der beiden Messungen mit unterschiedlicher Polung gegeneinander verschoben. Dieser Unterschied zeigte sich in einer Evidenz, die einer mehrschrittigen visuellen Strategie Feenstras und Stroscios geschuldet war: Sowohl die Neuanordnung der Daten, ihre bildliche Gegenüberstellung als auch die Markierung einer Einheitszelle dienten einer direkten Vergleichbarkeit, in der sich die unterschiedlichen Ergebnisse der beiden Messungen zeigten. Auffällig ist die Übereinstimmung zur Präsentation der Si-Ergebnisse durch Ruud Tromp (vgl. Abb. III.1.16; Kapitel III.1), der ebenfalls Einheitszellen zur besseren Vergleichbarkeit in seine tunnelmikroskopischen Bilder eingezeichnet hatte. In einer weiteren Analogie zu Tromp zeigten auch Feenstra und Stroscio unterhalb der Zusammenstellung tunnelmikroskopischer Bilder ein Modell der Oberflächenstruktur ihrer untersuchten Probe. In der Aufsicht symbolisierten Kreisringe die Positionen von Gallium-Atomen, ausgefüllte Kreise die von Arsen-Atomen. Zur Vergleichbarkeit mit den experimentellen Bildern zeichneten sie auch in dieses Schema die Einheitszelle ein (Abb. IV.1.10 unten). Zudem zeigten sie zur Anknüpfung an oberflächenphysikalisches Vorwissen einen Maßstab und die Gitterausrichtung. Sie führten ihre tunnelspektroskopischen Bilder mit den etablierten symbolischen Darstellungen der Atomanordnung zusammen, ohne dass eine direkte Korrespondenz zwischen den Kreisen als Symbole der Positionen von Atomen und den Maxima im tunnelmikroskopischen Bild entstand. Vielmehr fielen die hellen Flecken in dem linken STMBild lediglich mit den Positionen der symbolisierten Gallium-Atome zusammen, während der helle Fleck im rechten STM-Bild mit der Position des symbolisierten Arsen-Atoms innerhalb des Modells kor-
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Abb. IV. 1.10: Darstellungen von GaAs-Untersuchungen mit unterschiedlicher Polung zwischen Spitze und Probe; Einheitszellen sind an gleichen Orten auf der Probe eingezeichnet; darunter das Modell der atomaren Oberflächenanordnung mit As-Atomen als Kreisringen und Ga-Atomen als ausgefüllten Kreisen, ein Maßstab sowie die Gitterausrichtung (Feenstra et al. 1987, 1193).
respondierte. Stroscio und Feenstra interpretierten die Bilder in Einklang mit den theoretischen Vorhersagen von Tersoff und Hamann, dass bei positiver Polung der Probe gegenüber der Spitze die unbesetzten Zustände der Gallium-Atome den Tunnelstrom erhöhen, während bei negativer Polung der Probe gegenüber der Spitze der Elektronenfluss durch die besetzten Zustände des Arsens erhöht wird (Tersoff, Hamann 1985, 812; Feenstra et al. 1987, 1193). Dies führte in der Spur der Spitze bei einer positiven Polung der Probe zu Maxima in der Nähe der Positionen der Gallium-Atome mit deren unbesetzten Zuständen und bei einer negativen Polung der Probe zu Maxima in der Nähe der Positionen der Arsenatome mit deren besetzten Zuständen. Das Bildarrangement von Stroscio und Feenstra fand weite Verbreitung, in Lehrbüchern sowohl zur Oberflächenphysik (Horn, Scheffler 2000) als auch zur Tunnelmikroskopie. So stellte Roland Wiesendanger in seinem Lehrbuch zur Rastersondenmikroskopie diese Bilder an den Beginn seiner Einleitung und verwies auf den selektiven Charakter der Bilder in Abhängigkeit der gewählten Spannung zwischen Spitze und Probe (Wiesendanger 1998, 1f.). Die Möglichkeit, das Tunnelmikroskop spektroskopisch einzusetzen, aber auch die Abhängigkeit der
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Bilder von den gewählten Parametern und die Interpretationsbedürftigkeit der Bilder rückte damit an den Anfang innerwissenschaftlicher Vermittlungen über die Rastertunnelmikroskopie. Während die Bilder damit einerseits ein Ergebnis zeigten, dass in der Lehrbuchverwendung seine Kanonisierung erfuhr, gaben sie gleichzeitig Anlass zu weiteren Forschungen und Kooperationen. Hatten Stroscio und Feenstra zunächst auf die Theoriearbeiten von Tersoff und Hamann aus den Bell Laboratories zurückgegriffen und ihre Ergebnisse gemeinsam mit Tersoff publiziert (Feenstra et al. 1987), so brachten die neuen Fragen, die die GaAs-Experimente aufwarfen, die Zusammenarbeit mit Norton Lang, der wie Feenstra und Stroscio im IBM-Labor Yorktown Heights tätig war, mit sich: „[...] usually you get the experimental data first, come to some conclusion first without the theorist helping you, I think there were lots of things interpreted without theoretical help, and then the theorists picked certain things they wanted to solve and it probably depended a lot on where they were and what groups they were working with like with us; since we were doing the spectroscopy here at IBM, I was working with Randy Feenstra, it was natural for Norton Lang to do the calculations of spectroscopy, so it was depending on what was happening here.“ (Stroscio 02/04)
Anlässlich dieser Kooperation mit den Experimentatoren Stroscio und Feenstra widmete sich der Theoretiker Lang der einzelatomaren Deutung der Tunnelmikroskopie, indem er den Tunnelstrom zwischen einzelnen Atomen an Probe und Spitze berechnete. Damit verließ er den Ansatz von Tersoff und Hamann, die Spitze abstrakt zu modellieren. Die Deutung von Einzelatomexperimenten wie die von Don Eigler sollte später auf diesem theoretischen Ansatz von Lang beruhen (vgl. Kapitel III.3). Wieder einmal zeigt sich deutlich, dass Experimente keinesfalls lediglich der Falsifizierung oder Verifizierung von Theorien dienen. So erzählt Stroscio im Interview über seine Praxis nahezu beiläufig, dass häufig Experimente neue Anstöße lieferten und theoretische Erklärungen diesen nachgeliefert seien, was die Wissenschaftstheorie des logischen Empirismus, der mit langer Nachwirkung von einer Theoriedominanz ausgegangen ist, untergräbt. Die Bildpraxis von Feenstra und Stroscio zeigt, dass die Erkenntnisgenerierung in einem dynamischen Wechselverhältnis von Experimenten und Theorieentwicklungen entsteht.19 Dieser in der Wissenschaftstheorie für das Verhältnis von Experiment, Instrument und Theorie ausformulierte Sachverhalt legt für die Untersuchung der Bildpraxis nahe, dass in Experimenten mit
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bildgebenden Verfahren nicht lediglich durch kollektive Vorstellungen bzw. theoretische Vorhersagen vorgedachte Bilder entstehen, sondern in den Prozessen experimenteller Dynamik Abweichungen entstehen, die mit Bezügen auf Vor-Bilder nicht zu erklären sind. Vor diesem Hintergrund erhält die folgende Ausführung, wie in der Darstellung der GaAs-Experimente Anknüpfungen an Bildtraditionen kugelförmiger Atomdarstellungen realisiert wurden, ihre wissenschaftstheoretische Brisanz. Das Beispiel eignet sich in besonderem Maße, da – wie bereits ausgeführt – die tunnelspektroskopischen Experimente zunächst überraschenderweise Aufschlüsse über lokale Verteilungen von elektronischen Zuständen gaben, ohne dass die Positionen einzelner Atome mit den hügel- bzw. kugelförmigen Gebilden in den tunnelmikroskopischen Bildern direkt korrelierten.
Galliumarsenid-Untersuchungen: Annäherungen an Bildtraditionen Stroscio und Feenstra setzten die Auswertung ihrer GaAs-Arbeiten zunächst nicht durch weitere Messungen fort, sondern stellten die bereits erhobenen und interpretierten Daten in anderer Form dar und machten sie damit weiteren visuellen Auswertungen zugänglich. Sie nutzten das Erkenntnispotenzial, das in der Verfertigung verschiedener Darstellungen eines Datensatzes lag. Dazu programmierte Feenstra eine Bildsoftware, die die Überlagerung der beiden Bilder entgegengesetzter Polung ermöglichte. Er reservierte 4 bits der verfügbaren Farbwerte für die Messung mit der einen Polung und 4 bits für die Messung mit der anderen,20 um die Messungen mit den unterschiedlichen Polungen, die er zunächst getrennt hatte, nun wieder visuell in einem Bild zu überlagern. Er wählte drei Farbkombinationen, für die er die lookup tables festlegte: grün-rot (Abb. IV.1.11 a), blau-rot (Abb. IV.1.11 b) und türkis-rot (Abb. IV.1.11 c), wobei die grün-rote Version, für die Feenstra eine persönliche Vorliebe hatte,21 die weiteste Verbreitung fand. Feenstra konnte im IBM-Labor auf eine bestehende Infrastruktur zur Erstellung und 19 | Peter Galison hat ein anschauliches Backsteinmodell entwickelt, um die Unabhängigkeit der Diskontinuitäten zwischen Experiment, Instrumenten- und Theorieentwicklung zu veranschaulichen (Galison 1997, 799). 20 | E-Mail von Feenstra an den Verfasser vom 18.8.2006. 21 | E-Mail-Korrespondenz zwischen Feenstra und dem Verfasser vom 18.8.2006: JH: „Was there any reason to choose the green/orange layout for publication (personal preference, good contrast…..)?“ RF: „[…] As to green/red, I personally like that combination.“
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Abb. IV.1.11 a-c: Die drei Bilder zeigen in unterschiedlichen Farben jeweils die Überlagerung der zwei Messungen mit entgegengesetzter Polarität, die in Abb. IV.1.10 nebeneinander dargestellt sind (Privatbesitz Randy Feenstra).
Publikation von Farbbildern in hoher Qualität zurückgreifen, indem er eine fest installierte Vorrichtung zur Aufnahme des Bildschirms mit 35mm-Diapositiven und zentrale Einrichtungen im IBM-Labor zur Erstellung von hochqualitativen Druckvorlagen nutzte.22 Feenstras Überlagerung der zwei Messungen in einem Bild führte zu einer transparenten Darstellung, die sich von dem ästhetischen Standard in der Tunnelmikroskopie mit opaken, massiven Darstellungen abhob. Er erhöhte den Eindruck von Räumlichkeit durch eine zentralperspektivische Verzerrung gegenüber den Aufsichten in den Graustufenbildern. Die gewellten, flatternden Ränder entfalteten eine Leichtigkeit, die der Transparenz der Überlagerungen entsprach und sich von den üblichen, massiv wirkenden tunnelmikroskopischen Bildern abhob. Während schon zuvor die Bildpraxis von Feenstra und Stroscio vom Paradigma des Vergleichens geprägt gewesen war und sie dazu Bilder 22 | Die Vorrichtung von Dia-Aufnahmen beschrieb Feenstra in einer E-Mail an den Verfasser vom 18.8.2006, die Infrastrukturen bei IBM nannte Joseph Stroscio (Stroscio 02/04).
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nebeneinander gestellt und Hilfslinien einfügt hatten, ermöglichte die Überlagerung nun die Vergleichbarkeit in einem einzigen Bild. Die zunächst getrennten Daten für Scans mit den entgegengesetzten Spannungen führten sie dazu wieder in einem Bild zusammen. Feenstra begründet die Erstellung des Kompositbildes auf Nachfrage so: „Back then it was quite a competitive time within STM groups at IBM (and with outside groups as well) as to who’s data was ‚best‘ (this situation is described in Mody’s thesis). We all did try our best to put the best face on our data, while preserving the integrity of the data of course.“23
„The best face“ erhöhte den Wert einer Messung und die Ästhetisierung war Teil der Konkurrenz um Aufmerksamkeiten in einer zunehmenden „Medialisierung der Wissenschaft“ (Weingart 2001, 44ff.). Der Einsatz von Farbe war nicht mehr verpönt wie noch in den 1970er Jahren, in denen lediglich Grautöne mit Seriosität, Objektivität und Wissenschaftlichkeit verbunden waren,24 sondern wurde ein Mittel im Konkurrenzkampf mit andern Forschungsgruppen. Dieses Bemühen um Aufmerksamkeit war bei Feenstra und Stroscio gepaart mit der Verwendung des Kompositbildes zu weiteren Auswertungen, für die sie wiederum Bildvergleiche anstellten. Feenstra simulierte auf Grundlage von Gleichungen, die Hamann entwickelt hatte (Feenstra et al. 1987, 1195), tunnelmikroskopische Bilder für drei unterschiedliche kristalline Oberflächenanordnungen der Gallium- und Arsen-Atome und stellte sie mit einem Ausschnitt des orange-grünen Bildes, das auf experimentell erzeugten Daten beruhte, zu einem Tableau zusammen (Abb. IV.1.12). Die Farbbilder erschienen auf derselben Seite wie die Graustufenbilder (Abb. IV.1.10), so dass Daten aus ein und derselben Messung eine zweifache bildliche Darstellung erfuhren. 23 | E-Mail von Feenstra an den Verfasser vom 18.8.2006; dass Feenstra die Arbeit von Mody anführt, zeigt sein Interesse an wissenschaftshistorischen und – soziologischen Untersuchungen und korreliert mit seinen Bemühungen, mir die Bilder in ihrer ursprünglichen Gestaltung zur Verfügung zu stellen. Die Korrespondenz mit Tunnelmikroskopikern zum Zweck der Rekonstruktion der Bildpraxis bedurfte einer laufenden Reflexion, die Offenheit solcher Personen anzunehmen und zu schätzen, aber nicht allein diese Unterstützung anzunehmen, sondern auch Stellungnahmen skeptisch eingestellter Tunnelmikroskopiker nachzuspüren. 24 | Zur Zäsur der Darstellungsweisen in wissenschaftlichen Zeitschriften zwischen den 1970er und späten 1980er Jahre siehe Heßler 2004, 48f.
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Abb. IV.1.12: Tableau zum Vergleich experimentell erzeugter Daten (oben links) mit Simulationen tunnelmikroskopischer Messungen unter Annahme verschiedener atomarer Anordnungen an der Oberfläche des GaAs (Feenstra et al. 1987, 1193).
Während Feenstra in den Simulationen zu den Bildern oben rechts und unten links jeweils von Oberflächenmodellen mit unterschiedlichen Winkeln in der Anordnung zwischen den Arsen-Atomen und den Gallium-Atomen ausging, legte er seiner Simulation zum Bild unten rechts die Annahme einer planaren Anordnung der Ga- und As-Atome zugrunde (jeweils Abb. IV.1.12). Aus dem Bildvergleich schlossen Feenstra und Kollegen, dass letztere Oberflächenstruktur unwahrscheinlich sei, so dass vielmehr von einem Winkel auszugehen sei (Feenstra et al. 1987, 1194). Diesen bestimmten sie in weiteren Auswertungen quantitativ, indem sie Daten entlang der gestrichelten Linien in ihren experimentell und durch Simulationen erzeugten Bildern extrahierten und in Diagrammen auswerteten. Durch Extrapolationen aus den simulierten Daten für die beiden Beispiele von 13 Grad und 27 Grad schlossen sie auf einen Winkel zwischen 29 Grad und 31 Grad und hoben hervor, dass dieses Ergebnis denen aus LEEDund Ionenstreuexperimenten widersprechen würde (Feenstra et al. 1987, 1195). Mit dieser Argumentation zeigten sie, dass das Tunnelmikroskop zu gleichen Fragestellungen wie andere Instrumente beitragen konnte und nicht lediglich der Verifizierung deren Ergebnisse diente. Bereits im vorangestellten Abstract ihrer Publikation hatten Feenstra und Stroscio hervorgehoben, dass ihre quantitativen Auswertungen erst unter Verwendung von Simulationen möglich gewesen seien und nicht aus den experimentell erzeugten Bildern allein hätten gewonnen werden können („we quantitatively determine surface
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IV.1.13: Wiedergabe von Abb. IV.1.11a in Spektrum der Wissenschaft; das Bild wirkt in dieser Druckversion nicht mehr so artifiziell und die Überlagerung zweier transparenter Flächen erscheint nicht mehr so ausgeprägt wie im Original (Abb. IV.1.11a) (Brodsky 1990, 48).
structural parameters which cannot be inferred from images alone“; Feenstra et al. 1987, 1192). Damit war es ihnen wichtig zu betonen, nicht lediglich eine Bildoberfläche geschaffen zu haben, sondern Auswertungen jenseits der Betrachtung der Oberfläche vorzunehmen. Dieses Argument bemühen sie für ein Bild, das Feenstra rückwirkend als „best face“ und damit als Resultat des Kampfes um Aufmerksamkeiten sieht. Diese zwei Verwendungen – der Hinweis auf den operativen Gebrauch und die Verfertigung einer schönen Bildoberfläche als Instrument der Aufmerksamkeitsgewinnung – divergieren nur scheinbar, sind sie doch in der Praxis aufeinander angewiesen. So hatten sich Feenstra und Stroscio durch ihren Beitrag zu aktuellen Fragen der Oberflächenphysik und das Durchbrechen theoretisch vorhergesagter Grenzen bezüglich des Auflösungsvermögens der Tunnelmikroskopie die Legitimation zur attraktiven Bildgestaltung, die – wie Feenstra hervorhob – die Integrität der Daten nicht berührte („while preserving the integrity of the data“), 25 erarbeitet. Gleichzeitig ließ sich die Aufmerksamkeit in der Gemeinschaft der Tunnelmikroskopiker und Halbleiterforscher nicht allein durch den Einsatz von Farbe erzielen, sondern in Kombination mit einer Aussagekraft der Bilder, die an aktuelle Theorieentwicklungen zur Tunnelmikroskopie und Ergebnisse komplementärer Verfahren der Oberflächenphysik ankoppelte. Diese doppelte Attraktivität der Bilder nutzten IBM-Kollegen von Stroscio und Feenstra wie der Rastersondenmikroskopiker Kumar 25 | E-Mail von Feenstra an den Verfasser vom 18.8.2006.
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Wickramasinghe oder der Forschungsdirektor Marc Brodsky, um das farbige Kompositbild in der Downstream-Kommunikation in Artikeln in Scientific American einzusetzen. Während Wickramasinghe den Tenor der fachinternen Publikation beibehielt, dass unterschiedliche elektronische Zustände gemessen worden seien (Wickramasinghe 1989), überführte Brodsky das Bild in seinem Artikel über GaAs in einen neuen Kontext. Die Darstellung, die gegenüber dem ursprünglichen Bild die Überlagerung zweier transparenter Bilder kaum mehr erkennen ließ (Abb. IV.1.13), verwendete Brodsky im Sinne eines Abbildes von Atomen.26 Seine Botschaft in der Bildunterschrift lautete: „Einzelne Atome von Gallium (grün) und Arsen (rot) sind in dieser Aufnahme mit dem Rastertunnelmikroskop zu erkennen.“ (Brodsky 1990, 48) Diese Suggestion der Sichtbarkeit einzelner Atome steht im Gegensatz zur ursprünglichen Interpretation durch Feenstra und Stroscio: „The unoccupied states are colored green, the occupied states are colored red [...] The calculation shows that the occupied state density is concentrated around the surface As atoms, and the unoccupied density around the Ga atoms.“ (Feenstra et al. 1987, 1193) Das Bild wurde aus seinem Erstellungs- und Interpretationszusammenhang herausgelöst; die Überlagerung getrennter Datensätze und die Interpretation der Visualisierung von Zuständen fanden keine Erwähnung mehr, vielmehr erfüllte Brodsky mit seiner Neukontextualisierung die Erwartungshaltung eines breiten Publikums, indem Gallium- und Arsen-Atome als kugelförmige Gebilde präsentiert wurden. Während Roland Wiesendanger in seinem Lehrbuch zur Rastersondenmikroskopie das Bildpaar von Feenstra und Stroscio vorangestellt hatte, gerade um die Interpretationsbedürftigkeit tunnelmikroskopischer Bilder und deren Abhängigkeit von den Messparametern zu zeigen, wendete sich in der weiteren Downstream-Kommunikation der Bildstatus von der Sichtbarmachung unterschiedlicher elektronischer Zustände hin zu einem scheinbaren Abbild von Atomen. Feenstra hält diese Neukontextualisierung auch in der Rückschau für gerechtfertigt: „We were all aware of this step from ,surfaces of constant state density’ to ,atoms‘; I’d say that essentially everyone considered the latter to be appropriate for communication to the general public.“27 26 | In einer E-Mail an den Verfasser vom 23.6.2003 schrieb Brodsky, dass er die Arbeiten von Feenstra kannte und er von Feenstra dieses Bild erhalten hatte; es ist das erste rastertunnelmikroskopische Bild in Spektrum der Wissenschaft, der deutschen Ausgabe von Scientific American gewesen, das nicht Teil eines expliziten Artikels zur Rastersondenmikroskopie war.
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Abb. IV. 1.14: Jun Nogami wählte aus seinen zwei Messungen an Indium-Phosphid mit unterschiedlicher Polung lediglich die Maxima aus und fügte sie zu einem opaken Körper zusammen (Crandall, Lewis 1992, Plate 1).
Dabei sind für die Downstream-Kommunikation keine eigenen Gestaltungen vorgenommen worden. Losgelöst aus innerwissenschaftlichen Argumentationszusammenhängen und Aufmerksamkeitsbemühungen eigneten sich die Bilder auch zur Neukontextualisierung in der medialen Verbreitung. Die Bilder von Stroscio und Feenstra erfuhren Aufmerksamkeit bei anderen Tunnelmikroskopikern und dienten diesen als Handlungs- und Gestaltungsdirektive. So untersuchte Jun Nogami Ende der 1980er Jahre als postdoc in der Arbeitsgruppe von Cal Quate in Stanford mit Indium-Phosphid einen weiteren III-IV-Halbleiter mit ähnlichen elektronischen Eigenschaften wie Gallium-Arsenid. Er kombinierte ebenfalls zwei Messungen mit entgegengesetzter Polung zu einem Bild und lehnte seine Farbwahl an die von Feenstra an. Dabei überlagerte er nicht die beiden kompletten Messungen, sondern wählte lediglich die Maxima aus (Abb. IV.1.14). Damit reduzierte er die Datensätze auf jene Bildanteile, die Positionen eines Atoms als Erhebung zeigten. Eine Darstellung, in der Nogami lediglich die Minima extrahiert und kombiniert hätte, wäre ähnlich „richtig“ gewesen in dem Sinne, dass dies eine Reduktion der visualisierten Daten bedeutet hätte, scheint in der Bildpraxis aber kaum vorstellbar, da sie sich an keine Vorstellung einer atomaren Oberfläche angelehnt hätte. Auch wenn Nogami als Halbleiterphysiker nicht davon ausging, dass Atome wie kugel- bzw. hügelartige Gebilde aussehen – schließlich hatte er bewusst lokale Zustandsdichten gemessen –, war sein Bild zweifellos durch die Darstellungstradition von Atomen konfiguriert. Die Oberfläche in Nogamis Bild erscheint opak und durch die Ergänzung eines dreidimensionalen blauen Kubus als massiver Körper – ganz im Gegensatz zu der transparenten Gestaltung Feenstras. 27 | E-Mail von Feenstra an den Verfasser vom 18.8.2006.
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Nogami publizierte seine Indium-Phosphid-Experimente nicht und begründet diese Entscheidung in der Rückschau: „We decided that this image was so similar to Feenstra’s work that we did not publish it.“28 Nogami hatte seine Bilder denen von Feenstra angeglichen und ihnen damit ihr innovatives Potenzial genommen. Während Nogami im Rückblick die Ähnlichkeit zwischen seinen Bildern und dem von Feenstra hervorhebt, steht für Feenstra der Unterschied im Vordergrund: „[...] definitely his [Nogami’s] image is different than mine. In his image, apparently, only the HIGHEST topography (of each color) is seen.“ (Hervorhebung wie im Original)29 Während Nogami Ähnlichkeiten in der Kombination von zwei Messungen mit rot-grüner Farbcodierung sah, dominierte für Feenstra der Unterschied, dass Nogami nicht wie er selbst sämtliche Messwerte in einem Bild visualisiert hatte, sondern eine Auswahl getroffen hatte, die sich allein an der Erscheinung einer hügelförmigen Oberfläche orientiert hatte. Auch ohne Veröffentlichung in einer Zeitschrift fand Nogamis Bild Verbreitung, da es Teil der Bildpraxis war, Bilder unter Kollegen herzuzeigen und auszutauschen.30 So hatte das Bild die Aufmerksamkeit von John Foster erfahren, der nach seinem Abschluss in Stanford in das benachbarte IBM-Labor Almaden gewechselt war. Foster trug 1989 auf der ersten Konferenz des Foresight Institute, das sich der Verbreitung nanotechnologischer Visionen verschrieben hatte, über den Stand der Forschung in der Rastertunnelmikroskopie vor. Im Tagungsband (Crandall, Lewis 1992) erschien ein Übersichtsartikel Fosters, in dem er das Bild als Beispiel anführte, dass unterschiedliche chemische Elemente durch das Rastertunnelmikroskop unterscheidbar seien, da sich Indium und Phosphor unterschiedlich zeigten. Er erwähnte die Veränderung der angelegten Spannung und die unterschiedlichen elektronischen Eigenschaften, die mit dem STM gemessen werden (Foster 1992, 18). Doch wie im Beispiel des IBM-Logos kam es zu einer Isolierung und Neukontextualisierung des Bildes, in diesem Fall durch die Auswahl 28 | E-Mail von Nogami an den Verfasser vom 21.8.2003. In der Wortwahl Nogamis ist auffällig, dass sich nicht die Ergebnisse zwischen seinen Experimenten und denen Feenstras zu sehr ähnelten, sondern die Bilder, was auf den Eigenwert der Bilder in der Publikationspraxis verweist. 29 | E-Mail von Feenstra an den Verfasser vom 18.8.2006. 30 | Nogami nannte zwei potenzielle Verbreitungswege: „As far as how this image got to John Foster, the most probably routes are two: 1) via Cal Quate, who always liked to show any ,latest data‘ from our group. 2) via Sang-il Park, who used quite a few of the images taken from our early work in advertising material for Park Scientific Instruments.“ (E-Mail vom 21.8.2003).
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Abb. IV. 1.15: Auf der Titelseite des ersten Buches mit dem Titel „Nanotechnology“ bildet ein tunnelmikroskopisches Bild (Ausschnitt aus Abb. IV.1.14) den Hintergrund eines visionären atomaren Modells eines Lagers (Crandall, Lewis 1992).
eines Ausschnittes für das Titelbild des Tagungsbandes (Fig. IV.1.15). Das unregelmäßige orange-grüne Streifenmuster bildete den Hintergrund zu einem computergenerierten Modell eines Getriebes, das die Visionäre Eric Drexler und Ralph Merkle erstellt hatten. Jedes einzelne der 2.808 Atome dieses Modells ist als Kugel dargestellt.31 Vordergrund und Hintergrund korrespondieren formal durch eine dingliche Darstellung von Atomen. Während sich im Modell ideale Kugelformen herausbilden, zeugen die unregelmäßigeren Formen des STM-Bildes von einem experimentellen Ursprung, jenseits der geglätteten Perfektion einer rein imaginierten Zukunftsvision. Die Darstellung einer Untersuchung zu den elektrischen Eigenschaften eines Halbleiters bildete damit den Hintergrund und gleichsam den Rückhalt einer nanotechnologischen Utopie, die damit ein Stückchen weiter in den Bereich des Möglichen zu rücken schien. Der Brückenschlag zwischen Utopie und realisiertem Experiment konnte in der Form der Darstel31 | Im Fall eines atomaren Getriebes, in dem Atome wie in einem Kugellager aneinander vorbeigeführt werden, wird die Frage, welche Vorstellung für den Raum zwischen den Atomen durch die Bilder suggeriert wird, besonders prekär.
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lung ihre Realisierung finden, da die tunnelmikroskopischen Bilder sich schrittweise der über Jahrhunderte entwickelten Ikonografie des Atoms angeglichen hatten. Das STM-Bild war das Ergebnis einer langen Kette von Transformationen sowohl bezüglich seiner Formgebung als auch seines Kontextes, in deren Verlauf die ursprüngliche Auswertung der elektronischen Eigenschaften eines III-V-Halbleiters der Aussage gewichen war, dass die tunnelmikroskopische Forschung in der Untersuchung und Gestaltung der atomaren Dimension angekommen sei. Das Beispiel der Gallium-Arsenid-Bilder und ihre Adaption für die Gestaltung der Indium-Phosphid-Experimente verdeutlicht zum einen, dass die Bildpraxis der Tunnelmikroskopie keinesfalls auf die scheinbare Abbildbarkeit einzelner Atome zu reduzieren ist, da die Möglichkeit, Aufschlüsse über die lokalen elektronischen Zustandsdichten zu erzielen, ein zentrales Ergebnis darstellt. Zugleich strebten die Formbildungen und Kontextualisierungen einer Ausgestaltung entgegen, die auf Bildtraditionen, die sich über Jahrhunderte ver festigt hatten, rekurrierten. Beide Aspekte sind untrennbar mit der Vielschichtigkeit wissenschaftlicher Bildpraxis verquickt. Die Beobachtung Ludwik Flecks aufgreifend, dass zwischen einer äußeren Gestalt und einer lebendigen Praxis der Wissenschaft zu unterscheiden sei (vgl. Kapitel II.1), heißt, den Blick auf die Praxis der Bilderzeugungen und -interpretationen der Tunnelmikroskopiker zu richten. Für die hatte zunächst die Sichtbarmachung unterschiedlicher elektronischer Zustände mit dem Tunnelmikroskop ein Überraschungsmoment bedeutet, das dann in der atomaren Auflösbarkeit von GaAs einen zweiten Schub erfuhr, indem die von den Theoretikern vorhergesagten Grenzen der Tunnelmikroskopie experimentell überschritten werden konnten. Die zunächst überraschenden Ergebnisse gerieten schrittweise im Prozess der Zurichtung und Kommunikation mit tradierten Vorstellungen des Atoms in Einklang. Unter Rastertunnelmikroskopikern existieren unterschiedliche Einstellungen zu diesem Befund: So verwies Wolfgang Heckl, der sich im Kontext bildwissenschaftlicher Diskussionen bewegt (vgl. Heckl 2004), im Interview seinerseits auf die Prägung durch Bildtraditionen: „Wir bringen unser eigenes Bild in Einklang mit dem, was wir messen; unser Bild ist von Giordano Bruno geprägt und der hat uns eingeimpft: ein Atom ist ein Atom ist eine Kugel ist eine Kugel.“ (Heckl 07/03) Ein Gutachter eines Artikels von mir, der seiner Sprachwahl und Argumentation nach aktiver Nanoforscher war, empörte sich im Gegensatz dazu über die These, dass in dem Kompositbild Erwartungen an das Aussehen von Atomen ihre Realisierung fän-
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den, da Tunnelmikroskopiker damit als „dumm“ („dumb“) dargestellt würden.32 Doch kann die Vorprägung und Konvergenz tunnelmikroskopischer Darstellungen gegen die Bildtradition selbstverständlich widerspruchsfrei mit dem Wissen einhergehen, dass Atome nicht wie Kugeln aussehen, was ich keinem Physiker absprechen möchte. Die Bildgestaltungen von Feenstra und Nogami geschahen im Wissen um die Messung von elektronischen Zustandsdichten, die schrittweise Annäherung an die Formtradition hat keinesfalls die quantenphysikalische Interpretierbarkeit der Bilder hinfällig werden lassen, auch wenn sie in völligem Widerspruch zur Quantenphysik gleichzeitig in populär wissenschaftlichen Darstellungen als Abbilder von Atomen Verwendung fanden.
Die Anschaulichkeit des Unanschaulichen Wissenschaftsphilosophen haben Bilder der Tunnelmikroskopie bzw. der Nanotechnologie kritisiert, weil sie nicht die quantenphysikalischen Prinzipien wiedergeben würden, weil sie scheinbar Atome selber zeigen, weil sie durch ihre Gestaltbarkeit beliebig seien (vgl. Kapitel I.2). Doch diese ikonoklastischen Kritiken vernachlässigen die Praxis der Bildinterpretation, der Bilderstellung, Bildgestaltung und der Kontextualisierung. So ist es nicht zwangsläufig der Zweck eines Bildes, quantenphysikalische Prinzipien zu verdeutlichen, und der Eindruck des Anblick eines Atoms im tunnelmikroskopischen Bild kann lediglich dem Kontext und Vorwissen des Rezipienten geschuldet sein. Die quantenphysikalische Interpretation kann immer nur eine Möglichkeit darstellen, genauso wie der Zeichencharakter einem Bild immer nur zugeschrieben werden kann, ohne dass er dem Bild immanent ist (vgl. Wiesing 2005, 37ff.). Vielmehr scheint zur Interpretation tunnelmikroskopischer Bildpraxis die Beschreibung mittels Repräsentationsketten, wie Bruno Latour sie eingeführt hat, angemessen. Danach besteht der Zusammenhang zwischen Untersuchungsobjekt und letztlicher Darstellung zur Kommunikation in Form von vielen Transformationsschritten. Nach Latour findet sich der referenzielle Bezug 32 | „At one point the author actually makes scientists look dumb: ,Here the expectation seems to have prevailed that an atom must appear as an elevation, that is, as a maximum. Seen thus, the composite image is a realization of expectations.‘ (p. 11) I doubt there is a single STM researcher that dumb.“ Anonymer peer review referee in seinem Gutachten für die Zeitschrift Techné zu Hennig 2005.
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eben nicht zwischen Anfangsglied – dem Untersuchungsgegenstand – und Endglied – etwa einem populär publizierten Bild –, sondern in den Verbindungen zwischen den vielfältigen einzelnen Glieder der Repräsentationskette (Latour 2002 [1993], 72), wie sie exemplarisch für die GaAs- und InP-Untersuchungen ausgeführt wurden. In dieser Perspektive kommt es zu keinem Bruch zwischen der Durchführung eines Experiments, das auf einem quantenphysikalischen Grundprinzip beruht, und einer dinglichen Wahrnehmung der dargestellten Entitäten. Vielmehr bedeutet die Tatsache, dass jedes tunnelmikroskopische Bild grundsätzlich auf dem quantenphysikalischen Tunneleffekt beruht, für jede solche Gestaltung eine Veranschaulichung der unanschaulichen Quantenmechanik, ohne ihre Unanschaulichkeit hinfällig werden zu lassen. So legitimiert beispielsweise die Tatsache, dass stets Orte gleichen Tunnelstroms zwischen Spitze und Probe ihre Darstellung finden, die Verwendung einer beliebigen Farbe, da keine Farbe als ,wahre‘ Farbe gelten kann. In dieser Abstraktion liegt die Legitimation zur Bildgestaltung, die sich in eine radikale Verdinglichung der unanschaulichen Messwerte gewendet hat. Bildern wie dem Foto des Papiermodells (Abb. II.3.2), dem IBMLogo (Abb. III.3.13) und dem Kompositbild von Feenstra (Abb. IV.1.11) ist es gemeinsam, dass sie durch ihre Adaption von Vorstellungstraditionen Verbreitung finden konnten und sich in besonderem Maße zu Neukontextualisierungen eigneten. Doch die mediale Verbreitung dieser Symbolbilder der Tunnelmikroskopie ging in allen drei Beispielen mit einer engen Verknüpfung mit der Theoriebildung zur Tunnelmikroskopie einher. Die dominanten Theoretiker Tersoff, Hamann und Lang haben sich wesentlich auf diese Experimente gestützt. Die Bilder wussten Brücken zwischen entgegengesetzten Polen zu schlagen: von einer quantenphysikalischen Theoriebildung, die auch für Experimentatoren mitunter nicht im Detail auf ihre experimentellen Befunde anzuwenden war,33 bis hin zur Verbreitung auf die Küchentische der Leser von Tageszeitungen. Damit kam es zu einer Variabilität des Wissens, das mit diesen Bildern kommuniziert und erzeugt werden konnte, die der Formgebung der Bilder geschuldet war. In diesen Transformationen des Wissens eröffneten sich Denk- und Gestaltungsräume, innerhalb derer die Tunnelmikroskopie im Kontext der Nanotechnologie verankert wurde. 33 | So spricht der Wissenschaftshistoriker Klaus Hentschel beispielsweise von phänomenologischer Theorie, die zwischen Experiment und hoher Theorie anzusiedeln sei (Hentschel 1998, 2).
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IV.2 Weltbilder der Nanotechnologie Heutzutage erscheint der Begriff „Nanotechnologie“ selbstverständlich für die Benennung von Wissenschaftsfeldern unterschiedlicher Disziplinen, die sich mit atomaren und molekularen Entitäten befassen. Ebenso weit verbreitet scheinen mit dem Begriff verbundene Assoziationen wie die Zusammenkunft von Biologie, Physik und Chemie auf der atomaren Skala, die Miniaturisierung von Bauelementen bis in den Nanometerbereich und auf die atomare Skala sowie die Möglichkeit, Atome und Moleküle zur Generierung komplexer Bausteine zu nutzen. Die Erzeugung solcher Verbindungslinien und Ansprüche ist „kein unschuldiges Unterfangen“ (Nordmann 2006b, 20), vielmehr werden Weltbilder dabei aufgerufen, die kulturhistorische Aufladungen mit sich bringen und das Wissenschaftsverständnis um die Jahrtausendwende widerspiegeln und prägen. Ebenso geläufig wie diese Narrationen rund um die Nanotechnologie erscheint ihre Verknüpfung mit der Rastersondenmikroskopie, die ihren Ausdruck in Tagungstiteln wie der „International Conference on Nanoscience and Technology“ mit dem Untertitel „NANO9 meets STM’06“ findet – eine Tagung, auf der rund 1.500 Rastersondenmikroskopiker unter dem Dach „nano“ zusammentrafen.34 Fest verankert scheint das Tunnelmikroskop auch in der Gründungsgeschichte der Nanotechnologie zu sein. Davis Baird und Ashley Shew haben als „Standardgeschichte“ der Nanotechnologie eine Aneinanderreihung mehrerer immer wieder angeführter Schritte identifiziert (Baird, Shew 2004, 151ff.): (i) Feynmans mittlerweile oft zitierte Rede „There is Plenty of Room at the Bottom“, die er im Dezember 1959 am Caltech hielt35 und in der er die Verbesserung von Mikroskopen als zentralen Schritt zur Miniaturisierung bis in die atomare Dimension ansah; (ii) die Erfindung des Rastertunnelmikroskops durch Binnig und Rohrer Anfang der 1980er Jahre; (iii) die Verbreitung nanotechnologischer Visionen durch Eric Drexler ab Mitte der 1980er Jahre, vor allem durch sein Buch „Engines of Creation“ (Drexler 1990 [1986]) und die Machenschaften der Personen im Umfeld des Foresight Institutes mit 34 | James Murday und Richard Colton waren für die Ausrichtung der jährlich stattfindenden STM-Tagung zuständig und wandelten den Namen erstmals in STM/ NANO ab (vgl. Mody 2004b, 131). 35 | Die Rede wurde zuerst in der Zeitschrift Engineering and Science abgedruckt (Feynman 1960a), kurze Zeit später in gekürzter Form in der weitere Verbreitung findenden Saturday Review (Feynman 1960b), ist jedoch bis in die Mitte der 1980er Jahre hinein kaum rezipiert worden.
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ihrer Prägung und Verbreitung des Begriffs Nanotechnologie; (iv) Don Eiglers großer Schritt zur Erfüllung dieser Utopien durch die experimentelle Verfertigung des atomaren IBM-Logos (vgl. Kapitel III.3). Selbstverständlich hält eine solch verkürzte Erzählung einiger weniger ausgewählter Entwicklungsetappen keiner wissenschaftshistorischen Reflexion stand und ist dementsprechend bereits mehrfach relativiert worden. So zeigt die Rekonstruktion des technisch-wissenschaftlichen Kontextes von Feynmans Gedanken zur Miniaturisierung eine deutliche Diskrepanz zur Rezeption der Rede 30 Jahre später (Junk, Rieß 2006). Auch die Prominenz der Tunnelmikroskopie in der Geschichte der Nanotechnologie lässt sich nicht allein durch technisch-naturwissenschaftliche Ergebnisse über die untersuchten Proben begründen. Ihr Einsatzgebiet auf leitende, weitgehend ebene Oberflächen ist doch recht beschränkt und sie ist – wie in dieser Arbeit ausgeführt – im Labor in ein Netz komplementärer Techniken eingebettet, so dass eine alleinige, herausragende Stellung beispielsweise bei der Bestimmung von Oberflächenrekonstruktionen nicht gerechtfertigt ist. Und auch eine komplementäre Technik wie die Elektronenmikroskopie gibt Einblicke in atomare Strukturen, ohne dass sie bezüglich der Herausbildung der Nanotechnologie einen ähnlichen Status erhalten hätte (vgl. Baird, Shew 2004, 153). Auch der bahnbrechende Charakter von Eiglers Experimenten bedarf der Relativierung; so hat Cyrus Mody darauf hingewiesen, wie wenig selbstverständlich es ist, dass seine Experimente, die aufgrund des immensen instrumentellen Aufwandes für den Großteil der Tunnelmikroskopiker nicht im Ansatz replizierbar erschienen und keine zentralen Fragen der Oberflächenphysiker berührten, nicht als esoterisch, sondern als Leitexperimente der Tunnelmikroskopie angesehen wurden (Mody 2004b). Zudem haben sowohl Wissenschaftshistoriker (Hessenbruch 2004, Hennig 2004) als auch Eigler selber auf die Diskrepanz zwischen den Experimenten, in denen XenonAtome auf einer Nickel-Oberfläche verschoben wurden, und den Visionen, technische Bausteine aus einzelnen Atomen zu verfertigen, hingewiesen. Eigler distanzierte sich zehn Jahre nach seinem Experiment von diesen Visionen, indem er sie als „völlig lächerlich“ („completely rediculous“) abtat (Eigler 1999, 432). Dass die Experimente Eiglers den Status der erstmaligen atomaren Manipulation erzielen konnten, verwundert auch aus anderem Grund: So hatte HansWerner Fink mit der Erstellung atomar feiner Spitzen im Feldionenmikroskop bereits eine Skulptur atomarer Dimension verfertigt, die in der Positionierung eines einzelnen Atoms mündete (Fink 1986, vgl. Kapitel II.2). Doch mit der Vollendung dieses mikroskopischen Topos,
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Abb. IV.2.1 (entspr. Abb. II.2.7):Darstellung einer atomar feinen Spitze als Kugelmodell und als feldionenmikroskopische Bilder (Fink 1986, 464).
der sich als Frage nach der Formvollendung von Spitzen in Natur und Technik bis zur Micrographia von Robert Hooke zurückverfolgen lässt, vermochte Fink nicht an Bildtraditionen anzuknüpfen. Elektronenmikroskopische Bilder von Spitzen erzielten keine atomare Auflösung, feldionenmikroskopische Bilder bedurften der Interpretation und des Vorwissens und die Fotos der Kugelpyramide als Modell konnte wiederum nicht die Evidenz und Faszination der experimentellen Realisierung transportieren (Abb. IV.2.1). In der großen Diskrepanz zwischen der geringen Aufmerksamkeit, die Finks Experimente erfahren haben, und der Popularisierung von Eiglers Experiment, dessen Bilder sogar in Werbekampagnen massenmediale Verbreitung fanden, zeigt sich, dass nicht allein die Tatsache, einzelne Atome verschieben zu können, den Erfolg Eiglers ausgemacht hat. Vielmehr ist er als Ergebnis kultureller Aufladungen anzusehen, die sich in der Erzeugung der Kulturtechnik Schrift wie auch der Anknüpfung an Bildtraditionen ausdrücken. Im Folgenden soll jedoch nicht die Widerlegung der Standardgeschichte der Nanotechnologie im Mittelpunkt stehen, sondern vielmehr die Frage, wie es zur Ausprägung dieser Geschichte kam, wieso dem Tunnelmikroskop eine derart überhöhte Rolle zugesprochen wurde und welche Mechanismen und Interessen an der Herausbildung einer solchen Historisierung beteiligt waren. Diese Perspektive lenkt die Aufmerksamkeit weg von den technischen Potenzialen des Instruments und den – keinesfalls anzuzweifelnden oder zu relativierenden – Beiträgen zu Fragen der Oberflächenphysik, hin zur kulturellen und historischen Dimension von Tunnelmikroskopie und Nanotechnologie. Anhand von bereits in den vorherigen Kapiteln diskutierten Fallstudien als auch durch ergänzende empirische Beispiele zeigt sich, wie sehr die Gestaltung der Bilder die Wahrnehmung des Instruments geprägt hat, da in ihnen die Weltbilder hinter der Nano-
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technologie ihren Ausgang nahmen und gleichzeitig ihren Ausdruck fanden.36
Visionäre Rhetoriken in der Tunnelmikroskopie Es ist Teil wissenschaftlicher Publikationsrhetorik, wissenschaftliche Ergebnisse in Forschungslinien einzuordnen, womit gleichzeitig immer Historisierungen vorgenommen werden. Auch Tunnelmikroskopiker haben von Anfang an und noch vor der Prägung des Begriffs Nanotechnologie ihre Arbeiten in Forschungstraditionen eingebettet, beispielsweise in Einleitungen und Ausblicken einzelner Forschungsartikel, vor allem aber in Review-Artikeln. Bereits Mitte der 1980er Jahre, als der Begriff der Nanotechnologie und noch weniger ihre Geschichte geprägt waren, waren es zunächst Tunnelmikroskopiker selbst, die Bezüge hergestellt haben, die sich später zur Standardgeschichte der Nanotechnologie verfestigen sollten. So haben Binnig und Rohrer in ihrer Nobelpreisrede 1986 auf Feynman rekurriert, indem sie das Tunnelmikroskop in einem furiosen Vorstoß als Feynman machine bezeichneten (Binnig, Rohrer 1986a, 407). Mit dieser Anknüpfung an Feynmans Rede, die damals weitgehend in Vergessenheit geraten war, werteten sie sowohl seine 1959 geäußerten Ideen als Vorhersehung auf und gaben gleichzeitig ihren eigenen Arbeiten den Status, einen lange gehegten technischen Wunsch erfüllt zu haben. Der Begriff Feynman machine war von dem Ingenieur Conrad Schneiker, der Mitte der 1980er am Bau des ersten Tunnelmikroskops an der University of Arizona beteiligt war, erstmalig verwendet worden; er erfuhr keine Kanonisierung in der Rastertunnelmikroskopie. Schneiker hatte wohl als erster Feynmans Gedanken atomarer Miniaturisierung und Produktion mit Visionen der Nanotechnologie und der Tunnelmikroskopie zusammengebracht.37 Er räumte zunächst in unpublizierten Aufsätzen dem Tunnelmikroskop, das ein reines Labor instrument war, den Status eines technologischen Arbeitsinstrumentes ein. In der Publikation zur Third International Conference on Scanning Tunneling Electron [sic!] Microscopy 1988 in Oxford, die im Journal of 36 | Zu den Weltbildern der Nanotechnologie, die im Folgenden aufgegriffen und diskutiert werden, siehe Nordmann 2006b. 37 | Binnig und Rohrer hatten sich in ihrer Nobelpreisrede auf bis dahin unpublizierte Manuskripte Schneikers bezogen (Binnig, Rohrer 1986a, 409); zur Rekonstruktion von Schneikers Publikationstätigkeit siehe Toumey 2007.
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Microscopy erschien und durch die Anwesenheit aller damaligen Tunnelmikroskopiker den Stand der Forschung repräsentierte, verfasste Schneiker gemeinsam mit Kollegen der Universität in Arizona einen Artikel unter den „Key words: Scanning Tunneling Microscope, Nanotechnology, Feynman Machines, Molecular Manipulation, Scanning Tunneling Engineering, Nanostructures“ (Schneiker et al. 1988, 585). Die Engführung des Tunnelmikroskops mit Feynmans Visionen und den Verheißungen der Nanotechnologie bildete den Kern des Beitrags, so dass schon die frühe Begriffsprägung der Nanotechnologie mit der Etablierung ihrer Standardgeschichte einherging. Schneiker und Kollegen betonten voller Zufriedenheit, dass aktive Naturwissenschaftler zunehmend Feynmans Visionen rezipierten (Schneiker et al. 1988, 586). Ein Kommentar der Herausgeber des Journal of Microscopy auf der ersten Seite des Artikels gibt eine Momentaufnahme der damaligen Einstellung von Fachwissenschaftlern zu diesen Ausführungen: „It will be recognized by readers of this paper that neither does its structure nor its approach follow that of papers normally published in the Journal. We felt however that it is undeniably interesting and include it in the issue associated with the STM meeting as, if not a preview, certainly an alternative view.“ (Editors in: Schneiker et al. 1988, 585)
In vorsichtiger Distanzierung fanden die Standardgeschichte und die Versprechungen der Nanotechnologie Akzeptanz, Anerkennung und Verbreitung, die Tunnelmikroskopie erschien in neuen Kontexten. Auch in Review-Artikeln von Tunnelmikroskopikern tauchten schon früh Bezüge zu Feynmans Rede und Schneikers Visionen auf, so etwa in einem ausführlichen, 23-seitigen Beitrag von Paul Hansma und Jerry Tersoff, der weite Verbreitung fand und zu einer ersten Standardreferenz der Tunnelmikroskopie avancierte. Nach Abschnitten zu Theorie, Einsatzbereichen und experimentellen Details wie der Probenpräparation mündete der Artikel in „Spekulationen über die Zukunft“ („Speculations on the Future“; Hansma, Tersoff 1987, R19). Hansma und Tersoff bezogen sich in ihren Überlegungen auf die Visionen Feynmans, der für die Miniaturisierung bis zur atomaren Skala neue Materialeigenschaften vorhergesagt hatte, und griffen Schneikers Vorhersage einer „NanoIndustrial Revolution“, die auf der Rastertunnelmikroskopie beruhe, auf (ebd.). Sie beschrieben auch dessen Idee einer Miniaturisierung von Tunnelmikroskopen in Größenordnungen von 1 mm3 und darüber hinaus bis hin zu Bruchteilen von Millimetern und bewegten sich damit in Fantasiegebäuden eines Visionärs wie Eric Drexler, der selbstreplizierende, mini-
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aturisierte Maschinen als Grundlage einer nanotechnologischen Revolution sah. Diese Maschinen sollten nach Tersoff und Hansma – wiederum in Rückgriff auf Schneiker – gebaut, betrieben und der Öffentlichkeit präsentiert werden (ebd.); gerade für die Außendarstellung der Tunnelmikroskopie griffen die Wissenschaftler Tersoff und Hansma auf das Regime der Visionäre zurück. Solche Ausführungen zeigen, dass Tunnelmikroskopiker ihre Methode aktiv in visionäre Kontexte eingebettet haben, was jedoch nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass in einer Wissenschaftlergemeinschaft wie der der Tunnelmikroskopiker durchaus heterogene und kontroverse Einstellungen zur Verknüpfung ihrer Tätigkeiten mit Visionen bestehen. Dementsprechend variierten auch die rhetorischen Einbettungen ihrer Ergebnisse, was sich vor allem in den Publikationen im Hinblick auf Experimente zur Manipulation der Probe mit Hilfe des Tunnelmikroskops nachvollziehen lässt: Während einige die Möglichkeit zur Manipulation auf der Nanometerskala zunächst als geeignet ansahen, um die so geschaffenen Strukturen zur weiteren wissenschaftlichen, laborinternen Auswertung zu nutzen (Staufer et al. 1987, 244), nannten andere Autoren die Produktion technisch verwendbarer Komponenten und den Transfer genetischen Materials (Becker, Golovchenko, Swartzentruber 1987, 419), sahen eine Revolution sich anbahnen (Foster, Frommer, Arnett 1988, 326) oder den bereits erwähnten Schritt für die Menschheit schlechthin (Becker, Golovchenko, Swartzentruber 1987, 419). Jenseits dieser individuellen Kontextualisierungen kam es in Review-Artikeln zur Zusammenfassung und damit zur Linearisierung und Kanonisierung dieses Forschungszweigs, der keinesfalls einem zielstrebigen Programm entsprungen war. Vielmehr waren die Ergebnisse zur Manipulation von Oberflächen von Ringger über Becker bis Eigler durchweg jeweils zunächst zufälligen Beobachtungen der Veränderung der untersuchten Proben geschuldet gewesen (vgl. Kapitel III.3).
Tunnelmikroskopische Bilder im Kontext von Utopien Ebenso heterogen wie diese Rhetoriken gestaltete sich das Verhältnis der Tunnelmikroskopiker zu Visionären wie Eric Drexler und dem Foresight Institute, das teils ignoriert, teils abgelehnt, teils aber auch als durchaus inspirierend erachtet wurde.38 Zu den Personen mit einer großen Affinität zu nanotechnologischen Visionen und einer „geografischen und kulturellen Nähe zu Foresight“ (Mody 2004, 357) gehörte der Tunnelmikroskopiker John Foster, der nach seiner Doktorarbeit
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Abb. IV.2.2 (entspr. Abb. IV.1.15): Titelseite, auf der Tunnelmikroskopie und nanotechnologische Vision zusammen kommen (Crandall, Lewis 1992).
bei Cal Quate in Stanford an das IBM-Forschungslabor Almaden gewechselt war und bei der First Foresight Conference on Nanotechnology 1989 vortrug. Seine Teilnahme und die von ihm präsentierten Bilder mündeten in dem in Kapitel IV.1 bereits ausführlich beschriebenen Titelbild (Abb. IV.2.2). Die formale Vereinbarkeit von tunnelmikroskopischem Bild und visionärem Modell wurde in der Bildzusammenstellung zum Programm. Dass Foster in seinem Beitrag für den Tagungsband den Kompositcharakter des tunnelmikroskopischen Bildes und die Umpolung der angelegten Spannung erwähnte (Foster 1992, 18), rückt in Hinsicht auf die Souveränität, mit der das Bild auf der Titelseite eine atomare Oberfläche zeigt, in den Hintergrund. Die Brücke war unumkehrbar geschlagen. Das Bild zeigte Atome in einer „artifiziellen Präsenz“ (Wiesing 2005), die den Entstehungszusammenhang der Bilder und die Mehrstufigkeit des Prozesses, in dem die keinesfalls technisch determinierte Anknüpfung an Bildtraditionen vonstatten ging, vergessen ließ. Betrachter des Titelblatts wussten mit38 | Häufig wird Eric Drexler als Hauptprotagonist der Zusammenführung von Tunnelmikroskopie und Nanotechnologie angeführt und auf sein Buch „Engines of Creation“ verwiesen, in dem er das Tunnelmikroskop nennt. Drexlers Verweis in einer einzigen Endnote ist jedoch äußerst randständig (Drexler 1990 [1986], 245).
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unter nicht um die Entstehungsbedingungen des Hintergrundbildes, konnten aber von der Wissenschaftlichkeit seiner Entstehung ausgehen, so dass das visionäre Modell im Vordergrund ein Stück weit in den Bereich des Realisierbaren rückte. In dem Titelbild drückte sich eine mechanistische Weltauffassung aus, Atome als Bausteine zur Realisierung technischer Komponenten zu verwenden. Damit blieb die scheinbare Zukunftsverheißung, die sich in diesem Bild ausdrückte, auf dem Stand der Vergangenheit der Zukunft und hinter den Realisierungen der Gegenwart zurück. So hatte schon Feynman die neuen, im makroskopischen Erfahrungsraum unbekannten Eigenschaften von Strukturen im atomaren Bereich als Motivation seiner Überlegungen genannt, anstatt eine bloße Verkleinerung vorzuschlagen. Und Materialforscher wie Herbert Gleiter hatten seit 1981 nanostrukturierte Materialien erzeugt, deren Eigenschaften auf skalenabhängigen, quantenphysikalischen Phänomenen beruhten, doch blieben seine Forschungen in der Präsentation und Historisierung der Nanotechnologie unsichtbar (Nordmann 2006c). Bezüglich der Technikvision auf der Titelseite des Buches Nanotechnology hieß das: Nicht nur stand ihre Realisierbarkeit zur Disposition – vielmehr negierte sie die Grundidee des Neuen, da sich ihre Plausibilität aus einer Bildtradition speiste, die der frühen Neuzeit entsprang (vgl. Kapitel IV.1) und quantenphysikalische Materialeigenschaften nicht auszudrücken vermochte. Der gelungene Brückenschlag zwischen der symbolischen Darstellung einer Vision und einem realisierten Experiment in der Formgebung wurde mit einer rückwärts orientierten, mechanistischen Auffassung bezahlt. Gleichzeitig widersprach die Verdinglichung des Atoms einem Zeitgeist, der virtuelle Welten und den Cyberspace als Zukunft sah. Schlagworte von Pionieren der sogenannten virtuellen Realität wie Nicholas Negropontes: „Der Wechsel vom Atom zum Bit ist unwiederbringlich und unauf haltbar“39 deuten an, wie sehr innerhalb dieser Strömung digitale Bildwelten als Nachfolger des Realen und auch des Dinglichen gesehen wurden. Die Agonie des Realen war von dem Philosophen Jean Baudrillard bereits Ende der 1970er Jahre konstatiert worden (Baudrillard 1978). In völliger Umkehrung solcher phrasenhaften Prognosen war die digitale Bildbearbeitung als fester Bestandteil tunnelmikroskopischer Bildpraxis an einer dinglichen Auffassung des Atoms als Baustein wesentlich beteiligt. Die Titelseite des Buches Nanotechnology ist ein Beispiel, dass bereits vor Don Eiglers Experimenten zur Wechselwirkung der Spitze 39 | Zitiert nach: HNF 1997, 152.
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mit adsorbierten Xenon-Atomen auf einer Nickel-Oberfläche das Tunnelmikroskop und die Nanotechnologie zusammengedacht wurden, da die dem Buch zugrunde liegende erste Foresight-Konferenz mit dem Beitrag Fosters zur Tunnelmikroskopie bereits sechs Monate vor Eiglers Experimenten stattgefunden hatte. Für die Publikation fügte Foster noch einen Verweis auf dieses Experiment in einer Fußnote ein (Foster 1992, 34), doch erhielten die Bilder Eiglers erst nach der Konferenz den Status des erstmaligen „proof of concept“ bezüglich der gezielten Handhabung einzelner Atome – eine Sicht, die der geringen Aufmerksamkeit für Finks Verfertigung einer atomaren Spitze bereits vier Jahre zuvor geschuldet war. Eigler und Schweizer hatten eine vorsichtige sprachliche Rhetorik gewählt, um den Nutzen ihrer Experimente für die Oberflächenforschung zu beschreiben. Ihr Artikel endete mit dem Satz: „This will allow a new class of surface studies that use the STM both to fabricate overlayer structures and to probe their properties. The prospect of atomic-scale logic circuits and other devices is a little less remote.“ (Eigler, Schweizer 1990, 526) Dieser vorsichtige Tenor sollte sich nicht in der Verbreitung der Bildes und seiner Kontextualisierung im Rahmen der DownstreamKommunikation niederschlagen; vielmehr dominierte die Präsenz des Bildes in seiner scheinbaren Selbstverständlichkeit und Eindeutigkeit, die Anwendungen außerhalb des Labors nahe legte. Die massenmediale Verbreitung des atomaren Logos und seine Neukontextualisierung fand zum einen in Form doppelseitiger IBMZeitungsanzeigen statt, die das Wissenschaftsbild zum Teil einer Werbestrategie werden ließen (vgl. Kapitel IV.1). Neben dieser massenmedialen Verbreitung wurde es auch in unterschiedlichen Wissenschaftsfeldern rezipiert, wo es ebenfalls zu beträchtlichen Bedeutungsverschiebungen kam. So hielt Antonia J. Jones Anfang der 1990er Jahre in Cranfield und im Department of Computing am Imperial College London eine Vorlesung mit dem Titel Self-replicating probes for galactic exploration (Jones 1991). 40 Ihre Auseinandersetzung mit zukünftigen intergalaktischen Ausflügen begann sie mit dem in diesem Bereich wohl prominentesten Beispiel, der 1980 verfertigten NASA-Studie Advanced automation for space missions (Freitas 1982). Anstatt auch nur ansatzweise kritisch diese zwölf Millionen Dollar teure, von NASAWissenschaftlern verfasste Studie aus dem Genre der Science-Fiction 40 | In dem Skript befinden sich zahlreiche Fehler auch bezüglich der historischen Rekonstruktion, so hat Eigler seine Experimente z.B. 1989 und nicht 1991 durchgeführt, auch heißt er nicht M. Eigier.
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Abb. IV.2.3: Tunnelmikroskopisch erzeugtes atomares IBM-Logo (entspr. Ausschnitt aus dem Bild unten rechts in der Bildserie III.3.13) (Eigler, Schweizer 1990, 525).
zu reflektieren, folgte im Vorlesungsskript ein Feuerwerk an Technikutopien, das in der Nanotechnologie mündete. Diese repräsentierte Jones durch Eiglers IBM-Logo, so dass sie die Gleichsetzung von Tunnelmikroskopie und Nanotechnologie in der Verwendung dieses „Schlagbildes“ (Diers 1997, 7) vollzog. Als Möglichkeiten, die aus der Nanotechnologie erwachsen könnten, nannte Jones unter anderem den Bau von medizinischen Miniaturrobotern, die an Neuronen arbeiten könnten, ewiges Leben, Umkehrung von Alterungsprozessen oder grenzenlosen Wohlstand. Das Vorlesungsskript von Jones ist nur eines von vielen Beispielen, in denen das atomare IBM-Logo schnell als Leitbild der Nanotechnologie fungierte und damit in Diskussionen auftauchte, in denen sich aktuelle Wissenschaft, mögliche zukünftige Forschungsrichtungen, Visionen, Science-Fiction und Allmachtsfantasien vermischten. Neben diesen sehr zeitnahen Rezeptionen fand das Logo auch über Jahre hinweg Verwendung, etwa in Broschüren staatlicher Institutionen, in denen die Ausrichtung der Forschungsförderung festgelegt und zugleich kommuniziert wurde. In dem 1999 verfassten Bericht Nanotechnology – Shaping the world atom by atom (NSTC 1999) des USamerikanischen National Science and Technology Council, das von Bill Clinton ins Leben gerufen wurde, wurden vier Bilder aus Eiglers und Schweizers ursprünglich veröffentlichter Sechser-Serie des IBM-Logos (Abb. III.3.13) präsentiert. Im Text wurden Details der experimentellen Erstellung wie das Ultrahochvakuum und eine tiefe Temperatur als Bedingungen des Bildes, auf die dieses selbst nicht verweist, genannt (NSTC 1999, 6). Einen weiteren Kontext bildete im selben Abschnitt der Bericht über ein Tunnelmikroskop an der University of North Carolina, das über das Internet steuerbar war, so dass Highschool-SchülerInnen einzelne Viren mit der Spitze verschieben konnten (ebd.). Trotz der
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Abb. IV.2.4: Tunnelmikroskopisches Bild adsorbierter Xenon-Atome auf einer Nickel-Oberfläche; Ausschnitt aus Abb. III.3.13 (Eigler, Schweizer 1990, 525).
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Abb. IV.2.5: Viren im elektronenmikroskopischen Bild (Williams, Wyckoff 1945, 267).
immensen Unterschiede bezüglich der instrumentell-experimentellen Voraussetzungen wurde das Verschieben einzelner Atome mit dem Verschieben von tausendfach größeren Viren gleichgesetzt. Auf der Ebene der bildlichen Verbreitung und damit der Vorstellung einer allgemeinen Öffentlichkeit bestehen formale Ähnlichkeiten zwischen den Darstellungen so unterschiedlicher Entitäten wie Atomen und Viren, wie ein diachroner Bildvergleich zwischen den Bildern Eiglers und elektronenmikroskopischen Bildern, die seit den 1940er Jahren Verbreitung gefunden haben, zeigt. Sowohl in dem tunnelmikroskopischen „Bild von Atomen“ (Abb. IV.2.4) als auch in dem elektronenmikroskopischen „Bild von Grippe-Viren“ aus dem Jahr 1945 (Abb. IV.2.5) erscheint der Untergrund in einem mittleren Grauton, während die Erhebungen eine hellere und eine dunklere Seite aufweisen. Doch wie im tunnelmikroskopischen Bild, in dem sich der Schatteneindruck nicht ‚von selbst‘, sondern durch die Wahl einer Differenzialdarstellung ergab (vgl. Kapitel III.3), war auch in den elektronenmikroskopischen Bildern der Eindruck beleuchteter Kügelchen das Ergebnis mehrstufiger Bearbeitungsschritte: So zeigten sich in den Originalaufnahmen die Schatten als hellste Stellen im Bild. Erst durch die Verwendung des Negativs entstand der Eindruck eines dunklen Schattenwurfs (vgl. Rasmussen 1997, 153ff.). Damit ist die Ähnlichkeit der Darstellungen keinesfalls Ergebnis eines Zufalls, sondern der jeweiligen Annäherung an makroskopische Sehgewohnheiten geschuldet, die nach Beendigung der instrumentellen Datenaufnahme in der Bildbearbeitung stattfand.
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Dass nun in einer Broschüre der US-Regierung die Bilder Eiglers mit Schülerexperimenten mit Viren in Zusammenhang gebracht wurden, bedeutete, die Leistung Eiglers, ein Experiment in der atomaren Dimension durchgeführt zu haben, zu relativieren. Damit rückten gleichzeitig die auf der Nanoskala geltenden, von quantenphysikalischen Einflüssen geprägten Gesetzmäßigkeiten, durch die sich künftige Materialien der Nanotechnologie auszeichnen könnten, in den Hintergrund. Die Broschüre zur Ausrichtung der US-amerikanischen Forschungsförderung der Nanotechnologie verzichtete auf die Hervorhebung dieser möglichen Innovationen, um stattdessen die Partizipation von Amerikas Schülern an der Nanotechnologie und damit an der Gestaltung der Zukunft zu thematisieren. Während dem IBM-Logo in immer neuen Kontexten immer neue Bedeutungen zugeschrieben wurden, war Eigler um Relativierungen bemüht. In dem 1999 erschienenen Buch Nanotechnology erhoben die Herausgeber den Anspruch, eine Vision der Nanotechnologie für Studierende der Naturwissenschaften zu entwickeln (Timp 1999);41 die Vermischung naturwissenschaftlicher Ausbildung mit visionären Vorstellungen war offenkundiges Programm. Doch Don Eigler stimmte nicht in den Kanon der Visionäre ein, sondern wies in seinem Artikel mit dem Titel From the bottom up: Building things with atoms auf den wissenschaftlichen Nutzen von Experimenten hin, in denen einzelne Atome verschoben werden. Indem er die komplexen instrumentellen und experimentellen Anforderungen zur Erzeugung der notwensdigen definierten Zustände wie tiefe Temperatur und Ultrahochvakuum beschrieb, relativierte er die Utopien, in deren Kontext das von ihm erzeugte Bild kursierte. Er wertete die Vorstellung der technischen Produktion aus einzelnen Atomen in absehbarer Zukunft als „völlig lächerlich“ ab („completely ridiculous“; Eigler 1999, 432), was von dem Unbehagen zeugt, mit dem er die Rekontextualisierung seiner Bilder verfolgte.42 Eiglers Bildstrategien waren durchaus auf die Erzeugung von Aufmerksamkeit und Anknüpfungsfähigkeit ausgelegt, doch hatte er, der in seinen Bildern die Kontrolle über Atome demonstriert hatte, die Kontrolle über die Verbreitung und Verwendung seiner Bilder verloren. 41 | Anspruch und Zielgruppe werden auf dem Buchrücken genannt. 42 | Ein weiteres berühmtes Experiment und damit einhergehendes Bild aus Eiglers Gruppe, das weite Verbreitung gefunden hat, ist die sogenannte „quantum corral“, in der sich in der Mitte von 48 kreisförmig angeordneten Eisen-Atomen kreisförmige Elektronendichten ausbilden, die sich im tunnelmikroskopischen Bild zeigen. Für eine differenzierte bildwissenschaftliche Analyse der unterschiedlichen Darstellungsformen und Kontextualisierungen in verschiedenen Kommunikationszusammenhängen siehe Nieman 2000, 115-133.
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Abb. IV.2.6: Tunnelmikroskopisches Bild von C60 -Molekülen auf Kupfer (Cuberes, Schlittler, Gimzewski 1996, 3017).
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Abb. IV.2.7: Publizierte schematische Darstellung und Serie tunnelmikroskopsicher Bilder zum Verschieben von C60 -Molekülen (Cuberes, Schlittler, Gimzewski 1996, 3017).
Bildliche Erfüllung nanowissenschaftlicher Topoi Während in den bisher aufgeführten Beispielen die bildlichen Gestaltungen tunnelmikroskopischer Messungen ihre Rezeption im Kontext nanotechnologischer Visionen ermöglicht hatten und sie im Anschluss an ihre innerwissenschaftliche Publikation in einem solchen Kontext aufgegriffen wurden, entwickelte sich in den 1990er Jahren in umgekehrter Richtung auch eine innerwissenschaftliche Bildpraxis, die sich die Einbettung tunnelmikroskopischer Experimente in die Weltbilder der Nanotechnologie zum Ziel setzte. Ein Beispiel, in dem die Bildgestaltung ausdrücklich durch die Erfüllung dieser Rahmenbedingungen geleitet war, war ein Experiment der Rüschlikoner IBMTunnelmikroskopiker Cuberes, Schlittler und Gimzewski, die die Spitze des STM zur Bewegung einzelner C60 -Moleküle einsetzten. Die Bilder ihrer Publikation zeigen tunnelmikroskopische Bilder von C60 -Molekülen auf einer Cu(111)-Oberfläche (Abb. IV.2.6) sowie ein Schema und eine Serie aus drei experimentell erzeugten STMBildern zur reversiblen Verschiebung einzelner C60 -Moleküle entlang einer Cu(111)-Stufe (Abb. IV.2.7). Die Autoren griffen gleich im ersten Satz ihres Artikels die Experimente von Don Eigler zum Verschieben einzelner Xenon-Atome auf einem Nickel-Kristall auf, um davon ausgehend die Unterschiede und Neuartigkeit ihrer Experimente hervorzuheben: Im Vergleich zur Bewegung einzelner Atome bei Eigler bei tiefen Temperaturen von nur 4 Kelvin hatten sie die Experimente
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Abb. IV.2.8 a-k: Bilder der zeitlichen Folge des Verschiebens von C60 -Molekülen (http://www.research.ibm.com/atomic/ nano/abacusm2.gif; Stand: April 2008)
mit C60 -Molekülen bei Raumtemperatur durchführen können, was sie als wichtigen Schritt zur Realisierung kleinster elektronischer Bausteine darstellten (Cuberes et al. 1996, 3016 u. 3018). Im Vergleich zur Rhetorik bei Eigler, der seine Experimente vor allem als Beitrag zur Erstellung von Strukturen zur weiteren oberflächenphysikalischen Untersuchung dargestellt hatte (Eigler, Schweizer 1990, 526), bedeutete dies einen rhetorischen Wandel mit einer deutlich anwendungsorientierteren Ausrichtung.
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Abb. IV.2.9: Molekularer Abakus, basierend auf der Aneinanderfügung der Bilder aus Abb. IV.2.8 (Cuberes, Schlittler, Gimzewski 1996, 3018).
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Abb. IV.2.10: Weit verbreitete Version des molekularen Abakus (http://www. research.ibm.com/atomic/nano/abacus. gif; Stand: April 2008).
Gimzewski und Kollegen untermauerten in ihrer Bildstrategie diesen Anspruch, indem sie nicht die elf Einzelbilder aus ihren Experimenten, in denen das sukzessive Verschieben einzelner C60-Moleküle evident wird (Abb. IV.2.8 a-k), publizierten, 43 sondern eine Kollage dieser Bilder in perspektivischer Ansicht (Abb. IV.2.9). Durch die räumliche Anordnung der in zeitlicher Abfolge erstellten Einzelbilder entsteht der Eindruck eines einzigen Bildobjektes. Abgehoben vor einem schwarzen Hintergrund zeigt sich ein Körper in Form eines Abakus, in dem elf nummerierte Reihen, in denen jeweils ein weiteres Molekül verschoben ist, untereinander gefügt sind. Die Formen der einzelnen Reihen von Molekülen weisen Unregelmäßigkeiten auf, die auf einen experimentellen Ursprung schließen lassen. Die Formung dieses einen Körpers mit Hilfe der Computergrafik suggeriert beim Betrachter die Vorstellung von der experimentell-technischen Verfertigung der komplexen Struktur eines Abakus, obwohl diese kompakte Form der Anordnung nie existiert hat: Cuberes und Kollegen nahmen die Verwechslung zwischen dem linearen Verschieben einzelner Moleküle entlang einer Kante und der Verfertigung eines Abakus nicht nur billigend in Kauf, sondern provozierten sie regelrecht. Zweck dieser computergrafischen Aneinanderfügung von Bildern aus seriellen Experimenten war keinesfalls die oberflächenphysikalische Auswertung des Experiments oder eine Evidenzerzeugung. Zweck der Bildgestaltung war allein die Erfüllung des nanotechno43 | Die Bildserie ist in einer Animation im Internet zu sehen: http://www.research. ibm.com/atomic/nano/abacusm2.gif (Mai 2008).
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logischen Weltbildes, aus Molekülen technische Gerätschaften zu bauen. Das nanotechnologische Weltbild war zur wissenschaftlichen Handlungs- und Gestaltungsdirektive geworden; wenn es schon im Experiment nicht eingeholt werden konnte, so wenigstens in der Computergrafik, die auf Experimenten beruhte. Indem Cuberes und Kollegen die Form eines Abakus aufgriffen, historisierten sie ihr Experiment, indem sie ein antikes Recheninstrument durch seine ultimative Miniaturisierung zu einem Abschluss brachten. In einem nächsten Gestaltungsschritt publizierte IBM eine weitere, farbige Darstellung des Abakus (Abb. IV.2.10), in dem gegenüber dem zunächst publizierten Bild eine andere Ansicht gewählt wurde und die Nummerierung eliminiert war. Das Bild fand weite Verbreitung in populärwissenschaftlichen Übersichtsartikeln zur Nanotechnologie und avancierte neben dem IBM-Logo zu einer ihren weiteren medialen Ikonen. 44 Verweise auf den hybriden Charakter von experimentellem Ursprung und computergrafischer Aneinanderreihung blieben in diesen Kontexten aus. Vielmehr diente das Bild als Nachweis, dass technische Bausteine in molekularer Dimension zu verfertigen seien. Im Nachrichtenmagazin Focus erschien das Bild auf der ersten Seite eines Artikels unter dem Aufmacher: „Die neue Genesis. Nanotechniker dringen in die Welt der Atome vor, um raffinierte Materialien und revolutionäre Maschinen zu kreieren.“ (Pantle 2000, 170f.) Die Massenmedien erhoben die oberflächenphysikalischen Experimente in göttliche Sphären und bedienten sich der Evidenz von Bildern, in denen die Oberflächenphysiker auf die Suggestion, Nanomaschinen erstellen zu können, abgezielt hatten. Hatte auf dem Titelblatt des Tagungsbandes zur Nanotechnologie (Abb. IV.2.2) die formale Korrespondenz zwischen tunnelmikroskopischem Bild und Modell zur Fundierung der nanotechnologischen Visionen geführt, fielen diese Visionen im Abakus mit dem scheinbaren Ergebnis eines Experiments zusammen. Im Vergleich zu Eigler, dessen Bild des IBM-Logos in visionäre Kontexte übertragen worden war, hatten Gimzewski und Cuberes in ihrer Bildpraxis auf die Ausgestaltung nanotechnologischer Weltbilder abgezielt. Tunnelmikroskopiker wie sie konnten die Wahrnehmung ihrer Experimente deutlich steigern, indem sie den Kontext der Nanotech44 | Die Rekonstruktion der Verbreitung ist schwierig, doch verdeutlicht allein die Reproduktion in Übersichtsartikeln zur Nanotechnologie, beispielsweise im Wochenmagazin Focus (Pantle 2000, 170) und in der auflagenstarken Computerzeitschrift c’t (Rink 1998) sowie die Präsentation in der Mikroskopieausstellung des Deutschen Museums, München (um 2000), die Verbreitung.
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nologie bedienten. Sie profitierten von einer Sichtbarkeit, die sich weniger aus den oberflächenphysikalischen Ergebnissen, sondern der Ausgestaltung ihrer Bilder ergaben. Gleichzeitig konnten diese Bilder, in denen Moleküle als Bausteine der Technik erschienen, in quantenphysikalische Interpretationen rückgebunden werden. 45
Die Gestaltung atomarer Landschaften Neben der Verbreitung experimentell basierter Bilder atomarer Strukturen und Körper bezog mit dem „Auf bruch in neue Welten“ ein weiteres Leitbild der Nanotechnologie seine Autorität aus tunnelmikroskopischen Experimenten. Die Verbindung von Mikroskopie mit der Erkundung von Landschaften und Welten reicht bis in die Frühzeit der Mikroskopie zurück 46 und findet sich bereits im Vorwort von Robert Hookes Micrographia: „[…] every considerable improvement of Telescopes or Microscopes producing new Worlds and Terra-Incognita’s to our view.“ (Hooke 1664, Preface) Auch Binnig griff die Metapher in der Nobelpreisrede 1986 auf: „I could not stop looking at the images. It was like entering a new world.“ (Binnig, Rohrer 1986, 399) In zahlreichen tunnelmikroskopischen Bildern zeigt sich von Anfang an die Adaption der Landschaftsmetapher: Die spielerischironische Gestaltung einer Südseelandschaft durch Gerd Binnig aus wellenförmigen Linienbildern während eines Vortrags (vgl. Kapitel II.3), die Gestaltung von Inseln, die sich aus türkisfarbenem Meer erheben (Abb. IV.2.11 a), die Präsentation einer Silizium-Oberfläche mit dem Farbverlauf eines Horizonts durch Ruud Tromp (Abb. IV.2.11 b) oder der Flug über atomare Landschaften (Abb. IV.2.11 c) waren keinesfalls durch die Untersuchungsgegenstände oder technische Bedingungen vorgegeben, sondern entsprangen einer Freude an der Bildgestaltung. All diese Bilder waren rückgebunden in ein Netz theoretischer Erklärungen, Vorwissen über die Proben, mitunter ein Netz komplementärer Untersuchungsmethoden, und bildeten Darstellungen der avanciertesten tunnelmikroskopischen Experimente ihrer Zeit. Daraus bezogen sie die Freiheit zur Gestaltung, die durch dreidimensionale Körper, die Simulation von Beleuchtungssituationen sowie die Erfassung und Beherrschung des euklidischen Raumes geprägt waren. 45 | Peter Galison hat die Gleichzeitigkeit dieser atomaren Konzepte als „ontologische Indifferenz“ beschrieben (vgl. Nordmann 2008, 2). 46 | Vgl. Rasmussen 1997, 232-239.
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Abb. IV.2.11 a-c: Gestaltungen von Landschaften, die auf tunnelmikroskopischen Experimenten basierten und Weltbilder der Nanotechnologie vorwegnahmen: a) DNA-Untersuchung in Rüschlikon 1988 (entspr. Abb. III.2.3), b) Standbild aus Film zur Tunnelmikroskopie 1984 (entspr. Abb. II.3.8) und c) Bild zur Präsentation auf Tagungen von Ruud Tromp (entspr. Abb. III.1.18) (a: Amrein et al. 1988, 515; b: Privatbesitz Hartwig Thomas; c: Privatbesitz Ruud Tromp).
Die kulturelle Aufladung dieser Formgebungen entfaltete in der Kommunikation ihre Wirkmacht, so auf den Titelseiten von staatlichen Broschüren zur Nanotechnologie. So zeigte die Vorderseite der Studie Nanotechnology – Shaping the World Atom by Atom (NSTC 1999) einen Perspektiveindruck eines tunnelmikroskopischen Bildes aus geringer Höhe, der die Anwesenheit des Betrachters auf dieser Oberfläche nahe legt (Abb. IV.2.12). Der schwarze Hintergrund erscheint durch die Anwesenheit von Himmelskörpern als Nachthimmel, der Vordergrund entsprechend als planetare Oberfläche. Nanotechnologie wird in dem Bild mit der Erschließung neuer Welten identifiziert. Der Untertitel „Shaping the world atom by atom“ bewirkt, dass der Betrachter die Erhebungen im Vordergrund als Atome auffasst, und fügt sich so in ein dingliches Vorverständnis des Atoms ein. Der Wissenschaftsphilosoph Alfred Nordmann hat auf den enormen, nicht mehr steigerbaren
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Abb. IV.2.12: Titelseite der Broschüre des US-amerikanischen National Science and Technology Council zur Förderung der Nanotechnologie (NSTC 1999, 1).
Anspruch dieses Titels – in dem Technik- und Weltgestaltung zusammenfallen – aufmerksam gemacht (Nordmann 2003). Das nanotechnologische Weltbild der Überwindung von Grenzen, der Reise in den „Nanokosmos“ ist den Gestaltungen tunnelmikroskopischer Bilder entsprungen, in denen die Experimentatoren – im Gegensatz zu anderen Methoden der Oberflächen- und Festkörperphysik – den euklidischen Raum erschließen konnten und sich aus der Abstraktion des Impulsraumes hatten befreien können (vgl. Kapitel III.1). Diese Ergreifung des Raumes war keineswegs ein neutrales Unterfangen, sondern setzte utopische Vorstellungen frei, die analog zur US-amerikanischen Broschüre auch auf der Titelseite der „Informations“-Broschüre zur Nanotechnologie von BMBF und EU47 abgerufen wurden (Abb. IV.2.12): Ein bläulich gefärbtes tunnelmikroskopisches Bild der Silizium-7x7-Rekonstruktion bildet den Grund
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einer Welt, in der sich ein Kind auf die Zukunft vorbereitet und sich anschickt, diese zu gestalten. Die Verwendung eines solchen Titelbildes drückt das Anliegen staatlicher Institutionen aus, die Versprechungen der Nanotechnologie zu steigern und Ergebnisse aus Laborexperimenten mit Allmachtsfantasien in Zusammenhang zu bringen, anstatt in aufklärerischer Haltung Einblicke in die wissenschaftliche Praxis zu geben.
Zur Konvergenz von Physik und Biologie im tunnelmikroskopischen Bild Ein drittes verbreitetes Weltbild der Nanotechnologie neben dem Bau mechanischer, atomarer Maschinen und der Eröffnung neuer Welten betrifft die Zusammenkunft von Biologie und Physik, von organischen und anorganischen Entitäten. In der Etablierungsphase der Tunnelmikroskopie experimentierten Binnig, Gerber und Rohrer an Metallen, Halbleitern und organischen Molekülen, doch kam es in der Folgezeit zu einer Ausdifferenzierung bezüglich der Apparaturen und experimentellen Expertisen wie etwa der Probenpräparation, die auf die Arbeit im Hochvakuum, an Luft oder in Flüssigkeit ausgerichtet waren. Allerdings zeigen die Bilder diese Heterogenität der experimentellen Bedingungen nicht – und so führte die grundsätzliche Anwendbarkeit des Tunnelmikroskops auf physikalische und biologische Proben häufig zu einer unscharfen Kommunikation, in der gravierende Unterschiede zwischen den experimentellen Praktiken nivelliert wurden. Eine Pressemitteilung des IBM-Labors Rüschlikon aus dem Jahr 1989 zu tunnelmikroskopischen DNA-Experimenten verdeutlicht, wie die grundsätzliche Anwendbarkeit des Tunnelmikroskops auf DNA mit den Erfolgen tunnelmikroskopischer Halbleiterexperimente in Zusammenhang gebracht wurde: Auf die einleitende Aussage, dass die Nobelpreisträger Binnig und Rohrer „erstmals einzelne Atome sichtbar gemacht“ hätten, folgt die Beschreibung des Tunnelmikroskops als ein „vielversprechende[s] Beobachtungsinstrument, das die ersten direkt dreidimensionalen Bilder von Grundbausteinen des Lebens liefert“ (IBM 1989, 1). Zum Abschluss heißt es, die „Qualität der Bilder“ – unter anderem Abb. IV.2.11 a – habe auf „eindrückliche Weise die Tauglichkeit des Raster-Tunnel-Mikroskops auch im Bereich der Biologie“ erhärtet, in der „dem einzigartigen Instrument eine bedeutende 47 | Die EU hat die Broschüre des Bundesministeriums für Bildung und Forschung übernommen.
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Abb. IV.2.13: Titelseite einer Broschüre des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Nanotechnologie, die von der EU in gleicher Form übernommen wurde (BMBF 2006, 1).
Rolle für den weiteren Erkenntnisfortschritt vorausgesagt wird“ (IBM 1989, 2). Durch die Verwendung unscharfer Begriffe wie „Grundbausteine des Lebens“ wurde eine Nähe zu den Erfolgen bei der Untersuchung von Halbleitern mit atomarer Auflösung hergestellt. Die nicht näher ausgeführte und autoritär behauptete „Qualität der Bilder“ ließ das Tunnelmikroskop als bahnbrechendes Instrument biologischer Forschung erscheinen. Auch wenn keine neuen Ergebnisse über die biologischen Proben verkündet werden konnten und sich schon wenige Zeit später der Forschungszweig der DNA-Untersuchungen als kontraproduktiv für das Ansehen der gesamten Methode entpuppen sollte (vgl. Kapitel III.3), etablierte sich in solchen Verlautbarungen die Sichtweise des grundsätzlichen Zusammenkommens von Biologie und Physik. Die Kontroverse um die Anwendbarkeit des Tunnelmikroskops
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Abb. IV.2.14: Diagramm zur Verdeutlichung der Konvergenz von Physik, Chemie und Biologie (Rohrer 1992, 44).
zur atomaren Auflösung der DNA und perspektivisch ihrer Sequenzierung hatten dem Ansehen der Tunnelmikroskopie zwar geschadet, doch der Hervorhebung der grundsätzlichen Anwendbarkeit im Bereich der Biologie keinen Abbruch getan. So zeugt auch ein anderer Bildtyp von dieser Auffassung: In einem Diagramm, das Heinrich Rohrer anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Tunnelmikroskopie 1991 präsentierte (Abb. IV.2.14), treffen die Miniaturisierung der Festkörpertechnologie/-wissenschaft und die Vergrößerung von Makromolekülen wohl nicht zufällig mit Beginn des neuen Millenniums zusammen und vereinigen sich im Regime der Biologie. Die Linearität der Darstellung und die Extrapolationen suggerieren einen Fortschritt, der sich allein an den Größenordnungen der Entitäten festmachen ließe.48 Doch ebenso wie sich die Geschichte der Mikroskopie keinesfalls als Geschichte verbesserter Vergrößerung darstellt, vernachlässigt auch die Suggestivkraft eines solchen Diagramms die Heterogenität materieller Kulturen in Physik, Biologie und Chemie, die Unterschiede zwischen Feuchtpräparat und Vakuumtechnik. Ebenso wie das Atom in seiner Darstellung im tunnelmikroskopischen Bild mit dem Sekundärkonzept des ultimativen Bausteins aufgeladen wurde, das parallel zu seiner quantenphysikalischen Beschreibbarkeit existierte, wandelte sich auch die Wahrnehmung der DNA: Seit den 1990er Jahren wird sie nicht mehr allein als Code des Lebens wahrgenommen, sondern auch als ein Molekül, das aufgrund 48 | Zur linearen Extrapolation von Forschungsverläufen in Diagrammen siehe auch Knorr-Cetina 1999.
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gewisser mechanischer und elektrischer Eigenschaften technisch nutzbar gemacht werden kann. 49 Physik und Biologie treffen sich in der gemeinsamen Haltung, ihre Untersuchungsgegenstände als Nutzgegenstände aufzufassen (vgl. Nordmann 2008).
Die Erzeugung eines bildlichen Überschusses als Leistung Die Ergebnisse der Tunnelmikroskopie lassen sich nicht allein auf die Beantwortung oberflächenphysikalischer, halbleiterphysikalischer oder molekularbiologischer Fragen reduzieren, vielmehr haben die Bilder – ihre Gestaltung und ihre (Re-)Kontextualisierungen – Lücken zwischen quantenphysikalischen Experimenten im Labor, über Jahrhunderte tradierten Erwartungen an die Gestalt der Materie und nanotechnologischen Visionen mit dem Anspruch einer zweiten Schöpfung geschlossen. Im Kontext der Nanotechnologie konnten tunnelmikroskopische Experimente eine Aufmerksamkeit weit über die Grenzen der Oberflächenphysik hinaus erreichen und die Nanotechnologie konnte in ihrer Frühphase ihre wissenschaftliche Fundierung auf tunnelmikroskopische Experimente gründen. Die Symbiose ergab sich nicht ,von selbst‘ oder aufgrund der experimentellen Befunde, sondern entsprang Bildgestaltungen und der damit verbundenen Produktion eines visuellen Überschusses. Seit 200 Jahren haben visuell-haptische Darstellungen von Atomen, Molekülen und subatomaren Prozessen die Vorstellungen der Materie konfiguriert – das räumliche strukturierte Aufzeichnen chemischer Formeln in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (vgl. Klein 2003), die Verwendung von Kugelmodellen zur Verdeutlichung der Anordnung von Atomen im Molekül in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (vgl. Meinel 2004) oder das Zeichnen von Feynman-Diagrammen (vgl. Kaiser 2005a) sind prominente Beispiele. Diesen Darstellungen war ihre Ausdehnung auf einem Blatt oder im Raum geradezu selbstverständlich gemeinsam. Mit der Tunnelmikroskopie existiert das erste instrumentelle bildgebende Verfahren, für das die Darstellung und Ausgestaltung im Realraum experimentell und quantenphysikalisch legitimiert ist. Die Anschaulichkeit im Regime des Unsichtbaren hat Gerd Binnig mit seinen Kollegen von Anbeginn ausgereizt und damit eine angestaute Spannung, die sich zwischen anschaulichen Model49 | Eine historisch dichte Rekonstruktion dieses Wandels kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden und scheint auch aus biologiehistorischer Sicht noch auszustehen.
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len und unanschaulichen quantenphysikalischen Abstraktionen aufgebaut hatte, freigesetzt. In diesem Prozess ent wickelte sich die Oberflächenphysik zu einem Forschungsfeld, das an visionäre Narrative anschlussfähig war und in „große Erzählungen“ eingebettet werden konnte, wie dies zuvor Disziplinen wie der Astronomie vorbehalten war (vgl. Adelmann, Hennig, Heßler 2008).50 Aus dieser Perspektive erhalten die Visionen Feynmans, der die Verbesserung von Mikroskopen als entscheidenden Schub für weitere technologische Entwicklungen gefordert hatte, und die Standardgeschichte der Nanotechnologie mit der zentralen Rolle des Tunnelmikroskops eine Wendung, die in ihrer Widerlegung gleichzeitig eine gewisse Rehabilitierung beinhaltet: Nicht allein die Entwicklung eines neuen Instruments mit vergrößerten technischen Möglichkeiten rechtfertigt den Status des Tunnelmikroskops, vielmehr hat die Gestaltbarkeit der Bilder und die damit einhergehende experimentelle Verfertigung von Weltbildern der Nanotechnologie zu seinem Ansehen beigetragen. Im innerwissenschaftlichen Erkenntnisprozess ist aus den Bildern und mit den Bildern neues Wissen über atomare Strukturen und ihre elektronischen Eigenschaften erzeugt worden; gleichzeitig haben die Bilder in ihrer Ausgestaltung die Auffassung von den Untersuchungsobjekten hervorgebracht und transformiert, haben sie in der Formgebung und der damit einhergehenden Anknüpfung an Darstellungstraditionen in einer Anfang der 1980er Jahre unbeabsichtigten und unvorhersehbaren Weise die Sicht auf atomare Strukturen transformiert und die Ausprägung nanotechnologischer Visionen vorbereitet.
50 | Ein anderes Beispiel ist die virtuelle Endoskopie, für die David Gugerli die Anknüpfung an bekannte Bildwelten sowohl aus dem Bereich der klassischen Endoskospie als auch dem Bereich von populärem Film und Science-Fiction herausgearbeitet hat (vgl. Gugerli 2002).
V. Schluss: Tunnelmikroskopie als implizite Bildwissenschaft Die Analyse ihrer Bildpraxis zeigt die Tunnelmikroskopie als eine Bildwissenschaft: Experimente zielen auf die Erstellung von Bildern ab, um in ihrer Gestaltung und der Analyse der Form Wissen zu generieren und zu vermitteln. Bildvergleiche und Präsentationen in Serien oder Tableaus dienen als Methoden der Erkenntnisgewinnung. Die Auswertung tunnelmikroskopischer Messungen ist ohne die Veranschaulichung der Daten als Bilder schlichtweg unmöglich. Die Erstellung flächiger Bilder hat im Verlauf der 1980er Jahre in der Praxis der Tunnelmikroskopie eine Selbstverständlichkeit gewonnen, die in der ursprünglichen Absicht, ein Instrument zur Untersuchung lokaler elektronischer Eigenschaften zu bauen, und in den zunächst erzeugten linienhaften Diagrammen keineswegs angelegt war (vgl. Kapitel II.1). In der tunnelmikroskopischen Praxis werden keine Daten produziert, um sie möglicherweise in ein Bild umzusetzen, vielmehr zielen Planung und Durchführung der Experimente grundsätzlich auf die Produktion von Bildern ab. Diese Bilder werden ausgewertet, mit anderen Bildern und Theorien abgeglichen, und es wird mit ihrer Hilfe kommuniziert. Das dabei erzeugte Wissen erhält unweigerlich eine medienspezifische und kulturelle Aufladung, indem an bekannte Wahrnehmungsschemata, Sehgewohnheiten und Bildtraditionen angeknüpft wird. Diese Anknüpfungen geschehen durchaus bewusst, erfahren aber mitunter eine Selbstverständlichkeit und Eigendynamik, deren Ausprägung sich erst in der historischen Rekonstruktion aufdecken lässt. Die Bildpraxis der Tunnelmikroskopie in den 1980er Jahren war geprägt von Faszination und Freude an Bildgestaltungen, geleitet von dem Ziel der Sichtbarmachung des
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Unsichtbaren und dessen Inszenierung. „Implizit“ blieb diese Praxis in dem Sinne, dass in Lehrbüchern eine Praxis wie der Bildvergleich nicht als physikalische Erkenntnismethode auftaucht oder etwa die Aufmerksamkeitserzeugung durch den Einsatz von Bildern nicht als wissenschaftliche Praxis reflektiert wird – von den Protagonisten auf Nachfrage in Interviews jedoch selbstverständlich genannt wird. Der implizite Charakter ist nicht als Defizit abzuwerten, sondern verweist auf Dynamiken wissenschaftlicher Bildpraxis: Ruud Tromp hat beispielsweise erstmals die Formen in simulierten und experimentell erzeugten tunnelmikroskopischen Bilder verglichen und hat aufgrund von Ähnlichkeitsbehauptungen eines der existierenden Modelle favorisiert, andere abgewertet (vgl. Kapitel III.1). Indem er mit den Mitteln des Bildvergleichs ein Modell für die Oberflächenstruktur des Siliziums bevorzugte, hat er gleichzeitig Kriterien etabliert, was in einem solchen Vergleich als ähnlich gilt. In diesem Fall ist der implizite Charakter der Bildpraxis den Dynamiken experimenteller Praxis geschuldet, in der neu geschaffene Erkenntniswege und visuelle Auswertungen sich schlichtweg nicht auf vorgefertigte, explizit geäußerte Kriterien berufen können. Dass sich ein solcher, auf Erfahrungswissen gründender Erkenntnisprozess als problematisch erweisen kann, zeigte sich in der Kontroverse um die tunnelmikroskopischen DNA-Bilder (vgl. Kapitel III.2): Neulinge auf dem Gebiet nutzten Ähnlichkeitsbehauptungen zur Formulierung von Thesen, die dem Erfahrungswissen führender Tunnelmikroskopiker nicht standhalten konnten. Die Problematik bestand dabei nicht in der durchaus üblichen Austragung einer Kontroverse, sondern in dem Verlust an Ansehen, den ein ganzes Forschungsfeld und auch valide, erfolgversprechende Ansätze erlitten (vgl. Kapitel III.3).
Zur instrumentellen Bedingtheit von Bildern Die instrumentelle Bedingtheit wissenschaftlich-instrumentell erzeugter Bilder, aber auch von Fotografien, ist vielfach angemerkt worden1 und kann durch diese Studie zur Bildpraxis weiter differenziert werden. Tunnelmikroskopische Bilder sind insofern instrumentell bedingt, als dass die gemessenen und visualisierten Werte, also Orte gleichen Tunnelstroms zwischen einer atomar feinen Spitze 1 | Dies ist ein grundsätzlicher Ausgangspunkt vieler Reflexionen zu wissenschaftlich-technischen Bildern, siehe etwa Heintz, Huber 2001, 15f. und Dommann 2003, 14ff.
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und einer Probe unter Anlegung einer bestimmten Spannung, nur im tunnelmikroskopischen Experiment existieren, sie erst durch das Experiment hervorgebracht werden. Damit ist auch jedes tunnelmikroskopische Bild, das grundsätzlich diese Orte zeigt, auf eine instrumentell-experimentelle Erzeugung angewiesen.2 Andererseits sind die Bilder selbstverständlich nicht technisch determiniert, vielmehr ist ein Gestaltungsspielraum gegeben, wie diese Orte gleichen Tunnelstroms darzustellen sind.3 Bezüglich der Wahl der Farbe, die dem Experimentator beispielsweise frei stellt, Grautöne oder kartografische Farbcodierungen einzusetzen, erscheint dies offensichtlich. Komplexer gestaltet sich die Situation, wenn Gestaltungsvorgaben in die Technik implementiert sind, was auf vielfältige Weise geschieht. So hat in Basel Hans-Rudolph Hidber die frühe, noch analoge Elektronik derart programmiert und in das Instrument implementiert, dass sämtliche Messergebnisse in Form einer isometrischen Projektion aufgezeichnet wurden (vgl. Kapitel II.3). Die Formgebung war damit technisch bedingt und doch gleichzeitig nicht zu trennen von persönlichen Bildstrategien und der Adaption von Bildgestaltungen, die Binnig, Gerber und Rohrer zuvor in die Tunnelmikroskopie eingebracht hatten. Ähnliches lässt sich für die Software feststellen, mit deren Hilfe für Experimentatoren unterschiedliche Farben wählbar sind, die Abstufungen innerhalb einer Skala jedoch von Programmierern wie Lukas Rosenthaler in Basel festgelegt wurden. Als die Software für die Experimentatoren zu einer Black Box wurde, verfestigte sich diese durch eine Person getroffene Festlegung zu einer technischen Bedingung, die in der Folgezeit die Bildwahrnehmung prägte (vgl. Kapitel II.3). Eine weitere Relativierung erhält die Annahme instrumenteller Bedingtheit dadurch, dass diese Annahme die technische Festlegung durch ein Instrument gegenüber einem Untersuchungsgegenstand impliziert, was einem Experimentalsystem, wie es die 2 | In dieser Studie wurde die Tunnelmikroskopie weitgehend auf den hier erwähnten Betriebsmodus der Konstanthaltung des Stroms reduziert, obwohl auch andere Modi, beispielsweise der konstanten Höhe der Spitze zur Messung der Stromänderung, existieren. Diese Vereinfachung sollte einer weiteren physikalischen Verkomplizierung vorbeugen und ist dadurch gerechtfertigt, dass die epistemischen und bildtheoretischen Argumente für jeden Betriebsmodus in gleicher Weise entwickelt werden können. Lediglich die Tatsache, dass es für die Experimentatoren zur tunnelmikroskopischen Bildpraxis gehört, zwischen den Modi zu wechseln, musste vernachlässigt werden. 3 | So haben Bettina Heintz und Jörg Huber ausgeführt, dass Wissenschaftsbilder abiträr, aber damit keinesfalls willkürlich sind (Heintz, Huber 2001, 31).
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Tunnelmikroskopie darstellt, nicht gerecht wird. In einem solchen System ist die grundsätzliche Variabilität zwischen technischen Komponenten und Untersuchungsobjekten – sprich: epistemischen Dingen – gegeben (vgl. Rheinberger 2001a, 27ff.). Im Beispiel der Grafituntersuchungen von Markus Ringger entwickelten sich die Piezomotoren als technische Komponenten des Instruments zu den Untersuchungsobjekten, da die Aufzeichnungen nicht mit dem Vorwissen über die Probe in Einklang zu bringen waren. Durch die Bildinterpretation ergab sich eine Dynamik, die unvorhergesehenerweise die Eigenschaften der Piezomotoren in den Mittelpunkt stellte und Folgeuntersuchungen sowie neue Kooperationen mit sich brachte. Eine mutmaßliche instrumentelle Bedingung wandelte sich zum epistemischen Ding (vgl. Kapitel II.3). Besonders virulent wird diese Konstellation in der Tunnelmikroskopie bezüglich der Spitze, die als Komponente des Instruments die Probe abrastert. Die Messung beruht stets auf der Wechselwirkung zwischen der Spitze des Instruments und der Probe, wobei die Spitze im Verlauf der Messung jederzeit Veränderungen unterworfen sein kann, die allein über die Interpretation des Bildes zu erkennen ist. Eine Veränderung der Spitze wird zumeist als Störung des Bildes interpretiert, kann jedoch auch zum Erkenntnisgegenstand einer Untersuchung werden, so dass sich der Status der Probe als Untersuchungsobjekt und der Spitze als instrumentelle Bedingung umkehren. In einem solchen Fall dienen das Vorwissen über die Probe, die Erwartung an das Bild und die Kontrolle der übrigen instrumentellen Komponenten als Bedingungen zur Untersuchung der Eigenschaften der Spitze. Ein Perspektivwechsel des Experimentators kann neu definieren, was als instrumentelle Bedingung und was als Störung gilt (vgl. Kapitel II.2).
Bildpraxis als visuell-haptische Praxis So wie die Bilder erst durch das Instrument entstehen, entstehen sie auch erst durch körperliche Tätigkeiten des Experimentators, die wesentlich durch die enge Kopplung von Auge und Hand geprägt sind. 4 Wie bereits die Planung eines Experiments auf die Erstellung eines Bildes abzielt, erfolgt in der Präparation der Probe eine erste manuell-instrumentelle Formgebung. So unterschiedlich sich diese 4 | Horst Bredekamp hat in seiner Studie zu Galileo Galilei die Bedeutung dessen Ausbildung als Künstler für die Erkenntnisgewinnung identifiziert und die Rolle der „formend denkende[n] Hand“ hervorgehoben (Bredekamp 2007, 337).
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Präparationen in der Praxis auch gestalten mögen – vom Abziehen eines Klebestreifens zur Präparation einer atomar glatten und reinen Grafitprobe bis zur mehrstufigen, instrumentell aufwendigen Präparation einer Halbleiterrekonstruktion in einer Vakuumkammer –, sie zielen durch die Zurichtung des Untersuchungsgegenstandes immer schon auf die Erstellung eines kontrollierten Bildes ab. Auch die in der UHV-Tunnelmikroskopie ausgeprägten Zwischenuntersuchungen der Probe auf Verunreinigungen und Inhomogenitäten stellen Schritte ihrer Stabilisierung dar, die Ungewissheiten über Strukturen im Bild reduzieren helfen sollen. Im weiteren Verlauf der Experimente bedarf die Verfertigung der Spitze und Bedienung des Instruments handwerklicher Expertise. Die Handlungen der Experimentatoren zielen auf die Hervorbringung kontrollierter Bilder ab und finden in der Bildbearbeitung als weitere Überformung ihre Fortsetzung. So hat beispielsweise Gerd Binnig mit seinen Bleistiftschraffuren in den Ausdrucken der Gold-Untersuchungen (Abb. II.1.5) die Bilder in ihrer Überformung gleichzeitig interpretiert (vgl. Kapitel II.1). Die denkende Hand zieht sich damit von der Probenpräparation bis zur zeichnenden Hand als Erkenntnisinstrument durch die Bildpraxis und dient dabei der fortlaufenden Formgebung bzw. mehrfachen Überformung des Bildes. Auch das Zusammenkneifen der Augen beim Betrachten der Bilder als Filterfunktion (Heckl 02/06, Niehus 04/06) stellt eine an körperliche Aktivität gebundene Praktik der Erkenntnisgewinnung dar, ebenso wie das Variieren des Kontrastes mittels Computergrafik, das durch den Seheindruck am Monitor seine rückkoppelnde Kontrolle findet.
Anknüpfungen an Bildtraditionen bei gleichzeitiger Hervorbringung von Differenzen Die Formgebungen, von der Präparation bis zu Einzeichnungen mit dem Bleistift oder computergrafisch erzeugten Perspektivansichten, ziehen sich damit von der Planung bis zur Auswertung eines Experiments. Für die Sichtbarmachung atomarer Strukturen zeigt sich, dass die daraus resultierenden Bildgestaltungen an eine Darstellungstradition des Atoms anknüpfungsfähig war, die sich über Jahrhunderte ausgeprägt hatte. Das Beispiel der GaAs-Untersuchungen zeigt die Ausformung einer Repräsentationskette, in der die ersten Ergebnisse und Darstellungen diesen Bildtraditionen zunächst diametral entgegenstanden und sich im Laufe mehrerer Transformationsschritte ohne Bezugsverlust zu den Messungen eine Anschlussfä-
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higkeit an tradierte, symbolische Darstellungen des Atoms als Kugel ergab. Die Ausprägung stets wiederkehrender Gestaltungsmuster zeigt sich auch in der Adaption der frühen Bildgestaltungen durch Binnig und Rohrer, die von der Erzeugung perspektivischer Körper geprägt war. Indem nachfolgende Tunnelmikroskopiker sie zur Vorlage nahmen, erhielten sie einen stilprägenden Charakter, deren visueller Überschuss sich in der Kommunikation entfaltete (vgl. Kapitel IV.2). In der Ausgestaltung von ausgedehnten Körpern und von Landschaften als durchaus exakte Verbildlichung der Daten kam es zur Ergreifung des Realraumes durch experimentell erzeugte Bilder; die Perspektivdarstellung in tunnelmikroskopischen Bildern wurde im Kontrast zu Bildern anderer oberflächenphysikalischer Verfahren zur symbolischen Form (vgl. Kapitel III.1). Später manifestierten sich in diesen Paradigmen der Bildgestaltung die Weltbilder der Nanotechnologie, fanden Ober flächenphysik und Technik utopien zusammen (vgl. Kapitel IV.2). Gleichzeitig zu dieser Ausprägung und Wirkmächtigkeit von Bildtraditionen und Stilen sind die Bilder als Ergebnis eines Experiments nicht vorbestimmt, treten immer wieder Abweichungen von den Er wartungen auf, die überraschend und interpretationsbedürftig sind. Solche Differenzen, die charakteristisch und notwendig für experimentelle Erkenntnisprozesse sind,5 treten in der tunnelmikroskopischen Bildpraxis als Strukturen im Bild auf, die von der Erwartung abweichen. So haben Binnig und Rohrer durch das Erlernen des Präparierens von Siliziumproben, durch die Kontrolle ihrer Präparation, die Stabilisierung des Instruments, das Basteln eines dreidimensionalen Papier modells aus dem ursprünglichen Ausdruck und das Fotografieren unter einer ausgeklügelten Beleuchtungssituation das Bild kontrolliert und den Eindruck einer gewellten Oberfläche erzeugt (Abb. II.3.2). Erst in dieser Heranführung an makroskopische Sehgewohnheiten zeigte sich ein Muster an Erhebungen, das jedem der bis dahin existierenden Oberflächenmodelle widersprach. In der gezielten Formgebung erschien eine Differenz, die die Reputation des bis dahin kaum wahrgenommenen Instruments schlagartig erhöhte und Theorieentwicklungen als auch eine Konjunktur von experimen5 | Während Hans-Jörg Rheinberger den Begriff der Differenz von Jacques Derrida adaptiert und auf experimentelle Erkenntnisgewinnung angewendet hat (vgl. Rheinberger 2001a, 9ff.), kommen entscheidende Anstöße zur bildspezifischen Rolle der Störung von Peter Geimer (Geimer 2002). Es besteht die Möglichkeit, dass eine Differenz nachträglich als Störung gedeutet wird, sie kann aber auch nachträglich zu einem konstruktiven Ergebnis werden.
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tellen Untersuchungen des Siliziums auslöste (vgl. Kapitel III.1). Auch der Einsatz des Tunnelmikroskops zur Manipulation von Oberflächen entsprang keineswegs einem Forschungsplan, sondern hatte an verschiedenen Orten immer wieder zunächst durch die Beobachtung einer unerwarteten Abweichung im Bild ihren Ausgang genommen. Zunächst erschienen diese Abweichungen als Störungen, doch indem sie systematisch weiter untersucht und kontrolliert wurden, entwickelten sie sich im Nachhinein zum proof of concept nanotechnologischer Visionen. So erzeugt Don Eigler zunächst Bilder, in denen er ungewöhnliche Versetzungen innerhalb von kreisförmigen Strukturen beobachtete, die ihn zu Folgeexperimenten unter der Variation bestimmter Parameter bewegten. Am Ende stand ein tunnelmikroskopisch erzeugter Schriftzug „IBM“ (Abb. III.3.13), der die Kontrolle einzelner Atome symbolisierte, der selbstverständlich wirkte und der durch seine „artifizielle Präsenz“ (Wiesing 2005) sowie seine Anknüpfung an Darstellungstraditionen weite Verbreitung und vielfache Neukontextualisierungen erfuhr (vgl. Kapitel III.3 u. IV.2). Bildhistorische Studien haben lange Zeit das Erscheinen von Differenzen und Störungen kaum berücksichtigt, doch zeigt die naturwissenschaftliche Bildpraxis, dass diese Aspekte in Wissenschaftsbildern jederzeit virulent werden können. Gleichzeitig hat die Wissenschaftsgeschichte die Ausprägung des visuellen Eigenwertes des Bildes, der historischen Aufladung und der erkenntnissteuernden Ausbildung von Stilen lange unterschätzt. Beide Aspekte – die Anknüpfung an VorBilder und die Abweichung von diesen – tragen zur visuellen Erkenntnisgewinnung grundsätzlich bei. Tunnelmikroskopiker sind beim Fortkommen auf beide Facetten angewiesen, nutzen sie beide bzw. werden mit beiden konfrontiert. Damit rückt für die Analyse wissenschaftlicher Bildpraxis das Verhältnis von Bildtradition und Differenz in der visuellen Erkenntnisgewinnung in den Blick.6 Im Beispiel des Papiermodells von Binnig und Rohrer zeigte sich in der Anknüpfung an Bekanntes die Differenz. In anderen Beispielen wird die Differenz in einer Folge von Experimenten kontrolliert, in einen „reproduktiven Zyklus“ eingebunden (Rheinberger 2001a, 78) und an Gewohntes angenähert. Das Verhältnis bleibt unbestimmbar, wie das Auftreten der 6 | In einem Gespräch zwischen den Kunsthistorikern Horst Bredekamp und Gabriele Werner mit dem Wissenschaftshistoriker Michael Hagner schienen diese Positionen unvereinbar: Kunsthistorische Stilgeschichte und wissenschaftshistorische Aufmerksamkeit für Störungen erschienen als Widerspruchspaar (Bredekamp, Werner 2003). Diese Studie hat versucht, in einer Verschränkung dieser Perspektiven die visuelle Erkenntnisgewinnung in der Tunnelmikroskopie zu fassen.
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Differenzen unbestimmbar und unvorhersehbar bleibt und wie das Verhältnis von Theorie und Experiment nicht in einem hierarchischen Verhältnis benennbar ist, sondern in immer neuen Konstellationen auftritt.7 Da das Experiment nicht der Theorie nachgelagert ist, sondern ein „Eigenleben“ führt (Hacking 1996 [1983], 250), kommt es zu Dynamiken und unvorhergesehenen, nicht vorgedachten Ereignissen. Da sich dabei das Experimentieren nicht vollkommen von Annahmen und theoretischen Beschreibungen loslösen lässt, folgen die Bilder gleichzeitig visuellen Präkonzepten, die kulturell geprägt sind.
Kontextabhängigkeit von Bilderwissen Für tunnelmikroskopische Bilder gilt wie für andere Bilder auch die vielfach geäußerte Beobachtung, dass sie abhängig von ihrem Kontext unterschiedliches Wissen erzeugen. In der Frühphase der Tunnelmikroskopie bedeutete ein und dasselbe Bild für den Experimentator etwas anderes als für den Programmierer der Bildsoftware, da sie unterschiedliche Erkenntnisinteressen am Bild hatten. Theoretiker kamen mitunter zu mathematischen und formalisierten Interpretationen, die abstrakter waren als die Deutungen durch Experimentatoren. Letztere legten ihr Augenmerk beispielsweise auf die Aufgabe, aus dem Bild auf den Zustand der Spitze zu schließen, und sammelten Erfahrungen, diesen aus der Interpretation des Bildes zu bestimmen – während Theoretiker bewusst ein äußerst vereinfachendes Modell der Spitze nutzten, um sie überhaupt mathematisch beschreiben zu können (vgl. Kapitel II.2). Experimentelle Ergebnisse haben mitunter Anstöße zu Theorieentwicklungen gegeben, wie im Beispiel des ersten tunnelmikroskopischen Bildes einer Silizium-Oberfläche mit 7 | Ian Hacking hat zum Abschluss seiner frühen Arbeit zur Hervorhebung der Rolle des Experiments bereits darauf hingewiesen, dass schon etwas damit gewonnen sei festzustellen, dass Theorie und Experiment auf unterschiedliche Weise in Verhältnis treten können (Hacking 1996 [1983], 276). Ein Modell von Peter Galison zum Verhältnis von Experiment, Theorie- und Instrumentenentwicklung, nach dem in diesen Bereichen unabhängig voneinander Brüche auftreten können, hat weite Verbreitung gefunden. Eine Hierarchie zwischen den Bereichen, wie sie in positivistischen und antipositivistischen Modellen anzutreffen ist, ist in Galisons Modell aufgehoben (Galison 1997, Kapitel 9). Auch Hans-Jörg Rheinbergers Konzept der Experimentalsysteme, die zugleich lokale, individuelle, soziale, institutionelle, technische, instrumentelle und epistemische Einheiten bilden (Rheinberger 2001a, 8), stellt die Flexibilität bezüglich des Auftretens von Dynamiken in den Mittelpunkt.
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atomarer Auflösung durch Binnig und Rohrer (vgl. Kapitel III.1), und Theorien haben mitunter Ausgangspunkte für einzelne Experimente dargestellt, wie im Beispiel der Gallium-Arsenid-Experimente durch Feenstra und Stroscio. In diesem Wechselverhältnis haben sich die Deutungen einzelner Bilder verschoben, so dass sich nicht eindeutig bestimmen lässt, was auf einem tunnelmikroskopischen Bild zu sehen ist. Vielmehr hängt dies immer vom Vorwissen der betrachtenden Person ab. Die Beantwortung der Frage nach der Referenz des Bildes, also die Frage, was es eigentlich zeigt und wie es sich auf den Untersuchungsgegenstand bezieht, lässt sich damit nicht eindeutig bestimmen. Bisher ist keine physikalische Theorie entwickelt worden, die die Wechselwirkung zwischen Instrument und Probe sowie den Tunnelstrom gleichzeitig in Gänze beschreibt. Je nach Interesse werden von Tunnelmikroskopikern unterschiedliche Modelle und damit Vereinfachungen gewählt. Experimentatoren und Theoretiker bemühen Interpretationen unterschiedlicher Abstraktionsgrade, deren Anschlussfähigkeit im wechselseitigen Austausch gewahrt bleibt.8 Die Deutungsvielfalt einzelner Bilder findet bereits im innerwissenschaftlichen Bereich statt und ist damit kein reines Phänomen der Downstream-Kommunikation, doch kommt es in diesem Prozess zu einer Fortsetzung und weiteren Ausprägung dieser Vielfalt. Die Umdeutung tunnelmikroskopischer Bilder zu Abbildern von Atomen, wie sie in populärwissenschaftlichen Zeitschriften vorgenommen wurde (vgl. Kapitel IV.1), bedeutet sowohl bildtheoretisch wie auch physikalisch den am eindeutig benennbarsten Einschnitt, der jeder quantenphysikalischen Deutung spottet. Dass eine solche Umdeutung eines Bildes, dessen Erstellung auf quantenphysikalischen Prinzipien beruht, mit Blick auf eine Zielgruppe dennoch möglich ist, ist wesentlich der Gestaltung der Bilder und der damit einhergehenden Anknüpfung an die Formtraditionen des Atoms als Kugel geschuldet (vgl. Kapitel IV.1). Tunnelmikroskopische Bilder erhalten in ihrer Gestaltung, die ihre wissenschaftliche Aussagekraft keinesfalls schmälert, eine Deutungsoffenheit, wie andere Bilder der Oberflächenphysik sie nicht besitzen. So ist es mit einem oberflächenphysikalischen Beugungsbild nicht möglich, ähnlich flexibel Sinn zu erzeugen wie mit einem tunnelmikroskopischen Bild. 8 | Peter Galison hat eine solche Heterogenität und Uneinheitlichkeit von Wissenschaft als wesentlich für die Stabilität und Kohärenz von Wissen beschrieben und mit Rückgriff auf Wittgenstein die Metapher eines Kabels aus einer Vielzahl von Strängen zur Beschreibung dieser Stabilität verwendet; die Eigenart dieser Vorstellung hob er hervor, indem er sie mit der einer Kette, deren Stabilität sich am schwächsten Kettenglied festmacht, kontrastierte (Galison 1997, 843f.).
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Während Takayanagi als Oberflächenphysiker mit Hilfe von Beugungsbildern die atomare Oberflächenstruktur des Siliziums entschlüsseln konnte (vgl. Kapitel III.1), vermögen Laien aus solchen Bildern keine Schlüsse über die Anordnung von Oberflächenatomen zu ziehen; möglicherweise erscheinen solche Bilder naturwissenschaftlichen Laien ob ihrer Symmetrie aber ästhetisch. Ihnen bleibt dabei nur die Annahme, dass Naturwissenschaftler diese Bilder auszuwerten wissen. Tunnelmikroskopische Bilder des Siliziums werden hingegen eingesetzt, um atomare Landschaften zu zeigen. Sie sind an kollektive Sehgewohnheiten und das kollektive Bildgedächtnis anschlussfähig, so dass für Laien die Anordnung von Oberflächenatomen sinnfällig zu werden scheint (vgl. Kapitel IV.1). Diese Anknüpfungsfähigkeit besitzen tunnelmikroskopische Bilder nicht per se, sondern sie ist das Ergebnis eines Aushandlungs- und Gestaltungsprozesses, der für die zentrale Rolle der Tunnelmikroskopie in der Herausbildung der Nanotechnologie verantwortlich zeichnete. Oberflächenphysikalisches Experiment und visionäre Narrative – auf denen die Nanotechnologie in den 1980er Jahren beruhte – kamen in diesen Bildern zusammen. Dass auch Experimentatoren die Realisierung des nanotechnologischen Topos als Handlungsdirektive in ihre Praxis übernahmen (vgl. Kapitel IV.2), verdeutlicht die Wirkung dieses Kontextes in der innerwissenschaftlichen Bildpraxis. Populäre Narrative wirken upstream in die Bildpraxis im Labor.9 Eine allgemeine Feststellung der Umfeldabhängigkeit bildlichen Wissens ist grundsätzlich richtig, doch hat diese Studie mit der Herausarbeitung der Heterogenität wissenschaftlicher Bildpraxis verdeutlicht, in welch unterschiedlichem Maß Bilder verschiedener ober flächenphysikalischer Methoden in der Lage sind, an Kontexte 9 | Dies ist das ausdrucksstärkste Beispiel in dieser Arbeit, dass die Kommunikation zwischen Wissenschaftlern und Teilöffentlichkeiten nicht als Einbahnstraßenmodell zu denken ist, sondern dass zwischen verschiedenen Gruppen wechselseitige Einflüsse entstehen, wie sie durch die Metaphern downstream und upstream ausgedrückt werden sollen. 10 | Bildwissenschaftliche Arbeiten zu wissenschaftlich-technischen Bildern scheinen momentan zu Fallstudien zu tendieren, in denen eine große Deutungsvielfalt der Bilder anzutreffen ist und diese dementsprechend eine weite Rezeption erfahren. Dies ist den einzelnen Studien nicht anzulasten, muss aber bezüglich der Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse berücksichtigt werden. Dementsprechend hat Michael Hagner gefordert, nicht die Bilder als einzigen Akteur im Erkenntnisprozess zu betrachten, sondern „die Frage, warum bestimmte Bildformen wirkmächtig werden und andere nicht, im breiten Zusammenhang der wissenschaftlichen Praxis und ihrer Voraussetzungen zu untersuchen“ (Hagner 2006, 386).
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anzuknüpfen und unterschiedliches Wissen zu erzeugen.10 So hat Hans-Werner Fink bereits Mitte der 1980er Jahre einzelne Atome mit Hilfe des Feldionenmikroskops gezielt platziert und es gab Bemühungen, diese Experimente beispielsweise durch die Produktion eines Films zu verbreiten. Doch die Bilder des Feldionenmikroskops erwiesen sich als ebenso wenig anschlussfähig und flexibel wie die Bilder aus Beugungsexperimenten. Im Gegensatz dazu zeichneten sich tunnelmikroskopische Bilder für die Kommunikation dadurch aus, dass sie durch die Erzeugung von Perspektivdarstellungen und die Assoziation mit Landschaften flexibel rekontextualisiert werden konnten. Das große Maß an Deutungsoffenheit lag in der Anschlussfähigkeit an Bildtraditionen begründet, an der Schließung der Lücke zwischen quantenphysikalischem Experiment und dinglicher, kugelförmiger Atomvorstellung. Während neue Erkenntnisse über Oberflächenstrukturen häufig im komplementären Zusammenspiel unterschiedlicher Methoden erzielt wurden, besitzt die Rastertunnelmikroskopie – gemeinsam mit der aus ihr entwickelten Rasterkraftmikroskopie – in dieser Anschlussfähigkeit ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Methoden der Oberflächenphysik. Erst durch die Entwicklung der Rastersondenmikroskopie wurde die Oberflächenphysik an visionäre Weltbilder anschlussfähig, wie es ansonsten für Wissenschaftsfelder wie die Astronomie oder medizinische Bildwelten bekannt ist (vgl. Kapitel IV.2). Während in der Lösung von oberflächenphysikalischen Fragestellungen wie der nach der atomaren Oberflächenstruktur der Silizium-7x7-Rekonstruktion unterschiedliche Instrumente komplementär eingesetzt wurden, fanden allein die Bilder der Tunnelmikroskopie den Weg in die DownstreamKommunikation. Damit gelangten tunnelmikroskopische Bilder der Silizium-Oberfläche auf Titelseiten wissenschaftlicher Zeitschriften und Informationsbroschüren. Eine damit einhergehende Präsenz, kulturelle Aufladung und Faszination blieb anderen Verfahren verwehrt. Es ist ein empirisches Ergebnis der historischen Rekonstruktion tunnelmikroskopischer Bildpraxis, dass in den 1980er Jahren nicht einerseits Bilder existierten, die innerwissenschaftlich bedeutungsvoll waren, während andere besonders erfolgreich zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zirkulierten. Vielmehr sind einzelne Bilder, die starke Impulse für die Entwicklung abstrakter Theorien gegeben haben, gleichzeitig bis in die Massenmedien und den populärwissenschaftlichen Bereich mäandert.11 Das vielfach reproduzierte Foto des 11 | Diese Beobachtung schließt an den Befund an, dass Bilder nicht per se wissenschaftlich oder öffentlich sind, sondern der Verwendungszusammenhang darüber entscheidet (vgl. Nikolow, Bluma 2002, 204).
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Papiermodells von Binnig und Rohrer (Abb. II.3.2), das Kompositbild Feenstras zur GaAs-Untersuchung (Abb. IV.1.13) oder das IBM-Logo Eiglers (Abb. III.3.13) haben auf eine große Anschaulichkeit abgezielt und gleichzeitig zur Entwicklung der avanciertesten Theorien beigetragen. Wissenschaftsphilosophen haben mitunter nanotechnologische Bilder kritisiert, da sie suggerieren würden, das Aussehen von Atomen zu zeigen, doch sind sie dabei den Verwendungen im populären Bereich gefolgt, anstatt diese zu reflektieren und auch die innerwissenschaftliche Bildpraxis, die Einbettung in experimentelle Verfahren und theoretische Deutungen zu berücksichtigen (vgl. Kapitel I.2). In ihrer Deutungsoffenheit haben die Bilder keinesfalls ihre innerwissenschaftliche Aussagekraft eingebüßt. Vielmehr haben führende Experimentatoren der Tunnelmikroskopie die Freiheit zur Bildgestaltung mitunter bis zur ironischen Überspitzung ausgereizt, wie etwa Ruud Tromp, der auf Tagungen kitschige Silizium-Landschaften präsentiert hat (Abb. III.1.18), die nicht oberflächenphysikalisch auswertbar waren. Damit brachte er gleichzeitig seine experimentelle Überlegenheit gegenüber seinen Zuhörern und Zuschauern zum Ausdruck. Durch eine solche Bildgestaltung konnte er eine Distanz zu anderen Experimentatoren schaffen, die sich in aller Seriosität um wissenschaftliche Anerkennung bemühen mussten. Die experimentelle Überlegenheit verschaffte ihm einen Gestaltungsfreiraum, den er spielerisch ausfüllte. Das heißt auch, dass eine Trennung in eine innerwissenschaftliche Bildpraxis, die allein durch die Interpretation der Bilder geprägt wäre, und eine Kommunikation an weitere Teilöffentlichkeiten, in denen Bilder als Produkte zur Aufmerksamkeitserzeugung eingesetzt würden, nicht greift. Auch im innerwissenschaftlichen Rahmen kommt es zum Einsatz von „Schlagbildern“, denen sowohl eine „prägnante Form als auch ein gesteigerter Gefühlswert eigentümlich ist“ (Diers 1997, 7). Die Inszenierung und das Vorzeigen sind Teil wissenschaftlicher Bildpraxis, wie etwa die Einführung der Computergrafik in Basel anlässlich einer Präsentation auf einer wissenschaftlichen Tagung zeigt (vgl. Kapitel II.3). Bei aller Möglichkeit zur theoretischen und abstrakten Interpretation entwickeln die Bilder bei den beteiligten Experimentatoren eine Faszination und Emotion, die auf ihrem Vorwissen beruhen und in einer außerwissenschaftlichen Öffentlichkeit nicht anzutreffen sind. Dario Anselmettis Erinnerungen an seine nächtlichen Experimente und die damit verbundene emotionale Bindung an die Bilder geben ein lebendiges Zeugnis davon ab (vgl. Kapitel III.3). Die aufmerksame Spannung und die Begeisterungsstürme während der frühen Vorträge von Binnig und Rohrer vor einem Fachpublikum stehen der Entscheidung von Presseagenturen gegenüber, anlässlich der Berichterstattung über
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die Nobelpreisverkündung tunnelmikroskopische Bilder als zu langweilig zu erachten, um sie zu zeigen.
Veranschaulichungen des Unanschaulichen Während jedes einzelne tunnelmikroskopische Bild die Sichtbarmachung von Abstraktem und Unsichtbarem bedeutet und damit den Status eines Abbilds unterläuft, ist die tunnelmikroskopische Bildgestaltung von einer Gegenbewegung begleitet gewesen, die durch die Simulation von Beleuchtungssituationen, Perspektivdarstellungen und Farbauswahl auf den Eindruck dinghafter Körper abzielte. Während die Gestaltungsfreiheit jenseits der Orientierung an einem Urbild vereinzelt auch zur Verfertigung ornamenthafter Strukturen genutzt wurde (Abb. II.3.23), haben Softwareprogrammierer wie Lukas Rosenthaler und Erich Stoll auf historisch weit zurückgehende, kartesisch-perspektivische Bildstrategien zurückgegriffen, die nicht zufällig in einer Zeit, in der das Abbild das Ideal eines Bildes darstellte, ihren Ausgang genommen haben (Boehm 1994a, 18ff.; Boehm 1994b, 343ff.). Durch Lichtregime und Perspektivdarstellungen kam eine Dinghaftigkeit der Darstellung zustande, die keineswegs im Widerspruch zur Deutung als Flächen gleichen Tunnelstroms zwischen Spitze und Probe stand, und doch zur Ausprägung des Sekundärkonzeptes vom Atom als möglichem Baustein für technische Geräte beigetragen hat (vgl. Kapitel IV.2). Die Unanschaulichkeit von Entitäten der atomaren Dimension, die dem Regime der Quantenphysik unterliegen, konnte überwunden werden, da tunnelmikroskopische Bilder auf dem Tunneleffekt – und damit einem quantenphysikalischen Grundprinzip – beruhen und die Anschaulichkeit der Bilder damit gleichzeitig immer auch eine Veranschaulichung der Quantenphysik bedeutet. Die Bilder dienen zur Erforschung der Untersuchungsgegenstände, die sie erst hervorbringen und denen sie eine Anschaulichkeit verleihen, die zu weiteren Assoziationen Anlass gibt. Damit ist das Wissen über den Untersuchungsgegenstand mit den medialen Eigenarten seiner Darstellungsform aufgefüllt.
Eine Konjunktur der Bilder Diese Studie ist in den wissenschafts- wie bildhistorischen Befund eingebunden, dass Bilder in den Naturwissenschaften seit den 1980er Jahren eine Konjunktur erleben. Die Ursachen dieses Wandels sind
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nicht anhand einer einzelnen Studie zu klären; doch gibt diese Studie möglicherweise Anstöße für komplementäre Untersuchungen, die die Entwicklung anderer bildgebender Verfahren und der kulturellen Kontexte in den Blick nehmen. Auch eine einzelne Studie kann bereits jetzt monokausale Erklärungen und Verengungen auf einzelne Faktoren ausschließen: So hat in der Tunnelmikroskopie nicht allein eine technische Neuerung wie die Einführung der Computergrafik den Gestaltungsfreiraum für Bildbearbeitungen eröffnet – denn bereits in der analogen Frühphase wurden Formgebungen erprobt, die anschließend computergrafisch aufgegriffen wurden (vgl. Kapitel II.3). Auch der Wandel von einer vorwiegend „grauen“ zu einer „bunten“ Wissenschaft von den 1970er zu den 1990er Jahren durch den Einsatz von Farbe ist nicht vorschnell allein der Computergrafik zuzuschreiben. Gerd Binnig hat beispielsweise mit seinen gelben Bleistiftschraffuren die erste farbige wissenschaftliche Abbildung, die je in den Physikalischen Blättern publiziert wurde, geschaffen (Abb. II.1.5). Dass zuvor in den Physikalischen Blättern bereits Werbeanzeigen in Farbe erschienen, gibt ein Exempel für die Annäherung wissenschaftlicher Inszenierungen an Werbestrategien ab. Bilder der Tunnelmikroskopie sind damit gleichermaßen Ausdruck wie Motor einer „Medialisierung von Wissenschaft“ (Weingart 2001, 244). Eine Person wie Binnig prägte den Bildumgang, da viele Physiker über ihn und seine Bildgestaltungen einen ersten Zugang zur Tunnelmikroskopie erhielten. Doch bleibt das Verhältnis zwischen der Rolle von Einzelpersonen und Kollektiven vage, ist sicherlich Gerd Binnig nicht als einzelner Protagonist für die Durchsetzung einer neuen Bildpolitik verantwortlich, in die beispielsweise auch die Bereitschaft der Physikalischen Blätter zum Abdruck farbiger Bilder sowie die Außendarstellung und finanziellen Möglichkeiten des Konzerns IBM hineinspielten.12
Der Analog-Digital-Übergang als Geflecht von Kontinuitäten und Brüchen Die in dieser Arbeit aufgezeigte Heterogenität in der Bildpraxis der Tunnelmikroskopie impliziert bezüglich des Übergangs von analogen zu digitalen Techniken, dass sich kein Umklapppunkt ausmachen lässt und nicht von einer scharfen digitalen Zäsur auszugehen ist. 12 | Die wirtschaftliche Verwertung von Bildern als Teil wissenschaftlicher Bildpraxis bedarf weiterer Untersuchungen; allgemein zu diesem Thema ohne Fokussierung auf Wissenschaftsbilder siehe Bruhn 2003.
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Der Blick auf die Praxis zeigt vielmehr, dass die Einführung digitaler Bilder zu mannigfaltigen Verschiebungen, nicht aber zu plötzlichen Brüchen geführt hat. So ist ein digitales Bild bildtheoretisch durch den zugrunde liegenden Datensatz einer mathematischen Logik unterworfen, doch führte die Einführung digitaler Techniken in der Praxis keinesfalls zu einer Ablösung einer visuellen durch eine mathematikbasierte Logik. Auch am digitalen Bild nehmen Tunnelmikroskopiker Formanalysen an der Bildoberfläche vor und überprüfen das Ergebnis mathematischer Operationen am Datensatz anhand dessen visueller Umsetzung. Dass die grundsätzliche Möglichkeit, einen Datensatz auf unterschiedliche Weise darzustellen, in der Praxis zur Auswertung der Messungen und zur Kommunikation Verwendung fand (vgl. Kapitel II.3, III.3, IV.1), verweist auf die Nutzung der Formgebung zur Erkenntnisgewinnung und -kommunikation. Dabei führte die Realisierung unterschiedlicher Darstellungen eines einzelnen Datensatzes keineswegs zu einer Bilderflut, vielmehr zielte die Bildpraxis auf die aufwendige instrumentelle Verfertigung, Gestaltung und Deutung einzelner Bilder ab, die mitunter über Jahre in unterschiedlichen Publikationsorganen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zirkulierten.
Methoden zur historischen Rekonstruktion rezenter Wissenschaft Aus methodischer Sicht beruhte die Rekonstruktion der Bildpraxis auf einer medienspezifischen, quellenkritischen Auswertung von schriftlichen Primär- und Sekundärquellen, Interviews, Laborbeobachtungen und Bildern. Die Analyse war von einem stetigen Wechselspiel zwischen der Rekonstruktion der Praxis, dem Nachvollzug der Deutung der Bilder durch die Tunnelmikroskopiker und bildhistorischen Analysen geprägt. Das methodische Wechselspiel zwischen Praxis- und Bildanalyse lässt sich nicht schematisieren; es geschah vielmehr im Prozess der Materialerschließung, die auf Aufmerksamkeiten für die instrumentelle Erstellung der Bilder, ihre Gestaltungen und Auswertungen, institutionelle Gegebenheiten, persönliche Erfahrungen und Interessen, Kommunikationssituationen sowie die Ausprägung von Stilen und die Adaption von Bildtraditionen ausgerichtet war. Daraus ergaben sich analytisch unterscheidbare Bildzusammenstellungen und Bildvergleiche: Synchrone Bezüge von Bildern aufeinander, die durch Tunnelmikroskopiker angestellt wurden, wurden nachvollzogen und wechselten mit dem Aufzeigen von Repräsentationsketten
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und formanalytisch motivierten, diachronen Bildreihungen, die mitunter bis in die Frühe Neuzeit zurückreichten (vgl. Kapitel IV.1).
Reflexion und Produktion visueller Wissenskommunikation Wie bereits erwähnt, schreiben verschiedene Akteure einzelnen Bildern unterschiedlichen Sinn zu. In dieser Arbeit ist dieser Prozess der Erzeugung von Sinnebenen reflektiert worden, so dass unweigerlich eine weitere Interpretations- und Sinnebene hinzugefügt wurde. In der Reflexion visueller Kommunikation in der Rastertunnelmikroskopie und Nanotechnologie bin ich als Verfasser zum Akteur geworden, da kursierende Bilder nun auch in dieser Arbeit in einer neuen Kontextualisierung auftreten und damit unweigerlich Teil einer visuellen Wissenschaftskommunikation geworden sind. In dem Versuch, die Bilder der Tunnelmikroskopie für ein neues Publikum zu eröffnen, ist ein anderer Weg beschritten worden als beispielsweise in Broschüren staatlicher Förderer der Nanotechnologie: Der visuelle Überschuss der Bilder wurde nicht ausgenutzt und weiter transportiert, vielmehr wurde darauf abgezielt, ihn erkennbar zu machen. Mit dem Verfassen dieser Arbeit ist die Hoffung verbunden, zur Geschichte der Tunnelmikroskopie und der Nanotechnologie, zur Analyse visueller Wissenserzeugung und -kommunikation und zur Reflexion der Konjunktur des Bildes in den letzten 25 Jahren beigetragen zu haben. Sie ist gepaart mit der Hoffnung, Anregungen zu geben, wie Bilder in der Wissenskommunikation eingesetzt werden können und welches Wissen über Bilder und mit Bildern in Übersetzungsprozessen im Kontinuum zwischen verschiedenen Wissenschaftsfeldern und Teilöffentlichkeiten erzeugt werden kann.13
13 | Eine Präsentation der hier eingenommen Perspektiven gegenüber einer allgemeinen Öffentlichkeit ist bereits im Rahmen der Ausstellung „Atombilder. Strategien der Sichtbarmachung im 20. Jahrhundert“ geschehen, die ich gemeinsam mit Charlotte Bigg kuratiert habe. Sie war von Mai 2007 bis Januar 2008 in der Abteilung Foto+Film im Deutschen Museum, München zu sehen. Vor allem die Ausarbeitung von Kapitel IV.1 geschah im Wechselspiel mit der Ausstellungsvorbereitung. Zum Ausstellungskonzept siehe Hennig 2007, zur Thematik des Ausstellungsbereichs zur Sichtbarmachung von Radioaktivität siehe Bigg, Hennig 2007; für einen Überblick über das Themenfeld siehe Bigg, Hennig 2009.
VI. Apparat VI.1 Interviews und Gespräche mit Praktikern der Tunnelmikroskopie Die Interviews wurden mit Diktiergerät aufgezeichnet. Als Gespräche werden informelle, nicht aufgenommene Gespräche bezeichnet, die teilweise anlässlich dieser Forschungsarbeit geführt wurden, teilweise auch anlässlich des Auf baus einer Sammlung zur Nanotechnologie für das Deutsche Museum in München; die Ergebnisse der beiden Tätigkeiten sind nicht scharf voneinander zu trennen. Es sind hier auch Interviews und Gespräche aufgeführt, auf die im Text nicht direkt Bezug genommen wird, da auch sie den Forschungsfortgang geprägt haben. Am Rande der Interviews kam es fast immer auch zu informellen Gesprächen, die nicht eigens aufgelistet sind. (Anselmetti 06/05) Interview mit Dario Anselmetti (ehemals Universität Basel, IBM-Forschungslabor Rüschlikon) am 7.6. 2005 in seinem Büro an der Universität Bielefeld (Behm 07/05) Interview mit Jürgen Behm (ehemals LMU München) am 21.7. 2005 in seinem Büro an der Universität Ulm (Besocke 05/06) Gespräch mit Karl Besocke (ehemals Forschungszentrum Jülich) im Beisein von Walter Hauser (Deutsches Museum) am 2.6. 2006 in seinem Haus in Jülich (Fein 02/04) Gespräch mit Aaron Fein (ehemals IBM-Forschungslabor Yorktown Heights) am 27.2. 2004 in seinem Büro am National Institute of Standards and Technology in Gaithersburgh
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(Feenstra 08/06) Gespräch mit Randy Feenstra (ehemals IBMForschungslabor Yorktown Heights) am 30.8. 2006 am Rande des Workshops „Teaching Scanning Probe Microscopy and Nanotechnology“ im Hotel Europe, Basel (Fink 11/04) Telefoninterview mit Hans Werner Fink (ehemals IBMForschungslabor Rüschlikon) am 25.11. 2004 in seinem Büro an der Universität Zürich (Gerber 09/03) Gespräch mit Christoph Gerber am 22.9. 2003 in seinem Büro im IBM-Forschungslabor Rüschlikon (Gießibl 01/07) Gespräch mit Franz Gießibl (ehemals Park Instruments, Universität Augsburg) am 30.1. 2007 in seinem Büro und Labor an der Universität Regensburg (Guckenberger 02/06) Gespräch mit Reinhard Guckenberger am 8.2. 2006 in seinem Labor im MPI für Biochemie, Martinsried (Güntherodt 04/05) Gespräch mit Hans-Joachim Güntherodt am 18.4. 2005 in seinem Büro an der Universität Basel (Heckl 07/03) Interview mit Wolgang Heckl (LMU München) am 7.7. 2003 im Büro von JH an der HU Berlin; (Heckl 02/06) Gespräche mit Wolfgang Heckl im Februar 2006 in seinem Büro am Deutschen Museum, München (Hermann 02/06) Gespräch mit Bianca Hermann (ehemals Universität Basel) am 20.2. 2006 in ihrem Büro und Labor an der LMU München, Standort Garching (Hidber 04/05) Gespräch mit Hans-Rudolf Hidber am 19.4. 2005 im Seminarraum und seiner Werkstatt an der Universität Basel (Hix 02/06) Gespräch mit Paul Hix und weiteren Mitarbeitern der AG Heckl am 22.2. 2006 in den Laboren an der LMU München (Marti 07/05) Interview mit Othmar Marti (ehemals IBM-Forschungslabor Rüschlikon und University of California, Santa Barbara) am 21.7. 2005 in seinem Büro an der Universität Ulm
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(Niehus 04/06) Gespräch mit Horst Niehus im Beisein von Gernot Grube (HU Berlin) am 18.4. 2006 in seinem Büro und Labor an der HU Berlin (Ringger 04/05) Interview mit Markus Ringger (ehemals Universität Basel) am 19.4. 2005 im Besprechungszimmer der Gruner AG, Basel (Rosenthaler 04/05) Interview mit Lukas Rosenthaler am 20.4. 2005 in seinem Büro an der Universität Basel (Schroer 03/04) Gespräch mit Peter Schroer (ehemals IBMForschungslabor Yorktown Heights) am 15.3. 2004 im Büro seiner Softwarefirma ARAS Corp. nahe Boston (Schweizer 10/03) Interview mit Erhard Schweizer (ehemals IBMForschungslabor Almaden) am 8.10. 2003 in einem Café nahe Stuttgart (Stoll 09/03) Gespräch mit Erich Stoll (ehemals IBM-Forschungslabor Rüschlikon) am 23.9. 2003 in seinem Büro am Physik-Institut der Universität Zürich (Stroscio 02/04) Interview mit Joseph Stroscio (ehemals IBM Forschungslabor Yorktown Heights) am 27.2. 2004 in seinem Büro am National Institute of Standards and Technology in Gaithersburgh mit anschließender Laborbesichtigung (Thomas 09/03) Interview mit Hartwig Thomas (ehemals IBMForschungslabor Rüschlikon) am 19.9. 2003 im Besprechungsraum seiner Firma Enter AG, Zürich (Tromp 03/04) Interview mit Ruud Tromp am 10.3. 2004 in der Cafeteria des IBM-Forschungslabors Yorktown Heights (Wischnath 07/06) Gespräch mit Uli Wischnath am 5.7. 2006 in seinem Labor an der Universität Oldenburg
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VI.2 Unveröffentlichte Quellen Interview Interview des Wissenschaftshistorikers Arne Hessenbruch mit Gerd Binnig und Heinrich Rohrer in Binnigs Büro am IBM-Forschungslabor Rüschlikon am 4.5. 2001; Ausdruck aus dem Besitz des IBM Forschungslabors Rüschlikon Bilder Skizzen und tunnelmikroskopische Bilder aus dem Privatbesitz von Dario Anselmetti, Karl Besocke, Randy Feenstra, Christoph Gerber, Hans Rudolf Hidber, Horst Niehus, Markus Ringger, Erhard Schweizer, Hartwig Thomas, Ruud Tromp VHS-Filme Rastertunnelmikroskop (1984), produziert von Blackbox für IBM; aus dem Privatbesitz von Hartwig Thomas Videoaufzeichnung tunnelmikroskopischer Untersuchungen von DNA durch Wolfgang Heckl und Gerd Binnig vom 19.10. 1989 an der LMU München; aus dem Privatbesitz von Wolfgang Heckl Audiomitschnitt Kolloquiumsvortrags von Gerd Binnig an der LMU München im Herbst 1986; aus dem Privatbesitz von Wolfgang Heckl Pressemitteilungen IBM Forschungslaboratorium Rüschlikon (1986): Pressemitteilung zum Nobelpreis für Physik 1986 IBM Forschungslaboratorium Rüschlikon (1989): Pressemit teilung: „Beobachtung feinster biologischer Strukturen: Grundbausteinen des Lebens auf der Spur“
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VI.3 Veröffentlichte Quellen Bei Verweisen auf Quellen mit mehr als drei Autoren ist im Text aus Gründen der Übersichtlichkeit nur der Name des ersten Autors, ergänzt um „et al.“, angeführt. Um der Beteiligung und Nennung mehrerer Personen in der naturwissenschaftlichen Praxis Rechnung zu tragen und um den Blick auf Kooperationen zu ermöglichen, sind hier im Apparat sämtliche Namen aufgeführt. Entsprechend den Gewohnheiten naturwissenschaftlicher Publikationen wird bei der Nennung von vier und mehr Autoren der Vorname nach dem ersten Buchstaben abgekürzt. Bibliografische Recherchen und stichprobenartige quantitative Analysen basieren auf dem ISI Web of Knowledge; URL: http://apps. isiknowledge.com/ (Mai 2008)
Abraham, David W.; Williams, C.C.; Wickramasinghe, H. Kumar (1988): Differential Scanning Tunnelling Microscopy. Journal of Microscopy 152, Part 3, S. 599-603 Ackermann, Robert John (1989): The New Experimentalism. British Journal for the Philosophy of Science 40, S. 185-190 Adelmann, Ralf (2004): Digitale Animationen in dokumentarischen Fernsehformaten. In: Schröter, Böhnke (Hg.), S. 387-405 Adelmann, Ralf; Hennig, Jochen; Heßler, Martina (2008): Visuelle Wissenskommunikation in Astronomie und Nanotechnologie. Zur epistemischen Produktivität und den Grenzen von Bildern. In: Mayntz et al. (Hg.), S. 41-74 Albrecht; T.R.; Dovek, M.M.; Kirk, M.D.; Quate, C.F. (1989): Nanometer-Scale Hole Formation on Graphite using Scanning Tunneling Microscope. Applied Physics Letters 55, 17, S. 1727-1729 Amrein, M.; Stasiak, A.; Gross, H.; Stoll, E.; Travaglini, G. (1988): Scanning Tunneling Microscopy of RecA-DNA Complexes Coated with a Conducting Film. Science 240, S. 514-551 Anonym (1958): Die Weltausstellung 1958 in Brüssel. Die Abteilungen der einzelnen Länder. Naturwissenschaftliche Rundschau, Juni, S. 232-240 Anonym (1991): Schraubenversetzungen in YBa2Cu3O7-Filmen. Physikalische Blätter 47, S. 358 Anselmetti, D.; Wiesendanger, R.; Geiser, V.; Hidber, H.R.; Wiesendanger, H.J. (1988a): Donor Graphite Intercalation Compounds Studied with a High Stability STM. Journal of Microscopy 152, 2, S. 509-514
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Wiesendanger, R.; Tarrach, G.; Bürgler, D.; Güntherodt H.-J. (1990): Scanning Tunneling Microscopy Study of Si(111) 7x7 in the Presence of Multiple-Step Tips. Europhysics Letters 12, 1, S. 57-61 Wiesendanger, Roland (Hg.) (1998): Scanning Probe Microscopy: Analytical Methods. Berlin Wiesendanger, Roland (1994): Scanning Probe Microscopy and Spectroscopy. Cambridge Wiesendanger, Roland; Anselmetti, Dario (1992): STM on Layered Materials. In: Güntherodt, Wiesendanger (Hg.), S. 131-179 Wiesing, Lambert (2005): Artifizielle Präsenz. Studien zur Philosophie des Bildes. Frankfurt a. M. Wilder, Kelley (2006): Photography Absorbed. Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik 4, 2, S. 43-53 Williams, R.C.; Wyckoff, W.G. (1945): Electron Shadow-Micrography of Virus Particles. Proceedings of the Society for Experimental Biology and Medicine 58. 3, S.265-270 Wolf, Hertha (Hg.) (2002): Paradigma Fotografie. Fotokritik am Ende des fotografischen Zeitalters. Frankfurt a. M. Wullen, Moritz (2006): Kreis Kugel Kosmos – die Idee – die Ausstellung. In: Wullen, Ebert (Hg.), S. 8-11 Wullen, Moritz; Ebert, Bernd (Hg.) (2006): Der Ball ist rund. Kreis Kugel Kosmos. Berlin Young, Russell (1966): Field Emission Ultramicrometer. The Review of Scientific Instruments 37, S. 275-278 Young, Russell D. (1971): Surface Microtopography. Physics Today 24, 11, S. 42-49 Young, Russell; Ward, John; Scire, Frederic (1972): The Topografiner: An Instrument for Measuring Surface Microtopography. The Review of Scientific Instruments 43, 7, S. 999-1011 Youngquist M.G.; Driscoll R.J.; Coley T.R.; Goddard, W.A.; Baldeschwieler, J.D. (1991): Scanning Tunneling Microscopy of DNA – Atom resolved Imaging. General Observations and Possible Contrast Mechanism. Journal of Vacuum Science and Technology B 9, 2, S. 1304-1308 Zech, Stefan M. (2004): Die Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnis in Patentanmeldungen und wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Dissertation an der Ludwig-MaximiliansUniversität München.
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VI.4 Abbildungsverzeichnis Der Abdruck der Bilder erfolgte mit freundlicher Genehmigung folgender Personen und Institutionen: American Institute of Physics: Abb II.1.1, II.1.3 c, II.2.5, II.2.6, II.3.9, III.3.9, III.3.10, III.3.12, IV.2.6, IV.2.7, IV.2.9, American Physical Society: Abb. II.1.2, II.1.3 d, II.1.4, II.1.9, II.1.10, II.1.11, II.2.1, II.2.9, II.2.11, II.2.12, II.2.13, II.3.2, III.1.2 a,b, III.1.7, III.1.8, III.1.9, III.1.15, III.3.1, III.3.16, IV.1.9, IV.1.10, IV.1.12, AVS: Science & Technology Society: Abb. II.3.18 a,b,c, III.1.1, Caltech Archives: Abb. IV.1.6 Christoph Gerber: Abb. II.1.5 Dario Anselmetti: Abb. II.3.16 a,b, II.3.19, III.1.20, III.3.3 a-c, III.3.4, III.3.5, III.3.6, III.3.7, Elsevier: Abb. II.1.6, III.1.3 a,b, III.1.4, III.1.5, III.1.11, III.1.14, III.1.17, III.2.2, III.2.10, III.2.11, IV.2.14 Erhard Schweizer: III.3.15 Erhard Schweizer, Paul Weiss: III.3.14 Europhysics Letters: Abb. II.2.10 Hartwig Thomas: Abb. II.3.1, II.3.3 a,b, II.3.4, II.3.5, II.3.6, II.3.7, II.3.8, III.1.6, III.1.10, IV.2.11 b, Horst Niehus: Abb. III.1.21, IBM Research Almaden: III.3.17, IBM Technical Journals: Abb. II.2.2, II.2.7, III.1.12, III.3.2, IV.2.1 IBM Forschungslabor Zürich: Abb. II.2.8, II.3.11, III.2.3, IV.2.8 a-k, IV.2.10, IV.2.11 a IOP Publishing Ltd.: Abb. III.3.8 b, K. Eric Drexler/Jun Nogami und MIT Press: Abb. IV.1.15, IV.2.2, Karl Besocke: Abb. III.1.22, L.J. Whitman/Naval Research Laboratory: IV.2.12 Lukas Rosenthaler: II.3.17 Macmillan Publishers Ltd: Nature: Abb. III.2.4, III.2.5, III.2.7, III.3.11, III.3.13 Markus Ringger: Abb. II.3.12, II.3.13, II.3.14, II.3.15, MIT Press: Abb. IV.1.14 Paul Hansma: Abb. II.3.23 Randy Feenstra: Abb. IV.1.11 a-c, Richard F. Voss/IBM Research: Abb. III.1.19 Roland Wiesendanger: Abb. II.3.20 Ruud Tromp: Abb. III.1.13, III.1.16, III.1.18, IV.2.11 c, Science Museum/SSPL: Abb. IV.1.3 b
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Springer Science + Business Media: Abb. II.3.21, III.3.8 a SPIE: Abb. II.3.10 The American Association for the Advancement of Science: Abb. II.3.22, III.2.8 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA: Abb. II.1.7 Wolfgang Heckl: III.2.9 a-f, IV.1.8
Dieses Verzeichnis resultiert aus dem Bemühen, sämtliche Bildrechte einzuholen. Ggf. wird um Mitteilung an den Autor gebeten.
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VI.5 Dank Ich danke allen, die mich bei der Erstellung dieses Buches auf vielfältige Art unterstützt haben. Falk Rieß hat mich als Betreuer mit wertvollen Anregungen jederzeit darin bestärkt, die mir persönlich wichtigen Aspekte in den Vordergrund zu stellen. Noch grundsätzlicher gilt ihm mein Dank dafür, dass er mir durch seine Ausgestaltung der Arbeitsgruppe zur Geschichte und Didaktik der Physik an der Universität Oldenburg eine Perspektive der wissenschaftlichen Tätigkeit geboten hat, die meine berufliche Entwicklung nachhaltig bestimmt hat und die es mir ermöglicht hat, persönliche Anliegen und Interessen in meiner wissenschaftlichen Tätigkeit zu verfolgen. Auch die Unterstützung durch Horst Bredekamp ging über die Betreuung der Arbeit im engen Sinne hinaus, als dass er als Leiter des Projektes „Das Technische Bild“ an der HU Berlin meinen Blick für zahlreiche neue Perspektiven geöffnet hat. Jürgen Parisi danke ich, als Zweitbetreuer zur Verfügung zu stehen und damit als Experimentalphysiker für eine fachliche Absicherung zu sorgen. Der disziplinenübergreifende Ansatz dieser Arbeit war nur durch ein ebensolches Selbstverständnis aller Betreuer möglich. Wesentliche Ausrichtungen der Arbeit verdanke ich der Zusammenarbeit mit Martina Heßler, deren vielen Anregungen ich mit großem Gewinn aufgegriffen habe; das BMBF-Projekt, in dessen Rahmen ich einen Großteil der dargelegten Forschungen durchführen konnte, hat sie initiiert und geleitet. Walter Hauser hat die Tunnelmikroskopie als Ausstellungsthema entdeckt und mir während meiner Tätigkeit am Zentrum Neue Technologien des Deutschen Museums alle Freiheiten eingeräumt, das Themenfeld zu einem Forschungsprojekt zu entwickeln. Die Abteilung Das Technische Bild bildete während der Dissertation mein persönliches Arbeitsumfeld und damit die tägliche Grundlage für diese Arbeit. Für die Zusammenarbeit, die zahlreichen Hinweise und vielfältigen Unterstützungen danke ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Franziska Brons, Matthias Bruhn, Vera Dünkel, Angela Fischel, Angela Mayer-Deutsch, Karsten Heck, Margarete Pratschke, Birgit Schneider, Kai Stalmann und Gabriele Werner. Und dann sind natürlich die studentischen Mitarbeiterinnen Jana August, Peggy Kuwan und Violeta Sánchez zu nennen, die mich in besonderem Maße unterstützt haben, ebenso wie mir Franziska Facile, Hanna Felski, Florian Horsthemke und Philipp Muras eine tatkräftige Hilfe waren. Mit Charlotte Bigg habe ich durch ein gemeinsames Seminar und die Durchführung der Ausstellung zu Atombildern zahlreiche
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Aspekte der Arbeit intensiv diskutiert, wovon ich in großem Maße profitiert habe. Cyrus Mody danke ich für seine Offenheit, mit der er seine Erfahrungen bei der Erschließung der Geschichte der Rastersondenmikroskopie geteilt hat. Für Diskussionen, Hinweise und die Durchführung gemeinsamer Projekte danke ich Ralf Adelmann, Stefan Ditzen, Robert Felfe, Jan Frercks, Peter Heering, Dieter Mersch, Falk Müller, Alfred Nordmann, Joachim Schummer, Friedrich Steinle, Reinhard Wendler, Heike Weber und Jens Weber. Allen Interview- und Gesprächspartnern aus der tunnelmikroskopischen Forschung danke ich für ihre Bereitschaft, zur Rekonstruktion ihrer tunnelmikroskopischen Bildpraxis beigetragen zu haben; alle Fehler in den Darstellungen ihre Tätigkeiten und Nichtberücksichtigungen von Leistungen sind alleine meinen eigenen Unzulänglichkeiten geschuldet. Christiane Reiß-Schmidt und Karin Harrasser danke ich für Korrekturen einzelner Kapitel, sowie Rainer Hörmann und Adele Gerdes für das Lektorat. Die Gestaltung des Bildteils und die Qualität der Darstellungen in größtmöglicher Annäherung an die Originalveröffentlichungen verdanke ich der Unterstützung durch Charlotte Kaiser, für bildredaktionelle Hilfe danke ich Violeta Sánchez und für den Satz danke ich Hanna Felski ganz herzlich. Die inhaltlichen Hilfen aller genannten Personen sind nicht von ihrer persönlichen Unterstützung zu trennen, die ich auch von meiner Familie und Freunden während der Arbeit erfahren habe, wofür ich allen herzlich danke.
Science Studies Viola Balz Zwischen Wirkung und Erfahrung – eine Geschichte der Psychopharmaka Neuroleptika in der Bundesrepublik Deutschland, 1950-1980 2010, 580 Seiten, kart., zahlr. Abb., 36,80 €, ISBN 978-3-8376-1452-7
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Christian Kehrt, Peter Schüssler, Marc-Denis Weitze (Hg.) Neue Technologien in der Gesellschaft Akteure, Erwartungen, Kontroversen und Konjunkturen März 2011, 366 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1573-9
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Enrique Fernández Darraz, Gero Lenhardt, Robert D. Reisz, Manfred Stock Hochschulprivatisierung und akademische Freiheit Jenseits von Markt und Staat: Hochschulen in der Weltgesellschaft 2010, 200 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1612-5
Gabriele Gramelsberger Computerexperimente Zum Wandel der Wissenschaft im Zeitalter des Computers 2010, 316 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-89942-986-2
Thomas Kailer Vermessung des Verbrechers Die Kriminalbiologische Untersuchung in Bayern, 1923-1945 2010, 440 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1614-9
Jens Maesse Die vielen Stimmen des Bologna-Prozesses Zur diskursiven Logik eines bildungspolitischen Programms 2010, 286 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1322-3
Birgit Peuker Der Streit um die Agrar-Gentechnik Perspektiven der Akteur-Netzwerk-Theorie 2010, 370 Seiten, kart., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1502-9
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