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German Pages 156 [164] Year 1929
V I R G I L S LÄNDLICHE DICHTUNGEN VERDEUTSCHT UND ERKLÄRT VON
ADOLF TRENDELENBURG
A L L Z U B E G L Ü C K T DU W Ä R S T , LANDVOLK, W Ä R S T DEINES B E G L Ü C K T S E I N S DU DIR B E W U S S T . VIRGIL G II 485
VERLAG VON WALTER DE GRUYTER 8c CO. VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG / J . GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG / GEORG REIMER / KARL J. TRÜBNER / VEIT & COMP.
BERLIN
1929
LEIPZIG
Drude von Walter de Gruyter te Co., Berlin W 10
Der Königlichen Virgilischen Akademie zu Mantua der Trägerin des Diditernamens der Hüterin des Dichtererbes mit wärmsten Glückwünschen zum 15. Oktober 1930
Zur Einführung
A
ls i. J . 19 v. Chr. der Tod Virgil die Feder aus der Hand nahm, war sein drittes und Hauptwerk, das Äneaslied, zwar abgeschlossen, entbehrte aber noch der letzten Feile. Abschluß und Herausgabe mußte seinen Freunden, den Dichtern Tucca und Varius, überlassen bleiben. Die unvollständigen Verse, die sich nur im Äneaslied finden, sind Zeichen der Unfertigkeit, zugleich aber auch Bürgen dafür, daß die Testamentsvollstrecker der Weisung des Dichters, aus eigenem nichts hinzusuzetzen, gewissenhaft nachgekommen sind. Zehn Jahre früher, i. J . 29, tritt Virgil mit seinen Georgika, dem Lehrgedicht vom Landbau, und abermals zehn Jahre früher, i. J . 39, mit seinen Bukolika, dem Buch der Hirtenlieder, an die Öffentlichkeit. Zwei weitblickende Staatsmänner, Pollio und Mäzen, haben ihn zu den ländlichen Dichtungen angeregt, einer der römischen Literatur bis dahin fremden Gattung; denn sie erkannten in ihm, der auf dem Lande geboren und groß geworden war, die f ü r ihre Absicht geeignetste Persönlichkeit, die Römer sich ihres Bauerntums, der Quelle ihrer K r a f t und ihres Wohlstandes, wieder bewußt werden zu lassen. Erfüllte doch der Ruf „Landwirtschaft in Not", wie heute Deutschland, so vor 2000 Jahren auch Italien. Mörderische Kriege hatten von der Bevölkerung schwere Blutopfer gefordert, hatten Mangel an Arbeitskräften und eine starke Abwanderung der Lohnarbeiter vom Lande in die Städte herbeigeführt, wo der Verdienst leichter, das Treiben lebhafter, die Möglichkeit sich zu vergnügen mannigfaltiger war. Dazu gefährdeten die Ansprüche der ausgedienten Soldaten, die sich nicht mehr im Auslande, sondern nur noch in der Heimat ansiedeln lassen wollten, durch Erschütterung der Besitzverhältnisse auch den Rest der ordnungsmäßigen Betriebe. So war der Ackerbau, die Urbeschäftigung der bodenständigen Bevölkerung, immer mehr in Verfall geraten und die Ernährung Italiens bei der Unsicher-
Zur Einfahrung
VI
heit der Meere und der E r s c h w e r u n g der Z u f u h r immer in F r a g e gestellt worden.
stärker
D e s h a l b w a r es n a c h W i e d e r k e h r geord-
neter Verhältnisse f ü r die leitenden S t a a t s m ä n n e r ein G e b o t der Stunde,
die öffentliche Meinung z u g u n s t e n
der L a n d w i r t s c h a f t zu beeinflussen.
der
Wiederaufnahme
Sie sicherten sich d a f ü r , w i e
w i r h e u t e sagen w ü r d e n , die M i t w i r k u n g der Presse und g e w a n n e n in V i r g i l einen ü b e r z e u g t e n V e r f e c h t e r ihres Planes. M i t der V e r d e u t s c h u n g der ländlichen D i c h t u n g e n , die weiteren K r e i s e n bisher w e n i g b e k a n n t geworden sind, liegt das W e r k Virgils, n a c h einheitlichem
Plane gestaltet, in d e u t s c h e m G e w ä n d e
jetzt
v o l l s t ä n d i g v o r und erlaubt auch dem des Lateinischen U n k u n d i g e n eine
P r ü f u n g der
Frage,
ob die in D e u t s c h l a n d
vorherrschende
M e i n u n g , nach der Virgil als N a c h a h m e r H o m e r s keine selbständige künstlerische
Bedeutung
habe,
oder
die
Dantesche
begründeter
ist, die ihn z u m Führer und Fürsten aller D i c h t e r m a c h t .
Je mehr
m a n sich in sein G e s a m t w e r k v e r t i e f t , desto z w i n g e n d e r d r ä n g t sich einem die Ü b e r z e u g u n g auf, d a ß Virgil gerade dort a m selbständigsten ist, w o er am a b h ä n g i g s t e n su zein scheint, und d a ß er, der j a g a r nicht v o n der homerischen E p i k , sondern v o n der hellenistischen L y r i k h e r k o m m t , viel eher den N a m e n eines P f a d f i n d e r s als den eines P f a d g ä n g e r s v e r d i e n t . W i e der Entscheid aber auch falle, das Eine ist sicher: in die W e r k s t a t t des K ü n s t l e r s gewähren nur die kleineren D i c h t u n g e n Virgils einen vollen E i n b l i c k .
W i e p l a n m ä ß i g er die griechischen
V o r b i l d e r studierte, wie selbständig er a u c h bei engstem A n s c h l u ß mit ihnen v e r f ä h r t , wie klar er den wechselnden
geschichtlichen
H i n t e r g r u n d zeichnet, wie b e w u ß t er d e m ü b e r m ä c h t i g e n
Stoffe
gegenüber seine künstlerische Freiheit w a h r t , darüber klären mit auf.
überraschender
Eindringlichkeit
diese frühesten
uns
Dichtungen
Deshalb verdienen sie eine w e i t a u s größere B e a c h t u n g ,
als
sie bisher gefunden haben. Naturgeschichtliche
Fragen
erschweren
V e r s t ä n d n i s der ländlichen D i c h t u n g e n .
dem
Philologen
das
W e n n die neue V e r d e u t -
s c h u n g hierin v o r den ältern einiges v o r a u s h a t , so v e r d a n k t sie dies der n a c h d r ü c k l i c h e n
Förderung,
die den
Bemühungen
des
Ver-
fassers, dem D i c h t e r auch auf diesem G e b i e t gerecht z u w e r d e n , von a n e r k a n n t e n Fachgelehrten zuteil geworden ist.
A l s ständigen
B e r a t e r stellte sich mir Herr Dr. W . Dietrich v o m Berliner g e o -
Zur Einführung
VII
logisch-paläontologischen Institut bereitwillig zur Verfügung. Die botanischen Stichworte des Sach- und Namenverzeichnisses unterzog Herr Prof. Dr. H. Marzell, Günzenhausen in Bayern, der maßgebende Forscher auf dem Gebiet antiker Botanik, auf meine Bitte einer Durchsicht. Für Würdigung der Episode über das norische Tiersterben (G III 474—566) gab mir Herr Dr. Wilh. Rieck in BerlinKöpenick, der Herausgeber des veterinärhistorischen Jahrbuches, wertvolle Fingerzeige. Bei Überwachung der Drucklegung hat mir wie beim Äneasliede, so auch bei diesem Bande Herr Prof. Dr. V. Heydemann in Berlin-Lankwitz seine erprobte Hilfe geliehen. Den genannten Herren spreche ich auch an dieser Stelle meinen verbindlichen Dank aus. Berlin, den 10. August 1929
Adolf Trendelenburg
Inhalt Seite
I. Die 10 Hirtenlieder A. Text B. Bemerkungen C. Anhang: Asinius Pollio
1-49 1—28 29—47 48—49
II. Die 4 Bächer vom Landbau
50—121
A. Text B. Bemerkungen C. Anhang: Das Rad des Ixion
50—109 110—121 122—125
III. Sach- und Namenverzeichnis
126—149
A = Äneaslied, B = Hirtenlieder, G = Landbau
Das erste Hirtenlied Ungleiches Los
Meliböus, Tityrus Meliböus Tityrus, lässig du liegst im Schutz breitschattiger Buche Und entlockest für dich dem Rohr ein ländliches Liedchen. Ich muß fort aus meinem Besitz, den lieblichen Fluren, Lassen das Heimatland. Du, Tityrus, ruhend im Schatten, Lehrst nachhallen den Hain vom Sang auf schön Amaryllis. Tityrus Freund Meliböus, ein Gott hat uns die Muße beschieden. Denn ein Gott wird stets er uns sein, auf seinem Altare Wird oft bluten zum Dank ein Lamm aus unserem Stalle. Er ja ließ, wie du siehst, hier frei die Kühe sich tummeln, Er auf ländlichem Rohr mich spielen, was immer beliebte. Meliböus Ich mißgönne dir nichts, nein, staune nur: rings auf den Äckern Gärt es und tobt so stark. Sieh, auch ich treibe bekümmert Her die Ziegen vor mir. Die dort kaum führ ich noch mit mir; Hat sie Zwillinge doch im Haselgebüsche geworfen Eben auf nacktem Gestein und den Nachwuchs liegen gelassen. Oft schon hatte der Blitz, der Eichen zerschellte, das Unheil Uns verkündet vorher; nur waren die Sinne zu linkisch. Doch dein Gott, was ist es mit dem, laß, Tityrus, hören. Tityrus Rom sie heißen die Stadt, die Tor ich glaubt, Meliböus, Hier der unseren gleich, wohin wir Hirten zu treiben Pflegen nach unserer Art die zartesten Lämmchen der Herde; T r e n d e l e n b u r g , Virgils landliche Dichtungen.
1
2
Hirtenlieder
W ü ß t ich dem Hund doch gleich die Hündchen, die Böckchen den Müttern. So mit Größerem stets ich Kleineres pflegt zu vergleichen. Doch ihr Haupt ragt hoch so sehr ob anderen Städten, Wie den niedrigen Busch überragt die hohe Zypresse. Meliböus Und was lag dir soviel daran, Rom selber zu sehen? Tityrus Freiheit winkte mir dort. Erst spät sie winkte mir Trägem, Als beim Scheren der Bart schon fiel in graueren Strähnen. Aber sie winkte mir doch und kam, als schon ich gealtert, Erst seit mich Galatea verließ, Amaryllis besitzet. Denn — ich wills nur gestehn — solang Galatea mich festhielt, Hofft auf Freiheit ich nicht, noch lag mir Sparen am Herzen. Wenngleich Schlachtvieh viel ausging von meinem Gehöfte Und für die Stadt, die mit Dank so kargt, oft Käse gepreßt ward, Kehrt ich nimmer doch heim mit vollerem Beutel in Händen. Meliböus Wunderlich wars mir oft, weshalb, Amaryllis, du traurig Zu den Unsterblichen riefst, am Baum die Früchte beließest. Tityrus war ja fern! Selbst Pinien, Tityrus, riefen Laut nach dir, der murmelnde Quell, nach dir die Gebüsche. Tityrus W a s war zu t u n ? Nicht anderswo ward los ich die Knechtschaft, Noch auch waren so nah für mich zu finden die Götter. Hier den Jüngling ich sah, dem jetzt, Meliböus, zur Ehre An zwölf Tagen im J a h r Rauch steigt von meinen Altären. Er als erster ja so mich beschied, als ihn ich befragte: „Weidet, ihr Hirten, wie sonst das Vieh, Zuchtstiere betreuet!" Meliböus Glücklicher Greis, du bleibst demnach in deiner Besitzung! Sie dem Bescheidnen genügt, obwohl dort nacktes Gerölle, Hier ein Sumpf einengt mit schlammiger Binse die Triften. Nicht das trächtige Tier krank macht fremdartiges Futter, Nicht Ansteckung droht von räudigen Herden des Nachbarn. Glücklicher Greis, du wirst hier zwischen den Bächen und Quellen, Die dir lange vertraut, der schattigen Kühle genießen; Hier vom Nachbarrain dir werden hybläische Bienen,
I 22-83
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Wenn am Weidengesträuch sie voll sich sogen des Seimes, Bringen wie sonst mit leisem Gesumm erquickenden Schlummer; Dir wird hallen wie sonst der Fels vom Liede des Winzers, Nicht wird feiern indes mit ihrem Geruckse die Taube, Nicht verstummen des Täubers Geseufz in luftiger Ulme. Tityrus Eher der Hirsch drum soll die Luft zur Weide sich suchen, Eher den Fisch ausspeien die Flut aufs nackte Gestade, Eher, verjagt aus seinem Gebiet, die Länder vertauschend, Trinken der Parther des Arars Naß, des Tigris der Deutsche, Ehe des Jünglings Bild uns aus dem Herzen entschwindet. Meliböus Doch wir anderen ziehn von hier zu durstigen Afrern, Ziehn ins Skythengebiet fernhin zum reißenden Oxus, Ziehn ins britische Reich, das völlig geschieden vom Festland. Werd nach Jahren ich denn, wenn wieder ich sehe die Heimat, Wieder des ärmlichen Hüttleins Dach, aus Rasen gestücket, Wieder auf meinem Gebiet, noch etwas finden an Ähren? Dann ist Herr der Soldat des Brachlands hier, so gepfleget, Herr der Saat der Barbar. Sieh, wohin brachte die Zwietracht, Ach, uns Bürger zumal! Für wen wir bestellten die Felder! Pfropf, Meliböus, den Birnbaum nur, Weinreben nur reihe! Vorwärts, Ziegen, ihr einst die glücklichste Herde! Nur weiter! Niemals wieder ich werd, umwölbt von grünender Grotte, Hängen verstreut euch sehn von fern am buschigen Hange, Liedlein singen nicht mehr, nicht mehr euch hüten, ihr Ziegen, Wenn ihr zupft am blühenden Klee, an herberen Weiden. Tityrus Doch du könntest bei mir heut nacht doch wenigstens ausruhn Hier auf grünendem L a u b : nicht fehlts an saftigen Früchten, Weichen Kastanien nicht, noch eben bereitetem Käse. Schon entsteiget der Dämmerungsrauch den Schloten der Villen, Und den Höhen des Bergs entfällt schon länger der Schatten.
i*
4
Hirtenlieder
Das zweite Hirtenlied Trost bei verlorener Liebesmüh Einzelgesang Korydon war, ein Hirt, entflammt vom schönen Alexis, Liebling selber des Herrn. Ratlos, ohn jegliche Hoffnung, Kam zum schattigen Dach der dicht anstehenden Buchen Er in der Absicht nur, hier einsam Hainen und Hügeln Vorzuklagen sein Leid in kunstlos nichtigem Eifer. Ach, grausamer Alexis, verschmähst du meine Gesänge? Fühlst Erbarmen du nicht? Wirst noch mich zwingen zu sterben. Jetzt nach Schatten sich sehnt das Vieh und suchet sich Kühle, In Dornhecken sogar sich jetzt Eidechsen verkriechen, Jetzt Magd Thestylis reibt den labungsbedürftigen Schnittern Knoblauch, Quendel und Öl zum würzigen Mörsergerichte; Nur ich folge der Spur von dir trotz glühenden Mittags, Und mein Klagen sich mischt ins heisere Zirpen der Grille. Wärs nicht besser für mich, Amaryllis' traurigen Jähzorn Auszustehn und zu tragen den Hochmut? Oder Menalkas, Obwohl dunkel er ist, dir vorzuziehen, dem Weißen? Lieblicher Knabe, vertrau nicht allzusicher der Farbe! Weißer Liguster verkommt, Hyazinthen, die dunklen, man sammelt. Meiner nicht achtest du, fragst wes Art ich nimmer, Alexis, Nicht, wie reich ich an schneeiger Milch, wie reich ich an Herden. Auf Siziliens Höhn zahllos mir tummeln sich Schafe, Milch geht nimmer mir aus, nicht aus im Sommer und Winter. Singen ich kann, was einst Amphion, Sänger der Dirke, Sang auf attischer Höh, wenn er die Herden herbeirief. Auch nicht übel ich bin von Gestalt. Jüngst sah ich am Ufer In der ruhigen See mein Bild; nicht Daphnis zu fürchten Hätt ich, wie selbst du bekennst, wofern nur Bilder nicht trügen. Ach, daß dir es gefiel, mit mir den „staubigen" Acker Und das „niedrige" Dach zu betreun, die Hirsche zu strecken Und der Böcklein Schar zum grünenden Eibisch zu treiben! Laß zusammen im Hain uns Pan nacheifern im Singen,
II 1—69
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Ihm, der erfunden zuerst, mit Wachs zusammenzufügen Mehrere Halme zugleich, dem Schützer der Herden und Hirten Laß dich reuen es nicht, am Rohr zu reiben die Lippe: Um d i e Kunst zu beherrschen, was tat nicht alles Amyntas! Mir eine Flöte gehört, aus sieben verschiedenen Pfeifen Bestens gefügt, die mir Damötas damals vermachte, Als er starb. „Du bist, sprach er, ihr zweiter Besitzer!" Also der Sterbende. Neid erfüllte den Toren Amyntas. Zwei Rehböckchen auch nenn ich mein; aus felsigem Tale Holt ich sie mir; ihr Fell zeigt heut noch weißliche Tupfen. Zweimal täglich das Schaf leer saugen sie: dir ich sie wahre, Obwohl Thestylis mir schon längst entführen sie wollte. Schließlich sie tuts; sind dir doch wertlos meine Geschenke. Komm her, lieblicher Knab! Für dich, sieh, bringen die Mädchen Körbe von Lilien voll; dir pflückt die strahlende Na'is Blasse Levkojen und rötlichen Mohn; sie bindet Narzissen Dir in den Strauß, dazu des Dills süßduftende Blüten, Fügt Zimtnelken auch bei nebst anderen würzigen Kräutern, Leiht dann Farbe dem Bild noch durch Hyazinthen und Goldlack. Ich will lesen für dich ja selbst zartflaumige Quitten, Echte Kastanien auch, Amaryllis' gesuchteste Bissen, Dann Wachspflaumen, doch ehren ich werd auch unseren Apfel. Dich auch, Lorbeer, pflücken ich will, ihm, Myrte, gesellen Dich, auf daß ihr vereint ausströmt die lieblichsten Düfte. Korydon, Bauer du bist: nicht kümmern Alexis Geschenke, Noch auch würde sein Herr im Streit mit Gaben erliegen. Ach, was wollt ich Armer für mich denn? Blumen dem Südwind Gab ich, Verlorener, preis, gab preis auch Quellen dem Eber. Was, Tor, fliehest du mich? Auch Götter bewohnten ja Wälder, Paris auch, Dardanus* Sproß. Die Burgen, die Pallas gegründet Drin selbst hausen sie mag: uns lieb vor allem sind Wälder. Wie nachgeht dem Wolfe der Leu, den Spuren der Ziege Wieder der Wolf, dem blühenden Klee die muntere Ziege, So dem Alexis du: nachgeht ja jeder dem Liebsten. Schau, wie der Stier heimträgt am Joch des Abends die Pflugschar, Schau, wie das Tagesgestirn verlängt beim Scheiden die Schatten: Doch mich Liebe verzehrt; wo gäbs für Liebe die Grenze? Korydon, Korydon, weh, welch Wahnsinn hat dich befallen?
6
Hirtenlieder
Halb nur schneidertest du des Rebstocks üppiges Laubwerk, Bringst nicht einmal zustand, was doch so nötig der Wirtschaft: Fliehst nicht fertig den Korb aus Ruten und schmeidigen Binsen! Wenn dich dieser verschmäht, winkt dir — ein andrer Alexis.
Das dritte Hirtenlied Unentschiedener Wettstreit Menalkas, Damötas, Palämon Menalkas Sage, Damötas, mir, wes Vieh dies? Wohl Meliböus'? Damötas Nein, dem Ägon gehörts; er hat mirs jüngst übergeben. Menalkas Stets euch, Schafe, das Unglück trifft! Denn während sich Ägon Um Neära bemüht aus Furcht, mich könnte sie vorziehn, Melkt zweimal in der Stunde der fremde Behüter die Mütter Und entzieht dem Vieh den Saft, den Lämmchen die Nahrung. Damötas Männern solltest du doch d e n Vorwurf schonender machen, Denn wir kennen, wer dirs antat — scheel blickten die Böcke —, Auch den heiligen Ort — schalkhaft drob lachten die Nymphen —. Menalkas Sicher, es war zur Zeit, da man mit tückischem Messer Mich einkerben gesehn die Reben und Bäume des Miko. Damötas Oder als hier du brachst bei den Buchen, den alten, dem Daphnis Pfeil und Bogen entzwei. Da du, mißgünstger Menalkas, Sahst, daß sie dem Knaben geschenkt, verlorst du die Fassung, Mußtest begehn einen Streich, wärst sonst ums Leben gekommen. Menalkas Was steht Herren nicht frei, wenn so sich Diebe benehmen? Sah nicht selber ich zu, wie du das Böckchen dem Dämon Wegfingst, Böser, mit List, trotzdem laut kläffte der Wolfshund?
II 70—73 III 1—49
7
Als ich da rief: „Wohin nur stürzt der Bursche so hastig? Tityrus, acht aufs Vieh!", verschwandst du tiefer im Riedgras. Damötas Dürft, im Singen besiegt, er mir das Böckchen versagen, Das ich im Wettstreit mir durch Kunst doch ehrlich erworben ? Mein, wenn dus noch nicht weißt, das Tier war; selber es Dämon Ein mir gestand, doch wollt das Verlorene gern er behalten. Menalkas Du heim Singen gesiegt? Hast je du Halme verbunden Dir durch Wachs? Mit schnarrendem Rohr bloß pflegtest du, Stümper, Dein armseliges Lied am Dreiweg bös zu verschandeln. Damötas Also du willst, daß wir gleich dartun, was denn im Singen Jeder vermag? Ich setze die Kuh — nicht acht sie geringe: Zweimal kommt sie zum Trog und nährt zwei Kälbchen am Euter —. Was fürn Pfand denn setzest du, sag, in unserem Wettstreit? Menalkas Von der Herde nicht mag ein Stück ich setzen zum Pfände; Hab den Vater zuhaus, zuhaus Stiefmutter, die böse: Zweimal am Tag sie zählen das Vieh, der ein auch die Zicklein. Doch, was köstlicher viel, wie du wohl selber gestehn wirst, — Manchmal töricht zu sein du liebst — : zwei buchene Becher Setz ich als Pfand, ein Werk Alkimedons, Meisters im Grabstich, Die der Künstler geschmückt mit schönem Gewinde von Reben, Das um Dolden sich rankt des blaßgrün schimmernden Efeus. Zwei Porträts er schnitzte hinein, das Konons, ein zweites — Wie hieß der doch, der mit dem Stab die Bahnen des Himmels Nachzog, wann zum Ernten die Zeit, zum Pflügen des Ackers? — Noch hat nicht sie berührt mein Mund, ich halt sie verschlossen. Damötas Eben Alkimedon hat auch mir zwei Becher geschnitzet Und die Henkel umrankt ringsum mit weichem Akanthus: Mitten er Orpheus setzte hinein in lauschenden Wäldern. Noch mein Mund nicht hat sie berührt, ich halt sie verschlossen. Schaust auf die Kuh du hier, brauchst nicht die Becher zu rühmen. Menalkas Heut entgehst du mir nicht; ich komm, wohin du mich rufest.
8
Hirtenlieder
Nur hör einer uns zu — sieh da, grad naht sich Palämon. Sorgen ich will, daß du nicht mehr wettstreitest im Singen. Damötas Sing nur, wenn du was hast! Von mir nicht drohet dir Aufschub; Ich vor niemandem flieh: nur mußt du, Nachbar Palämon, Nehmen es äußerst genau; nicht klein ist heute der Einsatz. Palämon Singet, nachdem wir Platz auf grasigem Polster genommen. Jetzt ist trächtig das Land, will blühn ein jeder der Bäume, Jetzt ja grünet der Hain, jetzt ist die schönste der Zeiten. Fange, Damötas, an; du folg als zweiter, Menalkas. Streitet im Wechselgesang, denn ihn ja lieben die Musen. Damötas Juppiter, Musen, den Anfang mach: sein voll ist das Weltall; Er ja waltet der Erd, auch mein Lied liegt ihm am Herzen. Menalkas Mich mein Phöbus beschützt; stets heg ich seine Gewächse, Lorbeer nebst Hyazinthe, der purpurn prangenden Blume. Damötas Auf mich zielt Galatea, die lockere Maid, mit dem Apfel, Flüchtend ins Weidengebüsch, doch wünscht sie vorher sich gesehen. Menalkas Mir freiwillig sich beut mein Amyntas, er meine Liebe, Daß nicht Delia selbst ist unsern Rüden bekannter. Damötas Schon sind Gaben bereit für meine Geliebte; die Stelle Hab ich genau mir gemerkt, wo nisten die luftigen Tauben. Menalkas Was ich vermocht, vom Baume des Walds schon schickt ich dem Knaben Äpfel, der goldigen, zehn; zehn weitere schick ich ihm morgen. Damötas Ach, wie häufig und was hat mir Galatea geflüstert: Tragt ein Teilchen doch hin zum Ohr der Götter, ihr Lüfte! Menalkas Was frommts, daß du mir gram nicht bist im Herzen, Amyntas,
III 50—99
9
Wenn du jagest auf Wild, ich fern die Netze bewache? Damötas Schick mir, löllas, doch zum Geburtstag heute die Phyllis; Dich erwarten wir dann zum Ambarvalientage. Menalkas Phyllis vor allen ich lieb: mein Scheiden ihr Tränen entlockte, Und „Lang lebe mir wohl, rief sie, mein schöner Iollas!" Damötas Bös ist für Ställe der Wolf, Platzregen für reifende Früchte, Stürme für Baum und Strauch, für mich dein Zorn, Amaryllis. Menalkas Naß bringt Saaten Gedeihn, der Erdbeerstrauch den Entwöhnten, Weidengesproß dem trächtigen Vieh, mir einzig Amyntas. Damötas Pollio Freund ist unseres Lieds, so bäurisch es sein mag: Laßt, Pieriden, gedeihn das Kalb drum euerem Leser. Menalkas Pollio dichtet j a selbst die neueren Lieder: gedeih ihm Drum der Farre, der stößt und im Sand schon scharrt mit den Füßen. Damötas Wer dich, Pollio, liebt, dem werd, was selber dir wurde: Honig ihm tropfe vom Baum, Balsam ihm trage der Dornbusch. Menalkas Wer nicht Bavius haßt, lieb, Mävius, deine Gedichte: Vorspann er dem Pfluge den Fuchs und melke die Böcke. Damötas Die nach Blumen ihr sucht und grundanhaftenden Erdbeern, Flieht, ihr Knaben, von hier! Im Gras j a lauert die Natter. Menalkas Schafe, nicht allzuweit geht vor: vertrauet dem Ufer Nicht zu blind, muß doch noch jetzt sich trocknen der Widder. Damötas Tityrus, treibe zurück vom Fluß die weidenden Ziegen! Ists an der Zeit, werd selbst im Quell ich alle sie baden. Menalkas Sammelt im Schatten das Vieh! Ausdörrt wie neulich die Hitze Wieder die Milch, umsonst wir pressen das Euter mit Händen.
10
Hirtenlieder
Damötas Ach, wie mager ist doch mein Stier trotz fettester Weide! Liebe zum Schaden gereicht dem Vieh wie seinem Behüter. Menalkas Die hier leiden durch Liebe nicht so; kaum hält das Gerippe. Weiß Gott, wer mit dem Blick so hat die Lämmchen bezaubert. Damötas Sag — und du wirst ein Apoll mir sein —, in welchem der Länder Drei der Ellen nur mißt die mächtige Kuppe des Himmels. Menalkas Sag — und Phyllis gehört dir allein —, in welchem der Länder Blumen der Boden gebiert, mit Königsnamen beschrieben. Palämon Nicht ists unseres Amts, solch Streit euch beiden zu schlichten: Du bist würdig der Kuh, auch er. Liebschaften vermeide, Wer erleben nicht will, daß süß in bitter sich wandelt. Zu jetzt, Knaben, das Rohr!
Satt schon sich tranken die Wiesen
Das vierte Hirtenlied Wiederkehr des goldenen Zeitalters An den Konsul Asinius Pollio Höher ein wenig den Ton heut nehmt, sizilische Musen! Nicht nach jedes Geschmack sind Zwergtamarisken und Buschwerk. Bleibt unser Lied beim Hain, der Hain sei würdig des Konsuls. Nach kumäischem Spruch hat jetzt die Zeit sich erfüllet, Jetzt von neuem beginnt des Weltjahrs mächtiger Umlauf. Jungfrau kehret zurück, Saturn kommt wieder zur Herrschaft, Und ein neues Geschlecht steigt nieder vom Himmel zur Erde. Sei nur hold d e s K n a b e n G e b u r t , du keusche Lucina, Der dem eisern Geschlecht Ausgang, dem goldenen Anbruch Bringt in der harrenden Welt. Schon herrscht dein Bruder Apollo.
III 100—111 IV 1—45
11
Grade wenn Konsul du, setzt ein der Zeiten Verjüngung, Pollio, treten den Rundgang an die gewaltigen Monde. Führst du, schwindet die Spur, die letzte, von unsern Verbrechen, Und aufatmet die Welt von unaufhörlichem Schrecken. Ihm wird göttliches Leben zuteil: er schauet mit Göttern Einstens Helden gepaart, geht ein auch selber zu diesen, Weil mit ererbtem Geschick den Erdkreis friedlich er lenkte. Dir, m e i n K n a b e , beschert an Erstlingsgaben der Boden Baldrians Duft von selbst, des Efeus kletternde Ranken, Lilienblüten, gesellt dem Grün des schmucken Akanthus, Und die W i e g e dir beut ohn Zutun blühende Blumen. Strotzend das Euter geschwellt kehrt selbst vom Weiden die Ziege Dir zum Stalle zurück; das Vieh nicht fürchtet den Löwen. Giftige Schlangen vergehn, ausstirbt die schädliche Wolfsmilch, Wuchernd gedeihn dafür Assyriens duftige Stauden. Wenn dann lesen du kannst vom Ruhm der Helden, des Vaters, Wenn du würdigen kannst, was Tatkraft Großes bedeutet, Färbt sich golden das Feld mit Ähren, die Hachein nicht brauchen, Winkt am Dornengebüsch dir hold die rötliche Traube, Tropft aus eichenem Stamm dir süß der tauige Honig. Etliche Spuren jedoch noch blieben von alter Gewalttat: Schiffe, Bezwinger der See, vom Wall umschlossene Städte, Furchen, gedrückt ins Feld, Wundmale der gütigen Erde. Tiphys von neuem ersteht; Argo, die zweite, wird tragen Wieder erlesene Schar; aufs neu wird Schlachten es geben Und ein zweiter Achill wird ausziehn wieder gen Troja. Bist zum M a n n e gereift du dann im kräftigsten Alter, Weicht schon selber der Mensch der See, die Schiffe des Reeders Tauschen nicht Waren mehr aus; das Land trägt alles für alle. Nicht mehr duldet den Karst der Acker, das Messer die Rebe; Schon löst selber den Stier vom Joch der kräftige Pflüger. Nicht mehr lernt vortäuschen verschiedene Farben die Wolle, Nein, auf der Trift schon glänzt in dunkelem Purpur der Widder, Selbst annimmt das Vlies den Schein des gelblichen Krokus, Färbt von Natur sich selbst hellrot die Wolle der Lämmer.
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Hirtenlieder
„Solch Zeitalter abspinnt!" zurieft ihr, Parzen, den Spindeln, Einigen Sinns des Geschicks unbeugsam Wollen gebietend. „ A u f ! Bald nahet die Zeit. Tritt an die rühmliche Laufbahn, Zuwachs Juppiters du, Nachkömmling teurer von Göttern! Schau, wie freudig erbebt des Weltalls wankende Wölbung, Schau, wie Länder und Meer, schau wie die Kuppel des Himmels Aufjauchzt, wonnig bewegt vom Glück des kommenden Weltjahrs!" Währten, ach, doch so lang die mir noch übrigen Jahre, Blieb mir Odem genug, von deinen Verdiensten zu singen! Orpheus sollte mich nicht, im Lied nicht Linus besiegen, Stünd gleich jenem zur Seit die Mutter und diesem der Vater, Diesem Apoll der Gott, dem Orpheus Kalliopea. Pan selbst, riefe beim Streit er an Arkadiens Urteil, Pan selbst sah sich besiegt auch nach Arkadiens Urteil. Fang an, Knäbchen! erkenn mit lachenden Augen die Mutter, Die zehn Monde hindurch die Last hat tapfer getragen! Damit beginn, mein Kind! Wem zu nicht lächelten Eltern, Mit dem teilet den Tisch kein Gott, keine Göttin das Lager.
Das fünfte Hirtenlied Daphnis' Tod und Verklärung Menalkas, Mopsus Menalkas Weshalb setzen wir, Mopsus, uns nicht, zufällig beisammen, Du zu blasen das Rohr, ich Verse zu machen erfahren, Unter den Ulmen hier hin, hier zwischen den Haselgebüschen? Mopsus Du bist älter als ich, dir muß der Jüngre sich fügen, Mögen, Menalkas, wir den schwankenden Schatten der Bäume Oder die Grotte vielmehr aussuchen uns. Schau, wie den Eingang Schön umrahmt der ländliche Wein mit einzelnen Trauben.
IV 46—63 V 1—37
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Menalkas Mit dir mißt sich allein in unseren Bergen Amyntas. Mopsus Wie, wenn der sich vermäß, mit Apoll als Sänger zu streiten? Menalkas Fange du, Mopsus, an, seis von der Liebe zu Phyllis, Seis von des Alkon Ruhm, seis auch vom Zanke des Kodrus. Fang an! Tityrus wird indes die Geißen betreuen. Mopsus Lieber versuchen ich möcht das Lied, das jüngst in die Rinde Ich der Buche geritzt mit dem Spiel der Flöte dazwischen; Laß zum Wechselgesang indes du kommen Amyntas. Menalkas Wie der bleichen Oliv nachsteht die schmeidige Weide, Wie dem Rosengebüsch nachsteht die niedrige Narde, So weit steht für unser Gefühl dir nach der Amyntas. Doch, mein Lieber, genug; wir sind ja schon in der Grotte. Mopsus Über des Daphnis Verlust wehklagten, den grausen, die Nymphen — Ihr seid Zeugen dafür, ihr Quellen und Haselgebüsche! —, Während die Mutter, des Sohns armseligen Körper umarmend, Hart die Himmlischen schalt, grausam die Sterne des Himmels. Niemand trieb das gesättigte Rind in den Tagen der Trauer Hin zum kühlenden Fluß, kein Tier der Herde sich labte, Daphnis, am Strom durch Trunk, noch auch an saftigen Gräsern. Selbst der punische Leu, so berichten die Berge, die Wälder, Seufzt aus innerster Brust, Daphnis, bei deiner Vernichtung. Daphnis zuerst anschirrt am Wagen armenische Tiger, Daphnis zuerst zum Tanz anführte die schwärmenden Backchen, Daphnis zuerst umwand mit Laub den schwankenden Thyrsus. Bäumen gereicht zur Zier die Rebe, der Rebe die Traube, Der Kuhherde der Stier, den fetten Gefilden die Saaten: So den Deinigen du. Seit dich entrissen das Schicksal, Ließ Pales den Acker im Stich, im Stich auch Apollo. Wo den Furchen wir anvertraut großkörnige Gerste, Wächst unseliger Lolch, sprießt auf wildwuchernder Hafer.
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Hirtenlieder
S t a t t des Veigeleins Zier, statt purpurroter Narzissen Sprießt nur Distel und Dorn, versehn mit spitzigen Stacheln. Laub am Boden verstreut, den Quell umschattet mit Bäumen, Hirten, denn so kommt ihr dem Wunsch entgegen des Daphnis. Werft den Hügel auch auf und setzt drauf folgende Grabschrift: „Daphnis ich, Hirt im Hain, reich doch bis an die Gestirne; War die Herde mir schön, war ich weit schöner doch selber." Menalkas Für uns ist ein Gesang von dir, du göttlicher Dichter, Was dem Müden der Schlaf im Gras, dem Durstigen Labung, Wenn im Sommer er trinkt aus süß aufsprudelndem Borne. Nicht im Spielen nur gleichst, nein auch im Singen du Daphnis. Glücklicher Knabe, du bist fortan nach jenem der zweite. Trotzdem will ich, so gut ich kann, dir singend erwidern, Will den Daphnis, die Liebe von dir, zum Himmel erheben, J a , zum Himmel hinauf: auch mich hat Daphnis geliebet. Mopsus Könnt als solches Geschenk ein anderes größer mich dünken? Wahrlich, der Knabe verdient, im Lied zu werden gefeiert, Und dein Lied hat Stimikon mir schon lange gepriesen. Menalkas Anstaunt Daphnis verklärt des Olymps ihm fremde Behausung, Sieht auf Wolken und Sterne, die tief ihm liegen zu Füßen. Drob die Wälder ergreift lebhafteste Freude, die Triften, Pan und die Hirten, dazu die liebliche Schar der Dryaden. Nicht sinnt Schaden der Wolf dem Vieh, nicht drohen den Hirschen Netze mit heimlicher List; es liebt j a Daphnis den Frieden. Selbst ein Freudengeschrei die Höhn ausstoßen zum Himmel, Die verschonet das Beil; die Felswand selber ertönet, Einstimmt selber die Flur: „Ein Gott ist Daphnis, Menalkas!" Sei den Deinigen gnädig und gut! Vier schau der Altäre: Zwei sind, Daphnis, für dich, zwei Hochaltäre für Phöbus. J a zwei Becher im J a h r voll schäumender Milch ich dir spende, Auch zwei Krüge mit Öl, erpreßt der fetten Olive. Wenn beim Nachtisch dann umgeht der vollere Humpen,
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— Frierts, am wärmenden Herd, ists heiß, im Schatten der Bäume, — Gieß aus Schalen ich dir Nektar, ariusische Weine. Lieder Damötas singt, mit ihm auch Ägon aus Lyktus, Neckischer Satyrn Tanz uns vorführt Alphesiböus. Stets wirst sein du geehrt, so, wenn wir danken den Nymphen Für ein gesegnetes Jahr, wie wenn wir weihen die Fluren. Solang Höhn der Eber noch liebt, der Fisch noch Gewässer, Sich die Biene von Thymian nährt, vom Tau die Zikade, Wird dir immer auch Ruhm und Preis und Ehre verbleiben. Wie dem Bacchus, der Ceres, so wird dir jährlich Gelübde Bringen der Landmann dar, wirst auch du fordern Erfüllung. Mopsus Was für Gaben erheischt ein Lied, wie das eben gehörte? Denn mich so nicht erfreut der Hauch des nahenden Südwinds, So das Ufer mich nicht des Sees, das rauschet von Wellen, So die Bäche mich nicht, die wild Felstäler durchbrausen. Menalkas Laß mich schenken vorher dir diese zerbrechliche Syrinx. Sie mich „Korydon war entflammt vom schönen Alexis", Sie mich lehrte dann auch „Wes Vieh dies? Wohl Meliböus'?" Mopsus Doch du nimm den ländlichen Stab, den, öfters erbeten, Nicht Antigenes mir abdrang, der würdig der Liebe; Schön der Beschlag, gleichmäßig verteilt die Knoten, Menalkas.
Das sechste Hirtenlied Die Macht des Eros An Alfenus Varus Unsre Thalia zuerst zu syrakusanischen Weisen Sich entschloß und errötete nicht, in Wäldern zu wohnen, Als von Königen ich und Kampf wollt singen, da zupfte Phöbus mir leise das Ohr: „Ein Hirt soll, Tityrus, Schafe
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Hirtenlieder
Treiben zur Mast und hübsch beim Lied abdämpfen die Stimme". Drum will — übergenug ja findst du, Varus, an Sängern, Die dein Lob zu singen bereit und innere Kriege — Jetzt ich spielen auf schwächlichem Rohr ein ländliches Liedchen. Nicht ungeheißen ich sing. Doch liest auch dies ein Verliebter, Wird ihm schallen heraus dein Nam aus unseren Sträuchern, Varus, aus unserem Hain; kein Blatt ist Phöbus genehmer, Als das sich selber geschmückt die Stirn mit dem Namen des Varus. Drum, ihr Musen, ans Werk! Einst sahn Mnasyllus und Chromis In der Grotte den alten Silen, die Jungen, bewältigt Tief vom Schlaf, denn er hatte wie stets sich gestern betrunken. Dicht bei lag sein Kranz, der just vom Kopfe geglitten, Und am verscheuerten Griff hing ihm der wuchtige Humpen. Leis sie fallen ihn an — hat doch der Alte den beiden Oft versaget ein Lied — und drehn ein Strick aus dem Kranze. Zu sich ihnen gesellt, überraschend die Schüchternen, Ägle, Ägle, schönste der Nymphen, und schminkt dem eben Erwachten Tiefrot Schläfen und Stirn mit dem Safte der Maulbeerkirsche. Über den Streich vergnügt, ruft er: „Wozu nur die Fessel? Löst mich, Knaben! Genug, daß es schien, ihr könntet mich zwingen. Hört das erbetene Lied jetzt an! Euch Singen ergötzet, Der winkt anderer Lohn." Und zugleich hebt an er zu singen. Da könnt tanzen man sehn im Takt die Tiere, die Faune, Da könnt wiegen man sehn im Takt sich die Wipfel der Eichen. So freut selbst der Parnaß sich nicht am Liede des Phöbus, So lauscht Rhodope nicht, nicht Ismarus Liedern des Orpheus. Im unermeßlichen Raum — singt er — nicht waren geschieden Erd und Wasser und Luft, auch nicht das leuchtende Feuer; Schuf sich die Welt doch selbst aus den vier obersten Stoffen, Formte doch selbst sich draus des Himmels luftige Glocke. Hart der Boden dann ward, schied aus zum Meere das Wasser Und allmählich erhielt er feste Gestalten der Dinge. Nunmehr staunte das Land, daß Licht entströmte der Sonne, Daß den Wolken entfiel, den höher entrückten, der Regen, Während zuerst aufragte der Wald, in ihm auch die Tiere Einzeln irrten umher auf der Höhn unwegsamen Pfaden.
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Dann von Pyrrhas Steinen er singt, dem Reich des Saturnus, Singt von des Kaukasus Aar, des Prometheus rühmlichem Diebstahl, Weiter von Hylas auch, dem von Seenymphen entführten; Von der Schiffer Geschrei hallt „Hylas, Hylas!" das Ufer. Tröstet Pasiphae dann ob der Lust am schimmernden Stiere; Glücklich gewesen sie wär, hätts niemals Herden gegeben. Welch ein Wahn, unseliges Weib, ach, packte die Sinne! Auch die Töchter des Prötus erfüllten mit Brüllen die Triften, Doch so schimpflichen Bund mit dem Stier schloß keine von ihnen, Wie sehr auch in der Brunst sie den Pflug schon fühlten am Nacken Und auf ebener Stirn schon glaubten zu tasten die Hörner. Du jetzt ruhlos irrst in den Bergen, unseliges Weiblein, Während den schneeigen Leib er ausstreckt auf Hyazinthen Und im Schatten der Eiche noch kaut am grünlichen Futter Oder erlesener Kuh nachfolgt. „Diktäische Nymphen, Schließet nunmehr ganz ab den Zugang zu dem Gebirge, Falls vor unserem Blick durch Zufall Spuren des Stieres Klar erscheinen im Hain. Es ist j a möglich, daß Kühe, Lockt ihn saftiges Kraut, lockt ihn die weidende Herde, Führen ihn wieder zurück mit sich zum Stalle von Gortyn." Auch vom Mädchen er singt, das die goldenen Äpfel bestaunte, Von den Schwestern sodann des Phaethon: mosige Rinde Legt er um sie, vom Grund aufsteigen sie heißt er als Erlen; Weiter von Gallus, den einst, als am Permessus er irrte, Zum aonischen Berg mit sich nahm eine der Musen. Ihm zu Ehren, als Mann des Apoll, einmütig erhob sich Dort der Chor, mit prophetischem Lied ihn Linus begrüßte, Er, der Hirt, mit Blumen bekränzt und bitterem Eppich: „Hier die Syrinx nimm, dir weihn sie Musen als Gabe, Wie vorher dem askräischen Greis, der die ragenden Eschen Zog mit ihr beim Gesang herab vom Gipfel der Berge. Hiermit feierlich sing des Hains von Grynium Ursprung, Daß kein anderer sei, des mehr sich rühmet Apollo." Soll auch sagen ich noch von ihr, der Tochter des Nysus, Skylla, die, rings umwehrt den Rumpf vom Gürtel der Hunde, Gierig verschlang Dulichions Floß im strudelnden Schöße, Wo des Schiffsvolks Leiber zerriß die bellende Meute; Oder von Tereus noch und seinen verwandelten Gliedern, T r e n d e l e n b u r g , Virgils lindliche Dichtungen.
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Hirtenlieder
Auch vom Mahle, den Gaben, gereicht ihm von Philomele, Die die tiefsten gesucht der Einsamkeiten im Fluge Und in Ängsten umflog das Dach des eigenen Hauses? Alles was einst der Eurotas hört an Liedern des Phöbus, Die der Gott selbst hieß die horchenden Haine bewahren, Singet Silen. Das Tal das Lied zum Himmel hinaufträgt, Bis der Abend das Vieh im Stall heißt sammeln und zählen, Und den Olymp zuschließt, so gern auch lauschten die Götter.
Das siebente Hirtenlied Entschiedener Wettstreit Meliböus, Korydon, Thyrsis Meliböus Einst saß Daphnis als Richter im Schutz der säuselnden Eiche, Wo die Herden vereint grad Korydon hatten und Thyrsis, Der die Schafe, der andre die Ziegen, das Euter geschwollen, Beid in der Fülle der Kraft, beid echt arkadische Hirten, Beid im Gesang gleich stark, gleich stark im flotten Erwidern. Hierhin hat sich — vor Frost ich schütz die Triebe der Myrten — Bock und Herde zusammen verirrt. Da sah ich den Daphnis. Als auch er mich erblickt, ruft er: „Komm schnell, Meliböus, Zu mir her! Dein Böckchen ist heil und heil auch die Herde. Hast ein Weilchen du Zeit, rast mit hier unter der Eiche! Denn schon selber zum Trank herkommen vom Anger die Kühe. Hat doch mit Schilf umsäumt die grünenden Ufer der Mincio, Und aus heiliger Eiche herab tönts Summen der Bienen". Was war zu t u n ? Nicht war bei mir Alkippe noch Phyllis, Die die Lämmchen, entwöhnt, zu Haus wohl konnten betreuen. Korydon stritt mit Thyrsis! Gewiß ein großes Ereignis! Nach drum setzt ich die Pflicht der Kunst so trefflicher Sänger. Sich im Wechselgesang sie beide begehrten zu messen, Lösten einander sich ab, weil so die Musen es wollten: Wie vor Korydon sang, nachsang ihm Thyrsis erwidernd.
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Korydon Gebt, libethrische Schwestern ihr, entweder mir Verse Ein, wie sie Kodrus ihr gabt — nah kommt er ja dem Apollo —, Oder mein klingendes Rohr, kann nicht ich jenem es gleichtun, Häng für immer ich auf hier an Pans heiliger Fichte. Thyrsis Krönt, arkadische Hirten, den werdenden Dichter mit Efeu, Krönt ihn, damit vor Scheelsucht platz die Galle dem Kodrus. Hat er über Gebühr mich gelobt, mir Baldriankränze Windet, daß böses Gered nicht schad dem künftigen Sänger. Korydon Delierin, dies Haupt des Ebers weihet dir Mikon, Dir als Beute der Jagd des Hirschs vielzackigen Hauptschmuck. Bleibt ihm das Jagdglück treu, läßt dich aus Marmor er meißeln, Daß, die Waden umschnürt, du prangst in roten Kothurnen. Thyrsis Dir eine Satte, Priap, voll Milch wohl jährlich genüget Und Ölfladen als Dank: bist ärmlichen Gärtchens Behüter. Jetzt wo reicher ich bin, laß ich dich bilden aus Marmor; Gibst du weiter Gedeihn, sollst bald aus Golde du dastehn. Korydon Nereuskind Galatea, mir süßer als Honig von Hybla, Leuchtender als ein Schwan, schmiegsamer als rankender Efeu, Gleich wenn zurück im Stall die gesättigten Stiere vom Grasen, Komm zu Korydon doch, denkst du noch seiner in Liebe. Thyrsis Herb mich heißen du sollst noch mehr als bittre Ranunkeln, Stachlicher als Mausdorn, unnützer als muffiges Seegras, Wenn der heutige Tag nicht gleich mich dünkt einem Jahre. Schnell, ihr Rinder, nach Haus, wenn Rücksicht irgend ihr fühlet. Korydon Moosumwachsener Quell, du Trift, noch sanfter als Schlummer, Erdbeerstrauch, des Laub nur undicht spendet uns Schatten, Schützt vor Hitze das Vieh! Nah ist der glühende Sommer, Denn schon sichtbar schwillt an schwankender Rebe die Knospe. Thyrsis Hier ein Herd und öliger Kien, hier reichliches Feuer, Hier die Pfosten geschwärzt vom Ruß und ewigen Qualmen; 2*
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Hirtenlieder
Drum so wenig uns schert des Nordwinds stürmisches Wehen, Wie den Wolf bei Schafen die Zahl, das Ufer den Sturzbach. Korydon Starr von Früchten hier sind die Kastanien, starr der Wacholder, Weit am Boden verstreut das Obst liegt unter den Bäumen; Nunmehr alles uns lacht; doch wichest aus unseren Bergen, Schöner Alexis, du, säh bald man trocken die Bäche. Thyrsis Dürr ist das Land. Die drückende Luft macht welken die Kräuter, Bacchus den Hängen entzieht des Weinlaubs kühlenden Schatten: Doch kommt Phyllis zu mir, lebt auf von neuem der Bergwald, Steigt in reichlichem Naß auch Juppiter nieder zur Erde. Korydon Dem Alkiden die Pappel gefällt, dem Bacchus die Rebe, Myrte der lieblichen Venus, Apoll sein heiliger Lorbeer, Phyllis das Haselgebüsch: solang dies Phyllis erfreuet, Steht das Haselgebüsch nicht nach der Myrte, dem Lorbeer. Thyrsis Eschen sind Zierde des Walds, die Pinien Zierde des Gartens, Pappeln Zierde des Stroms, der Berghöh Zierde die Tannen: Doch, schön Lykidas, willst des öftern du mich besuchen, Gehst du den Pinien vor, gehst vor den Eschen des Waldes. Meliböus Dies ich behielt. Umsonst wars Sträuben des schwächeren Thyrsis: Korydon ist seitdem für mich als Korydon einzig.
Das achte Hirtenlied Liebesklage und -zauber An Pollio Dämon, Alphesiböus Sagen ich will vom Lied des Alphesiböus und Dämon, Die beim Streit anschaute das Vieh, der Weide vergessend, Die durch ihren Gesang den Luchs in Staunen versetzten,
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Die zu hemmen den Lauf, zu ruhn den Bächen geboten. Dämons Lied wiederholen ich will und Alphesiböus'. Magst an Riffen vorbei du ziehn des starken Timavus, Magst die Klüfte du streifen Hlyriens, wird mir erscheinen J e der Tag, die T a t e n von dir zu preisen im Liede, J e der Tag, die L i e d e r von dir zu rühmen dem Erdkreis, Die sophokleischen Schritts allein sich würdig erweisen? E i n g a n g bist du mir ja, bist A u s g a n g . Lieder empfange, Deinem Geheiß entstammt, und laß sich einen den Efeu Willig dem Lorbeerkranz, dem Schmuck der Schläfen des Siegers. Kaum wars Dunkel der Nacht vom frostigen Himmel gewichen, Wann am liebsten begrüßt den Tau die grasende Herde, Als Dämon anhub, den Rundstab unter der Achsel: „Geh auf, Luzifer! Bring mir früh des Tages Erquickung! Denn von Nysa getäuscht, der Lagergenossin, ich klage, Rufe die Himmlischen an, die mir, zu Zeugen geladen, Zwar nichts haben genützt, trotzdem in der Stunde des Todes. Stimm an, Flöte, mit mir, stimm an mänalische Weisen! Mänalus hat stets hallenden Wald, stets redende Fichten, Stets ja hören er muß die Liebesgesänge der Hirten, Stets auch Pan, der als erster nicht litt untätige Halme. Stimm an, Flöte, mit mir, stimm an mänalische Weisen! Mopsus der Nysa Gemahl! Jetzt, Liebende, nichts ist unmöglich. Schon man Greifen zu Rossen gesellt, in künftigen Tagen Kommt mit dem Hunde zugleich zum Trunk das ängstliche Rehkalb. Schneid Kienspäne, mein Mopsus, dir zum Geleite der Gattin; Nüsse, Vermählter, verstreu: dir Hesperus weichet vom Öta. Stimm an, Flöte, mit mir, stimm an mänalische Weisen! Würdigem Manne vermählt bist du, die jeden verschmähet, Der mein Spiel Unwillen erregt, Unwillen die Ziegen, Der die struppige Brau mißfällt, der wallende Kinnbart, Die nicht glauben es will, daß Menschliches kümmre die Götter. Stimm an, Flöte, mit mir, stimm an mänalische Weisen! Dich als Kind in unserm Geheg sah pflücken ich Äpfel, Taufeucht noch, mit der Mutter — ich selbst ja wies euch die Wege —. Eben vom elften empfing damals michs zwölfte der Jahre,
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Hirtenlieder
Und vom Boden erreicht ich grad die niedrigsten Äste. Sehn dich und lieben war eins. Unseliger Wahn mich erfaßte. Stimm an, Flöte, mit mir, stimm an mänalische Weisen! Weiß ich doch jetzt, was Amor ist. Auf felsigem Riffe Hat ihn Tmarus erzeugt, ihn Rhodope, ihn Garamanten. Nicht von unserer Art er ist, von unserem Blute. Stimm an, Flöte, mit mir, stimm an mänalische Weisen! Amor lehrte die Mutter ins Blut der Kinder zu tauchen Er, der wilde, die Hand; auch du warst grausam, Medea. Wer der wildere war? Die Mutter, der tückische Knabe? Wilder der Knabe, gewiß; doch grausam war auch die Mutter. Stimm an, Flöte, mit mir, stimm an mänalische Weisen! Jetzt vor Schafen entflieh der Wolf, der knorrigen Eiche Golden der Apfel erwachs, Narzissen erblühen an Erlen, Bernstein ölig entquell der Rinde der Zwergtamariske, Mit dem Schwan wettsinge der Kauz, sei Tityrus Orpheus, Orpheus er im Wald, ein Arion unter Delphinen. Stimm an, Flöte, mit mir, stimm an mänalische Weisen! Alles sich wandle zu Meer! Lebt wohl drum, waldige Triften! Laß aus luftiger Höh jetzt in die Wogen mich stürzen Und vom Sterbenden dies empfang als letzte der Gaben. Steh ab, Flöte, nunmehr, ab von mänalischen Weisen!" Dämon dies. Was erwiderte drauf nun Alphesiböus? Sagt, ihr Musen, uns das, nicht alle ja können wir alles. Bring Weihwasser heran und kränz mit Binden den Altar, Zünd an grünes Gezweig und des Weihrauchs kräftige Stauden, Daß den nüchternen Sinn des Gemahls durch Zauberbeschwörung Ich aufrüttle zur Glut; nichts fehlt als magische Sprüche. Führt aus der Stadt nach Haus ihr, meine Beschwörungen, Daphnis! Zauber vermag den Mond vom Himmel herunterzuziehen, Kirkes Spruch umschuf zu Tieren Ulixes' Gefährten, Auf der Wiese zerplatzt vom Zauber die frostige Schlange. Führt aus der Stadt nach Haus ihr, meine Beschwörungen, Daphnis! Mit drei Fäden zunächst, in drei verschiedenen Farben, Sein Abbild ich umwind, dann trag ichs feierlich dreimal Um den Altar; ungleich erfreuen die Zahlen die Gottheit.
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Zu drei Knoten verknüpf drei Fäden geschickt, Amaryllis, Knüpf, Amaryllis, und sprich: „Ich knüpfe die Kette der Venus." Führt aus der Stadt nach Haus ihr, meine Beschwörungen, Daphnis! Wie sich härtet der Ton, wie Wachs sich völlig erweichet In derselbigen Glut, so Daphnis in unserer Liebe. Streue nur Schrot, entzünd mit Erdpech knisternden Lorbeer. Mich bös Daphnis entflammt, ich hier am Daphnis den Lorbeer. Führt aus der Stadt nach Haus ihr, meine Beschwörungen, Daphnis! So fest fühle gebannt durch unsere Liebe sich Daphnis Wie die Färse, die Wälder durchstreift und dunkele Haine, Um zu suchen den Stier, und matt am Schilfe des Baches Hinsinkt liebebetört und der Nacht selbst nimmer entweichet. So werd Daphnis betört; die Heilung kümmre mich wenig. Führt aus der Stadt nach Haus ihr, meine Beschwörungen, Daphnis! Die Kleinodien hier, Treuloser, du mir hinterließest Als Andenken an dich; ich, Erde, sie dir übergebe Hier an der Schwelle des Heims: dies Pfand mir Daphnis verbürge. Führt aus der Stadt nach Haus ihr, meine Beschwörungen, Daphnis! Dies Kraut hier, dies Gift, vormals in Kolchis gesammelt, Möris mir selbst übergab; es wächst am Pontus in Menge. Mit ihm — oft ich es sah — zum Wolf sich wandelte Möris Und verbarg sich im Wald; mit ihm er lockte die Seelen Aus dem Grab, mit ihm er Saaten gar konnte versetzen. Führt aus der Stadt nach Haus ihr, meine Beschwörungen, Daphnis! Trag von der Asche zum Bach, Amaryllis, und wirf in das Wasser Sie kopfüber hinein, ohn' umzublicken! Den Daphnis Bann ich damit, der nicht sich schert um Götter und Sprüche. Führt aus der Stadt nach Haus ihr, meine Beschwörungen, Daphnis! Während ich zögere noch, vom Altar sie zu nehmen, da schlagen Hoch aus der Asche die Flammen empor. Sei günstig das Zeichen! Sicher bedeutet es was; auch Hylax kläfft an der Schwelle. Soll dem Zeichen ich t r a u n ? Oder sinds nur Träume Verliebter? Schonet, Beschwörungen, sein: aus der Stadt heimkehrte schon Daphnis."
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Hirtenlieder
Das neunte Hirtenlied Liederbruchstücke Lykidas, Möns Lykidas Möns, wohin zu Fuß ? Zur Stadt wohl, führt doch der Weg hin ? Möris Lykidas, was niemals ich füchtete, mußt ich erleben, Daß der jetzige Herr des Gütchens drohend uns zurief: „Dies hier ist mein, schert gleich euch fort, ihr alten Besitzer!" Drum voll Trauer, gebeugt, weil umwirft alles das Schicksal, Bring ich ihm hin — was nicht zum Heil ihm werde! — die Böckchen. Lykidas Freilich, gehört hatt ich, daß dort, wo die Hügel sich senken, Wo mit sanftem Gefäll sich neigt zur Ebne der Abhang Bis zum Fluß und den alten, schon brüchig gewordenen Buchen, Alles sich habe bewahrt durch sein Lied euer Menalkas. Möris Ja, so ging das Gerücht; doch unter dem Klirren der Waffen Soviel, Lykidas, nur auch unsere Lieder vermögen, Wie chaonische Tauben, so heißts, wenn nahe der Adler. Hätt nicht Krähengeschrei von links aus gehöhleter Eiche Mich vor jedem Prozeß um Land nachdrücklich gewarnet, Lebte dein Möris nicht mehr, nicht mehr auch selber Menalkas. Lykidas Wie, macht solchen Vergehns sich jemand schuldig? Entrissen, Wehe, wär uns mit dir dein tröstendes Lied auch, Menalkas? Wer dann sänge von Nymphen ? Bestreute den Boden mit Blumen ? Wer dann schützte den Quell durch schattenverbreitende Bäume? Wer dann säng ein Lied, wie das, was jüngst ich erlauschte, Als du zur Amaryllis gingst, ihr, unserer Wonne: „Tityrus, kurz ist der Weg, hüt du, bis ich komme, die Ziegen, Treib^die Satten zum Trunk und hüt dich, während des Treibens Wohl zu begegnen dem Bock, denn der stößt hart mit dem Hörne." Möris Oder erst das, was er zum Lob des Varus begonnen:
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„Varus, von dir den Ruhm, wenn uns du Mantua rettest, Mantua, das so nah j a liegt dem armen Kremona, Soll der Schwäne Gesang hinauf zu den Sternen erheben." Lykidas Sollen dir Bienen entgehn dem Gift des korsischen Taxus, Sollen dir schwellen vom Klee die strotzenden Euter der Kühe, Sing gleich, wenn du was hast! Auch mir verliehen die Musen Dichtertalent, auch ich hab Lieder, mich heißen die Hirten Seher sogar; doch mag ich nicht vertrauen dem Urteil; Denn nichts sang ich bisher, was würdig des Varius, Cinna; Scheine zu schnattern mehr als Gans nur unter den Schwänen. Möris J u s t das, Lykidas, ists, was eben bei mir ich bedenke, Ob ich zusammen es bring; es ist kein übeles Liedlein. „Hierher komm, Galatea! Was frommt denn Spielen auf Wogen? Hier herrscht Frühlingspracht, hier schmückt mit Blumen der Boden Bunt die Ränder des Bachs, hier ragt die silberne Pappel Vor den Grotten empor, flicht Lauben die rankende Rebe. Hierher komm! Laß rasen die Flut und peitschen das Ufer!" Lykidas Wie, was ich dich allein hört singen in nächtlicher Stille? Wohl ich die Weise behielt, nur mir entfielen die Worte. Möris „Daphnis, was schaust du denn auf zum Aufgang alter Gestirne? Sieh! Es erschien der Stern des dionäischen Cäsar, Daß sich Saaten der Frucht erfreun und daß sich die Traube Um so dunkeler färb durch ihn auf sonnigen Höhen. Daphnis, den Obstbaum pfropf! Die Frucht wird pflücken der Enkel." Alles das Alter uns nimmt, auch Gedächtnis; häufig als Knabe Hab mit Singen verbracht ich den Tag, bis die Sonne gesunken. J e t z t entfallen mir sind so viele Gedichte; die Stimme Selbst den Möris verläßt; der Wolf den Möris zuerst sah. Doch hiervon wird häufig genug dir singen Menalkas. Lykidas Durch Vorwände nur hältst du hin mein sehnend Verlangen. Und jetzt schweiget dir doch des Mincius ebene Fläche, Und jetzt legte sich doch des Lufthauchs leises Gesäusel. J u s t hier ist die Hälfte des Wegs; das Grab des Bianor
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Hirtenlieder
Taucht soeben erst auf: hier, wo der Winzer von Bäumen Streift das wuchernde Laub, hier laß, mein Möris, uns singen. Leg nur die Böcklein ab, zur Stadt wir kommen ja trotzdem. Fürchten wir aber, die Nacht könnt doch noch Regen uns bringen. Laß uns gehen fürbaß und singen, den Weg zu verkürzen. Daß dies leichter gescheh, will ich dir tragen die Bürde. Möris Nichts mehr, Knabe, hiervon! Das Nötige laß uns besorgen, Lieder wir sparen uns auf, bis daß selbst komme Menalkas.
Das zehnte Hirtenlied Abschied von der bukolischen Dichtung An Gallus Räum, Arethusa, mir ein dies hier als l e t z t e s der Lieder: Wenige Verse nur noch laß weihn mich Gallus, dem Freunde, Die selbst lese Lyköris. Versagt wer Verse dem Gallus? Fließt dein liebliches Naß hin durch sikanische Fluten, Soll vom eigenen nichts zutun die bittere Doris. Fang an! Singen mich laß vom liebebekümmerten Gallus, Während am zarten Gestrüpp stumpfnasige Ziegen sich weiden. Nicht ja Tauben ich fing; der Hain antwortet auf alles. Wo, Najaden, verweiltet ihr denn in Schluchten und Wäldern, Als unwürdiger Glut dacht Gallus erliegen zu müssen? Sonst nie hielten euch auf jemals die Höhen des Pindus, Nie des Parnasses Geklüft, niemals der Born Aganippe. Um ihn weinte der Lorbeerbaum, um ihn Tamarisken, Als am Felsen er einsam lag; die föhrenbestandne Höh des Mänalus weinte, der Hang des kühlen Lykäus. Auch stehn Schäfchen umher. Wir nicht an ihnen uns stoßen, Stoß an ihnen auch du dich nicht, du göttlicher Dichter! Hat Adonis doch auch, der liebliche, Schafe geweidet. Hin auch der Schafhirt kam und lässigen Schrittes der Kuhhirt,
IX 60—67 X 1—57
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Feuchten Gewands erschien vom Lesen der Eicheln Menalkas. All sie fragten: „Was soll solch Schwärmen?" Es kam auch Apollo: „Gallus, das Rasen wozu?" fragt er. „Dein Liebchen Lykoris Ist wem anders gefolgt durch Schnee, durchs schreckliche Lager." Auch Silvanus erschien; als Schmuck des ländlichen Gottes Narthexdolden vom Haupt und Lilienblüten ihm nickten. Nicht blieb aus Arkadiens Pan; wir sahen ihn selber Rot von Beeren gefärbt und tief von Mennig gerötet. „Sei doch mäßig, er sagt; das macht auf Amor nicht Eindruck. Nie hat er an Tränen genug, nie Wiesen an Wasser, Bienen an blumigem Klee, an Blattwerk weidende Ziegen." Gallus betrübt hierauf: „Doch werdet ihr wenigstens singen Eueren Höhn hiervon, ihr Arkader, kundig des Singens Ihr allein. Wie sanft dann ruhn einst meine Gebeine, Singt auf euerem Rohr ihr von der Liebe des Gallus! 0 daß einer von euch ich wäre gewesen und hätte Euere Herden betreut als Hirt, die Reben als Winzer. Nennt eine Phyllis ich mein, nennt mein ich einen Amyntas Oder ein anderes Lieb — was tuts, wenn dunkel Amyntas? Sind es Violen doch auch, nicht minder es sind Hyazinthen —, Sicherlich ruht es bei mir im Gebüsch, auch unter den Reben. Phyllis mir sammelte Blumen, mir säng ein Liedchen Amyntas. Hier die Quellen sind kühl, hier weich die Wiesen, Lykoris, Hier sind Haine; mit dir möcht hier zusammen ich altern. Jetzt hingegen, in Waffen des Mars; läßt rasende Liebe Mich nicht los, jetzt mitten im Kampf, jetzt unter den Feinden! Und du bist — dürfts glauben ich nicht! — so ferne der Heimat. Von mir getrennt schaust du nun allein die Gletscher der Alpen, Schaust den eisigen Rhein. Daß ja nicht Frost dich verletze, Ja scharfkantiges Eis dir nicht zerschneide die Füßchen. Gehen ich werd und Lieder, von mir in chalkidische Verse Selber gebracht, als Hirt auf ländlichem Rohre begleiten. Fest entschlossen ich bin, im Wald, bei Höhlen der Tiere Still zu trauern, das Leid zu ritzen in zartere Bäume; Wächst ihr Stamm, so wachsen mit ihm die Klagen der Liebe. Doch inzwischen ich will mit Nymphen im Mänalus streifen, Jagen des Ebers Gezücht. Kein Frost soll mir es verbieten, An Parthenius' Hang Wild aufzustöbern mit Rüden.
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Hirtenlieder X 58—77
Schon mein ich mich zu sehn, wie Wald und Höhen ich absuch, Wie von parthischer Senn ich send kydonische Pfeile. Als wenn dieses mir Heilung brächt von rasender Liebe, Als wenn milder den Gott mein Leid zu stimmen vermöchte! Wieder nicht find ich dann an Nymphen und Liedern Gefallen, Wieder hinweg von mir wünsch ich die schweigenden Wälder. All mein Mühen nicht kann umschaffen das Wesen des Amor, Auch wenn mitten im Eis aus Hebrus' Fluten ich tränke, Auch wenn ich thrakischem Schnee mich darbot mitten in Stürmen, Oder des Hundssterns Glut als Hirt äthiopischer Herden Duldete, wo der Bast aufspringt an trockener Ulme. Unüberwindlich ist Amor der Gott! Auch ich ihm erliege." Hiermit genug was ich, pierische Musen, gesungen, Während ich saß und flocht am Korb aus schmeidigem Eibisch; Ihr ja werdet mein Lied erst wertvoll machen für Gallus, Gallus, für den mir wächst so stark allstündlich die Liebe, Wie beim Frühlingswehn der kräftigen Erle Belaubung! Brechen wir auf! Es ist ja Sängern schädlich der Schatten, Schädlich Wacholders Dunst; auch Früchten ja schadet der Schatten. Vorwärts, Ziegen, nach Haus!
Satt seid ihr; Hesperus aufging.
Zu den Hirtenliedern B I. Gespräch zwischen zwei benachbarten Hirten Meliböus und Tityrus, von denen jener infolge der Landanweisungen an die Veteranen aus seinem Besitztum vertrieben worden ist, dieser es wie Virgil selbst durch Eingreifen des jungen Cäsar zurückerhalten hat. Meliböus zieht mit seiner Ziegenherde an Tityrus vorbei, der inmitten seiner Kühe im Schatten einer Buche sorglos ein Lied auf seine Geliebte mit der Schalmei begleitet. Der Gegensatz im Lose beider ist in den wenigen Eingangszeilen meisterhaft herausgearbeitet, dort alles Unruhe, Unsicherheit, Sorge, hier alles Ruhe, Sicherheit, Glück. Schauplatz des Gespräches ist die sumpfige Mincioniederung bei Mantua, die, in kurzer Entfernung vom Fluß durch eine bewaldete Hügelkette eingefaßt, als Gemeindewiese der benachbarten Gehöfte den Herden Weideplätze und zugleich Schutz vor der Sonnenglut bietet. Den geschichtlichen Hintergrund bildet der perusinische Krieg, der Ausgang des Sommers 41 ausgebrochen ist: „Rings auf dem Lande gärt es und tobt so stark" (V. 11), ein glücklicher Griff des Dichters, weil keine andere Zeit ein so greifbares Gestalten des Gegensatzes zwischen dem Lose des Vertriebenen und dem des Verschonten gestattet hätte. Tityrus erzählt auf Befragen dem Meliböus von seiner Wanderung nach Rom, wo er endlich, alt und grau geworden, seine Freiheit erkaufen konnte, da die haushälterische Amaryllis, die nach der leichtsinnigen Galatea sein Lager teilt, den Sparpfennig dazu aufzubringen verstand. Wie einen Hausgott werde er fortan den Jüngling verehren, der ihm sein Gehöft wiedergeschenkt und dadurch trotz aller inneren Wirren ein friedliches Leben ermöglicht habe. Während so der eine seiner Dankbarkeit warmen Ausdruck gibt, treibt der andere ,da der Abend nahe ist, seine Herde weiter. Tityrus' Einladung, die Nacht bei ihm zuzubringen hat er nicht mehr gehört.
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Zu den Hirtenliedern
An der Spitze der Sammlung steht das Lied nicht als ältestes, sondern als eines der vollendetsten. In ihm zeigt sich Virgil im Vollbesitz der bukolischen Technik. Sprache und Anlage sind gleich meisterhaft. Nicht auf äußere Entsprechung der Teile des Zwiegesprächs sieht der Dichter es ab, sondern auf ihren gedanklichen Zusammenklang. Auch während Tityrus in Rom weilt, verliert er nicht den Zusammenhang mit seinem Gütchen, denn der Nachbar ist Zeuge von Amaryllis' Sorge für ihren Mann und gibt dem Zurückgekehrten davon Kunde. Immerhin wird auch Äußerliches nicht ganz außer acht gelassen, nur drängt es sich nirgends auf. So bilden Auf- und Abgesang (1—10 und 74—83) mit ihren zweimal fünf Versen einen ruhigen Rahmen für das Ganze, dessen Wirkung sich namentlich bei lautem Lesen geltend macht.
B II. Einzellied. Liebesklage des Hirten Korydon, den sein Auserwählter, der schöne Alexis, verschmäht. Des Liebhabers Lage wird dadurch verschärft, daß auf Alexis auch sein eigener wohlhabender Herr ein Auge geworfen hat und dem Nebenbuhler dadurch jede Aussicht nimmt, ihn durch reiche Geschenke zu gewinnen. Die Klage klingt sehr beweglich — sogar Selbstmordgedanken spielen hinein (7) —, zu beweglich, als daß man an ihren Ernst glauben könnte. Ihr Schluß rechtfertigt das Mißtrauen. Denn in der höchsten Not des Liebesleids kommt Korydon der rettende Trost (73): „Läßt dich dieser im Stich, winkt dir ein andrer Alexis." Durch seinen Schauplatz Sizilien, durch den Mangel jeglichen italischen Einschlags und durch seine enge, oft wörtliche Anlehnung an Theokrit — auch der humorvolle Schluß ist ihm entlehnt — verrät sich dieses Lied als eine der frühesten Nachbildungen Virgils. Und das bestätigt der Dichter selbst. Denn in B V läßt er am Ende eines freundschaftlichen Wettstreites, bei dem die beiden Teilnehmer Geschenke, eine Syrinx und einen Hirtenstab, austauschen, den Spender der Syrinx sagen, daß sie ihn das „Korydon war entflammt vom schönen Alexis" und „Wes Vieh dies? Wohl Meliböus'?" gelehrt habe, also das erste und das zweite seiner Hirtenlieder. So greift Virgil mit B V auf B 11 und B 111 zurück und schließt diese zu einem Ganzen zusammen, das die erste Hälfte seines Buches der Lieder bildet.
B I B II B III
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B III, Gipfellied der ersten Hälfte, das umfangreichste von allen: unentschiedener Wettgesang der Hirten Menalkas und Damötas vor einem dritten, Palämon, als Schiedsrichter. G l i e d e r u n g . Zwei Teile: 1—54 Gespräch zwischen Menalkas und Damötas vor Ankunft Palämons, 55—111 ihr Wettgesang vor dem Schiedsrichter. S c h a u p l a t z : „bei den alten Buchen" (12) in der Gegend von Andes, die zu Virgils Besitztum gehörten (B I X 9). G a n g des e i n l e i t e n d e n Gesprächs. Menalkas hat die Herde seines Vaters bei sich, Damötas die seines Nachbarn Ägon. Menalkas, auf Ägon eifersüchtig, weil er diesen in Verdacht hat, er wolle ihn bei seiner Geliebten ausstechen, macht in seiner Aufregung Damötas Vorwürfe, die offenbar wenig begründet sind. Damötas dient ihm mit viel schwereren und offenbar besser begründeten — Unzucht an geweihtem Orte (8,9), böswillige Zerstörung von Pflanzungen (11), Diebstahl (16) —, und so reden sich beide in eine Erregung hinein, die den Austrag des Zwistes durch ein Duell d. h. durch einen Wettgesang vor einem Richter notwendig macht. Damötas setzt eine Kuh seiner Herde, Menalkas ein Paar schöngeschnitzter Buchenbecher zum Pfände. Als Schiedsrichter küren sie den eben herbeikommenden Nachbarn Palämon. Dieser bestimmt im Fünfzeiler des Übergangs zum zweiten Teil (55—59), daß Damötas als erster, Menalkas als zweiter singen soll. Das geschieht in einem Dutzend von Zweizeilerpaaren (60—107), die mit Anrufung des Zeus (60) und Phöbus (62) beginnen, alle möglichen Ereignisse des Hirtenlebens zur Sprache bringen — Liebeleien, Geschenke, Liebesbeteuerungen, Eifersüchteleien, Glück und Unglück, Vorsicht beim Blumensammeln, beim Hüten der Herden, Schädlichkeit der Liebe, des bösen Blicks — und mit zwei Rätseln (Verzeichnis!) schließen (104—107). Aus diesem Rahmen fallen acht Verse, 84—91, völlig heraus. Sie stehen weder mit dem Vorangehenden noch mit dem Folgenden in Verbindung, sondern heben mit etwas Neuem, dem Namen des Asinius Pollio, an, den sie gleichsam als Überschrift an der Stirn tragen. Damit versetzen sie den Leser mitten in die literarischen Fehden Roms, bei denen sich die von Pollio begünstigte und selbst ausgeübte neuere Dichtung, die in der hellenistischen Lyrik ihr Vorbild sieht, von den Vertretern der hergebrachten — verkörpert in den Dichterlingen Bavius und Mävius — aufs schärfste bekämpft sieht. Begreiflich, daß Virgil
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seine Hirten diesen alles Böse, jenem alles Gute wünschen läßt. Die Segenswünsche gipfeln in dem zunächst überraschenden Satz (89): Honig ihm tropfe vom Baum, Balsam ihm trage der Dornbusch, der ja die Vorstellung vom goldenen Zeitalter unter der friedlichen Herrschaft Saturns aufleben läßt. Die Überraschung aber nimmt jedem das nächste Lied. Denn B IV enthält eine ausführliche Schilderung jenes immer wieder geträumten und herbeigesehnten Zeitalters, das nach einer Vision Virgils mit Pollios Konsulat i. J . 40 einsetzen soll. So wird B III durch die Pollioverse zum Auftakt von B IV gemacht und aufs neue erhärtet, wie planmäßig der Dichter die Auswahl und Anordnung der Lieder getroffen hat.
B IV. Den Zugang zum Verständnis dieses vielbehandelten Liedes hat weit ausholende Gelehrsamkeit einigermaßen verschüttet. Beschränkt man sich auf die Hinweise, die das Lied selbst an die Hand gibt, so kommt man zu einem Ergebnis, das durch Einfachheit überrascht und hierin eine Gewähr für seine Richtigkeit trägt. Für das Lied den Ton ein wenig höher zu nehmen, weil es einem Konsul gilt, mahnt der Eingang die sizilischen Musen. Der Konsul ist nach Vers 12 Asinius Pollio. Hierdurch wird das Lied auf das J a h r 40 festgelegt, mit dem nach Virgils Auffassung eine Zeitwende einsetzt, die Monde eines neuen Weltjahrs ihren Rundgang antreten. Ein neues Geschlecht steigt vom Himmel zur Erde herab, die letzte Spur der Verbrechen des alten verschwinden, Gerechtigkeit (die „ J u n g f r a u " Vers 6) kehrt zurück, die Welt atmet auf vom ewigen Schrecken und ein goldenes Zeitalter beglückt wieder die Menschheit. Voraussetzung f ü r diese Segenszeit ist die glückliche Geburt eines Knaben, der „mit e r e r b t e m Geschick den Erdkreis friedlich" lenken, der eisernen Zeit der Kriege ein Ende machen, die goldene der Waffenruhe heraufführen und als Friedefürst dereinst selbst zu den Göttern eingehen wird. Nicht mehr regiert Mars die Stunde, sondern Apollo. Dies der Auftakt (4—17) zur Schilderung des goldenen Zeitalters (18—52). Was berechtigt gerade im Jahre 40 den Dichter zu dieser Zuversicht? In erster Linie die B e e n d i g u n g d e s p e r u s i n i s c h e n K r i e g e s . Monate lang hatte die gefährliche Empörung der ihrer Besitzungen Beraubten und andrer Unzufriedenen die italische Bevölkerung
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in Atem gehalten. Geschürt wurde sie von Fulvia, der Frau Mark Antons, und von Lucius Antonius, seinem Bruder, um den in Kleopatras Netzen Verstrickten zu befreien und nach Italien zurückzuführen zum Kampf gegen Oktavian, der alle Anstalten traf, der Erhebung ein Ende zu machen, solange noch das winterliche Meer die Überfahrt von Ägypten nach Italien hinderte. Eile war also geboten, zumal Sextus Pompejus, im Besitz Siziliens Herr der See, die offenen Küsten bedrohte und die Zufuhr von Lebensmitteln unterbinden konnte. So mußte die unerwartet schnelle Niederwerfung der Empörung und der Fall Perusias, den Oktavians tatkräftiges Eingreifen herbeiführte, wie Erlösung von einem schweren Alp wirken und das Ansehen des Dreiundzwanzigjährigen gewaltig steigern. Seine Truppen bezogen nach Beendigung des Krieges Winterquartiere, der Fall Perusias muß also im Januar oder Februar erfolgt sein und Pollios Konsulatsjahr verheißungsvoll eingeleitet haben. Pompejus offen zu bekämpfen, dazu fehlte es Oktavian an Macht. Er wußte aber ein anderes Mittel zu finden, ihn vorläufig unschädlich zu machen. Er näherte sich ihm in freundlicher Weise und kettete ihn durch seine Ehe mit Scribonia, einer Verwandten des Pompejus, an seine Person. Auch dies Ereignis fiel in den Beginn des Jahres 40 und mußte dazu beitragen, dem Konsulate Pollios einen besonderen Nimbus zu verleihen. Ein drittes kam hinzu. Aus dem Triumvirat des Jahres 43 war infolge der Untätigkeit des Lepidus, der sich schließlich mit der Provinz Afrika als einer Art Altenteil begnügt hatte, das Duumvirat von Oktavian und Mark Anton geworden, das naturgemäß auf eine Monarchie hindrängen mußte. War doch jeder von beiden in seinem Bereich schon Alleinherrscher geworden, der eine im Osten, der andre im Westen. Die letzte Auseinandersetzung wurde nur noch durch die Seeherrschaft des Pompejus hinausgezögert. War diese gebrochen, so stand dem Endkampf um die Weltherrschaft nichts mehr im Wege. Das Jahr 40 ließ sich auch in dieser Frage friedlich an, und zwar wiederum dank der überlegten und überlegenen Staatskunst Oktavians. Er begnügt sich bei Niederwerfung der perusinischen Erhebung damit, die beiden Schürer des Aufstandes, Fulvia und Lucius Antonius, unschädlich zu machen und sie zur Flucht aus Italien zu zwingen, auf der Fulvia den Tod findet. Gegen T r e n d e l e n b u r g , Virgils ländliche Dichtungen.
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Mark Anton selbst unternimmt er nichts, schiebt ihm auch keine Schuld an den Wirren zu und zeigt sich freundlicher Auseinandersetzung mit ihm durchaus geneigt. So ebnet er den Weg zum Vertrage von Brundisium, der noch in diesem Jahre zustande kommt und von Oktavian durch ein großes persönliches Opfer besiegelt wird. Er gibt seine zärtlich geliebte Schwester Oktavia, eine der edelsten Frauen Roms, Mark Anton zur Gemahlin und bezeugt hierdurch, daß er für Befriedung des Reiches auch vor einem hohen Preise nicht zurückschreckt. Selten haben in der römischen Geschichte Chaos und Kosmos so dicht beieinander gewohnt wie zu Beginn des Jahres 40, und wer die Verhältnisse überschaut, kommt zum Ergebnis, daß die treibende Kraft für die günstige Wendung nicht der erfahrene Konsul des Jahres, sondern der junge Triumvir ist, dem bei der endlichen Teilung der Welt zwischen den beiden wirklichen Machthabern der Westen zufällt. Wenn Virgil seinem vierten Hirtenlied, dem Glückwunsch an den Konsul Pollio, die ungewöhnliche aber einprägsame Gestalt einer Vision gibt, in der er zur Wirklichkeit geworden sieht, was er im Herzen wünscht, so gilt für den mit den Verhältnissen Vertrauten sein Glückwunsch ebensosehr dem Staatsmann Oktavian, obwohl weder dessen Name genannt noch auf ihn unmittelbar Bezug genommen wird. Mittelbar freilich geschieht das, wie sich gleich zeigen wird, in ausführlicher Weise. Voraussetzung für Wiederkehr des goldenen Zeitalters ist die Geburt eines Knaben, dessen Leben das prophetische Lied von seiner Geburt bis zu seinem Eintritt in den Olymp durch alle Phasen als Kind, Jüngling und Mann verfolgt. Dem K i n d e (18—25) beut der Boden, frei von Schlangen und giftigen Kräutern, liebliche Blumen und duftende Stauden, und unbehelligt von Feinden kehrt das Vieh von der Weide zum Stalle zurück. Dem J ü n g l i n g (26—36) trägt das Feld weiche Ähren, rötet sich die Traube am Dornbusch, tropft Honig aus der Eiche. Aber noch bezwingen Schiffe die See, schützen Mauern die Städte, verwunden Pflüge die Erde, gibt es noch Kämpfe und Kriegszüge. Erst wenn das Kind zum M a n n e gereift ist (37 —45), trägt die gütige Erde Alles für Alle, die letzten Spuren früheren Truges schwinden, selbst das Färben der Wolle übernimmt die Natur, da sie den lebenden Tieren ein Vlies in verschiedenen Farben verleiht.
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Dem Willen des Schicksals, das die Rückkehr des goldenen Zeitalters beschlossen hat, fügen sich die Parzen und stellen ihre Spindeln darauf ein. Den erwarteten Knaben aber ermuntern sie, seine rühmliche Laufbahn anzutreten als Mehrer des Gottesreiches auf Erden, zur Freude des ganzen Weltalls (46—52). Der Dichter schließt seine Vision mit dem Wunsche für sich, die Geburt des Knaben zu erleben, um seine Taten besingen zu können (53—59), dem für die Mutter, im Lächeln des Kindes den Lohn für die Leiden der Schwangerschaft, und dem für das Kind, im Lächeln der Eltern die Gewißheit für seine Unsterblichkeit zu finden, in die nur ein Menschensohn eingeht (60—63). Da Virgils Glückwunsch an Pollio zugleich ein Hymnus auf Oktavian ist, dieser aber im Frühjahr 40 sich mit Scribonia vermählt hat, kann der erwartete Sohn, der „mit ererbtem Geschick den friedlichen Erdkreis lenkt" (17) kein andrer sein als Oktavians Leibeserbe, den man am Ende des laufenden oder zu Beginn des kommenden Jahres erwarten durfte. Das Geschick wollte es anders. Scribonia genas nicht eines Sohnes sondern einer Tochter, Julia, die einst zu den übelst beleumundeten Frauen Roms gehören sollte. An demselben Tage, wo Oktavian diese Nachricht erhält, schickt er Scribonia den Scheidebrief, ein Beweis dafür, daß ihn an diese Frau nur politische Bande ketteten. Mit Sextus Pompejus scheut er den Bruch nicht, weil seine Einsicht ihm sagt, daß mit diesem eine blutige Auseinandersetzung doch nicht zu umgehen ist. So löst sich das Rätsel der geheimnisvollen Vision des Dichters. Wir verdanken seine Lösung dem jüngsten Geschichtsschreiber der römischen Kaiserzeit, Professor Hermann Dessau. Er selbst mußte, um nicht den Rahmen seiner knappen Darstellung zu sprengen, auf eine eingehende Begründung verzichten. Daraus erklärt sich die Ausführlichkeit der hier gegebenen. Fehlt sonach auch für Erfüllung der Prophezeiung Virgils die wichtigste Voraussetzung, so hat ihn seine Überzeugung, mit Pollios Konsulat setze eine Zeitwende ein, trotzdem nicht getäuscht. Bis zur völligen Befriedung des Reiches nimmt sein Lied einen Zeitraum an, den ein Kind bis zur Erlangung des Mannesalters braucht, also 30 Jahre. Sie ist aber weit früher eingetreten. Schon im zehnten Jahr nach Pollios Konsulat führt Oktavian durch die Schlacht bei Aktium die Entscheidung über die Weltherrschaft zu seinen Gunsten 3*
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herbei, sichert in wenigen Jahren die Grenzen des Reichs, schließt den Janustempel, löst Mars durch Apollo ab und führt das goldene Zeitalter der römischen Literatur herauf.
B V ein Wechsel-, kein Wettgesang wie B Iii. Zwei Hauptteile von je 25 Versen: l.Mopsus' Gesang auf Daphnis' Tod (20—44), 2. Menalkas' Apotheose des Daphnis (56—80). Beide entsprechen sich genau in ihrer Gliederung: 4 + 5 + 7 + 4 + 5. Mopsus' Gesang ist eine Nachdichtung der ersten Idylle Theokrits in enger, zum Teil wörtlicher Anlehnung an das Vorbild, Menalkas' Apotheose eine selbständige Dichtung Virgils. Getrennt werden sie durch das Zwischenstück 45—55, worin Menalkas dem Sänger uneingeschränktes Lob für sein Lied ausspricht und sich zu einem Gegenliede bereit erklärt, ein Anerbieten, das Mopsus mit Freuden annimmt. In der Einleitung (1—9) kommen die Hirten, beide im Singen und Spielen erfahren, überein, sich in einem Wechseigesange zu versuchen. Dazu bilden 10—19 (3 + 3 + 4) den Auftakt, worin sie verabreden, ihre Herden einem Dritten zu überlassen, um sich in einer Grotte der Ausübung ihrer Kunst ungestört zu widmen. Im Abgesang 81—90 (4 + 3 + 3) tauschen sie die unter B III besprochenen Geschenke aus. Von einer Anspielung auf zeitgeschichtliche Ereignisse ist ebenso abgesehen wie von einer näheren Beschreibung des Schauplatzes.
B VI. An Alfenus Varus zum Dank für (endgültige) Rückgabe des Andinum. Einzellied des alten Silen, den zwei Satyrn, Chromis und Mnasyllus, in seiner Höhle schlafend überraschen und zum Singen zwingen, da sie es durch Bitten bisher nicht erreicht haben. Er hat nach seiner Gewohnheit tags vorher einen festen Trunk getan und liegt, den Humpen noch in der Hand, regungslos am Boden. Sein Kranz ist ihm vom Kopf geglitten und bietet den Satyrn Gelegenheit, eine magische Fessel daraus zu winden. Unterstützt werden sie bei ihrem Vorhaben von Ägle, der schönen Najade, die mutwillig das weinglühende Gesicht des Alten mit Maulbeersaft tiefrot färbt und ihn dadurch weckt. Silen ist in bester Laune, hat seinen Spaß an dem Überfall und erklärt sich auch ohne Fesse-
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Iung zum Singen bereit. Wie er anhebt, fangen Faune und wilde Tiere zu tanzen an und die Eichen wiegen ihre Wipfel im Takt. Ursprünglich hat Virgil ein Hirtenlied nicht beabsichtigt, vielmehr will er dem kriegstüchtigen Alfenus Varus durch ein rechtes Heldenlied danken und fängt schon an „von Königen und Kampf zu singen" (3). Er steht aber auf Phöbus' Geheiß um so schneller von seinem Vorhaben ab, als er weiß, daß es Varus auch ohne ihn an Sängern seiner Heldentaten nicht fehlen wird, und bleibt bei der ihm vertrauten Form des Hirtenliedes. Dieses aber gestaltet er jetzt völlig neu. Aus der Fülle der von den Bukolikern bearbeiteten Mythen wählt er nicht einen einzelnen aus, sondern gibt eine Gesamtübersicht darüber, der er als eine Art von Leitmotiv „die Macht des Amor" zugrunde legt. Er beginnt sein Lied mit der — Weltschöpfung! Im unermeßlichen Raum — singt er — nicht waren geschieden Erd und Wasser und Luft, auch nicht das leuchtende Feuer-, Schuf sich doch selbst die Welt aus den vier obersten Stoffen, Formte doch selbst sich draus des Himmels luftige Glocke. Wie das geschah, läßt der Dichter ungesagt, weil in einem Liede auf die Macht des Eros nicht hervorgehoben zu werden braucht, daß im Chaos der ungeschiedenen Elemente die gleichartigen Stoffe sich vermöge der ihnen von Natur eingepflanzten Neigung („Liebe") zu einander anziehen und dadurch von den anders gearteten absondern. Diese Lehre entspricht den Anschauungen der epikureischen Schule, in deren Geheimnisse sich Virgil gemeinsam mit Alfenus Varus von dem römischen Philosophen Syron hat einführen lassen. Aus dem Rahmen der Mythen, die Silen als Stoffe bukolischerotischer Dichtung aufzählt, fällt eine Episode heraus: die Dichterweihe des Elegikers Cornelius (?) Gallus (64—73), eines der vertrautesten Freunde Virgils. Am böotischen Helikon, so führt die Episode aus, trifft ihn eine Muse und geleitet ihn in den Chor ihrer Schwestern. Hier begrüßt ihn Linus der Hirt mit prophetischem Lied, übergibt ihm im Auftrage der Musen die Syrinx, die sie einst Hesiod, dem Sänger von Askra, geschenkt haben, und nimmt ihn so in die Zunft der ländlichen Dichter auf. Mit der Syrinx, so schließt Linus seine Begrüßung, möge Gallus sein Lied vom Ursprung des
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Haines bei Grynium begleiten, der gefeierten Kult- und Orakelstätte Apolls an der äolischen Küste Kleinasiens. So wird B VI zur Vorbereitung auf B X, das letzte der Hirtenlieder, das Gallus gewidmet ist (73): Gallus, für den mir wächst so stark allstündlich die Liebe, Wie beim Frühlingswehn der kräftigen Erle Belaubung.
B VII eine bukolische Studie ohne jede politische Anspielung, nicht Nachbildung einer einzelnen Idylle Theokrits, sondern selbständige Schöpfung Virgils, nur in enger, zum Teil wörtlicher Anlehnung an jenen. Schauplatz: Gemeindewiese am Mincio. Hier tragen zwei Meister des Gesanges, Korydon und Thyrsis, vor Daphnis als Richter einen Wettstreit aus, „gewiß ein großes Ereignis" (16), dem fernzubleiben der Kuhhirt Meliböus, der Berichterstatter, nicht übers Herz bringt, sollte er darüber auch seine Pflicht verletzen und, ohne Hilfe zur Hand zu haben, die eben entwöhnten Kälbchen ohne Aufsicht lassen. In sechs Paaren (a—f) von Vierzeilern (21—68) vollzieht sich der Wettstreit, „wie vor Korydon sang, nachsang ihm Thyrsis erwidernd", und zeigt anschaulich das Streben des Nachsängers, seinem Gegner es gleichzutun, womöglich ihn zu überbieten. Dabei gerät er in Übertreibungen und Geschmacklosigkeiten und unterliegt schließlich dem besonneneren und maßvolleren Korydon. a. K. bittet die Musen um ein Lied, wie sie es seinem Freunde Kodrus eingegeben; unterliege er, so entsage er der Kunst. T. fordert als „werdender Dichter" den Efeukranz des Siegers, damit Kodrus die Galle platze (!), oder ein zauberabwehrendes Kraut, damit ihn jener nicht durch übergroßes Lob behexe: Hochmut und Aberglaube wohnen dicht beieinander! b. K. weiht der Diana Jagdtrophäen und verheißt ihr bei weiterem Jagdglück ein Standbild aus Marmor, T. dem genügsamen Pan, eines „ärmlichen Gärtchens Behüter", eins aus Gold! c. K. ladet in schlichten Worten seine Geliebte gleich nach Feierabend zu sich ein, T. ist so voller Ungeduld nach ihr, daß ihm der heutige Tag so lang wie ein Jahr erscheint, d. K. bittet Quelle, Trift und Busch um Schutz seiner Herde vor Sommersglut, T. weiß bei Frost sein Vieh durch tüchtiges Herdfeuer selbst zu schützen und bedarf höherer Hilfe nicht, e. Ohne Alexis' Schönheit
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verliert für K . auch die lachendste Flur ihren Reiz, Phyllis' Erscheinen wirkt für T. auf dürrster Heide wie ein erquickender Regen, f. Phyllis liebt das Haselgebüsch, drum steht es für K. nicht der Myrte der Venus, dem Lorbeer Apolls nach. Die schönsten Bäume der Wälder und Gärten übertrifft der schöne Lykidas, wenn er T. besucht. Die Entscheidung des Wettstreits ist nicht zweifelhaft: Korydon bleibt Korydon.
B VIII ist eine der ausgefeiltesten Studien Virgils. Sie ist Pollio gewidmet, enthält aber außer den acht Widmungszeilen 6—13 keine Beziehung auf ihn, sondern ist ein in sich geschlossener, von Theokrit stark beeinflußter Wechselgesang, dem unmittelbar nach Bezeichnung des Themas die Widmung ohne jede Verklammerung eingefügt ist. 14—16 Einleitung zum Wechselgesang, 17—61 Damonlied; 62—63 Übergang, 64—108 Alphesiböuslied. Gemeinsam ist beiden Liedern ein Vorspruch von je 4 Zeilen (17—20, 64—67) und ein am Ende jedes Absatzes unverändert wiederkehrender Einzelvers. Einschließlich des Vorspruchs und des Einzelverses gliedern sich beide Lieder in die Versgruppen: D. 4, 4 + 6, 5 + 6, 4 + 5, 6 + 4, 1 = 45 Verse A. 4, 4 + 6, 5 + 6, 4 + 6, 4 + 5, 1 = 45 Verse. Die Entsprechung der Teile ist zahlenmäßig genau mit leichter Verschiebung in den beiden letzten. Inhalt des Damonliedes: Klage eines Verliebten, der, von seiner Gattin Nysa verlasssen, die Götter vergeblich um Hilfe angefleht hat und nun, mit Selbstmordgedanken spielend, ihnen noch einmal im Tode ruft; des Alphesiböusliedes: Zaubersprüche einer Verliebten, die sich von ihrem Gatten Daphnis verlassen glaubt und mit Erfolg zur Beschwörung greift, um ihn zurückzuführen. Beide Lieder sind mit Humor durchsetzt. Der See, in den sich der verlassene Liebhaber stürzen will, ist in Wirklichkeit nicht da, sondern besteht nur in dessen Einbildung; die Zauberin aber arbeitet mit Erfolg, weil ihr Gatte sie in Wirklichkeit gar nicht verlassen hat. Dämon kann den Aufgang des Morgensterns kaum erwarten. Die Nacht hat er klagend und betend auf seinem Lager verbracht,
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die Götter aber sind taub geblieben und haben damit die Überzeugung seiner Nysa bestätigt, „die nicht glauben es will, daß Menschliches kümmre die Götter" (35). Zu „mänalischen Weisen" fordert er seine Flöte auf, weil der Berg Mänalus in Arkadien, die Heimat des Pan, am meisten von solchen Liebesklagen widerhallt. Nysa hat in Mopsus einen neuen Mann gefunden, der zu ihr paßt wie der Greif zum Roß, das Reh zum Hund, und der Wetterwendischen — so liest man zwischen den Zeilen — nur deshalb genehm ist, weil er in allem das Gegenteil des jetzigen sei, von Musik nichts verstehe und an männlicher Erscheinung alles zu wünschen lasse. Amor ist ein tückischer Gott, der alles ins Gegenteil verkehre, aus der Geliebten eine Verräterin, aus der Mutter eine Mörderin mache. Alles werde zu Meer! Lebt wohl, ihr Wälder! Ich stürze mich in die Flut und bringe dies Geschenk als letztes der Geliebten. Das Lied des Alphesiböus gibt von den Verrichtungen bei einem Liebeszauber ein lebendiges Bild. Der Hofaltar wird von der Magd mit Binden, Zweigen und Räucherwerk zur Beschwörung hergerichtet; denn Zaubersprüche können den Mond vom Himmel herabziehen, Menschen in Tiere verwandeln und Schlangen auf der Wiese den Tod bringen. Der leidenschaftlichen Frau ist ihr Daphnis zu besonnen und kühl, sie will deshalb seine Glut durch Zauber steigern. Zu diesem Zwecke umwindet sie ein Wachsbild des Geliebten mit drei verschiedenfarbigen Fäden, während die Magd unter dem Spruch: „Ich knüpfe die Kette der Venus" drei Fäden von verschiedener Farbe zu Knoten knüpft. Nachdem die Frau das Bild dreimal um den Altar getragen, wirft sie es in Lorbeerreiser, die von der Magd mit Erdpech in Brand gesetzt sind und von dem schmelzenden Wachs zu heller Glut angefacht werden. „Mich bös Daphnis entflammt, ich hier am Daphnis den Lorbeer" (82). Kleinodien, die der Gemahl ihr geschenkt, vergräbt sie vor der Schwelle der Haustür, holt auch Kräuter aus der Heimat der Zauberin Medea herbei, deren Kraft, Fernes in die Nähe, Nahes in die Ferne zu versetzen, sie selber erfahren hat. Endlich will sie noch als Hauptschlag Asche vom Altar durch die Magd in den Bach werfen lassen. Während sie sie eben vom Altar nehmen will, schlagen Flammen daraus hoch empor und zugleich fängt der Hofhund an zu bellen: Daphnis ist zurück! „Schonet, Beschwörungen, sein! Aus der Stadt heimkehrte schon Daphnis."
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Wenn auch nicht mit Namen genannt, wird doch in den acht Widmungszeilen (6—13) Asinius Pollio als Mann der T a t und der Lieder, als Feldherr, der die Küsten Venetiens (Timavus) und Illyriens kennt, als Triumphator, als A und 0 der Hirtenlieder so scharf umrissen, daß ein Zweifel an seiner Persönlichkeit nicht aufkommen kann.
Eingang bist du mir ja, bist Ausgang. Lieder empfange, Deinem Geheiß entstammt, und laß sich einen den Efeu Willig dem Lorbeerkranz, dem Schmuck der Schläfen des Siegers.
B IX kein einzelnes Hirtenlied, sondern Bruchstücke von mehreren Liedern ähnlicher Art, deren jedes nur wenige Zeilen umfaßt. Sie konnten dem Buch der Hirtenlieder nur eingefügt werden, wenn sie auf einen gemeinsamen Faden gereiht wurden, bis sie annähernd den Umfang eines der übrigen Hirteniieder erreichten. Von den vier zusammengestellten Bruchstücken bestehen zwei aus je drei Versen (23- a -25,27—29), zwei aus je fünf (39-M3,46-^-50). a u n d c sind echte Hirtenlieder: a. Gang zum Liebchen, während dessen ein Stellvertreter die Ziegenherde betreut; c. Polyphem und Galatea, eine Studie nach Theokrits Kyklop. b und d fallen aus dem Rahmen bukolischer Dichtung einigermaßen heraus, b. will das Lob des Alfenus Varus singen, wenn er der Stadt Mantua ihren Landbesitz rettet, also ein Nachklang zu B V I . d. gehört seinem Inhalt nach zum Lehrgedicht vom Landbau. Der Komet, der bald nach Cäsars Ermordung am Himmel erscheint und allgemein als dessen vergötterte Seele gedeutet wird, löst die alten Gestirne ab, deren Auf- und Untergang die Arbeiten der Landleute bisher bestimmte. Die heikle Aufgabe der Aneinanderreihung so verschiedener Stücke löst Virgil auf folgende Weise. Er läßt Möris, seinen in Andes zurückgelassenen Verwalter, auf der Straße nach Mantua mit dem Hirten Lykidas, einem Verehrer der Dichtungen Virgils („Menalkas"), zusammentreffen. Jener bringt dem neuen Herrn des Gütchens ein Paar Böckchen nach der Stadt und erzählt dabei von dessen schroffer Art, mit der er den früheren Herrn angefahren habe: ein Erlebnis Virgils. Als dieser nach der ersten Ackerverteilung sein Gut wiedererhält und im Vertrauen auf Oktavians Zusage
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Zu den Hirtenliedern
nach Andes zurückkehrt, erfährt er von dem militärischen Besitzer eine so unfreundliche Behandlung, daß er sich nur durch schleunige Umkehr den drohenden Handgreiflichkeiten entziehen kann. Er flüchtet deshalb nach Rom, findet bei seinem Freunde Syron Unterkunft und dichtet hier die Ekloge, um neuen Schutz zu gewinnen. Lykidas erwähnt bei der Begegnung mit Möris eines Gerüchts, wonach Menalkas durch seine Lieder sein Gütchen zurückgewonnen habe. Möris bestätigt das Gerücht. Aber im Waffenlärm seien Lieder so ohnmächtig wie Tauben in Gegenwart des Adlers, und nicht viel habe gefehlt, so h ä t t e mit Möris auch Menalkas selbst sein Leben eingebüßt. So kommen sie auf dessen Lieder zu sprechen und rufen sich einige davon ins Gedächtnis zurück. Aber zu ruhigem Gesang kommen sie unterwegs nicht und wollen sich ihn versparen, bis der Dichter selbst wieder erscheint. Damit schließt das Lied. Tatsächlich erscheint auch Menalkas-Virgil noch einmal, freilich nur noch zu e i n e m Liede, mit dem er von der bukolischen Dichtung f ü r immer Abschied nimmt, B X .
B X. Ein echtes Hirtenlied. Schauplatz Arkadien mit seinen einsamen Bergen und vereinzelten Herden. Anwesend Schaf-, Kuh- und Sauhirt, die ländlichen Gottheiten: Apoll, Silvan und Pan. Sie sind die einzigen Zeugen der Liebesklagen des Gallus, die den Hauptteil des Liedes (9—69) ausmachen. E i n g a n g (1—8): A n r u f u n g der Arethusa, Vertreterin des syrakusischen Liedes ( V I I ) d. h. der sizilischen Hirtendichtung, von der jetzt Virgil Abschied nimmt. H a u p t t e i l . Gallus hat Lykoris, einer Unwürdigen, sein Herz geschenkt; denn während er im Felde steht, ist sie einem andern ins Ausland gefolgt. Aber die Liebe zu ihr läßt ihn nicht los. Er klagt sein Lied den einsamen Höhen, trotzdem ihm bewußt ist — Hirten und Götter sagen es ihm —, daß er dadurch den unerbittlichen Amor nicht umstimmen kann. Es gereicht ihm zum Trost, daß einst arkadische Hirten, die erfahrensten Sänger, von seiner Liebe singen werden, wenn er nicht mehr ist (9—34). Am liebsten wäre er selbst ein arkadischer Hirt oder Winzer gewesen und h ä t t e mit seiner Lykoris das friedliche Leben eines solchen genossen. Das hat ihm das Schicksal versagt. Er steht im Felde, während sie ohne ihn die Gletscher der Alpen und den eisigen Rhein besucht.
B IX
B X
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Deshalb ist er entschlossen, in die Einsamkeit der Wälder zu flüchten und hier seine Nachdichtungen Euphorions als sizilischer Hirt zu singen, sein Liebesleid in die Rinde der Bäume zu ritzen, mit Nymphen und Rüden die Höhen abzusuchen, den Eber zu stellen — welch W a h n zu glauben, hierdurch sein Leiden zu heilen! Amor ist unüberwindlich; auch er muß ihm erliegen (35—69, wovon 44—49 wörtlich aus Gallus sein sollen). Im A b g e s a n g (70—77) sagt Virgil der Hirtendichtung endgültig Lebewohl. Genug sei was er als Hirt gesungen, — „während er saß und flocht am Korb aus schmeidigem Eibisch" —. Drum wendet er sich jetzt nicht mehr wie V. 1 an Arethusa, sondern an die pierischen Musen, die am Berge Pieros in Mazedonien als Göttinnen a l l e r Dichtung einer ebenso hohen Verehrung sich erfreuten, wie die am Helikon in Böotien. Durch sie wird seinem bescheidenen Lied an Gallus die rechte Weihe werden, nachdem dessen Sänger eingetreten ist in den Kreis der nationalen Dichter. Gallus, nur ein J a h r jünger als Virgil, ist dessen ältester und liebster Freund. Er ist gleich bedeutend als Dichter, Soldat und Staatsmann und wäre ein zweiter Asinius Pollio geworden, hätte ihn das Schicksal einen Achtziger werden lassen wie diesen. Augustus' Vertrauen macht ihn i. J . 30 zum Statthalter (Präfekten) von Ägypten. Der schnelle Aufstieg zur höchsten Stellung in einer Provinz zieht ihm den Neid weiter Kreise zu. Man ergeht sich in Verdächtigungen gegen ihn, die selbst im Senat nicht verstummen und zuletzt auch das Zutrauen des Kaisers erschüttern. Gallus sieht keinen Ausweg mehr und macht i. J . 26 seinem Leben mit eigener Hand ein Ende. Über den Lyriker Gallus herrscht unter den Dichtern der ersten Kaiserzeit nur eine Stimme. Für Virgil ist er der „göttliche Dichter" (B X 17), Properz zählt ihn zu den Meistern und Ovid verheißt ihm Unsterblichkeit. Von seinen Dichtungen werden erwähnt vier Bücher Liebeslieder und Übersetzungen aus Euphorion von Chalkis auf Euböa (um 230). Erhalten ist davon nur, was Virgil ihnen entnimmt.
Ober Auswahl und Anordnung der Hirtenlieder Vorher hab ich getändelt als Hirt in mutiger Jugend: „Tityrus, lässig du liegst im Schutz breitschattiger Buche." So blickt Virgil am Ende seines umfangreichen Lehrgedichtes vom Landbau auf die kleinen Hirtenlieder, seine ersten dichterischen Versuche, zurück, die ihm jetzt, wo seine Gedanken schon mit dem großen Nationalepos, dem Äneasliede, beschäftigt sind, als eine Tändelei, als ein Spiel (lusi) erscheinen. Leicht hat er sich seine ersten Sporen als Dichter nicht erworben. Hat er sich doch erst die Sprache zu dieser der römischen Literatur bis dahin fremden Gattung schaffen, hat er doch auf Kampf mit den Vorurteilen rechnen müssen, die von den Vertretern der älteren Richtung aus Furcht vor Verlust ihres gesicherten Besitzes jeder Neuerung entgegengebracht werden. Drum nimmt Virgil als einen Ruhmestitel seiner Jugendversuche den Mut in Anspruch, den er im Kampf mit einer ungefügen Sprache und einer vielleicht noch ungefügeren Gegnerschaft bewiesen habe. Wohlgerüstet geht er in den Kampf: J a h r e widmet er seinen Vorbereitungen, insbesondere seinen Studien Theokrits. Er überschreitet das dreißigste Lebensjahr, ehe er mit den Eklogen an die Öffentlichkeit tritt. Aus seinen zahlreichen Übersetzungs- und Nachdichtungsversuchen trifft er eine bezeichnende Auswahl und gibt sie in wohldurchdachter Anordnung heraus, die jeden in den Stand setzt, seine Bestrebungen und Fortschritte nachzuprüfen. So liegt das Buch der Hirtenlieder vor uns wie ein sorgsam geführtes Tagebuch, aus dem wir die dichterische Entwicklung seines Verfassers stufenweis abzulesen vermögen und das daneben den ungemeinen Vorzug besitzt, uns nicht fertige Urteile, sondern nur die Unterlagen dazu in die Hand zu geben, und zwar
Anordnung der Hirtenlieder
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in freien dichterischen Schöpfungen, nicht in zurechtgemachten Bekenntnissen. Die Planmäßigkeit der Anordnung ergibt sich aus folgender Übersicht der Lieder, die nach deren eigenen Angaben aufgestellt worden ist. Erste Hälfte: I (83 Verse). Widmung an Oktavian zum Dank für Rückgabe des Andinum. Gespräch zweier Hirten. Freie Dichtung. Schauplatz: Gemeindewiese am Mincio bei Mantua. Geschichtlicher Hintergrund: der perusinische Krieg (41/40). In Anlage und Sprache eine meisterliche Leistung. Ohne zahlenmäßige Gleichheit der Teile anzustreben, gibt der Dichter doch im Auf- und Abgesang (1—10, 74—83) mit zweimal je fünf Versen dem Ganzen einen ruhigen Rahmen. Ungleiches Los. II (73 V.). Virgils frühester Versuch: Einzellied-Studie in engstem Anschluß an Theokrit. Der Schauplatz Sizilien ist der hellenistischen Bukolik eigen. Auch sonst ohne italischen Einschlag. Trost bei verlorener Liebesmüh. III (111 V.). Gipfellied der ersten Hälfte. Zweitälteste Studie nach Theokrit, auch sie von ihm stark beeinflußt. Wechselgesang zweier Hirten vor einem dritten als Schiedsrichter. Strenge Gleichmäßigkeit. Ohne italischen Einschlag mit Ausnahme der vier auf Pollio bezüglichen Verspaare 84—91, die ohne jede Verklammerung mit den übrigen das Lied zum Auftakt von IV machen. Unentschiedener Wettstreit. IV (63 V.). Glückwunsch an Pollio, den Konsul d. J . 40. Ergänzung zu III. Geschichtlicher Hintergrund: Ende des perusinischen Krieges, etwa Februar 40. Freie Dichtung im Charakter eines Hirtenliedes in höherem Ton, unter Anrufung der sizilischen Musen. Wiederkehr des goldenen Zeitalters. V (90 V.). Schlußlied der ersten Hälfte: Daphnis' Tod und Verklärung. Zwei Teile, der erste 20—44 Studie, der zweite 56—80 freie Dichtung. Freundschaftlicher Wechselgesang. Am Schluß Austausch von Geschenken, darunter eine Rohrflöte, die zur Begleitung von II und III erklang. So werden II—V zu einer Gruppe zusammengeschlossen, außerhalb deren nur I bleibt.
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Anordnung der Hirtenlieder Zweite H ä l f t e :
VI (86 V.). D a n k an Alfenus Varus f ü r die endgültige Rückgabe des Andinum. Freie Dichtung. Übersicht über die von den Bukolikern behandelten Stoffe, dem alten Silen in den Mund gelegt. Episode: Dichterweihe des Elegikers Gallus (64—73), A u f t a k t zu X . Macht Amors. V I I (70 V.). Selbständige Studie nach Theokrit. Schauplatz wie in I, sonst ohne italischen Einschlag. Strenge Gliederung der Teile. Entschiedener Wettstreit. V I I I (108 V.). Gipfellied der zweiten Hälfte. Ausgefeilteste Studie Virgils in engem Anschluß an sein Vorbild. Strenge Gliederung. Zwei f ü r sich bestehende Teile: a. Klage eines Verlassenen, b. Liebeszauber einer Verlassenen. Ohne Z u s a m m e n h a n g mit dem übrigen d a r i n : 6—13 W i d m u n g der Hirtenlieder an Pollio, der i. J . 39 über die illyrischen P a r t h i n e r triumphierte und sich danach von der auswärtigen Politik zurückzog. Untreue. IX (67 V.). Kein zusammenhängendes Einzellied, sondern Anf ä n g e von vier verschiedenen Liedern, geschickt auf einen gemeinsamen Faden gereiht. Schluß der Redaktion an der Liedersammlung. Daher gehört dies Lied eigentlich an die letzte Stelle, die aber an ein wichtigeres Stück schon vergeben war. Bruchstücke. X (77 V.). Ergänzung zu VI. Denkmal f ü r seinen ältesten Freund Gallus. Freie Dichtung mit Benutzung von Liedern des Gallus. Noch einmal läßt Virgil den Ton des Hirtenliedes voll erklingen. Schauplatz Arkadien mit seinen ländlichen Göttern, Hirten und Herden. Gallus' Liebesklagen enden in Übereinstimmung mit VI mit U n t e r w e r f u n g des Sängers u n t e r Amors unüberwindliche Macht. Abschied von der Hirtendichtung. E r g e b n i s . J e d e H ä l f t e des Buches beginnt mit einer W i d m u n g , gipfelt in einer besonders umfangreichen Studie nach Theokrit mit einem freien auf Pollio bezüglichen Zusatz und endet mit einem Schlußlied, das auf den A n f a n g zurückweist und so die Einzellieder zu einer Gruppe zusammenschließt. N u r I bleibt, sozusagen, als Stirnseite des Gesamtbaues, als Titel der ganzen S a m m l u n g außerhalb der Reihe. In bezug auf die Abfassungszeit ergibt eine Muster u n g lediglich die Bestätigung der bündigen B e h a u p t u n g des Dona-
Ergebnis
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tus: triennio Bucolica perfecit. Der geschichtliche Hintergrund von I ist der Ausbruch der perusinischen Unruhen (41), der von IV deren Beendigung (40), der von V I I I Poilios Triumph (39). Über das J a h r 39 hinabzugehen bieten die Lieder so wenig Anlaß wie zur Annahme einer zweiten Redaktion. Das sollte man namentlich f ü r Würdigung von X im Auge behalten, dessen Verständnis unmöglich wird, wenn Dinge herbeigezogen werden, die sich anderthalb Jahrzehnte später ereignet haben.
Anhang
Asinius Pollio Asinius Pollio, dem Virgil die Anregung zur Bukolik verdankt, ist als Gönner der Dichter weitaus nicht so volkstümlich wie Mäzen, überragt ihn aber an Erfahrung, Wissen, Weite des Blicks und Umfang seiner öffentlichen Tätigkeit. Schon dem Diktator Cäsar steht er nahe und ist ein gern gesehener Gast in seinen Hauptquartieren. Seit Ende 43 verwaltet er die Provinz Gallien jenseits des Po und leitet hier in Antonius' Auftrag die Äckeranweisungen an die Veteranen. Hierbei lernt er Virgil, der auf seinem väterlichen Gütchen bei Mantua lebt, kennen und schätzen. Nicht lange mehr bleibt Pollio in der großen Politik tätig. Nach seinem Konsulat 40 und nach Niederwerfung eines Aufstandes der dalmatischen Parthiner, die ihm 39 die Ehre des Triumphes einbringt, zieht er sich nach Rom zurück, um hier als Rechtsbeistand vor Gericht und als Mitglied des Senats zwar auch weiterhin öffentlich zu wirken, vornehmlich aber, um seinen schriftstellerischen Neigungen und den Künsten und Wissenschaften zu leben. Er begründet hier die erste öffentliche Bibliothek, bringt die monumenta Pollionis, eine Auswahl bedeutender Werke der Plastik, zusammen und läßt sich die Ausgestaltung der collegia poetarum, der literarischen und Leseklubs, angelegen sein, in denen sich Dichter, Kritiker, Geschichtschreiber, Philosophen und hohe Beamte zu gegenseitiger Förderung zusammenfinden. Das wichtigste Zeugnis über die spätere Tätigkeit Pollios verdanken wir Horaz, der ihm das zweite Buch seiner Oden in folgenden Strophen des ersten Liedes zueignet: Der Bürger Unruhn seit dem Metellusjahr, Des Krieges Anlaß, Fehler und wechselnd Glück,
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Anhang: Asinius Pollio
Des Schicksals Spiel, die folgenschweren Bündnisse Großer, der Römer Waffen, Getränkt in Strömen Blutes, noch ungesühnt, Ein Werk erfüllt von fährlichem Würfelspiel, Schreibst du, hinschreitend über Gluten, Leicht nur versteckt unter tückscher Asche. Ein Weilchen mag die Muse des Trauerspiels Der Bühne fern sein. Dann, wenn des Vaterlands Geschick du dargelegt, sing wieder Attischen Spieles erhabene Weisen, Der Angeklagten Schützer du vor Gericht, Hort des Senats du, Pollio, klug im Rat, Dem um die Stirn den Heldenlorbeer Wand des dalmatischen Siegs Triumphzug.
T r e n d e l e n b u r g , Virgils Undliche Dichtungen.
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Vom Landbau Buch I Ackerbau Wobei Saaten gedeihn, welch Stern dem Wenden der Scholle Günstig, Mäzen, wanns Zeit, zu ziehn an Ulmen die Reben, Wie zu sorgen fürs Rind, das Kleinvieh wie zu behandeln, Was für Erfahrung nützt dem Haushalt sparsamer Bienen, Hiervon singen ich will. Ihr, strahlende Leuchten des Weltalls, Die das gleitende Jahr ihr führt durch himmlische Räume; Bacchus und gütige Ceres, ihr, die den Acker ihr lehrtet Ähren zu tragen als Frucht anstatt chaonischer Eicheln Und acheloischem Naß den Wein zur Mischuug erfandet; Auch ihr Faune, die nah ihr seid als Götter dem Landmann, Setzet den Fuß hierher zugleich mit den Nymphen der Bäume: Euere Gaben ich sing; Neptun erscheine, des Dreizack Aus dem gespaltenen Fels sich schuf das erste der Rosse. Komm auch, Hüter des Hains, für den sich schneeige Stiere Laben zu Hunderten gleich an Keas saftigen Hecken. Pan auch, Wächter der Schafe, verlaß die heimischen Triften, Laß das lykäische Tal, ist dir dein Mänala teuer, Steh, Tegeäer, mir bei; des Ölbaums Hort auch, Minerva, Gnädig erschein; du, Knabe, der Pflugschar Meister, der krummen; Du Silvan, in der Hand den Setzling deiner Zypresse, Götter und Göttinnen all, die Schutz ihr Feldern gewähret, Früchte dem Boden entlockt ohn jeglichen Samen, auf Saaten Ausgießt reichliches Naß- vom alles erquickenden Himmel. Aber auch du, Cäsar! Wer kennt die Götterversammlung, Die bald küren dich wird, magst Städten als Hort du dich nahen,
Q I Ackerbau 1—62
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Magst du walten des Lands, mag dich empfangen der Erdkreis Als den Spender der Frucht, als Herrn des Witterungswechsels Und dir kränzen die Stirn mit Myrtengewinden der Mutter; Oder erscheinst als Herr du der See, des Walten die Schiffer Einzig verehren fortan, dem dient das äußerste Thüle, Den um ihr feuchtes Gebiet sich Tethys kaufet als Eidam; Magst als ein Sternbild neu dich ein du fügen dem Tierkreis: Zwischen Erigone dort und hier den folgenden Scheren Bietet sich Platz; zieht ein vor dir die glühenden Fänge Doch schon selber der Krebs, läßt Raum dir mehr als du brauchest. Was auch immer du wirst — nicht hofft auf dich ja der Orkus, Noch auch trage du selbst nach ihm ein grauses Verlangen, Zollt elysischer Flur gleich seine Bewunderung Hellas, Folgt auch, zurück ersehnt, Proserpina nimmer der Mutter —, Gib mir glückliche Fahrt, nick zu dem kühnen Beginnen, Weise mit mir den Weg aus Mitleid törichten Bauern Und dich gewöhn schon jetzt, dem Ruf der Gelübde zu folgen. Wann der frostige Schnee wegtaut vom weißen Gebirge Und sich erschließt im Lenz die lockere Scholle dem Zephyr, Fang gleich an zu stöhnen der Stier am knirschenden Pfluge Und vom Sande geputzt erglänz von neuem die Pflugschar. Erst die Saat den Wünschen entspricht des tüchtigen Landmanns, Die zweimal im Jahr so Sonne wie Frost hat erfahren; Erst ihr reicher Ertrag sprengt wirklich die Wände der Scheuern. Ehe jedoch der Pflug aufwühlt den verschlossenen Acker, Gilts der Winde, des Klimas Art gut kennenzulernen, Auch was heimischer Brauch und wie des Ackers Vermögen, Was an Früchten der Landstrich trägt, zu tragen sich weigert. Hier Kornsaaten erfreun, dort Wein sich besser entwickelt, Anderswo Baumfrüchte gedeihn, grünt selber der Rasen. Siehest du nicht, wie schickt wohlriechenden Safran der Tmolus, Indien Zahnbeins Weiß, Weihrauch die weichen Sabäer, Eisen der Chalyber nackt, den brünstigen Moschus der Pontus, Doch Epirus den Preis eleischer Stuten erzeuget? Gleich anfangs aufzwang als Linderung solche Gesetze Seine Natur dem Ort, seitdem Deukalion Steine Hinter sich warf und Leben verlieh dem entvölkerten Erdkreis. 4*
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G I Ackerbau 63—99
Draus wards harte Geschlecht der Sterblichen. Fettes Gelände Also sofort stürz um beim Jahresbeginne mit Stieren, Laß die Schollen dann ruhn, auf daß im staubigen Sommer Ganz sie werden durchkocht vom Hauch der glühenden Sonne. Doch ist mager das Land, reicht aus Aufwerfen der Erde Beim Arkturaufgang in flach einschneidenden Furchen: Dort, daß nimmer erdrück Unkraut die fröhlichen Saaten, Hier, daß winzigstes Naß selbst schlürf der dürstende Boden. Hast die Frucht du gewählt, dann laß abwechselnd das Brachfeld Feiern, damit in Ruh Kraft sammle von neuem der Acker, Oder du säst zu verschiedener Zeit drauf gelblichen Dinkel, Da wo früher du zogst dir Schoten in klappernder Schale, Oder der schmächtigen Wicke Gewächs, der herben Lupine Leicht zerbrechlichen Halm, der dicht sich dränget zu Büschen. Leinsaat dörret das Feld, ausdörrt der Hafer den Boden, Auch Mohn dörret ihn aus, der Born lethäischen Schlafes. Wechsele! Dann auch sie nicht schaden, nur bringe du Dünger Viel aufs magere Feld und streu von schmutziger Asche Reichliche Mengen darauf, wenns sich im Tragen erschöpft hat. Auch so ruhen bei wechselnder Saat sich aus die Gefilde, Und auch feierndes Feld erzielt inzwischen Erträge. Oftmals nützet es auch, unfruchtbar Land zu befeuern Und in prasselnder Glut aufgehn zu lassen die Stoppeln: Seis daß heimliche Kraft, seis auch daß fettere Nahrung Draus es gewinnt; seis daß der Glut aufsaugende Hitze Jedes Gebrest ihm nimmt und schädliche Nässe verjaget, Auch mehr Spalten erschließt und so Luftzüge vermittelt, Durch die leichter der Saft aufsteigt in grünende Triebe; Seis daß härter es wird, sich zuziehn klaffende Gänge, Daß nicht Regen zu viel, zu viel nicht glühende Sonne Einzudringen vermag, noch des Frosts zermürbende Kräfte. Viel auch nützet dem Land, wer selbst die müßigen Schollen Mit dem Karste zerschlägt, gleichmacht mit weidener Egge: Auf ihn gnädigen Blicks schaut Ceres dann vom Olympus. Auch der nützt, der die Rücken des Felds, die das Pflügen hervorruft, Wieder durchbricht mit dem Pflug und in die Furchen zurückwirft, Oft den Acker durchwühlt, ihm aufzwingt seine Befehle.
G I Ackerbau 100—136
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Fleht im Sommer um Regen, im Winter um heitere Tage, Ackerer ihr! Des Winterstaubs sich freuet der Dinkel, Freut sich das Feld: nicht Ackern ist schuld, daß herrlicher Ernten Rühmen sich Mysien darf, auch anstaun Gargara seine. W a s erst sag ich von dem, der nach dem Säen die Felder Fleißig besucht, die Haufen zerschlägt des fettigen Lehmes, Wasser der Saat zuführt in willig folgenden Bächen, Und auf glühendem Land, wenn schier die Kräuter verschmachten, Von der Höhe des Querkanals läßt springen die Fluten? Fallend entlocken dem glatten Gestein sie murmelndes Rauschen, Wahren die durstige Flur mit sprudelndem Naß vor Verschmachten. Was von dem, der die Halme dadurch vorm Lagern bewahret, Daß er die wuchernde Saat gleich läßt abweiden von Herden, Wann sie grade mit Grün die Furchen erfüllt; der des Sumpfes Allzuüppiges Naß entzieht dem durstigen S a n d e ? Dann zumal, wenn der schwellende Fluß im Spät- oder F r ü h j a h r Austritt über den Rand, mit Schlamm die Fluren bedecket Und läßt Lachen zurück, die Dunst im Sommer verbreiten. Aber so sehr auch Mensch und Tier sich mühen, zu wenden Arbeitsam das Land, verderben gefräßige Gänse, Strymons Kraniche viel, der Cichorie bittere Wurzeln, Viel auch Schatten allein. Es wollt ja Juppiter selber, Daß des Landbaus Mühe nicht leicht. Drum lehrt er bewegen Künstlich das Land, trieb an durch Sorge die menschlichen Herzen, Litt nicht, daß s e i n Reich im Nichtstun schmählich erstarre. Vor ihm brauchte der Mensch das Erdreich nicht zu bebauen, Auch Grenzsteine nicht gabs, kein Rain noch trennte die Fluren: Was man erwarb, war alles Gemeingut; selber der Acker Trug, was brauchte der Mensch, ohn daß ihm einer es abzwang. Juppiter erst gab mit Giftzähne den schädlichen Schlangen, Hieß ausgehen auf Raub den Wolf, aufwallen die Meere, Nahm den tauigen Honig dem Baum, entrückte das Feuer, Ließ vom Wein nichts mehr mitströmen im Wasser des Baches, Daß Nachsinnen und Not erfinde verschiedene Künste, Daß dran denke der Mensch, durch den Pflug sich Nahrung zu schaffen, Aus dem Kiesel heraus zu schlagen das schlummernde Feuer. Damals zuerst empfand der Fluß die Lasten der Schiffe,
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G I Ackerbau 137—173
Damals zuerst der Schiffer benannte und zählte die Sterne Als Plejaden, Hyaden, Lykäons strahlende Bärin; Damals zuerst man fing das Wild mit Schlingen und Vögel Mit Leimruten, umzog das Tal mit spürenden Rüden. Jener den breiteren Fluß schon schlug mit klatschendem Wurfnetz, Fahrend zur Mitte hinaus; der zog im Meere das Fangnetz. Damals kam das Beil in Gebrauch, die Zähne der Säge — Vordem spaltete man mit hölzernen Keilen die Stämme —, Fand sich das Handwerk ein. Rastlos siegt immer die Mühe, Siegt die drückende Not und hilft aus mißlicher Lage. Ceres lehrte zuerst mit dem Pflug umstürzen den Acker, Als an Eicheln bereits und Erdbeersträuchen es fehlte, Als Dodonas heiliger Hain die Nahrung versagte. Bald auch forderte Mühe die Feldfrucht: Rost das Getreide Anfraß und weithin das Feld die Distel bedeckte. Gehn die Saaten zugrund, an Raum die Wälder gewinnen, Kletten und stachlicher Dorn, und zwischen den fröhlichen Ähren Macht unseliger Lolch sich breit und trüglicher Hafer. Gehst du dem Unkraut nicht mit Karst und Hacke zu Leibe, Schreckst die Vögel du nicht durch Lärm und lichtest das Laubwerk Nicht auf beschattetem Land, sorgst nicht durch Gebete für Regen, Wirst vergeblich du schaun auf des Nachbarn reichere Fülle Und den Hunger im Wald durch Schütteln der Eichen bekämpfen. Welche G e r ä t e sind not dem hart arbeitenden Landmann, Die das Säen verlangt und auch die Pflege der S a a t e n ? Erstlich die Pflugschar, dann des Pflugs schwer wiegendes Krummholz, Dann eleusisch Gefährt mit mühsam gleitenden Rädern, Dann Dreschwagen und -walzen, des Karsts mehrzinkige Waffe, Weiter geflochtnes Gerät, des Keleos billiger H a u s r a t : Eggen aus Erdbeerbaum und Jacchus' mystische Schwinge, All dies Dinge, die lange vorher dir wirst du besorgen, Willst als trefflicher Wirt du jemals Lobes dich freuen. Gleich im Walde man zwingt durch kräftiges Krümmen die Rüster Zum Krummholz, dem festen Gerüst des gebogenen Pfluges. Vorn die Deichsel daran springt acht Fuß vor von dem Stamme, Zwei Paar Ohren es hat und der Pflugschar doppelte Schaufel. Vorn f ü r das Joch man wählt die leichtere Linde; die Buche
G I
Ackerbau 174—211
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Liefert den Sterz, mit dem von hinten man drückt auf die Räder. Sein Holz prüfe der Rauch, obs fest und rissebeständig. Viel Vorschriften noch könnt ich dir von den Alten berichten, Sträubte sich nicht dein Sinn, so Kleinliches kennenzulernen. Ebne die T e n n e zunächst dir ein mit wuchtiger Walze, Knet sie tüchtig zurecht, dicht sie mit klebrigem Tone, Daß sie nicht U n k r a u t trag noch Staub sich bilde durch Risse. Vielfach Schaden ihr d r o h t : oft baut die winzige Feldmaus Vorratskammer und Haus sich hier tief unter der Erde, Oder der Maulwurf gräbt, der blinde, sich Lager und Gänge; Auch die Kröte hier haust und andere widrige Wesen, Die der Boden erzeugt; der Kornwurm mindert den Vorrat, Auch Ameisen sich holen davon: fürs Alter sie sorgen. Achte darauf, ob stark die Mandeln treiben in Blüten, So daß unter der Last die Zweige sich scheinen zu krümmen: Haben die Blüten das Übergewicht, folgt auch das Getreide Und bei des Sommers Glut gibts dann ein tüchtiges Dreschen. Hat bei wucherndem Laub der Schatten zu stark sich erwiesen, Müht an den Halmen, zu reich an Spreu, sich die Tenne vergeblich. Oft den S a m e n ich sah, um ihn triebkräftig zu machen, In Salpeter eintun, mit Ölschaum tüchtig begießen, Daß in der Hülse Versteck sich stark entwickeln die Körner, Recht schnell werden auch weich ja selbst bei kleinerem Feuer. Trotzdem sah ich sie doch, wenn noch so gründlich verlesen, Schnell verkümmern, sobald nachließ die Mühe, zu suchen Jährlich die größten heraus mit der Hand. So will es das Schicksal, Daß, überlassen sich selbst, zurückgeht jede Naturkraft, Grade so wie den Kahn, den Ruderer kräftig getrieben Flußaufwärts, läßt nach die K r a f t der treibenden Arme, Jählings wieder zurück des Flußbetts Strömungen tragen. Zudem müssen auch wir des Fuhrmanns Sterne beachten, Auch die Tage der Böckchen und die der leuchtenden Schlange, Wie der tut, der heimwärts will an stürmischen Tagen, Wenn er den Pontus befährt und den Austernsund von Abydus. Hat dem Tage die Nacht ganz gleich die Wage bemessen, Licht und Dunkel auch gleich am Himmelsdome verteilet, Plagt, Landleute, den Stier und besät mit Gerste die Felder, Bis am kürzesten Tag Feldarbeit hindert der Regen.
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G I Ackerbau 211—249
Dann auch ists an der Zeit, den Flachs in den Boden zu bringen, Samt der Ceres heiligem Mohn, auch iiberzupflügen Gleich das Land, wenns trocken noch ist, fest hängen die Wolken. Bohnen im Frühling setz; auch dich, Luzerne, die Furche Dann aufnimmt am besten; die jährliche Sorge f ü r Hirse Kommt, wenn der glänzende Stier das J a h r mit goldenen Hörnern Öffnet, der Hundsstern weicht, vor ihm vom Himmel verschwindet. Willst du Weizen jedoch und wetterbeständigem Dinkel Vorarbeiten im Land und bloß auf Ähren es absehn, Laß in der Früh sich bergen vorher die Töchter des Atlas Und den feurigen Stern entweichen der gnosischen Krone, Eh den Samen du läßt empfangen die harrende Furche Und die Hoffnung des J a h r s aufzwingst unwilligem Boden. Viele beginnen damit, eh Maja sinket, doch narrt sie Statt der erwarteten Saat sehr oft nichtsnutziger Hafer. Wenn du Wicken bestellst, Saubohnen, die billigen, ziehest Und auch nicht die Zucht pelusinischer Linsen verschmähest, Gibt dir schwindend Arktur dazu das deutliche Zeichen: Dann du beginn, dehn aus die Saat bis hin in die Schneezeit. Darum zerlegt gleichmäßig das J a h r die goldene Sonne Und durchmißt ihre Bahn durch die zwölf Zeichen des Kreises. In fünf Zonen der Himmel zerfällt: die mittlere schmachtet Stets in sonniger Glut und verdorrt in sengender Hitze. Um sie ziehen sich hin zur äußersten Rechten und Linken Neblige zwei, von Eis und dunkelem Regen erstarret. Zwischen den äußersten dort und der mittleren ließ uns geplagten Menschen die Gottheit zwei; die Bahn der Sonne durchschneidet Beide zugleich, auf der die Tierkreisbilder sich ordnen. Wie das Himmelsgewölb aufsteigt zu Ripäen und Skythen, Wirds nach Süden gedrückt hinab zu den libyschen Fluren. Hoch überragt uns stets der Nordpol; aber den Südpol Sieht sich zu Füßen die Styx, ihn sehn die Manen der Tiefe. In buchtreichem Gewind zieht hier der mächtige Drache Gleich einem Flusse sich hin und fließt durch beide der Bären, Die sich immer gescheut, in des Weltmeers Fluten zu tauchen. Dort herrscht immer, so heißts, der Nacht unendliches Schweigen, Dort verdichten sich stets des Dunkels ewige Schatten, Wenn nicht von uns hinkommt Aurora, dem Tage zu leuchten.
Q 1 Ackerbau 250—287
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Während der Morgen zuerst uns grüßt mit schnaubenden Rossen, Zündet sein Licht dort an erst spät das Glühen des Abends. Hieraus läßt bei schwankender Luft sichs W e t t e r bestimmen, Hieraus lernen die Zeit, die recht f ü r Säen und Ernten, Recht, ums tückische Meer sorglos mit Rudern zu schlagen, Recht, ins Wasser zu ziehn vom Land die bewaffneten Kiele, Recht, zu fällen im Wald als Bauholz fichtene Stämme. Nicht wir achten umsonst aufs Kommen und Gehn der Gestirne, Nicht auf die Zeiten umsonst, die vier des gegliederten Jahres. B a n n t den Bauer ans Haus manchmal ein frostiger Regen, Gibts viel, was überstürzen man müßt bei heiterem Himmel, Vorzubereiten daheim: man schärft die Schneide der Pflugschar, Die durch steten Gebrauch stumpf wird, höhlt Bäume für Tröge, Brennt ein Marken dem Vieh, drückt auf Kornhaufen die Zahlen. Auch Stützpfähle man spitzt, zweizinkige Gabeln f ü r Reben, Macht auch Bänder zurecht für Wein aus passenden Weiden. J e t z t aus Brombeerrankengeflecht herstelle man Körbe, J e t z t man dörre das Korn, ums auf dem Steine zu quetschen. An Festtagen sogar läßt Brauch und göttliche Satzung Abtun manches Geschäft: das Feld durch Gräben zu trocknen Hemmt kein göttlicher Spruch, auch Saat durch Dornen zu schützen, Vögel zu fangen mit Leim, in Brand zu stecken die Disteln, Schafe zu treiben ins Land, gilts fernzuhalten die Räude. Oft Ölfrucht auflädt dem lässigen Esel der Treiber, Auch wohl billiges Obst; dafür löst ein er als Rückfracht Wieder geschärft den Stein und Pech zum Pichen der Tonnen. Luna von selbst macht Tage geschickt in wechselnder Folge Zu Vornahmen im Feld. Doch meide die f ü n f t e ! Geburtstag Haben die Huldinnen dann und Pluto. Gräuliche Söhne Tellus damals gebar: Typhöeus, Iäpetus, Köus, Auch die Brüder, die sich verschworen, den Himmel zu stürmen. Suchten sie dreimal doch, auf Pelion Ossa zu stülpen Und den belaubten Olymp auch noch auf Ossa zu wälzen. Dreimal warf auseinander der Blitz den riesigen Turmbau. Die siebzehnte sich eignet durchaus, die Rebe zu setzen, Einzuspannen ins Joch den Stier, in den Zettel den Einschlag. Flucht die neunte beschützt, dem Diebstahl zeigt sie sich feindlich. Viel in kühlerer Nacht sogar geht besser von statten
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G I
Ackerbau 288—324
Oder wenn morgens Tau mit erneuerter Sonne herabträuft. Besser sich mähn bei Nacht die Stoppeln, die trockenen Wiesen, Da dann nimmer es fehlt an schmeidig machender Feuchte. Mancher die Nacht durchwacht im Winter bei später Beleuchtung, Wozu den Kien er spitzt mit des Eisens schneidender Schärfe, Während die Gattin indes mit Gesang die Zeit sich verkürzet, Wenn am Aufzug sie durchführt das klingende Schiffchen Oder am Herd abkocht den Saft des süßlichen Mostes Oder mit Laub den Wein abschäumt im wallenden Kessel. Doch auch Getreide man mäht, wenns reif ist, mitten im Sommer, Um die gedörrete Frucht gleich auf der Tenne zu dreschen. Halbnackt pflüg und sä; in Ruhe verlebst du den Winter. Während der Kälte genießt der Landmann meist das Erworbne, Miteinander begeht er dann die frohen Gelage; Denn die Sorgen benimmt und lädt zu Festen der Winter, Gleich als hätten berührt schon damals Schiffe den Hafen, Voll von Fracht, die Spiegel bekränzt von fröhlicher Mannschaft. Dann ists auch an der Zeit, im Wald sich Eicheln zu sammeln, Beeren des Lorbeerbaums, Ölfrucht und rötliche Myrte, Fallen zu stellen dem Kranich unds Netz dem Hirsche, zu jagen Den langohrigen Hasen, die Gemse zu treffen, die schnelle, Mit dem Blei, das die Hanfschnur schickt balearischer Schleuder, Wann der Schnee sich häuft und Eisgang herrschet auf Flüssen. Was soll sagen ich noch von des Herbsts Unbilden und Sternen, Was, wenn kürzer der Tag und schon Spätsommer sich nahet, Fordert des Landmanns Acht, der Lenz mit Güssen davoneilt, Da schon starret das Feld von hoch aufschießenden Ähren Und von milchigem Saft schon schwillt das grünende Fruchtkorn. Oftmals, wenn aufs reife Gefild den Schnitter der Landwirt Aussandt und vom schwächlichen Halm die Gerste schon abnahm, Hab ich Winde gewahrt zum Kampf losgehn aufeinander, Der die Saat, fruchtschwer, losriß von innerster Wurzel Und aufjagte vom Grund. So würd in dunkelem Wirbel Mit sich Stoppel und Halm durch die Luft forttragen der Sturmwind. Oft auch ziehen herauf Heersäulen von Wasser am Himmel; Zum Unwetter sie ballt zusammen die schwärzliche Wolke, Die vom Meere sich nährt. Jach stürzt zur Erde der Äther,
G I Ackerbau 325—362
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Spült die fröhliche Saat mit fort, der Rinder Bemühen, In unendlichem Guß; sich füllen die Gräben und Flüsse Unter Getös, dumpf braust die See mit schäumenden Wogen. Jetzt in des Wetters Nacht da wirft mit flammender Rechten Juppiter Blitze herab und macht durch Donnergetöse Beben der Erde Gefüg; das Wild flieht, menschliche Herzen Drückt stammweis unwürdige Furcht; die Feuergeschosse Treffen der Rhodope, Athos' Haupt, die keraunischen Klippen; Sturm setzt ein mit doppelter Wucht, dicht hageln die Tropfen, Bald sie peitschen den Wald, bald wieder das Meeresgestade. Hiervor besorgt gib acht auf den Mond, die Sterne des Himmels, Wohin zurück sich zieht das frostige Licht des Saturnus, Wie seine Bahn durchmißt das kyllenische Leuchten am Himmel. Ehre die Götter zuerst, bring fromm die jährlichen Opfer Ceres, der mächtigen, dar, auf grünendem Anger beschäftigt, Gegen des Winters Schluß, wenn schon sich heitert der Frühling. Dann sind die Lämmer dir fett, dann sind am besten die Weine, Dann ist lieblich der Schlaf, dann dicht in den Bergen der Schatten. All dein ländliches Volk soll Ceres innig verehren; Ihr den Honig verdünn durch Milch und mildeste Weine. Dreimal führ um die Saat im festlichen Zuge das Opfer; Ihm das ganze Gefolg sich anschließ unter Gebeten, Das mit Rufen ins Haus einlade die Göttin; und niemand Leg ans reife Getreide vorher die Schärfe der Sichel, Als bis er, die Schläfen bekränzt mit Eichengewinden, Froh die Glieder gewiegt beim Lied im ländlichen Tanze. Daß wir all dies könnten ersehn aus sicheren Zeichen: Hitze, des Regens Schwall, die Frost mitbringenden Böen, Hat der Vater bestimmt, was der Mond allmonatlich lehre, Bei welch Zeichen sich lege der Wind, was diene zur Mahnung Oft den Hirten, das Vieh in der Näh des Stalles zu halten. Gleich wenn Wind sich erhebt, fängt an entweder des Meeres Fläche zu schwellen gepeitscht; man hört von den Höhen der Berge Knacken im trockenen Holz, das splittert, oder das Ufer Hallt vom Wogengebraus, im Hain sich mehret das Rauschen. Kaum noch dann sich enthält der gebogenen Kiele die Woge, Wann aus der Mitte des Meeres rückkehrt in Eile der Taucher Und mit Krächzen erfüllt den Seestrand, wann auf dem Trocknen
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G I Ackerbau 363—399
Sich das Bläßhuhn t u m m e l t , der Reiher die t r a u t e n Moräste Lässet im Stich und steil überfliegt das hohe Gewölke. O f t auch Sterne du siehst, wenn S t u r m w i n d drohet, vom Himmel Jählings gleiten herab und ziehn durchs nächtliche Dunkel Hinter sich her den Schweif in hellweiß schimmerndem Lichte. O f t auch fliegen du siehst die Spreu, die fallenden Blätter, O f t auf dem Spiegel des Meers auch tanzen die schwimmenden Federn. W a n n es blitzt auf Seite des Nords, des Süd- und des Westwinds W o h n u n g vom Donner erdröhnt, d a n n schwimmt bei strömenden Gräben Rings des Ackers Gefild, auf See d a n n jeglicher Schiffer Triefend die Leinwand rafft. Eh losbricht Regen und Wetter, Wirst vorher du gewarnt. Vor ihm sich flüchtet der Kranich Tief zur Scholle des Tals, mit weitaufstehenden Nüstern Hascht, hoch hebend den Kopf, nach Luft die Färse beklommen, Wild umflattert in Angst den Teich die Schwalbe mit Zwitschern, Und hohl singen im Sumpf ihr Klaglied ewig die Frösche. Auch Ameisen heraus aus sicherem Baue mit Eiern Flüchten auf winzigem P f a d , einsaugt der mächtige Bogen Gierig das Naß, von der Atzung k o m m t in dichtesten Schwärmen An von Raben ein Heer und erregt die Luft mit den Schwingen. J e t z t die Vögel des Meers und die der asischen Wiesen, Die des Kaysters Seen, die süßen, nach Beute durchsuchen, Gießen sich reichliches N a ß wetteifernd über die Schultern, Bald sie stecken den Kopf in die Flut, bald unter sie tauchen, Alle vom Streben beseelt — umsonst — sich t ü c h t i g zu waschen. J e t z t mit lautem Gekrächz r u f t dreist die Krähe nach Regen Und einsam f ü r sich sie s t a p f t im durstigen Sande. Selbst die Mägde bei N a c h t , sind sie mit Spinnen beschäftigt, Ahnen den S t u r m vorher, wenn auf der irdenen Lampe Sehn sie spritzen das Öl, den Docht sich ballen zu Schnuppen. Ebensogut k a n n s t du das sonnige, heitere W e t t e r S e h n bei Regen voraus und an sicheren Zeichen erkennen: Denn d a n n scheint nicht geschwächt das Licht der glitzernden Sterne, L u n a nicht abzuhängen vom Strahl der stärkeren Sonne, Dann a m Himmel nicht zieht das leichte Gewölke der Schäfchen Dann dem wärmenden Strahl Eisvögel, der Thetis Geliebte, Nicht die Schwingen entfalten, und nicht d r a n denken die Schweine,
G I Ackerbau 400—436
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Durchzuwühlen die Bündel des Heus mit schmutzigen Schnauzen. Tiefere Stellen sich sucht der Nebel und lagert am Boden, Und vom Firste des Dachs im Schein der scheidenden Sonne Übt sich späten Gesangs umsonst in Klagen das Käuzchen. Nisus in flüssiger Luft hoch jetzt am Himmel sich zeiget, Skylla die Buße bezahlt ihm f ü r die purpurne Locke: Wohin immer sie flieht und den Äther schneidet auf Schwingen, Sieh, mit großem Geräusch durch die Luft der trotzige Gegner Nisus ihr folgt; und wo sich dieser erhebt in die Lüfte, Eilig sie fliehend durchmißt den flüssigen Äther auf Schwingen. J e t z t hellklingender Ton entströmt der Kehle der Raben, Drei-, viermal wiederholt, und oft am luftigen Neste Schreien sie, neu vom Reize gepackt des fröhlichen Daseins, Durcheinander im Laub; sie freuts, ists Wetter vorüber, Wieder die Jungen zu sehn, ins Nest, das liebe, zu kehren: Nicht, wie glauben ich möcht, weil geistige Kräfte die Gottheit Ihnen verlieh und das Schicksal Sinn für kommende Dinge, Sondern weil, wenns Wetter, des Himmels rührige Feuchte Ändert die Bahn und Juppiter naß durch südliche Winde Dichtet, was eben noch dünn, und verdünnt, was eben noch dicht war, Auch Empfindungen gleich und um die Stimmungen schlagen, J e nachdem aufklaret die Luft oder Wolken sich türmen. Daher rührt der Gesang der gefiederten Chöre des Haines, R ü h r t der Herden Geblök, das muntere Krächzen der Raben. Fragst du die Sonne jedoch, den pünktlichst wechselnden Mondlauf Wird der morgige Tag dich niemals täuschen, die Tücken Werden der heiteren Nacht dich niemals plötzlich umgarnen. Wenn der Mond, dem eben aufs neu rückkehret das Leuchten,, Dicht sein Horn einhüllt in den Dunsthof schwärzlichen Äthers, Drohn Platzregen von größter Gewalt so Bauern wie Schiffern. Gießt sich über sein Antlitz aus jungfräuliche Röte, Rechne mit Wind; bei Wind wird rot die goldene Phöbe. Fährt beim vierten Erscheinen jedoch — das sicherste Merkmal! — Klar am Himmel sie hin, und nicht sich dunkelt die Sichel, Wird nicht jener allein, nein, auch die folgenden Tage Bis zum Ende des Monds frei sein von Regen und Winden, Werden, gerettet aus Not, sich Schiffer befrein von Gelübden,.
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Q I Ackerbau 437—474
Dankbar Pänope, Glaukus, der Ino Sohn Melikertes. Auch die Sonne dir Weisung gibt, nicht minder im Aufgang, Wie wenn sie sinkt; stets hat im Gefolg sie sicherste Zeichen, Die sie morgens begleiten, doch auch, wenn Sterne schon funkeln. Wenn unrein sie den Aufgang zeigt, mit Flecken betupfet, Halb in Wolken versteckt, die Mitte der Scheibe verdunkelt, Rechnen auf Regen du magst: vom Meer andränget der Südwind, Der den Bäumen nicht hold, auch Vieh und Saaten gefährdet. Brechen vor Aufgang sich bei dichtem Gewölke die Strahlen In vielfarbigem Licht, erhebt Aurora sich farblos Und steigt bleich empor vom safranfarbenen Lager, Kann kaum schützen dann noch die saftigen Trauben das Reblaub Vor des Hagels Gewalt, der drauf sich prasselnd entladet. Mehr noch nützen es wird, wenn du beim Scheiden der Sonne Dessen gedenken du magst; denn oftmals wir es erleben, Daß auf ihrem Gesicht verschiedene Farben sich zeigen: Blau tut Regen uns kund, den Südwind feurige Röte; Mischen die Flecken sich gar zugleich mit flammendem Feuer, Alles du siehst gleichmäßig bedroht von Wolken und Winden. Niemand könnte mich dann das Meer zu befahren bereden, Keiner, am sicheren Strand dem Schiff zu lösen die Taue. Doch ist leuchtend der Kreis, wenn früh den Tag sie beginnet, Spät ihn führet hinab, laß nicht durch Regen dich schrecken; Denn in klärendem Nord siehst bald du wogen die Wälder. Kurz, was der Abend bringt, woher die heiteren Wolken Führet der Wind herauf, was sinnt der nässende Südwind, Zeigt die Sonne dir an. Wer wollt sie trügerisch schelten? Oft auch mahnt sie daran, daß Aufruhrs Toben bevorsteht, Daß zu fürchten Verrat und Ausbruch heimlicher Kämpfe. Auch als Cäsar erdolcht, mit Rom mitleidig sie fühlte; Denn ihr strahlendes Haupt sie tief in Dunkel verhüllte, Daß vor ewiger Nacht die damals Lebenden graute. Freilich auch Erd und Meer damals nicht kargten mit Zeichen: Widriges Hundegeheul und gräßliches Kreischen der Vögel Riß nicht ab. Oftmals sahn wir die kyklopischen Essen Bersten, den Ätna weit das bebauete Land überfluten, Ausspein feurige Bäll und flüssig gewordene Steine. Waffengeklirr vernahm Deutschland am Himmelsgewölbe,
G I Ackerbau 475—511
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Schwer der Alpen Granit von dröhnenden Schlägen erbebte. Schrill im Schweigen des Hains man hört allüberall Stimmen Furchtbar; Schattengestalten man sah von grausiger Blässe Oft im Dunkel der Nacht; ja, Sprache bekamen die Herden — Unsagbar! —. Es stockte der Fluß, aufklaffte der Boden, Traurig in Tempeln weinte das Bild, Erzstatuen schwitzten. In unsinniger Flut anschwoll der König der Ströme, Riß Eridanus fort den Wald und über die Fluren Trug er Herden und Stall. Nicht hörten in selbigen Tagen Auf in der Tiere Gedärm sich drohende Fasern zu zeigen, Hörte das Blut nicht auf, aus Brunnen zu quellen, der Wölfe Heulen zur Nachtzeit nicht, hochragende Städte zu schrecken. Häufiger fiel niemals der Blitz aus heiterem Himmel, Häufiger nimmer erschien das Licht der grausen Kometen. Drum sah römische Reihn zweimal mit gleichen Geschossen Sich als Bürger im Kampfe bestehn das eine Philippi, Drum es den Göttern gefiel, zweimal des Hämus Gefilde Und Emathias Flur mit unserm Blute zu düngen. Sicherlich kommt die Zeit, wo grad in jenen Gebieten, Mit dem gebogenen Pflug den Grund aufwühlend, der Bauer Auf Speerspitzen gerät, halb schon vom Roste zerfressen, Oder mit wuchtigem Karst aufschlägt auf ledige Helme, Oder ein Riesengeripp anstaunt in erbrochenen Gräbern. Götter der Heimat ihr! Ihr, Romulus, heilige Vesta, Die den tuskischen Tiber ihr schirmt und Roms Palatinus, Hindert wenigstens nicht, daß beispring unserer Jüngling Jetzt der wankenden Zeit. Längst schon mit unserem Blute Sühnten den Meineid wir des laomedontischen Troja. Längst schon neidet die Himmelsburg dich, Cäsar, uns Armen, Drüber verstimmt, daß du dich sorgst um Triumphe der Menschen, Die das Unrecht machten zum Recht: auf Erden der Kriege Sind, der Verbrechen so viel! Nicht zollt man Ehre dem Pfluge Mehr, brach lieget die Flur, entführt sind ihre Bebauer, Und zum starrenden Schwert man schmilzt zusammen die Sicheln. Hüben auf Krieg drängt hin der Euphrat, drüben die Deutschen, J ä h Verträge man bricht, sich Nachbarstädte bekämpfen, Der ruchloseste Krieg, er macht erbeben den Erdkreis:
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Q I 512—514
G II Baumzucht 1—26
So wächst, stürmten einmal aus der Rennbahn Schranken die Vierer, Mit dem Räume die H a s t ; den machtlos zügelnden Lenker Reißen die Rosse mit fort, nicht folgt ihm fürder der Wagen.
Vom Landbau Buch II Baumzucht Soviel von der Bebauung des Felds, der Sterne Beachtung. Jetzt dich, Bacchus, ich sing, mit dir das waldige Buschwerk, A u c h die Sprossen zugleich des langsam wachsenden Ölbaums. Sei nah, V a t e r der Kelter! Denn hier von deinen Geschenken Alles ist voll: dir prangt im weinlaubträchtigen Herbste Üppig das Land, dir schäumt die traubenbelastete Kufe. Sei nah, V a t e r der Kelter! Befrei von Kothurnen die Beine, Stampfe den Most mit mir, den jungen, und färbe die Füße! Anfangs ist verschieden der W e g im Sprießen der Bäume. Etliche kommen von selbst ohn Z w a n g v o n Seiten der Menschen, Decken das Feld weithin und folgen des Flusses Gewinden, Wie die Sträucher mit weichem Gezweig und die biegsame Ginster, Pappel und Weidengebüsch, graugrün in silbernem Laube. Andere keimen empor aus Samen, der niedergefallen, Wie Kastanien, Eichen, des Juppiter kräftigste Bäume, Jene, die grün stets bleibt, und die da rauschet Orakel. Anderen wieder entsprießt aus Wurzeln massiges Dickicht, Wie den Kirschen und Ulmen. Parnassischer Lorbeer entwickelt Sich aus winzigem Reis im mächtigen Schatten der Mutter. So zu gedeihen N a t u r sie lehrt, so grünen von selber Alle Geschlechter im W a l d , im Busch, im heiligen Haine. Andere W e g e dann gibts, die selbst Erfahrung sich bahnte. Schößlinge jener entnahm den Wurzeln schmeidiger Mütter, Zog in Furchen sie groß; der hier nur Ä s t e versenkte, Vierfach gespaltene Pfählchen und Zweige, die scharf er gespitzet. Andere Bäume v o m S t a m m zur Erde gebogene Senker
G II
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Baumzucht 27—62
Treiben als lebenden Sproß von selbst in eigenem Erdreich. Andre bedürfen der Wurzel nicht erst; vom Gipfel geschnittne Gibt man dem Boden der Mutter zurück, wo weiter sie wachsen. J a , wenn zersägt der Stamm, so treiben — ein Wunder zu sagen! — Trotzdem Wurzeln aus trockenem Holz die Scheite des Ölbaums. Oft auch sehn wir gepfropft das Reis des einen Gewächses Schadlos anderen auf, sehn strotzen von Äpfeln den Birnbaum, Auf Pflaumbäumen auch wohl sich röten die steinige Kirsche. Drum, ihr Bauern, erlernt artweis zu pflegen die Bäume, Macht durch rechte Kultur eßbar die herberen Früchte Und laßt brach nicht liegen das Land. Am Ismarus Reben Aufzuziehen gelingt, am großen Taburnus Oliven. Bleibe mir nah, durchmiß mit mir die begonnene Strecke, Du mein Stolz, Mäzen, des Ruhms mir stärkste der Stützen» Laß auf offenem Meer vom Wind jetzt schwellen die Segel! Nicht ausschöpfen ich will im Lied das gewaltige Thema, Hätt ich Zungen auch viel, auch hundert redende Lippen, Hätte die Stimme von Erz. Auf, mitfahr dicht am Gestade, Immer in Sicht das Land! Mit Erdichtungen nicht ich dich hinzieh, Mit Einleitungen nicht, noch mit abwegigem Umschweif. Was aus eigenem Trieb sich drängt zum Reiche des Lichtes, Ist wohl unfruchtbar, doch frisch und tapfer im Wachsen; Denn des Bodens Natur es treibt. Auch solche Gewächse Lassen von wilderer Art und folgen bei fleißiger Pflege, Pfropft man sie nur und setzt sie bald in lockeres Erdreich, Künstlicher Zucht, wohin man will, in schnellem Gehorsam. Auch ein Wildschoß tuts, am unteren Stamme gewachsen, Doch nur, wenn verpflanzet er wird auf ledigen Boden. Solang ihn der Wipfel, die Zweige der Mutter beschatten, Geht dem Wachsenden ab die Kraft, die Säfte verdorren. Selbst ein Baum, der frisch aufschoß aus kräftigem Samen, Kommt erst mählig dazu, den Enkeln Schatten zu spenden; Schnell entartet die Frucht und vergißt der früheren Säfte, Daß Herlinge nur trägt der Rebstock, Vögeln zur Beute. Alle verlangen unendliche Müh, man muß in die Furche Zwingen sie streng, muß Lohn für ihre Veredelung zahlen. T r e n d e l e n b u r g , Virgils ländliche Dichtungen.
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G II
Baumzucht 63—100
Besser aus Rümpfen der Ölbaum treibt, aus Schößlingen Reben, Doch aus kernigem Stamm der Baum der paphischen Myrte. Haselgebüsch wächst gern aus Setzlingen, minder nicht Eschen, Auch der schattige Stamm der Pappel des Herkuleskranzes, Weiter Dodonas Eiche, dann auch die ragende Palme, Ferner die Tanne, bestimmt, des Meers Unfälle zu kosten. Erdbeerbäume veredelt man leicht durch Reiser der Wallnuß, Unfruchtbare Platanen, sie prangen mit saftigen Äpfeln, Buche Kastanien trägt, mit weißlichen Blüten des Birnbaums Schmücken sich Eschen, es labt mit Eicheln Schweine die Rüster. Einzusetzen das Auge, das Pfropfreis, fordert Gewandtheit. Wo sich drängen hervor inmitten der Rinde die Knospen Und durchbrechen den Bast, da höhlt man grad in dem Knoten Aus ein mäßiges Loch; in dies vom anderen Baume Schließt ein Auge man ein und läßts festwachsen im Baste. Oder man sägt einen Ast glatt ab, bahnt hier sich am Stamme Tief mit Keilen den Weg und drückt das edlere Pfropfreis In die Spalte hinein: nicht lang, so treibt aus dem Stamme Hoch zum Himmel ein Baum empor mit glücklichen Zweigen, Der anstaunt sein edleres Laub, nicht eigene Früchte. Übrigens sind nicht eines Geschlechts die kräftigen Ulmen, Nicht die Weiden, der Lotosbaum, des Ida Zypressen, Nicht nach e i n e r Gestalt die fetten Oliven sich modeln, Die hier eirund sind, dort schmal, dort herber und dicker, Nicht des Alkinous Obst; auch nicht Crustumiums Birnen Gleichen der syrischen Frucht, noch auch den pfündigen Arten. Nicht die Traube so hängt an unsern heimischen Reben, Wie vom mSthymnäischen Zweig aberntet sie Lesbos. Weiß ist thasischer Wein, auch der vom See Mareötis, Dieser für fetteren Boden geschickt, für leichteren jener. Psithia Sekt hergibt, ins Blut geht stark der Lag6os, Der die Beine dereinst schwer macht und fällt auf die Zunge; Purpur-, precischer Wein und, nie zu preisen erschöpfend, Rhätischer; trotzdem du wetteifere nicht mit Falerner! Weiter Aminea Trauben erzeugt, haltbarste von allen; Sich vor ihnen erhebt selbst Tmolier, König Phanäus; Mit der argitischen kann, der kleineren, keiner sich messen, Weder an flüßgem Ertrag noch auch an dauernder Güte.
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Baumzucht 101—137
Nicht dich, Rhodier, will, beim Nachtisch Göttern zu spenden, Ich Übergehn, noch dich, Bumast, Kind strotzender Beeren. Nicht aufzählen sich läßt, wie viel der Arten und Namen, Noch liegt etwas daran, die Zahl für alle zu nennen. Wer gern wissen sie möcht, der könnt in libyscher Wüste Auch nachforschen der Zahl des Sands, der wirbelt im Westwind, Oder, wenn heftiger fegt der Südsturm über die Wogen, Wieviel Wellen den Strand des ionischen Meeres bespülen. Doch nicht jegliches Land hervorbringt jegliche Baumart. Weiden an Flüssen gedeihn und Erlen an fetten Morästen, Eschen sich suchen jedoch unfruchtbar felsige Rücken. Myrten verschönen den Strand, es liebt die sonnigen Höhen Bacchus zumeist, Nordwind zusagt den kühleren Eiben. Auch am äußersten Rand den Erdkreis siehst du gebändigt, östlich der Araber Land, die bunt tätowierten Gelonen. Eigenes Heim hat jeglicher Baum. Nur Indien Schwarzholz Trägt, nur Sabäer sich freun des Weihrauchs duftiger Rute. Soll ich sagen denn noch vom Geruch der Rinde, die Balsam Ausschwitzt, oder dem Harz des allzeit grünen Akanthus, Vom äthiopischen Hain, der grau von blühender Wolle, Von dem zarten Gespinnst, das kämmen vom Blatte die Serer, Oder vom Wald, den Indien trägt dem Ozean näher Draußen am Ende der Welt, wo kein Pfeil irgend erreichen Kann im Fluge die Höh der luftigen Wipfel der Bäume? Und grad dort ists Volk nicht träg im Schnellen der Pfeile. Medien nährt den beißenden Saft und bleibenden Nachschmack Jener so glücklichen Frucht, die sich als Mittel bewähret, Wenn Stiefmütter im Zorn den lieblichen Becher vergiften Mit vielschädlichem Kraut und unter verderblichen Formeln. Dann zu Hilfe sie kommt und befreit den Körper vom Giftstoff, Selbst ein gewaltiger Baum, an Aussehen ähnlich dem Lorbeer. Hauchte nicht anderen Duft er aus, weithin ihn verbreitend, Gält er als Lorbeer selbst: sein Blatt weicht keinem der Winde, Fest die Blüten auch sind. Mit dem Saft der Meder den Atem Heilt und des Mundes Geruch und erleichtert Greisen das Keuchen. Mit Italiens Lob nicht kann sich messen der Meder Walderfülltes Gebiet, nicht Hermus' goldene Strudel, 5*
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G II
Baumzucht 138—176
Nicht des Ganges Gefäll, nicht Baktra noch Indiens Schätze, Noch die ganze Panchäa, so reich an würzigen Kräutern. Nicht umpflügten Italien je glutschnaubende Stiere, Zähne zu säen hinein des unüberwindlichen Drachens, Auch nie starrte das Land von Speeren und Helmen der Männer. Doch Feldfrüchte gedeihn, rund schwillt die Massikertraube, Ölbaumpflanzungen gibts und muntere Scharen von Großvieh. Von hier stürmt das kriegerische Roß voll Feuer zum Marsfeld. Du, Clitumnus, ernährst die schneeige Herde, den Farren, Der zum Opfer bestimmt, in deinem Gewässer gebadet, Stolz der Römer Triumph hinführt zum Tempel der Götter. Hier herrscht ewiger Lenz, herrscht auch im Winter noch Sommer. Zweimal junget das Vieh, zweimal trägt Früchte der Obstbaum, Doch sind Tiger ihm fremd, ihm fremd des grimmigen Löwen Hungrige Brut; nicht täuscht den Sammelnden giftiger Wolfswurz, Nicht in schrecklichem Lauf schlägt riesige Ringel die Schlange, Nicht zu Klumpen geballt am Boden die schuppige lauert. Nimm viel herrliche Städte hinzu, mühselig errichtet, Soviel Vesten, getürmt auf jäh abfallende Felsen, Denen den Fuß umspült das sanft hingleitende Wasser. Soll ich nennen das Meer, das aufrauscht oben und unten, Oder die Fülle der Seen? Dich, Larius, größten, Benacus, Dich, der aufsteigt oft wie Flut und Brausen des Meeres? Soll vom Hafen ich reden und Damm, der sperrt den Lucrinus, Nennen die See, die bös einstürmt, ihr Grollen zu zeigen, Wo rückströmend vom Meer weit tönt die julische Welle, Und tyrrhenische Wut aufbraust im Sund des Avernus? Adern ziehn im Gestein an Erz reich oder an Silber, Ja, Gold führet sogar vielfach der Flüsse Gewässer. Hier wuchs auf das starke Geschlecht der Marser, Sabeller, Ligurer hier, an Mühen gewöhnt, speerführende Völker, Männer wie Decius hier, wie Marius oder Camillus, Kriegshart die Scipiaden und du, hochmächtiger Cäsar, Der als Sieger du jetzt an Asiens äußersten Grenzen Abwehrst kühn von den Burgen der Stadt den weichlichen Inder. Sei mir gegrüßt, saturnische Flur, du Mutter der Früchte, Mutter der Helden zugleich! Dir sing ich rühmlichen Handwerks Preis und eröffene kühn dir altehrwürdige Quellen In askräischem Sang, der jetzt tönt römischen Städten.
G II
Baumzucht 177—213
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Nun von des Bodens Natur: von der Kraft, die jeglichem eigen, Von der Farbe zugleich, was er zu tragen befähigt. Auch unergiebiges Land, auch unwillfährige Hänge, Wo Tonerde sich zeigt und Kies, Freund dorniger Sträuche, Freuen des Pallasbaumes sich doch, der zähen Olive. Zeichen ist hier Oleastergehölz: in dichtesten Zügen Wuchert es wild und bedeckt den Grund mit kleineren Beeren. Doch wo saftig das Land und feucht von süßem Gewässer, Prangt mit Kräutern das Feld, an Gras und Blumen ergiebig, Wie wir häufig es schaun in des Talgrunds tieferen Klüften — Hierhin tragen herab von felsigen Höhen die Flüsse Strömend befruchtenden Schlamm —, auch wo, nach Süden geöffnet, Farnkraut wuchert, der Pflugschar Feind, mit verschlungenen Wurzeln, Wird dir wachsen dereinst des Weingotts herrliche Rebe, Reich an edelem Saft, fruchtbar an Traubengehängen; Hier der Tropfen gedeiht, den wir aus goldenen Schalen Spenden, wenn uns aufspielt am Altar der feiste Tyrrhener Und dem Feuer wir weihn des Schlachttiers dampfende Leber. Doch wem mehr dranliegt, Großvieh zu hüten und Nachwuchs, Lämmer sich aufzuziehn und Ziegen, die Saatenverderber, Such des satten Tarents Trift auf und ferne Gefilde, Oder ein Feld, wie's einst arm Mantua mußte verlieren, Wo sich Schwäne gelabt an Mincios grasigen Ufern. Dort dem Vieh an Quellen nicht fehlts, noch an saftigem Rasen; Denn wieviel es gerupft auch wird in Tagen des Sommers, Alles ersetzt im Laufe der Nacht die tauige Kühle. Schwärzliches Erdreich, fett, wenn auf es wühlet die Pflugschar, Locker dabei zugleich, was grad das Pflügen erzielet, Nährt am besten die Saat. Kein Feld wird schwerere Lasten Senden auf Wagen nach Haus, langsam von Stieren gezogen. Auch wo ganz abholzte den Wald der zornige Landmann, Rodete völlig den Hain, der soviel Jahre gefeiert, Ausriß auch mit dem Stamm die früheren Nester der Vögel — Hochauf flatterten sie, da sie die Häuser verließen —, Glänzte doch, eben gepflügt, das Brachfeld unter der Pflugschar. Nüchterner Kies indes, das Kind des welligen Bodens, Trägt kaum Rosmarin und niedriges Kraut für die Bienen.
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G II
Baumzucht 214—251
Auch der schäbige Tuff, die wurmzerfressene Kreide Darf sich rühmen mit Recht, daß nicht ein anderes Erdreich Atzung biete soviel und krumme Verstecke für Schlangen. Wo dir Dunst aushaucht und leichteren Nebel der Boden, Selber das Naß aufsaugt und ausstößt wieder nach Laune, Wo mit Grün er sich schmückt und stets nachwachsenden Halmen, Nicht mit Schärfe zerfrißt und beizendem Roste das Eisen, Wird er mit frohem Gerank dir einst umwinden die Rüstern, Fruchtbar werden an Öl, wird sich erweisen beim Anbau So zugänglich dem Vieh wie willig gebogenem Pfluge. Solches Gefilds sich Capua {reut, die vesuvische Küste, Auch der Claniusfluß, unhold dem öden Acerrä. Jetzo vernimm, woran du kannst den Boden erkennen. Forschest du nach, ob locker er ist, ob fester als billig — dieser den Saaten behagt, dem Bacchus aber der andre; Ceres den festen begehrt, den lockersten aber Lyäus —, Such dir zuerst mit den Augen den Platz, laß tief eine Grube Graben in diesen hinein und laß drin wieder versenken, Was an Erde sie gab, glatt treten die deckende Sandschicht. Gibt sie nach, dann wird der Boden für Vieh und für Reben Passender sein; faßt aber sie nicht, was her sie gegeben, Bleibt noch Erde zurück, wenn voll sie selbst bis zum Rande, Dann ist zähe das Land: erwart dir härtere Schollen, Die zertrümmern du mußt mit kräftigen Ochsen am Pfluge. Salziges Land indes und was sich bitter erweiset, Taugt für Saaten nicht viel, noch wird es milder durch Ackern. Drauf bleibt weder der Wein noch Obst treu seinem Charakter. Das lehrt solcher Versuch. Entnimm der rauchigen Küche Körbe von dichtem Geflecht — auch Siebe für Zwecke der Kelter —, Laß das verdächtige Land fest treten darin bis zum Rande, Schütt Süßwasser darauf. Dem Gemisch entringen sich Tropfen, Dringen durchs dichte Geflecht in kräftiger Menge nach außen, Und der Geschmack legt ab ein unverdächtiges Zeugnis: Mürrisch verzieht das Gesicht ein jeder, der kostet die Tropfen. Doch den Boden, der fett, nur so wir können erproben. Knetet man ihn in der Hand, wird niemals gleich er zerkrümeln, Sondern nach Art des Pechs sich stets festsetzen am Finger. Feuchter den Trieb macht geil, läßt stärker ihn wachsen als nötig,
G II
Baumzucht 252—288
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Hüte dich, daß er nicht zu maßlos brauche die Triebkraft Und sein Übergewicht gleich zeig in frühesten Ähren. Ob schwer oder ob leicht, verrät schon selber der Boden Durch das Gewicht. Mühlos erkennt das Auge den schwarzen Oder wie sonst er gefärbt. Doch schwer ists, schädliche Kühle Anzusehen dem Land; nur Föhren und giftiger Taxus, Efeu, schwärzlicher, auch sind dafür sichere Zeugen. Hast du solche bemerkt, gilts auszutrocknen das Erdreich, Gilts durch Gruben den Hang der mächtigen Berge zu teilen, Umzuwenden die Schollen, dem Nordwind aus sie zu setzen, Ehe du pflanzst die Setzlinge drauf. Ein lockerer Boden Ihnen behagt: das besorgt der Wind, der kühlende Frühreif Und, der tief umwälzt sein Land, der kräftige Gräber. Ist kein Umstand so dem Aufmerksamen entgangen, Sucht gleichartigen Boden er aus, um vorzubereiten Hier die Schößlinge, dort die vereinzelten überzupflanzen, Daß nicht plötzlich verkenn den veränderten Boden der Nachwuchs! Ja, man bezeichnet sogar die Himmelsrichtung am Stamme, Daß, wie jeder mal stand, den Stand er wiederbekomme, Wo den Süd er ertrug, zuwandte den Rücken dem Nordwind. Soviel kommt drauf an, schon jung zu gewöhnen die Reben. Ob ein Hang, ob ebenes Land für Setzlinge besser, Prüfe zuvor. Steht fetterer Grund zu deiner Verfügung, Pflanze sie dicht: auch so trägt reich auf solchem die Rebe; Lehnt er an Bühle sich an, an sanft aufsteigende Hügel, Raum laß zwischen den Reihen; trotzdem sie richte genaustens, Auf daß jeglicher Gang und Quergang grade sich schneide. Wie die Legion im Krieg oftmals ausdehnt die Cohorten Und in Reih und Glied sie stellt auf offenem Felde: Grad ist die Schneide des Heers, weithin wogts ganze Gefilde Hell vom ehernen Glanz, denn noch mischt Kampf nicht die Waffen, Noch irrt zwischen den Reihn, den blinkenden, schwankend der Kriegsgott: So gleichmäßig verlauf die Zahl und Richtung der Wege, Nicht daß eitelem Aug der Anblick diene zur Weide, Nein, weil anders das Land gleichmäßige Nahrung nicht bietet Allen und frei sich nicht entwickeln können die Zweige. Forschest vielleicht du nach der Tiefe der einzelnen Furchen:
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Q II Banmzucht 289—326
Anvertrauen ich würd den Stock auch flacherer Furche, Doch tief, voll in den Grund senk ein den haltenden Baumstamm, Den der Eiche zumal. So hoch sie ragt in die Lüfte, Ebenso tief zum Tartarus hin sie sendet die Wurzeln. Drum reißt Frost sie nicht aus, nicht Sturm noch strömender Regen. Unerschüttert sie bleibt, sieht blühn noch viele der Enkel Und überlebt in Kraft auch viele Geschlechter der Menschen. Dann streckt weit sie hinaus gleich Armen die Zweige zur Sonne, Aber am Stamm fängt auf sie selbst den mächtigen Schatten. Nicht den Weinhang laß sich neigen der sinkenden Sonne, Pflanz Nußsträucher auch nicht ihm zwischen die Reben, zu Sprossen Such nicht oberste dir, Ableger nicht brich aus dem Wipfel — Stark ist die Liebe zur Erd! —, schneid nicht mit schartiger Hippe, Propf nicht edelen Ölbaums Reis auf Stämme des wilden: Oft schon Feuer entflog nachts unvorsichtigen Hirten, Das sich heimlich versteckt anfangs in öliger Rinde, Dann überspringt aufs Holz und, hoch auflohend zum Gipfel, Schreckliches Prasseln erzeugt; von hier ergreifet es siegreich Weitres Geäst, herrscht unumschränkt in den ragenden Wipfeln, Hüllt in Flammen den Wald, aufwirbelnd qualmende Wolken Schwarz und dicht wie Pech, empor zum Himmelsgewölbe, Dann zumal, wenn Sturm von oben sich senkt in die Bäume, Wenn der Windhauch ballt und mit sich reißet die Flammen. Ist es geschehn, am Stamm nicht mehr die Sprossen genesen, Kehren als gleiche zürück nicht mehr, noch grünen sie wieder: Lebend nur bleibt der Baum, der wilde, mit bitteren Blättern. Nicht überreden dich wird ein noch so kluger Berater, Schon bei des Nordwinds Wehn den starrenden Acker zu lockern. Schneidender Wind ja sperrt den Boden, geworfenen Samen Läßt Fuß fassen er nicht im frosterstarrten Gelände. Günstigste Zeit für den Weinberg ist der prangende Frühling, Wann, den Schlangen verhaßt, der Storch kehrt wieder zum Neste, Oder die Kühle des Herbsts, wann Sols schnell stürmende Rosse Noch nicht Winter gebracht, doch schon den Sommer beschlossen. Grade das Frühjahr ist dem Gehölz, den Pflanzungen heilsam; Dann der Boden ja schwillt und sucht erzeugenden Samen, Dann in befruchtendem Naß der Äther steiget hernieder Als allmächtger Gemahl in den Schoß der harrenden Gattin,
Q II Baumzucht 327—364
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Zeugt, als Großer der Großen vermählt, allüberall Nachwuchs. Jetzt das stille Gehölz tönt hell von zwitschernden Vögeln, Jetzt zu richtiger Frist in Liebe sich paaren die Herden; Fruchtbar kreiset das Feld: beim Hauch des lieblichen Zephyrs Öffnet der Acker den Schoß, durchweg herrscht üppige Feuchte. Bei zunehmendem Licht sich anzuvertrauen der Erde Waget die Saat, nicht fürchtet der Wein den dörrenden Südwind, Nicht den Wolkenerguß, den Nordwinds Blasen heraufführt, Augen er treibt vielmehr, sein Laub er völlig entfaltet. Beim Entstehen der Welt so licht war — möchte man glauben — Eben der Schöpfungstag, so stet die strahlende Helle; Denn Weltfrühjahr wars, den Erdkreis grüßte der Frühling. Noch mit winterlich Wehn die Flur Ostwinde verschonten, Als die Herden zuerst das Licht einsogen, der Menschen Erdengeschlecht sein Haupt entrang dem harten Gelände, Als sich die Wälder mit Wild, mit Lichtern füllte der Himmel. Tragen nicht hätten gekonnt des Wachstums Mühen die Keime, Hätt ausgiebige Ruh nicht Winter und Sommer geschieden, Hätte der Erde sich nicht erbarmt der gütige Himmel. Was auch immer für Setzlinge du — das ist noch zu sagen — Einsenkst, decke sie zu mit Dung und Haufen von Erde , Grab auch durstges Gestein mit ein und brüchige Muscheln; Denn durch sie dringt Regen hindurch und belebender Lufthauch, Die dir fördern den Sproß; auch sind nicht selten die Winzer, Die sie mit Steinen belasten und Scherben von großem Gewichte: Dies ein trefflicher Schutz vor allzukräftigem Regen Und vor des Hundsterns Wut, des Durst macht klaffen den Boden. Ist der Sprößling gesetzt, sollst du den Boden des öftern Um die Wurzeln herum auflockern, greifend zum Karste, Oder das Land durchziehn mit tief aufwühlender Pflugschar, J a den Zugstier selbst durch die Reihn der Setzlinge treiben. Dann Schilfrohr dir besorg und dünnere Stäbe, geschälte, Eschene Pfähle dazu, zuletzt auch kräftige Gaffeln, Auf die gestützt zuerst dem Wind standhalten sie lernen, Bis in der Ulme Gezweig stockweis sie den Gipfel erklimmen. Während die Jugend erstarkt, aufwächst in neuer Belaubung, Schonen die Zarten du mußt; auch wenn sich frisch in die Lüfte Schwinget der Rebschoß, hier durch keinerlei Zügel gebunden,
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G II
Baumzucht 365—400
Laß ihn fühlen noch nicht den Stahl der Hippe, mit Händen Pflück das entbehrliche Laub und wähl aus sorglich die Blätter. Doch sobald aus der Ulme heraus die kräftigen Triebe, Dann kapp ihnen das Haar, stutz zu die seitlichen Arme — Vorher scheun sie den Stahl —; erst jetzt kannst wirklich du schalten: Üb ein streng Regiment und zügle die schwankenden Zweige. Flechten auch Zäune du mußt, um ab die Herden zu halten, Sonderlich dann, wann zart noch das Laub, unkundig der Mühen. Außer dem herrischen Frost, der allzumächtigen Sonne, Stellen die Büffel ihm nach, nicht minder die lüsternen Ziegen Unausgesetzt, dran zehrt auch das Schaf und die gierige Färse. Nicht so schädlich ist Frost noch Reif, der grau sich verdichtet, Noch Hochsommers Gewalt; die glühend die Hänge bebrütet, Wie die Herden es sind, das Gift des nagenden Zahnes, Narben, am Stamm zu sehn, das Brandmal schädlichen Bisses. Nicht ob anderer Schuld den Bock man schlachtet dem Bacchus, Führt auf der Bühne man auf das altherkömmliche Schauspiel, Setzt aus Siegern den Preis. Thesiden auf Wegen und Stegen Bauten ihr Brettergerüst und tanzten auf freundlicher Wiese Froh beim Zechen herum auf ölumfetteten Schläuchen. Auch ausonisches Volk, das einst uns Troja gesendet, Spielt solch Spiel mit holprigem Vers und lustigem Lachen, Nimmt sich vor das Gesicht abschreckende Larven aus Rinde, Ruft dir, Bacchus, im Lied und hängt leicht schwankende Bilder Auf, den Winden ein Spiel, im ragenden Wipfel der Föhre. Drum sich schmücket auch gern mit reichlichen Trauben der Weinberg, Füllet sich an das Tal, sich an die tiefere Waldschlucht, Wohin immer der Gott sein ehrbar Antlitz gewendet. Deshalb werden auch wir nach Brauch zum Preise des Bacchus Singen den heimischen Sang, darbringen auch Kuchen und Früchte. Hin zum Altar, am Home geführt, wird treten das Böckchen Und am Nußbaumspieß wird rösten sein fettes Geweide. Noch gilts dann ein zweites Geschäft bei Pflege des Weinstocks, Das sich nimmer erschöpft: es gilt, alljährlich das Erdreich Drei- viermal zu stürzen, die Schollen darauf zu zerschmettern Mit dem gewendeten Karst, vom Laub auch wieder die Pflanzung
G II
Baumzucht 401—435
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Ganz zu befrein. Arbeit läuft für den Winzer im Kreise, In sich selber zurück kehrts Jahr auf eigenen Spuren. Dann schon wieder im Herbst, wenn der Wein läßt fallen die Blätter Und der frostige Nord dem Gehölz abfeget den Laubschmuck, Dehnt aufs künftige Frühjahr aus der rüstige Winzer Sorgen und Müh: mit der Hippe Saturns dem entblätterten Weinstock Geht er zu Leib, stutzt ihn und formt ihn wieder durch Schneiteln! Sei beim Graben der erste, wie beim Verbrennen des Abfalls, Sei der erste, wenns gilt die Stützen des Stockes zu sichern, Letzter beim Lesen jedoch. Zweimal droht Schatten den Reben, Zweimal dicht überzieht Unkraut mit Dornen die Pflanzung: Hart bei beiden die Müh. Lob spend der Größe des Weinbergs, Doch den kleinen betreu. Des Mausdorns schmeidige Zweige Mußt du schneiden im Wald, dir Schilfrohr holen vom Ufer, Dich annehmen sogar des wilderen Weidengebüsches. Schon ist gebunden der Stock, nicht mehr brauchts Messer die Pflanzung, Fertig die Reihn! Schon singt der Winzer am Rande des Weinbergs; Trotzdem stören du mußt das Land, auflockern das Erdreich, Mußt, wenn die Trauben auch reif, doch immer die Witterung fürchten. Keinerlei Pflege bedarf der Ölbaum; weder erwartet Er den gebogenen Stahl noch den Schlag zweizinkiger Hacke. Haftet er einmal fest und trotzt dem Wehen des Windes, Bietet der Boden von selbst, hat nur der Karst ihn erschlossen, Feuchte genug, ist er aber gepflügt, schwer wiegende Früchte. Nimm der fetten Olive dich an, der Freundin des Friedens. Auch Obstbäume, sobald sie die Macht des Stammes empfinden Und ihrer Stärke vertraun, schon selbst aufstreben zum Himmel, Dank der eigenen Kraft, nicht unserer Hilfe bedürftig. Minder nicht schwer indes sich belädt mit Früchten die Waldung Und ohn Pflege wird rot die Weide der Vögel von Beeren. Geiskleesträucher man schert und Kien gibt reichlich der Wald her, Womit nachts das Feuer man nährt und Helle verbreitet. Und da besinnt sich noch der Mensch zu säen und sorgen? Sag ich von Größerem noch? Die Weide, der niedrige Ginster, Laub sie bieten dem Vieh, sie liefern Schatten den Hirten,
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G II Baumzucht 436—472
Saaten ein schützend Geheg und Seim den sammelnden Bienen. Lieblich es ist zu schaun den Kytörus prangen in Buchsbaum, Haine narykischen Pechs, zu schaun ergiebige Felder, Die verpflichtet nicht sind dem Karst, der menschlichen Arbeit. Selbst auf Kaukasus' Höhe der Wald, der Früchte nicht liefert, Den der stürmische Süd heimsucht und stetig zerzauset, Liefert Ertrag trotzdem: das Holz der nützlichen Föhre Für Schiffsbau, für Häuser das Holz der Zeder, Zypresse. Hieraus Speichen fürs Rad, Vollräder für Lastfuhrwerke, Hieraus Kiele der Landmann macht, die krummen, für Schiffe. Weiden an Ruten sind reich, an Laub die Rüstern ergiebig, Passend die Myrten zum Speer, Hartriegel im Kriege verwendbar, Und aus Eiben man biegt den ituräischen Bogen. Nicht glattstämmige Linden, nicht Buchsbaum, willig dem Drechsler, Sträubt sich zu werden Gestalt, vom Stahl sich höhlen zu lassen. Leicht den reißenden Strom der Kahn nimmt, Gabe der Erle, Läßt man ihn in den Po; Korkeichen gewähren den Bienen Raum in der Rinde zum Bau, Steineichen im modrigen Stamme. Brachte das Bacchusgeschenk der Welt gleich trefflichen Nutzen? Anlaß ward es doch auch zur Untat: trunknen Kentauren Gab es im Kampfe sogar den Tod, so Rhötus und Pholus, Auch Hyläus, der schwang den wuchtigen Krug auf Lapithen. Allzubeglückt du wärst, Landvolk, wärst deines Beglücktseins Du dir bewußt! Dir schenkt, entrückt dem Streite der Bürger, Willig des Lebens Bedarf der allergerechteste Boden. Speit ein hoher Palast aus säulengetragenem Eingang Auch am Morgen nicht aus die Flut dienstfertger Klienten, Gafft auch die Menge nicht an den schildpattschimmernden Torweg, Teppiche golddurchwirkt, Prunkschalen korinthischen Erzes, Schminkt auch heraus sich nicht das Vlies mit syrischem Purpur, Würzt auch Zimmet dir nicht das Labsal lauteren Öles, Fehlt doch sichere Ruh dir nicht, ein trauliches Leben Reich an allerlei Gut, nicht Frieden auf weitem Besitztum, Nicht dir Grotten, natürliche Seen, ein kühlendes Tempe, Fehlt nicht Rindergebrüll, nicht wohliger Schlaf unter Bäumen. Findst Waldtäler du doch und heimliche Lager des Wildes, Findst an Mühen die Jugend gewöhnt, an mäßige Nahrung,
G II
Baumzucht 473—510
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Findst noch Götter und Väter verehrt. Als einst von der Erde Schied die Gerechtigkeit, ließ dort sie letzteste Spuren. Für mich hab ich gewünscht zunächst, ihr teueren Musen, Denen ein Priester zu sein mich treibt unglaubliche Liebe, Daß ihr mir enthülltet des Himmels Bahnen und Sterne, Lehrtet des Tagesgestirns Trübung, die Mühen des Mondes, Was Erdbeben bewirkt, die Flut macht schwellen des Meeres, Dann, wenn die Dämme gesprengt, sie selbst läßt wieder sich legen; Was im Winter das Sonnengespann zum eiligen Bade Treibt in das Meer und was aufhält die säumigen Nächte. Kann ich jedoch der Natur entlocken nicht solches Geheimnis, Weil entgegen sich stellt des Herzens frostiger Pulsschlag, Laßt mich lieben das Land, des Waldtals wässernde Ströme, Ruhmlos Quellen und Hain. Ach, daß ich auf des Spercheus Ebenen wär, des Taygetus Höhn, so fröhlich durchjauchzet Von lakonischen Fraun! Ach, daß mich jemand versetzte In des Hämus erfrischendes Tal und dunkele Schatten! Heil dem, der da begreift den Urgrund alles Geschehens, Herr wird über die Furcht und das unabwendliche Schicksal, Der das Raunen nicht hört des all verschlingenden Orkus! Glücklich jedoch auch der, der die ländlichen Götter verstehet, Pan, den alten Silvan, die Nymphen, die lieblichen Schwestern! Ihn beugt nicht die Laune des Volks, der Könige Purpur, Nicht Zwietracht, die Brüder entzweit, nicht feindlich der Daker, Der von der Donau kommt, mit ihr zum Kampfe verschworen, Nicht der Römer Geschick, nicht Reiche, geweiht dem Verderben; Nicht ihn Mitleid rührt mit Bedürftigen, Neid auf die Reichen. Was an Früchten der Baum, an Korn der willige Boden Selbst ihm bietet, er pflückt, schaut nicht auf eiserne Rechte, Nicht auf den lärmenden Markt, nicht auf des Reiches Archive. Andre das tückische Meer mit Rudern schlagen, noch andre Greifen zum Schwert, man dringt in fürstliche Burgen und Höfe; Der dort droht mit Vernichtung der Stadt und den armen Penaten, Um zu trinken aus edlem Gestein, zu schlafen auf Purpur; Schätze der andere häuft und liegt auf verscharretem Golde; Jenen des Redners Ruhm, Beifall der Bühne berücket Diesen; verdoppelt ja klingt er ihm vom Volk und den Vätern. Andere waten mit Lust im Blut der Brüder, vertauschen
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G II
Baumzucht 511—542
Ohne Bedenken und Scheu der Heimat freundliche Schwelle, Um sie zu suchen sich fern, von anderer Sonne beleuchtet. Emsig dagegen der Landmann furcht mit dem Pfluge den Acker : Dies ist Jahrarbeit, hiervon kann Häuschen und Heimat Er sich erhalten, dazu die Herden und nützlichen Stiere. Niemals säumet das Jahr, zu bieten ihm reichliche Baumfrucht, Nachwuchs auch dem Vieh, der Ceres' fröhliche Garben, Furchen zu fülln mit Ertrag und schwer zu belasten die Scheuern. Winter ist da: man preßt jetzt aus sikyonische Beeren, Satt von der Eichmast kommt das Schwein, Wald spendete Reisig, Obst setzt mancherlei vor der Herbst: es reifen die Trauben Oben im Wipfel des Baumes, sie kocht die sonnige Höhe. Liebliche Kinder indeß an den Mund sich hängen der Eltern, Keuschheit wahret die Scham; es strotzt das Euter der Kühe Voll von nährender Milch: die kräftigen Böckchen bekämpfen Sich auf üppiger Trift, die Horner gerichtet zum Angriff. Feste der Bauer begeht. Hin auf den Rasen gestrecket, Wo beim Opferaltar die Freunde den Becher bekränzen, Ruft beim Spenden er dir, Lenäus; für Hüter der Herden Stellt er Wetten auch an im Speerwurf unter der Ulme Und entblößt den männlichen Leib zu ländlichem Ringkampf. Solch ein Leben vordem den alten Sabinern behagte, Solch ein Leben auch Remus und Romulus, auch den Etruskern, So ward Krone der Welt auch sie, die herrliche Roma, Sie, die sieben umspannt an Höhn im Ringe der Mauer. Ehe noch einst das Szepter ergriff der König des Dikte, Ehe noch ruchlos Volk sich labt an geschlachteten Färsen, Lieh solch Leben der Menschheit auch der goldne Saturnus. Damals keiner vernahm der Kriegsdrommete Signale, Damals nimmer erklang das Schwert auf stählernem Amboß. Doch durchmessen ist jetzt die Bahn von gewaltigem Ausmaß, Und Zeit ists, vom Zaum zu lösen die dampfenden Renner.
G III Viehzucht 1—33
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Vom Landbau Buch III Viehzucht Pales, große, von dir, von dir, amphrysischer Hüter, Singen ich will, von euch, Pans Bächen und Hain im Lykäus. Was im Gesang sonst noch hätt offene Sinne gefesselt, Ist längst alles bekannt: wer weiß vom harten Eurystheus Nichts, von jenem Altar des übelberufnen Busiris? Wer hat nicht von Hylas erzählt, vom latonischen Delus, Von Hippödame, Pelops, dem Mann mit beinerner Schulter, Rosseberühmt? Ich suche den Weg, auf dem von dem Boden Heben auch ich mich kann, fortleben im Munde der Menschheit. Drum in die Heimat mein bring ich — reicht aus nur das Leben —, Kehr von aonischer Höh ich zurück, als erster die Musen, Reich ich, Mantua, dir zuerst idumäische Palmen. Hier auf grünender Au will ich einen Tempel errichten, Marmorn, nahe der Flut, wo des Mincio lässige Windung Irrt und dem Ufer ein Band vorwebt leis rauschenden Schilfes. Mitten darin soll Cäsar stehn und das Heiligtum hüten. Ihm zur Ehre werd ich als Sieger im Purpurgewande Hundert Vierer am Fluß sich tummeln lassen im Rennen. Dorten die Griechheit ganz, Alpheus und Hain des Molorchus Lassend im Stich, nimmt teil bei mir am Laufen und Faustkampf. Selber, die Schläfen geschmückt mit dem Kranz der gestutzten Olive, Opfer ich bring. Schon jetzt seh ich mich feierlich Züge Führen zum heiligen Platz, seh jetzt schon Tiere geschlachtet, Seh, wie die Front im Theater sich teilt, wie den purpurnen Vorhang Heben Britannen am Schluß, die kunstreich ein sind gewoben. Auf den Türen ich bild aus Gold und gediegenem Zahnbein Dort am Ganges die Schlacht, den Sieg des zweiten Quirinus, Hier den gewaltigen Nil, umtobt vom Kampfesgewühle, Auch die Säulen, geformt aus dem Erz der Schnäbel der Schiffe. Asiens Städte, Niphätes besiegt ich diesen hinzufüg Nebst dem Parther, des Hoffnung Flucht und gewendete Bogen, Und die Doppeltrophän, den entlegensten Feinden entrissen In zwiefachem Triumph an beiden Gestaden des Weltmeers.
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G III
Viehzucht 34—69
Bilder aus parischem Stein hier stehn mit atmenden Zügen: Des Assärakus Stamm, die Sprossen der Juppitersippe, Tros, der Ahn, auch der kynthische Gott, der Gründer von Troja. Der unselige Neid wird vor den Furien beben, Vorm kokytischen Strom, vor Ixions Schlangen, die heften Ihn ans riesige Rad, vor Sisyphus' tückischem Felsblock. Laß uns streifen indes, Mäzen, durch Wälder und Täler, Die noch keiner betrat — dein eigener schwieriger Auftrag —! Hohes beginnt mein Geist nicht ohne dich. Träges Verziehen Brech er nun ab. Mir schon mit lautem Gebrüll der Kithäron Ruft, des Taygetus Meute, der Roßzucht Hort Epidaurus, Mir, von ihnen geweckt, des Hains verdoppeltes Echo. Bald doch geh ich daran, von Cäsars Schlachten zu singen Und den Namen von ihm durch soviel Jahre zu tragen, Wieviel selber entfernt er ist vom alten Tithonus. Wer, von Bewunderung voll für den Preis olympischer Palmen, Pferde sich hält, wer Stiere begehrt zum Ziehen des Pfluges, Wähl vor allem sich aus die Mütter. Ein trotziges Aussehn Zeige die Kuh, breitstirnig den Kopf und massig den Nacken, Bis auf den Schenkel herab häng ihr vom Kinne die Wampe; Kein Maß gebs für der Flanke Beschaffenheit; alles sei kräftig, Groß auch der Fuß, das Ohr sei zottig, die Hörner gebogen. Nicht mißfiele sie mir, wenn weißliche Flecken sie zierten, Wenn sie verschmäht das Joch, zum Stoß auch brauchet die Hörner, Wenn sie, näher dem Stier im Gesicht, so hoch sie gewachsen, Aufrecht geht und dabei doch fegt mit dem Schwänze den Boden. Die rechtzeitig begeht die Hochzeit, duldet die Wehen, Macht im zehnten der Jahre Beschluß und beginnet im vierten. Weder zum Kalben noch Ziehn ein anderes Alter sich eignet. Schließ die Männchen nicht ein, solang die Herde der Jugend Munter sich freut; als erster du laß die Paare sich gatten, Daß aus einem Geschlecht du Nachwuchs schaffest dem andern. Grad der glücklichste Tag entflieht den sterblichen Wesen Immer zuerst: Krankheit stellt ein sich, Alter und Mühen, Und bald rafft sie hinweg des Tods ungnädige Härte. Nimmer an solchen es fehlt, die gern austauschen du würdest:
G III
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Viehzucht 70—107
Sorge darum für Ersatz! Daß nicht du missest Verlorenes Allzuspät, komm Lücken zuvor, schaff jährlichen Nachwuchs. Auch für die Roßzucht heißts sorgsam auswählen die Mütter. Denen, die dazu bestimmt, dem Stamm zu dienen zur Aufzucht, Wende nur zu von klein auf gleich vorzügliche Mühe. Stattlicher schreitet einher von edeler Rasse das Füllen Gleich im Feld und setzt sorgsam die schmeidigen Beine; Vorzuschreiten den Weg, den drohenden Strom zu versuchen Wagt es und trauet sofort der nimmer betretenen Brücke. Nichtigen Lärm nicht scheuts. Hoch ihm aufstrebet der Nacken, Scharf ist geschnitten der Kopf, der Bauch kurz, fleischig der Rücken, Üppig die feurige Brust ihm strotzt von Muskeln. Am meisten Schätzt man Schimmel und Fuchs, am wenigsten Fahlen und Gelben. Stehn am Platze nicht mags; tönt auch nur ganz in der Ferne Waffengeklirr, dann zuckts mit dem Ohr, dann bebts an den Gliedern Und stößt aus die gesammelte Glut aus schnaubenden Nüstern. Dicht ist die Mähne; sie ruht beim Wurf ihm rechts auf dem Buge. Tief sich zeichnet das Rückgrat ein und teilet die Lenden; Scharrt es im Sand, dann dröhnt vom kräftigen Hörne der Hufschlag. So war Kyllarus einst, von Pollux' Zügeln gebändigt, So das Doppelgespann des Mars, des großen Achilles, Deren im Heldengesang die griechischen Dichter gedenken. So warf selber die Mähne Saturn beim Nahen der Gattin, Als er, ein hurtiges Roß, fortlief und die Höhen erfüllte Rings des Pelionbergs mit des Wieherns hellem Getöse. Solch ein Pferd, falls Krankheit es schwächt und höhere Jahre, Birg im Haus, sieh nach dem unverschuldeten Fehler. Träg zur Liebe das Alter es macht, es plagt sich vergeblich Ab beim Ziehen des Pflugs und, kommts zum Kampfe gar einmal, Wütet es blind drauf los wie die Glut, die selber auf Stoppeln Sich ins Leere verzehrt. Drum erst auf Jugend und Frische Sieh und dann auf der Eltern Geblüt und andere Künste, Wie den Ruhm sie trugen im Sieg, den Kummer im Unglück. Siehest du nicht, wann wild die Wagen den Schranken entrannten Und jählings das Feld im Lauf zu gewinnen sich mühen, Wie die Jünglinge Hoffen erregt, die pochenden Herzen Bangen befällt? Vorwärts, die Peitsche geschwungen, sie drängen, Lassen den Rossen den Zaum, dahinfliegt glühend der Wagen. T r e n d e l e n b u r g , Virgils lSndliche Dichtungen.
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Q III
Viehzucht 108—144
Bald man sieht sie geduckt, bald aufrecht stehend getragen Hoch durch freiere Luft, als ob zum Himmel sie stiegen. Ruhe nicht gibts noch Rast. Dicht steigen des gelblichen Staubes Wolken empor, feucht macht sie der Folgenden Schäumen und Hauchen: So groß ist die Liebe zum Ruhm, nach Sieg das Verlangen. Erster Erechtheus war, der mit vier Pferden den Wagen Gleich zu bespannen gewagt, mit dem Rad den Preis zu gewinnen. Zäume Lapithen erfanden, zu Roß sie machten den Kreislauf, Fest in den Rücken geklemmt; sie lehrten den Reiter in Waffen, Beizubringen dem Roß das Tänzeln, prächtiges Traben. Gleich ist die Müh beim Füllen und Pferd, doch suchen die Züchter Stets die Füllen sich aus, die feurig und schneidig im Reiten, Mag auch das ältere schon zur Flucht den Gegner gezwungen, Mags angeben Myken als Heimat oder Epirus, Mags vom Stamme Neptuns sogar herleiten den Ursprung. Haben beachtet sie dies, dann dringt zur Zeit der Begattung Stets man darauf, dem Tier zu kernigem Fett zu verhelfen, Das man zum Führer gewählt und dem Vieh zum Gatten bestimmte. Ihm man schneidet das kräftigste Kraut, gibt Bäder im Bache, Dinkel zur Kost, daß dem süßen Geschäft es sich zeige gewachsen Und in den Kindern nicht sich des Vaters Fasten verrate. Die Zuchtmütter jedoch läßt ab man magern mit Absicht; Ihnen versagt man Bad und Laub, sobald zur Begattung Wieder der Trieb erwacht, zur schon empfundenen Wollust. Oft man rüttelt sie durch im Lauf, macht müd sie bei Hitze, Wann von gedroschenem Korn ist schwer die Tenne belastet Und bei des Westwinds Wehn die nichtige Spreu wird geworfelt. Solches geschieht, daß nicht zu fett der empfangende Boden Stumpf Aufnahme versag unds träge Gelände verschlämme, Sondern mit Gier den Samen empfang und tiefer verwahre. Ist um die Väter die Sorge vorbei, folgt die für die Mütter. Gehn sie trächtig umher, nachdem vollendet die Monde, Lasse sie dann niemals schwer ziehn im Joche den Wagen, Noch überspringen den Weg, noch auch gar über die Wiese Rasen in hastigem Lauf, noch reißende Flüsse durchschwimmen. Still sie weiden du läßt im Tal längs vollerer Bäche, Da wo Moos dicht wächst und Gras das Ufer umgrünet,
Q III
Viehzucht 145—182
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Grotten sich bieten zum Schutz, sich dehnt der Schatten des Felsens. Rings im Silarushain, am eichenbestandnen Alburnus, Lebt ein schwärmend Insekt, das römisch man heißet asilus, Oistros es haben benannt, das stachelbewehrte, die Griechen. Wütend mit scharfem Gesumm es naht, vor dem sich entsetzend Stiebt auseinander das Vieh: es dröhnt vom Brüllen der Herde Weithin Äther und Wald und der Bord des trocknen Tanäger. Einst durch dieses Insekt den Zorn ließ Juppiters Gattin Aus an der Inachuskuh, der sie Verderben ersonnen. Halt dies — wütender stichts, brennt heiß die Sonne des Mittags — Fern dem trächtigen Vieh, treib auf die Weide die Herden Seis in der Frühe des Tags, seis auch beim Leuchten der Sterne. Nach dem Werfen gehört die Sorgfalt einzig den Kälbern. Zeichen sofort einbrennt man allen und Namen des Stammes, Die für passend man hält zur Aufzucht, die den Altären Besser man weiht, die kräftig genug, den Acker zu pflügen, Umzustürzen das starrende Feld durch Brechen der Schollen. Was zu besonderem Zweck nicht paßt, das treib auf die Weide. Die zum Nutzen des Lands du vorhast weiter zu bilden, Nimm als Junge schon vor und fang an frühe zu drillen, Solang leicht noch zu lenken der Sinn und beweglich das Alter. Lockere Reifen zunächst, aus schmeidigen Weiden geflochten, Leg um den Hals dem Tier; hat so der freiere Nacken Sich dem Dienste gebeugt, dann kopple die Gleichen zusammen Unter dasselbige Joch und lehr sie schreiten im Takte. Laß ein leeres Gefährt oft schon sie hinter sich ziehen Und eindrücken die Fußspur leicht dem oberen Sande. Dann vom starken Gewicht mag knarrn der eschene Wagen Und die Deichsel aus Erz mitziehn die verbundenen Räder. Doch nicht Kräuter allein sollst du darreichen den Kälbchen, Noch der Weide gar kümmerlich Laub, noch sumpfiges Schilfgras, Nein, Halmfrucht mit Händen gesät. Nicht sollen die Kühe Dir nach Vätergebrauch mit Milch anfüllen den Kübel, Nein, aufbrauchen sie selbst zu Nutz der prächtigen Kinder, Steht dir aber der Sinn nach Krieg und Kriegesgeschwadern, Willst am Alpheusstrom mit dem Rad vorüber du sausen Und in Juppiters Hain zum Start den Wagen beflügeln, Ist fürs Füllen das erste, der Kampfschar Tummeln und Waffen 6*
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G III
Viehzucht 183—220
Ruhig zu schaun, zu hören das Horn, das Ächzen der Räder Auszuhalten, im Stall das Klirren der Zügel zu dulden, Auch ans schmeichelnde Lob des Lehrherrn sich zu gewöhnen Nach und nach und des Handschlags Schall auf dem Halse zu lieben. All dies lern es sogleich, sobalds die Mutter entwöhnet. Gern hingegen den Kopf es steck ins lederne Halfter, Wenn es noch schwach, voll Angst, zu jung die Kräfte zu kennen. Sind drei Sommer vorbei, der vierte soeben im Anzug, Fangs mit dem Kreisgang an, tret auf mit gehaltener Schritte Sicherem Takt und krümm im Trab die vorderen Schenkel, Schwer sich Mühendem gleich; im Galopp dann fordr es die Lüfte Kühn zum Kampfe heraus und berühr, wie frei von den Zügeln, Kaum den obersten Sand, wenn offenes Feld es gewonnen. So bricht ein der Nord vom Saum der Hyperboreer Massigen Wehns, jagt fort den Schnee, die trockenen Wolken. Dabei beugt er die stattliche Saat, das schwanke Getreide Oben zu leichtem Gewog, es rauschen die Wipfel der Wälder Und mit brausendem Schlag andrängt die Flut an das Ufer: Flüchtig dahin er fegt zugleich durch Felder und Fluten. So wirds Roß auf elischer Bahn im weitesten Räume Sich abmühn und blutigen Schaum im Maule nicht scheuen, Tragen den Reiter zum Sieg noch rascher als belgische Wagen. Erst wenn die Renner gedrillt, laß sie bei kräftigem Futter Auch zunehmen am Leib; denn vor endgültiger Zähmung Bläht sie der Mut zu stark; ergriffen, die leisesten Schläge Weigern zu dulden sie sich, ja selbst zu gehorchen dem Wolfszaum. Doch kein Drillen vermag so sehr die Kräfte zu stärken, Wie wenn heimlicher Brunst du wehrst und Liebesbetörung, Mag der Rinder Gebrauch dir erwünscht sein oder der Pferde. Drum man den Stier verbannt einsam auf fernere Weiden Hinter dem Rücken des Bergs, jenseits breitbettiger Ströme, Oder man schließt ihn ein im Stall bei lockenden Krippen. Denn allmählich verzehrt des Weibchens zündender Anblick Jegliche Kraft, läßt ihn des Walds, der Weide vergessen Durch den verführenden Reiz und zwingt die Brünstigen oftmals, Untereinander im Kampf Entscheid mit den Hörnern zu suchen. Grasen sie sehn auf Silas Hang die stattliche Färse: Um sie wechselsweis bald beid entbrennen im Kampfe,
G III
Viehzucht 221—257
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Zahlreich Wunden es gibt, das Blut rinnt schwarz um die Glieder; Aufeinander die Horner gewandt entgegen sich stemmen Sie mit wüstem Gebrüll, davon Hain hallen und Berge. Die sich bekämpft nicht teilen den Stall, abzieht der Besiegte Wie verbannet und weilt fortan auf fremdem Gebiete. Viel er beseufzt: die Schmach, die Stöße des glücklichen Gegners, Dann den Liebesgenuß, den er ohn Rache verloren. So sein väterlich Reich er verläßt, nachblickend dem Stalle. Drum mit eisernem Fleiß er übt die Kräfte, verbissen Lagert er sich auf nacktem Gestein ohn jede Bedeckung, Nährt sich karg von stachlichem Dorn und schneidendem Riedgras. Selbst er sich fleißig versucht, lernt Wut in die Hörner zu drängen, Stürzt auf den Baumstamm los, reizt durch Schwanzschläge die Winde, Und wühlt auf den Sand als Vorspiel ernstlichen Kampfes. Ist nun erneuert die Kraft und wiedergewonnen die Stärke, Sucht er den Kampf, wirft jäh sich auf den grasenden Gegner, Wie wenn mitten im Meer anfängt die Welle zu schäumen, Höher empor erst zieht den Bogen, mit schrecklichem Krachen Endlich durch Riffe sich wälzt aufs Land, vornüber hier einstürzt, Niedriger kaum als ein Berg; aufwallt die Flut aus der Tiefe Wirbelnd und wirft hoch auf die schwärzliche Masse des Schlammes. Ja, jedwedes Geschlecht, der Menschen so gut wie des Wildes, Auch das Meeresgezücht, das Vieh, das bunte Geflügel. Flammt in sinnlicher Glut. Für all' ist Liebe dasselbe. Niemals wilder im Feld, der Aufzucht völlig vergessend, Streift die Löwin umher, niemals unförmliche Bären Richten solch Blutbad an und bringen so vielen Verderben, Rasend im Wald; wild zeigt der Eber sich, grimmig der Tiger J e t z t ; schlimm streift sichs, ach, auf Libyens öden Gefilden. Siehest du nicht, wie Zittern ergreift die Glieder des Hengstes, Wittert er nur in der Luft den Dunst der brünstigen Stute? Nichts dann hemmt ihn mehr, kein Zügel, nicht kräftige Schläge, Auch nicht Klüfte noch Fels, kein Fluß, der Wege versperret, Nicht der reißende Strom, der selbst Felsstücke mit fortwälzt. Selbst das sabellische Waldschwein wetzt zum Stoße die Hauer, Wühlt den Boden auf tief und reibt am Baume die Rippen Rechts und links, um so den Rücken zu stärken für Wunden.
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G III
Viehzucht 258—294
Aber der Jüngling, dem im Mark heiß siedet die Liebe, Was tut der? Nun, der durchschwimmt trotz Sturm und Gewitter, Ist er verspätet, die Furt bei Nacht; die Pforte des Himmels Dröhnt, laut brüllet am Riff der Nachhall brandender Wogen. Trotzdem bringt ihn nicht ab hiervon der Eltern Verzweiflung, Nicht das Mädchen, bestimmt, selbst auf der Leiche zu sterben. Was tut ferner der Luchs, was tun die grimmigen Wölfe, Was die Hunde? Wie kämpfen sogar die friedlichen Hirsche? Alle jedoch — merks wohl — übertrifft das Rasen der Stuten. Venus selbst gab ihnen es ein, als Potniäs Renner Einst mit ihrem Gebiß zerfleischten die Glieder des Glaukus. Jenseits Gargara führt, jenseits des Askaniasees Führt sie der Trieb; über Berge sie gehn, sie schwimmen durch Flüsse. Unausgesetzt sie stehn, ists Mark in Feuer geraten, — Grad im Frühling, wo rückkehrt stets den Gliedern die Wärme — Hoch auf Felsen nach Westen gewandt; hier offenen Maules Ein sie saugen den lieblichen Hauch, und ohne Begattung Werden sie trächtig vom Wind — schier ists ein Wunder zu nennen — Fliehn über Felsen und Höhn, durchstürmen der Waldschlucht Enge, Nicht zu dir, Südost, noch zur aufgehenden Sonne, Nein, nach Nord, Nordwest, und wo der dunkele Südwind Hat sein Heim und mit frostigem Naß den Himmel verfinstert. Hiernach erst, was Hirten Hippömanes nennen, in Wahrheit Tropft als schleimiges Gift allmählich heraus aus der Scheide, Jenes Hippömanes, das boshaft Stiefmütter sich sammeln Und, mit Kräutern vermischt, mißbrauchen zu Zaubergetränken. Doch inzwischen entflieht unersetzt die flüchtige Stunde, Während wir, völlig gebannt vom Reiz, beim einzelnen weilen. Vom Großvieh so viel. Bleibt noch der zweite der Teile, Von der wolligen Schar und den zottigen Ziegen zu handeln. Hier gibts Mühen, von hier auf Ruhm hofft, wackere Bauern. Klar bin ich mir, wie schwer solch Stoff mit Worten sich meistert, Schwer im Lied sich Ehre bezeigt so bescheidenem Schaffen. Doch dem Parnaß mich nahn auf nimmer betretenem Anstieg Heißt mich Liebe zur Kunst. Will gehn auf Höhen, wo Schritte Früherer zur Kastalia nicht Wegspuren uns bieten. Heilige Pales, jetzt ein Lied mit vollerer Stimme!
G III
Viehzucht 295—332
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Gleich von vorneherein, eh laubreich nahet der Sommer, Heiß ich bieten den Schafen die Kost in wohnlichen Ställen, Wo mit reichlicher Spreu man bestreut und Bunden von Farnkraut Unten den steinigen Grund, auf daß nicht eisige Kälte Schade dem weichlichen Vieh, ihm Gicht und Räude gar bringe. Weiter befehl ich sodann, den Ziegen als Futter zu geben Sprossen vom Erdbeerbaum, für frisch Trinkwasser zu sorgen, Ab vom Winde gewandt den Stall nach Süden zu richten, Voll in des Winters Sonne gestellt, bis Wässerers Sternbild Untergegangen einmal und betaut das Ende des Jahres. Hegen auch kleineres Vieh du mußt mit eifriger Sorge; Denn das lohnet die Müh, wenngleich milesische Felle Halten den Preis, sind sie durchkocht mit tyrischem Purpur. Dichter der Nachwuchs wird hierbei, Milch reicher dir fließet; Denn je voller das Kübel von Schaum, wirds Euter gemolken, Um so froher entströmt der Strahl den gezogenen Zitzen. Und nicht minder indes schert man den ergrauenden Kinnbart Ab dem kinyphischen Bock samt den dichthaarigen Zotteln Teils zum Lagergebrauch, teils auch zu Decken für Schiffer. Ab die Ziegen den Wald und die Höhn des Lykäusgebirges Suchen nach stachlichem Brombeerstrauch und Büschen der Hänge, Kehren dann pünktlich zurück zum Stall und führen die Zicklein Mit sich heim: schwer durch die Tür sie tragen das Euter. Drum halt ab von ihnen das Eis und frostige Winde, Grad weil menschlicher Hut sie sonst so wenig bedürfen, Spar an Futter auch nicht, auch nicht an reichlichen Reisern, Den Heuboden verschließ nicht ganz -yor ihnen im Winter. Wehn Westwinde jedoch und ruft die Ziegen und Schafe Frühling hinaus in den Hain und schickt sie froh auf die Weide, Laß mit Luzifers frühestem Strahl durchziehn sie die Triften, Wo der Morgen noch frisch, wo feucht noch triefet der Rasen, Tau noch leuchtet im Gras, der Freund der weidenden Herde. Hat die vierte der Stunden des Tags den Durst nun erreget Und die Büsche durchsummt der zirpende Ton der Zikade, Führ zum Brunnen das Vieh und hinab zum tieferen Teiche, Daß es trink aus eichenem Rohr vom fließenden Wasser. Aber in Mittagsglut such aus ein schattiges Waldtal, Wo des Juppiter Baum aus kräftigem Stamme die Zweige
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Q III Viehzucht 333—370
Reckt zum Himmel empor, wo dicht Steineichen sich drängen Und den heiligen Hain einhüllt ein dunkeler Schatten. Dann laß wieder am Rohr sie trinken und wieder sie weiden, Bis die Sonne versinkt, die Luft am kühleren Abend Leichter schon wird, der tauige Mond die Täler erfrischet, Vom Eisvogel das Ufer ertönt, die Hecke vom Finken. Wie? Soll melden ich dir auchs Lied von Libyens Hirten, Von den Triften, den Hütten, die dünn dort liegen verstreuet? Tag und Nacht, nicht selten sogar den völligen Monat Weidet d a r Vieh hindurch, irrt stets durch Wüsten und findet Nirgend ein Obdach vor: so weit erstreckt sich das Ödland. Alles der afrische Hirt führt mit sich: Haus und den Hausgott, Waffen, den amykläischen Hund, den kretischen Köcher, Grade wie wenn der Römer marschiert in heimischer Rüstung: Schwer von der Bürde bedrückt, steht doch dem Feind unerwartet Er gegenüber geordneten Zugs im Schutze des Lagers. Anders im skythischen Land; hier an mäotischen Fluten, Wo den gelblichen Sand mitreißt die Strömung des Ister, Wo sich die Rhödope krümmt und hinzieht unter den Nordpol, Hält man die Herden im Stall, weil nirgends draußen für Futter Gras zur Genüge gedeiht, noch Laub sich zeiget an Bäumen. Tief erstarret von Eis liegt formlos immer der Boden Unter dem Wall von Schnee, der aufsteigt sieben der Ellen. Ewig ist Winter, der Nordwest bläst stets eisigen Hauches. Kaum jemals verjagt die Sonne das Dunkel der Tage, Weder wenn auf sie fährt zum Äther mit klimmenden Rossen, Noch wenn jähe sie taucht in des Weltmeers rötliche Wellen. Plötzlich im wallenden Fluß Eisschollen sich dichten zur Decke, Und auf dem Rücken der Strom bald trägt die beschlagenen Räder, Gastlich den Kielen vordem, gastfrei jetzt lastenden Wagen. Eherne Kufen zerspringen von selbst, starr werden die Kleider Einem am Leib, mit Äxten zerhaut man flüssige Weine. Bis zum Grund in stehendes Eis sich Weiher verwandeln, Mit Eiszapfen sich bald durchsetzen die Haare des Bartes. Unaufhörlich indes Schneefall dem Himmel entrieselt: Herden zugrund dran gehn, die kräftigen Körper der Stiere Stehn vom Reife bedeckt, die Hirsche, zu Rudeln gescharet, Starrn von befremdlicher Last, aus der kaum ragen Geweihe.
Q III
Viehzucht 371—406
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Nicht sie die Rüde verscheucht, die gehetzte, nicht Lappen am Stellnetz, Die rot flattern im Wind, vermögen in Angst sie zu setzen, Nein, umsonst sie sich mühn, mit der Brust zu brechen den Schneeberg, Und so sinken sie hin, vom Schwert der Jäger getroffen, Still mit Gestöhn; mit lautem Geschrei die Beute man fortschleppt. Unter der Erde der Mensch dort bringt in gegrabenen Höhlen Sicher die Freizeit hin; die Stapel der eichenen Kloben, Stämme der Ulmen man wälzt zum Herd, das Feuer zu nähren. Hier hinbringt man die Nacht beim Spiel, froh kreiset der Becher, Statt mit Wein mit Zider gefüllt und gegohrener Gerste. So lebts Männergeschlecht im Bereich des nördlichen Wagens Wild ohn Zügel und Zaum, Spielball rhipäischer Winde, Fest die Leiber umhüllt vom bräunlichen Felle des Wildes. Gehst du der W o l l z u c h t nach, laß fern sein rauhere Waldung, Fern auch Kletten und Dorn, vor fetteren Weiden dich hüte. Such gleich weiß die Herde dir aus mit seidigen Zotteln. Weise den Widder zurück, strahlt er auch selber in Weiße, Wenn ihm schwärzlich gefärbt am klebrigen Gaumen die Zunge; Denn sonst sprenkelt er ein dem Fell der Lämmer die Tupfen Bräunlichen Tons; Ersatz leicht bietet sich unter so vielen. Durch ein schneeiges Vlies hat — ist zu glauben die Sage — Pan, Arkadiens Herr, dich, Luna, getäuscht und gefangen, Als er dich rief in den Wald und du dem Rufe gehorchtest. Ist dir lieber die M i l c h , pflück Klee dir, saftige Kräuter Selbst mit der Hand und meng auch Salz oft unter das Futter. Dann sie drängen sich mehr zum Trank, sie füllen das Euter Und mitteilen der Milch von selbst die Würze des Salzes. Sind die Jungen entwöhnt, hält fern man sie von den Müttern, Legt auch ihnen ums Maul wohl gar die stachlichte Binde. Was bei steigender Sonne du melkst und während des Tages, Preß zu Käse bei Nacht; was schon bei sinkender abends, Schick entweder im Korb frühmorgens zeitig zum Städtchen Oder, bestreut mit wenigem Salz, spars auf für den Winter. Nicht zuletzt für Hunde du sorg: zieh schnelle Spartaner Gleich mit scharfen Molossern auf und füttre zusammen Sie mit kräftiger Molke; wenn sie wahrnehmen die Wache,
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G III
Viehzucht 407—444
Brauchst zu fürchten du nicht bei Nacht den Dieb, noch des Wolfes Einbruch, fürchten auch nicht die List raubfroher Iberer. Auch Wildesel du kannst, die flüchtigen, hetzen mit Hunden, Hasen erjagen du kannst, nicht minder die klimmende Gemse; Selbst das Wildschwein scheucht oft auf das Bellen der Meute, Daß den Morast es verläßt; der Hirsch im hohen Gebirge Läßt durch lautes Gekläff zurück in Netze sich jagen. Lern auch, wie du verbrennst im Stall die duftige Zeder Und durch Galbangeruch vertreibst die lästige Schlange. Oft sich versteckt im Geheg die schlimm zu berührende Viper, Wenn dus sauber nicht hältst, und flüchtet hinein vordem Wetter; Auch die Natter, gewöhnt, das Dach und den Schatten zu hegen, Pest der Rinder, geneigt, Gift anzuspritzen der Herde, Sucht den Versteck. Dann greif zum tüchtigen Knüttel und Steine, Schlag sie zu Boden damit, die zischenden Halses sich aufbläht. Schon auf der Flucht sie birgt das ängstliche Haupt in den Boden, Weil sich schlafft der gewundene Leib und die Ringel des Schwanzes, Und sie lahm hinschleppt den Bug des äußersten Kreises. Bös auch ist das Schlangengezücht in Kalabriens Bergen, Das mit erhobener Brust hinwälzt den schuppigen Rücken Über dem länglichen Bauch, den mächtige Flecken betupfen, Das, wenn Bäche hervor den bergigen Quellen entströmen Oder vom Regen das Land im Frühlingswinde sich feuchtet, Wohnt am Ufer und Sumpf, wo's, vom Heißhunger getrieben, Anfüllt sich mit Fischen den Wanst und geschwätzigen Fröschen. Wird dann trocken der Sumpf und berstet das Land von der Hitze, Eilts aufs Trockene bald und, rollend die flammenden Augen, Rasts im Acker wie wild, von Durst und Gluten getrieben. Laß nicht fallen dir bei, den Schlaf im Freien zu suchen, Noch zu strecken dich hin ins Gras auf waldiger Höhe, Wenn der früheren Haut entschlüpft die Natter, in Jugend Strahlend dahin sich wälzt, wenn, Eier und Junge verlassend, Hoch zur Sonne sie strebt und zückt die dreifache Zunge. Auch der Erkrankungen Grund will ich dich lehren und Zeichen. Räude die Schafe befällt, wenn tief erkältender Regen Bis auf die Haut eindringt, wenn sich mit weißlicher Färbung Starrender Reif festsetzt, wenn Schweiß anhaftet dem Felle Nach der Schur und Dornengestrüpp den Körper geritzet.
G III
Viehzucht 445—482
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Dann ins fließende Naß soll treiben der Hüter die Herde, Soll den Widder, getaucht in den Strudel mit triefenden Zotteln Los auch lassen und frei stromabwärts treiben im Flußbett. Auch reibt man den Geschorenen ein mit fettigem Ölschaum, Mischt zum schuppigen Bleiglanzsatz den natürlichen Schwefel, Teer vom Idagebirg, auch Wachs, das schmeidig sich einreibt, Nieswurz herben Geruchs, Meerzwiebel und schwärzliches Erdpech. Doch nichts lindert so schnell den Schmerz der lästigen Räude, Als wenn einer geschickt, mit dem Stahl zu schneiden die Blattern. Weiter das Übel nur wächst und wird nur schlimmer durch Nachsicht, Wenn der Schäfer sich sträubt, selbst Hand an die Wunde zu legen Und träg Göttern allein anheimstellt Sorge für Heilung. Ja, wenn rasend der Schmerz schon wütet im innersten Marke Und der Blökenden Kraft aufzehrt das hitzige Fieber, Hat es genützt schon oft, dadurch der Hitze zu wehren, Daß man unten am Fuß aufschlägt die pochende Vene, Wie der Bisalter es pflegt zu tun und der scharfe Gelone, Wenn er zur Rhödope stürmt und zur Einöde der Geten, Wo die geronnene Milch er trinkt mit dem Blute der Pferde. Siehst aufsuchen ein Schaf du häufiger müde den Schatten, Siehst abrupfen es matt nur stets die Spitzen der Kräuter, Immer zuletzt es gehn, sich lagern mitten im Weiden, Siehst es spät in der Nacht allein heimkehren vom Felde, Hemm sofort durch Schlachten die Schuld, noch eh sich verbreitet Weiter des Siechtums Gift in unvorsichtiger Herde. Nicht so häufig befällt vom Meer die Lande die Windsbraut, Wie die Herden die Pest. Und nicht nur einzelne Tiere Rafft sie gierig dahin, nein, ganz die Sommergehege, Hoffnung und Herde zugleich mitsamt dem fröhlichen Nachwuchs. Dies noch heute gewahrt, wer selbst die luftigen Alpen Aufsucht oder Timavs iapydische Fluren, die Dörfer Auf den norischen Höhn; nach so viel Jahren verlassen Sieht er von Hirten das Land noch heut und die Hänge verödet. Hier einst stellte sich ein ein krankheitsschwangeres Wetter, Das den Herbst durchglühte mit unerträglicher Hitze, Tod bracht jeglichem Vieh, Tod auch den Tieren des Waldes, Und die Seen verseuchte, verseuchte mit Jauche die Weiden. Nicht ein Weg nur führte zum Tod, nein, hatte die Glieder
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0 III
Viehzucht 483—518
Erst ein brennender Durst erschöpft, der die Venen durchraste, Sammelte sich in Massen ein Schleim, der mählich die Knochen Sämtlich ergriff und hinein auch sie riß in das Verderben. Oft wenn vor dem Altar ein Schaf zum Opfer der Götter War ersehn und geschmückt schon stand mit schneeiger Binde, Fiel zu Boden es tot inmitten der zögernden Diener. Hatte der Priester ein Tier grad an das Messer geliefert, Konnte das Innre davon er nicht im Feuer verbrennen, Noch, nach Zeichen befragt, hieraus sich holen Belehrung. Kaum sich färbte vom Blut der Stahl, die Kehle durchschneidend, Kaum sich bräunte der Sand leichthin von magerem Eiter. Zahllos gehen zugrund auf fröhlicher Aue die Kälbchen Und an Krippen gefüllt sie früh aushauchen ihr Leben. Wut die freundlichen Hunde befällt, es schüttelt der Husten Schwer das keuchende Schwein, schnürt zu die geschwollene Kehle. Kraftlos wankt beim Drillen das Pferd, nicht denkt es der Weide, Wendet sich ab vom Quell, stampft ruhlos heftig den Boden Mit dem Huf, läßt hängen das Ohr; in Schweiße gebadet, Zittert es bald vor Frost, wenn schon dem Tode verfallen, Bald auch glühenden Fells scheuts vor des Pflegers Berührung. Dies vor dem Eingehn sind anfangs die Zeichen der Seuche. Nimmt in weitrem Verlauf dann zu die quälende Krankheit, Wird rotglühend das Aug, aus der Brust tief quillet der Atem, Oft mit Stöhnen vermischt, krankhaft sich spannen die Lenden Bei langröchelndem Krampf, das Blut dringt schwarz aus den Nüstern Und den verschwollenen Schlund engt ein die trockene Zunge. Einzutrichtern an Wein, es nützt wohl, einige Tropfen, Oft der einzige Weg, das Sterbende neu zu beleben. Doch bald bringet auch dies Vernichtung: Rasen erfaßt es, Hat es noch Kraft; mit fletschendem Zahn, oft nah schon dem Tode, — Gib, Gott, Frommen das Heil, lenk auf Unfromme den Wahnsinn! — Selbst sich zerfleischts in Wut und reißt die Glieder in Fetzen. Sieh doch! Dampfend von Schweiß stürzt vorn im Joche der Pflugstier, Speit aus dem Maul, vermischet mit Schaum, den blutigen Auswurf, Röchelt ein letztes Gestöhn. Hinschleicht in Trauer der Pflüger, Spannet den Jungstier aus, den der Tod des Bruders betroffen,
G III
Viehzucht 519—556
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Und läßt mitten zurück im Land die haftende Pflugschar. Nicht mehr Schatten des Hains, nicht mehr die saftigen Wiesen Rühren des Kranken Gemüt, nicht der Fluß, der heller als Mischgold Hin durch Felsen sich wälzt zur Ebene; völlig die Spannkraft Ist ihm erschlafft am Leib, Starrheit sich legt auf die Blicke, Nach vorn übergeneigt senkt sich zur Erde der Nacken. Was nützt Arbeit und Müh? Was nützts, die Schollen zu brechen Mit dem Pflug? Nie Wein von Massiker Hügeln genossen Dort die Bauern, beschwerten sich nie mit erlesenen Speisen, Nein, von Früchten des Baums, von Gaben des Feldes sie lebten, Wasser des Quells ihr Wein, ihr Trank schnell fließende Bäche, Nie stört ihnen die Ruh wohltätigen Schlafes die Sorge. Nie sonst haben gefehlt, so heißts, in dortiger Gegend Schneeige Kühe zu Junos Dienst, doch zogen die Wagen Damals Büffel ungleicher Gestalt zu deren Kapelle. Drum mit dem Karst allein man furcht den Acker, den Samen Scharrt mit den Nägeln man ein, zieht selbst am gebogenen Nacken Über die Berge hinweg die Last des knarrenden Wagens. Kein Wolf lauert am Schafstall mehr, noch geht er entgegen Gierig dem Vieh zu nächtlicher Stund; denn schlimmere Sorge Bändigt ihn selbst; Dammwild und flüchtige Hirsche verweilen Jetzt um Haus und Hof und mischen sich unter die Hunde. Schon wirft Meeresgetier, all das, was schwimmet im Wasser, Dort am äußersten Strand, gleichwie schiffbrüchige Körper, Aus die Flut; Schutz suchen im Strom die seltenen Robben. Auch die Viper vergeht, der nicht Schlupfwinkel mehr nützen, Starr die Schlange sich streckt mit aufrecht stehenden Schuppen. Selbst den Vögeln die Luft nicht frommt; denn jähe sie stürzen Aus der Höhe herab und lassen im Äther ihr Leben. Auch hilfts jetzt nicht mehr, sorgsam die Weide zu wechseln. Ärztliche Kunst versagt; es feiern Meister wie Chiron, Er, der Philyra Sohn, und Melampus, Sproß Amythäons. Bleich Tisiphone rast, aus stygischem Dunkel entlassen Auf zum Lichte des Tags, treibt vor sich Seuchen und Schrecken Und von Tag zu Tag erhebt sie höher die Stirne. Von der Schafe Geblök, von unaufhörlichem Brüllen Hallt rings wider der Strom, die glühenden Ufer, die Höhen. Scharweis schon sies Morden betreibt, häuft selbst in den Ställen
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Q III 557—566
Q IV Bienenzucht 1—19
Hochauf Leichen des Viehs, verzehrt von scheußlicher Seuche, Bis man sie zu verscharren gelernt, zu bergen in Gruben. Zu nichts nützet das Fell, das Fleisch nicht läßt sich genießen, Selbst nicht, wenn es gespült, wenns auch am Feuer geröstet. Nicht mal scheren das Vlies sich lohnt, das Seuche befallen, Auch anzetteln am Webstuhl nicht das mürbe Gespinnste. Ja, versuchte man selbst, die häßliche Hülle zu tragen, Stellte sich Ausschlag ein; mit ekelerregendem Schweiße Bald sich näßte der Leib und nach nicht langem Gebrauche Waren die Glieder verseucht, verzehrt vom „heiligen Feuer".
Vom Landbau Buch IV Bienenzucht Weiter berichten ich möcht von des luftentsprossenen Honigs Himmelsgeschenk. Dein Blick, Mäzen, ruh gnädig auch hierauf. Denn dir schildern ich will ein wunderswürdiges Schauspiel Kleinen Geschehns, der Könige Mut, die Bräuche des Volkes, Streben und Sippen und Kampf, in Ordnung eins nach dem andern. Winzigem gilt die Müh, doch ist nicht klein die Belohnung, Blickt nicht neidisch ein Gott und hört aufs Rufen Apollo. Wählen vor allem man muß solch Sitz den Bienen und Standplatz, Der den Winden nicht Zutritt läßt; denn diese verhindern Tragen des Seims nach Haus. Auch stößige Böckchen und Schafe Laß nicht springen im Gras, im Feld laß Kühe nicht streifen, Nicht abschütteln den Tau, das sprossende Kraut nicht zertreten. Fern auch bleibe dem Stock der schuppige Rücken der Echse, Fern der schädliche Specht und andere gierige Vögel, Fern auch Prokne, die Brust mit blutigen Händen gezeichnet. Alles ja weit umher die Vögel verwüsten und fangen, Tragen gar Bienen ins Nest als Fraß für hungrige Jungen. Nahe jedoch ein lauterer Quell, ein Teich sei, mosüberwachsen, Auch ein winziger Bach, der durch die Wiese sich windet;
Q IV Bienenzucht 20—57
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Schatten dem Vorplatz spend der Ölbaum oder die Palme. Wenn die Könige neu den Schwärm ausführen im Frühling Und die Jugend umher, den Waben entlassen, sich tummelt, Lock aus sengender Glut zu sich sie freundlich das Bächlein Und der Nachbarbaum biet ihr sein gastliches Laubdach. In die Mitte des Quells, mag stehn er oder auch rieseln, Wirf querüber Geäst und größere Stücke von Steinen, Daß als Brücken der Schwärm sie nütz; hier kann er die Flügel Trocknen in sonniger Glut, hat Wind die Zögernden einmal Naß beim Trinken gespritzt, sie gar ins Wasser geworfen. Ringsum blüh Zeiland und weithin duftender Quendel, Reich auch schwängre die Luft Saturei mit würzigem Hauche Und am murmelnden Quell sich lab das Veilchengehege. Selber der Stock, mag sein er genäht aus rundlicher Rinde, Mag ein Geflecht er sein aus leicht sich biegender Weide, Hab Zugänge nur eng: der Frost verdicket im Winter Dir den Seim, die Glut läßt ihn hingegen zerfließen. Beider Gewalt ist gleich für Bienen zu fürchten; sie stopfen Löcher, auch winzige, zu mit Wachs absichtlich am Stocke, Füllen sogar Flugöffnungen aus mit blumigem Harze, Sammeln sich Kitt zu solchem Behuf, den auf sie bewahren, Zäher als Leim für Vögel und Pech vom phrygischen Ida. Oftmals halten sie Haus, so heißts, in gegrabenen Löchern Im Erdinneren; tief kann dort man ihnen begegnen, Seis in zerfreßnem Gestein, seis im vermoderten Baumstumpf. Trotzdem streich mit klebrigem Leim die Ritzen des Korbes Auch von außen du zu, deck sie mit lockerem Reisig. Eiben nicht dulde du nah, koch auch nicht rötliche Krebse Auf dem Herd in der Näh, trau nicht dem stehenden Sumpfe, Nicht dem herben Geruch des Mists, dem Schlage des Hammers Dicht im hohlen Gestein, des Echos schallender Stimme. Wann den Winter vertreibt aufs neu die goldene Sonne, Erd und Himmel erschließt mit ihrem erwärmenden Strahle, Schwärmen die Bienen sofort umher in Hainen und Tälern, Ernten am purpurnen Rain und schlürfen am Rande des Baches Oben die Flut. Erfaßt von unaussprechlicher Freude, Hegen sie Stock und Brut: kunstvoll sie bauen sich Zellen Frisch aus Wachs und füllen sie voll mit schmeidigem Honig.
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G IV Bienenzucht 58—95
Siehst du staunend den Schwärm, aus der Haft entlassen des Stockes, Schwimmen in flüssiger Luft hochauf zur Bläue des Himmels, Siehst du dahin ihn ziehn mit dem Wind in dunkeler Wolke, Achte darauf: Süßwasser er stets und Dächer aus Baumlaub Setzt sich als Ziel. Sie tränk mit dem Saft der gebotenen Kräuter, So der geriebenen Melisse wie dem der wilden Kerinthe. Laß erklingen auch Erz und schlag der Kybele Becken: Dann den duftigen Sitz sie bald aufsuchen und kehren Wieder zurück von selbst in des Korbs einladende Wohnung. Ziehn sie jedoch zum Kämpfen hinaus — denn häufig verursacht Zwietracht, die zwei Könige packt, sehr große Bewegung; Alsbald läßt die Stimmung des Volks, die bebende Kampfgier Lang sich ahnen voraus: es treibt ein rauheres Summen Kriegrischen Klangs die Zögernden an, man hört ein Getöne, Das den gebrochenen Schall nachahmt der Kriegesdrommete; Aneinander sie rücken in Hast, sie schwingen die Flügel, Schärfen am Rüssel den Speer, zum Hieb man stärket die Muskeln, Schart um den König sich dicht am Zelt des Schlachtengebieters Und mit lautem Gesumm zum Kampf man fordert den Gegner —. Dann, wenn offenes Feld und heiteres Wetter erreicht ist, Stürzt man hinaus zum Tor: Kampf bricht los, oben im Äther Tönet es wild, zu gewaltigem Kreis man ballt sich zusammen, Jählings fallen die Toten herab, nicht dichter der Hagel Fällt, vom geschüttelten Baum so dicht nicht hageln die Früchte. Mitten im Kampf man sieht die Könige, flügelumglänzet, Schüren in winziger Brust die Glut urkräftiger Kampflust, Nimmer zu weichen gesinnt, eh nicht der schließliche Sieger Die hier zwingt oder jene, zur Flucht den Rücken zu wenden. So groß immer der Mut und so verzweifelt das Ringen, Ein Wurf Staubes genügt, die wütenden Streiter zu trennen. Aber sobald aus der Schlacht du zurückrufst beide die Weiser, Weih dem Tode sogleich, der sich als schwächer erwiesen, Daß er als Prasser nicht schad; der Palast dem Sieger gehöre. Einer der beiden erglüht im Glanz goldstrotzender Tupfen; Denn zwei Gattungen gibts: die bessere, schön in Erscheinung, Ist von rötlichen Schuppen umstrahlt; die geringere, struppig, Schleppt umher den gerundeten Wanst in beschämender Trägheit. Zwiefach wie der Weiser Gestalt sind die Leiber des Volkes.
G IV
Bienenzucht
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Etliche starren vor Schmutz, wie wenn ein Wanderer herkommt Aus tiefwühlendem Sand und Staub speit lechzenden Mundes. Andere wieder sind licht und strahlen in funkelndem Glänze, Fast als wäre mit Gold der Leib gleichmäßig betupfet. Dies ist die bessere Zucht; sie bürgt dir lautersten Honig, Den du pressest zur Zeit, und nicht nur lautersten, nein auch Flüssig genug, den Geschmack des herberen Weines zu mildern. Fliegt der Schwärm unsicher umher und tändelt am Himmel, Achtet die Waben gering und flieht vorm frostigen Stocke, Mußt am nichtigen Spiel du bald die Schwankenden hindern. Müh nicht kostet es viel: reiß aus die Flügel den Weisern! Zögern diese, so wagt von den andern Bienen es keine, Auszuschwärmen allein, selbst abzubrechen das Lager. Mit balsamischem Duft mag ein sie laden der Garten, Mag sie wahren Priap, der Wehrer der Vögel und Diebe, Sichelbewehrt die Hand, der hellespontische Hüter. Quendel und Pinien hol, wem obliegt dies zu besorgen, Von der Höhe des Bergs, umsäum rings hiermit die Stöcke. Selbst er stähle die Hand durch Arbeit, selber er pflanze Lebende Sprossen ins Land und begieß sie tüchtig mit Wasser. Zog ich nicht, mich nähernd bereits dem Ende des Werkes, Jetzt die Segel schon ein, an Land zu treiben mein Schifflein, Sänge vielleicht ich noch von Bebauung lohnender Gärten, Sänge von Pästums Rosengeländ, dem doppelt umblühten, Wie sich Endivien freun des Trunks aus rieselndem Bache, Wie vom Eppich das Ufer begrünt, die Melone, sich schlängelnd, Auf zum Bauche sich bläht; die Narzisse nicht hätt ich verschwiegen, Die noch spät sich umbuscht, die Windungen nicht des Akanthus Oder des Efeus Blaß, noch die Myrte, die Freundin der Ufer. Einst — ich erinnre mich des — vorm Wall der öbalischen Veste, Wo die goldene Flur durchströmt der dunkle Galäsus, Traf einen Greis ich an aus Körykus. Wenige Morgen Lands ihm gehörten, nicht fruchtbar genug zur Ackerbestellung, Nicht brauchbar als Trift, noch geschickt zum Rebengelände. Trotzdem zieht er einzeln den Kohl unter Dornengesträuchen, Lilien, grünend Gezweig und des Mohns auszehrende Blüten. Königen gleich er sich dünkt an Besitz; kommt tief in den Nächten Heim er, tischt er sich auf sein Mahl aus eigenem Vorrat. T r e n d e l e n b u r g , Virgils Undliche Dichtungen.
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G IV Bienenzucht 134-170
Rosen als erster er pflückt im Frühling, Äpfel im Herbste, Und wenn Wintersmacht durch Frost noch spaltet die Felsen, Wenn Eisdecken noch dick die Strömung hemmen der Flüsse, Darf Hyazinthen er schon der lieblichen Blüte berauben, Schelten den Sommer als trag und allzusäumig den Zephyr. Mütter der Bienen gewinnt er zuerst, ausschwärmende Jugend, Preßt den schäumigen Seim als erster aus willigen Waben, Ihm am reichlichsten treibt die Pinie, blühet die Linde Und soviel an Blüten im Frühjahr zeitigt der Obstbaum, Soviel Obst ihm beschwert im Herbst die kräftigen Zweige. Er verpflanzte noch spät im Jahr die Reihen der Ulmen, Birnen gewachsen schon stark, die Pflaumen gepfropfet auf Schlehdorn, Auch Platanen, die längst den Zechenden Schatten gewährten. Doch dies laß ich zurück, vom neidischen Räume beschränket, Und stell andern anheim, nach mir den Stoff zu behandeln. Doch nun sagen ich will, welch Lohn den Bienen verliehen Juppiter selbst dafür, daß sie der Kureten Getöse Folgend und klirrendem Erz einst in diktäischer Grotte Auferzogen mit Seim als Kind den König des Himmels. Sie nur haben die Brut, nur sie die Wohnung gemeinsam, Nur ihr Leben ist ganz nach festen Gesetzen geregelt. Sie nur kennen ein Heimatland und bleibenden Wohnsitz, Sie nur Sommersmühn, nur sie für den künftigen Winter Legen Erworbnes zurück als allen gehörenden Reichtum. Ein Teil sorget im Feld für des Leibes Bedürfnis, er tummelt Ganz sich, als wüßt er den Plan; im Innern bauet ein andrer Aus dem Leim der Narzisse, vermischt mit flüssigem Baumharz, Auf für Waben den untersten Grund, die wächsernen Zellen Hängt ein anderer auf; die hier den kräftigen Nachwuchs Führen hinaus, die Blüte des Stamms; die drücken den Honig Voll in die Waben hinein, bis Nektar lieblich sie füllet. Manchen auch fiel das Los, das Tor der Burg zu bewachen: Ausschaun sie schichtweis nach Wolken und Güssen des Himmels, Nehmen die Tracht auch ab den Sammelnden, wehren vom Mahle Ab in geschlossenem Zug die trägen Gehilfen der Drohnen. Eifrig man ist am Werk, nach Thymian duftet der Honig. Wenn Kyklopen in Hast zum Blitz die glühende Masse
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Q IV Bienenzucht 171—288
Auszuschmieden sich mühn, ein Teil in Bälge von Stierhaut Luft einzieht, ausstößt; ein anderer zischendes Eisen Härtet im kühlenden Bad: die Last macht ächzen den Ätna; Arm um Arm im Takt ausholt zu wuchtigem Schlage, Hin und her sie wenden das Erz mit kneifenden Zangen, Grad so — wenn es erlaubt, am Großen das Kleine zu messen — Gab die Natur den Trieb kekropischer Biene zur Arbeit, Jeder in ihrem Bereich. Obliegt den Alten die Sorge Für der Waben Bestand und den Aufbau künstlicher Zellen, Ziehn die Jüngeren heim in der Nacht, ermüdet vom Sammeln; Thymianlast sie beschwert, auch Erdbeersträucher sie haben, Auch wohl Weiden besucht, auch Zeiland, rötlichen Krokus, Linden in blühender Pracht, Hyazinthen balsamischen Duftes. All sie ruhen zugleich, zugleich sie fliegen zur Arbeit. Ganz früh eilen zusammen sie fort, um nirgend zu rasten; Erst wenn Abend sie mahnt, an Heimflug endlich zu denken, Suchen sie wieder das Haus, erst dann sie pflegen des Leibes. Leise nur tönts: ein Summen man hört an Löchern und Eingang. Haben sie sich zu Bette gelegt, herrscht nächtliches Schweigen; Denn wohltätiger Schlaf sich senkt auf ermattete Glieder. Doch steht Regen bevor, nicht weit den Stock sie verlassen, Traun dem Himmel auch nicht, wenn Ostwinds Wehn sie vermuten; Dann im Schutze der Stadt sie sich mit Wasser versorgen, Wagen auch kurz nur den Flug, sich oft mit Steinchen beschwerend, Wie der schwankende Kahn einnimmt beim Sturme den Ballast, Um durch deren Gewicht die Leichte der Luft zu bezwingen. Gradezu staunenswert scheint jene Gewöhnung der Bienen, Daß sie nimmer nachgehn der Begattung, Liebesgenüssen Niemals geben sich hin, noch Kinder mit Schmerzen gebären; Nein, von den Blättern selbst, von duftenden Blüten sie lesen Auf mit dem Munde die Brut; den König, die kleinen Quiriten Wählen sie nach und ergänzen den Hof, die wächserne Herrschaft. Irrfahrt oft in hartem Gestein sie kostet die Flügel, Kostet das Leben sogar, das unter der Last sie verhauchen: Lust an Blumen so groß, wie Stolz auf Erzeugung des Honigs. Drum bleibt, ist auch eng des Lebens Grenze gezogen — Länger es ihnen nicht währt als bis zum siebenten Sommer —, Doch unsterblich der Stamm und fest durch Reihen von Jahren 7*
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G IV
Bienenzucht 209—246
Steht des Hauses Gebäu, man zählt Ahnherren von Ahnen. Nie dem König erwies solch Ehrfurcht weder Ägypten, Noch das lydische Reich, nicht Parther, der Meder Hydaspes. Gehts dem Könige gut, in Eintracht mühen sich alle; Ist er dahin, ists aus mit der Treu; die Speicher des Honigs Plündern sie selbst, man löst ganz auf der Waben Gewebe. Er ist Hüter des Werks, er Ziel der Bewunderung, alle Drängen sich dicht um ihn mit Gesumm als treues Gefolge, Heben ihn oft auch hoch und decken im Kriege den Führer Gern mit dem eigenen Leib, den Tod durch Wunden erstrebend. Von solch Zeichen belehrt, auf Grund so starker Beweise Sagt man, Bienen beseel ein Teil des göttlichen Geistes Und des himmlischen Hauchs; denn ganz durchdringe die Gottheit Erden und Flächen des Meeres gleichwie die Tiefen des Himmels. Kleinvieh, Rinder, der Mensch, des Wilds zahllose Geschlechter Hieraus empfang bei Geburt den Hauch der lebenden Seele, Geb ihn auch dorthin wieder zurück, verfalle der Körper. Sie nicht schwindet im Tod. Voll Lebens alles entschwebe Zu den Sternen, empor es steig zum Himmelsgewölbe. Willst das begnadete Haus du mal der Schätze berauben, Die sich drinnen gehäuft, spül erst mit lauterem Wasser Aus dir den Mund, führ ein mit der Hand dann scheuchende Dämpfe* Zweimal bringt es vollen Ertrag, ein doppeltes Ernten: Wenn Taygete zeigt ihr leuchtend Gesicht, die Plejade, Und Okeanus' Flut mit dem Fuß wie böse zurückstößt, Oder auf Flucht schon sinnt vorm wäßrigen Fisch und hinabtaucht Traurig vom Himmel ins Meer, in die schon frostigen Wogen. Zorn packt Bienen gar leicht maßlos; verletzt, sie den Stichen Gift einspritzen und lassen zurück, in die Venen verbissen, In der Wunde den Speer, hierdurch preisgebend das Leben. Fürchtest jedoch du des Winters Macht und hast mit der Stimmung Mitleid du der Gedrückten, der Sorge, der Leere des Stockes, Räuchre mit Thymian ihn, schneid aus die beschädigten Zellen Ohne Verzug; denn oft Sternechsen die Waben benagen, Lichtscheu zieht die Schabe hinein in die harrende Wohnung, Auch schmarotzen zu gern an fremden Gerichten die Drohnen, Dringen Hornissen auch ein und wüten mit stärkeren Stacheln, Nistet der Motten Geschlecht; ja Spinnen, verhaßt der Minerva,
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Bienenzucht 247—284
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Hängen am Eingang auf zum Fang die geräumigen Netze. Doch je schwerer sie traf der Verlust, je dringender streben Alle danach, den Ruin des Volks wett wieder zu machen, Wieder zu dichten den Gang, mit Seim zu füllen die Scheuern. Siechet ihr Leib dahin, denn vor Unfällen sind Bienen Grad so wenig gefeit wie wir, in trauriger Krankheit — Was du sofort erkennst an ganz untrüglichen Zeichen: Gleich sich die Kranke verfärbt, Abmagerung plötzlich entstellet Völlig die schöne Gestalt; die Körper verblichener Schwestern Schaffen sie fort aus dem Stock und begehn das Leichenbegängnis; Kranke, die Füße verschränkt, vorn auf sich hängen am Eingang Oder verbleiben im Haus, als wärs vor ihnen verriegelt, Schlaff vor Hunger und träg vor alles erstarrendem Fieber. Dumpf ihr Summen ertönt, dumpf ihr fortwährendes Stöhnen, Wie wenn frostigen Wehns den Wald durchhallet der Südwind, Wie wenn Meeresgewog rückrauscht von brandenden Klippen, Wie wenn lohend die Flamm aufsprüht im Zwange des Ofens: Dann mit Galbanumharz rat ich die Stöcke zu räuchern, Mit Schilfröhrchen hinein zur Atzung Honig zu träufeln Und zum lockenden Mahl gastfrei die Matten zu laden. Nützlich es ist, Galläpfel zerstampft beimischen dem Honig, Auch wohl Rosen gedörrt und Most, am Feuer gedicket, Ferner Rosinen, gemacht aus Trauben der psithischen Rebe, Attischen Thymian auch, streng riechendes KentaurSum. Auf den Wiesen auch wächst ein Kraut, mit Namen Amellus, So von Bauern benannt, leicht aufzufinden beim Sammeln: E i n e r verwachsenen Wurzel entsprießt von Büscheln ein Dickicht, Goldgelb selber der Kelch, die Blätter dagegen, die ringsum Dicht sich drängen, getönt im dunkelen Braun der Viole; Oft sie schmückt, zu Guirlanden gereiht, der Götter Altäre. Scharf im Geschmack der Saft, auf gemäheten Wiesen die Hirten Pflücken sie viel, auch nah am Rand des gewundenen Mella. Koch die Wurzel hiervon in würziger Tunke des Weines Und als Speise sie stell ans Tor in vollen Behältern. Hat dir aber versagt einmal vollkommen der Nachwuchs, Und du sinnest umsonst, woher ein neuer zu schaffen, Ists an der Zeit, zu gedenken der Kunst des arkadischen Meisters, Die des öfteren schon könnt Schwärme von Bienen erschaffen
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G IV
Bienenzucht 285—321
Aus dem fauligen Blut verwesender Rinder. Die Sage Will ich erzählen genau, beim ersten Entstehen beginnend. Da wo Canopus' glückliches Volk im alten Ägypten Wohnt am befruchtenden See des übergetretenen Nilstroms Und umher die Güter befährt auf bemaleten Nachen, Bis wo Persis die Grenzmark zieht mit tüchtigen Schützen; Wo sich teilet der Strom in sieben gesonderte Läufe Bis dort, wo von den Indern herab, den dunkeln, er herwälzt Seinen befruchtenden Schlamm, Flugsand in Marschen verwandelnd: All dies Land hofft sicheres Heil von des Hirten Erfindung. Erst man wähle den Ort recht schmal zu solchem Gebrauche; Ein ihn enge dazu die niedere Ziegelbedachung, Wände zusammengedrängt, worin vier Fenster gelassen Den vier Winden gemäß, schräg fall durch diese der Lichtschein. Drauf einen Stier man wählt, dem schon zweijährige Hörner Krönen die Stirn; ihm stopft man zu das Maul und die Nüstern, Wehrt er sich noch so sehr; dann schlägt man mürb dem Erstickten Fleisch und innres Geweid, doch darf das Fell nicht zerspringen. So man liegen ihn läßt in verschlossenem Räume; die Rippen Ruhen auf Reisigstreu, mit Casia, Quendel besprenget. Solches geschieht zur Zeit, wo zuerst Westwinde sich zeigen, Eh von neuem Erblühn die Wiesen sich röten und ehe Noch im Gebälk aufhängt ihr Nest die geschwätzige Schwalbe. Doch inzwischen beginnt im mürben Gebeine zu gären Warm der Saft und erzeugt Tierwesen von seltener Bildung, Bar der Füße zuerst; doch bald aufsurrend mit Flügeln Durcheinander sie schwirrn und wagen sich auch in die Lüfte, Bis ausbrechen sie ganz, wie Regen aus Sommergewölke Oder von schwirrender Senn ausgeht ein Hagel von Pfeilen, Wenn der Parther behend die Schlacht einleitet mit Plänkeln. Welch Gott, Musen, hat uns mit dieser Erfindung bereichert? Woher fand die neue so schnell bei Sterblichen Eingang? Hirt Aristäus verließ einstmals das peneische Tempe, Als er die Bienen verlor, wie's heißt, durch Hunger und Krankheit, Ging zum heiligen Quell des Stroms am äußersten Ende, Voll von Klagen das Herz, und sprach zur Mutter die Worte: „Mutter Kyrene, die du hier wohnst im Grunde des Quelles,
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Bienenzucht 322—358
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Wozu gebarst du mich, den Sproß aus göttlichem Blute, — Wenn, wie du sagst, mich wirklich gezeugt der Apollo von Thymbra — So verfemt vom Geschick? Wohin ist die Liebe zum Sohne Dir denn entflohn? Was hießest du mich, den Himmel erhoffen? Sieh, selbst lassen ich muß den Ruhm des irdischen Lebens, Den mir Pflege des Viehs eintrug und Pflege der Feldfrucht. Auch ihn lassen ich muß, obwohl du, Göttin, mir Mutter. Auf! Mit eigener Hand reiß aus fruchttragende Bäume, Wirf in die Ställe den Brand, Vernichtung sinne den Ernten, Tilg aus, was ich gesät, mit der Holzaxt drohe den Reben, Füllt mit Verdruß dich so der Ruhm des eigenen Sohnes!" Nicht entgeht im Gemache des Stroms der Mutter die Klage. Um sie zupfen vereint an weicher Milesierwolle, Die sattgrün durchtränkt mit Farben des Glases, die Nymphen Drymo mit Xantho, Phyllödoke neben Lig6a, Denen das glänzende Haar herabfällt über den Nacken, Nesäa, Spio, Kymödoke neben Thalia, Auch Kydfppe, die blonde Lykorias, jene noch Jungfrau, Diese zuerst damals vertraut mit den Wehn der Lucina; B£roe mit Kliö, Meernymphen sie beide, Geschwister, Beide gegürtet mit Gold und Fellen von buntester Farbe, Ephyre dann und Opis und Asias Delopea, Auch Arethusa, die schnelle, die mal ablegte die Pfeile. Klymene diesen erzählt von Vulkans vergeblichen Sorgen, Von den Listen des Mars, den heimlichen Freuden der Buhlschaft, Zählt auch auf von der Schöpfung an Liebschaften der Götter. Während vom Liede gebannt sie sorgsam spinnen am Pensum, Trifft von neuem das Ohr Kyrenes scharf Aristäus' Klage; nun fahren empor von ihren kristallenen Sitzen Alle, doch früher als sie lugt aus Arethusa, die schnelle, Taucht mit dem lockigen Haupt hervor aus dem Wasser und rufet Oben von fern: „Nicht hat umsonst dich Klagen erschrecket, Schwester Kyrene; denn er, dein Sohn, dein teuerster Liebling, Dein Aristäus, er steht am Born des Vaters Peneus Tränenbenetzt und klagt und schilt mit Namen dich grausam." Ihr die Mutter, gelähmt vom unerwarteten Schrecken, Zuruft: „Bring ihn her! Er darf der Seligen Schwelle
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G IV Bienenzucht 359—396
Nahn sich ohne Verzug." Zugleich teilt weit sie die Strömung, Daß eintrete der Sohn. Sich stellt mit gewölbeten Wogen Gleich einem Berg der Strom um ihn, in die mächtige Wölbung Nimmt er den Jüngling auf und bringt ihn sicher zur Tiefe. Hier tritt er die Wanderung an, bestaunet der Mutter Haus, das flüssige Reich, die Seen, von Grotten umgeben, Samt dem rauschenden Hain. Von der Wucht der Wasser betroffen, Sieht er entstehn am untersten Grund die gewaltigen Ströme Jeden im eignen Bereich: er schaut den Phasis, den Lykus, Schaut die Quellen, woher den Ursprung nimmt der Enipeus, Hypanis, der Felstäler durchbraust, der Myser Kalkus, Wo der Tiber und wo des Anio Fälle beginnen, Wo, das Stierantlitz umwehrt von goldenen Hörnern, Der Eridanus quillt, der jäher als andere Ströme Durch das fette Gefild ins purpurne Meer sich ergießet. Als er gelangt ins Gemach mit des Bimsteins hangender Wölbung Und Kyrene gewahrt, daß leicht zu heben die Klagen, Reichen der Ordnung nach ihm lauteres Naß für die Hände Dar die Schwestern und bringen zugleich die Tücher zum Trocknen; Andre belasten den Tisch mit Speisen, gefüllete Becher, Stellt man auf, panchäischer Duft entströmt den Altären. „Nimm den Becher mäonischen Weins", so mahnet die Mutter, „Spenden dem Ozean wir!" Zugleich sie selber auch betet Zu dem Vater des Alls, dem Weltmeer, dann zu den Nymphen, Die der Waldungen Menge, die Zahl der Flüsse beschützen. Dreimal gießt in die Flamme des Herds sie flüssigen Nektar, Dreimal züngelt empor die Glut zur Höhe der Decke. Durch das Zeichen erfreut, läßt sie sich also vernehmen: „Im karpathischen Strudel Neptuns ein Seher sich aufhält, Proteus, Walter des Sunds, den über die glitzernde Fläche Trägt weithin sein Doppelgespann fischschwänziger Rosse. Eben Emathias Bucht und den Heimatboden Pallenes Er aufsucht. Ihn ehren wir hoch, wir Nymphen und Nereus, Der Urvater uns ist; denn nichts dem Seher entgehet, Was ist, was einst war und was bald bringet die Zukunft. So hats selber gewollt Neptun, des riesige Herden Er am Grunde des Meeres betreut und häßliche Robben. Ihn mußt, Sohn, du zuerst in Fesseln legen, damit er
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Bienenzucht 397—434
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Dir enthülle der Krankheit Grund und Erfolge verheiße. Ohne Gewalt er nichts dir mitteilt, beugen durch Bitten Läßt er sich nicht; wend an drum Ketten und kräftiges Ringen. Hiermit allein du brichst die nichtigen Listen des Sehers. Selbst ich führen dich will, wenn mittags brütet die Sonne, Wenn verschmachtet das Kraut, dem Vieh schon lieber der Schatten, Zu des Alten Versteck, wohin er müde zurückzieht Sich vom Gestad, daß leicht du dem Schlafüberwältigten beikommst. Hast du fest ihn gepackt und sicher in Fesseln geschlagen, Täuscht dich vielerlei Schein, dich umgaukeln Fratzen von Tieren; Bald zum struppigen Schwein er wird, zum schrecklichen Tiger, Bald zur schuppigen Schlang, zum gelbummähneten Löwen; Oder er sucht durch prasselnde Glut die Bande zu sprengen, Oder zerfließt zum Quell, um so zu gewinnen die Freiheit. Doch je schneller er sich in alle Gestalten verwandelt, Um so stärker, mein Sohn, zieh an die haltenden Ketten, Bis er verwandelten Leibs ganz so wird wieder wie damals, Als der zwingende Schlaf ihm schloß beim Ruhen die Lider." Sprichts und läßt Ambrosiaduft, den klaren, zerfließen, Daß er ganz durchtränke den Sohn; da dringt aus den Locken, Die schön fallen vom Haupt, ihm gleich ein liebliches Duften, Frisch in den Gliedern sich regt die Spannkraft. Tief in der Seite Birgt eine Höhle der Berg; in sie sich zwängen bei Stürmen Hastig die Wogen hinein, die drin zu Busen sich weiten, Längst für Schiffer in Not die denkbar sicherste Zuflucht. Dorten sich Proteus birgt, verdeckt vom mächtigen Felsblock. Hierhin stellt, durch Schatten geschützt, die Nymphe den Jüngling Und bleibt stehen ihm nah, ringsum von Nebel verhüllet. Schon brennt Sirius' Stern, ausdörrend die durstigen Inder, Heiß vom Himmel herab, Sol hat die Mitte des Laufes Eben erreicht, es dürstet das Gras, mit trockener Mündung Liegen die Ströme wie tot, durchkocht im innersten Schlamme. Jetzt die Fluten verläßt Proteus, zustrebend der Höhle; Um ihn spielt das feuchte Gezücht des gewaltigen Meeres Und spritzt rings umher den Tau der bitteren Wogen. Dann sich legen zum Schlaf weithin am Ufer die Robben. Wie die Hirten des Viehs, die Herden betreuen im Bergwald, Ruft der Abend zum Stalle zurück die gesättigten Kälbchen,
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Q IV
Bienenzucht 435—472
Dringt zum Ohre des Wolfs das lockende Blöken der Lämmer, Setzt auch er in die Schar sich hinein und mustert die Herde. Kaum ist der Zeitpunkt da, dingfest den Gesuchten zu machen, Läßt Aristäus nicht mehr den Greis sich strecken zum Schlafe, Nein, mit Geschrei stürzt er auf ihn und fesselt den Müden Ohne Verzug. Doch er, der sicheren Künste gedenkend, Wandelt im Umsehn sich in allerlei Wundergestalten: Wird zur Flamme, zum schrecklichen Tier, zu fließendem Waser. Nichts nützt ihm der Betrug zur Flucht, überwunden er kehret In sich selber zurück und spricht mit menschlicher Stimme: „Wer hieß dich, verwegenster du der Jünglinge, nahen So dich unserem Haus? Was willst d u ? " Jener entgegnet: „Selber du weißts, Proteus; nichts kann ja täuschen dich jemals. Drum auch du hör auf! Denn folgsam göttlicher Weisung Siehst du mich hier. Ersatz für verlorenes Gut ich erbitte." Nur so wenig er sagt. Hierauf entsiegelt der Seher Endlich mit großer Gewalt, mit bläulich glühenden Augen Und in knirschendem Grimm den Mund zu folgendem Spruche: „Göttlicher Zorn es ist, der dich zur Strafe verfolget; Große Vergehn du sühnst. Schuldlos verfallen dem Jammer Schickt Orpheus die Prüfungen dir, greift ein nicht das Schicksal; Denn er raset so schwer ob seiner entschwundnen Gemahlin. Während vor dir sie flieht am Fluß in eiligem Laufe, Sieht, verfallen dem Tod, sie nicht die schreckliche Natter, Die, vom Grase bedeckt, am Weg hier lauert auf Beute. Laut mit Klagen erfüllt der Freundinnenchor der Dryaden Rings die waldigen Höhn, es klagen der Rhodope Gipfel, Klagt das pangäische Joch; des Rhesus kriegrische Lande Weinen, die Geten, der Hebrus und Attikas Orithyia. Sich zu trösten im Gram, singt Orpheus, schlagend die Laute Von dir, süßes Gemahl, einsam am öden Gestade, Singt, wann kommet der Tag, singt, wann er gehet zur Rüste. Ja, den tänarischen Schlund, des Dis hochragende Wohnung, Selbst den düsteren Hain, den Ort des nächtlichen Schreckens, Suchet er auf, geht an die Manen, den grimmigen Herrscher, Herzen, die nimmer bisher erweicht' ein menschliches Bitten. Jetzt, vom Liede gerührt, sich zeigen aus Erebus' Tiefe Schatten so dünn wie Luft, Scheinbilder des Lichtes entbehrend,
G IV
Bienenzucht 473—509
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Wie zu Tausenden sich im Laub wohl Vögel versammeln, Wenn vom Berg sie der Abend verjagt, der eisige Regen: Frauen und Männer vereint, hochherrliche Heldengestalten, Die das Leben gelebt, auch Knaben und ledige Mädchen, Jünglinge, früh den Flammen geweiht vor Augen der Eltern. Schwärzlicher Schlamm sie rings umgibt, das häßliche Schilfrohr Des Kokyt, der träge Morast unfreundlichen Wassers, Und neunmal umschließet sie noch der stygische Graben. Ob des Liedes erstaunt das Haus, die Bereiche des Todes, Drob der Furien Schar, mit bläulichen Schlangen die Haare Dicht durchflochten, es schweigt des Kerberus dreifach Gekläffe, Auch das Rund des Ixion-Rads bleibt stehen im Lufthauch. Schon hat den Rückweg er und seine Gefahren bestanden, Und Eurydike will, die Wiedergeschenkte, begrüßen Hinter ihm eben das Licht — so wollts Proserpinas Satzung —, Als des Liebenden Geist umfängt ein plötzlicher Wahnsinn, Zwar zu verzeihn, wenn nur zu verzeihn die Manen auch wüßten: Stehen er bleibt und wendet sich um nach seiner Geliebten Schon im Lichte des Tags. Umsonst sind jetzo die Mühen, Da ja verletzt der Pakt, diktiert vom schrecklichen König. Dreifach Krachen man hört schrill im avernischen Sumpfe. „Wer ists, r u f t sie, der mich und dich vernichtet, mein Orpheus? Welch eine W u t ! Mich rufet zurück, sieh, wieder das Schicksal, Und das brechende Aug deckt neu der ewige Schlummer. Nun leb wohl! Umhüllt vom nächtlichen Dunkel entweich ich Und streck kraftlos aus, ach, nicht mehr Deine, die Hände." R u f t s und den Blicken entflieht, wie Rauch sich mischt mit den Lüften, Sie zum dunkelen Reich. Umsonst noch will mit den Armen Er umfassen das Bild und denkt noch vieles zu sagen: Nicht mehr achtet sie sein. Der Fährmann duldet des Orkus Nicht, daß noch einmal den Sumpf der Gatte befahre. Was ist zu t u n ? Wohin nachstürzen der doppelt Geraubten? Wie durch Klagen den Sinn der Schatten und Götter erweichen? Schon ja schwimmt sie dahin entseelt auf stygischem Nachen. Sieben der Monde hindurch, so sagt man, hab er geklaget Unter dem luftigen Fels an Strymons öden Gestaden, Hab von seinem Geschick erzählt in eisigen Höhlen,
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G IV Bienenzucht 510—547
Tiger gezähmt durchs Lied und Eichen beweget durch Töne. So Philomela beklagt voll Schmerz im Laube der Pappel All der Ihren Verlust; der unbarmherzige Landmann Spähend entriß sie dem Nest, nackt wie sie waren; die Mutter Flötet zur Nacht im Laub, läßt hören ihr rührendes Schluchzen Und erfüllet den Hain ringsum mit klagenden Tönen. Nicht mehr Venus gewinnt sein Herz, nicht mehr Hymenäus. Einsam er durchstreift das Eis der Hyperboreer, Weilt am frostigen Don, auf Fluren, rhipäischen Reifes Niemals bar, und beweint Eurydikes Raub und des Orkus Eitel Geschenk. Sein Tun empört die thrakischen Weiber: Während des Altardiensts und Bachus' nächtlicher Feier Reißt ihn in Stücke die Wut und verstreut ihn über die Felder. Auch als getrennt schon war das Haupt vom glänzenden Nacken Und schon mitten im Strom es schwamm des thrakischen Hebrus, Rief Eurydike noch sein Mund, die Zunge des Toten: „Weh, Eurydike mein!" Sie riefs beim fliehenden Leben, Und weithin erklang vom Namen des Stromes Gestade." So Proteus. Ins Meer er sich schwingt mit kräftigem Sprunge, Daß, wo versunken der Gott, aufwallt ein schäumender Strudel. Aber Kyrene bleibt und spricht zum Zagenden also: „Sohn, nun darf dein trauriges Herz aufgeben die Sorgen. Klar ist der Krankheit Grund; aus Zorn ja sandten die Nymphen, Die mit jener zugleich im Hain aufführten den Reigen, Kläglichen Tod dem Schwärm. Du bring demütig Geschenke, Fleh um Frieden in Gnad und ehr die göttlichen Nymphen; Ehrlicher Reu sie verzeihn, den Zorn ganz lassen sie fahren. Wie zu beten du hast, will ich in Kürze dir sagen. Wähl vier Stiere dir aus von ganz untadligem Körper, Die noch weiden dir jetzt auf den Höhn des grünen Lykäus, Eben der Färsen soviel mit unangetastetem Nacken. Vier Altäre für sie wirf auf bei der Nymphen Kapellen. Hier das heilige Blut ins Altarfeuer du gieße, Doch die Körper du laß im schattigen Haine verwesen. Ist in der Frühe des Neunten Aurora wieder erschienen, Bring lethäischen Mohn du dar als Opfer dem Orpheus, Schlacht ein dunkeles Lamm; dann kehr zum Haine zurücke Und Eurydike bring zum Dank, der versöhnten, ein Kälbchen."
G IV Bienenzucht 548—566
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Ohne Verzug er tut, was ihm die Mutter befohlen. Vier Altäre sogleich er baut bei der Nymphen Kapellen, Wählt vier Stiere sich aus von ganz untadligem Körper, Eben der Färsen soviel mit unangetastetem Nacken. Als in der Frühe des Neunten Aurora wieder erschienen, Bringt ers Opfer dem Orpheus dar, zum Hain er zurückkehrt. Hier den Blicken sich zeigt ein unaussprechliches Wunder: Bienengesumm man hört im Bauch der verwesenden Stiere, Das den Därmen entspringt; dann sieht man bersten die Rippen, Endlos ziehn ein Gewölk, das hoch im Wipfel sich sammelt Und vom schmeidigen Ast herab bald hänget als Traube. Dies von Bestellung des Lands ich sang, von Pflege der Herden, Dies von der Baumzucht Mühn, indes der mächtige Cäsar Donnert im Krieg am Euphratstrom, den willigen Völkern Recht spricht und sich bahnet den Weg zum hohen Olympus. Damals mich Virgil Parthenope freundlich ernährte, Wo den Studien ob ich lag ruhmloserer Muße. Vorher hab ich als Hirt in mutiger Jugend getändelt: „Tityrus, lässig du liegst im Schutz breitschattiger Buche."
Zum Lehrgedicht vom Landbau Allgemeines Virgil hat die vier Bücher dieser Dichtung seinem Gönner Mäzen gewidmet, dem er die Anregung dazu verdankt (III 41). Er folgte dieser um so williger, je lebhafter er selbst den Wunsch hegte, in engster Verbindung mit der Natur zu leben, sei es als Erforscher ihrer Gesetze, sei es auch nur als Bewunderer ihrer Schönheiten. Lieber will er ruhmlos der Ruhe des Landlebens sich freuen als, von vielen genannt, sich dem aufregenden Treiben der Hauptstadt hingeben. Heil dem, der da begreift den Urgrund alles Geschehens, Herr wird über die Furcht und das unabwendliche Schicksal, Der das Raunen nicht hört des allverschlingenden Orkus! Glücklich jedoch auch der, der die ländlichen Götter verstehet, Pan, den alten Silvan, die Nymphen, die lieblichen Schwestern! Ihn beugt nicht die Laune des Volks, der Könige Purpur, Nicht Zwietracht, die Brüder entzweit... (II 490—496). Die Römer sind ein Bauernvolk. Wer sie auf den Ackerbau hinweist, führt sie zu ihrer Urbeschäftigung zurück, der sie ihre Weltstellung verdanken. Auch für seinen „askräischen Sang" hat Virgil ein griechisches Vorbild in den „Werken und Tagen" Hesiods, des Dichters aus dem böotischen Askra. Da dieses aber in seinen einzelnen Teilen ohne rechten Zusammenhang und außerdem von vielen fremden Zutaten durchsetzt ist, kann es für Virgils einheitliches und übersichtliches Lehrgedicht nicht entfernt in gleichem Sinne als Vorbild angesehen werden wie Theokrits Idyllen für die Bukolika. Nur der Umstand, daß Virgil mit seinem Lehrgedicht wie mit seinen Hirtenliedern ein der römischen Literatur bisher fremdes Gebiet betritt, läßt es
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ihm angezeigt erscheinen, sich auch für jenes auf einen griechischen Vorgänger zu berufen. Der weitschichtige Stoff ist, wie der Eingang zum ersten Buche ausführt, auf die vier Bücher in der Weise verteilt, daß I vom Ackerbau, II von der Baum-, III von der Vieh- und IV von der Bienenzucht handelt. Nirgends geht der Dichter auf planmäßige Erschöpfung des Stoffes aus — von der Gartenkunst z. B. sieht er außer in einer Episode völlig ab —, nirgends strebt er im einzelnen eine erschöpfende Darstellung an. Er fährt zwar, wie er dies (II 39— 46) durch ein Bild ausdrückt, aufs offene Meer hinaus und läßt vom Wind die Segel schwellen, hält sich aber in der Nähe der Küste, um stets landen zu können, wenn ihm Gefahren drohen, d. h. um auf ein ihm vertrautes Gebiet flüchten zu können, wenn die Fülle des fremden Stoffes ihn erdrücken will. Er ergeht sich in Abschweifungen, Episoden, wechselnden Bildern und läßt der Fülle und Farbe dichterischer Eingebungen durchaus die Oberhand. Deshalb wird auch die Darstellung nirgends trocken, eintönig, ermüdend. Des Lehrgedichtes größter Vorzug ist der Mangel alles Lehrhaften. Es erzählt, beschreibt, schildert, trägt aber nichts lediglich um zu belehren vor. Auch wo es mahnt, warnt, vorschreibt, wendet es sich nicht an den Verstand, sondern an die Phantasie des Hörers und läßt lieber Einzelheiten im Unklaren, als daß es durch übergroße Genauigkeit langweilt. Und das alles geschieht in einer Sprache, der man nicht anmerkt, daß Virgil sie für seinen Zweck erst schaffen, daß er einen Stoff meistern muß, der dichterische Behandlung bisher nicht nur nicht erfahren hat, sondern seiner Natur nach ihr geradeswegs zu widerstreben scheint. Was der Dichter der Sprache abringen muß, gibt sie ihm, so meint man, freiwillig her. Mit Gedanken an das Lehrgedicht trägt sich Virgil bereits, als er noch mit der endgültigen Ordnung seiner Hirtenlieder beschäftigt ist. In einem der Bruchstücke, die er in B IX sammelt, (46—50) nimmt das Hirtenlied unverkennbar völlig den Ton des Lehrgedichtes an, dessen erstes Buch vom Einfluß der Sterne auf die Saaten handelt. Der nach Cäsars Ermordung am Himmel erscheinende Komet, nach dem Volksglauben dessen vergötterte Seele, löst die alten Gestirne ab, indem er fortan selbst die segensreiche Obhut über Saaten und Baumpflanzungen übernimmt. Hat hiernach die Arbeit am Lehrgedicht schon i. J. 39 eingesetzt, so hat
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sie bis zu ihrem Abschluß (i. J . 29) zehn Jahre in Anspruch genommen. Das ist bei der Fülle und Ungefügigkeit des Stoffes durchaus begreiflich. Als Virgil das Lob Italiens singt (II 136—176), weilt Cäsar als Sieger an Asiens „äußersten Grenzen". Nach dem Siege bei Aktium zieht er zunächst nach Ägypten, um die Verwaltung der neuen Provinz zu ordnen, und von hier ins Innere von Asien, um die noch nicht gebändigten östlichen Grenznachbarn des Reiches („die Inder") von etwaigen Erhebungen abzuschrecken. Die Ordnung dieser Verhältnisse nimmt ihn zwei Jahre in Anspruch. Erst im Sommer 29 kann er an die Rückkehr nach der Reichshauptstadt denken. Er fährt von Brundisium nach Neapel, um über Kapua Rom zu erreichen. Unterwegs befällt ihn, der sich keiner widerstandsfähigen Gesundheit erfreut, eine Halskrankheit (angina faucium?) und zwingt ihn in dem kleinen Atella, halbwegs zwischen Neapel und Kapua, eine Reihe von Tagen Halt zu machen und Heilung abzuwarten (faucium reflciendarum causa Donat). Virgil, der gerade in Neapel weilt, wird herangezogen, dem Kranken die Zeit zu verkürzen. „Er liest ihm, so berichtet sein Biograph weiter, an vier Tagen hintereinander die Georgika vor, wobei ihn Mäzen ablöst, sooft ihm die Stimme versagt." Hiernach waren die Georgika im Sommer 29 abgeschlossen, womit der Schluß des letzten Buches (IV 559) übereinstimmt: Dies von Bestellung des Lands ich sang, von Pflege der Herden, Dies von der Baumzucht Mühn, indes der mächtige Cäsar Donnert im Krieg am Euphratstrom, den willigen Völkern Recht spricht und sich bahnet den Weg zum hohen Olympus. Läßt Virgil in den Hirtenliedern erst bei ihrer Schlußfassung den Plan seines Lehrgedichtes vom Landbau anklingen, so kündigt er sein Lebenswerk, das Äneaslied, bereits mitten in der Arbeit am Lehrgedicht an. Eine breit angelegte Allegorie im Eingang des dritten Buches (13—39) malt den Bau eines Marmortempels aus, den Virgil bei seiner Vaterstadt Mantua auf grüner Au am Mincio Cäsar, dem Friedebringer, zu Ehren errichten und mit Spielen einweihen will. Hat er Mäzens Auftrag erfüllt und die Dichtung vom Landbau beendigt, geht er sofort an das Äneaslied: Doch bald geh ich daran, von Cäsars Schlachten zu singen Und den Namen von ihm durch soviel Jahre zu tragen, Wie von Tithonus' Geburt abliegt sein eigener Zeitraum.
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Zu Buch I Ackerbau Gliederung: Eingang 1—42, Hauptteil 43—465, Ausgang466—514. E i n g a n g . Verteilung des Stoffes auf die 4 Bücher: 1 Ackerbau, 11 Baumzucht, III Viehzucht, IV Bienenzucht. Anrufung der Gottheiten, unter deren Schutz der Landbau steht: Sonne und Mond (Vers 5 f.), Bacchus und Ceres (7—9), Faune und Dryaden (10 f.), Neptun, Schöpfer des Pferdes (12 f.), Aristäus, Hüter der Waldtrift (14 f.), Pan (16 f.), Minerva, Hüterin des Ölbaums (18), Triptolemus, Erfinder des Pflugs (19), der Waldgott Silvan (20), zum Schluß ohne Namennennung noch einmal „alle Götter und Göttinnen" (21—23), damit keiner vergessen werde. Zu diesen alten Gottheiten tritt als neue Oktavian (24—42). Da er noch auf Erden wandelt, ist es ungewiß, in welchen Göttervein er dereinst aufgenommen werden wird, ob als Hort der Städte oder des Landes (25—28), als Herr der See (29—31), als neues Sternbild (32—35) oder auch als Gott der Unterwelt (36—39), die ja nicht lediglich ein Ort des Schreckens, sondern auch der Seligen ist. Der Dichter gewährt dem Anruf göttlicher Hilfe für sein Lehrgedicht vom Landbau einen auffallend breiten Raum. Er betritt eben damit wieder ein der römischen Literatur bisher verschlossenes Gebiet und ist sich wohl bewußt, daß im Vergleich zu den kleinen Hirtenliedern mit dem größeren Umfang der Aufgabe auch ihre Schwierigkeit ins Ungemessene wächst. Gliederung des H a u p t t e i l s . A 43—99: Feldarbeiten vor der Saat. Früh damit beginnen; denn ertragreich wird die Saat erst, die zweimal im Jahr Sonne und Frost erfahren hat. Der Acker wurde in der Regel dreimal gepflügt, im Frühjahr, im Sommer und vor der Wintersaat im Herbst. Wer aus schwerem Boden besonders viel herausarbeiten wollte, brach ihn viermal um; zu den drei gewöhnlichen Bestellungen kam dann als vierte die im Herbst des Vorjahres, so daß der Acker zweimal von Frost und zweimal von Hitze durchdrungen wurde. B 100—159: Arbeiten nach der Saat, Zerkleinerung der Erdklumpen, Bewässerung, Abweiden der allzuüppigen Saat, Ableitung zu großer Feuchtigkeit, Bekämpfung der Schädlinge. Episode 121—154: Es wollt ja Juppiter selber, daß des T r e n d e l e n b u r g , Virgils ländliche Dichtungen.
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Landbaus Mühe nicht leicht... Litt nicht, daß sein Reich im Nichtstun schmählich erstarre. Segen der Arbeit. Bemerkenswerte Abweichung von der Vorstellung des saturnischen Zeitalters in B IV, dessen Hauptvorzug darin besteht, daß der Boden alles für alle trägt, ohne daß es jemand ihm abzuzwingen braucht. C 160—203: Geräte zum Landbau, Behandlung des Samens. D 204—310: Einteilung der Arbeit nach dem Stand der Gestirne. Saatzeit. Der jährliche Sonnenlauf, die fünf Zonen. Regen- und Festtage. Geschäfte an bestimmten Monatstagen, bei Nacht, bei Tage. E311 —463: Ungewitter und Sicherungen dagegen. Anzeichen für stürmisches (351—392), freundliches Wetter (393—423), am Monde (424—437), an der Sonne (438—465). Wie stark auch Virgil in diesem Abschnitt Arats „Wetterzeichen" benutzt, er bleibt doch auch hier der selbständige Dichter, der seine Quelle an Klarheit der Sprache und Übersichtlichkeit des Stoffes weit hinter sich zurückläßt. Ausgang 466—514. An die natürlichen Wetterzeichen schließt Virgil eine Aufzählung der Schreckenszeichen, von denen Cäsars Ermordung begleitet war, das furchtbarste und in seinen Folgen noch fühlbarste aller Verbrechen (466—497): Verfinsterung der Sonnenscheibe, Hundegeheul und Kreischen der Vögel, Ausbruch des Ätna, Waffenlärm am Himmel, Erdbeben in den Alpen, gelle Stimmen im Schweigen des Hains, gespenstische Gestalten, sprechendes Vieh, Risse im Boden, in Tränen oder Schweiß gebadete Tempelstatuen, Übertreten des Po, böse Vorzeichen in den Eingeweiden der Opfertiere, blutende Brunnen, heulende Wölfe in Städten zur Nachtzeit, Blitze aus heiterem Himmel, drohende Kometen, genug, eine Fülle von Anzeichen, die auf blutige Bürgerkriege und ihre Entscheidung in der Doppelschlacht bei Philippi hinwiesen. Kein Wunder, wenn der Ackersmann bei seinen Arbeiten hier auf Waffen und Gerippe stößt, deren Größe schon sie einem ausgestorbenen Geschlechte zuweist. Besonders feierlich leitet Virgil den Schlußabsatz ein (498—514), der Oktavian, den auf Erden weilenden und um Menschengeschicke sich sorgenden Gott angeht. Mit dem Gedanken, daß ihm schon längst sein Platz im Olymp bestimmt sei, kehrt der Dichter zum Eingang des Buches (24—42) zurück, wo er ihn den alten Gottheiten des Landbaues anreiht. Drei Gottheiten ruft er in der Eingangs-
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zeile an: die heimischen eingeborenen Götter (di patrii indigetes) und als besondere Schützer des „tuskischen Tiber und Roms Palatinus" den vergötterten Romulus und Vesta, die Urgöttin jeder Niederlassung. Ihrer Obhut empfiehlt er den jungen Fürsten in einer Zeit, in der Recht zum Unrecht wird, in der nichts mehr der Bauer gilt, nur noch der Krieger, in der ein ruchloser Kampf aller gegen alle entbrannt ist, nicht nur gegen äußere Feinde, sondern auch gegen die eigenen Mitbürger.
Zu Buch II Baumzucht Gliederung: Eingang 1—46, Hauptteil 47—457, Ausgang458—542. Eingang. Anrufung des Bacchus, „Vaters der Kelter" nicht nur sondern auch Schützers der Bäume, sowohl der im Wald wild wachsenden, wie der in Baumschulen gezogenen (1—8). Entstehung der Bäume (9—39). Natürliche (9—21): a ohne Samen (10—13), baus herabgefallenem Samen (14—16), c aus Wurzeltrieben (17—19). Künstliche (22—34): a aus abgerissenen Wurzeln (23), b aus Ästen, die, wie Pfählchen unten gespalten oder zugespitzt, tief in die Erde gesenkt werden (24 f.), c aus Zweigen, die mit dem Stamm verbunden bleiben, aber gebogen mit der Spitze in die Erde gesteckt werden (26 f.), d aus Zweigen, die abgeschnitten und in den Mutterboden an anderer Stelle eingepflanzt werden (28 f.), e aus Scheiten des zersägten Ölbaumstammes, die wunderbarer Weise ohne Wurzeln weiter wachsen (30 f.), f aus Reisern, die anderen Bäumen aufgepfropft werden (32—34). In den zwölf Versen 23—34 vollführt der Dichter dank seiner Wortknappheit und Sprachbeherrschung ein förmliches Kunststück, indem er darin nicht weniger als sechs Arten künstlicher Fortpflanzung so beschreibt, daß jeder sich ein klares Bild davon machen kann. Mahnung an die Landbauern, auf „artweise" Pflege der Bäume bedacht zu sein (35 —38). Einladung an Mäzen, die Fahrt aufs offene Meer mitzumachen (39—46). Er soll das Schiff am Gestade hinleiten, so daß zu keiner Zeit das Festland außer Sicht kommt. Ohne Bild: Virgil will sich von dem 8•
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neuen Stoff, der dichterischer Gestaltung sich nur schwer fügt, nicht überwältigen lassen, sondern sich jeder Zeit die Möglichkeit offen halten, auf Gebiete überzuspringen, die durch Vorgänger der Dichtung bereits gewonnen sind. Land-, forst-, weinwirtschaftliche Aufgaben sollen nicht ausschließlich im Vordergrunde stehen, sondern auch mythischen, politischen, ethischen Betrachtungen Raum gewähren: ein bemerkenswertes Bekenntnis zur Wahrung dichterischer Freiheit gegenüber einem gegebenen Stoff. Es hebt den Schleier von dem Geheimnis, daß Virgil nirgends trocken, eintönig, ermüdend wird, sondern durch abwechslungsreiche Episoden die Aufmerksamkeit immer von neuem anregt. H a u p t t e i l . A 47—82 Veredlung der Bäume, je nachdem sie anscheinend ohne Samen gewachsen sind (10—13) durch Pfropfen und Verpflanzen, oder aus herabgefallenem Samen entstanden sind (14—16) durch Pfropfen, oder aus Wurzelschößlingen keimen (17—19) durch Verpflanzen. B 83—135 Verschiedenheit der Bäume nach Gattung, Standort und Heimat. 136—176 Episode: Lob Italiens. Mit Italien können sich auch reichere und scheinbar bevorzugte Länder nicht messen. Es läßt gleichmäßig Feldfrüchte wie Herden gedeihen, es freut sich glücklich gemischter Witterung, volkreicher Städte, einer Fülle von Seen, von Gebirgen reich an Erz oder Silber, eines starken Menschenschlages, einer ungewöhnlichen Zahl hervorragender Männer. Das Lob schließt mit den stolzen Versen: Sei mir gegrüßt, saturnische Flur, du Mutter der Früchte, Mutter der Helden zugleich! Dir sing ich rühmlichen Handwerks Preis und eröffene kühn dir altehrwürdige Quellen In askräischem Sang, der jetzt tönt römischen Städten. C 176—258 Verschiedenheit des Bodens, Merkmale ihn zu erkennen. D 259—457 Pflege der Gewächse: mühevolle Wartung der Reben, leichtere Arbeit bei anderen Pflanzungen. A u s g a n g 458—540 Lob des Landlebens, verbunden mit dem persönlichen Bekenntnis des Dichters, daß auch er sich nach dem stilleren Leben fern von der Großstadt sehne (475—512). Deren vermeintliche Vorzüge, das prunkvolle Wohnen, die gesuchte Ausstattung, das laute Leben, werden durch den wirkungsvollen Gegensatz, in den er sie zur Einfachheit und Stille des Landlebens stellt, zu ebensovielen Nachteilen, die es begreiflich machen, daß das
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Großstadtleben für einen von warmer Freude an der Natur erfüllten Mann keine Reize hatte. Anfangs war es Virgils Absicht, in die Geheimnisse des Naturschaffens einzudringen. Da ihm hierzu seine Fähigkeiten nicht auszureichen schienen, begnügte er sich, die ländlichen Götter zu erkennen, d. h. ihrem segensreichen Walten nachzugehen und andere darüber zu belehren. Darum schließt er seine Schilderung mit dem lieblichsten Bilde des Landlebens, das je ein Dichter geschaffen hat (513—540), einem Bilde, das selbst für die sportfreudige Gegenwart noch seine Reize besitzt. So ist die Bahn von gewaltigem Ausmaß durchmessen, Und Zeit ists, vom Zaum zu lösen die dampfenden Renner.
Zu Buch III Viehzucht Gliederung: Eingang 1 —48, Hauptteil 49—473, Ausgang 474—566. E i n g a n g . Anrufung der Pales, des Apoll, der am thessalischen Amphrysus Admets Herden hütete, und des Pan, der im arkadischen Lykäusgebirge zu Hause ist. Der Dichter will nicht mit oft gehörten Erzählungen aufwarten, sondern einen Stoff behandeln, der „ihn vom Boden hebt" und im Gedächtnis der Menschheit fortleben läßt, der seiner Vaterstadt zur Ehre gereicht und dem schweren Auftrag Mäzens Genüge tut, eine umfassende Dichtung dem Landbau zu widmen. In breit ausgeführter Allegorie spricht er von einem marmornen Tempel, den er bei Mantua am Ufer des Mincio errichten und durch feierliche Spiele einweihen will. Andeutungen über den Statuen-, Relief- und Bilderschmuck des Heiligtums wollen keine planmäßige oder erschöpfende Beschreibung geben, sondern nur den Gedankenkreis bezeichnen, der die Wahl des Schmuckes bestimmt hat. Die Mitte des heiligen Bezirks soll Cäsar einnehmen, der zweite Quirinus (27), der durch seine entscheidenden Siege im Osten und Westen sich Anspruch auf den Ehrennamen des zweiten Gründers Roms erworben hat. Auf den Türflügeln werden in erhabener Arbeit aus Gold und Elfenbein Cäsars Siege im Osten und Westen dargestellt werden, „Doppeltrophän" (32,
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Viehzucht
33), weil er schon vor dem dreifachen Triumph im August 29 einmal über den Osten nach der Schlacht bei Philippi i. J. 40 und einmal über den Westen nach Besiegung des Sextus Pompejus i. J . 36 triumphiert hatte. Außer Cäsar werden hier auch Abbilder der alten troischen Könige, der „Juppitersippe", stehen, deren letzte Glieder Anchises, Äneas, lullus, die Ahnen des julischen Geschlechts, die Verbindung Roms mit Troja verkörpern. Auch Apollo, der Schutzgott des julischen Hauses, fehlt nicht. Endlich werden auch furchterregende Bilder aus der Unterwelt, die Furien und der Kokytus, Ixion und Sisyphus, das Wiederaufflackern des Neides, der Quelle aller Bürgerkriege, hintanhalten. Indes (40) aber der Tempel ersteht, muß das Gedicht vom Landbau zu Ende geführt sein, damit der Dichter bald (46) an sein Hauptwerk gehen kann, das Lied von Cäsars Schlachten und Siegen. Zur Einweihungsfeier des Tempels rechnet Virgil auf die Teilnahme Griechenlands, das Olympia (Alpheus) und Nemea (Molorchus) im Stich lassen und in der Aue des Mincio am Lauf und Faustkampf teilnehmen wird (19.20). Auch an dramatischen Aufführungen soll es nicht fehlen, an deren Schluß der sich hebende Vorhang Britannen zeigen wird, die am unteren Rande zur Erinnerung an die Friedensgesandtschaft eingewirkt sind, die i. J . 34 dieses noch nicht bezwungene Volk an Cäsar geschickt hatte (24. 25). H a u p t t e i l 49—473. A 49—283 Wartung des Großviehs: Pferde und Rinder. A49—71 Merkmale der guten Kuh, Vorsorge für Nachwuchs. A 72—283 Merkmale des Rassefüllens, Episode: Wettfahren, Behandlung der Hengste und Stuten während der Brunstzeit, Episode: Bremse, Wartung der Kälber, der Füllen; Episode: Kampf zweier Stiere um die Färse, Raserei der Hengste und Stuten während der Brunstzeit, das Hippomanes. B 284—403 Wartung des Kleinviehs: Schafe und Ziegen. Vorspruch: die Schwierigkeit des Stoffes überwindet der Vorsatz des Dichters, mit seiner Dichtung neue Pfade zu betreten. Das Vieh im Stall, auf der Weide; Episode: Hirtenleben im heißen Libyen, im eisigen Skythenland. Maßregeln bei der Woll-, bei der Milchzucht. C 404—473 Einzelnes: Nutzen der Hunde, Gefahr der Schlangen, Krankheiten des Viehs und deren Abwendung. A u s g a n g 474—566. Das Tiersterben in Noricum, eine der berühmtesten Krankheitsschilderungen des Altertums. Nach einem
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unerträglich heißen Herbst wurden Herden und Tiere des Waldes, ja selbst Vögel in der Luft von einer Seuche befallen, vor der es kein Entrinnen gab. Die davon Befallenen litten an brennendem Durst, an quälenden Schleimansammlungen, wurden in Schweiß gebadet, zitterten bald vor Frost, bald vor heißem Fieber. Die Augen röteten sich, das Atmen war mit stetem Röcheln verbunden, aus den Nüstern drang schwärzliches Blut und die trockene Zunge verschloß die geschwollene Kehle. Wurde beim Opfer das Messer nach altem Brauch dem Tier unmittelbar unter der Gurgel angesetzt, so wurde es vom ausfließenden Blut kaum gerötet, der Boden dagegen „von magerem Eiter" oberflächlich gebräunt (493), vielleicht ein Zeichen dafür, daß in dem Tiere die roten Blutkörperchen von den weißen vernichtet worden waren. Ärztliche Kunst versagt. Eine gewisse Erleichterung verschafft bisweilen das Eintrichtern von etwas Wein; doch bald schlägt die Erleichterung um in verdoppeltes Rasen, so daß das Tier seine Wut gegen sich selbst wendet und die eigenen Glieder in Fetzen reißt. Vorstehende Beschreibung ist von Fachleuten wiederholt zum Gegenstand von Studien gemacht worden, ob sich vielleicht daraus der Charakter einer bestimmten Krankheit erkennen lasse. Der neueste Versuch rührt von Dr. Wilh. Belitz her, der in seinem umfangreichen Aufsatz: „Wiederkäuer und ihre Krankheiten im Altert u m " die einschlägige Literatur mit staunenswertem Fleiße gesammelt hat. Die Arbeit erschien im Veterinärhistor. Jahrbuch, Jahrgang III (1927). Wie bei der Gepflogenheit Virgils zu erwarten war, die Genauigkeit seiner Schilderungen deren plastischer Anschaulichkeit und malerischem Reiz zu opfern, reichen seine Angaben nicht aus, eine bestimmte Krankheit zu erkennen. Er scheint um der Lebendigkeit des Eindrucks willen die Symptome verschiedener Krankheiten zu seinem Bilde vereinigt zu haben: Milzbrand*), Pocken, Ruhr, Pest, Wut, Staupe u. a. „Nach Mallet ist die Beschreibung des Virgil der Ausdruck persönlicher Ideen und Beobachtungen und das Echo von gesammelten, mehr oder weniger entstellten Erzählungen." Hiermit dürfte das Richtige deshalb getroffen sein, weil diese Auffassung — für Virgil ein schwerwiegendes Moment! — dem Dichter seine künstlerische Freiheit wahrt. *) Beim Milzbrand verdickt sich das Blut, so daß es das Messer nur schwach rötet
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Zu Buch IV Bienenzucht Gliederung: Eingang 1—7, Hauptteil 8—558, Ausgang 559—566. E i n g a n g . Thema des Buches: vom Himmelsgeschenk des luftentsprossenen Honigs. Bitte an Mäzen, auch diesem Teile seine Aufmerksamkeit zu schenken, da hier von einem zwar kleinen, trotzdem erstaunlichen Geschehen berichtet werden soll. H a u p t t e i l 8—558. A 8—314. Vom Wesen der Bienen. Der Standplatz des Stockes soll vor Winden, vor weidenden Herden und vor Vögeln geschützt, dagegen mit einem Bach oder Teich versehen und durch Bäume beschattet sein, damit die Ausschwärmenden sich baden und der Sonnenglut entgehen können. Duftende Kräuter sollen ringsum blühen. Die Zugänge des geflochtenen oder aus Rinde genähten Stockes seien eng, seine Ritzen gut verklebt, üble Gerüche und lauter Lärm von ihm ferngehalten (8—50). Auszug der Schwärme zu friedlichen Geschäften oder zum Kampf. Maßregeln nach entschiedenem Kampf (51—115). Episode vom Garten des korykischen Greises, der auf kleinem Besitztum mit geringen Mitteln in der Gartenpflege große Erfolge erzielte (116—148). Lebensweise der Bienen: gemeinsame Wohnung und Brut, gemeinsamer Besitz, feste Gesetze, Arbeitsteilung, Königstreue. So scheinen die Bienen nächst dem Menschen die vernunftbegabtesten Lebewesen zu sein (149—227). Maßregeln bei der Honiglese, bei Krankheiten der Bienen, beim Aussterben der Stöcke. Erfindung des „arkadischen Meisters" — Aristäus — (228—314). B 315—566. Mythus von Aristäus, dem Sohne Apolls und der Nymphe Kyrene, Tochter (Enkelin) des Flußgottes Peneus, der das Tempetal durchströmt. Verzweifelt über den Verlust seiner Bienen, wandert Aristäus den Peneus stromaufwärts, um an dessen Quelle seine Mutter aufzusuchen und ihr sein Unglück zu klagen. Sie sitzt mit ihren Schwestern in einer Grotte der Quelle mit Wollarbeit beschäftigt, während ihnen Klymene Spinnstubengeschichten (s. d.) erzählt. Bei der lautlosen Stille dringen Aristäus' Klagen an das Ohr der Mutter. Auf ihr Geheiß teilt sich die Flut des Stromes und läßt Aristäus ein in die Tiefe. Hier gelangt er, staunend über die Wunder der unterirdischen Welt, an Kyrenes Gemach (315—373).
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Sie empfängt ihn freundlich, weil sie ein Mittel weiß, seiner Not abzuhelfen, und erzählt ihm von Proteus, dem prophetischen Meergott, dem er das Geheimnis über den Tod der Bienen und ihren Ersatz abzwingen müsse. Sie werde selbst ihn zum Versteck des Alten geleiten (374—414). Unter ihrem Beistand gelingt es Aristäus, erfolgreich mit Proteus zu ringen (415—452) und ihn zu einer Offenbarung zu veranlassen. Danach ist sein Unglück eine Rache des Orpheus, der durch Aristäus seine Gattin Eurydike verloren hat. Als sie am Ufer eines Flusses ihm begegnete und vor ihm die Flucht ergriff, habe sie eine im Gras versteckte Natter nicht gesehen und durch diese ihr Leben verloren (453 —529). Auf Anweisung der Mutter versöhnt Aristäus die Nymphen und Orpheus durch ein Opfer und erlebt nunmehr das Wunder, daß den gärenden Eingeweiden der geschlachteten Opfertiere, die er im Haine hatte verwesen lassen, Bienenschwärme entstiegen (530—558). A u s g a n g 559—566. Rückblick des Dichters auf das Lehrgedicht und die Hirtenlieder. Zusatz. Daß statt des Aristäus-Mythus Virgil usrprünglich beabsichtigt habe, seinem Freunde Cornelius Gallus wie in der letzten Ekloge, so auch im letzten Buche seines Lehrgedichtes ein literarisches Denkmal zu setzen, hiervon aber aus Rücksicht auf Cäsar Abstand genommen habe, bei dem jener als erster Präfekt Ägyptens in Ungnade gefallen war, ist eine oft wiederholte, trotzdem völlig unverständliche Sage. Weder hat der Gedanke eines doppelten Denkmals irgendwelche Wahrscheinlichkeit für sich, noch läßt sich ergründen, welche Beziehungen das Leben oder die Persönlichkeit des Elegikers Gallus zum — Bienenstaat gehabt haben sollte, zumal in so ausgiebigem Maße, daß Virgil damit ein halbes Buch (250 Verse) hätte füllen können. Außerdem klafft zwischen der ersten Hälfte des Buches und der Aristäus-Episode nicht nur nicht die geringste Lücke, vielmehr ist der Übergang von der einen zur andern und die Ergänzung der einen durch die andere so natürlich und ungezwungen, daß ein vollkommnerer Abschluß des Buches nicht denkbar ist. Wir werden daher diese Sage unbedenklich dahin verweisen dürfen, wohin sie ihrem Charakter nach gehört, auf das Gebiet höfischen Klatsches.
Anhang
Das Rad des Ixion Daß Virgil den Schlüssel zum Verständnis eines griechischen Vasenbildes bietet, ist ein seltener Fall. Er liegt vor bei der auf der Tafel abgebildeten Berliner Ixionamphora, die sich erschöpfender Deutung und Würdigung bisher entzogen hat, durch Virgil aber eine überraschende Aufklärung erfährt. Ixion, der thessalische Lapithenkönig, von frevelhafter Begierde nach Hera entflammt, umarmt statt ihrer eine Luftgestalt und zeugt mit dieser die Kentauren. Zur Strafe wird er in der Unterwelt auf ein in stetem Umschwung begriffenes feuriges Rad gebunden; der Frevel glühender Sinnlichkeit findet seine Buße in der Qual einer glühenden Folter. Virgil erwähnt Ixion zweimal. In dem Tempel, den er zur Verherrlichung des Augustus nahe bei seinem Geburtsort in der Mincioniederung errichten will — s. Verzeichnis unter Allegorie — soll eine der Darstellungen an Beendigung der durch den Neid hervorgerufenen Bürgerkriege erinnern (G III 37—39): Der unselige Neid wird vor den Furien beben, Vorm kokytischen Strom, vor Ixions Schlangen, geknüpfet An das riesige Rad, vor Sisyphus' tückischem Felsblock. Ebenso knapp wie anschaulich wird durch vier Bilder die Unterwelt vergegenwärtigt: Den Kokytus, die Furien und zwei Büßer, Ixion und Sisyphus. Noch ein zweites Mal kommt Virgil auf Ixion zu sprechen, wo er den Eindruck schildert, den Orpheus' Gesang auf die Bewohner des Tartarus macht (G IV 484): Auch das Rund des Ixion-Rads bleibt stehen im Lufthauch (vento). Das wenig eindeutige vento bezeichnet hier den leisen, kaum spürbaren Hauch, der auch bei Windstille die Luft in be-
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ständiger Bewegung hält. Den seltenen Fall, daß er vollständig aussetzt, hat B IX 58 im Auge: Und jetzt legte sich doch des Lufthauchs leises Gesäusel. Ventosi ceciderunt murmuris aurae. Hier gibt das dem Griechischen entlehnte aurae dem Satze seine besondere Farbe. Das Ixionbild der Berliner Amphora füllt deren Schauseite und fügt sich mit seinen sechs Figuren dem nach oben zu breiter werdenden Raum aufs glücklichste ein. Vorder- und Hintergrund nehmen je drei Figuren ein: unten eine halb dem Boden entstiegene Furie, mit je einem jugendlichen Gott zur Seite; oben das Rad des Ixion mit zwei langgewandeten, geflügelten Frauengestalten. Die Einzelheiten der Figuren sind auf dem Original nicht mehr deutlich, weil die Deckfarben, mit denen das ganze Bild einst bemalt war, heute großenteils abgesprungen sind. Doch erlaubt eine Prüfung auch heute noch die Feststellung einer Reihe von Ungenauigkeiten der Abbildung*). Für die beiden Figuren der vertikalen Mittelachse der Komposition hat der Maler die Vorderansicht gewählt und damit ein künstlerisches Wagnis unternommen, dem Vasenmaler durch Profilstellung der Figuren meist aus dem Wege zu gehen pflegen. Es ist ihm nicht übel geglückt. Freilich ist dem Gesichtsausdruck der Furie der Zeichner der Abbildung so gut wie alles schuldig geblieben. Es spiegelt sich darin höchste Erregung. Der Mund scheint zu sprechen, die Nüstern sind gebläht, die Augen zum vollen Kreisrund aufgerissen, die Haare, von zwei Schlangen belebt, als unruhiger Rahmen des Kopfes gestaltet, genug, jede Einzelheit auf starke Spannung eingestellt. Hierzu stimmt die Haltung der erhobenen Arme. Mit den auseinander gespreizten Fingern der Linken ruft die Dämonin zum Aufruhr auf, mit der Fackel in der Rechten entzündet sie den Bürgerzwist: trotz des geringen Aufwandes an Mitteln ein packendes Bild. Das Antlitz Ixions ist von Schmerzen durchwühlt. Dichtes, dunkelrotes Haupthaar und ein dünner, wie grau schimmernder Vollbart rahmen es ein. Seine Form ist nicht rund, wie das der Furie, sondern lang und sehr schmal mit hohlen Wangen und zusammen*) Nach Baumeister, Denkmäler I Abbildung 821, die den Annalen des römischen Instituts für 1873 entnommen ist. Qenaue Angaben über die Farben des Originals bei Furtwängler, Beschreibung der Vasensammlung 3023.
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gezogenen Brauen, wie das eines stark Abgemagerten. Auch hier ist durch wenige Striche ein lebendiger Eindruck erzielt worden. Mit ausgespannten Armen und Beinen ist der Büßer auf ein großes Rad gebunden. Von dessen vier Speichen werden zwei durch die Beine verdeckt, die beiden anderen kommen unter den Armen zum Vorschein. Das Rad hat einen innern und äußern Kranz. Der innere dient den Händen und Füßen zum Halt, die dort, wo die vier Speichen ihn treffen, mit kleinen lebenden — ursprünglich weißen — Schlangen angeknotet sind. Zwei größere ringeln sich streng symmetrisch um Ixions Brust und Oberschenkel; ihre Köpfe ruhen auf seinen Schultern. Als die Schlangen noch ihre helle Farbe hatten, zogen sie die Blicke stark auf sich und konnten wohl die Benennung des Bildes als „Ixions Schlangen" (G III 38) veranlassen. Der äußere Radkranz bildet den abschließenden Rahmen für einen Hintergrund, der ganz von züngelnden Flammen erfüllt ist. Zu beiden Seiten des Rades sitzen einander zugewendet zwei voll bekleidete weibliche Flügelgestalten, die sich bis auf die abweichende Armhaltung genau entsprechen. Sie haben mit dem Rade zu schaffen; denn jede legt ihre Rechte in einer Weise an den äußeren Radkranz, die gleich geeignet ist, ihn zu drehen, wie seine Drehung zu hemmen. Deutlich erkennbar ist diese Haltung an der Figur links, deren Hand man von oben sieht. Unsichtbar ist nur der Daumen, weil er an der Unterseite des Kranzes liegt. Der Zeigefinger ist ein wenig gelockert, die drei übrigen liegen fest an. Genau so ist die Haltung der Hand bei der Gegenfigur, nur von unten gesehen: Daumen und Zeigefinger sieht man ganz, von den drei übrigen nur die obersten Glieder, weil der Radkranz — Zeichnung ungenau! — die innere Handfläche verdeckt. In gelassener Haltung walten sie ihres Amtes am Rade, ohne in ihren Mienen eine Spur von seelischer Erregung oder Mitleid mit den Qualen des Büßers zu verraten. Im Gegensatz zur Furie, an der alles Spannung, Erregung, Wirkung nach außen ist, sind die beiden Schwestern ganz auf sich selbst gestellt, sind ganz Unbekümmertheit, Ruhe, Gelassenheit. Mit ihrem Wesen enthüllen sie auch ihren Namen. Sie sind Verkörperungen körperloser Naturkräfte, die kein Gefühl dafür haben, was an Gutem oder Bösem ihr stetes, stilles Walten den Sterblichen bringt, Verkörperungen des leise wehenden Lufthauches, der, kaum fühlbar für die Sinne, doch die Luft in steter Bewegung erhält,
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Verkörperungen der sanft säuselnden A u r a e , die griechische Sage sinnig zu Töchtern des rauhen Boreas macht. Man vergegenwärtige sich die Schwere der Aufgabe, die hier der bildenden Kunst gestellt war, etwas Ungreifbares greifbar, etwas Stummes redend zu machen, und man wird inne werden, welche künstlerische Tat hier ein Vasenmaler oder sein Vorbild vollbracht hat. Die G ö t t e r , die zu Seiten der Furie ruhig dastehen, sind an ihren Beigaben kenntlich: links der jugendliche Hermes mit dem Heroldstab, den runden Sonnenhut im Nacken; rechts der bärtige Hephäst, den Hammer in der Linken — auf dem Original erheblich größer als in der Zeichnung —, den spitzen Filzhut auf dem Kopf, mit der Rechten die Augen beschattend. Er hat Ixions Rad gezimmert und beschaut das fertige Werk, vor dessen Flammenglut er seine Augen schützt. Hermes wird die Kunde von der Vollendung sogleich nach dem Olymp bringen. Den „Meister des Ixionbildes" können wir nicht mit Namen benennen, aber er steht als Künstler von Erfindungskraft, von Sinn für harmonischen Aufbau und als trefflicher Zeichner uns lebendig vor Augen. Auch namenlos ist er unserer Bewunderung sicher und in der Geschichte der griechischen Vasenmalerei eines ehrenvollen Platzes würdig.
Sach- und Namenverzeichnis A - Äneaslied, B = Hirtenlied, G = Landbau Atydus Stadt hart am asiatischen Ufer des Hellespont. Acerri Stadt in Campanien am Clanius, der durch häufige Überschwemmungen die Verödung der Stadt herbeiführte. Achelobch von Achelous, dem Grenzfluß zwischen Akarnanien und Ätolien. öneus, der König von Kalydon in Ätolien, erhielt von Bacchus als erster in Griechenland die Rebe. Ackergeräte (G I 160—175). Der Pf l u g besteht aus Krummholz, Deichsel, Joch, Sterz, Scharbaum, Ohren und Pflugschar. Das Krummholz, aus dem Stamm einer jung gebogenen Ulme gewonnen, ist Träger der anderen Teile. An ihm springt vorn die acht Fuß lange Deichsel mit dem Joch aus leichtem Lindenholz, hinten der kräftige Sterz aus Buchenholz heraus, mit dem man den Pflug lenkt, hebt und in den Boden drückt. Der längere Arm des Krummholzes, der grad gelassene Teil des Ulmenstammes, ruht vorn auf zwei niedrigen Rädern, hinten auf dem Scharbaum, der unten am kürzeren, nach innen gebogenen Teil des Stammes sitzt. Der Scharbaum besteht aus zwei Schenkeln(„Rücken"), die nach vorn in eine Spitze zusammenlaufen, vor der die Pflugschar sitzt, hinten auseinanderstehn. An den beiden Außenseiten dieses Winkels sind je ein Paar aufrecht stehender Brettchen (Ohren) angebracht, um
die zwischen den Furchen aufgeworfene Erde fest zu drücken. — Von weiteren Geräten werden erwähnt: Lastwagen (Eleusisch Gefährt) zum Einfahren der Ernte, Dreschwagen mit niedrigen Rädern, deren Kranzbeschlag geriefelt ist, Dreschwalzen ohne Räder, die über die Ähren geschleift werden, Karst (Hacke) mit starkem, mehrzinkigem Eisenbeschlag zum Lockern harten Bodens und Zerschlagen der Schollen. An Flechtwerk; Eggen aus Zweigen des Erdbeer-(Meerkirschen-)baumes und Schwingen aus Ruten zum Sondern der Körner von der Spreu. Admet, König von Pherä in Thessalien, berühmt durch seine Freundschaft mit Apollo, der ihm seine Herden hütete und die Vergünstigung auswirkte, daß er am Leben bliebe, falls an seinem Todestage ein andrer für ihn in den Tod ginge. Seine Gattin Alkestis opferte sich für ihn, wurde aber dem Todesgott durch Herkules wieder abgerungen. Adonis Geliebter der Venus. Ägle („Glanz") Mädchenname. „Schönste der Nymphen" B V I 20. Ägon Hirt aus Lyktus auf Kreta. Ägyptens Grenzen G IV 287—294. Virgil zählt die Grenzen von West nach Ost und von Nord nach Süd auf: im W. den Canopusarm des Nil, im O. Persis, ein allgemeiner Begriff wie Medien und Parthien zur Bezeichnung der im einzelnen unbe-
Aganippe — Amphion kannten östlichen Grenzbezirke in Asien; im N. das Nildelta, im S. die dunkelfarbigen „Inder" (Äthiopen). Aganippe Quelle am Helikon, den Musen geweiht. Ahnenreihe des julischen Geschlechts: Juppiter—Därdanus—Tros —Assärakus—Anchises ( + Venus)— Aneas—Iullus (Askanius). Akanthus distelähnlicher Bärenklau, dessen tiefgezackte breite Blätter Vorbilder waren für Verzierung der korinthischen Säulenknäufe, für Schnitzereien und Stickereien. Alburnus Waldgebirge am Silarus in Lukanien, wegen seiner Bremsenschwärme berüchtigt. Alexis Hirtenname. Alfenus Varus, nachgewählter Konsul des Jahres 39, verwaltete im Auftrage Oktavians nach dem perusinischen Kriege (41/40) Gallien jenseit des Po und ordnete die Landanweisungen auch im Gebiet von Mantua. Ihm hatte Virgil zu verdanken, daß er sein Andinum behielt. Statt dafür des Varus Kriegsruhm im Bürgerkriege in einem besonderen Gedicht zu feiern, widmete er ihm das 6. Hirtenlied, eine Studie, in der er Silen einen Überblick über die Mythen geben läßt, die von den hellenistischen Bukolikern gestaltet worden waren. Varus war Virgil nahe getreten durch das gemeinsame Studium der Philosophie beim Epikureer Syron. Alkide „Enkel des Alkeus" = Herkules. Alkimedon von Virgil erfundener Name eines Bildschnitzers. Alkinous König der Phäaken in der Odyssee. Zur märchenhaften Pracht seines Palastes gehören die Obstgärten. Alkippe Name einer Hirtin bei Theokrit. Alkyone, Tochter des Windgottes Äolus, stürzte sich ins Meer, als sie die Leiche ihres durch Schiffbruch umgekommenen Gatten am Strande
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erblickte. Aus Mitleid verwandelte Thetis beide in Eisvögel. Allegorie eine Darstellungsform, die etwas „anderes sagt" als sie meint. Beispiel einer im einzelnen ausgeführten A. G i l l 10—39. Der Tempel, den Virgil am Mincius zu Ehren Oktavians errichten will, ist sein Äneaslied. Alpheslböus von Virgil erfundener Hirtenname. Alpheus Fluß bei Olympia in Elis. Amaryllis („Berta") Name einer Hirtin, die wegen ihres Liebreizes aller Hirten Liebling ist. Ambarvallen („Flurumgang"): ländliches Opfer für Gedeihen der Saaten, bei dem das Opfertier,vor dem Schlachten dreimal um die Flur herumgeführt wird (G I 343—350). Während es bei Geburtstagsfeiern ausgelassen zuging, war beim Ambarvalienfest jede Ausgelassenheit streng verpönt. Amellus (Aster amellus) Sternblume, Asterart, blüht im Herbst, wenn die Wiesen abgemäht sind. Virgil scheint den Blumennamen mit dem Flusse Mella in Verbindung zu bringen, der unweit Mantua in den Ollius mündet. Amlneer Wein aus Thessalien ins Gebiet von Picenum verpflanzt, Landschaft zwischen Appeninn und dem adriatischen Meer. Amphion, Sohn des Zeus und der Antiope, wurde im Kithäron, dem Grenzgebirge zwischen Böotien und Attika, ausgesetzt und hier von einem Hirten aufgezogen. Mit seinem Bruder Zethus erbaute er die Mauer von Theben, er durch die Macht seines Gesangs, Zethus, der Jäger, durch seine Körperkraft. B II 24 läßt ihn Virgil „auf dem attischen Arakynthus" seine Kunst ausüben. Arakynthus aber ist ein Gebirge an der Südküste Ätoliens, das weder mit Attika noch mit Amphion etwas zu tun hat. Eine Verwechslung des jungen Virgil?
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Amphrysus — Asilus
Amphrysus Fluß in Thessalien. S. Apollo. Amykliisch = lakonisch, von Amyklä, einer Stadt in Lakonien. S. Molosser. Amyntas Name eines Hirten, der B V 9 wegen Aufgeblasenheit verspottet wird. Andinum Gütchen Virgils in der Dorfgemeinde Andes bei Mantua, seinem Geburtsort. Anio Nebenfluß des Tiber, der bei Tibur (Tivoli) die berühmten Fälle bildet. Antigenes junger Hirt. Äonen (-**-