Dichtungen [Reprint 2020 ed.]
 9783112338285, 9783112338278

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Dichtungen.

Ü01T

Prinz Emil zu Schönaich-Carolath.

^»tuftgarf. G. Z. Göschen'sche Verla^shandlung.

1883.

G. Hofbuchdruckerei Bit Guttenberg.

Carl Grüninger.

Stuttgart.

Znhalt Seile

Angekincr. I. Rom 187* . II. Neapel 187*

Die Sphinx.

. ..

.

1 33

43

^anöerfaßrt....................................................................... 81—142 Der schwarze Hanns............................................................83 Der Taugenichts....................................................................... 91 Letzter Ritt................................................................................... 94 Genrebild.................................................................................. 96 Kreuzfahrt................................................................................... 97 Spielmannslied....................................................................... 99 Carmen I.................................................................................100 II................................................................................ 101 Böse Heimkehr.....................................................................102 An —...................................................................................... 104 Altes Bild................................................................................ 105 Desdemona................................................................................ 106 Auch du!................................................................................ 107 Hochmittag................................................................................ 109 Spätherbst.................................................................................111 Wüstenrast................................................................................ 113 Lied der Ghawaze............................................................... 115

Seite WcrnöevfcrbrrL. Künstlerroman............................................................................ 117 Volkslied....................................................................................... 118 Gewitternacht............................................................................ 119 O Deutschland............................................................................121 Letzter Tanz............................................................................124 Allerseelen..................................................................................126 Und wenn dereinst —.......................................................... 128 Wüstenweh................................................................................ 130 Meerfahrt.................................................................................. 133 Bitte............................................................................................. 134 Tollkraut..................................................................................135 Traum....................................................................................... 136 In der Fremde...................................................................... 138 Am Meer.................................................................................. 140 Letztes Blühen......................................... 141

Angelina.

Lchönaich - Carolat h, Dichtungen.

1

Jft's jene Schwermut, jene unbewußte, Die alle Schönheit wunderbar umschwebt, Vorahnend, daß ans dieser Erdenflur Das Los des Schönen stets ein Tranerlos? —

(Robert Hamerling, Ahasver.)

Mais le pecheur se tut, car il ne „croyait“ pas.

(Alfred de Müsset, Portia.)

I. Rom 187*.

Tie Sonne sinkt, es stirbt im Tiberstrom Ihr letztes Glühen. Überm heil'gen Rom

Lagert die Dämmrung sich mit dunklen Flügeln. Die Vögel schweigen, und ein Rauschen geht Durch die Cypressen, in den Gassen weht

Ein kühler Wind von den Sabinerhügeln.

Wo gehn wir hin? — Gleichviel, Ihr habt die Wahl, Nnr möcht' die Norma ich zum zehntenmal

Nicht wieder hören; ratet mir, Signore! — Ins Kaffeehaus? Auf irgend einen Ball? —

Um Gotteswillen, das auf keinen Fall — Doch foimnt, ein Freund von mir wohnt dicht am Thore.

Er ist ein Künstler, der zu leben weiß, Und abendlich empfängt er einen Kreis Im Atelier bei seinen Idealen.

Werft einen Blick in unsre Künstlerwelt,

Ich möchte wetten, daß sie Euch gefällt, Denn nicht allein spricht man daselbst vom Malen.

6 Wir traten ein.

Freundlich bot uns die Hand

Der Herr des Hauses, dann von Wand zu Wand Durchflog mein Aug den Raum, den kerzenhellen.

Hier Skizzen, Waffen, eine Staffelei Noch streng verhüllt, dann Stoffe mancherlei,

Kostbar Gerät auf bunten Tigerfellen.

Und zwanglos um den breiten Tisch geschart Saß die Gesellschaft, froh und freier Art,

Und tauschte Scherz mit sprühnden Witzesflammen. Man sprach von Mackart's Stil und Kolorit, Von Wagner, von dem Nibelungenlied,

Von Schopenhauer und Voltaire zusammen.

Es gab ein Streiten, wahrgemeint und derb,

Oft glänzend, dann und wann ironisch herb, Ein reger Geist war in dem jungen Volke;

Burgunder trank man hier, Champagner da, Der duft'ge Tabak von Latakia

Zog durch den Raum wie eine Schleierwolke.

Dies ist der Zeitpunkt, daran nach und nach Des Herzens wahre Stimmung tritt zu Tag:

Der Britte schwärmt von Turf und Boxerfechten, Und Frankreichs Sohn spricht witzig imb pikant Bon Aventüren, die meist sehr galant —

Der Spanier schwärmt von seinen lust'gen Nächten.

7 Zur Wehmut neigt dann meist des Deutschen Sinn. Schon pfiff der eine leise vor sich hin

Das traurig-reizende tu se* bellina . . . Da sprach der Hausherr: Freunde, Ihr vergeßt

Der Fröhlichkeit! Heut ist ein doppelt Fest,

Denn Blumen wird uns bringen Angelina! —

Wenn eine Glut, die sich vertöscheud quält, Man einem Stronl von Schirasöt vermählt, Loht neu sie auf zu stürmischeren Flammen. So riß der Name, wie ein Zauberwort,

Zu einem Strom die Unterhaltung fort, Der brausend ward, denn alles sprach zusammen.

Alte Gesichter schienen plötzlich jung,

Ein Zug von Kraft und von Begeisterung Kam neubelebend über Aller Mienen,

Und Jubel war, als das Chanlpagnerglas Der eine hob, nitb kühn das eis'ge Naß

Hinuntergoß 511111 Wohl von Angelinen.

Der Hausherr stand behaglich am Kamin Und lächelte.

Doch ich trat zu ihm hin

Und frug: vergebt, wem ist der süße Name? Wohl einer Muse, die noch fremd mir war. Und welche schwärmerisch die Künstlerschar

Verehrt als allgemeine Herzensdame? —

8 Und jener: Herr, seit kurzem kann man sehn Ein junges Mädchen, ganz erstaunlich schön,

Auf Roma's Plätzen und im Volksgedränge; Recht wie ein Lichtstrahl, flüchtig hier bald dort, —

Taufrische Blumen und ein freundlich Wort, Ein helles Lächeln, bietet sie der Menge.

Woher sie stammt — man weiß es nicht.

Sie kam

An einem Tag voll Sonnenschein und nahm

Die Herzen aller wie im Flug gefangen. Daher kein Wunder, daß so alt wie jung Sie offen ansieht mit Begeisterung

Und heimlich auch mit brennendem Verlangen.

Doch das vergebens.

Denn ob arm ob reich,

Ob alt ob jung — ein jeder gilt ihr gleich, Und keiner darf sich je bevorzugt sagen.

Nun denkt Euch selber, wie der Widerstand

Die Leute reizt, wie oft die linke Hand Und auch die rechte man ihr angetragen!

Das Köstlichste kam oft dabei zu Tag; Der spielte kühn va banque auf einen Schlag,

Verlor, und wandte sich, stolz wie ein Posa. Der seufzte, schlug die Augen himmelwärts,

Und schrieb Sonette ihr auf „Herz" und „Schmerz" — Sie aber dankte ihm in guter Prosa.

9 Wer nicht geschnitten aus zu grobem Holz,

Versteht den Blick voll kindlich reinem Stolz,

Der Lippen traurig-spöttisches Verschieben, Der Rede Art, die hübsch und freundlich klingt Und doch gar bald um jede Hoffnung bringt: Ich könnte nie, so wie Ihr wolltet, lieben.



„Die Ihr mich seht, laßt alle Hoffnung sein/'

— So fiel aufseufzend hier ein zweiter ein, —

Das ist ihr Wahlspruch.

Beweisen es.

Viele Anekdoten

Zum Beispiel hat ein Lord

Erst kürzlich ihr mit manchem schönen Wort

Für einen Kuß zwei Handvoll Gold geboten.

Sie nahm es an, dann keck und unverwandt

Gab sie zum Kusse ihm — die kleine Hand, Ließ den Verblüfften, dessen Zechgenossen

Sich kirschrot lachten ob des kalten Schlags, Und ging.

Das Göld, man fand es andern Tags

In einer Kirche Opferstock geflossen. —

Sie ist ein Rätsel! rief begeistrungsvoll

Der eine. — Ach, ein süßer Klang aus Moll, Ein' Rose rot, ein Stern in lichtem Schimmer . .

So schwärmt' ein andrer.

Doch ein tiefer Baß

Rief mit Entrüstung: Blondkopf, lasse das, Erspare uns Dein lyrisches Gewimmer!

10 Ihr alle seid auf einer falschen Spur, Ein Diplomat könnt' Auskunft geben nur,

Ich Die Tie Sie

weiß es sicher. Diese holde Blüte, wenig spricht und doch so vieles hört, Euch so gründlich nasführt 1111b bethört, wurzelt auf politischem Gebiete! —

Ein garstig Lied! Pfui! Ein politisch Lied! So rief ein dritter, zorn- und weinerglüht, Zu der Behauptung paßt nur Deine Stirne. — Der Lyriker, nachdem er vollgeschenkt Sein leeres Glas, sprach dumpf und tiefgekränkt

Tie Worte: Gott erleuchte Dein Gehirne,

Und knet' es besser um als Du den Thon . . . Bravo, erscholl es, bravo, Musensohn, Tas Schwert heraus! Du wirst befrein hienieden

Prinzeß Dornröschen! Dornenrose? Nein — Das Mädchen aus der Fremde soll sie sein, Und mit uns allen bleib recht lang der Frieden!

Das thäte Not, rief laut ein andrer da, Das schöne Kind ist eine Helena, Die Zwietracht sät, o Helena, moderne! Glaubt mir, das Auge, was so fromm Ihr nennt,

Birgt heimlich ein dämonisch Element — Ich kenn das Leuchten solcher dunklen Sterne.

11

Und eilt Gedanke steigt mir heiß zu Haupt. Wir alle haben gern und oft geraubt Unschuldige Blumen, unentweihte Herzen; Was wir getrieben, war meist glattes Spiel — Auf unsrem Wege liegen schon zu viel Zerrissne Schleier und begrabne Schmerzen. Ich richte nicht. Doch wär' es nicht fatal Käm' je herab ans andrer Welt einmal Ein Weib, das irgendwo ihr Herz vergessen, Unsagbar schön, der unsre Qualen Spaß, Und die uns mäße nach demselben Maß, Mit welchem wir einst frevelhaft gemessen?

Beim Himmel, Deine mystische Idee, Rief schnell ein andrer, schafft mir Sorg und Weh, Sie streift an meine! Gebt, o gebt mir Armen Geschwind das Wort, und dünkt's Euch jetzt nur matt, So denkt daran, daß oft ein Plagiat Manch hochberühmtes, vielgepriesnes Carmen. —

Heraus damit! erklang's in muntrem Ton, Heraus mit Deiner Improvisation, Tannhäuser spricht! So ging es bunt im Chore, Und frei sich schwingend auf des Tisches Rand, Blitzenden Aug's, den Becher in der Hand, Begann sein Lied der lockige Pittore:

12 Als einst Tannhäuser, mein hoher Ahn, Zu beten kam und $11 büßen,

Zog er den Weg nach Rom hinan Auf müden, blutenden Füßen,

Er war am appischen Wege schon, Da grüßte ihn Roma bella,

Er aber ruhte am Grabe von Caecilia Metella.

Da saß im Grase ein blasses Kind,

Und brach sich Rosen vom Zaune, Es wehte im frischen Frühlingswind

Ihr Haar, das dunkelbraune,

Aus weiter Ferne kam Glockenklang, Das Kornfeld durchlief ein Schimmer, Und in der Luft eine Lerche sang —

Tannhäuser hörte es nimmer.

Er dachte nicht mehr an Acht und Bann,

Und nicht an den Dom Sankt Peter, Es wurde wieder zum Rittersmann Der blasse bußfertige Beter.

13 O wollet vergeben schöne Frau, Daß ich so tief Euch gegrüßet, Daß ich Euch noch tiefer ins Auge schau — Mein Herz hat es schon gebüßet.

Doch seh ich in Euren Augen ein Licht Aufloderu liiib glühn und brennen,

Tas haben die irdischen Frauen nicht — Doch mein' ich, ich müßte es kennen;

Ich seh einen weichen rosigen Schein Auf Euren tiefdunklen Haaren,

Der kann nicht von dieser Erde sein . . .

Doch sah ich ihn schon vor Jahren.

Es liegt mir ein altes Lied im Ohr, Das klingt wie Lachen mit Thränen,

Ich glaube ich horte es schon zuvor . . . Jetzt bricht mir das Herz vor Sehnen.

O sprecht — seid Ihr aus dem Wald die Fee

Egeria-Philomele, Oder seid Ihr das Fräulein, das Fräulein vom See Mit der verlorenen Seele?

14 Seid Ihr ein Engel, der leuchtend kam Herunter ins Erdenleben, Nm einer Welt voll Weh und Gram

Den Frieden zurück zu geben? Es neigt sich lächelnd das schöne Kind Und spricht: Der romantische Flitter, Mit welchem Ihr mich so gütig umspinnt,

Ist nicht der rechte, Herr Ritter.

Wohl Helena bin ich und Lorelei Und bin auch Melusina, —

Die Leute aber sind so frei

Und nennen mich Angelina.

Der Sänger schwieg, doch brausend in die Höh Rang sich der Ruf: Tannhäuser, Evoe!

Bravo, da capo!

Und mit stolzer Miene

Stieg er vom Tisch.

Da plötzlich blieb gebannt

Sein Heller Blick, an der Portiere stand

Mit einem Korb voll Rosen Angeline!

So sah ich sie.

Die reizende Gestalt

Schien, von des Vorhangs Faltenwurf umwallt, Ein lichtes Bild auf sammetdunklem Grunde, Des wunderfeines, sinnendes Profil Ein großer Künstler schuf in flüchtigem Stil

Zu gottbegnadeter, geweihter Stunde.

15

Wie war sie schön!

Ihr Haupt, halb abgewandt

Erschien mir fremd und dennoch wohlbekannt,

Fast wie ein Klang ans lieber Kindersage.

Ihr Ang war dunkel, dabei wunderbar Groß und betrübt, als ob es immerdar

Nach etwas Süßen:, ewig Fernem frage.

Das braune Haar umschmiegte voll und weich

Die schöne Stirn, und die war seltsam bleich,

Doch wenn die Lippen sich zum Lächeln gaben

Kam's um das Köpfchen wie ein Heil'genschein — Den konnte wohl nur Mutterlieb allein In bangen Stunden drnmgebetet haben.

Ein Hauch — vorbei — das holde Bild zerrann, Denn stürmisch drängend suchte jedermann

Etwas zll haschen von den duft'gen Spenden,

Die Angelina frenndlich lächelnd bot. Glück bringt ja immer eine Rose rot,

Die man empfängt ans schönen Frauenhänden.

Ich aber blieb, weil ich ein Träumer bin,

Am Fenster stehn.

Da trat zu mir sie hin:

Das Körbchen leer! So schnell — wer konnt' es wissen ..

Wie schlimm, Signore!

Plötzlich hell und klar

Lachte sie auf; ans ihren: biutffen Haar

Gab sie mir hi:: das Sträußchen von Narcissen.

16 Dann aber führte seinen schönen Gast Zu Tisch der Hausherr, übereilig fast,

Und bot ihr Früchte an von unsrem Mahle; Datteln vom Nil und Trauben frisch vom Rhein.

Sie nippte leicht auch am Falernerwein,

Der glutrot perlte in krystallner Schale.

Und munter sprach inan über dies iiitb das.

Des Kindes Wangen, sonst so marmorblaß,

Färbten sich langsam mit mattros'gem Schimmer; Und zu dem Hausherrn sagte sie leichthin:

Ihr ahnt es nicht, wie sehr ich glücklich bin, Doch ist's bei Euch so schön und traulich immer.

Und was vor allem mich so freudig macht, Ist, daß Ihr heut mir jenes Lied verspracht,

Ich hör so gerne wieder es und wieder: Ein großer Dichter, wie Ihr mir gesagt, Hat wild darin verlornes Glück beklagt —

Sie sind so traurig, Eure deutschen Lieder!

Doch jener trat zur Nische in der Wand

Vor das Klavier, das dort verborgen stand, Und prälndirte mit gewaltigen Klängen, Wirren Akkorden, seltsam tief und schwer —

Und plötzlich löste Schubert » Lied „am Meer" Sich mächtig aus den dunklen Tastengängen.

17 Durchs Fenster flutete, eiu Nebelbild,

Dunstiges Mondlicht, Wolken, grau und wild, Jagten dahin, die finsteren Cypressen Rauschten und schauerten int warnten Wind:

Ich aber sah auf jenes fremde Kind; Sie stand in tiefem, tiefem Selbstvergessen.

Und ihr Gesicht war blaß, als sei sie tot, Zuweilen flog ein fieberhaftes Rot

Darüber hin, ihr Ange stand voll Thränen, Und tiefe Angst lag auf beut Angesicht, Indessen rollend, grollend nach dem Licht

Das Lied sich rang mit seinem Liebessehnen,

Mit seiner Flut von Finsternis und Schmerz, Dem Todesschrei, den das zerschlagne Herz

Ansblntend wirft in Nacht und Stnrmgetriebe; Fern von Erlösung, stolz und hoffnungslos, Ein de profundis schön und schrecklich groß

Der früh verlornen, ew'gen Dichterliebe.

Das Lied vergrollte.

Angelina war

Zuerst gefaßt, jetzt viel zu ruhig gar; Das griff mich an.

Weh, dem das Herz durchschlagen

Der Sturm des Schönen bis zum tiefsten Kern! Es bleibt ihm selbst ein Sturnt nur selten fern, Und wer den Blitz liebt, muß den Schlag ertragen. Lch'önaich-Carolath, Dichtungen. n

18 Da stand sie auf, mit plötzlichem Entschluß: Felice notte — einen leichten Gruß —

Der Hausherr suchte freundlich sie zu halten; Es ist schon spät — man fragt daheim nach mir . . . Da brachte er sie zu des Saales Thür

Und hüllte sie in ihres Mantels Falten.

Und die Gesellschaft blieb beisammen noch

Und zechte weiter.

Mir erschien es doch

Als ob davon der gute Geist gewichen,

Als ob gelähmt sei der Gedankenfluß Als ob ein häßlicher, ein bittrer Zug Sich in die Unterhaltung eingeschlicheu.

Am Flügel spielte, etwas überfroh,

Der Eine Stellen aus Madame Angot,

Lecoqs geistreich-salopper Operette; Ein andrer goß ein großes Glas voll Wein

Quer übern Tisch, und stimmte lärmend ein

In den Refrain der muntern Chansonette.

So ging es fort.

Da plötzlich trat zu mir

Ein Maler hin, den am Guadalquivir

Ich einst gekannt, und den bei Stiergefechten Ich in Madrid zuweilen wiedersah,

Und einmal auch im Don: zu Cordova, Und später oft bei tollen Faschingsnächten.

19 Don Gaston war sehr schlank, und also schön Wie selten noch ich einen Mann gesehn; Er galt als Held der tollsten Abenteuer. Ich liebte ihn.

Sein leichtgesenktes Haupt,

Vom Lebenszugwind zeitig überstaubt, Barg des Genie's dreimal geheiligt Feuer.

Jetzt stand er vor mir, lässig abgewandt Vonl Schwarm der andern.

Er erhob die Hand

Und sagte leicht, als ob den Ton er zwänge:

Nun ist „sie" fort — gottlob, wir haben Ruh. Dann fugte er mit scharfem Spott hinzu:

Dir folgt, o Kind, der frommen Wünsche Menge!

Mich aber treibt es, seh ich Dich im Glück

Der Jugend hingehn, einen düstern Blick,

Einen entgötterten, Dir nachzusenden. Du bist ja schön! Dein Herz ist stolzgeschwellt, Und Du bist gut! Genug — es ist gefällt

Schon längst Dein llrteil.

Du wirst elend enden.

O Schönheit, Schönheit, Danaergeschenk!

Weh jedem, dem dein leuchtend Stirngehenk Als blitzend Stigma ward ums Haupt geschlagen!

Weh ihm, dem Kind, das ausgesendet ward,

Ein reiches Kleinod wunderseltner Art Durch einen Wald, einsam bei Nacht, zu tragen!

20 Wohl zieht es aus, singend im Abendrot, Es kehrt nicht heim.

Am Morgen liegt es tot.

Mit leeren Händen draußen im Gehege. Das arme Kind, es weinte eh' es starb:

Ihr gabt ein Gut mir, das mich früh verdarb. So muß ich enden nun seitab vom Wege! -- — —

O Schönheit, Schönheit, goldnes Samenkorn

Von Gott gestreut, daß über Sand und Dorn

Die Saat des Guten segensvoll erstünde; Wie kommt's, daß du zum Bösen nur bewegst,

Daß du die Massen nur zur Gährung regst, Zu Aufruhr, Leidenschaft, Begier und Sünde?

Und doch — was ist's, das uns so tief bewegt, Was ist's, das mitten in das Herz uns schlägt

Wenn du uns nahst, wandelnd auf irdschen Fluren?

Was soll der Schauer, was das süße Weh, Der Frühlingssturm, der jubelnd in die Höh Und fort uns reißt, zu folgen deinen Spuren?

O Schönheit, Schönheit, letzter Wiederschein, Abglanz des Edens! Ach, du bliebst allein

Der Erde treu! Du konntest von dem Weibe,

Von Edens blauer Blume lassen nicht, Du folgtest ihr und wardst das Tempellicht,

Das ew'ge Licht in einem ird'schen Leibe.

21 Wir aber, der Verdammten blasse Schar Schlingen nach dir, sinnlos, unwandelbar,

Den Totentanz! In schattenhaftem Zuge, Als deine Schatten, werden ewig wir

Um Einlaß flehen vor der Tempelthür,

Hinstammelnd die uralte Liebesfuge.

Du wirfst dich vom Altar

Und nicht umsonst.

In unsre Arme, Kind mit blondem Haar,

Blauäug'ge Eva! Göttin halb, halb Dirne

Neigst du das Haupt, schluchzend und glutbedeckt —

Wir aber mit den Lippen staubbefleckt Küssen die Gottheit fort dir von der Stirne.

Gaston brach ab.

Ganz plötzlich zog sein Mund

Sich leicht und herb: Seit einer halben Stund' Langweil' ich Euch.

Nehmt einen Rat in Gnaden :

Wollt jemals Ihr aufmuntern Euch, mein Freund,

So trinkt Champagner, es ist wohlgemeint — Nie reinen Rum — es bringt den Nerven Schaden! —

Ich sannt’ ihn gut.

Das war der alte Hohn,

Das lachend Aug', dabei der Stimme Ton So trostlos müd, so hoffnungslos gelassen . . .

Ich wandte mich und mochte reden nicht, Es schwieg auch er und starrte trüb ins Licht, Die Tramontana wehte durch die Gaffen.

22 Da plötzlich wies, aufhorchend, mit der Hand

Er nach den Zechern.

Stumm und schlafgebannt

Lagen sie meist schwerhäuptig auf den Tischen; Ein dichter Qualm, blaugelber Kerzenschein,

Ein herbes Duften von vergoss'nem Wein —

Und einer sprach im Schlafe laut dazwischen:

He, Angelina! Munter, auf die Thür! Es hilft Dir nichts, ich weiß, er ist bei Dir,

Und ich hab's satt zum Narren Euch zu taugen. Fort mit dem Schuft — Die Reihe ist nun mein. Ich werf Dir sonst die Fensterscheiben ein, Du Tugendspiegel mit den schwarzen Augen! —

Er rief noch mehr.

Gaston ward flüchtig blaß.

Dann lachte er: in vino veritas, Zu lange blieben wir, das ist die Strafe. Er raffte Hut und Mantel vom Kamin,

Schüttelte sich und sprach leis vor sich hin:

Dies Boll ist doch unmöglich, selbst im Schlafe.

Dann lauter: Freund, Ihr habt nun selbst gesehn

Wie hoch, wie rein, wie ideal, wie schön

Die Jugend heut zu Tage von Gemüte. Und doch — ich glaub's.

Der Bursche, vollgezecht

Und widerlich, er hat am Ende recht — Der Wurm sitzt jetzt vielleicht schon in der Blüte.

23 Was schadet's auch? Daß sie zu Grunde geht Ist ja ihr Schicksal; ob es früh, ob's spät,

Nach Tagen kommt, nach Wochen oder Jahren Ist einerlei.

Ich glaub, man kann schon heut, .

Mit ein'gem Aufwand von Geschicklichkeit

Und Spürersinn, den festen Preis erfahren.

Hoch wird er nicht sein. Ist halb umsonst.

Solche Ware, frisch,

Nur an der Reichen Tisch

Schätzt man haut-goüt.

's ist eigentlich ein Jammer ...

Nehmt Euch das Kind — gleich heut — erobert es! Ich warte gern, und pfeife unterdes Den Aankee-Doodle draußen vor der Kammer.

Seht, werter Freund, mich nicht so strafend an — Ihr glaubt mir nicht? Nein? Gut, so käm es an

Ans den Beweis, und der wär' leicht zu führen.

Es regnet zwar und ist bedenklich spät, Doch können »vir, wohin die Schöne geht.

Heut Abend noch mit Leichtigkeit erspüren.

Sie einzuholen, das ist, glaubet mir, Nur Kinderspiel, denn draußen vor der Thür Steht eine graue Orlowtraberstute,

Die Preise mir ein gutes Teil gewann Und England's Traber schmählich niederrann —

Sie ist von wildem, reinem Steppenblnte,

24 Und nebenbei ein menschenfeindlich Bieh.

Vor vierzehn Tagen etwa hätte sieFast meinen Groom mit Haut und Haar gefressen,

Den kleinen Kerl, der kaum zwei Ellen mißt

Und obendrein vom Hause Neger ist, Wie schwärzer ihn kein Jnderprinz besessen. —

So gingen wir.

Ein russisches Gespann

Hielt hart am Thor, das Pferd sah wild uns an Reglosen Hauptes, mit geblähten Nüstern,

Ein böser Satz dann — Gaston aber riß

Es rasch herum, da warf's sich ins Gebiß Zu traben durch die Gassen hin, die düstern.

Das war kein Trab mehr! Gaston lachte hell, Als hinter uns gespenstisch, überschnell Die Gärten und die Billen all versanken.

Hin stoben wir in einem wilden Flug,

Die Schollen flogen um des Tieres Bug,

Schaumstreifen schickten seine feuchten Flanken.

Da plötzlich halt — ein Zügelruck, ein Pfiff —

Hoch stieg das Pferd, und funkensprühend griff Ins Pflaster es mit stahlbeschlagnen Hufen.

Sie ist's, rief Gaston, und die Zügel gab

Er aus der Hand.

Folgt mir, sie steigt Herab

So schnell sie kann der Mazza Treppenstufen.

25 Die Nacht war still, die Gassen alle leer, Vom Himmel hingen schwarz und regenschwer Herab die Wolken, manchmal scholl von Ferne

Ein Wächterrufen.

Um die Ecken zog

Ein kalter Wind, dann flackerte und flog

Das Gaslicht in der ächzenden Laterne.

Und er lief weiter an den Häuserreihn, In die Kamine schnob er wild hinein,

Riß an den Läden voller Schadenfreude. Dann wieder warf er, recht wie toll und blind Die dunklen Flügel um das flücht'ge Kind,

Und wuchtete an ihrem seidnen Kleide.

So stand sie denn auf einen Augenblick

Ankämpfend still, dann sah sie scheu zurück Und bog rasch ab in eine Seitenstraße, Doch mein Begleiter raunte mir ins Ohr

Lautlos und hastig: jetzt habt Acht Tenor,

Das ist der Anfang schon von unsrem Spaße.

Denn jene Gasse, die bedenklich hohl,

Führt nach Trastevere.

Bald sehn wir wohl

Der nächt'gen Studie nächtiges Finale,

Wenn wir vorher nicht, wie's manchmal passirt,

Erwürgt, erstochen oder garottirt,

Was eine Sitte, eine sehr banale

26 Der heil'gen Stadt. Drum folgt auf Schritt und Tritt

Mein bester Freund mir stillverschwiegen mit, Denn wir sind Menschen, allzumal voll Mängel, Und es begleitet uns, zu Schirm und Schutz, Den Bösen doch zu Ärgernis und Trutz,

Als aide de camp kein schutzbeflissner Engel.

Und niederschauend sah in seiner Hand

Ich einen Dolch.

Er hielt ihn fest umspannt,

Und prüfte hastig ihn bei einem leisen

Reflex, der blaß sich in der Klinge brach. War schärfer wohl der Spott, mit dem er sprach,

Oder das schmale hohlgeschliffne Eisen?

Wir gingen weiter, langsam, dicht entlang An dunklen Häusern.

Und lautes Fluchen.

Drinnen tönte Sang Manchmal wich der Schieber

Von einer Thür, ein Weib trat breit ins Licht,

Und schaute mit geschminktem Angesicht

Uni), bloßen Armen frech zu uns herüber.

Durch diesen Lärm, durchs wüste Bacchanal

Schritt Angelina, still, kein einzigmal

Das Auge senkend auf dem trüben Pfade.

Mir graute es — mein Herz ward plötzlich leer . . . Gaston war still, nur einmal sagte er: Es ist doch schade, ganz entsetzlich schade!

27 Indessen blieben Lärm und Lichterschein

Weit hinter uns,, die Häuser wurden klein, Der Weg verlief an einem öden Garten

Und einer Hütte, ärmlich, schier von Rohr;

Doch Angelina klopfte an das Thor, Das that sich auf — man schien sie zu erwarten.

Ein Weib erschien, gebückt, alt von Gesicht, In welker Hand ein niühsam qualmend Licht,

Sie murmelte gesprächig viele Worte,

Verneigte sich und rief ins Haus hinein: Madonna kommt! Dann losch des Lämpchens Schein,

Und Stille ward.

Es schloß sich fest die Pforte,

Seht, mein Freund, hier haust

Und Gaston lachte.

Frau Marthe Schwerdtlein.

Und Gretchen kam.

Drinnen sitzt Herr Faust,

Die wahre Mondscheinscene!

Ja, Goethe zeigt jed Ding so wie es ist. O großer Praktiker, o Realist, Du maltest gut! Ich aber, Freimd, ich sehne

Mich nun zu Bett.

Wenn immer ich entdeckt

Im Schauspielhaus die Pointe, den Effekt Etwelche» Lustspiels, gehe ohne Frage Ich meines Weges.

Die Gewohnheit blieb,

So daß ich jetzt seit lange dies Princip Aufs Praktische, aufs Leben übertrage.

28 Und dieses Leben ist recht arm an Witz Und sehr brutal.

Gleichviel, wir sind unnütz

An diesem Ort, wir dürfen nicht mehr bleiben.

Er trat zum Hause, reglos stand er dort,

Dann fiel sein Haupt schwer auf des Fensters Bort . Ich sprang hinzu und blickte durch die Scheiben —

Auf dürft'gem Lager, spärlich zugedeckt Ächzte ein Kind, die Wangen rotgefleckt

Von Fieberglut; die Stirn, drinn Schauer rasten, Hatte zur Stütze mühsam es gelegt Ins magere Händchen.

Reglos, unbewegt

Hingen die großen Augen, die verglasten

An Angelina.

Sie doch stand im Schein

Des armen Lämpchens.

Früchte, Arzenei«

Packte sie aus, es hatte gar kein Ende. Zum Korbgeflecht zwang sich zuletzt heraus

Ein großer frischer Frühlingsblumenstrauß, Den legte sie dem Kinde in die Hände.

Das aber lächelte, so wie im Traum,

Hell und glückselig.

An des Lagers Saum

Ließ Angelina still sich niedergleiten. Die Mutter schlief, erschöpft, von Thränen blind,

Sie aber wachte, und begann dem Kind

Ein Lied zu summen aus vergangnen Zeiten.

29 Das währte lang, dann trat ich still zurück,

Indes mein' Augen mit entzücktem Blick Noch einmal voll das holde Wesen trafen.

Sie saß am Bette, wachte, sang und sann,

Das Lämpchen flackerte, der Regen rann. Das kranke Kind war eingeschlafen. —

Wir gingen.

Plötzlich blieb Don Gaston stehn.

Ich hatte niemals ihn wie jetzt gesehn, Es lag solch Weh auf seinen schönen Zügen,

Den früh verlebten, daß mich's schier gegraust. Vor seine Augen preßte er die Faust Und ließ sie schwer dann auf der Pforte liegen.

Er sprach: Mein Freund — Ihr seid noch gut und.. jung.

Geht heim, und nehmt von hier Begeisterung Fürs Leben mit.

Mög sie Euch reichen immer!

Ich doch bin alt.

Ich schaue fremd hinein

In dieses Leben.

Ach, sein Sonnenschein

Er wird Dir, Angelina, lächeln nimmer. —

Ich wollte gern, daß dieses Lebens Wirr'n Dir ferne wären, daß die Kinderstirn Der Tod Dir küßte, still, mit dunklem Flügel,

Ich wollte, daß Du heimgingst wie ein Kind, Das, müd vom Spiel, einschläft im Frühlingswind, Daß grünes Gras nickte auf Deinem Hügel, —

30 Daß Du dahingingst so Du's wüßtest saunt,

Daß Engel Dich einwiegten in den Traum Eh Reu und Weh Dein schönes Aug getrübet,

Daß Du Dich löstest aus dem Erdenthal Wie Glockenklang, fromm, ohne Wunsch und Qual,

Eh Du gekämpft, geweint, gefehlt, geliebet.

Du wirst es nicht.

Eh Schollen Dich und Stand

Mitleidig decken, eh ihr welkes Laub Auf Dich hinabwirft eine Kirchhofslinde Mußt leben Du.

Dein blumenhafter Leib

Muß in die Gosse — dann, verblühtes Weib, Schlaf' aus die. Qual, das Elend und die Sünde.

Auf Deinen Scheitel wird den Judaskuß Das Laster pressen, straucheln wird Dein Fnß In Schlamm und Asche.

Du wirst früh verderben.

Was hier auf Erden wahrhaft rein und schön, Verloren ist's und muß zu Grunde gehn — Dies Los erfülle, Kind, dann magst Du sterbett.

Wie gerne möcht' ich, müd zwar und verstimmt

Wie stets ich's bin — so wie man Kindern nimmt Rasch aus der Hand ein scharfgeschliffnes Messer, Dein All' Dir nehmen, Dich wie ein Gebet

Im Herzen halten — doch es ist zu spät,

Ich bin zu alt — Du stürbst alleine besser.

31 So leb denn wohl.

Nur lasse dann und wann

Dein schönes Aug, so lang es lächeln kann, Ins Herz mir gießen einen Traum von Frieden.

Tief in dies Herz, des Pfade, armes Kind, Für Dich auf Erden viel zu dunkel sind,

Das nicht mehr beten kann für Dich hinieden.

Und doch — ich will's. — Am Weg, an einem Stein,

Hing des Erlösers mageres Gebein, Verrenkt und blutig.

Gaston kniete nieder,

Das Haupt des Mannes mit der Dornenkron' Sah lang er an, dann wandt' er sich davon

Und sprach: es geht nicht, und ich thu's'nie wieder.

Seht Freund, wir sind die Kinder einer Zeit, Die welk im Kern. Da liegt all unser Leid. Es giebt Ölbäume noch und weiße Tauben, Die Welt ist schön, es ist das Glück uns nah,

Gott spricht zu uns — wir aber stehen da Und schweigen still — wir können nicht mehr „glauben"!

Er schwieg, lächelte trüb und ging dahin. Der Morgen graute überm Aventin,

Versunken war die Nacht mit ihren Schatten. Frisch ging der Wind, der junge Tag brach an,

Zur Arbeit trieb ein Pflüger sein Gespann,

Weinberge dehnten sich und grüne Matten, —

32 Auf, starke Menschheit! Reck' dich auf vom Schlaf, Laß' ab vom Träumen! Was dein Herz auch traf

An Gram und Weh', wirf's zu den Nachtgestalten! Den Pflug zur Hand — und zieh' im Morgenlicht

Mit festem Sinn die große Schrift der Pflicht, Dann wird der Friede sein bei deinem Walten.

Und sorgt nicht mehr! Der Himmel ist noch blau, Das Leben schön.

Sein holder Preis, die Frau,

Lächelt Euch zu — noch treibt Euch Dichtersage Begeisternd auf zu Thaten groß und hehr, Noch brandet ja um Eure Brust das Meer In heiligem, urew'gen Wellenschläge--------

Glaubt, liebt, seid glücklich! Folgt dem großen Zug. Rastlosen Strebens.

Euern Erdenflug

Soll Gottes Hauch, soll Thatensturm nur treiben. Seid fest, seid wahr, seid frei und großgesinnt,

Dann wird das Leben rauschen in den Wind,

Ihr selber aber werdet ewig bleiben. Und Du, o Kind, die Du aus Zweifels Nacht

Den Morgen mir ins junge Herz gelacht, Nimm diesen Blick, den letzten, dankbefeuchtet. Du warst die Taube mit dem Ölblatt mein — Drum möge stets auf Deinem Pfade sein

Die Sonne, die den guten Menschen leuchtet.

II.

Neapel 187*

Schönaich-Carolath, Dichtungen.

3

Der Abendschein lag auf der Stadt der Toten,

Und gen Neapel fuhren wir im Trabe,

Die Sonne ging mit einem schieferroten Dunstigen Schein bei Ischia zu Grabe;

Die Rosse trollten ihren Schaukelgang, Eiü weltverdrossnes, müdes Hufgeschlenker, Indes der braune, schlanke Rofselenker

Halblaut die bella sorrentina sang.

An einer Billa, pinienüberdacht,

Hielten wir jäh, es glühten wie im Fieber Die Fensterreihen rötlich durch die Nacht,

Und drinnen scholl Musik und Gläserklang: Herein, herein, ihr allzusäum'gen Gäste, Wir harren Eurer, schon ward's warm beim Feste,

Die Nacht wird lustig und die Nacht wird lang,

36 Vive la joie! Zum Saal! Die Paare flogen Im Walzertakt.

Marietta, Wein vom Rhein . . .

Ein schmuckes Kind, und reizend angezogen,

Der Atlas kracht bei ihres Busens Wogen, Die schwarzen Augen schaun verliebt darein.

Tanzt Ihr, Signore? Nein? So laßt uns trinken,

Nippt nicht so zahm vom Wein in Eurem Glas,

Fast scheints, als machten Lärm und Becherblinken Und Fraurnlachen Euch nur wenig Spaß,

Und doch — die Frau» sind willig zu gewähren, Die Männer jung, verliebt, heißblütig, reich,'

Kein Fest kam jemals wohl dem heut'gen gleich — Fürwahr mein Freund, Ihr solltet Euch bekehren. Champagner her! Begrabt das alte Weh,

Stoßt an mit Lust und lebensmut'gem Triebe:

Auf Eure alte böse deutsche Liebe, Ein' Handvoll Rosen und ein Evoe. —

Er lachte laut und goß den Wein hinunter,

Dann an den Zöpfen fing er eine Dirne Und tauchte int Gewühl der Tänzer unter Lachenden Mundes, mit erhabner Stirne,

Bald kam er wieder: Freund, Euch zu belehren Vermag nur Eins — ein Mittel nur, ich sag es,

Kommt mit — Euch frommt ein Mädchen andren Schlages — Die Angelina wird Euch rasch bekehren.

Das ist ein Weib! Ein echtes Kind des Tiber, Blaß, wild >md stolz, wenn unter Euren Küsten

Sie Worte stammelt, wild als wie im Fieber,

37 Und mit der Locken bimsten Finsternissen Die Stirn verhüllt und wütend Euch umtrallL So küßt den Jäger wohl, der endlich Sieger.

Der halberwürgte schmeid'ge Königstiger, Indes er röchelnd sich zu Tode lallt.

Schnell noch ein Glas! Bravo, da liegt's in Scherben Ihr seht so blaß, Freund, daß es Gott erbarm',

Ihr seht schier, aus als ginge es zum Sterben. Und nicht in eines schönen Mädchens Arm.

Was schauert Ihr? Griff Euch aus alten Tagen Ein Schatten an? Freund, da hilft nur der Wein, Durch Rausch das schale Leben totzuschlagen.

Von einem Reiz zum anderen zu jagen, Das ist das Heil, das ist der Weisen Stein.

Die Welt und unser kurzes Begetiren Ist Schaum, ist Traum, ist Mystifikation.

Schlingt um die Häupter Euch den Kranz von Mohn,

Und sucht Euch möglichst gut zu amüsiren. Damit, wenn mal das Stück zu Ende ist.

Uns ein Bewußtsein schließlich mag erlaben:

Daß wir gelebt — das heißt, daß wir gelnsu.

Gelacht, gegessen und getrunken haben. Es zog dahin der Zecher wüster Schwarm.

Die Nacht erfüllend,mit bacchantschen Liedern.

In ihrer Mitte ging ich selber, stumm, Mit kühlem Haupt und leerem Herz, bov Ang Forschend und still.

Wenn je ein Aug im Leben

38 Blendende Höhn und große Tiefen maß Wird's immer still; es schaut dann unverwandt

Nach seines Glücks versinkenden Gestaden Boll tiefer Wehmut. Jahre kommen, gehn, Die Jugend schwindet. Über Bimini,

Dem blauen Land, geht rot die Sonne unter, Auf ewig unter.

Und da wird das Aug

Auch still auf ewig.

Doch ihm blieb ein Strahl,

Ein kalter Abglanz früh erstarrter Gluten, Der an Skalpelle mahnt.

Drum sucht es auch

Fortab der Dinge tiefgeheimsten Kern, Und will „Erkenntnis", dieser Welt zum Heil.

Es wühlt in Rosen wie in Eiterwunden Und rostet nicht.

So senkt der Arzt, der bleiche,

Forschend den Stahl, und setzt ihn an die Weiche Der qualvoll Kreißenden — der Menschheit an. Der Weg war endlos und die Nacht war leer,

Hin an den Gossen taumelte die Rotte Schwankenden Fußes, hier ein freches Wort In eine Hausthür schleudernd, dort ein Lied

Mißtönig singend, oder einen Witz Heiser belachend.

Dann und wann verschwand

Auch einer wohl, wegstolpernd, um die Nacht Würdig zu enden in gemiednen Häusern.

Der Regen rann, und es begann der Wind Naßkalt zu wehen, hin und wieder flog

Ein Licht auf aus verlöschenden Laternen,

39 Wankte und starb, sein letzter Schein ertrank In schwarzen Pfützen.

Auf die Dächer kam

Ein schmaler Streif, der Dunst, der brütend lag

Begann zu brauen, über all dem Wust Bon Schmutz und Nebel brach der Morgen an,

Der Ostermorgen.

Wo die Straße jäh Zum Meer sich wendet, taumelte die Schar

Dicht an ein Haus.

He, munter, Angelina,

Es kommt Besuch! Gelächter scholl und Schrei'n,

Die Klingel gellte, schrillend riß der Strang,

Und Stöße wuchteten schwer an der Pforte. Zum Teufel, drauf! Mit Krachen wich die Thür, Und auf der Schwelle stand ein Weib.

Ihr Haar,

Das graugesträhnte, hing zerwirrt ums Haupt, An ihrem Leib, dem knochig-hagren, floß

Ein Leintuch nieder.

Sachte, schöne Herrn,

Gemach, gemach — sie rief's mit einer Stimme Die blechern klang — Ihr sucht wohl Angelina?

Ja, die zog aus! Sie wohnt da drüben, drüben, Ihr schönen Herren, hinter jener Thür,

Sie wird sich freun! Ich wünsch Euch viel Vergnügen,

Viel Unterhaltung . . . Herren, schöne Herrn,

Ach, schenkt mir was! Ich bin ein altes armes Berlaffnes Weib. — Ein' Handvoll Münzen warf Ihr einer lachend an die magren Beine,

Da hockte -sie, unstet, mit gier'ger Hast Die Münze sammelnd, plötzlich fielen schlaff

40 Die Arme nieder, und sie sah uns an

Mit glühnden Augen, daraus Haß und Hohn

Und Abscheu sprühten. — Macht die Hexe zahm! Schrie brüllend einer.

Satan, ihr Oheim, h>

Bah, sie hat das Fieber,

genug —

Zur Angelina, fort! — Wünsch viel Vergnügen, Herrn, schöne Herrn! Die Alte rief es laut Und schrecklich lachend, dann, am qualm'gen Docht

Des Lämpchens stochernd, zählte sie das Geld Mit kindscher Freude, eins-vier-fünf-sechs-sieben — Da fiel ihr Haupt schief auf die dürre Brust,

Und sie begann zu lallen monoton Ein Paternoster.

Doch die Rotte stob

Mit Lachen auf die morgentrübe Gasse Dem Endziel zu.

Und plötzlich: Gottes Tod!

Schrie einer auf, vors Haupt die Hände schlagend, Die Vettel log — wir sind am Hospital,

Ich kenn es gut! Zurück, es herrscht das Fieber Bös in der Stadt! Possen — nur auf die Thür,

Du selbst hast Fieber.

Mit den Schultern warf

Er sich ans Thor, es wich, und taumelnd rollte

Er auf den Estrich.

Weichlich-süßer Duft

Quoll schwül entgegen; eine Kirche war's

In die sie brachen, an dem Hochaltar

Stand breit, von Dämmrung unbestimmt umflossen Ein offner Sarg.

Da griff Entsetzen an

Die blaffen Zecher, und verstoben war Der wüste Schwarm.

Mitleidig sah herab

41 Ein Frauenbild aus seinem goldnen Rahmen

Mit Augen, welche seltsam tief und schön, Echt menschlich klagend.

An die stille Brust

Der schönen Leiche schmiegte sich ein Strauß

Von bunten Blumen, und ein Schimmer lag Auf dem geschlossnen blütenroten Munde,

Als hab der Tod mitleidig fortgeküßt

Das letzte Zucken und das letzte Weh,

Die letzten Schlacken.

Doch das Antlitz war

Entsetzlich fragend, so wie ein Gebet,

Das glücklich anhub, und geendet ward In einem Aufschrei, — ein Gedankenstrich,

Ein Fragezeichen, angstvoll hingemalt

Am Schluß eines gewaltigen Gedichts . . .

Mich zwang es nieder, und die tote Stirn Mit ihrem Zug von ungelöster Frage

Streifte mein Mund. In diesem Kuß.

Schlaf wohl, verblühtes Kind,

Es müssen Blumen sein,

Blumen am Weg. — Der Schuld bist längst Du ledig,

Und Gott im Himmel wird Dir gern verzeih«.

Uns andern aber sei dereinst er gnädig.

*

*

*

Ich hob das Haupt und wandte mich zum Gehn;

Der Tag brach an, hellros'ge Lichter wanden

Sich um die Säulen, in des Schiffes Höhn

42 Zwitscherten Schwalben.

Eine Kinderschaar

In weißen Kleidern nahte, sie umbanden Mit Frühlingsblumen festlich den Altar. Die Glocken gingen.

Mit gewalt'gen Klängen

Brach aus der Orgel dunklen Tastengängen Das Osterlied: Christus ist auferstanden!

Die SphinX.

In einer Stadt voll Glanz nnd Sonnenschein Steht ein Palast, des Weiße Marmortreppe

Das Meer umschmiegt, wie einen Frauenfuß Umschließt die wallende blauseidne Schleppe;

Zwei Löwen recken steinern sich empor Und blicken schläfrig nach der Gatterlage

Und nach der Zackenkrone übernr Thor. Blühende Gärten dehnen sich, die Schatten

Der Blutorangen breiten sich vermessen Aufs bunte Gras, und alles überragt

Das dunkle Grün der flüsternden Cypressen; Verschwiegen rieseln ihren feinen Staub Tritonen über Grottennacht und Becken,

Daß Rauschen nur und Bögelstimmen wecken Ein Echo im tiefkühlen dunklen Laub.

Dies Schloß, das so ein Sommertag umbettet, Trägt stolzen Namen, und sein letzter Sproß Heißt Donna Santa.

Ist sie schön?

Gott weiß —

Noch ist sie Knospe, doch ein Stamm, der edel,

Bringt im Verblühen meist sein bestes Reis.

46 Um ihren Scheitel schmiegte

Und sie war blond.

Ein Goldstrahl sich, den ihr herabgesandt Als Liebesgruß aus einem bessren Land

Ein Engel wohl, der sich im Lichte wiegte.

Doch da — sie selbst.

Sie lief im weißen Kleide,

Ein fröhlich Kind, sorglos durchs tauige Gras, Frei flog ihr Haar, und aus dem Antlitz blaß Blitzten so selig ihre Augen beide, Wo bist Du, Guy? Versteckst Du Dich? O Schlimmer,

Die Hüterin wähnt mich fein still im Zimmer,

Schlecht bekomm' dir das:

Und du läßt warten! Ich küff' dich niemehr.

Warte!

Niemehr — niemehr

Hallte das Echo ob den sonn'gen Wiesen,

Fernhin: niemehr — niemehr . . .

Und tiefe Stille.

Da ward ihr bang; sie schaute still zurück.

Plötzlich ganz ernst . . dann warf sie ins Genick

Die blonden Locken . . und das Waldthal schlief,

Aus weiter Ferne nur der Kuckuck rief Werd ich leben lang?

Zweihundertmale.

Kuckuck, Kuckuck!

Sie raffte, plötzlich bang,

Ihr Kleid zusammen, und im Sonnenscheine Flog sie dahin.

Da löste sich ein Schatten

Vom lichten Grün, und aus dem Myrtenhaine Trat rasch ein Jüngling; seine Augen hatten Glücksel'gen Glanz.

Was säumst du so? Du böser Guy!

Guy, rief sie hell herüber,

Ich fürchte mich, du lieber

Er breitete die Arme

Rasch nach ihr aus, sie lachte froh und voll,

47 An seine Brust, die heftig atmend schwoll,

Schmiegte ihr Köpfchen sich, das sonnenwarme . .

Hast du mich lieb? — Santina, wie mein Leben, Sie sah ihn schelmisch an:

Und viel mehr noch! Jst's auch ganz sicher?

Nun — so küss' mich dann

Er beugte tief erschrocken

Wenn du es wagst!

Sich zu ihr hin; sie doch, wie ein Schlange

Entwand sich rasch, daß nur die blonden Locken

Im Fluge streiften seine heiße Wange. Dann ward sie ernst: wann mußt du reisen? — Heute. —

Was?

Heute schon?

Von Thränen dunkel.

Was that ich dir?

Sie schwieg, ihr Auge ward

Guy, wie bist du hart,

Ihn überkam ein Schauer:

Du liebst mich, Santa — glaub', nie lachte blauer

Der Himmel mir, nie träumt' ich schönre Tage, Doch trägt, indes ich Liebesworte sage,

Mein Vaterland in Sack und Asche Trauer.

Sähst du mich an, wenn ich's verraten hätte? Du thätest's nicht — ich hab es längst erkannt!

Des Menschen Herz ist eine Scherbenstätte, Dem Liebesglück mehr als sein Vaterland.

Drum, soll es sein, will deiner wert ich fallen — Du aber, Lieb, sei stark, sei stark und still,

Es lebt ja Gott, der unser Bestes will,

Hoch über uns und unsern Schmerzen allen. Sei stark, Santina!

Sah sie empor.

Halb mit Weinen kämpfend-

Ach, Guy, ich hab dich lieb,

Hauchte sie träumend; dann auf einen Stein

48 Sank leicht sie nieder, müde fiel ihr Haupt

Auf seine Kniee.

Sommerfäden zogen

Still durch das Blau, es kam ein schläfrig Wogen Vom Meere her, gemischt mit Blütenduft.

Wildschwäne segelten fern durch die Luft

Mit leise singendem, fremdhellem Tone; Da sprang er auf: Sieh da, mein Wappen ist

Ein wilder Schwan mit einer Fürstenkrone —

Grüßt mir mein Hochland!

Und die Stille lag,

Ein Liebesweben, überm sonn'gen Grunde, Es schwieg der Wald, als fürchte sich die Runde

Dein Glück zu stören, heilge Jugendstunde, Die du des Lebens reinster Herzensschlag.

Er strich das Haar ihr endlich wie im Traume Sanft aus der Stirn, sie aber schlug empor

Zu ihm die dunkeln, blumenhaften Augen Und lächelte.

Aus seinem Herzen rang

Sich wild ein Wort: Wirst du mir treu sein? — Ewig,

Sprach sie ganz ernst, und wunderseltsam klang Aus ihrem Kindermunde dieses — ewig. Sie schwiegen wieder.

Rötlich fiel ein Strahl

Der Spätnachmittagssonne durch die Hecken

Auf ihre Stirnen.

Er schien aufzuschrecken:

Santina, bat er, sing zum letztenmal Mir noch ein Lied!

Ich weiß eins, das du sagtest

Bor langer Zeit — es spricht von Glück die Weise

Und Wiedersehn — wie geht doch jenes Lied?

49

Und sie, wie ein Waldvöglein, sanft und müd

Begann zu singen .... Sie saßen beide, fern im Dufte schwammen

Blauros'ge Wölkchen, ihre Hände fanden Sich unbewußt und wie von selbst zusammen; Schnell schwand der Tag, über den dunklen Landen

Lag lang ein heftig schönes Abendrot. Noch einmal hob, verglühend, sich am Himniel

Die Sonne auf, und strahlte Abschiedsfrieden Auf jene Kinder, die im Erdgetümmel

Lang beteten, bis daß sie endlich schieden. *

Herbstnacht.

*

*

Im Feindesland.

Die Hälfterketten

Der Pferde klirren; neben seinem Tiere

Schläft der Dragoner. Schallt Losungsruf.

Von den Wachtpiketten

Am qualm'gen Lagerfeuer

Sitzen, im Kreis gelagert, Offiziere

In bunter Waffnung, Kinder aller Länder. Der lacht und prahlt, der schaut schon schläftig drein,

Rotwein verzapft für Gold ein Marketender —

Und plötzlich hebt sich bei dem Flackerschein Der eine auf, und zieht aus dem Kollette Stumm einen Brief.

Herr Kamerad!

Ein Liebesbrief, ich wette

Bei tausend Ungewittern!

Ihr liebt es wohl, die Brust Euch auszufüttern Schönaich-Carolath, Dichtungen.

4

50 Mit solchem Tand?

Glaubt mir: soll's einmal sein,

Kehrt keine Kugel sich an Amulette, Und bohrt ein Loch durch all die Faselei'n. Und jener: Geh, wie ständ mir Aberglaube? Ich glaub an nichts.

Just ward mir überbracht.

Wie Eine noch, von der ich's nicht gedacht,

Sich aufgestülpt des heil'gen Ehstands Haube: Das schönste Kind in meiner Vaterstadt Bricht jenem Treu, dem sie verlobt sich hat. Und freit dafür — der Papst sieht's also gern

Cesare Balbi, Oberkammerherrn,

Der faul und frömmiglich, ein dicker Schwätzer . . . Der Erstverlobte nämlich war ein Ketzer,

.

Drum kuppelte der feiste Stellvertreter Des lieben Gotts dem Balbi sie, dem Beter, Welch letzterer zwar alt schon, aber reich.

Deswegen nahm sie ihn auch alsogleich. Das ganze Ding verlief wie's so gebräuchlich, Denn jedes Weib ist mal am Ende käuflich, Selbst Donna Santa.

S' ist mal eben so —

Und wie er's sagte, bäumte sich vom Stroh

Ein Schläfer auf: Das lügst du, Fähnrich, beichte!

Sag, daß du lügst — beim ewgen Gott, ich leuchte .Dir sonst zur Hölle!

Und die Klinge trieb

Er wild hervor, daß einen Lichtstrahl schrieb Surrend das Eisen.

Doch der andre sprang

Hoch auf vom Feuer: Das wär Teufelsdank,

Herr Kamerad!

Eh daß wir uns zerfetzen

51 Vergönnt's, den Brief vor Augen Euch zu setzen: Er sagt noch mehr, er kündet sonnenklar,

Daß Santas Hochzeit grade heute war. Es ist kein Irrtum — heute, grade heute

Führt Cesar Balbi heim die süße Beute: Nehmt und lest selbst. — Beim Höllenelement, Was greift Euch an?

Welch Schauer überrennt

Euch jäh den Leib? . . So fahlen Angesichts Sahn wir Dich nie! Was fehlt Dir? — Mir? O — nichts,

Nichts, gar nichts mehr... glaubt, es war nur der Name, Der schlimm mich täuschte.

Wirklich, jene Dame

Ich kenn ... sie nicht... Hochzeit, sagt Ihr, war heut?

Da wär ja Brautnacht jetzt . . . grad jetzt — —

Bring Wein, Krummbein'ger Schuft!

Wir wollen lustig sein,

Ihr Herrn Kamraden!

Kommt, wir feiern Feste

Nach unsrer Art.

Wir sind die Hochzeitsgäste

Im Eisenkleide, und die Braut heißt Tod. — Den Becher hob er, den ihm einer bot:

Aufs Wohl der Brautnacht und aufs Wohl der Braut!

Da plötzlich warf, als ob's ihm jäh gegraut.

Das volle Glas er in die Lagerflammen, Wandte sich, taumelte und sank zusammen

An einem Pfosten.

Pfui, der Wein war schal,

Stöhnte er dumpf und wie der Tod so fahl; Verdorbnen Wein aufs Wohl 'ner falschen Braut — Der Teufel trink es!

Wo ist mein Fähnlein?

Plötzlich wild und laut:

Bon der nassen Erde

52 Flogen empor die Reiter und die Pferde In dunklem Knaul, die Rotten traten an,

Hinaus ins Dunkel schnoben laut die Tiere . . .

Wo steht der Feind?

Dort feine. Nachtquartiere.

Da drüben? Gut. — Beim Himmel, Guy, halt an:

Wohin? — Ins Brautbett! Singt mir Hochzeitslieder —

Auf dieser Welt sehn wir uns nicht mehr wieder. *

A

*

Am Fuß des Stadtwalls, wo Geröll und Scherben

Abfall und Schutt von einem Nesselwald Umsponnen liegen, steht ein niedres Haus, Darin ein Greis, der in dem Mund des Volkes

Rabbi Zephanja heißt, der „große Arzt", Seit langem wohnt.

In seiner Nachbarschaft

Haust auch der Henker.

Beide stieß die Stadt,

Den weisen Mann, und jenen, des Gemeinschaft

Unehrlich macht, gleich scheu aus ihrem Bann. — Nacht ist's, der Jude sitzt bei Lampenscheine

Im düstren Zimmer.

Vor ihm liegt ein Buch,

Das prüft er emsig; auf dem Kachelherd Verglimmt ein Häuflein aufgetürmter Kohlen, Daran ein Tiegel.

Aus dem ruß'gen Bauch

Des lang Durchglühten ballt sich Dampf, der weißlich. Wie Sommernebel nach dem Schlote zieht,

Ein feiner Schleier.

Hüstelnd wendet sich

53 Der Greis zum Feuer.

Bäumst du immer noch,

Trübsel'ger Geist, den ich durch List gebunden,

Krampfhaft dich auf?

Behagt dir's nicht im Topfe,

Nun wart, ich helf zum Frieden

Drin ich dich fing?

Dir allsogleich; du sprengtest sonst die Wandung,

Wohl wär dein Trieb, dein wilder

Die dich umzwingt.

Dann jäh gesättigt, doch dem Meister bliebe, Dem großen Meister, der so gern versucht,

Ein Handvoll Scherben — und das wäre ihm. Dem großen Meister, wenig angenehm,

Denn eitel sind ja immer große Meister . . .

Er kicherte, dann goß er ins Gefäß, Das qualmende, 'nen Tropfen.

Nimm — gut' Ruh,

Kühl fein dich ab. — Du schäumst, wallst auf? Genügt dir Die Gabe nicht?

Schwer sättliches Gebräu, Und wiffe, meine Kunst

Nimm diesen noch!

Hast bald erschöpft du.

Wohl, es klärt dein Grund

Sich wolkig auf; der Kampf, der dich durchtobte. Wogt aus allmählig. Nach Regeln dich.

Siehe, ich bezwang

Du trugst in dir den Schaden,

Nun wirst du heilsam.

Auf, bequeme dich,

Den welken Leib mir stärkend zu umbaden. — Den Raum durchirren Stoffe, die sich wild, Begehrlich suchen.

Blinde Einigung

Erstreben sie, doch immer hängen schwer Sich Massen an sie, die den freien Flug

Zu lähmen trachten.

An die Erde saugt

54 Ein Kitt sie an — denn nur die Nichterfüllung

Des ew'gen Wunschs, das Nichterreichen bildet Die Lebensmöglichkeit.

Der Kitt ist Zwang,

Ein Fesselring, der seine Wandung eisern

Um alles preßt, was in gewalt'gem Flug Weisheit heißt dieser Kitt

Zur Freiheit will. In Menschensprache.

Wie ein Höhrer ihn

Benennen mag — ich weiß es nicht.

Mir scheint

Das Gleichnis mit dem Tiegel doch bequem. Siegt jener Zug, der große unleugbare. Dir aber bliebe nichts,

So springt der Topf.

Du großer Meister — und so ganz geheuer

Erscheint dir selber keineswegs dies: Nichts. — Er lachte heiser.

Plötzlich zu dem Herd

Wandt' er sich um. Du immer noch?

Verdammter Kessel, siedest

Schläfert die Arzenei,

Die zweimal ich in deinen Schlund geschüttet,

Dich noch nicht ein?

Ich steh zum erstenmale

Bor solchem Fieber!

Beizt dich Höllenglut?

Willst du den dritten meiner Tropfen schlucken, Das letzte Mittel?

Sei's denn — Weh' es hebt

Ein Glutball zischend sich aus deiner Höhle,

Die Wandung bebt... du trägst es nicht . . halt' an . . Weh mir! Vernichtung — da! du liegst in Scherben! Ich bin betrogen! — Im Kamine fing

Sich jäh ein Windstoß.

Pfeifend angefaßt

Sprühten die Kohlen, eine Flamme lief

Schräg drüber hin, und höhnisch knisternd stoben

55 Zum Schlot die Funken.

An das Thürgebälk

Wuchteten Schläge. Meister! Aufgethan!

— Wer ruft so spät? — Ein Wandrer, krank und müde,

Bom Weg verirrt. — Was sucht Ihr hier? Den Frieden — Seid Ihr allein? Ich bin's. — Es wich der Riegel, Sein schönes Antlitz war

Ein Mann trat ein.

Frühzeitig alt, um seine hohe Stirne

Fiel wirr das braune regenfeuchte Haar. Er schwieg und harrte.

Messerscharfen Blicks

Maß ihn der Rabbi. Seid Ihr krank? — Zum Tod. —

Was? nun so beichtet. — Einen Sessel bot Er seinem Gaste, und der stützte düster Sich auf die Lehne.

Meister, hub er an,

Ich bin noch jung und doch ein alter Mann, Noch gestern war ich frisch und lebensstark Und heut schon nagen Würmer mir am Mark.

Reich, vornehm, jung trat ich hinaus ins Leben, Mit festem Sinn, mit Lust an ernstem Streben,

Mein Herz war groß, war liebevoll und weich, An Träumen und an Idealen reich . . Oft schwang sich's auf vor Sehnsucht und vor Wonne Bei ferner Glocken festlich frommen Klang, Und Thränen fand es, wenn der Abendsonne

Ihr zirpend Lied am Dach die Schwalbe sang. Es wollte nichts, als Gutes thun auf Erden, In fremdem Glücke selber glücklich werden,

56 Es wollte glauben ohne Grübelei'«; Es wollt' bewahren seinen Schatz "von Liebe

Für jene Frau, die einst ins Weltgetriebe Gott senden sollte, alles ihm zu sein —

Der erste Kuß, dem ich das Haupt gebogen,

Hat mich nun frech belogen und betrogen; Im ersten Lenz, den meine Seele fand,

Ward sie verdorrt, vernichtet, leergebrannt; Es hat die Frau, die all mein Sein besessen

Um Gold und Perlen ihres Schwurs vergessen,

Ob sie auch war die Holdeste von allen, Ob mir auch galt ihr erstes Liebeslallen, Obwohl die Glut, die lodernd uns umflammt, Die Liebe war, die echt und gottentstammt —

Ich sah zu früh, daß Weib und Liebe narrten . . Nun sage mir: was sendet Gott ein Kind, Das durstig ist, in einen weiten Garten,

Darin die Brunnen all vergiftet sind? In diesen Tiegel, sprach der Jude rauh.

That ich drei Tropfen.

Dämpfen wollte ich

Den Kampf der Massen, die in ihm gebannt.

Beim dritten sprang der Topf. — Ich habe auch Drei Mittel für jedwede Menschenbrust,

Darin es wogt.

Die beiden ersten sind

Wollust und Macht. Genügen sie.

Der Menschheit insgemein

Nicht Dir.

Mein letztes doch,

Mein bestes Mittel — man erträgt es schwer,

57 Es nennt sich „Wahrheit".

Sieh, da liegt der Topf,

Spät ist's, fremder Gast,

Der Topf in Scherben. Zieh Deines Weges. —

Wär ein mordend Schwert Nnr Deine Wahrheit! Wäre sie ein Strom, Ein Glutstrom, der mit berstenden Gewalten

Zum Haupt mir schösse, und die ird'sche Form In Scherben schlüge! Könnt' ich schlafen, ruhn

Vom Fiebertraum des Lebens, könnt' ich sehn In Nacht begraben alles, was mein Herz

Durchgrollt, durchschüttert! Deckte mich das Nichts, Ein sichres Nichts, das kein Erwachen trübte

Und keine Furcht vor neuem Morgenrot . . .

Du siehst mir's an, ich fürchte nicht den Tod,

Gieb mir die Wahrheit! In des Juden Aug

Begann's zu glühen.

Wohl, mich reizt der Fall,

Sprach er unhörbar.

Selten bietet sich

Dem Anatom ein Herz, das frei von Schuld Und weich wie dieses.

Und stolz im Kern.

Edel ist's zudem

Laßt uns die Wirkung sehn

Die drauf das beste, schärfste der Skalpelle, Die Wahrheit, übt.

Einschneidend bringt sie Tod

Oder Genesung; spannend ist daher Der Vorgang immer. — Dann, zum Gast gewandt:

Ich will's versuchen.

Siehe, was am Mark

Zunächst Dir nagt, ist Selbstverachtung.

Feig

Nennst Du Dich oft, obwohl der Klang des Wortes

58 Dir heiß zu Antlitz treibt ein fliegend Rot.

Laß ab und schweig! Das Weib, das dich verraten, Das falsch wie Judas dich und sich verkauft, Du liebst sie dennoch. Ja, sprach eisig der,

Ich liebe sie! Wohl, so laß ab vom Kampfe,

Der aussichtslos. Ein Menschenherz.

Nicht kämpft sein Lieben nieder Man ist nicht Herr im Haus.

Und wie vermöchte auch das Fünkchen Ehre,

Das Körnchen Mut, die Dosis Mannesstolz Den Krampf, die Liebeszuckung zu bezähmen,

Gegen Tod und Liebe

Der Menschheit Veitstanz?

Giebt's noch kein Mittel.

Nenn mir die Gewalt,

Die mächt'ger als das Weib?

Denk an Judith

Und an Delila, an Herodias

Und Helena! Noch keiner hat erschlossen

Des Weibes Wesen; (Salomo erfand Es freilich bitter.)

Sieh, es ist die Frau

Der Sauerteig im großen Brei der Schöpfung,

Ein Reiz, ein allbelebend Element,

Das, gleich dem Feuer, segensvoll erwärmt

Oder vernichtet.

Jenem ist die Frau

Ein tötlich Gift, Dem wieder Arzenei;

Dem Weisen, welcher mäßig von ihr zehrt, Ein Arcanum; dem wilden Lebensgast,

Der fessellos, in einem einz'gen Zuge Den Becher leert . . .

59 Des Los — ich kenn's genau; Wisse, ich verspüre

Zur Sache, Meister.

Noch nicht den Beischmack werter Arzenei In deinem Wort.

An einem Sterbebette

Stehst du als Arzt; gieb deine Tropfen her,

Die besten Tropfen: warum ist die Frau Urfalsch und treulos? Hüstelnd rieb der Jude

Die dürren Hände: Wenn sein lechzend Roß

Mit Wasser tränkt der kluge Beduine Wirft ins Gefäß er eine Handvoll Sand,

Das Naß zu trüben.

Allzu tiefer Trunk

Sieh, dasselbe that

Schadet dem Tiere. Der weise Schöpfer.

In den klarsten Quell

Der Lebenswüste schüttete er Schlamm Mit vollen Händen; in den schönen Leib,

Den süßen, sinnbethörenden des Weibes Goß er Gemeinheit.

Ja, der Schöpfer ist

Ein guter Hirte: allzutiefer Trunk Schadet dem Tiere . . . Aus des Fremden Aug

Brach's wie ein Blitz:

Und wenn er Gluten gab,

Der weise Hirt, dem abgehetzten Tiere,

Die überheiß, so wird mit gier'gem Zug Die Kreatur todspottend schlamm'ge Trübung Todachtlos schlingen.

Am gefallnen Vieh

Mag reiflich dann bei sich der Hirt erwägen

Ob klug es war, daß Flammen er erschuf,

60 Die unertragbar.

Eins weiß ich genau:

Daß Qualen mir am Mark verzehrend nagen, Daß nichts mir blieb, als aller Bettlerplagen

Verzehrendste: der Durst.

Ob trüb ob lau,

Ob schal der Quell, ob immer jene Fran

Verdorben bis zur tiefsten Seele sei; Trinken will ich mit dem Empörungsschrei: Mich dürstet — dürstet! — Ein Gelächter gellte Laut durch den Raum, scharf wie der Sterbeton

Gesprungnen Glases; aus dem Sessel schnellte Der Greis sich auf: Dich dürstet, Erdensohn? Wen dürstet nicht? Des Weltalls dunkler Zug

Ist das Berlechzen, und es lechzt wer lebt.

.

Das Leben ist ein großer Wanderflug

Nach der Begierden endlicher Erfüllung,

Und was die Welt erschüttert und durchbebt Der Notschrei ist's nach tiefer Durstesstillung.

Frag du das Meer, warum es weint und rollt In schwerbewegtem ew'gem Wogenschlage,

Frag du den Sturm, um was er ringt und grollt Die Riesenhymne niegestillter Klage;

Es schwillt und ebbt der dunkle Ocean, Daß Höhn mit Tiefen bräutlich er vermähle, Daß einer Welt vom Frühling er erzähle

Zieht singend hin der feuchte Märzorkan, Bis er ob rieselnden, erwachten Landen In schwülem Hauch befruchtend mag verbranden.

61 Was ist es, das in mächtigem Bewegen

Des Erdballs Adern schwellend-voll durchkreist, Die Ackerkrume auseinanderreißt Und preis sie giebt dem kräft'gen Frühlingsregen?

Was ist es, das durchs frische Grün der Bäume Lind und herbduftend wie ein Schauer weht

Und durch der Menschheit tiefste Herzensträume

Süßquälend, bang, als junge Liebe geht? — Die Liebe ist ein brünstig Überhasten, Halb Lebenssehnsucht und halb Todesdrang, Denn dieses Leben ist ein Übergang

Voll Schmerz und Schatten; drin nicht gut zu rasten. Rastlose Selbstgeburt — das ist das Heil, Ist die BLdingung weiterer Erhaltung,

Drum ist Natur im tiefsten Wesen geil, Drum ringt die Menschheit toll nach Neugestaltung. Daß im Genuß den ewgen Durst sie stille Ist all ihr Sinnen, ist ihr einz'ger Wille,

Und als ein liebes Schicksal wird sie's sehn

Im Weiblichen verlodernd aufzugehn. Dann freilich heißt es mehr noch, als dies Leben

Dem großen Kreislauf still zurückzugeben, Denn wenn verhallt der letzte Wollustschrei, — Hier liegt die Falle — geht der Tod vorbei.

Und zwar kein Tod, bedeutend eine Pause Zu kurzer Rast; nein, ein Gedankenstrich,

Verlöschend, tilgend, daß auf ewig Dich

Das große Nichts, das leere, überbrause,

62 Denn wie den Leib, so hast in blinder Lust

Die Seele du zernichtet unbewußt, Und bist beraubt des Lohnes, welcher wird,

Den andern all, die nicht wie du geirrt. Dich freilich stört das wenig, toller Zecher,

Du spürst zu spät den Erdgeschmack im Becher,

Und wirst so'lang dann fluchen dem Getränke Bis Gastwirt Tod dich ausweist aus der Schänke.

Dann rollst du abseits in die Grube eben, Als Grabschrift nur: „Durch Schuld verfehltes Leben." Dir freilich schuf, o Frevler, kein Behagen

Das große Wort vom Büßen und Entsagen,

Die große Botschaft uralt-heil'gen Klanges, Die einst erwacht am Indus und am Ganges,

Die durch Jahrtausende ward hingestammelt, Daraus die Menschheit Linderung gesammelt. Die alle Herzen, so im Kern zerschlagen, Durch Nacht und Schmerz zum Frieden hat getragen,

Und die dein Herz, durchfiebert und umnachtet,

(Obwohl man den Essäer drum geschlachtet) Nie hat erfüllt mit wunderstarkem Schein:

„Es soll dein Reich von dieser Welt nicht sein." —

Ich seh' nun zwar, daß schlimm dein Auge blitzet, Daß dir der Trotz im tiefsten Herzen sitzet,

Auch höhnst du wohl, daß ich, der ein Rabbiner,

Dir christlich pred'ge wie ein Kapuziner, Und bist bereits im Grunde so verstockt, Daß frommer Zuspruch dich nur mäßig lockt.

63 Vernimm darum, was ich als Weiser sage: Das Weibliche ist die urdunkle Frage, Die jedem, der hinaus ins Leben stürmt, Als ernster Prüfstein sich entgegentürmt. Ob früh ob spät, für jeden wird am Ende Das Weibliche zur Lebenssonnenwende. Das ist die Sphinx mit schöngeschwungnem Bug, Schläfrig enttaucht dem gelben Sand von Theben, Auf deren Mund in einem dunklen Zug Der Tod sich paärt mit wildem Drang zum Leben: Die roten Lippen, leicht von Hohn gebäumt, Neigt sie dir zu — zur Wahl beut sie indessen In ihrer Hand dir einen dunklen Strauß. Den formen: Schmerz, Kampf, Arbeit und Vergessen. O nimm ihn. hin — und wisse, daß Cypressen Auf Erden so recht eigentlich zu Haus. Streifst du den Mund, der dir entgegenträumt, In wildem Kuß — so ist es mit dir aus. Auf ewig aus, ohn Hoffnung, ohn Erbarmen . . Was greift dich an? — Meister, dies Gold den Armen, Euch meinen Dank. Der Weisheit Tropfenfall, Den Ihr gespendet, schuf dem Glutgefühle, Was m mir lodert, grade soviel Kühle Wie Juniregen einem Lavaschwall. Mich quält die Sphinx. Ich sehe selbst im Traume Das weiche Haar die niedre Stirn umfächeln, Auf ihrer Lippen feuchtem rotem Saume

64 Höhnt mich das starre »»entlarvte Lächeln.

Ich trag's nicht mehr! Wohl ballt sich Glockenton Im Herz mir auf, und dessen tiefsten Falten Entringen sich bang winkende Gestalten Aus alter Zeit — doch bald sind sie entflohn.

Ich hab geliebt: auf meine reine Flamme

Blies gift'ger Wind, ein Höhrer trieb sein Spiel — Ich zögre nicht, daß ich mich nun verdamme:

Ich will mich rächen, denn ich litt zuviel. Ein wilder Durst ist mir statt frommem Lieben

Im schwerbetrognen heißen Herz geblieben, Drum will ich trinken bis ich übersatt,

Und will genießen, bis ich Wollustmatt. Das Rätselbild mit rotem Mund sei mein, Und nichts soll mehr vor mir verborgen sein.

Ich will es sehn das hohe Bild von Saks In meinem Arm, entblößt wie eine Lais,

Ich will an ihren heißen weichen Brüsten

Vergehn in wilden racherfiillten Lüsten, Den letzten Glanz vom Haupte ihr zu streifen, Den Schöpfer im Geschöpf durch Staub zu schleifen.

Mit kaltem Aug das „Nichts" dann zu ersehn Und satt von Hohn, lachend zu Grunde gehn — Meister, lebt wohl ... auf! morsche Kerkerpforte!

Ein Wind stieß schwül, mit tauber Macht herein,

Die Lampe flackerte, die letzten Worte

Des Fremden hallten nach am Wandgestein.

Der Rabbi lachte, und begann allein: Wie nutzlos, Christus, blasser Liebeshärmer, Daß man ans Kreuz dich grausam einst gereckt.

Denn jene Lehre, die bit aufgedeckt,

Wird, trotz des Opfers, täglich wirkungsärmer. Gut für den Schwachkopf, dessen Hirn nur faßt

Das plumpe Schreckbild ew'ger Höllenstrafe —

Ach, ganz besonders zahm sind deine Schafe, Mein guter Hirt! Wie anders war der Gast,

Der eben ging! Der zählt zu Streiterschaaren,

Die, sturmerfaßt, sich Satan zugesellt,

Die einsam gingen, grollend, fern der Welt, Und doch die Größten aller Zeiten waren.

In deinem Reiche haben nie gehaust Der Don Juan und nie der Doktor Faust, Noch alle, die, vom Schmerz zu wild geschlagen,

Des Aufruhrs Brand in deinen Stall getragen.

Ja — glaub mir — alles, was dir vorgeschwebt Hat sich auf Erden baldig überlebt.

Dann bist du ein Notnagel nur geblieben, Der zwischen zwei Entwickelungsgeschieben,

Vielgötterei und Einheitsglauben, hängt;

Die Menschheit, ungewiß und notgedrängt Wird ratlos hin zu andern Lehrern fliehen, Den alten Erdball werden überziehen Noch grundverschiedne Glaubensprozessionen — Sch'önaich-Carolath, Dichtungen.

5

66 Der Schöpfer aber wird im Himmel thronen

Um auf den Kampfplatz still hinabzusehn, Wo so viel bunte, sonderbare Sachen

Rabbiner, Bonzen, Popen emsig fachen Um ihre Ohnmacht keinem zu gestehn . . . Und wird das Ganze fein und mild belachen! — Doch einen Mißgriff, Gott, hast du gethan.

Du schafft das Weib als Prüfftein, den ins Leben

Jedwedes Befferen du hast gegeben; Sie ist die Sphinx mit Marmorbrust, daran Der Menschheit Strom sich in zwei Rinnen teilet, Davon die eine spärlich zu dir eilet, Die andre doch dir schrecklich werden kann. Soweit der Sturm braust und die Sonne scheint Giebt es kein Plätzchen auf der blum'gen Erde, Nicht eines nur, das frei erfunden werde, Bon Thränen, die um eine Frau geweint. Für soviel Schmerz, Entsagung, Kampf und Pein Schufft du die Sphinx, schufst du das Weib zu klein. Denn sie gewährt für der Begierden Sonne, Die sie erweckt,- zu wenig Labungswonne. Vom Abglanz heißer Phantasie umkleidet Ist unwert sie des Sturms von Groll und Schmerz, Den oft ein großes, riesenstolzes Herz

Ums arme Lächeln einer Frau erleidet. Das starre Lächeln deiner Sphinx, darum Die Herzen bluteten, die Dichter sangen,

67 Und Völker im Vernichtungskampfe rangen,

Im Grund, mein Schöpfer — ist es grausam dumm. Sorg', daß nicht auf Erden

Da liegt dein Fehler.

Zuviel Geschöpfe seiner inne werden,

Denn wenn ein Schlag das Herz der Kreatur

Zum Aufruhr treibt, so ist es dieser nur: Bei klarem Sinn und bei lebend'gem Leibe

Verraten werden vom geliebten Weibe. Denkst du des Tags, da, satt des Lilienstengels

Satan aufschrie und von dir sich gewandt Weil auf den Lippen eines weißen Engels,

Den er geliebet, Täuschung er erfand? Betrogen ward er, und das hat er, eben Weil er sehr stolz war, niemals dir vergeben:

Seit jenem Tag schürt er den Weltenbrand. —

Und schweigend folgt nun dem Empörungsgotte Der Gleichbetrogenen tiefernste Rotte In schattenhaftem, dunklem Heereszug.

Wer je das Weib verkämpft, verschmerzt, verwunden Steht einsam da, nicht mehr an Gott gebunden — Denn übers Weib geht der Ideenflug

Hinauf zur Freiheit.

Und zu dieser Schaar Sprach kalt der Jude, zählt der wilde Gast

An Christi Krippe, der just hier noch war. Der Schöpfer hat ihn unrecht angefaßt,

Auch hat ihm nicht die Arzenei gepaßt, Mein letzter Tropfen. — Zu der Thüre schlich

68 Rabbi Zephanja, und den schweren Riegel

Warf er ins Schloß und sagte leis bei sich: Da geht er hin, der schöne, neue Tiegel!

*

*

*

Don Balbis grauer, massiger Palast

Schläft' aus vom Fest.

Verstummt ist das Gewitter

Der Ballmusik, der Fackeln Schein verblaßt, Ins Schloß fiel dröhnend schwer das Pfortengitter. Die Gärten schauern, und sein blaues Licht

Wirft irr der Mond in leere Säulenhallen; Der Südwind rast, und an den Scheiben bricht

Er seine Schwingen, schwül, mit trübem Lallen

Bon Palmenhainen und vom gelben Nil. Auf Purpurpolstern lehnt im Erkerzimmer

Lächelnd ein Weib.

Ihr blendendes Profil

Dreht sich zum Spiegel, einen Perlenkranz, Rubindurchbrochen, beut sie ihrem Haare . . Wie bin ich schön! O Fügung, wunderbare,

Säh' er mich so . . . Ein Schatten überflog

Ihr trüb die Stirn und flüchtig — doch sie bog Das Haupt zurück, und durch das Lichtgeflimmer Der Edelsteine brach ihr Auge blau. Sie lächelte.

Die Toten kommen nimmer

Und dann bin ich ja Cesar Balbis Frau Und bin so schön — und er ist tot, längst tot,

Das Leben lacht — ein fliegend-heißes Rot

69 Trat ihr ins Antlitz. Sie aus den Locken.

Leise nahm die Spange

Ach, es war doch süß,

Hauchte sie träumend — Jugendparadies, Wie bist du doch versunken schon so lange!

Sie schwieg.

In: Garten rauschten wild und bang

Die Myrtenbäume, von dem Meere drang Ein Grollen her, es brach sich an den Zinnen

Der Südwind sacht, mit kosender Gewalt.

Ihr Auge dunkelte.

Ich bin doch alt,

Sprach leise sie — o, könnt' ich mich begraben Mit jenem Traum, mit dir, o Guy! — Da sprang

Weit auf die Thür: Dies Glück, Du kannst es haben! Klangs durch das Zimmer.

Am Balköne stand

Ein Mann im Mantel: Schläft Don Balbi, Santa,

Schläft er gewiß? Sonst kann zu festrem Schlaf

Mein Dolch ihm helfen —

Wie sein Blick sie traf Flog sie empor: Erbarmen! nur nicht morden!

Nimm meinen Schmuck, nimm hin, nur laß mich leben... Ihn aber überlief ein flüchtig Beben:

Santa, sag an, bist Du auch feig geworden, Treulos — dann feig? Natürlich! Und er riß

Die Sammetmaske von den blassen Zügen — Guy, schrie sie auf, bist Du dem Grab entstiegen? Zurück . . ich war nicht treulos! Überbracht Ward mir die Kunde, daß Du früh, vor Allen

Den Tod gefunden in der ersten Schlacht.

70 Gott sah die Thränen, die darob gefallen Auf meine Kissen in manch banger Nacht.

Ich seh es nun . . mit Netzwerk arger List Ward ich umsponnen . . arg bestürmt, in Schwächen

Fiel dem ich zu, der nun mein Gatte ist ... Das hilf Du selbst mir bitter an ihm rächen, Hohnlachte Guy.

Dein Auge blitzt und scheint

Ja wunderhell! Zuviel hat's nicht geweint, Dies Taubenaug! Hat wohl auch kaum beträuft

Bor Reu und Scham des Brautbetts Purpurkiffen, Denn Donna Santa hat sich, will man wissen,

An einen Greis für Sündensold verkauft.

Das Grafenkind mit der Madonnenstirne Für Gold verkauft! Verkauft! Nun, welsche Dirne,

Wie teuer bist Du?

Sie blieb stumm, halboffen Die blaffen Lippen.

Unter ihren Brauen

Standen die Augen gläsern, starr vor Grauen

Indes sie selbst, entlarvt, durchschaut, erkannt,

Zu Grund gerichtet, lehnte an der Wand. Doch plötzlich.reckte sie, ins Herz getroffen,

Sich trotzig auf, indes zu Haupt ihr schoß Das Grafenblut.

Verkauft?! Nein, Spielgenoß,

Spiel meiner Laune! Wähnst Du, eitler Thor, Daß mir dein Wort in flücht'ger Abendstunde

Mehr war, als eines Vogels Ruf im Rohr? Und wähnst Du noch, daß mich ein Schwur gebunden,

Den tändelnd ich am Spätnachmittag gab

71 Und treulich nach Gebühr gehalten hab Bis daß die Sonne überm Park geschwunden?

Bernimm's: in meiner Schönheit Dienergruppe

Warst Du mir nichts als eine Lieblingspuppe, Ein Bär aus Nordland, den ich zahm gemacht, Und, als er tanzen konnte, ausgelacht —

Zum Zeitvertreibe mochtest knapp Du taugen,

Zur Liebe — nie.

Es ging die Kunst Dir aus.

Und nun: fort aus Don Cesar Balbis Haus

Und Donna Santas Augen! Nein. —

Er sprach's, Ernst und gelassen.

Deinem Wort gebrach's

An Wahrheit, Santa.

Ob dein schöner Mund

Sich trotzig zieht, ob Du die schweren Locken Sieghaft zum Nacken wirfst — aus Herzensgrund Siehst Du mich dennoch an, stumm und erschrocken;

Dein stolzes Aug es dunkelt, thränennah: Reckt doch dem Sturm die wilde Heiderose

Den Dorn entgegen, herb, bis sein Gekose

' Sie mit sich reißt eh sie sich des versah: Du liebtest mich und liebst mich noch — sag ja — Ja, sprach sie tonlos, ja. —

Du seltsam Kind,

Begann er sanft, so sag mir denn, welch Wind

Gespielt mit deiner Seele Blütenzweigen,

Daß sie so sehr, so früh entblättert sind? Ich hörte einst, daß Menschen dazu neigen

72 In einen Abgrund, der sie füllt mit Grauen,

Tiefer und länger stets hineinzuschauen Bis dunkle Macht sie lockend zwingt hinab. In welchem Abgrund fandest Du dein Grab?

Was schuf's, daß Dich der letzte Halt verließ, Was war's, das Dich mit jugendblonden Haaren In eines Greises welke Arme stieß?

Sein Reichtum nur? Sein väterlich Gebühren,

Sein Puffenwamms? Sein Bart? Sein goldnes Vließ? Sprich ohne Furcht — Sie starrte stumm ins Licht,

Hülflosen Mundes, und: „ich weiß es nicht",

Sprach sie tiefschauernd. Auf ihr lag, großoffen,

Bestürzt, sein Auge.

Todesstille zog

Schwer durch den Raum; vom Silberleuchter flog Ein trübes Knistern und die Kerzen troffen. Da plötzlich that er einen Finderschrei:

Santa — ich glaube Dir und sprech Dich frei! Du „wußtest nicht" wie Weh Du mir gethan,

Der schwersten Fehle klagt' ich falsch Dich an, Nicht Du warst schuldig, wie ich's einst geglaubt: Die Erde doch trägt ein Medusenhaupt, Daß alles, was ihr nahen muß, erstarrt:

Wer drum beim Weibe Glück sucht, wird genarrt. Ich sprech die Frau von jeder Fehle los,

Weil Gott die Seele ihr mit Stein umschloß, Weil um das Licht, das in ihr loht, sein Neid

73 Als Hülle schlug ein kaltes Marmorkleid,

Damit die Menschheit vor der Tempelhalle

Im Staub gelagert Sehnsuchtsseufzer lalle —

Ich aber bin aus wildrem Blut entstammt,

Das ew'ge Licht, das matt und rosig flammt In deines Leibes marmorweißem Bau Ich will's besitzen, wunderschöne Frau, Küssend ersticken, jubelnd löschen aus

Die letzten Kerzen in dem Gotteshaus,

Auf die zerissnen schweren Altardecken

Zum ew'gen Schlaf, gesättigt dann mich recken Und sterbend, jubelnd, todesselig sagen: Im schönsten Weib, des Auge je geblaut,

Hab, neid'scher Gott, ich deine Sphinx erschaut, Und hab in ihr dein Werk — dich selbst.— zerschlagen.

Auflachend löste er von Santas Hals

Die Perlenbänder, daß sie matten Falls Zu Boden glitten. Guy,- was sinnst Du? Sprich . .

Was flammt Dein Aug? Was willst Du . . . Ich will Dich — Und blitzschnell, wild umfangend ihre Glieder Riß er sie an sich, lachend, schluchzend wieder,

Zur Ruhe kämpfend, stark, voll wilder Regung Des schönen Leibes schmeidige Bewegung.

Ich lieb Dich, lallte er, o Lieb, o lasie Mir all dein Sein, daß ich Dich besser hasse!

Laß Küsse, wie kein Weib sie je getrunken,

74 Mich auf Dich sä'n, zahllos, wie blut'ge Funken, In jedem will, erschöpfend, ich Dir geben

Ein volles Jahr aus meinem reichen Leben,

Laß uns vergehn, zerfließen eins im andern, So wie zwei Wellen, die im Weltmeer wandern

Vom Südsturmhauch der Sehnsucht fortgetragen

Tobend, beseligt, ineinanderschlagen — — — Dem Weib, das irr, berauscht von Liebesfülle

Im Arm ihm hing, hat bebend er gerissen Vom weißen Leib die starre Atlashülle Und es geschleudert in des Prunkbetts Kiffen.

Ein Laut ... ein Klagwort, girrend, wundersacht . . In einer Flut fahlblonder Lockenhaare

Versanken sie — rings nur war wunderbare

Jasmindurchhauchte, purpurfinstre Nacht — —

Warum sie nachgab, ganz und voll? — Gott weiß. Vielleicht nach Gottes eigenstem Geheiß, Vielleicht weil ihr vom langverschloffnen Herz Ein Blitzstrahl schlug das starre Panzererz,

Vielleicht weil sie, von Sehnsucht übermannt Begier nach einer Seele jäh empfand —

Wir wissen's nicht.

Es sei uns eins genug:

Um große Flammen geht ein großer Zug Mitzuverlodern. —

Und sie schliefen Beid'. Um ihren Mund, den schönen, vielgeküßten

Irrte ein Lächeln voll Glückseligkeit.

75 Sein Haupt, drin der Begierde Sturm verbraust Sah trotzig-fahl; es ruhte seine Faust,

Im Schlaf geballt, auf ihren heißen Brüsten. So läßt der Löwe wohl, den in Gedanken

Der Schlaf befiel an einer Beutestelle,

Schwergriffig liegen seine mächtigen Pranken Auf der erwürgten, röchelnden Gazelle. Und beide träumten.

Sie von Sternen droben,

Die ewig golden, daß ihr eigen sei

Ein Leben nun, draus jedes Weh verstoben.

Doch seine Brust ging schwer, es brach ein Schrei Daraus hervor, der klang: lebwohl — vorüber

Du Schloß mit dem steinernen Wappenthor

Und den dunklen Eiben darüber; Ihr wellenden Seen, du ächzender Tann,

Lebt wohl, ihr Hochlandshaiden,

Es segnet im letzten Scheiden

Euch ein verlorener Mann — Scheiden — kein Traum . . . irrwirr empor er schrak,

Mit offnen Augen.

Hingegossen lag

An seinem müden, fieberheißen Leib

Lächelnd das weiche, seingewordne Weib. Da faßte ihn Entsetzen und er bog Ihr Haupt zurück, indes wildbang sich sog

Sein Auge in die wundervollen Züge . . .

Dann stöhnte er: o Santa, o betrüge So bitter nicht! Schlag auf die schweren Lider, Sieh voll mich an, gieb mir die Jugend wieder!

76 Vor langer Zeit da blühten die Syringen, Wir liebten »ns ... auf deine Lippen, leise, Kam eine süße, langvergessne Weise . . . Erbarme Dich . . das Lied . . wie geht das Lied?

Und sie, wie ein Waldvöglein, sanft und müd Begann zu singen — — Schweig — das klingt ja blechern Wie falsches Geld — sprach tonlos er. Bei Bechern Und Würfelspiel hort' ich derlei.

Die Stunde,

Das Lied, Dich selbst — hast Du zu gut vergeffen. Schlaftrunken suchte sie mit rotem Munde Achtlos den seinen . . doch die Purpurdecken Warf breit er über sie; blaß zum Erschrecken Trat er ans Fenster. Hinter den Cypressen, Die dunkel brauten, murrte dumpf das Meer; Der Tag brach an, streifige Wolken hingen Blutrot im Osten über Tiefen leer Und nebelbrauend. Meiner Seele Schwingen Lähmt Ekel, stöhnte Guy, es bricht mein Herz

Vor schalem Abscheu: nun, da Stillung hätte Der wilde Wunsch, verlor ich meinen Schmerz, Das Diadem! Ich wollte größer sein Als Lucifer — und was ich aufbeschworen An Sturm, an Groll, an Racheträumerei'n

Ich habe es um eine Frau verloren . . . Zerplatzte Form — fort auf die Scherbenstätte! Er griff zum Dolch mit Inbrunst.

Plötzlich trafen

77 Ihn fremde Laute.

Von dem Purpurpfühl

Hob Santa sich; ihr Haupt, nach Ost gewendet

Trug, vom Reflex des Goldhaars überblendet. Den Zug der Sphinx — das Lächeln fremd und kühl.

Sie sprach: es soll das Wunder um dich sein,

Daß meine Seele unbewußt sich wendet Zu deiner, die den Erdenflug beendet In einer Nacht, darin kein Sternenschein.

Ihr eignes Rätselwort — erriet's die Frau,

So fiel' in Trümmer unser Weltenbau,

Denn bebend ließe ihre schwache Hand Die Ampel fallen, drin den großen Brand

Der Liebe sie von hohem Warteturm

Arglos ins Weltall hält, in Nacht und Sturm. Es streut die Frau der Liebe heißen Strahl Durchs dunkle Leben, reich — doch ohne Wahl,

Sie geht und liebt, voll, harmlos — aber blind.

Wie Sterbelieder spielend lallt ein Kind Mit blühndem Mund . .

Du hast in wildem Drange

Das Glück am Busen einer Frau gesucht, Hast's nicht gefunden — und hast Gott verflucht.

Was Du gesucht so sehnsuchtsvoll, so bange,

Dies tiefe Etwas ist ein Strahl von Licht, Den Gott ihr gab, daß man ihn heiß verlange

Und doch auf Erden finde nicht. Hast Du, wenn eine Frau die dunklen Sterne Scheu zu Dir aufschlug, nie gefühlt ein Schmerzen,

78 Ein tiefes Heimweh nach verlorner Ferne? . . In jeder Frau liegt der tiefsüße Zug,

Der unbeschreibliche, ein ew'ges Sehnen In uns zu wecken, daß wir aufwärts dehnen

Zu Gott empor des Lebens Probeflug. Doch wen erfast's, daß von der Welt er lasse?

Ein irdisch Heim, ein „sichres" will die Masse, Und sucht und findet Alltagsglück beim Weib,

Denn an des Rätsels schönem Bollwerk: Leib

Bleibt stocken sie, gesättigt zu gesunden — Nur Wen'gen schlägt die Liebe tiefe Wunden, Doch jede Wunde ist ein Ritterschlag.

Heil dem, der Glück beim Weibe nie gefunden Und aus der Tiefe dafür segnen mag. Das ewig Weibliche ist Schmerz ohn Ende: Wer allsogroß, daß ohne Groll und Spott

Er schweigend sich von Erdepsonnen wende, Steht freilich einsam da — doch eins mit Gott. — Und große Schmerzen sollen heilig sein.

Unselig, wer das Saisbild von Stein Nach einer Seele ungestüm befrägt,

Nach' Lust schreit — und die schöne Form zerschlägt. Ihm wird aus Trümmern, aus verstreuten, grauen

Die leere Nacht lichtlos entgegenschauen. So gähnt in jeder Frau ein blumig Grab:

Es heißt das Nichts — und wer es je gemessen Muß zu den Schatten, bleichen Haupts, hinab,

Müd vor der Zeit, früh welk und früh vergessen.

79 Die Form vergeht — doch ist kein Grab so klein: Aus seiner Tiefe zwingen sich Cyprefsen

Mit dunklen Flügeln auf zum Sonnenschein.

Das Leben ist ein heft'ger Wanderflug Zu Gott gerichtet, und auf allen Wegen

Trägt uns der Schmerz, sein großer Atemzug

Der Heimat zu, dem ew'gen Lenz entgegen. Vieltausend Jahre werden gehen, kommen. —

Wenn über alles, was aus Stein erbaut, Wenn ob der Sphinx, die stolz auf Theben schaut. Wenn über alle, die gedacht, gedichtet

Und des Gedankens Säulen aufgerichtet Der Triebsand schweigend seinen Flug genommen, — Der Streusand zu der großen Schrift der Zeit

Der ernste Br-uder unsrer Ewigkeit —

Wird stets ob allen Leidenschaftsdämonen Das Weib am höchsten Opfersteine thronen.

Allewig wird sie, aus des Daseins Wüste Emporgereckt, hinbieten ihre Brüste, Daß dran die Menschen qualvoll, mühsam saugen

Im Glanz der höhnisch-heil'gen Götteraugen, Daß sie, ihr Wesen gierig zu erschöpfen, Das Hirn sich fiebern aus den müden Köpfen, Daß sie, ihr Rätsel schaudernd zu erfassen

Von Wahrheit, Frieden, Gott und Leben lassen,

Sich süssen, hassen, schlachten nach Gefallen, Anbeten, lästern, schluchzen, lachen, lallen,

80 Das Herz von Stein zu rühren, zu erweichen, In jeden Abgrund, jede Tiefe reichen —

Sie aber wird, hoch überm Erdenflug

Im warmen Staube sonnen ihren Bug,

Indes sie starr, das Auge unerhellt, Die Löwentatze aufdrückt dieser Welt,

Und stumm ihr Antlitz, das vernichtend schöne Gen Morgen wendet, harrend, bis da schied

Die lange Nacht, daß aus der Brust ihr töne Der Liebe großes — unverstandnes Lied.

Santa schwieg; lächelte. Schwand jäh der Schimmer.

Sank sie zur Seite.

Von ihrem Haupt Müde sinnberaubt

Aus der Ampel stob

Schwehlend ein Rauch.

Als Guy die Stirne hob

Graute der Morgen, ein lichtroter Schein

Lag auf den Stufen.

Herbstkühl ging die See,

Im Baume zirpte ein Waldvögelein

Mit süßem Laut sein Wanderwort ade. O wart', sprach Guy, auf daß ich mit dir geh'! Sein Aug blieb finster.

Santas Haar, das blonde,

Strich er zur Seite, ohne Groll noch Schmerz, Und senkte langsam sich — wie eine Sonde In einen leeren Ort — den Dolch ins Herz.

WclnöerfaHrt.

Sch'önaich-Carolath, Dichtungen.

Der schwarze Hanns. Ein Försterhaus.

Herbstabend.

Stößt der Novemberwind.

Um die Giebel

Im niedern Saal,

Dem rauchgeschwärzten, saßen am Kamine Mein Freund und ich.

Das derbe Jägermahl

War just beendet, durch das Zimmer zog Schon blauer Dust, und in den Gläsern blinkte

Das Kirschenwasser.

Am Getäfel stand

Der alte Förster, aus dem Maserkopfe Ingrimmig dampfend, dann und wann ein Wort

Still vor sich brummend.

Lächelnd schob mein Freund

Das Glas ihm hin: „Trink, Alter, laß die Grillen Für heute ruhn!

Du hast kein Recht zu schmollen

Nach solchem Jagdglück. Den ries'gen Wolf!

Grad im letzten Triebe

Er blieb im Feuer, nicht?

Ja, Blattschuß — Grabschuß.

Kam er durch's Gehege

Dir flüchtig an? Nun, so erzähl doch endlich, Wie war's damit?"

„Womit? Ah — mit dem Wolf? — Ja, gnäd'ger Herr, den hat die Kugel leider

Zu gut gefaßt, denn gerne hätt' das Vieh

84 Ich erst gewürgt und ihm mit meinem Messer Rasch ein paar Löcher in den Balg gemacht — So war's zu spät.

Der Teufelsbraten rollte

Im Knall kopfüber, schnellte sich durch's Laub Blutübergossen, sah mich nahen, heulte

Zehn Worte noch, und streckte sich und starb, Eh ich herankam."

„Was? Ein Wolf. . . zehn Worte? Redest Du im Fieber?

Bedenk Dich, Alter.

Ein Wolf — zehn Worte!" — „Gnädiger Herr, verzeiht,

's ist reine Wahrheit." — „Gut, so laß uns wissen: Was sprach der Wolf?"--------Der Greis griff nach der Stirne

Und schwieg und sann.

Sein wetterbraun Gesicht

Durchlief ein Schimmer.

„Als einst jung ich war,"

Begann er leise, „stand im Waldrevier Noch eine Mühle.

Wo der Glimmerbach

Zum Teich sich breitet, war's. Und Unkraut drüber.

Jetzt wuchert Schilf

An der Mühle lag

Ein Blumengärtchen, frisch von Wasserstaub

Und Quellgeriesel.

In dem Gärtchen blühte

Manch Rosenstrauch, doch schöner blühte noch Des Müllers Gretchen . . .

„Ja, das war ein Kind,

Fromm, brav und herzig!

Zöpfe hatte sie

85 Dick wie mein Arm, und was für Augen! Ganz voller Sonne. Und wie lachte sie

Tief,

So herzlich gern, wie klang ihr Lachen silbern Und glücklich-hell! Kurzum — sie war mir gut, Denn, gnäd'ger Herr, nicht immer war ich mürrisch

Und krumm wie jetzt! 's gab eine Zeit, da schauten Die Mädchen mich nicht eben ungern an; Ich aber lachte, denn im Herzen hielt Ich Müllers Gretchen. . . „Damals lag ein Krug Hart an der Straße, die den Wald durchschneidet, Ein Krug, wo Grenzer, Händler, fahrend Volk Oft Einkehr suchten. Ein verrufnes Weib

Führte die Wirtschaft, in der Schenke half Ein Sohn ihr aus. Man nannte ihn im Lande Den .schwarzen Hanns'. Herr, einen schlimm'ren Wildrer Gab es noch nie. Schlau wie die Wildkatz, tückisch Wie hundert Marder, grausam, feig, ohn Ehre Und ohn Gewissen. In der grünen Saat Fing er das Rebhuhn samt der Brut, der jungen, Die noch nicht flügge. Auf die Wechsel warf Er Draht und Schlingen, daß sich elend würgte Zu Tod das Rehwild, sei es Bock, sei's Geiß;

Das Muttertier, das hochbeschlagne, knallte Er ruhig nieder, beutegierig, einzig Auf Geld bedacht. Dabei unfaßbar, listig, Den Jägern Freund, die eignen Raubgenossen,

86 Wenn's immer ging, für guten Sold verratend. — Den Burschen fing ich nun, als einen Bock

Im Morgengraun er aus der Schlinge löste, Und lieferte, wie's meine Schuldigkeit, Ohne Erbarmen ihn aufs Landgericht.

So weit war's gut, doch in den Städten sitzen

Am grünen Tische Herren, die das Recht Aus Büchern lesen; die den größten Schuft

Oft schuldlos sprechen, und den Armen, der Bor Hunger stiehlt, im Zuchthaus faulen lassen;

Die so viel fragen, daß das klarste Ding Zuletzt ein Wirrsal wird voll Kniffen, Pfiffen;

Die's so weit bringen, daß das X ein U Und ein Maulesel eine fette Kuh —

Die schickten richtig auch nach ein paar Wochen Den Hanns zurück. Ein stummer Krieg.

Seit diesem Tag begann

Da fand ich meine Hunde

Im Stall vergiftet; da die Roggensaat

Auf meinem Acker über Nacht zertreten; Da glimmte Zündschwamm im Gebälk am Haus;

Da pfiff im Wald mir einmal eine Kugel

So nah vorbei, daß ich den warmen Hauch

Zu spüren meinte.

Und dann endlich kam.

Was ich geahnt — im eigenen Reviere Ein Hinterhalt.

Die Hunde schnürten mich

An Kiefernäste, so, daß wie ein Kreuz

Gestreckt ich schwebte.

Tage gingen so,

Da fand man mich, doch lange Wochen schwanden,

87 Eh ich erwacht'. Ein Glutball zuckte kreisend Mir im Gehirn, in den verrenkten Adern Kochte das Blut. Doch ich war jung und nervig,

An einem Nachmittag,

Kurz, ich genas.

Es war schon Herbst, schlich mühsam ich am Stabe Hinab zur Mühle. Rotgelb das Laub.

Von den Bäumen fiel Das Gärtchen, drin so oft

Ich glücklich war, sah mich verwildert an, Das Haus war still — kein Laut — die Räder standen

Schlafend, int Bach. Am Thore kauerte Der Müller selbst. Ein Lodenrock umfloß Die hagren Glieder. Stumpf sah er mich an, Ich aber lallte: .Gretchen — wo ist Gretchen . . . Da sprang er auf: .Verflucht! mein einzig Kind . . .

Der schwarze Hanns ... geh weiter, Fremder, weiter

Und bet für sie . . .' „So, gnädger Herr, so hat Sich Hanns gerächt. Wo einst die Mühle ragte, Liegt jetzt ein Teich. Verdorben und gestorben

Ist, was ich liebte. Ich — ward zeitig alt Und mürrisch drum. Griesgrämig und langweilig Ward ich dazu. Verzeiht mir, gnäd'ger Herr, Haltet's zu Gnaden." In dem Schlote fing Sich jäh ein Windstoß. „Alter, laß die Sorgen

Begraben sein.

Nicht wußt' ich, daß Dein Leben

88 Doch komme weiter nun,

So trübe war.

Besinne Dich — Du wolltest von dem Wolf

Uns ja erzählen.

Hier, trink noch einmal

Und komm zur Sache." — „Herr, ich blieb dabei,

Laßt mich nur reden.

Seht, ich glaub daran,

Daß jeder Mensch 'ner eignen Art von Tieren 's ist ein geheimes Band,

Genau entspricht,

'ne Blutsverwandtschaft, die sich nie verleugnet. Ich glaub drum fest an Seelenwanderung

Und an Vergeltung. Zu Löwen einst.

Mut'ge Menschen werden

Feiglinge werden Mäuse,

Die sich verkriechen.

Schlaue Winkelschreiber

Werden zu Füchsen.

Keiner macht'mir weis,

Daß unser Probst, der fett auf seiner Pfründe,

Nicht einst ein Dachs wird. Kommt mir da der Schmul, Der Handelsjude, scheu und bittend an, So ruf ich: .Hase!' Hase — ja, fürwahr

Ich wär kein Jäger, kennt ich nicht den Blick

Auf Schrotschußweit', den abgehetzten Blick, Den angstverstörten! Nicht Jud noch Hase.

Keine Ruhe hat Stündlich frischgehetzt

Von Groß und Klein, verhöhnt, verjagt, verprügelt, Ohn Schutz, ohn Rast, ist seine beste Wehr,

Sich still zu ducken.

Doch umsonst — die Ohren,

Die schlotternden, trübselig großen Ohren,

Verraten ihn.

.

Seht Euch den Schmul nur an,

Gnädiger Herr, und sagt . . ."

89 „Beim Himmel, Alter,

Kommt nun zum Ziel!

Bom Wolfe sprachen ivir,

Hört Ihr, vom Wolf!

Was that er, als die Kugel

Das Fell ihm schlitzte?

Ernstlich, wollt vom Weg

Nicht fürder schweifen." „Gott behüte, Herr, Selbst bin nun beim Wolfe

Das that ich nimmer.

Seht, es giebt kein Tier,

Ich angekonlmen.

Das feig, so elend feig trotz seiner Stärke,

Als solch ein Wolf.

Tags schleicht er durch den Wald,

Blinzelnd und scheu, kaum, daß an eine Ratte

Was thut das Teufelsvieh?

Er frei sich wagt. Es spioniert!

Wohin zur Rast sich setzte

Ein müdes Reh, das merkt er sich — wo immer

Ein wehrlos Tierchen weilt, da kreist im Bogen Er rastlos hin.

Und ist die Nacht gekommen,

Wird er zum Mörder.

Lautlos hingestreckt

Am tau'gen Boden, kriecht er, schweißbegossen Bor Angst und Gier, bis arglos er, im Bette,

Sein Opfer findet.

Und er tötet still,

Der schmutz'ge Würger!

Kommt's mal, daß der Schrei

Der wunden Hinde jäh den Platzhirsch weckt,

Den braven Wächter — klemmt er scheu die Rute

Und läuft davon. Und wehrlos ist.

Er mordet nur, was schüchtern

Hat er sich mal verritten

In blinder Gier, und droht ihm die Gefahr,

Wird seine Feigheit kläglich offenbar.

90 So heute auch — nach einer langen Hetze Saß unser Wolf, gefangen wie im Netze,

Ich sah ihn ratlos auf und nieder schleichen,

Das Haar gesträubt auf seinen magren Weichen Ich sah, wie er ins Haidegras sich drückte Und wie verzweiflungsvoll er um sich blickte,

Dicht hinter ihm mit Knütteln alle Treiber,

Er wagte nicht, sich über ihre Leiber

Den Weg zu bahnen, und auf meine Buche Kroch scheu er zu,' als ob er Gnade suche; Er sah mich an, so demutsvoll, so fragend,

Mit trüben Augen, die ganz menschlich klagend, Und streckte, wedelnd, wie ein Hund die Zunge — Ich aber schoß ihn grade durch die Lunge,

Und warf mich über ihn mit blankem Messer, Damit er rascher stürbe, nur nicht besser. Doch leider Gottes kam zu spät mein Eifer,

Er rollte über, ganz voll Blut und Geifer,

Und starb, und sprach zehn Worte, zehn an Zahl: ,Jch bin der schwarze Hanns, der Dir die Grete stahl.'"

91

Der Taugenichts.

Die Eltern trug man allebeide Bors Thor hinaus zur letzten Ruh, Den Basen schuf ich Herzeleide, That Gutes nicht, zerriß viel Schuh.

Die Schläge wurden mir zu derbe, Der Rock zu eng, die Kost zu schmal,

Die Mägdlein und der Wein zu herbe — Nur Eine küßte mich manchmal.

So thät die Wanderschaft mich locken;

Das Herz war leicht, der Beutel leer, Sie läuteten darob mit Glocken —

Nur Eine, glaub ich, weinte sehr.

92 Ich hab mich lang umhergetrieben, In manchem Land, an manchem Ort, Mit Güte oft, und meist mit Hieben

Half ich mir glücklich weiter fort.

Und als mir's endlich wohlergangen Und meine Taschen leidlich schwer, Da faßte mich allgleich Verlangen Nach Heimatluft und Wiederkehr.

Schon lenkt der Kutscher ein mit Blasen, Die Giebel nicken altersmatt,

Und aus dem Pflaster grünt der Rasen — Sei mir gegrüßt, o Vaterstadt!

Der Frühlingswind wirrt mir die Haare, Ich stehe stumm auf der Bastei, Durchs Abendrot, das stille, klare, Zieh» Schwalben mit süßmattem Schrei.

Es steht da drüben noch am Markte Das Haus, wo ich geboren bin, Wo man zur Ruh die Eltern sargte . .

Jetzt wohnt ein fremdes Volk darin.

93 Dort auf der Stadtmark liegen Rinder Buntscheckig, trag im Abendschein, Dazwischen tummeln fremde Kinder Hell lachend sich in Spielerei'«.

Es naht ein Paar und schreitet weiter, Ihr Händchen grüßt mich, goldberingt . . Doch bin nicht ich der Mann, der heiter,

Blondbärtig, kraftvoll sie umschlingt,

Sie hängt am Arme eines andern, Und plaudert, und sieht glücklich aus —

Ich glaub, ich werde weiter wandern, Weit in die weite Welt hinaus.

94

Letzter Ritt. Hei Bügelklirren, hei Roßgeschnaub, Wie stößt der Wind durch die Tannen!

Fern über den Wegen zieht der Staub

Und von den Bäumen wirbelt das Laub —

So reitet sichs gut von dannen.

Was wendest den Kopf du, mein schlanker Hengst, Und schaust in die dämmernden Weiten? Erkennst du den Weg, den wir ritten unlängst.

Und hemmst du den Schritt, weil du gedenkst Der alten, seligen Zeiten?-

Wir ritten den Weg zum letztenmal — Das Wild stand weit auf den Feldern,

Es rauschte der Fluß und es schwieg das Thal,

Und ein leuchtender blauer Bollmondstrahl War rings auf den schlafenden Wäldern.

95 Dort unten lag weiß und kerzenhell Das Schlößchen im Buchenhage;

O hallende Brücke, o Hundegebell,

Die Treppen hinauf wie windesschnell Mit pochendem Herzensschlage. Du harrtest am Thore, gedeckt und warm

Auf schneeigen Marmorfliesen, Und ich hielt ein schauerndes Lieb im Arm — O Glück ohne Reue, o Leben so arm Gegen einen Traum wie diesen! —

Nun schimmert kein Licht durch die Zweige mehr, Nur die Brunnen plätschern im Grunde; Es liegt das Schlößchen verlaffen und leer, Und die Jugend ist aus und das Leben zu schwer Seit jener einzigen Stunde.

Es ziehen die Wolken, ein Wetter droht,

Und wir beide, wir beide wir traben Über die Haide ins fliegende Abendrot, In die Nacht hinein, in den Kampf, in den Tod,

Und wir wollens nicht anders haben.

96

Genrebild. Herr Holger am Kamine sitzt,

Sein Brackhund bei ihm wacht, Indes die Flamme springt und blitzt Und der Klotz in der Lohe kracht. Herr Holger in Sinnen versunken ist, Und wirrt des Bartes Flaum, Es streckt die Bracke den Widerrist — Und beide sinken in Traum.

Es denkt der Hund an einen Tag Da die Haide hülfefern, Da der Keiler über Herrn Holger lag Und er befreit den Herrn — Herr Holger doch martert seine Stirn In Sinnen schwer und stumm: Wie er zuliebe einer Dirn Den Blutsfreund brächte um.

97

GreuAchrt. Noch glaube ich oft zu fühlen

Den Druck, scheu und verzagt, Des Händchens, des schmalen kühlen,

Als sie mir Abschied gesagt;

Noch oft beim Schimmer des Mondes

Da meine ich zu sehn

Ihr Haar, ihr dunkelblondes. Grüßend vom Waldsaum wehn;

Noch oft beim Rauschen des Windes Mahnt mich ein Wiederhall

An die Stimme jenes Kindes, Fremd und tiefsüß von Schall; Sch'ön«ich-Carolath, Dichtungen.

7

98 Noch ist es mir oft als riefe Ihr Lachen silberklar

Aus murrender Gärten Tiefe

Herüber sonderbar . . .

Ich schrecke empor — und die Wüste Dehnt sich, verblaßt und leer,

Hoch über die staubsahle Küste

Donnert das syrische Meer,

Ich reite hinaus in die Fremde,

Und meine zuckende Hand

Zieht überm Kettenhemde

Fester das Büßergewand.

99

SpielmannsUed. Drei Rosen gab sie mir, drei Küsse — Sie sprach von Lieb und ew'ger Treu,

Es blühten Flieder und Narcisse,

Die Grillen sangen fern im Heu. Und eh die Rosen welk im Glase,

Und eh

zu End die Junizeit,

Da hatten Eltern und Fraubase

Sie einem reichen Mann gefreit. Und Tags darauf lag mir zu Füßen

Die Heimatstadt im Abendstrahl, Die Rosen warf als letztes Grüßen

Hinunter ich ins tiefe Thal, Doch die drei Küsse gab ich weiter —

Und ward ein Spielmann wohlbekannt.

Der fiedeln geht, bald ernst bald heiter,

Von Thür zu Thür, von Land zu Land.

100

Carmen. i.

Ganz blumenhaft, gewiegt vom Sonnenstrahle, Das feine Köpfchen träumerisch verdrossen, Bon der Mantilla Faltenwurf umschlossen, Drin eine Nadel von Toledostahle.

Ihr Händchen flog, das ringgeschmückte, schmale, Im Fächerspiel, es scherzten die Genoffen; Da plötzlich hob, hintastend an den Goffen,

Ein Greis zu ihr die leere Sammelschale. Kein einzig Wort, nur eine scharfe Volte,

Ein Fächerschlag — und fort der Teller rollte. Die Mutter sprach: erschrick nicht, Earmencita.

Und dann zu uns:

Ihr müßt sie recht verstehen

Sie ist so gut, und kann nicht leiden sehen . .

Sie ist nervös, die arme Marquesita! . .

101

II. Es drängt das Volk an der Barera Reifen,

Ein braver Stier ward heut zum Kampf gesendet; Seht wie er rast, von Staub und Wut geblendet, Röchelnd und wild, bedeckt mit Blut und Schleifen!

Das brechend Aug läßt matt im Kreise schweifen

Ein Picador, vom Hörne umgewendet,

Acht Pferde liegen aufgeschlitzt, verendet — Ein Toben ist's, ein Stampfen und ein Pfeifen.

Das Händchen ballt, das blasse und nervöse

Die Marquesita — doch schon naht der Rächer, Mit Schwert und Capa tritt er aus dem Thore.

Und toller, brausender wird das Getöse;

Sie lacht vor Glück — Armbänder, Blumen, Fächer

Wirst an den Kopf sie dem Torreadore.

102

Löse Heimkehr.

Ihr Gassen, ihr Giebel, du mürrisches Thor, Nun habt ihr mich wieder wie eh — Schon krächzen die Dohlen, schon liegt mir im Ohr

Der Basen Ach und Weh.

Als lust'ger Geselle zog ich hinaus, Hab keck gelärmt und gelacht; Nun schleich ich durchs Seitenpförtlein nach Haus,

Hab's nicht zum Meister gebracht.

Ich habe nur Eines gelernt und erkannt

Nach manchem verträumten Jahr: Daß es zu schön dort im Süderland Und die Sonne zu brennend war.

103 Daß die Menschen zu froh und zu leicht von Sinn

Und die Blumen zu reich an Dust — Nun pfeift mir gar frostig um das Kinn

Die deutsche Regenluft.

Das Herz ist müde, die Wange braun, Zerrissen und schlissig mein Rock;

Wehmütig werfe ich über den Zaun Den treuen Knotenstock,

Und wollte ich zählen mein Hab und Gut

So fänd' ich, daß nichts mir blieb,

Als ein welker Jasminstrauß am alten Hut

Und in Welschland ein falsches Lieb.

104

An. . .

In dies Klavier griff eine kleine Hand,

Ringblitzend, mit nervösem Fächerschlage, Und eine Saite hat sich leicht verspannt.

Sie that es schüchtern, gleichsam ohne Klage, Doch wenn ein Meister in den Tasten jetzt

Aufwühlend grollt, klingt scheu, wie eine Frage Die Saite durch, bangzitternd, feinverletzt. So geht's auch Dir: in Deines Herzens Grunde

Lebt solch ein Riß.

Es litt ihn, stillentsetzt.

Und klingt nun falsch seit jener bösen Stunde. Es singt von Liebe noch und singt vom Mai, Doch stört das Tröpfeln aus geheimer Wunde . .

Ein Schauer überjagt der Hörer Runde, Und jeder fühlt: hier ging der Tod vorbei.

105

Altes Md. Der Markusdom, der bunte, klangumtönte,

Hat seine Pforten gähnend aufgeschlagen. Am Hochaltar, wo Priester Kerzen tragen,

Thront stolz der Doge, der vom Volk gekrönte. Es lehnt an ihm in mädchenhaftem Zagen

Sein junges Weib, das holde, glückverschönte, Ein Page, der an Schleppendienst gewöhnte,

Kniet stumm dabei in Puffenwamms und Kragen. Der Weihrauch dampft, zu Ende geht die Messe,

Es blickt verklärt die schöne Dogaresse . . Doch sehen könnt Ihr, wenn Ihr näher tretet,

Daß tief im Sammt, dem dunkelvioletten, Des Pagen Hand und ihre sich verketten —

Der alte Doge kniet im Stuhl und betet.

106

DesLemona. In Sommernächten löst sich aus dem Schatten

Gesunkner, meerbespülter Prachtportale Oft eine Gondel, treibend im Kanäle Mit Ruderschlägen, leisen, sterbensmatten,

Drin eine Frau, den Leib, den farbensatten, Zurückgelehnt, reglos im Mondenstrahle,

Indes die Hand, die weiße, wunderschmale,

Im Wasier schleift, dem dunklen, spiegelglatten.

Und plötzlich wirft sie, gleitend auf dem Meere, Zurück des Schleiers schwarzgezackte Spitzen

Und blickt Dich lieb mit toten Augen an. Dann schlägt das Kreuz, entsetzt, dein Gondoliere — Sie zieht, indes die Ruder bläulich blitzen

Vorüber auf der dunklen Wasserbahn.

107

Auch du!

Nun hast auch Du gekästen

Von Groll und edlem Streit, Du fandest goldne Gassen

Der Weltzufriedenheit. —

Mich mahnt Dein Herz, das helle, Nun frei von Kampf und Weh,

An eine Riesenwelle,

Die müde ward der See,

Die sich im Überborden

Einst aus dem Meer gewiegt,

Und nun, zum Teich geworden, Tiefblau im Walde liegt.

108 Wohl streut die Blütenflocken

Mittsommers drauf das Rohr, Wohl tönt's wie ferne Glocken, Aus ihrem Grund hervor;

Wohl nicken grüne Erlen Darüber, schlummerschwer —

Doch hat sie keine Perlen Und keine Stürme mehr.

109

-Hochmittag.

Als ich die schöne Stadt verlassen Stieß um die Dächer wild der Sturm,

Der Regen rann in allen Gassen,

Die Dohlen schrien um jeden Turm.

Zu zwei verhängten Fenstern drüben

Sandt ich empor, voll Groll und Leid,

Stumm einen Blick noch, einen trüben —

Dann ging ich fort für lange Zeit.

Nun steh ich auf der Mittagshöhe Und schaue still ins Thal zurück;

Was einst war Schmerz und bittres Wehe Hat sich gewandt zu spätem Glück.

110 Sie, die mir einst den Sturm aus Norden

Gesandt — daß Gott es ihr vergelt! — Ist eine schöne Frau geworden, Mit sich zufrieden und der Welt.

Die Stadt mit ihren schlanken Türmen Liegt fern und still im Abendgold,

Auch ist zu End das letzte Stürmen,

Das damals mir durchs Herz gegrollt.

Es gingen längst schon auf die Reise

Die holden Jugendträumerei'n Wie Sommerfäden, müd und leise,

Am Heckenrand im Sonnenschein.

Und dennoch gäb' ich allen Segen

Des spät gereiften Glücks dafür Könnt' ich im Märzschnee Und im Regen

Noch einmal stehn vor ihrer Thür;

Könnt' ich noch einmal um sie schlagen

Den scheuen Arm, und inniglich Aus tiefstem Herzen gläubig sagen:

Mein süßes Lieb, ich liebe Dich!

111

Spätherbst.

Es liegt verlassen am südlichen Meer Die Villa unter den Eiben,

Die Gänge sind stumm, die Hallen leer, Der Regen schlägt an die Scheiben.

Du bist gegangen dahin, dahin,

Weil Du dem Winter grolltest,

Weil Du nicht länger den Schmuck von Rubin Dem Hofhund zeigen wolltest ...

Du bist wie die Schwalbe gezogen dahin

Vom Dache rotgegiebelt, Wo sie doch oftmals mit frohem Sinn Gezwitschert hat und geliebelt . . .

112 Ich habe verfolgt im nassen Kies

Die Spuren, die schlanken, schmalen, Die Dein fliehend Füßchen stehen ließ, In Reu und bittern Qualen.

Und kehrtest Du heim — wozu? warum? . . .

Die Rosen wären gestorben, Die Brunnen erfroren, grau und stumm, Die Hecken geschoren, verdorben —

Ich hör Deine knisternde Schleppe nicht mehr

Die Stufen hinuntersurren, Ich höre nur noch das tyrrhenische Meer Im Sturme grollen und murren,

Ich höre nur noch im Gartenhag Sausen die nassen Cypressen,

Und bete, daß Gott mir verhelfen mag, Dich zu vergessen! —

113

Wüstenrast. „An jenem Quell, o Fremder, laß uns rasten!

Die Wüste liegt in letzten Abendgluten, Die Dromedare sehnen ihr Entlasten, Nach Wasser wiehern unsre grauen Stuten."

Wir litten es, und sahn zu fernen Höhen,

Die seltsam angestrahlt herüberblickten, Und zu den Palmen, die im Abendwehen

Mit schlanken Kronen grüßend niedernickten.

Es lag die Wüste glutrot übergossen,

Das Wasser rauschte, das ersehnte, klare, Draus langen Halses, knieend, wegverdrossen, Tiefdurstig tranken unsre Dromedare, Schönaich-Ccrrolath, Dichtungen.

114 Und Frauen sahen wir, zur Quelle neigend

Die tief verschleierten, fremdschönen Züge, Und heimwärts wandeln, stolzen Ganges, schweigend,

Auf ihrem Haupt gefüllte Wasserkrüge —

Dann kam die Nacht.

Im kühlen Winde flogen

Die dunklen Gräser, unsre Feuer brannten,

Ein fremder Laut kam dann und wann gezogen

Bon Hügeln, sandverwehten, unbekannten.

Wir aber sahn noch lange in die Gluten Um mit hinüber in den Traum zu nehmen

Das Bild der Stätte', wo wir einsam ruhten, Nach langem Wüstenzug im Lande Jemen.

115

Lied der GharvLze.

Seidne Gewänder Spangen von Gold —

Kann es nicht ändern

Hab's so gewollt.

Bunt sind die Kleider Falsch das Geschmeid,

Falsch meine Liebe, Echt nur mein Leid.

Was ist mein Leben? Tolles Gewirr,

Lachende Lüge, Schellengeklirr.

116 Keiner hat lieb mich Auf dieser Welt, Tanzen und singen

Muß ich für Geld.

Blicke, o blicke

Freundlich mich an —

Weißt ja nicht morgen Daß Du's gethan.

Bin eine Flamme,

Die, windgewiegt,

Lodert und leuchtet Und früh verfliegt.

117

GürMerroman. Als tot auf schlechtem Gasthofbette lag

Sein junges Weib bei Unschlittkerzenflammen, Da raffte er verstreut Papier zusammen, Und schrieb darauf bis an den grauen Tag.

Es ward an Inhalt und an süßem Schalle Ein also großes, ewiges Gedicht,

Daß seine Freunde es verstanden nicht,

Und schweigend wichen, tiefergriffen alle. Er aber blieb allein mit einem Sarg, Darin begrub er seine Jugendliebe —

Und jenes Buch, das ew'gen Ruhm verbarg, Und das kein Denker leichtlich nach ihm schriebe, Er schob es unter's fahle Goldgelock Als Ruhekissen für die schöne Tote — Und riß sich aus der Hecke einen Stock

Und schritt hinaus in's Morgenlicht, das rote.

118

Volkslied.

Es steht in Deutschland eine Lind Auf einem Friedhof mitten, In diese alte Linde sind

Zwei Herzen eingeschnitten.

Sie liebten sich, weiß stand der Klee,

Ihr Glück war kaum zu fassen; Doch als die Schwalbe sang ade

Da mußten sie sich lassen.

Das eine lebt noch auf der Welt, Thut singen, lachen und wandern,

Und beten, daß es bald beigesellt Dem andern.

119

Gewitternacht.

Wir schritten zögernd durch den Park, Es mochte kein Blatt sich regen,

Die Lust war schwer, es dufteten stark Die Blumen an den Wegen.

Der Teich schlug Wogen schwarz und lau, Im Schilfe riefen die Unken,

Glühwürmchen rannten, gelb und blau, Umher wie irrwirre Funken.

Sie hatte im Dunkeln meinen Arm Erzitternd angenommen,

So gingen wir hin, an Worten arm.

Tiefselig und beklommen.

120 Ihr Auge trübte sich, und es hob Ihr Busen sich bang und traurig; Durchs Wipfelgewirr schweratmig stob

Gewitterwind warm und schaurig.

Es rieselten nieder schwer an Duft,

Akazienblütenflocken, Es wehte in Stößen die schwüle Luft,

Mir ins Gesicht ihre Locken.

Ein Wetterleuchten blaute auf

Im jagenden Wolkengetriebe — Es stieg auch uns im Herzen auf

Das Lenzgewitter der Liebe.

121

O Deutschland! Mondschein und Giebeldächer In einer deutschen Stadt —

Ich weiß nicht, warum der Anblick Mich stets ergriffen hat.

Dort drüben bei Lampenscheine Da starrt ein Jüngling ins Licht,

Und schwärmt und schluchzt und empfindet Sein erstes und bestes Gedicht.

Dort sitzt eine junge Mutter,

Die wiegt ihr Kind zur Ruh, Sie lächelt und sinnt und betet, Und singt ein Lied dazu.

122 Es blickt auf die mondhellen Giebel Tiefsinnend ein Greis hinaus,

Er hält in der Hand eine Bibel, Drin liegt ein welker Strauß.

Die Bäume rauschen, es funkeln

Die Sterne ab und zu; Dort unten liegen die dunkeln Häuser in tiefer Ruh.

Es plätschert in alter Weise

Am Simonsplatze der Born,

Von weitem tutet leise Der Wächter in sein Horn . . .

O Deutschland! mir that's gefallen In manchem fremden Land —

Dir aber hat Gott vor allen

Das beste Teil erkannt.

Du lebst und schwärmst und dämmerst In tiefster Seelenruh,

Indes du Eisen hämmerst,

Singst du ein Lied dazu.

123 O lasse dir niemals rauben Die alte Schwärmerei Für Frauen, für Freiheit und Glauben — Bleib unentwegt dabei!

Und schöpfe aus Sang und Sage Gemüt und Frömmigkeit, Und Kraft zu wuchtigem Schlage —

In alle Ewigkeit.

124

Letzter Tanz.

Es glüht im Fieber das graue Haus, Lichtstreifen fallen breit hinaus

Auf die sommertrüben Gassen;

Es flammt der Saal von Kerzen ganz,

Und wir beide tanzen den letzten Tanz Eh wir uns müssen lassen.

Ich bin gezogen von Meer zu Meer,

Und als ich heimkam, die Taschen schwer,

Warst Du die Braut eines andern; Die Spatzen riefen's von jedem Dach,

Die Basen zischten und sprachen's nach: Das kommt vom Wandern, vom Wandern.

125 Wir tanzen als habe der Tod Dich gepackt,

Es fegt Deine Schleppe spitzengezackt In welken Orangenzweigen,

Schon geht der Zeiger auf Mitternacht, Dein junger Gemahl er sieht's und lacht — Es schluchzen so wild die Geigen . .

Ich wollte, wir irrten im nordischen Land,

Von Keinem geliebt, von Keinem gekannt, Im Schneesturm über die Haide, Und daß Du ruhtest unbewußt In meinem Mantel, an meiner Brust,

Und daß wir stürben beide.

Allerseelen.

Es brennen die Kerzen düster,

Der Weihrauch duftet ringsum,

Die Menge kniet mit Geflüster, Die Orgel wurde stumm.

Es leidet wohl Jeder Schmerzen

Um ein geliebtes Blatt,

Das Gott aus dem tiefsten Herzen Ihm einst gerissen hat,

Doch die verlorene Seele, Die betend ich gemeint, Sie liegt nicht unter dem Grase

Betrauert und beweint,

127 Sie liegt nicht unter dem Hügel In einem engen Schrein — Noch läßt sie die Locken fliegen

In des Lebens Sonnenschein,

Noch würde aufleuchten finster

Ihr Auge vor Hohn und Spott, Wenn sie es wüßt', daß im Münster

Ihr Name genannt vor Gott,

Daß, während ein Kleid am Herzen Und ein Ball im Sinn ihr lag,

Für sie gebrannt die Kerzen

Am Allerseelentag.

128

And wenn dereinst . . .

Und wenn dereinst wir Engel sind,

Die überwunden das Leben, O dürften wir dann im Morgenwind Mit lächelnden Lippen schweben!

£>.. wären wir frei von Lieb und Haß,

Daß wir nichts bangten und sehnten, Daß wir, wie Schmetterlinge im Gras,

Die weichen Flügel dehnten!

Wir werden es nicht.

Die Liebespein,

Die wir erfahren auf Erden, Sie reicht bis in den Himmel hinein,

Wir dürfen nicht los sie werden.

129 Und wären die Himmel noch so blau

Und noch so sanft unsre Herzen — Was wir erlitten um eine Frau, Wie werden es nie verschmerzen.

Wir werden treiben dahin int Raum, Uns sonnen, und wiegen und feilten, Und ewig an unsern Liebestraum Und an die Menschen denken.

Wir werden ewig schauen, wie sie, Nach sinkenden Sonnen zurücke,

Und ewig singen die Melodie

Von ewig verlorenem Glücke.

Schönaich-Carolath, Dichtungen.

9

130

Wüstenweh.

Die Wüste lag im Abendrot, Gen Theben ritten wir im Trab, Da fiel mein Roß sich jäh zu Tod

An eines Scheichs verwehtem Grab.

Gelehnt an den erstarrten Bug,

Der hingebettet lag im Sand, Verfolgte ich den dunklen Flug

Der Abendwolken überm Land.

Schon fiel der Sonne letzter Strahl

Schräg auf des Nils fahlgelbes Bett, Es dämmerte im Todesthal,

Die Nacht kam über Medinet;

131— Und wie sie auf die Wüste sank, Die weit sich dehnte, heiß, verblaßt, Erwachte rings ein wirrer Klang,

So fremd, daß Grauen mich erfaßt.

Ein Stöhnen war's, ein Schrei von Schmerz Ohnmächtig, qualvoll, wilder Art, Als Halle nach ein Werk von Erz,

Das bis zum Kern gespalten ward.

Das ist der Wüste großes Weh: Wohl geht der Frühling drüber hin, Doch bringt er ihr nicht Blütenschnee,

Nicht Vogelsang, nicht Gräsergrün.

Allnächtlich blickt der Mond, verblaßt, Auf ihre Höhen, sandverweht,

Daran entlang, mit scheuer Hast

Lautlos die Karawane geht.

Allewig sengt im Sonnenschein

Das Riesenbrandmal, staubbedeckt,

Daraus hochrippiges Gebein Die weißen Knochenmassen streckt.

132 Und doch trieb' Blüten gern empor

Die Scherbenstätte heiß und rot, Gern fang’ sie mit im Schöpfungschor — Das Weltall lebt — nur sie bleibt tot.

Ich kenn es gut, dies Wüstenweh,

Und leichtlich wird das Gleichnis wach Mit einem Herzen, welchem jäh Ein großer Sturm den Glauben brach.

Wohl bäumt sich das vor edlem Drang, Wohl stürmt und zittert es darin, Doch geht der Auferstehungsklang

Der Liebe nicht mehr drüber hin.

Es leidet — doch es blüht nicht mehr;

Und selten findet's noch ein Lied, Das, — wie die Karawane — leer

Und geisterhaft vorüberzieht.

133

Meerfahrt. Es tanzt mit krachenden Masten

Das Schiff durchs schäumende Meer, Die Segel, die sturmverblaßten

Fliegen zerfetzt umher. Was kümmert uns Kampf und Toben? Lehn Dich an meine Brust; Wir zwei auf Deck hier oben

Sind uns des Siegs bewußt.

Was kümmern uns die Bilder Des Todes und der See? —

Mein tolles Herz ist wilder Als jede Westerbö,

Und Deines ist wohl weicher Und sanfter von Begehr — Doch ist es perlenreicher

Und tiefer als das Meer.

134

iöitte.

Wenn einst das Kirchlein offen steht

Im Lindengrün im Maienstrahl,

Wenn über Dich hinbrausend geht Sieghaft der Orgel Schlußchoral,

Wenn Dir vereint auf ewig ward Der Mann, des Liebe Dich beglückt,

Wenn alle Dich, nach frommer Art,

Gesegnet und ans Herz gedrückt,

Dann schreite aus dem Gotteshaus

Zum Friedhof hin — weit ist es nicht — Und leg aufs Grab mir einen Strauß

Vergißmeinnicht.

135

ToUkraut. Am Kreuzweg steht eine Dolde Von tiefgcheimer Kraft;

Von ihr geht die Mär, die holde, Daß sie Vergeßen schafft.

Schoß eine arme Hinde

Der Raubschütz todeslahm^ So trabt der Hirsch geschwinde

Zum Kraut — und stillt den Gram.

Ich habe zu nächtiger Stunde, Da die Glocke Zwölfe schlug,

Am Kreuzweg mit brennendem Munde Des Krautes gefunden genug; Ich hab es hineingegessen

Und wurde todeskrank — Allein das süße Vergessen

Ich fand es nicht bislang.

136

Traum. Es war vorbei. — Das letzte Zucken, der letzte Schrei

Verhallt zu nichts, Verschmerzt und versunken das Leben,

Es durfte schauernd entschweben

Die Seele zum Quell des Lichts.

Erlöster Erdenpilger lange Züge Wallten zum Endziel; feiertäglich klang

Und friedevoll ihr hoffnungsfrohes Beten. Sie zogen hin, als ob sie aufwärts trüge Ein großes Sehnen, Greise neben Bräuten

Mit stillen Stirnen.

Die Gewänder wehten

Im frischen Winde, von der Erde drang Es wirr herauf wie fernes Glockenläuten.

137 Auch Dich sah ich zur ew'gen Heimat schweben, Abseits der Menge, im weichbraunen Haar

Den halbverblühten Totenkranz; Dein Auge Von Abschiedsthränen noch verdunkelt war.

Du sahst mich an und sprachest leis: vergieb, Ich habe Dich so endlos endlos lieb,

Vergiß, daß ich Dir Schmerz einst schuf iinb Qual, Ich hab geirrt in jenem Nebelthal,

Nun ist's verkämpft . . Dein eigen ward ich doch . . .

Ein Windstoß braust.

In meines Zimmers Raum

Dämmert der Morgen, kalt, entsetzlich fahl,

Ich schrecke auf — und alles war ein Traum —

Ich lebe noch! — —

138

Ln der Fremde.

Nun schmilzt am Weg der letzte Schnee, Das ist das Littorale —

Tiefblau und blendend liegt die See Im heißen Sonnenstrahle.

Von jeder Hecke, von jedem Zaun Verblühte Rosen fliegen,

Lachende Mädchen, schlank und braun Aus allen Fenstern liegen,

Wie Riesentrauben stehn in Pracht

Orangen und Mandarinen,

Aus allen Lauben flehn bei Nacht Verliebte Kavatinen,

139 Durch alle Felder, durch alles Grün, Verschränkte Paare wandeln, Wie kosend breiten drüber hin

Rotblustig sich die Mandeln.

Und über dem frohen, glückseligen Land Da rauschen im Winde die Pinien,

Da ragen die Berge unbekannt

In weichen sonnigen Linien,

Und über der See tiefblau und weit

Liegt der Himmel unermessen —

Doch über Allem mein Herzeleid

Um Dich, die ich in Ewigkeit Nicht werd vergessen!

140

Am Meer. Denkst Du des Tags, da wir am Südmeer standen? Wir sahn es weit und uferlos sich dehnen, Der trübe Tag mit fahlen Wolkenmähnen

Versank bei Capri über dunklen Landen. Dein schwarzes Haar flog wirr in feuchten Strähnen, Du lachtest hell zu Sturm und Wogenstranden,

Der Ocean, in schmetterndem Berbranden, Warf Dir zu Füßen seine bittren Thränen.

Es ist das Meer in Groll und ew'gem Wanken Dem Herzen gleich, darein ein Sturm geschlagen. Weil seine Liebe eine allzu große.

Wohl bleiben ihm als letztes Gut — Gedanken. Doch das sind Wogen, die aus Tiefen ragen.

Ins Nichts zu wandern, in das rettungslose.

141

Letztes Glühen. Es kommt noch einmal mir zu Sinn

Der Liebe holdes Wunder;

Wir gehen durch die Mondnacht hin,

Die Nachtigall klagt im, Hollunder. Es bettet sich schwer und süß dein Haupt Auf meine Brust mit Beben, Mein Herz, das längst ich tot geglaubt, Erwacht noch einmal zum Leben.

Es schauert und ringt im Mondenlicht, Weil mit gewaltigem Triebe

Durch seine Tiefen kosend bricht Der Lenzsturm deiner Liebe. O gönne mir einen letzten Traum, Du Kind mit glühenden Wangen:

Bleib treu mir, bis vom Holderbaum

Die Blätter wirbelnd gegangen,

142 Ich möchte mildern den Abschiedsschmerz Durch etwas seltsam Neues —

Ich möchte sterbend pressen ans Herz Ein Frauenherz — ein treues.

Des Glückes Tage gehn im Flug, Bald ist es Sommermitte . . Es ist ja nur ein holder Betrug Um den ich scheu Dich bitte.

Denn wenn die Blätter gefallen sind" Buntwirbelnd an den Wegen,

Dann gehe auch ich, ein Blcltt im Wind, Dem ewigen Lenz entgegen.

Dann gehe auch ich, um weit von hier, Wohl unter rauschenden Bäumen In alle Ewigkeit von Dir

Und Deiner Liebe zu träumen.

Früher ist erschienen:

Thauumsser. Von Prinz Emilzu Schönaich-Carolatlj. Miniatur, elegant gebunden, dl 4. —

Wer die „Lieder an eine Verlorene" des Prinzen zu Sch.-C.

kennt, über denen die ganze Trauer eines nordischen Herbsttags liegt, der wird, nicht überrascht sein, wenn er auch in der Novelle „Thauwasser" dieselbe tiefe Melancholie der dichterischen Stimmung findet. Man hat gesagt, der Humor sei die lachende Thräne im

Wappen des Dichters; aber das Wort: „die tiefsten Lieder singt der Schmerz," wird doch immer seine Wahrheit behalten. — Darum haben uns zu ihrer Zeit jene Lieder berührt wie das Lied des

vereinsamten Herbstvogels, der über die Heide streicht, wenn die gelben Blätter rieseln, gemeinsam mit dem schneegemischten Regen, der den Winter bringt. — Zwar deutet der Titel der Novelle,

mit der wir uns hier zu befassen haben, gewissermaßen auf FrühlingsstimMUNgen hin, allein der Herbst wie der Frühling haben ja das gemeinsam, daß sie Vorhandenes oder oft auch vorzeitig

Werdendes vernichten.

Die Novelle hat es selbstverständlich nur

mit der Vernichtung des Werdenden zu thun.

Hier geht eine

werdende Liebe, eine berechtigt oder unberechtigt blühende Knospe in dem Frühlingsthauwasser zu Grunde. Was thuts, ob sie der

Herbstfrost oder das Thauwasser hinwegrafft- das Leid bleibt das­ selbe. Die Schilderung, wie sich dieser Prozeß an den handeln­

den Personen vollzieht, ist einfach, aber die Hand des Künstlers

nirgends zu verkennen.

Wir haben viel gleichgestimmte Saiten

unsers Innern dabei erklingen hören. Möchte es andern ebenso

gehen!

Aus d. „Blättern f. literar. Unterhaltung":

Zu den wenigen Novellen, an denen der Wißbegierige die Ge­ setze dieser feinen Gattung studieren kann, gehört diejenige des Prinzen Sch.-C. Das Werk ist halb Erzählung, halb Gedicht in ungebundenen Worten, wie es die vollendete Novelle sein soll.. Aus „Deutsches Montagsblatt".

Es ist eine durch und durch poetische stimmungsvolle Erzäh­ lung, und fesselt, abgesehen von der feinsinnigen Behandlung seines Grundgedankens, auch durch die treffliche Charakterisierung wie durch seine warme sympathische Sprache rc. Aus „Grazer Tagespost".

Eine sehr schöne deutsche Novelle, ungeächtet des etwas fremd­ artigen Charakters der Personen, in einem geradezu tadellosen Stil geschrieben. Aus „Magaz. f. d. Litterat, d. In- u. Auslands".