Virgils Äneaslied [Reprint 2020 ed.] 9783111513263, 9783111145549


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German Pages 336 [340] Year 1928

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Virgils Äneaslied [Reprint 2020 ed.]
 9783111513263, 9783111145549

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VIRGILS ÄNEASLIED VERDEUTSCHT UND ERKLÄRT VON

ADOLF TRENDELENBURG

DIE FORM IST EIN GEHEIMNIS DEN MEISTEN (GOETHE)

BERLIN UND LEIPZIG 1928

VERLAG WALTER DE GRUYTER & CO. VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG / J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG / GEORG REIMER / KARL J. TRÜBNER / VEIT k COMP.

Druck von Walter de Gruyter ic Co., Berlin VV 10

Virgil dem Schöpfer des nationalen Heldenliedes zum 2000. Geburtstag

Inhalt Seite

Zur E i n f ü h r u n g

VII

A. Lied Buch „ „ „ „ „ „ „ „ „

I II III IV V VI V I I VIII IX X XI XII

756 Verse 804 718 705 „ 871 901 817 „ 731 818 908 915 952 „

I 21 43 62 81 105 129 151 171 194 218 243

B. Anhang I. Zeitwende im Lied II. VVeltwende im Bild I I I . J u n o s Groll u n d V e r s ö h n u n g

271 277 281

VI. Vom H e x a m e t e r

284

N a m e n u n d Sachen

291

Zur Einführung Am 15. Oktober 1930 jährt sich der Geburtstag Virgils zum 2000. Male. Die Hüterin seines Erbes in der Heimat, die Königliche Virgilische Akademie zu Mantua, hat schon vor Jahren eine solennità poetica e civile, italiana e universale jenes Tages ins Auge gefaßt, und zweifellos wird Deutschland zu den ersten gehören, die dieser Anregung folgen. Denn wie auch immer die Stimmung gegen das Vaterland Virgils in letzter Zeit bei uns gewechselt haben mag, er ist der Unseren einer geworden und zählt in vorderster Reihe mit zu den fremden Dichtern, denen deutsche Gelehrte ihre Forschungsarbeit zugewendet haben. Daran ändern politische Stimmungen nichts. Wen das römische Altertum als nationalsten Dichter feiert, wen das christliche als Schrittmacher für seine Heilslehre in Anspruch nimmt, wen das Mittelalter als Zauberer verehrt, wen Dante als Vorbild für alle Dichtung verherrlicht, der steht über allen Mißstimmungen des Augenblicks und dessen Geburtstag ist ein Feiertag für die ganze gebildete Welt. Eine Festgabe für diesen Tag möchte auch das vorliegende Buch sein, die Verdeutschung seines Hauptwerkes. Virgils Äneaslied sieht in dem Weltreich des Kaisers Augustus den Abschluß der Geschichte Roms, auf den sie nach göttlicher Bestimmung von Urzeiten her folgerichtig hindrängt, eine Auffassung, die Dante in seiner Monarchie mit allen Mitteln scholastischer Gelehrsamkeit durch bündige Schlüsse als berechtigt zu erweisen sucht und die er, ins Religiöse erweitert, in seine Komödie übernommen hat. Ihm folgend hat jüngste Forschung das Wort von „Rom als Idee" geprägt, dessen Bedeutung für das Schrifttum der ersten christlichen Jahrhunderte ins Licht gestellt und hierdurch die Aufmerksamkeit, der das römische Nationalepos auch in Deutschland nur selten nach Verdienst gewürdigt worden war, von neuem und in verstärktem Maße darauf zurückgelenkt. So kommt eine unverkürzte, sinn- und formgetreue Übersetzung der Äneis zu rechter Zeit.

VIII

Zur Einführung

Auch formgetreu ! J a , auch in der F o r m möchte die neue Übersetzung dem lateinischen Vorbilde gerecht werden. Das ist mehr, als auf den ersten Blick scheint. Es bedingt zunächst das Festhalten am daktylischen Hexameter, dem klassischen Verse des Heldenliedes. Der aber ist im Deutschen durch Übersetzer und Dichter nicht ohne Grund in Verruf gekommen, und gewichtige Stimmen wollen von ihm als „Scheinhexameter" in unsrer Literatur überhaupt nichts wissen. Seitdem Schiller das 2. und 4. Buch der Äneis in wundervollen Stanzen wiedergegeben hat, haben neuere Verdeutscher sich für befugt angesehen, das Versmaß des Originals völlig beiseite zu setzen und iambische Verse für ihre Übertragung zu wählen, die im Deutschen zweifellos bequemer zu bilden sind. Daß dies ein dramatischer, kein epischer Rhythmus ist, erschien ihnen unerheblich. Ein an antiker Metrik geschultes Ohr aber vermag solche Willkür nicht mitzumachen; ihm gilt Zertrümmerung der Form für gleichbedeutend mit Vernichtung des Charakters der Dichtung. Daher war es für den Übersetzer eine lockende Aufgabe, dem heroischen Hexameter seinen ehrlichen Namen auch im Deutschen wiederzugeben. Dann aber mußten an ihn dieselben strengen Forderungen gestellt werden, die Virgil an den seinen stellt. Er hat den lateinischen Heldenvers, der zu seiner Zeit eine zweihundertjährige Geschichte hinter sich hatte, zur Vollendung gebracht. Schiller gab es erst nach langer Überlegung auf, mit der Schönheit des Virgilischen Verses zu wetteifern. Er glaubte, „die ganz eigene magische Gewalt, wodurch der Virgilische Vers uns hinreißt, in der seltenen M i s c h u n g von Leichtigkeit und Kraft, Eleganz und Größe, Majestät und Anmut zu finden" und opferte in seinen Stanzen bewußt etwas von der Kraft, Majestät und Würde, um Grazie, Gelenkigkeit, Wohlklang desto besser zu erreichen. Beim Festhalten am Hexameter fällt jedes Opfer fort, vorausgesetzt, daß er die strengen Forderungen seines lateinischen Vorbildes erfüllt. Daß, wenn irgendeine Sprache, die deutsche sie in vollem Umfange zu erfüllen vermag, hofft der Verfasser durch seine Übersetzung dargetan zu haben. Virgils Hauptwerk ist in Deutschland nur stückweise verbreitet worden und daher als Ganzes so gut wie unbekannt geblieben. Daraus erklärt sich das weit verbreitete Vorurteil, Virgil, ein Nach-

Zur

IX

Einführung

ahmer Homers, habe als Dichter keine selbständige Bedeutung. Er ist aber, wie andre große Ependichter, nur insofern Nachahmer Homers, als er von dem großen griechischen Vorbilde Versmaß und epische Technik übernommen hat. Sonst geht er durchaus eigene Wege und ist gerade dort am allerselbständigsten, wo er am abhängigsten zu sein scheint. Dante kannte ihn besser. Soweit unser Urteil von dem seines Landsmanns abweicht, sollten wir unserm mißtrauen. Wir werden dann zu einer gerechteren Würdigung Virgils als Dichters kommen und ihm damit zu seinem denkwürdigen Geburtstage das schönste Angebinde darbringen. Bei Überwachung des Druckes hatte sich der Verfasser der förderlichen Mitarbeit des Herrn Prof. Dr. V. Heydemann in BerlinLankwitz zu erfreuen, wofür er auch an dieser Stelle danken möchte. Berlin, an Virgils Geburtstag 1927.

Adolf Trendelenburg

T r e n d e l e n b u r g , Virgils Aeneis.

b

1

Erstes Buch Des Aneas Landung bei Karthago Kampf soll tönen mein Lied, den Kampf des troischen Helden, Der, vom Geschicke verbannt, Italiens Küsten als erster Anlief in Laviniums Bucht. Durch Länder und Meere Trieb ihn höhere Macht, weil Junos Grollen nicht nachließ. Viel auch litt er im Krieg, bis die Stadt er schuf und die Götter Sicher nach Latium bracht, woher das Volk der Latiner Stammt, Langalbas Senat und Roms hochragende Mauern. Sag an, Muse, den Grund, weshalb die Herrin des Himmels Soviel Leiden gesandt dem frömmsten und treusten der Männer. War denn verletzt ein Gott, fand gar sie selbst sich beleidigt? Haftet denn, ach, so tief der Zorn im Herzen der Götter? Einstmals lag eine Stadt am Meer, Karthago geheißen, Nach Italien zu, doch ferne der Mündung des Tiber, Alt, sehr kriegerisch, reich, von tyrischen Siedlern bevölkert. Mehr als allen, so heißts, war J u n o dieser gewogen, Samus sogar stand nach. Hier wurden der schützenden Göttin Waffen und Wagen verwahrt. Zur Herrin der Welt sie zu machen, Wenns das Geschick zuließ, dran J u n o dachte schon damals; Kannte sie doch den Spruch, einst werd aus troischem Blute Sprossen ein Held, der Vernichtung brächt der tyrischen Veste. Ebendaher werd kommen ein Volk, zum Herrschen geboren, Waffengeübt, zu Libyens Sturz. So sangen die Parzen. Dies sie machte besorgt und ließ des Kriegs sie gedenken, Den grad sie vor Troja geführt für die teuren Argiver. Immer noch nicht auch waren verharscht die früheren Wunden, Die sie grollen gemacht: noch nagt am innersten Herzen T r e n d e l e n b u r g , Virgils Aeneis.

1

2

I 27—64

Junos Groll

Ihr des Paris Entscheid, die Schmach der verachteten Schönheit; H a ß aufs ganze Geschlecht; Ganymeds, des geraubten, Vergöttrung: All dies nährte den Zorn. Drum hielt die flüchtigen Troer Sie von Latium fern, die wenigen, übrig gelassen Von des Achill und der Danaer W u t . Viel Jahre sie trieben Ringsum über das Meer, vom Schicksalswillen gezwungen. Soviel Schweißes bedurfts, das Volk zu schmieden der Römer. Kaum sie stachen in See froh von Siziliens Küste, K a u m durchfurchte das Meer der Bug der ehernen Schiffe, Als, vom quälenden Schmerz in der Brust aufs neue verwundet, J u n o solches sich sagt: „Ich sollte besiegt mich bekennen, Ich Italien fern nicht vermöchte zu halten die Teukrer? J a , das Geschick nicht wills! Doch Pallas konnte der Griechen Flotte vernichten durch Brand, sie selbst in die Fluten versenken Einzig der Untat wegen des oi'le'ischen Ajax. Aus den Wolken sie warf des J u p p i t e r zündende Blitze, W ü h l t e das Meer hoch auf und trieb auseinander die Schiffe. Ihn selbst, der aus zerschmetterter Brust aushauchte die Flammen, Faßte sie wirbelnd mit Macht, spießt' ihn auf spitzige Klippen. Doch die Königin ich der Himmlischen, Juppiters Schwester, Juppiters Gattin zugleich, wie lang nicht muß ich schon kämpfen Gegen ein einziges Volk! Soll dann anbeten noch jemand J u n o s Macht und meinem Altar noch Ehren erweisen? Solches erwägt bei sich im flammenden Herzen die Göttin, Sucht Äolien auf, das Land der Winde, von Wettern Ewig umtost. Hier zwingt mit K r a f t die ringenden Brüder Äolus unter sein Joch, ihr Herr; die brausenden Stürme Hält er in sicherer H a f t im Verlies der steinernen Höhle. Furchtbar dröhnet der Berg, wenn sie voll Zornes umzischen Ihres Gefängnisses Schloß; auf hochaufragendem Burgsitz Thront ihr König und hemmet die W u t und sänftigt das Rasen. Ließ ers einmal fehlen daran, Meer, Himmel und Erde Rissen die Rasenden mit und schleiften sie hoch durch die Lüfte. Drum ins schwarze Verlies sie sperrte der Vater der Götter, Davor besorgt, und stülpte darauf die Last des Gebirges, Setzte den König auch ein, der sie nach festem Vertrage Kräftigst züchtigen sollt, auf Befehl nur lockern die Zügel. An ihn wendet sich jetzt mit bittenden Worten die Göttin:

I 65—101 Juno bei Äolus

3

„Äolus, dem der Vater verlieh der Götter und Menschen Jetzt zu befrieden das Meer, dann aufzuwühlen durch Stürme, Ein mir feindliches Volk will auf tyrrhenischem Meere Nach Italien ziehn, die besiegten Penaten zu bergen. Gib den Winden die Macht, versenk im Meere die Segler Oder zerstreu sie zumal und laß den Wogen die Leichen! Vierzehn Nymphen ich hab von auserlesenem Körper; Alle sie weit überragt an Schönheit Delopea, Die soll Gattin dir sein; ich geb sie ganz dir zueigen, Daß sie lebe mit dir, dich ehr für deine Verdienste Und zum glücklichen Vater dich mach von lieblichen Kindern." Drauf ihr Äolus sagt: „Dein Amt ists, Göttin, zu prüfen, Was du wünschen dir willst, meins, deinem Befehl zu gehorchen. Mein Reich ist dein Werk, du schufst mir Juppiters Neigung, Dir verdank ich allein den Sitz am Tische der Götter, Dir, daß Macht ich besitze zugleich über Wolken und Winde." Hiermit kehret den Speer er gegen die Wandung der Höhle Und treibt tief ihn hinein: zu geschlossenem Zuge geordnet, Fahren die Winde heraus zum Spalt und durchwirbeln die Lande, Stürzen sich wild aufs Meer, und der Ost- und der West- und der Südwind Wühlen es auf zugleich in innerster Tiefe des Grundes, Wälzen die wütende Flut weit über die nahen Gestade. Männergeheul drauf folgt und ächzendes Reißen der Taue. Plötzlich entziehn dem Blick der Mannschaft massige Wolken Himmel und Tag, aufs Meer legt undurchdringliche Nacht sich. Donner erfüllt die Luft, wahllos sie Blitze durchzucken: J ä h von Verderben bedroht sieht rings sich alles was atmet. Eiskalt rieselt das Blut durch ÄnSas' starrende Glieder, Und mit Seufzen erhebt er auf zum Himmel die Hände: „Ach, wie beneidenswert seid doch, ihr Glückliche, denen Vor den Augen der Väter den Tod zu finden beschieden, Kämpfend um Trojas Wall! Diomedes, Bester der Griechen, Daß auf Ilions Feld dein Schwert mich treffen nicht durfte! Daß ich, von dir durchbohrt, nicht preisgab dorten das Leben, W o dem Achill ein Hektor erlag, der tapfre Sarpedon, W o viel Schilde der Helden und Waffen und blühende Leiber Simois' Wasser begrub und mit sich wälzte zum Meere." l*

4

I 102—139

Sturm von Neptun beruhigt

Während er laut so klagt, da trifft ein pfeifender Windstoß Grad sein Segel von vorn und spritzt zum Himmel die Wogen. Splitternd zerbrechen die Ruder, der Bug kommt ab, und die Flanke Bietet der Flut sich dar, die hoch überschwemmt die Besatzung. Einige hängen im Schaum; aufklaffend entblößen die Wellen Andern den Grund der See, tief wühlt im Sande die Brandung. Drei der Schiffe verschlägt der Süd auf heimliche Klippen, Die bei ruhigem Meer als Riff aufragen im Wasser Und Altäre m a n n e n n t ; drei treibt aus offenem Meere Auf Sandbänke der Ost und läßt — ein trauriges Schauspiel! — Seicht auflaufen sie hier, umspült von Dämmen des Treibsands. Ein Schiff trifft, das Lykier trug — am Steuer Oröntes —, Vor des Äneas Augen ein hoch sich türmend Gewoge Hinten am Spiegel im Sturz. J ä h spülts kopfüber den Lenker Weit in die See hinein; das Schiff an selbiger Stelle Wirbelt der Strudel umher dreimal, dann schluckt er es gierig. Hin und wieder man Schwimmende sieht im wüsten Getose, Waffen und Planken und troischer Prunk treibt viel auf den Wellen. Des Ilioneus Schiff erliegt, das starke, dem Sturme, Auch das Boot des tapfern Achat, des alten Al^tes, Auch, das Abas gelenkt: es lockern sich allen die Planken, Eindringts feindliche Naß durch weit aufklaffende Risse. Doch jetzt merket Neptun — er merkts mit starker Erregung —, Daß entfesselt der Sturm, daß auf mit gewaltigem Tosen Brauset das Meer und wühlet im Grund. Da hebt er gelassen, Nach dem Rechten zu sehen, sein H a u p t hoch über die Wogen. Sieht weithin im Meere zerstreut die Flotte der Troer, Sieht sie selber bedrängt durch Flut und stürmisches Wetter. Er, der Bruder, durchschaut alsbald die Schliche der J u n o Und von Osten und West ruft gleich er zu sich die Winde: „Setzt ihr solches Vertraun auf euere göttliche Herkunft, Daß ihr Himmel und Erd so durcheinanderzuwirbeln Wagt ohn meinen Befehl und die Flut a u f t ü r m e t zu Bergen? Ich werd euch —! Doch zuerst gilts jetzt, zu glätten die Wogen. Härter ihr büßt die Schuld, seid ihr unbändig noch einmal. Schert euch schleunig nach Haus und bestellt dies eurem Gebieter: I c h , nicht e r hat erlost das Meer und den grimmigen Dreizack, Ich bin Herrscher der See, er Herr nur über die Felsen,

I 140—176

Landung der Troer

5

Drin ihr, Winde, ja haust. Dort mag sich Äolus brüsten, Dort er regier, sind fest im Kerker die Winde verschlossen." Schneller noch, als er spricht, stillt er die schäumenden Wogen, Treibt das Gewölk zur Flucht und läßt neu scheinen die Sonne. Triton, Kymoihoe, vom Fels abbringen die Schiffe, Sich anstemmend mit Kraft. Er selbst springt bei mit dem Dreizack, Ebnet des Sandes Geschwemm und glättet die Fläche des Meeres, Fährt dann über sie hin auf flach fortrollendem Wagen. Wie wenn — selten nicht ists — Aufruhr der Stadt sich bemächtigt Und das niedere Volk hinreißt zu W u t und Verbrechen: Fackel und Stein wird da zum Geschoß, Zorn liefert die Waffen; Zeigt sich aber ein Mann voll Ernst, Wohltäter der Bürger, Gleich dann alles verstummt und steht mit verhaltenem Atem; Denn durchs Wort er die Geister beherrscht und stillet das W ü t e n : So das Tosen der See sich legt, sobald der Gebieter Sie weitschauend befährt, wenn er bei heiterem Himmel Treibt die Rosse zum Lauf und nachläßt ihnen die Zügel. Des Äneas Gefolg strebt müd, an die nächsten Gestade Bald zu gelangen, und lenkt die Kiele nach Libyens Küste. Landeinwärts eine Bucht sie sehn, vor die sich ein Eiland Legt als natürlicher Schutz, so daß die Wogen des Meeres Hier sich brechen und still einziehn in den sicheren Busen. Drohend erheben sich hier zwei Klippen zu Seiten der Einfahrt Hoch zum Himmel empor; es gewährt ihr mächtiger Scheitel R u h e der Bucht weithin; im Innern schließet die Szene Ab ein sonniger Wald, die Bucht eintauchend in Schatten. Auch die Grotte nicht fehlt; aus hängenden Felsen gebildet, Bietet sie kühlenden Trunk, zum Ausruhn steinerne Sitze; N y m p h e n bewohnen sie still. Hier brauchen zum Halten die Schiffe W e d e r des Taus noch Zahns, der eisern im Grunde sich festbeißt. Sieben versammeln sich hier aus der Zahl der troischen Schiffe Und gehn mit Äneas an Land. Des sicheren Bodens Gern sich die Müden erfreun und stracks die starrenden Glieder Strecken am Ufer sie hin zu lang entbehreter Ruhe. E r s t entlocket Achat dem Stein den zündenden Funken, F ä n g t ihn mit Laub dann auf, häuft ringsum trockene Nahrung Und facht Glimmendes an gar bald zu lodernder Flamme.

6

I 177—213

Die Troer am Lande

Brotkorn, naß, aus den Schiffen man holt trotz aller Ermüdung, Holt die Geräte dazu; sie rösten die Körner, die feuchten, Erst an der Glut und quetschen sie dann mit passenden Steinen. J e t z t Äneas besteigt der Warten, der ragenden, eine, Schaut weit über das Meer, ob er wohl etwas von Antheus Sähe, verschlagen vom Sturm, von den phrygischen Rudrern, Ob von Kapys, vom Schiff mit dem Segelgerät des Kaikus. Nichts von Schiffen er sieht, doch entdeckt am Ufer er Hirsche, Die hier äsen zu drein; es folgt im Rücken das Rudel, Das die Täler entlang im Zug absuchet die Weide. Stehn er bleibt und greift nach Bogen und Pfeilen, den Waffen, Die, bei der Hand zu sein, ihm nachtrug immer Achates. Erst zu Boden die Führer er streckt, die stolz die Geweihe, Die vielzackigen, hoben, sodann aufs Rudel er zielet Und verwirret es so, daß schnell sichs flüchtet ins Dickicht. Nicht hört früher er auf, als bis er sieben der Stärksten Hat zur Strecke gebracht, ein Stück auf jedes der Schiffe. Nun zum Hafen er kehrt, teilt aus das Wild den Gefährten; Wein auch gibt er dazu, den AkSstes freundlich gespendet, Als an Siziliens Strand Abschied von ihm sie genommen. Dann aufmuntert er sie, spricht aus die tröstlichen Worte: „Freunde, Genossen des Leids, das wir zusammen erfuhren, Härteres trugt ihr schon, ein Gott wird enden auch dieses. Nah den Felsen ihr wart, die Skyllas grausiges Heulen Tief im Innern durchdröhnt, nah ihr dem Berg der Kyklopen. Schöpft nur wiederum Mut, laßt ab von ängstlicher Trauer, Einst machts Freude vielleicht, auch dieser Gefahren zu denken. Soviel Schlägen zum Trotz, durch soviel widrig Geschehen Streben wir Latium zu, wo ruhiges Bleiben verheißet Uns das Geschick; es soll dort Troja wiedererstehen. Harret nur aus und spart euch auf f ü r bessere Tage!" Solches verheißt sein Mund; obwohl ihn Sorgen bedrücken, Heuchelt Vertrauen er doch und birgt den K u m m e r im Herzen. Jene sich machen ans Wild und rüsten die kommende Mahlzeit, Ziehn von den Rippen die H a u t , entblößen die fleischigen Teile, Schneiden in Stücke das Fleisch; noch zuckend es kommt an die Spieße. Kessel auch stellt man auf und macht viel Feuer darunter.

I 214—250

Venus und Juppiter

7

Mächtig belebt die Betrübten der Schmaus; im Grase gelagert, Läßt man wohl sich sein beim Wein und leckeren Braten. Als der Hunger gestillt und entfernt die Reste des Mahles, Denkt in langem Gespräch man jetzt der vermißten Genossen, Schwankend in Hoffnung und Furcht, mag man am Leben sie glauben Oder, vom Schlimmsten erfaßt, nicht mehr zugänglich dem Rufe. Tief vor allen beklagt der Fürst den klugen Orontes, Tief des Amykus Los, des Lykus trauriges Ende, Tief auch Gyas den Helden, nicht minder den tapfern Kloanthus. Eben ists Klagen zu End, da blickt aus leuchtendem Äther Juppiter hin auf die Segel im Meer, die blühenden Länder, Auf die Küsten und Völker; er steht im Scheitel des Himmels Und schickt sinnend den Blick auch herab auf Libyens Reiche. Während er so dasteht, das Herz von Sorgen erfüllet, Wendet sich Venus an ihn, vor Trauer die strahlenden Augen Ganz in Tränen getaucht: „Du, der die Geschicke der Menschen, Die der Götter du lenkst und mit dem Blitze sie schreckest, Was hat mein Äneas an dir so Schweres verbrochen, Was die Troer, daß ihnen, die soviel litten, der Erdkreis Vor Italiens Ziel sich unbarmherzig verschließet? H a s t du verheißen uns doch, von hier aus würden die Römer, W ü r d e n ausgehn die Führer, aus troischem Blute geboren, Denen bestimmt es sei, dereinst als Herrn zu gebieten Ländern und Meeren zugleich. Was hat den Sinn dir geändert? Dieses Versprechen allein ließ Trojas Fall mich verschmerzen, W e n n am künftigen Glück ich maß das jähe Verderben. J e t z o verfolgt das gleiche Geschick die lange Geprüften Mitleidlos. Welch Ende bestimmst du, König, den Mühen? K ö n n t doch Antenor einst entgehn den Scharen der Feinde, K ö n n t zur illyrischen Bucht, zum Reich der Liburner gelangen Ohne Gefahr und selbst den Ursprung sehn des Timavus, Der aus bebendem Berg gleich in neun Strömen hervorbricht Und mit brausender Flut ringsum die Fluren ertränket. Trotzdem wählte den Platz er dort für die Sitze der Teukrer, Legte Patavium an und gab dem Volke den Namen. J e t z t läßt ruhn er die Waffen und freut sich behaglichen Friedens. Wir, dein Blut, dem verheißen du hast im Himmel zu wohnen,

8

I 251—288

Juppiters Verheißung

Werden der Schiffe beraubt, verraten der Einen zuliebe, Die mit Haß uns verfolgt, und fern vom Ziele gehalten. So lohnst Frömmigkeit d u ? So verleihst du Deinen die H e r r s c h a f t ? " Ihr erwidert darauf der Vater der Götter und Menschen Mit dem Lächeln im Blick, dem Sturm und Himmel sich heitert, Leichthin drückend den Kuß auf die lieblichen Lippen der Tochter: „ F ü r c h t e dich nicht, Kytherea, dir bleibt der Deinigen Schicksal Sicher bewahrt; du wirst die Stadt und verheißenen Mauern, Wirst Lavinium sehn und wirst zu den Sternen erheben Ihn, des Anchises Sohn; nicht hat mein Sinn sich geändert. Er wird — reden ich will, da hierum Sorge dich drücket, Und das geheime Geschick will dir ich weiter enthüllen — Führen gewaltigen Krieg in Italien, trotzige Stämme Bändigen, wird dem Volke Gesetz und Mauern verleihen, Wann zum dritten der Sommer ihn schaut als Herrn der Latiner Und drei Winter vorbei, seitdem die Rutuler hörig. Dann Askanius wird, sein Sohn, — jetzt heißt er Iullus, Vordem Ilus er hieß, solang noch Iliutn ragte, — Führen die Herrschaft hier, bis daß die rollenden Monde Dreißig erfüllet der J a h r , wird dann den Sitz der Regierung Von Lavinium fort und nach Langalba verlegen. Hier wird Hektors Geschlecht kraftvoll nun blühen und herrschen Drei J a h r h u n d e r t e lang, bis die Priesterin fürstlichen Blutes Ilia, schwanger von Mars, ein Zwillingspaar wird gebären. Dann wird, fröhlich bedeckt vom Fell der nährenden Wölfin, Romulus führen den Stamm, wird baun die martischen Mauern Und wird „ R ö m e r " das Volk nach eigenem Namen benennen. Ihnen ich setz kein räumliches Ziel, nicht zeitliche Grenzen, Ihnen ich geb ein Reich ohn End. Selbst Juno, die strenge, Die jetzt Erde bewegt und Meer, den Himmel ermüdet, Wird zum Besseren wenden den Sinn, wird mit mir die Römer Machen zu Herren der Welt und auch zu Hütern des Friedens. Dies mein Beschluß. Einst kommt der Tag im Wandel der Zeiten, Wann Assärakus' Haus von Pthia, dem reichen Mykenä Nimmt f ü r immer Besitz und herrscht im eroberten Argos. Diesem gefeierten Stamm entspringt der troische Cäsar, Dem ans Weltmeer reichet das Reich, der R u h m an die Sterne; Julius heißet man ihn als Sproß des großen Iullus.

I 289—324

Aneas und Venus

9

Ihn du, sorgenbefreit, mit des Ostens Beute beladen Siehst im Olymp; auch ihm weiht einst man fromme Gelübde. Dann wird milder das rauhe Geschlecht nach beendeten Kriegen; Hüten wird Vesta das Recht im Bund mit Glauben und Treue, Remus im Bund mit Quirin; man schließt durch eiserne Riegel Zu die Pforten des Kriegs; die Wut, die Bürger auf Bürger Trieb, auf den Waffen sie sitzt, die Hände mit ehernen Ketten Auf den Rücken gezwängt, knirscht still mit blutigem Munde". Sagts und sendet herab den Sohn der Maja vom Himmel, D a ß Karthagos Land und die Stadtburg gastlich sich öffne Zu der Teukrer Empfang, daß nicht, unkundig des Schicksals, Dido weise sie fort. Er fliegt auf hurtigen Schwingen Durch den unendlichen Raum und erreicht schnell Libyens Küste. Kaum ist bekannt der göttliche Wunsch, entsagen die Tyrer Jeglicher Art von Trotz und grade die Königin zeigt sich Ruhigen Sinns den Fremden geneigt, entschlossen zur Güte. Während der Nacht erwägt bei sich Äneas die Lage Und kommt so zum Entschluß, alsbald mit kommendem Frührot Auszuforschen das Land, wohin der Sturm sie verschlagen, Wer es bewohnt, ob Menschen, ob Tier — der Boden ist Neuland —. W a s er erforscht, wollt er den Freunden getreulich berichten. In der bewaldeten Bucht läßt er drum bergen die Schiffe Unter dem hohlen Gestein im Schutz der Schatten und Wälder, Macht auf den Weg sich dann, nur von Achates begleitet, Mit zwei Lanzen bewehrt, versehn mit kräftigem Eisen. Mitten im Wald ihm kommt die göttliche Mutter entgegen, Dorischer Jungfrau gleich an Gesicht, an Waffen und Haltung. Auch Harpälyke läßt, der Thrakerin, sie sich vergleichen, Die kein Roß einholt, da schneller sie stürmt als der Hebrus. Auf den Schultern sie trägt nach Brauch den handlichen Bogen, Läßt ihr wallendes Haar zu lieblichem Spiele den Winden, Nackt bis zum Knie schürzt hoch den Bausch des Gewandes ein Gürtel. Also sie f r a g t : „Ach, Jünglinge, habt ihr eine der Schwestern Wohl im Walde gesehn, die hier euch schweifend begegnet, Leicht mit dem Köcher bewehrt und dem Fell des scheckigen Luchses, Oder die laut nachstürmte der Spur des schäumenden E b e r s ? "

10

I 325—361

Aneas von Venus unterrichtet

So fragt Venus, ihr Sohn gibt drauf ihr solches zur Antwort: „Keine der Schwestern dein hab gehört ich oder gesehen, 0 — wie nenn ich dich nur, J u n g f r a u ? Kein sterbliches Antlitz Trägst du, sterblich nicht tönt dein W o r t ; bist wohl eine Göttin, Phöbus* Schwester vielleicht? vielleicht auch eine der N y m p h e n ? Doch wer immer du bist, sei hold und Helfer im Unglück! Sag die Gegend uns an, den Erdteil, den wir b e t r a t e n ; Denn wir irren umher, unkundig des Lands und der Leute, Weil vom Sturme hierher wir sind und den Wellen verschlagen. Manch Schlachtopfer zum Lohn wir bringen an deinem Altare". Venus darauf: „Nicht wert bin ich so hoher Verehrung; Tyrischer Jungfraun Brauch ists, stets zu tragen den Köcher Und die Waden hinauf hoch mit Jagdstiefeln zu schnüren. Punische Reiche du siehst, des Agenor tyrische Gründung, Doch in Libyschem Land, ein Volk, unnahbar im Kampfe. Herrin ist Dido hier. Aus Furcht vorm Bruder verließ sie Tyrus, die Heimatstadt. Viel Unrecht, manche Verirrung Gäbs zu berichten, doch nur das Wichtigste will ich erwähnen. Ihr war Gatte Sychäus, der Tyrier reichster an Äckern Und aufrichtig geliebt von ihr. Ihm hatte der Vater Rein die Tochter gegeben zur Frau, zur ersten Vermählung. König von Tyrus war Pygmalion, Bruder der Dido, Vor den andern beschwert durch Hang zu bösen Verbrechen. Zwischen den beiden es kommt zum Zwist. Pygmalion mordet Jenen aus Gier nach Gold. Den Ahnungslosen ersticht er Heimlich am Hausaltar; nichts gilt die Liebe der Schwester. Lange verhehlt er die T a t ; er weiß durch eitele Hoffnung Stets die Kranke zu täuschen und stets Ausreden zu finden. Doch ihr erscheint im Traum das Bild des ermordeten G a t t e n : Wunderlich hebts das bleiche Gesicht, entblößet der Armen Klagend die Brust, am Altar vom Schwert durchbohret des Bruders, Und enthüllt so die Tat, bei der kein Zeuge zugegen. Schleunige Flucht er rät, treibt zum Aufgeben der Heimat Und weist ihr als Mittel dazu die verborgenen Schätze, Ein unermeßlich Gewicht an Gold und Silber vergraben. Dido zögert nicht lang, auf Flucht und Genossen zu sinnen. Alle, die Haß und Furcht vor ihm, dem Tyrannen, beseelet,

I 362—399

Rettung der troischen Flotte

11

S:haren sich schnell um sie. Mit Gold die Schiffe belädt man, Die schon fertig zur Ausfahrt sind. Pygmalions Schätze Führt man über die See; die Frau wird Seele des Anschlags. An die Stelle gelangt, wo hoch du mächtige Mauern Ragen du hier schon siehst, zur Burg des jungen Karthago, Byrsa vom Handel genannt, erstehn an Acker sie soviel, Als ein einziges Stierfell kann als Riemen umspannen. — „Aber wer seid denn ihr, woher zu Schiffe gekommen, Auf dem Wege w o h i n ? " Äneas seufzt bei den Fragen, Atmet aus innerster Brust und läßt sich also vernehmen: „Sollt ich, Göttin, von Anfang an dir alles erzählen, Zeit zu hören auch sein den Bericht von unseren Leiden, Barg im geschlossnen Olymp den Tag wohl eher der Abend. Troja, das alte, verlassend — wenn Trojas Name gedrungen Euch zufällig ans Ohr —, wir rings die Meere befuhren, Bis des Sturmes Gewalt uns trug an Libyens Küste. Bin Äneas der fromme; dem Feind ich entriß die Penaten, Führ sie zu Schiff mit mir; mein R u h m reicht bis an die Sterne. Such Italiens Heimat mir, des Juppiter Sippe. Mit zweimal zehn Schiffen befuhr ich Phrygiens Meere, Folgend dem Ruf des Geschicks; mich f ü h r t e die göttliche Mutter. Sieben nur übrig ich hab, von Wind und Wellen beschädigt. Fremd, der Mittel beraubt, durchirr ich Libyens Wüsten, Aus Europa verjagt und Asien." Weiteres Klagen Duldet die Göttliche nicht, unterbricht die schmerzliche Rede: „Wer auch immer du bist, nicht unlieb scheinst du den Göttern, Da zur tyrischen Stadt sie her dich haben geleitet. Geh nur weiter von hier grad zu der Königin Schwelle! Denn dir sind die Freunde zurück, die Schiffe gerettet Und ins Sichre gebracht — der Nordsturm hat sich gewendet —, Wenn Vorzeichen mich recht die Meinigen lehrten zu deuten. Schau, wie lustigen Flugs dort ziehn zwölf Schwäne ! Sie scheuchte Eben ein Aar aus luftiger Höh. Des Juppiter Vogel Trieb auseinander den Schwärm; jetzt strebt in ruhigem Zuge Hin zur Erde die Schar; schon sind am Ziele die schnellsten. Grad wie diese daheim jetzt spielen mit schlagenden Flügeln, Dann in die Luft sich heben vereint und Lieder anstimmen, Grad so sind die Schiffe zurück; ein Teil der Gefährten

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I 400—438

Äneas betritt die Stadt

H a t den Hafen erreicht, drauf los schon steuert der andre. Geh nur immer f ü r b a ß und folg der Richtung des Weges". Sagts und wendet sich a b ; hell strahlt der rosige Nacken, Göttlicher Duft geht aus vom Haar ambrosischen Scheitels, Bis auf die Füße herab fällt jetzt des Kleides Gefältel, Auch der erhabene Gang läßt nicht verkennen die Göttin. Als Äneas die Mutter erkennt, ruft nach er ihr also: „Mutter, was spottest du mein, des Sohns, durch täuschende Bilder, Grausam auch d u ? Weshalb in die Rechte die Rechte zu legen Wird mir versagt, weshalb ganz offen zu sprechen und h ö r e n ? " Vorwurfsvoll er rufts und lenkt zur Mauer die Schritte. Venus die Gehenden birgt sorgsam in dichtestem Nebel Und umhüllet sie rings mit undurchdringlicher Wolke, So daß keiner sie sehn, auch keinem gelingen es konnte, Sie zu hindern am Weg, nach dem Grund des Kommens zu fragen. Dann die Göttin entschwebt nach Paphos, um wiederzusehen Den hochheiligen Sitz, wo Tempel und hundert Altäre Ihr von Weihrauch glühn und duften von frischen Gewinden. Rasch sie machen den Weg, den Fußpfad stetig verfolgend, Steigen den Hügel hinan, der hoch die Stadt überraget, Weit Ausblicke gewährt auf den vorliegenden Burgfels. Staunend beschaut Äneas die Stadt, einst ärmliche Hütten, Sieht verwundert das Volk, die Tore, das Pflaster der Straßen. Eifrig die Tyrier sind am W e r k : hier ziehen sie Mauern, Dort sie baun am Palast und wälzen kyklopische Blöcke. Ein Teil sucht sich den Platz fürs Haus, umzieht ihn mit Furchen, Andere baggern im Hafen, noch andere schichten die Steine Hoch zum Grund des Theaters, auch sägt man mächtige Säulen Schon im Steinbruch aus, zum Schmuck der künftigen Bühne. Wie durchs blühende Feld Frühsommer die Schwärme der Bienen Lockt zu sonnigem Tun, wenn sie den kräftigen Nachwuchs Führen des Volks hinaus, wenn sie den flüssigen Honig Drücken hinein in die Waben, mit lieblichem Nektar sie füllend, Oder die Tracht abnehmen den Sammelnden, oder geschloßnen Zugs das träge Geschlecht abwehren der Drohnen vom Mahle; All umschwärmen den Stock, nach würzigem Honig begierig. „Ach, wie neidenswert, daß auch schon Mauern entstehen!" Rufet Äneas aus, zur Höh aufblickend der Giebel.

I 439—475

Äneas betrachtet die Bilder im Junotempel

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Dicht vom Nebel verhüllt, mischt er sich — Wunder zu sagen i — Furchtlos unter das Volk und wird von keinem gesehen. Reich an Schatten ein Hain prangt grad inmitten der H a u p t stadt, Wo von Wellen und Wind die Tyrer ans Ufer geworfen, Gleich ausgruben den Fund, den Kopf des schneidigen Rosses, — Juno führte sie drauf — : so werd sich trefflich im Kriege, Immer bewähren das Volk, im Erwerb auch immer erfolgreich. Hier der Göttin erbaut Dido den prächtigen Tempel, Reich durch Spenden zugleich und mächtiges Walten der J u n o . Auf Steinstufen aus Erz erhebt sich die Schwelle, die Pfosten Fügen sich ehern hinein, schwer knarren der Erztür Angeln. All das Neue befreit das Herz von Furcht und Beklemmung. Hier Äneas zuerst es wagt, auf Hilfe zu hoffen Und trotz allem Verlust der Zukunft froher zu trauen. Während er jedes für sich anschaut, der Königin harrend Und voll Staunen bemerkt die Stadt so kräftig emporblühen, Wie der Künstler Geschick den Mühn der Fronenden gleichkommt, Sieht er im Bild vor sich greifbar die troischen Kämpfe, Sieht er den Krieg, des Ruf schon hat durchmessen den Erdkreis, Priamus und die Atriden, Achill auch, beiden verderblich. Sinnend er steht und weint und sagt: „Wo, lieber Achates, Ist auf Erden ein Land nicht voll von unseren Leiden? Priamus sieh! Dem Ruhm auch hier wird seine Belohnung, Tränen dem Unglück hier; es rührt das Menschliche Menschen. Laß von der Furcht! Solch Ruf bringt uns wohl einige Hilfe". Sagts und weidet den Geist am Schein lebloser Gebilde, Tief aufseufzend und naß von strömenden Tränen das Antlitz. Sieht er gemalt doch hier im Kampf um Ilions Zinnen Bald auf der Flucht den Feind, umdrängt von troischer Jugend, Bald die Phryger verfolgt vom buschumwallten Achilles. Fern nicht von hier er schaut die schneeigen Zelte des Rhesus Weinenden Blicks; sie fand vom Schlaf übermannt der Tydide Und vernichtete sie nach unerhörtem Gemetzel, Trieb ins Lager die Rosse, die feurigen, eh sie gekostet Troisches Gras und gestillt den Durst im Wasser des Xanthus. Wieder auf anderem Bild flieht Troilus, ledig der Waffen, Der, noch Kind, dem Achill ungleich im Kampfe begegnet;

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I 476—513

Didos Ankunft im Tempel

Rückwärts hängt er, entführt vom Gespann, am ledigen Wagen, Fest noch die Zügel gefaßt; ihm schleift am staubigen Boden Nacken und H a a r ; den Sand durchfurcht die gewendete Lanze. Hier ziehn troische Fraun zum Haus der zürnenden Pallas, Ziehn mit wallendem Haar, ihr darzubringen den Mantel, Traurig und demutsvoll, die Brust von Schlägen gedunsen: Doch vom Boden nicht hebt den Blick ungnädig die Göttin. Dreimal hatte geschleift um Ilions Mauer den Hektor Grausam Achill; er will um Gold losgeben die Leiche. J e t z t sich Äneas' Brust entringt aufstöhnendes Seufzen, Als er die Waffen gewahrt des Freunds, den Wagen, den Leichnam, Priamus auch, ausstreckend die Hand zum Kinne des Mörders. Dann sich selber er sieht im Kampf mit Ersten der Griechen, Sieht aus Osten die Schar, sieht Memnons dunkele Heere. Züge bewaffneter Fraun mit halbmondförmigen Schilden F ü h r t dort Penthesilea heran, entflammet von K a m p f l u s t ; Unter der Brust ihr glänzt, der nackten, das goldne Gehänge. Kriegerisch wagt im Kampf mit Männern zu ringen die Jungfrau. Während Äneas so sich versenkt in Bilder der Heimat, Während er staunt und lang bei Betrachtung weilet des einen, Kommt die Königin an, Dido, die schönste der Frauen, K o m m t mit großem Gefolg von Jünglingen, alles erlesnen. Wie sich übt an Eurotas' Strom, auf Höhen des K y n t h u s Im Chortanze Diana, sie selbst mit lieblichen Nymphen, Die sich zahllos scharen um sie; schön über den Schultern T r ä g t sie den Köcher und ragt mit dem H a u p t weit über die Menge, — Stolz und Freude bewegt das Herz der stillen Latona — So kommt Didos Zug, so schreitet sie froh durch die Scharen, Eifrig betreibend den Bau zum Ruhm des künftigen Reiches. Nahe dem Eingang dann, im Schutz des Tempelgewölbes, Nimmt sie, waffenumstarrt, voll Hoheit Platz auf dem Throne. Recht und Gesetz sie bestimmt, verdingt nach eignem Ermessen Selbst Anteile des Werks, läßt auch das Los wohl entscheiden. Plötzlich Äneas sieht zuströmen gewaltige Massen, Sieht Antheus, Sergest, sieht auch den tapfern Kloanthus, Andere noch der Teukrer, die weit unheimliche Wirbel H a t t e n versprengt im Meer und an andere Küsten getrieben. Staunen ergreift ihn selbst, es f a ß t den treuen Achates

I 514—550

Die Troer vor Dido

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Furcht und Freude zugleich: sie hegen, die Freunde zu grüßen, Lebhaft den Wunsch, doch verwirrt sie beid das Fremde der Lage. An sich halten sie noch und, gedeckt vom hüllenden Nebel, Forschen sie, wie's den Ihren ergeht, wo die Flotte geblieben, Was ihr Kommen bezweckt; denn erwählt aus sämtlichen Schiffen Eilen sie, Gnade zu flehn, mit Schrein sie drängen zum Tempel. Als man hinein sie führt und sie zu sprechen geheißen, Hebt Ilioneus an, der Älteste, friedlich zu reden: „Königin, der zu gründen die Stadt die Götter erlaubten, Um durch Gesetz und Recht hochmütige Völker zu zügeln, Wir Unselige hier, durchs Meer vom Sturme getrieben, Flehen dich an: halt ab den schrecklichen Brand von den Schiffen, Schone des frommen Geschlechts, leih uns dein gnädiges Auge! Nicht hierher wir kamen, mit Feuer und Schwert zu verwüsten Libyens Flur, noch erbeuteten Raub zur Küste zu schleppen; Nicht so gewaltsam sind noch so hochfahrend Besiegte. Sieh, Hesperien heißt ein Land in griechischem Munde, Alt und waffengeübt und reich an Schätzen der Scholle, Von Önotrern bewohnt; Italien haben, so sagt man, Jüngere dieses genannt und gewahrt den Namen des Führers. Dorthin segelten wir. Plötzlich das Meer aufpeitscht des Orion stürmisches W ü t e n : Auf Untiefen entführt die Schiffe der rasende Südwind, Streut uns über die See, wirft uns auf tückische Klippen, Daß n u r wenige hier das Land durch Schwimmen erreichten. W a s f ü r Menschen sind hier? Was f ü r barbarischen Sitten Huldigt das Land hier noch? Gastfreundschaft weigert die Küste; Fremde man kämpfend empfängt, läßt sie nicht nahen dem Strande. F ü r c h t e t ihr Sterbliche nicht, auch nicht der Sterblichen Waffen, Scheut die Himmlischen doch, die Recht vergelten und Unrecht. König uns war Äneas, gerecht wie keiner auf Erden, Fromm wie keiner und groß in Krieg und Waffen wie keiner. W a h r t e den Mann das Geschick, lebt er auf Erden und wandelt Noch im Lichte des Tags, noch nicht im Reiche der Schatten, F ü r c h t e n wir nichts; nicht wird dich gereun, daß du dich erbarmtest Seiner zuerst. Auch auf Siziliens Boden sind Städte, Waffen von troischer A r t ; trojanischen Bluts ist Akestes.

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I 551—587

Begrüßung der Troer durch Dido

Wär uns erlaubt, aufs Land zu ziehn die geborstenen Kiele, Sie zu dichten im Wald und neu zu glätten uns Ruder, Wäre beschieden auch uns, mit König und Freunden zu segeln Nach Italiens Strand und Latium, wären wir glücklich. Schwand uns aber das Heil und hat dich, Besten der Teukrer, Libyens Flut uns geraubt, mit dir Iullus den Knaben, Laß uns, Königin, dann Siziliens Küsten erreichen — Von dort kamen wir her — unds Haus des Königs Akestes". Dies Ilioneus sagt. Einhelliges Murmeln der Troer Folgt dem Gesuch. Gnädigen Blicks hebt an jetzt Dido, solches zu künden: „Frei sei, Teukrer, das Herz von Furcht, laßt fahren die Sorgen! Zeit und Jugend des Reichs zwingt mich zum harten Verfahren, Weit durch Wachen im Land der Herrschaft Grenzen zu sichern. Wer kennt nicht Äneas' Geschlecht, nicht Ilions Mauern? Wer nicht der Helden Verdienst, nicht die W u t des schrecklichen Krieges? Nicht so fühllos schlägt das Herz in unserem Busen, Nicht so fern der tyrischen Stadt schirrt Phöbus die Rosse. Wünscht ihr Hesperiens Land, Saturnus' reiche Gefilde, Wünscht ihr des Eryx Reich, ihr König Akestes zu finden, Sichres Geleit ich allen verheiß und helfe durch Mittel. Wollt ihr aber mit mir im Land hier wohnen zusammen, Mit mir teilen die Stadt, sie gehört euch: landet die Schiffe! Troer und Tyrier sind f ü r mich von gleicher Bedeutung. Hätte der Sturm doch auch mit euch den König verschlagen! Wär doch Äneas hier! Nach ihm durch sichere Leute Will absuchen ich gleich den Strand und Libyens Grenzen, Ob er, gestrandet, vielleicht in Wald und Städten umherirrt." Durch die Worte gestärkt verlangts den tapfern Achates, Auch Äneas danach, die hüllende Wolke zu spalten. Drum sich wendet zuerst an ihn der treue Begleiter: „Göttinentsprossener, sag, was hegst du nun für Gedanken? Gut steht alles für uns, die Schiff' anlangten und Freunde. Einer nur fehlt, den selbst im Meer verschwinden wir sahen. Alles entspricht ganz dem, was dir die Mutter erzählte." Kaum hat dies er gesagt, da zerreißt auf einmal die Wolke, Die sie beide verhüllt, und zerfließt im offenen Äther.

I 588—624

Äneas' erste Begegnung mit Dido

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Sichtbar Äneas wird, umstrahlt von leuchtender Helle, Einem der Himmlischen gleich an Gestalt. Lang wallende Haare Lieh der Erzeugerin Macht, lieh ihm die strahlende Jugend, Ließ ausgehen vom Aug der Anmut bannenden Liebreiz, Wie man das Zahnbein färbt, auch wohl mit schimmerndem Golde Ganz das Silber umhüllt, den parischen Marmor verkleidet. Gleich er die Königin selbst anspricht mit folgenden Worten — Staunend vernehmen es all —: „Da bin ich, den ihr gesuchet, Ich bin Äneas selbst, entflohn den libyschen Fluten. Königin, du fühlst mit allein die Schrecken des Schicksals, Lädst der Danaer Rest, zu Land und Wasser durch Leiden Völlig erschöpft, zu dir und gewährst uns Wohnung und Zuflucht, Die von allem entblößt. Dafür dir würdig zu danken, Sind uns Kräfte versagt, versagt auch denen, die übrig Noch von Dardanus' Stamm, zerstreut ganz über den Erdkreis. Wird im Himmel geehrt noch Frommsein, gelten noch etwas Rechtliches Sinnen und Tun, dann werden die Himmlischen einstmals Zahlen dir würdigen Lohn. Welch froh J a h r h u n d e r t denn brachte Dich zur W e l t ? Wo sind die Glücklichen, die dich erzeugten? Solang Flüsse noch münden im Meer, solang noch auf Bergen Schatten am Hang hinziehn, den Pol umkreisen noch Sterne, Solang werd ich zollen dir Ruhm, solange dich ehren, Wohin immer mein Schicksal r u f t " . Drauf reicht er die Rechte Freund Ilioneus hin, die Linke dem Freunde Serestus, Dann d e n übrigen auch, dem tapfern Kloanthus und Gyas. S t a u n e n erfaßt Dido beim ersten Betrachten des Helden, Staunen bei seinem Geschick, und so hebt an sie zu sprechen: „Welch Schicksal verfolgt denn dich, du Göttinentsproßener? Welche Gewalt wirft dich an so barbarische K ü s t e n ? Bist Äneas du selbst, den einst Anchises dem Troer An des Simois Ufern gebar die göttliche M u t t e r ? L e b h a f t denk ich daran, daß einst nach Sidon gekommen Teuker, der Heimat bar, ein Reich zu suchen, ein neues. Belus ihm half, mein Vater, dabei, der gerade das reiche K y p r u s mit Krieg überzog und an sich brachte das Eiland. Schon seit jenem Besuch bin ich mit Ilions Schicksal, Bin vertraut mit deinem Geschlecht, den griechischen Fürsten. T r e n d e l e n b u r g , Virgils Aeneis.

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I 625—662

Aufnahme der Troer durch Dido

Auch als Feinde die Troer er feierte, rühmte sich dessen, Selbst entsprossen zu sein dem alten Geschlechte der Teukrer. Auf, ihr Fremdlinge, drum, kommt mit in unsere Häuser! Auch mich trieb ein ähnliches Los durch manche Gefahren Und ließ hier mich erst Fuß fassen zu dauerndem Wohnsitz. Selbst durch Leiden gewitzt, lernt ich beistehen Geprüften." Sagts und geleitet sogleich Äneas hin zum Palaste, Heißt Dankopfer alsbald darbringen an heiliger Stätte, Schickt zur Küste hinab — sie sorgt auch für die Gefährten — Zwanzig Stiere, dazu von Schweinen mit borstigen Rücken Hundert und ebensoviel an Lämmern, genährt von den Müttern, Gaben zur Feier des Tags. Drinnen das Haus man schmückt mit Pracht und fürstlichem L u x u s ; Richtet zum Mahl auch her den mittleren Hof des Palastes: Kunstvoll sieht man gewirkt der Purpurteppiche Muster, Silbergeschirr in Meng, das goldne bedecket mit Bildern Aus der Geschichte des Stamms; schier unabsehbar die Reihen Tapferer Taten, dereinst vollführt von Helden der Vorzeit. Doch ließ Liebe zum Sohn Äneas müßig nicht bleiben, Nein, zu den Schiffen er schickt noch gleich den treuen Achates, Nachricht zu bringen dem Sohn, in die Stadt ihn selber zu holen, Gilt Askanius doch vor allem die Sorge des Vaters. Gaben auch bringen er heißt, aus Trojas Trümmern geborgen: Den Staatsmantel zunächst, durchwirkt mit goldenen Bildern, Dann das Gewand, verbrämt mit safrangelbem Akanthus, Helenas Schmuck, den einst sie mit sich gebracht aus Mykene, Als nach Troja sie zog zur unrechtmäßigen Hochzeit, Ledas, der Mutter Geschenk, von staunenerregender Schönheit. Ferner den Königsstab, Ilione trug ihn vor Zeiten, Älteste sie der Töchter des Priamus; ferner ein Halsband, Schön aus Perlen gereiht, und zuletzt einen goldenen Stirnschmuck. Rasch zu schaffen es her, eilt hin zur Flotte der Treue. Doch Kytherea verfällt noch auf ein anderes Mittel: An Askanius' Stell zur Stadt zu senden Kupido, Daß in Knabengestalt er die Königin, schon von den Gaben Völlig, berückt, entflamm zu heißestem Liebesverlangen. Fürchtet sie doch das Geschlecht, den Trug zweizüngiger Tyrer. Auch an Junos Zorn m a h n t wieder die nächtliche Sorge.

I 663—700

Venus und Amor

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Drum an Amor, den Sohn, sie richtet die folgende Rede: „Sohn, mein Helfer, allein du mir nie wankende Stütze, Sohn, der den Blitz nicht scheut in der Hand des obersten Vaters, Zu dir flüchten ich muß, anflehn dein mächtiges Walten. Juno, wie dir bekannt, verfolgt unbilligen Hasses Immer Äneas noch, wirft ihn an alle Gestade: Oftmals hast du mit mir den Schmerz um den Bruder geteilet. Jetzt er bei Dido weilt, der Phönizierin; schmeichelnde Worte Halten ihn hier zurück. Gastfreundschaft scheint mir bedenklich, Wenn sie von J u n o kommt. Sie wird schlau nutzen den Zeitpunkt. Deshalb will ich zuvor mit List die Königin fangen, Füllen ihr Herz mit Glut: kein Einfluß mache sie wankend, Nein, an Äneas bleib sie gebannt in heißem Verlangen. Wie mitwirken du kannst, entnimm jetzt meinem Gedanken. Zur sidonischen Stadt dem Ruf zu folgen des Vaters, Rüstet Askanius sich, stets meine besondere Sorge, Hin die Geschenke zu bringen, die Meer und Feuer verschonten. Ihn, vom Schlafe betäubt, soll dann das hohe Kythera, Soll Idäliums Berg am heiligen Sitze verstecken, Daß er nimmer erfahr die List und störe den Anschlag. Nimm an seine Gestalt und leg, ein Knabe des andern, Nur für die kommende Nacht dir bei des Verborgenen Züge. Dann beim fürstlichen Mahl, beim Wein, dem Brecher der Sorgen, Wann auf den Schoß dich nimmt die Königin, frühester Laune Dich mit den Armen umschließt, dich küßt mit brennenden Lippen, Tu den Zauber ihr an und mehr ihr heimliches Feuer!" Freudig gehorcht der Sohn dem Wunsch der Mutter, die Flügel Legt er beiseit und schreitet einher, als wär er Iullus. Diesem jedoch senkt Schlaf auf die schon willigen Glieder Venus und trägt im Schoß ihn nach Idaliums Hainen. Hier ihn wohlig umweht der Duft von würzigen Kräutern, Hier ihn lieblich umfängt die Ruh des kühlenden Schattens. Nunmehr bringt auf Venus' Geheiß mit Achates zusammen Amor den köstlichen Schatz froh zu der Königin Dido. Er tritt ein; im hohen Gemach auf goldenem Sitze, Der in die Mitte gerückt, thront hoch der Königin Schönheit; Schon strömt Trojas Jugend herbei mit Vater Äneas, Schon ist die Schar der Gäste verteilt auf purpurnen Pfühlen.

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I 701—738

Gastmahl im Königspalast

Hier bringt Wasser herbei ein Teil der Diener, in Körben H ä u f t ein anderer Brot, Handtücher noch andere reichen. Drinnen sind fünfzig Mägde bemüht, die Speisen zu richten, Daß erquickender Duft aufwirbelt vor den Penaten. Andere Hundert und ebensoviel gleichaltrige Diener Häufen auf Tischen das Mahl, verteilen die goldenen Becher. Tyrier jetzt auch sammeln sich viel im Hause des Frohsinns, Nehmen nach Weisung Platz auf farbig gemusterten Decken. Anstaunt jeder Äneas' Schatz, staunt über den Knaben, Über den feurigen Blick des Gotts und die trüglichen Worte, Über der Kleider Gepräng, des gelben Akanthus Verbrämung. Satt nicht sehen sich kann, unentrinnbar Opfer des Schicksals, Allen voran Dido; die Glut steigt mit der Betrachtung, Knab und Gaben vereint sie tief erregen im Herzen. Erst er Äneas grüßt, umarmt ihn feurig und lange, H ä u f t Liebkosungen viel auf ihn, den vermeintlichen Vater. Dann er zu Dido geht. Sie hängt mit Augen, mit Sinnen Völlig an ihm, hegt ihn im Schoß. Die Verblendete weiß nicht, Welch ein gewaltiger Gott ihr nachstellt. Amor, gedenkend, Was die Mutter befahl, tilgt aus das Bild des Sychäus, Ihres verblichnen Gemahls, facht an zu lebender Liebe Das lang müßige Herz, die längst entwöhnten Gedanken. Als das Essen vorbei, die Speisen entfernt von den Tischen, Stellt Mischkrüge man auf und schmückt mit Kränzen die Becher. Lautes Gespräch setzt ein und der Saal hallt wieder vom Lärmen. Taghell leuchten herab vom Gebälk der goldenen Decke Lampen mit strahlendem Licht, Wachsfackeln das Dunkel besiegen. J e t z t nach dem Kelche verlangt Dido, von Gold und Juwelen Schwer, voll lauteren Weins; zum Spenden nur Belus ihn brauchte Und seine Folger im Reich. Still wirds rings in der Versammlung: „ J u p p i t e r , du ja schützt Gastfreundschaft, heißt es, und ehrst sie, Laß den heutigen Tag froh sein f ü r Bürger und Fremde, Daß die Kinder dereinst sich gern noch seiner erinnern. Bacchus, Bringer der Lust, sei mit uns, gütig auch Juno! Auf, ihr Tyrier, freut euch mit des festlichen Tages!" Sprichts und gießt auf den Tisch vom Wein zur Ehre der Götter, Netzt als erste sodann am Kelch die Ränder der Lippen. Bitias heißt sie trinken nach ihr: der schlürft mit Behagen

I 739—756

II 1—12

Äneas beginnt seinen Bericht

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Munter den schäumenden Wein und leert die goldene Schale. Ihm tun andre Bescheid. Nun greift der Sänger Iöpas Wallenden Haars zur Leyer und singt, ein Schüler des Atlas, Von den Launen des Monds, singt von den Mühen der Sonne, Von dem Tier- und Menschengeschlecht, von Regen und Hitze, Von Arktur, den Hyaden, den Zwillingssternen der Wagen, Singt, was das Sonnengespann ins Meer zum eiligen Bade Treibt im Winter und was aufhält im Sommer die Nächte. Beifall klatschen die Tyrier laut, es klatschen die Troer. Lang im Wechselgespräch verweilt ohn Ahnung die Fürstin, Saugt mit brennender Gier ins Herz sich dauernde Liebe, Fragt nach Priamus viel, viel auch nach Hektor, dem Helden, Fragt, welch Waffen der Sohn Auroras habe getragen, Nach Diomedes' Rossen, dem Wuchs des großen Peliden. „Lassen wir, Gastfreund, das! Erzähl uns lieber von Anfang An der Griechen Betrug, dein Irren, der Deinigen Leiden", Bricht die Königin ab, „schon ists im siebenten Jahre, Daß Irrfahrt dich f ü h r t durch all die Länder und Meere".

Zweites Buch Äneas erzählt bei Dido den Fall Trojas Still die Versammlung wird und lauscht verhaltenen Atems, Als vom erhabenenen Sitz Äneas also berichtet: „Unaussprechlichen Schmerz heißt, Königin, du mich erneuern, Wenn erzählen ich soll, wie die Danaer Troja zerstörten, Priamus' Unglücksreich, was ich an J a m m e r erlebte Und meist an mir selber erfuhr. Welch Doloper könnte, Welch Myrmidone berichten hiervon, welch Krieger Ulixes', Ohne zu weinen d a b e i ? Schon steigt vom Himmel hernieder Tauig die Nacht, schon mahnen zum Schlaf die sinkenden Sterne. Doch ist so groß dein Wunsch, von unserem Falle zu hören Und den Bericht zu vernehmen von Trojas äußerstem Ringen, Bin ich bereit, faßt Schauder auch mich, stimmt jedes Gedenken

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II 13—49

Das hölzerne Roß

Traurig

auch mich. — Vom Kriege zermürbt, enttäuschet vom Schicksal, Baut der Danaer List — nutzlos sind Jahre verstrichen! — Berghoch türmend ein Pferd mit Hilfe der göttlichen Pallas Und f ü g t kunstvoll ein die Flanken aus tannenen Brettern, Pfand für glückliche Fahrt, wies heißt und Gerüchte verbreiten. Hierin schließen sich ein durchs Los erkorene Helden Trotz des finstren Verstecks; man füllt die mächtige Höhlung, Stopfet den Bauch ganz voll mit Scharen bewaffneter Krieger. Tenedus liegt, wie bekannt, vor Trojas Küsten, ein Eiland, Reich an Schätzen, solang noch Priams Reiche bestanden, J e t z t ein Busen nur noch und Strand, unsicher zum Ankern. Hier sie gehen an Land, am öden Gestade sich bergend. Da beim günstigen Wind an Abzug alle wir glauben, Fühlt die Stadt sich erlöst von so langjähriger Trauer. Weit sich öffnet das Tor; man geht, das dorische Lager, Geht die verlassenen Plätze zu sehn, das stille Gestade. Hier der Doloper Schar, dort lagerte jüngst noch Achilles, Hier f ü r die Flotte der Stand, der Kampfplatz dort für die Heere. Neugier prüfet den Bau, das verderbliche Pfand f ü r Minerva; Staunen erregt die Höhe des Bilds. Thymötes als erster Mahnt, in die Stadt es zu ziehen, zur Burg das Gebäude zu schleppen, Seis aus Betrug, seis daß das Geschick schon damals es wollte. Kapys dagegen und wer noch sonst verständiger dachte Mahnt der Danaer Bau, des Trugs anrüchige Gabe, Gleich zu stürzen ins Meer, gleich Feuer darunter zu legen Oder zu sprengen den Bauch, den hohlen Versteck zu durchsuchen. Zweifelnd das Volk sich spaltet in zwei streitsüchtige Lager. Da läuft plötzlich herab von der Burg, von vielen begleitet, All den andern voraus Laökoon, brennend vor Eifer, Und r u f t schon von f e r n : „Welch W a h n , ihr verblendeten Bürger! W ä h n t ihr ferne den Feind? Glaubt ihr, der Danaer Gaben Wären je frei von T r u g ? So schlecht nur kennt ihr Ulixes? Hier das hölzerne Roß umschließt im Innern Achiver Oder ein Sturmbock ists, um Trojas Mauern zu brechen, Uns in die Häuser zu sehn, die Stadt von oben zu stürmen, Oder es droht ein andrer Betrug. Mißtrauet dem Rosse! Was es auch sei, die Danaer fürcht auch wen sie beschenken."

II 50—88 Sinon

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Sprichts, mit voller Gewalt wirft er die wuchtige Lanze In die Flanke des Tiers und bohrt sie tief in die Rippen. Stecken sie bleibt und bebt, vom Stoß hallt wider das Holzwerk, Und wie Seufzen es dringt aus dem Schlund der riesigen Höhle. Wäre das Schicksal nicht, der Sinn nicht linkisch gewesen, H ä t t schon damals enthüllt der Speer die Listen der Griechen: Troja stünde noch heut, noch heut stünd Priamus' Hochburg. Sieh, da zerren indes, die Hände gefesselt im Rücken, Vor den König herbei mit Lärm dardanische Hirten Einen, den man nicht kennt. Von selbst er stellte sich ihnen— Bloß im Auge das Ziel, in die Stadt die Griechen zu bringen. Kurz entschlossenen Muts war er auf beides bereitet, Zu vollenden die List, wo nicht, mit Tode zu büßen. Scharweis treibet herbei Neugier die troische Jugend, Um den Gefangnen zu sehn, zugleich auch seiner zu spotten. Hör nun Danaertrug und erkenn aus e i n e m Verbrechen Alle zugleich. Mitten im Kreis er steht und scheint, von Waffen entblößet, Auf der Phrygier Schar um ihn verwirret zu blicken. „Wehe, so r u f t er laut, welch Land mag, welches Gewässer Mich aufnehmen am E n d ? Was bleibt mir Armen noch übrig, Den die Danaer nicht bei sich mehr wollen ertragen, Nach des Blut die Dardaner auch zur Strafe v e r l a n g e n ? " Umstimmt solches das Volk, und jegliches Spotten verstummet. „Sag uns, mahnen wir ihn, wes Stammes du, was zu vermelden Du herkamst. W a s gibt dir Vertraun, obwohl du g e f a n g e n ? " „ W a s auch immer geschah, ich will dirs, König, bekennen, Hebet er a n ; ich stamm, wiöts alle, von griechischen Eltern. Dieses zuvor. Macht Sinon auch unglücklich das Schicksal, Solls zum Prahler doch nicht, zum Lügner mich nimmer erniedern. Wenn zufällig einmal das Gerücht dir brachte die Kunde Von Palamedes Namen und weit verbreitetem Ruhme, Den ohn jegliche Schuld zu Tod einst steinigten Griechen, Trauend erlognem Verdacht, den Krieg er wolle verhindern, Und dem jetzt, wo des Lichts er entbehrt, nachtrauern die Toren, Ihm, der nahe mir stand durch Verwandtschaft, schickte der Vater, Arm er selbst, als Diener mich mit beim Beginne des Krieges. Solang dieser noch galt als Fürst im Rate der Fürsten,

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II 89—125

Sinons Lügen

Fiel von seiner Person auf mich auch Achtung und Ansehn. Doch seitdem er dem Neid des Meisters der Listen, Ulixes, — Allen bekannt dies ist — schuldlos zum Opfer gefallen, Mußt im Verborgenen ich hinschleppen in Trauer die Tage, Mußt ganz stille bei mir das Los des Gelynchten beklagen. Doch nicht schweigen ich könnt. Läßt mich, so prahlt ich, das Schicksal Kehren als Sieger zurück einstmals zum heimischen Argos, Wird ihm in mir ein Rächer erstehn: H a ß mußte mir werden. Dies war des Unheils Quell. Von nun an drohet Ulixes Stets mit neuem Verdacht, sprengt aus zweideutige Reden Unter dem Volk, der Schuld sich bewußt er Waffen sich schmiedet. Ruh nicht eher er läßt, bis daß — Mithelfer ist Kalchas — Aber wozu vorbringen, was doch mir Armen nicht n ü t z e t ? Euch aufhalten wozu? Gleich gilt euch alles was griechisch, Schon der Name genügt. Vollstreckt drum endlich das Urteil! Ists doch Ulixes' Wunsch! Euch lohnt der Dank der Atriden." Nun entbrannten wir all erst recht, die Gründe zu hören; Denn wir wußten noch nichts von Danaer List und Verstellung. Zagend er jetzt fortfährt und erzählt in trüglicher Absicht: „Oft schon sannen die Danaer Flucht, von Troja sie wollten Scheiden und enden den Krieg, der, endlos, müde sie machte. H ä t t e n sie das vollführt! Doch stets wenn nahe der Aufbruch, Wogt' im Sturme das Meer, ungünstig wehten die Winde. Sonderlich als das Roß, das hölzerne, hoch schon getürmet, Hallte von Donner und Blitz ringsum der dunkele Himmel. Angstvoll schicken wir aus Eurypylus, Phöbus' Orakel Einzuholen; der kehrt uns wieder mit folgender A n t w o r t : „Wie durch Blut ihr den Sturm, durchs Jungfrauopfer beschwichtigt, Als ihr zuerst aufbracht, nach Trojas Küste zu schiffen, Müßt ihr erstehn mit Blut die Rückkehr, opfern das Leben Eines Argivers zuvor." Als ruchbar wird das Orakel, Läuft durchs Volk eiskalt ein Schreck und bebend m a n forschte, Auf wen ziele der Spruch, wen sich erkoren Apollo. J e t z t schleppt Ithakas Fürst herbei den Seher, den Kalchas, Fragt ihn erregt laut aus, wen denn wohl Phöbus bezeichne. Mich schon viele voraus als Ziel sich dachten der Listen Jenes verschlagenen Manns, drum still sie harrten der Antwort.

II 126—163

Deren Wirkung

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Doch in Schweigen sich hüllt zweimal fünf Tage der Seher, Um durch seinen Entscheid niemand zu weihen dem Tode. Endlich gezwungen — so schiens — durch Ulixes' dringende Reden, Kündet er mich — abgekartet es war — als Opfer des Altars. Gern man stimmte dem z u ; was f ü r sich jeder gefürchtet, War auf einen gewälzt und allseits war man zufrieden. Schon war kommen der Unglückstag; die heilige Handlung Setzte schon ein, Salzmehl war bereit, f ü r die Schläfen die Binden — Da dem drohenden Tod ich entfloh, ich sprengte die Fesseln Und verbracht im sumpfigen Moor, im Schilfe verborgen, Harrend die Nacht, bis die Segel gehißt. Wärs dazu gekommen! Hoffnung winkte mir nicht, die Heimat wiederzusehen, Nicht die Schar der Kinder, auch nicht den würdigen Vater, Die f ü r meinen Entschluß vielleicht einst büßen noch werden Und f ü r den Schuldigen, mich, schuldlos das Leben verlieren. Drum bei den Göttern ich fleh, die Recht ja schützen und Wahrheit, Fleh bei Glauben und Treu, falls Sterbliche solche noch achten, H a b Mitleid mit mir, der ich Unwürdiges dulde! Herr, erbarme dich mein, der Not des armen Verfolgten!" Auf das rührende Flehn wirs Leben ihm schenken und — Mitleid. Priamus heißt alsbald dem Mann losbinden die Hände, Ihm abnehmen die Fesseln und sagt mit freundlichen W o r t e n : „Wer du auch bist, fortan vergiß der verlorenen Heimat, Unser du bleib! Antworte mir wahr auf das, was ich frage. Wozu stellten sie her den K o l o ß ? Auf wessen Betreiben? Welches der Zweck? Ists Weihegeschenk, ists Mauerzerstörer?". Er, ein Meister des Trugs, in griechischen Ränken erfahren, Hebt zum Himmel empor die'fesselentlasteten Arme: „Euch zu Zeugen ich ruf, ihr ewigen Lichter des Weltalls, Euch, Altäre, zugleich euch, Messer, f ü r Opfer geschliffen, Denen entgangen ich bin, euch, Binden, die schon mich geschmücket: J e t z t darf lösen ich mich vom heiligen Rechte der Griechen, J e t z t sie hassen nach Lust und all das offen erzählen, W a s sie halten geheim; nicht acht ich ihrer Gesetze. Bleib du, König, nur treu dem Wort, das gerettete Troja Bürge dafür, wenn ich dir Wahres und Hohes enthülle. Immer war Pallas' Schutz der Grund zur Hoffnung der Griechen, Stets ihr Vertrauen im Krieg. Doch seit ruchlos Diomedes

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II 164—201

Sinon schließt seinen Bericht

Sich mit Ulyß verband, dem Urquell aller Verbrechen, Zum verwegenen Plan, das Palladium selbst zu entführen, Seit die Wächter der Burg sie töteten, fort aus dem Tempel Schleppten das heilige Bild, mit blutiger Hand zu berühren Sich nicht scheuten es selbst und die Binden der göttlichen J u n g f r a u : Seitdem wankte Vertrauen, seitdem schwand mählich die Hoffnung, War wie gebrochen die Kraft, der Sinn der Göttin gewendet. Deutliche Zeichen davon gab widernatürlich Geschehen. Kaum war im Lager das Bild, da züngelten leuchtende Flammen Unter den Lidern hervor, Schweiß rann ihm über die Glieder, Dreimal sprang es empor vom Grund — ein Wunder zu sagen —, Denn links trug es den Schild, in der Rechten die bebende Lanze. Gleich mahnt Kalchas, zur Flucht ins Meer zu lassen die Schiffe: Pergama werd niemals argivischen Waffen erliegen, Holt Vorzeichen man neu sich nicht, bringt wieder nicht eilig Her das Bild, das über das Meer man frevelnd geschleppet. Fuhr beim günstigen Wind man jetzt schon heim nach Mykene, Wars den Waffen und Göttern zulieb. Schnell wider Vermuten Kehrt hierher man zurück. So legt aus Kalchas die Zeichen. Hier dies Bild sie bauten, der schwer mißhandelten Gottheit Des Palladiums Raub, das böse Verbrechen, zu büßen. Dies zu türmen so hoch aus fest verzahntem Gebälke, Groß zu nehmen das Maß, mit Absicht riet es der Seher, Daß es das Tor überrag, in die Stadt sich ziehen nicht lasse Und den göttlichen Schutz ihr nicht wie früher verbürge. H ä t t e t mit eigener Hand ihr verletzt dies Bild für Minerva, Stünd Verderben bevor — auf Kalchas falle das Zeichen! — Priamus* Stadt und Reich und Vernichtung allen Trojanern. Stieg es aber hinauf in die Stadt mit euerer Hilfe, Würd von Asien einst der Krieg nach Argos getragen Und was Troja gedroht, dann bevorstehn unseren Kindern." So bringt tückischer Trug, der Meineid eines Verbrechers Glauben uns bei, wir werden betört durch Tränen und Ränke, Wir, die nicht ein Achill könnt bändigen, nicht Diomedes, Nicht zehn J a h r e des Kriegs, nicht all die feindlichen Kiele. Schwereres aber geschieht, weit Schlimmeres noch den Betrognen Und verwirrt den Sinn erst recht durch plötzlichen Schrecken. Grade dabei Laokoon ist, der Priester des Meergotts,

II 202—238

Laokoon und seine Söhne

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Einen gewaltigen Stier am Altar dem Gotte zu schlachten, Als von Tenedos her ein Paar von Schlangen heranschwimmt — Schaudern mich m a c h t der Bericht —; in mächtig geschwungenen Ringeln Rollt es über die Flut und strebt gleichmäßig zum Ufer. Hoch aufrichtend die Brust es ragt mit den blutigen Kämmen Weit empor aus der See; leicht streift der übrige Körper Hinten das Meer und k r ü m m t sich auf zu wuchtigen Sätzen. Rauschend die Flut vorn schäumt. Schon sind am Ufer sie beide; W u t den Augen entflammt, die Blut und Feuer gerötet, Und aus zischendem Maul zuckt vor die gespaltene Zunge. Angst auseinander uns treibt. In sicherem Zuge sie schießen Auf Laokoon los. Erst packt nun jede von ihnen Einen der Söhne, die klein noch sind, umringelt den Körper Und frißt ab von ihm stückweis die schmächtigen Glieder. Dann den Vater ergreifen sie beid, der Waffen herbeiholt, Und umschnüren ihn fest mit der Körper gewaltigen Kreisen. Zweimal legen sie dicht um den Leib die schuppigen Rücken, Auch um den Hals zweimal, hoch auf noch ragen die Köpfe. Wie mit den Händen er sucht, den Zwang der Knoten zu lösen, — Ach, wie triefen von Gischt und Gift die heiligen B i n d e n ! — Schreit vor Schmerzen er auf und erfüllt mit Klagen die Lüfte, Gleich als brüllet ein Stier, der, am Altare verwundet, Flieht, abschüttelnd das Beil, das ihn unsicher getroffen. Nun hinkriecht am Boden das Paar, es windet zum Tempel Sich auf die Höhe der Burg, zum Sitz der zürnenden Göttin, Und einschmieget sich dort in den Schild zu Füßen Minervas. J e t z t lähmt allen der Schreck vollends, der neue, die Glieder, Weil Laokoon schien mit Recht zu büßen den Frevel, Den er beging, als er mit dem Speer verletzte das Holzbild Und in den Leib ihm stieß in törichtem Rasen das Eisen. „Auf mit dem Pferd zur Burg, laßt uns anbeten die G o t t h e i t ! " Dies einstimmig man r u f t . Wir durchbrechen das Tor, zur Stadt sich öffnet der Zugang. Alle sich machen ans W e r k ; man setzt auf Rollen die Füße, Legt um den Hals des Tiers aus Werg die stärksten der Taue. So steigt auf zum Tor die verhängnisvolle Maschine, Trächtig an Männern und Erz. J u n g f r a u n und Jünglinge singen

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II 239—274

Das hölzerne Roß in der Stadt

Heilige Hymnen im Chor, froh, nur das Seil zu berühren. Also hinauf und hinein; in die Stadt dringt drohend das Untier. Ilium, Heimatstadt, Haus du der Götter, ihr Mauern, Trefflich im Kriege b e w ä h r t ! Viermal bleibt dicht vor dem Tore Stehen es still, viermal hallts drinnen von Waffengeklirre. Doch wir merken es nicht; wir drängen, von Eifer geblendet, Vorwärts, bis auf der Burg es steht, das verderbliche Bauwerk. Da nun öffnet den Mund, vorherzusagen das Schicksal, Auch Kassandra — der Gott sie treibt —; nicht findet sie Glauben. Wir Verblendete feiern den Tag, den letzten des Lebens, Kränzend mit festlichem Laub die Stadt, die Tempel der Götter! Nunmehr neigt sich der Tag, die Nacht zieht auf aus dem Meere. Hüllt ein Himmel und Erd in undurchdringliches Dunkel, Hüllt der Griechen Betrug. Alsbald verstummen die Stimmen; Denn tief senket sich Schlaf auf der Troer ermüdete Glieder. Nun rückt an die bewaffnete Schar der Griechen auf Schiffen, Die von Tenedus her beim verschwiegenen Lichte des Mondes Kommt zum vertrauten Gestad. Das Fanal im Schiffe des Königs W a r für Sinon das Zeichen. Geschützt durch feindliche Götter, Löst er heimlich den fichtnen Verschluß, der Danaer Kerker. Alle sie speit nun aus das Pferd, in der Flanke geöffnet, Und es drängen heraus, voll Freud entronnen der Enge, Sthenelus nebst Thersander, mit ihnen Ulixes, der schlimme, Niedergelassen am Seil, dann Äkamas, weiter auch Thoas, Neoptolem, der Pelide, und, unter den ersten, Machaon, Dann Menelas, nicht fehlt der Erbauer des Pferdes, Epeios. Sie durchstreifen die Stadt, die Wein und Schlaf hat bezwungen, Töten die Wächter zuerst, und durch den offenen Torweg Strömen die Griechen hinein, die schnell zu Zügen sich schließen. Um die Stunde geschahs, wo Schlaf, der erste, die Müden Tief umfängt, als Göttergeschenk am schönsten sich nahet. Sieh, da zeiget im Traum, ein Bild der Trauer, sich Hektor, Steht leibhaft vor mir, das Gesicht von Tränen benetzet, Wie, vom Wagen geschleift, er einst mit schmutzigem Staube Schwarz war bedeckt, an den Füßen durchbohrt von blutigen Riemen. Wie ganz anders er war, wie ganz von jenem verschieden,

II 275—312

Hektor erscheint Äneas im Traum

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Der in der Rüstung einst des Achill nach Troja zurückkam, Der mit phrygischem Brand versengt der Danaer Schiffe. Struppig ihm starrte der Bart, Blut ballte zusammen die Haare, Narben entstellten den Leib, vom Feind in Ehren empfangen, Streitend f ü r Volk und Land. Mir wars, als stürzten mir Tränen Dicht die Wangen herab, als stieß hervor ich die W o r t e : „ H o r t Dardaniens du, du festeste Stütze der Teukrer, Was verzogst du so l a n g ? Woher, von welchen Gestaden Kommst du den Deinen e r s e h n t ? Muß so dich wieder ich finden Nach der Deinigen Fall, nach so viel Nöten der Troer, So viel Leiden der S t a d t ? W a s h a t unwürdig getrübet Dir den heiteren Blick? W a s m u ß f ü r W u n d e n ich s e h e n ? " Kein W o r t drauf er sagt, verweilt nicht bei meinen Fragen, Stöhnt aus innerster Brust und bringt hervor nur die W o r t e : „Flieh, Äneas, sogleich, entreiß dich diesen G e f a h r e n ! Griechen sind Herrn der Stadt, im Staub liegts herrliche Troja. Opfer genug sind g e b r a c h t ! Wärs Waffen beschieden gewesen, Troja zu schützen, fürwahr, es hätten geschützt es die meinen. Troja vermacht sein Heiligstes dir, dir seine Penaten. Nimm als Begleiter sie mit, such f ü r sie schützende Mauern, Die selbst bauen du wirst, wann du durchirrtest die Meere". Sprichts und bringt mir heraus die heiligen Binden mit Vesta, Bringt aus der Hochburg innerstem R a u m das ewige Feuer. Hier und dorten vernimmt man schon aus Häusern das Klagen, Näher und näher es dringt, es naht der Schrecken des Kampfes Auch Anchises' Palast, obwohl, von Bäumen verdecket, Fern er liegt vom Lärmen der S t a d t im stilleren Winkel. Aus dem Schlaf ich erwach,« erklimm in wenigen Sätzen Schnell die Fläche des Dachs und lausch in gespannter E r w a r t u n g . Wie wenn Feuer befällt bei rasendem Sturme das Saatfeld Oder der reißende Schwall des Bergstroms über die Fluren, Über die fröhliche Saat sich ergießt, die Werke der Rinder Mit sich f ü h r t und den brechenden W a l d ; nichts ahnend der Hirte Hört erstaunt das Getös hoch auf der Kuppe des Felsens. J e t z t wird alles mir klar, klar mir der Danaer Tücke. Schon in Trümmern ich seh Deiphobus' weites Gebäude, Von der Lohe verzehrt, schon brennt Ukälegons Wohnhaus Ganz in der Näh, weithin blinkt rot das Meer bei Sigeum.

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II 313—349

Nächtlicher Kampf

Männergeschrei sich mischt in den schmetternden Klang der Trompeten. Blind zu den Waffen ich greif, allein was helfen mir W a f f e n ? Besser mir scheint, zum Kampf die Männer zusammenzuraffen, Um zu schützen die Burg; Zorn und Erregung beflügeln Meinen Entschluß, mich lockts, ruhmvoll im Streite zu fallen. Sieh, da kommt Panthus, den Pfeilen der Griechen entronnen, Othrys' Sohn, der Priester der Burg und Phöbus Apollos, Führt an der Hand den Enkel; er trägt die besiegten Penaten Und strebt eiligen Schritts wie wirr nach meiner Behausung. „ N u n , Panthus, wie stehts? Wie hält sich oben die S t a d t b u r g ? " Kaum ist die Frage heraus, gibt er mir schluchzend zur Antwort: „ K o m m e n ist jetzt der Tag, unabwendbar lliums Schicksal. Troer gewesen wir sind, auch Trojas Burg ist gewesen, Hin der Dardaner R u h m ! Grausam hat Juppiter alles Fort nach Argos geschafft. Die Stadt brennt, Herren sind Griechen. Grad im Herzen von ihr spien aus die Klüfte des Rosses Krieger ohn Zahl. Den Brand schürt Sinon offenen Hohnes, Siegesgewiß. Ein Teil der Tausende, die von Mykene Kamen hierher, hält fest die doppelt geöffneten Tore, Andre die Straßen der Stadt versperren den flüchtigen Bürgern. Wie von Eisen ein Wall starrt an die Reihe der Schwerter Jeden und droht mit Mord. Kaum wagen die Wächter als erste Noch zu bestehen den Kampf: nutzlos ihr blindes Beginnen." Panthus' eiliges Wort treibt mich nach göttlichem Ratschluß Fort ins Feuer der Schlacht. Dorthin mich wütende Kampflust R u f t und der tosende Lärm und Geschrei, das dröhnet zum Himmel. Freunde gesellen sich zu: Rhipeus, der waffenerfahrne Epytus, kenntlich im Mondlicht beid; auch Hypanis, Dymas Schließen an uns sich an, sodann der junge Koröbus, Mygdons fürstlicher Sohn. Grad in den schrecklichsten Tagen W a r er nach Troja geeilt, von Lieb entbrannt zu Kassandra; Wollt als Eidam stehn zum König und seinen Getreuen. Da nicht achten er wollt der Warnungen seiner Verlobten, Ging er zugrund. Weil entschlossen sie sind, den Kampf auch jetzt noch zu wagen, Stärk mit Worten ich sie: „Wollt ihr mir, tapfere Herzen, Folgen auch jetzt noch nach, mit mir das Letzte zu wagen,

II 350—387

Nächtlicher Kampf

31

Nun, euch allen ist klar, wies steht um unsere Lage. Tempel, Altäre sind leer; sie sind von den Göttern verlassen, Die Hort waren dem Reich. Troja, dem brennenden, helft ihr. Trotzdem auf in den K a m p f ! Vom Schwert laßt ehrlich uns fallen! Nur ein Heil es gibt für Besiegte, nicht R e t t u n g zu hoffen". So sich W ü t e n gesellt der Entschlossenheit. Raubenden Wölfen Gleich, die bei nebliger Nacht hinaustreibt rasender Hunger Aller Gefahr zum Trotz; die Jungen erwarten die Mütter Gierig mit trockenem Schlund: so gehn durch Feinde, Geschosse Wir in den sicheren Tod und wählen die Straße, die mitten Führt durch die S t a d t ; uns dunkele Nacht einhüllet in Schatten. Wer könnt geben Bericht vom Graus des nächtlichen Blutbads, Wer wett machen die Not, die Mühn des Kampfes mit T r ä n e n ? Hin ist die Heimatstadt, die Herrscherin vieler Geschlechter. Voll von Leichen der Weg, von wehrlos Niedergemachten, Voll die Häuser davon, voll selbst die heiligen Schwellen. Doch nicht Teukrer allein im Blut abbüßen die Strafe; Denn es kehret ins Herz T a t k r a f t auch wieder Besiegten, Und auch Danaer büßen den Sieg. Allüberall Trauer, Überall Angst, zahllos die wechselnden Bilder des Todes. Von den Griechen zuerst, umringt von dichter Gefolgschaft, Trifft Andrögeos uns, in denen er Freunde v e r m u t e t ; Ahnungslos er redet uns an mit freundlichen W o r t e n : „Hurtig, ihr L e u t e ! Wozu säumt ihr untätig so lange? Andere plündern die brennende Stadt und rauben das Beste. K o m m t denn eben ihr erst hierher von ragenden Schiffen?" Sagts und merket alsbald, noch eh Antwort er bekommen, Daß er mitten hinein in feindliche Scharen geraten. Staunend er steht und hemmt den Schritt zugleich mit den Worten. Wie wer ohne Bedacht beim Gehn im Dornengebüsche Setzt auf die Natter den Fuß und vor ihr plötzlich zurückfährt, Da sie zornig erhebt den Kopf und die schwellende Kehle, Grad so f u h r zurück Androgeos, bebend beim Anblick. Doch wir dringen ihm nach, dicht wir umschließen die Rotte, Strecken zu Boden sie gleich, die, schreckengelähmt, in der Straße Sich nicht findet zurecht. Glück lacht dem ersten Gefechte. Vom Erfolge berauscht, r u f t laut der kühne Koröbus: „Seht, ihr Freunde, das Glück den Weg uns weisen zur R e t t u n g !

32

II 3 8 8 — 4 2 3

Nächtlicher K a m p f

Laßt, wo günstig es uns, ihm nachgehn mutigen Herzens! Tauschen die Schilde wir ein der Danaer, nehmen die Helme! Ob Mut oder Betrug, was tuts, wenn Feinden wir s c h a d e n ? Waffen uns geben sie s e l b s t ! " So legt Androgeos' Helmzier, Legt auch den Schild er an, verziert mit prächtigen Bildern, Hängt sich um das griechische Schwert, einst Troer, nun Grieche. Rhipeus t u t dasselbe, auch Dymas, alle die J ü n g e r n Folgen ihm f r o h ; ein jeder sich schmückt mit erbeuteten Waffen. Unter die Griechen gemischt — nicht brachts den Unsrigen Nutzen —, Nehmen wir vielfach Teil am Kampf in den nächtigen Straßen Und entsenden der Danaer viel hinunter zum Orkus. Ein Teil flieht zu den Schiffen und sucht das bekannte Gestade, Andre, von Schrecken gelähmt und ratlos in dem Getümmel, Steigen zurück ins Pferd, zum wohlvertrauten Verstecke. Ach, der göttlichen Macht widerstreb nicht menschlicher Wille! Sieh da zerrt man heraus Kassandra, Priamus' Tochter, Aus der Pallas A s y l ! Man zerrt sie heraus an den Haaren Und sie sendet umsonst den Blick, den heißen, zum Himmel; Denn mit Ketten beschwert ihr sind die schneeigen Arme. Das nicht erträgt zu sehn, vor W u t wahnsinnig, Koröbus, Stürzt sich mitten hinein in den Zug, dem Tode verfallen. Alle wir eilen ihm nach, auf den Feind dicht hageln die Hiebe. Hier nun geschiehts, daß uns vom Dach des Tempels die Freunde Nehmen zum Ziel und uns wahllos hinstrecken mit Pfeilen, Durch der Waffen Gestalt und die griechischen Helme getäuschet J e t z t in wütendem Zorn — m a n glaubt entrissen die J u n g f r a u — Dringen die Danaer ein, weitaus am schneidigsten Ajax, Dem sich gesellt das Atreuspaar, der Doloper Scharen. So bei wirbelndem Sturm einander entgegen die Winde Toben, der West und der Süd und der Ost, auf schnaubenden Rossen; Ächzend der Wald sich beugt, es wühlt aus unterster Tiefe Nereus auf das Meer, hoch gehn die schäumenden Wogen. J e t z t auch sammeln sich die, die wir beim nächtigen Dunkel H a t t e n mit List zersprengt und durch die Straßen getrieben. Auch sie stürmen herbei, sie kennen die Schilde, die Waffen, Weisen auch hin, wie fremd der Ton ist unserer Sprache.

II 424—458

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Kampf um Priamus* Palast

Schnell wir erliegen der Zahl. Von Peneleus' Schwerte getroffen Stürzt Koröbus zuerst hin am Altare Minervas. Neben ihm fällt Rhipeus, der allergerechtesten einer, Die je Troja gezeugt, der Billigkeit strengster Verfechter. Anders den Göttern gefiels! Auch Dymas und Hypanis fallen, Von den Genossen durchbohrt; vorm Fall nicht schützte dich, Panthus, Weder dein frommes Gemüt noch Apollos heiliges Stirnband. Flammendes Ilium, dich, dich, Glut für die Leichen der Meinen, Ruf zu Zeugen ich an, nicht hab ich kämpfend gemieden Weder der Griechen Geschoß, noch auch das wechselnde Kriegsglück, Nein ich suchte den Tod, doch stand entgegen das Schicksal. J e t z t wir werden getrennt; nur Iphitus bleibt mir zur Seite, Hoch schon betagt, dann PSlias noch, von Ulixes verwundet. Alsbald ruft uns Waffengetös zu Priams Palaste. Hier rast schrecklich der Streit, als gab Kampftoben es nirgends, Nirgends noch Tod in der Stadt, soweit sich dehnet ihr Umfang. Nicht will ruhen der K a m p f ; es stürmen die Griechen zum Giebel; Stürmen zur Schwelle heran im Schutz des ehernen Schilddachs. Leitern man hängt an die W a n d : hart an den Pfosten des Eingangs Klimmt man die Sprossen hinan; die Linke, gedeckt mit dem Schilde, Schützt vor Speeren und Pfeil, am Dachrand klammert die Rechte. J e t z t einreißen die Troer den First, die Türme des Daches, Um in Todesgefahr, wann kein Entrinnen mehr möglich, Sie zu brauchen als Wehr. Das goldne Getäfel der Balken Schleudern sie wuchtig herab, den Schmuck ehrwürdiger Ahnen. Unten das Schwert man braucht und besetzt von innen die Schwelle, U m als lebender Wall Eintritt dem Feinde zu wehren. Neu sich belebt der Mut, das Haus zu schützen des Königs, Und zu Freunden gesellt die W u c h t der Besiegten zu stärken. Hinten ein Zugang war, ganz leer; durch dunkele Gänge Führte von ihm ein Flur zu allen Gemächern des Hauses. Seiner bediente sich oft Andrömache, Hektors Gemahlin, Solang Ilium stand, um dort, von keinem gesehen, Zum Großvater den Sohn A s t y a n a x heimlich zu bringen. Durch ihn klimm ich hinauf zur äußersten Höhe des Daches, T r e n d e l e n b u r g , Virgils Aeneis.

3

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II 459—495

Sturm der Griechen

Von wo Teukrer sich mühn, unwirksam Balken zu schleudern. Dicht am Rande des Dachs ein Turm von mächtiger Höhe Ragt' empor. Hier sah man herab auf Trojas Gebäude, Hier aufs Meer, auf die Flotte des Feinds, aufs griechische Lager. Glatt er ruht auf der Fläche des Dachs ohn feste Verzahnung. Rings wir greifen ihn an mit der Axt, wir lockern die Fugen, Bringen ins Wanken ihn d a n n : er stürzt mit dröhnendem Krachen Auf die Griechen herab und begräbt all unter den Trümmern. Doch schon Ersatz rückt an, so daß der Hagel von Steinen, Pfeilen und anderm Geschoß nicht aufhört. Vorn am Eingang wütet auf oberster Stufe der Treppe Pyrrhus, vom ehernen Licht des Schwerts und Panzers umflossen. So die Schlange sich drängt ans Licht, von giftigen Kräutern Satt, im Winter versteckt in frostiger Tiefe der Erde; Doch nach erneuerter Haut hebt sich in strahlender Jugend Mit aufschwellender Brust zum Licht der schleimige Rücken, Und die gespaltene Zung ihr zückt aus zischendem Maule. PSriphas ist, der Starke, mit ihm, Autömedon fehlt nicht, Der dem Achill die Rosse gelenkt, die Jugend von Skyros, All sie rücken heran und bewerfen die Dächer mit Fackeln. Pyrrhus in vorderster Reih zerschlägt die kräftige Schwelle Mit zweischneidiger Axt und löst den Halt f ü r die Zapfen, Bricht der Türen Gefüg, nachdem die Balken zerschmettert, Und bahnt so sich den Weg durch weit aufklaffende Lücken. Frei das Innere liegt, bloßliegt die mächtige Halle, Bloß des Königs Gemach; der Ahnen geheiligte Räume Sehen erfüllt das Tor vom rasch eindringenden Feinde. Aus dem Inneren schallt ein wirres Geschrei und Getöse, Rings vom Jammergeheul der Fraun hallt wider die Wölbung, Bis zum Sternengewölb dringt auf das Klagen der Weiber. Ängstlich in Hallen und Hof sieht man umirren die Mütter, Sieht sie Pfosten umfassen und sie mit Küssen bedecken. Pyrrhus, an Kraft ein Achill, dringt ein; nicht Riegel, nicht Wachen Halten ihm stand. Es wankt von des Rammpfahls häufigen Stößen Tür und Tor und stürzt vornüber aus lockeren Zapfen. Kraft bahnt Weg; es brechen herein der Danaer Scharen, Töten die Vordersten, dicht sich füllt mit Waffen die Halle.

II 496—532

35

Priamus' Tod

So stark strömt, ist gebrochen der Damm des schäumenden Wildbachs, Niedergelegt der Wall, der feststand gegen den Strudel, Kaum auf Saaten die Flut und reißt mit über die Felder Vieh und Ställe zugleich. Ich sah mit eigenen Augen Neoptolem tief waten im Blut mit beiden Atriden, Sah, wie Hekuba fiel inmitten der Schwieger und Töchter, Sah, wie Priamus' Blut den Altar des Hauses bespritzte. All die fünfzig Gemächer, die Hoffnung späterer Enkel, All die Pfosten aus phrygischem Gold, der Beute der Sieger, Werden zerstört! Was Feuer verschont, das rauben die Menschen. Gern vernimmst du vielleicht auch Königs Priamus Ende. Als er gefallen die Stadt, erzwungen den vorderen Eingang Sieht und Bewaffneter voll das Innerste seines Palastes, Legt trotz Alter und Last er an den gemiedenen Panzer, Schützend die zitternde Brust, nutzlos auch gürtet das Eisen Er um den Leib und stürzt zum Tod sich unter die Feinde. Mitten im Hof, umglänzt vom Licht des offenen Himmels, Stand ein Altar, nah bei jeher ein stämmiger Lorbeer Drüber gebeugt, des schattiges Dach umfing die Penaten. Hekuba hatte hierher sich samt den Frauen geflüchtet, Wie vor bösem Gewölk sich jählings flüchten die Tauben, Und aneinander gedrängt, die Knie der Götter umschlungen. Wie den Alten sie sieht im Schmuck der Waffen des Jünglings, Rufet sie l a u t : „Welch Geist treibt dich zu solchem Beginnen, Armer Gemahl? Wohin, so schwer zum Streite gerüstet? Derart Hilfe nicht heischt die Zeit, nicht solche Beschützer; Nicht würd nützen es uns, wär selbst mein Hektor zugegen. Setz dich nur h e r ! Denn dieser Altar wird jeglichen schützen, Oder du stirbst mit uns". Sie sagts und zieht den Bejahrten Zu sich auf den Altar in den Schutz des heiligen Sitzes. Sieh, trotz Wunden entflieht den Händen des Pyrrhus Polites, Einer von Priamus' Söhnen; er läuft, der Geschosse nicht achtend, Eilig die Hallen entlang und mustert die leeren Gemächer. Ihm zu tödlichem Streich setzt schnurstracks nach der Pelide, Streckt schon die Hand nach ihm und droht ihm Tod mit der Lanze. Zwar e n t k o m m t er dem Feind noch grad vor den Augen der Eltern, Doch er strauchelt und fällt und empfängt die tödliche Wunde. 3*

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II 533—569

Priamus' Tod

J e t z t kann Priamus nicht, der selbst vom Tode bedrohte, Halten sich mehr und ruft, des Zorns und der Stimme nicht schonend: „Solch fluchwürdige Tat sollst einst du büßen, V e r r u c h t e r ! Gilt im Himmel noch Treu, gibts noch f ü r Frevel Vergeltung. Mög dir würdigen Dank und Lohn abzahlen die Gottheit, Der du mich zwangst, den Tod mit anzusehen des Sohnes, Und durch scheußlichen Mord den Blick des Vaters entweihtest. Wie hat anders Achill, den du dir heuchelst als Vater, Doch sich gezeigt dem Feind ! Er scheute des Priamus Anrecht, Hielt sein verpfändetes Wort, ließ frei die Leiche des Hektor Mir zum ehrlichen Grab und gab mich wieder dem Reiche". Also der Greis. Er wirft den Speer mit schwächlichem Nachdruck, Da ja die Schwungkraft fehlt. Das Geschoß bleibt oben am Nabel Stecken des Schilds und hängt unwirksam nieder zur Erde. Pyrrhus hierauf: „So mußt du selbst als Bote die Nachricht Bringen dem Vater Achill. Vergiß nicht, ihm zu berichten, W a s ich Entsetzliches t a t , wie ganz aus der Art ich geschlagen. J e t z t aber stirb !" Hierbei reißt er den Zitternden mit sich Hin zum Alta r — ausgleitet im Blut des Sohnes der V a t e r ! —, Packt mit der Linken das Haar und stößt mit erhobener Rechten Ihm das blinkende Schwert tief bis zum Griff in die Seite. Dies war Priamus' Tod. Hinweg ihn raffte das Schicksal, Erst als brennen er sah und gestürzt das heilige Troja, Asiens stolzeste Burg, das H a u p t der Länder und Völker. Nackt am Ufer er liegt, ein Rumpf, des Kopf von den Schultern Schmählich getrennt man hat, ein Leib, des Name verklungen. Damals zuerst auf mich eindringt unheimlicher Schrecken. Starr ich steh. Vor Augen mir tritt das Bild des Erzeugers, Als ich Priamus seh, den Altersgenossen des Vaters, Matt aushauchen den Geist; ich seh Kreusa verlassen, Seh das geplünderte Haus, den Tod des kleinen Iullus. Angstvoll blick ich umher, zu schaun, wer um mich geblieben. Alle sind fort vom Dach: erschöpft sie sprangen zur Erde Oder sie suchten im Brand den Tod, am Leben verzweifelnd. Wie nur übrig ich bin, seh ich Tyndäreos' Tochter Sitzen an Vestas Schwell und still den heimlichen Winkel Nutzen zu sichrem Versteck. Hell Licht mir spendet das Feuer,

II 570—606

Venus und Ä n e a s

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Als mit den Augen umher ich irr und alles erforsche. Sie, vorm Zorn der Teukrer besorgt ob Iliums Schicksal, Vor der Griechen Gericht, der Wut des betrogenen Gatten, Trojas Furie sie, doch auch die Geißel der Heimat, Hatte geborgen sich dort und saß im Schutze des Altars. J e t z t entbrenn ich in W u t ; mich lüstets, T r o j a zu rächen, Sühne zu fordern für Schuld, selbst wenn ich würd zum Verbrecher. Soll sie wieder ihr S p a r t a sehn, das reiche Mykene, Soll als Königin sie, soll im Triumphe sie kommen, Soll sie begrüßen ihr Haus, den Gemahl, die Väter, die Kinder, llierinnen im Troß, im Troß auch phrygische S k l a v e n ? Für sie P r i a m u s fiel? Für sie brach T r o j a z u s a m m e n ? F ü r sie rötete Blut so lang die K ü s t e der T r o a s ? D a s sei fern! Wenngleich a m Weib vollstrecken die S t r a f e Sicher kein rühmliches Werk, solch Sieg auch Ehre nicht bringet, Wird man preisen doch mich, daß ich vernichtet ein Scheusal, Daß an der Schuldigen ich vollzog die Sühne, die Rachgier Mir im Herzen ich stillt', R u h gab der Meinigen Asche. Während ich solches erwäg und nachhäng wilden Gedanken, N a h t die Mutter sich mir, nicht klar mit Augen zu schauen, Doch in göttlichem Glanz das nächtige Dunkel erhellend. Nicht verhehlet sie mir, daß sie mir nahet als Göttin, Groß und schön, wie sie Göttern erscheint. Sie hemmt mir die Rechte, F ü g t auch warnend hinzu aus rosigem Munde die W o r t e : „ S o h n , welch Schmerz kann dir so maßlos Zürnen erregen? W a s denn wütest du s o ? Wo blieb die Liebe zur M u t t e r ? Willst nicht lieber du sehn, wo du den greisen Anchises Ließest z u r ü c k ? Ob noch dir lebt K r e u s a die Gattin, Ob Iullus der S o h n ? Umringt von Feinden, sie schweben All in Lebensgefahr und, ständ ich dem nicht entgegen, H ä t t sie das Feuer verzehrt, entseelt die feindliche Lanze. Nicht hat T r o j a zerstört, noch Priams Reiche vernichtet Helenas holdes Gesicht, d a s Haß und R a c h e dir einflößt, Nicht des Paris Begehr, schuld ist die H ä r t e der Götter. Schau — jetzt heb ich hinweg den Dunst von deinem Gesichte, Der d a s Auge dir trübt, den Ausblick dicht dir verschleiert Sterblicher Schwäche gemäß; acht wohl der Mutter Befehle,

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II 607—642

Aneas zur Flucht aufgefordert

Weigre dich nicht zu tun, was sie zum Heile dir vorschreibt —: Hier, wo Trümmer du siehst, wo Stücke von Bergen gerissen, Wo sich S t a u b und Rauch zusammengeballet erheben, R ü t t e l t Neptun am Wall, macht rings erbeben die Gründe, Schwingend des Dreizacks Wucht, und reißt die Stadt aus dem Boden. Dort am skäischen Tor weilt schon als Wächterin Juno, Eisenumwehrt sie r u f t im Zorn die griechischen Scharen Von den Schiffen zur Stadt. Schon hat Pallas besetzt, schau hin, die Höhe des Burgbergs, Kenntlich am Saum des Gewands, am H a u p t der grimmigen Gorgo. J u p p i t e r leiht aufs neu den Danaern K r a f t und Gelingen, Reizt die Himmlischen selbst zum Streit mit den Dardanerscharen. Wähle die Flucht, mein Sohn, mach jetzt ein Ende mit Kämpfen. Nimmer ich weich und führ dich heil zur Schwelle der H e i m a t " . Sprichts und verschwindet sogleich im Schwarz des nächtlichen Himmels. Grausige Bilder ich seh: ich seh die feindlichen Götter Wirken am Falle der Stadt. J e t z t ich meine zu sehn ganz Troja sinken im Feuer, Fallen in Trümmer und Staub die stolze neptunische Veste. Wie Landleute sich mühn, zu brechen der stämmigen Esche K r a f t auf der Höhe des Bergs, wetteifern mit Spaten und Äxten, Sie zu lösen vom Grund; lang droht sie schon mit dem Sturze Und wiegt nickend das Haupt, da locker die Wurzeln im Boden, Bis sie, m ü r b e gemacht durch unaufhörliche Schläge, Einmal noch aufächzt und hinstürzt, völlig entwurzelt. J e t z t von der Burg ich steig; mich f ü h r t durch Feuer und Feinde Göttlicher Schutz, Raum gibt mir Brand und der Feinde Geschosse. Als der Schwelle ich nah des altehrwürdigen Hauses, Such ich den Vater zuerst, will auf den Rücken ihn nehmen Und ins Bergland fliehn; doch lehnt er ohne Besinnen Ab zu leben im Licht, nachdem sein Troja gefallen, In die Verbannung zu gehn. „Ihr, ruft er, denen das Leben Heiter noch lacht, die fest auf eigenen Füßen noch stehen, Mögt ausführen die Flucht. W ä r s der Himmlischen Wunsch, daß fort ich schleppe mein Alter, H ä t t e n sie mir den Sitz hier bewahrt. Schon einmal erlebt ich

II 643—679

Anchises weigert sich mitzufliehen

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Iliums Fall. Das ist mir genug und übergenug schon. Ruft mir zu den letztesten Gruß, als wär ich begraben, Dann aber eilt! Ich finde den Tod. Raublüsterne Feinde Werden mir Mitleid weihn. Leicht wiegt der Verlust der Bestattung. Längst schon den Göttern verhaßt, bring nutzlos hin ich die Jahre, Seit der Himmlischen Herr, der König der Menschen, mich lähmte Mit des Blitzes Geschoß und mich mit Feuer berührte". Dabei bleibt er und keinem gelingts, vom Platz ihn zu bringen. Wir ergießen in Tränen uns all, die Gattin Kreusa, Auch Iullus, die Dienenden mit, nicht dürf er vernichten Alles durch eigenen Tod unds drängende Schicksal beschleunen. Alles umsonst! Fest hält er am Plan und bleibt an der Stelle. Wieder ich will in den Kampf, will enden das klägliche Leben; Denn wo gabs noch Rat, wo war zu hoffen noch R e t t u n g ? „Ich soll, Vater, entfliehn und hier dich feige verlassen? Kannst erwarten du das, kannst mir so Böses du z u t r a u n ? Wenns den Göttern gefällt, daß nichts mehr bleibe von Troja, Ists ihr Wollen und Wunsch, dich und die Deinen zu stürzen, Wie mit der Stadt sies t u n : die Tür steht offen dem Tode. Bald stürzt Pyrrhus herein, von Priams Blute gesättigt, Der vorm Vater den Sohn, ihn selbst dann schlug am Altare. Hast du, göttliche Frau, deshalb aus Pfeilen und Flammen Her mich geführt, daß ich den Feind im Herzen des Hauses Säh wie den Sohn er mir, wie mir er Vater, Gemahlin A b t u t und hinschlachtet den einen im Blute des andern? Waffen, ihr Männer, herbei! Zum Endkampf ruft man Besiegte. Gebt mich den Griechen zurück, laßt mich herstellen die Schlachtreih! Nicht allsamt den Tod heut finden wir ohne Vergeltung". Um ich gürte das Schwert und will anpassen der Linken Eben den Schild und so das Haus der Meinen verlassen, Sieh, da klammert sich an mich an auf der Schwelle die Gattin, Streckt, umfassend die Knie, mir hin Iullus den Knaben: „Willst in den Tod du gehn, so reiß uns mit ins Verderben, Hoffst du vom Kampf noch Heil, noch Heil von blinkenden Waffen, Schütze zuerst dein Haus! Wem bleibt Iullus der kleine, W e m der Vater und ich, die dir einst Gattin geheißen?" So mit Seufzen erfüllt die Frau die tönende Halle.

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II 680—717

Auf Vorzeichen hin flieht Anchises mit

Plötzlich ein Zeichen erscheint vor uns, ein Wunder zu nennen: Zwischen den Eltern sich zeigt vor ihren Gesichtern und Händen Auf dem Scheitel des Sohns ein spitz aufstrebendes Flämmchen; Schadlos flackert es auf, umspielt die seidenen Locken Und scheint Nahrung genug am H a u p t des Kleinen zu finden. Angstvoll suchen wir gleich, die Flammen im Haare zu löschen, Auszusprengen die heilige Glut mit Güssen von Wasser. Doch wie freudig verklärt hebt auf der Vater Anchises Augen und Hände zum Himmel empor in brünstgem Gebete: „Herr, Allmächtiger du, hast je du Bitten erhöret, Schau jetzt gnädig auf uns und send, wenn fromm wir und würdig, Noch ein Zeichen herab, das uns das erste bekräftigt!" Kaum hat gebetet der Greis, da grollt mit mächtigem Krachen Links ein Donner; ein Stern durchfliegt das Himmelsgewölbe Und zieht hinter sich her den Schweif in leuchtendem Lichte. Hell er gleitet vorbei hoch über dem Dach des Palastes, Birgt sich — wir sehen es klar — im dunkelen Walde des Ida, Deutlich uns weisend den Weg. Lang glänzt die strahlende Furche, Die den Himmel durchschnitt; weithin qualmt Schwefelgeruch auf. J e t z t ist der Vater besiegt, er hebt zum Himmel die Hände, Redet die Gottheit an voll Scheu vorm heiligen Zeichen: „Auf jetzt ohne Verzug! Ich folg wohin ihr mich führet. Götter der Heimat ihr, wahrts Haus und wahret den Enkel! Ihr Vorzeichen uns gabt, ihr wißt um Iliums Schicksal. Nicht mehr zögern ich will, dir, Sohn, als Begleiter zu folgen". Sprichts, und deutlicher jetzt man hört das Prasseln des Brandes, Näher heran wälzt schon das Feuer die züngelnden Flammen. „Auf drum, Vater, sogleich! Setz dich mir schnell auf den Rücken, Daß ich trage dich fort, zur Last nicht wirst du mir werden. Wie sich gestalte die Flucht, e i n Unglück drohet uns beiden, E i n Glück beiden uns winkt. Mir geh Iullus zur Seite An mich geschmiegt dann folg in gemessener Weite die Gattin. Doch ihr, Waffengefährten, vernehmt, was euch ich empfehle. Seid ihr hinaus zur Stadt, so liegt in verlassener Gegend Hoch ein Tempel der Ceres, dabei die bejahrte Zypresse, Die der gläubige Sinn der Ahnherrn lange verehrte. Er soll Sammlungsplatz uns sein und alle vereinen. Du nimmst, Vater, das Heilige mit, die heimischen Götter,

II 718—755

Äneas vermißt Kreusa

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Die zu berühren erlaubt nicht mir, den mördrisches Ringen Ganz mit Blute befleckt, eh nicht ein fließendes Wasser Rein mich gespült". Als ich solches gesagt, umkleid ich Schultern und Nacken Mir zum weicheren Sitz mit dem Fell des gelblichen Löwen, Lad den Vater dann auf; fest f a ß t Iullus die Rechte Und t r a b t neben mir her, ungleich im Schritt mit dem Vater. Hinten die Gattin uns folgt. Die Hast nicht mindert das Dunkel. S e l t s a m ! Mich, der längst nicht mehr vor Geschossen erbebte, Mich, den der Ansturm nicht der griechischen Scharen erregte, Schreckt jetzt jeglicher Hauch, erregt jetzt jedes E r t ö n e n ; Ängstlich ich bin gleichmäßig besorgt um Last und Begleiter. Schon wir nahen dem Tor, schon mein ich, allen Gefahren Ledig der Straße zu sein, als Schritte von Menschen auf einmal Dicht uns dringen ans Ohr. Der Vater durchbohrt mit den Augen Vor sich die Nacht und r u f t : „Flieh, Sohn, flieh eilig, sie kommen! Funkelnde Schilde sind nah, schon seh ich blinkende Schwerter". Da raubt feindlich ein Gott mir ganz die kluge Besinnung, Weil ich verwirrt schon war. Denn auf pfadlosem Gelände Stürm ich hastig davon und meide den Weg, den bekannten. Ward mir Armem geraubt vom Geschick Kreusa, die G a t t i n ? Blieb sie s t e h n ? H a t verfehlt sie den W e g ? Saß nieder die M ü d e ? Nichts ist b e k a n n t : niemals sah ich im Leben sie wieder. Eher nicht seh ich mich um, nicht eher ich ihrer gedenke, Als am Hügel wir sind, dem heiligen Sitze der Ceres. Hier erst wird ihr Fehlen bemerkt, als alle versammelt, Hier erst sehn sich getäuscht so Mann wie Sohn und Begleiter. Wen klagt Rasender ich nicht an von Göttern und Menschen, Was sah Grauseres ich bei Trojas grausigem S t u r z e ? Sohn und Vater empfahl den Freunden ich samt den Penaten Und heiß all sie bergen im Tal an sicherem Orte. Ich selbst leg die Waffen mir an und beschreite den Rückweg, Fest entschlossen, aufs neu des Schicksals Laune zu prüfen, Troja wieder zu sehn, zu stehn den alten Gefahren. Anfangs such die Mauer ich auf und die Schwelle des Tores, Das ich eben verließ. Ich folg den Spuren der Füße, Die mit Augen ich such und die mich leiten im Dunkel. Alles ist schreckhaft mir, graunvoll schon selber die Stille.

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II 756—792

Kreusa erscheint dem Äneas

Auf ich suche mein Haus, vielleicht daß dorten die Gattin Hält sich versteckt. Nur Griechen ich find, zerstreut auf dem Dache. Eben die Glut leckt auf — der Wind sie mehret — zum Giebel Und fährt über ihn hin, auflodern Flammen zum Himmel, Weiter ich geh zu Priams Palast, zur Höhe der Stadtburg. Hier im verlassenen Haus, an Junos sicherer Freistatt, Hüten, zu Wächtern bestellt, Ulyß, der schlimme, mit Phönix Was man an Beute gemacht. Die Kostbarkeiten aus Troja Trug zusammen man hier, den Schmuck, die Tische der Götter, Krüge von lauterem Gold und Teppiche, köstlich gestickte. Knaben und ängstliche Fraun, die lebende Beute der Sieger, Stehn ringsum. Hier ich wage sogar, laut durch das Dunkel zu rufen, Und erfülle die Stadt mit Geschrei. Den Namen Kreusa Wieder und wieder ich nenn; nichts hilft, vergeblich ist alles. Während ich endlos such, durchstürm die nächtigen Straßen, Zeigt sich plötzlich vor mir ein Bild, der Schatten Kreusas, So wie sie leibt und lebt, nur herrlicher in der Erscheinung. Staunend ich steh, mir sträubt sich das Haar, die Sprache versagt mir. Da spricht sie mich an und benimmt mir jegliche Sorge: „Was heißt dich nachhängen so sehr dem törichten Schmerze, Lieber Gemahl? Nichts hier sich begab ohn göttliches Zutun. Nicht als Begleiterin mit entführst von hier du Kreusa, Nicht ists Juppiters Wunsch, des Herrn im hohen Olympus. Lang wirst heimatlos du ziehn auf Wogen des Meeres, Ehe du dorthin kommst, wo sich durch fette Gefilde Schängelt gelassenen Zugs der Strom des lydischen Tiber. Dort erst findest du Ruh, dort Reich und fürstliche Gattin. Drum hier klag nicht mehr um deine geliebte Kreusa. Niemals schauen ich werd der Döloper, der Myrmidonen Glänzenden Sitz, niemals werd griechischen Frauen ich dienen, Schnur der Venus Dardänerin ich. Mich hält Kybele fest zum Dienst an Asiens Küsten. Drum leb wohl und bewahr mir treu die Liebe zum Sohne!" So läßt stehen sie mich, der viel noch sagen ich wollte, Mich in Tränen ergoß: sie mir entführen die Lüfte. Dreimal will ich umfahn den Hals der Gattin zum Abschied,

II 7 9 3 — 8 0 4

III 1—18

Die Troer v e r l a s s e n die Heimat

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Dreimal hasch ich nach ihr. Umsonst! den Armen entschwebt sie Gleich dem Hauche des Winds, dem Schein des flüchtigen T r a u m bilds. Jetzt erst komm ich zum Hügel zurück. Die Nacht war vergangen. Zum Erstaunen vermehrt find ich die Zahl der Begleiter. Neu hier kamen hinzu gar viel an Frauen und Männern, Auszuwandern bereit, ein mitleidswürdiges Völkchen. Fest steht aller Entschluß, mit dem, was ihnen geblieben, Über das Meer mit mir, wohin ich wolle, zu fahren. Schon geht Luzifer auf am Saum der Höhen des Ida, Führend den Morgen herauf. Stets noch die Schwelle der Tore Halten die Griechen besetzt. Nichts läßt mehr hoffen auf Rettung. Darum ich weich und eil ins Gebirg, forttragend den Vater.

Drittes Buch Aneas erzählt seine Irrfahrten Als nun Asiens Reich und schuldlos Priamus' Völker Waren zerstört nach Götterbeschluß, auch niedergebrochen Iliums Burg, in Staub Neptuns Umwallung zerfallen, Mahnen uns Zeichen von Gott, in weit entlegenen Ländern Auszuspähn ein Exil. Wir baun uns Schiffe zur Seefahrt Unter der Stadt am Hang des Idagebirges, Antandrus, Zweifelnd, wohin es geht, welch Ziel uns winket, und sammeln Unsere Männer zunächst. Kaum war Frühsommer gekommen, Da scheid ich, auf Vaters Geheiß die Segel zu hissen, Weinend vom Heimatland, scheid von den Häfen, den Äckern, Scheid aus Trojas Gebiet. Verbannt ich fahr in die Weite Mit den Gefährten, dem Sohn, den schützenden Göttern des Hauses. Fern ein kriegerisch Land liegt auf unwirtlichem Boden, — Thraker bebauen das Feld —, wo h a r t einst herrschte Lykurgus* Gastfreundschaft wir pflegten und ehrten die gleichen Penaten, Als uns das Glück noch hold. Hier land ich, gründ an dem Ufer» Das ich betrat mit neidischem Glück, der Siedlungen erste, Heiß ÄnSades sie zur Ehre des eigenen Namens.

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III 19—65

Polydors Grab

Opfer ich bring dort dar der Mutter und anderen Göttern Für das begonnene Werk der Stadt und schlachte dem höchsten Herrn der himmlischen Schar den glänzendsten Stier am Gestade. Ein Erdhügel ist nah, des niedrige Höhe gemeinsam Krönten mit dichtem Geäst die Sträucher der Kirsche und Myrte. Als ich steige hinauf und auszieh Ruten vom Boden, Um mit grünem Gezweig Altar und Opfer zu schmücken, Beut sich mir ein entsetzliches Bild, schier Wunder zu nennen. Gleich dem ersten Geäst, das ich ausreiße mit Wurzeln, Siehe, von Blut entfällt manch schwärzlicher Tropfen zur Erde, Die wie mit Jauche sich färbt. Es läuft mir eisiger Schrecken Durch die Glieder und starr drohts Blut in den Adern zu stocken. Wieder ich gehe daran, von anderem Strauch eine Rute Mir zu holen und nachzugehn dem verborgenen Grunde: Schwärzliches Blut entquillet auch ihr in reichlichen Tropfen! Tief im Herzen bewegt ruf ich den ländlichen Nymphen, Ruf zu Vater Gradivus, dem Schutzgott jener Gefilde, Daß sie wenden zum Heil der schrecklichen Zeichen Bedeutung. Als mit größerer K r a f t ich nun die dritte der Stauden Angreif und auf Knien dem Sand entgegen mich stemme — Sag ichs, sag ich es n i c h t ? —, hör aus der Tiefe des Hügels Ich ein klagend Gestöhn und zu mir dringen die Worte: „Was, Äneas, zerfleischst du mich? Schon doch des Begrabnen, Halt doch rein die Hände von Schuld! Mich zeugte ja Troja Nicht dir fremd, nicht tropft dir Blut aus lebendem Holze. Flieh das grausige Land, entflieh dem grimmen Gestade! Zu dir spricht Polydör. Die Saat der Eisengeschosse, Die mich hier durchbohrt' und begrub, aufwuchs sie zu Lanzen." Jetzt von doppelter Angst erst recht in der Seele betroffen, Staunend ich steh, mir sträubt sich das Haar, die Sprache versagt mir. Ihn sandt Priamus einst mit Gold von schwerem Gewichte An den thrakischen Freund zur Obhut heimlich und Pflege, Da Dardaniens Waffen und Glück nicht mehr er vertraute Und die Berennung der Stadt schon f r ü h im Geiste voraussah. Als es gekommen dahin und die Macht der Teukrer gebrochen Schlägt der Thraker sich gleich ehrlos auf die Seite der Sieger Und bricht heiligstes Recht. Er tötet das Kind und bemächtigt Sich mit Gewalt des Golds. Wozu nicht treibst du die Menschen,

III 57—92 Delus Höllischer Hunger nach Gold?

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K a u m hat der Schreck mich verlassen, Bring vor den Vater zuerst und vor des Volkes Berater Ich der Warnungen Graus und m a h n zur Äußerung alle. Sie sind einig darin: wir fliehn das verruchte Gestade, Fliehn das geschändete Recht und lassen dem Winde die Segel. Neu wir machen das Grab Polydors und werfen von Erde Auf ein mächtiges Mal; errichten Altäre den Manen, Dicht von düsteren Binden und dunkler Zypresse beschattet. Rings stehn troische Fraun, nach Brauch die Haare gelöset. Weihguß bringen dem Toten wir dar und spenden aus Schalen Milch und Blut aufs Grab. Wir grüßen die Seele, gebettet Wie sich gebührt, dreimal ihr rufend zum ewigen Abschied. Kaum daß wieder vertraun wir dem Meer, d a ß die Winde verheißen Ruhige F a h r t und säuselnder Hauch uns lockt in die Weite, Ziehn die Genossen die Schiffe vom Land in geschäftiger Arbeit. Fort vom Hafen es geht, vorbeifliehn Länder und Städte. Grad in der Mitte des Meers ragt auf ein liebliches Eiland, Heilig dem Gotte Neptun und der Mutter der Nereustöchter, Das einst schwamm auf der Flut, bis daß es d a n k b a r Apollo Fest an Mykonos band und Gyarus, felsigen Inseln, Und der Bebauung erschloß, nicht mehr von Stürmen erschüttert. Hier umfängt uns Müde die friedliche Stille des Hafens, Hier wir steigen an Land und verehren die Stadt des Apollo. Anius, König zugleich und Priester des delischen Gottes, Kommt, mit Binden geschmückt und Apollos heiligem Lorbeer, Uns entgegen, erkennt den längst ihm teuren Anchises. Als Gastfreunde begrüßen wir uns und betreten die Häuser. Gleich zum Tempel ich geh, dem alten, errichtet aus Felsstein: „Gib, Thymbräer, ein eigenes Heim, gib Mauern den Müden, Schenk Nachkommen und bleibenden Sitz, schütz Troja, das zweite, Schütz uns, die der Danaer Schwert, der Pelide verschonte! Wer soll f ü h r e n ? W o h i n ? Wo sollen die Stadt wir e r b a u e n ? Gib ein Zeichen f ü r uns und laß dein Wort uns erleuchten!" K a u m hab dies ich gesagt, da sehn wir alles erbeben, Hain und Tempel des Gotts, sehn rings den Berg sich bewegen, Aus dem geöffneten Schlund tönts uns wie Brüllen entgegen.

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III 9 3 — 1 3 0

Kreta

Nieder wir werfen uns fromm und lauschen dem göttlichen Spruche: „Dardanus' starkes Geschlecht, das Land, das euere Wiege W a r und des Stamms Ursprung, wird euch am Busen mit Freuden Hegen, wenn heim ihr kehrt. Forscht nach der Mutter, der alten! Dort des Äneas Haus wird allen Gestaden gebieten, Er, die Söhne der Söhne, wer a b s t a m m t wieder von diesen." Also der G o t t ; in jubelndem Ruf macht Luft sich ein jeder, Jeder sich fragt und forscht, wo denn die Mauern zu finden, Wohin Phöbus sie weist, wo Heimkehr winkt den Verbannten. J e t z t hebt an der Vater, der alten Berichte gedenkend: „ H ö r t , ihr Fürsten, mir zu, von mir lernt euere Hoffnung! Kreta, des J u p p i t e r Land, liegt weit als Insel im Meere; Dort ragt Ida, der Berg, der Stammsitz unsres Geschlechtes. Hundert an Städten sie zählt, um sie rings blühende Reiche. Teuker, der Ururahn, wenn recht ich Gehörtes behalten, Zu Rhöteums Gestad von dort kam, erster der Fremden, Wählte das Land zum Sitz. Noch stand nicht Troja, noch ragte Nicht die Pergamaburg. Man wohnt' im Grunde der Täler. Kybeles Kult herstammt, das Erz korybantischer Becken, Idas Hain aus Kreta, von hier der Göttin Geheimdienst, Auch das Löwengespann am Thron der Mutter der Götter. Auf drum, folgen wir froh, wohin uns weiset Apollo! Opfern den Winden wir gleich zur Fahrt nach Gnosus' Gefilden. Nicht gar weit ist der Weg; sofern uns J u p p i t e r beisteht, Grüßt uns nach zweitägiger Fahrt die Küste von K r e t a . " Hierauf schlachtet er gleich die gebührenden Tiere den Göttern: Dir einen Stier, Neptun, auch dir, du schöner Apollo, Dir, Sturmgott, ein schwärzliches Lamm, euch, Zephyrn, ein weißes. Idomeneus — so geht das Gerücht — hab flüchtig verlassen Kreta, sein Heimatreich, leer sei die Küste der Insel, Frei die Häuser vom Feind und offen die Sitze f ü r Fremde. Aus Ortygias Bucht gehts fort, die Segel uns tragen Rasch am schwärmenden Naxus vorbei, dem grünen Donysa, An Olearus, Parus, den weit verstreuten Kykladen, Durch die Brandungen hin, die rings die Klippen umtosen. Bald nach freierer Fahrt tönt hell das Rufen der Schiffer: „Auf nach Kreta, voran, dem Eiland unserer Ahnen!" Günstiger Wind uns treibt; er bläst im Rücken der Schiffe,

I I I 131—168

Pest auf Kreta

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Und so landen wir bald am Strand der alten Kureten. Eifrig ich leg den Ring zum Schutze der Stadt, der ersehnten, Pergama heiß ich sie. Das Volk, sich freuend des Namens, Mahn ich, zu lieben die Stadt, ihr aufzurichten die Hochburg. Fast schon fertig wir sind: an Land schon liegen die Kiele, Mit Ehschließungen schon ist dort die Jugend beschäftigt, Ich mit Ordnen des Lands und Rechts, als gliederverzehrend, Tödlich für Baum und Saat uns heimsucht giftiger Pesthauch Aus verdorbener Luft und bringt ein J a h r der Vernichtung. W e r nicht erliegt dem Tod, schleppt hin die mageren Glieder; Unfruchtbar macht Acker und Hang die Hitze des Hundsterns, Dürr die Wiese, den Wald, E r t r a g nicht bringen die Felder. Wieder nach Delus zurück will uns zu Phöbus' Orakel Schicken der Vater sogleich, ihn anzuflehn um Erbarmen: Welch ein Ziel er gesetzt dem Unheil; gegen die Geißel W o zu finden sei R a t , wohin zu steuern die Schiffe. Nacht ists; Schlaf umfängt all das, was lebet auf Erden. Da mir erscheinen im Traum die heiligen Bilder der Götter, Mir die Penaten, die selbst aus Trojas Brand ich gerettet. Mir vor Augen sie stehen am B e t t ; leibhaftig erkennbar Macht sie der Vollmondschein, der unvermindert an Klarheit Einströmt durch die Fenster und Helle des Tages verbreitet. Dann auch Raunen ich hör, das mich entlastet der Sorge: „ W a s in Ortygia dir der Gott selbst würde verkünden, Meldet er hier durch uns, von ihm als Boten gesendet. Wie von Ilium dir und deinen Genossen wir folgten, Wie wir furchten die See mit dir, wohin du auch führtest, Werden wir auch erhöhen die künftigen Enkel zu Göttern, Werden das Weltreich geben der Stadt. Darum gründe für Große Groß du die Stadt und gib nicht auf die Mühen der Irrfahrt. Ändern den Sitz du mußt. Nicht wollt zu diesem Gestade Führen der Delier dich; nicht sollst du Kreta besiedeln, Nein, Hesperien heißt das Land in griechischem Munde, Alt und waffengeübt und reich an Schätzen der Scholle, Von Önotrern bewohnt; Italien haben, so sagt man, J ü n g e r e dieses genannt zum Ruhm des Namens des Führers. Dies das Land, das unseres Stamms, des Dardanus Heimat. A u c h Iäsius stammt von hier, Urahn des Geschlechtes.

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III 169—206

Abfahrt v o n Kreta

Auf drum, kündige froh, was wir dir sagten, dem Vater Als unumstößlich Gebot; er soll aufsuchen Kortona Und der Aüsoner Land; versagt sind Kretas Gefilde." Wirr von solchem Gesicht und bestürzt vom Raunen der Götter — Denn nicht war es ein Traum, nein, greifbar sah ich die Mienen, Sah die Binden im Haar, sah vor mir stehen die Bilder, Fühlte den eisigen Schweiß, in den mein Körper gebadet —, Spring vom Lager ich auf, streck hoch zum Himmel die Hände Betend empor und gieß den T r a n k von lauterem Weine Aus auf den Herd. Nachdem ich froh vollendet das Opfer, Eil zum Vater ich gleich und bericht ihm alles getreulich. Des zwiespältigen Stamms, der doppelten Ahnen gedenkend, Sieht er sich wieder getäuscht: er hat die Länder verwechselt. Dann er mir sagt: „Mein Sohn, den geprüft hat Iliums Unglück, Einstmals sagte voraus uns solch ein Schicksal Kassandra. Damals hat sie gemeint — klar seh ichs — unsere Sippe, N a n n t Hesperiens bald, bald auch Italiens Namen. Doch wer hätte geglaubt, daß je Hesperiens Küste Troern bestimmt zum Ziel? Wer traute der Seherin Sprüchen? Geben Apoll wir nach, folgsam dem besseren Rate!" Dieses er sagt, dem Wunsch voll Freud wir alle gehorchen. Also scheiden wir auch von hier — nur wenige bleiben —, Hissen die Segel und bald sind wir auf offenem Meere. Als wir ferne genug, daß Land mehr nirgend zu sichten, Himmel nur um uns ist, um uns nur spiegelnde Fläche, Ziehn sich über uns bald grauschwärzliche Wolken zusammen, Nacht uns kündend und Wind, kraus wird der finstere Spiegel. Alsbald wühlet der Sturm im Meer, hoch steigen die Fluten, Auseinander uns jagt allsamt der wütende Strudel, Wolken verhüllen den Tag, Nacht raubt uns völlig den Himmel, Aus zerrißnem Gewölk unzählbar zucken die Blitze. Wir verlieren den Kurs, pfadlos wir treiben im Meere. Selbst Palinurus gesteht, er könn nicht scheiden am Himmel Tag und Nacht, nicht finden den Weg inmitten der Fluten. So drei Tage hindurch umher wir irren im Meere, Nebel die Sonne verbirgt, kein Stern uns hellte die Nächte. Erst am vierten erscheint uns Land in weitester Ferne, Wo wir Höhen und Rauch aufsteigen zu sehen vermeinen.

III 207—244 Die Harpy ¡en

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Segel herab! In die Riemen gelegt! Ohn Zögern die Leute Setzen sich ein mit K r a f t und schlagen die schäumige Fläche. Aus Seenot mich gerettet zuerst die Strophaden empfangen, Inseln im ionischen Meer, so genannt mit griechischen Namen, Wo die grause Keläno wohnt mit den andern Harpyien, Seit sich ihnen verschloß der Palast des thrakischen Phineus, Und vor Furcht sie verließen den Tisch des duldenden Blinden. Scheußlich wie sie gibts nichts; kein Untier, grauser als jene, Kam aus stygischer Flut, keine Pest, kein böserer Dämon. Vögel es sind jungfräulichen Haupts, doch ekelerregend Ist der Gedärm' Unrat, die Krallen der Hand, des Gesichtes Blässe vor Gier. Als im Hafen wir sind, sieh da, welch fröhlicher Anblick! Weit auf Feldern zerstreut sehn wir viel grasende Rinder, Sehn der Ziegen Geschlecht ohn Hirt abweiden die Wiesen. Drein mit dem Schwert wir hauen; die Götter mit Juppiter laden Wir zum Opfer und Mahl; am krummen Gestade wir rüsten Pfühl und Tisch und freuen uns all des erlesenen Schmauses. Da mit schrecklichem Schwung von den Bergen herab die Harpyien Stürzen sich her auf uns; im Schlag der mächtigen Flügel Raffen sie viel vom Mahl, den Rest sie widrig besudeln; Schrilles Geschrei tönt laut und Gestank verpestet die Lüfte. Drauf an stillerem Platz wir jetzt aufstellen die Tische Unter dem hohlen Gestein im Schutz weitschattiger Bäume Und entzünden aufs neu die Flammen der Opferaltäre: Wieder erbraust die Luft; aus unsichtbaren Verstecken Stürmt die schreckliche Schar, umfliegt mit gierigen Krallen Schändend das Mahl. Nun heiß ich schnell die Waffen ergreifen, Um den grausigen Feind zu bestehn in richtigem Kampfe. W a s ich geheißen, geschieht: im Gras sich stellen die Mannen Auf mit gezogenem Schwert und decken sich hinter den Schilden. Als nun wieder die Luft erdröhnt am gebuchteten Ufer, Gibt ein Zeichen Misen — er stand auf luftiger Höhe — Gleich mit ehernem Horn. Im Kampf, der völlig uns neu war, Suchen die widrige Schar wir fortzutreiben der Vögel. Doch kein Stich das Gefieder verletzt, kein Eisen den Rücken; Schleunige Flucht entführt sie hoch in die Wolken, es bleiben Unratspuren zurück und die halbverschlungene Beute. T r e n d e l e n b u r g , Virgils Aeneis.

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III 245—282

Kelänos Prophezeiung.

Aktium

Eine, Keläno, nur noch sitzt auf spitziger Klippe Und enthüllet mit Unglücksmund uns also die Z u k u n f t : „Krieg gar führet ihr noch für den Mord an Stieren und Färsen, Enkel Laomedons i h r ? Mit dem Schwert wollt ihr uns bekämpfen, Uns Unschuldige fort aus unserem Reiche verjagen? Merkt drum auf mein Wort und bewahrt im Herzen die Rede! Was der Vater des Alls dem Apoll, was Phöbus Apollo Mir hat wieder vertraut, künd ich, der Furien Größte. Nach Italien geht die Fahrt mit Hilfe der Winde, Dies euch winket als Ziel, und dorthin werdet ihr kommen. Doch nicht früher die Stadt ihr dürft umgeben mit Mauern, Eh euch Hunger nicht zwingt, rings anzunagen die Tische, Aufzuessen mit Gier. So büßt ihr unsre Bekämpfung." Sagts, schwingt stürmisch sich auf und entgeht im Walde den Blicken. J ä h vom plötzlichen Schreck wird starr das Blut den Genossen, Allen entsinkt der Mut; nicht mehr mit Waffen ertrotzen Heißen sie Frieden fortan, nur noch durch Gelübde, Gebete, Seis daß Göttinnen sie, seis daß sie widrige Vögel. Vater Anchises hebt vom Gestad zum Himmel die Hände, R u f t sie wie Göttinnen an und gelobt die würdigsten E h r e n : „Himmlische, Drohungen spart, schützt uns vor solcher Erfahrung, Friedlich uns Frommen euch zeigt!" Dann heißt er lösen das Haltseil, Heißt aufwickeln die Taue, sie fertig machen zur Abfahrt. Südwind treibt uns voran; wir fliehn auf schäumenden Wogen, Wie die Winde den Lauf und die Lenker der Schiffe bestimmen. Auf der Höhe der See sich zeigt das waldge Zakynthus, Auch Dulichion, Same, des Neritos zackige Gipfel. Schnell an Ithaka gehts vorbei, dem Reich des Laertes, — Wir verwünschen das Land, das Ulyß, den bösen, erzeugte. — Bald auch tauchen empor Leukätes wolkige Spitzen Samt dem Tempel Apolls, mit Recht von Schiffern gefürchtet. Aktium ist uns Ziel und müd wir landen beim Städtchen. Hier vor Anker wir gehn und fest wir legen die Schiffe. Als so glücklich wir hier und wider Erwarten gelandet, Säubern wir uns, entzünden für Juppiters Opfer den Altar, Feiern sodann das ilische Spiel am aktischen Ufer. Nackt und triefend von Öl f ü h r t aus die heimischen Kämpfe Unsere Jugend, erfreut, so vielen der griechischen Städte

III 283—320

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Äneas und Andromache

Heil entronnen zu sein und auf feindlicher Erde zu rasten. Wieder ist hin ein J a h r im Lauf der rollenden Sonne, Wieder der eisige Sturm wühlt auf von Norden die Wogen. Drum ich hefte den Schild, die Wehr des wackeren Abas, Vorn an die Pfosten Apolls und grab ein folgende Zeile: „Hier den Schild von Danaern weiht, den Siegern, Äneas." Bald ich heiße vom Port abziehn, die Schiffe besteigen. Eifrig bewegt im T a k t die Jugend die rauschenden Ruder. Schon entschwinden dem Blick die luftigen Höhn der Phäaken, Kommt Epirus in Sicht, in Sicht Chaöniens Hafen Und wir nähern uns schnell Buthrötums felsiger Höhe. Hier überrascht uns bald ein Gerücht, unglaublich zu hören: Helenus, Priamus' Sohn, sei Herr der griechischen Städte, H a b des Pyrrhus Gemahl, zugleich sein Szepter gewonnen, Wieder Andrömache sei vermählt einem heimischen Gatten. Staunen mich f a ß t , mich f a ß t ein unüberwindlich Verlangen, Anzureden den Mann, so wichtige Wendung zu hören. Fort vom Hafen ich geh, den Strand und die Schiffe verlassend, Grade wie Hektors Grab- vor der Stadt Andromache schmücket, Ausgießt Spenden im Hain an Simois' Ufer, des falschen, Darbringt feierlich Opfer, auch a u f h ä u f t Grabesgeschenke Und die Manen a n r u f t . Leer ist aus Rasen errichtet Ihm Grabhügel und Doppelaltar, Ursache der Tränen. Als mich nahen sie sieht, an mir die troische R ü s t u n g W a h r n i m m t , kommt von Sinnen sie fast, und dieses Erlebnis Macht im Schauen sie starr, vom Antlitz weicht ihr die Farbe. Fast zusammen sie bricht und spät erst findet sie W o r t e : „ I s t das deine Gestalt? Nahst als wahrhaftiger Bote, Göttinentsprossener, d u ? Lebst d u ? Doch bist du nur Schatten, Künde, wo Hektor weilt!" Nicht kann sie hemmen die Tränen, Laut erfüllt sie mit Klagen den Hain. Nur weniges sagen Kann der Rasenden ich, verwirrt nur stammeln die W o r t e : „Wahrlich, ich leb, doch nur, um äußerste Leiden zu dulden. Zweifle nicht! W a h r ist, was du hier siehst. Ach, welch schrecklicher Schlag hat dich des Gatten b e r a u b e t ? Oder ward dir zuteil ein Los, wie deiner es w ü r d i g ? Teilst du, des Hektor Weib, denn jetzt mit Pyrrhus das Lager? Nieder sie schlägt den Blick und spricht mit stockender Stimme: 4*

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III 3 2 1 — 3 5 8

Helenus

„Eine doch nur trafs gut von all den Priamustöchtern, Der am Grabe des Feinds m a n unter den Mauern von Troja Gab den Tod! Nicht warf man um sie des Loses Entscheidung, Nicht als Sklavin sie braucht im Bett zu liegen des Siegers. Ich nach Iliums Fall m u ß t weithin Meere befahren, Mußt achilleischem Stolz, m u ß t ihm, dem Jüngling, mich fügen, Der mich Sklavin zur Mutter gemacht. Als dann er Verbindung Mit Hermione sucht, dem Königskinde von Sparta, Läßt er Helenus mich, dem Sklaven zu dienen als Sklavin. Pyrrhus erliegt dem Tod. Denn Orest, von Liebe bezwungen Zur entrissenen Braut, von Furien wieder gepeitschet, Tut ab N6optol6m, grad am Altare des Vaters. Ein Teil seines Gebiets geht drum auf Helenus über, Das dem Fürsten gebührt. Chaönien heißt er das Ganze Nach Chaon, dem Troer, erbaut ein Pergama selber Und verpflanzet hierher auf die Höh die troische Stadtburg. Doch dich f ü h r t e hierher welch Wind, welch Walten des Schicksals? Oder verschlug ein Gott dich blind an unsere K ü s t e ? Mit Iullus wie s t e h t s ? Ist er am Leben geblieben? Den dir in Troja bereits Macht sich Sorge das Kind um seine verlorene M u t t e r ? Ist denn Äneas ihm, ist ihm schon Hektor, sein Oheim, Vorbild männlichen Tuns, ein Beispiel alter Bewährung?" Fragen auf Fragen sie häuft und läßt den Klagen und Tränen Ihren vergeblichen Lauf — da kommt mit großem Gefolge Her von der Stadt im Zug selbst Helenus, Priamus' Sprößling. Gleich er die Seinen erkennt, f ü h r t froh uns fort zum Palaste Und im Gespräch mit uns vergießt er reichliche Tränen. Rüstig voran ich schreit und grüß mein kleineres Troja, Ganz nach dem großen gebaut, grüß X a n t h u s ' durstiges Flußbett, Grüß das skäische Tor und küß die heimische Schwelle. Auch die Teukrer der Stadt sich freun als ihrer Bekannten. Ihnen bereitet Empfang in geräumigen Hallen der König. Mitten im Hof man bringt dem Weingott fröhliche Spenden, Speisen auf goldnem Geschirr und hält in Händen die Schalen. Schnell ist vorbei der Tag. Am zweiten uns laden die Winde Ein zur Fahrt, sich blähn im günstigen Hauche die Segel. Da wend ich an Helenus mich und stelle die Fragen:

III 359—396 Helenus' Rat

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„Trojageborener Fürst, der du das Walten des Phöbus Kennst und den pythischen Gott, den klarischen Hain, die Gestirne, Kennst der Vögel Gekreisch und weißt zu deuten die Flüge, Sag mir — günstgen Verlauf voraus ich ahne der Seefahrt; Denn als Götterbefehl mir ward von allen verkündet, Daß aufsuchen ich sollt Italiens fernes Gestade; Einzig sagte voraus mir ein grausam Zeichen Keläno, Unfaßbar, und traurigen Zorn verhieß sie der Götter, Hunger der widrigsten Art —, was hab als erste Gefahren Ich zu meiden und wie soll ich so Bitteres d u l d e n ? " Erst bringt Helenus dar nach Brauch ein Opfer von Färsen, Betet um Frieden sodann, legt ab die heiligen Binden Vom ehrwürdigen Haupt, führt mich zum Tempel Apollos, Wo mich Schauer durchbebt, so nah der mächtigen Gottheit, Und weissagt als Priester, beseelt von göttlichem Anhauch: „Sohn der Göttin, dich f ü h r t — klar zeigt sichs — höherer Wille Über die See; dein Los lenkt selbst der König der Götter, Läßt abrollen den Lauf und bestimmt die Folge der Dinge. Weniges nur aus vielem, damit dem gastlichen Meere Sichrer entgegen du fährst und erreichst Ausoniens Hafen, Darf andeuten ich dir. Die Schicksalsgöttinnen hindern Helenus, mehr zu ersehn, K u n d t u n verbietet ihm Juno. Fern ist dir Italien noch, das nahe du wähnest, Fern die Häfen, die dir als benachbart scheinen erreichbar, Unwegsam der Weg, der noch dich trennet vom Ziele. Eh anlegen du kannst die Stadt an sicherer Stelle, Mußt Trinakrias See vorher du schlagen mit Rudern, Mußt Ausoniens Flut vorher zu Schiffe durchmessen, Auch den avernischen Teich und der Kirke Gärten besuchen. Zeichen ich kündige dir, halt du sie fest im Gedächtnis. Wenn umdüsterten Sinns du siehst am Bette des Flusses Einst eine kräftige Sau, vom Laub der Eichen beschattet, Die die stattliche Zahl von dreißig Jungen geworfen, Weiß zur Erde gestreckt, weiß auch die saugenden Ferkel, Bist am Platz du der Stadt, hier winkt dirs Ende der Leiden. Auch entsetze dich nicht vorm drohenden Biß in die Tische: Ausweg weiß das Geschick, beisteht dir Helfer Apollo. Doch die Länder in Sicht, die Küsten Italiens meide,

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III 3 9 7 — 4 3 4

Helenus' R a t

Die hier nahe bespült die Flut auch unseres Meeres. All die Städte bewohnt ein S t a m m uns feindlicher Griechen. Hier sich siedelten an opuntische Lokrer aus Naryx, Hier mit Mannen besetzte die sallentinischen Felder Lyktus' Held Idömeneus einst, Petelia baute Hier Philoktet, das weit sichtbar sich s t ü t z t auf die Felswand. J a , wenn jenseits schon du bargst im Hafen die Schiffe, Schon Dankopfer du bringst am Gestad f ü r glückliche Rettung, Auch dann hülle noch ein dein Haar ins purpurne Kopftuch, Daß kein feindlicher Blick dich treff beim flammenden Opfer Und dir störe den Wink, den du von oben erhoffest. Solch ehrwürdiger Brauch bleib dir und Freunden bewahret, Ihm auch bleibe getreu die fromme Gesinnung der Enkel. Kommst von PetSlia dann du nah Siziliens Küste, Lockert sich mehr und mehr die Sperre des engen Pelörum, Mußt du halten dich links, linkshin den weiteren Umweg Machen im Meer, die Fahrt nach rechts sollst streng du vermeiden. Hier sich t r e n n t ' einstmals durch Gewalt und schrecklichen Einsturz — So stark ändert die Zeit das Antlitz mählig der Erde — Land von Land, das ehemals eins und verbunden gewesen Und noch wär, h ä t t nicht die See sich zwischengeschoben, H ä t t Sizilien nicht von Italiens Körper geschieden, Äcker und Städte getrennt durch engaufwallende Brandung. Rechts braust Skyllas Schlund, links unaufhörlich Charybdis, Die dreimal einschlürft die Flut in strudelnden Wirbeln J ä h zur Tiefe hinab und sie, wann wechselt die Brandung, Ausspeit wieder ans Licht und den Gischt aufpeitschet zum Himmel. Skylla jedoch sich birgt im Grund der mächtigen Höhle, Streckt nur die Köpfe heraus, das Schiff auf Riffe zu reißen. Vorn ist J u n g f r a u sie mit Brust und menschlichem Antlitz Bis zur Scham, doch hinten ein Hai von schrecklicher Länge, Wo der Schwanz des Delphins dem Wolfsleib unten sich a n f ü g t . Sichrer es ist, mit Muße, wenn auch auf weiterem Umweg, Sich zu nehmen zum Ziel die sizilische Spitze P a c h y n u m , Als die Skylla zu sehn, das Untier schaurigen Schreckens, Und zu hören das Hundegebell sich brechen am Felsen. Ward mir Helenus klar der Z u k u n f t Kunde beschieden, Füllte mit Wahrheit an den Geist mir Seher Apollo,

III 435—472

Helenus' Rat

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Muß einschärfen ich dir noch eins u n d dieses vor allem Wieder u n d wieder dir sagen u n d s t e t s von neuem dich m a h n e n : Bete zur J u n o f r o m m , fleh an ihr W a l t e n vor allem, Sie mit Gelübden bedenk, s t i m m u m die mächtige Herrin Durch der Opfer Geschenk: n u r so wirst endlich du siegreich Lassen T r i n a k r i a s S t r a n d , Italiens K ü s t e gewinnen. Bist am Lande du d o r t , h a s t K u m ä s Mauern erreichet, Auch die heiligen Seen u n d A v e r n u s ' rauschende W ä l d e r , Findest die Seherin du, die, voll des Gottes, in G r o t t e n Singt das Geschick und B l ä t t e r beschreibt m i t Zeichen und W o r t e n . W a s dem flüchtigen L a u b sie v e r t r a u t an göttlichen S p r ü c h e n , O r d n e t sie d a n n nach der Zahl und läßts im Berge verschlossen. Alles am Platze verbleibt, nichts s t ö r t die richtige Folge. D r e h t sich aber die T ü r , dringt ein von a u ß e n ein L u f t h a u c h Und b r i n g t s zarte Gehäuf des Laubs ein W i n d d u r c h e i n a n d e r , D a n n nicht k ü m m e r t es sie, die fliegende Spreu zu b e k ä m p f e n , Herzustellen die Reihn, die Sprüche z u s a m m e n z u o r d n e n : Ohne Bescheid du gehst voll H a ß auf den Sitz der Sibylle. Schlage so hoch nicht an den Verzug u n t ä t i g e r S t u n d e n , M u r r t die J u g e n d auch sehr, r u f t auch zur schleunigen A b f a h r t E u c h die ruhige See, schwellt günstiger W i n d auch die Segel, M a h n t v o m Besuch dich ab, dich a b von der Seherin S p r ü c h e n : T r o t z d e m singe sie dir u n d enthüll dir willig die Z u k u n f t . D a n n dir k ü n d e n sie wird von Italiens Völkern, den Kriegen, Die zu bestehen du hast, wie du t r ä g s t die Leiden und meidest. Hast du so sie verehrt, schickt sie dir günstigen F a h r w i n d . Das ist, w a s mir erlaubt, dir v o r z u k ü n d e n als Seher. Mache dich auf! Durch T a t e n erheb zum Himmel d u T r o j a ! " Als prophezeit so viel dem F r e u n d der Seher und König, L ä ß t er G a b e n , gefügt aus Gold und geschnittenem S t o ß z a h n , Bringen a n Bord, v e r s t a u t im Schiffsraum Silbergeschirre, K o s t b a r u n d viel, f ü g t bei noch dodonäische Kessel, Auch den P a n z e r aus Ringeln gereiht dreifältigen Golddrahts, U n d den herrlichen Helm mit Kegel u n d w e h e n d e m Busche, W a f f e n des Neoptolem. Nicht fehlts an Geschenken dem V a t e r . P f e r d und W ä r t e r noch f ü g t er hinzu. A u c h die Ruderer werden ergänzt, m i t allem versehen. N u n heißt fertig zur F a h r t Anchises alle sich m a c h e n ,

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III 473—510

Der Troer Abschied von Helenus

Daß bei günstigem Wind an Zeit nichts werde verloren. Ehrfurchtsvoll an ihn sich wendet der Seher des Phöbus: „Edler Anchises du, des Betts von Venus gewürdigt, Göttergeliebter, dem Fall von Troja doppelt entrissen, Dort du schaust Ausoniens Land. Hiß eilig die Segel! Aber was nah hier liegt, an dem du fahre vorüber; Denn das Land, das Apollo verhieß, liegt weit in der Ferne. Mach dich, Glücklicher, auf! Du bists durch Liebe des Sohnes. Was soll Weiteres n o c h ? Aufschub nicht dulden die Winde." Auch Andromache bringt, den Schmerz des Scheidens bekämpfend, Bunt durchwirkte Gewebe herbei mit goldenem Einschlag Und ein phrygisch Gewand für Askanius. Helenus nachstehn Möchte sie nicht und sagt, die Decken und Teppiche h ä u f e n d : „Nimm auch dieses, mein Sohn. Was ich mit Händen gewoben, Soll dir Erinnerung sein und Andromaches Liebe bezeugen, Einst sie Hektors Gemahl. Nimm an die letzten Geschenke, Du, der einzig noch lebt, du meines Astyanax Abbild. Dir an Augen er glich, an Händen, dir glich er im Antlitz, Reifte mit dir zugleich heran zu männlichem Alter." Weinend beim Abschied ruf ich zu den Freunden die W o r t e : „Lebt im Glücke mir fort! Euch ist vollendet das Schicksal, Uns ruft weiter die Fahrt von einem Geschicke zum andern. Euch ist Ruhe beschert, nicht braucht ihr Meere zu furchen, Nicht zu suchen Ausoniens Land, das immer zurückweicht. Vor euch liegt der heimische Fluß, ihr schauet ein Troja, Das ihr selbst mit Händen erbaut zu besserem Schicksal, Hoff ich, minder ein Dorn im Aug feindseliger Griechen. Hab ich dereinst erreicht den Tiber und seine Gefilde, Hab ich die Mauern gesehn, die meinem Geschlechte verheißen, Hab Hesperiens Städte geschaut, die Völker, verschwägert Denen, die nah euch sind, die Dardanus alle zum Ahnherrn Haben und teilen das Los, laßt uns das doppelte Troja Einen im Geist! Die Sorge dafür bleib unseren Enkeln". Weiter nun geht die Fahrt vorbei den keraunischen Klippen, Wo man erreicht auf kürzestem Weg Italiens Küste. Unter die Sonne schon geht und taucht in Schatten die Berge. Als die Wachen verlost, zur Ruh wir strecken die Glieder Aus am Ufer des Meers; auf trockener Düne gelagert,

III 5 1 1 — 5 4 8

I t a l i e n in

Sicht

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Laben wir uns, und bald gießt Schlaf sich nieder auf alle. Noch erreichte die Nacht nicht voll die Mitte des Himmels, Steht vom Lager schon auf Palinur, der rüstige Lenker, Forscht nach jeglichem Wind und hascht mit Ohren den Luftzug, Merkt die Sterne sich all, die still hingleiten am Himmel, Merkt die Hyaden, Arktur, die Zwillingsbilder der Wagen, Schaut nach Orion aus, der im Gold der Waffen erstrahlet. Als am Himmel er sieht die Zeichen beständigen Wetters, Gibt vom Schiff er hell ein Signal; wir lösen das Lager, Hissen die Segel zur F a h r t : fort gehts auf rauschendem Wege. Eben der Morgen erglänzt, nachdem die Sterne geflohen, Als im Nebel wir sehn Italiens Hügel und Küsten. „Heil Italien!" r u f t zuerst mit Jubel Achates, „Heil Italien"! klingt der Gruß von allen Gefährten. Vater Anchises kränzt mit Laub den mächtigen Humpen, Voll von lauterem Wein, und r u f t inbrünstig den Göttern, Stehend am Spiegel des Schiffs: „Götter, ihr Herren des Meers, des Lands, der Stürme Gebieter, Machet den Weg uns leicht und schickt uns glücklichen F a h r w i n d ! " Auffrischt günstig der Hauch, schon t a u c h t der Hafen der Venus Vor uns auf, es erscheint auf der Höh der Tempel Minervas. Segel herab! Man treibt den Bug ans Ufer der Schiffe. Gleich einem Bogen gekrümmt vom Andrang östlicher Fluten, Liegt der Hafen versteckt; zwei Riffe zu Seiten der Einfahrt Schäumen von salzigem Gischt; turmhoch die doppelten Arme Strecken sich vor ins Meer, es weicht vom Ufer der Tempel. Hier als erstes der Zeichen ich seh vier Rosse sich laben Weit im üppigen Gras, am. Fell von schneeiger Weiße. Vater Anchises r u f t : „Krieg bringst du, gastlicher Boden; Krieg mit Rossen man pflügt, solch Pflugvieh Kämpfe bedeutet! Doch da selbiges Tier auch pflegt den Wagen zu ziehen, Und, vom Zügel gelenkt, das Joch einträchtig zu tragen, Deutet auch Frieden es a n " . Ehrfurchtsvoll Opfer wir schlachten, Kriegerin Pallas, dir, die zuerst die Jubelnden a u f n a h m , Und umhüllen dabei das H a u p t mit phrygischem Tuche; Dann, was Helenus uns a u f t r u g als höchste der Pflichten, Zünden das Opfer wir an nach Brauch der Herrscherin J u n o . Als in stetiger Reih vollbracht die Gelübde den Göttern,

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III 549—585

A m Land der Kyklopen

Wenden in See wir ohne Verzug die getakelten Schiffe, Lassen zurück das Land der verdächtigen Stämme der Griechen. Von hier sieht man den Busen Tarents, das Herkules baute, Darf der Sage man traun, das Haus der lakinischen Göttin, Sieht Kauloniens Burg und der Segelnden Feind Skylakeum. Dann steigt hinten schon auf das Bild des sizilischen Ä t n a : Fern schon hört man das Stöhnen der See, das Peitschen der Wogen Gegen den felsigen Grat, die ruckweis brüllende Brandung. Hoch aufwallet der Grund, mit dem Schaum sich mischet der Meersand. Vater Anchises r u f t : „Das hier ist jene Charybdis, Dies das gefährliche Riff, die Klippen, die Helenus meinte. Helft uns, Freunde, heraus, legt all euch fest in die Riemen!" So wie befohlen, geschiehts. Gleich drückt den ächzenden Schiffskiel Scharf Palinurus nach links, ihm folgt voll Eifer die Mannschaft. Linksab schwenket der Zug, was Wind und Ruder vermögen. Bald zum Himmel uns hebt der Springflut wogende Krümmung, Bald zu den Manen hinab wirft uns die stürzende Welle. Dreimal hören den Grund am Fuß wir brüllen der Felsen, Dreimal sehn wir oben den Schaum, die triefenden Sterne. Abflaut jetzt mit der Sonne der Wind, gibt Ruhe den Müden, Und unkundig des Wegs wir gleiten ans Land der Kyklopen. Groß der Hafen, geschützt vorm Zudrang jeglicher Winde, Doch nahbei da donnern des Ätna schreckliche Stürze, Der bald dunkles Gewölk ausstößt zum heiteren Himmel, Das aufwirbelt in Rauch pechschwarz und glühender Asche, Flammende Bäll' ausspeit und hoch leckt bis an die Sterne, Bald Felsbrocken erbricht, die zerrissenen Därme des Berges,. Und ausgießt, in Ströme geteilt, die flüssige Lava, Laut mit Donnergetön aufbrodelnd aus innerster Tiefe. Hier Enkeladus soll, so heißts, vom Blitze getroffen, Liegen, verbrannt am Leib, auf ihn der wuchtige Kegel Drücken und feurige Glut ausspein aus geborstenen Schloten. Stets, sobald er sich dreht, erbeb Siziliens Boden Rings mit Gestöhn und hüll in rauchige Schwaden den Himmel. Damals die Nacht hindurch wir trugen den grausigen Aufruhr, Sicher gedeckt durch Wald, den Grund nicht ahnend des Tosens. Funkelte doch kein Stern und licht nicht wurde der Himmel

III 586—622

Achämenides des Ulixes Gefährte

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Je durch helleren Glanz; dicht ballten sich Wolken zusammen Und in Dunkel verbarg den Mond der neidische Nebel. Schon bricht an der Tag im Glanz des östlichen Sternes, Schon Aurora vertreibt vom Pol die tauigen Dünste, Da kommt eine Gestalt ganz plötzlich hervor aus dem Walde, Seltsam zu schaun: ein Mann, wies scheint, von Hunger entkräftet, Ärmlicher Tracht und streckt die Hände wie flehend zum Ufer. Wir ihn besehn: er starrt von Schmutz, lang wuchert das Barthaar, Voll ist von Dornen der Flaus. Nicht läßt sich ein Grieche verkennen, Der mit Waffen und Wehr einst auch nach Troja gezogen. Als die dardanische Tracht, als er die troische Rüstung Schon von weitem erkennt, da hemmt, wie betroffen vom Anblick, Er ein wenig den Schritt, dann stürzt er eilig zum Ufer, Läßt den Tränen den Lauf und sagt: „Ich rufe zu Zeugen Götter und Sterne, das Licht, bei dem wir atmen, des Himmels, Nehmet mich, Dardaner, auf! Wohin auch immer ihr wollet, Führet mich mit! Nur fort! Ich bin der Danaer einer, Wollt mitstürmen im Krieg, ich gestehs, die troische Veste. Reißt mich entzwei dafür, war das ein solches Verbrechen, Reißt in Stücke mich, streut ins Wasser die blutigen Glieder. Muß ich zugrund denn gehn, seis doch durch menschliche Hände!" Sagts, umklammert die Knie und wälzt sich flehend am Boden. „Sprich, wer du bist, wir mahnen, entsprossen aus welchem Geschlechte, Künd uns, welches Geschick hierher dich traurig verschlagen." J e t z t aus eigenem Trieb reicht ihm Anchises die Rechte Ohne Verzug, ein Pfand, das schnell den Ängstlichen tröstet. Als ihm benommen die Furcht, fängt an er frei zu berichten: „ I t h a k a hat mich gezeugt, bin Diener des schlimmen Ulixes, Nenn Achämenides mich. Arm war Adamästus der Vater, Sonst ich als Dienstmann nie wär mit nach Troja gezogen. Hier mich ließen zurück achtlos die Gefährten, als selber Sie dem Verderben entflohn in der Kluft des grausen Kyklopen, Die, so groß sie war, von Eiter und blutigem Fräße Troff an Wänden und Grund. Er selbst hoch ragt in den Himmel — Blieb doch solches Gezücht erspart, ihr Götter, der Erde! — Anzuschauen nicht leicht noch anzusprechen f ü r Menschen. Blut und der Armen Gedärm ihm diente zu gräßlichem Fräße.

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III 623—660

Polyphem

Hab doch selbst ich gesehn, wie zwei von meinen Gefährten E r mit der Hand ergriff und, lang sich räkelnd am Boden, Gegen den F§ls sie schlug, daß Blut die Wände bespritzte; Hab ihn zermalmen gesehn mit Gier bluttriefende Stücke, Hab die Glieder gesehn aufzucken ihm zwischen den Zähnen. Zwar er büßte dafür; nicht trug solch Wüten Ulixes, Der auch in der Gefahr dran dacht, was Listen vermögen. Als der Kyklop sich gefüllt den W a n s t und voll sich getrunken, Streckt, zur Seite gebeugt den Kopf, er lang sich zur Erde Und fällt tief in Schlaf. E r bricht aus Stücke des Fraßes, Blut und Wein durcheinander gemischt. Wir flehn zu den Göttern, Losen, was jeder zu tun, umstehn ihn schweigend und bohren Ihm den gewaltigen Pfahl, den unten gespitzten, ins Auge, Das sich unter der Stirn, das einzige, hatte geschlossen, Gleich einem griechischen Schild, groß wie die Scheibe der Sonne. Also rächten wir schwer den Mord der treuen Gefährten. Doch jetzt, Troer, entflieht, entflieht und löset vom Ufer Eilig das Tau. Denn so wie Polyphem die wolligen Schafe betreuet, In die Höhle sie schließt und melkt die strotzenden Euter, Grad so hausen noch Hunderte hier vom Stamm der Kyklopen, Schweifen umher auf den Höhn hier längs des krummen Gestades. Heut zum drittenmal füllt sich schon die Scheibe des Mondes, Seit ich im Wald hier leb auf des Wilds verlassenem Lager, Mein Haus schleppe mit mir und Ausschau halt nach den Riesen. Ach, bei jeglichem Tritt und Ton ich schaudernd erbebe. Nahrung spenden mir, ärmlich genug, die Sträucher an Beeren Und an steiniger Frucht, mich nähren die Wurzeln der Kräuter. Wie nach allem ich schau, seh nahn sich euere Flotte Ich als ersten Besuch; ihr, wer auch immer sie sein mag, Geb zueigen ich mich; nur fort vom Land der Kyklopen! Euch will danken ich selbst den Tod, wenn ihr ihn verhänget". Kaum hat dies er gesagt, sehn wir v o m Gipfel des Berges Wanken herab Polyphem, umringt von Scharen des Kleinviehs. Mühsam schleppt ers Körpergewicht und schleicht zum Gestade, Formlos, hoch, ein Untier wüst, dems Auge genommen. Ein entästelter Stamm dient ihm zum Lenker der Schritte, Schafe Begleiter ihm sind, sie sind ihm einzige Freude,

III 661—698

Rettung der Troer

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Sind sein einziger Trost. Als ers Wasser erreicht, entfernt er weit sich vom Ufer Und wäscht draußen sich aus des Augs blutrünstige Höhlung, Knirschend vor Schmerz und Gram. Fast steht er mitten im Meere, Und noch reichet ihm nicht die Flut zur Höhe der Hüfte. Jetzt wir rüsten ins Weite die Flucht. Wir nehmen den Griechen Mit uns, er ja verdients; still dann wir kappen die Taue, Fegen nach Kräften die Flut und fliehn mit fliegenden Rudern. Aufmerkt jetzt Polyphem und geht in Richtung des Rauschens. Doch da zu fern er ist, mit der Hand die Schiffe zu packen, Auch Schritt halten nicht kann mit uns, durchwatend das Wasser, Stößt er aus ein unendlich Gebrüll, das über die Wogen Hallt mit erschreckender K r a f t bis in Italiens Berge, Furchtbar dröhnen auch macht des Ätna feurige Klüfte. J e t z t stürzt vor aus Wäldern und Höhn das Volk der Kyklopen, Auf durchs Brüllen gestört, und füllt das weite Gestade. Machtlos sie dastehn, umsonst sie rollen das Auge, Brüder des Ätna traun; so hoch sie ragen zum Himmel, Ein entsetzlich Gezücht: wie wenn mit knorrigem Scheitel Eichen sich recken empor zum Pol in Juppiters Hochwald Oder Zypressen, mit Zapfen behängt, im Hain der Diana. Angst uns treibt, über Kopf wohin auch immer zu flüchten, Abzustoßen vom Strand, die Gunst der Winde zu nutzen. Doch des Helenus Rat streng warnte vor Skylla-Charybdis, Mahnt' uns, zwischen hindurch den Weg zu meiden des Todes, Mit dem beide sie dröhn; drum heißt es: zurück mit den Schiffen! Plötzlich erhebt der Nordwind sich aus der Pforte Pelorums, Hilfe für uns. Wir lassen vorbei Pantägias' Felsbucht, Sausen an Megaras Busen entlang und dem niedrigen Thapsus. All dies kannt' Achämenides schon als Ulixes Begleiter, Der mit jenem vorbei hier fuhr, uns zeigte die Stätten. Der sikanischen Bucht, unfern Plemyriums Felsen, Lieget ein Eiland vor, das einst Ortygia nannten Die dort gewohnt. Hierher hab sich, so heißt es, Alpheus, Elis' Strom, durchs Meer ein heimliches Bette gegraben, Um, Arethusa, durch dich Siziliens Meer zu gewinnen. Auf Anchises' Geheiß des Orts Gottheiten wir opfern, Fahren vorbei dann gleich am Sumpf des fetten Helörus,

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III 699—718 Anchises' Tod

IV 1—11 Dido und Anna

Auch am weit vorspringenden Fels des hohen Pachynum. Bald Kamarina wir sehn, das einst in Ruhe zu lassen Mahnte der pythische Spruch; es erscheint die Ebne von Gela, Mit ihr Gela die Stadt, sie heißt nach dem strudelnden Gelas. Steil zeigt Akragas dann die mächtigsten Mauern von allen, Wo die Zucht einst trefflich gedieh der edelsten Renner. Dich dann laß ich zurück, Selinus, Stätte der Palmen, Streif Lilybäums Furt, durch heimliche Klippen gefährlich. Nun nimmt Drepanums Hafen mich auf und rauhes Gestade. Hier wars, wo nach den Leiden der See hingeben ich mußte, Vater Anchises, dich, mein Trost in Qual und Gefahren, Mußt hingeben dem Tod! Hier ließest allein du den Müden, Vater, umsonst mir bewahrt in soviel Stürmen und Nöten! Nicht hat Helenus mir, so viel auch Schlimmes er sagte, Nicht mir Keläno gesagt, daß solch ein Schmerz mich erwarte. Dies wars Ende der Mühe, das Ziel unendlicher Wege! Von hier brachte mich dann ein Gott an euere Küste." So dem lauschenden Kreis erzählt der Vater Äneas W a s ihm Götter verhängt und der Irrfahrt schmerzliche Dauer. Endlich er hier macht Schluß und schweigt, vom Sprechen ermüdet.

Viertes Buch Äneas verläßt Karthago, Dido tötet sich selbst Aber die Königin, längst von quälender Liebe verwundet, Nährt im Herzen die Pein, siecht hin an heimlichem Feuer. Mut des Helden und adlig Geblüt kehrt immer von neuem Ihr in die Seele zurück, tief prägen sich Mienen und Worte Ihr ins Gemüt, nicht läßt ausruhn den Körper die Sorge. Als sich meldet der Tag, Aurora rosig von neuem Aufsteigt und vom Pol die tauigen Dünste verscheuchet, Eilt zur Schwester sogleich, die mit ihr fühlte, die Kranke: „Anna, Geliebte, was schrecken mich doch f ü r ängstliche Träume! Welch unerwarteter Gast traf ein in unserm Palaste, Von welch adliger Art, wie tapfer und trefflich im Kampfe!

IV 1 2 — 4 7

Dido und A n n a

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Wahrlich, ich trau dem Ruf, daß er von göttlicher Abkunft. Zagheit zeugt von niedrer Geburt. Wie vielen Gefahren Setzt' ihn nicht aus das Geschick! W a s könnt' er vom Krieg nicht erzählen! W ä r im Herzen ich nicht so fest in meinem Entschlüsse, Niemals wieder für mich den Bund der E h e zu schließen, Seit mein erster Gemahl mir ward von der Seite gerissen; W ä r in der Seele verhaßt mir nicht das bräutliche Lager, Wahrlich mit ihm könnt ich des Treubruchs Sünde begehen. Anna, gestehn ichs will, seitdem mein armer Sychäus Fand den schmählichen Tod, sein B l u t die Penaten bespritzte, Hat der Fremdling allein mich gebeugt, in meinem Entschlüsse Wankend gemacht. Ich fühl der alten Begeisterung Feuer. Doch es soll mich eher der Schlund der Erde verschlingen Oder des J u p p i t e r Blitz ins Reich mich schleudern des Orkus Zu des Erebus Schatten hinab ins ewige Dunkel, Eh ich deiner vergeß, Keuschheit, und deiner Gebote. Er, mein erster Gemahl, nahm mit sich alle die Liebe, Die für ihn ich empfand; sie soll ihm bleiben im G r a b e . " So sie spricht und erfüllt mit strömenden Tränen den Busen. Anna darauf: „Ach Schwester, die mehr als alles ich liebe, E i n s a m wolltest du so, freudlos die Jugend verbringen, Kennen nicht lernen der Venus Geschenk und liebliche K i n d e r ? Meinst, die Sorge hierum noch quäl die Manen im G r a b e ? G u t ! Einst wiesest zurück du, Kranke, die stolz dich umwarben, Wiesest die Libyer ab, noch früher die T y r e r ; Iarbas Hast du verschmäht und die Führer im Krieg, der Afrika Söhne, Reich an Triumphen: du kämpfst auch gegen die Neigung des Herzens? Hast vergessen du ganz, w o du dich niedergelassen? Gätuler Nachbarn sind, ein Volk, unzähmbar im Kriege, Numider grenzen an uns, die geborenen Reiter, der Syrte Unzugängliches Meer, die dürstende W ü s t e , dann B a r k a s Räubrische Schar. Soll schildern ich dir, mit welchen Gefahren Dich Dein Bruder b e d r o h t ? Hierher nahmen den Lauf, glaub mirs, die troischen Schiffe, Weil ein Gott es gewollt, weil J u n o günstig sich zeigte. Wie wird wachsen die werdende S t a d t , das Reich dir gedeihen,

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IV 48—85

Didos Liebesqual

Hast du solchen Gemahl! Von Waffen der Teurer begleitet, W a s für Taten damit vollbringt der punische Krieger! Bitte die Götter um Gunst, bring ihnen die heiligen Opfer, Nimm dich des Gasts nur an, denk aus dir Gründe des Zögerns, Zeig aufs stürmische Meer, warn vor dem feuchten Orion, Daß noch die Schiffe nicht heil, daß noch unfreundlich der Himmel". So facht an sie die Glut, die schon im Herzen entbrannte, Nimmt der Bangen die Scham und gibt der Zweifelnden Hoffnung. Erst man die Tempel besucht, fleht an den Altären um Frieden, Dann zweijährige Schafe nach Brauch man schlachtet, erlesne, Ihr, der Ceres, die Menschen vereint, dem Phöbus, Lyäus, Junon allen voran, des Ehbunds mächtiger Herrin. Bald nimmt selbst die Schale zur Hand die strahlende Dido, Um zu besprengen die Stirn der schneeweiß schimmernden Färse, Bald lenkt selber den Schritt sie zu den fetten Altären, Weiht mit Gaben den Tag, schaut an die geöffneten Tiere, O b nicht Zeichen sie find im dampfenden Innern der Opfer. Ach wie fad sind Künste der A r t ! W a s hilft denn der Armen Alles Geloben, Gebet? Still zehrt indessen die Flamme Weiter an Mark und Bein, nicht heilt im Herzen die Wunde. Dido fühlt die brennende Qual, durchirret die Straßen Ruhlos alle der Stadt. So schweift verwundet die Hindin, Die von ferne der Hirt, schuldlos, beim Proben des Bogens Anschoß im kretensischen Wald auf sicherer Weide. Er im Körper ihr ließ den Pfeil, nicht ahnend die W u n d e ; Hastig sie flieht durch Horst und Hain, das Rohr in der Flanke. Bald die Königin f ü h r t durch die Stadt den troischen Helden, Weist ihm tyrische Pracht, was f ü r ihn alles bereitet, Will ihm sagen davon, hält inne jedoch im Erzählen; Dann bei sinkendem Tag zum Mahl ihn wieder sie ladet, Wieder beseelt vom Wunsch, von Trojas Leiden zu hören, Wieder gespannt sie hängt am Mund des schönen Erzählers. Haben sich beide getrennt, wenn schon im Schwinden der Mondschein Und sie mahnen an Schlaf die sinkenden Lichter des Himmels, Klagt sie fort im öden Gemach, das Pfühl sich erwählend, Das er eben verließ. Noch jetzt sie höret und sieht ihn, Hält noch jetzt im Schöße den Sohn, vom Bilde des Vaters Völlig gebannt, ob täuschen sie könnt der Liebe Verlangen.

IV 8 6 — 1 2 2

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Juno und Venus

Nicht wächst mehr der begonnene Turm, nicht übt sich die Jugend Mehr in den Waffen, nicht baut man fort am Hafen, am Damme: Überall stockt unterbrochen das Werk, die mächtigen Mauern Drohn als Trümmer nur noch, kahl ragen die hohen Gerüste. Kaum wird Juppiters Gattin gewahr der Königin Qualen, Denen auch Einhalt nicht das Gespräch der Leute gebietet, Wendet an Venus sie sich alsbald mit folgender Rede: „Wahrlich ein großer Triumph ists euch und rühmliche Beute, Dir und dem Sohn, ein Sieg, in göttlichen Hymnen zu preisen, Wenn ein sterbliches Weib erliegt der Unsterblichen zweien! Nicht mir entgehts, wie dich, durch unsere Mauern geängstigt, Mit Mißtrauen erfüllt die Pracht des hohen Karthago. Aber der Feindschaft Ziel? Wozu brauchts unsrer Entzweiung? Weshalb fördern wir nicht die Eintracht förmlicher E h e ? Hast doch erreicht du schon, was du nach Kräften erstrebtest: Dido brennt vor Begier, ins Mark ihr drangen die Pfeile. Laß uns gemeinsam drum das Volk hier lenken, gemeinsam Herren hier sein! Es mag der Tyrer fronden dem Phryger Und des Ehbunds Mitgift sein, den du ja gestiftet." Venus entgegnet darauf — sie merkt, daß jene nur heuchelt, Daß Italien sie mit Libyen möchte vertauschen — Dies mit listigem Sinn: „Wer könnt so töricht wohl handeln, Daß er sich sperrte dem Plan und Kampf vorzöge dem Frieden? Möchte nur, was du willst, vom Glück auch werden begünstigt! Doch nicht sicher ich weiß, ob Juppiter wider das Schicksal Wünscht, daß gemeinsam sei die Stadt den Tyrern und Troern, Daß sie sich teilen darin und Vertrag abschließen für ewig. Du bist Gattin, du darfst auf die Prob' ihn stellen durch Bitten. Führ, ich folge dir gern!" Zusagt schnell Königin J u n o : „Ich übernehme die Müh. Merk auf, daß ich dich belehre, Wie zum besten gelingt, was auszuführen uns obliegt. Eben sich Dido rüstet, zur Jagd zu gehn mit Äneas Tief in den Hain, sobald die frühesten Strahlen der Sonne Tauchen am Ostrand auf unds nächtige Dunkel verscheuchen. Während die Schar ausschwärmt, umstellt die Schluchten des Berges, Will aus schwarzem Gewölk ich Ströme von Regen und Schlössen Auf sie gießen herab, die Luft soll dröhnen vom Donner: T r e n d e l e n b u r g , Virgils Aeneis.

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IV 123—160

Aufbruch zur Jagd

Auseinander man stiebt, Nacht deckt das ganze Gelände. Zuflucht findet der Held im selben Gewölbe mit Dido, Wo, wenn anders du mir beistimmst, ich beide verbinden Will zu dauernder Eh und ihm sie geben zu eigen. Hochzeit feiern sie hier". Nicht tritt ihr Venus entgegen, Zeigt sich bereit und lacht des klug ersonnenen Planes. Aus dem Ozean steigt empor inzwischen das Frührot, Und den Toren entströmt zur Jagd die rüstige J u g e n d : Netze man sieht zum Stellen und Fang, langspitzige Speere, Reiter numidischen Schlags, spürnasige Rüden in Koppeln. Nur die Königin weilt noch im Haus. Am Eingang erwarten Sie die Fürsten der S t a d t ; im Schmuck des Goldes und Purpurs S t a m p f t der Zelter und beißt ruhlos die schäumende Trense. Sieh, da tritt sie heraus, ihr nach ein großes Gefolge. Prächtig sie hüllt ein tyrisch Gewand mit gestickter Verbrämung, Golden ihr Köcher erglänzt, erglänzt die Binde des Haares, Golden das Purpurkleid hält fest am Busen die Spange. Auch die phrygische Schar, mit ihr Iullus sich tummelnd, Kommt nun heran. Äneas selbst, der schönste von allen, Schließt als Begleiter sich an, vorauf dem Zuge der Seinen. Wie wenn Lykien meidet Apoll und die Mündung des Xanthus, Wann der Winter geflohn, aufsucht das heimische Delus, Wo zu Reigen vereint, wo gemischt an allen Altären Kreter und Dryoper jubeln und Skythen mit bunten Gesichtern. Selbst er wandelt einher auf den Höhn des Kynthus, bekränzet Dicht das wallende Haar mit Laub und goldener Binde; Klirrend der Köcher ertönt: ihm gleich hinschreitet Äneas, Gleich ihm leuchtet das Haupt, umstrahlt vom Glänze der Schönheit. Kaum ist erreicht das Tal, die heimlichen Stätten des Wildes, Springen vom felsigen Grat Wildziegen und stürmen hinunter Weit die Hänge des Bergs; dort strebt ein Rudel von Hirschen Hin zum offenen Feld und verläßt die beengenden Berge Schnell in staubiger Flucht, zu kleineren Rudeln sich ballend. Mitten im Waldtal spornt zum Sprung den feurigen Renner J u n g Askanius an, überholt bald Ziegen und Hirsche, Wünscht sich stillen Gebets, abseits vom zahmeren Wilde Auf den Eber zu stoßen, dem gelblichen Leu zu begegnen. Doch inzwischen beginnt mit dumpfem Gedröhne der Himmel

IV 161—198

Fama

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Sich zu verfinstern, der Sturm setzt ein mit Schlossengeprassel, Der die Tyrer zerstreut, der auch die troische Jugend Samt Askanius zwingt, in Hütten zu flüchten, die schweigsam Liegen in Wald und Feld; Bergströme den Höhen entstürzen. Zuflucht findet der Held im selben Geklüfte mit Dido; Tellus gibt das Signal, mit ihr Hochzeiterin J u n o : Hochzeitsfackeln alsbald entzünden die Blitze des Äthers Und, des Bunds sich bewußt, das Brautlied heulen die Nymphen, Dies Vorboten des Tods, der Anlaß weiterer Leiden. Nicht mehr kümmert die Königin sich um Schein und Gerede, Nicht mehr liegt ihr daran, der Liebe Geheimnis zu wahren, „ E h e " sie nennts und deckt die Schuld mit ehrlichem Namen. Libyens Städte durcheilt alsbald die geschäftige Fama, Fama, der keins gleichkommt der anderen Übel an Schnelle. Kraft sie durch Eile gewinnt, sie wächst durch rüstiges Wandern. Klein im Beginn und scheu, hebt hoch sie sich bald in die Lüfte, Schreitet am Boden einher das Haupt in Wolken verhüllend. Von der Erde sie stammt, die, gereizt vom Zorne der Götter, Einst sie gebar den Titanen, so heißts, als jüngere Schwester, Stark an Füßen zum Lauf und schnell durch hurtige Flügel, Ein graunvolles Geschöpf! Zahllos es Federn am Leibe, Zahllos Augen es hat, und, Wunder zu sagen, darunter Eben der Zungen soviel, soviel auch Ohren wie Zungen. Nachts im Dunkel es fliegt inmitten von Himmel und Erde, Immer es raunt, und schließt niemals zum Schlafe die Lider; Tags als Späher es sitzt hier auf dem Dache der Hütte, Dort auf dem First des Palasts und setzt in Schrecken die Städte, Ebenso zäh bei Lug und Trug wie Bote der Wahrheit. Willig erfüllet es jetzt das Volk mit wilden Gerüchten, Bringt mit Falschem zugleich auch Wirkliches unter die Leute: Her sei kommen der Held, aus ilischem Blute geboren, Dem in Lieb sich gesellt schön Dido sonder Bedenken. J e t z t den Winter hindurch in Pracht man schwelg und Genüssen, Uneingedenk des Reichs, von böser Begierde gefangen. Solcherlei trägt es herum mit Fleiß, das dämonische Wesen. Alsbald nimmt es den Weg auch hin zu König Iarbas; Mehret ihm Zorn und W u t und erregt durch Raunen ihn vollends. Er, des Hammon Sohn und einer der libyschen Nymphen, 5*

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IV 199—234

Iarbas' Gebet.

Merkur

H a t t ' im gewaltigen Reich viel Tempel errichtet dem Vater Mit zahllosen Altären, geweiht ihm ewiges Feuer, Daß stets wache der Dienst; vom Blut der geopferten Tiere Schwamm der Boden, der Schmuck nie schwand der blühenden Kränze. Außer sich ganz und wild vom bösen Geraune der Leute, Hebt er vor dem Altar, vorm Antlitz selber des Gottes In inbrünstigem Flehn empor die Hände zum Vater: „ J u p p i t e r , Herr des Alls, dem jetzt auf üppigen Pfühlen Bringen das Mahl wir dar und spenden des maurischen Weines, Siehst du das hier? Soll fürchten umsonst dein Walten die Menschheit, Dich mit dem flammenden Blitz? Soll blind in Wolken das Feuer Schrecken die W e l t ? Soll leer das Gebrüll der Donner ertönen? Wisse, die Frau, die fremd sich verlor in unsere Grenzen, Die f ü r die Stadt den Platz sich gekauft, der wir das Gestade Ließen zum Pflügen und festen Besitz, lacht meiner Bewerbung, Nimmt Äneas zum Herrn und Gemahl, macht ihn zum Regenten. An das Erbe des Lands nun tritt mit weibischen Mannen Paris, der zweite des Stammes, des Kinn und triefende Haare Die mäonische Mitra verhüllt. Wir bringen vergeblich Gaben zu dir, ohnmächtige Macht wir ehren vergeblich!" Als er betete so, den Altar mit Händen umfaßte, Hört der Allmächtge den Sohn, blickt hin auf die prächtigen Mauern, Hin aufs liebende Paar, das besseren Rufes vergessen. Drum er ruft dem Merkur und gibt ihm folgenden A u f t r a g : „Mache dich auf, mein Sohn, gleit mit dem Hauche des Zephyrs Hin zum ilischen Herrn, der jetzt im fremden Karthago Weilt und der Städte vergißt, die längst ihm schenkte das Schicksal. Stell zur Rede den Mann, bring ihm mein Gebot durch die L ü f t e : So nicht habe den Sohn uns einst die Mutter verheißen, Nicht dazu zweimal ihn vor den Griechen gerettet. Nein, Italien sollt, zum Herrschen bestimmt, er gewinnen, Das nach Kämpfen verlangt, sollt dort fortpflanzen des Teuker Altes Geschlecht, aufzwingen Gesetz dem befriedeten Erdkreis. Wenn ihn nicht entflammet der Ruf so herrlicher Taten, Wenn nicht eigener Ruhm ihn treibt zu hohem Beginnen, Neidet Iullus, dem Sohn, die römische Veste der V a t e r ?

IV 235—272

Merkur bei Aneas

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Was plant e r ? Was hofft er davon, bei Feinden zu weilen? Denkt ausonischen Stammes er nicht, lavinischer Felder? Fort zur See! Das ists! D i e Botschaft bring dem Äneas." Schnell aufmacht sich Merkur, dem Befehl zu folgen des Vaters. Schnallt sich unter den Fuß alsbald die goldnen Sandalen, Die, von Flügeln beschwingt, hintragen ihn über die Meere, Hin auch über das Land schnell wie das Wehen des Windes. Nimmt in die Hand den Stab, mit dem er führet die Seelen Aus dem Orkus zurück, dorthin auch führet die Seelen, Menschen in Schlaf versenkt, auch draus sie wieder erwecket! So mit dem Wind er jagt und fliegt durch stürmische Wolken. Während des Flugs schon sieht er des Atlas Gipfel und Hänge, Jenes Gewaltigen, der das Himmelsgewölb mit dem Scheitel Stützt, des fichtenumstandenes Haupt, in dunkele Wolken Ewig gehüllt, von Sturm und klatschendem Regen gepeitscht wird. Schnee die Schultern ihm deckt; vom Knie des Alten sich stürzen J ä h Gießbäche zu Tal, von Eis starrt struppig das Barthaar. Hier gleichmäßigen Flugs schwebt der kyllenische Bote Nieder zur E r d ; von hier taucht ein er stracks in die Wogen, Wie der Vogel es tut, der tief umflattert die Riffe, Wenn er auf Fischjagd geht und dicht schwebt über den Fluten. Grad so schießet herab vom Schoß des Ahnen, des Atlas, Der kyllenische Sproß; im Flug er teilet den Luftraum Hin zu Libyens Strand, überholt an Schnelle die Winde. Als er eben berührt die Stadt auf flüchtigen Sohlen, Findet Äneas er beim Bau von Mauern und Häusern. Funkelnd das Schwert ihm glänzt am Griff vom goldigen Jaspis, Glüht wie feuriges Rot des Umhangs tyrischer Purpur, Der im Rücken ihm wallt, ein Geschenk der üppigen Dido, Das sie selber gewebt und mit Goldfäden durchwirket. Schnell ihn redet er a n : „Legst du fürs stolze Karthago J e t z t Grundmauern, erbaust die Stadt als Sklave der Gattin, Und vergissest des Reichs, das dir das Schicksal bestimmte? Zu dir sendet mich jetzt er selbst, der König der Götter, Der im lichten Olymp allein lenkt Himmel und Erde, Heißt selbst diesen Befehl dir durch die Lüfte mich bringen. Was planst d u ? Was hast du davon, daß hier du verweilest? Wenn du selber nicht ehrst den Ruf so herrlicher Taten,

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IV 273—310

Dido und Äneas

Nicht der eigne Ruhm dich treibt zu hohem Beginnen, Sieh den blühenden Sproß, blick auf Iullus, den Erben, Des Italiens Land, der Erdkreis harret als Herren!" Als der Gott ihm solches gesagt, nicht länger er weilet; Legt die Menschengestalt gleich ab noch mitten im Sprechen Und entschwindet dem Blick spurlos im flüssigen Äther. Wortlos bleibt Äneas zurück ob solcher Erscheinung, Auf sein Haar sich richtet vor Schreck, die Stimme versagt ihm. Flüchten er will, will scheiden vom Land, dem gastlichen, lieben, Durch die Mahnung bestürzt, die Strenge des Götterbefehles. Was ist zu t u n ? Wie soll der liebentflammten Gemahlin Auf Umwegen er nahn, der Absag Wendungen finden? Bald scheint dieses ihm gut, bald scheint zweckmäßiger jenes, Eines das andre verdrängt: so schwankt er zwischen Entschlüssen. Aus der Erwägungen Flut empor sich ringet als letzte: Mnestheus zu sich er ruft, Sergest, als dritten Serestus, Daß sie rüsten die Fahrt, am Ufer die Freunde versammeln, Sie mit Waffen versehn, den Grund vor jedem verschweigen. Er unterdes werd sehn, grad wenn die treffliche Dido Das am wenigsten ahnt, daß Bruch droht ihrer Verbindung, Wie zu kommen ihr bei, wann er am besten sie spreche, Welches der richtige Weg zu bereden sei. Schnellstens gehorchen Alle, der Weisung froh, und tun, was ihnen befohlen. Doch die Königin fühlt — wer kann denn Liebende täuschen? — Längst die Listen voraus, ahnt schon den kommenden Aufbruch, Grad ums Sichre besorgt. Ohn Mitleid meldet die Fama, Was von vielen man h ö r t : die Flotte sich rüste zur Abfahrt. Herrin nicht über sich selbst durchrast sie trunken die Straßen, Wie Thyiaden es tun im Zug der Opfergeräte, Wann sie Lyäus' Ruf einlädt zur nächtlichen Feier, Wann der Kithäron lockt zum Tanz in wilder Verzückung. Endlich ermannt sie sich und stellt Äneas zur Rede: „Hast, Treuloser, gehofft du denn, du könntest verhehlen Mir die schändliche Tat und geheim Karthago verlassen? Hält denn Liebe dich nicht, dich nicht das gegebne Versprechen, Dich nicht Dido zurück, die fest entschlossen zu sterben? Denkst beim Wintergestirn du herzustellen die F l o t t e ? Achtest des Nordsturms nicht, dich anzuvertrauen dem Meere?

IV 311—347

Dido und Aneas

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Grausamer! W i e ? Gälts nicht, dir fremde Gefilde zu suchen, Neu dir ein Heimatland, ständ noch das frühere Troja, Würdest die Fahrt dorthin auf stürmischem Meere du wagen? Mich du fliehst? Ich beschwöre dich hier bei der Rechten, den Tränen, — Ach, nichts anderes mehr ist mir zu schenken noch übrig! — Bei dem Liebesverkehr, der eben begonnenen Ehe, Bei dem, was ich verdient um dich, dir Liebes erwiesen, Mitleid fühl mit dem wankenden Haus, steh ab von dem Plane, Wenn für Bitten noch Zeit, steh ab von dem, was du sinnest! Um dich haßt mich Libyens Volk, der Numider Fürsten, Sind die Tyrer mir gram! Um dich nur hab ich verloren Scham und Scheu, den früheren Ruf, dem alles ich danke, Was zu den Sternen mich hob. Wem willst du die Sterbende lassen, Gastfreund, denn d e r Name nur noch ist übrig vom G a t t e n ? Was leb weiter ich n o c h ? Soll mir Pygmalion brechen Mauer und Wall, soll mich wegführen in Ketten Iarbas? Hätt ich wenigstens noch ein Pfand empfangen der Liebe, Ehe du fliehst, spielt' mir im Hof ein kleiner Äneas, Der dich Fernen zurück mir trüg im kindlichen Antlitz, Kam so verlassen ich mir nicht vor, nicht ganz so betrogen". So die Königin. Er, voll Angst vor Juppiters Warnung, Starrt vor sich hin und bekämpft bei sich den Kummer im Herzen. Endlich entgegnet er kurz: „Ich will nicht, Königin, leugnen, Daß du getan mir hast, was aufzuzählen du wußtest. Nicht wird reuen mich je, der Elissa mit zu gedenken, Solang meiner ich denk und Leben mir rinnt durch die Glieder. Weniges nur f ü r mich! Die Flucht verbergen zu können, Nimmer ich hofft', Anspruch nicht macht' ich auf Eheverbindung, Nicht bin kommen ich her, durch solch ein Band mich zu fesseln. H ä t t das Geschick es erlaubt, nach eigenem Willen mein Leben Einzurichten, das Ziel nach meinem Gefallen zu stecken, Gälte der Heimat mein, es gält die Sorge den Meinen, Die noch übrig mir sind; dann ständ noch Priamus' Hochsitz, Pergama, wieder erbaut von mir zum Trost der Besiegten. Nach Italien hieß mich fliehn Apollos Orakel Nicht in Grynium nur, nein auch auf Lykiens Boden. Dieses mein Heimatland, meine Sehnsucht. Fesseln die Burgen

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IV 348—383

Dido und Aneas

Dich, Phönizierin, hier, der Anblick libyscher Bauten, Was denn gönnest du nicht ausonische Sitze den Teukrern? Auch wir haben das Recht, uns Platz zu suchen im Ausland. W a n n die tauige Nacht den Erdkreis hüllet in Schatten, W a n n der Sterne Geflamm aufsteigt, mahnt immer im Traume Mich des Vaters Gesicht und setzt mich Armen in Schrecken, Mahnt Askanius mich ans Unrecht, das er erduldet, Dem Hesperiens Reich, das Schicksalsland, ich entziehe. Eben von Juppiter selbst, so wahr wir beide noch leben, Kam ein Bote zu mir und bracht mir seine Befehle. In untrüglichem Licht sah ich leibhaftig die Gottheit Hier in der Stadt und hört mit eigenen Ohren die Botschaft. Quäle nicht mich und dich noch mehr durch eitele Klagen: M e i n Wunsch nicht Italien sucht." Während er spricht, hat unstet sie schon lange die Blicke Hier- und dorthin gewandt; bald hat sie streng ihn gemustert, Doch kein Wort noch gesagt; jetzt zornvoll endlich sie losbricht: „Nicht von Venus du stammst, nicht ist dir Dardanus Urahn, Dich, Treulosen, gebar des Kaukasus starrende Felshöh, Tigern Hyrkaniens lagst als Kind du saugend am Euter. Wozu heucheln denn n o c h ? Soll mir noch Schlimmeres werden? Hat mein Weinen gerührt ihn j e ? Blieb starr nicht das Auge? H a t er Tränen aus Liebe geweint? Die Geliebte b e d a u e r t ? Was gibts Schlimmeres n o c h ? Nicht schaut mehr gnädigen Blickes Junos Auge herab, nicht ihr saturnischer Gatte. Treubruch alles verdirbt. Ihn arm, ans Ufer geworfen, Nahm ich zu mir, gab Anteil ihm, ich Törin, am Reiche, W a h r t die Genossen vor Tod, vor voller Vernichtung die Schiffe. Weh, mich packt der Furien Grimm! Jetzt, Seher Apollo, J e t z t , du lykischer Spruch, jetzt du, der Bote der Götter, Bringst auf des Höchsten Geheiß den Schreckensbefehl durch die Lüfte. Wahrlich, ein göttliches W e r k ! Wert daß sich Selige Sorge Machen hierum! Ich halte dich nicht, nicht streit ich mit Worten. Auf, Italien such! Gründ dein Reich jenseit des Meeres! Freilich, wenn Recht noch gilt und streng noch walten die Götter, Wirst du, geschleudert aufs Riff, mir büßen, und, hoff ich, den Namen

IV 384—421

Dido und Aneas

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Dido rufen umsonst. Auch wenn mich Flammen verzehrten, Auch wenn eisig der Tod dem Leib entführte die Seele, Folg als Schatten ich dir. So sollst, Ruchloser, du büßen. Hören ich werds, die Kunde davon folgt mir zu den Manen". Mitten im Wort sie v e r s t u m m t ; krank flieht sie sonnige Lüfte, Zieht sich zurück ins Haus und läßt ihn stehn in Gedanken, Der, unschlüssig aus Furcht, noch viel gern hätte gesprochen. Fraun auffangen sie dort und tragen die Niedergebrochne Gleich ins Marmorgemach, weich auf dem Lager sie bettend. Gern h ä t t Trost ihr gebracht Äneas, hätte von Sorgen Gern ihr erleichtert das Herz, doch muß den Göttergeboten Fest er folgen und treu. Deshalb geht traurigen Sinnes, Schwer von Liebe bedrückt, zum Strand er mustern die Flotte. Eilig sich machen die Teukrer ans Werk: sie ziehen vom Ufer All ihre Schiffe herab, den Kiel noch feucht vom Verpichen, Noch an den Rudern Geäst, unfertig die kräftigen Bohlen, Die m a n geholt zur hastigen Flucht. Aus den Straßen der Stadt man sieht viel Eilige ziehen, Gleich Ameisen, die tätigen Sinns, des Winters gedenkend, Plündern die Schwaden im Feld, den Bau mit Korn zu versorgen. Schwarz am Rain lang krabbelt der Zug; teils schleppen sie Beute Schwer durchs Gras auf winzigem Pfad, teils schieben sie Körner, Untergestemmt den Rumpf, teils halten den Zug sie zusammen, Treiben die Säumigen a n ; der Weg von Geschäftigen wimmelt. Was empfandest du nicht, Dido, da solches du schautest, Wie schwer stöhntest du nicht, als hoch vom Dach des Palastes Weithin wogen du sahst von hastenden Menschen die Küste, Weithin schallen das Meer vom Geschrei der geschäftigen Schiffer! Amor, du Schalk, wozu nicht zwingst du menschliche Herzen! Wieder sie Tränen vergießt, sie versuchts mit Bitten von neuem, Beugt demütig den Stolz der alles bezwingenden Liebe, Daß nichts ohne Versuch sie vor dem Tode noch lasse. „Siehst du, Schwester, die Hast am ganzen Gestade? Gewahrst du, Wie das Volk hinströmt? Schon harrt das Segel der Winde, Schon umkränzen zur Fahrt das Bild am Spiegel die Mannen! Könnt ich ahnen den Schmerz, den mir das Scheiden bereitet, Kann auch tragen ich ihn. Nur eins noch, Anna, zuliebe Sollst der Schwester du tun. Du standst ihm näher als alle,

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IV 422—458

Annas Versuch, Aneas umzustimmen

Du Mitwisserin warst auch seiner geheimsten Gedanken, Du ja wußtest allein, wann ihm am besten zu nahen. Geh, sprich an den Feind, mit bittenden Worten, den stolzen! Nicht verschwor in Aulis ich mich mit den übrigen Griechen, Trojas Volk zu vernichten, nicht sandt ich feindliche Schiffe, Nicht stört freventlich ich die Manen des Vaters Anchises. Weshalb schließt das Ohr er hart all meinem Erwidern? Wozu die H a s t ? Dies sei sein letztes Geschenk an die Freundin: Leichtere Flucht er soll und bessere Winde erwarten. Ach, ich fordre nicht mehr den Ehbund, den er verraten, Nicht, daß Latium er, daß preis er gebe die Herrschaft; Fleh um nichtgen Verzug, um Raum und Ruhe dem Rasen, Bis das Geschick mich lehrt, mich als Enttäuschte zu fühlen. Dies zum letzten ich bitt, tu mirs zu Gefallen aus Mitleid. Bringst du die Gunst mir heim, sie vergelt ich doppelt im Tode." Also sie fleht. Die Schwester, bewegt, legt jenem die Bitten Wieder und wieder ans Herz. Ihn rührt nicht Flehen noch Klagen, Unbeugsam er beibt, kein Wort den Harten erweichet. Macht des Geschicks! Dem Gütigen schließt das Ohr eine Gottheit. Wie wenn Stürme sich mühn, den Stamm der knorrigen Eiche Hin und her zu biegen, durch immer erneuertes Peitschen Ihn aus der Erde zu ziehn; es ächzt der schwankende Wipfel Und streut Blätter herab, den erschütterten Boden zu decken: Doch sie haftet im Fels; so hoch in die Lüfte die Zweige Sie vorschickt, so tief senkt sie nach unten die Wurzeln. Grad so zerret an ihm das unaufhörliche Bitten Und ins innerste Herz dringt ihm mitleidiger Kummer. Doch der Entschluß steht fest, nichts ändern auch Ströme von Tränen. J e t z t , erschreckt vom Geschick, fühlt Dido völlig ihr Unglück, Sehnet herbei den Tod, nicht mag den Tag sie noch schauen. Fest sie bestärkt im Entschluß, freiwillig vom Leben zu scheiden, Daß ihr — grausig zu sehn! — sich schwärzen die heiligen Tränke, Die mit eigener Hand sie gießt in die Flamme des Altars, Daß in garstiges Blut der Wein beim Spenden sich wandelt. Keiner erfährt das Gesicht, selbst nicht die leibliche Schwester. Eine Kapelle sie hat im Haus aus Marmor errichtet Ihrem Gemahl, ein Raum für sie von frommer Verehrung,

IV 459—495

Dido bereitet den Selbstmord vor

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Mit schneeweißem Behang und festlichem Laube geschmücket. Hier zu hören sie glaubt, wenn Nacht die Lande bedecket, Stimm' und Worte des Manns, der aus dem Grabe sie rufet, Hören allein des Uhus Ruf, todbringende Lieder, Und sein dumpfes Geheul gleich weithin hallenden Klagen. Auch Aussprüche vernimmt aus dem Mund sie heiligr Seher, Warnungen schrecklicher Art. Wild jagt in Träumen Äneas Auf die Rasende zu; stets meint sie sich selbst überlassen, Stets unbegleitet zu sein auf unendlichem Wege, zu suchen Stets die Tyrer allein in menschenverlassener Öde. Wie Pentheus wahnsinnig erblickt dämonische Scharen, Wie sich die Sonne verdoppelt ihm zeigt, ein doppeltes Theben; Wie beim szenischen Spiel Schreckbilder verfolgen Orestes, Wenn die Mutter ihn jagt mit Fackeln und Schlangen bewaffnet, Ihm auflauert der Furien Dräun an der Schwelle des Tempels. Als sie, besiegt von Schmerz, von Wahnsinn fühlt sich ergriffen Und zu sterben beschließt, erwägt sie Mittel und Stunde Stille f ü r sich, geht dann zur tief sich härmenden Schwester, Hehlt ihr heiter den Plan und entwölkt die Stirne durch Hoffnung: „Nun ist, Traute, gefunden der Weg — Glück wünsche der Schwester! — Der mich vereint mit ihm oder sprengt die Ketten der Liebe. Dicht an Ozeans Strand, wo geht zur Rüste die Sonne, Wohnt Äthiopiens Volk; dort trägt des gewaltigen Atlas Nacken das Himmelsgewölb, das rings mit Sternen besäte. Von dort kam eine Zauberin her, die mir andre gewiesen, Im hesperischen Hain sie Hüterin: Speise dem Drachen Trug sie zu, schlafbringenden Mohn und flüssigen Honig Streute sie hin und bewacht' am Baum die heiligen Zweige. Diese verheißt mir jetzt, durch magische Sprüche zu lösen Jeden, den sie nur will, auf andre zu häufen die Sorgen, Flüsse zu bringen zum Stehn, rückwärts zu wenden Gestirne. Manen sie nächtens bewegt, weiß beben zu machen den Boden, Weiß auch Eschen herabzuziehn von den Höhen der Berge. Schwester, nur ungern greif ich in Not zu magischen Künsten, Des ist Zeuge dein teueres Haupt, sind Zeugen die Götter. Schicht mir im Hofraum auf ganz heimlich Scheite zum Brennen, Lege darauf die Waffen des Manns, die hier er gelassen,

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IV 496—532

Didos Zauber

Der Treulose, die Kleider zumal, das ehelich Lager, Das zum Verderben mir ward; was nur dem Verräter gehörte, Muß durch Feuer vergehn, so heischts der Zauberin Wille." Sprichts und verstummt, das Gesicht macht fahl die Blässe des Todes. Anna durchaus nicht ahnt, daß solch Brandopfer verhüllen Soll den eigenen Tod, kann solch ein Wüten nicht fassen, Fürchtet auch Schlimmeres nicht als einst beim Tod des Sychäus. Drum sie gehorcht dem Wunsch. Als im innersten Hof aus Kien und eichenen Scheiten War der Haufen erbaut, schmückt aus mit Blumengewinden Dido den Platz und dunkelem Laub; die Kleider, die Waffen Trägt sie hinauf, dazu sie legt ein wächsernes Abbild Oben aufs P f ü h l ; die Zukunft kennt sie besser als alle. Opferaltäre ringsum. Laut ruft in wallenden Haaren Dreimal Götter die Zauberin an, zahllose, das Chaos, Erebus, Hekates Schreckensgestalt, die Dreiheit Dianas. Wasser auch gießt sie hin anstatt avernischen Trankes, Sucht sich Kräuter, gemäht des Nachts mit ehernen Sicheln, Kräuter, die voll von Milch, der Milch todbringenden Giftes, Auch den Stirnauswuchs des eben geworfenen Füllens, Eh die Mutter vorher ihn frißt. Dido selbst, in der Hand das Salzmehl, einen der Füße Frei vom Schuh, ungegürtet das Kleid, ruft an den Altären, Fest entschlossen zum Tod, die Götter, die Sterne zu Zeugen, Denen bekannt ihr Los; wen sonst der Himmlischen etwa Kümmert der Liebenden Schmach, auch den sie bittet als Zeugen. Nacht ists. Friedlichen Schlafs auf Erden die Müden genießen; Wälder, das wogende Meer in wohliger Ruhe sie liegen, Während die Sterne den Lauf hinlenken zur Mitte des Himmels. Ringsum ruhet die Flur, das Vieh, das bunte Geflügel, Das die Seen bewohnt, zu Lande sich hält in Gebüschen. Alle sich freuen des Schlafs, vom nächtlichen Schweigen umfangen, Der von Sorgen sie löst, das Herz läßt ruhen von Leiden. Um die Königin nicht so stehts; sie findet Erquickung Nicht im Schlaf, ihr nimmer ins Herz, ihr nimmer aufs Auge Senkt sich Stille der Nacht, nein, grad sie steigern der Liebe Leiden in ihr; sie wogt, von Stürmen der Seele gerüttelt.

IV 533—570

Didos Klagen.

Äneas beschleunigt die Abfahrt

77

Fest zwar steht ihr Entschluß, doch will nicht schweigen Besorgnis. „Schau, was ich treib! Soll suchen zum Spott ich frühere Freier Wieder mir a u f ? Anflehn um Heirat willig N o m a d e n ? Sie, die sovielmal ich schon als Gatten verschmähte? Drum nachlaufen ich muß den ilischen Schiffen, den Teukrern Mich hingeben zur Magd? Nützt mirs, daß ich sie gerettet? Denken sie dankbar denn der früher empfangenen W o h l t a t ? Doch selbst w e n n ich es wollt, gehts an d e n n ? Nimmt die Verhaßte Er ins stolze G e f ä h r t ? Kennst du, Verlorene, noch nicht Laomedontischen Stamms Erbteil, treulose Gesinnung? Und d a n n ? Soll ich allein den Triumphzug Fremder begleiten, Soll, von den Meinen umringt, nachziehn mit Tyrern ich T e u k r e r n ? Soll, die kaum ich entführt der W u t der tyrischen Heimat, Wiederum treiben hinaus aufs Meer, vorwerfen den S t ü r m e n ? Stirb drum, wie du verdienst, mach End dem Schmerze durch Eisen f Schwester, erweicht durch Tränen von mir, mich Rasende triebst du In dies Leiden zuerst, gabst preis mich Arme dem Feinde. Ohne des Ehbunds Pfand könnt ich in Schande nur leben, Wie bei Tieren es Brauch, dürft Liebesgefühle nicht hegen. Ach daß ich brach mein Wort, das ich Sychäus geschworen!" So der Königin Herz sich ergießt in Strömen von Klagen. Sicher der Abfahrt schläft Äneas auf dem Verdecke Ruhig und tief, nicht mehr heischt Arbeit Sorge des Wachen. Ihm im Traume sich zeigt die Gestalt des hurtigen Boten Auf dem Weg zum Olymp und scheint ihn wieder zu mahnen, Ähnlich in allem Merkur, in Antlitz, Farben und Sprache, Auch im rötlichen Haar, in der Schönheit männlicher J u g e n d : „Göttinentsprossener, wie magst so du pflegen der Ruhe! Siehst die Gefahren du nicht, die dir in Bälde bevorstehn, Hörst, Sorgloser, du nicht, das Wehn des günstigen Z e p h y r s ? Dido hegt in der Brust Arglist und sinnet auf Frevel, Fest im Auge den Tod, und treibt auf Wogen des Hasses. Weshalb fliehst du nicht schnell, solang dir Fliehen noch möglich? Bald wirst wühlen du sehn im Meer die Schiffe, die Fackeln Leuchten, die Brand dir dröhn, bald glühn die Küste von Feuern, Wenn dich Zögernden trifft hier noch am Ufer Aurora. Auf drum ohne Verzug! Denn schwankend, veränderlich bleibet Immer das Weib." Hiernach entschwindet im Dunkel der Bote.

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IV 571—606

Flucht der Troer

J e t z t vom Schrecken gepackt der schnell entschwundnen Erscheinung, Rafft sich Äneas auf vom Schlaf und treibt die Genossen Eilig ans W e r k : „Hailoh, wacht auf! Greift schnell zu den Rudern! Hisset die Segel sofort! Ein Gott, vom Himmel gesendet, Wies, zu betreiben die Flucht, die haltenden Seile zu kappen, J e t z t mich wiederum an. Dir folg ich, Bote der Götter, W e r auch immer du bist, dem Befehl wir freudig gehorchen. Hilf uns gnädig zur Fahrt und gib uns günstige Sterne!" Sagts und reißet dabei das blinkende Schwert aus der Scheide Und durchschlägt mit dem Stahl sogleich die Taue des Schiffes. All entbrennen in ähnlicher Glut. Man rennet und raffet, Ab vom Ufer man stößt. Bald deckt die Flotte die Wogen, Hastig das Meer man schlägt und fegt durch schäumende Bläue. Schon streut über die Welt den Frührotschimmer Aurora, Eben dem safranfarbenen Bett Tithonus' entstiegen. Wie vom Palast wahrnimmt Dido das Grauen des Tages, Wie gleichmäßig geschwellt sie sieht die flüchtigen Segel, Leer das Ufer erblickt und leer den Hafen von Rudern, Schlägt sie drei- viermal mit der Hand den schwellenden Busen, R a u f t ihr rötliches Haar und r u f t : „Bei Juppiter, fliehen Will der Kömmling von uns, der Ohnmacht spotten des Reiches? Weshalb greift zu den Waffen man nicht, setzt nach den Entlaufnen, Schleppt von den Werften die Schiffe man n i c h t ? Auf, eilet und schaffet Schnell Brandfackeln herbei! Her Waffen! Die Ruder geschlagen! — W a s f ü r Geschwätz! Wo bin ich? Den Geist, unglückliche Dido, Wahnsinn packt! Das gebrochene Wort hast jetzt du zu büßen. Eh das Reich du geteilt, wars Zeit; da siehst du die Treue Dessen, der mit sich trägt, sagt man, die heimischen Götter, Der auf den Rücken sich nimmt den altersgebeugten Erzeuger! H ä t t zerstückeln ich ihn nicht gekonnt und werfen die Glieder Hier in das Meer? Ermorden den Sohn samt allen Begleitern Und dem Vater zu Tisch vorsetzen den Körper des Kleinen? — Launisch doch ist das Kampfglück stets. — Gut wär es gewesen! Ich, dem Tode geweiht, wen sollt ich f ü r c h t e n ? Geschleudert H ä t t in das Lager ich Brand, h ä t t Sohn und Vater vernichtet S a m t dem ganzen Gezücht; Zugab wär selbst ich gewesen.

IV 607—643

Didos Vermächtnis an ihr Volk

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Sol, der alles erhellt, was vorgeht immer auf Erden, Juno, Deuterin du, Mitwisserin meiner Gefühle, Hekate, der man rufet bei Nacht, wo Wege sich kreuzen, Grause Dämonen des Mords, auf, rächt den Tod der Elissa! Blicket auf uns, denkt unseres Leids mit gleicher Vergeltung, Hört auf unserer Gebet! Ists Schicksal, daß der Verruchte Zuflucht finde dereinst, sein Land durch Schwimmen erreiche, Ist dies Juppiters Will', steht fest f ü r ewig das Endziel: Mög schwer leiden im Kampf er vom kriegstüchtigen Volke, Mög aus dem Lande gedrängt, Iullus' Armen entrissen, Schutz bei Fremden er flehn, erleben der Seinen Begräbnis Ohne Gepräng! Wenn dann, unbilligem Fordern genügend, Frieden er schloß, soll nicht des Reichs er genießen, des Lebens, Nein, vorzeitig erleiden den Tod, nicht werden bestattet! Dies mein letztes Gebet, mein Wort, mit dem ich verblute. Übt, ihr Tyrer, im Haß den Stamm und die kommenden Söhne! Bringt dies dar als Opfergeschenk fromm unserer Asche: Niemals schließet Vertrag mit Rom, nie werdet ihm Freunde! Mag aus meinem Gebein einst auferstehen ein Rächer, Der mit Feuer und Schwert austilgt die troischen Siedler Heute, dereinst, wann je hierzu sich finden die K r ä f t e ! Feind sei Strand dem Strand, feind sei die Woge der Woge, Feind sei Schwert dem Schwert: K ä m p f t selbst, laßt kämpfen auch Enkel!" R u f t s und martert den Sinn ruhlos nach Wegen und Mitteln, Wie das Licht, das verhaßte, so früh als möglich zu löschen. Dann spricht flüchtig zu Barke sie, der Amme des Gatten, R u h t e doch Didos Amme schon längst in heimischer Erde: ,,Ruf mir, teure Vertraute, hierher doch Anna, die Schwester, Sag ihr, waschen sie möchte sich gleich mit fließendem Wasser, Möcht Sühnmittel beschaffen und auch zum Opfer die Tiere. Dann sie komme; du selbst leg an die heiligen Binden. Denn ein Opfer dem stygischen Herrn, das vor schon bereitet, Will darbringen ich jetzt, ein End zu machen den Sorgen: Das dardanische Haupt soll lohn in flammenden Scheiten!" So sie sagt; die Treue beschleunt die trippelnden Schritte. Hastig und wild erregt von der Angst vorm grausen Beginnen, Stürzt Dido, das Weiße des Augs von Blute gerötet,

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IV 644—680

Dido ersticht sich

Krankhaft die Wangen gefleckt und bleich vorm drohenden Tode, Fort in den inneren Hof. Sie besteigt den ragenden Holzstoß, Kaum sich ihrer bewußt, und zieht das Schwert aus der Scheide, Das Äneas ihr ließ, ach, nicht zu solchem Gebrauche. Wie sie schaut die troische Tracht, das bräutliche Lager, Zögert sie kurz und weint im Schmerz wehmütger Erinnrung, Legt aufs Lager sich hin und sagt als letzte die W o r t e : „Rühmliche Beute vom Feind, solang es wollt das Verhängnis, Nimm mein Leben nun an, nimm von mir jegliche Sorge. Ach, ich habe gelebt; den Weg, vom Geschicke gewiesen, Habe zurück ich gelegt, groß steigt mein Bild zu den Schatten. Schön ich baute die Stadt, sah greifbar wachsen die Mauern, Habe den Gatten gerächt und ließ mir büßen den Bruder, Glücklich, nur allzusehr, h ä t t nie die troische Flotte Unsere Küste gesehn!'" Hier birgt sie weinend das Antlitz In die Kissen des Pfühls. „Zwar sterb ich ohne Vergeltung; Trotzdem sterben ich will, eingehn jetzt so zu den Schatten. Seh am flammenden Stoß sich satt vom Meere der Troer, Mit er nehme den Fluch, das Brandmal unseres Todes." Kaum hat dies sie gesagt, stößt tief in die Brust sie das Eisen. Röchelnd zusammen sie bricht; das Schwert d a m p f t schäumend vom Herzblut, Blut hat die Hände bespritzt. So findet sie bald das Gefolge. Rasend durchläuft die Stadt das Gerücht und verbreitet die Kunde. Klagen, Gestöhn und der Weiber Geheul, sie machen erbeben Rings die Häuser umher; die Luft hallt wider von Schlägen, Grad als stürze zur Erd Karthago, stürze das alte Tyrus, von Feinden erstürmt, erfaßt von wütenden Flammen, Die vom Dach auflodern und Tempel und Häuser verzehren. Schnell die Schwester vernimmts. Entsetzt vom Hasten und Rennen Stürzt sie herbei wie betäubt, zerkratzt mit den Nägeln das Antlitz, Schlägt mit den Fäusten die Brust und ruft der Sterbenden Namen: „Das war, Schwester, dein P l a n ? So galt mir deine Verstellung? Dazu diente der Scheite Gehäuf, die Flammen, A l t ä r e ? Also verschmäht? Was klag ich zuerst? Als Freundin verachtet Hast du die Schwester im T o d ? H ä t t s t Anteil du mir gewähret, Hätt uns beide verzehrt der Schmerz, das gleiche Verhängnis. Und ich schichtete selbst das auf, rief Götter zu Hilfe,

IV 681—705 Dido erlöst. V I — 5 Äneas erblickt den brennenden Holzstoß

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Um g r a u s a m zu fehlen, als du beisetztest dich selber! So du t ö t e t e s t dich u n d mich, das Volk und die V ä t e r Sidons, die S t a d t , dein W e r k . Bringt W a s s e r ! Die b l u t e n d e n W u n d e n L a ß t abwaschen mich schnell, laßt mich a u f f a n g e n den letzten Atem des M u n d s ! " So steigt sie hinauf die Stufen zur Höhe, Legt u m die Halbentseelte den Arm, d r ü c k t , bitterlich seufzend, Sie sich ans Herz, wischt ab mit dem Kleid des Blutes Gerinsel. J e n e versucht den brechenden Blick noch einmal zu heben, Doch ihr versagt die K r a f t : leis rieselt das Blut aus der W u n d e . Dreimal h e b t sie sich auf, den Arm als S t ü t z e gebrauchend, Dreimal sinkt sie zurück. Sie sucht mit irrenden Augen Droben das Licht des Tags, sie schauts und seufzet beim Anblick. J u n o s Allmacht j e t z t sich e r b a r m t der unendlichen Leiden Und der Qualen des Tods. Sie schickt a b Iris, die Botin, Die die Seele vom K a m p f , den Leib von Fesseln erlöse. Weil der Königin Tod nicht Schicksal w a r noch verschuldet, Weil vorzeitig sie s t a r b , e n t f l a m m t von plötzlichem Rasen, Deshalb h a t t e noch nicht Proserpinas Schere getrennet Ihr die Locke vom H a u p t und sie dem Orkus geweihet. N u n fliegt Iris herab auf s a f r a n s c h i m m e r n d e m Fittig, Von vielfarbigen Tropfen umspielt, den K i n d e r n der Sonne. Ihr zu H ä u p t e n sie t r i t t . „ I c h weih d e m Orkus die Locke Und erlöse d a m i t dich selbst vom Kerker des K ö r p e r s . " S p r i c h t s und schneidet die Locke v o m H a u p t . Es weichet die Wärme Schnell aus dem Leib und f o r t fliegt auf in die L ü f t e die Seele.

Fünftes Buch Leichenspiele für Anchises. Brand der Schiffe Schon h a t die Höhe des Meers erreicht inzwischen Äneas, Sicher der F a h r t , und f u r c h e t bei Nord die p u r p u r n e n F l u t e n , Als ansichtig er wird der S t a d t , die der a r m e n Elissa Holzstoß glühend erhellt. Zwar liegt nicht offen der Anlaß Dieses Geschehns; doch zieht der Schmerz e n t w e i h e t e r Liebe, T r e n d e l e n b u r g , Virgils Aeneis.

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V 6—43

Die Troer bei Akest

Zieht die Gewißheit, wes ein rasendes Weib sich erkühnet, Wie Vorahnung bösen Geschicks durch die Seele der Teukrer. Als die Schiffe nun ferne genug, daß Land noch zu sichten Nirgend gelingt, nur überall Meer und überall Himmel, Ziehn sich über sie schnell blauschwärzliche Wolken zusammen, Nacht mitbringend und S t u r m ; sich kräuselt die dunkele Woge. Selbst der Lenker des Schiffs, Palinur, ruft oben am Steuer: „Ach, welch schweres Gewölk deckt rings das Himmelsgewölbe? Was hast, Vater Neptun, du v o r ? " Kurzraffen die Segel Heißt er sogleich und fest all in die Riemen sich legen, Stellt nach dem Wind sich ein und sagt zu Vater Äneas: „Herr, hochherziger du, verpfänd sich selber als Bürge Juppiter mir, solch Wetter versagt Italiens Küste. Umspringt wieder der Wind, bläst her vom dunkelen Westen Und in dichtes Gewölk einhüllt er Himmel und Erde. Aufzunehmen den Kampf, dem Wind entgegen zu kreuzen, Sind wir zu schwach. Da stärker das Glück, laß willig uns folgen, Dorthin wenden, wohin es ruft. Ich glaube, nicht ferne Liegt des Eryx brüderlich Haupt, die sikanischen Häfen, Wenn ich erinnre mich recht der früher gemessenen Sterne." Drauf Äneas: „Schon längst seh dies ich fordern die Winde, Seh, wie du dich umsonst abmühst, dagegen zu kämpfen. Laß die Segel dem Wind! Welch Land könnt lieber ich wählen, Wo den erwünschteren Port ausspähn fürs müde Geschwader, Als wo die Heimat neu sich schuf der Troer Akestes Und Anchises Gebein still ruht im Schöße der E r d e ? " Drauf zum Hafen sie richten den Kurs, straff schwellet die Segel Günstiger Hauch; in beflügeltem Lauf hinschießen die Schiffe Und sind endlich am Ziel des allen bekannten Gestades. Fern vom Scheitel des Bergs erblicket Akest das Geschwader, Staunt ob der Ankunft schier und geht den Freunden entgegen, Mit Wurfspeeren bewehrt und dem Fell der libyschen Bärin. Diesen vom Fluß Krimisus empfing eine troische Mutter Hier im Lande. Gedenk der früheren Stammesverwandtschaft, Grüßt er die Kömmlinge gern, nimmt, froh der ländlichen Habe, Auf sie freundlich, erquickt mit gefälligen Gaben die Müden. Als am folgenden Tag Frührot die Sterne verscheuchet, Lädt zur Versammlung ein Äneas alle Genossen

V 44—-81

Äneas stiftet dem Vater ein jährliches Fest

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Aus dem ganzen Bereich und sagt, einen Hügel ersteigend: „Dardaner ihr, e n t s t a m m t dem hohen Geschlechte der Götter, Heut ists eben ein J a h r — vollendet sich haben die Monde —, Seit den sterblichen Rest, die Gebeine des seligen Vaters Wir in der Erde bestattet, geweiht ihm Traueraltäre. Grad heut j ä h r t sich der Tag, irr nicht ich, der mir f ü r immer Tag der Trauer wird sein und der Ehrfurcht — Götter es wollten! —, Mag als Verbannter ich ihn in gätulischen Syrien erleben, Mag auf argolischem Meer, in der Stadt ich weilen Mykene. Auch dann würde begehn mit Opfer und prächtigem Aufzug Ich alljährlich den Tag und baun dem Toten Altäre. Heut überdies sind wir zum Grab des Vaters gekommen, Sind der Asche wir nah nicht ohne den Willen der Götter, Haben aus Seenot Heil im befreundeten Hafen gefunden. Auf drum, lasset uns all das Fest der Ehre begehen, Laßt uns beten um Wind! Fortan soll jährlich der Vater, Wann wir erbauet die Stadt, sein Fest im Tempel erhalten. J e zwei Rinder wird hier euch spenden für jedes der Schiffe Unser Akest, der Trojasproß; die Penaten der Heimat Ladet zum Mahl, auch sie, die selbst anbetet der Gastfreund. Wenn dann führet herauf den neunten der Tage das Frührot Und mit flammendem Strahl den Erdkreis wieder erhellet, Will Wettrudern zuerst ich schaun von den Schiffen der Teukrer, Dann wer stark im Laufe sich fühlt, den Kräften vertrauet, Wer im Werfen geübt des Speers, im Schießen der Pfeile, Wer im Faustkampf sicher mit riemenumwickelten Händen, Dem ist offen die Wahl, einen Preis kann jeder sich holen. H ü t e t die Zunge nur fromm, umkränzt mit Zweigen die Schläfen." Solches er sagt und flicht ins Haar sich Myrten der Mutter. Ihm t u t Helymus gleich und Akest, der ältere Gastfreund, Ihm Iullus das Kind, mit ihm die Scharen der Jugend. Aus der Versammlung geht mit Tausenden andern Äneas Zum Grabhügel alsbald, umringt von großem Gefolge. Hier zwei Becher mit lauterem Wein er gießt auf den Boden, Zwei mit lauterer Milch, zwei dann mit dem Blute der Opfer, Streut frischblühende Blumen aufs Grab und rufet dem Toten: „Sei mir, Vater, gegrüßt, sei wiedergegrüßet des Vaters Asche du, Schatten und Seele, die nicht mit uns wir genommen! 6*

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V 82—119

Vorbereitung der Spiele

Mit dir durften wir nicht Italiens Grenzen erreichen, Unser verheißenes Land, nicht ihn, Ausoniens Tiber." Sagts, da taucht aus dem Grab empor eine schlüpfrige Schlange Tief aus innerstem Grund. In sieben gewaltigen Ringeln Kreist um den Hügel sie still und umschleicht die beiden Altäre. Deutlich erkennen sich läßt: von Gold und bläulichen Tupfen Schimmert der schuppige Leib, wie hoch in Wolken der Bogen Funkelt im sonnigen Glanz der tausend verschiedenen Farben. Staunen den König ergreift. Hinkriecht in gemächlichem Zuge Zwischen den Schalen das Tier und zwischen den blinkenden Bechern, Kostet vom Mahl und birgt den Leib dann wieder im Grabe Still, wie sie k a m : sie hat sich erfreut der Gaben des Opfers. Um so dringender führt Äneas weiter die Feier, Weiß nicht, war es der Geist des Orts oder Bote des Vaters. Erst er schlachtet nach Brauch ein Paar volljähriger Lämmer, Zwei der Ferkel und ebensoviel an schwärzlichen Stieren, Dann er spendet des Weins und ruft des großen Anchises Seele herbei, die Manen, die heut der Acheron freigab. Gaben auch bringen die Freunde, nach seinem Vermögen ein jeder, Die man wirft in die Glut; dazu Jungstiere man schlachtet, Stellt Kochkessel in Reihn, setzt dann, im Grase gelagert, Kohlen in Brand f ü r die Spieße, daran Fleischstücke man röstet. Endlich ist kommen der Tag. Schon gleich in strahlender Helle Leuchtet das Frührot auf, das neunte, so herzlich ersehnte. Zahlreich hat das Gerücht, der Ruf des wackern Akestes Zeugen gelockt herbei; froh füllt die Menge das Ufer, Um die Troer zu sehn, auch teilzunehmen am Wettkampf. Sichtbar locken Geschenke, gestellt teils nahe dem Eingang, Teils in die Mitte der Bahn: Dreifüße, bebänderte Kränze, Palmen, für Sieger der Preis; nicht fehlts an Waffen und Kleidern, Reich mit P u r p u r gefärbt, an Barren von Gold und von Silber. Ein Trompetensignal vom Wall: die Spiele beginnen. Vier gleichwertige Fahrer im Eingangsrennen sich messen, Auserwählte der Flotte, mit schwer einfallenden Rudern. Mnestheus führt mit trefflicher Schar die hurtige Pristis, Bald ein Italer er und Ahn des Memmierstammes. Gyas Chimära betreut, ein Schiff von gewaltigem Ausmaß, Gleich einer ragenden Stadt, das dreifach übereinander

V 120—157 Wettrudern

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Treibt der Ruderer Kraft, drei Reihn hoch wirken die Riemen. Auf dem großen Kentaur Sergest ist Führer, des Name Lebt in den Sergiern fort; auf bläulicher Skylla Kloanthus, Nach dem später in Rom sich nennt der Kluentier Sippe. Weit im offenen Meer, entgegen der brandenden Küste, Raget ein Fels, oftmals überdeckt von schwellenden Wogen, W a n n im Winter der Sturm einhüllt den Himmel in Wolken; Doch ist ruhig die See, steigt auf aus ebenem Spiegel Sonnig ein Kegel, den gern zur Rast aufsuchen die Taucher. Diesen Äneas schmückt als Ziel mit grünendem Eichlaub: Ihn er bestimmt als Punkt, an dem umwenden die Fahrer, Den umfahren sie müßten, zurückzukehren zum Ausgang. Plätze bestimmt das Los; in golddurchwirkten Gewändern Stehn die Führer, von Purpur umglänzt, am Spiegel der Schiffe; Aber die Mannschaft trägt vom Laub der Pappel die Kränze, Nackt die Schultern und fett mit Öl die Glieder bestrichen. Auf den Bänken sie sitzt, schon straff in den Händen die Ruder. Lautlos wartet das Zeichen man ab, die pochenden Herzen Hält in Spannung die Furcht und erregt des Ruhmes Begierde Als die Trompete nun hell das Signal gibt, brechen die Fahrer Ohne Verzug aus den Schranken hervor; ihr Rufen erfüllet Weithin die Luft, die Flut schäumt auf vom Fegen der Ruder. Furchen im Takt sie ziehn, sich spaltet der Spiegel des Meeres, Auf von den Rudern gewühlt und des Bugs dreizinkigen Schnäbeln. So j ä h nehmen das Feld im Rennen der Doppelgespanne Nicht die Wagen, sobald sie der hemmenden Schranken entlassen, So j ä h peitschen das Joch mit wogenden Zügeln nicht Lenker, So weit beugen sie sich nicht vor, den Schlag zu verstärken. Klatschen und Lärmen des Volks, der Eifer der günstig Gesinnten Füllen den Hain, den Schall pflanzt fort das krumme Gestade Und der Hügel Gehäng hallt wider vom tosenden Schreien. Weit den andern voraus inmitten des lärmenden Tobens Gyas die Führung nimmt, ihm folgt auf dem Fuße Kloanthus' Schiff, an Ruderern stark, doch schwer auch fortzubewegen. Erst nach diesen behaupten den Platz in weiterem Abstand Pristis zugleich und Kentaur; um Vorsprung beide sie ringen. Bald ist Pristis voraus, bald läßt Kentaur sie dahinter, Bald in vereinigter Front sie beid gleichmäßig voranziehn

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V 158—195

Wettrudern

Und durchschneiden die See mit langhin furchendem Kiele. Schon sind nah sie dem Fels und nah der Höhe des Zieles, Als Gyas der Führer, der W e t t f a h r t preislicher Sieger, Laut anfährt den Menöt, des Schiffs umsichtigen Lenker: „Wozu soweit nach rechts? Willst nicht du wechseln die Richtung? Dicht an den Fels! Laß dreist links streifen die Ruder die Klippe. Offene See den anderen laß!" Doch fürchtet Menötes Sich vor den Klippen und dreht seewärts das Steuer des Schiffes. „Wieder verkehrt! W o h i n ? Zum Fels ich sage, Menötes!" Lauter es ruft Gyas. Da sieh, im Rücken Kloanthus Drängt sich heran an den Fels, sucht sich die kürzere Strecke. Zwischen des Gyas Schiff und der flutumbrandeten Klippe Hält er den mittleren Kurs, überholt ganz plötzlich den Sieger, Fährt auch sogleich ums Ziel und erreicht die sichere Weite. J e t z t in brennendem Schmerz nicht kann sich fassen der Jüngling, Wird der Tränen nicht Herr und stürzt den lässigen Lenker, Nicht auf Würde bedacht, auch nicht aufs Heil der Gefährten, Jach kopfüber ins Meer von der Höh des obersten Stockwerks. Selbst ans Steuer er geht, übernimmt die Rolle des Lenkers, Rufet der Mannschaft laut und drückt nun gegen den Felsen. Doch inzwischen Menöt sich ringt empor aus der Tiefe, Schon bei Jahren und schwer von triefenden Kleidern belastet, Strebt zur Kuppe des Riffs, erklimmts und setzet sich nieder. Wie der schwimmt und gleitet und ausspeit salzige Fluten, Um die Höhe sich müht, sehn an die Teukrer mit Lachen. So sich bietet den Letzten der vier, Sergestus und Mnestheus, Hoffnung noch, im Kampf zu bestehn den zögernden Gyas. Erster von beiden, Sergest, scharf schon sich nähert dem Felsen Doch nicht erster er ist um die völlige Länge des Schiffes, Nur zum Teil; zum Teil es erreicht der Schnabel der Pristis. Drum die Reihen durcheilt Mnestheus, anfeuert die Rudrer So durchs W o r t : „ J e t z t gilts, sich stramm in die Riemen zu legen, Freunde des Hektor ihr, die mir beim Falle von Troja Ich zu Gefährten erkor; zeigt jetzt nur euere Kräfte, Zeiget den Mut aufs neu, den wir in den Syrien bewiesen, Im ionischen Meer, bei der Fahrt um Mäleas Spitze. Nach der Palme nicht streb ich mehr, dem Preise des Sieges — Schwerer Verzicht! — Zufalle sie dem, dem Gott sie verleihet!

V 196—233

Wettrudern

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Letzte zu sein euch reu! D e n Preis, ihr Bürger, erringet, D i e Schmach wendet von euch!" Das hilft. Im äußersten Ringen Bietet man auf die Kraft. Das Schiff erbebt von den Schlägen, Über die Flut hinsausts; von hastigem Atmen erschüttert Wird die Brust, wird trocken der Mund; Schweiß rinnet in Strömen. Glücklich ein Zufall fügts, daß Schmach abwenden die Braven. Während erregt Sergest den Bug hindränget zum Felsen Und den inneren Kurs einhält auf mißlichem Räume, Wills Unglück, daß hängen er bleibt auf verborgener Klippe. Scharf ist der Stoß, am Riff mit Gekrach zerschellen die Ruder, Und mit durchbohretem Bug sitzt auf am Felsen der Schiffsrumpf. Aufstehn alle mit lautem Geschrei, sie können nicht weiter; Denn Brecheisen zu holen es gilt und beschlagene Stangen, Aus der Brandung heraus die zerbrochenen Ruder zu fischen. Froh und stolz auf seinen Erfolg noch kräftiger Mnestheus J e t z t die Ruderer mahnt, macht sich zunutzen die Brise Und mit der Meerflut Strom er kommt zum sicheren Hafen. So wie plötzlich erschreckt auffliegt aus Klüften die Taube, Wann sie geborgen im Fels das Nest und die niedlichen J u n g e n ; Beim Auffliegen aus Angst sie schlägt mit flatternden Flügeln, Fliegt mit großem Geräusch; bald kommt sie leise nach Hause, Wiegt sich in ruhiger Luft, braucht kaum die Flügel zu regen: So kehrt heim Mnestheus, so furcht am Ziele die Fluten Pristis in ruhiger Fahrt, der Schwung schon leihet ihr Flügel. An dem Riffe zuerst Sergest sie hinter sich bringet, Der, an die Klippe gebannt, umsonst nach Hilfe verlanget Und zu fahren auch lernt, wenn ab die Ruder gebrochen. Dann sie Gyas erreicht im gewaltigen Bau der Chimära; Auch sie bleibet zurück, weil sie den Lenker verloren. Einzig und schon am Ende der Bahn ist übrig Kloanthus. Auch ihm setzet sie nach, die Kraft aufbietend, die letzte. J e t z t sich verdoppelt das Schrein: am Ufer die Schauenden alle Rufen ihr Beifall zu, vom Gedröhn hallt wider der Äther. Jene betrachten als Sieger sich schon; der errungene Vorteil Darf nicht ihnen entgehn, hingeben sie lieber das Leben. Diese beseelt der Erfolg: man kann, was zu können man glaubet. Leicht so hätten den Preis gleichzeitig beide gewonnen, Hätte Kloanth nicht gegen das Meer die Hände gestrecket,

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V 234—271 Wettrudern

Nicht mit Gebet die Götter bestürmt und frommen Gelübden: „Götter, ihr Herren des Meers, das ich wettstreitend befahre, Euch stift f ü r den Altar, durch Gelübde gebunden, als Opfer Ich einen glänzenden Stier, das edle Geweide des Innern Werf in die Salzflut ich, gieß aus euch lauteren Weines." Unten am Grunde der See hört ihn der Töchter des Nereus Schar, des Phorkus Gefolg, hört ihn Panopea, die J u n g f r a u . Selber den Lauf des Schiffs Portünus beflügelt, der Vater. Hinfliegts schneller als Wind, als des Pfeiles befiederte Röhre Landwärts, birgt sich alsbald im Schutz des geräumigen Hafens. Nun des Anchises Sohn einlädt die ganze Versammlung, Läßt durch des Herolds Stimme Kloanth ausrufen als Sieger, Setzt auf das H a u p t ihm selbst den Kranz frisch grünenden Lorbeers, Stellt drei Stiere zur Wahl als Geschenk jür jedes der Schiffe, Wein in Menge, zuletzt ein Talent an gediegenem Silber. Dann den Führern bestimmt er noch an besonderen Gaben: Für den Sieger ein Purpurkleid, durchwirket mit Golddraht Und umrahmet am Saum mit doppeltem Lauf des Mäander. Ein ist gewebt Ganymed, der tief im Haine des Ida Hirsche verfolgt mit dem Speer, im Lauf die schnellen ermüdet: Schwer er atmet, so scheints; ein Aar von der Höhe des Berges Stürzt sich plötzlich herab und e n t f ü h r t zum Himmel den K n a b e n ; Zu den Sternen umsonst ausstreckt die Hände der Diener Troß, schon lange bewährt, in die Luft nachbellen die Hunde. Wer sich errang im Kampf siegreich den zweiten der Plätze, Der einen Panzer bekam aus goldenen Ringeln, die dreifach Waren gedreht; einst selbst er h a t t e geraubt ihn dem Feinde Draußen am Simoisfluß im Kampf vor Iliums Mauern. Diesen er stiftet dem Mann zur Zier und sicheren Deckung. So schwer war sein Gewicht, daß kaum zwei Diener ihn trugen, Schulter an Schulter gestemmt, doch konnte der erste Besitzer Tragen ihn und trotzdem im Lauf noch scheuchen die Troer. Folgt als drittes Geschenk ein Paar von ehernen Becken Und von silbernen Schalen, geschmückt mit rundlichen Bildern. Schon sind alle beschenkt gar reich, und stolz auf die Schätze Schreiten sie fröhlich einher, mit purpurnen Binden umwunden. Da langt endlich auch an Sergest; mit äußerster Mühe Hat vom Felsen gelöst er das Schiff; mit der Hälfte der Ruder

V 272—309

Wettlauf

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Landet er ruhmlos an, muß Spott noch dulden zum Schaden. Oft eine Schlange man trifft beim Gehn auf staubigem Wege, Der quer über den Leib ein Rad ging oder ein Wandrer Gab einen Schlag mit dem Stein; er ließ sie liegen im Staube. Fliehend umsonst sie k r ü m m t zu mächtigen Ringeln den Körper, Kräftig nur teilweis noch hebt sie den zischenden Rachen Glühenden Blicks hochauf; nachhinkt die verwundete Hälfte, Hemmt die Kraft und stützt nur schwach auf Knoten den Körper: So mit gebrochener K r a f t kommt an das letzte der Schiffe. Doch hats auf die Segel gesetzt und kräftig es anläuft. Auch Sergestus erhält jetzt seine versprochene Gabe; Denn Äneas ist froh, d a ß Schiff und Mannschaft geborgen. Er eine Sklavin bekommt, in Minervas Werken bewandert, Kreterin sie von Geburt; an der Brust sie Zwillinge nähret. Als so beendet das Spiel, ein Feld aufsuchet Äneas, Das, mit Rasen bedeckt, ringsum von Wäldern umgeben, Mitten im Tal darbot den Platz zum Laufen der Jugend. .Tausende gingen mit ihm. Zum Schaun sie füllten die Hügel Schnell im fröhlichen R u n d ; hoch ragte der Sitz f ü r Äneas. All die rufet er auf, die gewillt, ihre Kräfte zu messen Mit den andern im Lauf, setzt aus die Preise den Siegern. Zahlreich drängen herzu mit Troern vermischt auch Sikaner. Nisus zuerst, Euryalus dann. Dieser ein liebliches Bild taufrischester Blüte der Jugend, Nisus in Züchten ihn liebt. Danach sich meldet Diöres, Sproß aus Priamus' Stamm von vornehm fürstlichem Blute; Sälius, Patron auch, Akarnäne der eine, der andre Aus arkadischem Blut und zwar tegeäischen Stammes. HSlymus, Pänopes dann, in Sizilien beide geboren, An Landleben gewöhnt, des ältern Akestes Begleiter. Auch manch anderer noch, doch verschweigt ihre Namen die Sage. An sie richtet darauf Äneas folgende W o r t e : „Festlich gestimmt hört an, was ich euch habe zu künden. Keiner von euch soll heut hier fortgehn ohne Belohnung. Gnosischer Lanzen ein Paar, versehn mit funkelnder Spitze, Setz f ü r jeden ich aus, f ü r jeden auch noch eine Streitaxt, Schön mit Silber verziert; doch erhalten besondere Preise, Wie sich gebührt, die Sieger; zunächst den Kranz der Olive

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V 310—347 Wettlauf

Alle, zudem ein Roß der erste mit prächtigem Brustschmuck; Wer als zweiter am Ziel, einen Köcher mit thrakischen Pfeilen; Diesen ein Traggurt hält um die Brust mit breiter Vergoldung, Den am End eine Spange verschließt mit geschnittenem Steine. Mit argolischem Helm geh fort der dritte zufrieden." J e t z t sie stehen am Start. Kaum ist das Zeichen gegeben, Stürzen sie vor in die Bahn, den Ablaufschranken enteilend, Gleich zerstiebendem Regen, aufs Ziel die Blicke gerichtet. Nisus die Spitze gewinnt; voraus weit allen den andern Schneller er stürmt als Wind, dem beflügelten Blitze vergleichbar. Salius diesem zunächst, doch erst in weiter Entfernung. Wieder ein größerer Raum bleibt frei, dann folget der Dritte; Dies Euryalus ist. Dem Euryalus Helymus folgt. Gleich hinter dem letztern, Dicht auf den Fersen ihm stets, stürmt an nach Kräften Diores, Fast er die Schulter berührt. Gäbs noch mehr Räume dazwischen, Auch sie nähm er im Sturm und macht' ihm streitig den Vorsprung. Bald ist die Bahn durchsaust, m a t t ist dem Ziele man nahe, Glaubt es erreicht, da kommt, ausgleitend auf schlüpfrigem Boden, Schuldlos Nisus zu Fall. Viel Blut beim Schlachten der Tiere W a r zur Erde geströmt und naß der Rasen geworden. Fast schon sicher des Siegs kann er feststemmen die Füße Nicht m e h r ; wankend gemacht, bricht er vornüber zusammen Und stürzt nieder im Kot, im Schlamm des heiligen Blutes. Doch er vergißt Euryalus nicht, denkt jetzt noch des Lieblings, Wirft dem Salius sich, trotz Schlicks sich erhebend, entgegen, So daß dieser, im Laufe gehemmt, sich wälzet im Sande. Erster am Ziel Euryalus ist; er dankt es dem Freunde, Daß er das Rennen gewinnt. Man jauchzt und klatschet ihm Beifall. Nächst ihm Helymus kommt und erst als dritter Diores. Salius jetzt anfüllt .das Ohr der ganzen Versammlung Mit unmäßigem Schrein vorn bei den Sitzen der Väter Und er fordert zurück die listig entrissene Palme. Den Euryalus schützt die Gunst, die geziemenden Tränen, Schützet die Tat, wirksam erst recht bei blühender Jugend. Weiter zustatten ihm kommt, daß laut ausrufet Diores, Räume man Salius ein als Recht den ersten der Preise, Bring man ihn um den Ruhm, daß er der letzte der Sieger.

V 348—385

Faustkampf

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Vater Äneas drauf: „Euch, Knaben, verbleiben die Preise, Die nach der Reih ihr gewannt; daran soll keiner mir rütteln. Doch Mitleid ich fühl mit dem Fall des Freundes, der schuldlos." Drum er Salius schenkt das Fell eines libyschen Löwen, Schwer vom zottigen Haar, an dem die Krallen vergoldet. „Wenn, sagt Nisus dabei, solch Preise Besiegte bekommen, Wenn mit diesen du Mitleid fühlst, welch würdiger Gabe Wäre dann Nisus wert, der ich doch Erster von allen, Hätt zu Falle gebracht nicht mich ein tückischer Zufall?" Sagts, weist auf das Gesicht, weist auf die schmutzigen Glieder, Die vom Schlamme bedeckt. Äneas lächelt und bringen Heißt er Nisus den Schild, den einst Didymäon gefertigt, Den, ein Griechengeschenk für Neptun, die Troer entfernet. Dieses erlesenen Stücks sich freut der treffliche Jüngling. Als so beendet der Lauf und verteilt die Gaben an alle, R u f t der Fürst: „Wer tapferen Muts und entschlossenen Geistes, Der aufhebe zum Kampf die riemenumwundenen Fäuste". Rufts und setzt einen Preis dem Sieger sowohl wie Besiegten: Dem einen Stier, umhüllt mit golddurchwirktem Behänge, Jenem zum Trost ein Schwert nebst Helm von trefflicher Arbeit. Ohne Verzug sich Dares erhebt, an Kräften ein Hüne, Dreisten Gesichts; ihn empfängt das Volk mit lautem Gemurmel. E r der einzige war, der oft sich stellte dem Paris, Er, der an Hektors Grab im Faustkampf streckte zu Boden Butes' riesigen Leib, des siegesgewissen, als dieser Einst von Ämykus kam, Bithyniens König, nach Troja; Ihm er den Hieb durchzog und warf halbtot ihn zu Boden. Als solch Kämpfer erhebt sich gleich der mächtige Dares, P r u n k t mit dem Schulternpaar, streckt vor abwechselnd die Fäuste Und zerteilet die Luft kampffroh mit wuchtigen Hieben. Ihm einen Gegner man sucht; doch aus der großen Versammlung Wagt sich keiner hervor und will anlegen die Riemen. Alle verzichten auf Sieg, so meint er, stellt vor Äneas Dreist sich hin, legt ohne Verzug die Linke dem Stiere Siegesgewiß ans Horn und spricht selbstsicher die Worte: „Göttinentsproßner, wozu noch verziehn, wenn aus der Versammlung Niemand zu kämpfen sich traut ? Was hältst du hin denn den Sieger? Sprich mir zu doch den Preis!" Mit Beifall nehmen die Rede

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V 386—422

Faustkampf

Rings die Dardaner a u f ; sein R e c h t nur fordere Dares. J e t z t anfährt den E n t i l l u s mit bitteren Worten Akestes, Der ihm sitzet zunächst am R a n d des grünenden R a s e n s : „ S a g , Entellus, der einst zum Kreis der Tapfersten zählte, L ä ß t du solches Geschenk kampflos dir nehmen geduldig? W o bleibt E r y x denn, dein Lehrer und göttlicher M e i s t e r ? R ü h m s t du dich dessen u m s o n s t ? Dein R u f dich weiter nicht kümmert? Nicht die Beute, womit du geschmückt die Pfosten des H a u s e s ? " J e n e r darauf: „Nicht hat mir Furcht die Liebe zum Ruhme, Nicht mir geraubt die L u s t ; doch stockt bei der Fülle der J a h r e Eisig das Blut mir schon, es rosten die K r ä f t e des Körpers. H ä t t ich die J u n g k r a f t noch, mit der dort prahlet der Freche, Hätt ich sie noch — auch mir sie stählt' einst mächtig die Glieder —, Brauchte des Preises es nicht, des Stiers, zum K a m p f mich zu treiben. Nie mich lockte Gewinn." E r sagts und wirft in die K a m p f b a h n Zwei Faustriemen hinein von außergewöhnlicher Schwere, Deren im K a m p f vordem sich stets bediente sein Lehrer; Händ' und Arme damit er pflegte sich sicher zu schützen. Alles erstaunt: dem Grat von sieben gewaltigen Rindern W a r entnommen die Haut, die Blei noch und Eisen beschwerte. Dares selber erschrickt, weit er im Bogen herumgeht. Aber Äneas greift nach dem Schlagzeug, wäget es prüfend, Drehet es hin und her: endlos die Windungen scheinen. Aber der Greis hebt an und macht nun folgenden Vorschlag: „Wie, wenn einer von euch die Waffen des Herkules selber Hätte gesehn und den traurigen K a m p f an diesem G e s t a d e ? E r y x trug, dein Bruder, o Fürst, dies schreckliche Kampfzeug r - Noch mit Blute du siehsts und Spritzen vom Hirne besudelt —, Als er bestand den K a m p f gegen Herkules; ich es benutzte, Solang K r a f t noch verlieh das B l u t , nicht neidisch das Alter Mir am Haupt die Haare gebleicht, die K r ä f t e geschmälert. Doch wenn unser Geflecht Furcht einflößt Dares, dem Troer, Wenns Äneas beliebt und Akest, mein R a t e r , es billigt, Machen die Waffen wir gleich. Ich laß die Riemen des E r y x , Banne die F u r c h t , und du zieh aus das troische K a m p f z e u g ! " Hierbei schlägt er zurück den doppelt gefalteten Mantel, Zeigt der Glieder Gepräng, die kräftigen Knochen und Arme,

V 423—460

Faustkampf

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Und tritt ein in die Mitte des Felds als riesiger Kämpe. Jetzt holt vor Äneas ein Paar gleichartiger Riemen Und umwickelt die Hände damit und Arme der beiden. Hoch auf die Zehen sogleich sich stellt ein jeder von ihnen Und hebt furchtlos auf die viel umwickelten Arme. Weg vorm Schlag sie wenden zurück die riesigen Köpfe, Lassen den Händen das Spiel und meiden die sausenden Hiebe, Jener gewandter, zu regen den Fuß, der Jugend vertrauend, Dieser durch massigen Bau der stärkere. Leicht ihm die Kniee Wanken bereits, schwer keucht bei jeder Bewegung der Atem. Hieb saust nieder auf Hieb, man schlägt vergebliche Wunden, Unter verdoppeltem Streich dröhnt laut die getroffene Flanke, Dröhnt die getroffene Brust; um Ohr und Schläfen die Fäuste Hageln in dichtem Gewirr, vom Schlag laut krachen die Backen. Fest Entellus sich stemmt, läßt nicht sich drängen vom Standplatz, Nur mit Augen und Rumpf weicht aus er wuchtigen Hieben. Jener, wie wer auffährt vor trotzige Vesten Maschinen Oder ein Bergkastell umschließt mit eisernem Ringe, Sucht bald hier bald dort einen Zugang, spähet verständig Aus die Blößen, bedrängt sie hart durch Stürmen — erfolglos! Endlich erhebt zum Entscheidungsschlag Entellus die R e c h t e : Jener ersieht die Gefahr, die schwer ihm drohet von oben, Und entgehet dem Hieb durch Sprung des gelenkigen Körpers. So vergeudet die Kraft in die Luft Entellus; der Schwere Stürzt vornüber zur Erd durch die Wucht des eigenen Leibes, Wie die Pinie dröhnend stürzt auf den Höhen des Ida, Wenn von Äxten gelöst der Stamm aus klammernden Wurzeln. Teilnahmsvoll sich die Jugend erhebt der Sikaner und Teukrer, Macht durch Schreie sich Luft; als erster Akest ist zur Stelle, Hebt vom Boden den ältesten Freund, erfüllet von Mitleid. Aber der Unfall hemmt und schreckt nicht weiter den Helden, Schärfer sogar aufnimmt er den Kampf, W u t steigert die Kräfte, Scham ihn erfüllt, er gewinnt das Bewußtsein wieder des Könnens. H a r t drängt über das Feld er nach dem weichenden Gegner Und verdoppelt die Schläge zugleich mit der Rechten und Linken. Pausen und Rast nicht gibts. Wie dicht aus der Wolke der Hagel Prasselt aufs Dach, so dicht auf Dares prasseln die Hiebe Nieder, die jener erteilt, gleich stark auf jedem der Arme.

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V 461—498

Faustkampf, Bogenschießen

Aber Äneas läßt den Zornigen weiter nicht wüten, Läßt Entellus den Weg der Erbittrung weiter nicht gehen, Macht ein Ende dem Kampf. Er nimmt des ermüdeten Dares Freundlich sich an, entreißt ihn der Not und mahnet ihn tröstlich: „Welch Wahn trieb, Unseliger, dich zu solchem Beginnen? Fühlst du göttliche Macht, fühlst du nicht höheres W a l t e n ? Weiche dem G o t t ! " Den Kampf er so mit Worten entscheidet. Dares schleppt mit Mühe sich f o r t ; bald hierhin, bald dorthin Schwanket der Kopf; kraftlos speit er aus klaffendem Munde Klumpen von Blut, speit aus auch Zähne darunter gemischet. So man ihn führt ans Schiff. Die versprochenen Waffen empfangen Beide zugleich. Entellus erhält den Stier und die Palme. J e t z t vom Gefühl übermannt, ruft stolz und freudig der Sieger: „Göttinentsprossner und ihr, Trojaner, entnehmet dem Vorfall, Was an Kräften ich einst mein nannt in jüngeren Tagen Und aus welcher Gefahr ihr Dares eben gerettet." R u f t s und stellt sich dabei dem Kopf des Stiers gegenüber, Der als Preis zugegen beim Kampf. Die wuchtigen Riemen Schwingt mit der Rechten er hoch und trifft so zwischen den Hörnern Jählings das Tier; der Schädel zerbirst und spritzt das Gehirn aus: Zitternd zu Boden es stürzt, der Schlag ihm kostet das Leben. Fromm Entellus den Sturz des Stiers mit den Worten begleitet: „ E r y x , nimm für Dares das Tier als besseres Opfer! Aufgeb hier ich als Sieger die Kunst, geb auf auch die Riemen." Gleich Äneas darauf einlädt zum Kampf mit dem Bogen All die dazu bereit; stellt aus f ü r Sieger die Preise Und mit kräftiger Hand er hilft aufpflanzen den Mastbaum Aus dem Schiffe Serests. Ein Seil wird diesem umschlungen, Oben daran als Ziel für den Pfeil eine Taube gebunden. Kämpfer sich sammeln alsbald, die Lose man wirft in den Helmtopf. Draus Hippökoons springt, des Hyrtakussohnes, als erstes, W a s mit Beifallsruf die ganze Versammlung begleitet. Mnestheus folget darauf, im Schiffskampf einer der Sieger, Mnestheus, er schon geschmückt mit dem Kranz der grünen Olive. Dritter Eurytion ist, dein Bruder, berühmtester Schütze Pandarus, der auf Minervas Wunsch, das Bündnis zu stören, Schoß als erster den sicheren Pfeil in die Reihe der Griechen. Unten im Helmtopf lag als tiefstes das Los des Akestes,

V 499—536

Bogenschießen

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Der an der Jünglinge Streit selbst teilzunehmen noch wagte. J e t z t mit kräftigem Druck, so gut ein jeder vermochte, Spannt die Sehnen man ein, entnimmt die Pfeile den Köchern. Von der schwirrenden Senn das Geschoß als erster entsendet Hyrtakus' Sproß; es zerteilt im Nu die flüssigen Lüfte, Kommt an das Ziel und sitzt — vorn oben im Holze des Mastes. Bebend erdröhnt der Stamm, aufflattert der ängstliche Vogel, Aus der Höhe herab klingt bang das Schlagen der Flügel. Nach ihm stellet sich auf Mnestheus, zieht an sich den Bogen, Richtet zur Höhe den Blick, mit ihm die Spitze des Pfeiles. Aber den Vogel vermag nicht selbst zu treffen der Arme, Bloß er den Knoten zerschießt, mit ihm die hänfene Fessel, Drin, die Füße verstrickt, hing oben am Mäste der Vogel. Er in die Luft sich erhebt und fliegt zu den dunkelen Wolken. J e t z t Eurytion ruft, der längst zum Schusse den Bogen Hielt in der Hand, den Pandarus an in mißlicher Lage, Sichtet am Himmel die Taube, die frei sich tummelt im Räume, Trifft sie mit sicherem Schuß, noch eh sie bergen die Wolken. Leblos fällt sie herab, dem Luftraum lassend ihr Leben, Und bringt wieder den Pfeil, der fest ihr haftet im Körper. So sich entschied der Sieg. Allein war übrig Akestes. J e t z t er schnellet den Pfeil ziellos zum luftigen Himmel, Zeigt seine Kunst und prunkt mit vollerem Klange des Bogens. Da sich bietet dem Blick ein Wunder, des große Bedeutung Erst die Z u k u n f t enthüllt. Sie lehrt erst sehen die Seher, Die das Zeichen zuerst als Unheil wollten verkünden. Beim Durchfliegen der Luft den Pfeil man sieht sich entzünden, Zeichnen mit Feuer den Weg und spurlos endlich verschwinden In der Wolken Bereich: so ziehn, wie fallend vom Himmel, Oftmals Sterne vorbei, nachschleifend die feurige Rute. Wie vom Donner gerührt drob staunen Sikaner und Teukrer, Senden Gebete hinauf, doch weist nicht Vater Äneas Ab das Zeichen von sich, umarmt den frohen Akestes Und gibt ihm das beste Geschenk, als wär er der Sieger: „Nimm dies, V a t e r ! Denn dich wollt ehren der Herr des Olympus Auch ohn wirklichen Kampf durch solch ein Wunder am Himmel. Aus des Vaters Besitz empfang als Gabe den Mischkrug, Den, mit Bildern geschmückt, einstmals der Thrazier Kisseus

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V 537—574

Trojaspiel

Vater Anchises gab, ein auserlesenes Prachtstück, Als Andenken an sich und Pfand der höchsten Verehrung." Bei den Worten umkränzt er Akest die Schläfen mit Lorbeer Und vor allen begrüßt er ihn als ersten der Sieger. Ihm Eurytion, edel genug, nicht neidet den Vorzug, Wenngleich s e i n Pfeil doch durchbohrte die flüchtige Taube. Der den Knoten zerschoß, empfängt als zweiter den Kampfpreis, Dritter ist, der das Rohr eintrieb in die Spitze des Mastbaums. Noch hat Äneas nicht von hier die Versammlung entlassen, Als Epytides er, des lullus Begleiter und Hüter, Zu sich beruft und ihm den Auftrag gibt als Getreuem: „Sag Askanius doch, falls er schon Knaben zum Festzug Habe bereit und geübt im Kunstlauf, sicher zu Pferde, Daß zur Ehre des Ahns er in Waffen sich zeig mit den Rotten". Gleich er säubert das Feld von der dicht sich stauenden Menge, Heißt freimachen die Bahn fürs Spiel roßliebender Jugend. Stolz sie reitet hinein, selbst schmuck, vor den Augen der Eltern, Schmuck auch die Rosse gezäumt. Ihr Einzug löst bei den Troern, Bei den Siziliern aus des Beifalls jauchzendes Brausen. Um die Helme sich legt nach Brauch ein zierlicher Laubkranz. J e zwei Speere man f ü h r t , mit eiserner Spitze versehen; Ein Teil trägt auch Köcher von Erz; von geflochtenem Golde Ziert eine Kette den Hals, die leicht den Formen sich anschmiegt. Drei der Rotten es sind, jedwede mit eigenem F ü h r e r , Der zweimal sechs Knaben befiehlt; ein M e i s t e r die Hälfte Unter sich h a t : so gibts zwei Züge bei jeder der Rotten. Erste der Rotten anführt ein Priamus, Sohn des Polites, Der als Enkel erneut Großvaters Namen, ein Mehrer Einst der Städte des Lands. Ihn trägt ein thrakischer Renner, Scheckig gesprenkelt am Fell; wie Schnee grad über den Hufen Schimmert der Fuß und weiß auch zeigt sich oben die Stirne. Atys ist zweiter. Von ihm a b s t a m m t der Atier Sippe; Innig befreundet als Knaben schon sind lullus und Atys. Letzter Askanius ist; an Schönheit all überragend Tummelt er sein sidonisches Roß, das Königin Dido Einst zur Erinnerung ihm und als Pfand der Liebe geschenket. Sonst die Rosse zum Spiel stellt gern der übrigen Jugend Selber Akest.

V 575—611

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Troj aspiel

Beifallsklatschen e m p f ä n g t die Schüchternen, freudig erkennen In dem j u n g e n Gesicht die Troer die Züge der Eltern. Als die J u g e n d den Kreis, die Schar der Ihren g e m u s t e r t , Gibt E p y t i d e s j e t z t weithin m i t der S t i m m e das Zeichen Und knallt schrill, da die Züge bereit, dazu mit der Peitsche. In Halbchöre geteilt, m a n sprengt auseinander in R o t t e n , So d a ß jede sich löst; d a n n auf ein anderes Zeichen W e n d e t man wieder sich u m , zum Angriff fällend die Lanzen, Doch einen anderen W e g hierbei sie reiten und Rückweg. Gegeneinander gekehrt, sie Kreis' in Kreise verpflechten Und so Bilder des K a m p f s hervor sie rufen im Spiele. Bald sie wenden zur F l u c h t , bald a u f e i n a n d e r sie richten W i e d e r den Speer zum K a m p f , bald reiten sie friedlich z u s a m m e n . Vom L a b y r i n t h m a n sagt, dem Schrecken des bergigen K r e t a , D a ß es Gänge verbarg, von felsigen W ä n d e n umschlossen, Von Irrwegen d u r c h q u e r t , die n i m m e r erlaubten, die R i c h t u n g A u f z u s p ü r e n , den W e g zum Ausgang wieder zu finden. So verschlingen sich hier beim Spiel die Reihen der Reiter, W e b e n ein Bild von F l u c h t und K a m p f , die Sinne verwirrend, Gleich den T u m m l e r n des Meers, die beim Durchschwimmen d e r Wogen Sich in lustigem Spiel einander verfolgen und fliehen. Diesen gefälligen Brauch d a m a l s IuIIus erneuert, Als er mit Mauern u m g i b t Langalbas s c h ü t z e n d e S t ä t t e , Lehrt zu feiern das Fest des Lands ursprüngliche Siedler, W a s er als K n a b e gelernt, j u n g mit der J u g e n d getrieben. Alba die Seinen es l e h r t ; von ihm e m p f ä n g t s in der Folge R o m , das mächtige H a u p t , und w a h r t das E r b e der Väter. T r o j a d a s Spiel h e u t heißt, auch so das T u m m e l n der K n a b e n , Noch bis heute m a n t r e i b t s dem göttlichen V a t e r zur Ehre. Hier F o r t u n a zuerst versagt die Treue den Troern. W ä h r e n d in wechselndem Spiel dem T o t e n m a n Ehren erweiset, Schickt v o m Himmel h e r a b J u n o die Botin der Götter Zu den Schiffen der Troer, beschleunt ihr Fliegen durch W i n d e . So viel auch sie b e d e n k t , den Schmerz nicht k a n n sie v e r w i n d e n . Schnell n i m m t Iris den W e g durch den vielfarbigen Bogen U n d , von keinem gesehn, fliegt sie zur E r d e hernieder. Hier die Scharen sie sieht beim Schauspiel, m u s t e r t die K ü s t e , T r e n d e l e n b u r g , Virgils Aeneis.

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V 612—649

J u n o reizt durch Iris die troischen Frauen

Öd sie den Hafen erblickt und leer die verlassenen Schiffe. Fern am stillen Gestad abseits dasitzen die Frauen, Laut um Anchises' Tod erschallt ihr Klagen, und weinend Blicken sie trüb aufs Meer. Ach, daß soviel für die Müden Übrig davon noch ist. Sind sie doch einig in Einem: Dauernder Sitz ihr Wunsch, ihr Gram die fernere Seefahrt. Iris sich an sie macht, nicht unerfahren im Schaden. Doch legt ab sie der Göttin Gestalt und wechselt die Kleider, Macht zur Beroe sich, Doyrklus' greiser Gemahlin, Der einst Namen, Geschlecht und viel Nachkommen beschieden. So sie tritt in den Kreis der einsam sitzenden Mütter: „Weh euch Armen, daß nicht auch euch hinmähten die Feinde Vor den Mauern der H e i m a t s t a d t ! Unglückliche Frauen, Zu welch traurigem Los bliebt ihr verschonet vom Zufall? Schon zum Ende sich neigt rastlos der siebente Sommer, Seit durchmessen wir all soviel an Ländern und Meeren, Soviel Felsen, Gestirn, dieweil dem flüchtigen Neuland Wir zur See nachjagen und preis uns geben den Wellen. Hier ist Eryx' brüderlich Land, hier unser Akestes: Wer denn hindert uns, hier die Stadt zu gründen den Bürgern? Heimat du, Hausgötter, dem Feind umsonst ihr entrissen, Soll nie wiedererstehn für uns die Veste von T r o j a ? Nirgends wieder wir sehn die heimischen Flüsse des H e k t o r ? Auf denn, handelt mit mir, verbrennt das böse Geschwader! Eben im Traum mir erschien Kassandras Bild, der Prophetin, Bot eine Fackel mir dar und sprach: „ H i e r suchet euch Troja, H i e r ist die Heimat e u c h ! " Der Tag ist kommen zu handeln; Aufschub duldet das Traumbild nicht. Seht vier der Altäre Hier Neptunus geweiht! Er entflamm uns Fackeln und Wollen!" Sagts und entreißt dem Altar des Gotts ein brennendes Scheitholz, Hebts in die Luft empor, entfachts zur lodernden Flamme, Wirfts in ein Schiff. Starr stehn und ratlos alle die Frauen. Eine von ihnen, bejahrt wie keine der übrigen, Pyrgo, Die dem Priamus viel der Kinder als Amme gepäppelt: „Nicht ist Beroe dies, Doryklus' troische Gattin, Keine der Sterblichen i s t s ! Seht nur die göttliche Schöne: Welch ein Leuchten im Blick, im Hauch welch göttliches Wehen, Welch ein Gesicht, welch Ton, im Gang welch würdige Haltung!

V 650—687

Die Frauen stecken Schiffe in Brand

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Beroe selbst ich eben verließ; krank liegt sie danieder, Von Unwillen erfüllt, d a ß fern heut bleiben sie müsse Solch einem Fest, nicht könnt Anchises Ehren erweisen". Dies ihr Bericht. Anfangs schwanken die F r a u n ; sie sehn mit scheelen Gesichtern Auf das Geschwader am Strand, unschlüssig ob bleiben sie sollen Oder gehorchen dem Ruf des Schicksals über die Salzflut. Plötzlich sich Iris erhebt, vom P a a r der Flügel getragen, Und durchschneidet die Luft blitzschnell in gewaltigem Bogen. Jetzt wie vom Donner gerührt, in W u t vom Wunder versetzet, Schreit man auf, raubt Feuer vom Herd der benachbarten Häuser, Von den Altären zugleich, wirft Laub und Reisig und Scheite In die Schiffe hinab. J e t z t um sich greifen die Flammen, Finden der Nahrung viel an Bänken und tannenen Planken. Schnell zu dem Spielplatz dringt, zum Anchiseshügel die Kunde, Daß in Brand die Schiffe gesteckt; schon sieht die Versammlung Selbst aufsteigen den Qualm, mit Rauch sich füllen den Äther. Erster Askanius ist, mit dem Spiel noch eben beschäftigt, Der in schneidigem Ritt hinsprengt zum brennenden Lager .Und sich halten nicht läßt von Meistern und bleichen Genossen. „ W a s f ü r ein Wahnsinn dies? W a s h a b t , unselige Frauen, Ihr denn im S i n n ? Nicht Feind, nicht feindliches Gut ihr verbrennet, Nein, euer eigenes Heil! Seht, dies lullus euch saget!" Dabei reißt er den Helm, in dem noch eben beim Kriegsspiel Er so gestrahlt, vom H a u p t , wirft ihn vor die Füße den Weibern. Eilig auch ist zur Stell Äneas, auch das Gefolge. Aber aus Angst die Fraun auf einmal alle zerstieben, Suchen im Wald sich Schutz, in K l ü f t ' und Höhlen der Berge. Schwer sie die Tat, das Leben sie r e u t ; verwandelten Sinnes Nahen den Ihren sie sich, von J u n o wenden sich alle. Doch drum ruhen die Flammen noch nicht, an Stärke noch wachsend W ü t e t der Brand, ihn nähret das Werg selbst unten im Feuchten. Träg steigt auf der Rauch, langsam verqualmen die Kiele Und stets tiefer hinab sich frißt das zehrende Feuer. Menschliche K r a f t nichts nützt, nichts Ströme vergossenen Wassers. Endlich Äneas sich vom Leib abreißet die Kleider, Streckt zum Himmel die Händ und holt sich Hilfe von droben: , , J u p p i t e r , Mächtigster du, sind noch nicht alle Trojaner 7*

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V 688—725

Löschung des Brandes

Dir im Herzen verhaßt, blickt noch dein altes Erbarmen Auf uns Arme herab, laß unser Geschwader entgehen Schmählicher Glut, preisgib dem Tod nicht unsere Schwachheit, Oder, verdien ichs so, vertilg mit feindlichem Blitze Alles was uns noch blieb, vertilgs mit strafender Rechten!" Kaum hat dies er gesagt, zieht auf ein schweres Gewitter Mit Platzregen vereint. Beim Krachen der Donner erbeben Felder und Höhn, kohlschwarz umwölkt sich der Himmel, es stürzen Fluten auf Fluten herab, Windstoß dicht folget auf Windstoß. Bis zum Rand sich füllen die Wracks, die verkohleten Teile Triefen, der Qualm ist tot. Wenn auch vier Schiffe verloren, Blieb doch bewahrt der Rest vorm Hauch vernichtender Gluten. Vater Äneas schwankt, vom widrigen Schlage betroffen, Her und hin und hegt in der Brust unschlüssige Pläne. Soll er, uneingedenk des Schicksals, nieder sich lassen Auf sizilischem Grund, soll er Italien suchen? Nautes, nahezu Greis, den Minerva tiefstes Verstehen Hatte gelehrt und ein auch geweiht in mancherlei Künste — Auskunft kann er geben, wie Zorn der Götter zu Sänften, Und was Schicksals Wille verlang mit eisernem Rechte —, Der zuspricht dem Könige Trost mit folgendem Rate: „Göttinnensproß, das Schicksal r u f t ! Ihm müssen wir folgen. Was es auch sei, jedwedes Geschick wird Dulden bezwingen. Hier dir wohnt aus göttlichem Stamm der Troer Akestes. Zieh ihn hinzu zum R a t ! Des wird er nimmer sich weigern. Ihm überlaß all die, die jetzt, wo Schiffe verloren, Unterzubringen nicht sind, auch gram längst deinem Entschlüsse. Such die Greise heraus, die seefahrtmüden der Frauen, Alles, was dich nur schwächt und gern vermeidet Gefahren. Laß die Schwachen zurück; hier mögen sie Mauern sich bauen, Die mit deinem Verlaub als Stadt sie nennen Akesta". Von solch Worten entflammt und bedrückt des älteren Freundes, Wird des Äneas Herz erst recht von Sorgen zerrissen. Eben hat dunkele Nacht das Himmelsgewölb überzogen, Als von oben herab die Gestalt des Vaters Anchises Plötzlich erscheint dem Sohn, ihm Folgendes anzuvertrauen: „Sohn, einst teuerer mir, solang auf Erden ich weilte, Als mein Leben, geprüft durch Trojas bitteres Schicksal,

V 726—763

Die zurückbleibenden Troer gründen eine S t a d t

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Herschickt Juppiter mich, des Hand die Flotte bewahrte, Der sich deiner erbarmt' als Herr des himmlischen Sitzes. Folge dem Rat, den jetzt dir gab der ältre Genosse. Nach Italien nimm mit dir erlesene Jugend, Nur die Tapfersten all! Ein Volk von eiserner Härte Hast in Latium du zu bestehn. Doch vorher besuche Drunten das Reich des Dis, eingeh am tiefen Avernus; Mich dort treffen du wirst, mein Sohn, doch nicht bei den Schatten, Die lieblos der Tartarus birgt: ich weil bei den Frommen Auf Elysiums lieblicher Flur. Die keusche Sibylle Führt dich zu mir, wenn viel du schwärzliche Tiere geschlachtet. Hier dein Geschlecht, deine künftige Stadt wirst kennen du lernen. J e t z t leb wohl! Die Mitte der Bahn hat Nacht überschritten Und Sols schnaubend Gespann mich vertreibt mit feurigem Hauche". Sagts und hebt sich empor wie Rauch in den flüssigen Äther. Drauf Äneas: „Wohin so schnell? Ist Eile so nötig? Vor wem fliehest d u ? Wer entzieht dich meiner U m a r m u n g ? " Dabei fachet er an zur Glut die glimmenden Aschen, Ehrt den troischen Lar, der uralt heiligen Vesta Sitz mit geschrotetem Mehl und des Weihrauchs reichlichem Opfer. Alsbald ruft er die Freunde zum Rat, vor allen Akestes, Sagt was Juppiter heischt, was ihm Anchises geboten, Was als festen Entschluß er selbst jetzt heget im Herzen. Ohne Verzug man berät, nicht Akest sich weigert des Auftrags. Ein man trägt in die Listen des Orts, sorgfältig geführet, Frauen und williges Volk, dem Lob man reichlich erteilet. Neu Schiffsbänke man schafft; die Planken, vom Feuer beschädigt, Werden ersetzt, neu wieder gemacht die Ruder und Taue. Wenige bleiben an Zahl, doch Kampf stählt jegliche T a t k r a f t . Mit dem Pfluge die Stadt indes umfurchet Äneas, Lost die Wohnungen aus: die Stadt soll Ilium heißen, T r o j a das Land. Des Reichs sich freut der Troer Akestes, Sitzung bestimmt er und Markt und den Wirkungskreis des Senates. Dann einen Tempel man weiht auf Eryx' ragendem Scheitel Venus, die danach genannt; nahbei das Grab des Anchises Wird einem Priester vertraut nebst Hain, den weit man verehret. Als neun Tage das Volk an- festlichen Tischen gespeiset, Ehrend der Götter Altar, da glättet sich wieder die Fläche,

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V 764—801

Venus bei Neptun

Und ein südlicher Wind lädt ein zu günstiger Seefahrt. J e t z t sich Weinen erhebt weithin am krummen Gestade, Unablässig man sich umarmt zum ewigen Abschied. Wollen die Fraun doch selbst mitziehn, mitwollen auch jene, Denen die See verhaßt und schwer zu nennen ihr Name; Selbst die sperren sich nicht, der Flucht Unruhe zu tragen. Ihnen Äneas Trost zuspricht mit freundlichen Worten Und empfiehlt sie der Hut des blutsverwandten Akestes. Eryx heißt er der Kälblein drei, den stürmischen Winden Schlachten ein Lamm und dann der Reih nach lösen die Taue. Vorn er stehet am Bug, ums Haupt den Kranz der Olive, Hält eine Schale bereit, von inneren Teilen der Opfer Auszuwerfen ins Meer, des lauteren Weines zu spenden. Hinten am Spiegel des Schiffs der Wind die Fahrenden fördert, Eifrig die Mannschaft schlägt die See mit fegenden Rudern. Venus indes, von Sorgen gequält, mit Bitten sich wendet An Neptunus und läßt ihr Leid ausströmen in Klagen: „ J u n o s Grollen, Neptun, ihr unversöhnliches Wüten Läßt demütige Bitten mich tun, mich alles versuchen. Nicht die Länge der Zeit, nicht frömmste Verehrung sie sänftet, Selbst nicht Juppiters Wunsch; nicht will sie weichen dem Schicksal. Nicht ihr genügts, der Phrygier Stadt vernichtet zu haben In unsäglichem H a ß ; sie zerrt die Reste der Troer Hin durch jegliche Qual; nicht mal der Toten Gebeine Läßt im Grabe sie ruhn. Nur sie mag wissen die Gründe. Selbst du Zeuge ja warst, was jüngst auf libyschem Meere Sie f ü r Tosen erregt. Mit dem Himmel sich mischten die Fluten, H a t t e sie doch — umsonst! — vertraut des Äolus Stürmen. Dein Reich wars, wo das sie gewagt. Auch trojanische Fraun sie trieb zu schnödem Verbrechen, Warf in die Schiffe den Brand und zwang nach großen Verlusten Freunde zu lassen zurück an unerforschten Gestaden. Laß drum sicher das Meer den Rest der Flotte befahren, Laß nach glücklicher Fahrt an Laurentums Tiber sie landen, Wenn, was ich fleh, erlaubt, und die Stadt den Parzen genehm ist". Drauf der Herrscher des Meers also zur Venus sich äußert: „Recht, Kytherea, du tust, in d e m Reich Hilfe zu suchen, Dem du selber entstammst. Hab ichs um dich doch verdienet.

V 802—839

A b f a h r t der t r o i s c h e n F l o t t e v o n Sizilien

103

Oft liab ich S t ü r m e g e b a n n t , die W u t des Meeres g e h e m m e t . Auch zu L a n d e mir lag — das Simois, X a n t h u s bezeugen — Stets Äneas am Herzen. E r i n n r e d i c h ! Als der Pelide Einst zur S t a d t hintrieb der Troer e n t k r ä f t e t e Mannen, Tausenden gab den Tod, so d a ß a u f s t ö h n t e n die Flüsse, Voll mit Leichen gestopft, zum Meer sich X a n t h u s den Abfluß Nicht zu b a h n e n vermocht, e n t f ü h r t in hüllender Wolke Ich den Äneas selbst — ungleich ja Götter und K r ä f t e W a r e n verteilt im Kampf —, obwohl die troischen Mauern Gern ich h ä t t e zerstört, die doch ich selber errichtet. Ganz desselbigen Sinns bin ich heute noch. Banne dein F ü r c h t e n ! Sicher Äneas k o m m t zum Hain des tiefen Avernus. N u r ein H a u p t entbehren er wird, das Fluten ihm rauben, Opfern er m u ß dies eine den ü b r i g e n " . Als N e p t u n der Göttin Gemüt so freundlich beruhigt, S p a n n t seinen W a g e n er an, legt ein den Rossen das Z a u m w e r k In das s c h ä u m e n d e Maul und läßt frei schießen die Zügel. Über die bläuliche Flut fliegt hin der W a g e n des Gottes. Schnell das Gewoge sich legt, sich g l ä t t e t zur ebenen Fläche U n t e r der Achse das Meer, das Gewölk enteilet dem Himmel. Dicht sich d r ä n g e n heran der Begleitung wechselnde S c h a r e n : Hier des Glaukus Gefolg und P a l ä m o n , Sprößling der Ino, Schnelle T r i t o n e n , dazu vollzählig die Sippe des P h o r k u s . Links sich Melite zeigt, P a n o p e a mit Thetis, die N y m p h e n , Auch die Schwestern Nisäa, K y m ö d o k e , Spio, Thalia. So dem t r ü b e n Gemüt Äneas' Freuden auch einmal Suchen sich schmeichelnd zu n a h n . Schnell er die Masten errichten H e i ß t und schnell aufziehn am Mast f ü r die Segel die R a h e n . All a u f m e r k e n zugleich, wie s t a r k zu drehen die Segel. Bald sie lockern sie rechts, bald links; gleichmäßig sie ziehen An die Stangen und ab, den W i n d stets richtig zu f a n g e n . Allen v o r a n im Schiffszug f ä h r t P a l i n u r u s der F ü h r e r ; N a c h ihm richten den Lauf die Lenker der anderen Kiele. Schon w a r n a h e die N a c h t dem Pol des Himmelsgewölbes, Schon pflag friedlichen Schlafs des Schiffsvolks m ü d e Gemeinde, U n t e r den Bänken gestreckt aufs hölzerne Lager des Bodens, Als v o m Äther herab der Schlafgott leise sich senket, Teilend die dunkele Luft lautlos m i t schattigen Flügeln,

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V 840—871

Palinurus' Tod

Auf dich zu, Palinur, dir traurige Ruhe zu bringen, Dir, dem Manne der Pflicht. Am Heck sitzt nieder der Schlafgott, Phorbas gleich an Gestalt, und raunt in flüsterndem Tone: ,,Iasus' Sohn Palinur, das Meer f ü h r t selber die Flotte; Ganz gleichmäßig der Wind, die Stund sehr günstig der Ruhe. Neig zum Schlummer das Haupt, schließ zu die Lider, die müden. Will ausüben indes für dich des Steuers Bewachung." Müd Palinurus hierauf — mit Müh schlägt auf er die Blicke: „Ich den tückischen Trug des ruhigen Meeres verkennen! Ich dem Untier traun, wenn sichs auch freundlich gebärdet! Ich preisgeben den Herrn dem Spiel der schwankenden Winde! Ich, den häufig genug der heitere Himmel betrogen!" Solches er sagt. Gradauf und fest am Steuer die Hände, Läßt er nicht ab vom Amt und richtet den Blick auf die Sterne. Sieh, da schüttelt der Gott den Zweig, vom Taue der Lethe Feucht, einschläfernd durch stygische Kraft, ihm über die Schläfen, Schließt den schwimmenden Blick, a n k ä m p f t Palinurus vergebens. Kaum hat plötzlich die Ruh im Schlaf die Glieder gelöset, Wirft sich der Gott auf ihn, bricht ab vom Hecke das Randstück, Das mit dem Steuer zugleich sich löst und stürzt in die Tiefe, So daß schwach die Stimme verhallt, die da rufet den Freunden. Dann auf Fittichen leis er aufsteigt wieder zum Himmel. Auch so setzet den Lauf still fort das ganze Geschwader Und kommt rüstig voran, wie Vater Neptun es versprochen. Schon bringt muntere Fahrt es nah dem Riff der Sirenen, Einst ein gefährlicher Fels und voll von bleichen Gebeinen, J e t z t nur tönend umrauscht vom Schwall anprallender Wogen: Unstet tanzen nun sieht sein Schiff Äneas im Wasser, Da der Lenker ihm fehlt. Drum nimmt er selber das Steuer, Leitet die nächtliche Fahrt und ruft mit Seufzen dem Freunde: „Ach, du trautest zu leicht dem Meer und heiterem Himmel, Drum wirst liegen du nackt, Palinur, an fremdem Gestade!"

VI 1—33

L a n d u n g der F l o t t e bei

105

Kumä

Sechstes Buch Äneas' Gang in die Unterwelt So ruft weinend er aus, überläßt die Flotte dem W i n d e U n d geht endlich an L a n d a m S t r a n d des euböischen

Kumä.

S e e w ä r t s wenden die Schiffe den Bug, mit haftendem

Zahne

Sichert der Anker den R u m p f , weithin die K r ü m m u n g der Spiegel D e c k t den S a u m des Gestads. Aus auf Hesperiens S t r a n d .

F r o h s c h w ä r m t trojanische J u g e n d Ein Teil sucht Samen des Feuers,

Der im Kiesel sich birgt, ein anderer raffet sich Reisig Aus Schlupfwinkeln des Wilds und weist auf gefundene Quellen. Aber Ä n e a s eilt zu den Höhn, auf denen Apollo T h r o n t , zur Grotte darin, dem heimlichen Sitz der Wenig entfernt.

Sibylle,

Den Geist ihr h a u c h t e der delische Seher

Ein und die göttliche K r a f t , der sich erschließet die Zukunft. Schnell sie nahen in H e k a t e s Hain dem goldenen Tempel. Dädalus floh — die Sage so wills — aus dem Reiche des Minos, K ü h n , sich a n z u v e r t r a u n

der

Luft auf hurtigen

Doch unkundig des W e g s k a m er zum eisigen

Flügeln. Norden

Und stieg schließlich herab zur B u r g chalkidischen Ursprungs. Hier dem Festland wiedergeschenkt, weiht, Phöbus, er d a n k b a r Dir der F i t t i c h e P a a r und b a u t den prächtigen Schmückt

mit

Bildern die T ü r :

Tempel,

Hier fällt Androgeos,

Zahlen die Kekropskinder T r i b u t , ach, sieben der

dorten

Söhne,

Sieben der T ö c h t e r im J a h r ; m a n zog aus der Urne die Lose. Dem auf der anderen T ü r entspricht das gnosische Hier die scheußliche Heimlich Widrige

Pasiphaes

Liebe zum Brunst;

Zwittergestalt,

Stier, ihm

des

Denkmal

Minosstieres, wahnsinniger

D o r t des Hauses Gewirr, ein unentrinnbarer

Bergland:

untergeschoben des

Sprößlings,

Liebe.

Irrweg.

Doch Ariadnes Liebe, sie r ü h r t j a Dädalus selber; Drum

entwirrt

er der Gänge

Geschling,

L e n k t mit dem Garn er hinaus.

die trüglichen

Schritte

Auch h ä t t im Bilde der Vater,

Ikarus, deiner g e d a c h t , h ä t t ihm sein Schmerz es g e s t a t t e t . Zweimal s u c h t er in Gold den S t u r z des Sohnes zu bilden, Z w e i m a l sinkt ihm die H a n d .

Gern h ä t t e n die T r o e r die Bilder

106

VI 34—71

A n e a s u n d die Sibylle

Länger gemustert in Ruh, doch kam in Achates' Begleitung Glaukus' Tochter Dei'phobe schon, Dianas und Phötus' Priesterin, weithin verehrt, die so zum Könige sagte: „Nicht ist jetzo die Zeit, dergleichen Gebilde zu mustern, Jetzt frommts, sieben an Zahl untadlige Farren zu schlachten, Auch an Lämmern soviel, allsamt volljähriger Aufzucht." Ohne Verzug man schaffet herbei die befohlenen Opfer, Und die Priesterin ruft nun in den Tempel die Teukrer. Weit zur Höhle vertieft sich hier die felsige Rückwand, Zahllos sind Zugänge hinein wie Gänge nach außen, Durch die kommen hervor der Sibylle prophetische Sprüche. Wer die Schwelle betritt, hört laut schon rufen die Jungfrau: „Schnell um Sprüche gefleht! Der Gott, sieh, nahe der Gott ist!" So vor den Türen sie r u f t ; ihr ändern sich Mienen und Farbe, Gleich sich löset ihr Haar, die Brust keucht, wütendes Rasen Macht aufschwellen das Herz; sie scheint an Größe zu wachsen, Scheint nicht menschlich zu reden, erregt vom Hauche des Gottes, Der schon näher ihr kommt. „Säumst du mit Gebeten, Gelübden, Troer Äneas, n o c h ? Säumst d u ? Nicht eher erschließt sich Dir der erschütterten Grotte Gewölb." Nun schweigt die Beseßne. Eisiger Schrecken durchrinnt das Mark der lauschenden Teukrer, Und aus innerster Brust hebt an der König zu beten: „Phöbus, der Mitleid stets mit Trojas Nöten du fühltest, Der du Paris' Geschoß und Hand hast sicher geleitet In den Körper Achills; huldvoll durch trennende Meere Uns als Schützer geführt zu weit entlegenen Afrern, Hin zum wüsten Gestad, dem flach vorliegen die Syrten. Endlich erreichten wir jetzt Italiens weichende Küsten: Möge bis hierher nur uns Trojas Schicksal begleiten! Jetzt auch euch ist erlaubt, des troischen Volkes zu schonen, Götter und Göttinnen ihr, die Neid ihr hegtet auf Troja, Auf Dardaniens Ruhm. Auch du, hochheilige Jungfrau, Die das Kommende weiß, füg, nichts Unbilliges bitt ich, Dich dem Geschick, daß wir Fuß fassen in Latiums Grenzen, Wir und die Götter der Stadt, die Trojas gnädig gewaltet. Dann will Phöbus zur Ehr und Dianen aus prächtigem Marmor Ich erbauen das Haus und stiften Apollo die Spiele. Auch dein harret bei mir ein Raum, in dem du gebietest:

VI 7 2 — 1 0 8

Der S i b y l l e

Prophezeiung

107

Ali das sammeln ich will, was dir a n heiligen Sprüchen D a n k t das römische Volk, u n d würdige Priester dir wählen. Nur vertrau die Geheimnisse nicht d e m flüchtigen Laube, Das durcliwirbelt auffliegt, ein Spielball raffender Winde, So schließt er seine Gebete. Nein, mit d e m Munde sie k ü n d ! " Noch nicht duldet den k r ä f t i g e n G o t t die greise P r o p h e t i n , B ä u m t in d e r Grotte sich auf, ob er a b s c h ü t t e l n sich ließe Von der keuchenden B r u s t ; doch f e s t e r n u r s t r a f f t er die Zügel, Meistert das wilde G e m ü t und m a c h t s durch Pressen gefügig. N u n sich öffnen die Schlünde der Bergs aus eigenem Antrieb, Um zu tragen hinaus der Seherin göttlichen Ausspruch. „ H e l d , endgültig dem Meer und seinen Gefahren entronnen, — Schlimmere lauern im Land —, Laviniums Grenzen sich öffnen Bald den Troern b e s t i m m t , d e r Sorg sei ledig f ü r immer, Doch sie verwünschen es einst. Krieg seh ich, schreckliche K ä m p f e , Seh den Tiber g e t r ü b t und wild von blutigem Schaume. Nicht wird Simois dir, nicht X a n t h u s , der D a n a e r Lager Fehlen; geboren ist schon ein Achill auch L a t i u m s Fluren, Göttlichen S t a m m s auch er; nicht fern wird bleiben dir J u n o , Feindin der T e u k r e r auch hier, wenn du, von allen verlassen, Demutsvoll angehst Italiens Völker u n d S t ä d t e . Grund der Not ist wieder ein W e i b , G a s t f r e u n d i n der Teukrer, Wieder ein Bund mit f r e m d e m Gemahl. Weiche dem Unglück nicht, begegn' ihm u m so beherzter, Grad je h ä r t e r dich d ü n k t s . Den W e g zu deiner E r r e t t u n g Weist, was n i m m e r du hoffst, ein F ü r s t aus griechischem B l u t e " . Aus der Grotte so singt die greise P r o p h e t i n von K u m ä Dunkel den schaurigen Spruch — vom W o r t hallt wider die W ö l b u n g —, W a h r e s in Rätsel gehüllt: so zerrt an den Zügeln Apollo, Schlägt in die Brust der Besessenen ein so k r ä f t i g die Sporen. Als sich gelegt die W u t , zur R u h das Rasen g e k o m m e n , Sagt Äneas der H e l d : „ J u n g f r a u , n i c h t eines der Leiden Zeigt mir neu sein Gesicht, zeigt mir sich wider E r w a r t e n . Alles v e r n a h m ich bereits, d u r c h d a c h t schon alles im Stillen. Eins noch laß mich erflehn. Es soll z u m Reiche der S c h a t t e n F ü h r e n ein Eingang hier beim Sumpf a u s Acherons S c h l a m m e . Laß mich wissen den Weg, schließ auf die heilige Pforte,

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VI 109—146

Der goldene Zweig

Laß mich treten hinein, zu sehn den teuren Erzeuger. Ihn entriß ich dem Brand und zahllos fliegenden Speeren, Ihn mit eigenem Arm e n t f ü h r t ich feindlichem Drohen. Wegegenoß er war, trug mit die Nöte der Seefahrt, Mit des Klimas Gefahr, obwohl nicht rüstig zum Reisen, Über die Kräfte hinaus unds Los des drückenden Alters. J a , zu deinem Orakel zu gehn, hier Hilfe zu holen, Trug er selber mir auf. Erbarm dich, Hehre, des Vaters, Hab mit dem Sohn Mitleid! Da kannsts j a ; hat doch Diana Dir nicht vermacht umsonst die Hut des avernischen Haines. Orpheus konnte doch auch angehn die Manen der Gattin, Trauend dem thrakischen Spiel und der Kithar tönenden Saiten. Konnte doch Pollux auch im Tod ablösen den Bruder, Kommen und gehn stets wieder den Weg. Wozu noch erwähnen Theseus, Herkules' K r a f t ? Auch mir ist Juppiter Ahnherr." So nachdrücklich er fleht, umklammernd stürmisch den Altar, Als anhebt die Seherin so: „Sproß göttlichen Blutes, Troer, Anchises' Sohn, leicht ist zum Orkus der Abstieg; Tag und Nacht steht auf das Tor des finsteren Gottes. Doch rückkehren den Weg, die Lichtwelt wiedergewinnen, Das macht Mühe, das Not. Nur wenige Göttererzeugte Habens vermocht, seis daß sie Juppiters Liebe gerettet, Seis daß eigener K r a f t Großtat sie hob zu den Sternen. Wald versperret den Weg und Kokytos' düstere Buchten. Wenn dich aber beseelt ein unstillbares Verlangen Nach zweimaliger Fahrt zum Styx, zweimal zu besuchen Drunten das dunkele Reich, unmenschliche Mühn zu bestehen, Dann merk, was dir zu tun vorher. Im schattigen Wipfel Birgt sich ein Zweig, dem golden das Laub, die geschmeidige Gerte, Heilig der Herrin des Styx; ihn deckt das Dickicht des Haines, Deckt der Kessel des Tals mit undurchdringlichem Schatten. Eher nicht ist es vergönnt, in die Nacht zu dringen der Erde, Eh nicht einer gepflückt vom Baum die goldene Rute, Die zum Ehrengeschenk Proserpina hat sich erkoren. Ist sie geraubt einmal, fehlts nicht an goldenem Nachwuchs; Denn stets wieder der Ast treibt Laub in gleichem Metalle. Drum späh scharf mit den Augen danach, brich ab vom entdeckten Leis das Zweigelein dir; denn leicht und willig gehorcht es,

VI 147—184

Misenus' Bestattung

109

Bist der Berufene du. W o nicht, k a n n keinerlei S t ä r k e Brechen v o m Ast es ab, nicht schneiden es härtestes Eisen. Doch noch liegt u n b e s t a t t e t von dir die Leiche des Freundes — Ach, du weißt es ja n i c h t ! — ; vom Fluche befleckt ist die Flotte, W ä h r e n d du R a t dir holst u n d weilst an unserer Schwelle. Ihn erst b e t t e zur R u h u n d birg ihn f r o m m in der Erde, Schlacht ihm schwärzliches Vieh; das sei S ü h n o p f e r vor allem. D a n n erst wirst du den Hain, das Reich, u n n a h b a r den Menschen, Sehn mit eigenem A u g . " Hierauf die Greisin v e r s t u m m t e . T r a u r i g v e r l ä ß t den Berg, den Blick zu Boden gerichtet, V a t e r Äneas jetzt und b e d e n k t die dunkele Z u k u n f t Still im Herzen bei sich. Es schleicht nachdenklich Achates Ihm zur Seite, b e d r ü c k t von gleichen Gedanken und Sorgen. Viel im Wechselgespräch beid sie die Frage behandeln, W e n von den Freunden als tot, welch Leiche die Seherin meinte, Die zu b e s t a t t e n noch sei. K a u m sind sie gelangt zum Gestade, Sehn sie Misenus dort unwürdigen Todes verblichen, Ihn, der a m besten v e r s t a n d , zum K a m p f zu blasen die T u b a Und mit ehernem Ruf den Mut zu stählen der Männer. H e k t o r w a r er Genoß u n d n a h m im Gefolge des Helden Teil mit d e m Horn am K a m p f , n a h m teil am K a m p f mit der Lanze. Als d a n n jener erlag d e m Schwert des Siegers Achilles, Schloß der t a p f e r e Mann sich an dem Helden Äneas, Ihm zum Dienst im G e f e c h t ; die W a h l traf keinen Geringem. Als er verwegen am Meer einst bläst die Muscheltrompete Und zum W e t t s t r e i t er a u f r u f t die Meeresdämonen, P a c k t ihn T r i t o n , der Bläser, g e k r ä n k t , wenn g l a u b h a f t die Sage, Und versenket am Riff ihn in die s c h ä u m e n d e n Wogen. Alle darob ringsum ein gewaltiges Klagen erheben, Vater Äneas voran. D a n n unverzüglich erfüllen Sie der Sibylle Geheiß. W e t t e i f e r n d häufen sie Scheite, Wollen z u m Himmel e m p o r a u f b a u n den mächtigen Holzstoß. Hin in den Urwald gehts, zum heimlichen Lager des Wildes. Föhren m a n fällt, Steineichen, v o m Beil sie krachen g e t r o f f e n ; Eschene S t ä m m e durch Keile m a n sprengt, m a n spaltet das Kernholz, W ä l z t A b h ä n g e herab die riesigen Eschen der Berge. Auch hier ist als erster a m W e r k Äneas, versehen Mit Holzfäller Gerät, und treibt die F r e u n d e zur Arbeit.

HO

VI 185—221

Aneas bricht den goldenen Zweig

Während er bei sich bedenkt, was ihm noch Schweres bevorsteht, Blickt auf den Urwald er; der Zufall machet ihn beten: „Zeigte sich jetzt doch uns am Baum die goldene Gerte Hier im Schatten des Walds! Nur allzu Wahres, Misenus, T a t doch von dir uns kund der Seherin dunkeler Ausspruch." K a u m hat dies er gesagt, als vor den Augen des Helden Schwebt vom Himmel herab ein Paar von Tauben und setzt sich Auf den Rasen vor ihm. Er erkennt die Vögel der Mutter Und spricht freudig erregt das Gebet inbrünstigen Herzens: „Seid mir Führer und lenkt, gibts dorthin Pfade, die Schwingen Tief in die Mitte des Hains, wo golden den Boden beschattet Leuchtend der Zweig. Leih mir in Not du, göttliche Mutter, Gnädigen Schutz!" Dann hemmt er den Schritt und achtet der Zeichen, Die wohl gäbe das Paar, wohin es trügen die Schwingen, Futter es sucht im Gehn und fliegt nur kürzere Strecken, So daß sichtbar es blieb und Äneas folgen ihm konnte. Als zur Schlucht sie gelangt des dunsterfüllten Avernus, Steigen sie hurtig empor, durchfliegen den oberen Luftraum, Lassen sich nieder im Baum, dem zwiefach belaubten, ersehnten, Durch des Wipfel erglänzt des Golds unstimmige Farbe. Wie zur Zeit des kürzesten Tags die Mistel im Walde Grünt mit erneuertem Laub, das nicht ihr selber entsprossen, Und den rundlichen Stamm umgibt mit gelblichen Trieben, Grad so leuchtet der Schein des Golds aus schattiger Eiche, Grad so klirrt das dünne Metall im Hauche des Windes. Schnell Äneas ergreift den Ast, den zögernden bricht er Hastig heraus und trägt ihn fort zum Haus der Sibylle. Dort am Strande indes die Teukrer beweinen Misenus Und erweisen dem Freund den Dienst, der Toten gebühret. Einige schichten empor zum Brand den mächtigen Holzstoß, Scheite von Holz und Kien, umgeben mit dunklen Gewinden Rings die Seiten ihm ernst, vor ihm sie Trauerzypressen Dicht aufreihn und schmücken den Stoß mit schimmernden Waffen. Andere bringen herbei warm Wasser in ehernen Kesseln, Waschen die Leiche damit und salben sie reichlich mit Ölen. Klagegesang! Aufs Pfühl man legt mit Tränen die Glieder, Kleidet sie festlich ins Purpurgewand, das selbst er getragen;

VI 222—258

Grabmal des Misenus.

Opfer für Hekate

111

Dann hebt man die Bahre hinauf, von den Diensten der schwerste. Als es getan, den Stoß man ansteckt, wendet das Antlitz Ab nach altem Gebrauch. Restlos die Gaben verbrennen, Weihrauchstücke, geschlachtetes Vieh, das Öl in den Krügen. Wie sich die Flamme gelegt und verzehrt das Feuer die Leiche, Auch mit Weine gelöscht die Glut der durstigen Asche, Birgt Korynäus den Rest des Gebeins in ehernem Kruge. Dann trägt reinliches Naß dreimal er um die Gefährten, Sprengend auf sie den Tau mit dem Zweig des nützlichen Ölbaums Und entsühnet sie so, löst auf die Trauerversammlung. Vater Äneas weiht dem Mann ein ragendes Grabmal, Legt hinauf das Schiffergerät, das Steuer, die Tuba, Dicht am luftigen Berg, der heut noch heißet Misenus Und den Namen bewahrt ruhmvoll f ü r ewige Zeiten. Hiernach macht er sich auf, dem Geheiß der Sibylle zu folgen. Tief liegt nah eine Grotte, versehn mit mächtiger Mündung, Wild zerklüftet, ein See sie schützt und das Dunkel des Waldes, Zu der Vögel den Flug ohn Nachteil wagen nicht können Durch die verpestete Luft: solch Brodem entringt sich den Schlünden Giftig und steiget hinauf bis an des Himmels Gewölbe. [Deshalb nennen den Ort die Griechen den „vogelgemiednen".] Hier stellt an dem Altar zunächst vier schwärzliche Färsen Auf die Priesterin selbst und besprengt die Stirnen mit Weinguß, Zieht dann aus die Spitzen des Haars grad zwischen den Hörnern, Wirft als Erstlinge sie hinein ins Feuer des Altars, Betet zur Hekate laut, die Menschen und Schatten gebietet. Andere schlitzen von unten den Bauch und fangen in Schalen Auf das quillende Blut. Äneas schlachtet der Erde Eine schwarzwolliges Lamm, auch der Nacht, der mächtigen Schwester, Doch, Proserpina, dir eine Kuh, unfähig zu tragen. Dann dem stygischen Herrn baut er zu nächtlicher Stunde Einen Altar, legt drauf das Fleisch der geschlachteten Färsen, Träufelt auch reichliches Öl zum Brand der innern Geweide. Plötzlich beginnt beim frühesten Strahl des Tagesgestirnes Laut zu brüllen der Grund, das Joch des Berges zu beben, Hundegeheul ans Ohr zu dringen uns: nah ist die Göttin. „Fern, Unheilige, bleibt, bleibt f e r n ! " ruft schrill die Prophetin,

112

VI 259—296

Unterwelt.

Der Vorplatz

„Machet euch fort von hier, entweicht vom heiligen O r t e ! Doch du schreite f ü r b a ß , entreiß das Eisen der Scheide! J e t z t , Äneas, bedarfs des Muts, entschlossenen H e r z e n s . " N u r so wenig sie sagt, stürzt vor die klaffende Grotte, Mutig Äneas folgt der Führerin sicheren Schrittes. Götter, die Herrn der Seelen ihr seid, ihr schweigenden S c h a t t e n , Chaos u n d Phlegethon ihr, du R a u m des schaurigen Schweigens, Sei zu berichten Gehörtes e r l a u b t , laßt gnädig enthüllen, W a s im Schöße der Erd ihr deckt m i t ewigem D u n k e l . Nun durchschreiten sie beid einsam die Reiche der S c h a t t e n , W a n d e r n im H a u s des Dis, dem Ort der nichtigen S c h e m e n ; Wie beim Scheine des Monds, der fahl und spärlich n u r leuchtet, Man d u r c h w a n d e r t den W a l d , wenn Wolken den Himmel bedecken Und den Dingen die F a r b e b e n i m m t das neidische Zwielicht. Auf dem Vorplatz selbst, am E i n g a n g vorne zum Orkus, Lagert die Trauer, aufschlugen den Sitz die rächenden Sorgen, W o h n e t des Krankseins bleiches Gefolg, des Alters Gebresten, W o h n t der Hunger, der Übeles r ä t , Angst, schlimmes E n t b e h r e n , Häßlich zu sehn allsamt, Mühsal und erzwungenes Sterben, W o h n t S t u m p f s i n n , der G e v a t t e r des Tods, d a n n böse Gelüste; Vorn an der Schwelle der Krieg, der blühendes Leben v e r n i c h t e t , Der Erinyen eisern Gemach, wahnwitzige Zwietracht, Dicht das N a t t e r n h a a r durchflochten mit blutigen Binden. Mitten im Vorplatz reckt eine R ü s t e r die kräftigen A r m e Z u m breitschattigen Dach, dem Sitz der t r ü g e n d e n T r ä u m e , Die hier hängen versteckt zu T a u s e n d e n u n t e r den B l ä t t e r n . Zahlreich hausen hier auch die Scharen der Z w i t t e r g e s t a l t e n : Der K e n t a u r e n Geschlecht, die doppelgestaltigen Skyllen, Briareus' riesige K r a f t , dazu der Schlange von Lerna Züngelnder Hälse Gezisch, die f l a m m e n b e w e h r t e Chimära, Hier Gorgonen, H a r p y i e n , Geryons riesige Leiber. Da, wie b e t ö r t von Angst, greift V a t e r Äneas zur W a f f e , S t r e c k t das gezogene Schwert zur W e h r entgegen den S c h a r e n ; Doch die Begleiterin m a h n t ihn d a r a n , d a ß Leben n u r scheinbar In den Erscheinungen w o h n t , die hier als Wesen sich zeigen, Und d a ß b a r des Erfolgs das Schwert n u r Schemen d u r c h s c h n i t t e . Von hier f ü h r e t der W e g g r a d a u s zu Acherons F l u t e n . T r ü b e von Schlamm wühlt auf er den Grund in gurgelnden S t r u d e l n

V I 297—333

Charon

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Und speit alles Gemisch dann aus ins Bett des Kokytos. Hier die Wässer betreut Charon, der grausige Fährmann, Starrend von Schlamm und Schlick. Dicht legt ein struppiger Vollbart Weiß sich um Mund und Kinn, starr stieren die feurigen Augen, Schmutzig ein Umhang hängt ihm um die Schultern geknotet. Mit der Stange er stößt das Floß, die Segel bedient er Und setzt auf rostfarbenem Kahn die Schatten hinüber, Freilich an Jahren ein Greis, doch grünt dem Gotte das Alter. Hierhin stürzen die Seelen, die dicht sich drängen am Ufer, Mütter und Männer vereint, hochmutige Heldengestalten, Die das Leben gelebt; nicht so die Kinder, die Jungfraun, Jünglinge, früh den Flammen geweiht vor den Augen der Eltern: Wie zahllos im Wald beim Eintritt herbstlicher Kühle Welk Laub regnet herab, wie landwärts stürmen der Vögel Scharen, entfliehend dem Meer, sobald der eisige Winter Über das Wasser sie treibt, zu suchen sich sonnige Sitze. All sie stehen und bitten, als erste den Fluß zu befahren, Strecken in Sehnsucht aus nach dem anderen Ufer die Hände. Doch der mürrische Mann nimmt auf bald diese, bald jene, Läßt unerbittlich zurück noch mehr im Sande des Ufers. Drob Äneas e r s t a u n t ; er fragt, vom Gedränge betroffen: „Sage mir, J u n g f r a u , doch, was soll das Gebaren am S t r a n d e ? Wonach streben die Seelen? Wie kommts, daß jene zurückgehn Wieder vom Fluß, die hier im Kahn das Wasser d u r c h f u r c h e n ? " Ihm antwortet hierauf nur kurz die greise Prophetin : „Sohn des Anchises du, so gewiß du göttlicher A b k u n f t , Siehst des Kokytos Strom du hier, das stygische Wasser, Das selbst Götter sich scheun, beim Schwur zum Zeugen zu nehmen. Alle, die hier du siehst, sind ohne Bestattung geblieben. Charon das Boot fortstößt, im Kahn selbst sitzen Begrabne. Nicht ists Seelen vergönnt, vom Strand hier eher zu fahren Über die tosende Flut, bis ruhn im Grab die Gebeine. Unstet irren sie hier u n f a ß b a r lang am Gestade; Dann erst dürfen sie nahn aufs neu dem erlösenden Strome." Tief in Gedanken versenkt bleibt stehn der Sohn des Anchises; Denn ihn jammert das Los, das unverdiente, der Schatten. Unter den Traurigen hier, die des Grabs entbehren, gewahrt er T r e n d e l e n b u r g , Virgils 'Aeneis.

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VI 334—371

P a l i n u r u s und Ä n e a s

Zwei, Leukäspis, Orönt, den Führer der lykischen Flotte, Die zusammen das Schiff am Strand von Troja bestiegen, Das mit Mann und Maus der Sturm im Meere versenkte. Sieh, da nahet sich auch Palinur, der kundige Steurer, Der auf der libyschen Fahrt, sorgsam die Sterne betrachtend, Mitten auf See war gestürzt vom Bord in die nächtlichen Fluten. Eben wird seiner gewahr im Schwärm der Schatten Äneas, Als er zuerst ihn fragt: „Welch Gott, Palinurus, entriß dich Uns so mitten im Meer, ließ dich in den Wogen versinken? Sag mirs; denn diesmal nur trog mich Phöbus' Orakel, Das niemals vorher ich trügerisch hatte befunden; Hatt es verheißen mir doch, du sähst Ausoniens Grenzen, Heil entronnen dem Meer. Heißt dies Versprochenes h a l t e n ? " J e n e r darauf: „Nicht täuschte dich, Herr, der Spruch des Apollo, Noch hat versenkt ein Gott mich Pflichtvergeßnen im Meere, Nein, ich selber zerbrach das Steuer, das hüten ich sollte, Und mit großer Gewalt riß ichs, vom Schlafe bezwungen, J a c h in die Tiefe hinab. Ich schwörs beim tosenden Meere, D a ß mir bange nicht ward um mich; ich einzig besorgte, Dein Schiff möchte, des Steuers beraubt, des Lenkers entbehrend, Völlig versagen den Dienst auf so schwer rollenden Wogen. Mich trieb Wind und Welle fortan drei stürmische Nächte Über die brausende See, doch schaut* am vierten der Tage Klar Italien ich, von schäumender Welle gehoben. Mählig ich schwamm ans Land; schon faßt ichs sichre Gestade, Da stürzt räubrisches Volk auf mich: in triefenden Kleidern Hielt mit den Händen ich mich wehrlos an spitzigen Riffen; Günstigen Fang es glaubte zu tun, ich zahlt mit dem Leben. Spielball jetzo der Flut wälzt mich am Ufer die Brandung. Drum beim lieblichen Lichte des Tags laß dich mich beschwören, Dich beim Vater, dem Sohn, des Zukunft leuchtend heraufsteigt, Mach, Unbesiegter mich frei von Qual, wirf wenige Hände Staubes auf mich, du kannsts, fahr wieder nach Velias Hafen, Oder, hat dich des Weges geführt die göttliche Mutter — Nicht ohn himmlischen Schutz, mein ich, hättst wagen du dürfen, Diese Gewässer zu sehn, den stygischen Strom zu befahren —, Reich mir Armem die Hand, nimm mit mich über das Wasser, Auf daß ruhen ich mag im Tod an seligen Sitzen".

VI 3 7 2 — 4 0 9

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Die Wanderer und Charon

Kaum hat dies er geklagt, hebt an die greise Sibylle: „Woher ficht, Palinur, dich an so böse Begierde? Willst du schauen den Styx ohn Grab, der Erinyen Strömung, Willst ungeheißen du nahn dem unnahbaren Gestade? Hoff durch Bitten doch nicht, des Schicksals Kreise zu stören! Doch hör, was ich dir sag, zum Trost des harten Geschickes. Weit und breit in den Städten geschreckt durch Zeichen und Wunder, Werden die Nachbarn selbst aufbaun f ü r deine Gebeine Hügel und Mal und dann sie feierlich betten im Grabe; So wird ewig der Platz Palinurus' Namen bewahren." Hierdurch wurden die Sorgen gebannt, der Kummer des Herzens Ward ein wenig gestillt, wohl t a t die Dauer des Namens. Nun erst setzen den Weg sie fort und nahen dem Flusse. Schon in der Mitte des Styx n i m m t wahr die beiden der F ä h r m a n n ; Wie durch schweigenden Hain den Schritt sie lenken zum Ufer, Richtet er gleich an sie das Wort und rufet von ferne: „Wer auch immer du bist, der uns sich nahet in Waffen, Sage, weshalb du kommst, von dort schon, hemme die Schritte! Schatten gehört der Ort, dem Schlaf, dem nächtigen Dunkel. Lebenden ist es versagt, auf stygischem Nachen zu fahren. Nicht zum Segen mir wars, d a ß a u f n a h m ich den Alkiden, Daß Pirithoos ich und Theseus setzte hinüber; Und doch waren sie göttererzeugt, unmenschlich an Stärke. Jener des T a r t a r u s Hund umschloß mit eiserner Kette, Zerrte den Zitternden mit sich fort vom Throne des Königs; Diese die Königin selbst zu rauben sich hatten vermessen." Ihm entgegnet hierauf mit wenigen Worten die Greisin: „Solch ein Anschlag drohet hier nicht, sei drob u n b e k ü m m e r t ! Auch die Waffen nicht wollen Gewalt; der grausige Wächter Mag in Ewigkeit fort durch Gebell die Schatten erschrecken, Mag Proserpina keusch des Oheims Schwelle behüten. Hier Äneas der Troer, so fromm wie waffenerfahren, Steigt zum Orkus hinab, um dort zu finden den Vater. R ü h r t dich nimmer das Bild so selbstlos kindlicher Liebe, Wohl, dann schaue den Zweig!" Sie lüpft des Kleides Umhüllung. J e t z t entweichet der Zorn, es legt sich Charons Erregung. Kein W o r t weiter! Gebannt durch den Anblick jenes Geschenkes, Das zur Ehrfurcht zwingt, das lang er nimmer gesehen, 8*

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VI 4 1 0 — 4 4 7

Kerberus.

Die Trauergefilde

Dreht er den ledernen Kahn und lenket zurück zum Gestade, Treibt von den Bänken sofort die sitzenden Schatten ans Ufer, Drängt aus den Gängen die stehenden weg, nimmt auf des Äneas Schweres Gewicht ins Boot. Es ächzt der Nachen gewaltig, Und durch der Nähte Verband dringt ein viel sumpfiges Wasser. Endlich nach schwieriger Fahrt setzt er Prophetin und Helden Aus im trüben Morast und Schilf des anderen Ufers. Hier liegt vorn in der Höhle des Hofs dreiköpfiger Wächter, Kerberus, dessen Gebell durchhallt die Stille der Räume. Als das Nattergeringel des Haars sieht schwellen die Greisin, Wirft einen Kloß sie hin, durchtränkt mit Honig und Kräutern. Gierig vor Hunger er schnappt, drei Rachen verschlingen den Kuchen, Und bald ruht der riesige Leib am Boden der Höhle, Füllt die gewaltige ganz; tief senkt sich Schlaf auf das Untier. Schnell Äneas gewinnt — nicht stört der Wächter — den Eingang Und enteilet dem Strom, des Flut noch keinen zurücktrug. Gleich an der Schwelle sich hörbar macht unendliches W i m m e r n , Weinen von Kindern, die k a u m , daß sie dem Lichte geboren, Raubte der Unglückstag, von der Brust der Mutter hinwegriß Und ins schmerzliche Grab, ach allzufrühe, versenkte. Ihnen sind alle gesellt, die falscher Verdacht hat getötet. Jedem den Sitz man weist nicht ohn ein förmlich Verfahren. Die Losurne bewegt Minos, er ruft zur Versammlung Alle die Schatten und p r ü f t Vorleben und Art der Vergehen. Jenen zunächst man trifft auf Betrübte, die früh sich dem Tode Weihten mit eigener Hand, schuldlos hinwarfen das Leben, Weil es ihnen verhaßt. Wie gern jetzt würden sie droben Tragen der A r m u t Not, die härtesten Mühen erdulden! Doch gehts wider das Recht: des Sumpfs unerbittliches Wasser Hält sie zurück und des Styx neunfältige Schlingen sie fesseln. Unfern dehnen von hier sich weit die Trauergefilde; Trauergefilde so heißt man sie mit passendem Namen. Wen der Liebe Gewalt grausam zu Tode gemartert, Einsamkeit der sucht auf verschwiegenen Pfaden, im dichten Myrtengebüsch; fort frißt der Schmerz an ihnen im Tode. Hier sieht Phädra der Held, hier Prokris, hier Eriphyle, Die vom Schwerte des Sohns empfing die tödliche Wunde, Hier Euädne, Pasiphae hier; zu Läodamia

VI 448—484

Diclo

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Hat sich gesellt Käneus, einst Jüngling, wieder ein Mädchen J e t z t ; das erste Geschlecht erhielts erst wieder im Tode. Hier, die Wunde noch frisch in der Brust, irrt Königin Dido Einsam umher im Wald. Es gewahrt der troische Wandrer Sie nicht eher als ganz in der N ä h ; denn fernes Erkennen Hindert das Zwielicht hier, wie wer die Sichel des Mondes Eben im Aufgang sieht oder glaubt zu sehen in Wolken. Weinend er ihr sich naht und sagt aus liebendem Herzen: „Ach, unseliges Weib, so trog mich nimmer die Kunde, Daß du gesucht den Tod, den Tod mit eigenen H ä n d e n ? Trag ich, wehe, daran die Schuld? Ich schwörs bei den Sternen, Schwörs bei den Himmlischen, schwörs, wenn Treu hier unten man achtet, Daß ungern ich bin von deinem Gestade geschieden. Dazu trieb mich Göttergeheiß, das die Sitze der Schatten J e t z t zu durcheilen mich zwingt, das Reich des ewigen Dunkels, S t ä t t e n erfüllt von Modergeruch. Nicht glauben ich konnte, Daß unbezwingbar Leid mein Abschied würde dir bringen. Hemme den Schritt! Entziehe dich nicht hier unserem Anblick! Wen fliehst d u ? Niemals darf je dich wieder ich sprechen." So den Grimm zu mildern er sucht, die zornigen Blicke Aufzuhellen, und f ü g t zum W o r t aufrichtige Tränen. Doch sie wendet den Blick und sprachlos starrt sie zu Boden, Bleibt beim versuchten Gespräch so regungslos in den Mienen, Als sei harten Granits, ein Bild sie parischen Marmors. Endlich rafft sie sich auf und entweicht feindseligen Sinnes In den schattigen Hain, allwo Sychäus ihr Gatte Sorge mit Sorge vergilt, ihr Lieben durch Lieben erwidert. Weithin folgt ihr tränenden Augs Äneas mit Blicken, Tief mitfühlend das Leid der schuldlos büßenden Fürstin. Weiter verfolgt er den Schicksalsweg. Den entlegenen Plätzen Naht er, wo Helden des Kriegs fern von den übrigen wohnen. Hier er Tydeus trifft, hier Pärthenopäus, den Recken, Hier den Adrast, ein Bild der nie zu stillenden Trauer, Hier die Därdaner all, im Feld der Ehre gefallen, Viel schon beweint, aufs neue beklagt, als wieder der Treuen Hier ansichtig er wird, des Glaukus, Thersilochus, Medon, Drei von Antenors Geschlecht, Polybötes', Priesters der Ceres,

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VI 4 8 5 — 5 2 2

Deiphobus

Auch des Idäus, der noch vom Wagen nicht ließ und den Waffen. Dicht Äneas umstehn zur Rechten und Linken die Seelen. Einmal ihn zu sehen genügt nicht, länger verweilt man, Drängt sich heran im Wunsch, den Grund zu hören des Kommens. Doch Agamemnons Schar, die Gruppe der Danaerfürsten, Zittert in plötzlicher Angst, wie sie den Helden im Dunkel Schaut in der Rüstung Gold; ein Teil zeigt eilig den Rücken, Gleich als ging zu den Schiffen die Flucht; Schlachtrufe zu donnern Andre sich m ü h n ; dem offenen Mund versagt sich das Stimmchen. Hier er Priamus' Sohn, Deiphobus, findet verstümmelt: Ganz ist zerfleischt sein Gesicht, ab ihm die Hände gehauen, Ab ihm geschnitten die Muscheln des Ohrs, die Schläfen entstellet, Graunvoll klafft im Gesicht das Loch der entwurzelten Nase. K a u m mehr könnt erkennen er ihn, der die grause Verstümmlung Zitternd zu decken versucht. Von selbst Äneas ihn anspricht: „Wer, Deiphobus, hat grad dich, den heldischen Recken Fürstlichen Blutes, ersehn, so grausam Rache zu n e h m e n ? Wer vermochts über d i c h ? In der Brandnacht ward mir berichtet, Du seist, müde vom Mord, im Gewühl des Heeres der Griechen Niedergestürzt, über dir ein Berg von feindlichen Leichen. Am rhöteischen Strand ich leer dir baute das Grabmal, Rief den Abschiedsgruß dreimal nach Sitte den Manen. Nam' und Wehr, sie wahren den Platz; dich könnt ich nicht finden, Freund, als ich schied, könnt nicht in heimischer Erde dich b e t t e n . " Drauf des Priamus Sohn: „Nichts hast du, Lieber, verabsäumt, Hast Deiphobus treu der Bestattung Ehren erwiesen. Doch mich hat das Geschick, hat Helenas Todesverbrechen In dies Leiden verstrickt, mir dieses gelassen als Denkmal. Wie wir die Nacht hinbrachten, berauscht von trüglichen Freuden, Weißt d u ; nur allzusehr t u t s not, daß dessen wir denken. Als das verderbliche Roß im Sprung nahm Pergamas Höhe Und, von Waffen beschwert, den Feind im Bauche herauftrug, Ging sie den phrygischen Frauen voran, nachahmend den Reigen Jauchzenden Bacchusgefolgs; die flammende Fackel in Händen Gab von der Höhe der Burg sie Zeichen den lauernden Griechen. Da hielt mich, von Sorgen erschöpft, zum Sinken ermüdet, Fest, ach, das t r a u t e Gemach. Kaum lag ich, senkt' auf die Glieder Tief sich wohliger Schlaf, Abbild des friedlichen Todes.

VI 523—560

Die Stadt des Dis

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Sie, mein trefflich Gemahl, e n t f e r n t inzwischen die W a f f e n Alle von Haus, mein Schwert sie f o r t zieht u n t e r dem K o p f e , R u f t Menelaus herein, schließt auf die schützenden T ü r e n , W ä h n t , ein großes Geschenk hiermit dem G a t t e n zu machen, Auszulöschen die Schmach des E h b r u c h s , den sie begangen. Wozu V e r z u g ? Man s t ü r m t das Gemach, als M a h n e r z u m Freveln Schloß sich Ulixes an. Mögt ihr, o Götter, vergelten Einst der Griechen Betrug, wenns f r o m m , zu fordern V e r g e l t u n g ! Doch jetzt melde von dir, welch Zufall lebend dich f ü h r t e Her ins dunkele Reich. K o m m s t du von S t ü r m e n verschlagen Oder auf Götter G e h e i ß ? Zwingt dich ein eignes Bewandtnis, Aufzusuchen das H a u s so t r ü b , so s o n n e v e r l a s s e n ? " U n t e r dem Wechselgespräch w a r längst auf rosigem W a g e n Über die Mitte des Pols hinweg Aurora gefahren, Und leicht war die gemessene Zeit so völlig verstrichen, H ä t t e die Seherin nicht ganz kurz zur Eile g e t r i e b e n : „ N a c h t ist n a h ! W i r verbringen die Zeit, Äneas, mit K l a g e n ! Hier sich spaltet der W e g nach zwei verschiedenen S e i t e n : Rechtshin f ü h r e t der Weg zur S t a d t des gewaltigen P l u t o , Z u m Elysium k o m m e n wir hier; links büßen die Bösen, Denn zum T a r t a r u s leitet der Weg, dem Ort der V e r d a m m t e n . " Drauf Deiphobus n u r : „ N i c h t zürn mir, hohe P r o p h e t i n ! Scheiden ich will; ich kehre z u r ü c k zur Schar der V e r g r ä m t e n . Mache dich auf, mein Stolz, geh besserem Schicksal e n t g e g e n ! " Nichts m e h r f ü g t er hinzu, beim W o r t er w e n d e t die Schritte. N u n m e h r blickt Äneas sich u m , gleich sieht er am Felsen Links den weiten Bezirk, dreifach von Mauern umgeben, Die mit f l a m m e n d e r Flut umfließt des T a r t a r u s H a u p t s t r o m P h l e g e t h o n ; m ä c h t i g e r d r ö h n t der Fels vom tosenden W a s s e r . Vorn ein gewaltiges Tor, aus Stahl die t r a g e n d e n Säulen, D a ß nicht menschliche K r a f t , nicht Kampf der H i m m e l s b e w o h n e r J e zerstören es k ö n n t ; ein E r z t u r m s t a r r t in die L ü f t e . Hier Tisiphone h a u s t ; den blutigen Mantel gegürtet, H ü t e t den Vorplatz sie, schlaflos so Nächte wie Tage. Hier m a n S t ö h n e n v e r n i m m t , hört sausen die Schläge von Peitschen, H ö r t des Eisens Geklirr, das Zerren an stählernen K e t t e n . Stehen Ä n e a s bleibt, e n t s e t z t v o m ängstlichen Ächzen: „Welche Vergehungen s i n d s ? Sprich, J u n g f r a u , welcherlei S t r a f e n

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VI 561—597

Harren der Schuldigen hier.

Qualen der Sünder

Welch Schall dringt her durch die Lüfte?" Drauf die Seherin so: „Du Stolz der ilischen Führer, Noch kein Reiner betrat jemals die Schwelle der Frevels. Doch als Hekate mich einsetzt' im Hain des Avernus, Führte sie mich umher und lehrt' mich kennen die Strafen. Hier hält strengstes Gericht Rhadamänth, der König von Gnossus, Hört und prüft die Vergehn und zwingt zum Geständnis den Täter, Der im Leben verschob, aus nichtiger Lust am Betrügen, Bis zur Stunde des Tods die Sühne begangner Verbrechen. Auf den Schuldigen stürzt die Rächerin, geißelbewehret, Stürzt Tisiphone los, hält ihm die grimmigen Nattern Drohend ins Antlitz, ruft herbei die Scharen der Schwestern. Dann erst öffnet, mit lautem Geknarr in den Angeln gedrehet, Sich das schreckliche Tor. Siehst du die Hüterin sitzen Dorten am Vorplatz gleich? Welch Weib die Schwelle bewachet! Doch noch grausiger schaut die Wächterin drinnen, die Hydra, Die mit fünfzig Rachen dir droht. Der Tartarus selber Fällt dann jach in die Tiefe hinab, sich dehnend im Dunkel Zweimal so weit, als hoch der Olymp thront über der Erde. Hier auf unterstem Grund wälzt sich, vom Blitze getroffen, Der Titanen Geschlecht, uralt, die Söhne der Erde. Hier das Zwillingspaar der Aloiden ich schaute, Das, ein Riesengezücht, sich vermaß, den Himmel zu stürmen Und des Juppiter Thron mit frevelnden Händen zu stürzen. Dulden auch sah ich hier Salmöneus grausige Strafen, Der nachäffte den Blitz, nachäffte das Rollen des Donners. Hoch im Vierergespann schwang er die flammende Fackel, Zog durchs griechische Land, durch Elis' heilige Stätten Auf im Triumph und nahm in Anspruch göttliches Opfer. Blitz und Donnergeroll, ein unnachahmlich Geschehen, Ahmte durch Erz er nach und den Trab hornhufiger Pferde. Doch Allvater ihn traf vom Gewölk mit s e i n e n Geschossen, Nicht Kienspänen und Holz, die mühsam qualmen im Feuer, Und stürzt wirbelnd im Sturm ihn jählings nieder zur Tiefe. Hier auch Tityos lag, der Sproß der nährenden Erde, Riesigen Leibs auch er, der voll neun Morgen bedeckte; Ihm abfrißt ein Geier die niemals schwindende Leber

VI 598—635

Qualen der Sünder

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Mit krummschnabligem Hieb zum Mahl sich, jenem zur Strafe, Die sich ewig e r n e u t ; denn niemals weichet v o m B r u s t k o r b Wieder der Geier zurück, vom F r a ß der w u c h e r n d e n Fasern. Soll von Pirithoos' noch und Ixions Qualen ich k ü n d e n ? Beiden ein Felsblock droht aus der Höh mit tödlichem Falle. P u r p u r p f ü h l e , gestützt vom P r u n k der goldenen Träger, Laden zu festlichem Mahl, das f ü r sie fertig bereitet S t e h t mit fürstlicher P r a c h t ; doch liegt der Furien größte Mit den beiden zu Tisch, läßt sie nicht kosten die Speisen, R i c h t e t sich auf mit drohender Glut, mit d o n n e r n d e m Munde. Hier h a r r t , wem die Brüder v e r h a ß t , so lang er g e a t m e t , W e r den V a t e r gepeitscht, den Schützling t r o g als Beschützer, W e r den gefundenen Schatz f ü r sich nur gierig g e h ü t e t , Nichts den Seinigen gab — zahllos hier u n t e n sie s c h m a c h t e n ! —, W e n E h b r u c h zum Tode g e f ü h r t , wer feindlichen Waffen Sich anschloß und dem eigenen Herrn die Treue gebrochen: All die harren in H a f t des Gerichts. Spar i m m e r die Frage, Welches Gerichts, welch Tun, welch Los die Männer v e r f ü h l t e . Einige wälzen den Fels, aufs R a d sind andre geflochten. Unglückstheseus sitzet und wird in Ewigkeit sitzen. Phlegyas r u f t u n d w a r n t , der B e j a m m e r n s w e r t e s t e n einer, W a r n t und m a h n t mit hallendem Ruf die nichtigen S c h a t t e n : „ L e r n e t , g e w a r n t durch mich, r e c h t t u n und ehren die G ö t t e r ! " J e n e r um Gold verriet die H e i m a t , half dem T y r a n n e n Schnöde zur Macht, um Lohn g a b er und t i l g t e Gesetze. Dieser beschlich die Tochter im Schlaf zu frevlem Genüsse. Jeglicher S ü n d e geneigt sie Gewagtestes h a b e n gekostet. W ä r mir die S t i m m e von Erz, h ä t t ich auch H u n d e r t e Zungen, K ö n n t aufzählen ich nicht, was all die Frevler verbrochen, K ö n n t a u f f ü h r e n auch nicht das Heer der Strafen mit N a m e n . " Als vollendet hiermit den Bericht die weise Sibylle, R u f t sie: „ D o c h n u n frisch auf, die begonnene F a h r t zu b e e n d e n ! Eilen wir u n s ! Schon sieht mein Aug die stählernen Mauern, Die K y k l o p e n e r b a u t , und des Eingangtores Gewölbe, W o nach strengem Gebot der Zweig ist niederzulegen." Sprichts, u n d im Gleichschritt f o r t sie gehn die d ä m m r i g e Straße, Legen die Strecke zurück und n a h sind beide d e m Eingang. H u r t i g die Schwelle gewinnt der Held, mit lauterem Wasser

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VI 636—672

Sprengt er sich rein und steckt

Elysium

den

Zweig fest vorn an d e m Tore. Erst als dieses getan, das Geschenk der Göttin geweihet, Ein sie t r e t e n ins heitere Reich, der lieblichen H a i n e K ü h l u n g spendendes Grün und schaun die Sitze der Frommen. Reiner die L u f t hier w e h t ; im Glanz von P u r p u r gebadet, S t r a h l t das Gefild im Licht der eigenen Sonne, der Sterne. Hier auf rasenbewachsenem Platz m a n ü b e t die Glieder, Eifert bei friedlichem Spiel und ringt auf sandigem Grunde. D o r t im Reigen den Boden m a n s t a m p f t , v o m Sange begleitet, W o der thrakische Sänger entlockt im langen T a l a r e Voll der Leyer Getön auf sieben verschiedenen Saiten, Meisternd mit Fingern sie bald, bald auch mit beinernem Schlagholz. Hier weilt T e u k r u s ' Geschlecht, hier weilt sein herrlicher N a c h w u c h s , Helden, e n t f l a m m t von Mut, in besseren Tagen geboren, Ilus, Assärakus auch u n d D ä r d a n u s , Gründer von Troja. S t a u n e n d Äneas sieht Scheinbilder von Waffen u n d Wagen, Lanzen, im Boden den Schuh, vom J o c h die Rosse gelöset Frei sich t u m m e l n im Feld. Die Lust an W a f f e n u n d W a g e n , Die sie d r o b e n beseelt, die Sorg um glänzende P f e r d e , Die das Leben verschönt, im Tod auch bleibt sie den M ä n n e r n . A n d r e g e w a h r t er r e c h t s und links im Grase gelagert, Wie sie s c h m a u s e n , im fröhlichen Chor a n s t i m m e n den P ä a n Tief im d u f t e n d e n L o r b e e r h a i n ; des E r i d a n u s F l u t e n Dringen aus ihm ans Licht, die reich den Boden bewässern. Hier die Helden, die Tod sich erlost im Felde der Ehre, Hier die Priester, die rein durchs irdische Leben gewandelt, Hier die Sänger, die f r o m m des Apollo würdig gesungen, Hier die Meister der K u n s t , die Schönheit liehen d e m Leben, Hier W o h l t ä t e r , die N a c h r u h m sich auf Erden gesichert, All u m die Schläfen geschmückt mit schneeweiß s c h i m m e r n d e r Binde. An die Versammelten hier das W o r t j e t z t richtet die Greisin, Doch an Musäus z u n ä c h s t ; um ihn sich drängen die Scharen, Die weit er ü b e r r a g t , an ihm fest hängen die Blicke. „ S a g mir, selige Schar, sag mir, du bester der Sänger, W o denn Anchises weilt; u m ihn j a sind wir g e k o m m e n , H a b e n u m ihn durchschifft des E r e b u s rauschende F l u t e n . " Ihr entgegnet darauf m i t wenigen W o r t e n Musäus:

VI 6 7 3 — 7 1 0

Anchises u n d Ä n e a s

123

„Keinen gehört ein Haus; in schattigen Hainen wir wohnen, Lagern am Ufer des Bachs, auf quelldurchrieselten Wiesen. Seid ihr aber gewillt, noch fortzusetzen die Wandrung, Steigt nur über die Höh, bequem euch bring ich zum Fußweg." Sagts und schreitet voran. Von der Höh weist er auf Gefilde, Strahlend in sonnigem Glanz; dorthin jetzt wandern die beiden. Grad ist Vater Anchises dabei, in grünendem Waldtal Eifrig zu mustern die Schar, die Schicksalswille bestimmte Wiederzusehen das Licht, und bedenkt zufällig der Seinen Zahl im Gemüt, überlegt bei sich der Enkel Geschlechter, Deren Bestimmung und Los, ihr Wollen und Handeln im Leben, Als er Äneas sieht auf sich zulenken die Schritte. Freudig entgegen er ihm zum Empfang streckt beide die Hände, Tränen entrinnen dem Aug, dem Mund enteilen die Worte: „Bist am Ziele du n u n ? Half dir die Liebe zum Vater Über die Mühen des Wegs? Darf, Sohn, ich schauen dein Antlitz, Darf ich vernehmen den Laut, so traut mir, darf ich erwidern? Grad so hab ich gedacht, mir aus dein Kommen gemalet, Als ich die Zeit überlegt'; nicht trog mein festes Vertrauen. Was für Länder durchmaßest du nicht, unendliche Meere, Aus wie mancher Gefahr bist du, mein Sohn, mir gerettet! Wie sehr war ich besorgt, daß Libyens Reich dich gefährde!" Jener darauf: „Dein Bild stand oft mir, Vater, vor Augen Und trieb traurig mich an, die Fahrt hierher zu bestehen. Im tyrrhenischen Meer liegt sicher die Flotte vor Anker. Reich mir, Vater, die Hand, laß dich umarmen vom Sohne!" Sprichts, ihm netzet zugleich ein Strom von Tränen die Wangen. Dreimal will er umfahn den Hals des Vaters mit Armen, Dreimal hascht er danach umsonst: er weicht der Umarmung Gleich dem Hauche des Winds, dem Schein des flüchtigen Traumbilds. J e t z t Äneas sich zeigt ein Hain im Grunde des Tales; Abseits liegt er für sich, umrauscht von Schilfesgeflüster, Friedlicher Wohnungen Hort, durchströmt vom Wasser der Lethe. Zahllos flattert darin der Schwärm der seligen Geister. So mit Gesumm umrauscht die Flur das Schwärmen der Bienen, Wenn am sonnigen Tag sie rings umflattern die Blumen Und, zu suchen den Seim, auf Lilienblüten sich schaukeln. Von dem Gesicht erschreckt forscht nach den Gründen Äneas,

124

VI 711—748

Läuterungsort

Kennt er sie selbst doch nicht, fragt, welches Gewässer hier fließe, Was der Schatten so viel jählings hinstürmen zum Ufer. Vater Anchises drauf: „All die, die nach der Bestimmung Müssen noch mal ins Leben zurück, sie trinken Vergessen Hier aus Lethes Strom, den Trank, der Sorgen verbannet. Sie dir aufzuzählen, den Nachwuchs meines Geschlechtes, Sie dir selber zu zeigen, danach hab lang ich getrachtet, Daß du mit mir dich freust, wenn dir Italien winket." „Sollen denn, Vater, von hier zum Licht auf manche noch steigen, Sollen Erlöste zurück in die H a f t des sterblichen Leibes? Welch heillose Begier wohnt bei den Armen zu leben?" „Sagen ich wills, mein Sohn, will nicht im Zweifel dich lassen", Nimmt der Vater das Wort und enthüllt das einzelne planvoll. „Himmel und Erde von Anfang an, die glitzernde Fläche, Das helleuchtende Rund des Monds, der riesigen Sonne Nährt ein innerer Hauch, ein Geist wirkt tätig im Weltall, Der die Glieder durchdringt, eins ist mit dem mächtigen Ganzen. Ihm entstammt der Menschen Geschlecht, die Tiere, die Vögel, Ihm, was an Wundern verbirgt des Weltmeers marmorne Tiefe. Feuriger Schwung wohnt ein den Keimen und himmlischer Ursprung, Soweit irdisches Fleisch nicht hemmt und träge Gelenke Sie nicht hindern, nicht lähmt der Zwang der sterblichen Glieder. Dies die Quelle der Furcht, der Begier, des Schmerzes, der Freuden; Blind in leiblicher Haft, sie ganz vergessen der Herkunft. J a , selbst wenn sie vom Licht am End einst scheiden des Tages, Weicht nicht jedes Gebrest, noch wird von ihnen genommen Jedwed körperlich Leid; tief mit der Seele verwachsen Sind die Triebe des Leibs und auszutilgen nicht völlig. Deshalb Buße sie tun, die früheren Sünden zu sühnen, Hier mit Martern und Qual. Ein Teil wird luftigen Winden Aus zum Läutern gespannt, dem andern werden Verbrechen Aus mit Feuer gebrannt, auch ab mit Wasser gewaschen: An der Seele wir dulden zumal. Hat diese gebüßet, Winkt Elysium uns; hier nur die wenigsten bleiben, Die der unendliche Tag, nachdem vollendet der Kreislauf, Ganz von Flecken befreit; rein er und lauter zurückläßt Ihnen ätherischen Sinn und des Hauchs, des göttlichen, Feuer. Aber die vielen beruft nach Verlauf von tausenden Jahren

VI 749—786

Die Ahnen der Römer

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H e r z u m L e t h e s t r o m in gewaltigen S c h a r e n die G o t t h e i t , D a ß n a c h V e r g e s s e n s t r a n k sie n o c h m a l s steigen z u m Lichte, Um ein leiblich G e w a n d sich a n z u p a s s e n a u f s n e u e . " H i e r n a c h z i e h t Anchises den S o h n , m i t ihm die Sibylle M i t t e n hinein in die S c h a r , d e n S c h w ä r m der s c h w i r r e n d e n Seelen. E r d e n Hügel b e s t e i g t , der ihm von v o r n e zu m u s t e r n All die S c h a t t e n e r l a u b t , zu s c h a u n der N a h e n d e n A n t l i t z . „ J e t z t will k ü n d e n ich dir, welch R u h m des D a r d a n u s Sprossen K ü n f t i g u m s t r a h l t , d e m I t a l e r s t a m m welch E n k e l e n t s p r i e ß e n , K ü n d e n die H e r r l i c h e n dir, die das Schicksal u n s e r e m N a m e n H a t als E r b e n gesetzt, will lehren dich deine B e s t i m m u n g . J e n e r , g e s t ü t z t , wie d u siehst, auf den S p e e r s c h a f t , h a t sich erkoren N ä c h s t dem L i c h t e d e n P l a t z ; er wird als e r s t e r der Sippe A u s italischem B l u t eingehn ins irdische Leben, Silvius, echt a l b a n i s c h e r A r t , dein s p ä t e s t e r Sprößling, Den Lavinia dir, d e m h o c h schon b e t a g t e n , als S p ä t l i n g W i r d aufziehen im W a l d als K ö n i g u n d V a t e r G e k r ö n t e r , D u r c h den u n s e r Geschlecht einst stellt die H e r r e n von Alba. Ihm s t e h t P r o k a s z u n ä c h s t , der R u h m der troischen Sippe, K a p y s und N u m i t o r d a n n , d a n n Silvius, der sich Ä n e a s W i e du selber b e n e n n t , gleich w e r t als Mensch u n d als Recke, W a n n er endlich e r l a n g t L a n g a l b a s f ü r s t l i c h e K r o n e . W e l c h ein H e l d e n g e s c h l e c h t ! W e l c h herrliche J ü n g l i n g s g e s t a l t e n ! W i e schön s c h m ü c k e t ihr H a u p t der K r a n z v o m L a u b e der E i c h e ! Diesen N o m e n t u m w i r s t u n d Gabii, w e i t e r F i d e n ä , Diesen Collatias Burg, P o m e t i i f e r n e r d u d a n k e n , Bola s o d a n n u n d Cora, a u c h I n u u s ' sichere V e s t e : S t ä t t e n d e r e i n s t von K l a n g , h e u t Ö d l a n d ohne B e n e n n u n g . Zu d e m A h n sich gesellt bald R o m u l u s , S p r ö ß l i n g des Mavors, D e n aus A s s a r a k u s ' B l u t a u f z i e h n wird Ilias S o r g f a l t . Siehst du den d o p p e l t e n B u s c h , des Goldhelms r a g e n d e Zierde, Siehst du d e n K ö n i g s s t a b , von J u p p i t e r j e t z t schon v e r l i e h e n ? A u s wird d e h n e n ihr Reich d a n k i h m die herrliche R o m a Bis a n s E n d e d e r W e l t , den Geist z u m H i m m e l e r h e b e n , W i r d in die M a u e r d e r S t a d t einziehn einst sieben der B u r g e n , R e i c h an heldischer K r a f t , stolz gleich d e r M u t t e r der G ö t t e r , Die m i t T ü r m e n im H a a r d u r c h f ä h r t die p h r y g i s c h e n S t ä d t e , F r o h des h o h e n Geschlechts, d e m sie das Leben gegeben,

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VI 787—823

Augustus.

Die Könige Roms

Das zahllos den Himmel bewohnt als stolzester Nachwuchs. Wende den Blick nunmehr dorthin, schau dorten die Sippe, Schau dein Römergeschlecht, schau Cäsar, schau des Iullus Adligen Stamm, der einst wird selbst den Himmel bereichern. Dies ist der Mann, der ists, dir oft als Erbe verheißen, Cäsar August, des Göttlichen Sproß! Die goldenen Zeiten Bringt er Latium wieder, dem einst Saturnus sie brachte, Zwingt ins römische Joch dereinst Garamanten und Inder, Völker, die nicht umschließt der Tierkreis, dessen Gestalten Weisen der Sonne die Bahn, dort wo der Träger des Himmels, Atlas, dreht auf dem Nacken den Pol des Sternengewölbes. Auf sein Kommen gespannt, erschreckt durch göttliche Sprüche, Bebt schon jetzt das kaspische Reich, die mäotische Steppe, Ist unruhig bewegt des Nils vielarmiges Delta. Nicht durchmaß der Alkide so weite Gebiete der Erde, Als er die Hindin erlegte, die flüchtige, des Erymanthus Wald vom Eber befreit', a b t a t die lernäische Schlange; Auch nicht Bacchus der Gott, des Weinlaubzügel die Tiger Lenkten von Nysas Höh, daß fromm sie gingen im Joche. Und da schwanken wir noch, durch Taten die Kraft zu bewähren, Scheuen uns noch davor, Ausoniens Land zu betreten? Doch von ferne wer f ü h r t , vom Ölzweigkranze beschattet, Opfer herbei? Wohl kenn ich das Haar, den ergrauenden Kinnbart, Kenn des Königs Gestalt, der einst durch Recht und Gesetze Altrom festigen wird; als Bürger des ärmlichen Cures Kommt er zum Thron der Welt. Der ihm nachfolgen wird, Tullus, Stört den Frieden der Stadt, ruft auf zu den Waffen die Männer, Die, des Krieges entwöhnt, verlernt schon haben zu siegen. Ihm folgt Ankus zunächst, ein Fürst, der allzubegierig, Ach, schon damals gehascht nach des Volks schnell wechselndem Beifall. Willst der Tarquinier Stolz du schaun, willst sehen den Brutus, Der als Rächer entriß der Strafmacht Zeichen dem letzten? Er als erster erhält des Konsulamtes Belohnung, Zieht, um die Freiheit besorgt, zur Strafe die leiblichen Söhne, Weil sie des Aufruhrs Brand in Rom zu schüren versuchten. Unglücksvater! Die T a t mag schmähn, mag preisen die Nachwelt, In ihm sieget allein zum Ruhm, zum Lande die Liebe.

VI 824—861

Weltberuf Griechenlands und

Roms

127

Auch die Decier sieh dort fern, die Druser, Torquatus, Der nicht schonte des Sohns; Feldzeichen in Händen Camillus. Jene jedoch, die beide du siehst in römischer Rüstung, Jetzt einmütigen Sinns, solang im Dunkel sie weilen, Ach, welch blutiger Kampf wird sie dort oben verfeinden, Wird mit Tode bedrohn so viele der römischen Bürger, Wenn von den Alpen herab, von Monökus' Höhe der Schwäher Eilet zum Kampf, zum Kampf mit dem Heer aus Osten der Eidam. Nicht, ihr Knaben, auf Krieg sollt eure Gedanken ihr richten, Nicht ins Herz des eigenen Lands mir bohren die Schwerter. Drum üb Schonung zuerst du, Cäsar, stammst ja von Göttern; Wirf aus der Hand das Schwert, mein Sprößling! Jener, Besieger Korinths, im Triumph wird lenken den Wagen Zum Kapitol als Preis der niedergeworfnen Achäer. Er wird Argos zerstören, Myken, den Sitz Agamemnons, Wird am Äakussproß, dem Geschlecht des Helden Achilles, Rächen die troische Schmach, den besudelten Tempel Minervas. Wer könnt, Cossus, von dir, von dir auch Cato, dem Zensor, Schweigen, von Gracchus' Geschlecht, vom Ruhm der Scipiosprossen, Geißeln des libyschen Reichs, wer von Fabricius' Schlichtheit, Wer, Serranus, von dir, der Pflug mit Ruten vertauschte? Wohin reißt, ihr Fabier, mich? Du, Maximus, bist doch, Der durch Zaudern allein den Staat einst sollte bewahren? Andere werden aus Erz des Lebens Bilder gestalten Weicher — gewiß! —; dem Stein das Antlitz wahrer entlocken, Führen beredter das Wort, nachziehn die Bahnen des Himmels Klar m i t Zirkel und Stab, Aufgang ansagen den Sternen. Doch d u Römer gedenk, als Herr zu gebieten den Völkern — K u n s t sei dieses f ü r dich! —: zwing auf dem Frieden Gesittung, Mild Nachgiebigen, ring im Kampf Aufsässige nieder." Vater Anchises sagts und fügt hinzu, da sie staunen: „ S c h a u , wie schreitet einher in feindlichen Waffen Marcellus, Der d o r t raget empor ob all den übrigen Helden! Er s t ü t z t einstens den Staat, den Kriegslärm drohend umtoset, Er den punischen Krieg, den gallischen endet als Reiter, Er den erbeuteten Schmuck einst weiht, den dritten, Quirinus." Neben Marcellus erblickt einen Jüngling schreitend Äneas Edelster Art in schimmernder Wehr, nicht heiter die Stirne,

128

VI 8 6 2 — 8 9 7

Marcellus

Trüb die Blicke gesenkt, und fragt drob voller E r s t a u n e n : „Vater, wer ist denn der, der hergeht neben dem H e l d e n ? Ist es der S o h n ? Ists wer der später geborenen E n k e l ? Welch Schwärm drängt sich um i h n ? Welch Bild er selber des Adels! Doch umschwebet schon Nacht sein H a u p t mit traurigem S c h a t t e n . " Ihm erwidert darauf, nicht Herr der Tränen, Anchises: „Forsche, mein Sohn, nicht nach der Deinen entsetzlicher T r a u e r ! Zeigen nur will der Welt das Schicksal diesen, nicht lassen. Allzu mächtig erschien euch, Götter, der römische Nachwuchs, W ä r als dauernd Geschenk der Welt der Jüngling geblieben. Welches Gestöhn wird er bei Männern erregen im Marsfeld Nahe der S t a d t ! Welch Leichengefolg, ach, wirst du bewundern, Wenn du, Tiber, vorbei dem Grabmal wälzest die Fluten! Kein Sohn ilischen Stamms wird je mit Hoffnungen schwellen Also der Ahnherrn Brust! Niemals wird Romulus' Erde J e so herrlichen Sohns mit Fug sich rühmen als Mutter. Hin ist Treue, der kindliche Sinn, die siegende Rechte! Niemals hätten mit ihm sich straflos Gegner gemessen, Seis im Kampfe, wenn er zu Fuß sich stellte dem Manne, Seis auf schnaubendem Roß, wenn er anspornte den Renner. Ach, unglückliches Kind, daß du nicht brächest das Schicksalf Wirst Marcellus uns sein. Bringt Lilien viel in den Händen! Will ihm Blumen doch streun, zum mindesten ehren die Manen Und, dem Enkel zulieb, wahrnehmen des nichtigen Dienstes." Überallhin sie wandern umher im weiten Gefilde, Mustern das neblige Reich und schaun die Stätten der Schatten. Als Anchises gezeigt dem Sohn die W u n d e r des Dunkels Und entzündet in ihm die Lust zu künftigem Ruhme, Spricht von Kriegen er noch, die durchzukämpfen er habe, Lehrt ihn kennen Laurentums Volk, die Stadt des Latinus, Zeigt, wie jeglichen Mühn er entgehn kann oder begegnen. Zwiefach sind die Pforten des Schlafs: der hörnernen ersten Leicht entschwirret der Schwärm der e c h t e n Gebilde der T r ä u m e ; Durch die zweite, die glänzt in des Zahnbeins schimmernder Weiße, Schicken zur oberen Welt die Manen die t r ü g e n d e n Träume. Wie nun alles erzählt, entläßt der Vater Äneas

VI 898—901.

VII

1—26

Kirkes

Hain

129

Mit der Sibylle zugleich durchs Tor der glänzenden Weiße. Stracks zur Flotte den Weg er nimmt, sieht wieder die Freunde, Segelt alsbald gradwegs mit ihnen zum Hafen Cajetas, Wo man Anker auswirft, festlegt am Ufer die Kiele.

Siebentes Buch Landung der Troer im Tiber Bleibenden Ruhm im Tod, Äneas' Amme Cajeta, Hast auch du hinterlassen für uns und unsere Küsten; Denn dein Ruf noch haftet am Platz und deine Gebeine Künden den Namen noch heut dem Land zu stetem Gedächtnis. Als die Bestattung vorbei, nach Brauch der Hügel errichtet, Ruhig geworden das Meer, heißt Vater Äneas die Segel Hissen zu weiterer Fahrt und verläßt den schützenden Hafen. Sanft bläst nächtlicher Hauch; hell weist und sicher des Mondes Scheibe den Weg, stillt glänzt in glitzerndem Lichte die Fläche. Beim kirkeischen Berg streift dicht die Flotte das Ufer, Wo des Helios Kind in schwer zugänglichen Hainen Läßt ertönen ihr Lied, wo stets die duftende Zeder Brennt im stolzen Palast, das Dunkel der Nacht zu vertreiben, Wenn mit klingendem Kamm sie festschlägt ihre Gewebe. Hier man hört das grimme Geknurr blondmähniger Löwen, Die die Stille der Nacht mit Gebrüll im Käfig erfüllen; Hier das Grunzen der Schweine, das Brummen der Bären im Zwinger, Hier der Wölfe Geheul, ein Durcheinander von Stimmen, Das solch Tieren entstammt, die vormals Menschen gewesen, Doch durch Kirkes Zaubergetränk nun waren verwandelt. Daß die Troer nicht auch, wenn auf sie nähme der Hafen, Liefen dieselbe Gefahr und die Macht der Zauberin fühlten, Dafür sorgte Neptun. Er füllte die schwellenden Segel Und an den Klippen vorbei trieb er die flüchtigen Schiffe. Schon sich rötet in Strahlen das Meer, im Rosengespanne Steigt Aurora herauf und färbt den goldigen Äther, T r e n d e l e n b u r g , Virgils Aeneis.

9

130

V I I 27—62

Äneas' Landung im Tiber.

König Latinus

Da legt ganz sich der Wind, aussetzt nun jegliches Lüftchen, Nur die Ruder im Takt aufwerfen die spiegelnde Fläche. J e t z t Äneas erblickt vom Schiff in nebliger Ferne Einen gewaltigen Hain. Ihn teilt der liebliche Tiber, Der in Strudeln hier stürzt ins Meer sein gelbliches Wasser, Blond vom Sande gefärbt. Flußbett und Ufer umspielen Farbige Vögel in Meng, die bald mit lieblichem Singen Schmeicheln dem Wald, bald über den Strom sich schwingen im Fluge. Dorthin richten den Lauf läßt gleich die Genossen Äneas Und steigt freudig an Land im Schutz des schattigen Stromes. Auf jetzt, Muse, mir nenn die Könige, sag die Geschichte, Künd Altlatiums Stand zur Zeit, als troische Krieger Auf Ausoniens Strand erstmals auftrieben die Schiffe; Welches der Anfang war damals des ersten der Kämpfe. Führ du, Göttliche, mich; soll ich doch singen von Kriegen, Von Schlachtreihen, der Könige Sinn, zum Kämpfen entschlossen, Wie Tyrrheniens Jugend, wie ganz Hesperien endlich Sich in Waffen erhob. So wächst mit höheren Zielen Höher mir auch das Werk. Als König beherrschte Latinus, Hoch schon betagt, das Land und hielts in dauerndem Frieden, Faunus ihn hatte gezeugt mit Laurentums Nymphe Marica, Wie man erzählt. Sich Picus berühmt, des Faunus Erzeuger, Abzustammen von dir, Saturn, Urheber des Stammes. Männlicher Nachwuchs blieb versagt für immer Latinus, Seit ihm raubte der Tod des Erstlings früheste Kindheit. Übrig ihm blieb die Tochter allein als Erbin des Reiches, Reif schon für den Gemahl, kraftvoll in maidlichen Jahren. Freier sie zählte gar viel, nicht nur aus Latium selber, Ganz Ausonien Warb um sie, vor allen auch Turnus Aus uraltem Geschlecht, den sich des Königs Gemahlin Längst zum Eidam ersehn; ihm war sie herzlich gewogen. Doch d e m standen im Weg Vorzeichen von schlimmer Bedeutung. K r ä f t i g ein Lorbeerbaum ragt' auf inmitten des Burghofs, Nie der Blätter beraubt, ein Denkmal schöner Verehrung. Ihn fand vor der König, als er anlegte die Veste, Weihte mit eigener Hand, so sagt man, ihn dem Apollo,

VII 6 3 — 9 9

Orakel des Faunus

131

Nahm auch den Namen von ihm und hieß Laurenter die Siedler. Hier im Wipfel des Baumes ließ sich — ein Wunder zu nennen — Nieder von Bienen ein Schwärm, der unter gewaltigem Summen Hoch durch die Luft herflog; sie klammerten untereinander Fuß bei Fuße sich an; bald hing vom Ast eine Traube. Drauf der Seher sogleich: „Ich seh fremdländische Männer Nahen im Zuge heran; er kommt aus der nämlichen Richtung, Zieht in der nämlichen fort, wird Herr der Höhe des Burgbergs." Als der König entfacht' am Altar das züchtige Feuer, Und dicht neben ihm stand die Tochter Lavinia, plötzlich Züngeln die Flammen — so schiens — empor zum Kopfe der Jungfrau, Lecken mit prasselnder Glut am Schmuck des magdlichen Hauptes, Setzen das Haar in Brand, umspielen der Krone Juwelen, Hüllen die ganze Gestalt dann ein bei fahler Beleuchtung In dick qualmenden Rauch und ergreifen danach das Gebäude. Von so wüstem Gesicht man erzählt als drohendem Wunder. Selbst, so legt man es aus, würd ihr vom Schicksal beschieden Zwar ein rühmliches Los, doch dem Volk dröhn schreckliche Kämpfe. Von solch Zeichen erschreckt, sucht auf der König des Vaters Faunus Orakel sogleich und holt im Hain sich Belehrung Unter Albuneas Fall, der mächtigen Nymphe des Waldes, Deren geheiligter Quell ausstößt gelbschweflige Dünste. Hier in mißlicher Zeit sucht Rat Önotrias Landschaft, Rat Italiens Volk. Hat hier der Priester geopfert, Hier in schweigender Nacht das Fell der geschlachteten Schafe Sich zum Lager gehäuft, ist hier dem Schlafe verfallen, Sieht der Gestalten er viel seltsam sein Lager umschweben, Hört er Stimmengewirr, wähnt göttlichen Rats sich gewürdigt Und mit Acheron selbst Zwiesprach im Orkus zu halten. Als hier Weisung erhofft damals auch Vater Latinus, Schlachtet er erst nach Brauch zweijähriger Lämmer ein Hundert, Türmt zum Lager sich dann der Geschlachteten zottige Felle. Alsbald läßt aus den Wipfeln des Walds sich hören die Stimme: „Suche, mein Sohn, den Mann nicht auszuwählen der Tochter Aus latinischem Volk, trau nicht der beschlossenen Ehe! Freier das Ausland schickt, die zu den Sternen erheben Werden auch unseren Stamm durch Blut; die späteren Enkel o*

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V I I 100—137

Die Troer verzehren die Tische

Werden erblicken die Welt, soweit Licht spendet die Sonne, Sich zu Füßen gelegt und gehorsam ihren Befehlen". Da das Orakel geheim nicht hielt der König Latinus, Das zu nächtlicher Weil ihm hatte der Vater gegeben, Trugs in den Städten Ausoniens um die geschäftige F a m a Grade zur Zeit, als hoch am Wall des grünenden Ufers Brachte die Schiff' ans Land die laomedontische Jugend. Hier nun strecken sich hin im Schutz breitästiger Wipfel Vater Äneas erst, Iullus, die Führer der Schiffe; Rüsten die Mahlzeit dann im Gras und machen die Tische Aus Speltkuchen sich selbst — so wollt es Juppiters Weisung — t Die, von Ceres geliehn, mit ländlichem Obst sie besetzen. Als nun alles verzehrt und Not an anderen Speisen J e t z t die Hungrigen zwingt, auch aufzuzehren die Kuchen, Sie zu brechen entzwei, das Rund des gerösteten Backwerks K ü h n zu zerbeißen im Mund und nicht zu schonen der Viertel, R u f t Iullus im Scherz: „Sieh da, wir essen die Tische!" Nichts mehr setzt er hinzu. Dies Wort, kaum ist es gesprochen, Macht ein Ende der Not. Äneas n i m m t es dem Sprecher Ab von den Lippen, bedenkts, ehrt still das Walten der Gottheit. Drauf er beginnt: „So sei mir gegrüßt, versprochene Heimat, Seid mir Penaten gegrüßt, die treu zu Troja gehalten! Hier ist Heimat und Haus! Mir hat das Schicksalsgeheimnis Einst der Vater enthüllt, und ich darfs wiederverkünden: „ W e n n bei kärglichem Mahl, mein Sohn, an fremdem Gestade Hunger dich einstmals zwingt, auch aufzuzehren die Tische, H a s t du die Heimat erreicht; dort eil, zu dauerndem Sitze Dir zu legen den Grund und aufzuführen den Schutzwall". So war der Hunger gemeint, er war die letzteste Prüfung, Die der Irrfahrt setzte das Ziel. Drum ans Werk! Laßt froh mit erstem Erscheinen der Sonne Uns auskunden das Land, die Leute, die Lage der H a u p t s t a d t Und vom Hafengebiet ausgehn nach jeder der Seiten. Doch erst spendet dem J u p p i t e r noch, ruft Vater Anchises Her als freundlichen Gast, stellt Wein auf unsere Tische!" Dann mit grünem Gezweig er sich umkränzet die Schläfen, Betet zuerst zum Geiste des Orts, zum zweiten zur Erde, Der Allmutter, den Nymphen sodann, den Göttern der Flüsse,

VII 138—175

Gesandtschaft an Latinus

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Die noch keinem bekannt, zur Nacht und ihren Gestirnen, Zum idäischen Zeus, zur phrygischen Mutter der Götter, Rufet das Elternpaar auch an im Olymp und im Orkus. Dreimal donnert herab Allvater aus strahlendem Äther, Zeigt ein W'olkengebild, aus Gold und Strahlen gewoben, Das mit eigener Hand er preßt zu dröhnendem Donner. Gleich durchläuft das schnelle Gerücht die troischen Reihen, J e t z t sei kommen der Tag, die verheißenen Mauern zu gründen. Eifrig erneut man das Mahl und froh des gnädigen Zeichens Stellt Mischkrüge man auf und schmückt mit Kränzen die Becher. Als den folgenden Tag des Frührots Strahlen verkünden, Späht nach der Stadt man aus, durchforscht man Land und Gestade, Hier- und dorthin verteilt: dies sei der Sumpf des Numicus, Dies vom Tiber das Bett, hier wohnen die tapfern Latiner. Hierauf ordnet Äneas ab an hundert Gesandte, Männer aus jeglichem Stand, zum hohen Palaste des Königs, Alle von Binden umwallt, im Schmuck der Zweige des Ölbaums, Mit Gastgaben an ihn, für die Teukrer zu bitten um Duldung. Ohne Verzug macht eiligen Schritts sich auf die Gesandtschaft; Doch Äneas indes umzieht mit niedrigem Graben Für die Häuser den Platz und führt nach Weise des Lagers Auf mit Zinnen den Wall zum Schutz der ersten Besiedlung. Bald ist der Weg durcheilt; man sieht die Burg des Latinus Vor sich, Gebäude mit Türmen geschmückt, man nahet der Mauer: Knaben und jugendlich Volk vor der Stadt sich tummelt auf Rossen, Übt auf staubigem Platz das sichere Lenken der Wagen, Spannt des Bogens Gehörn und wirft die geschmeidigen Gere Weit mit nervigem Arm, im Lauf sich messend und Schießen. Gleich ein Bote zu Pferd fortstürmt, dem König zu melden, Männer von stattlichem Wuchs an seien soeben gekommen In fremdländischer Tracht. Er befiehlt, sie vor sich zu lassen, Setzt auf den Hochsitz sich, den Thron der fürstlichen Ahnen. Groß und hehr auf der Höhe der Stadt, von Säulen getragen, Liegt der Königspalast, die Burg des laurentischen Picus, Stimmungsvoll umrauscht von Wald und Schauern der Ehrfurcht. Hier das Szepter empfahn, empfahn die Zeichen der Würde, Galt als guter Beginn; so w a r d ' z u m Tempel die Stätte. Dieses der Ort des heiligen Mahls, hier sitzen die Väter

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V I I 176—213

E m p f a n g der Gesandten durch Latinus

Dicht um die Tische gedrängt beim Schmaus des geopferten Widders. Auch die Bilder der Ahnen man sieht in zeitlicher Folge, Die ganz alten aus Holz, wie den Italus, Vater Sabinus, Der anpflanzte die Rebe; nicht fehlt das Messer im Abbild. Bilder des greisen Saturn, des J a n u s mit doppeltem Antlitz Stehen am Vorplatz vorn, dann auch Aboriginer-Fürsten, Die heimbrachten vom Kampf um die Stadt viel rühmliche Wunden. Viel auch Waffen man sieht hier hängen an heiligen Säulen, Wagen erbeutet im Kampf, Streitäxte mit rundlichen Schneiden, Helme mit wallendem Busch, von Toren gewaltige Schlösser, Lanzen und Schilde von Erz, Schiffsschnäbel, die Waffe der Kiele. Picus, der reisige, sitzt, in der Hand des Romulus Krummstab, Links den heiligen Schild, im Schmuck des kleineren Staatskleids, Ein ehrwürdiges Bild. Sich ihm zu vermählen hat einstmals Kirke begehrt umsonst und ihn mit goldener Gerte Drob zum Spechte gemacht und besprengt mit Tupfen die Flügel. In so würdigem Saal sitzt auf dem Throne der Väter König Latinus und läßt eintreten der Teukrer Gesandte. Drauf mit friedlichem Wort er so die Fremden begrüßet: „Sagt an, Dardaner ihr, uns bekannt nach Heimat und Abkunft, Die weit über das Meer — auch das wir hörten — gekommen, Was ist euer Begehr? Trieb Not euch oder Geschäfte Ans ausonische Land durch all die großen Gewässer? Doch mag Irrfahrt euch, mag Sturm euch haben gezwungen — Stete Begleiter ja sinds der Schiffer auf jeglichem Meere —, Daß in den Fluß ihr lieft und Fuß hier faßtet im Hafen, Nehmt Gastfreundschaft an und lernt als Latiner uns kennen, Als Saturnus' Geschlecht, ohn Zwang und Satzung verläßlich, Das aus freiem Entschluß nachstrebt dem göttlichen Ahnherrn. Nicht ich vergaß — nur trübt mein Erinnern die Reihe der J a h r e —, Daß aurunkische Greise gewußt, ein Sprosse des Landes, Dardanus, sei von hier zu phrygischen Städten gewandert Und zum thrakischen Samos, das heut Samothräke genannt wird. Er brach einst aus Körythus auf, der tuskischen Heimat, Doch jetzt thront er verklärt im himmlischen Reiche der Sterne, Gleich den Göttern geehrt mit Altären und Opfergerüchen". Drauf Ilioneus so den Gruß des Königs erwidert: „König, des Faunus erhabener Sproß, nicht widrige Winde

VII 214—250

Die Gesandten vor dem Könige

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Haben im Wogengebraus uns hier zu landen gezwungen, Auch die Sterne nicht uns auf irrige Wege geleitet, Nein, mit vollem Bedacht und willigem Sinne wir strebten Her zu deinem Gebiet, der Heimat bar, die die Sonne Einst als größte geschaut, wenn hoch von Osten sie herkam. Juppiters ist das Geschlecht, sein r ü h m t die troische Jugend Sich als ältesten Ahns, von ihm auch s t a m m t unser König, Der uns schickt zu deinem Palast, der Troer Äneas. Was f ü r Stürme durchbraust, entfacht vom wilden Mykene, Das idäische Feld, nach welchem Beschlüsse des Schicksals Asien messen sich m u ß t im Kampf mit der Jugend Europas, Weiß selbst, wer das äußerste Land auf Erden bewohnet An Okeanus' Strom, weiß wen die mittelste Zone Trennt von den übrigen ab, das Reich der sengenden Sonne. Gleich nach Iliums Fall wir viel der Meere durchfuhren. J e t z t wir bitten um Sitz und Schutz f ü r unsere Götter, Für uns alle zugleich um Teil am Wasser und Luftraum. Wollen dem Reich nicht werden zur Schmach, nicht flüchtigen R u h m nur Bringen f ü r edele T a t ; der Dank soll nimmer erlöschen, Reun es Italien nie, Trojas sich erbarmet zu haben. Bei des Königs Geschick schwör ich, bei der mächtigen Rechten, Die schon mancher erprobt im Bund, schon mancher im Kampfe, Denk nicht gering von uns, weil wir, Wollbinden in Händen, Uns als Flehende n a h n : viel schon der Stämme, der Völker Buhlten um unsere Gunst und hätten uns gerne zu Freunden, Doch der Götter Gebot zwingt uns durch strenge Befehle, Grad dies Land zu küren als Sitz, des Dardanus Heimat. Hierher ruft uns zurück mit dringender Weisung Apollo, Her zum tuskischen Strom, zum heiligen Sumpf des Numicus. Dazu spendet Äneas dir aus früherem Reichtum, Den aus brennender S t a d t er als Andenken gerettet: Hier die Schale von Gold, des Anchises Opfergerätschaft; Hier des Priamus Zier, wenn er vor versammeltem Volke Recht und Urteil sprach: seinen Stab, den heiligen Kopfschmuck, Auch sein Kleid, ein ilisch Geweb". Dies Ilioneus sagt. Fest heftet in sinnendem Grübeln König Latinus den Blick, nicht ihn vom Boden er wendet,

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VII 251—288

Latinus verspricht Lavinia dem Aneas

Nur das Aug' er bewegt; doch gilts so sehr nicht dem Purpur, Herrlich gestickt, nicht so des würdigen Priamus Szepter, Wie dem eignen Geschick, der Hochzeitsfeier der Tochter. Lebhaft denket er jetzt des alten Orakels des Faunus. Dies ist also der Held auswärtigen Stamms, vom Geschicke Ihm zum Eidam bestellt, zum Mitinhaber der Herrschaft. Sicher ihm Nachwuchs ist von unüberwindlicher T a t k r a f t , Der durch eignes Verdienst einst wird Herr werden der Erde. Endlich erfreut er r u f t : „Dem Plan mag günstig die Gottheit Sein und dem eigenen Spruch! Dir, Troer, gewähr ich die Bitte, Mir sind die Gaben genehm. Solang hier herrschet Latinus, Soll euch ergiebiges Land, euch Trojas Fülle nicht fehlen. Nur komm selber der Fürst, hat er so großes Verlangen, Gastfreundschaft zu schließen, mir Bundesgenosse zu heißen, Komm und scheue sich nicht, den Freund mit Augen zu sehen. Halb ist Friede gemacht, wenn wir uns reichen die Hände. Doch nun meldet zurück, was ich entbiete dem Freunde. Mir eine Tochter erblüht. Kein Mann aus unserem Volke Darf mir freien um sie, weil Spruch und Zeichen es hindern, Die der Himmel gesandt: von fern werd kommen der Eidam — So das Orakel verheißt —, der zu den Sternen werd tragen Unseren Namen durch Blut. Er ists, ihn fordert das Schicksal. Dies mein Glaube, mein Wunsch, wenn recht ich deute die Zeichen". Hierauf wählet er aus Reitpferde der ganzen Gesandtschaft; Denn ihm standen im Stall dreihundert der edelsten Rasse. Jedem der Ordnung nach läßt er vorführen den Renner, Strahlend im Purpurglanz der golddurchwobenen Decke. Goldener Brustschmuck hängt am Hals den feurigen Tieren Und von gleichem Metall das Gebiß hell blinket im Maule. Dem Äneas er schenkt ein Gespann vor niedrigem Wagen: Feuer den Nüstern entströmt, weil nicht ists irdischen Ursprungs, Sondern dem Hengst entstammt, den heimlich entwandte dem Vater Kirke, die Zauberin, einst und paarte mit irdischer Stute. So mit Gaben bedacht und erfreut durch die Worte des Königs, Kehrt die Gesandtschaft heim zu Roß, mitbringend den Frieden. Sieh, da fährt durch die Luft, des Inachus Argos verlassend, Juppiters strenges Gemahl. Sie sieht aus luftigem Äther Weit von Pachynum aus, daß froh Äneas gelandet,

VII 289—326

J u n o ruft die Furie A l e k t o a u s d e r U n t e r w e i t

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Daß in Sicherheit schon die ganze dardanische Flotte. Häuser man richtet bereits, man traut dem sicheren Lande, Glücklich entronnen dem Meer. Der Anblick macht sie betroffen. Zornig sie schüttelt das Haupt, der Brust sich entringen die Worte: „Wehe, verhaßtes Geschlecht! Ach, daß der Phrygier Schicksal So das meinige kreuzt! Ists wahr denn, daß sie Besiegte, Daß sie gefangen, gestürzt? Ist denn durch Flammen nicht Troja Samt den Bewohnern vertilgt? Aus Kampf und loderndem Feuer Fanden den Weg sie hinaus! Steh ich denn wirklich am Ende Meiner Gewalt, hab gestillt ich den Haß, kann Ruhe nun pflegen? Selbst die Verbannten nicht ließ ich los, folgt ihnen zu Wasser, Setzte den Flüchtigen nach auf langer, beschwerlicher Irrfahrt! Troer, ihr machtet zuschand die Kraft des Himmels und Meeres. H a t mir Skylla genützt, die Syrten, die böse Charybdis? Alle geborgen sie sind im Bett des rettenden Tiber, Sicher vorm Meer und mir. Mars, ja, der konnte vernichten Ganz der Lapithen Geschlecht; dem Zorn könnt opfern Dianas Kalydons altes Gebiet der Vater der Götter und Menschen. Was tat Kalydon denn, was denn die Lapithen so Schlimmes? Doch ich, Juppiters Frau, die sich in allem versuchte, Was sie nur immer vermocht, die jegliches Mittel ergriffen, Werd von Äneas besiegt. Reicht hin mein göttliches Ansehn Nicht zum Erfolg, hol Helfer ich mir, wen immer ich finde. Beug ich Obere nicht, werd auf ich den Acheron peitschen. Schön, am latinischen Reich nicht gehts den Troer zu hindern, Schön, Lavinia wird sein Gemahl, so will es das Schicksal: Aufschub doch ist erlaubt auch bei so großem Geschehen, Auszurotten das Volk der beiden befreundeten Fürsten. Um der Ihrigen Preis mag Schwäher sich einen und Eidam. Rutuler-, Dardanerblut soll Mitgift werden dir, Jungfrau, Dir Hochzeiterin sein Bellona. Hekuba schwanger Nicht allein einer Fackel genas zum Brande von Troja, Nein, auch kyprischem Schoß entspring ein anderer Paris, Der mit Feuer bedroh das wiedererstehende Troja". Also grollt sie sich aus; dann steigt sie nieder zur Erde, Holt aus dunkelem Reich vom Sitz der rächenden Schwestern Sich Allekto herauf, der Lust sind traurige Kriege, Listiger Trug und Wut und unheilvolle Verleumdung.

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VII 327—362

Alekto.

Königin Amata

Pluto selber sie haßt, es hassen die Schwestern das Scheusal, Das sich zu wandeln vermag in soviel widrige Formen, Soviel greulichen Spuk, das soviel Nattern umzüngeln. Juno weiß sie zum Zorn noch mehr durch Worte zu reizen: „Jungfrau, Tochter der Nacht, gib mir dich heute zueigen, Dich und deine Gewalt, daß nicht hinschwinde mir Ehre, Nicht hinschwinde mir Ruhm, wenn Ehanträge der Troer König Latinus erhört, preisgibt italischen Boden. Du kannst treiben zum Krieg einmütige Paare von Brüdern, Häuser zerstören durch Haß, die festesten Dächer zerschmettern, Auf sie schleudern den Brand, kennst zahllos Ränke zu schaden, Zahllos Namen dafür. Aufrüttle die willige Seele, Spreng den erstrebten Vertrag, wirf aus zum Kriege den Samen! Waffen die Jugend verlang! Eins sei sie verlangen, ergreifen". Voll gorgonischen Gifts eilt spornstreichs willig Alekto Gleich nach Latium hin, zum Haus des Königs Latinus, Setzt auf die Schwelle sich dort zunächst des Frauengemaches, Wo der Troer Besuch und des Turnus erhoffte Vermählung Schon mit Sorgen und Zorn Amatas Seele bewegen. Ihr aus dunkelem Haar wirft eine der Schlangen Alekto in die wogende Brust und verbirgt sie heimlich am Zwerchfell, Daß sie, rasend gemacht, umstoß den Frieden des Hauses. Zwischen dem Bausch und der blendenden Brust dringt ohne Berührung Ein das listige Tier und träuft ins Herz der Erregten Gift von eigenem Gift. Am Hals die gewundene Kette Wird zum schuppigen Leib, zu Ringeln die Bänder des Kopfschmucks, Die sich schlingen ins Haar und feucht hinirren an? Körper. Während die Glieder durchzuckt des Gifts einsetzende Wirkung, Nach und nach auch die Knochen ergreift ein hitziges Fieber. Noch ist ganz nicht der Sinn vom Gift des Geifers betöret, Und sie spricht zum Gemahl sich aus nach Weise der Mütter, Auf in Tränen gelöst ob der phrygischen Ehe der Tochter: „Willst Lavinia du zur Frau dem Flüchtigen geben, Ohne daß Mitleid du mit dir und der Tochter empfindest? Oder mit m i r ? Gleich wird, sobald auffrischet der Nordwind, Schnöd der Räuber entfliehn, aufs Meer entführen die Jungfrau.

VII 3 6 3 — 4 0 0

A m a t a und die Frauen

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Ist ein phrygischer Hirt nicht auch nach Sparta gekommen, Hat er Helena nicht, die Ledatochter, e n t f ü h r e t ? Hältst du so dein gegebenes W o r t ? Sorgst so für die Deinen? Gilts Versprechen dir nichts, das Turnus du gäbest, dem Vetter? Soll man im Ausland nur den Eidam Latiums suchen, Ist das Schicksalsbeschluß, ists Sinn des Faunusorakels? Nun, das ganze Gebiet, das frei von unserem Szepter, Halte f ü r Ausland ich und glaub, auch Götter es halten. Geht man dem Ursprung nach, zählt unter den ältesten Ahnen Turnus den Inachus auch und Akrisius, beide von Argos". Da der Versuch mißglückt, den Sinn zu wenden des Königs Durch der Rede Gewalt, auch ihr ins Mark schon gedrungen Tief der giftige Saft und ganz die Seele benommen, Rast die Königin jetzt, wie gepeitscht von bösen Gesichtern. Durch die Straßen der Stadt, unachtsam fraulicher Sitte. Wie der Kreisel hinfliegt manchmal, von Schlägen gewirbelt, Durch den räumigen Hof, den Kinder, aufs Spielen versessen, Allzu heftig gepeitscht; er, von der Schlinge geschleudert, Saust in Bögen dahin; es staunt die spielende Rotte, Meint ein Wunder zu sehn, daß Buchsbaum fliegen so könne; Schläge noch steigern den Schwung. So sprungweis stürmet Amata Durch die bevölkerte Stadt und teilt die gaffende Menge. J a , sie stürzet zum Wald, gleichwie von Bacchus besessen, — W u t eingibt den Entschluß, noch größeren Frevel zu wagen —, Und verstecket ihr Kind im nächtigen Dunkel des Waldtals; Will sies doch den Troern entziehn, aufschieben die Heirat. „Euhö, jauchzt sie verzückt, allein du würdig der Jungfrau, Dir zur Ehre sie schwing den laubumwundenen Thyrsus, Dir sie weihe das Haar, schling dir den heiligen Reigen!" Weithin dringt das Gerücht hiervon. Von gleichem Verlangen Sind die Mütter erfüllt, den Wald zu wählen als Wohnung. Alle verlassen das Haus: frei spielen im Winde die Haare, Wildes Geheul schrillt auf und dringt zum sonnigen Äther. Weinlaubspeere man schwingt, Tierfelle man schnürt um den Körper. Unter den Jauchzenden hebt die brennende Fackel Amata, Singet das Hochzeitslied für Turnus und seine Verlobte, Rollt der Augen unheimliche Glut, mit gellender Stimme R u f t sie: „Mütter, hailoh, hört mich, latinische Frauen!

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v i l 401—438

Alekto bei Turnus

Hegt ihr irgend noch Gunst für Amata, die sorgenerfüllte, Kümmert ihr euch noch drum, das Recht der Mutter zu wahren, Werft von euch die häusliche Tracht, kommt Orgien feiern!" So die Furie treibt zu bacchischem Rasen Amata Hinten in Wald und Busch, dem heimlichen Lager des Wildes. Als fürs erste genug W u t schien und Taumel entfesselt, Völlig verwirrt das Haus und gestört der Plan des Latinus, Macht sich Alekto fort von hier auf dunkelem Fittich Hin zu Rutulus' Stadt, zu der, vom Sturme verschlagen, Danae legte den Grund, wies heißt, mit griechischen Siedlern Aus Akrisius' Volk. Den Ort man Árdea nannte Damals im Land. Auch heut lebt fort noch Ardeas Namen, Aber der Ruhm ist hin. Es pflag im hohen Palaste Turnus der Ruh; die Mitte der Nacht war eben gekommen. Hier legt ab die Göttin das grimme Gesicht und der Glieder Schreckensgestalt, nimmt an das Aussehn einer Bejahrten, Furcht mit Runzeln die Stirn, f ä r b t weiß die gebundenen Haare, Setzt einen Kranz darauf vom Laub des friedlichen Ölbaums, Wandelt zur Kálybe sich, der würdigen Priesterin Junos, Tritt vor des Schlafenden Blick und läßt sich also vernehmen: „Bist du, Turnus, gewillt zu sehn, daß die Mühe vergebens, Daß dein väterlich Reich man vermacht dardanischen Siedlern? Dir wird Ehe versagt und kriegerworbene Mitgift, Und als Erben des Reichs holt her man flüchtige Fremde. Geh hin, setz doch Gefahren dich aus, die niemand dir danket, Bring zur Strecke tyrrhenische Reihn, schaff Latium Frieden! Dies jetzt sagen zu dir, wo du des Schlafes genießest, Offen und schonungslos, hieß mich die Weisung der Juno. Auf drum, ruf zu den Waffen das Volk und führ es entschlossen Gegen den Feind, der fest schon sitzt im lieblichen Flußbett. Räuchre das Fremdvolk aus mitsamt dem bunten Geschwader! Göttlicher Wille gebeuts. Es f ü h l der König Latinus, Wenn er nicht h ö r t und weiter bekämpft des Neffen Vermählung; Endlich erfahren er soll, was wert in Waffen ein Turnus". Höhnend der Seherin gibt zur Antwort solches der Jüngling: „ D a ß sich im Fluß vor Anker gelegt ein fremdes Geschwader, Ist nicht, wie du vermeinst, mir Aufmerksamem entgangen. Male mir doch Schreckbilder nicht aus! Denn Königin Juno

VII 439—474

Turnus beschließt den Krieg gegen die Troer

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Sicher auch meiner gedenkt. Doch vom Alter geschwächt und stumpf schon gegen die Wahrheit, Reibst du, Mütterchen, auf dich umsonst und läßt dich betören Durch unzeitige Furcht, wenn Könige kreuzen die Klingen. Kümmre dich doch um deinen Beruf und hüte den Tempel! Krieg und Frieden ist Sache des Manns; e r führet die Waffe". Ob solch Hohnes gerät in W u t die grause Dämonin. Plötzliches Zittern befällt die Glieder des hämischen Jünglings: Starr ihm stehet der Blick; es zischen der Furie Schlangen, Wie sie das Antlitz zeigt. Sie rollt die flammenden Augen, Schneidet ihm ab das Wort, als er zu sprechen sich anschickt, Richtet im Haar hoch auf ein Paar der züngelnden Nattern, Klatscht mit der Geißel und stößt hervor die drohenden W o r t e : „Sieh, vom Alter geschwächt und stumpf schon gegen die Wahrheit, Mich in törichter Angst, wenn Könige kreuzen die Klingen! Blicke mich an! Vom Sitz der grausigen Schwestern gekommen, Trag in der Hand ich Schlachten und T o d " . Sprichts und schleudert den Brand auf ihn, sie heftet die Fackel Ihm auf die Brust und verdunkelt das Licht durch qualmende Schwaden. Bebender Schreck ihn entreißt dem Schlaf, durch Knochen und Glieder Rinnt ihm eisiger Schweiß, feucht ist sein Leib wie gebadet. Knirschend nach Waffen er ruft, durchwühlt nach Waffen das Lager, Kriegslust rasen ihn macht, wahnsinnig Verlangen nach Kämpfen, Zorn obendrein, wie wenn man schürt mit trockenem Reisig Unter dem Kessel die Glut: aufleckt sie lauten Geprassels, Brodelnd das Naß aufsteigt, im Erz rast kochend die Woge, Hochauf wallet der Strom, braust über den Rand des Gefäßes, Bald schon Wasser nicht mehr, als Dampf er rollt in die Lüfte. Drum ruft auf er zum Zug und läßt sich rüsten die Jugend Gegen den inneren Feind, den Störer des Friedens, Latinus, Daß Italien Schutz, dem Feind werd schnelle Vertreibung. Beiden gewachsen er sei, den Teukrern wie den Latinern. Kaum war solches bekannt und erfleht der Segen der Götter, Treiben sich auch schon selbst die Rutuler rüstig zum Zuge. Ihn reizt Jugend zum Kampf, ihn herrlicher Wuchs und Erscheinung, Ihn sein fürstlich Geblüt, sein Mut, der oft schon bewährte.

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VII 475—512

Iullus v e r w u n d e t S i l v i a s

Hirsch

Während die Rutuler so zum Kampf anfeuert der Jüngling, Eilt auf Fittichen schwarz Allekto hin zu den Troern, Wo zu neuem Betrug erspäht sie hatte die Stelle, Von der aus mit List nachstellt Iullus den Tieren. Plötzliche Wut flößt ein der Meute die stygische Jungfrau, L ä ß t am bekannten Geruch sie Witterung nehmen des Wildes Und aufjagen den stattlichsten Hirsch. Dies Anlaß wurde des Krieges, Dies in den Kampf mitriß die bäurischen Landesbewohner. Ihn, ein Tier von hoher Gestalt und starkem Geweihe, Den man hatte der Mutter geraubt, aufzog mit den Kindern Tyrrhus, der oberste Hirt, den längst schon König Latinus Über die Herden gesetzt und über die Felder als Wächter. An Fürsorge gewöhnt, ließ gern von der Schwester des Tyrrhus, Silvia, sich der Hirsch das Geweih mit Blumen umwinden, Ließ sich kämmen von ihr und baden im fließenden Wasser. Zahm und gewohnt, bei Tisch aus der Hand sein Futter zu nehmen, Lief er umher im Wald, doch wüßt er immer zu finden Wieder den Weg zurück, wars Nacht auch worden inzwischen. Einstmals h a t t ' er sich weiter entfernt, im Flusse zu schwimmen Und am schattigen Strand Schutz vor der Hitze zu suchen, Als aufstöberten ihn Iullus' wütende Hunde. Dieser, erfüllt von Begier, habhaft zu werden des Prachttiers, Nimmt zum Ziele den Hirsch, auf ihn er richtet den Bogen, Und der schwankenden Hand nicht fehlt die Hilfe der Gottheit: Schwirrend das Rohr durchdringt den Leib und die weichen Gedärme. Schwerverwundet der Hirsch sucht Schutz in seiner Behausung, Schleppt sich ächzend zum Stall und stößt aus jämmerlich Klagen, Blutüberströmt und schwach, als wollt er rufen um Hilfe. Silvia schlägt sich die Brust, stößt aus laut gellende Schreie, Und aufschrecket ringsum die hart arbeitenden Bauern. Über Erwartung rasch — im Wald wirkt heimlich Alekto — Sind die Männer zur Stell; der schwingt als Lanze das Hartholz, Jener den knotigen Stock; die Wut macht alles zur Waffe, Was zufällig man fand. Anruft die Stürmischen Tyrrhus, Grade dabei, den Keil ins Holz der Eiche zu treiben, Greift nach der Axt, rennt mit; vor Zorn nicht kann er sich fassen. Neu sich Gelegenheit sucht die grimme Dämonin zu schaden. Schnell sie fliegt zum First des Gehöfts; von der Höhe des Daches

V I I 513—549

Kampf der Bauern gegen die Troer

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Stößt in das Kuhhorn sie: des Landvolks wilder Alarmruf! Höllisch der Hornklang dröhnt, ringsum scheint alles zu beben Und nachzittert der Hall bis weit in die Tiefen des Waldes. Deutlich ihn hört der Hekatesee, das schweflige Wasser Schauert des Nar, der Sumpf horcht auf des fernen Velinus; Ratlos ziehn an die Brust viel ängstliche Mütter die Kleinen. Jetzt auf den Hornruf flugs, den gab der Furien Schlimmste, Stürmen die Bauern heran mit hastig ergriffenen Waffen Voll unbändiger Kraft. Nicht säumt die troische Jugend, Eilt zu den Toren des Lagers hinaus lullus zu Hilfe. Schnurgrad stehen die Reihn. Nicht mehr ein bäurisches Raufen Ists mit knorrigem Stock und spitzem, gehärtetem Holzpfahl, Nein, das doppelte Beil schlägt drein, es starret das Schlachtfeld Weit von gezogener Schwerter Geblink, es funkeln die Schilde Hell im Strahle des Lichts und werfen zurück es zum Himmel. So f ä r b t weiß sich das Meer zunächst auf oberster Fläche, Mählig es dann sich hebt zu hoch aufsteigenden Wogen, Bis vom untersten Grund aufspritzt das Wasser zum Äther. J e t z t in vorderster Reih hinsinkt ein Jüngling, getroffen Schwer vom schwirrenden Pfeil, Almo, der Söhne des Tyrrhus Ältester; stecken ihm blieb das Geschoß im Grunde der Kehle, Sperrte durch Blut den Weg der Stimm' und stockendem Atem. Ringsum sinken noch viel, darunter der alte Galäsus, Während er Frieden zu stiften versucht, der Gerechtesten einer, Im ausonischen Land auch einer der reichsten Besitzer: Fünf er besaß Schafherden, an Großvieh ebenso viele Kehrten ihm täglich zum Stall, Pflugscharen ihm dienten an hundert. Während im wogenden Kampf gleich stark sich zeigen die Gegner, Eilt die Furie fort, nachdem sie gelöst ihr Versprechen, Grund zum Kriege gelegt und dem Mars Erstlinge geopfert. Von Hesperien steigt sie sogleich zur Höhe des Himmels Und als Siegerin stolz sagt sie zur Königin J u n o : „Sieh, vollendet ist jetzt der Zwietracht traurige Folge! Hießest du selbst sie jetzt sich einen, es wäre vergeblich, Seit ausonisches Blut einmal die Teukrer vergossen. Will noch weiteres tun, bin sicher ich deiner Bereitschaft: Treiben zum Krieg auch noch durch Gerücht die benachbarten Städte

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VII

550—587

T u r n u s Schürer d e s Kriegs

Und entflammen auch sie zur Gier wahnsinnigen Streites, Daß zu Hilfe man eil, aufs Land auch tragen die Waffen". J u n o darauf: „Laß sein es genug an Listen und Schrecken! Kriegsanlaß ist da, schon k ä m p f t man gegeneinander; Was an Waffen der Zufall bot, Blut hat sie bespritzet. So mag schließen den Ehbund denn und feiern die Hochzeit Venus* erlauchtester Sproß mit dem Kind des Königs Latinus. Daß im oberen Reich du frei dich weiter bewegest, Dürfte behagen nicht dem, der Herr des hohen Olympus, Weiche d a r u m ! Bleibt Schwereres noch zu leisten an Arbeit, Leist ich es selbst." So war Junos, der Königin, Antwort. Jene die Flügel erhebt, die laut von Nattern umzischten, Fliegt zum Kokytus hinab und verläßt die himmlischen Räume. Auf Italiens Flur, inmitten von hohen Gebirgen, Liegt ein berüchtigter Platz, von dem gar viele schon hörten, Des Ampsanktus Geklüft. Dichtstehende Bäume beschatten Ihn mit schwärzlichem Laub, ein Gießbach stürzt seine Fluten Mitten hinein, der strudelnde Gischt hallt wider am Felsen. Hier eine Höhle man zeigt, „des Dis Luftlöcher", des grausen, Die mit tödlichem Hauch anfüllt des Acheron Strömung, Der tief unten erbraust. In sie sich stürzet Alekto, Dieses verhaßte Gezücht, und befreit so Himmel und Erde. Weniger nicht indes schürt Juno weiter zum Kriege. Vom Kampfplatz in die Stadt schnurstracks jetzt eilen die Hirten, Tragen die Toten zurück, Almo, den Knaben, darunter, Auch den alten Galäsus mit blutig entstelltem Gesichte, Flehn zu den Göttern um Rache, beschwören Latinus als Zeugen. Turnus ist d a ; sein Wort, mit den Klagen der andern vereinigt, Schrecken verdoppelt und Wut. Zur Herrschaft rufe man Teukrer, Auf man pfropfe kein heimisches Reis, man hols aus der Fremde. Auch wen immer betört der bacchusbegeisterten Frauen Lärmen im Wald — schwer wiegt allwegs der Königin Name —, Auch die sammeln sich jetzt und drängen beständig zum Kampfe. Gegen der Zeichen Gewicht und gegen den Willen der Götter, Den man sichtlich verdreht, ruft allseits man zu den Waffen, Drängt um die Wette man sich am Haus des Königs Latinus. Regungslos der steht, wie der Fels im brausenden Meere, Starr wie der Fels im Meer, wenn andrängt rasende Brandung,

VII 5 8 8 — 6 2 4

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J u n o öffnet die Pforten des Kriegs

Dem sein Eigengewicht Halt gibt im Brüllen der Wogen. Klippen erbeben umsonst, umsonst auch ächzen die Riffe Und von den Wellen gepeitscht der Tang sinkt wieder zur Tiefe. Weil das törichte Volk zur Ruh nicht bringet Latinus, Weil der Dinge Verlauf nur folgt dem Winke der Juno, R u f t die Götter er an und nimmt zu Zeugen die L ü f t e : „Weh, uns zermalmt das Geschick, dahin uns raffet ein Sturmwind! Selbst, ihr Armen, bezahlt mit Blut das grause Verbrechen. Dir steht, Turnus, bevor Unehr' und schmerzliche Strafe; Allzuspät wirst du mit Gelübden die Götter verehren. Mir ist Ruhe bereitet; ich steh an der Schwelle des Hafens, Nichts als Bestattung mir fehlt". Nichts weiteres läßt er vernehmen, Schließt in das Haus sich ein, gibt ab die Zügel des Reiches. Brauch in Latium ists — ihm huldigten ununterbrochen Albas Gründungen all, hoch hält ihn heut noch die größte, Roma, die Herrin der Welt —, sobald Kriegsnöte sich zeigen, Seis daß Geten bestehn man will im blutigen Kampfe, Daß Hyrkäner man will oder Araber, Inder bekriegen, Ostwärts ziehen man will, von den Parthern die Fahnen zu fordern: Zwei gibts „Pforten des Kriegs", noch heut den Namen sie führen, — Alte Verehrung hat sie geweiht und Furcht vor dem Kriegsgott —; Eisenbeschlagene Türen und Hunderte Riegel sie schließen, Und die Schwelle verläßt niemals der hütende Janus. Haben die Väter gestimmt für Krieg, dann öffnet die Pforten, In die gabinische Toga gehüllt, umwallet vom Staatskleid, Selbst der Konsul; zurück er schiebt die knarrenden Riegel, R u f e t : „So sei denn Krieg!" „Krieg sei!" wiederholet die Jugend Und einstimmt mit ehernem Klang die Kriegesposaune. So dem Brauche gemäß heißt man den König Latinus Auch ausrufen den Krieg, entriegeln die traurigen Pforten. Doch er berührt sie nicht, versagt sich schweigend dem Dienste, Fliehet ins Haus und birgt sich hier im dunkelsten Winkel. Jetzt vom Himmel herab sich läßt die Herrin der Götter, Treibt die Zögernden an, schiebt auf mit eigenen Händen Jenen Verschluß von Stahl, dreht auf die Pforten des Krieges. Ganz Ausonien flammt, bisher so friedlich und ruhig. Hier man sich rüstet zum Marsch zu Fuß, dort wirbelt zu Pferde Trendelenburg,

Virgils A e n e i s .

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VII 625—662

Latium rüstet z u m Krieg

Auf man Wolken von Staub, ein jeder verlanget nach Waffen. Hier man säubert den Schild, dort reibt man blinkende Lanzen Ein mit reichlichem Fett, wetzt frisch auf Steinen die Streitaxt, Fahnen zu schwingen behagt, den Schall der Posaune zu hören. Ambosreihen aufstellt man gleich in fünfen der Städte, Um zu schmieden die Wehr: mit Tibur eifert Atina, Crustumerium auch, mit Ardea streitet Antemnä. Sichere Deckung man höhlt dem Kopf, klemmt weidenen Schilden Auf den Nabel von Erz; hier treibt man eherne Panzer, Dort Beinschienen man streckt mit Hilfe geschmeidigen Silbers. Liebe zu Sichel und Pflug ist hin, hin Liebe zum Landbau. Waffen man will: man glüht die rostigen Klingen der Väter. Schon tönts Sammelsignal, Krieg ist für alle die Losung. Der greift hastig zum Helm, der zwingt die wiehernden Pferde Unter das Joch, der schnallt sich um den Panzer aus Golddraht, Der paßt an sich den Schild, der legt das Schwert um die Schulter. Öffnet den Helikon jetzt und laßt, ihr Musen, mich singen, Wer auszog als Führer zum Krieg, mit welcher Gefolgschaft Er anfüllte das Feld, welch Phalanx heldischer Männer Damals schon Italien sah, welch Waffengemenge. Ihr ja, Göttinnen, wißts und könnts auch anderen künden: Uns erreichet mit Müh nur der Nachklang schwacher Gerüchte. Aus tyrrhenischem Stamm Mezentius ziehet als erster Aus zum Krieg mit bewaffneter Schar, der Götterverächter; Mit ihm Lausus der Sohn, weitaus der Jünglinge schönster, Sieht von Turnus man ab, Laurentums strahlendem Helden; Lausus, der Rossebezwinger, der rüstige Jäger des Wildes, Führt aus Agylla der Stadt erfolglos tausend Genossen. Würdig er war, daß freudiger er dem Reiche des Vaters Hätte gedient, daß ihm nicht wär Mezentius Vater. Nächst ihm prunket im Feld mit palmenumwundenem Wagen Und dem Siegesgespann Aventin, des Herkules Sprosse, Der als Wappen im Schild führt die lernäische Hydra, Jenes Gezücht des Sumpfs, das zahllos Schlangen umgürten. Am aventinischen Berg im Wald die Priesterin Rhea Ihn in heimlicher Stund einst bracht zum Lichte des Tages. Ihr sich nahte der Gott, als er, Geryons Vernichter, Einst als tirynthischer Held Laurentums Fluren besuchte

VII 663—699

Die gegen Äneas ziehenden S t ä m m e

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Und im tyrrhenischen Fluß iberische Herden gebadet. Speere zum Werfen man f ü h r t , auch kürzere Dolche daneben, K ä m p f t mit geglättetem Schwert und langer sabellischer Lanze. Selber er geht zu Fuß, das Fell eines Löwen als Decke; Schrecklich ihm droht vom Haupt der Rachen mit fletschenden Zähnen Und der Mähne Gewirr: so betritt, ein Bild zum Entsetzen, E r des Königs Palast, um den Leib des Herkules Hülle. Dann verlassen die Stadt die Zwillingsbrüder von Tibur, Das den Namen erhielt vom dritten der Brüder Tiburtus, Coras der Held und Catill — sie sind argivischer Herkunft —, Die dem Zuge voraus in die Flut sich stürzen der Pfeile, Gleich einem Paar Kentauren, die wolkengeboren herunter Eilen vom Scheitel des Bergs und herab von schneeigen Gipfeln Stürmen in rasendem Lauf; frei Bahn gibt ihnen das Dickicht Und mit gewaltigem Krach weicht aus der Wipfel der Bäume. Auch PränSstes Gründer nicht fehlt. Bei ländlichen Herden Sei von Vulkan er gezeugt — so meint die gläubige Nachwelt —, Weil man am Herd ihn fand und erkor zum König des Landes, Cäculus. Dicht ihm folgt ein Zug von bäurischen Streitern: Nicht Pränestes Männer allein, auch Gabiis Jugend, Auch wer am Anio wohnt, dem kühlen, am Herniker Bergstock, Den Gießbäche berieseln, wer zehrt von Anagnias Reichtum, Wer, Amasenus, von dir. Nicht all sie leuchten in Waffen, Wagen nicht klirret noch Schild: zumeist sie schießen mit Schleudern Eicheln aus bläulichem Blei, sie führen auch Paare von Speeren Mit in der H a n d ; zum Schutze des Kopfs Pelzmützen sie tragen Aus Wolfsfellen genäht; nackt bleibt der linke der Füße, Nur den rechten bedeckt ein Schuh rostfarbenen Leders. Aber Messap, der Sprosse Neptuns, der Rossebezwinger, Den noch keinem gelang durch Feuer und Schwert zu besiegen, Führt Volksstämme zum Kampf, die, längst schon müde des Krieges, Müßig nur saßen daheim; sie ruft zu den Waffen er wieder. Die Fescennier sind, doch jene Falisker der Ebne, Andre bewohnen Soraktes Berg, Flavinas Gefilde, Andre des Ciminus Joch und See, den Hain von Capena. Sie marschieren im Takt, rauh gröhlen sie Lieder von Helden; So die Schwäne beim Flug, wenn sie vom Platze der Äsung

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VII 700—737

Die gegen Äneas ziehenden Stämme

Sich aufschwingen in luftige Höhn, den schneeigen Hälsen Lassen entströmen Gekrächz, daß Fluß und Asias Sumpfland Laut davon hallt. Niemand es glaubt, daß Menschen es sind, die schreiend und lärmend Sich aufmachen zum K a m p f ; ein Schwärm seis heiserer Vögel, Der in wüstem Gedräng vom Strom hinstrebe zum Ufer. Sieh, welch mächtigen Zug aus altem Geblüt der Sabiner Clausus da mit sich f ü h r t ; er selbst ist Führer des Zuges, Der das latinische Land mit claudischer Tribus und Sippe Reich hat erfüllt, seit Rom zum Teil sich gab den Sabinern. Von Amitérnum wächst sein Heer, von den alten Quiriten, Auch Erétum erscheint und das ölbaumreiche Mutusca; Die Noméntum bewohnen, Velinus' Rosische Fluren, Tétricas Felsengeklüft, die Hänge des Berges Sevérus, Auch Caspéria, Fórulis Flur, der Himélla Gelände, Stoßen ihm zu, dann auch, die der Fäbaris tränket, der Tiber, Nursia sendet und Horta, dazu die latinischen Völker, Auch die der Alliafluß noch trennt unseligen Namens: Zahllos wie das Gewog, das kräuselt die Fläche des Meeres, Wann Orions Gestirn sich netzt in herbstlichen Fluten; Zahllos gleich den Halmen, die dicht aufschießen im Frühling In des Hermus Bereich, auf Lykiens gelben Gefilden. Schildklang tönet, vom Tritt des Fußvolks bebet der Boden. Auch Agamemnons Freund, der Feind der Troer Haläsus Schirrt sein Rossegespann und führt in Eile dem Turnus Mannen zuhilf: erst die, die Massikerschollen behacken, Drauf zu bauen den Wein, dann Söhne von Bergen entsendet, Aus aurunkischem Stamm, die von sidicinischen Ebnen Kamen und Cales herbei, vom Strand des seichten Volturnus, Rauhe Saticuler auch, auch fehlt nicht oskische Jugend. Speere man führt zum Fernkampf mit, die mittels der Schlaufe Sie zu werfen gewohnt, die rund sich legt um den Speerschaft. Leicht ist der Schild; zum Nahkampf dient ein gesicheltes Messer. Auch dich, Öbalus, soll mein Lied nicht still übergehen, Den, so sagt man, erzeugt Telon mit der Nymphe Sebéthis, Als er, Jüngling nicht mehr, das Reich sich gegründet auf Capri^ Denn es genügte dem Sohn nicht das vom Vater ererbte. Damals hatte bezwungen er schon den Stamm der Sarrasten,

VII 738—775

Die gegen Äneas ziehenden

Stämme

149

Auch das Gebiet, das der Sarno bespült, das Gelände von Rufrä, Bätulum auch und Celemnas Flur, die glücklichen Ebnen, Die sich dehnen im Grund des an Obst so reichen Abella. Nach germanischem Brauch Wurfkeulen sie pflegten zu schleudern, Auf dem Kopfe den Helm, aus des Korkbaums Rinde gebogen, Eisenbeschlagen den ledernen Schild, erzfunkelnd die Schwerter. Auch dich, Ufens, schickt in den Krieg das bergige Nersä, Der du herrlichen Ruhm durch glückliche Waffen gewannest. Dein Äquiculervolk, daheim auf steiniger Scholle, Ist an Jagen gewöhnt im Wald, ist struppig im Äußern, Pflügt mit Waffen das Land, geht stets von neuem auf Beute Aus, da gezwungen es ist, vom Raub zu fristen das Leben. Auch aus marsischem Stamm kommt mit ein Priester zu Hilfe, Auf dem Helme den Kranz vom glücklichen Laub der Olive, Selbst vom König geschickt, Umbro, der Tapferster einer. Einzuschläfern der Vipern Gezücht, die züngelnden Schlangen W ü ß t er durch Zaubergesang, auch wohl durch bloße Berührung; Könnt auch mildern den Zorn, durch Kunst auch heilen Gebißne. Doch den Stich dardanischen Speers nicht wüßt er zu heilen; Nichts ihm half schlafbringender Sang bei seiner Verwundung, Nichts Heilkräuter, zusammengesucht in marsischen Bergen. Um dich weint' Angitias Hain, des Fücinus Fluten, Um dich weinten die schimmernden Seen. Auch Hippölytus' Sohn, ein außergewöhnlicher Kämpe, Virbius, kommt von Aricia her. Egerias Haine Zogen ihn auf am Ufer des Sees in üppiger Feuchte An Dianas reichem Altar, der versöhnlichen Göttin. Denn sein Vater Hippölytus war durch Ränke der Phädra J ä h zu Tode gebracht, des Theseus Flüchen erliegend. Doch obwohl von Pferden geschleift, ward wieder zum Leben Und zum Lichte des Tags er dem Reich entrissen der Schatten Dank des Päon Kräutern und Dank der Liebe Dianas. Daß ein Sterblicher je könnt kehren zum Lichte der Sonne Und zur Erde zurück, drob zürnt der Weltenbeherrscher, Schleudert den Blitz und stürzt den phöbusgeborenen Lehrer Solcherlei Mittel und Kunst hinab zu den stygischen Fluten. Doch Hippolyt, den Sohn, die Dreiwegsgöttin verstecket In Egerias Hain an unauffindlicher Stelle,

150

VII 776—811

Turnus,

Camilla

Daß einsam, von keinem gekannt, mit verändertem Namen E r als Virbius leb und jag in Latiums Wäldern. Ferne man hält deshalb vom Hain und Tempel der Göttin Jegliches Pferdegespann, weil des Jünglings eigene Rosse Ihn und den Wagen zerschellt, von des Meergotts Wunder verwirret. Trotzdem tummelt der Sohn im Feld die hitzigen Pferde, Eilt auf dem Wagengespann, im Krieg den Freunden zu helfen. Turnus' stolze Gestalt sich regt in vorderster Reihe, Weit, um Höhe des Haupts, aufragt er über den andern. Dreifach ein Haarbusch zieret den Helm, überhöht von Chimära, Der aus flammendem Maul aufsprüht ätnäisches Feuer. Und je stärker die Glut und der Glast der lohenden Flammen, Um so wilder der Kampf auf blutüberströmtem Gefilde. Als Schildzeichen er Io führt, aus Golde gebildet, Wie sie die Hörner erhebt als Kuh, vom Fell schon bedecket, — Welch ein Stoff zum Bild! — von Argus, dem Wächter, b e h ü t e t ; Inachus neben ihr läßt dem Krug entströmen sein Wasser. Fußvolk zieht, eine Wolke, mit ihm; die beschildeten Scharen Drängen sich dicht im Feld: argivische Jugend, Aurunker, Rutuler drunter gemischt, von früheren Völkern Sicaner, Auch sacranische Reihn und Labiker, die Schilde bemalet; Auch von den Hängen des Tiber man kommt, von Numicus Gestaden, Von den Rutulerhöhn, die schwer dem Pfluge sich fügen, Vom kirkäischen Joch, auch aus des Anxurus Reichen, Aus dem grünenden Hain, des sich Feronia freuet, Aus der Satura Sumpf, wo tief im Schlamme sich Ufens Bahnet den Weg, eh er die See mit Mühen erreichet. An sie schließt sich zuletzt aus volskischem Stamme Camilla. Reiter sie führt zum Kampf und Fußvolk, schimmernd in Waffen, Kriegerin sie, nicht gewohnt, mit Minervas Rocken und Wollkorb Sich zu plagen im Haus. Als Jungfrau Kämpfe sie suchte Und kam Winden zuvor, wenns galt, im Lauf sich zu messen. Leicht wär über des Felds sanftwogende Saat sie geflogen, Ohne zu streifen im Lauf die spitzigen Grannen der Ähren, H ä t t auch über das Meer, vom K a m m der Wellen getragen, Schwebend gemacht den Weg und nicht die Sohlen genetzet.

VII 812—817.

VIII

1—24

Gesandtschaft an D i o m e d

151

An die Jugend sie staunt, die zuströmt ununterbrochen, An der Frauen Gedräng; die mustern die reisige Jungfrau, Gaffend mit offenem Mund, wie schön von schneeigen Schultern Fiele das Purpurgewand, wie zier die goldene Spange Sich einflechte dem Haar, wie sie den lykischen Köcher Trüg und den ländlichen Stab, vom Baum der Myrte geschnitten.

Achtes Buch Äneas bei Euander Kaum hat Turnus gehißt auf der Burg das Zeichen des Krieges, Kaum Laurentum erfüllt mit dem Kampfruf schmetternder Hörner, Kaum die Renner erregt und gebracht zum Klirren die Waffen, Steht ganz Latium auf; voll Kriegslust tobet die Jugend, Alle der Aufruhr packt. Messap und Ufens als erste, Dann Mezentius auch, der schlimme Verächter der Götter, Ziehn Hilfstruppen heran, woher nur immer sie können, Und entblößen das Land weithin von friedlichen Bauern. Venulus sendet man ab zur Stadt Diomeds, des Hellenen, Ihn um Hilfe zu flehn: in Latium ständen die Teukrer, Die zu Schiff Äneas gebracht; die besiegten Penaten Hätten sie mit; das Geschick, so heißts, ihn fordre zum König; Viel der Stämme bereits ihm an sich hätten geschlossen, Und an Boden gewönn in Latium ständig sein Name. Was nach solchem Beginn sein Ziel, welch Ende des Kampfes Er sich ersehn', wenn günstig das Glück, säh klarer er selber, Als es König Latinus, als Turnus der König es könnten. So mit Latium stands. Äneas, Zeuge von allem, Wird von Sorgen bedrückt und schwankt in bangen Gedanken. Bald scheint dieses ihm gut, bald scheint zweckmäßiger jenes, Eins das andre verdrängt und reißt ihn hierhin und dorthin Gleich dem zitternden Licht des Bads in eherner Wanne, Wenn die Sonne darin, der Glanz sich spiegelt des Vollmonds: Bald es des Zimmers Winkel durchhuscht, bald eilig zur Höhe

152

V I I I 25—61

Der Flußgott Tiber erscheint Äneas im Traum

Schnellts und die Felder betupfts der Decke mit leuchtenden Flecken. Nacht ists. Überall ruhn auf Erden die müden Geschöpfe, Ruhn die Vögel, das Vieh, von der Macht des Schlafes bezwungen. Auch Äneas strecket sich hin, zu genießen der Kühle, Tief im Herzen erregt vom Bild des drohenden Krieges, Gönnt erquickende Ruh auch seinen ermatteten Gliedern. J e t z t ihm ists, als entsteige der Gott dem lieblichen Flußbett Zwischen des Waldsaums Grün, ein Bild ehrwürdigen Alters. Ihn umhüllt ein bläulich Gewand von zartestem Linnen, Ihm die Haare bedeckt ein Rohrkranz, Schatten ihm spendend. Alsbald spricht er ihn an und benimmt ihm also die Sorgen: „Gottentsprossener Held, der aus den Reihen der Feinde Troja zurück du bringst, die Stadt für immer du rettest, Den Laurentums Boden, den Latiums Felder erwarten, Steh nicht ab, Heimat hier sicher dir sind und Penaten. Ängstge dich nicht vorm drohenden Krieg. Vom Zürnen der Götter Droht dir nimmer Gefahr. Glaub nicht, daß dich betrügt ein T r a u m ; du findest ein Zeichen: Eine gewaltige Sau hier unter den Eichen des Ufers, Die die stattliche Zahl von dreißig an Jungen geworfen, Weiß an Farbe sie selbst, weiß auch die saugenden Ferkel. Das ist der Platz der Stadt, hier winkt dirs Ende der Leiden. Gründen von hier aus wird, sind dreißig der Jahre vergangen, Dir Iullus die Stadt, die „weiß" vom Wunder sich nennet. Nichts unsichres ich sag. Laß dich auch kurz noch belehren, Merk auf, wie du vermagst, siegreich den Kampf zu bestehen. Arkader suchten sich einst, ein Stamm entsprossen von Pallas, Die der Fahne gefolgt hierher des Königs Euander, Aus einen günstigen Platz. Hier auf dem Hügel sie bauten Pallanteum die Stadt, nach des Ahnherrn Namen geheißen. Ununterbrochen sie stehn im Krieg mit Latiums Stämmen. Sie zu Freunden gewinn und schließ mit ihnen ein Bündnis. Selbst ich führen dich will, die Strömung hemmen, die starke, Daß mit Rudern du magst aufwärts Herr werden des Flusses. Auf denn, Göttinentsproßner! Sobald sich neigen die Sterne, Bete zur Juno gleich, wie's Brauch; ihr Zürnen und Drohen Zwing mit Gelübden in Demut du. Mir danke, wenn siegreich

V I I I 62—97

Äneas' Tiberfahrt zu Euander

153

Du heimkehrst. Ich bins, den bei stark schwellender Strömung Streifen das Ufer du siehst, durchschneiden die fetten Gefilde, Tiber, der bläuliche Gott, dem Himmel der liebste der Flüsse. Hier an der See mein Haus, den Höhn entströmen die Quellen". Sagts und birgt sich darauf in der Mündung unterster Tiefe; Doch von Äneas weicht die Nacht und des Schlafes Betäubung. Als er erwacht, lenkt er den Blick zur Sonne nach Osten, Schöpft mit der Hand nach Brauch vom Fluß zur Spende das Wasser, Hält es empor und schickt zum heiteren Äther die Worte: „Nymphen, Laurentums Hort, woher der Flüsse Geschlechter, Und du Tiber, Erzeuger, mitsamt der heiligen Strömung, Nehmet Äneas auf, schützt endlich ihn vor Gefahren! Wo sich immer auch birgt dein Quell, sich meiner erbarmend, Wo dich immer aufnimmt das Meer in herrlicher Schöne, Stets bleibst du mir geehrt, stets reich mit Gaben beschenket, Flußgott, hörnergeschmückt, du Fürst der westlichen Ströme. Steh nur weiter mir bei; dein Schutz, je näher, je stärker". So sein Gebet. Zweidecker ein Paar entnimmt er der Flotte, Macht sie ruderbereit und versieht mit Waffen die Leute. J e t z t dem staunenden Aug sich zeigt ein seltenes Wunder: Mitten im Wald still liegt, nicht fern vom grünenden Ufer, Weithin leuchtend ein Schwein, selbst weiß, nicht minder die Jungen. Dir es schlachtet sogleich Äneas, mächtige Juno, Trägts zum Altar, die Ferkel auch mit, zu bringen das Opfer. In der folgenden Nacht der Flußgott hemmet die Strömung: Lautlos staut sich die Flut und bleibt so ruhig dann stehen, Daß nach Art eines Teichs, nach Art eines trägen Morastes Glatt die Fläche sich legt und leicht sich regen die Ruder. So sie beschleunen die Fahrt mit glücklich geleitenden Rufen. Leicht hinfliegt das gepichte Gefährt: es staunen die Wasser, Staunet der Hain, der nimmer gesehn, daß über die Fläche Strahlt ein eherner Schild, auf ihr Kriegsschiffe sich schaukeln. So bei Tage wie Nacht hält an das rüstige Rudern, Nimmt die Buchten des Stroms, deckt sich durch wechselnden Schatten Und im Spiegel der Flut durcheilts die grünenden Wipfel. Eben erreichen die Mittagshöh die Strahlen der Sonne,

154

VIII 98—134

Ä n e a s bei

Euander

Als man erblickt von fern in der Lichtung dürftiger Häuser Burg und Mauern der Stadt. Damals war König Euanders Ärmlicher Staat, was heut Hauptstadt des römischen Weltreichs. Eilig man richtet den Lauf zum Ufer und naht der Umwallung. Grade der Tag es ist, an dem ein feierlich Opfer Dar Euander dem Herkules bringt im schattigen Haine Dicht vorm Walle der Stadt. Weihrauch man spendet gemeinsam, Pallas, Euanders Sohn, mit ihm die Besten der Jugend, Auch der kleine Senat. Blutdampf steigt von den Altären. Jetzt man die Schiffe gewahrt: schweigsam arbeiten die Ruder, Und im Dunkel des Hains sieht man die Fremdlinge nahen. Ob der Erscheinung bestürzt vom Mahl aufspringt die Gesellschaft; Pallas aber verwehrt, so jäh zu stören das Opfer, Greift nach dem Schwert, eilt kühn den nahenden Schiffen entgegen Und von weitem er r u f t : „Welch Anlaß, Jünglinge, treibt euch Her in fremdes Gebiet? Welch Ziel? Sagt, welches Geschlechtes Seid ihr und wo zu Haus! Bringt Krieg ihr, bringet ihr F r i e d e n ? " Ihm vom Hecke des Schiffs Äneas ruhig erwidert, Streckend die Hand weit vor, mit ihr den friedlichen Ölzweig: „Troer in uns du siehst, siehst Waffen geschärft f ü r Latiner, Die hochmütigen Sinns uns Flüchtige wollen bekriegen. Führ Euander uns zu! Sag ihm, der Dardaner Führer Seien zur Stell', um ihn als Freund um Hilfe zu bitten". Pallas darauf, vom rühmlichen Klang des Namens betroffen: „Steig aus, wer auch du bist, sprich mit dem Vater persönlich Und sei herzlich als Freund willkommen in unserem Hause!" Sprichts und beut ihm die Hand und hält umschlungen die Rechte. Drauf sie verlassen den Fluß und vereint sie ziehen zum Haine. Hier den König begrüßt mit freundlichen Worten Äneas: „Bester aus griechischem Stamm, zu dem vorstrecken den Ölzweig, Dicht von Binden umwallt, mich ließ mein glückliches Schicksal, Nicht mich Bangen befällt, weil einst du Führer der Griechen, Weil ein Arkader du, Landsmann der beiden Atriden, Nein, denn eigene Kraft, die heiligen Sprüche der Götter, Unserer Ahnen Verkehr, dein Ruf, der erfüllet den Erdkreis, Machen mich dir zum Freund, dem Schicksal willig gehorsam. Dardanus, Urahnherr des ilischen Königsgeschlechtes,

V I I I 135—172

Äneas von Euander freundlich empfangen

155

Sohn — ihr Griechen erzählts — Elektras, Tochter des Atlas, Kam ins Teukrergebiet. Elektras Vater ist Atlas, Der das Himmelsgewölb hochhält auf kräftigen Schultern. Euch ist Vater Merkur, den einst die strahlende Maja Auf Kyllenes eisiger Höh ohn Schmerzen geboren. Maja wieder, wenn irgend Vertraun wir schenken Gehörtem, Hat Atlas derselbe gezeugt, der trägt die Gestirne. So zweigt beider Geschlecht sich ab aus einiger Wurzel. Drum dein Herz ich nicht ausforschte durch fremde Vermittlung, Noch auf künstlichem Weg; mich selbst, mein Leben ich wagte, Hab als Flehender selbst die Schwelle des Hauses betreten. Eben des Daunus Volk, das dich heimsuchet mit Kämpfen, Glaubt, nicht fehlen es könn, hätts uns des Landes verwiesen, Aufzuzwingen sein Joch Hesperiens Landen nicht minder Als dem Meere, des Flut sie bespült an beiden Gestaden. Nimm und gewähre Vertraun! Mit uns sind tapfere Herzen, Mut und jugendlich Volk, erprobt in Führung der Waffen". So des Äneas Gruß. Schon lang hat Augen und Antlitz, Auch des Sprechers Gestalt mit Fleiß Euander gemustert. Dann erwidert er kurz: „Gern nehm ich, tapferster Teukrer, Dich in Freundschaft auf. Ich erkenne des großen Anchises Stimm' und Mienen in dir, in dir die Züge des Vaters; Kam doch Priamus einst, als er nach Salamis schiffte, Um die Schwester zu sehn Hesione, Telamons Gattin, Nach Arkadien auch zum Besuch des eisigen Berglands. Damals schmückte mir just der Flaum der Jugend die Wangen. Staunend die troischen Fürsten ich sah, sah staunend den König, Doch um Höhe des Haupts Anchises all' überragte. Da mir faßte das Herz mit Macht ein kühnes Verlangen, Anzureden den Mann und ihm die Rechte zu drücken. Tats und führte sogleich ihn mit zu Pheneos' Mauern. Dort beim Scheiden er gab in prächtigem Köcher mir Pfeile, Gab einen Mantel dazu von golddurchwirktem Gewebe, Auch von Zügeln ein Paar aus Gold, jetzt Pallas' Besitztum. Also geschlossen ist schon, worum ihr bittet, das Bündnis; Wenn dann morgen der Tag ganz früh sich rötet im Osten, Send ich Mannen euch zu, helf auch mit anderen Mitteln. Heut das jährliche Fest, das aufzuschieben nicht angeht,

156

V I I I 173—210

Cacus

Wollt einstweilen begehn ihr mit als freundliche Gäste Und mitspeisen schon heut am Tisch der Bundesgenossen". Drauf das Mahl er befiehlt, läßt neu vorholen die Becher, Weist der Begleitung an zur Rast den blumigen Rasen, Doch Äneas erhält zu würdigem Sitze den Armstuhl, Den ein Polster bedeckt unds zottige Fell eines Löwen. Pagen erlesener Art zugleich mit dem Priester des Opfers Tragen herbei das geröstete Fleisch und häufen des Backwerks Füll' in Körben dazu, nicht karg sie schenken des Weines. Gern Äneas sich labt, mit ihm die troische Jugend, Speist vom Rücken des Tiers und den edleren Teilen des Innern. Als der Hunger gestillt und der Trieb zum Essen befriedigt, Nimmt Euander das Wort: „Nicht zwang ein nichtiger Glaube, Feind ehrwürdigen Brauchs, uns hier zur heutigen Feier, Zu dem heiligen Mahl, zum Opfer am großen Altare, Nein, mein troischer Freund; aus schlimmen Gefahren gerettet, Feiern wir hier das Fest als Dank für neue Verdienste. Aber zuerst sieh dort am Abhang hängen das Felsstück, Sieh die Trümmer verstreut, im Berg die verlassene Höhle, Sieh die Massen Gesteins, die hier zerschellten im Absturz. Hier die Höhle du siehst, dem Anblick aller entzogen, Wo der Unhold hauste, des Cacus grausiges Halbtier, Unzugänglich erwärmendem Strahl. Abkühlte der Boden Nie vom vergossenen Blut. Todbleich in widrigem Eiter Zierten des Eingangs Tor die Häupter ermordeter Männer. Vater des Untiers war Vulkan: ein qualmendes Feuer Spie sein Maul, wenn er fortwälzte den riesigen Körper. Endlich brachte die Zeit auch uns auf heiße Gebete Heil durch göttliche Tat. Es kam der mächtige Helfer, Der Geryons Leiber erschlug, ihm raubte die Herden: Herkules kam hierher mit seiner gewaltigen Beute, Daß sich füllte das Tal, sich füllte mit Herden das Flußbett. Nun ist Cacus' Begierde gereizt. Vor keinem Verbrechen Scheut der Böse zurück, List er mit Stärke verbindet. Treibt von dem Standplatz fort gleich vier der prächtigsten Stiere, Eben der Färsen soviel, auch sie von erlesener Schönheit. Daß nicht die Fußspur ihn verriet der schreitenden Tiere, Zog er am Schwanz sie fort, den Gang so listig verkehrend,

VIII 211—248

Cacus von Herkules getötet

157

Barg die Geraubten alsbald im sicheren Dunkel der Grotte. H ä t t sie jemand gesucht, dorthin nie führten die Spuren. Als Amphitryons Sohn sich dann anschicket zum Abzug Und von der üppigen Trift wegtreibt die gesättigten Tiere, R u f t das Scheiden hervor ihr Gebrüll; von Klagen erfüllet Rings sich der Hain, laut tosend verläßt die Herde die Hügel. Eine der Färsen im Berg gibt Antwort auf das Gehörte, Brüllt laut auf und verrät in der H a f t die Hoffnung des Cacus. J e t z t entbrennet in W u t das Herz des betrognen Alkiden. Schnell zum Bogen er greift, er greift zur knorrigen Keule Und strebt eiligen Laufs hinauf zur Höhe des Berges. Damals zuerst wir sahn in Angst den Cacus erbeben, Sahn sein Auge verwirrt. Er fliegt wie Wehen des Windes, Rennt zur Höhle sogleich, Furcht ihm die Füße beflügelt. Eben er ein sich schließt: er sprengt die Ketten des Felsblocks, Drinnen er hing durch die Kunst Vulkans, läßt fallen ihn nieder Und verrammelt die Tür so m i t granitenem Riegel. Doch schon ist der Tirynther heran; er prüfet den Zugang, Sendet den Blick hierhin und dorthin, knirscht mit den Zähnen, Glühend vor W u t umgeht er dreimal völlig den Hügel, Mustert den Äventin ringsum, an der steinernen Sperre Dreimal er sich versucht, dreimal abläßt er ermattet. Hoch in die Luft aufragt' auf der Höh des Hügels ein Zacken, Weithin zu sehn, denn rings stürzt jäh in die Tiefe die Felswand, Für Raubvögel ein sicherer Horst und trefflich gelegen, Weit vornüber geneigt linkshin zur Seite des Flusses. Diesem beim Laufe zur Höh von rechtsher naht der Tirynther, Rüttelt ihn, lockert den Grund und stürzt mit plötzlichem Stoße Ihn zur Tiefe hinab. Beim Sturz laut donnert der Äther, Klaffend das Ufer zerspringt und erschreckt sich stauet die Strömung. Frei die Höhle nun liegt, des Cacus dumpfe Behausung, Und die Helle des Tags dringt ein ins Dunkel des Grundes, Gar nicht anders als wenn ein Stoß der bebenden Erde Aufschloß Erebus' Reich, den Sitz der Schatten zerprengte; Fahl, den Göttern verhaßt, endlos aufklafften die Schlünde, Vorm einfallenden Licht erschreckt entwichen die Manen. Jetzt wo Cacus, ertappt in unerwarteter Helle, Rings umschlossen vom Fels, anfängt unmenschlich zu brüllen,

158

V I I I 249—286

Feier am Großen Altar

Ihn der Alkide mit Pfeilen bedrängt, holt andre Geschosse, Wirft Baumstämme hinab und mühlsteinähnliche Blöcke. Er, dem nirgend ein Weg, ins Weite zu kommen, sich bietet, Speit unendlichen Qualm — zu sagen es scheinet ein Wunder —, Füllt an so das Gemach mit undurchdringlichem Nebel, Nimmt ihm jegliche Sicht, ballt unten am Grunde der Höhle Schwaden zusammen von Rauch und mischt so Feuer und Dunkel. Dies trägt Herkules nicht; er springt mit mächtigem Satze Selbst in die Höhle hinab, wo der Qualm am dichtesten aufsteigt Und den gewaltigen Raum einnimmt der schwärzeste Nebel. Hier packt Cacus er an, der fruchtlos Feuer noch ausspeit, Schlingt um ihn den Knoten des Arms, schnürt enger die Kehle, Bis Glotzaugen ihm quelln unds Blut in der Gurgel vertrocknet. Schnell ist der Block von der Türe gewälzt, frei wieder der Ausgang, Schnell ins Freie getrieben das Vieh, die verläugneten Rinder, Und an den Füßen heraus formlos die Leiche gezogen. Satt man sich sehn nicht kann am Paar der gequollenen Augen, An dem grausen Gesicht, der Brust schwarzhaarigen Zotteln, Am weitgähnenden Schlund, worin das Feuer erloschen. Seitdem feiern wir hier das Fest; die Jüngeren halten Hoch in Ehren den Tag, wie Potitius an es geordnet Und Pinärius' Stamm die heilige Stätte gehütet. Herkules stiftete selbst den Altar, der immer als „Großer" Sich den Namen bewahrt, von uns als „Großer" verehret. Auf, ihr Jünglinge, schmückt zum Ruhm so hohen Verdienstes Mit Laubkränzen das Haar, erhebt mit der Rechten den Becher, R u f t einmütig dem Gott, gießt aus mit Freuden vom Weine!" Gleich man schmücket das H a u p t mit desGotts zwiefarbener Pappel, Reichlich geflochten ins Haar hängts Laub umwallend herunter. J e t z t die Rechte den Becher ergreift: es gießt die Versammlung Wein auf den festlichen Tisch und sendet Gebete zum Himmel. Abwärts rollet der Himmel indes und bringet den Abend. Schon ziehn auf die Priester, als erster Potitius selber, Um die Lenden gegürtet den Schurz, Kienfackeln in Händen, Rüsten das Mahl aufs neu, zum Nachtisch tragen sie Speisen, Allen Altären sie weihn die reichlich belasteten Schüsseln. Salier unter Gesang umtanzen die Flammenaltäre, An den Schläfen umkränzt vom Laub der weißlichen Pappel,

V i l i 287—324

Saturns friedliche Herrschaft

159

Jüngere hier im Chor, dort Ältere; Hymnen sie singen, Preisen die Taten des Gotts, wie schon als Kind er erdrosselt Mutig das Vipernpaar, das Junos Grollen ihm schickte, Er im Kriege zerstört Öchälia, Troja, die Städte, Hoch einst berühmt, wie dann zahllos er Mühen bestanden Unter Eurystheus' Zwang, auch sie nach Willen der Juno. „Du hast, nimmer besiegt, die wolkengebornen Kentauren, Den Hyläus und Pholus, erlegt, du hast überwunden Selbst den kretischen Stier, bei Nemeas Felsen den Löwen. Vor dir bebte der stygische See, der Pförtner des Orkus, Der auf halbzernagtem Gebein sich streckt in der Höhle. Doch dich schreckten Erscheinungen nicht, selbst nicht der Typhöeus, Wie hoch auch die Waffen er schwang; du behieltest Besinnung, Als mit der Hälse Gezisch dir drohte die Schlange von Lerna. Sei du gegrüßt uns, Juppitersohn, den Göttern gesellet, Uns und unserem Fest nah du mit gnädigem Schritte." Dies sie preisen im Lied; vor allem jedoch sie besingen Cacus', des Untiers, Haus und ihn, der Feuer aushauchet. Einstimmt in den Gesang der Hain, rings hallen die Hügel. Als den göttlichen Pflichten genügt, schlägt ein die Gesellschaft Wieder den Weg zur Stadt. Voran, vom Alter gebeuget, Schreitet dem Zuge der Fürst, zur Seite den Sohn und Äneas, Und verkürzt die Länge des Wegs durch Wechselgespräche. Staunend Äneas läßt umher rings schweifen die Blicke, Freuet der Landschaft sich, gibt acht auf Reste der Vorzeit, Hört aufmerksam zu dem Bericht von früheren Helden. Ihm Euander erzählt, der Gründer der römischen Stadtburg: „Hier die Haine bewohnten einheimische Nymphen und Faune Und ein Menschengeschlecht, aus Fels und Eiche geboren, Dem Landbau, dem Sitte noch fremd. Mit Stieren zu pflügen Nicht es verstand, zu sammeln die Frucht, Erworbnes zu sparen. Nur Baumfrüchte, der Jagd mühselig Geschäft es ernährten, Eh von olympischen Höhn Saturn zur Erde herabstieg, Fliehend vor Juppiters Macht, des Thrones beraubt, ein Verbannter. Er wars, der dem rohen Geschlecht, dem in Bergen zerstreuten, Einheit, Satzungen gab, das Land auch Latium nannte, Weil er sichern Versteck an seinem Gestade gefunden. Golden die Zeit man heißt, in der Saturnus regierte;

160

VIII 325—362

E u a n d e r f ü h r t den Ä n e a s in sein Haus

Denn sein Reich war friedlicher Art und bar der Gefahren, Die der späteren Zeit, unwert der goldenen Farbe, Bracht die Geißel des Kriegs und Gier nach reichem Besitze. J e t z t ausonisches Volk ankam, auch Sikulerstämme, Daß den Namen noch oft Saturns Reich mußte verändern. Unter den Königen war auch Thybris riesigen Leibes, Nach dem später den Fluß wir Italer Tiber benannten, Der einst Albula hieß; es verschwand der richtige Name. Mich, den Arkader, trug, vom Heimatlande vertrieben, Als auf der Flucht ins äußerste Meer zu kommen ich suchte, Her in dieses Gebiet das unausweichliche Schicksal, Her Karmentas, der Mutter, Geheiß, der Berater Apollo". Kaum hat dies er erzählt, zeigt er im Gehen den Altar, Zeigt das karmentalische Tor, wies heißen die Römer, Also benannt zum Ruhm der altehrwürdigen Nymphe, Seherin auch zugleich; als erste sie hatte geweissagt Der Äneaden Beruf und des Pallanteums Bestimmung. Auf den gewaltigen Hain er weist, des Romulus Freistatt, Weist am Nordabhange des Bergs hin auf das Luperkal, Das nach dem Namen des Pan, des lykäischen, also sich nannte. Führt dann weiter sie hin zum heiligen Argiletum, W o den Tod er des Argus erzählt, des Zeuge der Ort war. Zum Kapitol er führt hoch am tarpeischen Felsen, Das heut pranget in Gold, einstmals sich hüllte in Dornen. Damals schon das Grause des Orts die Bewohner empfanden, Damals schon vorm Hain und Fels man bange sich scheute. „Welch Gott, sagt Euander, hier Hain und Höhe bewohnt, Weiß man nicht, doch ein Gott hier wohnt; nach Ärkader Glauben Sieht man Juppiter selbst die blitzende Rechte hier heben Und der Ägis Gewirr hier schütteln mit donnernder Linken. Noch zwei Siedlungen siehst du hier mit verfallenen Mauern, Reste der früheren Zeit, Denkmäler vergangner Geschlechter: Jene von Janus gebaut, die von Saturnus dem König; Jene Janikulum heißt, Saturnia nannte man diese." Unter Gesprächen der Art man kommt zur Wohnung des Herrschers. Ärmlich genug sie scheint. Man sieht viel weidende Herden, Hört am römischen Markt, den stolzen Carinen ihr Brüllen. Endlich am Ziel Euander: „Hier schritt einst über die Schwelle

VIII 363—399

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Venus bei Vulkan

Herkules nach dem Sieg; solch Haus dem Gotte genügte. Wags, Gastfreund, ihm gleich auf Pracht zu verzichten, ihm folge! Nimm mit Kleinem vorlieb, vorlieb mit bescheidenem Obdach." Dabei führt er hinein ins Haus den großen Äneas Durch die niedrige Tür, heißt ihn aufs Lager sich strecken, Das, aus Blättern gehäuft, ein Fell der Bärin bedecket. Nacht bricht an und umfängt die Welt mit dunkelem Fittig. Venus, als Mutter besorgt und erschreckt in innerster Seele Durch das Drohn der Latiner, durch stets anwachsenden Kriegslärm, Wendet sich an Vulkan. Im goldenen Ehegemache Naht dem Gatten sie sich, ihm Liebesverlangen erweckend: „Als im Krieg noch Pergama litt, was leiden es mußte, Als den Flammen erlag die Burg, wie's wollte das Schicksal, Bat um Hilfe bei dir ich nicht, nicht bat ich um Waffen, Wie du, Künstler, sie schaffst; umsonst nicht, teuerster Gatte, Wollt angehen ich dich, umsonst nicht Mühe dir machen, Obwohl vieles ich dank' und schulde den Priamussöhnen Und Äneas' Los ich oftmals mußte beweinen. Jetzt weilt er nach Juppiters Will' an der Rutulerküste. Deshalb komm ich und fleh f ü r den Sohn als Mutter um Waffen An dein heiliges H a u p t . Dich konnte die Tochter des Nereus, Dich Tithonus' Gemahl durch Tränen bewegen zum Mitleid. Sieh, welch Stämme zusammen sich tun, welch Städte die Schwerter Schärfen, verrammeln das Tor zu meinem, der Meinen Verderben." Da noch schwanket Vulkan, umfaßt sie mit schneeigen Armen Ihn und drückt an die Brust den Zögernden. J e t z t ist gebrochen Völlig das Eis. Von Verlangen er glüht, das frühere Feuer Packt ihn, Mark und Bein durchrinnt ihm Liebesbegierde. So durchbricht der flammende Strahl den dunkelen Himmel, Und sein blendendes Licht zuckt rings im Wolkengebilde. Froh die Gattin gewahrt, d a ß List triumphieret und Schönheit. Jetzo Vulkan hebt an, vom Liebreiz völlig entwaffnet: „Wozu Gründe denn holst du v o r ? Wo bleibt das Vertrauen, Göttin, zu mir? H ä t t so dich damals Sorge beseelet, Wars kein Frevel von mir, auch Teukrern Waffen zu schmieden. Juppiter nicht, das Schicksal nicht hätt hindern es können, Daß zehn weitere Jahr mit Priamus Ilion lebte. Trendelenburg,

Virgils Aeneis.

IX

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VIII 400—436

V u l k a n in seiner

Esse

Auch heut, stehet nach Krieg dein Sinn und kriegrischen Waffen, Werden dir soll, was ich dir kann als Künstler gewähren, Was herstellen sich läßt aus Erz und flüssigem Mischgöld, W a s mir Feuer und Esse vermag; durch Bitten nicht brauchst du Zu mißtraun der eigenen K r a f t . " Nach diesem Geständnis Stürmisch er Venus u m a r m t ; in den Schoß der Gattin geschmieget, Findet er friedlichen Schlaf und erquickt durch Ruhe die Glieder. Als vorbei die Mitte der Nacht und kräftig Erwachen H a t t e verscheucht den Schlaf, zur Stund, wo die fleißige Hausfrau, Die mit Spinnen verdient zu kärglicher^ Leben die Mittel, Neu das Feuer erweckt, das fortglomm unter der Asche: Noch bei Nacht sie beginnt das Werk und plagt schon die Mägde, Spinnarbeiten zu tun, auf daß sie züchtig erhalten Kann das Lager des Manns und erziehn die kleineren Kinder. Grad so weichet vom Bett Vulkan in frühester Stunde, Eilt zur Esse hinaus ans Werk, das er Venus versprochen. Zwischen Siziliens Strand und einer der Äolusinseln Lipara ragt, ein Eiland, auf mit rauchenden Kuppen, Das im Inneren birgt der Kyklopen ätnäische Grotte, Ganz von Schloten durchwühlt; die kräftigen Amboßschläge Gibt es dröhnend zurück, weißglühende Massen von Eisen Zischen darin, die Glut aufwogt beim Blasen der Bälge: Eine der Essen Vulkans. Vulkania heißet das Eiland. Hierhin stieg vom Olymp damals des Feuers Gebieter. Eben sind drei der Kyklopen dabei, zu schmieden ein Eisen, Brontes, Steropes auch und Pyräkmon, nackte Gestalten, Um zu formen den Blitz, wie Juppiter deren ja viele Schleudert zur Erd vom Himmel herab. Halb ist er gestaltet, Halb noch steckt im Klumpen die Form, an dem sie sich abmühn. Zinken f ü r Regen daran sind drei, drei weitre f ü r Wolken, Drei für rötliche Glut und drei für stürmische Winde. N u n noch fügen dem Werk sie zu die zuckenden Blitze, Donner und Schrecken und Zorn, der züngelnden Flammen Begleiter. Andere bauen f ü r Mars die Räder des rasselnden Wagens, Der die Männer erregt, zum Kampf aufrüttelt die Städte; Andere schmieden der Ägis Gebild, den Panzer der Pallas, Den sie mit Schmuck versehn, mit goldenen Schuppen von Schlangen,

VIII 437—474

Euander verspricht Äneas Beistand

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Mit der Nattern Gewirr, dem f u r c h t b a r n H a u p t e der Gorgo, Das, vom Rumpfe getrennt, trotzdem noch rollt mit den Augen. ,,Fort mit allem, gebietet Vulkan, beiseite die W e r k e ! Hört, Kyklopen, mich an, was jetzt von euch ich verlange! Waffen bedarf ein Held. Drum gilts, jetzt alles zu nützen, Kräfte, verständige Hand und Kunst, die jegliches meistert. Ohne Verzug ans W e r k ! " Kein W o r t mehr. Jene gehorsam Machen sich gleich ans Werk, nachdem die Stücke verteilt sind. Stromweis rinnet das Erz, stromweis die goldene Masse Und der gehärtete Stahl wird weich im flammenden Ofen. Die hier formen das Rund des Schilds: der Latiner Geschosse Abzuhalten allein er reicht, aus sieben der Lagen Ist er zusammengeschweißt. Einziehn in riesige Bälge Andre den Wind und stoßen ihn aus, noch andere härten Zischendes Erz im Bad. Die Last macht ächzen die Höhle. Arm um Arm im T a k t ausholt zu wuchtigem Schlage, Hin und her mit Zangen sie drehn die glühenden Massen. Eifrig betreibt das Werk Vulkan im äolischen Eiland. König Euander erweckt des Frührots Glühen vom Schlafe Und der Vöglein Morgengesang vom niedrigen Hausdach. Langsam stehet er auf, legt an den wollenen Leibrock Und umwickelt den Fuß mit dem Band der Tuskersandale, Dann um Schulter und H ü f t ' er legt den Riemen des Schwertes, Schiebend zurück hierbei von der linken das hindernde Tierfell. An der Schwelle voraus zu zwein ihm springen die Hunde, Die zur Nacht als Hüter gedient, und begleiten den König. Auf er suchet den Freund dort am verborgenen Sitze, Da des Gesprächs er denkt und denkt der versprochenen Hilfe. Und nicht weniger früh hat auch sich dieser erhoben. Pallas, der Sohn, den König, Achat Äneas begleitet. Herzlich begrüßen sich all und gehn zur Mitte des Hauses, Wo sie sich gern dem Reiz zwanglosen Gesprächs überlassen. Also der König zuerst: „Rühmlicher Führer des Heers, der mich, solang er am Leben, Glauben nicht läßt an Trojas Fall, des Reiches Vernichtung, Klein ist unsere Macht im Vergleich zu deiner Berühmtheit. Schwach die Hilfe für dich. Hier hemmt uns strömend der Tiber, Dort der Rutuler grenzt, die Stadt mit Waffen bedrohend.

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VIII 475—509

Äneas erhält Zuzug von Etruskern

Doch will schaffen ich dir den Beistand mächtiger Staaten, Die sich im Lager vereint. So fügts ein glücklicher Zufall; Du kommst eben hierher als Auserkorner des Schicksals. Unfern lieget von hier, auf Urstein sicher gegründet, Ragend Agylla die Stadt, mit der ein lydischer Volksstamm, Waffengeübt, einstmals Fuß faßt' auf tuskischen Bergen. Lang in Blüte sie stand, bis daß Mezentius grausam Sie mit Waffen bezwang und hart als Herrscher sie drückte. Was aufzählen des Wüterichs Tun, die grausen Verbrechen? Mögen die Götter es ihm und seinem Geschlechte gedenken! Hat doch Lebende gar er an Entseelte gebunden, H a n d an Hand und Mund an Mund zu teuflischer Folter, Daß mit Eiter befleckt und Gift in solcher Umarmung Sie hinsiechten und spät durch Tod erst fanden Erlösung. Endlich, des Wüterichs satt, sich rotten die Bürger zusammen Und umzingeln bewaffnet das Haus, darinnen er weilet, Morden die Diener ihm hin und setzen in Flammen das Holzdach. Während des Blutbads flieht Mezentius; Rutuler nehmen Freundlich ihn auf, ihn schützt sein Gastfreund Turnus mit Waffen. Jetzt steht auf das tuskische Land in gerechter Entrüstung, Droht mit schleunigem Krieg und heischt des Königs Entlassung, Diesen, den Tausenden, sollst, Äneas, Führer du werden, Die schon knirschen vor Wut, dicht decken die Küsten mit Schiffen Und laut rufen zum Kampf; doch hält ein würdiger Seher Sie mit Sprüchen zurück: „Du Zier mäonischer Jugend, Blüte des Heldengeschlechts, mit Fug reizt gegen die Feinde Dich auf flammende W u t , entfacht vom Gottesverächter; Doch kein Italer darf solch Volk im Kriege bestehen, Bis ein Führer vom Ausland k o m m t . " Nun harret des Feldherrn Hier im Felde das Heer, mutlos durch Sprüche der Götter. Sprecher hat zu mir gesandt Tarchon mit den Zeichen der Würde, Szepter und prächtigem Kleid und Hauptschmuck, hat mich gebeten, Daß ich im Lager erschein und der Herrschaft Zügel ergreife. Doch mir neidet das Reich die Bürde des drückenden Alters Und der Kräfte Verfall, zu schwach für tapfere Taten.

VIII 510—547

Venus kündet durch ein Zeichen die Waffen Vulkans an

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Wär einheimisch mir nicht der Sohn von sabellischer Mutter, Ihn ich kürte dazu. Drum auf, du troischer Führer, Führ' Italiens Volk! Du bist Erwählter der Gottheit, Bist, des Jugend und Art huldvoll zulächelt das Schicksal. Dir zum Begleiter ich geb, mir Trost und Hoffnung des Alters, Pallas den Sohn; sei du fortan ihm Lehrer und Meister In den Künsten des Kriegs; auf dich und deine Bewährung Soll er als Kind schon schaun und jung dich lernen bewundern. Außer dem Fußvolk will zweihundert arkadische Reiter Geben ich ihm, und ebensoviel wird stellen er selber." Tief in Gedanken versenkt aufmerksam lauschen den Worten Er, des Anchises Sohn, und Achat, sein treuer Begleiter. Während die Mühn bei sich sie beid im Herzen erwägen, Gibt aus heiterer Luft ein Zeichen die göttliche Mutter: Unversehens ein Blitz durchzuckt den strahlenden Äther Unter gewaltigem Schlag. Kampf scheint am Himmel zu toben Und vom Klang des tuskischen Horns die Lüfte zu dröhnen. Aufwärts strebet der Blick, aufs neu man höret das Krachen. Zwischen des Himmels Gewölk man sieht in heiterer Bläue Funkeln der Waffen Geblink und hört das Schwertergeklirre. Stumm vor Staunen man steht, allein der troische Führer Richtig erkennt den Klang, den Wink der göttlichen Mutter. Dann er erklärt: „Gastfreund, nicht sollst du lange dich quälen, "Was dies Wunder besagt; mir gilt es. Hoch vom Olympus Sendet die Zeichen für mich und verheißt die göttliche Mutter, Waffen, die Werke Vulkans, mir her zur Hilfe zu bringen, Wenn ausbreche der Krieg. Weh! Welch Blutbad steht nicht bevor den armen Laurentern! Wie schwer büßest du, Rutuler, nicht! Du, heimischer Tiber, Wie viel Waffen nicht wird, wie viel nicht Helden dein Wasser Spülen ins Meer! Laß fordern sie Kampf und brechen Verträge!" Als er solches gesagt, steht auf Äneas vom Sitze, Facht auf Herkules' Herd erst an das glimmende Feuer, Gehet den Hausgott an, geht an die kleinen Penaten Heitren Gemüts. Nach Brauch dann schlachtet erlesene Tiere Hier Euander der Fürst und dort die troische Jugend. Dann zu den Schiffen er geht von hier, die Gefährten zu mustern, Um aus ihnen sogleich die Tüchtigsten aus sich zu suchen

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V I I I 548—584

Euanders Abschied von Pallas

Als Mithelfer im Kampf. Der Rest verbleibt in den Schiffen, Die flußabwärts heim jetzt fahren in lässiger Muße, Dort Iullus den Stand der Dinge zu melden vom Vater. Pferde man gibt den Teukrern zum Ritt ins tuskische Lager, Eins von besonderem Schlag Äneas, prächtig bedecket Ganz vom Felle des Leun, an dem die Krallen vergoldet. Plötzlich durcheilt das Gerücht die Straßen des friedlichen Städtchens, Daß schnell Reiter sich nahn dem Sitz des tuskischen Königs. Furcht macht lauter der Mütter Gebet, es wächst die Besorgnis Mit der Gefahr, greifbar sich zeigt der Schrecken des Krieges. Jetzt Euander erfaßt die Hand des scheidenden Sohnes, Hält umklammert sie lang und sagt mit strömenden Tränen: ,,Gäb die vergangenen Jahre zurück mir Juppiter gnädig, Gäb mir zurück die Kraft, als vor Präneste den ersten Sieg ich gewann und Schild auf Schild den Flammen ich weihte, Als den Erulus ich allein zum Tartarus sandte, Dem Feronia bei der Geburt — kaum glaublich zu sagen! — Dreifach Leben verlieh; dreimal ihn mußt ich bekämpfen, Dreimal weihen dem Tod; da nahm ihm alle die Leben Hier die Rechte, sie zog ihm ab drei Panzer vom Leibe: J a , dann risse mich nichts, mein Sohn, aus deiner Umarmung, J a , dann h ä t t Mezentius nicht zum Hohne dem Nachbar, H ä t t e zum Trotz mir nicht soviel des Blutes vergossen, H ä t t e die Stadt mir nicht um soviel Bürger gemindert. Drum ihr Himmlischen dort, und du vor allen ihr Lenker, Juppiter, habt mit mir, dem Arkaderkönig, Erbarmen, Hört des Vaters Gebet! Wenn mir der Wille des Schicksals, Wenn die Himmlischen mir den Sohn am Leben erhalten, Wenn mir bestimmt, ihn wiederzusehn, ihn wiederzuhaben, Bitt' um Leben auch ich, muß noch so schweres ich tragen. Drohst du jedoch, Schicksal, mir an den herbsten der Schmerzen, Laß mich jetzt, gleich jetzt abtun das traurige Leben, Solang Sorge noch schwankt, solang noch Hoffnungen winken, Solang, teuerer Sohn, du späte, mir einzige Wonne, Dich in den Armen ich halt, verschont von härterer K u n d e . " So beim Scheiden er spricht, danach er stürzet zur Erde. Diener ihn tragen ins Haus, Ohnmacht ihn hatte bezwungen.

VIII 585—621

V e n u s bringt A n e a s die W a f f e n

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Grad j e t z t ziehen hinaus zum offenen Tore die R e i t e r : Führer Äneas ist, zur Seite den treuen Achates, Trojas Erste sodann, Pallas inmitten des Zuges, P r a n g e n d im wallenden Kleid, im Glanz der farbigen W a f f e n , Wie wenn Luzifer, feucht vom Bad des schimmernden Meeres, Liebling er der Venus vor all den übrigen Sternen, Hebt sein heiliges H a u p t empor, das Dunkel verscheuchend. Auf der Mauer m a n sieht mit ängstlichen Blicken verfolgen Mütter die Wolke des Staubs, die Reiter im Glänze des Erzes. Durch das Gebüsch sie ziehn zum Ziel auf kürzestem Wege, Weithin hallet der L ä r m ; des Zugs dicht schließende Masse Macht d u r c h der Hufe Getrappel erbeben den bröcklichen Boden. Kühl ein stattlicher Hain liegt nah beim Flusse von Cäre, Weithin verehrt seit f r ü h e s t e r Zeit; es schließen zum Kessel Rings sich Höhen u m ihn, Schwarztannen beschatten die Hänge. Dem Silvanus, so heißts, dem Gott der Felder und Herden, W e i h t e n Pelasger ihn einst zugleich mit jährlichem Festtag, Die der Latiner Gebiet vordem als erste besetzten. Unweit h a t t e von hier den Platz zum Lager gewählet T a r c h o n s tuskisches Heer; m a n konnts von einer der Höhen Ganz ü b e r s e h n : weithin im Feld sich reihten die Zelte. Hierher richtet den Marsch Äneas' rüstige J u g e n d Und sorgt, m ü d e vom R i t t , in Ruh f ü r sich und die Tiere. In ätherischem Flug k o m m t jetzt mit Waffen beladen, Venus h e r a b vom Olymp. Einsam in entlegener Talschlucht W e i l e t ihr Sohn — der Fluß t r e n n t ihn vom übrigen Heere —, Frei sie t r i t t vor ihn hin und spricht ihn an mit den W o r t e n : „Sieh durch die K u n s t des Gatten g e f o r m t die verheißenen Waffen! Fordre heraus zum K a m p f , mein Sohn, die stolzen Laurenter, F o r d r e sogleich zum Kampf auch ihn, den schneidigen T u r n u s . " S p r i c h t s , u m a r m t den Sohn und lehnt die funkelnden Waffen Gegen des Eichbaums S t a m m , der a u f r a g t ihm gegenüber. J e n e r , e r f r e u t durch der Göttin Geschenk so rühmlicher H e r k u n f t , K a n n s a t t s e h e n sich n i c h t ; er p r ü f t eingehend die Stücke, S t a u n t u n d wendet sie hin und her mit H ä n d e n u n d Armen, E r s t den Helm mit drohendem Busch, der Flammen entsendet, D a n n das mördrische Schwert, des Panzers eherne P l a t t e n ,

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VIII 622—659

Die Bilder des Schildes

Groß, von blutigem Glanz, wie wenn die bläuliche Wolke, Von den Strahlen der Sonne durchglüht, weithin sie zurückwirft; Die Beinschienen sodann aus Gold und weißlichem Mischgold, Endlich den Speer und des Schilds kaum aufzuzählende Bilder, Drauf der Feuerbeherrscher, als Gott wohl kundig der Zukunft, Auch mit den Sprüchen der Seher vertraut, der Italer Taten Hatte zu Bildern geformt: der Römer Triumphe, der Enkel Ganzes Geschlecht aus Askanius' Stamm, die bestandenen Kriege. Oben der Wölfin Gestalt in Mavors grünender Grotte: Hin sie sich hatte gelegt; die Zwillingsknaben sich schmiegen Traulich ihr unter den Bauch, den schwellenden Zitzen zu Liebe; Sorgsam sie die Säuglinge leckt, mit gewendetem Nacken Wechselnd sie beide betreut und formt mit der Zunge die Leibchen. Nahe dabei man sieht den Raub der sabinischen Frauen Wider das Recht, die gelockt nach Rom zirzensische Spiele; Sieht ausbrechen den Krieg, mit dem die strengen Sabiner Rom überziehn, sieht Tatius auch, den greisen Beherrscher. Doch ist vermieden der Kampf: die Könige treten bewaffnet Hin zu Juppiters Tisch; zum Opfer sie halten die Schalen, Spenden und schließen Vertrag, nachdem ein Ferkel geschlachtet. Unfern Mettius wird von zwei vierspännigen Wagen — Hättst du gehalten, Albaner, dein Wort! — in Stücke gerissen; Dem Verräter entreist das Gedärm Hostilius selber, Schleift es durch Wald und Feld, daß blutrot tauen die Dornen. Schwer Porsenna bedroht die Stadt mit langer Belagrung, Weil dem vertriebnen Tarquin sie nicht die Tore geöffnet. Doch des Äneas Volk für die Freiheit greift zu dem Schwerte. Ihn unwillig du siehst, als wenn er Drohungen ausstößt, Weil es Codes gewagt, die hölzerne Brücke zu brechen, Clölia, zu durchschwimmen den Fluß nach Täuschung der Wächter. Ganz am obersten Rand steht Manlius, Hüter des Burgbergs Vorn vor Juppiters Haus und deckt den tarpeischen Felsen, An den Romulus' H ü t t e sich lehnt mit erneuertem Strohdach. Hier verrät eine silberne Gans in goldener Halle, Daß die Gallier schon erreicht die Schwelle des Tempels. Ganz von Büschen gedeckt, die Burg sie haben erstiegen Dank der finsteren Nacht, die nichts den Augen enthüllte. Blond ist der Gallier Haar, Goldfäden durchziehen die Wämse,

VIII 660—695

Die Bilder des Schildes

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B u n t der Mantel im Rücken gestreift; die Weiße des Halses H e b t ein goldener Reif; zwei wuchtige Lanzen erglänzen J e d e m in kräftiger Hand, den Leib deckt vorne der Langschild. Salier tanzen herum, zugleich auch nackte Luperker, Auf dem Kopfe den Hut, am Arm die heiligen Schilde. Auf Staatswagen ein Zug durchfährt von keuschen Matronen Hier zum Opfer die Stadt. Dort aber am untersten Schildrand Sieht man Tartarus' Sitz, des Dis hochragenden Torgang, Mit den Sündern darin; auch dich, Catilina, geklammert Fest am drohenden Fels, voll Angst vor der Furien Antlitz; Sieht die Frommen getrennt; Rechtspfleger bei diesen ist Cato. Weit dazwischen sich drängt ein Bild des schäumenden Meeres, Golden, doch silbern darauf der Schaum der bläulichen Wogen. Rings sich tummelt im Kreis ein Schwärm von muntern Delphinen, Silbern sie schneiden im Spiel die Flut mit peitschenden Schwänzen. Grad in der Mitte man sieht mit Erz umpanzerte Flotten, Sieht den aktischen K a m p f ; Leukäte wimmelt von Kriegern, Klar sich spiegelt im Meer der Glanz von goldenen Waffen. Hier Augustus zur Schlacht a n f ü h r t Italiens Krieger, Mit ihm Volk und Senat, die Haus- und größeren Götter. Hoch er raget am Heck; siegsicher entströmen den Schläfen Zwillingsflammen, der Stern des Geschlechts ihm schimmert am Scheitel. Dort beim anderen Zug, auf Wind und Götter vertrauend, Führt Agrippa die Reihn; ein Kriegsschmuck, nimmer verliehen, Flammt um die Schläfen dem Held: Schiffsschnäbel erglänzen a m Stirnreif. Jenseits Sieger Antonius f ü h r t barbarischer Völker Buntes Gemisch in die Schlacht von Osten, dem roten Gestade, Von Ägypten, des Orients Kern, vom äußersten Baktra, Und ihm folget, o Schmach, Ägyptens Herrin als Gattin. Gegeneinander man f ä h r t ; mit Schaum sich decket die Fläche, Auf von Rudern gewühlt, vom Stoß dreizinkiger Schnäbel. J e t z t ins offene Meer! Hier, meint man, schwimmen Kykladen, Los vom Grunde gelöst, Berghöhn hier stoßen auf Berge: Mit so massiger Wucht Turmschiff eindringet auf Turmschiff. Fackeln aus Werg man wirft, Brandpfeile Geschützen entfliegen, Daß sich rötet das Meer vom beispiellosen Gemetzel.

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VIII 696—731

D i e Bilder d e s

Schildes

Mitten darin die Königin klirrt mit heimischem Sistrum; Denn noch achtet sie nicht des Paars von N a t t e r n im Rücken. Widrig gestaltete Götter, dabei der Beller Anubis, Richten die Waffen auf Venus, Neptun und gegen Minerva. Wüten man Mavors sieht grad in der Mitte der Seeschlacht, Ganz aus Eisen geformt, in der Luft die Furien rasen; Froh des zerrißnen Gewands die Zwietracht drohend daherstürmt, Der auf dem Fuß gleich folgt mit blutiger Geißel Bellona. Als der aktische Gott den Kampf sieht, spannt er den Bogen Auf ihn herab. Aus Angst zur Flucht Ägypten sich wendet, Wendet sich Indien mit, Sabäer und Araber fliehen. Auch die Königin ruft des Westwinds Wehen zu Hilfe, Hißt die Segel und läßt der Leinwand locker die Zügel. Während des Blutbads wird — so hatte Vulkan es gebildet — Sie vom Sturme gejagt todbleich hier über die Wogen; Drüben entfaltet der Nil, der Flußgott mächtigen Körpers, Traurig das blaue Gewand und winkt mit ihm den Besiegten, Daß im gastlichen Schoß des Stroms sie fänden Verstecke. Einzieht Cäsar in Rom, dreifach zu feiern Triumphe Und den Göttern zu weihn ein unvergänglich Gelübde, Aufzubaun in der Stadt dreihundert der prächtigsten Tempel. Frohsinn herrschet und Spiel und Beifall; Chöre von Frauen Füllen die Tempel und rings flammt auf Altären das Opfer, Das den Boden bedeckt weithin mit geschlachteten Tieren. Casar sitzen man sieht auf Apollos marmorner Schwelle, Mustern der Völker Tribut zum Schmuck der heiligen Pfosten. Reihweis ziehen an ihm vorbei der Besiegten Gesandte, So durch Sprache getrennt, wie bunt an Waffen und Kleidung. Hier man sieht der Nomaden Geschlecht, in lässiger Schürzung Afrer, dann Leleger, Karer und köcherbewehrte Gelonen, Weiter des Euphrat Strom, schon ruhiger fließend im Bette, Den zweimündigen Rhein, dann Möriner, fernste der Menschen, Daher, bezwungen noch nicht, noch nicht überbrückt den Araxes. Solches bestaunt Äneas am Schild, der Gabe der Mutter, Freut sich, obwohl unkundig des Sinns, am Bilde der Dinge, Hängt um die Schulter ihn dann, trägt Ruhm und Geschicke der Enkel.

IX 1 — 3 3

T u r n u s bricht auf z u m S t u r m a u f s L a g e r

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Neuntes Buch Turnus' Sturm auf das troische Lager in Abwesenheit des Aneas Wahrend sich dies abspielt in ganz entlegenem Teile, Schickt J u n o , die Tochter Saturns, aus himmlischen Höhen Iris zu T u r n u s herab. Im Hain Pilumnus', des Ahnen, Sitzt zufällig der Fürst, im Tal der heiligen Opfer. Ihn anspricht mit rosigem Mund die Tochter des Thaumas: „Was dir, Turnus, ein Gott nie konnte zu geben versprechen, Hättst du gebeten darum, sieh, selbst der Tag dir erfüllet. Schiffe, Genossen, die Stadt hat jetzt Äneas verlassen, Suchet Palatium auf, den Sitz des Königs Euander. Und nicht genug: ganz fern er weilt in Körythus' Nähe, Um zu bewaffnen daselbst die Scharen des lydischen Landvolks. Zögerst du n o c h ? Zeit ists, jetzt Wagen und Rosse zu fordern. Brich ab allen Verzug und nutz des Lagers Verwirrung!" So die Göttin; dann hebt sie sich auf mit schwingenden Flügeln Und durcheilt des Himmels Gewölk in leuchtendem Bogen. Turnus erkennt sie gleich; empor fromm hebend die Hände, R u f t er der Flüchtigen nach entschiedenen Sinnes die Worte: „Iris, Zierde des Himmelsgewölbs, wer hat aus den Wolken Dich zur Erde gesandt? Woher die strahlende Helle, Die mich plötzlich u m g i b t ? Ich seh sich teilen den Himmel, Seh umkreisen die Sterne den Pol. Solch glücklichen Zeichen Folg ich, wer immer mich r u f t . " Er sagts und gehet zur Quelle, Schöpft zum Waschen daraus das Naß der spiegelnden Fläche, Betet mit Inbrunst viel und erfüllt die Luft mit Gelübden. Schon rückt aus ins offene Feld der versammelte Heerbann, Reich an Rossen und reich an golddurchwirkten Gewändern. Vorn Messapus befiehlt, den Nachtrab halten in Ordnung Die sich Tyrrhus erwählt, des Hauptteils Führer ist Turnus. Still sie ziehn, wie der Ganges fließt, wenn stürzende Ströme Nicht mehr stören den Weg, wie des Nilschlamms ruhiges Wasser, Wenns die Felder verläßt und neu sich sammelt im Flußbett. Plötzlich im Lager erblickt man fern die Wolke des Staubes,

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IX 3 4 — 6 9

Turnus vor dem Lager

Wie sie drohend sich ballt und das Blachfeld hüllet in Dunkel. Vorn auf der Schanze zuerst den Ruf läßt schallen Kaikus: „Bürger, welch Ball wälzt dort sich her in dunkeler Wolke! Schnell, schafft Waffen herbei, bringt Pfeile, besteiget die Mauern! Nah ist der Feind, zur Wehr!" Mit großem Geschrei durch die Tore Drängen die Teukrer sich ein und füllen die Schanzen mit Kämpfern; Denn so hatt' es bestimmt beim Abschied Führer Äneas: Sollt inzwischen zum Kampf der Zufall lassen es kommen, Dürf im offenen Feld man nie sich stellen dem Gegner, Sondern besetzen allein den Wall, die sicheren Schanzen. Mahnet zum Kampf auch Scham und beseelt auch Zorn die VerIaßnen, Schließen sie doch das Tor, der gegebenen Weisung sich fügend, Und erwarten den Feind im Schutz der geräumigen Türme. Turnus voran war gesprengt dem langsam schreitenden Zuge, War dem Lager genaht mit zwanzig erlesenen Reitern, Ohne daß einer es sah. Ihn trägt ein thrakischer Schecke, Schmückt ein goldener Helm mit purpurn wallendem Busche. „Wer hat, Jünglinge, Lust, mit mir den Feinden als erster —, Seht!" Und kräftig den Speer wirft hoch er empor in die Lüfte, Zeichen zum Kampfesbeginn; kühn tummelt das Roß er im Felde. Jubelnd Geschrei sich erhebt, rauh tönt der Jünglinge Schlachtruf, Alle davon überrascht, daß still sich halten die Teukrer, Daß sie dem Feld sich entziehn, die Wehr nicht tragen entgegen Mann dem Manne zur Schlacht, nein bang sich bergen im Lager. Hier und dort man mustert den Wall, sucht heimlichen Zugang, Wie wenn gierig der Wolf umkreist den schützenden Schafstall. Draußen im Freien er heult, muß Wind ertragen und Wetter Weit über Mitte der Nacht, indes am Euter der Mutter Furchtlos blöket das Lamm; machtlos da wütet der Räuber, Daß ihm versagt der Fang; der lange verhaltene Hunger Macht ihn müde zuletzt, ihm lechzt die trockene Kehle. Gradso wütet im Zorn das Herz des Rutulerfürsten, Als er Wall und Lager besieht, Schmerz wühlt in den Knochen. Wie denn kommt er hinein? Wie kann die Troer er treiben Aus dem Neste heraus und locken ins offene Schlachtfeld? Rings von Wällen geschützt und bespült vom Wasser des Tiber,

IX 70—102

K y b e l e bei

Juppiter

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Liegen die Schiffe gefeit vor Raub im Schutze des Lagers. Ihnen der Plan jetzt gilt: in Brand soll alle man stecken! Rufts und flammenden Kien schwingt, glühend er selber, in Händen. Jubelnd man geht ans Werk, fortreißt das heldische Beispiel. Jeder versieht sich schnell mit des Kienspans qualmendem Brande, Den vom Herde man reißt; Pechfackeln erglühen im Feuer Und Aschwolken und Glut aufsprühn zum Himmelsgewölbe. Welch Gott, Musen, bewahrte vor drohendem Feuer die Teukrer? Wer vor verzehrender Glut die leicht entzündlichen Schiffe? Sagts! Früh Gläubige fand die Tat und ein ewig Gedächtnis. Als Äneas zuerst dran ging, im heimischen Ida Sich die Schiffe zu baun, die nötig er hatte zur Seefahrt, Hab sich Kybele selbst, die phrygische Mutter der Götter, Juppiter bittend genaht: „Sohn, gib mir, was ich erbitte, Ich, die Mutter, von dir, dem mächtigen Herrn des Olympus. Fichten mir trug ein Hain, der mir seit langem am Herzen Lag, auf der Höhe des Bergs, wo fromm die Troer geopfert, Dicht von schwärzlichen Föhren erfüllt und Stämmen des Ahorns. Preis gab gern ich Äneas ihn, als er Schiffe bedurfte. Jetzt mich peinigt die Furcht, es könnten vernichtet sie werden. Banne die Furcht! Laß dies die Bitte der Mutter vermögen, Daß vor den Tücken der Fahrt, daß vor dem Wüten der Windsbraut Die f ü r immer gefeit, die gebar der heimische Bergwald." Drauf der Sohn, des Hand macht kreisen die Sterne des Weltalls: „Mutter, das Schicksal zwingen du willst? Was flehst du f ü r jene ? Flehst um unsterbliches Recht für Machwerk sterblicher H ä n d e ? Soll Äneas, ein Mensch, Trotz bieten den menschlichen N ö t e n ? Welch ein Gott darf je so hoher Befugnis sich r ü h m e n ? Immerhin! Haben erreicht einstmals die Schiffe den Hafen An Ausoniens Strand, will ich des sterblichen Wesens Alle die gern entkleiden, die, heil den Fluten entronnen, Zu Laurentums Küste gebracht den troischen Führer. In Meernymphengestalt dann sollen sie teilen die Wogen

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IX 103—137

Die troischen Schiffe in Nymphen verwandelt

Sicher mit Armen und Brust, gleichwie die T ö c h t e r des Nereus." Sprichts und beschwört sein W o r t beim Strom d e s stygischen Bruders, Bei den Ufern, die Pech u m b r a u s t in schwärzlichen Strudeln, Nickt mit dem H a u p t e d a z u : die Höhn des O l y m p u s erbeben. So war kommen der T a g u n d erfüllt die Reihe der J a h r e Durch der Parzen Gebot, als T u r n u s ' Drohen die Göttin Zwingt, das idäische Holz vor des Kienspans F l a m m e zu wahren. J e t z t ein Leuchten zuerst aufglänzt, ein nimmer geschautes, Und ein Gewölk aufzieht her über den Himmel von Osten Mit der Kybele Chor, d a n n d r ö h n t eine Stimme von oben Schrecklich herab, d u r c h b r a u s t der Troer und R u t u l e r Scharen: „ E i l t euch, Dardaner, nicht, mein Holz vor Feuer zu schützen, Greift zu Waffen auch n i c h t ; das Meer wird e h e r entflammen T u r n u s als Idas Holz. Ihr aber, von Fesseln erlöset, Zieht fort, N y m p h e n des Meers! Es heißt euch solches die Mutter." Alsbald sprengen die Schiffe das T a u ; kopfüber sie stürzen Tief in die rauschende Flut, wie wenn sich t u m m e l n Delphine, Gleich drauf t a u c h e n sie wieder empor — ein W u n d e r zu sagen —: Wie viel eherne Bugs noch j ü n g s t am Ufer gestanden, Soviel schwimmen hinaus als Mädchen und teilen die Wogen. S t a u n e n die R u t u l e r packt, es scheuen die Pferde, Messapus Selbst vor Schrecken erbebt, rauh murmelnd zögert der Tiber, S t e h e t wie starr und läßt ins Meer nicht strömen die Wasser. N u r nicht T u r n u s verliert, der kühne, das eigne Vertrauen, H e b t auch der anderen Mut und r u f t laut zu den Betroffnen: „ H i e r dies W u n d e r den D a r d a n e r n gilt! J a , J u p p i t e r r a u b t e Ihnen von selbst, worauf sie gepocht. Nicht Waffen und Feuer B r a u c h t s der R u t u l e r mehr. U n g a n g b a r also die Meere, H o f f n u n g dahin auf Flucht, die H ä l f t e des Heiles verloren! Unser die zweite, das L a n d ! Viel Tausende, S t ä m m e der Heimat, S t e h n z u m K a m p f e bereit. Mich Götterorakel nicht schrecken, W e n n hiermit sich b r ü s t e t der F e i n d : ist denn nicht erfüllet, W a s das Geschick der Venus v e r h i e ß ? Ausoniens Fluren H a t j a der Troer erreicht! Auch mir ward einst das Orakel, D a ß austilgen ich sollt das Volk, des frevle Gesinnung

IX 138—174

Das Lager von den Feinden eingeschlossen

175

Mich der G a t t i n beraubt. Nicht A t r e u s ' Söhne n u r schmerzte Solch ein R a u b , nicht d ü r f t z u m Schwert n u r greifen Mykenä. „ U n t e r z u g e h n wär einmal g e n u g ! " Zu s ü n d i g e n einmal W ä r es gewesen! Jedoch ihr H a ß z u m Ziel h a t g e n o m m e n Sich das Frauengeschlecht zumal. J e t z t ihnen ein Sandwall M u t gibt, Mut der Gräben Verzug, die winzige Schutzwehr, Die hinzögert den Tod. Sahn sie nicht T r o j a s Umwallung, Die N e p t u n doch h a t t e gebaut, von Feuer v e r n i c h t e t ? D r u m , ihr Erlesenen, auf, brecht mit mir Schanzen und Tore, L a ß t eindringen uns gleich ins angstvoll harrende Lager! W a f f e n Vulkans nicht b r a u c h t s , nicht b r a u c h t s unzähliger Kiele Gegen der Troer Geschlecht, mag zu sich ihnen gesellen G a n z E t r u r i e n auch. Nie haben von uns sie zu f ü r c h t e n Nächtlichen K a m p f , nicht Bilddiebstahl, noch Mord an den Wächtern; Auch kein hölzernes Roß wird uns im Bauche v e r b e r g e n : Offen wir wollen umziehn mit G l u t des Lagers Umwallung. Nicht mit pelasgischem Volk noch Danaern werden sie k ä m p f e n , Die zehn J a h r e hindurch hinhielt der einzige H e k t o r . Doch, d a der bessere Teil des Tags vorübergegangen, N u t z e t den Rest dazu, des Leibs in R u h e zu pflegen, Froh des Erfolgs, und hofft, d a ß Kampf der morgige bringe". Mit W a c h t p o s t e n indes dicht abzuschließen die Tore Wird Messapus betraut, W a c h t f e u e r u m h e r zu bestellen. Vierzehn werden erwählt, den Wall im Aug zu b e h a l t e n ; J e d e r d a v o n f ü h r t mit einhundert treffliche Krieger, L e u c h t e n d im Helmbuschschmuk und golddurchwirkten Gewändern. T r u p p w e i s ziehn auf Posten sie fort. Im Grase gelagert, Sprechen sie zu dem Wein, es kreist der eherne H u m p e n . R i n g s u m flammen die F e u e r ; die N a c h t hinbringen die W a c h e n Schlaflos über dem Spiel. Auf dies Schauspiel schauen herab die Troer u n d halten D i c h t die Zinnen besetzt; m a n p r ü f t sorgfältig die Tore, Schlägt z u m äußeren W e r k vom Wall die nötigen Brücken, T r ä g t auch Waffen herbei. Mnestheus gibt a c h t mit Serestus, Die zu F ü h r e r n ersehn, falls Not einmal es verlange, V a t e r Äneas selbst und zu Herrn in mißlicher Lage. Rings ein T r u p p die Mauer bewacht, der Gefahr h a t erloset;

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IX 175—211

Nisus u n d

Euryalus

Fleißig versieht er den Dienst, den wahrzunehmen ihm obliegt. Nisus, des Hyrtakus Sohn, in Kampf und Waffen erfahren, Hielt am Tore die Wacht. Ihn hatte die Jägerin Ida Mit Äneas geschickt, im Fernkampf jedem gewachsen. Freund und Begleiter ihm war Euryalus. Keiner der Troer In Äneas' Gefolg gleichkam dem Knaben an Schönheit; Eben ihm sproßte der Flaum im Alter der lieblichsten Blüte. Beid' in Liebe vereint, so zogen zum Kampf sie gemeinsam, Hielten auch jetzt die Wacht am Tor als Freunde zusammen. „Sag, Euryalus, legt ein Gott die Glut in die Herzen, Oder wird uns zum Gott das eigene heiße Verlangen? Lang schon sehnt sich mein Herz nach Kampf und anderer Großtat, Findet Genügen nicht mehr wie sonst an friedlicher Ruhe. Schau, welch hohes Vertraun den Feind in allem beseelet: Selten nur blinkt ein Feuer; vom Wein und Schlafe bezwungen Liegen sie da, tief schweiget die Nacht. Laß sagen dir also, Was ich erwäg und welcher Entschluß mir reifet im Herzen. Daß man Äneas hol, ist Wille des Volks und der Führer, Auch daß Boten an ihn abgehn mit sicherer Meldung. Sagt man mir zu, was ich fordre für dich — mir liegt nur am Ruhme — Sieh, so mein ich den Weg dort hinten am Fuße des Hügels Finden zu können zur Stadt, dem Sitz des Königs Euander." Staunend Euryalus hörts, auch ihn treibt Liebe zum Ruhme; Vorwurfsvoll er erwidert dem Freund, der glühet vor Eifer: „Mich du, Nisus, verschmähst, und grad in solchen Gefahren? Ich dich lassen allein bei solch heimtückischem Wagnis? Dazu zog mich der Vater nicht auf, der Kämpfer Opheltes, Mitten im griechischen Krieg, in der Not des troischen Landes, Dazu hab ich mit dir die Stirn nicht geboten den Leiden, Seit ich Äneas folg' und teile sein äußerstes Schicksal. Auch mein Herz am Leben nicht hängt, das willig es hingibt Als nicht teueren Preis für Ruhm, nach dem dich verlanget." Nisus hierauf: „Nie hab von dir ich solches befürchtet, Dürft es auch nicht, so wahr zurück mich wieder dir bringe Juppiter oder ein anderer Gott, der gnädig herabsieht. Rafft mich aber, was häufig geschieht bei solchen Versuchen, Rafft mich hinweg ein Gott, raubt mich ein neidisches Schicksal,

IX 212—248

Nisus und

177

Euryalus

Leben d a n n solltest mir du, der drauf h a t größeres A n r e c h t , Leben doch sollt, wer mich durch Kampf entrisse den Feinden Oder durch Kauf und ehrlich b e s t a t t ' ; wenn beides versaget, Leer mir s c h ü t t e das Grab und weih die Spende dem Fernen. Auch der M u t t e r nicht wollt das Herz so tief ich betrüben, Die von den F r a u e n allein bis hierher, Kind, dich begleitet U n d , nur besorgt u m dich, a u f g a b das starke Segesta." „Nichtige G r ü n d e du häufst, r u f t jener, vergebliche Mühe! Fest mir s t e h t der Entschluß, nichts k a n n den festen e r s c h ü t t e r n . Eilen w i r ! " Gleich die W a c h e n er weckt. Sie beziehen den Posten, Nehmen den Dienst jetzt wahr. Die Freunde verlassen den Torplatz, Suchen Askanius auf, zur Seite dem einen der andre. Ringsum ruhen im Schlaf sorglos die sterblichen Wesen, Finden E r h o l u n g all und vergessen der Mühen und Arbeit. Nur die F ü h r e r der Teukrer, des Volks erlesene J u g e n d , H a l t e n B e r a t u n g ab, was wohl in der mißlichen Lage W ä r e zu t u n und wie dem Äneas K u n d e zu geben. Auf die Lanze g e s t ü t z t , den Schild a u f s t e m m e n d am Boden, Stehn sie m i t t e n im Lager vereint. Da plötzlich erscheinen Nisus, mit ihm sein Freund, und bitten um eiligen Z u t r i t t : Wichtiges m a c h e die Störung w e t t . Iullus als erster N i m m t die Hastigen an und heißt den Nisus sich äußern. H y r t a k u s ' Sohn h e b t a n : „ S c h e n k t , Äneaden, Gehör uns Freundlichen Sinns und m e ß t nicht a b an unseren J a h r e n W a s wir bringen. Es schweigt, vom Wein und Schlafe bezwungen, Rings der F e i n d ; wir haben e r s p ä h t den Ort f ü r den Handstreich A m Zwiewege des Tors, das nächst dem Meere gelegen. D o r t W a c h t f e u e r nicht sind, schwarz steigt n u r Qualm zu den Sternen. W e n n ihr e r l a u b t uns zwein, den Glücksfall eilig zu nutzen, P a l l a n t e u m die S t a d t und Äneas dort zu besuchen, W e r d e t ihr uns nach blutigem Mord mit Beute beladen Wieder zurück bald sehn. Im Weg nicht können wir irren, Weil wir häufig g e j a g t im Tal, die vordersten Häuser Selber der S t a d t schon sahn, des Flußlaufs W i n d u n g e n k e n n e n " . Freudig Aletes r u f t , des Einsicht reiften die J a h r e : „Heimische G ö t t e r , in euerer H a n d s t e h t T r o j a noch i m m e r ! Völlig zugrund wollt ihr d e m n a c h nicht richten die Teukrer, T r e n d e l e n b u r g , Virgils Aeneis.

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IX 249—285

Nisus und Euryalus

Wenn ihr solchen. Entschluß, solch Mut den Jünglingen eingebt". Dabei f a ß t an der Hand, f a ß t an der Schulter er beide, Während ein Strom von Tränen Gesicht ihm netzet und Wangen. „ F ü r so rühmliche T a t wo gibts, ihr Männer, Belohnung? Zwar die schönste zuerst wird euch vom eignen Bewußtsein, Euch von den Göttern gereicht. Hinzufügt andre der König Dankbarn Sinnes sodann und hier sein blühender Sprößling. Niemals ein Iullus vergißt so hohen Verdienstes." „ J a , fällt jetzt Askanius ein, cuch beiden ich schwöre, Der das einzige Heil ich seh in Vaters Errettung, Schwörs bei der Macht der Penaten und bei Assärakus' Laren, Schwörs beim innersten Raum der uralt heiligen Vesta, Euer ist alles was mein: holt nur den Vater zurück mir, Laßt mich wieder ihn sehn! Wenn er da, was ist zu f ü r c h t e n ? Silberner Becher ein Paar Stift ich mit getriebenem Bildwerk, Die der Vater erwarb, als er Arisba bezwungen; Zwei Dreifüße sodann, an Gold zwei schwere Talente, Endlich den Mischkrug alt, das Geschenk der Königin Dido. Ist mirs aber vergönnt, Italiens Land zu gewinnen, Mir, mit der Krone geschmückt, vorwegzunehmen das Beste: Nisus, du sahst ja selbst, welch Roß, welch goldene Waffen Turnus besitzt; sein Pferd, den Schild, den schimmernden Topfhelm Nehm ich aus von der Beute schon jetzt als eure Belohnung. Hierzu kommen dann noch zwölf Fraun von erlesenem Körper, Die der Vater euch schenkt mitsamt den Männern in Waffen, Schließlich das Krongut noch, das König Latinus gehörte. Doch dich, herrliches Kind, das nah mir stehet an Jahren, Mach ich schon heut zum Freund und begrüß als solchen dich herzlich: Seit' an Seite mit dir fortan durchs Leben ich wandle. Nie will suchen ich Ruhm f ü r mich ohn Deine Begleitung, Gleich ob Frieden ob Krieg, dir bleibt mein höchstes Vertrauen Immer bei Rat und T a t . " Euryalus solches erwidert: „Kein Tag soll dem heutigen Tun unähnlich mich finden, Wenn der günstige Stern nur nicht ungünstig sich wandelt. Doch über alle Geschenke hinaus um e i n s ich dich bitte. Mir die Mutter entstammt aus Priams altem Geschlechte. Mit mir zog sie hinaus; nicht konnte die troische Heimat

IX 286—322

Nisus und Euryalus

179

Halten die treue zurück, die Stadt nicht Königs Akestes. Diese verlaß ich nun ohn' Abschied, ohne daß Ahnung Sie von dem Anschlag hat. Die Nacht, die Rechte sind Zeugen, Daß ich tragen nicht kann, zu sehn die Mutter in Tränen. Tröste sie mir und hilf, tuts not, der armen Verlaßnen. Laß die Hoffnung auf dich mitnehmen mich; kühner entgegen Geh den Gefahren ich d a n n . " Die Führer, erschütterten Herzens, Halten die Tränen nicht auf; auch läßt Iullus sie strömen, Ganz im Herzen bewegt vom Bild der kindlichen Liebe. Endlich er folgendes sagt: „ B a u nur auf mich! Mein Wort steht nach nicht deinem Entschlüsse. Sie soll Mutter mir sein und nur der Name Kreusa Wird ihr fehlen. Nicht winzigen Danks ist sicher die Mutter, Die dich gebar. Was immer das Los sei deines Entschlusses, Hier beim Haupte, bei dem oft hat mein Vater geschworen, Schwör ich: Was ich versprach dir selbst bei günstigem Ausgang, Werd einlösen ich treu der Mutter und deinem Geschlechte." W ä h r e n d er weinend so spricht, sein Schwert er reichet dem Freunde, Das, mit Golde belegt, kunstvoll ein kretischer Meister H a t t ' in die Scheide gepaßt; des Stoßzahns Plättchen sie schmückten. Mnestheus schenkt dem Nisus das Fell des schrecklichen Löwen, Endlich den Helm tauscht aus ein anderer Führer, Aletes. Alsbald mächt sich das Paar auf den Weg. Die ganze Versammlung, J u n g und alt, gibt ihnen Geleit bis dicht an die Tore Und wünscht besten Erfolg. Nicht fehlt Iullus der schöne, Der, den Jahren voraus schon Mann an Sinnen und Sorgen, Vieles noch ruft, was den Vater betrifft. Doch neidisch zerpflücket Alles die Luft und trägt es nutzlos hin in die Wolken. Vor dem Lager durchquert das Paar den Graben, im Dunkel Dringts in der Feinde Bereich; viel hier dem Tode sie weihen. Weithin sehn sie zerstreut im Gras die schlafenden Leute Regungslos, aufrecht am Strand die Wagen gerichtet. Männer und Waffen, Geschirr, all das liegt wüst durcheinander Zwischen den Riemen und Rad. Hier bricht der Ältre das Schweigen: „ J e t z t zu wagen es gilt, Freund, selbst es heischet die Lage. Dies ist der Weg. Daß wir nichts brauchen zu fürchten im Rücken, N i m m du dorten die Hut und acht' auf jede Bewegung; 12*

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IX 3 2 3 — 3 5 9

Nisus und Euryalus

Ich will b a h n e n den Weg uns vorn mit blutigen H ä n d e n . " Dies mit verhaltenem Ton er sagt. Greift dann mit dem Schwerte R h a m n e s a n , der hoch auf Teppichen aus sich gestrecket, A t m e n d aus innerster Brust so recht des Schlafes Behagen, König er selbst und als Seher geschätzt beim Könige T u r n u s . Doch nicht reicht seine K u n s t , von ihm das Verderben zu b a n n e n . Nach ihm er drei Diener ersticht, die nahebei lagen, Den Schildhalter sodann des Remus, den Lenker der P f e r d e ; Allen er t r e n n t vom R u m p f die schlaff sich bietenden Hälse. A u c h dem Herrn schlägt ab er den Kopf, läßt liegen den Körper, Röchelnd im B l u t ; das Gerinn f ä r b t schwarz so Boden wie P f ü h l e . Weiter das Blutbad geht. E r t ö t e t den Lämyrus, Lamus, T ö t e t den jungen Serran, der dem Spiel am meisten gefrönet In der vergangenen N a c h t ; von Gestalt schön, lag er bezwungen Ganz von der Fülle des Weins. W ä r er beim Spiele geblieben W e i t e r die N a c h t hindurch und h ä t t erwachet den Morgen! So bricht ein in den Stall, nach Beute begierig, der Löwe — Rasender Hunger ihn treibt —, schleppt fort die weichlichen Lämmer, Die s t u m m bleiben vor Angst, indes ihm schnaubet der R a c h e n . Minder nicht auch E u r y a l u s r a s t ; entflammet von Mordlust, T u t viel Schläfer er ab, wie grad sie liegen am Wege. F a d u s er t ö t e t , Herbesus, d a n n Äbaris, weiter den Rhötus, Ahnungslos die drei, doch R h ö t u s wachenden Auges: F u r c h t s a m h a t t e geduckt er tief sich hinter dem Mischkrug. Grad als er sich erhebt, dringt ihm Euryalus' Eisen Vorn in die B r u s t ; der zieht es heraus, und R h ö t u s v e r b l u t e t . Aus den A t e m er h a u c h t . Wein s t r ö m t mit Blute vermischet Ihm aus dem Mund. F o r t setzt Euryalus hitzig das Morden. Schon will nehmen den W e g er zu Messapus' Genossen, W o die Glut verglimmen er sieht und grasen die Pferde, Richtig gepflockt, als kurz ihm sagt der verständige Nisus, Dems nicht entging, d a ß jener dem Blutrausch völlig v e r f a l l e n : „ H ö r e n wir auf, der T a g bricht a n mit gefährlicher Helle. R a c h e wir n a h m e n genug, der W e g ist frei durch die Feinde." Viel sie lassen zurück an Gerät aus lauterem Silber, Waffen und H u m p e n zugleich u n d köstlich gemusterte Decken. R h a m n e s ' Orden allein und die Riemen mit goldenen Buckeln

IX 360—395

Nisus und

Euryalus

181

N i m m t Euryalus mit, die f r ü h e r dem Remulus schickte K ä d i k u s hin nach Tibur, als G a s t f r e u n d ihm er geworden. Von ihm e r b t e der Enkel sie d a n n ; als dieser gestorben, R a u b t e n die Rutuler sie, n a c h d e m sie Sieger geworden. Sie p a ß t sich Euryalus an zu kurzem Gebrauche, Setzt sich auf des Messapus Helm, den federgeschmückten. Dann sie treten hinaus und gewinnen das sichere Blachfeld. Ansprengt jetzt eine Schar, zur S t a d t der Latiner gehörig, Die m a n geschickt, derweil das Fußvolk lagert im Felde, D a ß sie Nachricht b r ä c h t e n dem Könige Turnus, dem F r e u n d e . An d r e i h u n d e r t es sind unter Volcens, alle beschildet, Dicht am Lager bereits und nah den Wällen des T u r n u s . Schon von ferne sie sehn das P a a r abbiegen nach linkshin; Denn es weist der blinkende Helm im Lichte des Morgens Deutlich E u r y a l u s ' Spur, vom dämmrigen Schimmer getroffen. So v e r r a t e n sie sich. Vom Zug aus rufet der F ü h r e r : „ H a l t , ihr Männer! W a s treibt ihr hier? Wer seid ihr in W a f f e n ? R e d e t , wohin des W e g s ! " Nach Ausflucht jene nicht suchen, S o n d e r n sie fliehn waldein; hier hoffen vom Dunkel sie R e t t u n g . Spornstreichs sprengen die Reiter hinein; v e r t r a u t mit den Wegen, Kreiset m a n ein das Paar, kein Ausweg bleibet den beiden. Eichen und hohes Gesträuch den Bestand ausmachen des Waldes, Der sich weit hinzieht, Dornhecken am Boden ihn dichten, So d a ß selten sich zeigt ein F u ß p f a d neben dem Holzweg. S t a r k e s Gezweig und der Beute Gewicht E u r y a l u s hemmen, Auch in der R i c h t u n g des Wegs läßt F u r c h t den Flüchtigen irren. Nisus e n t k o m m t . Schon ist er entflohn den Blicken der Reiter, Auch dem W a l d , der, später genannt nach dem Namen von Alba, D a m a l s S t a n d p l a t z war f ü r die Herden des Königs Latinus, Als er, hemmend die Flucht, nach dem Freund vergeblich sich umsieht. „ A c h , Euryalus, wo bist du mir, Trauter, v e r l o r e n ? Wie soll wieder zurück ich den Weg, den verwickelten, finden In so trüglichem W a l d ? " R ü c k w ä r t s nachgehend den Spuren M a c h t er sich auf und irret u m h e r im schweigenden Holze. Plötzlich er P f e r d e g e t r a p p , er Geräusch der Verfolgenden w a h r nimmt. U n d nicht währet es lang, d a dringt ihm Lärm zu den Ohren,

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I X 396—432

Nisus und Euryalus

Sieht Euryalus er, den, irregeführt durch das Dickicht Und verwirrt durch das plötzliche Schrein, fortschleppen die Reiter, Trotzdem alles er t u t , sich loszumachen von ihnen. W a s t u n ? Soll mit Gewalt, soll er mit Waffen versuchen, Ihn zu b e f r e i n ? Soll er in die Schar der Feinde sich stürzen, Um durch W u n d e n und Kampf ein rühmliches Ende zu f i n d e n ? Hastig den Speer er an sich zieht mit kräftiger Rechten, Blickt zur Luna hinauf und fleht in brünstgem Gebete: „ S t e h du, Göttin, mir hilfreich bei, du Tochter Latonas, Zier des Sternengewölbs, du strahlende Herrin des Waldes! Bracht auf deinem Altar dir jemals H y r t a k u s Opfer, H a b ich die Spenden vermehrt durch eigene Gaben des Jagdglücks, H a b mit Geschenken f ü r dich ich Giebel und Kuppel geschmücket, Laß mich sprengen die Schar und lenk zum Ziele die Lanze!" Sprichts und entsendet den Speer mit der Vollkraft jeglicher Sehne. Sausend durchfliegt das Geschoß des Dickichts schattiges Dunkel, Dringt in Sulmos Rücken, der grad ihm hält gegenüber. Hier zersplittert der Schaft, in die Brust ihm dringen die Splitter. Heiß ein blutiger Strom beim Sturz entquillet dem Munde, Und tiefröchelnd er schlägt sich den Leib, von Schmerzen gepeinigt. Scheu blickt alles umher. Hierdurch noch kühner geworden, Schleudert ein zweites Geschoß er ab aus der Höhe des Ohres. Neuer T u m u l t . Der Speer durchdringt die Schläfen dem Tagus. Und bleibt haften im Hirn, das ganz die Spitze durchbohret. Volcens w ü t e t umsonst; er kann den Werfer der Lanze Nirgend erspähn, weiß nicht, auf wen er stürzen sich könnte. „ D u sollst büßen indes, r u f t er, mit eigenem Blute Für der beiden Verlust!" und dringt mit gezogenem Schwerte Auf Euryalus ein. Da schreit, wahnsinnig vor Schrecken, Auf der Freund. Er kann nicht mehr sich bergen im Dickicht, K a n n nicht länger den Schmerz ums Leben des Lieben ertragen, „Ich, ich h a b es g e t a n ; auf mich hier richtet das Eisen, R u t u l e r ! Ich allein bin Schuld. Nicht er ist der Täter, K o n n t s ja nicht sein! Zum Zeugen ich ruf den Himmel, die Sterne. Allzuinnig geliebt h a t er mich, seinen Gefährten". Solches er r u f t . Zu s p ä t ! Das Schwert, im Zorne gestoßen, Knickt die Rippen entzwei, zerfleischt den schneeigen Körper.

IX 4 3 3 — 4 6 9

Nisus und Euryalus

183

Auf der Erde sich wälzt Euryalus, über die Glieder Rinnet das Blut, es sinkt der Hals ihm schlaff auf die Schulter: Wie hinwelket und lautlos stirbt die purpurne Blume, Die der Pflug abschnitt; wie der Mohn, vom Regen getroffen, Schlaff läßt sinken das Haupt, wenn schwer drauf lastet das Wasser. Nisus stürzt in den Feind; Volcens vor allem er suchet, Denn auf diesen allein sind alle Gedanken gerichtet. Ihn umringet die Schar, ihm abzuhalten den Gegner. Trotzdem dringet er ein; er schwingt sein blitzendes Eisen, Bis von vorn in den Mund ers stößt dem schreienden Volcens Und, selbst sterbend, dem Feind so raubt als Rächer das Leben. Dann, von Schwertern durchbohrt, auf den Freund er stürzt, den entseelten, Und haucht hier erst aus den Geist mit ruhiger Seele. Glückliches Paar! Sollt irgend mein Lied noch etwas vermögen, Wird an jeglichem Tag die Nachwelt euer gedenken, Solang noch Äneas' Geschlecht den granitenen Felsen Am Kapitole bewohnt und herrscht der römische Vater. Nach dem Siege bemächtigen sich der Beute die Reiter, Und voll Trauer man trägt ins Lager die Leiche des Volcens. Minderes Klagen nicht herrscht, da Rhamnes unter den Toten, Da soviele der Ersten dem e i n e n Gemetzel erlagen, Tot auch Numa, Serran. Unzählbar strömet die Menge Zu den Toten und Stöhnenden hin, zum Platze des Mordes, Der noch lau von Strömen des Bluts, die drüber gerieselt. Untereinander man zeigt die Rüstungen, zeiget den Goldhelm Des Messapus, den Kriegsschmuck auch, den er sich erkämpfet. Schon steht auf Aurora vom safranfarbigen Lager Ihres Gemahls, um neu den Tag der Erde zu bringen. Hell die Sonne schon strahlt, im Licht schon stehen die Dinge, Da ruft Turnus, in Waffen er selbst, die Mannen zum Kampfe. Jeder die Seinigen f ü h r t in erzumfunkeltem Zuge Und facht an den Zorn durch Aufbausch bunter Gerüchte. Auf zwei Lanzen gesteckt, ein herzzerreißender Anblick, Trägt mit lautem Geschrei die Schar die Köpfe der Freunde Vorn dem Zuge voran. Links auf der Höhe des Walls — rechts schützt das Lager der Tiber — Haben in Reih und Glied sich auf die Troer gepflanzet,

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IX 470—505

Klage der Mutter des Euryalus

Halten besetzt der Gräben Bereich und schützen die Türme, Bar des Herrn, durchschauert zugleich vom Blick auf die Köpfe, Allzubekannt den Armen, obwohl von Eiter entstellet. Fama durcheilt indes auf beflügelten Sohlen das Lager: Auch Euryalus Mutter erfährt vom Tode des Sohnes. Gleich aus dem Körper entweicht die Lebenswärme der Armen, Gleich das Schiffchen entfällt der Hand, sich verwirrt das Gewebe. Dann sie das Haar sich rauft und stürmt laut schreiend nach draußen. In wahnsinnigem Lauf eilt sie zur Wehr, zu den Leuten Vorn auf dem Wall, denkt nicht der Gefahr, der Geschosse, der Männer, Völlig erfüllt von Schmerz und ruft zum Himmel die Klagen: „So muß, Sohn, ich wieder dich sehn! So bist du des Alters Stütze mir einst? Grausam hast du mich Arme verlassen, Hast mir nicht mal gegönnt, als Todesgefahren du suchtest, Dir Lebewohl zu sagen, das letzte, der Mutter dem Sohne! Ach, in der Fremde du liegst zur Beute latinischen Hunden, Liegst den Geiern zum Fraß. Das Geleit nicht dürft ich dir geben, Nicht zudrücken das Aug, dir nicht auswaschen die Wunde, Nicht dich hüllen ins Leichengewand, dran tages und nächtens Eifrig ich wob, um mir die Sorgen des Alters zu bannen. Wo dich suchen? Wo ruhen denn, ach, die zerrissenen Glieder, Ruht der verstümmelte Leib? Dies, Sohn, ist alles, was du mir Mitbringst? Drum bin ich dir gefolgt durch Länder und Meere? Gibt Erbarmen es noch, auf mich dann richtet die Pfeile, Rutuler, tötet zuerst mich hier durchs Eisen der Speere. Oder erbarm du dich, allmächtiger Vater der Götter! Mag dein Blitz mich verhaßtes Geschöpf gleich strecken zu Boden, Da nicht anders ich kann abtun das grausige Leben". Jeden erschüttert das Leid, aufseufzt die Reihe der Krieger, Allen es nimmt den Mut, zum Kampf raubts allen die Kräfte. Dem zu machen ein End, wird von Idäus und Aktor Auf Ilioneus' Rat, dem beistimmt weinend Iullus, Sie nach Hause geführt, aufrecht von den Männern gehalten. Jetzt der eherne Schall erdröhnt der fernen Trompete, Ihm gleich folget Geschrei, das hoch aufsteiget zum Himmel. Volsker beginnen den Sturm. Im Gleichschritt nahet das Schilddach.

I X 506—543

Sturm aufs Lager

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Einige füllen die Gräben, am Schanzwerk andere reißen. Zugang suchet man hier, dort legt an die Mauer man Leitern, Wo die Besatzung dünn und der Kranz sich zeiget der Zinnen Durch die Lücken der Reihn. Dem Angriff wehren die Teukrer, Schleudern Geschosse herab und stoßen mit kräftigen Stangen, Mauern zu schützen geübt durch, ach, so lange Gewöhnung. Hier Felsblöcke herab man wirft von gewaltiger Schwere, Ob durchbrechen sich läßt das Schilddach; doch die Geschützten Trauen dem Dach und schieben sich vor trotz aller Gefahren. Aber die Kraft nicht reicht; denn als die Masse heran ist, Wälzen die Teukrer herab ein Felsstück solchen Gewichtes, Daß es das Dach durchdrückt und Scharen des Feindes zermalmet. Nicht mehr wollen in blindem Gefecht die Rutuler streiten, Sondern mit offenem Aug den Feind vom Walle verjagen Durch der Geschosse Gewalt. Jetzt an anderem Ort Mezentius schwinget die Fackel, Schrecklich zu sehn, und bringt an den Wall dichtqualmendes Feuer, Während der Sprosse Neptuns Messäp, der Rossebezwinger, Einreißt Stücke des Walls und laut Sturmleitern verlanget. Musen, Kalliope, helft, wenn ich zu sagen versuche, Welch ein blutiges Bad damals anrichtete Turnus, Wen zum Orkus hinab ein jeder entsandte der Helden, Und entrollet mit mir der Schlacht unendlich Gemälde: Ihr ja, Göttinnen, wißts und könnts auch andere lehren. Mit Zugbrücken ein Turm dasteht von riesigem Ausmaß. Äußerst gelegen am Platz. Ihn suchen die Feinde zu nehmen So mit aller Gewalt, zu stürzen durch starke Maschinen, Wie durch der Steine Gewicht die Troer zu schützen ihn suchen, Durch der Pfeile Geschwirr, die sie Schießscharten entsenden. Glücklich ihn Turnus bewirft als erster mit brennender Fackel, Setzt einen Teil in Brand, der schnell auflodert im Winde, Weiter dann um sich greift und Nahrung findet am Holzwerk. Drinnen Verwirrung herrscht, man sucht vorm Feuer zu flüchten. Alles sich drängt und schiebt kopflos nach der anderen Seite, Die noch vom Feuer verschont; da stürzt vom Übergewichte Plötzlich zusammen der Turm mit weithin schallendem Krachen. Halbtot werden vom riesigen Bau zu Boden gerissen Alle, von eignen Geschossen gespießt, durchbohrt von den Splittern,

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IX 544—580

Der Sturm

Die beim Bersten entstehn. Kaum einer, Helenor, mit Lykus K o m m t mit dem Leben davon. Den Jüngsten von ihnen, Helenor, Hatte dem König von Lydien einst eine Sklavin geboren Und in verbotener Wehr zum Krieg um Troja gesendet, Bloß mit dem Schwert und Schild, dem ruhmlos fehlte das Zeichen. Als er umringt sich sieht von Tausenden feindlicher Krieger, Als ihn von rechts und links die Reihn der Latiner bedrängen, Tut ers gleich dem Wild, das, dicht umschlossen von Jägern, Andringt wider den Kreis, sich offenen Auges dem Tode Preisgibt und im Sprung hinwegsetzt über die Speere. Gradso stürzt in die feindlichen Reihn der entschlossene Jüngling, Wo die Lanzen am dichtesten dröhn, des Todes gewärtig. Lykus, der besser zu Fuß, erreicht inmitten der Feinde Bald die Mauer im Lauf, müht sich, die Zinnen zu fassen Und zu packen die Hand, die Gefährten entgegen ihm strecken. Ihm ist Turnus gefolgt; im Bewußtsein sicheren Sieges Fährt er mit Worten ihn an: „Du hoffst, Wahnsinniger, wirklich Auf Entkommen noch j e t z t ? " Er rufts und reißt den Verlornen, Während er hängt, zurück, mit ihm auch Teile der Mauer. So beim Fluge zur Höh trägt fort des Juppiter Adler In den gebogenen Klaun den Schwan, den ängstlichen Hasen Oder entführt der martische Wolf ein Lämmchen der Hürde, Das die Mutter dann sucht mit Geblök. Einmütig ein Aufschrei Folget der T a t ; man stürmt, wirft füllenden Schutt in die Gräben, Schleudert auch über den Wall des Kienspans loderndes Feuer. Hart Ilioneus schlägt mit des Felsstücks schwerem Gewichte Den Lucetius, der dem Tor sich nahet mit Fackeln, Liger Emäthion trifft, Asilas den Corynäus, Trefflich den Wurfspeer der handhabt, wie jener den Bogen; Cäneus den Ortygius fällt und Turnus den Cäneus, Diesem auch Itys erliegt und Clönius, auch Dioxippus, Prömolus, Sägaris auch und vorn im Turme noch Idas; Capys erlegt den Privernus. Zuerst ihn h a t t e Themillas Leicht mit der Lanze gestreift; da greift im Schutze des Schildes Er nach dem Riß: ein Pfeil fliegt an mit befiederter Schnelle, Heftet die Hand ihm fest an die Brust, dringt ein in die Lunge Und zerreißet des Atems Quell mit tödlicher Wunde.

IX 581—613

Der ruhmredige

Numanus

187

Prächtig in leuchtender Wehr steht dort der Sprosse des Arcens: Reich ist der Mantel gestickt, aus spanischem Purpur gefertigt, Selbst er schön von Gestalt; zum Krieg ihn sandte der Vater. Auferzogen er war am Symäth, im Haine der Mutter, Wo des Palicus Altar man reich mit Gaben bedachte. Ihn sich Mezentius nimmt zum Ziel; die Lanzen er fortlegt, Schwingt um den Kopf dreimal die Halfter der sausenden Schleuder, Trifft mit dem flüssig gewordenen Blei die Schläfe des Jünglings, Sprengt in Stücke sie ganz und streckt ihn lang auf den Boden. Damals zuerst im Kampf Askanius spannte den Bogen, Den auf der J a g d er nur bisher zu brauchen gewohnt war. Jetzt er erlegte damit den tapferen Krieger Numsnus, Der auch Remulus hieß und die jüngere Schwester des Turnus Jüngst heimführte zur Eh, der Mann aus dem Volke die Fürstin. Er in vorderster Reih ruhmredig prahlte mit Worten, Wert zu berichten zugleich und unwert; schwellend von Hochmut, Spielt er gewaltig sich auf und ruft mit erhobener Stimme: „Schämt, ihr Phryger, euch nicht, ihr doppelt Gefangenen, wieder Euch zu verstecken im Wall, den Tod durch Mauern zu bannen? Seht, welch Helden sich uns zum Krieg durch Ehe verbunden! Welch ein Gott hat her euch geführt, welch eitle Verblendung? Hier Atriden nicht sind, kein zungengewandter Ulixes: Wir, ein hartes Geschlecht, zum Fluß gleich tragen die K i n d e r , Stählen durch Wasser den Leib, scheun auch nicht eisige Kälte; Frönen als K n a b e n der Jagd mit Lust in dichtem Gestrüppe, Pferde zu tummeln ist Spiel, ein Spiel den Bogen zu spannen; Kann, an Karges gewöhnt, dann Arbeit tragen die J u g e n d , Zwingt mit dem Karst sie das Land, mit dem Schwert sie feindliche Städte. Stets ist Eisen begehrt. Im Frieden wir wenden den Wurfspeer, Treiben den Stier am Pfluge damit. Auchs A l t e r , das träge, Schwächt nicht die geistige Kraft, noch nimmts dem Körper die Frische: Unser ergrauendes Haar im Helm wir bergen, auf Beute Gehn wir jeglichen Tag, vom Raub wir fristen das Leben.

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IX 614—647

Askanius' Erstlingstat

Euch die Gewandung glänzt von Goldschmuck, glänzet von Purpur, Nichtstun liebet ihr sehr, gar sehr dem Tanzen ihr huldigt. Ärmel am Leibrock sind, Kinnbänder euch halten die Mütze. Phrygierinnen, nicht Phrygier ihr. Zu Dindymas Höhen, Wo der Geübte versteht, die doppelten Flöten zu blasen, R u f t der idäischen Mutter Musik, Handpauken und Pfeifen: Geht! Laßt Männern das Schwert, weicht, Weiber, vom männlichen Eisen!" Nicht Askanius trägt solch Reden und hämisches Prahlen, Tritt gegenüber ihm dreist, schußrecht den Pfeil auf der Senne, Zieht des Bogens Gehörn zur Brust mit kräftiger Rechten Und bleibt stehn, ein Gebet vorher zum Himmel zu senden: „ J u p p i t e r , mächtigster Gott, sei huldreich meinem Beginnen. Feierlich will ich selbst zum Tempel Geschenke dir bringen, Will vor deinem Altar aufstellen den glänzenden Jungstier Mit vergoldeter Stirn, so hoch wie die Mutter gewachsen, Der mit dem Horn schon stößt und Sand aufwühlt mit den Hufen." Gnädig vernimmts der Schöpfer der Welt, aus heiterem Himmel Donnert er links, unmittelbar klingt der tödliche Bogen: Abfliegt sausend der Pfeil mit unheilvollem Geschwirre, Trifft des Remulus Kopf, durchbohrt die Schläfen ihm beide. „Geh! Hochmütigen Sinns schmäl jetzt der anderen T a t k r a f t ! Dieses zur Antwort euch! Die doppelt gefangenen Phryger." Kein Wort fügt Askanius zu. Laut jubeln die Teukrer, Jauchzen vor Freud, ihr Mut sich bis zu den Sternen erhebet. Grad sieht damals Apoll, der lockenumwallte, hernieder Aus ätherischem Raum auf die Stadt und der Ausoner Reihen, Thronend auf Wolken er anspricht so den Sieger Iullus: „Heil, mein Knabe, zur Erstlingstat! So gehts zu den Sternen. Du, von Göttern gezeugt, bist Götter zu zeugen berufen. Ein Assarakussproß wird künftigen Kriegen ein Ende Machen, wie das sein Recht. Dein Tun fand Raum nicht in Troja." Sprichts und läßt sich herab; er teilt die wehenden Lüfte, Eilt zu dem Jüngling hin. Es nimmt die Züge des greisen Butes an der Gott. Der trug Anchises die Waffen

IX 6 4 8 — 6 8 3

Das Tor des Lagers geöffnet

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Einst und hütete treu sein Haus als Wächter des Tores, Bis dem Sohn ihn gab zum Begleiter der Vater Äneas. Dem ganz gleich in allem, an Stimm' und Haaren und Farbe, Doch noch kräftig genug, die klirrenden Waffen zu tragen, Schreitet heran der Gott, Iullus' Eifer zu hemmen: „Laß dir gnügen für jetzt am Tod des einen, Änide! Dies dein erstes Verdienst gönnt gern dir Phöbus Apollo Und er neidet dir nicht den Gebrauch der eigenen Waffe. Doch nun genug des K a m p f s ! " Kaum hat er dieses gesprochen, Als der Gott abstreift die Menschengestalt und den Blicken Schnell sich wieder entzieht, im luftigen Äther verschwindend. Leicht erkennen den Gott und die göttlichen Waffen die Fürsten, Hören auch fern noch deutlich den Klang des klirrenden Köchers. Drum vom Kampf sie halten zurück Askanius' Eifer Nach dem Willen des Gotts; sie selbst dann wieder zurückgehn In die Schlacht und setzen aufs Spiel von neuem das Leben. Kampfruf wieder ertönt, soweit sich dehnen die Schanzen, Bögen man spannt und Speere man wirft aus wirbelnden Riemen. Weit mit Geschossen der Boden sich deckt, es tönen beim Anprall Schild' und gehöhlete Helm, es erreicht das Ringen den Höhpunkt, Wie wenn, kommend von West zur Zeit der stürmischen Böckchen, Regen das Flachland peitscht, aus dunkelen Wolken der Hagel Schlägt aufs Wasser herab, die Windsbraut donnernde Wetter Führt mit Güssen herauf und Blitze den Himmel zerreißen. Pandarus, Bitias, beid' Alkänors Söhne vom Ida, Die beim Juppiterhain aufzog I-ära, die Nymphe, Jünglinge, hoch an Wuchs wie die Tannen des heimischen Berges, H a t t e zu Wächtern bestellt Mnestheus am Tore des Lagers. Kühn sie schließen es auf, den Feind ins Innre sie laden. Beid sie stellen sich hin gleich Türmen zu Seiten des Eingangs, Eisenbewehrt, das Haupt umnickt von schimmernden Büschen. So sieht Paare von Eichen man stehn an klaren Gewässern, An den Rändern des Po, der Etsch anmutigen Ufern, Die zusammen ihr Haupt, das belaubte, zum Himmel erheben, Uns zunicken aus luftiger Höh mit erhabenem Scheitel. Wie die Rutuler sehn, daß weit sich öffnet der Zugang,

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IX 684—719

Kampf am Tor

Dringen sofort Quercens und Aquiculus, trefflich gerüstet, Marus auch hastigen Muts, dazu der tapfere Hämon Samt ihren Scharen hinein: doch müssen den Rücken sie wenden Oder sie finden den Tod gleich auf der Schwelle des Tores. Drüber entflammt noch mehr Kampfwut die Herzen der Gegner. Enger sich schließen zu Reihn die Troer, zusammengerottet Dringen nach außen sie vor und gewinnen nicht wenig an Boden. Während an anderer Stell' erfolgreich wütet der Führer Turnus' und vorwärts dringt, zukommt ihm plötzlich die Botschaft, Daß zum Angriff schreite der Feind, die Tore geöffnet. Absteht er von seinem Beginn, in grimmigem Zorne Stürzt er zum Dardanertor aufs Paar hochmütiger Brüder. Auf Antiphates erst, den natürlichen Sohn des Sarpedon, Den eine mysische Mutter gebar, er schleudert die Lanze, Streckt zu Boden ihn gleich; es saust der italische Wurfspeer Hin durch die Luft, durchbohrt den Schlund und dringet von oben Ihm in die Brust; ein Quell dem Riß der tödlichen Wunde Schäumend entspringt, der Stahl wird warm im Blute der Lunge. Merops er abtut mit dem Schwert, Erymänt und Aphidnus, Bitias aber, des Herz und Aug' erglühen in Kampflust, Gilt nicht der leichtere Speer, der nicht ihm nähme das Leben, Nein, der wuchtige Schaft, der, wergumhüllt an der Spitze, Einschlägt gleich einem Blitz. Ihm hält der doppelte Stierschild, Hält der Panzer nicht stand trotz seiner verdoppelten Schuppen. Nieder da stürzt in den Staub des Jünglings riesiger Körper; Dröhnend der Boden erbebt, der Schild fällt krachend darüber. So bei Bajä stürzt manchmal ein steinerner Pfeiler, Den vorher man gebaut, als Grund zum künftigen Damme Ihn zu versenken im Meer; es kippt die gewaltige Masse Um am Strand und bohrt beim Sturz sich tief in die Watten. Hoch aufflutet das Meer, Sand steigt in Masse vom Grunde, Procida selbst erdröhnt und Ischia, die dem Typhöeus Ward zum Lager bestimmt nach Juppiters strengem Gebote. Jetzo verleiht der mächtige Mars aufs neu den Latinern Kraft und Mut, auf sie kehrt er den spitzigen Stachel, Doch in die troische Brust läßt Flucht er ziehen und Fürchten.

IX 720—753

T u r n u s im Lager

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Allseits tobet der Kampf, der fort sich immer erneuert, Aller Gemüter erhitzt der Kriegsgott. Gleich als Pandarus sieht zusammengebrochen den Bruder, Daß sich gewendet das Spiel und Zufall wirkt in den Schlachten, Dreht in den Angeln er zu das Tor mit mächtigem Anstoß, Stemmt mit den Schultern sich vor, schließt aus vom Lager gar viele, Läßt sie draußen zurück schutzlos zu härtestem Kampfe. Andere wieder er schließt mit ein, auch tapfere Gegner, Tor er, der nicht sieht, daß der Rutulerkönig darunter, Den er selber somit aufnimmt im troischen Lager, Wie den Tiger im Stall, den Räuber der ängstlichen Lämmer. Wilder sein Blick als je sprüht aus vernichtendes Feuer, Schrecklicher klinget das Erz, noch drohender nicket der Helmbusch, Und dem geschwungenen Schild entglühn verdoppelte Blitze. J e t z t auch die Troer, verwirrt, die mächtigen Glieder erkennen, Jetzt das verhaßte Gesicht. Hervorspringt Pandarus plötzlich Und in grimmiger W u t ruft er zum Mörder des Bruders: „Dies ist das Reich hier nicht, das zur Mitgift heischet Amata, Hier nicht Ardea schützt mit heimischen Mauern den Turnus. Dies das Lager des Feinds, aus dem du nimmer entkommest." Lächelnd, gelassenen Sinns hierauf ihm Turnus erwidert: „Fange nur an, hast Mut du dazu, kreuz mit mir die Waffen! Auch hier lebt ein Achill, du wirsts ja Priamus melden." Jener zum Wurfspeer greift, dem knotigen, rindenumgebnen, Wirft auf Turnus ihn ab mit Spannung jeglicher Muskel. Aber der Wurf geht fehl; vorm sicheren Treffer des Starken J u n o Turnus bewahrt, im Tor bleibt stecken die Lanze. „Diesem Geschoß, ruft Turnus drauf, das ich schwing in der Rechten, Wirst du nimmer entgehn, dafür bürgt Hand mir und Waffe." Sagts und hoch er sich hebt zum Schlag mit geschwungenem Schwerte. Zwischen den Schläfen er teilt die Stirn mit wuchtigem Hiebe, Teilt auch die Backen zugleich, die glatt des Flaumes entbehren. Krachender Ton! Vom Gewicht wird stark der Boden erschüttert. Kraftlos streckt er im Tod zur Erd die Glieder und Waffen,

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IX 754—788

Kampf im Lager

Dick vom Hirne bespritzt; ihm hängt die Hälfte des Kopfes Hier von der Schulter herab, auf der anderen Seite die zweite. J ä h von Schrecken gepackt auseinander da stieben die Troer. Hätte der Sieger sofort jetzt dafür Sorge getragen, Aufzubrechen das Tor, ins Lager zu lassen die Freunde, Wahrlich es hätte dem Krieg und Volk die Stunde geschlagen. Doch den Hitzigen treibt Blutrausch, wahnsinnige Mordlust In die Troer hinein. Erst den Phäleris er abfängt, durchschneidet dem Gyges Sehnen und Knie und raubt den beiden die Lanzen; er schleudert Sie den Fliehenden nach, K r a f t gibt ihm Königin Juno. Diesen er Halys gesellt, Phegeüs, des Schild er zerschmettert Dann auf der Mauer noch manchen, der abwehrt außen die Feinde, Hälius und Alkänder, den Prytanis und den Noemon. Lynkeus dreht sich herum und ruft zu Hilfe Genossen, Doch ihm kommt er zuvor, stellt rechts vom Damm sich entgegen, Schlägt mit kräftigem Hieb ihm ab das H a u p t von den Schultern, Daß mit dem Helm es weithin rollt. Den Vernichter des Wildes Amycus dann er erlegt, der wie kein andrer Geschosse Tödlich zu machen verstand und Gift aufs Eisen zu streichen; Clytius, Äolus' Sohn, den musenbefreundeten Cretheus, Ihn, den Diener des Lieds, dem stets am Herzen Gesänge Lagen und Kitharspiel, Melodien der tönenden Saiten, Der von Rossen nur sang, von Waffen und Helden und Kämpfen. Als das Morden geschehn, da scharen die Führer der Teukrer, Mnestheus und der scharfe Serest, sich endlich zusammen, Sehn die Freunde zerstreut, den Feind im Herzen des Lagers. Mnestheus r u f t : „Was flieht ihr von hier? Wo wollt ihr euch bergen ? Habt ihr anderen Schutz, habt ihr noch andere Mauern? Soll ein einziger Mann, von e u e r e n Wällen umschlossen, Straflos hier sich baden im Blut, in euerem Lager? Straflos senden zum Orkus hinab die Blüte der J u g e n d ? Feiglinge, schämt ihr euch nicht, fühlt ihr denn nimmer Erbarmen Mit Äneas, der Heimat neu, den alten P e n a t e n ? " So stärkt er den Scheuen den Mut und bringt sie zum Stehen.

IX 789—818

Turnus rettet sich durch einen Sprung in den Tiber

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Jetzt aus dem Kampfe zurück zu gehn scheint Turnus geraten, Aufzusuchen den Fluß, der offen das Lager begrenzet; Doch um so heftiger setzt ihm zu die Schar der Trojaner, Dichter und dichter geballt. Wenn Jäger den grimmigen Löwen Hart mit Geschossen bedrohn, rückwärts er weichet bedachtsam Bissig und funkelnden Augs; zur Flucht sich zu wenden gestattet Weder ihm Zorn noch Mut; doch kann er ihrer erwehren Sich nicht länger, wenngleich ers möcht, weil ihrer zu viele: Gar nicht anders zurück lenkt Turnus gezwungen die Schritte, Doch mit Bedacht und R u h : Ingrimm ihm wütet im Herzen. Zweimal stürzt er sich noch in die rings andringenden Feinde, Zweimal treibt er sie noch zu hastiger Flucht durch das Lager. Doch zusammen sich schart nunmehr die ganze Besatzung, Kraft ihm neu zu verleihn auch Junos Wille nicht waget; Denn vom Himmel herab hat Juppiter Iris gesendet Und der Schwester gedroht mit unnachsichtigem Eingriff, Wenn nicht Turnus sogleich das troische Lager verlasse. Deshalb er zur Wehr, zum Angriff Kräfte nicht findet, Als überschüttet er wird vom Hagel der dichten Geschosse. Unausgesetzt sein Helm erdröhnt von wuchtigen Würfen Und das erzne Gefüg zerspringt im Wirbel der Steine. Auf dem Scheitel der Helmbusch reißt und unter den Hieben Klafft der Nabel des Schilds; der Feind verdoppelt die Würfe, Mnestheus blitzet darein. In Schweiß ist Turnus gebadet, Der in Strömen ihm rinnt; kaum kann noch Atem er schöpfen, Ein mühseliges Keuchen durchzuckt die Glieder des Müden. Jetzt erst stürzt mit den Waffen er sich kopfüber im Sprunge In den rettenden Strom. Leis murmelnd nimmt im Gewässer Dieser den Flüchtigen an und trägt auf ruhigen Fluten Ihn zu den Seinen zurück, wäscht ab die Spuren des Kampfes.

T r e n d e l e n b u r g , Virgils Aeneis.

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X 1—29

Oötterrat

Zehntes Buch Götterrat.

Aneas' Rückkehr mit dem Geschwader der Bundesgenossen. Schlacht

Weit sich öffnen indes die Pforten des hohen Olympus, Und zur Versammlung ruft der Vater der Götter und Menschen Am sternstrahlenden Sitz, von wo hochthronend die Länder Er überschaut, der Dardaner Stadt, die latinischen Völker. Als die Götter im Haus beisammen nun, also beginnt er: „Wie doch, Himmelsbewohner, entfernt sich euere Meinung Von der meinen soweit, daß ihr entbrennet in Zwietracht? Ich nicht hatte gewollt Italiens Krieg mit den Teukrern. Doch welch Hader bekämpft das Verbot? Und welche Befürchtung Treibt in den Kampf bald die, bald läßt mitringen sie jene? Kommen wird einst die Zeit, wollt nicht sie beschleunen, der Kriege, Wann Karthagos Grimm den römischen Burgen Vernichtung Androht und mit Heeren durchbricht die Mauer der Alpen: Dann stehts frei zu hadern und teilzunehmen an Schlachten. Doch jetzt haltet euch fern, schließt gern ein nützliches Bündnis!" Juppiter sagt so weniges nur; nicht weniges aber Venus darauf: „Vater, der Sterblichen Herr, des Weltalls ewiger Lenker! Wen denn könnten wir sonst angehn mit unseren Bitten? Siehest du nicht, wie dreist die Rutuler? Turnus darunter Hinsprengt hoch auf herrlichem Roß, vom Glücke verhätschelt Tobt er im Kampf! Kein Schutz sind mehr für Teukrer die Mauern: Ja, gleich hinter dem Tor, am Wall der inneren Schanzen Schon entbrennet der Streit, von Blut schier fließen die Gräben. Fern ohn Kunde verweilt Äneas. Läßt du nicht lindern J e der Belagerten N o t ? Das wieder erstehende Troja Soll von neuem ein Feind, ein Heer von neuem bedrohen? Soll Diomed aufstehn aufs neu vom ätolischen Arpi Gegen die Teukrer? Es fehlt nur noch, daß Wunden mir drohen,

X 30—65

Qötterrat

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Daß ich, Juppiters Kind, den Stich fühl menschlicher Waffen. Hast du nimmer gewollt, daß einst Italiens Küste Nähm sich der Flüchtigen an, nun wohl, so sollen sie büßen Ohne des Juppiter Schutz; doch folgten allein sie den Sprüchen, Die doch Himmel und Manen gesandt, wer kann da vernichten Deinen Befehl, wer gar festsetzen ein anderes Schicksal? Soll ich erinnern daran, daß am Eryx brannte die Flotte? Soll ich erinnern daran, daß Sturm der König der Winde Schickt' von Äoliens S t r a n d ? An Iris, die wolkengetragne? Jetzt gar rufet und reizt — bisher als Mittel verschmähet — Allekto den Erebus auf; als Himmlischer Werkzeug Rast in bacchischer Wut sie durch Italiens Städte. Um das Reich ich sorge mich nicht: drauf hofft' ich so lange, Wie zu hoffen erlaubt; jetzt sieg, wen du dir erkoren. Findet sich nicht ein Platz, den Junos eiserner Starrsinn Dardanern gönnt, laß dich bei Trojas rauchenden Trümmern, Vater, beschwören um eins: gib, daß den Kämpfen entrinne Heil Askanius! Gib, daß bleib am Leben ein Enkel. Mag, wenns anders nicht geht, Äneas irren auf Meeren Heimatlos, mag welchem Geschick er immer verfallen: Jenen zu retten verleih, ihn laß dem Krieg mich entführen! Mein ist Amathus, mein Idälium, mein auch Kythera, Paphus ist mein: hier bring, hat niedergelegt er die Waffen, Ruhmlos hin er das Leben. Karthago mag dann gebieten Über Ausoniens Flur; von ihr wird tyrischen Städten Nichts entgegen mehr stehn. Was halfs, des Krieges Verhängnis Heil zu bestehn, zu schlagen sich durch beim Brande der Hauptstadt, Halfs zu besiegen des Meers, des unendlichen Landes Gefahren, Solang Latium noch und Pergama suchen die Teukrer? Hätten sie da nicht besser gewohnt auf heimischen Trümmern, Auf dem Boden, wo Troja s t a n d ? Gib Xanthus, Simöis, Gib sie den Armen zurück; laß, Vater, die Teukrer erleben Nochmals Iliums Fall!" Hierauf die Königin Juno Grimmig versetzt: „Was zwingest du mich, zu brechen das Schweigen, Aufzureißen den Schmerz, den eben verharschten, mit W o r t e n ? Trieb Äneas ein Mensch, trieb ihn denn einer der Götter, 13*

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X 66—101

Götterrat

D a ß er, des Kriegs nicht satt, Feind ward dem König Latinus? Gut, nach Schicksals Zwang sucht' er Italiens Küste, Durch Kassandras Rasen gereizt; hab ich denn geraten, Aus dem Lager zu ziehn, aufs Spiel zu setzen das Leben, Anzuvertraun dem Kinde das Heer, die Führung des Krieges, Aufzudrängen den Bund dem friedlichen Volke der T u s k e r ? Welch Gott täuschte denn hier? Ward mir entscheidender Einfluß? Was t a t Juno hier? Was Iris, die wolkengetragne? Ists nicht recht, wenn Italer Brand ins werdende Troja Werfen, wenn Turnus im Kampf den heimischen Boden beschützet, Dem Pilumnus ein Ahn, dem Nymphe Venilia M u t t e r ? Ists mehr recht, daß Troer Gewalt antun den Latinern, Fremdem Gebiet auflegen ihr Joch, Jagdbeute vereiteln? Schwieger sich suchen, der Eltern Gewalt entführen Verlobte, Mit Ölzweigen die Hand, das Heck ausstatten mit W a f f e n ? Heimlich konntest entziehn du doch Äneas den Griechen, Konntest anstelle des Manns vorzaubern Nebel und Lüfte, Konntest der Troer Gefährt' in Seejungfrauen verwandeln: Ists da Frevel, wenn wir Partei für die Rutuler n e h m e n ? „Fern ohn Kunde verweilt Äneas." Laß ihn verweilen! Dein Idalium ist, dein sind auch Paphus, Kythera: Was denn gibst du mit Krieg dich ab und rauhen Gemütern? Suche denn ich dir nur der Phrygier wankende Herrschaft Umzustürzen? Nur ich? Wer gab denn „ a r m e " Trojaner Preis dem griechischen S t a h l ? Wer ließ denn feindlich Europa Treffen auf Asiens Macht? Den Ehbund heimlich zerreißen? Hat der troische Buhle durch mich sich Spartas b e m ä c h t i g t ? Hab ich Waffen verteilt, den Krieg durch Amor verlängert? Damals ziemte dir Furcht um die Deinigen; heute f ü r Klagen Ist es zu spät, zu spät für des Wortstreits nichtig Entfachen." Als dies Juno gesagt, ertönt im Kreise der Götter Beifallsmurmeln gedämpft, wie wenn einsetzende Böen Spielen zuerst im Wald und dumpf nur rauschen in Wipfeln, Die, Vorboten des Sturms, den kommenden künden den Schiffern. Jetzt nimmts Wort der Herrscher des Alls, der Vater der Götter; Während er spricht, da schweigt das Haus der Himmelsbewohner,

X 102—136

Sturm aufs Lager

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Schweigt des erschütterten Erdballs Grund, das Sternengewölbe, Schweiget des Zephyrs Hauch, glatt ruht die Fläche des Meeres: „Also vernehmet mein Wort, hegts fest in euerem Herzen. Da das Geschick nicht will, daß Freundschaft zwischen den Teukrern Und Ausoniern sei, kein End' ihr findet des Hadems, Will, was heute verleiht an Glück und Hoffen das Schicksal, Ich, ob Troer es sind, ob Rutuler, beiden belassen, Mag der Italer Glück schuld sein an des Lagers Umzinglung, Oder der Troer Versehn auf Grund ungünstiger Sprüche. Doch auch die Rutuler lös' ich nicht: jedweder ertrage, Was ihm bestimmt an Not; Herr bin ich allen derselbe. Schicksal findet den Weg." Beim Strom des stygischen Bruders, Bei den Ufern, die Pech umtost in schwärzlichen Strudeln, Nickt er still mit dem Haupt und macht den Olympus erbeben. Hier die Beratung schließt. Vom Thron jetzt Juppiter aufsteht: Bis zur Schwelle des Saals ihn all die Götter geleiten. Zu den Toren indes aufs neu die Rutuler stürmen, Tod zu tragen hinein, am Wall zu schüren das Feuer Hinter den Mauern hält, ohn Hoffnung fliehen zu können, Sich der Dardaner Schar. Sie stehn im Schutze der Türme, Wenige haben besetzt des Ringwalls offene Zinnen. Asius, Imbrasus' Sohn, Thymötes, Sproß Hiketäons, Auch der Assärakus zwei, dann Thymbris, der alte, mit Kastor Stehn im vordersten Glied; Sarpedons leibliche Brüder, Die von Lykien kamen zugleich mit Klarus und Thämon. Voll setzt ein die Kraft, ein Felsstück näher zu schieben, Eines Gebirgs nicht winzigen Teil, der Lyrnesier Akmon, Gleich an Größe dem Vater und gleich dem Bruder Menestheus. Hier mit Lanzen man wirft; der Feind sich wehret mit Schleudern, Schießt Brandpfeile hinauf und wergumwickelte Stämme. Unter den Kämpfern erscheint, der Venus triftigste Sorge, Sieh, das troische Kind, das H a u p t ohn jede Bedeckung, Lichthell, wie das Juwel rein strahlt in goldener Fassung, Schmuck f ü r Kopf und Hals; nicht anders schimmert das Zahnbein, Wenn Buchsbaum es umrahmt oder dunkeles Terpentinholz.

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X 137—171

„Schiffskatalog"

Über den schneeigen Nacken ihm fließt lang wallend das Haupthaar, Das ein Reifen aus Gold umschließt mit zarter Bekrönung. Auch dich, lsmarus, sehn die kampfentschlossenen Scharen, Wie das Geschütz du lenkst und Gift aufträufelst den Pfeilen, Zweig mäonischen Stamms, wo Männer die fetten Gefilde Eifrig bebaun, die mit Goldsand tränkt Paktolus' Gewässer. Auch Mnestheus ist da, der Mann, der den Turnus geworfen Von der Höhe des Walls und früh sich Ruhm so gewonnen; Kapys nicht fehlt, von dem sich herschreibt Kapuas Name. Während in härtestem Kampf so miteinander sie ringen, Macht um die Mitte der Nacht zur Rückfahrt auf sich Äneas. Von Euander bestimmt, kam er ins tuskische Lager, W a n d t ' an den König sich gleich und nannt' ihm Namen und Abkunft, Was er begehr' und bring' er erzählt; Mezentius' Hilfsheer, Turnus' stürmischen Mut, nichts läßt er außer Besprechung; Auch er erwähnt, wie wenig zu traun sei menschlichen Dingen, Und f ü g t Bitten hinzu. Tarchon sagt, ohne zu zögern, Truppen ihm zu, schließt ab den Vertrag. Vom Zwange des Schicksals Frei, geht lydisches Volk an Bord nach dem Willen der Götter Unter des Fremden Befehl. Vorn fährt das Schiff des Äneas: Unter dem Schnabel des Bugs zwei phrygische Löwen, darüber Raget des Ida Höh, ein Trost den flüchtigen Teukrern. Vater Äneas sitzt am Heck, in Gedanken versunken Ob des wechselnden Kriegs. Links schmiegt sich ihm an die Seite Pallas, fragend ihn bald nach Sternen, den Weisern des Weges Während der Nacht, bald auch nach dem, was schon er gelitten. Göttinnen, t u t nun auf den Helikon, kündet im Liede, Welch Kriegsvolk Äneas geführt aus tuskischen Städten, Wer die Schiffe bemannt, die mit nach Latium fuhren. Mässikus furcht als erster die Flut im ehernen „Tiger", F ü h r t eintausend herbei, die teils aus Clusiums Mauern, Teils aus Kosä waren gefolgt; als Waffen sie führten Pfeile, den handlichen Köcher, dazu den tödlichen Bogen. Abas danach, der grimme; sein Zug trägt schimmernde Rüstung. Hinten am Heck ihm glänzt als Zier ein goldner Apollo.

X 172—209

„Schiffskatalog"

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Ihm sechshundert an Mannen, im Krieg erfahrene Jugend, Gab Populönia mit; dreihundert hatte das Eiland Elba gestellt, an Eisen so reich wie der Chälyber Essen. Dritter Asilas ist, der Göttliches Menschen vermittelt: Ihm ist bekannt das Innre des Tiers, die Sterne des Himmels, Ihm der Vögel Gespräch, das prophetische Zucken des Blitzes. Tausend an Leuten er führt, mit Speeren bewaffnet zum Nahkampf. Pisä rüstete sie, die Stadt echt griechischen Ursprungs Auf etruskischem Grund. Es folgt in strahlender Schöne Astur, vertrauend dem Roß und stolz auf prächtige Waffen. Dreimal hundert er bringt, einmütigen Willens zu folgen, Teils in Cäre daheim an Minios lieblichen Ufern, Teils in Pyrgi zu Haus, im Sumpfnest auch von Graviscä. Nicht übergehen ich möcht dich, tapferen Ligurerführer, Cinyrus, noch auch dich, dem wenige folgen, Cupävo. Schwanengefieder ihm ziert den Helmbusch, Amor und Venus, Euerer Schuld Nachklang, Abbild der Formen des Vaters. Während um Phäethon klagt, den Freund, so sagen sie, Kyknus Unter der Pappeln Dach, im Schatten der einstigen Schwestern, Während er Trost sich sucht für ihn in schmerzlichen Liedern, Sei zum Schwan er geworden als Greis; im Federgewande Hab er verlassen das Licht, das Lied erst sterbend erworben. Auch sein Sohn f ü h r t mit gleichaltrige Jugend im Schiffe Und durch Ruder voran treibt er den Riesenkentauren, Der die Fluten bedroht mit kräftig erhobenem Felsblock Und mit ragendem Kiel durchfurcht die Fläche des Meeres. Auch aus Mantua Zuzug kommt. Des Führer ist Oknus, Der prophetischen Manto Sohn und des tuskischen Flusses, Der dir, Mantua, gab den Wall und Namen der Mutter, Mantua, reich an Ahnen, doch nicht desselben Geschlechtes. Drei der Stämme hier gibts, vier zählt der Völker ein jeder. Mantua Hauptort ist; der Kern der Bürger ist tuskisch. Hier Mezentius warb sich selbst fünfhundert zu Gegnern, Die vom Vater Benäkus, des Schmuck ein grünlicher Schilfkranz, Mincius führte hinab auf feindlichen Kielen zum Meere. Schwer das Schiff des Aulestes geht mit hundert an Rudern, Hebt sich und teilet die Flut, am Bug aufschäumen die Wellen. Triton trägt ihn mächtigen Leibs; auf bläulicher Muschel

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X 210—246

Äneas' Begegnung mit den Nymphen

Bläst er und schreckt das Meer; einem Mann mit struppiger Stirne Bis zu den Hüften er gleicht, zum Fischschwanz werden die Beine. Ihn, halb Tier, halb Mensch, umrauschen die schäumenden Wogen. Soviel Führer erlesener Art auf dreißig Kolossen Eilen zur Hilfe herbei, mit dem Erz durchschneidend die Salzflut. Längst ist verglommen der Tag: schon fuhr die leuchtende Phöbe Über die Mitte des Sternengewölbs auf nächtlichem Wagen. Doch Äneas gewährt nicht Ruh den ermüdeten Gliedern, Nein, am Steuer er lenkt das Schiff und bedienet die Segel. Sieh da, mitten im Weg ein Chor ihm schwimmet entgegen Seiner Begleiter von einst: in Nymphen verwandelt die Schiffe, Die dank Kybeles Spruch zu Meerdämonen geworden. Zug um Zug sie kommen heran und teilen die Wogen, Grade soviel an Zahl, wie den Strand sie deckten als Schiffe. Als er den König erspäht, der Chor ihn schwimmend ummustert. Die die Sprecherin war den übrigen, Kymodokea, Faßt mit der Rechten das Heck: licht hebt aus dem Meer sich die Schulter, Doch in schweigender Flut lautlos fortrudert die Linke. Zum nichts Ahnenden dann: „Bist wach du, Götterentsproßner? Wache nur fort und laß den Segeln schießen die Zügel. Wir sind Nymphen des Meers, einst Holz vom heiligen Ida, Deine Gefährten zur See. Weil uns des Rutulers Wortbruch J ä h mit Eisen bedroht' und uns mit Feuer bedrängte, Brachen wir ungern deinen Befehl und suchen zu Wasser Jetzt dich auf. Die neue Gestalt wir Kybele danken, Die zu Göttinnen uns umschuf und Wesen des Meeres. Rings umschlossen Askanius weilt im Lager der Troer Mitten in Not und Sturm der kriegsentflammten Latiner. Auf dem gewiesenen Platz schon stehn arkadische Reiter, Mit Etruskern vereint. Sie nicht ins Lager zu lassen, Ist des Turnus Entschluß; drum stürmt er ihnen entgegen. Auf drum, heiße sofort zum Kampf sich rüsten die Freunde, Wann der Tag anbricht; den Schild nimm, Bringer des Sieges, Den dir Meister Vulkan umgab mit goldenem Rande. Morgen der Tag wird sehn, vertraust du meinem Berichte, Reihweis niedergestreckt im Blut der Rutuler Scharen." Sagts und scheidend sie stößt, im Schiffsbrauch selber erfahren,

X 247—284

Äneas' Geschwader in Sicht der Troer und Rutuler

201

Stark mit der Rechten das Heck, daß schnell es fliegt durch die Wogen, Wie der schwirrende Pfeil, der gleichkommt Winden an Eile. Alle beflügeln den Lauf. Überrascht staunt ob der Erscheinung Freudig Anchises' Sohn; Mut gibt das glückliche Zeichen. Auf zum Himmelsgewölb er schaut zu kurzem Gebete: „Hehre vom Ida du, der Dindyma lieget am Herzen, Städte mit Türmen bewehrt, zwei Löwen am Joche des Wagens, Die du mich jetzt antreibst zum Kampf, führ gnädig zum Ende Zeichen und Wunder und nah dich uns mit günstigem Schritte". So das kurze Gebet. Die Stunde des Lichts ist gekommen, Anbricht eben der Tag und vertreibt das nächtliche Dunkel. Schnell den Freunden er winkt, zu folgen den Zeichen des Führers, Ein sich zu richten auf Kampf und anzulegen die Waffen. Kaum er erblickt vom Heck am Land das Lager der Troer, Hat den strahlenden Schild er mit der Linken ergriffen Und hält hoch ihn empor. Ein Jubelgeschrei sich erhebet, Das zum Himmel erschallt. Den K a m p f m u t stärket die Hoffnung. Hagel von Lanzen man wirft. So geben ein Zeichen von Freude Kraniche hoch aus dunklem Gewölk durch Schreien und Flattern, Wenn sie, dem Süden entflohn, den Strymon wieder erblicken. Doch dem Rutulerherrn und seinen ausonischen Führern Scheints ein Wunder zu sein, bis sie zur Küste die Spiegel Sehen gewandt unds Meer ausspein die Menge Schiffe. Wie strahlt ihm die Spitze des Helms, wie flammet der Helmbusch, Welch ein Feuer erglänzt vom Rund des goldenen Schildes! So sich zeigt der Komet blutrot am nächtlichen Himmel, So des Sirius Glut aufflammt als trauriges Zeichen, Wenn mit Dürre, mit Pest sein Aufgang drohet den Menschen Und sein Unglückslicht trüb macht den leuchtenden Himmel. Trotzdem bleibt der Rutulerfürst bei seinem Entschlüsse, Gleich vorweg zu besetzen den Strand, die Landung zu hindern: „ W a s ihr, Männer, gewünscht, ist gewährt, den Feind zu vernichten. Ihr habt jetzo die Schlacht in der Hand. Ein jeder der Gattin, Jeder des Hauses gedenk. J e t z t mag vollbringen ein jeder Taten, die würdig des Ruhms. Am Strand wir ihnen begegnen, Wo sie noch zaghaft sind und der Landenden Schritte noch wanken. Kühne geleitet das Glück."

202

X 285—321

Äneas' Landung

Dieses er ruft und b e d e n k t bei sich, wen gegen die Feinde Führen er soll, wem a n v e r t r a u n die belagerten Mauern. Nun v o m hohen V e r d e c k aus setzt auf B r ü c k e n Äneas Alle Genossen an Land.

Nicht wenige warten den Ablauf

Ab des ebbenden Meers und springen beherzt in die W a t t e n , Andere b r a u c h e n die R u d e r zum S p r u n g .

Als T a r c h o n

gefunden,

W o S a n d b ä n k e nicht dröhn, zurück nicht prallen die W o g e n , Und bei steigender F l u t das Meer ohn S t ö r u n g heranfließt, L e n k t er den B u g zum S t r a n d und m a h n t also die G e f ä h r t e n : „ J e t z t , erlesene S c h a r , mit aller Gewalt in die R i e m e n ! Hebet und schnellt das F l o ß !

Mit dem R a m m s p o r n spaltet das Ufer,

Das u n s feindlich!

Der Kiel soll selbst sich graben die F u r c h e .

Hierbei r e u t es mich n i c h t , das Schiff zerschellen zu lassen, H a b ich erreicht das L a n d . "

K a u m hat an die Seinen erlassen

T a r c h o n diesen Befehl, da legen sich all in die R i e m e n , T r e i b e n die Schiffe mit W u c h t allsamt ans feindliche Ufer, Bis die S c h n ä b e l das T r o c k n e g e p a c k t , aufsitzen die

Kiele,

Ohne beschädigt zu sein, bis auf den deinigen, T a r c h o n . In die W a t t e n gedrückt, h ä n g t seiner auf schlüpfrigem

Rücken,

S c h w a n k e t hier hin und her, ein Spielball drängender W o g e n , Geht in die T r ü m m e r z u l e t z t : die M a n n s c h a f t treibt auf den F l u t e n . S c h w i m m e n erschwert das Gewirr zerbrochener R u d e r und B ä n k e , Und v o m Ufer zurück reißt seewärts viele die T u r n u s Verzug nicht k e n n t .

Strömung.

E r rafft die Leute zusammen

Gegen die Landenden schnell, stellt auf sie vorn a m Gestade. K a m p f nun e n t b r e n n t .

Äneas s t ü r m t in die ländlichen

Scharen,

S t r e c k t , Vorzeichen des Siegs, zur E r d die Latiner, n a c h d e m er Theron g e t ö t e t zuvor, den größten der Männer, der selber Aus sich Äneas ersehn; ihm s t ö ß t durch die Ringe des Panzers Und goldstrotzenden R o c k sein Schwert er tief in die Seite. Drauf er den Lichas fällt, den Phöbusgeweihten; dem Eisen W a r er entgangen als K i n d , da man der gestorbenen M u t t e r Ihn aus dem Leib ausschnitt.

Unweit den kräftigen Kisseus,

Gyas, den B r u d e r , er weiht dem T o d , die beide die Keule F ü h r t e n im K a m p f .

Nichts half den S t a r k e n des Herkules Waffe,

Nichts die kräftige Hand, auch nichts ihr V a t e r Melampus, Der mit Herkules zog, als er v o l l b r a c h t e die T a t e n .

X 322—358

Unentschiedener

Kampf

203

Sieh, wie Pharus erliegt! Der Speer dem eitelen Prahler Dringt in den offenen Mund, der ausstößt nichtige Reden. Auch dich, Kydon, hätte gefällt die dardanische Rechte, Während dem Klytius du nachgehst, dem neuen Geliebten, Dem sich eben bedeckt mit Flaum die rosige Wange, Wärst, von Liebe zu Knaben geheilt, dem Tode verfallen, Hätten des Phorcus Söhne sich nicht dazwischen geworfen, Sieben an Zahl, und ebensoviel an Lanzen geschleudert. Schadlos wirft sie zurück der Schild, vom Helme sie springen, Wenige streifen den Leib, doch schützt vor Wunden den Liebling Venus besorgt. Zum treuen Achat sich wendet Äneas: „Reich Wurfspeere mir her! Erfolglos keinen ich schleudre Hier ins Rutulerheer, wie nimmer ich fehlte die Griechen Einst vor Iliums Wall". Er wirft die mächtige Lanze: Sausend sie trifft auf Mäons Schild, durchdringet die Lagen, Reißt auch den Panzer noch auf und bohrt sich ein in die Lunge. Beispringt ihm Alkänor; indes den stürzenden Bruder Er mit der Hand noch stützt, kommt an die zweite geflogen Nach dem nämlichen Ziel und trifft ihn oben am Arme: Schlaff an den Sehnen herab hängt ihm von der Schulter die Rechte. Numitor jetzt entreißt den Speer dem Körper Alkanors, Wirft auf Äneas a b ; doch glückts nicht, diesen zu treffen, Nur den Schenkel er streift leichthin dem großen Achates. J e t z t eilt Clausus heran, der jugendstarke Sabiner, Legt mit der Lanze von fern schon aus und stößt sie dem Dryops Kraftvoll unter das Kinn: ihm durch er schneidet die Kehle, R a u b t ihm Leben und Sprache zugleich; der schlägt mit der Stirne Hart auf den Boden und speit einen Blutstrom dick aus dem Munde. Auch drei Thrazier noch aus Böreas altem Geschlechte, Dann drei Brüder, die Idas gesandt von Ismarus' Hängen, Bringt er tödlich zu Fall. Nun stürmet heran auch Haläsus Mit aurunkischer Schar, Neptuns auch reisiger Sprosse, Rossebezwinger Messap. Bald sind die Latiner im Vorteil, Bald die Troer; man kämpft hart auf Ausoniens Schwelle. Wie wenn Winde beim Streit im Luftraum prallen zusammen, Alle sich gleich an Mut, auch gleich an stürmischen Kräften, Keiner dem anderen weicht, auch Meer nachgibt nicht noch Wolken;

204

X 359—395

Pallas' Heldentaten

Lange so tobt der Kampf, sich eins stemmt gegen das andre: Gradso stehn im Streit die Reihn der Latiner und Troer, Fuß sich stemmet an Fuß, hart drängt der Krieger den Krieger. Aber an anderem Platz, wo der Wildbach rollende Steine, Sträucher, vom Ufer gespült, weithin forttreibt mit der Strömung, Pallas Ärkader sieht, abhold sonst Kämpfen zu Fuße, Von den Latinern verfolgt, zur Flucht kleinmütig sich wenden — Abzusteigen vom Pferd sie zwang das rauhe Gelände —. Er das Einzige t u t , was heischt die mißliche Lage, Feuert die Flüchtigen an mit guten, mit bitteren Worten: „Wohin, Freunde, die Flucht? Laßt mich bei dem euch beschwören, Was ihr als Krieger getan, beim Namen des Königs Euander, Bei dem Hoffen auf mich, der treu nachstrebet dem Vater, Traut nicht flüchtigem Fuß! Das Schwert muß bahnen durch Feinde Euch den Weg. Dorthin, wo dicht sich ballen die Kämpfer, Euch, mich, Pallas, ruft der Heimat heiliges Anrecht. Götter bekämpfen uns nicht, uns Sterblichen Sterbliche drohen, Die soviel nur Hände wie wir und Atem besitzen. Seht, uns verschließt die See mit mächtigem Riegel den Ausgang, Land schon mangelt der Flucht: was wählen wir? Meer oder Troja?" Rufts und mitten hinein stürzt er in die Reihen der Feinde. Ihm entgegen hier führt des Zufalls neidische Laune Lagus zuerst, der grad einen Stein wälzt schweren Gewichtes. Pallas trifft mit der Lanze den Punkt, wo zwischen den Rippen Leicht dringts Eisen hinein; das hier festsitzende Pallas Suchet herauszuziehn. Ihn hierbei niederzurennen Hisbo hoffet umsonst; denn Pallas kommt mit dem Schwerte Diesem zuvor, weil er, vom Tod des Freundes betroffen, Jegliche Vorsicht läßt beiseit, durchbohrt ihm die Lunge. Drauf den Sthenius er abtut, aus Rhötus' altem Geschlechte Dann Anchemolus gleich, Casperias lüsternen Schänder. Auch ihr Zwillinge fielt im blutigen Rutulerkampfe, Ihr, Laridus und Thymber, des Daucus ähnlichste Söhne, Beid zum Verwechseln sich gleich, der Eltern freudiger Irrtum. Pallas gibt euch beiden ein leicht zu scheidendes Merkmal: Dir er, Thymber, den Kopf abschlägt mit dem Schwert des Euander, Dir, Laridus, die Hand, die nach dem Rumpfe verlanget;

X 396—433

Pallas' Heldentaten

205

Denn noch zucken die Finger, als wollten zur Waffe sie greifen. So durch Reden entflammt, durchs Beispiel tapferer Taten, Halten in Scham und Schmerz sie stand aufs neue dem Feinde. Pallas den Rhöteus trifft, der grad im Wagen vorbeiflieht: Soviel Frist und Verzug ward noch dem llus gewähret; Denn auf ihn war gezielt der Wurf der kräftigen Lanze, Der in den Weg jetzt kommt Rhöteus, sich flüchtend vor Teuthras Und dem Bruder zugleich: im Lauf vom Wagen geschleudert, Schlägt, halbtot er, im Krampf mit dem Fuß der Rutuler Erde. Wie zum Sommer der Hirt, wenn Wind nach Wunsch sich erhebet, Hier und dort auf der Trift anfacht ein flackerndes Feuer, Das sich vereint alsbald und dann in mächtiger Lohe Als ein einziger Brand sich hinwälzt über die Fluren, Sorglos sitzt er dabei, der zehrenden Flammen sich freuend: So zusammen sich schließen zum Kampf der Arkader Mannen, Pallas, dir nach dem Sinn. Der schlachtenerprobte Haläsus Dringt jetzt in sie hinein, vom Rund des Schildes gesichert. Ladon strecket er hin, Demödokus, weiter den Pheres, Trennt Strymönius ab mit dem Stahl die drohende Rechte, Die sich die Gurgel ersieht zum Ziel; mit dem Steine zerschmettert Er des Thoas Kopf, daß weithin fliegen die Knochen. Lange den Sohn Haläsus verbarg der Vater, ein Seher, Doch als hoch er betagt die brechenden Augen geschlossen, Legen die Parzen die Hand auf ihn und weihen Euanders Waffen ihn jetzt. Ihn Pallas fällt, nachdem er gebetet: „Bahne den Weg, Flußgott, dem Stahl, den eben ich schwinge, Bahn ihm glücklich den Weg ins Herz des harten Haläsus, Dann werd weihen zum Dank ich die Wehr der heiligen Eiche". Gnädig erhört ihn der Gott. Indes den Imäon Haläsus Deckt, beut offen er dar die Brust dem Geschosse des Pallas. Trotz so schweren Verlusts läßt nicht die Seinigen zagen Lausus, die Stütze des Kampfs: den Abas erlegt er als ersten, Der gegenüber ihm steht, den Halt und Wall des Gefechtes. Hinsinkt tot die Jugend Arkadiens, sinken Etrusker, Hinsinkt, Teukrer, auch ihr, die Griechengeschosse verschonten. Gleich an Führern, an Mut, so ringen die würdigen Gegner. Vorwärts drängen die hintersten Reihn, daß vorn man bewegen Hand und Waffe nicht kann. Von hier treibt Pallas die Scharen,

206

X 434—470

Turnus und Pallas

Lausus von dort anstürmt, zwei, nah sich stehend an Alter, Beide von schöner Gestalt und beid sich gleich in dem Schicksal, Niemals heimzukehren. Doch läßt nicht untereinander Sie sich geben den Tod der Herr des hohen Olympus, Nein, es entscheidet ihr Los die Hand eines stärkeren Gegners. Jetzt J u t u r n a bestimmt, die göttliche Schwester, den Turnus, Abzulösen den Lausus, der eben zu Wagen heranstürmt. Wie die Genossen er sieht, ruft er: „ R ä u m t alle den Kampfplatz! Laßt mich Pallas allein abtun, mir schuldet man Pallas Ganz allein; wär doch sein Vater als Zeuge zugegen!" Rufts, und allseits räumt man gleich, wie befohlen, den Kampfplatz. Da so der Ausblick frei, starrt hin auf Turnus der Jüngling, Über den stolzen Befehl entsetzt. Den riesigen Körper Mustert er ernst und trotzigen Blicks er alles betrachtet. Dann zu kurzem Bescheid er so dem Prahler erwidert: „ R u h m entweder mir winkt vom Gewinn der stolzesten Beute Oder vom edelsten Tod, ein Los nach dem Herzen des Vaters. Drohungen laß!" Hiermit tritt er ins offene Kampffeld. Eisig erstarrt das Blut im Herzen der Arkaderjugend. Turnus den Wagen verläßt und rüstet zu Fuß sich zum Streite, Mann gegen Mann. Wie der Leu, der sich von höherer Warte Hinten im Feld erspähet den Stier, entschlossen zum Kampfe Anspringt, also sich zeigt der wild anstürmende Turnus. Als ihn auf Wurfweite heran glaubt Pallas gekommen, Greift als erster er an, ob Zufall günstig dem Wagnis, — Ungleich ist ja die Kraft — und laut er betet zum Himmel: „Bei dem gastlichen Tisch, den dir mein Vater geboten, Fleh ich, Alkide, zu dir: hilf mir im kühnen Beginnen! Mög er rauben sich sehn halbtot die blutigen Waffen Und mit brechendem Aug in mir den Sieger erblicken!" Wohl hört ihn der Alkide, doch tief in den innersten Busen Drängt er den Seufzer zurück und vergießt ohnmächtige Tränen. Juppiter redet dem Sohn gut zu mit freundlichen Worten: „ J e d e m erscheint sein Tag, kurz ist und unwiederbringlich Menschen zum Leben die Zeit; doch Ruhm, durch Taten erworben, Ist des Schweißes der Edelen wert. In Trojas Gefilden Sanken der Göttergeborenen viel, mit ihnen Sarpedon,

X 471—507

Pallas von Turnus getötet

207

Er, mein eigener Sohn. Auch Turnus' harret das Schicksal; Denn jetzt hat er erreicht das Ziel der irdischen Laufbahn". Sprichts und wendet den Blick ernst ab vom Rutulerfelde. Vorschnell schleudert den Speer Pallas mit nervigen Armen Und entreißet sogleich das Schwert der bergenden Scheide. Sausend er dringt dort ein, wo frei von der Hülle des Panzers Oben die Schulter sich zeigt. Doch weil durchbohrt er den Schildrand, Kann er streifen nur noch kraftlos den Körper des Turnus. Jetzt wirft dieser den Schaft, mit eiserner Spitze bewehret, Lang abwägend auf Pallas ab mit höhnendem Worte: „Prüf, ob unser Geschoß nicht zum Durchdringen geschickter!" Rufts und den Nabel des Schilds mitsamt den metallenen Lagen, Die des Stierfells Schutz überzieht, die Stärke zu mehren, Schneidet der Speer glatt durch mit lang nachzitterndem Stoße, Auch den Panzer zugleich: die Brust durchbohrt er dem Jüngling. Aus der Wunde den Speer reißt dieser, vergebliche Mühe! Denn desselbigen Wegs mit ihm geht Leben und Blutstrom. Hinstürzt er vornüber — an ihm laut klirren die Waffen — Und ins feindliche Feld schlägt er die blutigen Zähne. Turnus den Fuß ihm setzt auf den Leib: „Arkader merkt, ruft er, mein Wort und meldet Euander: Pallas send ich dem Vater zurück nach seinem Verdienste. Was an Ehren ihm Grab, an Trost ihm spendet Bestattung, Geb ich anheim. Doch teuer zu stehn kommt ihm des Äneas Gastfreundschaft". Den Fuß hierbei, den linken, er stemmet Auf den Entseelten und löst von ihm den prächtigen Gürtel Mit dem grausigen Bild, dem Mord der jungen Vermählten, Denen die Hochzeitsnacht im Brautbett raubte das Leben, Was in lauterem Gold kunstvoll ein Meister gebildet. Froh des Errungenen, rühmt des prächtigen Stückes sich Turnus. Kann doch sterblicher Sinn niemals ergründen die Zukunft, Weiß zu halten nicht Maß, wenn Glück ihm schwellet die Segel. Auch f ü r Turnus die Zeit einst kommt, wo den teuer erkauften Pallas heil gern gäb er zurück, der Tag ihm, die Beute Werden verhaßt. Des Erschlagenen Leib mit Seufzen und Tränen Bergen besorgt im Schild und tragen zurück die Gefährten. Welch ein Schmerz bei der Heimkehr du, welch Stolz für den Vater!

208

X 508—545

Äneas im Kampf

E i n Tag brachte dir Kampf, e i n Tag dir raubte das Leben, Heim aber kamst du doch und entgingst den Rutulerhänden. Nicht ein Gerücht mehr nur, nein, schon ein sicherer Bote Kommt dem Äneas zu, daß droh den Seinen Vernichtung, Daß an der Zeit es sei, den geschlagenen Troern zu helfen. Nieder die Nächsten er mäht und bahnt sich breit eine Gasse Durch die feindlichen Reihn; denn dich nur, Turnus, er suchet, Der sich r ü h m t des neuesten Mords. Euander und Pallas, Alles vor Augen ihm steht, das Gastmahl, das ihm geboten, Als er kam, der beschworene Bund. Vier Söhne des Sulmo, Jugendlich frisch, und ebensoviel, von Ufens erzogen, Schleppt er lebendig fort, um sie den Schatten zu schlachten, Um mit gefangenem Blut zu weihn den flammenden Holzstoß. Dann auf Magus von fern er wirft die tödliche Lanze. Doch der duckt sich behend — das Geschoß fliegt über den Scheitel— Und umfasset die Knie, voll Demut bittend, Äneas: „Bei den Manen des Vaters, der Hoffnung deines Iullus, Schon mein Leben zugunsten des Sohns, zugunsten des Vaters! Mein ist ein hoher Palast, mein Mengen an Silbergeräten, Prächtig verziert, mein Gold, im Gewichte von Pfunden, Roh und zu Bildern geformt. An mir nicht hänget der Teukrer Sieg, nicht Ausschlag gibt e i n Leben bei solcher Entscheidung." Sagts. Äneas darauf ihm dient mit folgender Antwort: „All das Gewicht, das du herzählst, an Gold und an Silber Spare den deinigen auf. Die Handelsgeschäfte des Krieges H a t schon Turnus gestört, als er. hinmordete Pallas. Dies der Manen Gefühl des Anchises, dies des lullus." Dabei packt er den Helm, biegt dann mit der Linken den Nacken Weit des Magus zurück und versenkt sein Schwert bis zum Griffe» Nah Hämönides steht, der Priester Dianens und Phöbus', Reich mit der Binde geschmückt und heiligen Bändern im Haare, Strahlend im schneeigen Kleid und versehn mit herrlichen Waffen. Ihn durch das Feld er jagt, holt ein den Stürzenden, hüllet Ihn in die Nacht des Tods; aufnimmt die Waffen Serestus, Trägt auf der Schulter sie fort, dir, Mars Gradivus, zur Weihe. Cäculus, aus dem Stamme Vulkans, und Umbro, der Marser, Bringen zum Stehn die wankenden Reihen. Von neuem Äneas Stürmt nun gegen sie los. Mit dem Schwert die Linke des Anxur

X 546—582

209

Äneas im Kampf

Samt dem Kreise des Schilds war schnell zu Boden geschmettert. Irgendwomit er hatte geprahlt, den Worten er zuschrieb Weiß Gott welche Gewalt, sein Mut wohl hob ihn zum Himmel, Grau zu werden er hatte gemeint und lange zu leben. Da springt Tärquitus vor im Glanz weitschimmernder Waffen, Den eine Nymphe dem Faunus gebar, dem Hüter der Haine, Wirft sich entgegen Äneas' Wut. Mit geschleuderter Lanze Heftet des Schildes Gewicht der mit dem Panzer zusammen, Trennt vom Halse den Kopf. Umsonst will Tärquitus bitten, Viel noch fragen umsonst. Den Rumpf fortstoßet Äneas Vor sich hin mit dem Fuß und spricht die grimmigen Worte: „Da bleib liegen, du Schreck! Nicht wird die sorgliche Mutter Dir herrichten das Grab, kein Grabmal drücken die Glieder; Wirst von Vögeln als Fraß, wirst, tief im Strudel versenket, Fort von den Wellen geführt, umspielt von hungrigen Fischen". Den Vorkämpfern des Turnus sodann, Antäus und Lucas, Setzet er nach, verfolgt den tapferen Numa, den Camers, Volcens' Sproß mit rötlichem Haar, der Ausoner reichsten An fruchttragendem Feld, dem Herrn des stillen Amyklä. Wie vordem Ägäon, dem hundert Arme man beilegt, Eben auch Hände soviel — aus fünfzig Rachen und Brüsten Feuer er spie zugleich — sich gegen des Juppiter Blitze Wandte mit Schilden soviel und soviel Schwerter auch zückte: Gradso tobt Äneas im Feld, unnahbar als Sieger, Wenn einmal sein Stahl sich erwärmt. Auch gegen Niphäus Auf dem Vierergespann er antritt weiter zum Zweikampf. Kaum ihn sehen sich nahn die Rosse mit mächtigen Schritten, Machen aus Furcht sie kehrt, zurück sie fliehen in Eile, Werfen den Lenker vom Tritt und reißen zur Küste den Wagen. Lucagus stürmet heran auf glänzendem Schimmelgespanne, Liger, der Bruder, mit ihm als Lenker der feurigen Renner. Lucagus reißt aus der Scheide das Schwert und schwingts in den Lüften. Nicht Äneas erträgts, daß so sich beide gebärden, Tritt in den Weg und droht dem Paar mit erhobener Lanze. Liger darauf: „Nicht Diomedes' Rosse du siehst, nicht die des Peliden, Auch nicht Trojas Gefild: das Ende des Krieges und Lebens T r e n d e l e n b u r g , Virgils Acneis.

14

210

X 583—620

Juppfter und Juno

Winket dir hier im Feld." So strömt wahnwitzige Rede Frech dem Liger vom Mund. Doch nicht mit Worten sich rüstet Der trojanische Held. Den Speer er wirft auf den Bruder. Vor sich Lucagus hatte geneigt, zu treiben die Pferde Mit dem Schafte des Speers, setzt vor den linken der Füße, Macht sich fertig zum Kampf: da dringt die troische Lanze Durch den unteren Rand des Schilds ihm tief in die Weiche, Daß, aus dem Wagen geschnellt, er sterbend sich wälzt auf der Erde. Ihn anspricht also mit bitteren Worten Äneas: „Lucagus, nicht gab preis die Flucht der Pferde den Wagen, Scheu nicht trieb sie zurück der nichtige Schatten der Feinde: Du selbst springest herab und verläßt ihn." Dieses er ausruft Und hält fest das Gespann. Ausstreckt die Hände der Bruder, Der auch gleitet vom Wagen herab, und stammelt die Bitte: „Bei dir, troischer Held, den Eltern, die so dich erzeugten, Laß, ich beschwöre dich, mir das Leben, erbarme dich meiner!" Ihm Äneas versetzt: „Wie klangs doch eben noch anders Aus dem Munde von dir. Stirb nur, den Bruder nicht lasse!" Aufschließt er des Lebens Versteck, die Brust, mit dem Stahle. Ströme vergießt von Blut also der Dardanerführer, Tobend nach Wildbachs Art, nach Art des wirbelnden Sturmes. Endlich den Ausfall wagt und verläßt die Mauern des Lagers J u n g Iullus, mit ihm die vergeblich belagerte Jugend. Da spricht Juppiter an aus eigenem Triebe die Gattin: „Schwester du mir, du mir auch innig geliebte Gemahlin, Venus, wie stets du gemeint, — nicht trog dich deine Vermutung — Bleibt der Dardaner Hort; denn rüstige Fäuste zum Kampfe Sind den Troern versagt, auch Mut, der Freund der Gefahren." Kleinlaut J u n o darauf: „Wozu, mein trefflicher Gatte, Kränkst du die Kranke, die nichts als deine Befehle betrüben? Wäre mir — wie's einst war und wie stets bleiben es sollte — Macht in Liebe verliehn, würdst du die Bitte versagen Mir, Allmächtiger, nicht, daß ich entführe dem Kampfe Turnus und unversehrt ihn rette für Daunus, den Vater. Mag drum fallen er jetzt und büßen die kindliche Liebe. Und doch rühmet mit Recht auch er sich unserer Abkunft, Da Pilumnus ihm Ahn, der stets ja deinen Altären Reichliche Spenden gebracht und Gaben gestiftet dem Tempel".

X 621—658

Juno entfernt Turnus aus der Schlacht

211

Kurz erwidert darauf der Herr des h o h e n O i y m p u s : „ W e n n A u f s c h u b des Todes du flehst d e m g e f ä h r d e t e n J ü n g l i n g Und du meinst, k r a f t meiner Gewalt k ö n n t ihn ich bewirken, Nun, so hilf ihm zur Flucht, halt auf sein drohendes Schicksal! Soweit darf nachgeben ich dir. Steckt hinter den Bitten Aber der weitere W u n s c h , d a ß ihm bleib völlig ersparet Oder sich wende der Krieg, d a n n n ä h r s t du leere G e d a n k e n " . J u n o weinend d a r a u f : „Wie, wenn du stille gewährtest, W a s zu sagen dich schmerzt, und ihn am Leben erhieltest? Schuldlos geht in den Tod er jetzt, bin ich nicht des I r r t u m s Völliger R a u b . Wie gern wollt grundlos ängstlich ich scheinen, Brächtest du, was du ja k a n n s t , ihn ab von seinem Beginnen". Als sie solches gesagt, schwingt sie, von Nebel verhüllet, Sich vom Himmel herab, fliegt windsbrautgleich durch die Lüfte Hin zur ilischen F r o n t und zum laurentischen Lager. Hier, durch Wolken geschützt, sie r ü s t e t ein leeres Gebilde In Äneas' Gestalt — ein T r u g zu sehen erstaunlich — Aus mit troischer W e h r , m a c h t Rundschild, machet den Helmbusch Gleich dem göttlichen H a u p t und leiht ihm nichtige Rede, Schall ohne Sinn, u n d f o r m t s , als schritt ein rüstiger K ä m p e , Ganz so wie von T o t e n m a n sagt, sie flattern als S c h a t t e n , Oder wie tief im Schlaf der T r a u m v o r t ä u s c h e t Gestalten. Froh sich t u m m e l t das Bild ganz vorn in vorderster Reihe, Reizt durch Schießen den Mann und heraus ihn f o r d e r t mit R u f e n . T u r n u s darauf geht ein und w i r f t von ferne die Lanze; Da m a c h t s Scheinbild k e h r t und lenkt z u m Fliehen die Schritte. Wirklich der R u t u l e r meint, Äneas r ä u m e den K a m p f p l a t z , Und voll s t ü r m i s c h e n Muts, von nichtiger H o f f n u n g betrogen, R u f t e r : „ T r o e r , du fliehst? Gibst auf das bedungene B r a u t b e t t ? Hier die R e c h t e verleiht das Land, das d u dir gesuchet". Dabei setzt er ihm nach u n d zückt die blinkende Schneide. Aber das sieht er nicht, d a ß im W i n d entschwindet die H o f f n u n g . Ein hochragendes Schiff daliegt, a m Ufer befestigt, Aus die Leitern g e h ä n g t , die Stege z u m Landen geschlagen, Das den König Osinius b r a c h t aus Clusiums Gauen. Hier sich v e r b i r g t das Bild des fliehenden Königs im Dunkel. Schnell folgt T u r n u s ihm nach, setzt über die h e m m e n d e n Stege Und steigt eilig hinauf die grad sich bietende Leiter. 14*

212

X 659—695

Turnus von Juno gerettet

Kaum ist er oben an Bord, da kappt die Göttin das Haltseil, Löst vom Ufer das Schiff und treibts hinaus in die Fluten. Den Abwesenden ruft umsonst Äneas zum Kampfe. Vielen er gibt den Tod, die kühn entgegen sich werfen. Jetzt nicht weiter das Trugbild sucht nach dunklen Verstecken, Sondern es steigt empor und entfliegt in schwärzlicher Wolke, Während zur Höhe des Meers entführt den Turnus die Windsbraut. Ahnungslos, was geschieht, und dankbar nicht für die Rettung, Blickt er zurück und zu lautem Gebet hebt auf er die Hände: „Ach, allmächtiger Herr, was hab denn ich nur verbrochen, Daß abbüßen ich muß dafür die schwerste der S t r a f e n ? Wohin geht es? W o h e r ? Vom Schlachtfeld eilig ich fliehe? Werde Laurentums Wall, werd wieder ich sehen das Lager? Was wird aus den Mannen, die mir als Streiter gefolgt sind, Die dem schmählichsten Tod preisgab ich alle zusammen? Sie, die zerstreut ich seh, sie, die schon ächzen ich höre? Und was treib ich denn j e t z t ? Welch Abgrund tut sich der Erde Für mich a u f ? H a b t wenigstens doch Erbarmen, ihr Winde, Werft auf Klippen das Schiff — drum fleh ich freien Entschlusses —, Treibts an Felsen, hinein in der Sandbank tückische Falle! Dorthin folgen mir Rutuler nicht, noch die wissende Fama". Während er solches bedenkt, schwankt hin und her er im Zweifel, Soll durch die Schneide des Schwerts er rein sich waschen von Schande Und durch die Rippen den Stahl, den erbarmungslosen, sich stoßen, Oder sich stürzen ins Meer, durch Schwimmen das Ufer erreichen Und dann eilen zurück zum blutigen Streit mit den Teukrern. Dreimal beides zu tun er sucht, doch hindert ihn J u n o Dreimal am Vollbringen der Tat aus wahrem Erbarmen. Ruhig durchfurcht das Schiff die See bei günstiger Strömung Und geht sicher an Land zum Königssitze des Daunus. Kampffroh tritt Mezentius jetzt auf Juppiters Mahnung Ein in die Schlacht und wirft dem Sieg sich entgegen der Teukrer. Gleich umzingeln vereint ihn rings tyrrhenische Scharen, All' auf einen den Haß, auf einen sie richten die Waffen. Doch wie der Fels er steht, der weit in die Fluten hinausragt, Ewig der Wut des Sturms, der peitschenden Wellen gewärtig. Allen Gewalten zum Trotz, dem Drohn des Meeres und Himmels,

X 696—732

Mezentius' Eingreifen

213

Harrt unbeweglich er aus. So streckt Mezentius Hebrus, Sohn Dolichäons, zur Erde, bekämpft den Lätagus, Palmus. Jenem zermalmt er den Kopf mit dem Felsstück, das sich vom Berge Hatte gelöst, am Knie durchschneidet die Sehnen er diesem, Läßt ihn liegen im Sand und schenkt die Waffen dem Lausus, Daß er sie trag am Leib, mit dem Helmbusch ziere den Scheitel. Nicht ihm entgeht Euänth, der Phrygier, Mimas erliegt ihm, Paris' Begleiter und Altersgenoß: die Mutter Theano Bracht ihn zur Welt in selbiger Nacht, da die Tochter des Kisseus, Hekuba, Paris gebar, die Fackel von Asien; dieser Ruht in heimischer Erd, an Laurentums Küste der Mimas. Wie der Eber, vom Lager gescheucht durch bissige Hunde, Den viel Jahre hindurch des Vesulus Fichten geheget Oder Laurentums sumpfiges Moor, im Röhricht erwachsen, Wenn er geraten ins Netz, das kein Entkommen gestattet, Stehn bleibt, grimmiger grunzt, aufsträubt die Borsten am Rücken; Keiner an ihm ausläßt den Zorn, ihm nähert sich keiner, Nur von ferne man droht mit Speer und sicherem Schreien: Furchtlos blickt er umher, denn allseits drohet ihm Angriff, Wütend er knirscht, wirft ab vom Rücken die schwächlichen Lanzen. So hat keiner den Mut, Mezenz entgegen zu treten Offen im Feld, wiewohl mit Recht ein jeder ihm zürnet; Weitab reizet man ihn mit Lanzen und wüstem Gebrülle. Aus Kortonas altem Gebiet war Akron gekommen, Griechischen Stamms, der heimlich verließ die begonnene Hochzeit. Ihn Mezentius sieht, wie vorn in den Reihen er wütet, Strahlend im Purpurgewebe der Braut und flammenden Helmbusch: Wie der gierige Leu den Stand umkreiset des Wildes — Rasender Hunger ihn treibt —, ein Reh sah dorten er rennen, Sah den flüchtigen Hirsch erhobenen Hauptes entweichen, Setzt ihm nach, die Mähne gesträubt, mit offenem Maule, Wühlt in den Därmen des Tiers, daß schwarz den gierigen Rachen Färbet das Blut: Gradso stürzet Mezenz sich auf die Mitte der Feinde. Akron sinket zuerst; er schlägt, aushauchend die Seele, Mit den Fersen den Sand, Blut färbt die geborstene Lanze. Würdig nicht schiens Mezenz — zur Flucht sich wendet Orödes —,

214

X 733—770

Verluste im Kampf

Ihn von hinten zu töten, den Speer in den Rücken zu jagen: Ihm gegenüber er tritt, um Aug' in Auge zu kämpfen, Mann gegen Mann; nicht List, es sollten entscheiden die Waffen. Auf den Erlegten den Fuß, die Linke gestützt auf die Lanze, R u f t er: „Männer, hier liegt der Bürge des Krieges, Orodes!" In den Triumphruf stimmen mit ein die frohen Gefährten. Jener im Sterben: „Du siegst, doch bald schon nahet mein Rächer. Nicht mehr lang du dich freust; auch dich ein Schicksal erwartet, Das dem meinigen gleicht; auch dich bald decket der Rasen". Ihm Mezentius sagt, den Zorn durch Lächeln verdeckend: „Stirb nur! Nach mir sieht der Vater der Götter und Menschen". Sagts und ziehet heraus den Wurfspeer aus dem Entseelten. Hart ist die Ruh, die diesen umfängt, und eisern der Schlummer: Denn zur ewigen Nacht sich ihm zuschließen die Lider. Cädicus tut Alcäthous ab, Sacrätor Hydäspes, Den Parthenius Räpo, zugleich den kräftigen Orses, Clönius, auch Erichät dem Messäp nacheinander erliegen, Jener vom Pferde gestürzt, hilflos entbehrend des Zügels, Dieser als Kämpfer zu Fuß. Hinstreckt den Lykier Agis Välerus, der von den Ahnen ererbt des Kampfes Erfahrung. Thrönius fällt von Sälius' Hand, der von des Nealkes, Als Speerwerfer bekannt und trefflicher Schütze des Pfeiles. Schon gleicht aus der blutige Kampf die Verluste der Gegner. Gleich viel fällen sie beid, gleich viel von beiden auch fallen, Sieger, Besiegte zugleich, nicht die hier fliehen, nicht jene. Droben in Juppiters Haus die Himmlischen dauert der beiden Nichtiger Groll, sie schmerzt, daß so schwer Sterbliche leiden. Hier schaut Venus herab, dort die saturnische Juno. Bleich sie Tisiphone sehn inmitten der Tausende wüten. Doch Mezentius jetzt, in der Hand die gewaltige Lanze, Schreitet einher im Feld, dem Riesen Orion vergleichbar, Der, in der Tiefe des Meers sich bahnend den Weg mit den Füßen, Fest hinschreitet am Grund, überragt mit der Schulter die Wogen, Oder, den knorrigen Stamm vom Berg forttragend der Esche, Unten den Boden berührt, sein Haupt in Wolken verstecket: So mit riesiger Wehr Mezenz sich zeiget im Felde. Ihn im Zuge der Kämpfer erblickt Äneas, entschlossen Ihm entgegen zu gehn. Furchtlos erwartet der andre

X 771—-808

Äneas, Mezentius, Lausus

215

Seinen gefürchteten Feind; er steht, wie gerammt in den Boden, Mißt mit den Augen den Raum, soviel durchflieget die Lanze: „Sei mir günstig als Gott mein Speer, den jetzt ich erhebe, Günstig die Hand! Hab ich dem Räuber entrissen die Rüstung, Sollst du, Lausus, geschmückt mit ihr dastehen als Denkmal, Daß Äneas besiegt". Er wirft die sausende Lanze Weit aus der Ferne. Sie springt vom Schild ab, trifft den Antores, Der noch stehet, am Leib und heftet sich ihm in die Flanke. Einst er mit Herkules kam — Argos ihn sandt als Begleiter —, Schloß Euander sich an und blieb in Italien wohnen. So rafft hin ihn ein Wurf, der nicht ihm selber gegolten: Auf zum Himmel er blickt, des lieblichen Argos gedenkend. Nun ist der Troer am Wurf: der Speer durchdringet des Schildes Dreifach Erz und die linnene Schicht, ein Meistergefüge, Mit Stierhäuten belegt, und bleibt dann haften im Bauche; Aber die Kraft des Wurfes ist hin. Äneas verwundet Sieht den tuskischen Feind, reißt schnell das Schwert von der Seite Und stürmt hitzig auf ihn, der jetzt zu wanken beginnet. Aufseufzt Lausus, der Sohn, von kindlicher Liebe durchdrungen, Als er den Vorgang sieht, und Tränen entströmen den Augen. Hier will nicht verschweigen ich dich, ruhmwürdiger Jüngling, Nicht dein Todesgeschick, noch dein entschlossenes Handeln, Wenn der Länge der Zeit glaubhaft erscheinet die Sage. Jener zurück nun geht, zum Kampf unfähig, behindert, Und schleppt mühsam mit im Schild die troische Lanze. Vorspringt plötzlich der Sohn und drängt sich zwischen die Waffen. Während Äneas schon zum Hieb ausholt mit der Rechten, Duckt er sich unter das Schwert und hemmt den tödlichen Angriff; Ihm mit lautem Geschrei nachfolgt die Schar der Gefährten, Während der Vater, gedeckt vom Schild des Sohnes, sich fortmacht; Lanzen sie wirft von fern und bedrängt den Feind mit Geschossen. Rasend vor Zorn sucht Schutz Äneas hinter dem Schilde. Wie bei Hagel und Sturm, wenn des Himmels Schleusen sich öffnen, Schnell der Bauer entflieht dem Feld, das er eben gepflüget, Eilig der Landmann sucht ein sichres Versteck und der Wandrer, Seis am Ufer des Stroms, auch wohl am Hange des Felsens, Solang prasselt der Guß — beim Wiedererscheinen der Sonne Will man nutzen den Tag —, so hält dem Kampfesgewitter

21.6

X 809—845

Lausus' Tod

Stand Äneas gedeckt, bis abflaut mählich der Hagel, Dann dem Lausus er ruft und droht mit warnenden Worten: „Wozu suchst du den Tod und wagst, was Kräfte verweigern? Dich die Liebe verführt zur Tollheit". Toller nur jener Den Äneas bedrängt. Nun schwillt dem troischen Führer Höher und höher der Zorn, dem Lausus spinnen die Parzen Ab den Faden zuletzt. Ihm bohrt sein schreckliches Eisen Tief in die Brust der Held, daß ganz es drinnen versinket. Auch das Schildchen durchdrang das Schwert, des Trotzigen Schutzwehr, Auch den Rock, den die Mutter durchzog mit goldenen Fäden; Blut den Busen erfüllt, zum Orkus weichet die Seele, Trauererfüllt, durch die Luft und verläßt die Wohnung des Leibes. Wie nun Anchises' Sohn ins Gesicht dem Sterbenden blicket, Das, sich verfärbend alsbald, bleich wird in trauriger Weise, Seufzt mitleidig er auf, streckt ihm entgegen die Rechte, Tief im Herzen berührt vom Bild der kindlichen Liebe: „Wie soll lohnen denn jetzt, du mitleidwürdiger Knabe, Dir Äneas den Mut und dein so rühmliches Handeln? All deine Waffen behalt, deine Lust! Nach Haus ich dich sende, Liegt dir daran, daß einst du ruhst bei der Asche der Eltern. E i n Trost söhnet dich aus, Unglücklicher, mit dem Geschicke: Du fielst von des Äneas Hand". Die säumigen Freunde Treibt er selber noch an und hebt vom Boden den Toten, Ganz vom Blute durchtränkt die zierlich geordneten Locken. Auswäscht selber indes am Ufer des Tiber die Wunde Vater Mezentius sich. Um auszuruhn von den Mühen, Halt ihm gewährt ein Baum. Dichtbei vom Aste herabhängt Ihm der eherne Helm, ausruhn im Rasen die Waffen. Jünglinge stehen um ihn; schwer atmend, neigt er nach vorne Müde den Kopf, der Bart die Brust ihm wallend bedecket. Viel nach Lausus er fragt, schickt Boten ins Feld mit der Weisung, Ihn zu holen zurück, vom bekümmerten Vater zu melden. Doch den Lausus indes herbei schon tragen die Freunde; Walstattod hinriß wahllos den herrlichen Jüngling. Schon von weitem das Klagen erkennt, wer Böses vorausahnt. Staub er streut aufs alternde Haupt, zum Himmel die Hände Hebt er empor, dann wirft er hin sich über die Leiche:

X 846—880

Mezentius und Aneas

217

„So groß war die Begier, die mich ans Leben gefesselt, Daß ich einen für mich preisgab der Rechten des Feindes, Den ich selber gezeugt? Dein Blut mußt retten den Vater, Dein Tod leben mich hieß? Jetzt erst ist nahe das Ende, Nahe das Unglück mir, versetzt die tödliche Wunde. Schon den Namen, mein Sohn, hab ich durch Frevel beflecket, Als den Thron mir geraubt der Neid unds Szepter des Vaters. Strafe verwirkt hatt ich beim Volk, beim Hasse der Meinen: Wär ich Schuldiger doch qualvoll erlegen dem Tode! J e t z t ich lebe, noch nicht von Licht und Menschen geschieden; Aber in kurzem ich bins." Trotz seines getroffenen Schenkels Reckt er sich auf und heißt, obwohl sich sperret die Wunde, Ihm vorführen sein Roß. Dies war ihm einzige Freude, Dieses sein Trost; auf ihm heimritt er immer als Sieger. Traurig den Kopf es senkt; ers anspricht also mit Worten: „Lang wir haben, mein Rhäbus, gelebt, wenn „lang" für die Menschen Irgendwas ist. Heut wirst siegreich du blutige Waffen Bringen nach Haus, des Äneas Haupt, wirst rächen des Lausus Leiden mit mir; doch wenn nicht Kraft mehr bahnet die Wege, Wirst du fallen mit mir; denn, Tapferster, fremde Kandare Trägst du sicherlich nicht, auch Därdaner nimmer als Herren". Schwingt auf den Rücken sich dann, nimmt ein die gewöhnliche Haltung, An Wurfspeeren er packt, soviel nur fassen die Hände, Strahlend im Schmuck des Helms, umwallt vom wehenden Roßschweif. So sprengt er in die Feinde hinein. Ihm flutet im Herzen Ehrliche Scham, wahnwitziger Zorn, aufrichtige Trauer, Liebe mit rasender Wut, das Bewußtsein eigenen Wertes. Dreimal ruft mit erhobener Stimm er jetzt dem Äneas. Dieser erkennt ihn gleich und freudigen Herzens er betet: „Gnädig es Juppiter tu, zustimm auch Helfer Apollo! Auf, mit dem Kampfe beginn!" Hiermit tritt entgegen er ihm, wurffertig die Lanze. Jener darauf: „Du nahmst mir den Sohn, was drohst du mir also? Dies war der einzige Weg, auf dem du treffen mich konntest. Nicht ich fürchte den Tod, noch schon ich eines der Götter.

218

X 881—908

Mezentius' Tod

XI 1—3

Kein W o r t m e h r ! Ich erwarte den Tod, doch send ich vorher dir Dieses Geschenk". Auf den Feind er w i r f t den ersten der Speere, D a n n den zweiten und d r i t t e n , er trifft, umreitet den Gegner Weit in mächtigem Kreis, der Schild f ä n g t auf die Geschosse. Dreimal um den Stehenden hin t r a b t links er im Bogen, Schleudernd der Speere Gewicht, dreimal sich drehet Äneas, Schleppend im ehernen R u n d mit sich den Wald von Geschossen. Weils ihn verdrießt zu säumen so lang, u m die vielen Geschosse Aus dem Schilde zu ziehn, zu F u ß mit d e m Reiter zu k ä m p f e n , W ä g t er manches im Sinn, d a n n s t ü r m t er endlich zum Angriff Und entsendet den Speer dem Streitroß zwischen die Schläfen. Hoch a u f b ä u m t sich das Tier, schlägt aus mit den vorderen Füßen, W i r f t nach hinten Mezentius ab, k o p f ü b e r d a n n s t ü r z t es Auf ihn h e r a b und bleibt, den Bug verrenket, hier liegen. L a u t erfüllen die Luft mit Geschrei die Scharen der Gegner. Schnell ist der Troer heran, das Schwert er reißt aus der Scheide, H ö h n t von oben h e r a b : „ W o bleibt Mezentius' W ü t e n , Sein unbändiger M u t ? " Ihm k r a f t l o s jener entgegnet, Als die Besinnung kehrt ihm zurück, aufblickend z u m H i m m e l : „ B i t t e r e r Feind, was höhnest du mich und drohst mit d e m T o d e ? Töten Verbrechen nicht ist, nicht hegt ich solche Gedanken, Noch schloß solchen V e r t r a g mit dir mein t a p f e r e r Lausus. Eins n u r fleh ich von dir, wofern verzeihst du Besiegten, Mir die B e s t a t t u n g gewähr! Mit b i t t e r e m Hasse verfolgen Mich die Meinigen all: wehr, b i t t ich, solchen Gelüsten, Laß mit dem Sohn mich ruhen im Grab, uns beide z u s a m m e n " . Sagts und den tödlichen Stoß er e m p f ä n g t bei vollem Bewußtsein, H a u c h t sein Leben im B l u t s t r o m aus, v o m Eisen erbohret.

Elftes Buch Bestattung der Gefallenen. Vor Laurentum. treffen und Tod der Camilla

Reiter-

Als vom Lager im Meer aufstieg die Göttin der F r ü h e , M a h n t Äneas die Pflicht z u n ä c h s t an B e s t a t t u n g der Freunde, Deren Verlust sein Herz so schwer mit T r a u e r e r f ü l l e t ;

XI 4—41

Bestattung der Gefallenen

219

Doch vor allem er löst den Göttern das Siegesgelübde. Drum pflanzt oben am Hügel er auf den mächtigen Baumstamm, Dem er die Zweige gekappt, schmückt ihn mit glänzenden Waffen, Des Mezentius Wehr, zum Ruhm dir, Schlachtengebieter. Auf ihn stülpt er den Helm, des Busch vom Blute noch triefet, Legt den Panzer ihm an, der an zwölf Stellen durchlöchert, Lehnt auch Speere daran und links den ehernen Rundschild, Hängt um den Hals das Schwert mitsamt der beinernen Scheide. Dann erst wendet er sich zur Schar der jubelnden Führer, Die sich drängen um ihn, und läßt sich also vernehmen: „Männer, der Hauptschlag ist nun getan; was übrig vom Kriege Fürchten wir nicht. Hier hängt die Wehr des mutigen Recken, Erstlingsbeute! Durch mich steht hier Mezentius' Abbild. J e t z t zum Könige gehts, zum Sturm auf die Stadt der Latiner. Richtet den Sinn hierauf und hegt des Kampfes Erwartung, Daß nicht lähme Verzug, sobald der Wille der Götter Uns, die Fahnen voran, zum Kampf läßt führen die Jugend, Nicht Überraschtsein euch an schnellen Entschlüssen verhindre. Laßt uns betten vorher im Schoß der Erde die Freunde, Die der Bestattung harrn, des Acheron einziger Ehre. Auf, den Trefflichen all, die um ihr Leben uns kauften Hier dies Heimatland, bringt dar die letzten Geschenke, Tragt vor allem jedoch zur trauernden Stadt des Euander Pallas zurück, den Sohn, den, reich an jeglicher Tugend, Raubte der Unglückstag und riß in jähes Verderben". Sprichts mit Tränen im Aug und lenkt zur Schwelle die Schritte, Wo man des Pallas Leib auf die Bahre gelegt und Akötes Ihn, der Alte, bewacht, der vormals König Euander H a t t e getragen die Wehr und dann dem teueren Sohne W a r zum Begleiter gesellt mit nicht so glücklichen Zeichen. Ringsum steht des Hauses Gesind, trojanische Jugend, Ilierinnen dabei, nach Brauch die Hare gelöset. Wie nun die Halle betritt Äneas, dringet zum Himmel Unaufhaltsam Gestöhn aus blutig geschlagenen Brüsten Und vom Trauergeheul dröhnt dumpf der Wände Gefüge. Als er gestützt das Haupt, blutleer die Wangen des Pallas, Als in der schneeigen Brust er sieht die klaffende Wunde Vom ausonischen Speer, ruft er in Tränen gebadet:

220

X I 42—79

Pallas' Totengeleit

„So das Glück mir neidete dich, unseliger Knabe, Grad als freundlich es k a m ! Mein Reich nicht solltest du sehen, Nicht als Sieger zurück zum Heimatlande du kehren! Solches verhieß von dir ich nicht dem Vater Euander, Als ich von ihm mich trennt' und er umarmend mich aussandt, Mir zu gewinnen ein Reich; hierbei vorsichtig er mahnte, Daß zu fürchten der Feind, der Kampf mit harten Gesellen. Viel wohl jetzt er gelobt, in nichtiger Hoffnung befangen, Trägt viel Gaben heran, Altäre damit zu belasten, Wo wir klagen um den, der nichts mehr schuldet den Göttern, Ihm des Totengeleits, ach, nichtigen Prunk nur gewähren. Armer, du wirst ja schaun des Sohns grausames Verhängnis. Das ist die Heimkehr uns, das sind die geträumten Triumphe! Das die Verheißung mein! Doch nicht von schmählichen Wunden Siehst du den Sohn entstellt, brauchst nicht den Tod dir zu wünschen, Weil ehrlos er entkam. Weh mir, welch starken Beschützer Büßt Ausonien ein, wie viel, Julius, verlierst d u ! " Also klaget der Fürst. E r heißt aufheben die Leiche, Schickt ihr tausend Erlesene mit, die Blüte des Heeres, Um zum Grabe dem Freund im Ehrengeleite zu folgen, Mit dem Vater zu weinen, ein Trost, zwar schwach bei der Trauer Um so schweren Verlust, doch wert dem Kummergebeugten. Hurtig aus Erdbeerbaum und eichenen Ruten sie richten Schlicht ein Flechtwerk her, um drauf die Leiche zu tragen, Und das erhöhete Pfühl mit Laub sie dicht überschatten. Hier auf ländlicher Streu sie weich dann betten den Jüngling, Gleich der Blume geknickt, die magdliche Finger gepflücket, Wie die Viole so zart, so früh welk wie Hyazinthen, Die den farbigen Glanz, die Form einbüßen nicht plötzlich, Wenn sie geraubt dem Schoß, aus dem das Leben sie sogen. Zwei der prächtigsten Decken, mit Gold durchwirket und Purpur, Bringt Äneas herbei. Mit eigenen Händen sie Dido Einst ihm hatte gewebt, sich gern erfreuend der Arbeit, Und das Gewebe bestickt mit golddurchzogenen Fäden. Eine dem Jüngling legt er an als letzte der Gaben, Hüllet ihm ein das Haar, eh's wird zum Raube der Flammen; Häuft der Beute noch viel, die der Kampf Laurentern gekostet Und die jetzo der Zug mitführt in stolzem Gepränge.

XI 80—117

Aneas kehrt ins Lager zurück

221

Lanzen und Pferde man sieht, die Pallas selber erbeutet, Auch der Gefangenen viel, die Händ' auf den Rücken gebunden, Um dem Toten zur Ehr mit Blut zu färben den Holzstoß. Endlich Trophän, Baumstümpfe behängt, von Führern getragen, Drauf der Name des Volks, das siegreich ward überwunden. Hinter dem Kriegsprunk gleich f ü h r t man den greisen Akötes, Der mit Fäusten die Brust, die Wang mit Nägeln zerfleischet, Auch, übermannt von Schmerz, sich lang hinstrecket zur Erde. Noch vom Blute bespritzt nachfolgen der Rutuler Wagen, Pallas' Streitroß dann, doch bar des schimmernden Brustschmucks, Tränenden Augs; dick rinnet das Naß ihm über die Backen. Pallas' Speer nicht fehlet noch Helm; der übrigen Waffen Hat ihn Turnus beraubt. Das Trauergefolge beschließen Arkader, Teukrer, Etrusker, zur Erd die Lanzen gewendet. Als der geordnete Zug ein Stück durchmessen des Weges, Hält Äneas ihn an und spricht mit klagender Stimme: „Uns zu neuem Gefecht ruft jetzt die Losung des Krieges. Sei noch einmal gegrüßt, noch einmal, herrlicher Pallas! Leb auf ewig mir wohl!" Mehr kommt nicht über die Lippen. Stracks er eilet zurück und lenkt zum Lager die Schritte. Hier die Sprecher schon sind mit Ölbaumzweigen in Händen, Von den Latinern geschickt, sich auszubitten die Gnade, Daß die Gefallenen er, die da noch lägen im Felde, Gäbe zurück und erlaub, daß man im Grabe sie bette; Daß mit Besiegten er nicht mehr kämpf, des Lichtes Beraubten, Nein, Gastfreunde verschon und jüngst noch Schwäher genannte. Gütig er auf sie nimmt, da nicht unbillig die Bitte, Und er füget hinzu noch gütiger folgende Worte: „Welch unwürdig Geschick könnt euch verführen, Latiner, In uns Feinde zu sehn und uns als Freunde zu fliehen? Frieden erbittet ihr jetzt für Gefallene, Opfer des Kampfes, Den wahrhaftig ich gern den Lebenden hätte gewähret. Nie wär kommen ich her, hätts Schicksal nicht mich gerufen. Mit dem Volke nicht führ' ich Krieg: es sagte der König Mir Gastfreundschaft auf, weil Turnus' Waffen er traute. Billiger hätt im Feld mir selbst sich Turnus gestellet. Wollt er beenden Krieg; wollt er die Teukrer vertreiben, H ä t t e geziemt sichs wohl, sich mir zu stellen persönlich:

222

XI 118—155

Pallas' Empfang in der Heimat

Gott selbst oder die Faust hätt klar entschieden den Zweikampf. Geht und zündet den Holzstoß an den gefallenen Bürgern!" So der König. Sie schauen sich an, ob der Rede verwundert, Und kein Wort bringt lange hervor der eine zum andern. Endlich erwidert hierauf Drankes, von allen der ältste, Feind dem Turnus aus Haß und bereit stets, ihn zu verleumden: „Troischer Held, durch Ruf schon groß, doch größer durch Taten, Wer gibt Worte mir ein, dich gleichzustellen den G ö t t e r n ? Wem gilt früher das Lob, dem Rechtsinn oder dem Kriegsruhm? Dankbar werden dein Wort wir unserer Stadt überbringen Und dich, zeigt das Geschick den Weg, dem König Latinus Machen zum Freund. Such Turnus allein sich Bundesgenossen. Freuen uns solls sogar, am Bau der Mauer zu helfen, Dir vom Geschicke bestimmt, zu schleppen an troischen Steinen". Solches er sagt. Sein Wort löst aus allseitigen Beifall. Voll zwölf Tage der Kriegslärm schweigt. Im Schutze des Friedens Tummeln gemeinsam sich im Walde Latiner und Troer; Keiner vom andern gestört. Hell vom zweischneidigen Beile Tönt der Esche Geäst, hinsinkt der Pinie Hochwuchs, Eichen und duftende Zedern man eilt mit Keilen zu spalten Und Bergeschen man fährt zu Tal auf knarrenden Wagen. Eilig hat Fama bereits, Vorbotin unendlicher Trauer, Stadt und Palast Euanders erreicht und erregt die Gemüter, Sie, die noch eben geraunt von Pallas' Taten im Felde. An die Tore man stürzt und errafft nach alter Gewohnheit Fackeln zum Totengeleit. Des Lichtscheins schwankende Zeile Teilt der Straße Gewirr, teilt weit das Dunkel des Feldes. Phrygier kommen entgegen dem Zug, dem Trauergeleite Schließen sie klagend sich an. J e t z t schreitet er über die Schwelle, Und der Weiber Geheul erfüllt rings Straßen und Plätze. Keine Gewalt reicht hin, nunmehr Euander zu halten; Mitten hinein er t r i t t ; man stellt zur Erde die Bahre: Er auf den Toten sich wirft, umarmt ihn weinend und stöhnend, Und erst spät vor Schmerz kommt ihm zum Sprechen die Stimme: „Solches versprachst du nicht, mein Pallas, deinem Erzeuger! Hättst du sorglicher doch dich anvertrauet dem Kriege! Ich zwar wußte genau, daß unwiderstehlich der Schlachtruhm, Daß vor allem verlockt der Erfolg des ersten Versuches.

XI 156—193

Euander an der Bahre des Sohns

223

Erstlingsopfer und - K a m p f ! Du, Schule des Nachbarkrieges, Wehe, wie bist du h a r t ! Ach, meine Gebete, Gelübde, Himmlische, hörtet ihr n i c h t ! Heil dir, du selige G a t t i n , D a ß dein früherer Tod dich w a h r t vor solchem Erlebnis! Ich m u ß t leben zum T r o t z dem Schicksal! Ich überlebte, Ich, der Vater, den Sohn. H ä t t ich die Troer begleitet, Mich dem Feinde gestellt! W ä r seinen Geschossen erlegen! D a n n gält mir das Geleit heimwärts, nicht Pallas, dem K n a b e n . E u c h nicht, Teukrer, ich schelt; den Bund nicht, den ich geschlossen Mit G a s t f r e u n d e n von uns. So s t a n d es unserem Alter Lange vorher ja fest. Mußt Pallas f r ü h e verbleichen, Ist es ein Trost, d a ß er nach L a t i u m f ü h r t e die Teukrer Und erst fiel, als T a u s e n d e schon der Feinde geblutet. J a , kein schöner Geleit k ö n n t , Pallas, ich dir bestellen, Als Äneas bestellt, die phrygischen Helden, die Führer Der Tyrrhener, die Schar der ganzen etruskischen J u g e n d . Siegestrophäen man b r i n g t : du hast die Gegner vernichtet. T u r n u s , auch du s t ä n d s t hier als ragender Pfeiler in Waffen, W ä r das Alter euch gleich, die K r a f t die gleiche gewesen. Doch was h e m m , Unseliger ich, die Troer am E n d k a m p f ? Geht, ü b e r b r i n g t von mir Äneas folgende Meldung: D a ß nach Pallas' Tod ich weiter noch f ü h r e das Leben, D r a n sei schuld sein A r m ; dem sei ja T u r n u s verfallen Gleich f ü r Vater und Sohn. Vor sei die Rache behalten Seinem Verdienst und Glück. Mir selbst ich weiter nicht lebe, Möcht n u r bringen den Manen des Sohns die tröstliche K u n d e " . Neu h a t wiedergebracht den T a g indessen das F r ü h r o t , Neu den Sterblichen auch der Arbeit Mühen und Sorgen. Stöße von Holz hat schon mit Äneas Tarchon errichtet Dicht am Gestad. Auf sie legt jeder die Leichen der Seinen, Wie's H e r k o m m e n gebeut. D a n n steckt in B r a n d m a n die Scheite, D a ß der q u a l m e n d e R a u c h in Schwarz einhüllet den Himmel. Dreimal ziehet das Heer im Vollschmuck schimmernder Waffen U m die flammende Glut, dreimal auch t r a b e n die Reiter Um das knisternde Holz, aufsteigt zum Himmel der W e h r u f . T r ä n e n benetzen den G r u n d , von T r ä n e n sich f e u c h t e n die W a f f e n ; Heulen des Volks, T r o m p e t e n g e d r ö h n hallt wild durcheinander. Hier ins Feuer m a n wirft, was a b m a n n a h m den Latinern,

224

X I 194—231

Bestattung der Troer und Latiner

Schwerter, gar prächtig verziert, Zaumzeug und eilige Räder, Helme dazu; dort legt man hinein die beliebten Geschenke, Lanzen und Schilde zu Häuf, der Gefallenen eigene Waffen. Viel auch Rinder man sieht dem Dämon opfern des Todes, Schweine, geschlachtet in Meng, Kleinvieh, zusammen getrieben Von den Äckern umher. Zuschauer am ganzen Gestade Wohnen dem Schauspiel bei, sind Hüter der halb nur verbrannten Leichen und gehn nicht fort, bis aufzieht nächtliches Dunkel Über des Himmels Gewölb, an dem aufleuchten die Sterne. Minder nicht sieht man Latiner bemüht zu bergen die Toten. Vieler der Holzstoß harrt, doch scharrt man viele der Leichen Auch in den Staub nur ein, fährt andere fort zu den Nachbarn Oder man schickt sie zurück zur Stadt an deren Verwandte. Was dann bleibt, das türmt man auf zu gewaltigem Haufen, Der aufloht ohn Namen und Zahl. Bald leuchtet das Flachland Rings im Wettstreit auf von schier unzähligen Feuern. Als das Frührot hatte verscheucht die dritte der Nächte, Wühlt die Stöße man durch nach Resten von Knochen und Asche, Setzt an Ort und Stelle sie bei trotz glühenden Bodens. Nun auch hallt in den Häusern der Stadt des reichen Latinus Laut das Klagegeschrei; den Verlust fühlt hier man am tiefsten. Mütter und junge Vermählte, die trauernden Schwestern der Toten, Söhne, der Väter beraubt, einmütig alle verwünschen Den so schrecklichen Krieg und Turnus' Ehegelüste. Der soll führen herbei nur selbst die Waffenentscheidung, Der Italiens Reich und oberste Würde beansprucht. Drankes steigert die W u t und bezeugt, daß einzig nach Turnus Gehe der Ruf, daß ihn man einzig fordre zum Kampfe. Auch für Turnus indes erhebt manch einer die Stimme, Spricht lebhaft für ihn; man deckt der Königin Namen, Weist auf den Ruhm des Manns, durch viele Trophäen erworben. Während der Streit so tobt und stark erregt die Gemüter, Sind die Gesandten zurück und melden die traurige Kunde Aus Diomedes' S t a d t : Nichts ist aus allem geworden, Was man davon sich versprach; Gold, Ehrengeschenke, die Bitten, Unnütz sind sie vertan; man solle nach anderem Bündnis Sich umtun, sonst Frieden erflehn beim troischen König. Jetzt, in allem getäuscht, versagt selbst König Latinus.

XI 232—269

Beratung bei König Latinus

225

Daß in göttlichem Schutz ganz sichtbar stehe der Troer, Lehre der Himmlischen Zorn, das lehre die Menge der Gräber. Drum zur Beratung er die Fürsten des Reiches entbietet, Daß in seinem Palast alsbald sich alle versammeln. Willig man folgt dem Ruf. Man eilt im Gewühle der Straßen Hin zum fürstlichen Haus. Es thront in der Mitte Latinus, Erster an Alter und Amt, mit nicht grad heiterer Stirne. Fest er leitet den Rat, hört an erst jene Gesandtschaft, Die jetzt eben zurück, und heischt von jedem sich Antwort, Wie der Brauch es verlangt. Nachdem er Stille geboten, Nimmt der Sprecher das Wort und Venulus also berichtet: „Bürger, wir haben gesehn Diomed, die griechische Veste, Haben durchmessen den Weg, die Fährlichkeiten bestanden, Haben gedrückt die Hand, die Priams Reich überwunden. Auf Gargänus' Gefild, des apulischen, hatte gegründet Einst Argyripa jener, das nach dem Volk er benannte. Wie man den Eintritt uns und auch zu reden gestattet, Breiten die Gaben wir aus, wir nennen den Namen der Heimat, Wer in den Krieg uns zog, welch Grund uns führte nach Arpi. Hierauf uns Diomed erwidert gelassenen Herzens: „Glücklicher Volksstamm ihr, saturnischen Reiches Bewohner, Urausonier ihr, welch Schicksal störet die Ruhe Eueres Volks und rät, daß blind ihr greift zu den W a f f e n ? Wir, die Trojas Flur mit Schwert und Feuer verwüstet, — Fortbleib, was an Not wir unter den Mauern erduldet, Was an Männern verschlang der Simois — alle wip haben Unsagbares erlebt und unsre Verbrechen gebüßet; Priamus selbst wiird fühlen mit uns. Von weiterem wissen Pallas' Sturm an Euböas Riff und der Rächer Kaphereus. Wer teilnahm am Zug, fand sich an fernsten Gestaden: Bis zu Proteus' Säulen gelangt Menelas der Atride, Irrfahrt treibt den Ulyß ans Land der Kyklopen am Ätna. Soll vom Reich des Neoptolem, des Idömeneus Ächtung Künden ich noch? Wie Lokrer die libysche Küste besiedelt? Selbst Mykenes Herr, der Führer der großen Achäer, Mußt heimkehrend sogleich der Hand der Gattin erliegen, Asiens Sieger, besiegt von der List des Buhlen Ägisthus! J a , kaum war ich selbst der Heimat wiedergegeben, T r e n d e l e n b u r g , Virgils Aeneis.

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XI 270—306

Bericht der Gesandtschaft

Dürft ich Kälydon doch nicht sehn und die teure Gemahlin. Heut noch — schrecklich zu schaun! — Vorzeichen auf Zeichen sich häufen: Geister sich schwingen empor verlorener Freunde zum Äther, Fliegen als Vögel umher — so schwer die Strafe der Meinen! — Und erfüllen das Felsengestad mit ängstlichen Rufen. Das ja hatt ich bereits seit jener Begegnung zu fürchten, Als, ein Sterblicher ich, doch nach unsterblichen Leibern Stach mit dem Schwert und so den Arm der Venus verletzte. Steht von mir ab, treibt wieder mich nicht in Kriegesgefahren: Seitdem Ilion fiel, sind nicht mehr Feinde mir Teukrer; Der überstandenen Mühn kann nicht ich denken mit Freuden. Was von Gaben ihr für mich bringt aus euerem Lande, Wendet Äneas zu. Wir beid uns haben gemessen, Standen entgegen uns oft. Glaubt mir als einem Erfahrnen, Daß er im Nahkampf groß, im Speerwurf minder nicht furchtbar. Hätte des Ida Land zwei solcher Gesellen geboren, Wahrlich, das griechische Reich die Dardaner hätten bezwungen, Und vom Gipfel des Ruhmes gestürzt läg Hellas in Trauer. Daß solang man weilen gemußt vor Ilions Mauern, Daran ist Hektor schuld und Äneas. Immer sie hemmten Hellas' endlichen Sieg: zehn Jahr lang währte das Ringen. Beide sind gleich an Mut, sind gleich an Waffen gewesen. Frömmer Äneas war. Mit ihm schließt, geht es, ein Bündnis; Ihm zu begegnen im Kampf, davor laßt treulich euch warnen." So, mein König und Herr, hörst du des Griechen Entscheidung, Hörst, was selber er denkt vom Krieg und dessen Bedeutung". Kaum ist erstattet Bericht, entsteht rings in der Versammlung Murren und Stimmengewirr, wie wenn Felsblöcke versperren Reißendem Strom den Weg, daß er in gurgelnden Strudeln Luft sich macht, und am Rand zerstäubt die brandende Welle. Als sich mählich gelegt der Lärm und Ruhe geworden, Ruft die Himmlischen an und spricht vom Throne der König: „Vorher hätt ich gewünscht mit euch zu beraten, Latiner; Besser gewesen es wär, nicht jetzt erst herzuberufen Euren Senat, wo schon der Feind nah unseren Mauern. Mißlich, ihr Bürger, ist Krieg mit dem, der Sprößling von Göttern, Mißlich mit Gegnern gewiß, die nicht in Kämpfen ermüden,

XI 307—344

Latinus schlägt ein Bündnis mit den Troern vor

227

Die, selbst wenn sie besiegt, vom Schwert ablassen nicht können. Hoffnung h a b t ihr gesetzt aufs Bündnis mit den Ätolern; Fahren sie l a ß t ! Auf euch sie b e r u h t ; und eurer sind wenig. Wie viel schon von unserer Macht zusammengebrochen, Weiß ein jeder von euch, m a n kanns ja tasten mit H ä n d e n . Niemand klagen wir a n : w a s T a t k r a f t leisten n u r konnte, H a b t ihr g e t a n ; das Reich h a t voll die Probe bestanden. Drum j e t z t hören ihr sollt, was wir in zweifelndem Herzen L a n g schon haben b e d a c h t ; m e r k t auf, kurz will ich es sagen. Mir ein Krongut liegt am R a n d des tuskischen Stromes, Weit nach Westen g e d e h n t bis über das Land der Sikaner. Dies A u r u n k e r bebaun und Rutuler, pflügen die Hügel, Soweit i m m e r es g e h t ; die Höhn sie nutzen als Weide. Lasset den Landstrich uns, die fichtenbestandene Höhe Treten den Dardanern ab, ein Bündnis schließen mit ihnen, Wie das beiden gerecht, und auf als Freunde sie n e h m e n : Hier, wenns ihnen beliebt, laßt F u ß f ü r immer sie fassen. Wollen ein ander Gebiet, ein anderes Volk sie sich suchen, Fällt es ihnen so leicht, aus unserem Lande zu weichen, L a ß t a u s eichenem Holz zweimal zehn Fähren uns zimmern, Falls sie wollen, auch m e h r ; Bauholz liegt reichlich am Ufer. Mögen sie Zahl und Maß vorschreiben der Kiele beliebig, T a u w e r k , Zimmrer u n d Erz lieg uns ob, ihnen zu stellen. Alsdann schicken wir ab aus ersten latinischen Sippen H u n d e r t Gesandte, die fest des B u n d s Verpflichtungen legen, Vor sich tragen als friedlichen Schmuck die Zweige der P a l m e , Gaben zugleich m i t f ü h r e n an Gold u n d seltenem Zahnbein, Den Amtssessel zumal u n d s Staatskleid, Zeichen der W ü r d e . Zieht in B e r a t u n g dies, helft auf d e m w a n k e n d e n Reiche!" D r a n k e s j e t z t sich erhebt, der eifrige Gegner des Turnus, Dessen beneideter R u h m ihn plagt mit ewiger Scheelsucht, — Reich an Mitteln, im Reden g e w a n d t , u n t ü c h t i g im Kriege, B r a u c h b a r wohl als F ü h r e r im R a t , ein Meister im Hetzen, Doch h o c h f a h r e n d e n Sinns, Erbteil der adligen Mutter, T r ä g in schnellem Entschluß, so wie sein Vater gewesen —. Der s c h ü r t eifrig den Groll und h ä u f t Schmähreden auf T u r n u s : „ W a s z u r Beratung steht, ist klar, mein König, bedarf nicht Langen G e r e d s ; ein jeder ja weiß, was unsere Lage 15*

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XI 345—380

Drankes gegen Turnus

J e t z t vor allem erheischt, doch scheut man offene Sprache. Freiheit gebe dem Wort, laß ab von jeglichem Hochmut Er, des böser Entschluß und unheilvoller Charakter — Frei red ich, wenngleich mit Tod er drohet und Waffen — Soviel Fürsten das Leben geraubt, in Trauer versenkte Unsere Stadt, weil er, schon gleich zu fliehen entschlossen, Wagt' aufs Lager den Sturm, mit Kriegslärm schreckte den Himmel. Füg den Gaben, die du so zahlreich schickest den Troern, Doch noch eine hinzu, du Bester der Väter und Fürsten. Laß abbringen dich nicht durch noch so heftigen Einspruch Von dem Entschluß, dein Kind zum Gemahl dem Fremden zu geben Und den Frieden von heut durch ewige Bande zu sichern. Doch hält immer noch Furcht vor Turnus die Herzen gefangen, Laß uns bitten ihn selbst, ihn um das Opfer beschwören, Preiszugeben das eigene Recht dem Lande, dem König. Wozu stürzest du denn in Gefahr soviele der Bürger? Wozu bringst du Latium bei so schmerzliche W u n d e n ? Heil nicht gibt es im Krieg! Wir all dich bitten um Frieden, Turnus, und um das Pfand, das ihn als einziges sichert. Mich, der ein Feind dir scheint — ich würds zu werden nicht zögern — Siehst als ersten du flehn: hab mit den Deinigen Mitleid, Laß vorn Zorn und bekenn dich besiegt! Der Gräber und Schläge Haben genug wir erlebt, weithin liegt öd das Gefilde. Gierst du jedoch nach Ruhm, nährst du so stolze Gedanken, Daß nur ein Königshaus du hältst für würdige Mitgift, Gut, dann wag es, die Brust auch darzubieten dem Feinde. Was denn verschlägts, daß wir hinsinken als ärmliche Seelen Ohne Beweinung und Grab, wenn nur die fürstliche Tochter Turnus als Braut heimführt. Auf drum, nennst dein du noch Stärke, Dein noch Lust am Waffengeklirr, blick jenem ins Auge, Der dich fordert!" Also gehöhnt, entbrennt vor Ingrimm Turnus aufs neue Und aus innerster Brust hervor er stoßet die Worte: „Drankes, immer gebrauchst du dann vornehmlich dein Mundwerk, Wanns der Fäuste bedarf; bist stets als erster zur Stelle, W a n n den Senat man beruft. Heut gilts nicht Worte zu drechseln,

X I 381—417

Turnus' Gegenrede

229

Die zufliegen Geborgenem dir, wenn Mauern und Wälle Auf noch halten den Feind und Blut nicht füllet die Gräben. Donnre nur Reden heraus, dein Feld ists; zeihe der Angst mich, Drankes, Tapferer du, des Hand so viele der Teukrer Schon zu Boden gestreckt, daß Leichen und Siegestrophäen Rings umsäumen die Flur. Laß uns, was männliche Tatkraft Kann, feststellen sogleich. Nicht weit ja brauchen zu suchen Wir den Feind; umdränget doch schon er nahe die Wälle. Los auf ihn! — Du verziehst? Sitzt dir denn immer noch Mavors Bloß auf windiger Zung, dir bloß auf hurtigen Sohlen, Die dein Stolz? ,, Ich als besiegt" ? Kann der mit Recht mich schmähn als Besiegten, Der von troischem Blut wird sehn die Fluten des Tiber Schwellen und stürzen das Haus mitsamt dem ganzen Geschlechte, Das Euander gebaut, der Arkader Reihen entwaffnet? Bitias, Pändarus mich als Feigling nimmer erfanden, Nicht die vielen, erschlagen von mir in jenem Gefechte, Das ich bestand, umschlossen vom Wall des troischen Lagers. „Heil nicht gibt es im K r i e g ! " Solch Lied, Wahnsinniger, singe Vor dem Troer und dir! Wärs so, magst lähmen du weiter Alle durch weibische Furcht, laut preisen die Taten des Volkes, Das schon zwiefach besiegt, magst schmähn das Heer des Latinus. Gings nach dir, so zitterten jetzt vor phrygischen Waffen Nicht Myrmidonen allein, nein auch Diomed und Achilles, Und von der Adria flöß rückwärts des Aufidus Strömung. Spielt im Streite mit mir er gar den Ängstlichen heute, T u t er dies als Meister der List, den Ärger zu mehren. Solch ein Leben nicht raubt mein Schwert — laß fahren die Sorge! —, Weiter in dir es wohn; es bleib dir weiter erhalten. Doch jetzt, Vater, zurück zu dir und deinen Entschlüssen. Kannst du hoffen nicht mehr auf unserer Waffen Erfolge, Sind wir also verfemt, daß nach einmaliger Schlappe Wir zu Boden gestreckt, dem Glück verrammelt die Rückkehr, Dann sei Friede gemacht, tatlos die Rechte geboten. W ä r von früherem Mut ein Rest doch unser geblieben! Der v o r anderen dünkt mich hoch und glücklich zu preisen, Der zu rühmen als Held, der, um nicht schmählich zu leben,

230

X I 418—455

Turnus entschlossen, sich Äneas zu stellen

Frei d e m T o d e sich g i b t ; einmal er e n d e t f ü r i m m e r . D o c h sind Mittel n o c h d a , s t e h t a u f r e c h t u n s e r e Sind z u r Hilfe bereit

Italiens Völker und

Jugend,

Städte,

H a b e n a u c h T r o e r b e z a h l t den Sieg m i t S t r ö m e n des B l u t e s , B e r g e n die T o t e n a u c h sie, r a s t gleich d u r c h alle die W i n d s b r a u t , W o z u s t e h e n d e n n a b wir gleich an der Schwelle des Krieges, W o z u lassen denn wir die F u r c h t d e m K a m p f e

vorangehn?

E i n T a g m a c h t e schon oft und der A r b e i t w e c h s e l n d e

Mühe

G u t w a s der a n d r e v e r d a r b ; h ö h n t h e u t d a s w a n k e n d e K r i e g s g l ü c k , H a t schon m o r g e n E r f o l g uns wieder gestellt a u f die

Füße.

H a t uns gleich Kriegshilfe v e r s a g t D i o m e d e s u n d

Arpi,

Hilft Messäp uns d o c h u n d T o l u m n i u s , helfen die

Führer,

Die S t a m m f r e u n d e g e s a n d t ; n i c h t r u h m l o s s c h l ä g t sich die J u g e n d , Die L a u r e n t u m

erlas,

die L a t i u m s

Fluren

erwählten.

A u s d e r Volsker G e s c h l e c h t f ü h r t uns die Heldin

Camilla

Treffliche

als

Reiter

heran,

erzschimmernde

Scharen

Fußvolk.

F o r d e r n h e r a u s z u m K a m p f mich einzig v o n allen die T e u k r e r , Ist es g e n e h m und s t e h ich im W e g so sehr d e m Erfolge, Hier die R e c h t e , bei G o t t , ist n i c h t Stiefkind so des Sieges, D a ß u m herrlichsten

P r e i s sie j e m a l s sollte

versagen.

Ihm werd stellen ich m i c h , a u c h w e n n d e m großen E r n a c h a h m t , gleich ihm a u c h p r a n g t in g ö t t l i c h e n E u c h h a b ich mein

L e b e n gelobt und S c h w ä h e r

Achilles Waffen.

Latinus,

T u r n u s , der n i c h t n a c h s t e h t an M a n n h e i t einem der A h n e n . „ I h m Äneas nur r u f t " .

Mein W u n s c h ist, d a ß er m i c h fordre.

D r a n k e s n i m m e r den T o d , wills so d e r H i m m l i s c h e n

Grollen,

Leide für m i c h , n o c h a u c h den R u h m , w i n k t solcher,

gewinne".

So m i t eifrigem W o r t in mißlicher L a g e sie s t r e i t e n : D o c h Ä n e a s indes b r i c h t a u f m i t L a g e r u n d

Heerbann.

Plötzlich v e r s e t z t

in

der

R u f den

Königspalast

Erregung,

Plötzlich erfüllt er die S t a d t weithin m i t b e b e n d e m

Schrecken:

In S c h l a c h t o r d n u n g gereiht a n r ü c k e n v o m T i b e r die Zahllos steigen h e r a b v o m

F e l d die tuskischen

Wilde V e r w i r r u n g h e r r s c h t , tief sind die M ä n n e r U n r u h m a c h e t sich L u f t in Z o r n a u s b r ü c h e n

Teukrer,

Scharen. erschüttert,

bei vielen.

W a f f e n m a n h a s t i g b e g e h r t , d a n a c h r u f t s t ü r m i s c h die V ä t e r in D u m p f h e i t weinen b e t r ü b t ; rings aber e r h e b t L a u t ein w ü s t e s G e s c h r e i ; Z w i e t r a c h t die Betroffenen

Jugend, sich spaltet.

XI 456—492

Die Stadt bereitet sich auf den Sturm vor

231

So hallt wieder der Hain, wo schnatternde Scharen von Vögeln Rast grad haben gemacht, so die fischreiche Padusa, Wenn im geschwätzigen Sumpf sich laut überschreien die Schwäne. Turnus benutzt die gelegene Zeit: „ I h r Bürger, so ruft er, Pflegt nur immer des R a t s und sitzt und lobet den Frieden; Die da brechen mit Waffen ins Reich!" Mehr macht er nicht Worte, Springt schnell auf und verläßt spornstreichs das Sitzungsgebäude. „Volusus, ordnet er an, laß rasch sich waffnen die Volsker, Führ die Rutuler a n ; Messäp mit Köras und Bruder, Ihr im offenen Feld planvoll verteilet die Reiter. Ein Teil sichre die Wege zur Stadt und besetze die Türme. Mit mir ziehe der Rest, wohin ich führen ihn werde". Alsbald eilt auf die Mauer der Stadt die ganze Besatzung. Auch der Vater Latinus, verwirrt vom plötzlichen Umschwung, Eilig verläßt den Palast, schiebt auf sein friedlich Beginnen Und klagt schwer sich an, daß nicht freiwillig Äneas Er empfangen als Freund und ihm die Tochter gegeben. Gräben man zieht vorm Tor, fährt an auch Balken und Steine. Rauh gibts Zeichen zum Kampf der schmetternde Schall der Trompete. Schon umsäumen in buntem Gemisch die schützenden Mauern Weib und Kind, auch ihrer bedarf das äußerste Ringen. Steil zum Tempel hinauf, zur Höhe der Burg der Minerva Fährt die Königin ernst, umringt von adligen Frauen, Gaben zu bringen dorthin; Lavinia schreitet zur Seite, Anlaß sie der Not, und senkt die Blicke zur Erde. Danach steigen die Mütter hinauf, entzünden den Weihrauch Und an dem Eingang vorn sie bebend beten zur Göttin: „Waffengewaltige, Herrin des Kriegs, tritonische J u n g f r a u , Brich des phrygischen Fremdlings Speer und streck ihn zu Boden Jählings, daß er verderb hier dicht vor unseren Toren!" Mutvoll gürtet zur Schlacht im Blachfeld Turnus sich selber: Schon hat an er gelegt den rotgelb schimmernden Panzer, Schon starrt ehern die Brust, Beinschienen umgolden die Schenkel, Nur ist das Haupt noch nackt, das Schwert ihm klirrt an der Hüfte. So stürzt strahlend in Gold er herab die Höhe des Burgbergs, Jauchzet vor Kampflust auf und sieht den Feind schon vernichtet. So stürmt aus dem Stalle der Hengst, der die Halfter zerrissen;

232

X i 493—529

Camilla begegnet dem Turnus

Endlich befreit sucht auf sprungweis ers offne Gelände Seis zur Weide, zur Schar der hürdumschlossenen Stuten, Seis zum Baden im Fluß — er weiß die Stelle zu finden —: Fröhlich er wiehert erhobenen Haupts, schlägt aus mit den Hufen, Und um Schulter und Hals ihm spielt die fliegende Mähne. Mit der Volskerschwadron dem Turnus Camilla begegnet Grad am Tore; sie springt zum Gruß ehrfürchtig vom Pferde, Auch die Reiter es tun. In Reihn sie stellen am Boden Alle sich auf, indes die Königin Turnus begrüßet: „Turnus, die tapfere Tat schafft Selbstvertrauen f ü r jeden; Hier ich gelobs und wags, allein entgegenzutreten Des Äneas Gefolg samt seinen etruskischen Reitern. Laß doch zuerst mich bieten die Stirn dem Toben der Feldschlacht, Du halt Wache beim Wall und schütz zu Fuße die Mauern". Turnus hierauf, den Blick aufs heldische Mädchen gerichtet: „Zier Italiens du, Jungfrau, wie soll ich dir danken J e mit dem Worte, der T a t ? Da dir an Kühnheit gewachsen Keiner von allen hier ist, teil du mit mir die Gefahren! Wie das Gerücht glaubwürdig erzählt, Kundschafter auch melden, Schickt Äneas voraus die leichten Geschwader der Reiter, Um zu stampfen das Feld; er selbst zieht über des Berges Öde Gehänge herab und will die Stadt überrumpeln. Kriegslist ihm ich ersinn: auf viel sich windendem Waldpfad Sperr ich den doppelten Paß ihm ab mit bewaffneten Leuten; Du zu geordnetem Kampf empfang die tuskischen Reiter. Mit dir ist Messäp, mit dir die Schar der Latiner Und Tiburtus' Gefolg. Trag du die Sorge der Führung". So der Befehl an sie. Messap, die befreundeten Führer Mahnt er in ähnlicher Art; dann eilt dem Feind er entgegen. Ein Waldtal mit gewundenem Grund, zum Lauern geeignet, Liegt im Gebirge versteckt; mit undurchdringlichem Schatten Schützt die Flanken der Wald, hin f ü h r t ein winziger Fußpfad. Dunkel und enge die Kluft, und voll von Fallen der Zugang. Über ihm dehnt sich aus ein ebener Platz auf der Höhe, Der, von keinem gekannt, sich eignet zu sicherem Rückzug; Denn von rechts wie links kann hier dem Kampf man begegnen, Auch festhalten das Joch, Felsstücke herunterzuwälzen.

XI 530—565

Camillas

Kindheit

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Hierhin den Weg schlägt ein, der Richtung sicher, der Jüngling, Nimmt in Besitz den Platz und bleibt im Walde verborgen. Opis, der hurtigen, jetzt, der J u n g f r a u n einer der treuen Aus der heiligen Schar, naht sich auf himmlischem Sitze Letos Tochter betrübt und sagt mit trauriger Stimme: „ E b e n begibt, J u n g f r a u , zur Schlacht sich unsre Camilla Und umgürtet die Brust umsonst mit unserer Waffe, Sie vor allen mir lieb. Nicht jetzt erst fühlt zu Diana Hin sich gezogen ihr Herz, nicht jetzt erst Liebe sie fühlet. Metabus, vielen zu stark, aus Neid vom Throne gestoßen, Als aus Privernum er floh, der altehrwürdigen H a u p t s t a d t , Nahm ein Kind mit fort in alle Gefahren des Krieges Sich, dem Verjagten, zum Trost. Casmilla, den Namen der Mutter, Legt' er, wenig entstellt, ihm bei und hieß es Camilla. Vorn im Bausche das Kind er t r u g und suchte mit Absicht Auf einsames Geländ; denn ringsum sausten Geschosse Und, in Gruppen geteilt, wachsam ausschwärmten die Volsker. Sieh da, mitten im Weg war über das Ufer getreten Schäumend der Fluß Amasenus, gefüllt von plötzlichen Güssen. Durchzuschwimmen er schickt sich a n ; die Liebe zum Kinde Dem entgegen sich stellt. Nachdem er mancherlei Pläne Bei sich bedacht, bleibt stehn er zuletzt bei diesem Entschlüsse: Auf den knorrigen Speer, durchglüht, aus trefflichem Kernholz, Den in kräftiger Faust er f ü h r t als stärkste der Waffen, Legt er das Kind, mit Bast umhüllt und der Rinde des Korkbaums, Schnallts zum Wurfe bequem grad auf die Mitte des Schaftes. Schwingend ihn jetzt in der Hand er also betet zum Himmel: „Herrin des Hains, du Hehre, dir, J u n g f r a u , Tochter Latonas, Weiht der Vater zum Dienst sein Kind. Auf deinem Geschosse Fliehs vor dem Feind durch die Luft. Hab Mitleid! Gnädig empfange, Göttin, die Dienerin dein! Der Luft ich an sie vertraue". Sprichts, zieht an den Arm und schleudert die wuchtige Lanze. Murmelnd singet die Flut, und über die rauschende Strömung Flieht auf sausendem Speer vorm Feind die kleine Camilla. Metabus aber — schon drängt mit näheren Schwärmen der Gegner — Stürzt sich behend in den Strom; jenseits den Speer mit dem Kindchen

234

XI 566—603

Dianas Auftrag an Opis

Er als der Göttin Geschenk entreißt dem Rasen des Ufers. Kein Dach nimmt ihn auf, er tritt in keine der Städte, Wilden Gemüts mocht er sich niemand geben zueigen, Nein als Jäger er lebt, als Hirt in einsamen Bergen. Hier im Gestrüpp die Tochter, im grausen Verstecke der Tiere Zieht er mit Tiermilch auf, indem die Zitzen der Stuten Er ausmelket hinein in des Kindleins offene Lippen. Als die Kleine vermag zu stehn auf eigenen Füßen, Gibt in die Hand er ihr des Jagdspeers spitzige Waffe, Hängt ihr über die Brust den Bogen und Köcher mit Pfeilen. Statt Goldschmuckes im Haar, statt langen Gewandes Umhüllung Fällt ein gesprenkeltes Fell ihr schlicht von Scheitel und Rücken. Früh mit kindlicher Hand weiß sie zu lenken Geschosse, Schwingt an rundlichem Strick ums Haupt zielsicher die Schleuder, Trifft den Kranich geschickt, bringt Tod dem singenden Schwane. Obzwar viele gewünscht der Fraun in tuskischen Städten, Sie zu gewinnen als Schnur, bleibt treu sie doch der Diana, Wahrt die Liebe zur Jagd, wahrt fest die Liebe zur Keuschheit, Jeder Verlockung taub. Ich wollt, sie hätte beteiligt Nimmer am Kriegsdienst sich, hätt nicht die Teukrer gereizet, Wäre sie stets doch mein und eine der Meinen geblieben. Doch da jetzo bedroht sie wird von herbem Geschicke, Schwing dich, Nymphe, herab, such auf gleich Latiums Fluren, Wo jetzt leider entbrannt der Kampf in traurigem Zeichen. Nimm dies, lös den rächenden Pfeil aus seinem Behältnis, Straf mit ihm durch Tod, seis Italer oder Trojaner, Wer nur immer verletzt der Jungfrau heiligen Körper. Dann in hohlem Gewölk will selbst ich tragen der Armen Leib und Waffen hinweg, in der Heimat sie zu bestatten". Sagts, und Opis enteilt; umrauscht von dunkeler Wolke, Teilt sie die flüssige Luft und fliegt mit Brausen zur Erde. Doch inzwischen sich naht der Stadt die troische Jugend, Nahn die tuskischen Führer, die bundesgenössischen Reiter, In Schwadronen geteilt. Vor Kampflust wiehern die Rosse, Dröhnend sie stampfen das Feld, bald hier- sie zerren, bald dorthin Gegen den Zügel den Kopf. Ringsum von drohenden Lanzen Starret das Land, die Felder erglühn von blinkenden Waffen. Ihnen sich werfen entgegen Messap, die schnellen Latiner,

XI 604—640

Kampf vorm Stadttor

235

Koras, sein Bruder Katill, die Schar der kühnen Camilla. Auf der anderen Seite des Felds ansprengen die Reiter, Ein die Lanzen gelegt, auch hoch zum Wurfe sie schwingend. Mit Auftauchen des Feinds nimmt zu das Wogen und Wiehern. Als so beide Partein jetzt nur Schußweite noch trennet, Machen ein wenig sie halt; dann brechen sie vor mit Getöse, Geben dem schnaubenden Rosse den Sporn: die Menge der Lanzen Gleicht dicht rieselndem Schnee, rings sich umdunkelt der Himmel. Gegeneinander zum Kampf ansprengen Tyrrhen und Akonteus. Scharf aufprallen die Speer', und beid sie kommen zu Falle Mit weithallendem Krach; auch stoßen zusammen die Renner, Brust zerschmettert an Brust. Blitzschnell wird geworfen Akonteus. Weit durch den luftigen Raum, wie der Stein saust von der Maschine, So kopfüber er fliegt und haucht in den Äther das Leben. Schnell sich lockern die Reihn; kehrtmachen sofort die Latiner, Werfen nach hinten den Schild und suchen die Stadt zu gewinnen. Scharf hinterdrein die Troer, es führt die Geschwader Asilas. Schon ist den Toren man nah: Kampfruf die Latiner erheben Wiederum jetzt und werfen herum die flüchtigen Pferde. Flucht der Troer: sie sprengen zurück mit lockeren Zügeln. So spielt wechselnd die Flut des ebbenden Meeres am Ufer: Bald stürzts schäumend heran, taucht ein in Wasser die Riffe, Weit überflutend den Sand bis ganz zum äußersten Saume; Bald strömts eilig zurück, schlürft ein von den Klippen die Wogen Und läßts Ufer im Stich auf sanft abfließenden Watten. Zweimal treiben die Tusker die Rutuler bis an die Mauern, Zweimal fliehn sie zurück und decken bedächtig den Rücken. Als zum dritten entbrennt der Kampf und die Reihen sich fassen, Unentwirrbar gemengt, und Mann vom Manne nicht abläßt, Steigt zum Gipfel die Schlacht: ringsum die Sterbenden stöhnen, In Blutlachen sich türmt ein Knäul von Leichen und Waffen Und mit Menschen gemischt halbtot hinwälzen sich Pferde. Weil den Remulus selbst Orsilochus töten nicht wollte, Trifft er das Pferd; der Speer steckt fest ihm unter dem Ohre. W ü t e n d vom Stich bäumt auf sich das Tier und schlägt mit den Füßen, Senkrecht stehend, die Luft — nicht folgts dem Willen des Reiters — Und wirft ihn zur Erde. Katill stößt außer I-ollas

236

X I 641—675

Camilla im

Kampf

Auch Herminius noch vom Pferd, den riesigen Kämpen, Dem das blonde Gelock frei wallt um offene Schläfen, Dem kein Panzer beschützt die Brust; ohn Scheu vor Verwundung Bietet er nackt sich dem Wurf. Ihm dringt durch die mächtige Schulter Sausend der Speer und zwingt selbst ihn vor Schmerz sich zu krümmen. Überall strömts von Blut, sie morden einander im Wettstreit, Und den rühmlichen Tod erstrebt ein jeder durch Wunden. Mitten im Blutbad, sieh, einherstürmt munter Camilla, Köchergeschmückt, die Brust nur halb umhüllt vom Gewände. Bald den geschmeidigen Speer sie wirft in hastiger Folge, Bald zu der Streitaxt greift die nimmer ermüdende Rechte; Golden im Rücken ihr klirrt der Diana Bogen und Köcher. Muß sie weichen einmal dem Ansturm starker Geschwader, Dreht auf dem Pferd sie sich um und trifft auch fliehend den Gegner. Um sie scharen Erlesene sich: Larina, die Jungfrau, Tulla, mit ihr Tarpeja, bewehrt mit wuchtiger Streitaxt. Aus Italien sie sich selbst auswählte Camilla So zum Dienste wie Schmuck, gleich gut im Frieden und Kriege. Also ziehn Amazonen, wenn Frost die Brücke geschlagen, Über Thermödons Flut, umglänzt von farbigen Waffen, Seis daß sie Hippolyte führt, seis Penthesilea. Siegreich kehren sie heim und unter gewaltigem Jubel Schwenkt der magdliche Zug die halbmondförmigen Schilde. Wen, Kriegsjungfrau, triffst du zuerst, wen holest als letzten Du vom Pferd ? Wie viel an Sterbenden streckst du zu Boden ? Den Euneus zuerst, den Sohn des Klytius. Tödlich Trifft ihm der Speer die Brust, die bar des Panzers er darbot. Ströme von Blut er speit, stürzt ab, in den triefenden Boden Schlagen die Zähne sich ein, er wälzt sich über der Wunde. Liris und Pägasus dann. Der hascht nach den Zügeln des Pferdes, Das ihm gefällt ein Speer; ihm eilt der andre zu Hilfe, Reitet heran und will dem Gleitenden reichen die Rechte; Jählings stürzen sie beid. Alsdann sie tötet Amästrus, Hippotes' Sohn; setzt nach, den Speer zum Werfen erhoben, Thereus, Demophon auch, Harpälykus, endlich auch Chromis.

X I 676—712

Camilla im Kampf

237

Soviel Lanzen die Hand des stürmischen Mädchens entsendet, Soviel Phrygier sinken ins Gras. Auf apulischem Pferde Tummelt sich Ornytus fern. E r trägt auffallende Waffen, Trägt als J ä g e r ein Fell des Stiers um kräftige Schultern, Trägt den Rachen des Wolfs als Kopfschmuck: schimmernde Zähne Drohn aus dem Maule hervor, denn weit aufreißt es die Backen. Einzige Wehr sein Spieß. Doch ragt inmitten der Seinen E r um Länge des Haupts, weit sichtbar unter den andern. Ihn — denn die Seinigen fliehn — durchbohrt ohn Mühe Camilla Und ruft höhnend ihm zu voll Grimms die beißenden W o r t e : „Hast du gemeint, Tyrrhener, dir Wild im Walde zu j a g e n ? Nun ist kommen der Tag, da dir jungfräuliche Waffen Zahlen den Hochmut heim. Doch gereicht den Manen der Väter Dieses zum Ruhm, daß du von Camillas Händen gefallen". Dann den Butes sie trifft und Orsilochus, riesige Teukrer. Jenem, zur Flucht schon gewandt, sie nach schnell schleudert die Lanze, Trifft ihn zwischen dem Harnisch und Helm, wo bloß sich der Nacken Ganz des Fliehenden zeigt, sein Schild im Rücken herabhängt. Vor Orsilochus scheint sie zu fliehn; doch plötzlich sie wendet Um im inneren Kreis und verfolgt nun selbst den Verfolger. Dann, sich richtend empor, treibt sie die wuchtige Streitaxt Ihm durch Schädel und Helm, so viel auch immer er bittet: Aus dem Kopfe das Hirn rinnt heiß ihm über das Antlitz. Dies sieht Aunus mit an, der Sohn gleichnamigen Vaters Aus der Ligurer Stamm, an Schlauheit jedem gewachsen, Hemmt ein wenig das Pferd; der Anblick macht ihn erbeben. Bald er erkennt: auch er kann nicht entrinnen dem Kampfe, Da die Königin nichts am Ansturm werde verhindern. Drum er versuchts mit List und sagt verschlagenen Sinnes: „ W a s ist Großes dabei, wenn du dem wackeren Renner An dich vertraust als W e i b ? Flieh nicht! Auf ebener Erde Stell entgegen dich mir! Zum Fußkampf rüste dich, Jungfrau! Wirst bald sehn, wie windiger Ruhm zum Schaden gereichet". Hell auflodernd in W u t das Roß einhändigt Camilla Ihrer Begleiterin gleich, macht sich auf ebenem Boden Zum Fußkampfe bereit mit dem Schwert, vom Schilde gedecket. Siegreich wähnt sich der Jüngling schon und sprengt mit verhängten

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X I 713—750

Tarchon und Venulus

Zügeln sofort davon; sein Heil im Fliehen nur sucht er, Spornt unablässig das Tier und treibts zu stürmischer Eile. „Ligurer, eitel und leer traust du hochmütigem Sinne Und versuchest umsonst die trügenden Künste der Heimat. Nicht führt List dich lebend zurück zum listigen Vater". Also die Jungfrau r u f t ; blitzschnell auf hurtigen Sohlen Sie den Renner erreicht, f a ß t vorn im Laufe die Zügel Und vollstrecket am Feind mit blutiger Hand die Bestrafung. Also holt vom Gipfel des Bergs der heilige Habicht Ein die Taube, die sich verlor im hohen Gewölke, Hält die Gegriffene fest und zerfleischt den Leib mit den Krallen, Daß Blut träufelt herab und Fetzen zerrissener Federn. Nicht umsonst hält Wacht der Vater der Menschen und Götter Auf der olympischen Höh; von hier aus schaut er was vorgeht. Tarchon stachelt er auf zum Kampf, den etruskischen König, Und senkt Zorn in sein Herz, daß er den Fliehenden wehre. Drum sprengt Tarchon ins Morden hinein, in die wankenden Reihen, Treibt mit Worten zurück in die Schlacht die Reitergeschwader, R u f t den einzelnen an und bringt zum Stehn die Bestürzten: „Welch ein Schrecken,Tyrrhener, welch Kleinmut hat euch befallen? Fühlet ihr nicht die Schmach, wollt ihr als Feiglinge gelten? Stiebt vorm Weib auseinander wie Spreu, zeigt euere Rücken! Wozu haben ein Schwert, wozu wir Lanzen in H ä n d e n ? Gält der Liebe der nächtliche Krieg, ihr wäret nicht träge; Gält dem Reigen der Streit, rief euch die bacchische Flöte, Harrte das Mahl auf euch, des Nachtischs volle Pokale, Zeigtet ihr Eifer und Ernst, wofern dem Opferbeschauer Günstig sich wies der Befund und Festhekatomben euch riefen". Dabei treibt er das Roß zum Kampf voll Todesverachtung, Wirft dem Venulus sich von vorn gleich stürmisch entgegen, Reißt vom Pferd ihn herab und packt ihn fest mit der Rechten, Dann zieht er ihn herauf zu sich und reitet von dannen. Auf zum Himmel erschallt ein Schrein, und alle Latiner Blicken ihm nach. Blitzschnell saust Tarchon über das Schlachtfeld, Vor sich Waffen und Mann. Ihm bricht von der Spitze der Lanze Er das Eisen sich ab, um nachzutasten der Blöße Für den verderblichen Stich. Es wehrt sich Venulus eifrig, Stößt von der Kehle die Hand, setzt Kraft entgegen den Kräften.

X I 751—787

C h l o r e u s u n d Camilla

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Also schleppt im Fluge d a v o n der Adler die Schlange, Die mit den F ä n g e n er preßt, ins Fleisch ihr drückend die Krallen. Doch die Verwundete schlägt im Schmerz ihm bauchige Ringel, S t r ä u b t den schuppigen Leib und zischt mit züngelndem Maule, Hoch sich richtend empor. Er setzt ihr zu mit dem Schnabel, Wie sich auch immer sie wehrt, und schlägt die L u f t mit den Flügeln. So den Venulus schleppt Tarchon frohlockend als Beute Mit sich fort aus der Schlacht. Das Beispiel feuert die Mannen An, zu stehen im K a m p f . J e t z t schleicht, dem Tode verfallen, Arruns sich an Camilla heran, an List überlegen, Und späht aus, wo wohl ihr beizukommen am besten. Wo nur immer sie tobt im dichtesten Schlachtengewühle, Ist ihr heimlich er nah und folgt der Reiterin Spuren. W e n n nach gutem Erfolg vom Feind sie wendet den Renner, W i r f t auch er den seinen h e r u m , nachspürend der Beute. Zugang sucht er bald hier bald dort, durchirret den ganzen Umkreis, immer bereit, die tückische Lanze zu schleudern. Chloreus' schmucke Gestalt — vormals ein Kybelepriester —, Weithin leuchtend im Gold der blendenden Phrygierrüstung, T u m m e l t sein schäumendes Pferd. Ein Tierfell, golden genestelt, Hüllet es ein in Schuppen von Erz, gleich Federn gereihet. Ganz vom Feuer u m s t r a h l t fremdländischen Purpurgewandes, Sendet v o m lykischen Horn hinaus er kretische Pfeile. Golden der Köcher im R ü c k e n ihm h ä n g t , das H a u p t ihm bedecket Golden der H e l m ; der flatternde Bausch des gelblichen Mantels Ist z u m K n o t e n gerafft, von goldener Spange gehalten; B u n t ist gestickt der Rock, b u n t auch am Schenkel die Hose. Blindlings folgt ihm Camilla; sie will mit troischer Beute Schmücken die Tempel daheim, vielleicht mit erobertem Golde Selbst auch p r u n k e n , genug, sie läßt ihn nicht aus den Augen, Ist wie g e b a n n t von ihm, setzt Vorsicht völlig beiseite, Ganz von weiblicher Gier e n t f l a m m t nach goldenem Schmucke. A r r u n s j e t z t die Gelegenheit n u t z t , er schleudert verstohlen Ab den Speer und r u f t im Gebet zu den Himmlischen also: „ H ö c h s t e r der Götter Apoll, des Sorakte heiliger H ü t e r , Uns v o r allen verehrt, f ü r den wir fichtenes Feuer Hoch a n f a c h e n zur Glut, f ü r den in f r o m m e m V e r t r a u e n

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XI 788—825

Camillas Tod

Wir durchschreiten die Loh, ohn jemals Schaden zu nehmen, Gib, allmächtiger Gott, daß Schmach abwasche mein Wurfspeer! Nicht Kriegsbeute mich lockt, noch Siegestrophäen der Jungfrau, Auch kein Raub; Kriegsruhm mir andere Taten gewinnen. Wenn von meinem Geschoß nur sinkt die schreckliche Geißel, Will gern ruhmlos ich heimgehn zu meinen Penaten". Phöbus erhört das Gebet und gewährt Erfüllung der Hälfte, Doch die zweite zerstreut er in die flüchtigen Lüfte. Daß in plötzlichem Tod hinsink die betörte Camilla, Dieses versagt er nicht; daß wieder er sehe sein Bergland, Nicht er gewährt, den Wunsch fruchtlos entführen die Winde. Als in die Luft sich erhebt mit schwirrendem Tone die Lanze, Wenden die Volsker bestürzt allsamt die spähenden Augen Auf die Königin hin. Nur selbst nicht achtet befangen Sie des Tons in der Luft vom Speer, der drohend herabfährt, Bis in der offenen Brust er festsitzt bebenden Schaftes Und mit gierigem Zug sich labt am magdlichen Blute. Ringsher eilen herbei die Gefährtinnen, fangen die Herrin Auf beim Sturz. Entsetzt sprengt Arruns hurtig von dannen, Freude sich mischt mit Angst. Nicht traut er weiter der Lanze, Will darbieten auch nicht die Brust den Pfeilen der Jungfrau. So sich flüchtet der Wolf, noch eh Verfolger sich regen, Gleich ins hohe Gebirg auf unzugänglichen Pfaden, Wenn dem kräftigen Stier, wenn Tod er brachte dem Hirten, Wohl sich bewußt der T a t ; rückwärts er bieget die Rute, Klemmet sie furchsam ein und sucht sich Deckung im Dickicht. Gar nicht anders entzieht Arruns sich hastig den Blicken, Nur auf Entkommen bedacht und mischt sich unter die Kämpfer. Sterbend noch rüttelt am Speer die Getroffene: tief in der Wunde Bleibt das Eisen zurück und steckt fest zwischen den Rippen. Blutleer sinket sie hin, ihr bricht im Tode das Auge Und das blühende Rot weicht ganz vom bleichen Gesichte. Noch einmal sie sammelt die K r a f t und sagt zu der Akka, Die vor allen ihr treu, der Altersgenossinnen eine, Die Mitwisserin war von all dem, was sie bedrückte: „Schwester, bis hierher nur ich k a n n ; nun setzt mir die Wunde Jähe das Ziel, mir wird schon schwarz jetzt alles vor Augen. Mache dich auf und bring als letztes Vermächtnis dem Turnus:

X I 826—863

241

Opis erschießt A m i n s

Mich ablösen er soll, von der S t a d t fernhalten die Troer. So leb w o h l ! " Hiermit läßt sie die Zügel entgleiten, Sinkt zur Erde herab. Es löst allmählig die Seele Leis vom Körper sich los. Kalt neigt zur Seite Camilla Hals und H a u p t ; der Tod entwindet den Händen die Waffen; Seufzend das Leben entflieht voll Unmut hin zu den Schatten. J e t z t unermeßlich Geschrei steigt auf zu den goldenen S t e r n e n ; Wilder entbrennet die Schlacht, seitdem die Fürstin gefallen. Dicht zu Zügen geballt stürmt vor die troische Jugend, Mit ihr Tusker zugleich und Arkaderscharen Euanders. Längst im hohen Gebirg hält W a c h t die Botin Dianas, Opis, und wendet nicht ab das Aug vom Wogen der Feldschlacht. Wie sie Camilla gewahrt, daß sie, vom Brausen des Kampfes Laut umtost, hinsinkt und elend endet ihr Leben, Seufzet sie schmerzvoll auf und ruft aus innerstem Herzen: „Allzuschwer, ach, hast du gebüßt dein kühnes Beginnen, Auszufordern zum Kampf Äneas' tapfere Mannen! Nichts hat dir es genutzt, dem Dienste Dianas zu leben, N i c h t s hat dir es genutzt, mit unseren Waffen zu kämpfen. Doch läßt ruhmlos nicht hinwerfen ein Leben der Treue Deine Gebieterin dich, nicht soll dein Opfer des Lebens Klanglos bleiben im Volk, noch dir sich Rache versagen; Denn wer immer den Leib entweiht durch tödliche Wunde, B ü ß t s mit schuldigem T o d . " Aufragt am Fuße des Berges Hoch aus Erde gebaut das Mal des Königs Derkennus, Einst Laurentums Herr, vom Laub der Eiche beschattet. Hier nach stürmischem Flug macht halt die liebliche Nymphe, S p ä h e t nach Arruns aus hoch von der Spitze des Hügels. Wie voll Hochmuts er sich wiegt in nichtiger Freude, R u f t sie höhnend: „Entfern dich nicht, her lenke die Schritte! Her dem Geschicke Verfallner, daß würdiger Lohn für Camilla W e r d e dir hier zuteil. Willst kosten den Pfeil der D i a n a ? " R u f t s . Das schnelle Geschoß entnimmt sie dem goldenen Köcher, P a ß t auf die Sehne den Spalt und zieht nun beide so lange Zu sich heran, bis daß die Köpfe des Bogens einander Nah sich kommen, den Pfeil gleich weit die Hände berühren, Dort die Linke das Eisen, am Busen die Kerbe die Rechte. Arruns hört das Geschoß; kaum hört er schwirrend es tönen, T r e n d e l e n b u r g , Virgils Aeneis.

16

242

X I 864—901

Kampf am Stadttor

Fühlt er auch schon im Fleisch tief stecken die Spitze des Pfeiles. Laut er stöhnet und stirbt; den Leichnam lassen die Seinen Achtlos liegen im Staub fern von der heimischen Erde. Auffährt flügelbeschwingt zum Olymp die liebliche Nymphe. Nach der Herrin Verlust ihr Trupp als erster sich wendet, Scheu die Rutuler fliehn, es flieht kopfüber Atinas. All die Führer zersprengt, verwaist die Reitergeschwader Bringen in Sicherheit sich und suchen die schützenden Mauern. Niemand bietet die Stirn den scharf vordrängenden Teukrern, Keiner der Lanze vertraut, noch wagt er tapfer den Nahkampf, Und der Bogen entspannt hängt schlaff dem Reiter im Rücken: Von dem Getrappel der Hufe der bröckliche Boden erbebet. Hinwälzt gegen die Stadt sich schwarz die Wolke des Staubes. Hier hoch oben am Wall die Fraun sich schlagen die Brüste, Laut das Klagegeheul aufsteigt zum Himmelsgewölbe. In das geöffnete Tor nicht nur sich Fliehende stürzen, Auch die feindliche Schar dringt ein der Troer mit ihnen. Jene nicht rettet die Flucht; durchbohrt an der Schwelle des Tores, Hinter dem schützenden Wall, ja selbst am Herde des Hauses Haucht das Leben man aus. Ein Teil will sperren den Eingang, Will den Freunden nicht öffnen den Weg, Zutritt nicht gewähren Denen, die flehen d a r u m ; es folgt ein gräßliches Blutbad Der Eindringenden dort, der Verteidiger hier in den Straßen. Nirgends sich Rettung beut: ein Teil vor den Augen der Eltern Stürzt in die Gräben hinab infolge des starken Gedränges, Andere treiben wie blind die schwer zu zügelnden Pferde Gegen das feste Gefüg des schnell verrammelten Eingangs. Von Wetteifer gespornt die Frauen sich mühen vom Walle — Liebe zur Heimat lehrts, das Beispiel lehrt es Camillas — Hastig zu schleudern den Speer, mit eichenen Keulen zu werfen, Abzuschießen den Pfahl, der vorn im Feuer gehärtet. Weit vorbeugen sie sich, entschlossen als erste zu sterben. Turnus erfährt indes im Wald die schreckliche Kunde, Die durch Akkas Bericht das Herz ihm setzt in Erregung: Auf sei gerieben die volskische Schar und gefallen Camilla, Vordring wütend der Feind, schon hab in günstiger Feldschlacht Alles er an sich gerafft, schon nah sich Schrecken der H a u p t s t a d t . Wütend er weicht — das forderte ja des Juppiter Ratschluß —

XI 902—915

X I I 1—15

Turnus nimmt den Kampf auf

243

Aus dem besetzten Gebirg und läßt im Stiche den Waldrand. Kaum ist er vom Berge herab im ebnen Gefilde, Da t r i t t Vater Äneas ein ins offene Waldtal, Steigt schon über das Joch und verläßt die schattige Waldung. So zur Stadt hineilen sie beid mit ihrer Gefolgschaft, Nach dem nämlichen Ziel ziehn sie nicht fern voneinander. Kaum sieht vor sich das Feld Äneas dampfen vom Staube, Kaum in Zügen gereiht Laurentums tapfere Jugend, Wird auch Turnus gewahr, daß jener zum Kampfe sich rüstet, Hört er des Fußvolks Tritt unds wiehernde Schnauben der Pferde. Beid sie hätten gesucht alsbald der Waffen Entscheidung, H ä t t e gebadet nicht schon im westlichen Meere die Rosse Phöbus in glühendem Licht und der Nacht den Himmel gelassen. Vor der Stadt drum nächtigen sie, durch Schanzen gesichert.

Zwölftes Buch Vertrag und Bruch des Vertrages. Äneas' Verwundung und Heilung. Junos Versöhnung. Turnus' Tod Wie nun Turnus gewahrt, daß gebrochen der Mut der Latiner Durch die mißliche Schlacht, von ihm Eingreifen man fordre, Er f ü r die Blicke das Ziel, entbrennt er selber in Kampflust Und schöpft neues Vertraun. So regt auf Libyens Fluren Dann die Glieder der Leu, wenn einer der lauernden Jäger Ihn mit der Lanze verletzt. Kampffroh er schüttelt die Mähne, Knickt mit "den Zähnen den Schaft, der ihm aus sicherm Verstecke War in die Flanke gejagt, und brüllt bluttriefenden Maules. Ganz so lodert empor des Ingrimms Flamme bei Turnus. Drum er erregt auffährt und sagt zu König Latinus: „Niemals Turnus verzieht! Kein Grund, daß feige Trojaner Nehmen zurück ihr Wort und weigern, was sie bedungen. Auf ich nehme den Kampf. Künd, Herr, beim Opfer die Formel: Ich entweder entsend den Dardaner nieder zum Orkus, Der aus Asien floh — zuschaun solln alle Latiner —,

244

X I I 16—53

Latinus und Turnus

Sühne mit eigener Hand den Schimpf, der alle betroffen, Oder ich fall, dann werd Lavinia seine Gemahlin." Also gelassenen Sinns ihm drauf entgegnet Latinus: „Jüngling, vor uns allen beherzt, je höher dich Tatkraft Über uns andere stellt, je ruhiger muß ich erwägen, Was uns frommt, und besorgt des Zufalls Laune bedenken. Dein ist Daunus', des Vaters, Gebiet, dein blühende Städte, Die du gewannst, mein reichliches Gold und Wille zu spenden. Latium zählt noch viel Jungfrauen in seinen Gefilden Aus hochedlem Geschlecht. Laß mich, was mißlich zu sagen, Dir mitteilen getreu, präg fest es ein dem Gedächtnis. Daß ich die Tochter vermählt nicht einem der früheren Freier, War mein heiliges Recht, das Götter und Menschen bezeugten. Doch aus Liebe zu dir, dir hold aus Stammesverwandtschaft, Gab den Tränen ich nach des Gemahls und sprengte die Bande, Riß vom Verlobten die Braut, die versprochene, griff zu den Waffen. Welch Unheil seitdem, welch Kampf mich, Turnus, verfolgte, Was vor allem dir selbst zu leiden beschieden, das siehst du. Zweimal besiegt in offener Schlacht, kaum halten wir aufrecht Uns in den Mauern der S t a d t ; noch warm von unserem Blute Strömt der Tiber ins Meer, starr bleicht das Feld von Gebeinen. Welchen Entschluß faß ich? Wahnsinn wärs trotzen dem Schicksal. Bin ich bereit, nach Turnus' Verlust ein Bündnis zu schließen, Wozu schüren den Krieg, solang er unter uns weilet? Was wirds Rutulervolk, was ganz Italien sagen, J a g in den Tod ich dich — möchts Schicksal Lügen mich strafen! — Dich, der die Tochter begehrt, mit uns sucht Eheverbindung? Launisch das Kriegsglück ist! Des Vaters, des alten, gedenke, Der, so ferne dem Sohn, um dich in Ardea trauert." Worte sind machtlos ganz, des Turnus Erregung zu mildern, J a , sie steigert sich noch, je mehr man suchet zu lindern. Als er wieder zu sprechen vermag, stößt aus er die Worte: „Hör doch auf zu sorgen f ü r mich, mein Bester, ich bitte, Hör doch auf, laß mich für Ruhm eintauschen Vernichtung. Auch ich schleudere, Vater, den Speer mit kräftiger Rechten, Auch der Wunde von meinem Geschoß entquillet ein Blutstrahl. Allzufern ist die göttliche Frau, die mit weiblicher Hülle Ihn, den flüchtigen, deck' und Verberg' in nichtigem Dunkel."

X I I 54—91

Turnus fordert Äneas zum Zweikampf

245

Durch die Wendung erschreckt des Kampfs, legt um den Erregten Weinend Amata den Arm, auch sie dem Tode verfallen: „ R ü h r e n dich Tränen der Frau, rührt dich der Königin Ehre, Turnus, — in dir allein ruht all mein Hoffen, des Alters Stütze du bist allein; die Krone, das Reich des Latinus Stehet mit dir: fällst du, fällt ein das ganze Gebäude —. Eines ich b i t t : steh ab, im Kampf zu begegnen den Teukrern! Welches Geschick dein harrt inmitten des Schlachtengetümmels, Harret auch mein; mit dir end ich das lästige Leben, Grüß als Gefangene nie den künftigen Schwieger Äneas." Als Lavinia hört dies Wort, da stürzt aus den Augen Ihr von Tränen ein Strom, tief f ä r b t die brennenden Wangen Röte der Angst, und Scham rinnt heiß ihr über das Antlitz. Wie dem Weiß des indischen Zahns aufzwinget man Purpur Oder der Lilie Schnee sich eint der Farbe der Rosen, Wenn sie sie dicht umstehn, so glühn die Wangen der J u n g f r a u . Turnus die Liebe verwirrt. Er hängt am Blicke des Mädchens, Lechzt noch heißer nach Kampf, sagt kurz nur noch zur A m a t a : „Nicht mit Tränen entlaß, nicht mit so trauriger Ahnung Mich in die Schlacht, wo mir ein Strauß, ein harter, bevorsteht, Mutter; denn ich darf frei nicht Aufschub suchen des Todes. Bring ein Bote sofort von mir dem phrygischen Herren Nachricht, die nicht gern er v e r n i m m t : wann morgen Aurora F ü h r t am Himmel herauf den Tag mit flammenden Rädern, Zieh mit Teukrern er nicht gegen Rutuler, beide sie sollen R u h e n ; den Krieg entscheid allein ein blutiger Zweikampf, Der auch den Zweifel beheb, wer heim Lavinia f ü h r e t . " Kaum hat dies er gesagt, eilt flugs er hin zum Palaste, R u f t nach den Pferden, erfreut, sie weithin wiehern zu hören, Die Pilumnus erhielt als Geschenk von Orithyia, Heller an Glanz als Schnee, dem Wind an Schnelle gewachsen. Emsig umsteht sie der Troß; man klopft anfeuernd mit Händen Ihnen den Hals und k ä m m t sorgsam die wallenden Mähnen. Turnus indes paßt an, schnallt fest den goldenen Panzer, Reich mit Messing verziert, legt an zu handlichem Griffe Schwert sich und Schild und zuletzt den Helm mit wehendem Busche. Daunus, dem Ahnherrn, einst der Feuergewaltige selber Hatte geschmiedet das Schwert und heiß im Styx es gehärtet.

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XII 92—129

Der Kampfplatz wird abgesteckt

Dann er ergreift den Speer, der an die gewaltige Säule War im Hause gelehnt, des Aktor einstige Waffe. Ihn mit nerviger Hand er packt und, stürmisch ihn schwingend, Rufet er aus: „ J e t z t , Speer, der nie noch mir sich versagte, Jetzt ist kommen die Zeit! Held Aktor hat dich geschwungen, Jetzt schwing Turnus ich dich. Laß mich hinstrecken den Gegner, Laß mich sprengen mit männlicher Hand des phrygischen Halbmanns Panzer, besudeln im Schmutz der staubigen Erde die Haare, Die, vom Eisen gewellt, vom Öl fett triefen der Myrrhen." So wühlt Wüten in ihm; vom Mund entsprühen ihm Funken, Gleich als glühe sein Hauch, vom Aug aus zucken ihm Blitze. So brüllt schrecklich der Stier, sieht er entgegen dem Kampfe, Rennt auf den Baumstamm los, als gälts die Hörner zu wetzen, Peitscht mit dem Schweif die Luft, als woll er reizen die Winde, Wühlet im Sand und spritzt ihn umher: Vorspiele zum Ernstfall. Minder Äneas nicht, im Schmuck der göttlichen Waffen, Schüret in sich die Lust zum Kampf durch Zornesgedanken, Froh des gebotnen Vertrags, der End soll machen dem Kriege. Tröstliches spricht den Freunden er zu, dem bangen lullus, Schicksalswille ja lenkt. Antwort dem König Latinus Heißt er bringen sofort, des Bunds Richtlinien ziehen. Kaum erglänzen die Höhn im Licht des folgenden Tages, Kaum lösts Sonnengespann sich los vom Spiegel des Meeres, Kaum den Nüstern entsprühn, den erhobenen, feurige Strahlen, Stecken auch Rutuler schon den Kampfplatz ab mit den Troern Unter den Wällen der Stadt, sorgsam ihn eben sie machen. In die Mitte den Herd man stellt und Rasenaltäre Für die Götter des Schwurs, man bringt auch Wasser und Feuer, Um die Lenden den Schurz, das Haar durchwunden mit Zweigen. Aufzieht jetzt ein Trupp Ausonier, lanzenbewehrte Scharen erscheinen im Tor. Anrückt auch troische Mannschaft Mit Tyrrhenern zugleich. Hell blinkt die bunte Bewaffnung; Denn sie starren von Erz, als rief zur letzten Entscheidung Selber sie Mars. Sieh dort! Inmitten der Tausende tummeln Stolz die Führer ihr Roß, in Gold sie prunken und Purpur: Mnestheus aus Assärakus' Stamm, der Seher Asilas, Auch der Sprosse Neptuns, Messäp, der Rosse Bezwinger. Als das Zeichen ertönt, den ihnen gewiesenen Plätzen

X I I 130—167

J u n o und J u t u r n a

247

Eilen sie zu; den Schild stützt, fest im Boden, die Lanze. Frauen sich drängen heran voll Neugier, Schwächlinge, Greise Halten die Dächer besetzt, Auslug darbieten die Türme, Auf den Zinnen des Tors steht dicht die gaffende Menge. Juno hält von dem Berg, den heut Albaner man heißet, — Namen er damals hatte noch nicht, auch Ehren ihm fehlten — Ausschau, blicket aufs Feld und gewahrt die gerüsteten Heere Beide gelagert sich nah, dicht unter der Stadt des Latinus. Drum sie wendet alsbald sich hin zur Schwester des Turnus, Die, nicht göttlichen Rangs, doch vorsteht Seen und Flüssen, Dazu bestellt von Juppiter selbst, dem Herren des Himmels, Weil sich willig ergab dem Gott die liebliche J u n g f r a u : „Nymphe, du Zier der Flüsse, du mir von allen die liebste, Wisse, daß längst ich wünsch, vor allen latinischen Mädchen, Die des Juppiter Bett, des undankbaren, bestiegen, Dich zu krönen und dir Anteil am Himmel zu geben. Schmerzliches meld ich heut, auf daß nicht mich du beschuldigst. Solang irgend es ging und nicht einsprachen die Parzen Gegen der Dinge Verlauf, hab Turnus und Stadt ich geschützet. J e t z t ankämpfen ich seh ihn wider das stärkere Schicksal, Fühle den Tag ich nah des Geschicks, der feindlichen Mächte. Nicht ansehen ich kann den Kampf, ansehen das Bündnis. Willst mit Erfolg du selbst noch helfen dem leiblichen Bruder, Hilf ihm getrost! Vielleicht stimmt Elend milder das Schicksal." Wie J u t u r n a das hört, kann nicht sie hemmen die Tränen, Schlägt sich drei- viermal mit der Hand den prangenden Busen. „Ach, f ü r Tränen ist jetzt nicht Zeit", einwendet die Göttin. Eil dich! Findest du Rat, entreiß den Bruder dem Tode Oder erneure den Krieg und spreng das geschlossene Bündnis! J u n o wünschet die T a t . " Hiermit sie lässet die Nymphe Schwankend zurück, verwirrt den Sinn durch trübe Gedanken. Einziehn jetzt die Fürsten. Die Riesengestalt des Latinus Kommt im Vierergespann. Zweimal sechs goldene Strahlen Leuchten vom H a u p t ihm her, des Ahnherrn Helios Zeichen. Turnus darauf fährt ein im Zweispann edelster Schimmel, Schwingt der Lanzen ein Paar, mit kräftiger Spitze versehen. Vater Äneas jetzt, Ursprung des römischen Stammes, Aus dem Lager erscheint im Glanz der göttlichen Waffen;

248

XII 168—205

Schwur des Äneas und Latinus

Neben ihm jung Askanius geht, der mächtigen Roma Weiteres Pfand. Dann folgt ein Priester in weißem Gewände, Der ein Junges vom Schwein, ein Schaf vollwolligen Vlieses Mitführt und zur Glut der Opferaltäre geleitet. Fromm sie wenden den Blick jetzt zu der östlichen Sonne, Streuen gesalzenes Schrot in die Glut, abschneiden den Tieren Büschel des Stirnhaars dann und spenden den Wein in die Flammen. Innig Äneas betet, das Schwert zum Schlachten entblößet: „Sol sei Zeuge mir heut, dies Land auch ruf ich zum Zeugen, Um deswillen ich könnt soviel an Mühen ertragen, Auch, Allmächtiger, dich, auch Juno, deine Gemahlin, Die fortan mir gnädiger sei; dich, mächtiger Mavors, Der die Kriege du lenkst und schließst nach deinem Ermessen. Euch, die FIüss' und Quellen, ich ruf, euch, Mächte des Äthers, Euch, die drunten man ehrt in der Salzflut bläulicher Tiefe. Wird dem Turnus der Sieg zuteil, Ausoniens Sprößling, Dann ziehn — so der Vertrag — nach der Stadt Euanders die Troer, Gleich das Land Iullus verläßt. Nie werden entfachen Aufruhr je sie dort noch Krieg erregen dem Reiche. Hat dagegen für uns das Kriegsglück günstig entschieden, Was viel eher ich glaub, daß so die Götter es fügen, Werd ich Italer nicht ins Joch der Dardaner zwingen, Noch mir maßen die Herrschaft a n ; nach gleichen Gesetzen Schließen sie beide den Bund; nicht Sieger es geb, noch Besiegte. Ich stell Götter und Kult. Dem König Latinus verbleiben Oberbefehl und Richtergewalt. Mir bauen die Teukrer Neu die S t a d t ; Lavinia geb der neuen den Namen." So der Troer zuerst. Nach ihm schwört König Latinus, Hebt zum Himmel den Blick, streckt hoch zu den Sternen die Rechte: „Auch ich schwör, Äneas, beim Meer, der Erde, den Sternen, Bei Latonas Zwillingsgeschlecht, dem doppelten Janus, Bei des Orkus Gewalt, bei Dis, dem Herrscher der Schatten; Auch es Juppiter hör, des Blitz Meineidige strafet. Hand am Altar ich ruf die Götter zu Zeugen, die Flammen: Kein Tag soll den Vertrag, kein Tag uns brechen den Frieden, Was auch immer gescheh; abbringt von meinem Entschlüsse Keine Gewalt mich je, mag Sintflut wandeln in Wasser Alles was fest, Einsturz selbst dröhn dem Himmelsgewölbe.

X I I 206—243

Juturna wiegelt die Rutuler auf

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Wie der Stab in der Hand — er hielt in der Rechten das Szepter — Niemals wieder sich schmückt mit Grün, nie leuchtet im Schatten, Wenn man im Wald einmal ihn vom Urstamme getrennt, Ihm mit dem Messer geraubt sein Laub und die blühenden Zweige. Einstmals Ast ward er in Erz vom Künstler geschlossen Und, zu tragen als Zier, vermacht latinischen Vätern." Untereinander sie so den Bund festlegen mit Schwüren Vor den Ersten des Volkes. Drauf schlachtet die vorher geweihten Tiere man ab in des Altars Glut, das edle Gekröse Ihnen man lebend entnimmt und stellts auf Schüsseln ans Feuer. Ungleich dünket der Kampf schon längst den Rutulerscharen, Pochet das Herz erregt in stets umschlagender Stimmung, Das um so mehr, je näher man kann die Kräfte vergleichen. Turnus herankommt schweigenden Schritts, demütigen Blickes Zu dem Altar er geht und bezeugt ihm seine Verehrung. Bleich die Wangen ihm sind und fahl die schmeidigen Glieder. Als J u t u r n a bemerkt, daß dumpf sich mehret das Raunen, Daß unruhig die Reihn sich stark und stärker erhitzen, Eilt in die Schar sie hinein, dem Kamers gleichend an Aussehn, Dessen Geschlecht sehr alt, des Vater als einer der Besten Galt im Land; auch wüßt er scharf zu führen die Waffen. Mitten hinein sie stürmt — ist nicht um Mittel verlegen —, Häufet Gerücht auf Gerücht, streut aus aufwiegelnde Reden: „Ists nicht, Rutuler, Schmach, daß ihr ein einziges Leben Für soviele hingebt? An Zahl, an Kraft nicht gewachsen Sind wir dem Feind? Seht hin! Hier sind sie sämtlich vereinigt, Arkader, Troer, Etrusker, die Kampf dem Turnus geschworen. Auch die Hälfte von uns würd siegreich stehen dem Feinde. Freilich, es lebte der Held stets fort im Munde der Nachwelt, Würde den Göttern gesellt, für deren Altar er gefallen: Doch wir würden beraubt der Heimat, müßten gehorchen Herrischem Sinn, die wir tatlos hier sitzen und zusehn." So manch beißendes Wort peitscht auf die Hitze der Jugend, Lauter und lauter durchschwirrt mißtöniges Murren die Reihen: Selbst Laurenter man sieht, man sieht verwandelt Latiner. Die sich Ruh schon erhofft vom Krieg und Heil für die Heimat, Reden dem Kampf das Wort, dem Bruch des neuen Vertrages, Finden nicht Worte genug fürs widrige Schicksal des Turnus.

250

XII 244—280

Der Kampf entbrennt von neuem

Doch J u t u r n a bedrückt noch mehr die Gemüter: ein Zeichen Holt sie vom Himmel herab, durch das der Italer Sinne Werden aufs tiefste verwirrt und ganz umstricket von Täuschung. Juppiters bräunlicher Aar scheucht auf beim Flug durch den Äther Scharen von Vögeln am Fluß: mit rauschenden Schlägen der Flügel Stiebt auseinander der Schwärm. Der Aar stößt nieder zum Ufer, Packt einen Schwan und entfliegt, den herrlichen Raub in den Fängen. All' aufschauen gespannt, und sieh, die fliehenden Vögel Machen der Flucht ein End — es war ein Wunder zu schauen —, Ballen zusammen sich dicht, verfinstern wie Wolken den Himmel Und umdrängen den Feind, bis er, vom Gewichte des Schwanes Und der Menge besiegt, kraftlos läßt fahren die Beute, Die nun fällt in den Fluß; er selbst in Wolken verschwindet. Laut mit Jubelgeschrei die Rutuler grüßen das Zeichen, Rühren die Hände zum Kampf. Der Seher Tolumnius a u s r u f t : „Das wars, was schon oft ich mit Inbrunst habe gewünschet! Heil dem göttlichen Wink! Auf, greift zu den Waffen, ihr Armen! Ich will Führer euch sein, euch, die der fremde Gewaltmensch Schreckt wie Vögel mit Krieg, euch, deren Gestade begierig Er heimsuchet mit Raub. Auch er wird wieder entfliehen Weithin über das Meer. Auf, schließt einmütig die Reihen, Wehret im Kampf den ab, der euch den König geraubet!" Rufts, springt vor und entsendet den Pfeil in die feindlichen Reihen. Sausend er schwirrt vom Horn, durchfliegt zielsicher den Luftraum. Kaum ists geschehn, löst auf ein Schrei die ganze Versammlung, Überall springt man empor, vor W u t man lärmt durcheinander. Gleich drauf sauset ein Speer. Neun Hünengestalten von Brüdern Bieten ein sicheres Ziel. E i n Schoß sie hatte geboren, Die tyrrhenische Frau des Arkadersprossen Gylippus. Einen davon er erlegt. Wo des Schwertgurts goldene Randnaht Sich abnutzt und Schnallen nur sind des Panzers Verbindung, Trifft der Speer; der Getroffene fällt mit durchstoßenen Rippen, Ebenso schön an Gestalt wie schön durch funkelnde Waffen. J e t z t von Trauer gepackt aufspringt der Brüder Gefolgschaft, Alle beherzt sie greifen zum Schwert, sie greifen zum Wurfspeer, Schleudern ihn blindlings ab. Auf sie sich stürzen Laurenter, Diesen sich werfen von hier entgegen in dichten Kolonnen

X I I 281—318

Äneas will dem Kampfe wehren

251

Troer, Agyllas Mannen, der Arkader bunte Gestalten; Alle beseelt ein Geist, im Kampf zu suchen Entscheidung. Nicht Altäre man schont. Es prasselt ein Sturm von Geschossen Rings vom Himmel herab, aufprallt ein eiserner Regen. Becken und Krüge man wirft. Zur Flucht sich wendet Latinus, Bringt die Götter in Hut, die der Bruch des Bundes gefährdet. Dort man die Wagen bespannt, dort wieder sich andere werfen Eilig aufs Pferd und sprengen heran mit gezogenen Schwertern. Den Tyrrhener Aulest, den Fürsten im fürstlichen Schmucke, Drängt Messapus, bemüht zu Fall zu bringen das Bündnis, Vorn mit dem Pferde zurück. Rückwärts dem Gegner er weichet, Doch ihm hemmen Altäre die Flucht und sperren den Rückzug. Stolpernd er stürzt auf Schultern und Kopf. Mit gieriger Lanze Stürmt Messapus heran, stößt ihn trotz flehender Bitten Jach vom Pferde herab und ruft die höhnenden Worte: „Dies dein Teil! Du bist ein besseres Opfer den Göttern!" Italer rauben ihn aus, noch eh der Körper erkaltet. Vom Altare sich holt ein brennendes Scheit Korynäus, Ebusus kommt er zuvor, der schon ausholet zum Schlage, Wirfts ihm in das Gesicht. Aufflammt sein stattlicher Vollbart Unter gewaltigem Qualm. Nun stürzt auf ihn Korynäus, Greift mit der Linken ins Haar, stemmt ein das Knie dem Verwirrten Gegen die Brust, zwingt so wehrlos zur Erde den Gegner Und stößt ihm in die Flanke das Schwert. In vorderster Reihe Kämpft auch Alsus, der Hirt. Podalirius stellet den Kühnen, Zücket das Schwert zum Stoß; doch der schwingt tapfer die Streitaxt Und mit wuchtigem Hieb er Kinn ihm spaltet und Stirne: Mächtig ein Blutstrom rinnt ihm über den strahlenden Panzer. Eiserner Schlaf ihm schließt das Aug auf sandigem Lager Und in ewige Nacht sich ihm einhüllen die Lider. Aber Äneas weit ausstreckt die ledige Rechte Und barhäuptig er sucht dem Sturm der Seinen zu wehren: „Was solls Toben? Woher denn kommt die plötzliche Zwietracht? Hemmet die W u t ! Schon ist der Bund von beiden beschworen, Klar die Bedingungen auch; nur ich jetzt habe zu kämpfen. Laßt mich, bannet die Furcht. Den Bund ich werde besiegeln Heute mit kräftiger Hand. Mir ist man schuldig den Turnus." Während er so noch spricht, dem Kampf ein Ende zu machen,

252

XII 319—355

Äneas verläßt verwundet den Kampfplatz

Sieh, da schwirret ein Pfeil, steckt fest im Schenkel des Helden. Niemand weiß, wes Hand ihn geschickt, wes Bogen geschossen, Wer solch Ruhm den Rutulern bracht, ein Gott oder Zufall. Kein Mund kündet das Lob des, der so Treffliches konnte, Keiner sich brüstet damit, verwundet zu haben Äneas. Wie nun Turnus gewahrt, vom Schlachtfeld weiche der König, Lasse verwirrt die Führer zurück, schöpft wieder er Hoffnung, Ruft nach Waffen und Pferden, besteigt kampflustig den Wagen Und mit eigener Hand faßt fest er die Zügel der Rosse. Fort gehts eilenden Laufs. Viel Tapfere fährt er zu Tode, Halbtot läßt er andre zurück, mäht Reihen zu Boden Oder mit hastig ergriffenem Speer er Flüchtige fället. Wie bei Kriegsausbruch am Strom des eisigen Hebrus Mars' Schild mächtig ertönt, vorstürmen die feurigen Renner, Schritt mit der Windsbraut halten, wo Raum gibt ihnen das Schlachtfeld. Unter der Hufe Gestampf dröhnt hohl das äußerste Thrake, Ringsum tummeln sich wild des blutigen Gottes Begleiter, Schrecken und Grimm und List, und zeigen die grausigen Fratzen: So jagt mitten im Kampf durchs Feld mit triefenden Rossen Turnus das schwere Gespann; die niedergetrampelten Feinde Höhnt er mit hämischem Ruf; die stürmischen Hufe verspritzen Purpurnen Tau, denn Blut und Sand zusammen sie stampfen. Sthenelus gibt er den Tod, den Tod auch Thämyrus, Pholus, Jenem durch Wurf von fern, im Nahkampf fallen die beiden. Glaukus und Lades erlegt sein Speer, des Imbrasus Söhne, Die der Vater erzog in Lykien, beide gerüstet. Mann gegen Mann zu stehn, doch gewöhnt auch, Pferde zu tummeln. Dort ins Treffen sich stürzt Eumedes, Sprößling des Dolon, Der des alten Geschlechts im Kampf sich würdig bewährte. Nach dem Ahnen er hieß, Tatkraft er erbte vom Vater, Der einst, eh als Späher er ging ins griechische Lager, Kühn war genug, als Preis das Gespann des Peliden zu fordern. Doch mit anderem Preis Diomed heimzahlte das Wagnis; Anspruch macht er nicht mehr auf Achills unsterbliche Rosse. Als ihn Turnus erblickt noch weit im offenen Felde, Schleudert umsonst er erst den Speer aus großer Entfernung, Hält den Wagen dann an, springt ab und erreicht den Verfolgten,

X I I 356—393

Turnus' Wüten

253

Der halbtot hinstürzte beim Lauf. Den Fuß auf den Nacken Turnus ihm setzt, den Dolch mühlos er der Rechten entwindet, Taucht ihn tief in den Schlund und ruft die höhnenden Worte: „Hier, Trojaner, der Acker, den du mit Waffen erstrebtest; Leg dich und miß ihn aus. Solch Lohn wird jeder empfangen, Der mit Waffen mir naht. Merk dirs: so gründet man Städte." Diesem er Äsbytis durch Wurf zum Begleiter gesellet, Chloreus, Sybaris auch, Thersilochus, weiter den Dares, Ferner Thymotes noch, den abwarf störrisch das Reitpferd. Wie wenn des Nordsturms Wut aufwühlt die Wogen des Meeres Und die Wellen verfolgt bis hart an die Klippen der Küste; Da, wo der Sturm einbricht, zur Flucht sich wenden die Wolken: So zerstiebet die Schar, durch die sich Turnus den Weg bahnt, Und flieht eilig vor ihm; doch vorwärts reißet sein Stürmen Ihn und den Helm, des Busch im Zugwind flattert des Wagens. Phegeus, ob des Rasens ergrimmt und wüsten Gewütes, Wirft sich auf das Gespann; er ergreift mit der Rechten die Zügel Dicht am schäumenden Maul und reißt zur Seite die Renner. Während am Joch er hängt und geschleift wird, trifft eine Lanze Ihn, der sich decken nicht kann, durchdringt den geketteten Panzer Eben nur noch und ritzt die Brust in leichter Verwundung. Er läßt fahren das Joch, will stehn, mit dem Schilde sich decken, Will dann greifen zum Schwert, um so sich besser zu wehren, Da rennt an ihn das Rad des vorwärts rollenden Wagens, Stößt zu Boden ihn j ä h ; der Gegner in schnellem Entschlüsse Trennt ihm zwischen dem Helm und oberen Rande des Panzers Ab mit dem Schwerte das Haupt und läßt den Verstümmelten liegen. Während auf offenem Feld im Blutrausch Turnus so wütet, Wird Äneas indes von Achat, dem treuen, von Mnestheus Und Iullus dem Sohn ins troische Lager geleitet, Wobei selber das Bein er stützt mit dem Schafte des Speeres. In ihm kochts; ihn drängts, des am Rohr zerbrochenen Pfeiles Spitze herauszuziehn, und dies auf kürzestem Wege: Auf man schneide das Fleisch und heraus aus seinem Verstecke Hol das Eisen man gleich, in die Schlacht man wieder ihn führe. Schnell war Iäpyx da, des iasos Sohn, von Apollo Einst vor allen geliebt. Ihm hatte der Gott zu verleihen Vor, was selber an Kunst er besaß, an herrlichen Gaben,

254

X I I 394—430

Äneas mit Venus' Hilfe geheilt

Kunde der Zukunft, Kitharaspiel, die befiederten Pfeile. Doch um hinauszuzögern den Tod des sterbenden Vaters, Hatte des Heilgotts Kunst er gewählt, das Geheimnis der Kräuter, Hatte geweiht sich ganz dem stillen Berufe des Arztes. Bitterlich stöhnend, gestützt auf des Speers hochragenden Holzschaft, Steht Äneas im Kreis der tief erschütterten Jugend. Tränen nicht fechten ihn an. Aufschürzt nach Sitte der Ärzte Jener sich hoch das Gewand und versucht in ängstlichem Hasten Mit heilkräftigem Kraut, mit fühlender Hand ihm zu helfen. Alles umsonst er tut. Umsonst er rüttelt die Spitze, Sucht zu fassen umsonst das Eisen mit kräftiger Zange. Nirgend das Glück ihm hilft, ihm hilft nicht Meister Apollo. Stark und stärker erdröhnt im Feld das Kampfesgetöse, Nah und näher es dringt. Staubwolken verdunkeln den Himmel, Reiter sich tummeln am Wall, dicht hageln der Feinde Geschosse Mitten ins Lager hinein. Ein hilflos Schreien zum Äther Sendet die Jugend empor, indes sie kämpfet und sinket. Da pflückt Venus, bestürzt durchs schmerzliche Leiden des Sohnes, Diktams heilendes Kraut am Hang des kretischen Ida, Schwellend mit saftigem Blatt und besetzt mit purpurnen Blüten, Gut Bergziegen bekannt, weil sie zu suchen es pflegen, Wann ein flüchtiger Pfeil im Leib ist stecken geblieben. Dies bringt Venus herbei, die Gestalt umhüllet von Nebel, Träufelt ins Becken den Saft, worin warm Wasser bereitsteht, Leiht ihm heimliche Kraft, fügt zu der Ambrosia Labe Und des Allheils duftigen Trank, dem alles gesundet. Dieses Gemisch braucht gleich der Arzt zum Bähen der Wunde, Ahnungslos, daß schnell nachlassen die quälenden Schmerzen, Daß sich das Blut auch staut am Grund der klaffenden Wunde. Nunmehr folget ohn Zwang der Pfeil, entgleitet dem Körper, Und aufs neue zurück jetzt kehren die früheren Kräfte. „Schnell dem Helden die Waffen herbei! Was steht ihr verlegen?" Rufet Iapyx jetzt und treibt als erster zum Kampfe. „Solches entspringt nicht menschlicher Macht, nicht Künsten des Arztes; Rettung verdankst du nicht, Äneas, meinem Bemühen; Hier ist höhere Macht im Spiel zu höheren Zwecken". Brennend vor Kampflust hat Äneas selbst schon die Schienen

X I I 431—468

Äneas wieder im Kampf

255

An sich geschnallt und schwingt, vom Säumen erbittert, die Lanze. Als ihm Panzer und Schild fest sitzt und ohne zu drücken, Zieht an die Brust Askanius er in heißer Umarmung, Küßt nur leichthin ihn durch den Helm und mahnet den Knaben: „Lerne von mir, mein Sohn, T a t k r a f t und ehrliches Streben, Aber von anderen Glück. Heut wird im Kampfe dich schützen Hier meine Hand und wird dich führen zu reicher Belohnung. Sei des gedenk, sobald du trittst in reiferes Alter. Suchst im Geist Vorbilder du dir im Kreise der Deinen, Schweb dein Vater dir vor, schweb vor dir Hektor, dein Oheim." Als er solches gesagt, das Tor durchschreitet er aufrecht, Einen gewaltigen Speer in der Hand. In dichtem Gedränge Eilen hinaus mit ihm Antheus, Mnestheus; das gesamte Heer läßts Lager zurück. Staubwolken benehmen den Ausblick, Unter der Schritte Gewicht erbebt der wankende Boden. Drüben erblickt vom Wall den Zug der Eiligen Turnus, Sehn Ausonier ihn, und kalt rinnt allen der Schrecken Durch das Gebein; doch längst hat ihn vor allen Latinern Schon J u t u r n a gehört und ist entflohn mit Entsetzen. Unheildrohend ins Feld reißt Turnus die Scharen der Seinen, Wie wenn berstet ein Stern und zieht als wirbelnde Säule Über die Fläche des Meers; schon lang, ach, haben die Bauern Sie mit Schrecken gesehn; es bringt das Raffen des Sturmes Bäumen und Saaten Verderb, weithin stürzt alles zu Boden, Winde voran ihr gehn und tragen ans Ufer das Donnern: So führt Turnus heran im Sturm die drohenden Scharen Gegen den troischen Feind; zu dicht verbundenen Keilen Sind sie geballt. Thymbräus erlegt den starken Osiris, Mnestheus Archetius streckt; den fipulo tötet Achates, Ufens fällt von Gyas' Hand; auch Tolümnius endet, Der in die Troer gesandt den Pfeil wortbrüchig als erster. Durch den Tod des Sehers erschreckt, die Rutuler ziehen Eilig zurück sich jetzt, dem Feind sie zeigen den Rücken. Wert Äneas nicht hälts, die Fliehenden niederzustrecken, Wert nicht, denen zu stehn, die sich anbieten zum Kampfe, Turnus allein er sucht; ihm geht im Schlachtengetümmel Einzig er nach, ihn fordert heraus er einzig zum Kampfe. Hiervor schwebt in beständiger Angst J u t u r n a die Mannin;

256

469—506

Juturna entfernt Turnus aus Äneas' Nähe

Drum stößt sie den Metiskus herab, den Lenker des Turnus, Während der Fahrt und zurück läßt ihn sie hinter dem Wagen. Selbst sie nimmt seinen Platz und hält die schwankenden Leinen, Gleich an Gestalt, an Ton und Waffen dem eben Entfernten. Wie des begüterten Herrn Landsitz durchflieget die Schwalbe Und im Fluge durchsucht pfeilschnell die räumigen Hallen, Ärmliche Nahrung holet sie hier und Futter den Jungen, Bald in den Hallen sie pfeift, bald um die sumpfigen Teiche. Ihr gleich fliegt J u t u r n a dahin inmitten der Feinde, Saust auf heißem Gespann, zu mustern die Plätze des Blachfelds, Zeigt den Bruder bald hier, bald dort in heldischer Größe, Aber zum Kampf sies kommen nicht läßt, biegt weit aus dem Wege. Ihm zu begegnen Äneas folgt den gewundenen Spuren. Forscht nach dem Mann, ruft laut den Namen durch alle die Reihen. Aber sooft den Feind ausfindig er macht mit den Augen Und im Laufe versucht, habhaft der Rosse zu werden, Reißt J u t u r n a herum das Gespann und entweichet zur Seite. Was ist zu t u n ? Umsonst schwillt an die Flut der Gedanken, Und das gequälte Gemüt hier-, dorthin zerren die Sorgen. Auf ihn zielet Messap. Zwei handliche Speer' in der Linken, Springt er hurtig heran und wirft von ihnen den einen Auf Äneas ab, unfehlbar treffend die Richtung. Der bleibt stehen sofort und duckt sich hinter dem Schilde Niedergelassen aufs Knie; doch reißt im Fluge die Lanze Fort den Kegel des Helms und entführt die Spitze des Busches. Nun braust auf sein Zorn: hier droht meineidiger Angriff, Dort entweicht das Gespann und scheint jetzt nimmer erreichbar. Juppiter ruft zum Zeugen er an, klagt über den Eidbruch Und dringt endlich hinein in den Feind. Mars ist ihm gewogen. Furchtbar wütet er hier, nicht fragt er, wen er vernichtet, Und läßt schießen dem Zorn ohn jegliche Hemmung die Zügel. Welch Gott hilft mir, im Lied vom blutigen Ringen zu sagen, Wer von der Führer Geschick, die wechselsweis durch das Blachfeld Werden vom Troer gejagt und dann auch wieder von T u r n u s ? Mußten sich bis aufs Blut denn so zwei Völker befehden, Juppiter, die du bestimmt, in ewigem Frieden zu leben? Erstmals bringet zum Stehn die Teukrer der Rutuler Sukro. Doch der macht zu schaffen nicht viel: Äneas empfängt ihn,

X I I 507—544

Die blutige Ernte des Äneas und Turnus

257

Stößt durch die Rippen das Schwert, das unbarmherzig gehorchet Tief in den Brustkorb ihm: zum Tod die kürzeste Straße! Turnus den Wagen verläßt. Er stürmt entgegen den Brüdern Ämykus und Diöres; den einen er holt mit der Lanze Sich vom Pferde, das Schwert durchbohrt den zweiten: die Köpfe Steckt am Wagen er auf und prunkt mit blutiger Beute. Von Äneas Tänais fällt mit Talos, Kethegus, AH' im selben Gefecht; gleich drauf in Bestürzung Onites, Den, von Echions Stamm, Peridia geboren als Mutter. Turnus erlegt das lykische Paar, das Pätara sandte, Dann den jungen Menöt, den Arkader, Gegner des Krieges, Der als Fischer versah am See von Lerna sein Handwerk, Aus ganz armem Geschlecht, vom Dienst der Großen verschonet; Auf erpachtetem Land das Feld sein Vater bestellte. Wie das Feuer, gelegt von zwei verschiedenen Seiten, Eindringt in das Gehölz und des Lorbeers Sträucher verzehret; Wie vom hohen Gebirg mit lautem Getöse sich stürzen Schäumende Bäche herab, um wild im Meere zu münden — Trümmer bezeichnen den Weg! —: so stürzen Äneas und Turnus Alles verheerend ins Toben der Schlacht. Bald wühlet der Ingrimm Ihnen im Inneren nur, bald schwillt die siegesgewohnte Brust, als berste sie gleich, bald schlagen nach Kräften sie Wunden. Den Murränus, der prahlerisch nennt die Namen der Ahnen, Die seit langem den Thron im Volk der Latiner besessen, Schleudert Äneas jäh mit wuchtigem Steine vom Wagen, Daß zu Boden er stürzt; verstrickt in die Riemen der Zügel Unter die Räder er kommt: der Huf der stürmischen Rosse, Die nicht denken des Herrn, tritt auf ihn wieder und wieder. Turnus an Hyllus gerät, der voll Kampfeifer heranjagt, Nimmt zum Ziele des Wurfs die goldenen Schläfen; die Lanze Glatt durchbohret den Helm und bleibt fest stecken im Hirne. Kreteus, Bester der Griechen, dich konnte die tapfere Rechte Nicht vor Turnus bewahren; nicht schirmten die heimischen Götter Vor Äneas Kupenkus: es bietet der Priester dem Schwerte Frei zum Stoße die Brust; sein Schild ihn konnte nicht schützen. Auch dich, Äolus, sehn Laurentums Ebenen fallen, Auch du deckest im Tod weithin mit dem Rücken den Rasen, Den argivische Reihn nicht hinzustrecken vermochten, T r e n d e l e n b u r g , Virgils Aeneis.

17

258

545—581

Äneas verlegt den Kampf vor die Stadt

Nicht der Renner Achill, des troischen Reiches Vernichter. Hier das Ziel du fandest des Tods: am Ida zu Hause In Lyrnessus der Stadt, nahm auf dich Latiums Erde. Soweit war es gediehn, daß aneinandergerieten Nicht Urgegner allein, die Dardaner mit den Latinern, Mnestheus mit Messap, der scharfe Serest mit Asilas, Auch die tuskische Schar und Euanders griechische Reiter. Jeder zum Sieg einsetzt, was ihm an Kräften verliehen, Ruh nicht gibt es noch Rast: wüst wogt das Toben des Kampfes. Plötzlich dem Sohn gibt ein die göttliche Mutter den Ausweg, Vor die Mauer zu ziehn, an die Stadt den Kampf zu verlegen, Durch überraschenden Schlag den Mut der Latiner zu brechen. Als Äneas, im Feld noch auf den Spuren des Turnus, Ringsum sendet den Blick, sieht er verwundert die Hauptstadt Völlig verschont vom Kampf und völliger Ruhe genießen. J e t z t er den Plan entwirft zur Schlacht in größerem Ausmaß. Mnestheus gleich er beruft, Sergest und Serestus als Führer, Klimmt einen Hügel hinan, zur Heeresversammlung geeignet, Ohne daß Speer und Schild deshalb ablegen die Kämpfer. Hoch von diesem herab läßt er sich also vernehmen: „ J u p p i t e r ist mit uns. So hört denn meine Gedanken, Führt sie nicht lässiger aus, weil jüngst erst sie mir gekommen. Heut soll fallen die Stadt, mit ihr das Reich des Latinus! Weigert sie sich des Jochs und bekennt sich nicht als Besiegte, Tilg durch Feuer ich sie, mach gleich dem Boden was stehet. Soll ich warten darauf, bis wieder dem Turnus gefällig, Fortzusetzen den Kampf und besiegt dem Sieger zu stehen? Dies, ihr Bürger, das Ziel, das Ende des schrecklichen Krieges. Schnell Brandfackeln herbei, stellt her durch Flammen das Bündnis!" Von Wetteifer beseelt, zum Zug sich schließen die Leute, Rücken in massiger Front zum Angriff unter die Mauern. Leitern man hat zur Hand, aufflammt urplötzlich das Feuer. An die Tore zuerst man eilt, die Wächter zu morden, Andre beginnen den Kampf, verfinstern die Luft mit Geschossen. Vorn Äneas erscheint, streckt aus zur Mauer die Rechte, Zeiht den Latinus der Schuld mit machtvoll tönender Stimme, R u f t die Himmlischen an, daß zum Kampf er wieder gezwungen,

XII 582—619

Die Königin A m a t a erhängt sich

259

Daß zweimal der Italer schon das Bündnis gebrochen. Zwietracht spaltet die Stadt, uneins sich werden die Bürger. Hier aufriegeln die Tore man will, einlassen die Troer, Winkt den König heran, mit ihm zu besprechen den Frieden; Dort zum Schwerte man greift, die Veste zu schützen entschlossen. Wenn im löchrigen Fels der Hirt aufstöbert die Bienen Und mit bitterem Rauch anfüllt die Gänge des Stockes, Schwirren, ums Leben besorgt, sie rings durchs wächserne Lager Und mit starkem Gesumm die Glut sie schüren des Zornes; Häßlicher Dunst den Waben entströmt, von dumpfem Gebrause Tönt im Innern der Fels, schwarz steigt der Qualm in die Lüfte. Noch ein anderer Schlag trifft jetzt die müden Latiner, Der mit Trauer erfüllt aufs tiefste die Herzen der Städter. Auf dem Dach die Königin steht, sieht nahen die Feinde, Sieht umlagert den Wall, aufzüngeln die Flamme zum Sparrwerk, Doch kein Rutulervolk, kein Heer sich zeiget des Turnus. J e t z t der Gedanke sie packt, er sei schon selber gefallen, Und wahnsinniger Schmerz verwirrt die klaren Gedanken. Laut sie schmähet sich selbst als schuld am schrecklichen Unglück, Stammelt erregt, umnachtet den Sinn von rasender Trauer, Reißt, sich zu geben den Tod, entzwei den purpurnen Mantel, Knüpft zur Schlinge das Zeug und erhängt sich selbst am Gebälke. Wie den Frauen im Haus kund wird der gräßliche Vorfall, Rauft Lavinia sich das üppige Haar mit den Händen, Kratzt die rosige W a n g ; das andre Gefolge der Frauen Raset mit ihr, weithin hallt wider von Schlägen die Halle. Von hier pflanzt die Kunde sich fort durch Straßen und Plätze. Allen entsinkt der Mut. Es zerreißt die Kleider Latinus, Über der Gattin Geschick entsetzt und die Lage der Hauptstadt, Dann das ergrauende Haar er entstellt mit schmutzigem Staube Und klagt schwer sich an, daß nicht freiwillig Äneas E r empfangen als Freund und ihm die Tochter gegeben. Turnus inzwischen verfolgt am äußersten Rande des Schlachtfelds Wenig Versprengte nur noch; er wird mißmutiger sichtlich, Wird stets weniger froh des Erfolgs der mutigen Renner. J e t z t in dunkeler Angst er hört verworrenes Schreien, J e t z t dem erregten Gehör trägt zu die Luft das Getöse, Das von der Stadt herdringt, trägt zu das Jammergeheule. 17*

260

X I I 620—656

Turnus und Juturna

„Weh, welch Trauergetön umtobt die Mauern der Veste, Welch durchdringender Schrei hallt her vom Walle, dem fernen?" Ruits, heißt stehn das Gespann und hält unschlüssig im Felde. Wagen und Renner ihm lenkt Juturna, die leibliche Schwester, Die dicht neben ihm steht in Gestalt des Lenkers Metiskus. Jetzt sie folgendes r ä t : „Laß hier den Troern uns nachgehn, Turnus! Zuerst hat hier der Sieg den Weg uns gebahnet. Andere stehen bereit, die Stadt tatkräftig zu schützen. Italer sind des Äneas Ziel, sie mordet er zahllos: Laß auch unser Geschoß am Blut sich laben der Teukrer; Bist nicht schwächer an Zahl, an Erfolg im Kampf nicht geringer". Turnus darauf: „Schwester, ich weiß schon längst, daß du den ersten Vertragsbruch Führtest herbei mit List und selbst teilnahmst an den Kämpfen. Nicht kannst hehlen du mir deine Gottheit. Wer vom Olympus Sandte dich her und hieß dich soviel Mühen ertragen? Etwa, damit du sähst die grause Vernichtung des Bruders? Was will denn mein T u n ? Wo winkt mir endliche R e t t u n g ? Sah mit Augen ich doch dem Unnahbaren sich nahen Freund Murranus, mir lieb wie keiner der andern Genossen, Hört ihn rufen, erlebts, daß Tod ihm brachte die Wunde. Ufens fiel nach ihm, um unsere Schmach nicht zu sehen, Waffen und Leichnam sind ein Raub der jubelnden Feinde. Soll auch sinken ich sehn — dies wär als einziges übrig — Unsere Stadt, und so wahr machen die Worte des Drankes? Soll ich entfliehn? Dies Feld die Flucht des Turnus erleben? Ist ein Übel der T o d ? Ists so weit? Gnädig, ihr Manen, Zeiget euch mir; die Himmlischen stehn mir feindlich entgegen. Rein ich nahe mich euch, der Feigheit zeihet mich niemand. Würdig ich zeigen mich will im Tod des Besten der Ahnen." Kaum hat dies er gesagt, da sprengt auf schäumendem Pferde Sakes heran durch den Feind; er ist vom Pfeile getroffen, Stürzt vor Turnus herab und ruft bei Namen ihn also: „Turnus, der Italer Hort, erbarm, erbarm dich der Deinen! Sturmgleich rast Äneas im Kampf, droht niederzureißen Auch die festesten Burgen des Lands, sinnt allen Vernichtung, Und schon züngeln die Flammen zum Dach. Die Blicke der Unsern

X I I 657—694

Turnus eilt zur Stadt

261

Ruhen allein auf dir. Es schwankt der König Latinus, Wem die Tochter er geb, mit wem er schließe das Bündnis. Zudem starb die Königin schon, von Herzen ergeben Dir, durch eigene Hand und floh entsetzt aus dem Leben. Vor den Toren allein Messap noch hält und Atinas Stand mit dem eigenen Heer; um sie sich drängen die Kämpfer Von zwei Seiten heran, starr wogt das eiserne Saatfeld, Und du treibst das Gefährt umher auf ödem Gefilde." Durch die Fülle der Bilder verwirrt, läßt Turnus den Wagen Halten und schaut sich um. Ihm stürmen im innersten Herzen Tiefe Beschämung, die Lust zum Kampf mit nagender Trauer, Liebe mit rasender Wut, das Bewußtsein eigenen Wertes. Wie das Dunkel sich teilt und Licht ihm wieder im Herzen, Wendet zur Mauer er hin die glühenden Kreise der Augen, Blickt auf das Bild der Stadt vor sich vom Stuhle des Wagens, Sieht zum Himmel empor aufsteigen die feurige Lohe, Die von Stock zu Stock aufleckt am ragenden Turme, Den aus festem Gebälk er einst noch selber gebauet Und auf Räder gestellt, auch mit Schlagbrücken versehen. „Schwester, das Schicksal siegt! Laß ab, Aufschub zu begehren! Folgen ich will, wohin mich Schicksal ruft oder Götter. Fest steht mir der Entschluß, Äneas selbst zu bestehen, Auch aufs Äußerste hin. Ruhmlos nicht sollst du mich finden, Laß mich nur einmal noch die Lust austoben am Kampfe!" Sagts. Vom Wagen herab drauf springt er hastig zur Erde, Stürmt durch Feinde, Geschosse, verläßt die zagende Schwester Und durchbricht in rasendem Lauf die Scharen der Kämpfer. Wie vom Gipfel des Bergs ein Felsblock jählings herabstürzt, Wenn ein Sturm ihn schmettert zu Tal — ihn löste vom Grunde Teils des Regens Gewalt, noch mehr das Nagen der Jahre —: Bis in die Tiefe herab saust unaufhaltsam das Felsstück, Springt am Boden empor, reißt Baum und Menschen und Tiere Mitleidslos mit fort. So teilt die kämpfenden Reihen Turnus und stürzt zur Stadt, wo feucht vom Blute der Boden Trieft und überall her die Luft durchschwirren Geschosse. Zeichen er gibt mit der Hand und ruft mit schallender Stimme: „Rutuler, Waffen in R u h ! Laßt ab vom Kampfe, Latiner! Wie sich das Glück auch zeig, mir zeig sichs; billiger büße

262

X I I 695—731

Zweikampf des Äneas und Turnus

Selbst ich Vertragsbruchs Schuld und such Entscheidung im Zweikampf." Willig sie hören auf ihn und geben ihm Raum zur Bewegung. Als Äneas gehört von fern den Namen des Turnus, Läßt er die Mauer im Stich, im Stich die Höhen der Türme, Bricht ab jeden Verzug, steht ab von weiteren Kämpfen Und schwingt, freudig erregt, hochauf die klirrenden Waffen. Freudig des Athos Haupt, des Eryx Höh, Appenninus' Kette zum Himmel so strebt und grüßt mit schneeigen Gipfeln Hoch im Äther das Licht, umrauscht von flimmernden Eichen. Nunmehr wenden auf ihn die Rutuler, wenden die Troer, Italer alle den Blick; aus der Hand sie legen die Waffen, Die von den Zinnen gekämpft, die drunten am Fuße der Mauer Sie mit dem Widder bedroht. Selbst König Latinus erstaunet, Als das riesige Paar, verschiedenen Ländern entstammend, Aneinander gerät, Entscheid zu suchen im Zweikampf. J e t z t ist die Kampfbahn frei: das Paar erst schleudert die Lanzen, Stürmt im Laufe dann vor, bis beide sie kommen zum Nahkampf. Schild sich dränget an Schild, blitzschnell sich treffen die Schwerter, Unten der Boden erdröhnt, so zahlreich sausen die Schläge; Mut mit Geschick sich eint, dem Blick ein glänzendes Schauspiel. So man an Silas Hang, auf der Höh des breiten Taburnus Kämpfen ein Stierpaar sieht: die Stirn zum Stoße gesenket, Stürzen sie beide heran, längst sind die Hirten geflüchtet, Stumm stehts Vieh vor Furcht und ratlos zagen die Kühe, Wer im Felde der Herr, wer wird der Herden Gebieter; Beide mit großer Gewalt sich Wund beibringen auf Wunde, Bohren die Hörner sich ein, Blut rinnt in reichlichen Strömen Ihnen von Hals und Bug, der Hain hallt wider vom Schnaufen: Grad so stoßen der daunische Held und Vater Äneas Mit den Schilden zusammen, das Krachen erfüllet die Lüfte. Jetzt hebt Juppiter auf den Balken der Schicksalswage, Stellt das Züngelchen ein und legt das Los in die Schalen, Wen zum Tode verdammt die Müh des blutigen Kampfes. Turnus indes sich recket empor, so hoch er gewachsen, Schwingt zum Hiebe das Schwert — straflos er meint es zu können — Und schlägt los — aufschrein entsetzt die Latiner und Troer — Stehen dann regungslos. Es zerspellt die tückische Klinge

X I I 732—768

Turnus von Äneas verfolgt

263

Mitten im Hieb und läßt im Stich den Kämpfer im Kampfe. Nichts bleibt Turnus als Flucht. Er sieht entwaffnet die Rechte, Kennt auch den Schwertgriff nicht in der Hand, flieht schneller als Sturmwind. Damals, so heißts, als er beim ersten Beginne des Kampfes Hastig bestieg das Gespann, hab mit dem Schwert des Metiskus, Der ihm die Rosse gelenkt, er eilig das seine verwechselt. Dienst tat dieses solang, als jäh zerstoben die Teukrer; Doch als zuletzt es kam an Äneas' göttliche Rüstung, Springt der sterbliche Stahl entzwei gleich brüchigem Eise, Und im gelblichen Sand zerstreut weit leuchten die Splitter. Kopflos eilt nun Turnus hinweg zum Rande des Schlachtfelds, Wendet sich bald hierhin, bald dorthin, Kreise beschreibend; Denn es hemmen den Lauf in dichtem Gedränge die Teukrer. Dort ihm drohet ein Sumpf, hier steht entgegen die Mauer. Schnell Äneas dem flüchtigen folgt, und hindert auch manchmal Ihn die Wunde des Beins und will zu laufen sich weigern, Bleibt er dem Feind doch nah und sucht den scheuen zu stellen. So setzt nach der Jäger dem Hirsch, dem dorten ein Flußbett, Hier der Strick entgegen sich stellt, des flatternde Lappen Ihn nicht lassen hindurch, wenn Hund und Jäger ihm folgen. Hier durch Scheuchen gebannt, dort durch abschüssiges Ufer, Rennt er wieder und wieder zurück; die bissige Rüde Klafft laut hinter ihm her und schnappt, doch entgeht ihr die Beute, Und das leere Gebiß klappt zu mit starkem Geknirsche. Plötzlich ein Toben ertönt: es hallen die Seen und Ufer Ringsumher, der Himmel erdröhnt vom wilden Getöse. Turnus auf stürmischer Flucht ruft an die Rutuler alle, Jeden bei Namen er nennt, und laut er verlangt nach dem Schwerte. Doch Äneas bedroht sichtbar mit jähem Verderben Jeden, der helfen ihm will, und schreckt trotz seiner Verwundung Leicht die Zagenden ab, die Sturm auf die Mauer befürchten. Fünfmal sie durchmessen die Bahn und legen sie fünfmal Wieder zurück; denn nicht zur Kurzweil rennen die Gegner, Nein, um höheren Preis, um Blut und Leben des Turnus. Einst im Felde hier wuchs ein Ölbaum, heilig dem Faunus, Viel von Schiffern verehrt; ihm pflegten, gerettet aus Seenot, Als dem schützenden Gott sie darzubringen die Gaben,

264

X I I 769—806

Juppiter und Juno

Aufzuhängen das Kleid, das sie dem Retter gelobten. Teukrer ihn hatten gefällt, der göttlichen Weihe nicht achtend, Um auf freiem Gefild der Kampflust frönen zu können. Fest stak hier des Äneas Speer; in die knorrige Wurzel Hatte sich tief er gebohrt, zäh hielt das harte Gefaser. Auf ihn stürzt sich der Held, will ihn dem Boden entreißen, Um zu treffen im Wurf, den Lauf einholen nicht konnte. Turnus, in tödlicher Angst, nimmt Zuflucht jetzt zum Gebete: „Faunus, erbarm dich mein! Laß los nicht, Beste der Erden, Feindesgeschoß! Fromm hab ich stets euch Ehren erwiesen, Doch Äneas' Gefolg hat euch entweihet im Kriege." Sprichts. Nicht hat er umsonst den Gott zu Hilfe gerufen. Lang sich Äneas müht, doch nicht nachgeben die Fasern, Keine Gewalt reicht hin, des Baumstumpfs Wurzeln zu brechen, Ihnen zu rauben den Speer. Indes so ringet Äneas, Sieh, die Schwester erscheint noch einmal, gleichend Metiskus, Und überbringt das Schwert, das sehnlich verlangte, dem Bruder. Venus, darob ergrimmt, daß dies die Nymphe gewaget, Tritt zu dem Baumstumpf schnell und entreißt der Wurzel die Lanze. So mit Waffen versehn, von Kampflust wieder erhoben, Der vertrauend dem Schwert, und der hoch schwingend die Lanze, Schreiten sie beid zum Entscheid des endlos keuchenden Kampfes. Juno sitzet indes einsam in rötlicher Wolke; An sie richtet das Wort der mächtige Herr des Olympus: „Machst du nimmer ein E n d ? Bangst du noch immer in Sorgen? Als altbürtiger Gott geht ein zum Himmel Äneas, Das ist Schicksalsgebot! Du weißts und bekennst es zu wissen. Was ist dein P l a n ? Wozu die Wacht in eisiger Wolke? Dürft ein sterblich Geschoß unsterbliche Glieder verwunden? Durfts entschwundene Schwert aufs neu zukommen dem Turnus Und ihm wachsen die K r a f t ? Ohn dich was konnte J u t u r n a ? Höre doch einmal auf, gib nach doch unseren Bitten, Laß nicht schweigenden Schmerz an dir noch nagen! Den Kummer Laß nicht lesen mich mehr auf deinem so lieben Gesichte! Kommen ist nun der Entscheid. Durch Länder und Meere zu jagen Hast du die Troer vermocht, unsägliche Kämpfe zu schüren, Konntst entehren das Haus, Hochzeit in Trauer verwandeln. Weiteres duld ich nicht!" So tönts aus Juppiters Munde.

XII 807—844

Juno scheidet versöhnt aus dem Olymp

265

Ihm demütigen Blicks die Schwestergemahlin erwidert: „Weil, allmächtiger Herr, mir kund dein Wünschen und Wollen, Bin ich nach schwerem Entschluß von der Erd und Turnus geschieden. Sonst nicht sähest du mich einsam auf luftigem Sitze Dulden verdient, unverdient; von Glut umwallet ich stände Kämpfend in vorderster Reih und schleppt' zum Tode die Teukrer. Daß J u t u r n a gewagt, dem Bruder zu helfen, gesteh ich, War mein Rat, und billig mich deucht' ihr kühnes Beginnen, Doch nicht so, daß sie sandte den Pfeil und spannte den Bogen. Drum ich schwöre beim Styx, dem unversöhnlichen Flusse, Leiste den gräßlichen Eid, der auch uns Götter verpflichtet: Nach will geben ich jetzt, abstehn vom leidigen Streite. Doch um Eines ich bitt, was nicht abhänget vom Schicksal, Bitt für Latium ich, bitt für die Würde der Deinen: Weil ein glücklicher Bund — er seis! — den Frieden besiegelt, Weil durch festen Vertrag die Völker zusammen sich schließen, Laß umnennen sich nicht das Urvoik, Latiums Grundstamm, Laß zu Troern es nicht, laß nicht zu Teukrern es werden, Laß es wahren die heimische Tracht, die heimische Mundart. Latium bleib, es bleib albanischer Könige Namen, Römischer Nachwuchs dank sein Blühn italischer Tatkraft. Troja versank. Versunken auch bleib sein Name für ewig!" Lächelnd erwiderte drauf der Schöpfer der Menschen und Dinge: „ J u p p i t e r s Schwester du bist, Saturns echtbürtige Tochter, Daß du Ströme von Zorn still weißt im Busen zu hegen! Aber genug jetzt seis, gib auf ohnmächtiges Grollen! Dein Wunsch sei dir gewährt, gern füg ich mich als Besiegter. Den Ausoniern bleib die heimische Sprache, die Sitten; Wie sie hießen, so heißen sie fort! Nur äußerlich gliedern Ihnen die Troer sich ein. Die Feste, der Opfer Gebräuche Sind mein Werk. E i n Name nur gelt für alle: Latiner. Jenem Geschlecht, das hier sich mischt ausonischem Blute, Wirst an frommem Gemüt du keins gleich finden auf Erden, Und kein anderes Volk wird so dich halten in Ehren." Juno nicket dem zu; froh läßt sie fahren den Hader, Scheidet versöhnt vom Olymp und entsteigt der bergenden Wolke. Hiernach gehet mit sich zu Rat der Herrscher der Götter, Wie von Turnus er trenn Juturnas schützende Nähe.

266

XII 845—882

Juturna räumt der Furie das Feld

Furien heißen ein Unholdpaar, entsprossen dem Schöße Der unheimlichen Nacht; die dritte der Schwestern, Megära, Unten im Tartarus haust. Das gleiche Geringel von Schlangen Tragen die Schwestern im Haar, die gleichen gewaltigen Schwingen. Beid sie sitzen am Thron des zornigen Juppiter, harren Seines Befehls, zu mehren die Furcht der bekümmerten Menschen, Wann durch Seuchen und Tod er heimsucht plötzlich die Völker Oder mit Plagen des Kriegs anfällt die schuldigen Städte. Eine davon er schickt zur Erd vom hohen Olympus, Heißt — ein böses Gesicht! — sie dort J u t u r n a begegnen. Schnell durchfliegt sie die Luft und stürmt im Wirbel zur Erde, Wie der Pfeil hinsaust, von schwirrender Sehne geschnellet, Den der Parther bestreicht mit Saft des tödlichen Giftes Oder abschießt der Kreter zu nie sich schließender Wunde; Zischend, von keinem bemerkt, einholt er Schatten der Wolken: So saust hin die Tochter der Nacht und stürmet zur Erde. Als ansichtig sie wird der kämpfenden Scharen um Turnus, Schrumpft zusammen sie gleich und wird zum winzigen Käuzchen, Das bei Nacht auf Gräber sich setzt, auf verlassene Dächer Und sein trauriges Lied einsam ins Dunkel hinausklagt. So sie schwebt in Vogelgestalt mit krächzenden Tönen Nah vor Turnus' Gesicht und schlägt den Schild mit den Flügeln. Lähmende Furcht, noch nimmer gefühlt, macht starr ihm die Glieder, Sträubt sein Haar in die Höh, läßt stocken das Wort in der Kehle. Als J u t u r n a von fern wahrnimmt der Furie Zischen, Rauft ohnmächtig sie sich das Haar, zerkratzet die Wangen Und entstellet die Brust durch wütende Schläge der Fäuste. „Was kann, Turnus, dir jetzt noch sein die Sorge der Schwester? Was bleibt übrig noch mir, dein Leben durch List zu verlängern? Darf so grauser Gestalt im Kampf entgegen ich t r e t e n ? Muß schon räumen das Feld. Hör auf, mich weiter zu schrecken, Widriges Vogelgezücht! Ich kenn die Schläge der Schwingen, Den todbringenden Ruf, spür klar auch Juppiters Weisung, Des hochherzigen Herrn, Dank für mein Opfer der Unschuld! Ich unsterblich! Wozu dem Trost entsagen des Todes? Endigen könnt ich bestimmt jetzt all die folternden Qualen, Könnt mit dem Bruder zugleich ins Reich abwandern der Schatten. Ich unsterblich! Deiner beraubt wird, Bruder, mir bleiben

XII 883—919

Turnus dem Äneas preisgegeben

267

Wertvoll, was ich besitz? Ach, daß sich spalte der Boden, Und mich Göttin hinab sogleich zu den Manen entführe !" Als sie dieses gesagt, hüllt ein sie das Haupt in den Mantel, Seufzt tief auf und versinkt im Grund des dunkelen Flusses. Jetzt einstürmt auf Turnus Äneas, schwingend die Lanze, Die baumgleich aufragt, und spricht aus zornigem Herzen: „Was denn säumest du noch? Wem willst du, Turnus, entgehen? Nicht um Laufen es geht, nur Nahkampf bringet Entscheidung. Nimm an jede Gestalt, raff jetzt entschlossen zusammen, Was an Kräften und M u t ' d u hast! Auf Flügeln erhebe Dich in die Luft, laß auch im Schoß dich bergen der Erde!" Doch der schüttelt das H a u p t : „Dein böses Gerede, du Wilder, Schrecket mich nicht, mich schreckt der Götter und Juppiters Feindschaft!" Weiteres redet er nicht; nach einem gewaltigen Felsblock Blickt er sich um, der einst, um Streit zu hindern der Nachbarn, War als Grenze gesetzt, nun lag zufällig im Felde. Mehrerer Männer bedürfts, ihn nur von der Stelle zu rücken, Wie heut sind von Natur der schwächlichen Menschen Geschlechter. Turnus danach schnell greift, will Anlauf nehmen, ihn schleudern, Wie sonst er es gewohnt, wehrlos zu machen den Gegner. Doch er erkennt sich selber nicht mehr im Gehen und Laufen, Kann kaum regen die Hand, die wuchtige Last kaum heben; Denn ihm wanken die Knie, vor Frost ihm stocket das Herzblut. Zwar in die Luft sich erhebt der Stein, von Turnus geschleudert, Doch er durchmißt den Raum nicht ganz, nicht trifft er das Endziel. Wie wir öfter im Traum, wenn Schlaf aufs Auge sich senket, Uns abmühen umsonst, im Lauf noch weiter zu kommen; Wie dann mitten im Schwung uns jäh die Kräfte verlassen, Wir der Zunge nicht Herr, nicht Herr mehr werden der Glieder, Wie kein Ton sich entringt dem Schlund, noch weniger Worte: So dem Turnus Erfolg, wohin er tapfer sich wendet, Hart die Dämonin versagt. Sich drängen Gedanken im Herzen Ihm in buntem Gewühl. Die Stadt, die Rutuler sieht er, Doch er zögert aus Angst, des Speerwurfs immer gewärtig, Weiß nicht flüchten wohin, nicht wie dem Feinde begegnen, Sieht seinen Wagen nicht mehr, auch nicht die Lenkerin Schwester. J e t z t das Verhängnis n a h t : Äneas schwinget die Lanze,

268

X I I 920—952

Turnus fällt v o n Aneas' Hand

Mißt des W u r f e s Erfolg, strafft d a n n zur ä u ß e r s t e n Spannung Sehnen und Muskeln und — wirft. Von Schleudermaschinen geschossen Dröhnt kein Felsstück so, kein Blitz entfesselt ein Krachen Von so grausigem Schall. Gleich einem verheerenden Wirbel Dringet der Speer ans Ziel, d u r c h s t ö ß t des gewaltigen Schildes Untersten R a n d u n d sprengt die metallene F ü g u n g des Panzers: Mitten den Schenkel er trifft. Es s t ü r z t der riesige Turnus Hin mit gebogenem Knie, nicht a u f r e c h t k a n n er sich halten. In einmütigem Schreck aufschrein die • R u t u l e r , ringsum Hallt das Gebirg, weithin der W a l d e n t s e n d e t das Echo. Mit ergebenem Blick streckt T u r n u s flehend die Rechte Vor und s a g t : „ I c h trage die Schuld, nicht fleh ich um Gnade. Brauche dein R e c h t ! Doch k a n n das Bild von deinem Erzeuger Stimmen dich mild — auch dir w a r solch ein Vater Anchises — Dann, dies bitten ich darf, e r b a r m dich Daunus', des Greises, Gib den Meinigen mich, gib, hörst dus lieber, den Leichnam Ihnen zurück. Dein ist der Sieg! Mich sah, den Besiegten, Flehen zu dir mein Volk. Dir wird Lavinia G a t t i n . Weiter nicht geh im H a ß ! " Siegstolz, mit rollenden Augen Hält das Schwert Äneas gezückt, doch h e m m t er die Rechte, Und je länger er h a r r t , je mehr ihn r ü h r e n die Worte. Plötzlich des Schwerts T r a g b a n d er auf der Schulter des Armen Glänzen er sieht im Schmuck der goldenen Buckeln, das T u r n u s Pallas, dem j u n g e n , geraubt, als er zu Boden ihn streckte, Mit dem selber er d a n n als Siegstrophäe geprunket. Als ansichtig er wird des Denkmals w ü t e n d e n Schmerzes Und aufs neue den R a u b er f ü h l t , in rasendem Grimme R u f t e r : ,,Du mir entgehn, den Schatz der Meinen e n t f ü h r e n d ? N i m m e r ! Des Pallas H a n d schlägt dir die tödliche W u n d e , Pallas r ä c h t seinen Tod im Blut des schuldigen Frevlers!" Dabei bohrt in die Brust er ihm die blinkende Klinge. Eisig das Herzblut stockt, kraftlos sich lösen die Glieder, Und mit Seufzen entfliegt hinab zu den Schatten die Seele.

Anhang Seite

I. Zeitwende im Lied II. W e l t w e n d e im Bild

271 277

I I I . J u n o s Groll u n d Versöhnung

281

IV. Vom H e x a m e t e r , insonderheit v o m d e u t s c h e n

284

N a m e n u n d Sachen

291

I. Zeitwende im Lied Das 4. Hirtenlied Höher ein wenig den Ton stimmt heut, sizilische Musen! Nicht nach jedes Geschmack sind Zwergtamarisken und Buschwerk. Singen wir auch vom Hain, sei der doch würdig des Konsuls. Nach kumäischem Spruch hat jetzt die Zeit sich erfüllet, Und von neuem beginnt des Weltjahrs mächtiger Umlauf. J u n g f r a u kehret zurück, Saturn kommt wieder zur Herrschaft, Und ein neues Geschlecht zur Erd steigt nieder vom Himmel. Sei nur hold des K n a b e n G e b u r t , du keusche Diana, Der der eisernen Zeit Ausgang, der goldenen Anbruch Bringt der harrenden Welt. Schon herrscht dein Bruder Apollo. Gerade wenn Konsul du, setzt ein der Zeiten Verjüngung, Pollio, treten den Rundgang an die gewaltigen Monde. Führst du, schwindet die Spur, die letzte, von unsern Verbrechen Und aufatmet die Welt vom unaufhörlichen Schrecken. Göttliches Leben ihm wird zuteil: er schauet mit Göttern Einst die Helden gepaart und geht ein selber zu diesen, Hat mit ererbtem Geschick er den Erdkreis friedlich gelenket. Dir, mein K n a b e , beschert an Erstlingsgaben der Boden Baldrians Duft von selbst, des Efeus kletternde Ranken, 20 23 21 22

Lilienblüten, gesellt dem Grün des schmucken Akanthus, Und die W i e g e dir beut ohn Zutun blühende Blumen. Strotzend die Euter geschwellt kehrt selbst vom Weiden die Ziege Dir zum Stalle zurück; das Vieh nicht fürchtet den Löwen.

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Anhang I: viertes Hirtenlied

Giftige Schlangen vergehn, ausstirbt die schädliche Wolfsmilch, Wuchernd gedeihn dafür Assyriens duftende Stauden. Wenn dann l e s e n du kannst vom Ruhm der Helden, des Vaters, Wenn du würdigen kannst, was T a t k r a f t Großes bedeutet, Färbt sich golden das Feld alsbald mit reifenden Ähren, Winkt am Dornengebüsch dir hold die rötliche Traube, Träuft aus knorrigem Stamm dir süß der tauige Honig. Doch noch Spuren man sieht auch jetzt von alter Gewalttat: Schiffe, Bezwinger der See, vom Wall umschlossene Städte, Furchen, gedrückt ins Feld, Wundmale der gütigen Erde. Tiphys, ein zweiter, ersteht; Argo, die zweite, wird tragen Wieder erlesene Schar, aufs neu wird Schlachten es geben Und ein zweiter Achill wird ausziehn wieder gen Troja. Bist zum M a n n e gereift du dann im kräftigen Alter, Weicht schon selber der Mensch der See, die Schiffe des Reeders Tauschen nicht Waren mehr aus; das Land trägt alles für alle. Nicht mehr duldet der Acker den Karst, die Rebe das Messer; Schon löst selber den Stier vom Joch der kräftige Pflüger. Nicht mehr lernt vortäuschen verschiedene Farben die Wolle, Nein, auf der Trift schon glänzt in dunkelem Purpur der Widder, Selbst annimmt das Vlies den Schein des gelblichen Krokus, Färbt von Natur sich selbst hellrot die Wolle der Lämmer. „Solch Zeitalter abspinnt!" also zurieft ihr den Spindeln, Parzen, in einigem Sinn und unbeugsamem Entschlüsse. „Auf! Bald nahet die Zeit. Tritt an die rühmliche Laufbahn, Zuwachs Juppiters du, Nachkömmling teurer von Göttern! Schau, wie freudig erbebt des Weltalls wankende Wölbung, Schau, wie Länder und Meer, schau wie die Kuppel des Himmels Aufjauchzt, wonnig bewegt vom Glück des kommenden Weltjahrs!" Währten, ach, doch so lang die mir noch übrigen Jahre, Blieb mir Odem genug, von deinen Verdiensten zu singen: Orpheus sollte mich nicht, im Lied nicht Linus besiegen, Stund gleich jenem die Mutter zur Seit und diesem der Vater, Diesem Apoll der Gott, dem Orpheus Kalliopea.

Zeitwende

273

Pan selbst, riefe beim Streit er an Arkadiens Urteil, Pan selbst säh sich besiegt auch nach Arkadiens Urteil. Fang an, Knäbchen: erkenn mit lachenden Augen die Mutter, Die zehn Monde hindurch die Last hat tapfer getragen. Damit beginn, mein Kind! Wer nicht der Mutter gelächelt, Mit dem teilet den Tisch kein Gott, keine Göttin das Lager. V. 1—3. A n r u f u n g der Musen. Sie sollen ein sizilisches Hirtenlied anstimmen, aber ein Lied in höherem Ton, das der Beglückwünschung des neuen, V. 12 genannten Konsuls würdig sei. V. 4—10. T h e m a des Liedes: Geburt eines Knaben, der das eiserne Zeitalter abschließen und ein goldenes heraufführen wird, wann nicht mehr Mars, sondern Apoll die Stunde regiert, nicht mehr Krieg die Völker erschreckt, sondern sie Friede beglückt und Gerechtigkeit auf die Erde zurückkehrt. Im Waffenlärm h a t t e sie diese verlassen, um am Himmel als Sternbild der J u n g f r a u zu glänzen. V. 11—14. Widmung des Liedes an den Konsul Asinius Pollio, unter dessen Führung die letzten Spuren der blutigen Kriege verschwinden werden, die Casars Ermordung im Gefolge hatte. Bis hierher geht der A u f g e s a n g . Es folgt der H a u p t t e i l des Liedes: Geburt und Entwicklung des erwarteten Erlösers. V. 15—17. Der Knabe als F r i e d e f ü r s t unter die Götter versetzt. V. 18—25. Der Knabe als K i n d . Anzeichen des goldenen Zeitalters: Mit Blumen schmückt sich der Boden, das weidende Vieh bleibt unbehelligt von Feinden, Giftschlangen vergehn und statt schädlicher Kräuter wuchern duftige Blüten. V. 26—36. Der Knabe als J ü n g l i n g . Der Segen des Zeitalters wächst: Schwellende Ähren bedecken die Felder, an Dornen reifen Trauben, aus Bäumen tropft Honig. Noch aber sind nicht alle Spuren der eisernen Zeit verschwunden: noch machen Schiffe die gottgewollte Trennung der Länder durch Meere zuschanden, noch schützen sich Städte durch Mauern, noch verwundet Pflug und Hacke den willigen Erdboden, die Kriegsfahrten der Argonauten und griechischer Helden nach Troja wiederholen sich. V. 37—45. Der Knabe als M a n n . Nun sind die Spuren der Gewalttätigkeit völlig geschwunden, der Segen der goldenen Zeit steigert sich ins Märchenhafte. Tre n d el e n b u rg, Virgils Aeneis. 18

274

A n h a n g I : viertes Hirtenlied

V. 46—52. Mit J u b e l e m p f ä n g t das Weltall den Friedefürsten. Hier schließt der H a u p t t e i l . Auf ihn folgt der A b g e s a n g . V. 53—59. Wird dem Dichter vergönnt, die Verdienste des Friedefürsten durch sein Lied zu feiern, so wird er den Wettbewerb auch mit den größten Sängern der Vorzeit nicht scheuen. V. 60—63. N u r von sterblicher M u t t e r werden die Erlöser der Menschheit geboren. Lächle, Knabe, der M u t t e r zu und vergilt ihr d a m i t die Sorgen während der Schwangerschaft und bei der Geburt. Aus dem Liede spricht das Bewußtsein des Dichters, einen W e n d e p u n k t der Wettgeschichte mit zu erleben, und die feste Überzeugung, einer glücklichen Friedenszeit entgegenzugehen. Gewidmet ist es seinem Gönner u n d Freund, G a j u s Asinius Pollio, dem Konsul des J a h r e s 40 v. Chr. Als Soldat, Feldherr, Redner und Staatsm a n n mit den politischen, als Dichter und Geschichtschreiber mit den literarischen Kreisen Roms aufs engste verbunden, fördert Pollio mit offenem Herzen und offener H a n d die Bestrebungen der Dichter und Künstler, seitdem er sich nach seinem Konsulat u n d seinem im J a h r e darauf gefeierten T r i u m p h vom öffentlichen Leben zurückgezogen h a t und als P r i v a t m a n n in der H a u p t s t a d t lediglich seinen wissenschaftlichen Neigungen lebt. Auch Virgil darf in ihm seinen W o h l t ä t e r sehen. Denn er d a n k t ihm nicht bloß die Rückgabe seines väterlichen Gütchens bei M a n t u a , das er wie tausend andere f ü r die Äckeranweisungen an die Veteranen h a t t e hergeben müssen, sondern vor allem nachdrückliche Förderung seiner k ü n s t lerischen Bestrebungen. Virgil h a t f ü r sein nationales Epos eingehende Studien über die Urgeschichte Italiens und Griechenlands machen müssen. Das k o n n t e er nirgends besser als in der öffentlichen Bibliothek, die Pollio, einen Gedanken des großen Cäsar verwirklichend, in Rom b e g r ü n d e t h a t t e . Aber auch an unmittelbaren Einwirkungen auf den Dichter h a t es der vielseitige S t a a t s m a n n nicht fehlen lassen. Er weist ihn bei seinen ersten dichterischen Versuchen auf Theokrit und die anderen griechischen Bukoliker hin, die ihm Vorbilder f ü r seine Hirtenlieder werden. Deshalb w i d m e t er Pollio, seinem A u n d 0 , wie er ihn V I I I 11 n e n n t , die S a m m l u n g der zehn Eklogen u n d gibt auch seinem Glückwunsch zu dessen Konsulwahl die Form eines Hirtenliedes, allerdings eines „Liedes in höherem T o n " .

Zeitwende

275

Es m u ß f ü r einen angehenden Dichter eigenen Reiz gehabt haben, das ü b e r l a u t e politische Leben des Tages in der stillen Welt der Hirten sich widerspiegeln zu lassen. Die Aufgabe m a g nicht immer leicht gewesen sein, besonders schwer aber hier, wo es sich d a r u m handelt, d a s Bild einer gewaltigen Zeitwende in solchem Spiegel aufzufangen. Daß das Konsulat Pollios eine Abkehr von dem bisherigen Treiben und die Morgenröte einer glücklicheren Zeit bedeute, steht f ü r Virgil fest. Deshalb gibt er seinem Glückwunsch die ungewöhnliche, aber u m so einprägsamere Form einer prophetischen Vision, w o r i n er zur Wirklichkeit geworden sieht, was er im Herzen wünscht. Damit gewinnt er zugleich das S p r u n g b r e t t zu einem Mythus, d e r f ü r das Hirtenlied wie geschaffen ist, dem vom goldenen Zeitalter, dessen die Menschen sich unter der Herrschaft S a t u r n s erfeuten. Damals „ t r u g das Land alles f ü r alle" (V. 39), nicht b r a u c h t e Mühe und Schweiß die N a h r u n g ihm abzuzwingen. Wie a b e r k o m m t Virgil gerade im J a h r e 40 zu dem festen Glauben an eine bessere Z u k u n f t ? J e d e s der J a h r e , das der E r m o r d u n g Cäsars folgt, legt Rom zur Sühne f ü r das Verbrechen von 44 unerhörte Blutopfer a u f : 43 den Kampf u m Mutina und die Ächtungen der drei neuen M a c h t h a b e r Antonius, Octavianus, Lepidus; 42 die Doppelschlacht von Philippi; 41 den langwierigen perusinischen Krieg. Dieser Zeit des „unaufhörlichen Schreckens" (V. 14) scheint das J a h r 40 ein E n d e machen zu wollen. Mit der Eroberung Peru sias sind die Bürgerunruhen niedergeworfen. Von den drei ernsten Bewerbern u m die H e r r s c h a f t scheidet der seines Anteils durch eigene S c h w ä c h e verlustig gegangene Lepidus aus; die beiden andern teilen sich in voller Übereinstimmung in das Reich u n d besiegeln ihre F r e u n d s c h a f t durch eine Familienverbindung. Alle Anzeichen weisen auf friedliche E n t w i c k l u n g hin, die wohl noch gestört, aber angesichts der Machtfülle in den Händen der beiden Herren im Osten u n d Westen nicht mehr aufgehalten werden k a n n . Virgil k n ü p f t seine Vision an die zu erwartende G e b u r t eines K n a b e n . Auch das h a t einen politischen Hintergrund. Um sich Sextus P o m p e j u s , d e m H e r r n der See, zu nähern, heiratet Octavian i. J . 40 dessen V e r w a n d t e Scribonia, schickt ihr aber schon im folgenden J a h r e den Scheidebrief an demselben Tage, an dem sie ihm s t a t t des erhofften Sohnes seine T o c h t e r Julia gebar. Man wird in der A n n a h m e n i c h t fehlgehn, d a ß jener U m s t a n d die T r e n n u n g Octavians 18*

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Anhang I: viertes Hirtenlied

von seiner ersten Gemahlin ebensosehr beschleunigt h a t , wie die Ehe mit Livia, seiner zweiten. Fehlt sonach auch noch viel an Erfüllung der Vision Virgils, seine Überzeugung, mit Pollios Konsulat setze eine Zeitwende ein, hat ihn nicht getäuscht. Bis zur Befriedung des römischen Reiches nimmt sein Lied einen Zeitraum an, den ein Kind bis zur Erlangung der Mannesreife braucht, also 30 Jahre. Sie ist aber weit früher eingetreten. Schon im zehnten J a h r nach Pollios Konsulat führt Octavian in der Schlacht bei Aktium die Entscheidung über die Weltherrschaft herbei, sichert wenige Jahre später die Grenzen des Reichs, schließt den Janustempel, löst Mars durch Apollo ab und führt das goldene Zeitalter der römischen Literatur herauf. Es ist bekannt, daß Kaiser Konstantin d. G. in seinem Schreiben ad Sanctorum coetum — nicht, wie man gemeint hat, an das Konzil zu Nicäa, sondern an eines der Kirchenkonsistorien in den Hauptstädten des Reiches — Virgils 4. Hirtengedicht in christlichem Sinne ausgedeutet hat. Das berichtet nicht bloß sein Biograph Eusebius, sondern bezeugt auch seine erhaltene griechische Übersetzung (Bibl. der Kirchenväter I 261). Soviel auch hierzu des Kaisers geistliche Umgebung beigetragen haben mag, die Ausdeutung zeigt auf jeden Fall, daß Virgils Worte für christliche Ohren schon früh einen besonders anheimelnden Klang hatten. Und in der Tat, entkleidet man das Lied seines römischen Gewandes, läßt alle mythischen, geschichtlichen und persönlichen Anspielungen beiseite, dann ergeben sich Sätze, die eines christlichen Dichters nicht unwürdig sind. „Die Zeit ist erfüllet. Ein Menschensohn wird geboren werden, der die Menschheit von ihren Sünden erlöst und die Welt von ewiger Angst befreit, der ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit heraufführt, das Reich Gottes mehrt und endlich selbst in den Himmel eingeht. Dann wird ein neues Geschlecht vom Himmel auf die Erde herabsteigen und darob eitel Freude sein im Himmel und auf Erden."

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II. Weltwende im Bild Der Schild des Äneas Von den 106 Versen der Schildbeschreibung (VIII 626—731) entfallen die 4 ersten (626—629) auf den Eingang, der als allgemeinen Jnhalt des Bilderschmuckes „die italische Geschichte und der Römer Triumphe" angibt, zu denen das von Askanius (Iullus) abstammende julische Geschlecht Rom geführt h a t ; die 3 letzten (729—731) auf den Abgesang, der Äneas als Träger seines Ruhmes feiert. Die übrigen 99 Verse zerfallen in zwei annähernd gleiche Gruppen: die Rahmenbilder (630—670) und das Hauptbild (671 — 728).

Die Rahmenbilder Sie umgeben das Hauptbild mit bedeutungsvollen Szenen, in denen die Tatkraft des römischen Volkes ebenso zum Ausdruck kommt wie der ihm nie versagte göttliche Schutz. Die Bilder schmücken, soweit sie die Oberwelt zum Schauplatze haben, den oberen Rand des Schildes; soweit sie der Unterwelt angehören, den unteren. Die B i l d e r d e r O b e r w e l t . 1. Die Wölfin mit den Zwillingen Romulus und Remus. Gleich an der Wiege des römischen Volkes steht das Wunder. Eine Vestalin, deren heiliger Stand Ehelosigkeit forderte, wird von Mars schwanger und gebiert ein Knabenpaar, das von einer Wölfin als Mutter betreut wird. Sorgsam beleckt sie mit zurückgebogenem Halse die Zwillinge und formt mit der Zunge die Leibchen (630 - 6 3 4 ) . 2. R a u b der Sabinerinnen, ein Unrecht der jungen Stadtgemeinde, das ihr aber zum Segen ausschlägt, da es den Vertrag mit den

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Anhang II: Aneas' Schild

Sabinern und deren Aufnahme in die Stadtgemeinde zur Folge hat (635-641). 3. Bestrafung des albanischen Diktators Mettus Fuffetius wegen Verrats an Rom (642—645). Zwei Viergespanne reißen ihn in Stücke und Tullus Hostilius schleift seine Gedärme über die Felder. 4. Porsenna belagert Rom (646—651), weil es die Aufnahme des Tarquinius Superbus verweigert. Aber seine Drohungen werden an Codes' und Clölias Heldenmut zu schänden. 5. Rettung des Kapitols vor Eroberung durch die Gallier (652— 662). Ganz am obersten Rand steht Manlius, der Hüter des tarpejischen Burgbergs, an den sich die neugedeckte Hütte des Romulus lehnt, vorm Tempel des kapitolinischen Juppiter und deckt ihn, durch das Schnattern der Gänse geweckt, vor der Überrumpelung durch die Gallier, die im Dunkel der Nacht trotz ihrer goldenen Rüstung unbemerkt den Felsen erklommen haben. 6. Opfer und Umzüge der Salier, Luperker und Matronen, diese auf Staatswagen, zum Dank für die Rettung (662—666). Dies die Darstellungen auf dem oberen Teile des Schildes. Obwohl der Dichter keine Winke über die Verteilung der sechs Szenen gibt, liegt deren symmetrische Anordnung doch auf der Hand. Den hochragenden Mittelpunkt bildet der tarpejische Felsen mit dem Tempel; die vier kleineren Bilder links (Wölfin, Sabinerbündnis, Mettus, Porsenna) entsprechen räumlich der einen Darstellung mit den langen Zügen der Salier, Luperker und Matronen rechts. Den untersten Rand nimmt die U n t e r w e l t (667—670) ein, dargestellt in zwei Bildern, Tartarus und Elysium. Ihre Figurenfülle deutet der Dichter durch Sammelbegriffe an: im ersten die Sünder, im zweiten die Frommen. Unter den Sündern Catilina, der Typus eines Vaterlandsverräters, der seiner selbstverschuldeten Not durch einen Verfassungsbruch und einen mit ausländischer Hilfe heraufbeschworenen Bürgerkrieg abhelfen will. Er hat sich aus Angst vor den Furien an eine Felskuppe geklammert, ein sprechendes Bild der Qual, die der Verbrecher im Tartarus wartete. Bei den Seligen waltet des Rechts Cato aus Utica, der letzte Republikaner, der Cäsars Sieg nicht überleben mochte, weil er in ihm den kommenden Monarchen voraussah: eine Verherrlichung politischer Überzeugungstreue und unbestechlicher Gerechtigkeitsliebe, Tugenden, deren auch die Monarchie nicht entraten kann. Auf Grund dieser Stelle

Weltwende

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macht Dante den Heiden Cato zum Torwart seines Läuterungsberges, der den christlichen Seelen den Weg zum irdischen und damit auch zum himmlischen Paradiese weist.

Das Hauptbild bedeckt den breiten Mittelstreifen des Schildrundes zwischen den Darstellungen aus der Ober- und Unterwelt und stellt die S c h l a c h t b e i A k t i u m dar, die Weltwende, die aus der halbtausendjährigen römischen Republik eine Monarchie macht. Schauplatz ist das Meer. Nur ein kleiner Teil des Meeres ist vom K a m p f e noch unberührt. Hier (671—674) t u m m e l t sich im Schaum der bläulichen Wogen friedlich ein Schwärm spielender Delphine. Aber h a r t benachbart ist das kriegerische Bild mit seinen erzgepanzerten Schiffen und zum Kampf gerüsteten Mannen, deren goldene Waffen sich im Meere spiegeln (675—677). Auf der Römerseite (678—684) führen Augustus und Agrippa. Jener, stehend am ragenden Heck, hat alles bei sich, was dem römischen Volke als heilig gilt, Senat und Volk, die Haus- und Staatsgötter; als Wahrzeichen göttlicher Hut und K r a f t entspringt den Schläfen ein P a a r von feurigen Strahlen und am Scheitel leuchtet ihm als Helmschmuck der Stern des julischen Geschlechts. Auch den Agrippa ziert ein bisher nie verliehener Stirnschmuck, ein Reif mit goldenen Schiffsschnäbeln. Die gegnerische Seite (685—688) steht gleichfalls unter zwei Führern, Antonius und Kleopatra, seiner ägyptischen Gemahlin. Der Kampf beginnt (689—697). Man rudert vom Gestade mit Macht gegeneinander los und gewinnt die offene See. Wie Berghäupter stoßen die Turmschiffe aufeinander. Die kleineren römischen bewerfen die orientalischen Kolosse mit Brandpfeilen, vom unerhörten Gemetzel färbt sich der Meerespiegel blutrot. Mit der heiligen Klapper r u f t die Ägypterin die heimischen Götter zu Hilfe und a h n t nichts von dem Natternpaar, d a s in ihrem Rücken auf sie als Beute lauert. So wird die Schlacht auch zum Götterkampf (698—703). Die Mischgestalten der ägyptischen Götter werden handgemein mit N e p t u n , Venus, Minerva und Mars und dessen Gefolge. Entscheidend aber greift ein der aktische Apollo, der Schutzgott des julischen Hauses, und treibt die Gegner zur Flucht (704—713). Ägypter und Inder, Araber und Sabäer verlassen den Kampfplatz. Kleopatra m a c h t

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Anhang I I : Äneas' Schild

sich den Nordwestwind zu nutze und flieht mit vollen Segeln Ägypten zu, w o Vater N i l mit blauem Gewände winkt und den Besiegten eine Zufluchtstätte verheißt. R ü c k k e h r d e s K a i s e r s nach R o m (714—728). Zu dreifachem Triumphe kehrt Augustus in die Hauptstadt zurück, zum dalmatischen, aktischen und alexandrinischen. Dann aber geht er an die Werke des Friedens, baut die zerstörten Heiligtümer wieder auf, dankt den Göttern durch reiche Opfer und Feste und errichtet seinem Schutzgotte den glänzendsten Bau, den Apollotempel auf dem Palatin. In dessen Vorhalle sitzend — damit schließt die Bilderreihe des Schildes — nimmt er, wie seine Vorgänger auf dem ägyptischen Throne v o r Jahrtausenden, den Vorüberzug der neu unterworfenen Völker ab, mustert ihre Tribute und wählt die Gaben aus, womit er die Pfosten des neuen Tempels schmücken will. Von den Enden der bewohnten Erde sind sie herbeigeströmt, so verschieden an Sprache wie an Haltung, Kleidung und Waffen. Nur wenige an den äußersten Grenzen sträuben sich noch gegen die Weltherrschaft Roms, bilden aber keine Gefahr mehr für deren Sicherheit. Äneas hängt sich den Schild, das Werk Vulkans und das Geschenk seiner Mutter, unkundig des Sinns seiner Bilder über die Schulter und wird so zum Träger der Geschicke und des Ruhms des julischen Geschlechtes, dessen Begründer Äneas und Iullus, dessen Enkel Augustus ist.

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III. Junos Groll und Versöhnung Zwei Olympierinnen greifen unmittelbar und nachhaltig in Äneas' Schicksal ein. Zunächst Juno, die Schwestergemahlin Juppiters, die unversöhnliche Feindin der Troer. Unter ihrem Zorn steht gleich der Eingang des Äneasliedes ( 1 3 ) : Durch Länder und Meere Trieb ihn göttliche Macht, weil Junos Grollen nicht nachließ. Ihr gilt auch die Frage (I 11): Haftet denn, ach, so tief der Zorn im Herzen der Götter? Die Gründe davon gibt gleich darauf I 24 ff. an. Die Göttin kann den endlosen Krieg nicht vergessen, den sie für die Griechen, ihre Schützlinge, hat führen müssen; nicht das Urteil des Paris, der ihre Schönheit geringer als die der Venus bewertet h a t ; nicht den Haß gegen das ganze troische Geschlecht, dessen Ahnherr Dardanus der Liebe Juppiters zur Atlastochter Elektra entstammt und das in den Augen der Ehegöttin für alle Zeit durch Paris' Ehebruch gebrandmarkt ist; nicht die Erhebung des troischen Königssohnes Ganymed zum Mundschenken im Olymp durch Juppiter. Deshalb läßt sie die Troer auf ihrer Fahrt nach einer neuen Heimat nicht aus den Augen und stürzt sie von einem Ungemach ins andere. Ihr steht Venus, die Mutter des Äneas und Freundin der Troer, gegenüber. Mit gleicher Zähigkeit, wie J u n o die Flüchtigen verfolgt, schützt sie Venus und geht aus dem Ringen schließlich als Siegerin hervor, weil ihr das Fatum, das unüberwindliche Schicksal, zur Seite steht, das dem Äneas Italien zur neuen Heimat bestimmt hat. Der Hader der beiden Göttinnen durchzieht als wichtigstes Motiv die ganze Dichtung. Nur einmal arbeiten die Nebenbuhlerinnen Hand in Hand, bei der Vereinigung Didos mit Äneas. Venus begünstigt die Vereinigung,

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Anhang III: Juno

weil es dem Wesen der Liebesgöttin e n t s p r i c h t , Liebende zusammenz u f ü h r e n ; J u n o , weil sie als H ü t e r i n der Ehe sich verpflichtet fühlt, das P a a r als ehelich v e r b u n d e n erscheinen zu lassen, um seinem unvermeidlich gewordenen Z u s a m m e n l e b e n das Gehässige zu nehmen. Freilich sind die vermeintlichen Hochzeitsweihen ebensoviele Vorboten des Unheils. Das Beilager findet nicht im B r a u t gemach, sondern in einer Höhle s t a t t , in die die Liebenden auf der J a g d vor einem U n w e t t e r geflüchtet sind. Nicht Hochzeitsfackeln leuchten dem P a a r , sondern die Blitze des dunkeln F i r m a m e n t s ; nicht Gespielinnen singen das Hochzeitslied, sondern die N y m p h e n der s t u r m u m r a s t e n Bergkuppen (IV 166): Tellus gibt das Signal, mit ihr Hochzeiterin Juno-, Hochzeitsfackeln alsbald entzünden die Blitze des Äthers Und des Bunds sich bewußt das Brautlied heulen die Nymphen. Neben Virgils J u n o gesehen, ist die doch auch leidenschaftliche und selbstbewußte H e r a Homers ein schüchternes, leicht zu zähmendes Weib. J u n o ist ein e c h t b ü r t i g e r Sprößling Saturns, wie J u p p i t e r selbst sie n e n n t ( X I I 830), und ihr allein von allen Göttern legt Virgil die Eigenschaft der Allmacht bei (IV 693), die sonst nur J u p p i t e r , dem pater omnipotens, zukommt. Sie streicht sich aber in ihrem maßlosen H a ß selbst aus den Reihen der „ O b e r e n " , wenn sie, u m ihren mit einem geordneten Weltregiment nicht zu vereinigenden Willen durchzusetzen, die Hilfe der Unterwelt a n ruft (VII 312): Beug ich Obere nicht, werd auf ich den Acheron peitschen. Endlich b e r u f t J u p p i t e r eine G ö t t e r v e r s a m m l u n g , um durch eine gründliche Aussprache die beiden Gegenspielerinnen zu versöhnen. Da dies vergeblich ist, verbietet er den G ö t t e r n jede persönliche Teiln a h m e am K a m p f ; das Schicksal werde einen Ausweg finden. Dem m u ß sich auch J u n o fügen. Zwar versucht sie noch mehrmals durch Mittelspersonen dem Schicksal in die Zügel zu fallen, allein sie k a n n die Entscheidung nicht mehr a u f h a l t e n . Der R u t u l e r f ü r s t T u r n u s , Äneas' mächtigster Gegner, stellt sich diesem z u m Zweikampf, der den Krieg entscheiden soll. Sorgenvoll s c h a u t J u n o aus einsamer Wolke ihm zu. J u p p i t e r t r i t t zu ihr u n d m a h n t sie mit freundlichen W o r t e n , das aussichtslose Ringen mit dem Schicksal aufzugeben, f ü g t aber seiner M a h n u n g am Schluß ein entschiedenes Weiteres duld ich nicht hinzu. J e t z t gibt J u n o u n t e r der Bedingung

Anhang III: Juno

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nach, d a ß bei Verschmelzung der Latiner und Troer zu e i n e m Volke jenen ihr Name, ihre T r a c h t und ihre M u n d a r t verbleibe u n d Rom niemals vergesse, d a ß es italischer T a t k r a f t sein Blühen verd a n k t . X I I 828: Troja versank. Versunken auch bleib sein Name für ewig. J u p p i t e r bekennt sich seiner Gemahlin gegenüber als besiegt, n i m m t ihre Bedingungen an und tröstet sie über die R e t t u n g der Troer mit der Versicherung, d a ß sie nirgendwo so hoher Verehrung begegnen werde wie im neuen R o m . X I I 841: Juno nicket dem zu; froh läßt sie fahren den Hader, Scheidet versöhnt vom Olymp und entsteigt der bergenden Wolke. Wohin sich die Göttin wendet, sagt der Dichter nicht. Doch weiß jeder, d a ß ihr Ziel n u r R o m sein k a n n , wo Augustus gleich nach seiner R ü c k k e h r aus dem Osten d a r a n gegangen war, die gelockerte Moral durch Sittengesetze zu festigen und die alte Heiligkeit der Ehe wiederherzustellen. Sittlichen Schäden aber k o m m t m a n durch Gesetze nicht bei, d a sie nicht die Wurzel, sondern nur die äußeren Wirkungen des Übels treffen. Virgil ersparte sein f r ü h e r Tod, den Z u s a m m e n b r u c h der augusteischen Bemühungen, dem Frieden Gesittung aufzuzwingen (VI 852), selbst zu erleben. D a h e r k o n n t e er seiner J u n o mit g u t e m Gewissen den Weg nach R o m weisen. F ü r zwei H e r r e n n a t u r e n , wie sie im saturnischen Geschwisterp a a r v e r b u n d e n waren, bot auch der Olymp keinen R a u m . Eine m u ß t e weichen. D a m i t aber fielen f ü r die zurückbleibende alle Schranken, die bisher ihren Willen eingeengt h a t t e n . Juppiter w u r d e jetzt das im H i m m e l , was auf Erden eben A u g u s t u s geworden Zu ihm w a r : u n b e s c h r ä n k t e r Alleinherrscher, Gott schlechthin. t r a t e n die übrigen G ö t t e r in ein ähnliches Verhältnis, wie die Organe der Regierung z u m princeps Augustus. Bald klopfte an die T o r e des römischen Weltreichs der christliche Monotheismus. Er f a n d , letzten Endes durch Virgils nationale Dichtung, den Boden bereitet f ü r seine schnelle und nachhaltige Ausbreitung.

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IV. Vom Hexameter, insonderheit vom deutschen D e r d a k t y l i s c h e H e x a m e t e r , der Vers des klassischen Heldenepos, besteht aus sechs Daktylen (- ^ von denen der letzte um eine Silbe kürzer ist als die übrigen, damit dem Hörer der Abschluß des Verses fühlbar werde. Da die antike Metrik zwei Kürzen einer Länge gleichsetzt, kann in allen Versfüßen mit Ausnahme des vorletzten statt der beiden Kürzen eine Länge eintreten, der Daktylus also durch einen Spondeus (- - ) ersetzt werden. Im fünften Fuße hat man diesen Ersatz nur ausnahmsweise besonderer Wirkungen wegen zugelassen, um den daktylischen Rhythmus kurz vorm Versschluß noch einmal rein anklingen zu lassen. Da die letzte Silbe in jedem antiken Verse doppelzeitig ist, kann im letzten Fuße, aber nirgend anderswo, statt des Spondeus auch ein Trochäus (stehn. Hiernach ergibt sich für den epischen Hexameter folgendes Grundschema: .¿wv ¿ w ^

Zv^j

Ersatz der Daktylen durch Spondeen und ihre wechselnde Verteilung sind das erste wichtige Hilfsmittel, den Vers vor Einförmigkeit zu bewahren. Ein zweites, noch wichtigeres, sind die Z ä s u r e n („Einschnitte"), die den ruhigen Ablauf des Verses durch eine A t e m p a u s e unterbrechen. Eine Reihe von sechs Daktylen, der versus longus des Ennius, kann vor einem großen Zuhörerkreise, auf den doch das Heldenlied berechnet ist, nicht in e i n e m Atem, also nicht ohne Pause vorgetragen werden. Da, wie jeder vom Singen weiß, nicht mitten in einem Worte Atem geschöpft werden darf, muß die Pause am E n d e eines Wortes liegen, und zwar zweckmäßig um die Mitte

Anhang IV: Hexameter

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des Verses. Eines der ältesten Lieder der Ilias, das Siegeslied der Griechen nach Hektors Tötung (X 393), f ü h r t darauf, daß der Hexameter ursprünglich aus zwei gleichen Hälften bestand, die erst s p ä t e r zu einem Ganzen zusammenschmolzen. Es lautet, in seine Hälften zerlegt: 1. Herrlichen Ruhm wir gewannen, 2. wir töteten Hektor, den Helden, 1. D6n die Troer verehrten, 2. wie nür einen Gott sie verehren. Jede der beiden ersten Hälften beginnt mit einer betonten Silbe (Arsis) und schließt mit einem Trochäus, jede der beiden zweiten Hälften aber, die gleichfalls mit einem Trochäus schließen, beginnt mit einer unbetonten Silbe (Thesis). Es tritt also nach der Zäsur ein U m s c h l a g d e s R h y t h m u s ein, aus dem f a l l e n d e n der ersten Hälfte wird in der zweiten ein s t e i g e n d e r . Darin liegt das Geheimnis der schönen Wirkung der Zäsur. Sie f ü h r t einen rhythmischen Wechsel herbei, der dem einförmigen Ablauf der Daktylenreihe den schärfsten Abbruch t u t und der um so eindrucksvoller ist, als gerade in der zweiten Vershälfte, in der die Stimmkraft zur Abnahme neigt, ein Aufschwung des R h y t h m u s eintritt. Liegen die Atempausen naturgemäß am Ende eines Wortes, so liegen sie doch nicht auch am Ende eines Versfußes, sondern i n n e r h a l b desselben. Das hat seinen guten Grund. Wie das Ohr bei einem unterbrochenen W o r t dessen Ende mit Sicherheit erwartet, erwartet es, an den daktylischen R h y t h m u s gewöhnt, bei einem unterbrochenen V e r s f u ß mit gleicher Sicherheit dessen fehlenden Rest. Mithin bilden die Einschnitte, hier in das Wort, dort in den Versfuß, nicht nur keine Unterbrechungen, sondern im Gegenteil Klammern des Verses wie ineinandergreifende Ringe einer Kette. Die Hauptzäsuren nach einer A r s i s — wir nennen sie männlich — bilden demnach, nach der Häufigkeit ihres Vorkommens gezählt, folgende Reihe: 3 1 2 Am häufigsten demnächst die Die im zweiten zu 2 vor, weil

ist die männliche Zäsur im dritten Versfuße (1), im vierten (2), beide nahe der Mitte des Verses. (3) kommt nie allein, sondern nur als Nebenzäsur sie dem Anfang zu nahe liegt. Die Zäsuren nach

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Anhang IV: Hexameter

einer T h e s i s — weibliche — stehen i m vierten Versfuße.

d r i t t e n oder h i n t e r dem

Beide sind viel seltener als die männlichen. 4 bewirkt von allen Letztere Zäsuren den schwächsten, 5 den stärksten E i n s c h n i t t . unterscheidet sich von den vier andern d a d u r c h , d a ß sie keinen Umschlag des R h y t h m u s herbeiführt. Sie heißt caesura bucólica (Hirtenpause), weil sie vorzugsweise in den Zwiegesängen der Hirten ihre Stelle h a t t e . Hier, wo ein Hirt den a n d e r n im Singen ablöste, war f ü r den E i n s a t z des zweiten Sängers ein vorläufiger Schluß, ein Abbruch des Verses nötig. In der Ilias m a c h t sie sich als scharfen Einschnitt d a d u r c h f ü h l b a r , d a ß mit ihr ein Wechsel der Szenerie v e r b u n d e n zu sein pflegt. In der Odyssee hat sie an B e d e u t u n g verloren und später gilt sie den andern Zäsuren gleich. Erst die Hirtenlieder der hellenistischen Zeit setzen sie in ihr ursprüngliches R e c h t wieder ein. W o r t t o n und V e r s t o n decken sich im antiken H e x a m e t e r n u r selten, meist fallen sie auseinander. Aus í'ipáiieGa wird típa|ue6á; bei túta póssis úrbem gleitet im Verse der T o n auf die letzte Silbe: quám tutá possis urbém compónere térra, so d a ß n u r in den beiden letzten W o r t e n der W o r t - mit dem Verston übereinstimmt. J e n e r h a t vor diesem u n b e d i n g t kapituliert. Anders im D e u t s c h e n . Hier h a t sich d e r W o r t t o n vom Verston nicht vergewaltigen lassen. Das Deutsche ist auch im Verse die S i l b e n b e t o n e n d e Sprache geblieben, die antiken Sprachen sind zu s i l b e n m e s s e n d e n geworden. Lediglich aber auf seinem W o r t ton bestehen k o n n t e auch das Deutsche nicht. Es m u ß t e seine Silben dem V e r s m a ß anpassen, sie also in gewissem Sinne auch messen. So w u r d e die betonte Silbe der langen, die tonlose der kurzen, die schwach b e t o n t e der doppelzeitigen gleichgesetzt: Vater Vätern Osten Ostens entsprechen ° hinüber ° Für den D a k t y l u s bot von den vier zweisilbigen Versfüßen, d e m Pyrrhichius ~ Iambus " - , T r o c h ä u s - ~ u n d Spondeus - - n u r der letzte mit seinen vier K ü r z e n vollwertigen E r s a t z ; I a m b u s u n d T r o c h ä u s haben eine Kürze zu wenig. An echten Spondeen aber ist d a s Deutsche verhältnismäßig a r m ( B l a c h f e l d , Hochzeit,

Anhang I V :

Hexameter

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Kleinod, goldgelb, blaßrot, ruhmvoll, preiswert), desto reicher an Trochäen, die seinen Hauptrhythmus ausmachen. Darum hat es von Klopstock bis heute nie an Stimmen gefehlt, die für Zulassung des Trochäus im Hexameter eintreten. Und sie haben vielfach Gehör gefunden; denn bei dessen Ausschluß blieb eine Unzahl dreisilbiger Worte mit tonloser Mittelsilbe unverwendbar. Auf Worte wie Ungemach, Elfenbein, Gottesfurcht, Vaterland, Klagelied, Silbergeld, Ruhmestat, ungewohnt, vorbedacht, treugesinnt, namenlos, ruhevoll, hochgemut, schwerbedrängt und zahllose andere muß der daktylische Hexameter verzichten, legt man den strengen Maßstab der Antike an. Reine Trochäen, Zweisilbler mit einer betonten und tonlosen Silbe, sind durchaus zu vermeiden; denn ein musikalisches Ohr nimmt daran unbedingt Anstoß und empfindet bei so durchsetzten Versen Lahmes Hinken nur statt mannhaft sicheren Schreitens. Aus dem König der Verse wird ein humpelnder Bettler. Unreine Trochäen dagegen, Zweisilbler mit betonter und schwachbetonter Silbe, verträgt man im deutschen Hexameter so gut wie im antiken positionslange Kürzen (Müttern, fühlend, einsam). Kommt so bei Spondeen das Deutsche dem Lateinischen nur wenig entgegen, so versagt es sich bei P y r r h i c h i e n ganz. Es ist erstaunlich, welche Fülle bedeutungsvoller Worte des Lateinischen sich im Verse mit dem kleinsten Zeitmaß begnügen: Jovis, Venus; deus, dea; pater, puer; caput, manus; domus, later; genus, scelus; amor, furor; labor, dolor; premit, gemit; regit, subit; cadit, facit und zahllose andere. Im Deutschen hat jedes zweisilbige Wort eine Ton-, demnach eine lange Silbe. Nur aus der Reihe der Proklitika, d. h. jener Zweisilbler, die sich eng an ein folgendes Wort anschließen und von dessen Ton mitgetragen werden, wie Artikel, Präpositionen, besitzanzeigende Fürwörter, kann es sich einigen Ersatz schaffen: eineStädt, dessenRüf, derenMüt; überStöck, über Stein; außer Rand, außer Band; ohneZweck, ohneZiel; meineKünst, deineLüst; seineTät, unserStölz; ihreZähl, eureQuäl; keineRüh, keineRäst. Ein besonderes Kreuz für den Übersetzer bilden die E i g e n n a m e n . Hier müssen dem folgerichtig durchgeführten Grundsatz gegenüber, betonte Silben für lang, schwachbetonte für doppel-

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Anhang IV: Hexameter

zeitig zu nehmen, alle philologischen Bedenken schweigen. Die beiden in der Äneis häufigsten Namen z. B. Äneas und Anchises haben im Lateinischen drei Längen, im Deutschen nur eine, die betonte Mittelsilbe; Anfang- und Endsilbe als schwachbetonte sind doppelzeitig. Das ist ein nicht zu umgehender Notbehelf. Ohne ihn kommt man aber auch sonst nicht aus. Vénus ist ein Pyrrhichius, im Deutschen aber muß die erste Silbe als Tonsilbe lang werden. Bei selteneren Eigennamen werden zur Erleichterung des Lesens die zu betonenden Silben bezeichnet: Assdrakus, Misénus, Mezénz (Kurzform für Mezéntius). Viersilbige Eigennamen, die als Choriamben im lateinischen Hexameter auf der ersten und letzten Silbe betont werden: Lâocoôn, ilioneûs, Àssaraciis, Bründisiüm, Pâsiphaé, Pdrthenopé, Leücothed, behalten im Deutschen, das mit dem Wortton über die drittletzte Silbe nicht hinausgeht, den Ton auf dieser: Laökoon, Ilioneus, Assârakus, Brundisium, Pasiphae, Parthénope, Leuköthea. Im Gegensatz zum Griechischen vermeidet der lateinische Vers das Aufeinanderstoßen von Vokalen zwischen zwei Worten, den H i a t u s („Gähnen"). Nur am Ende des Verses darf ein Wort auf einen Vokal ausgehen und das Anfangswort des folgenden mit einem Vokal anlauten. Hierin dem Vorbilde zu folgen — bisher hat keine deutsche Übersetzung sich dieses Ziel gesteckt —, ist eine schwere Aufgabe für eine Sprache, deren weiblicher Artikel so hundertfach vor vokalisch anlautenden Worten steht (die Erde, die Aue, eine Art). Allein auch sie ist lösbar, und ich kann versichern, daß ihr Zwang mich häufig zu wesentlichen Verbesserungen im Verse geführt hat. Übrigens empfinden auch im Deutschen Mund und Ohr je länger desto angenehmer den reibungslosen Übergang zwischen zwei nicht-„gähnenden" Worten. So ernst gefaßt, bildet die Verdeutschung eines lateinischen Epos eine zwar mühevolle, zugleich aber lohnende Aufgabe, weil der Übersetzer hoffen darf, aller Schwierigkeiten Herr zu werden und im heroischen Hexameter der deutschen Literatur einen Vers zu gewinnen, dem an Schönheit und Würde so wenig wie an F o r m e n r e i c h t u m sich ein anderer vergleichen darf. Die antiken Metriker zählen bei ihm nicht weniger als 32 verschiedene Formen. Wenn auch unser Ohr mühelos nur etwa ein Viertel davon empfindet,

A n h a n g IV:

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Hexameter

so reicht auch dies schon hin, der Vorstellung von seiner Einförmigkeit ein für allemal den Boden zu entziehen. Wie seine bald zwei-, bald dreisilbigen Versfüße, seine Atempausen, seine malerischen Rhythmen sich wiedergeben lassen und so auch der deutsche Hexameter bei aller Strenge ungeahnte Abwechslung erfahren kann, davon überzeugt jeden das l a u t e Lesen einer Druckseite der Übersetzung.

T r e n d e l e n b u r g , Virgils Aeneis.

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Namen und Sachen (Ausgeschlossen sind die Namen, die Virgil lediglich zur Schilderungen erfindet) Abas 1. Trojaner im Gefolge des Äneas. 2. Enkel des Danaus, des Gründers von Argos, Träger des Schildes, den Äneas III 288 beim Apollo-Tempel auf Aktium weiht. Abella Stadt in Campanien, durch Obstreichtum ausgezeichnet. Aboriglner (die „Bodenständigen", Autochthonen) sagenhaftes S t a m m volk der Latiner. Abzeichen der Strafmacht sind die fasces, Rutenbündel, die in der Mitte ein Beil umschließen. Sie werden den höchsten Beamten vorangetragen. Brutus entriß sie dem letzten König und gab sie dem Volke zurück. Achämgnldes, Sohn des Adamastus, Grieche aus Ithaka. Achaja Name Griechenlands, unter dem es dem römischen Reiche einverleibt wurde. Achätes Trojaner im Gefolge des Äneas. Acheron („Wehstrom") Fluß der Unterwelt. Achill, Sohn des Peleus und der Meergöttin Thetis, hatte ein Gespann unsterblicher Rosse. Er war Priamus u n d den Atriden verderblich (I 458), jenem durch seine Tapferkeit, diesen durch seinen Zorn. Adrast(us), König von Argos, einer der Sieben vor Theben, den sein schnelles Roß vorm Untergange ret-

Belebung

seiner

tete. Auf dem zweiten Zuge kam sein Sohn um, worüber er sich zu Tode grämte. Äa sagenhafte Insel des Sonnengottes im fernen Nordwesten. ÄakussproB = Perseus, letzter m a kedonischer König, im J a h r e 168 bei P y d n a besiegt und gefangen genommen. Die makedonischen Könige f ü h r t e n ihr Geschlecht auf Achill, den Enkel des Äakus, zurück. Ägäon s. Briareus. Ägls („Ziegenfell") Symbol der Wetterwolke, Attribut des Donnerers Juppiter. In der bildenden Kunst trägt sie Minerva als Schuppenpanzer um die Brust, dessen Rand geringelte Nattern umgeben, in dessen Mitte das Gorgohaupt droht. Ägisthus Buhle der Klytämnestra, Mörder des Agamemnon. Ägypten ist Hausprovinz des Augustus, er selbst Nachfolger der alten ägyptischen Könige. Äneades (Anus) S t a d t an der Südküste von Thrazien an der Mündung des Hebrus (Maritza). S. auch Änide. Äneas, Sohn der Venus und des Anchises, f ü h r t die Trojaner von T r o j a nach Italien und wird durch seinen Sohn Iullus (Askanius) S t a m m v a t e r des julischen Geschlechts. Da Venus Tochter Juppiters ist, kann er diesen VI 123 als seinen Ahnherrn bezeichnen. 19*

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Äneaslied — A k a n t h u s

Zweimal rettet ihn die Mutter vorm weil sie zum Antreiben des Pflugviehs Tode durch Griechen (IV 228), beim sich der umgekehrten Lanzen beFalle Trojas und vorher im Kampfe dienen (IX 609). mit Diomedes. Äskulap, Sohn Apolls, Gott der Heilkunde. Äneaslied. A. A b f a s s u n g s z e i t Äthiopen wohnen am äußersten u n d - a r t . Das Lied ist im letzten Lebensjahrzehnt Virgils (28—19 v. Rande der Erdscheibe, sowohl dort, Chr.) entstanden, sein Plan schon wo die Sonne morgens aus dem Okeafrüher (s. Allegorie). Es ist nicht in nos auftaucht, als auch dort, wo sie einem Zuge, sondern liedweise, nicht abends hinabtaucht. zum Lesen, sondern zum Vorlesen Ätna feuerspeiender Berg auf Siverfaßt worden. Den Stoff schrieb zilien. V. in Prosa nieder und verteilte ihn Ätolien Landschaft in Mittelgrieauf 12 Bücher. An der Schlußredak- chenland, wohin Diomedes, aus Argos tion hinderte den Dichter sein früher vertrieben, flüchtet, ehe er nach Tod. Er hinterließ sie den befreun- Apulien geht. deten Dichtern Tucca und Varius mit Agammenon, Sohn des Atreus, der Bestimmung, Unvollendetes zu Herr von Mykene und Argos, oberster tilgen, Neues aber nicht hinzuzu- Führer der Griechen vor Troja, Gesetzen (s. Unvollendete Verse). B. mahl der Klytämnestra, bei seiner Umfang und S t o f f v e r t e i l u n g . Rückkehr von dieser und ihrem Buhlen Das Epos u m f a ß t 12 Bücher mit Ägisthus getötet. 9896 Versen. Sie sind nach dem Agenor Ahnherr der Dido, Bruder Schauplatz der Handlung in 2 Hälften des Belus, König von Phönizien. geteilt: Buch I—VI u m f a ß t die ErAgrlppa, Marcus Vipsanius, 63—12, lebnisse des Helden von seiner Flucht Feldherr bei Aktium, Freund des aus dem zerstörten Troja bis zu seiner Augustus, zuletzt mit dessen Tochter Landung in der neuen Heimat Italien, Julia vermählt. Nach Besiegung des V I I — X I I die auf dem Boden Italiens. | Sextus Pompejus erhält er eine sonst nie „ K a m p f soll tönen mein Lied." J u n o s verliehene Auszeichnung, einen Stirnunversöhnlicher Zorn sorgt dafür, reif mit goldenen Schiffsschnäbeln. daß dies T h e m a des Epos bis zum Agylla, später Cäre, eine der zwölf Schluß festgehalten wird. alten Städte Etruriens, Residenz des Änide = Sohn des Äneas, Äneade Mezentius. = Freund, Anhänger, Untergebner Ajax Sohn des Oileus, der Lokrer, des Äneas. reißt Kassandra, Priamus' Tochter, Äolien Inselgruppe vor der Nord- die sich in den Tempel zum Bilde der ostküste Siziliens, deren größte Lipara Burggöttin Pallas geflüchtet hat, an (h. Lipari). Südlich vor dieser Vul- den Haaren fort, wobei das Bild umstürzt. Aus Zorn hierüber verkania (h. Vulcano). Äolus König der Winde, von J u p - nichtet die Göttin auf der Rückfahrt piter mit der Bedingung eingesetzt, die^ Flotte der Griechen. daß er sie in sicherer H a f t halte. Äkamas, Sohn des Theseus, einer Nur auf Wunsch eines Gottes durfte der griechischen Führer, die in den er sie herauslassen. Bauch des hölzernen Rosses steigen. Äquikuler italisches Bergvolk im Akanthus Bärenklau, Zierpflanze Norden des Äquergebietes, rauh und Südeuropas, deren vielfach gezackte räuberisch, da der steinige Boden und gespaltene Blätter Vorbilder f ü r ihrer Heimat sie nicht ernährt. „ P f l ü - Schmuckstücke abgaben (korinthigen mit Waffen das L a n d " (VII 748), I sches Kapitell).

Akesta — Altbürtig Akesta (Egesta, Segesta) S t a d t in der Nordwestecke Siziliens, nach ihrem : Erbauer Akestes genannt. Akestes, vornehmer Trojaner, kommt nach Trojas Zerstörung nach Sizilien und gründet die Stadt Segesta. Als Äneas mit seinen Gefährten in den Hafen der S t a d t einläuft, n i m m t er • seine Landsleute freundlich auf und beschenkt sie. Akötes Waffenträger des Euander, Begleiter des Pallas. Akragas (Agrigent) hochgelegene S t a d t an der Südküste Siziliens, groß und reich, berühmt durch ihre Rennpferde, die in Olympia vielfach den Sieg errangen. Akrlslus, König von Argos, Vater der Danae. Aktlum nördliches Vorgebirge von Akarnanien am Eingange der Bucht von Ambrakia, wo Augustus am 2. September 31 v. Chr. Antonius besiegt. Auf dem Vorgebirge ein ; weithin sichtbarer Tempel des Apollo ( I I I 275). i Aktor ein Aurunker, mit dessen j Speer Turnus sich zum Zweikampf ! mit Äneas wappnet. ' Alba (die „Weiße") alte S t a d t Latiums, südöstlich von Rom am Albanergebirge, Mutterstadt Roms. Ihren Namen leitet die Sage von einem weißen Mutterschwein ab, das i Äneas an der Stelle von Lavinium fand, von wo aus Iullus Alba gründete, j Später heißt die Stadt Alba Longa j = Langalba. Albula früherer Name des Tiber. ; Albunea weissagende Nymphe in einer Grotte bei Tibur, deren schwefel- [ haltige Quelle einen Wasserfall bildet. An dessen Fuß ein Orakel des Faunus. Aletes vornehmer Trojaner im Gefolge des Äneas. Alklde = Herkules, Enkel des AIkeus, Vaters von Amphitryon. Allegorie. Im Eingange des 3. Buches der Georgica spricht Virgil von einem Marmortempel, den er bei seiner

j j ! ! '

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Vaterstadt Mantua „auf grüner Au am Mincius" zu Ehren Oktavians erbauen wolle. Auf den Türflügeln sollen in erhabener Arbeit Oktavians Siege im Osten und die Unterwerfung Ägyptens nach der Schlacht bei A k tium dargestellt werden. Im Innern des Tempels werden, aus parischem Marmor gefertigt, die Statuen der Ahnen des Kaisers aus dem julischen Geschlecht stehen und ein W a n d gemälde die Vertreibung des. „ u n seligen Neides", der Quelle aller Bürgerkriege, von der Oberwelt d a r stellen. Als ein zweiter Quirinus wird Oktavian den Ehrenplatz in der Mitte des Tempels einnehmen. Tempel dem Friedebringer zu errichten liegt im Zuge der Zeit. Dem folgt auch Virgil, nur daß sein Tempel nicht aus Stein und Erz, sondern, dauernder als beides, sein Heldenlied auf Äneas sein wird. Allekto (Alekto „die nicht Aufhörende") eine der Furien. Allhell s. Panacee. Allia rechtes Nebenflüßchen des Tiber 12 km nördlich von Rom, berüchtigt durch den Sieg der Gallier (390 v. Chr.), der Rom den Siegern preisgab. Alolden die beiden riesigen Söhne des Giganten Aloeus, Otus und Ephialtes, die von Apollo getötet wurden, ehe sie völlig erwachsen waren. Sie büßen in der Unterwelt den Versuch, J u p p i t e r vom Throne zu stürzen. Alph£us Hauptfluß von Elis, der Landschaft an der Wesküste des Peloponnes. Altäre heißen Riffe vor dem Busen von Karthago, die bei ruhiger See über die Oberfläche niedrig hervorragen. Altbürtig heißt X I I 794 der in einen Gott verwandelte Äneas im Gegensatz zu den aus dem Ausland eingeführten „Neueingesessenen", weil er in Italien bodenständig ist, seiner alten Heimat e n t s t a m m t .

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Amasenus — Anxurus

Amasinus Fluß in Latium, Nebenfluß des Ufens. Amfita Gemahlin des Königs Latinus, Mutter der Lavinia. Ämathus Stadt auf der Insel Kyprus. Amazonen, ein kriegerisches Frauenvolk, kommen vom Flusse Thermodon in Pontus den Troern zu Hilfe. Doppelbeil und halbmondförmiger Schild ihre eigentümlichen Waffen. Amiternum ansehnliche sabinische Stadt in den Abruzzen. Amor (Cupido), der geflügelte Sohn der Venus, der durch seine unsichtbaren und unfehlbaren Pfeile die Herzen zur Liebe entflammt. Er redet Paris zu, Helena nicht herauszugeben, und verlängert so den Krieg (X 93). Amphitryon, Sohn des Alkeus von Tiryns, Gemahl der Alkmene, die Zeus in Theben zur Mutter des Herkules machte. Ampsanktus ein schwefelhaltiger See in Samnium, dessen mephitische Ausdünstungen aus der Unterwelt kommen sollten. Amulius, Sohn des Prokas, König j von Alba. i Amyklä Stadt am tyrrhenischen Meer in Latium, von den Einwohnern der Schlangen wegen verlassen („das stille" X 564), die aus den nahen Sümpfen kamen. Ämykus 1. Herrscher in Bithynien, als Faustkämpfer gefürchtet. 2. Troer im Gefolge des Äneas. Anagnia Stadt der Herniker östlich von Rom. Anchtmolus, Sohn des Marserkönigs Rhötus, flieht zu Daunus, dem Vater des Turnus, weil er verdächtigt wird, sich gegen seine Stiefmutter Casperia vergangen zu haben. Anchlses Sohn des Kapys, Enkel des Assarakus, Herrscher von Därdanus (Dardanellen). Er zeugt mit Venus den Äneas. Weil er sich seines Verhältnisses zur Göttin rühmt, lähmt ihn Zeus mit dem Blitz.

Ancus Marcius vierter König von Rom. Als Enkel des Numa, also königlichen Stammes, sieht er es ungern, daß ihm Tullus vorgezogen wird, und beschließt deshalb, auf die Volksgunst gestützt, den König und seine Familie auszurotten. Andrdgeos, Sohn des Minos und der Pasiphae, Führer der Kreter vor Troja. Er wird in Athen ermordet, weil er dort in allen Spielen siegt, was den Neid der Athener erweckt. Minos rächt seinen Tod und zwingt die Athener, jährlich 7 Jünglinge und 7 Jungfrauen dem Minotaurus als Opfer nach Kreta zu schicken. Andrömache, Hektors Witwe, wird von Neoptolemus als Gefangene nach Epirus geführt und heiratet hier ihren Landsmann Helenus, Priamus' Sohn. Angitia Zauberin, Schwester der Medea wie Kirke, unterrichtet die Marser im Gebrauch der Zauberkräuter. Ihr Hain am Fucinersee. Anio, Nebenfluß des Tiber, bildet bei Tibur die berühmten Fälle. Anlus Priester des Apollo und König von Delus. Anna Schwester der Dido. Der Name Hannah ist hebräisch und bedeutet die Milde, Gnadenreiche. Antandrus Stadt in Phrygien am Südabhange des Ida. Antemnä sabinische Kolonie am Einfluß des Anio in den Tiber (ante amnes). Antenor, vornehmer Troer, gründet als Führer der Heneter (Veneter) am Nordwinkel des adriatischen Meeres im späteren Venetien die Stadt Patavium (Padua). Antheus Troer im Gefolge des Äneas. Anubls ägyptischer Grabesgott mit Schakalskopf. Anxurus altitalische Gottheit, Schutzgott von Anxur (Terracina) in Latium, dem Juppiter gleichgesetzt.

Apollo — Asia Apollo Sohn des J u p p i t e r und der Latona, Bruder der Diana, Gott des Lichts (Phöbus), auch des geistigen (Dichtung, Weissagung, Musik, Heilkunde — Vater des Äskulap —), Hüter und Unterweiser der heranwachsenden Jugend, Hausgott des julischen Geschlechts. Von seinem Tempel auf Aktium heißt er der a k tische Gott. Auch auf dem Sorakte (s. d.) hatte er einen berühmten Tempel, weil die Römer den hier verehrten altitalischen Vejovis, dessen Priester unversehrt über glühende Kohlen schritten ( X I 787), später dem Apollo gleichsetzten. Apollotempel auf dem Palatin (VI 69) erbaut von Augustus, geweiht d. 9. Okt. 28, der prächtigste aller T e m pel. Er war dem Apollo geweiht, doch stand seine Bildsäule zwischen denen der Latona und Diana. Der Raum unter der langen Basis war zur Aufnahme der sibyllinischen Orakel hergerichtet, deren Rollen bisher im Juppitertempel auf dem Kapitol a u f bewahrt worden waren. Appennin das Gebirge der Halbinsel Italien. Aráxes (Áras) armenischer Fluß von besonders wilder Strömung, der ins kaspische Meer mündet. Archippus König der Marser; Name von Virgil erfunden. Árdea H a u p t s t a d t der Rutuler. Sie wurde von Danae mit Untertanen ihres Vaters gegründet, als sie durch einen Sturm an die Küste Latiums verschlagen worden war. Die S t a d t wurde in den Samniterkriegen zerstört, daher V I I 413 „Aber der R u h m ist d a h i n " . Arethúsa Quelle auf der Insel Ortygia bei Syrakus. Zu ihr soll sich Alphéus durch das Meer einen Weg gebahnt haben. Argllétum, von Virgil „ A r g u s t o d " gedeutet, Heiligtum des Argus zwischen Kapitol u n d A v e n t i n , eines von Euander gastlich aufgenommenen

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Fremden, den ohne Euanders Vorwissen seine Leute töteten. Auch eine Straße in Rom hieß Argiletum, von argilla („Ton") abzuleiten, also = Tongrube. Arglver = Griechen, eigentlich „ a u s Argos", S t a d t in der Argolis (Peloponnes). Argivisches Lager heißt XI 243 die vom Argiver Diomedes gegründete feste Stadt Argyripa (s. d.). Argo Name des Schiffes, auf dem die von Jason geführten Helden (Argonauten) nach Kolchis fuhren, um das goldene Vlies zu holen. Argollsch = griechisch. Argos in Argolis, Stadt des Diomedes. Argus der hundertäugige Wächter der Io. Argyripa s. Arpi. Arladne, Tochter des Minos, verliebt sich in Theseus, einen der sieben Jünglinge, die Athen alljährlich nach Kreta zum Fraß f ü r den Minotaurus schicken muß. Sie f ü h r t ihn aus dem Labyrinth, indem sie ein Knäuel an dessen Tür befestigt und den Faden mitnimmt, an dem sie den Ausgang wiederfindet. Aricla alte Stadt an der appischen Straße 25 km südöstlich von Rom. In der Nähe Hain und Tempel der Diana Nemorensis am Nemisee. Arisba Stadt in der Troas, von Äneas vor Ausbruch des trojanischen Krieges erobert. Arkadien Landschaft in der Mitte des Peloponnes. Arkturus hellster Stern im Sternblid des Bootes, dann das ganze Sternbild. Arpl S t a d t in Apulien, angeblich von Diomedes gegründet und "APTO? ITTITIOV genannt, woraus der ältere Name Argyripa entstanden sein soll. X 28 heißt es ätolisch, weil Diomedes' Vater Tydeus Ätoler war. Asla Wiesenland am Kayster, häufig von diesem überflutet, daher

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Asilas — Beute

sumpfig, Lieblingsaufenthalt der Schwäne. Asilas etruskischer Seher, der auf Äneas Seite k ä m p f t . Asinlus s. Pollio. Askanius Äneas' Sohn von der Kreusa, s. Iullus. AssArakus einer der alten Könige von Troja, Sohn des Tros, Großvater des Anchises. Asträa, Göttin der Gerechtigkeit, weilt im goldenen Zeitalter auf der Erde, wird im ehernen als Sternbild „die J u n g f r a u " an den Himmel versetzt. Astyanax Sohn Hektors und der Andromache. Er wurde bei Eroberung Trojas von der Mauer gestürzt, weil die Sage ging, er werde Troja wieder aufbauen. Athos Gebirge auf Akte, dem öst- i lichsten der drei Ausläufer der Halb- j insel Chalkidike. Atina volskische S t a d t in Latium. I Attas römischer Geschlechtsname; j Virgil leitet ihn von Atys, einem Freunde des Iullus, ab. Augustus' Mutter war eine Atia. Atlas I 741. Aus der Vorstellung vom Atlas als Träger des Himmelsgewölbes hat sich die vom Beobachter und Kenner des Himmels und seiner Erscheinungen entwickelt. Sonne und Mond, die Sternbilder, ihr Einfluß auf Mensch und Tier, der Wechsel der Jahreszeiten und des Wetters, alles dies sind ihm bekannte Dinge, die er zuerst erforscht und seinen Schülern (s. Iopas) überliefert hat. Atrlden heißen Agamemnon und Melaus als Söhne des Atreus. Aufidus Fluß Apuliens, der ins adriatische Meer fließt. Augustus („Mehrer") Ehrenbeiname des ersten römischen Kaisers, ihm vom Senat i. J . 27 v. Chr. zum Dank dafür verliehen, daß er zwar die in seiner Hand befindliche Staatsgewalt dem Senat und Volk von Rom zurückgegeben, zugleich aber sich bereit

erklärt hatte, die Last der Geschäfte noch weiter zu tragen. Später wurde der Beiname zu einem Bestandteil des kaiserlichen Titels = „ M a j e s t ä t " . Aurora Göttin der Morgenröte, deren Sohn Memnon mit seinen Äthiopen den Troern zu Hilfe kam. Sie f ä h r t auf ihrem Rosengespann dem Sonnenwagen zu allen Tageszeiten voran, nicht bloß morgens, wird aber von seinem Lichte überstrahlt. Aurunker altes Volk im südlichen Latium, Zweig der Ausonen. Ausonien Land der Aüsoner (Ausonier), der Ureinwohner der westlichen Landschaften von Mittel- und Unteritalien. Später = Italien. Autömedon, Wagenlenker Achills, nimmt im Gefolge Neoptolems an der Zerstörung Trojas teil. Aventin, Sohn des Herkules und der Rhea, namengebender Heros des gleichnamigen Hügels in Rom, Teilnehmer am Kampfe gegen Äneas. Avernus See in Campanien unweit K u m ä , in dessen Nähe ein Eingang zur Unterwelt, der Hain der Hekate, die Grotte der kumäischen Sibylle. Griechisch aornos = vogelleer. Bajä viel besuchtes Seebad an der Bucht des Kaps Misenum, berühmt wegen der Üppigkeit des Lebens und seiner auf Dämmen ins Meer hineingebauten Villen. Baktra H a u p t s t a d t der asiatischen Provinz Baktriane am mittleren und oberen Oxus. Barka S t a d t in der Kyrenaika, Landschaft an der Ostküste der Großen Syrte. Barke Amme des Sychäus. Batulum S t a d t in Campanien. Bellona Kriegsgöttin, Schwester und Genossin des Mars. Belus 1. erster König von Tyrus, 2. Vater der Dido. Ben&kus (Iacus) der Gardasee, „ V a t e r " des Mincius, der sein Wasser dem Po z u f ü h r t . Beute des Ostens I 289 brachte dem

Bilderschmuck — Casars Ermordung Kaiser die Unterwerfung Ägyptens und des Partherkönigs Phraates, der die bei Karrhä eroberten römischen Legionsadler zurückgab. Bilderschmuck an Schiffen, besonders am Bug und am Hinterteil, das den Bug an Höhe überragt. Teils farbige Flachreliefs am Spiegel und an den beiden Schiffswangen des Bugs, teils Vollfiguren aus Holz auf dem Vorder- oder Hinterdeck. Bei Virgil ist der Schmuck nicht lediglich dekorativ, sondern nimmt auf die Bestimmung des Schiffes Bezug. Das Admiralsschiff des Äneas (X 157) zeigt vorn auf jeder Schiffswange einen phrygischen Löwen, darüber den Ida der Kybele, den die Löwen begleiten, die steten Gefährten der Göttermutter. So nehmen die flüchtigen Troer auf diesem Schiffe ein Stück Heimat mit. Ein anderes Schiff (X 166) f ü h r t als „redendes W a p p e n " einen Tiger — Andeutung der Schnelligkeit —, ein drittes (X 171) einen vergoldeten Apollo — Schützer der Jugend —, ein viertes (X 195) einen Kentaur — Bild übermenschlicher Kraft —, ein f ü n f t e s (X 209) einen Triton, halb Mensch, halb Hai, der mit den Tönen seiner Muscheltrompete das Meer erregen und beruhigen k a n n . Binden aus Wolle, in bestimmten Abständen geknotet, dienen zum Schmuck von Götterbildern und alles dessen, was Göttern geweiht ist, z. B. der Opfertiere. Bithynlen Landschaft in Kleinasien zwischen der Propontis und dem Schwarzen Meer. Bitias 1. vornehmer Tyrier am Hofe der Dido; 2. Troer im Gefolge des Äneas von riesiger Größe wie sein Bruder P a n d a r u s . Böckchen heißen zwei Sterne an der linken H a n d des Bootes (s. d.). Mit deren Untergang a m 21. Dezember beginnt die stürmische Jahreszeit. Bogenschießen nach einer an der

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Spitze eines Mastbaums angebundenen Taube. S. Taubenschießen. Bola alte albanische Kolonie östlich von Rom. Bootes („Ochsentreiber") Sternbild in der Nähe des großen Wagens. Briareus ein hundertarmiger Riese. Brontes („Donner") einer der K y klopen. Brutus („Tölpel") Beiname im junischen Geschlecht. 1. Lucius Junius B. der Befreier Roms von der Königsherrschaft. 2. Marcus J u n i u s B. einer der Mörder Cäsars. Bukolika griechische Bezeichnung f ü r Hirtenlieder. Bukolische Zäsur = Hirtenpause s. Anhang IV. Butes des Ämykus Sohn, Faustkämpfer. Buthrotum Seestadt in Epirus im Süden Chaoniens. Byrsa = Burg, die Akropolis von Karthago. Im Griechischen bezeichnet das Wort das abgezogene Fell. Cacus, Sohn des Vulkan, feuerspeiender, räuberischer, mischgestaltiger Riese in einer Höhle des Aventin, von Herkules getötet. Cäculus, Sohn des Neptun, Gründer von Präneste. Cäre = Agylla, Stadt im südlichen Etrurien. Cäsar. 1. Gajus Julius Cäsar, der 44 v. Chr. ermordete Dictator. 2. Gajus Julius Cäsar (Octavianus) Augustus, Großneffe von 1 und Adoptivsohn, der erste Kaiser, 63 v. Chr. — 1 4 n. Chr. Cäsars Ermordung. Ihre nächsten Allgemeine Verwirrung in Folgen. Rom, Herr der Lage der Konsul Marcus Antonius. Er läßt sich die mazedonischen Legionen und das diesseitige Gallien als Provinz übertragen. Die Cäsarmörder zur Flucht gezwungen. Wechselnde Taktik des neunzehnjährigen Oktavian, der sich als umsichtigen und entschlossenen Staatsmann zeigt. Er macht gemeinsame Sache mit dem Senat und

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Cajeta — Chimara

vertreibt durch die Schiacht bei Mutina, F r ü h j a h r 43, Antonius aus seiner Provinz, verbindet sich dann aber mit ihm und Lepidus zum zweiten Triumvirat, dessen Ächtungen 300 Senatoren und 2000 Ritter zum Opfer fallen. Nach der Doppelschlacht von Philippi 42 geben sich die Cäsarmörder Brutus und Cassius den Tod, ihre Heere strecken die Waffen. In Italien rufen die Äckerverteilungen an die Veteranen den perusinischen Krieg 41 hervor. Eroberung Perusias und erste Reichsteilung 40. Antonius übernimmt den Osten und d e n P a r t h e r krieg, Oktavian den Westen und den Krieg gegen Sextus Pompejus, der mit seinen Schiffen die Küsten Italiens heimsucht. In zwei Seeschlachten vernichtet ihn 38 Agrippa. Lepidus zieht sich nach Abfall seiner Truppen ins Privatleben zurück. Cajeta (Qaeta) 1. Vorgebirge und Hafenstadt im südlichen Latium. 2. Äneas' Amme, nach der 1 benannt sein soll. Calabrlen südöstlichste Landschaft Italiens mit dem Überfahrtshafen Brundisium, wo Virgil nach seiner Rückkehr aus Griechenland starb. Cales Stadt in Campanien nordwestlich von Capua; berühmter Wein. Camilla Tochter des Metabus, Königs der Volsker, jungfräuliche Dienerin der Diana. In amazonenhafter Bewaffnung nimmt sie an den K ä m p fen gegen die Troer in Italien teil und findet dabei den Tod. Catnlllus Eroberer Vejis und Überwinder der Gallier, denen er die erbeuteten römischen Legionsadler wieder abnahm. Captna Stadt im südlichen Etrurien zwischen dem Tiber und der Flaminischen Straße. Caprl Insel im Busen von Kumä. Carer Volk im südwestlichen Kleinasien. Carinä Stadtteil Roms am Westabhang des Esquilin bis zum Ein-

schnitt zwischen diesem und dem . Cälius, ausgezeichnet durch glänzende [ Bauten. Caspfria 1. sabinisches Städtchen ' südwestlich von Reate. 2. Frauenname s. Anchemolus. Catllina verschwört sich mit ver; armten Adligen zum Sturze der Verfassung, wird aber vom Consul Cicero (63 v. Chr.) entlarvt und unschädlich gemacht. Catlllus Zwillingsbruder des Coras, Bruder des Tiburtus, Söhne des Amphiaraos, Herrschers von Argos. Die drei Brüder gründen Tivoli. Cato gibt sich nach dem Siege Casars bei Thapsus, in dem er das Grab der römischen Republik sieht, in Utica 46 v. Chr. den Tod. S. Anhang 11. Celemna Stadt in Campanien. Ceres Mutter der Proserpina, Göttin des Ackerbaus, Gründerin der ersten festen Ansiedlungen der Menschen und • damit Urheberin aller Gesittung. | Chalkls Stadt auf Euböa, Mutters t a d t von Kumä. Chalyber Volk am Südufer des Schwarzen Meeres, als Eisenarbeiter bekannt. Chaon Sohn des Priamus, S t a m m vater der Chaoner im nordwestlichen Epirus. Chaos, die Unterwelt als „gähnender", stets offen stehender, alles a u f nehmender Raum von unermeßlicher j Ausdehnung. I Charon Fährmann der Unterwelt, I der auf ledernem Kahne die Seelen der Verstorbenen über den Styx setzt. Charybdis ein der Skylla gegenüberliegender Fels, gefährlich durch die Strudel, die sich dreimal täglich an seinem Fuße durch Hervor- und Zurückströmen der Brandung bilden. Vorbild f ü r die einander nah gegenüberliegenden Skylla und Charybdis war die Straße von Messina. Chimära ein Feuer speiendes Ungeheuer, aus Löwenleib, Drachenschwanz und dem Halse einer Berg-

Ciminus — Delus

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DAher skythisches Volk am Südziege zusammengesetzt. Name eines abhang des Kaukasus. Schiffes. Ciminus See am gleichnamigen Danae, Tochter des Akrisius und Berg im südlichen Etrurien westlich Enkelin des Inachus, von Zeus (golvon Falerii. dener Regen) Mutter des Perseus, wird von ihrem Vater in einem Kasten Clausus Sabinerkönig, der bald aufs Meer verstoßen, nach Italien nach Vertreibung der Tarquinier mit 5000 Klienten nach Rom kommt, wo verschlagen, heiratet hier den König Pilumnus und erbaut mit seiner Hilfe sie die claudische Tribus bilden. Er gilt als Ahnherr des claudischen Ge- Ardea. schlechts. Danaer = Griechen, nach Danaus, dem Gründer von Argos, benannt, Clölia römische J u n g f r a u , als Geisel an Porsenna gegeben, aus dessen also = Argiver. Lager sie entfloh. Danalden die 50 Töchter des Danaus, die außer Hypermestra ihre Männer Cluslum (Chiusi) einer der zwölf H a u p t o r t e Etruriens, nicht fern vom in der B r a u t n a c h t töten (X 497). trasimenischen See. Dardaner = Troer. Codes („einäugig") Beiname des Dirdanus, Sohn Juppiters und der Horatius, der im Kriege mit Por- Atlastochter Elektra, Ahnherr der senna die Tiberbrücke verteidigt. Troer, die nach ihm Därdaner heißen. Collatia albanische Kolonie östlich Er kommt unter Teuker, dem ersten von Roin. Könige der Troas, aus Italien dorthin Cora albanische Kolonie südöstlich und erhält dessen Tochter zur Ehe, von Rom an der Appischen Straße. aus der die späteren Könige von Troja stammen. Coras s. Catillus. Daunus König des wasserarmen Cosa K ü s t e n s t a d t in Etrurien. Cossus tötet 436 v. Chr. den König nördlichen Apuliens, Ahnherr des der Vejenter im Kampf und weiht Turnus. Decier ein römisches Geschlecht, als erster nach Romulus die spolia aus dem Vater und Sohn als Konsuln opima dem J u p p i t e r . Crustumfrium alte sabinische Ko- sich freiwillig dem Tode in der Schlacht lonie am linken Tiberufer nördlich weihen. von Rom. Deiphobe, Tochter des Meergottes Cures H a u p t o r t der Sabiner, dem i Glaukus, Priesterin der Hekate (Dider Priesterkönig N u m a Pompilius, ana) und des Apollo bei Kumä, die der zweite König Roms, e n t s t a m m t . kumäische Sibylle. Die Einwohner heißen Quiriten, zum Deiphobus, Sohn des Priamus, nach Unterschiede von den späteren römi- Paris' Tode Gatte der Helena. Er schen „die a l t e n " . h a t t e sie wider ihren Willen als Sieger Dädalus aus Athen Baumeister und in den Leichenspielen am Grabe Bildhauer, Vater des Ikarus. Er b a u t Hektors gewonnen und war deshalb f ü r Minos das Labyrinth, in das er von ihr an Menelaus verraten worden, und sein Sohn gesperrt wird, weil er der ihn grausam verstümmelte. Theseus und Ariadne daraus befreit Delus Mittelpunkt der Kykladen, hat. Dädalus aber verfertigt sich und Geburtsort der Zwillinge Apollo und Ikarus Flügel, fliegt über das Meer Diana. Ehe diese geboren wurden, nach Norden und läßt sich in K u m ä trieb die Insel im Meere umher. Aus zur E r d e herab. Zum Dank f ü r seine Dankbarkeit band Apollo sie an den R e t t u n g erbaut er hier den Apollo- Nachbarinseln Mykonus und Gyarus empel. fest.

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Diana — Epfius

Diana, Tochter der Latona, Schwester Apolls, Göttin der J a g d , Führerin der Nymphen. Als Mondgöttin III 681 der gespenstigen Hekate gleichgesetzt, der die Zypresse heilig war. Auch Geburtsgöttin. Dldo Tochter des Belus, Königs von Tyrus, Gattin des Sychäus. Als dieser von ihrem Bruder Pygmalion ermordet wird, flieht sie als Führerin einer Zahl unzufriedener Tyrier nach Afrika und gründet hier Karthago. Dindyma Gebirge in Phrygien mit Kybelekultus. Diomedes, Sohn des Tydeus, wird nach seiner Rückkehr von Troja aus Argos vertrieben und von Daunus, einem Könige in Apulien, freundlich aufgenommen, wo er Benevent, Brundisium, Arpi und andere Städte gründet. Diktam (biKTa^ivo?) angeblich nach dem Berge Dikte auf Kreta benanntes Heilkraut, dem man die K r a f t zuschrieb, abgebrochene Pfeilspitzen aus der Wunde zu ziehen. Dls („der Reiche", griech. Pluton) freundlicher Name f ü r Orkus, den Herrn der Toten. Dodöna Stadt in Epirus, zum Reich des Helenus gehörig, mit uraltem Orakel des Zeus. „Dodonäische Kessel" ( I I I 466) sind Kessel von Dreifüßen, wie sie an Orakelstätten in Gebrauch waren. Dolon, Sohn des Eumedes, der als Späher im Griechenlager vor Troja überrascht und von Diomedes getötet wird. Döloper Volk im südwestlichen Thessalien, in geschichtlicher Zeit zu Epirus gehörig. Don^sa kleine Insel südlich von Naxus. Dreiwegsgöttin s. Hekate. Drtpanum Hafenstadt an der Nord"westecke Siziliens. Drusus Familienname mehrerer römischer Geschlechter. Augustus' Ge-

mahlin Livia (Drusilla) e n t s t a m m t einem dieser Geschlechter. Dryoper altes Volk, ursprünglich auf beiden Seiten des Ö t a und am Parnaß. Dulichlutn („Langland") die nördliche lange und schmale Landzunge der Insel Kephallenia, die Ithaka parallel läuft. Dymas Phrygier, Bruder der Hekuba. Echion Vater des Pentheus, Thebaner, gehört zu den Helden, die den von Kadmus gesäten Drachenzähnen entstammen. Egerla Quellnymphe im Dianahain am Nemisee bei Aricia. Egesta s. Segesta. Eingeweideschau s. Haruspizin. Eklogen („Auswahl") heißen Virgils Hirtengedichte, sein frühestes Werk, weil die darin vereinigten 10 Lieder aus einer größeren Zahl ausgewählt sind. Elba (Ilva) metallreiche Insel an der Küste von Toskana. Elektra Tochter des Atlas, Mutter des Dardanus. Elis Landschaft im Westen des Peloponnes mit Olympia, dem heiligen Hain des Zeus. Elissa phönikischer Name der Dido. Elyslum Wohnsitz der Seligen in der Unterwelt. Enkeladus einer der hundertarmigen Riesen. Ennlus, 239—169 v. Chr., Grieche aus Rudiä in Kalabrien, beherrschte die drei Sprachen griechisch, lateinisch und oskisch, Begründer und Gesetzgeber des lateinischen Hexameters, erster Vertreter nationaler Dichtung. Seine 18 Bücher Annalen Hauptepos der römischen Republik wie Virgils Äneaslied das der römiscehn Kaiserzeit. Entellus sizilischer Heros, von Virgil erfunden und nach der S t a d t Enteila auf Sizilien benannt. Epeus ein Phoker, Erbauer des hölzernen Pferdes.

Epirus — Faustkampf Epirus („Festland") die westliche Landschaft Nordgriechenlands. Epytus ( „ R u f e r " ) troischer Herold. Erebus die Unterwelt als sonnenloses, in ewiges Dunkel getauchtes Reich der Toten. Als Bruder und Gatte der Nacht auch der Herr des Totenreiches. Eritum altes sabinisches Städtchen unweit von Crustumerium. Erldanus Name mehrerer sagenhafter Flüsse, bei Dichtern auch des Po. Erinyen (Eumeniden) die Rächerinnen blutigen Mordes. Aus der großen Schar werden drei mit Namen genannt; Alekto, Tisiphone, Megära. Eriphf le, Gemahlin des Amphiaraus, der am Zuge der Sieben gegen Theben nicht teilnehmen wollte, weil er sicher war, dort seinen Tod zu finden, verriet, durch ein goldenes Halsband gewonnen, den Versteck ihres Gatten und wurde deshalb von ihrem Sohne getötet. Erulus, Sohn der Feronia, der bei seiner Geburt von der Mutter dreifaches Leben erhielt. Erymanthus, Gebirge in Arkadien, wo Herkules den Eber erlegte. Eryx 1. Berg an der Nordwestspitze Siziliens. 2. Sohn der Venus, von Herkules im Faustkampf erschlagen und an dem Berge beigesetzt. Etruria Landschaft Italiens, das heutige Toskana. Euadne, Gattin des Kapaneus, eines der Sieben gegen Theben, stürzte sich beim Tode ihres Gemahls in dessen brennenden Scheiterhaufen. Euander, arkadischer Fürst, erbaut, aus seiner Heimat vertrieben, auf dem palatinischen Hügel am Tiber die Stadt Pallanteum. Als Sohn des Merkur ist er mit dem troischen Königshause verwandt, dessen Ahnherr Dardanus von der Atlastochter Elektra s t a m m t , wie Merkur von der Atlastochter Maja.

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Euhoe (zweisilbig) Jubelruf der verzückten Bacchantinnen. Euphrat der westliche der beiden H a u p t s t r ö m e Mesopotamiens. Eurotas Fluß bei S p a r t a . Eurus der stürmische, regenbringende Südostwind. Euryalus junger Trojaner, Geliebter des Nisus. Eur^pylus Thessalier, der mit den Griechen vor Troja zog. Eurystheus König in Mykene, f ü r den Herkules die 12 Arbeiten ausführen mußte. Eur^tion Bruder des Pändarus, trefflicher Bogenschütze wie dieser. Fabaris Flüßchen im Sabinischen, nördlich von Cures in den Tiber mündend. Fablus römischer Geschlechtsname. Quintus Fabius Maximus Cunctator („Zauderer") beobachtete Hannibal gegenüber größte Vorsicht und e n t ging dadurch einer Niederlage, so daß er den Spottnamen in einen E h r e n namen verwandelte. Fabriclus Beispiel römischer Größe bei A r m u t und Einfachheit. Falisker Volk im südlichen E t r u rien an der Flaminischen Straße nördlich von Rom, teils in den Bergen, teils in der Ebene (Aequum Faliscum) wohnend. Ihre H a u p t s t a d t Falerii. Fama ( „ R u f , Gerücht") Verkörperung des böswilligen Geredes, K l a t sches, der Verleumdung. Klassische Schilderung IV 173—188. Fasces s. Abzeichen. Fatum = Schicksal, Geschick. Faunus König von Latium, Vater des Latinus. Er war der Z u k u n f t kundig und besaß ein Orakel am Sturz der Albuneaquelle bei Tibur. Faustkampf V 362—484. Als erster meldet sich der Troer Dares, ein Hüne von Gestalt und K r a f t , d e m auch die stärksten Gegner bisher nicht gewachsen waren. Man w a r t e t vergeblich, daß ein Zweiter sich melde. Schon legt Dares seine H a n d

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Feronia — Geten

an den Stier, der als Preis f ü r den Sieger ausgesetzt ist, da läßt sich der Sizilier Entellus durch Akestes bestimmen, trotz seines Alters den ihm gewohnten Faustkampf noch einmal zu wagen. Der Erfolg entscheidet f ü r ihn. Er erhält Palme und Stier, schlägt diesen mit den wuchtigen Riemen seines Lehrers E r y x nieder, weiht diesem den Stier als Opfer und verzichtet fortan auf das Schlagzeug und weitere Ausübung seiner Kunst. Dares kommt mit dem Leben davon. Es ist ein Sieg des gottesfürchtigen Greises über den hochmütigen J ü n g ling. Feronia altitalische Göttin mit Tempel und Hain in der Nähe von Anxur (Tarracina) im Volskergebiet, Mutter des Erulus. Der Hain wurde durch einen Waldbrand vernichtet, fing aber wieder zu grünen an, als die Einwohner Miene machten, das Bild der Feronia anderswohin zu versetzen. Fescennium Stadt in Etrurien unweit Falerii. Fidina (Fidenä) albanische Kolonie nördlich von Rom. Fides Verkörperung der Treue und Zuverlässigkeit, der altehrwürdigen Hüterin des Menschengeschlechts, die, in rauheren Zeiten vertrieben, erst mit Augustus' Herrschaft zurückkehren wird. Flavina Ort in Etrurien. Flöten, das schrille Instrument orientalischer Kulte, werden paarweise geblasen. Sie sind grade, nur der Schalltrichter unten ist gebogen. Sie zu blasen erforderte Übung. Die hochgestimmte nimmt der Bläser in den rechten, die tiefgestimmte in den linken Mundwinkel. Beide werden zugleich angeblasen. Föruli sabinischer Marktflecken bei Amiternum. Fticiner-See im Lande der Marser. Furien, Töchter der Nacht, sind Dämonen mit Schlangenhaaren und mächtigen Flügeln. Von den Dril-

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lingsschwestern w o h n t eine in der Unterwelt, zwei im Vorhofe Juppiters, dessen Strafbefehlen gewärtig. Denn sie sind Vollstreckerinnen göttlicher Rache. Ihre Namen Al(l)ekto, Megära, Tisiphone (s. d.) sind zugleich Wesensbezeichnungen und wechseln beliebig. In übertragenem Sinne heißen die Harpyien III 252 Furien, weil sie an Phineus Rache nehmen f ü r die Blendung seiner Söhne. Gabii alte albanische Kolonie in Latium östlich von Rom. Eine besondere Art, die Toga fest um den Oberkörper zu schlagen, h a t t e nach der Stadt den Namen erhalten, weil deren Bürger, mit Opfern beschäftigt, von Feinden überfallen wurden und, ohne das Friedenskleid mit der R ü stung zu vertauschen, in den Kampf geeilt waren, Gätdler wilde Völkerschaft im nordwestlichen Afrika. Gallier besetzen nach der Schlacht an der Allia (390 v. Chr.) Rom und belagern das Capitol. Es wird durch das Schnattern der Gänse und Manlius' Wachsamkeit gerettet. Ganymed Sohn des troischen Königs Tros, wegen seiner Schönheit durch J u p p i t e r s Adler in den Olymp entf ü h r t , Mundschenk der Olympier. Garamanthen Wüstenvolk im Innern des nördlichen Afrika. Garginus Berg auf der nordöstlichen Halbinsel Apuliens. Gelas strudelreicher Küstenfluß in Sizilien, nach dem die Stadt Gela ben a n n t ist. Geloisch zu Gela, Stadt an der Südküste Siziliens, gehörig. Gelönen skythisches Volk am Dnjepr in der heutigen Ukraine. Geryon Riese mit drei Leibern (3 Köpfen, 6 Armen, 6 Beinen) in Spanien, den Herkules überwältigte und dem er seine Rinderherden entführte. Geten thrazisches Volk an der unteren Donau.

Glaukus — H e k u b a Glaukus 1. zukunftskundiger Meergott, Vater der Delphobe. 2. Troer, Sohn des Antenor. Gnosus eine der bedeutendsten S t ä d t e Kretas, Residenz des Minos. Gorgo ( = Medusa) eine der drei Töchter des Meerdämons Phorkys, deren Anblick versteinerte. Daher häufiger Schildschmuck. Ihr schreckenerregendes H a u p t t r u g Pallas vorn i auf der Ägis. | Gorgonisch = verderblich. Gracchus Name im sempronischen Geschlecht. Die beiden Brüder Tiberius und Cajus, Volkstribunen 133 und 123, leiten durch ihre Ackergesetze zugunsten des notleidenden ! italischen Bauernstandes die Periode der römischen Bürgerkriege ein. j Gradivus Beiname des Mars. j Gräen Meerdämonen, Töchter des j Phorkys, Schwestern der Gorgonen. j Graviscä kleine S t a d t in Etrurien bei Tarquinii, ungesund wegen der sumpfigen Umgebung. Großer Altar auf dem R i n d e r m a r k t in Rom, Mittelpunkt des Herkuleskultus. Grynlum S t a d t in der Äolis, nicht weit von Klazomenä, mit Hain und Tempel des Apollo. Gyarus Insel der Kykladen, n o r d westlich von Delus. Gyas Troer im Gefolge des Äneas. Georgika („Bücher über den L a n d b a u " ) ein Lehrgedicht über die A u f gaben des L a n d m a n n s in vier B ü c h e r n : I Ackerbau II B a u m - I I I Vieh- IV Bienenzucht. Unter den endlosen Bürgerkriegen konnte der L a n d b a u in Seine Zeit Italien nicht gedeihen. war erst wiedergekommen, seit A u gustus durch Niederwerfung des Orients der Welt den Frieden zurückgegeben h a t t e . D a r u m r u f t der Dichter unter den Göttern, die den L a n d b a u schützen, auch ihn an, sein kühnes, weil f ü r Italien neues U n t e r n e h m e n mit Wohlwollen zu begleiten. Gewidmet ist das Werk dem Mäcenas.

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Haläsus zieht mit A u r u n k e r n u n d Oskern dem T u r n u s gegen Äneas zu Hilfe. Haltseil ist das T a u , mit dem ein Schiff bei kürzerer Rast an einem S t a m m oder Stein des Gestades festgebunden wird. Bei längerem A u f e n t halt zieht man das Schiff mit dem Hinterteil aufs Land. Hammon wurde aus dem S t a d t gott von Theben zur obersten ä g y p tischen Gottheit und J u p p i t e r gleichgestellt. Harpilyke thrakische Jägerin. Harpyien ( „ R ä u b e r i n n e n " ) Ungeheuer in Raubvogelgestalt mit Köpfen von J u n g f r a u e n , gewaltigen Flügeln und Adlerkrallen. Als Todesdämonen hausen sie in der Unterwelt. Haruspiziti, die K u n s t , aus den Eingeweiden der Opfertiere die Zuk u n f t zu erkennen, ist etruskischen Ursprungs. Außer ihr diente dazu die Beobachtung des Standes der Gestirne, des Fluges und Geschreis der Vögel und des Blitzes. ( X 176 f.) Hebrus H a u p t f l u ß Thraziens, jetzt Maritza. Hekate die eigentliche Zaubergöttin, mächtig am Himmel, auf der Erde, in der Unterwelt, daher dreigestaltig. Nicht verschieden von der gleichfalls dreigestaltigen Diana. Die Zauberin r u f t IV 511 beide an lediglich der H ä u f u n g zuliebe. J e mehr Götternamen, desto kräftiger der Zauber. Hekatesee in Latium bei Aricia (via Appia) mit Hain und Tempel der Diana. Hektor des troischen Königs Pria m u s Sohn. Seine Tapferkeit und sein edler Charakter machen ihn zum Vorbild der Trojaner, sodaß man von Hektors Geschlecht spricht, wenn man diesen einen E h r e n n a m e n geben will (I 273). H£kuba eheliche Gemahlin des Priamus, Mutter seiner berühmtesten Kinder (Hektor, Paris). Als sie mit Paris schwanger ging, sah sie im

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Helena — Hyaden

T r a u m einen Feuerbrand, der ganz T r o j a in Flammen setzte. Helena, Tochter der Leda, Menelaus' Gemahlin, wird von Paris nach Troja entführt. Nach dessen Tode G a t t i n seines Bruders Dei'phobus. Helenus, Sohn des Priamus, durch seine Wahrsagekunst berühmt, wird durch Neoptolemus mit Andromache zusammen als Kriegsgefangener nach Epirus geführt. Hier heiratet er nach Neoptolemus' Abzug Andromache und wird König der Chaonen. Helikon Berg in Böotien, H a u p t sitz des Musenkultus in Griechenland. Helios griechischer Name des Sonnengottes, Großvater des Königs Latinus, f ü r dessen Mutter Kirke, des Sonnengottes Tochter, gilt. Heldras Fluß an der Ostküste Siziliens, wenig nördlich vom Vorgebirge P a c h y n u m , der oft über die Ufer t r a t und das umliegende Land f r u c h t bar machte. Herkules, Sohn Juppiters und der Alkmene, Gemahlin des Amphitruo von Theben, m u ß t e im Dienste des E u r y s t h e u s 12 mühevolle Arbeiten leisten, zu denen ihn J u n o s List gezwungen hatte. Die Gattin Juppiters grollte dem Herkules als dem Sohne einer Nebenfrau. Hertnione, als Tochter der Helena Enkelin der Leda, wurde Gattin des Neoptolemus, obwohl sie dem Orest versprochen war. Daher überraschte ihn dieser und tötete ihn in Delphi an dem von Neoptolem errichteten Altare des Achill. Hermus H a u p t s t r o m Lydiens. Htrniker Bewohner des Gebirgszuges, der das mittlere Latium im Norden abschließt. Hesione Tochter des troischen Königs Laomedon, Schwester des Priamus, Gemahlin des Telamon. Hesperlden nach späterer Sage Töchter des Atlas („die Westlichen"), die einen Garten am Westrande des

Ozeans bewohnen, den Baum m i t den goldenen Äpfeln hüten und den Drachen, den H ü t e r des Baumes, füttern. Hesperlen ( „ A b e n d l a n d " ) griechischer Name f ü r Italien. Hexameter s. A n h a n g IV. Himella Bach bei R e a t e im Sabinerlande. Hlppökoon angesehener Troer im Gefolge des Äneas, Bruder des Nisus. Hippolyte Königin der Amazonen. Hlppölytus 1. Sohn des Theseus. Von seiner Stiefmutter P h ä d r a , deren | Liebesanträge er abgewiesen hatte, bei seinem Vater verleumdet, wurde ; er von diesem verflucht und durch seine eigenen Pferde zu Tode geschleift, die ein von Neptun aus dem Meere geschicktes Ungeheuer scheu gemacht h a t t e . 2. Sohn von 1. Diana hielt ihn im Egeriahain verborgen aus ! Furcht vor J u p p i t e r s Zorn. Der : Theseussohn war durch die K u n s t ! des Äskulap ins Leben zurückgerufen, j aber von dem darob ergrimmten i J u p p i t e r wieder getötet worden. Daj mit der Hippolytussohn nicht das Schicksal des Vaters teile, änderte Diana seinen Namen in Virbius und ! ließ ihn als solchen fortleben. ! Hochzeitsbräuche, ohne die keine | echte römische Ehe geschlossen wird, j fehlen auch dem stürmischen Beilager von Dido und Äneas IV 164—166 nicht. Tellus, die Göttin der Erde, die allem menschlichen Handeln Festigkeit und Dauer sichert, fehlt so wenig wie J u n o Pronuba, die Hochzeiterin, die der Vermählten Hände ineinander f ü g t , Hochzeitsfackeln so wenig wie Hochzeitslieder, unter denen das junge P a a r aus dem Hause der Braut in das des Bräutigams geleitet wird. Alles aber ist hier seiner freundlichen Bedeutung entkleidet und aufs Drohende, F u r c h t b a r e g e s t i m m t . Horta etruskisches Städtchen unter der Herrschaft des Clausus. Hyiden Sternbild am Kopfe des

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Hydra — Ischia Stiers, dessen Aufgang Sturm und Regen bringt. Hydra („Wasserschlange") ein f ü n f zigköpfiges Ungeheuer in der Unterwelt. Hyläus ein Kentaur. H^panls Troer. Hyrkanla Landschaft im Südosten des Kaspischen Meeres. Hyrtakus Troer, Vater des Nisus und Hippokoon. Janikulum einer der sieben Hügel Roms, auf dem rechten Tiberufer. Janus altitalischer Gott des J a h r e s laufes, der jeden Ein- und Ausgang (ianua = Tür) hütet, also auch den des Kriegstempels. Er wird mit doppeltem Antlitz dargestellt. 1-ipyx erdichteter Name eines Arztes. I-irbas, Sohn des Gottes Hammon, libyscher König, der sich vergeblich um Didos H a n d bewirbt. 1-üsius Bruder des Dardanus. Er wandert mit diesem aus seiner Heimat F.trurien aus und siedelt sich in der Troas an. Ida 1. Berg auf K r e t a ; an ihn k n ü p f t die Sage von der Erziehung des Zeuskindes an. 2. Berg in der Troas, Sitz des Kybelekultus. 3. Name einer Nymphe. 4. Name des Schiffes, auf dem Äneas das etruskische Geschwader nach Latium f ü h r t . S. Bilderschmuck. Idäus Wagenlenker des Priamus. Idalium Berg auf Kyprus mit Hain und Tempel der Venus. Idötneneus, Enkel des Minos, König von K r e t a . Auf der Rückkehr von T r o j a vom S t u r m ergriffen, gelobt er f ü r seine R e t t u n g das erste zu opfern, was ihm begegne. E r vollzieht das Opfer, obwohl es sein Sohn ist. Deswegen wird er von den Kretern vertrieben und läßt sich in Unteritalien im Gebiet der Sallentiner nieder.

Sonne zu nahe kommt und diese das Wachs schmilzt, mit dem der Vater ihm die Flügel angeklebt hat. Illa, eig. „die Troerin", bei Virgil Name der Rea Silvia, Tochter des albanischen Königs Numitor, von | Mars Mutter des Romulus und Remus. j Ilione, älteste Tochter des Priamus, an den Thrakerkönig Polymnestor verheiratet, trägt als Abzeichen ihres Ranges das Szepter. IHoneus der älteste Trojaner im Gefolge des Äneas. Ilische Spiele setzt Augustus nach Antonius' Besiegung bei Aktium ein. Virgil läßt sie als Erneuerung der vom Ahnherrn des julischen Geschlechts i angeordneten erscheinen. Illyrier Volk an der Ostküste des l adriatischen Meeres im heutigen Dalmatien und Albanien. | Ilus einer der alten Könige von j Troja, Sohn des Tros. Auch Iullus, - der Sohn des Äneas, wird Ilus genannt. Inachus Flußgott in Argolis, Vater der Io. Ino Tochter des Kadmus von Theben, stürzt sich aus Angst vor ihrem rasenden Gemahl mit ihrem Sohne Palämon ins Meer. Beide werden als Meergottheiten verehrt. Inuus Gott der Herden (griech. Pan). Des „ I n u u s Veste" (VI 775) ein Kastell in Latium, oft nur Castrum genannt. Io Tochter des Flußgottes Inachus, Geliebte Juppiters. Die eifersüchtige i J u n o verwandelt sie in eine Kuh und ! übergibt sie dem Argus zur Be! wachung. I-öpas Sänger am Hofe der Dido, i Schüler des Atlas (s. d.), der vor den i versammelten Tyriern und Troern von den Himmelserscheinungen singt. Iphitus bejahrter Trojaner. Iris („Sprecherin"), Göttin des ReIkarus, Sohn des Dädalus, stürzt genbogens, „wolkengeborene Botin" bei seiner Flucht aus dem Labyrinth (X 73) der J u n o . aus der L u f t ins Meer, weil er der Ischia Insel beim Golf von Neapel. T r e n d e l e n b u r g , Virgils Aeneis.

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Ismarus — Kassandra

Ismarus Bergzug in Thrazien. Italien heißt I 380 Heimat der Troer, weil ihr Ahnherr Dardanus, ein Sohn Juppiters ( „ J . s Sippe"), von dort nach Troja kam. Italus namengebender Heros Italiens. Ithaka, die Odysseusinsel, gehört der südlichen Gruppe der ionischen Inseln an. I-ullus Sohn des Äneas, S t a m m vater des julischen Geschlechts. Sein früherer Name Askanius in der Kaiserzeit durch diesen verdrängt. Jungtrau (Asträa), Göttin der Gerechtigkeit, weilt im goldenen Zeitalter auf Erden, wird im eisernen als Sternbild an den Himmel versetzt. Juno Tochter Saturns, Schwester und Gemahlin Juppiters, Göttin der Ehe. Anhang III. Juppiter, Sohn Saturns, Bruder des Neptun, des Pluto und seiner Gemahlin J u n o , ist „Schöpfer der Götter, Menschen und Dinge". Seinem Herrscherwillen t r i t t am häufigsten J u n o entgegen. Als diese sich aus dem Olymp entfernt hat (Anhang III), wird er im Himmel, was Augustus auf Erden geworden ist: unumschränkter Alleinherrscher. J u p p i t e r auch allgemein = Gott. Juturna Quellnymphe, Schwester des Turnus. Sie hatte J u p p i t e r ihre Jungfräulichkeit geopfert und war dafür von ihm zur Nymphe erhoben worden. Ixion, König der thessalischen Lapithen, Vater des Pirithous, will J u n o vergewaltigen und büßt seinen Frevel, in der Unterwelt auf ein unaufhörlich sich drehendes Rad geflochten. Käneus, Sohn eines Lapithenkönigs, ursprünglich ein Mädchen Känis, das Neptun auf ihre Bitten in einen Mann verwandelt. Unverwundbar durch Eisen, wird Käneus im Kentaurenkampfe in einer Erdgrube durch Bäume und Felsstücke erdrückt. In der Unterwelt ist er wieder Känis.

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Kalkus Troer im Gefolge des Äneas. Kalchas griechischer Opferpriester und Prophet. Kalliope eine der neun Musen. Kilybe von Vergil erfundener Name einer greisen Junopriesterin. Kalydon H a u p t s t a d t Ätoliens. Ihr König Öneus vergaß beim Opfer der Erstlinge, die Göttin Diana einzuladen, weshalb sie einen Eber ins Land schickte, der es verwüstete, bis er von Meleager erlegt wurde (die kalydonische J a g d ) . Kamerina (Kamarina) S t a d t an der Südküste Siziliens. Trotz der Mahnung des Orakels, den in der Nähe gelegenen Sumpf nicht zu bewegen ( I I I 700), trocknen ihn die Einwohner aus und bahnen so den Feinden den Weg zur Eroberung der Stadt. Kaphtreus das nördliche Kap an der Ostküste Euböas, wo Minerva die Flotte des lokrischen A j a x durch einen Sturm scheitern läßt, um ihn f ü r den Frevel an Kassandra zu bestrafen. Kapua S t a d t in Kampanien, a n geblich nach Kapys, dem Troerfürsten, benannt. Kapys 1. Troer im Gefolge des Äneas. 2. Achter König von Alba. Karer Bewohner der Landschaft Karien im südwestlichen Kleinasien. Karmenta (Karmentis) = „Seherin, Sängerin" (carmen), weissagende N y m phe, Mutter des Euander, altitalische Göttin, die am Südfuße des Kapitols einen Tempel h a t t e . Hier auch ein nach ihr genanntes Tor. Karthago S t a d t der Phönizier an der Nordküste von Afrika, der Westspitze Siziliens gegenüber, nach der Sage von Tyriern unter Führung der Dido gegründet. Kassandra Tochter des Priamus, von Apoll mit der Gabe der Weissagung beschenkt, zugleich aber, weil sie sich ihm nicht hingeben wollte, mit dem Fluche belastet, bei nieman-

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Kaukasus — Krummstab dem Glauben für ihre Prophezeiungen zu finden. Der lokrische Ajax vergriff sich an ihr und fand dafür den Tod bei Euböa. Kaukasus das unwirtliche Gebirge zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meere. Kauion (Kaulonia) achäische Kolonie in Bruttii. Kekrops ältester König in Attika. Nach ihm heißen die Athener Kekropiden. Keläno Name einer der Harpyien. Kentauren 1. mischgestaltige Wesen, halb Pferd, halb Mensch, von großer Kraft, Söhne Ixions und der J u n o in Wolkengestalt, daher die „wolkengebornen". Am Eingang zum Unterweltspalast hausen sie als Wächter und Träger (Dante). 2. Kentaur, Name eines Schiffes, dessen Heckbild einen Kentauren darstellte, der ein hochgehobenes Felsstück ins Meer schien werfen zu wollen. Keraunlsche Berge das Küstengebirge von Epirus, das im Norden in das gefürchtete K a p Akrokeraunia ausläuft. Klrke Zauberin, Tochter des Sonnengottes, ursprünglich auf Äa (s. d.) wohnend gedacht, später am monte Circello, einem Vorgebirge im südlichen Latium („kirkäisches Joch"). Kisseus 1. König von Thrazien, Vater der Hekuba. 2. Genosse des Turnus. Kithäron Grenzgebirge zwischen Böotien und Attika, Schauplatz der nächtlichen Bacchusorgien, die alle drei Jahre gefeiert wurden und mit Abholung der heiligen Geräte aus dem Tempel begannen. Klaros ionische Stadt bei Kolophon mit Lorbeerhain und Tempel des Apollo. Kloanthus Troer im Gefolge des Äneas. Kluentier Name eines römischen Geschlechts, des Gleichklangs wegen

V 123 mit dem Troer Kloanthus in Verbindung gebracht. Knoten des Arms, gefürchteter Ringergriff. Wer ihn anwendet, tritt dem Gegner von vorn entgegen, legt ihm den einen Arm von hinten fest um den Hals, ergreift die Hand des umgelegten Arms mit der andern und zieht die Schlinge zu, die den Gegner erdrosselt. Kokytos („Heulstrom") Fluß der Unterwelt. Koras und sein Bruder Katillus ( X I 465) gründen mit Tiburtus Tibur (Tivoli). Korlnth reichste Stadt des Peloponnes am Isthmus, im Jahre 146 von Mummius erobert und zerstört. Griechenland unter dem Namen Achaj a dem römischen Reiche einverleibt. Koröbus, Sohn des phrygischen Königs Mygdon, Verlobter der Kas: sandra. i Kortöna Stadt in Etrurien nördlich ! vom Trasimenischen See. i Korybanten, Dämonen des Gebirges ; im Dienste der phrygischen Götter| mutter Kybele, verscheuchen durch Zusammenschlagen eherner Becken und durch anderen Lärm wilde Tiere ! und böse Geister. S. Kureten. Korynäus Begleiter des Äneas. Korythus = Kortona. Kranz von Eichenlaub, die „BürgerI kröne", Auszeichnung für den, der ! einem Bürger das Leben gerettet. Kreta heißt III 104 „Insel des J u p p i t e r " , weil der Gott hier geboren und in der idäischen Höhle vor den Nachstellungen des Kronos verborgen wurde. Kreusa, Tochter des Priamus und der Hekuba, Gemahlin des Äneas, Mutter des Iullus. Sie verschwand auf der Flucht des Äneas aus Troja, in Kleinasien zum Dienst der Kybele zurückgehalten. Krimlsus sizilisches Küstenflüßchen bei Egesta. Krummstab (VII 187), mit dem 20*

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K u m ä — Latiner

die Augurn das Feld (templum) zur Beobachtung des Vogelfluges bestimmten, dem Romulus zugeschrieben, der das templum der Stadt Rom festlegte. Kumä Stadt in Kampanien, Sitz der kumäischen Sibylle. Es leitet seinen Ursprung von Chalkis auf Euböa her. Kupido s. Amor. Kureten Bergdämonen im Dienste der kretischen Rhea, der Mutter des Juppiter, die durch Aufschlagen ihrer Schwerter auf die ehernen Schilde das Geschrei des Juppiterkindes übertönen und so den Ohren des Kronos entziehen. Auch allgemein: älteste Bewohner Kretas. Kybele phrygische Berggöttin — ein Gebirge gleichen Namens im südlichen Phrygien —, die große Göttermutter, Bändigerin der Tiere und Städtegründerin. Sie f ä h r t auf einem mit Löwen bespannten Wagen, trägt auf dem Haupte eine Mauerkrone und f ü h r t als Symbol ein Tympanon (Handpauke, Tamburin). Kykladen Inselgruppe im ägäischen Meer, als deren Mittelpunkt Delus galt. Kyklopen („Rundaugen") Schmiede in der Esse Vulkans, die im Ätna dem J u p p i t e r die Donnerkeile schmieden, auch die eisernen Mauern der Unterwelt erbaut haben. Kyknus („Schwan"), Freund Pha'ethons, in einen Schwan verwandelt, da er Trost f ü r dessen Verlust im Gesänge zu suchen nicht aufhört. Kylline Berg im nördlichen Arkadien, wo Merkur von Maja geboren wurde. Kymödoke („Wellgunde") Nereide. Kymodokia („Wellgunde") eine der Nymphen, in die Kybele die Schiffe des Äneas verwandelt hatte, um sie vor Feuer zu schützen. Kymöthoe Meernymphe. Kynthus Berg auf Delos, wo Apoll und Diana geboren wurden. Kyprus Insel mit den Städten Amathus, Idalium und Paphus, ber ü h m t durch Verehrung der Venus.

Kythfra (Cerigo) Insel vor dem lakonischen Meerbusen, wo Venus aus dem Meere ans Land gestiegen sein soll. Kytheria Beiname der Venus nach der Insel K y t h e r a . Labikum S t a d t am Nordabhang des Älgidus, südöstlich von Rom bei Tuskulum. Labyrinth ein unbedeckter Bau mit vielen Irrgängen (V 588—591), dessen Erbauer Dädalus gewesen sein soll. Seinen Grundriß zeigen Münzen von Gnosus auf Kreta. Steinbrüche mit ihren vielen engen Gängen waren die Vorbilder. Laertes Vater des Ulixes. Lakinlum Vorgebirge bei Kroton in Bruttii mit dem Tempel der lakinischen J u n o . Laodamia, Gattin des Protesiläos, des ersten Griechen, der vor Troja fiel, folgte durch freiwilligen Tod ihrem Gemahl in die Unterwelt nach. Laokoon troischer Priester des Neptun, der das hölzerne Roß mit seinem Speere durchbohrte und d a f ü r mit seinen beiden Söhnen unter den Bissen zweier aus dem Meere kommender Schlangen sein Leben verlor. Laömedon König von Troja, Vater des Priamus. Weil er Neptun und Apollo um den f ü r den Bau der trojanischen Mauern ausbedungenen Lohn betrog, ist er zum Typus eines w o r t brüchigen Troers geworden. Lapithen Bergvolk in Thessalien. Zur Hochzeit ihres Königs Pirithoos waren alle Götter geladen, nur Mars nicht. Aus Zorn darüber erregte er bei der Feier den Kampf zwischen ihnen und den Kentauern. Laren sind die vergötterten Seelen Verstorbener, die das H a u s und die Familie beschützen und im Gegensatz zu den Penaten vom Hause unzertrennlich sind. Latiner die Bewohner von Latium. Das Volk der Latiner entstand durch

Latinus — Letzter K a m p f t a g Verschmelzung der Trojaner mit den alten Einwohnern Italiens. Latinus König der Laurenter, Schwiegervater des Äneas. Latlum Landschaft an der Westküste Italiens zwischen Tiber und Massikus, dem Grenzberge K a m p a niens, H a u p t s t a d t Rom. Den Namen gab nach V I I I 323 Saturn der Landschaft, weil er hier ein sicheres Versteck gefunden h a t t e (tutus Iatuisset). Latona von J u p p i t e r Mutter des Zwillingspaares Apoll und Diana. Laurentum Küstenstadt Latiums südlich von Rom, Sitz des Königs Latinus. Der Name wird mit laurus (Lorbeer) in Verbindung gebracht. Lausus Sohn des Etruskerkönigs Mezentius, die beide auf Turnus' Seite kämpfen. Er fällt von Äneas' Hand. Lautes Lesen bringt die Musik auch Virgilscher Verse erst zu rechter Wirkung. „Schreiben ist ein Mißbrauch der Sprache, stille f ü r sich lesen ein trauriges Surrogat der Rede." Goethe. Lavlnla, Tochter des Laurenterkönigs Latinus, zweite Gemahlin des Äneas, Mutter des Silvius. Lavinium Stadt in Latium südlich von Rom unfern der Küste, von Äneas gegründet und nach seiner Gemahlin Lavinia b e n a n n t . Leda Mutter der Helena. Leichenspiele zu Ehren seines Vaters veranstaltet Äneas am Strande von Segesta, als er durch widrige Winde gezwungen wird, Sizilien noch einmal anzulaufen. Vier Preiswettspiele kommen dabei zum Austrag: a. W e t t rudern, b. Wettlaufen, c. Faustkampf, d. Taubenschießen. Den glänzenden Abschluß bildet das Trojaspiel der Knaben (S. die einzelnen Spiele.) Virgils ausführliche Schilderung zeigt, daß ihm dieser Abschnitt seines Epos besonders am Herzen lag. Er steht deshalb auch dichterisch besonders hoch und tritt den Seelenschilderungen Virgils ebenbürtig an die Seite. Die einzelnen Bilder sind von großer An-

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schaulichkeit, der Verlauf der H a n d lung von überraschender Spannung, die Erfindung von erstaunlicher Vielseitigkeit. Wenn irgendwo, hat der römische Dichter sein griechisches Vorbild an lebendiger Phantasie und individueller Ausgestaltung der Einzelzüge hier weit hinter sich gelassen. Ltleger vorhellenisches, seefahrttreibendes Volk in Asien und Griechenland. Lepldus (Marcus Ämilius) Anhänger Casars, mit Antonius und Octavian Triumvir, kurze Zeit Statthalter in Afrika, geldgierig und einflußlos. Lerna sumpfiger See bei Argos, wo eine Hydra mit vielen Schlangenhälsen hauste, die Herkules tötete. Leto = Latona. Letzter Kampftag der Äneis X I I 113—952, ein Beispiel spannenden Hinziehens und blitzartigen Abschlusses der Handlung. Äneas nimmt Turnus' Herausforderung zum Zweikampf an. Siegt Turnus, so wandern die Troer nach Pallanteum zurück; andernfalls verschmelzen Troer und Latiner als Gleichberechtigte zu e i n e m Volke. Den geschlossenen Vertrag brechen die Rutuler, auf Junos Anstiften von J u t u r n a dazu gereizt. Äneas wird verwundet und muß das Schlachtfeld verlassen, Turnus drängt die Feinde zurück. Nach wunderbar schneller Heilung und Rückkehr des Äneas entfernt J u t u r n a ihren Bruder aus dessen Nähe. Äneas greift die Stadt an, A m a t a erhängt sich. Nunmehr stellt sich Turnus seinem Feinde. Beim ersten Zusammenstoß zersplittert sein Schwert, denn er hat in der Eile s t a t t seines eigenen ein fremdes ergriffen. Er flieht, Äneas kann ihn nicht einholen. Seine Lanze aber verfehlt ihn und bohrt sich in die Wurzeln eines Ölbaums so tief ein, daß er sie nicht herausreißen kann. Turnus erhält von J u t u r n a sein Schwert, Äneas von Venus seine Lanze zurück. Neuer Kampf. J u n o

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Leukaspis — Mäotis

versöhnt sich mit J u p p i t e r und zieht opuntischen. Nach dem Tode ihres ihre Hand von Turnus ab. Auch Führers A j a x sollen sie die libysche J u t u r n a verläßt ihn, durch das Er- Küste besiedelt haben (XI 265). scheinen einer von J u p p i t e r gesandten Lokri Pflanzstadt der griechischen Furie erschreckt. J e t z t zwingt ihn Lokrer an der Ostküste von Bruttium Äneas durch einen Speerwurf zu (Unteritalien). Boden. Des Gestürzten Bitten rühren Lukanien Landschaft in Unteritalien, ihn. Schon ist er geneigt, ihm das südlich von Campanien. Leben zu schenken, als er auf dessen Luna = Diana. Schulter das mit Buckeln verzierte Luperkai Grotte des Luperkus Wehrgehenk erblickt, das Turnus („Wolfabwehrer"), eines altitalischen dem jungen Pallas abgenommen hat. Herdengottes, am Fuße des Palatin. Mit einem Schlage läßt Äneas alle Man setzte ihn dem lykäischen P a n Gedanken an Milde fahren und T u r n u s Arkadiens gleich, dessen Namen man büßt mit seinem Leben den an Pallas gleichfalls mit Wolf (\ukoc) in Verbegangenen Mord. bindung brachte. Leukispls ein Lykier, der beim Luperker Priester des Herdengottes Untergange des Schiffes des Orontes Luperkus ( = Pan), die im Luperkai seinen Tod findet und, unbeerdigt, am am 15. Februar das Fest des Gottes Ufer des Kokytos ruhelos umher- feierten. irren muß. Luzifer („Lichtbringer") der MorLeukäte Vorgebirge der Insel Leu- genstern, der Planet Venus. kas, auch die Insel selbst, am Eingang Lyäus („Löser, Sorgenbrecher") des ambrakischen Meerbusens unweit Beiname des Bacchus. von Aktium. Lydisch heißen die Etrusker, weil Leyer (Lyra, Kithara) Saiteninstru- sie aus Lydien eingewandert sein ment, dessen Saiten mit den Fingern sollen. der Linken gegriffen, mit der Rechten Lykien Landschaft in der Südwestdurch ein Schlagholz zum Tönen ge- ecke Kleinasiens, durchströmt vom bracht werden. Xanthus. In P ä t a r a , nicht weit von der Mündung des Flusses, ein beLiburner Bewohner von Illyrien. rühmtes Orakel des Apoll. Libyen Name f ü r Nordafrika. Lykier Bewohner der Landschaft Ligurer Volksstamm im westlichen Lykien. Oberitalien um Genua. Lyktus S t a d t auf Kreta. Lllybäum Stadt an der Westküste Lykurgus König der Thraker, beSiziliens. Das Meer dort ist wegen der Untiefen und der unter dem Wasser- kannt durch den Widerstand, den er von der Einführung der Bacchusverehrung spiegel verborgenen Klippen Schiffern gefürchtet. leistete. Lykus Troer im Gefolge des Äneas. Linus sagenhafter Sänger, Sohn Lyrnessus Stadt in der Troas. Apolls. Machion, Sohn des Äskulap, als Lipara größte der Äolusinseln, die Arzt und Heerführer der Griechen vor danach auch iiparische heißen. Livia Drusilla zweite Gemahlin Oc- Troja gleich angesehen. Mäonisch zu Mäonien gehörig, tavians, der er in fünfzigjähriger Ehe seine Zuneigung bewahrte, Mutter des i einer kleinasiatischen Landschaft im \ Quellgebiet des Hermus, dann allgeKaisers Tiberius. Lokrer Bewohner der Landschaft ; mein = lydisch, orientalisch, ungrie1 chisch. Lokris in Mittelgriechenland. Von ihrer H a u p t s t a d t Opus heißen sie die Mäötis das Asowsche Meer.

Maja — Merkur Maja eine der Töchter des Atlas, Mutter des Merkur. Milea das südöstliche der drei K a p s des Peloponnes, wegen seiner Stürme gefürchtet. Maltechnik Virgils. Um den verwirrenden Eindruck des Massenhaften hervorzurufen, liebt es der Dichter, bei Aufzügen, Versammlungen, Spielen, Kämpfen u. ä. lediglich Namen ohne nähere Angaben zu häufen, wie Maler ihren Vorgängen am Himmel einen Hintergrund von Engelköpfchen in Wolken, ihren Einzelszenen auf der Erde einen solchen von Figuren zu geben pflegen, die eben nur angedeutet, im besten Falle mit wenigen Strichen leicht umrissen sind. Manen sind die fortlebend gedachten Seelen der Verstorbenen, die man g ö t t lich verehrte. Manllus Capitolinus Retter des Capitols. Mantel, reichgestickt, wird von troischen Frauen der Burggöttin d a r gebracht, sie f ü r Troja günstig zu stimmen. Manto Nymphe, deren Sohn Oknus Mantua erbaute und nach dem Namen seiner Mutter benannte. Mantua S t a d t am Mincius. Marcellus Beiname im claudischen Geschlecht. 1. M. Claudius Marcellus tötete 222 v. Chr. einen gallischen Führer und weihte dessen Rüstung dem Quirinus. Er war der dritte, der die spolia opima einem Gotte d a r brachte (s. Romulus und Cossus). Durch Eroberung von Syrakus brach er im zweiten punischen Kriege die Macht der Karthager in Sizilien. 2. M. Claudius Marcellus, Sohn der Oktavia, der Schwester des Augustus, war von diesem an Sohnes Statt a n genommen und zu seinem Nachfolger ausersehen worden. Auch heiratete er Julia, die einzige Tochter des Kaisers. Aber alle auf ihn gesetzten ausschweifenden Hoffnungen vereitelte

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sein früher Tod. Er starb zwanzigjährig i. J . 23 v. Chr. Marika eine Nymphe, der bei Minturnä im südlichen Latium ein Eichenhain geweiht war, den der Liris durchfloß. Da sie dem alten Latium angehört, nennt sie Virgil nach dessen alter H a u p t s t a d t laurentisch (VII 47). Mars (Mavors) Kriegsgott, Vater des Zwillingspaares Romulus und Remus. Heilig ist ihm der Wolf. Marser sabellisches Volk am Fucinersee, als Zauberer, Schlangenbeschwörer und Kenner der Giftkräuter bekannt. Nördliche Nachbarn von Latium am oberen Liris. Misslcus Berg an der Grenze von Latium und Campanien; berühmter Wein. Mauren Volk an der Nordwestküste von Afrika Spanien gegenüber. Mavors = Mars. Medon Troer, Sohn des Antenor. Megära („Neiderin, Scheele") eine der Furien. Migara (Hybläa) dorische Kolonie an der Ostküste Siziliens dicht bei Syrakus. Melampus Seher und Arzt, Begleiter des Herkules auf dessen Zug nach Italien, Vater des Kisseus und Gyas, die von Äneas' Hand fallen. Millte ( „ S ü ß e " ) Nereide. Metnmlus römischer Geschlechtsname, V 117 mit Mnestheus in Verbindung gebracht, weil beiden Namen eine Wurzel „erinnern" zugrunde liegt. Memnon, Sohn der Aurora, kommt mit seinen dunkelfarbigen Äthiopen den Troern zu Hilfe. Menelaos, Bruder Agamemnons, Gemahl der Helena, spielt bei Trojas Zerstörung eine hervorragende Rolle. Dorische Kurzform des Namens Menelas. Merkur, Sohn des J u p p i t e r und der Maja, Gott des Handels und Verkehrs, Bote der Götter, Geleiter der Seelen in und aus der Unterwelt. Er trägt Flügelschuhe und einen Stab, mit

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Messapus — N e m e a

dem er die Menschen einschläfert und Mltra orientalische K o p f b e d e c k u n g , weckt. Vater des E u a n d e r . eine kegelförmige, oft reich gestickte Messäpus, Sohn Neptuns, K ö n i g T u c h m ü t z e mit breiten Seitenbändern, die über die Ohren gingen und auf und S t a m m v a t e r der Messapier in dem Kinne so gebunden wurden, daß Apuiien und Kalabrien. Auf Grund sie noch den unteren Teil davon bewelcher S a g e ihn Virgil V I I 691 zu deckten. einem etruskischen Fürsten macht, ist unbekannt. Mnestheus angesehener Troer im M i t a b u s K ö n i g der Volsker, Vater Gefolge des Ä n e a s . der Camilla. Molossus Sohn des Neoptolemus Mettius (Mettus) F u f e t i u s angebund der A n d r o m a c h e , E p o n y m der lich letzter Diktator von A l b a L o n g a , | Molosser, einer Völkerschaft des mittder R o m im K a m p f e gegen Veji ver- ! leren Epirus. riet und zur S t r a f e d a f ü r von zwei Monökus Vorgebirge in Ligurien Gespannen zerrissen wurde. mit einem Tempel des Herkules Monökus, nach dem d a s heutige Monaco Mezentius (Mezenz) T y r a n n von heißt. Agylla (Cäre) in Etrurien, von allen Möriner gallisches Volk an der E t r u s k e r n wegen Grausamkeit und als Scheidemündung. Götterverächter gehaßt. Von den B e Musäus Heros der attischen Dichter. wohnern v e r j a g t , flüchtet er zu T u r Mutina (Modena) S t a d t im diesnus und k ä m p f t an dessen Seite gegen die Trojaner. E r fällt von Ä n e a s ' seitigen Gallien an der Ämilischen Straße. Hand. Mutter, meist in der Mehrzahl „ d i e Minclus linker Nebenfluß des Po M ü t t e r " , alte sizilische Gottheit. „ A u f bei M a n t u a , Abfluß des Gardasees. Sizilien liegt die S t a d t Engyion, nicht Sein Bild g a b einem Schiffe den groß, doch sehr alt und berühmt durch Namen. Minerva (Pallas Athene) Kriegs- die Erscheinung von Göttinnen, die sie „ M ü t t e r " heißen." Plutarch, göttin, deren altes Bild, d a s Palladium, auf der B u r g von T r o j a besonders ver- | Marcellus 20. Goethe F a u s t II 6216. Mutusca sabinische S t a d t . ehrt wurde. Auch Erfinderin und Schützerin der häuslichen F r a u e n Mykine in Argolis, Residenz A g a arbeiten. memnons. Mykonus Insel der K y k l a d e n , unMlnio Flüßchen bei Cäre. Mlnos, Sohn des Zeus und der E u mittelbar bei Delus. ropa, König von Gnosus auf K r e t a , M u m m l u s Konsul 146 v . Chr., E r Gemahl der Pasiphae, Vater der oberer von Korinth. Ariadne. E r machte Athen wegen Myrmidonen achäische Völkerschaft E r m o r d u n g seines Sohnes Androgeos im südöstlichen Thessalien (Phthiotis), (s. d.) tributpflichtig. Seiner Gerech- Mannen Achills. tigkeit wegen wurde er einer der drei Nar Nebenfluß des Tiber mit Richter der Unterwelt. schwefelhaltigem Wasser auf der Minotaurus (Minosstier), Sohn der Grenze zwischen Umbrern und S a P a s i p h a e und eines Stieres, Misch- binern. E r n i m m t den Velinus a u f . g e s t a l t a u s Menschenleib und StierNaryx S t a d t der opuntischen Lokrer. kopf. Naxus, die größte der K y k l a d e n , Mischgold eine Mischung von Gold w a r f r u c h t b a r an Wein. Zu Ehren und Silber. des Weingottes wurden hier rauM i s i n u s Troer im Gefolge des schende F e s t e gefeiert. Äneas, a m K a p Misenum begraben. N i m e a T a l in Argolis mit dem

Neoptolemus — Olymp Haine des Zeus, in dem alle drei J a h r e die nemeischen Spiele gefeiert wurden. Neoptolemus (Pyrrhus), Achills Sohn, an der Zerstörung Trojas hervorragend beteiligt, f ü h r t e Hektors Witwe Andromache und Helenus, den als Wahrsager bekannten Sohn des Priamus, als Gefangene mit sich nach Griechenland, wurde König in Epirus und heiratete Andromache. Nach seinem Abzüge wurde Helenus Gemahl der Andromache und nahm als König der Chaoner Äneas und dessen Leute nach ihrer Landung bei But h r o t u m freundlich auf. Priamus' Fluch II 535 ging insofern in Erfüllung, als Neoptolemus vor der Zeit durch Orest ( I I I 331) seinen Tod fand. Neptun, Bruder des J u p p i t e r und Pluto, Gott des Meeres, erbaute im Verein mit Apollo die Mauern Trojas und legte sie bei dessen Zerstörung mit dem Dreizack nieder. Nereus Meerdämon, z u k u n f t s k u n dig, Vater der Thetis und der übrigen Nereiden, wohnt in der Tiefe des ägäischen Meeres. Nereustdchter = Nereiden, Töchter des Nereus und der Doris. N£ritos Hauptgebirge von Ithaka. Nersä Bergstadt im Gebiet der Äquikuler (s. d.). Nisäa („Nisäerin" nach Nisa benannt, einer Hafenstadt am saronischen Meerbusen) Nereide. Nlsus, Sohn des Hyrtakus, Troer im Gefolge des Äneas, Freund des E u ryalus. Nomaden verächtlich f ü r Numider. Nomentum albanische Kolonie nördlich von Rom. Numa s. Kures. Numicus Küstenfluß Latiums bei der R u t u l e r s t a d t Ardea. Ntfmlder ( „ N o m a d e n " ) wildes Hirtenvolk in Afrika, berühmt als Reiter, südwestlich von Karthago. Ndmitor, König von Alba, Vater der Rhea Silvia.

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Nursia (Norcia) S t a d t im nördlichen Sabinerlande. Nymhpen Verkörperungen des geheimnisvollen Waltens der N a t u r kräfte auf der Erde und im Meer, in Wald und Feld, in Berg und Tal, in den Quellen und Flüssen. Nysa Berg in Indien, wo nach späterer Sage Bacchus von Nymphen aufgezogen sein sollte und von wo er seinen Triumphzug durch die Welt a n t r a t auf einem von Tigern gezogenen Wagen. ! Öbalus, Sohn des Telon und der ! Nymphe Sebethis, König von Capri j und einem Teil Campaniens. | Öchilla Stadt auf Euböa, die Herkules zerstörte, weil ihr König ihm seine Tochter Iole vorenthielt. önotrer ursprünglich Bewohner des südöstlichen Teiles von Italien, dann verallgemeinert = Italiker. Önotria („Weinland") ursprünglich Name des südöstlichen Teils von Italien, später auf die ganze Halbinsel übertragen. Oknus Erbauer von Mantua. Sohn der Nymphe Manto und des „ t u s k i schen Flusses" Tiber. Octavlanus („Sohn des Octavius") oft gebrauchter Name des ersten römischen Kaisers, Sohnes eines Cajus Octavius, der aus Veliträ im Volskerlande nach Rom gezogen und Prätor geworden war. Vom Diktator Cäsar adoptiert, unterließ es der Kaiser, durch den Zusatz Octavianus auf seine Herkunft hinzuwiesen, was Adoptierte sonst zu tun pflegten; trotzdem bürgerte sich der Name, den auch Cicero brauchte, bei späteren Geschichtschreibern ein. Oltarus Kyklade westlich von P a rus. Olymp der Götterberg. Der Sonnenwagen f ä h r t am Morgen durch das geöffnete Tor von hier aus und kehrt abends wieder hierher zurück. Ist er eingefahren, so wird das Tor geschlossen.

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Opheltes — Pallas

Opheltes Vater des Euryalus. Opis Nymphe der Diana, die im Auftrage der Göttin Camillas Mörder mit Tod bestraft. Opus s. Lokrer. Orestes, Agamemnons Sohn, erschlug seine Mutter Klytämnestra, die Mörderin seine Vaters. Dafür wurde er von den Erinyen verfolgt. Als er in Apolls Tempel zu Delphi geflüchtet war, den sie nicht betreten durften, lauerten sie ihm an der Tempelschwelle auf. Ihm war Hermione, die Tochter des Menelaus und der Helena, als Gattin zugesagt worden. Da sie sich aber mit Neoptolemus vermählte, tötete diesen Orest und verfiel, wie nach Ermordung seiner Mutter Klytämnestra, zum zweitenmal der Verfolgung der Erinyen. Orion Sternbild; sein Untergang anfangs November fällt mit dem Eintritt stürmischer Witterung zusammen. Wegen seines hellen Glanzes dachte man ihn sich mit goldenem Gürtel und Schwert ( I I I 517). Orlthyia Gattin des Boreas, Mutter der schnellsten und edelsten Rosse. Orkus Unterwelt, Totenreich, auch persönlich: Herrscher des Totenreichs. Orontes Steuermann eines mit Lykiern besetzten Schiffes des Äneas, das als einziges bei dem Sturme I 81— 123 unterging. Orpheus, Sohn des Apollo und der Muse Kalliope, thrakischer Sänger, der durch sein Saitenspiel Proserpina bestimmte, ihm seine gestorbene Gattin Eurydike unter der Bedingung zurückzugeben, daß er sich nach ihr nicht eher umsähe, als bis sie die Oberwelt erreicht hätten. Er erfüllte die Bedingung nicht und verlor sie wieder. Ortygia 1. Insel bei Syrakus; 2. alter Name f ü r Delus. Osker Volk in Campanien. Pachynum Vorgebirge an der Südostspitze Siziliens. Padüsa südlichster Arm des Po (Padus) im Mflndungsdelta.

Päan Jubelhymnus, Lobgesang auf Apollo. Päon („Heil") Beiname des Heilgottes Apollo, dessen Sohn Äskulap ist. Paktölus Fluß in Lydien. Er f ü h r t e Goldsand, der bei Überschwemmungen auf dem Lande zurückblieb. Palämon (Melikertes), Sohn der Ino, von den Römern unter dem Namen Portunus als Hafengott verehrt. Palamides, Sohn des Königs N a u plius von Euböa, durchschaute den erheuchelten Wahnsinn, durch den sich Ulixes dem Zuge gegen Troja entziehen wollte, und zwang ihn zur Teilnahme. Hierfür rächte sich Ulixes dadurch, daß er gegen Palamedes den Verdacht des Verrats erregte und dessen Steinigung veranlaßte. Palatium der palatinische Hügel in Rom, Sitz des Königs Euander. Palicus, meist in der Mehrzahl, namengebender Heros der Stadt Palica auf Sizilien nordwestlich von Syrakus. Dabei ein See, in dem heiße Schwefelquellen entspringen. Palinurus Steuermann des Äneas. Auf der Fahrt von Sizilien nach K u m ä vom Schlaf übermannt, stürzt er bei Velia in Lukanien (südlich von P ä stum) über Bord und findet seinen Tod. Seinen Namen bewahrt das nach ihm genannte Kap. Palladium das Bild der Pallas Athene in ihrem Tempel auf der Burg von Troja. Es zeigte die Göttin in Abwehrstellung: den linken Arm mit dem Schild h a t t e sie zur Deckung, die Rechte mit der Lanze zum Stoße erhoben. Pallanteum S t a d t der arkadischen Auswanderer unter Euander, dort erbaut, wo später Rom lag. Man bringt den Namen des palatinischen Hügels mit der ähnlich klingenden Stadt zusammen. Pallas 1. Kriegsgöttin s. Minerva. 2. Sohn Euanders, fällt im Kampfe

Panacee — Perusia f ü r Äneas. 3. A h n h e r r der Arkader, die, aus der Heimat vertrieben, am Tiber die Stadt Pallanteum erbauen. Panacee („Allheilkraut") eine p h a n tastische Pflanze, die jede Krankheit heilen sollte. Pandarus 1. Führer der Lykier, ausgezeichneter Bogenschütze, der den zwischen Griechen und Troern abgeschlossenen Vertrag auf Geheiß der Minerva dadurch störte, daß er einen Pfeil auf Menelaus schoß. 2. Troer im Gefolge des Äneas, von riesiger Größe wie sein Bruder Bitias. Panope(a) („Helle") Nereide. Pantagias Küstenfluß bei Leontini (Ostküste Siziliens). Pinthus, Othrys' Sohn, Priester Apolls auf der Burg von Troja. Paphus Stadt auf K y p r u s mit einem berühmten Heiligtum der Venus. Paris, Sohn des Priamus, der Helena nach Troja e n t f ü h r t als Belohnung dafür, daß er in dem Schönheitswettstreit zwischen J u n o , Minerva und Venus dieser den Preis zuerkennt. Parthenopäus aus Arkadien, einer der sieben Helden, die vor Theben den Tod fanden. Parther Volk im Süden des Kaspischen Meeres. Deren König Phraätes gab den Römern i. J . 20 v. Chr. die ihnen bei Karrhä abgenommenen Feldzeichen wieder zurück, eine diplomatische Großtat des Augustus. Parthiner ein illyrischer (dalmatischer) Volksstamm, f ü r dessen Unterwerfung Asinius Pollio 39 v. Chr. der Triumph zuerkannt wurde. Parus Kyklade westlich von Naxus, berühmt durch Marmorbrüche. Der parische Marmor zeichnet sich durch Festigkeit vor anderen aus und heißt bei römischen Steinmetzen noch heute marmo greco duro. Parzen die Spinnerinnen des Schicksalfadens (s. Schicksal). Paslphae, Gattin des Minos, bekannt wegen ihrer unnatürlichen Liebe zu

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einem Stier, die sie dadurch befriedigte, daß sie sich, in eine von Dädalus verfertigte Kuh versteckt, ihm hingab und von ihm den Minotaurus gebar. In der Unterwelt weilt sie mit andern unglücklich Liebenden in der Einsamkeit der Trauergefilde. Pätara Stadt in Lykien mit einem Orakel Apollos. Patavlum Stadt in Venetien, jetzt Padua. Pellas Trojaner. Pelörum nordöstliches Kap Siziliens. Es tritt so nah an die gegenüberliegende Küste Italiens heran, daß es f ü r den von Süden kommenden Schiffer die Straße von Messina zu verschließen scheint. Nähert man sich ihm, so lockert sich der Verschluß, die Durchfahrt wird sichtbar. Penaten Schutzgottheiten der Familie und des aus Familien entstandenen Staates. Als Götter des Herdes haben sie ihren Platz im innersten Räume des Hauses, der Küche, im Tempel im unzugänglichen Allerheiligsten (Adytum). Ptneleus Führer der Böoter vor Troja. Penthesilia Königin der Amazonen. Pentheus, König von Theben, widersetzte sich der Einführung des Bacchusdienstes in seinem Lande und wurde dafür mit Wahnsinn bestraft. Pirgama Name der Burg von Troja. Peridia Mutter des Echioniden Onites. Piriphas Grieche, im Gefolge Neoptolems an der Zerstörung Trojas beteiligt. Personifikationen abstrakter Begriffe: Treue (Fides) mit Vesta zusammen genannt (I 292), der ehrwürdigen Hüterin des häuslichen Herdes; Wahnsinn (Furor), der die Bürgerkriege entfesselte; Krieg (Bellum); Abend (Vesper) s. Olymp. Perusia (Perugia) etruskische Bergveste zwischen dem Trasimenischen

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Petelia — Pollio

See und dem Tiber, Mittelpunkt des perusinischen Hungerkrieges (fames perusina). Pettlia griechische Pflanzstadt in Bruttium unweit Kroton. Phäaken das märchenhafte Volk der Odyssee. Ihren Wohnsitz dachte man sich auf der Insel Korkyra. Phädra, Gemahlin des Theseus, brachte ihrem Stiefsohn Hippolytus, der ihre Liebe zurückgewiesen hatte, durch Verleumdung bei Theseus und dann sich selbst den Tod. Phaethon, Sohn des Sol, der ihm einmal die Leitung des Sonnenwagens überläßt. Da er durch Abirren von der Sonnenbahn die Erde in Brand steckt, erschlägt ihn J u p p i t e r mit dem Blitze. Seine Schwestern, die ihn unaufhörlich beweinen, werden von den Göttern aus Mitleid in P a p peln verwandelt. Phineos Stadt in Arkadien am Fuße des Kyllenegebirges. Philipp! Stadt im östlichen Mazedonien, bei der sich i. J . 42 das Schicksal der Cäsarmörder entschied. Philoktet, Führer der Magnesier, erbte von Herkules dessen Bogen und Pfeile, ohne die Troja nicht erobert werden konnte. Gilt als Erbauer von Petelia. Phineus, ein blinder Seher in T h r a zien, wurde von den Harpyien heimgesucht, weil er seine Söhne geblendet hatte. So oft er aß, raubten ihm die Untiere die Speisen und verunreinigten den Rest. Auf der Rückkehr der Argonauten befreiten ihn die Boreaden von dieser Plage, indem sie die Vögel bis zu den Strophaden verfolgten. Phligethon („Feuerstrom") H a u p t fluß der Unterwelt. Phligyas, König der Lapithen, Vater des Ixion, zündete den delphischen Apollotempel an und büßte dafür in der Unterwelt. Phöbe Mondgöttin, Diana. Phdbus Sonnengott, Apollo.

Phöbusgewelht hieß ein Kind (X 316), das der während der Geburt gestorbenen Mutter aus dem Leibe geschnitten und durch den Schutz des Heilgottes Phöbus am Leben erhalten worden war. Phönix, Achills älterer Freund, h a t t e ihn im Gebrauch der Waffen unterwiesen und war ihm als Führer einer Myrmidonenschar in den trojanischen Krieg gefolgt. Pholus ein Kentaur. Phorbas Troer im Gefolge des Äneas, bei Homer Vater des Ilioneus. Phorkus Meerdämon, Sohn Neptuns, Vater der Gorgonen und Gräen. Phryglen Name zweier Landschaften in Kleinasien, a. Kleinphrygien, östliche Nachbarlandschaft der Troas. b. Großphrygien, östliche Nachbarlandschaft von Mysien, Lydien, K a rien. Phrygler = Troer. Phthla s. Pthia. Picus, Sohn des Saturnus, Vater des Faunus, erster König von Latium. Da er die Liebe der Zauberin Kirke zurückwies, verwandelte sie ihn in einen Specht (picus). Pilumnus, Sohn des Faunus, ländliche Gottheit der Latiner, Urgroßvater des Turnus. Pinarlus Name eines alten römischen Geschlechts, dem lange die Obhut des „Großen Altars" a n v e r t r a u t war. Plrlthoos, König der Lapithen in Thessalien, Sohn des Ixion, wollte mit Theseus Proserpina aus der Unterwelt entführen. Pisa Stadt in Etrurien, der Sage nach eine Gründung des elischen Pisa. Plemyrium Vorgebirge, das den Hafen von Syrakus auf der Südseite abschließt. Pluto s. Dis. Polltes Sohn des Priamus, vor den Augen des Vaters von Neoptolemus erschlagen. Pollio, G a j u s Asinius, 76 v. Chr. —4 n. Chr. (Anhang I), Parteigänger Cä-

Pollux — Pyrgi sars, nach dessen Ermordung Octavians. 40 Konsul, 39 als Prokonsul Triumphator über die illyrischen Parthiner, seitdem P r i v a t m a n n in Rom. Gründet hier ein Museum plastischer Kunstwerke (Farnesischer Stier) und die erste öffentliche Büchersammlung, Mittelpunkt der Studien über die Urgeschichte Italiens und Griechenlands. Pollux, Sohn der Leda, war unsterblich, weil J u p p i t e r sein Vater war, sein Bruder Kastor als Sohn des Tyndareos sterblich. J u p p i t e r willigte nach Kastors Tod darein, d a ß beide Brüder abwechselnd einen T a g in der Unterwelt, einen im O lymp zusammenlebten. Polybötes troischer Priester der Ceres. Polydörus jüngster Sohn des Priamus und der Hekuba. Um ihn vor Gefahren zu schützen, h a t t e ihn Priamus mit vielen Schätzen zu seinem Gastfreunde, dem Thrakerkönig Polymestor, geschickt. Dieser ermordete ihn, um sich der Schätze zu bemächtigen. Polyphem der von Ulixes geblendete Kyklop. Pometli (Pometium) albanische Kolonie bei Rom. Pompejus (Sextus), Sohn des Gegners des Diktators Cäsar, h a t t e eine Freibeuterflotte in Sizilien zusammengebracht, brandschatzte die Küsten Italiens und suchte Rom die Zufuhr abzuschneiden. Durch zwei Seesiege machte ihn Agrippa unschädlich. Populonla K ü s t e n s t a d t in Etrurien, Elba gegenüber. Porsenna, König von Etrurien, wollte den vertriebenen Tarquinius nach Rom zurückführen. Portunus Hafengott, der die Schiffe in den Schutz des Hafens geleitet. S. Palämon. Potltlus N a m e eines alten römischen Geschlechts, dessen Ahnherr zuerst den Herkuleskultus am „Großen A l t a r " angeordnet haben soll.

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Präneste (Palestrina) Stadt in Latium östlich von Rom. Priamus 1. König von Troja, unter dem die Stadt erobert wurde, Vater des Hektor und Paris, der Kassandra und Polyxena. 2. Enkel von 1, Sohn des Polites, der beim Trojaspiel eine der Rotten a n f ü h r t (V 563) und später die Stadt Politorium erbaut. Prlstls, ein Seetier, Schiffsname. Privernum alte Stadt in Latium, Residenz des Metabus. Pröcida (Prochyta) Insel vor dem Golf von Neapel. Prokas König von Alba, Vater des Numitor und Amulius. Prokrls, Tochter des attischen Königs Erechtheus, ging aus Eifersucht ihrem Gemahl Kephalus im Walde nach und wurde von ihm aus Versehen erschossen. Proserpina, Tochter Juppiters und der Ceres, Gemahlin Plutos, Herrin der Unterwelt. Da Pluto Bruder Juppiters ist, heißt er VI 402 Proserpinas Oheim. Proteus' Säulen die südlichste Begrenzung des Mittelmeers wie „ H e r k u les' Säulen" dessen westlichste. Daß die flache Insel Pharus an der ägyptischen Küste, wohin Menelaus nach Homer gelangt, die Vorstellung einer hohen Säule erwecken konnte, erklärt ihr berühmter Leuchtturm. Der Name Pharus ist geradezu zu einem Appellativum geworden = Leuchtturm. Pthia Stadt in Thessalien, Heimat Achills. Punler (Poeni Kurzform f ü r Phoenices) Bewohner von Phönizien und Karthago. Pygmalion, König der Tyrier, ermordet Sychäus, den Gemahl seiner Schwester Dido, um sich in den Besitz von dessen Schätzen zu setzen. Pyrakmon („Amboß") einer der Kyklopen. Pyrgi altes Küstenkastell in E t r u rien.

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Pyrrhus — Samos

Pyrrhus = Neoptolemus. Pythia Priesterin Apollos zu Delphi. Qulrlnus Name des vergötterten Romulus. Quirlten („die alten" VII 710) die Bewohner von Cures, der alten satanischen H a u p t s t a d t , hart an der Grenze von Latium. Remus Zwillingsbruder des Romulus. Die alte Sage läßt ihn von seinem Bruder getötet werden, als er zum Hohn die niedrige Mauer Roms überspringt. Im friedlichen Rom des Augustus sind beide Brüner versöhnt und hüten als Verklärte gemeinsam das Recht (I 292). Rhadamanthus, Bruder des Minos, König von Gnosus, einer der drei Richter der Unterwelt. Rhamnes Freund des Turnus, dessen Augur er war. Rhea Silvia, Tochter Numitors, Vestalin in Alba, von Mars Mutter des Romulus und Remus, von Herkules Mutter des Aventin. Rhein heißt zweimündig (VIII 727), weil die Waal als sein zweiter Mündungsarm angesehen wird. Rhesus kommt den Troern mit einer Schar von Thrakern zu Hilfe. Auf einem nächtlichen Zuge töten Diomedes und Ulysses den König und die Mannen und entführen seine schimmernden Rosse. Rhipeus Trojaner. Rhöteum Vorgebirge der Troas. Romulus Sohn des Mars und der Rhea Silvia, Zwillingsbruder des Remus, Gründer Roms. Er weihte als erster die spolia opima dem Juppiter. Romulus' Freistatt das Asyl, das der erste König f ü r Leute aller Art aus der Nachbarschaft öffnete, um der schwachen Bewohnerzahl der jungen Stadt aufzuhelfen. Romulus' Helm ist die strohgedeckte, H ü t t e am Kapitol, in der der erste König hauste. Man erhielt sie sorgfältig und erneuerte das Strohdach von Zeit zu Zeit.

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Rosische Fluren, die fruchtbare Gegend zwischen dem See Velinus und Reäte im Sabinerland. Rufrä Stadt in Campanien an der Grenze von Samnium. Ruten s. Abzeichen. Rutuler Volksstamm in Latium, H a u p t s t a d t Ardea. Rütulus namengebender Heros der Rutuler in Latium. Sabüer ein arabischer Stamm. Sabeller die kleineren Völkerschaften sabinischen Stammes: Marser, Marruciner, Päligner, Vestiner, dann allgemein = Sabiner. Sabiner altitalische Völkerschaft, Nachbarn der Latiner am Nar und mittleren Tiber, als sittenstreng bekannt. Sablnus Stammvater der Sabiner. Sakranlsch einem Volksstamm der Rutuler bei Ardea in Latium angehörig. Salier („Springer") Priesterkollegium des Mars, dessen Fest sie im März durch Umzüge, Waffentänze und üppige Mahlzeiten feiern. Auch am Herkulesfest nehmen sie teil ( V I I I 285). Sie hüten die heiligen, vom Himmel gefallenen, an beiden Seiten ausgeschnittenen Schilde (ancilia), die sie bei ihren Festen tragen. Sallentiner Völkerschaft in Kalabrien. Salmoneus, König von Elis, glaubte es dem Gewittergott J u p p i t e r gleichtun zu können, wenn er auf einem Viergespann donnernd einherfuhr und Fackeln mit den Händen schwang. Juppiter streckte ihn durch einen Blitz nieder, da er sich vermaß, göttliche Ehren zu fordern. Salzmehl (II 133) mit Salz vermischtes Speltmehl, zum Bestreuen der Opfertiere verwendet. ; Same die größte der ionischen Inseln südwestlich von Ithaka, deren späteren N a m e n Kephallenia Virgil nicht kennt. Samos ionische Insel an der West-

Samothrake — Sebethis

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küste Kleinasiens mit einem berühm- aufgezählt werden, die zu dem Zuge Kontingente gestellt haben, begnügt ten Heiligtum der J u n o . Samothrake („das thrakische Sa- sich Virgil mit wenigen Führern und mos") Insel vor der thrakischen Küste. Städten, gibt aber von ihnen nicht Sarno Fluß im südlichen Campa- bloß die nackten Namen und Zahlen, sondern Charakterisert die Führer nien. Sarpédon König von Lydien, J u p - nach ihrem Wesen, beschreibt die Schiffe mit ihrem Bilderschmuck und piters Sohn, vor Troja gefallen. Sarrasten Volksstamm im südlichen entwirft von der nächtlichen F a h r t ein anschauliches und lebensvolles Campanien. In seinem an glänzenden Saticula Stadt an der samnisch- Bild. campanischen Grenze östlich von Ca- Schilderungen reichen Epos ist diese eine der gelungensten und zeigt bepua. Sàtura Sumpf, See in Latium in sonders deutlich, mit welcher Kunst der römische Dichter seine griechischen den pomptinischen Sümpfen. Saturnia Stadt am Kapitol, von Vorbilder ummodelte und vertiefte. Saturn erbaut und nach ihm benannt. Schild (heiliger) unter Numa vom Saturn(us) altitalischer Flurengott, Himmel gefallen. Er hieß ancile, weil Verkörperung des saturnischen ( = er an jeder Seite einen runden Ausgoldenen) Zeitalters. Später wird er schnitt hatte, was Varro mit ambidem griechischen Kronos, dem Vater caedo zusammenbringt. Bei ihren des J u p p i t e r , gleichgesetzt. Springprozessionen trugen die MarsSchicksal ist das oberste Gesetz, priester (Salier) solche Schilde. nach dem eines Menschen, eines Schilddach das von stürmenden Volkes Leben verläuft. Unpersönlich Soldaten durch die hoch gehaltenen gedacht, greift es selbst in die Geschicke und dicht übereinander gelegten der Menschen nicht ein. Seine Voll- Schilde gebildete Schutzdach. strecker sind Götter, insbesondere Schlafgott, bei Homer noch nicht Juppiter, später drei Schwestern, die anschaulich entwickelt, bei Virgil Parzen, von denen eine den Lebens- volle Persönlichkeit. Er läßt sich auf faden spinnt, die zweite seine Länge Flügeln vom Himmel herab, nimmt durchs Los bestimmt, die dritte ihn Menschengestalt an, zwingt Palinurus abschneidet. durch s y n e Zauberrute in Schlaf und Schiffskatalog nennt man in Er- stürzt ihn ins Meer (V 838—861). innerung an den der Ilias (B 494—759) Schlaufe s. Wurfspeer. wenig zutreffend die kurze Aufzählung Schwäher und Eidam VI 830 f. der Schiffe (X 156—212), die zum sind Cäsar und Pompejus, der mit Entsatz seines Lagers Äneas aus Cäsars Tochter Julia vermählt war. Etrurien an die Tibermündung f ü h r t . | Scipio Name im cornelischen GeDer homerische ist tatsächlich ein schlecht. Publius Cornelius Scipio trockenes Verzeichnis aller griechi- beendet 201 den zweiten punischen schen Städte und Stämme, die zu Krieg durch Besiegung Hannibals. Schiff an dem Zuge nach Troja teil- Der jüngere Namensvetter erobert nehmen. Der virgilische aber eine 146 Karthago. lebendige Schilderung der Nachtfahrt, Scribonia erste Gemahlin d e s A u g u die das etruskische Geschwader unter stus, Mutter seiner Tochter Julia. Er Äneas' Führung u n t e r n i m m t , um verstieß sie anfangs 39 an dem Tage, möglichst schnell nach Latium zu wo sie ihm statt des ersehnten Sohnes kommen. Während bei Homer alle die Tochter geboren hatte. S t ä d t e des Festlandes und der Inseln Sebithis Tochter des Flußgottes

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Seelenwanderung — Siziiische Musen

Sebethus bei Neapel, Mutter des Öbalus. Seelenwanderung VI 724—751. Der Mensch ist seinem Körper nach irdischen, seiner Seele nach himmlischen Ursprungs, jener für diese ein Kerker. Durch das lange Zusammenwohnen mit den von sinnlichen Trieben und andern Begierden beherrschten Körper wird allmählig auch der reine Gotteshauch der Seele befleckt und bleibt auch nach der Scheidung vom Körper mit diesen Flecken behaftet. Deshalb m u ß sie sich in der Unterwelt kürzeren oder längeren Läuterungen unterziehen, je nachdem sie den sinnlichen Trieben kräftigeren oder schwächeren Widerstand geleistet hat. Dauernd im Elysium bleiben nur die ganz wenigen, die durch das irdische Leben so gut wie makellos hindurchgegangen sind. Die große Masse der Seelen muß noch ein oder mehrere Mal auf die Oberwelt zurück und sich einen neuen Körper suchen, bis sie durch wiederholte Läuterung den Grad der Reinheit erreichen, der f ü r den dauernden Aufenthalt im Elysium Voraussetzung ist. Vorher müssen sie aus dem Lethestrom trinken, damit sie ihres früheren Erdenlebens vergessen. Selinus Stadt an der Südküste Siziliens, noch heute reich an Palmen. Serestus angesehener Troer im Gefolge des Äneas. Sergest Troer im Gefolge des Äneas. Sergier Name eines patrizischen Geschlechts, V 121 des Anklangs wegen mit dem Troer Sergest in Verbindung gebracht. Serranus, ausgezeichnet als Feldherr im ersten punischen Kriege, soll mit Säen (serere!) beschäftigt gewesen sein, als er die Nachricht von seiner Wahl zum Konsul erhielt. Severus Gebirgszug im Sabinischen söstlich von Nursia. Sibylle greise Tempeldienerin, von Apollo mit der Gabe der Weissagung

ausgestattet. Später in der Mehrzahl, deren berühmteste die kumäische. S. Deiphobe. Sidiciner Volksstamm in der Nordecke von Campanien. Hauptstadt Teanum. Sldon die älteste der phönikischen Großstädte. Auf ihren Münzen nennt sie sich „Mutter von Tyrus". Sidonische Künstler schon Homer bekannt. Signum Vorgebirge am Westeingange des Hellespont. Sikäner eine angeblich aus Iberien (Spanien) stammende, über Italien eingewanderte Völkerschaft Siziliens. Nach ihnen heißt III 692 die Bucht von Syrakus sikanisch. Spuren von ihnen am Tiber V I I I 328, X I 317. Sila Bergwald in Bruttium. Silvia Schwester des Tyrrhus. Sllvius, Sohn des Äneas und der Lavinia, erster König von Alba, nach dem alle späteren den Namen Silvius f ü h r t e n . Einer von diesen hatte den Beinamen Äneas (VI 769). Simols Fluß der Troas, Nebenfluß des Skamander. Helenus h a t t e einen Fluß in Epirus Simois genannt, „der falsche" III 302. Sinon („Schädling") ein Grieche, durch A b s t a m m u n g und Verschlagenheit dem Ulixes nahestehend, überredet die Troer, das hölzerne Roß auf die Burg zu bringen. Sirenen in der bildenden Kunst Mischwesen: Vogelleib mit Frauenkopf, später Frauenkörper mit Flügeln und Vogelkrallen. Dämonische Todeswesen, häufiger Schmuck auf Grabmälern. Sirius der Hundsstern, hellster Stern im Sternbild des Hundes, mit dessen Aufgang Mitte Juli die heißesten Tage einsetzen (Hundstage). Sistrum ägyptische, besonders im Isisdienst verwendete, metallene Klapper. Siziiische Musen heißen die Musen des Hirtenlieds, weil sein Heimatland

Skäisches — T a r e n t Sizilien war u n d sein H a u p t v e r t r e t e r Theokrit, das Vorbild Virgils, v o r zugsweise hier lebte. Skäisches T o r das H a u p t t o r T r o j a s im Westen. Skamander H a u p t f l u ß der troischen Ebene. Skylakium achäische Kolonie in Bruttii. Skylla ein Meerungeheuer, das in einer Höhle h a u s t , aus der sie ihre überlangen Hälse u n d Köpfe herausstreckt, u m die vorbeifahrenden Schiffe zu packen. Bis z u r Schani ist sie J u n g f r a u , von hier an geht sie in einen Wolfskörper über, an den sich ein Delphinschwanz ansetzt. Um die H ü f t e n h a t sie einen Kranz von H u n d e hälsen. A u c h Schiffsname. Skyros eine der Sporaden, von wo nach dem T o d e Achills Ulixes dessen Sohn Neoptolemus zur Teilnahme an den K ä m p f e n vor T r o j a abgeholt hatte. Skythen heißen mit gemeinsamem N a m e n die N o m a d e n s t ä m m e im nordöstlichen E u r o p a u n d den angrenzenden Teilen Asiens. Sol (Helios) Sonnengott. Sorakte Berg im südlichen E t r u r i e n , von R o m a u s sichtbar. Speltkuchen (VII 110) ein hartes, h a l t b a r e s Gebäck aus Mehl, geriebenem Käse u n d Eiern nach A r t unseres Schiffszwiebacks, r u n d e Fladen, die d u r c h ein v o r dem Rösten in den Teig eingedrücktes Kreuz in vier Viertel geteilt sind, u m den Fladen in gleich große S t ü c k e brechen zu lassen. Spiele des Phöbus (VI 70) sind die von A u g u s t u s lange geplanten J a h r hundertspiele, ursprünglich den G ö t t e r n der Unterwelt, Dis u n d Proser-, pina, j e t z t den G ö t t e r n des Lichts Apollo u n d Diana, geweiht. D a s von Horaz im A u f t r a g e des Kaisers gedichtete Festlied s t e h t als Carmen saeculare u n t e r den Oden des Dichters. Splo ( „ G r o t t e n b e w o h n e r i n " ) Nereidenname. Tr en de 1 e n b u r g , Virgils Aeneis.

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Spolia oplma ( „ E d e l b e u t e " ) die dem getöteten F ü h r e r der Feinde a b genommene R ü s t u n g . Sport s. W e t t r u d e r n , Wettlauf, F a u s t k a m p f , Bogenschießen, T r o j a spiel. Stern des julischen Geschlechts. Bei den ersten Leichenspielen zu Ehren Cäsars s t a n d ein K o m e t sieben Tage am Himmel, in dem das Volk die Seele des Vergötterten sah. Deshalb tragen Cäsars S t a t u e n im Scheitel einen Stern, wie A u g u s t u s in der Schlacht bei A k t i u m ( V I I I 681). SUropes ( „ B l i t z " ) einer der K y k lopen. Sthinelus, Sohn des Käpaneus, einer der griechischen H e e r f ü h r e r , die sich im Bauche des hölzernen Pferdes versteckt hatten. Stirnauswuchs ist bei eben geworfenen Füllen ein kleines, selten beobachtetes Fleischgewächs auf der Stirn, das zu Liebestränken u n d andern Zaubereien b e n u t z t wurde. Die M u t t e r s t u t e , meinte m a n , fresse es bald nach der G e b u r t ab. Strophaden kleine Inseln im Süden des ionischen Meers. Strymon (jetzt S t r u m a ) H a u p t f l u ß Thrakiens, Lieblingsplatz der K r a n i c h schwärme. Styx Fluß der Unterwelt. Stygisch = unheilvoll, höllisch. Sychäus, der größte Grundbesitzer von Tyrus, Gemahl der Dido, von Pygmalion ermordet. Symäth(us) Fluß an der Ostküste Siziliens unweit C ä t a n a . Syrten ( „ S a n d b ä n k e " ) zwei Meerbusen an der Nordwestküste von Afrika, von den Schiffern wegen der Untiefen g e f ü r c h t e t , von räuberischen Küstenvölkern u m w o h n t . Taburnus Bergzug an der Grenze von S a m n i u m u n d Campanien. Tarchon etruskischer König, der m i t Äneas ein Bündnis schließt. Tarent im Norden des danach genannten Meerbusens wird III 551 21

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Tarkon — Thrakischer

als eine Gründung des Herkules bezeichnet. Die landläufige Sage nennt Taras, den Sohn Neptuns, als Gründer. Tarkon ein Lyder, der in Etrurien zwölf Städte gründete und der Stadt Tarkynia (Tarquinii) den Namen gab. Tarpejlsch heißt der südöstliche steile Abfall des capitolinischen Berges, von dem man Verbrecher herabstürzte. Tarqutnler zwei Könige Roms, der fünfte und siebente (letzte). Jener heißt T. Priskus, dieser T. Superbus. Zwischen ihnen regierte der von Virgil in seiner Aufzählung VI 808— 818 übergangene Servius Tullius. Tartarus der Ort der Übeltäter in der Unterwelt. Tatlus König der Sabiner, Mitregent des Romulus. Taubenschlefien V 485—544. Vier Bewerber, darunter Eurytion, Pandarus' Bruder, und Akest, der allein als Älterer an dem jugendlichen Wettstreit teilnimmt. Eurytion erlegt die Taube im Fluge, erhält aber nicht den ersten Preis, den Äneas vielmehr eines Wunders wegen dem Akest übergibt. Als die Taube getroffen war, schnellt dieser seinen Pfeil ohne Ziel in die Luft. Dieser fängt Feuer und zieht als Meteor mit flammendem Schweif über den Himmel hin. Den Sinn des Wunderzeichens versteht im Augenblicke niemand; nur daß es günstig ist, ahnen Äneas und Akest. Ein Komet, der bald nach Cäsars Tod sieben Tage über Rom stand, wurde darauf gedeutet, daß dessen Seele unter die Götter aufgenommen sei. Telamon König auf der Insel Salamis, Gemahl der Priamusschwester Hesione, Vater des großen Ajax und des Teuker. Tillüs ( „ E r d e " ) Erdgöttin, Verkörperung des seit Urzeiten vorhandenen festen Grundes, auf dem alle menschlichen Einrichtungen (IV 166 die Ehe) beruhen.

Telon Vater des Öbalus. Ténedus kleine Insel dicht vor der Küste von Troas. Tétrica unwirtliches Berggelände im Sabinischen. Teuker (-krus), Sohn Telamons, Königs von Salamis, und der Hesione, einer Schwester des Priamus, wurde bei der Rückkehr aus dem trojanischen Kriege von seinem Vater aus Salamis verwiesen, weil er den Tod seines Halbbruders A j a x ruhig h a t t e geschehen lassen. Auf Weisung Apolls verließ er Salamis und fand eine neue Heimat auf der Insel Kyprus, die Belus, König von Sidon, Vater der Dido, eben unterworfen und ihm zum Wohnsitz überlassen hatte. Hier gründete er ein neues Salamis. Teukrer = Trojaner. Teukrus, Urahn der Troer, kam aus Kreta nach der Troas. Thalia („Blühende") Nereide. Thapsus flache Insel vor der Bucht von Megara. Thaumas, Sohn desOkeanus und der Erde, Vater der Iris. Theokrit (um 250 v. Chr.) H a u p t vertreter der Hirtendichtung in Sizilien und Alexandria, Vorbild Virgils. Thermódon Fluß in Pontus, Heimat der Amazonen. Thersander, Sohn des Polyneikes, nahm, versteckt im hölzernen Rosse, an der Eroberung Trojas teil. Thersilochus, Sohn des Antenor, Trojaner. Theseus, Sohn des Ägeus, König von Athen, drang mit seinem Freunde Pirithoos in die Unterwelt, um Proserpina zu entführen. Thetis eine der Nereiden, Tochter des Nereus und der Doris, Mutter Achills, f ü r den Vulkan auf ihre Bitte kostbare Waffen schmiedet. Thoas, König von Ätolien, griechischer Heerführer vor Troja. Thraker ein kriegerisches Volk im Norden der Troas. Thrakischer Sänger = Orpheus.

Thybris — Tritonische Thybris etruskischer König, der im Kampfe am Tiber fiel. Von ihm erhielt der Fluß, früher Albula, seinen jetzigen Namen. Thyiade = Mänade, Bacchantin, Teilnehmerin an den Festen des Weingotts. Mit Fellen von Hirschkälbern bekleidet, den Thyrsus schwingend, Handpauken schlagend, den Kopf mit dem wallenden Haar verzückt in den Nacken werfend, auch wohl Stücke von Opfertieren in den Händen, stürmten die Thyiaden in wildbewegtem Zuge von Theben zum nahen Kithäron. Thymbräer Beiname Apolls nach der Stadt Thymbra bei Troja, wo er ein Heiligtum hatte. Thymötes Troer, der zuerst den Rat gab, das hölzerne Pferd in die Stadt zu ziehn. Thyrsus Stab des Bacchus und der Bacchantinnen, mit Epheu- und Weinlaub umwunden, von einem Pinienzapfen bekrönt. Tiber (Thybris), der Fluß bei Rom, heißt II 782 lydisch-etruskisch, weil man Lydien in Kleinasien f ü r Heimat der Etrusker hielt, in deren Gebiet der Tiber entspringt. Die Wohnung des Flußgottes in der Tiefe eines Sees nahe der Mündung. Tlbur (Tivoli) hoch an den Wasserfällen des Anio (Teverone) gelegene Stadt bei Rom. Tlburtus gründet mit seinen Brüdern Coras und Catillus Tibur. Sie heißen Argiver, weil sie Söhne des Königs von Argos, Amphiaraus, sind, der bei dem Zuge der Sieben vor Theben ums Leben kam. Tiger Name eines erzbeschlagenen Schiffes, dessen Heckschmuck das Schnitzbild eines Tigers war. Tlmävus Küstenfluß bei Aquileja (Venetien). Tiphys Steuermann der Argo. Tlryns Stadt in Argolis, Geburtsort der Mutter des Herkules Alkmene. „Tirynthischer Held" = Herkules.

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Tisiphone („Mordrächerin") eine der Furien. Titanen, Kinder des Himmels und der Erde, das „uralte Geschlecht" (VI 581), weil schon vor J u p p i t e r vorhanden. Die bekanntesten der sechs Brüder sind Kronos (Saturn), Juppiters Vater, dem eine Art Herrschaft über die andern zugeschrieben wird; Okeanus, der seines Amtes als Herr des großen Meeres, das rings die Erdscheibe umfließt, auch unter J u p piters Herrschaft noch waltet, und Iäpetus, Vater des Prometheus. Titanengestirn ist die Sonne als Kind des Titanen Hyperion, Sohnes des Himmels und der Erde. Tithönus Gemahl der Aurora, die für ihn zwar ewiges Leben, aber nicht ewige Jugend erbeten hatte, so daß er zuletzt zur Zikade zusammenschrumpfte. Tityos, Sohn der Erde, vergriff sich an Latona und wurde, von Apolls Pfeilen durchbohrt, von J u p p i t e r in den T a r t a r u s gestürzt, wo ein Geier ihm die stets nachwachsende Leber abfrißt. Toga das nationale Obergewand der Römer, eine den Körper deckende Hülle aus weißer Wolle. Torquatus („der mit der torquis — einer aus Golddraht gewundenen Halskette — Geschmückte") römischer Feldherr, der einen gallischen Heerführer erschlug und ihm die torquis abnahm. Seinen Sohn ließ er hinrichten, weil er sich gegen das Gebot des Vaters in einen Zweikampf mit einem Feinde eingelassen hatte. Trinikria („die Insel mit den drei Vorgebirgen") ältester Name f ü r Sizilien. Trltonen Meerdämonen. Name eines Schiffes mit dem Bilde eines fischleibigen Triton am Bug, der die Muscheltrompete bläst. Tritonische Jungfrau Beiname der Minerva, bei Homer Tpixof^viia, weil sie nach späterer Sage bei einem

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Troas — Umbro

See Triton (bei Tripolis) aufgestiegen sein soll. I Troas Landschaft in der Nordwest- i ecke Kleinasiens mit der H a u p t s t a d t ; Troja. Trojaspiel Der Name h a t mit der j S t a d t Troja nichts zu t u n . Er ist ! aus dem altlateinischen truia = T u m melplatz entstanden. Das Graffito eines der ältesten Gefäße etrurischer Fabrik zeigt in seltsamer Übereinstimmung mit Virgils Schilderung zwei jugendliche nackte Reiter mit Schild und Lanze und neben ihnen den | Grundriß eines Labyrinths (s. d.), dem linksläufig der Name truia beigeschrieben ist zur Andeutung, daß die Reiter aus diesem Tummelplatze kommen. So beschreibt Virgil zuerst das Spiel der Knaben und f ü g t zur Veranschaulichung ihrer verwickelten Wendungen eine Beschreibung des kretischen Labyrinths hinzu. Der \ Grundriß im Graffito stimmt mit dem Grundriß des Labyrinths auf Münzen von Gnosus (Kreta) überein. Bei I Virgil spielen 3 Rotten, jede zu 12 j Knaben, zugleich. Jede Rotte hat ihren „ F ü h r e r " und zerfällt in 2 Halb- | rotten, deren jede unter einem besonderen „Meister" steht. Diese Halbrotten spielen gegeneinander. Tröllus, Priamus' jüngster Sohn, fährt vor das Tor, um sein Gespann zu tränken. Achill lauert ihm am Brunnen auf. Troilus flieht, stürzt, die Zügel fest haltend, rücklings vom Wagen und wird zu Tode geschleift. Türverschluß II 479—482. Oberund Unterschwelle bilden mit den beiden Seitenpfosten den Rahmen f ü r die doppelten Flügel der Tür. Diese hängen nicht in Angeln, sondern drehen sich mit ihren Zapfen in Löchern, die in die Ober- und Unterschwelle eingebohrt sind. Haben die Zapfen durch Zerschmetterung der Schwellen ihren Halt verloren, so lassen sich die Türflügel ohne große Mühe einstoßen.

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Tullus Hostilius dritter König Roms. Turnus, Urenkel der Danae und des Pilumnus, König der Rutuler. Ihm war Lavinia als Frau zugesagt, er mußte sie aber dem Äneas überlassen. Seine Mutter Venilia war Schwester der A m a t a , weshalb er VII 366 deren Vetter heißt. Tuskisch = etruskisch. Tydeus, König von Kalydon in Ätolien, Vater des Diomedes, kam beim Zuge der Sieben vor Theben um. Tydide = Diomedes. Tyndireos Gemahl der Leda, Vater der Helena, Klytämnestra und des Kastor. Typhöeus Sohn des T a r t a r u s und der Erde, ein Riese, der J u p p i t e r vom Throne stoßen will. Er wird von diesem mit dem Blitze erschlagen und unter dem Ätna oder der Insel Ischia ( I X 716) begraben. Tyrler Bewohner der phönikischen Stadt Tyrus. Tyrrhenien griechischer Name f ü r Etrurien, die Küstenlandschaft von Latium. Tyrrhenisches oder unteres Meer heißt das die Westküste, adriatisches oder oberes das die Ostküste Italiens bespülende. iVtrhus Oberhirt des Königs Latinus und Hüter seines Landbesitzes. Er leitet den Überfall der aufgehetzten Bauern auf das Schiffslager der Troer am Tiber. Ufens 1. Fluß im südlichen Latium, der sich mühsam durch die pomptinischen Sümpfe seinen Weg zum Meer bahnt. 2. Ein Held, der Äquerstämme dem T u r n u s gegen Äneas z u f ü h r t . Ukftlegon vornehmer Troer, Mitglied des Rates der Alten. Ullxes (Ulyß) König von Ithaka, Gemahl der Penelope, Vater des Telemach, Typus eines verschlagenen, nie um einen Ausweg verlegenen, in seinen Mitteln nicht wählerischen Griechen. Umbro marsischer Priester, zieht

Unterwelt — Vorzeichen Turnus zu Hilfe, fällt von Äneas' Hand. Unterwelt VI 264—892. Den Eingang bildet nach Art eines römischen Hauses ein Vorplatz (vestibulum), von allerlei Übeln und Ungeheuern bevölkert und in der Mitte von einer riesigen Ulme, dem Sitze der Träume, beschattet. Ein enger Gang ( f a u c e s ) f ü h r t vom Vorplatz in das Innere der Unterwelt, zunächst an den Acheron, über den Charon die Schatten setzt. Jenseits vorn am Eingang (in limine primo, Dantes limbo) weilen die dem Tode unschuldig Anheimgefallenen, weiter nach dem Innern zu die Kriegshelden. Dann gabelt sich der Weg: rechts f ü h r t er zur Stadt des Dis (Dantes citta di Dite) und zum Elysium, der Stätte der SeIigen(Dantes paradiso), links zumTartarus, derStätte der Verdammten (Dantes injerno). In einem vom Hauptwege abgelegenen Tal weilen die Seelen derer, die noch ein oder mehrere Mal auf die Oberwelt zurück müssen (s. Seelenwanderung), hier aus dem Lethestrome Vergessenheit trinken und sich zum Eintritt ins Elysium läutern (Dantes purgatorio). Unvollständige Verse finden sich nur in der Äneis, nicht in den Hirtenliedern und den Büchern über den Landbau. Sie dienen keiner irgendwie gearteten künstlerischen Absicht, sondern sind lediglich Zeichen einer gewissen Unfertigkeit des Epos, an das Virgil selbst die letzte Hand nicht mehr legen konnte, zugleich aber auch Bürgen dafür, daß die Testamentsvollstrecker des Dichters seine Weisung, zur Äneis nichts hinzuzusetzen, gewissenhaft befolgt haben. Auch die unvollständigen Verse enthalten einen vollständigen Gedanken mit Ausnahme von I I I 340, der fehlerhaft überliefert ist. Vella S t a d t in Lukanien unweit des Kaps des Palinurus. Velinus sumpfiger See im Lande

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I der Sabiner, dessen Wasser in den Nar ! fließt. ! Vinulus Latiner, der als Gesandter ] zu Diomedes geschickt wird. Venus, die griechische Aphrodite, Gemahlin des Vulkan, Mutter des Amor, Freundin der Troer, von A n chises Mutter des Äneas. Venushafen unweit H y d r u n t u m in Kalabrien. Vergll richtigere Form des Geschlechtsnamens, fast allgemein, namentlich in Deutschland, durchgedrungen. Wir halten an der älteren Form Virgil fest, die Dante und seine ; Landsleute, auch die Reale Accademia : Virgiliana di Mantova, allein ver1 wenden. VerstüBe s. Anhang IV. Vesta Göttin des Herdes, des Mittel; punktes des Hauses und der Familie, der als Symbol der Beständigkeit des ! Hauses und der Stadt in ihrem Tempel : am palatinischen Hügel ewig flammendes Herdfeuer unterhalten wurde. V£sulus Berg in den kottischen \ Alpen, jetzt Monte Viso. Vlrblus Herosname des Hippolytus, j Sohnes des gleichnamigen Theseus' sohnes. S. Hippolytus. P. Vlrglllus Maro der Dichter, gei boren am 15.Oktober 70 v . C h r . zu j Andes bei Mantua, gestorben in Brundisium 19 v. Chr., beigesetzt in ! Neapel. ; Volsker Volksstamm in Latium am j Liris. Volturnus Fluß im nördlichen Campanien. Vorzeichen sind f ü r jede große Unternehmung von entscheidender Bedeutung. Als Anchises sich weigert (II 634ff.), den Fall Trojas zum zweitenmal zu überleben — unter König Laomedon hatte Herakles die Stadt erobert, um ihn f ü r seinen Wortbruch zu bestrafen — und Äneas in die Ferne zu folgen, vermögen Bitten und Vorstellungen nicht, ihn ! von seinem Vorhaben abzubringen.

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Vulkan — Z a k y n t h u s

Er gibt es erst auf, als auf Iullus' Scheitel eine Flamme erscheint, ein Donnerschlag zur Linken — der Augur schaut nach Süden; was von Osten kommt, ist günstig — ertönt und ein Meteor den Fliehenden den Weg weist. Vulkan Sohn Juppiters und der J u n o , Gemahl der Venus, Gott des Feuers und der kunstvollen Schmiedearbeiten. Sein prachtvoller Palast im Olymp, seine Esse auf Vulkania (jetzt Volcanella), der südlichsten der äolischen Inseln. Wagen, der große und der kleine, zwei Sternbilder am nördlichen Himmel. Weltberuf Griechenlands und Roms VI 847—853. In Wissenschaft und Kunst, selbst in der P o r t r ä t - und Redekunst, in der Rom doch Hervorragendes geleistet hat, gesteht V. Griechenland neidlos den Vorrang zu. Der Grieche ist am Himmel und bei seinen Sternen zu Hause, der Römer auf der Erde und bei ihren Völkern. Rom ist ihm die vom Schicksal vorherbestimmte Herrin der Erde in Krieg und Frieden. Deren Bewohner sind seine Untertanen. Gefügigen gegenüber verfährt es schonend, Aufsässige aber zwingt es mit Gewalt zum Gehorsam. Den Frieden ordnet es durch Gesetze. Wettlauf V 286—361. Unter starker Beteiligung besonders der „namenlosen" Jugend findet der Wettlauf auf einer Waldwiese statt, die Hügelketten amphitheatralisch umgeben. Seine besondere Note erhält das Spiel durch die Teilnahme des Freundespaares Nisus und Euryalus. Von Anfang an nimmt, den übrigen weit voraus, Nisus die Führung, zweiter ist Salius, dritter Euryalus. Schon ist Nisus nahe am Ziel, da gleitet er auf dem vom Blut der Opfertiere schlüpfrig gewordenen Rasen aus und kommt zu Fall. Dem bald heransausenden Salius wälzt er sich entgegen, um f ü r E u r y -

alus die Bahn freizumachen, und bringt auch ihn zu Fall. So wird der Dritte, dank der Geistesgegenwart seines Freundes, Sieger und erhält den ersten Preis. Salius 1 Einsprache hiergegen bleibt erfolglos, Äneas aber schenkt ihm wie dem gleichfalls verunglückten Nisus Trostpreise. Wettrudern V 114—285. Vier Schiffe beteiligen sich daran. Das Ziel, das die Schiffe umfahren müssen, ehe sie zum Ausgangspunkt zurückkehren, bildet ein im offenen Meere dem Ufer gegenüberliegender Felskegel, der nur bei stillerer See von weitem sichtbar emporragt, bei unruhiger See vom Wasser überflutet wird, Bei der Umfahrt bleibt er den Schiffen zur Linken, zur .Rechten ist offenes Meer. Eine Brise weht vom Ziel her nach dem Lande, leicht genug, um die Ausfahrt nicht zu behindern, kräftig genug, um die Rückfahrt durch eine leise Strömung zu erleichtern. Wer Segel setzte, beschleunigte sie erheblich. Auch bei ruhiger See war die Felskuppe leicht umbrandet, so daß an ihrem Fuße kleinere Riffe nicht wahrgenommen werden konnten. Der Verlauf des Wettruderns ist reich an spannenden Momenten, die Virgil mit großer Kunst ausgeführt hat. Wurfspeere werden mit Hilfe eines Riemens geschleudert, dessen beide Enden mehrmals um den Schaft gewickelt werden. Der Schleuderer steckt Zeige- und Mittelfinger in die so entstehende Schlaufe und setzt beim Abwurf den Schaft in drehende Bewegung, indem er die Schlaufe zurückbehält (VII 731). Xanthus 1. Fluß Lykiens; 2. = Skamander. Zäsuren = Atempausen s. Anhang IV. Zahnbein, Bein des Stoßzahns, Elfenbein. Zakynthus Insel im ionischen Meer, heut Zante.

Zweidecker — Zweidecker Kriegsschiff mit zwei Ruderreihen übereinander. ZwelmUndtg heißt der Rhein V I I I 727, weil man die W a a l für seinen westlichen A r m hielt. Zwlllingsflammen, Zeichen übermenschlicher Geisteskraft, entsenden die Schläfen des Augustus ( V I I I 6 8 0 ) . Diesen, der Dichterphantasie entsprungenen, Schmuck, hat Michel

Zwillingsflammen

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Angelo bei seinem Moses in Marmor darzustellen g e w a g t ; der damit erzielte künstlerische E i n d r u c k wog ihm Ichwerer als der Verstoß gegen d i e W i r k sichkeit. Die „sich teilenden F e u e r z u n g e n " (bianepiZö|u€vai Y^waoai übaei irupöc), die a m Pfingstfest die J ü n g e r sahen und die sich als Zeichen des heiligen Geistes auf ihre Köpfe setzten, entspringen derselben Vorstellung.

Die Antike Zeitschrift für Kunst und Kultur des klassischen Altertums Herausgegeben von

Werner Jaeger Die Zeitschrift „Die Antike" wendet sich nicht nur an die Kreise der Wissenschaft, sondern an die gesamte deutschsprechende gebildete Welt. Sie stellt sich die Aufgabe, die wissenschaftliche Erkenntnis der antiken Kultur für das Geistesleben der Gegenwart fruchtbar zu machen und ihr innerhalb der deutschen Bildung den ihr nach den unabänderlichen Voraussetzungen unserer geschichtlichen Entwicklung wie ihrem dauernden Werte nach zukommenden Platz zu wahren. Wir glauben, damit nicht so sehr dem unbestimmten Drange der aus den engen Schranken ihrer Isolierung herausstrebenden SpezialWissenschaft zu folgen, als ein tiefes Bedürfnis des gebildeten Deutschen zu erfüllen, das aus unserer besonderen Situation gegenüber der Antike entspringt. *

Die Zeitschrift erscheint in Q u a r t - F o r m a t vierteljährlich in Heften von ca. 5 Bogen Umfang. Sie ist künstlerisch ausgestattet und enthält ein reiches Abbildungsmaterial. Preis des ganzen Jahrgangs M. 40.—, des Einzelheftes M. 10.—. Mitglieder der „Gesellschaft für antike K u l t u r " erhalten die Zeitschrift nach Zahlung des Mitgliedsbeitrags (M. 30.—) umsonst. *

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