Verborgenheit Gottes: Klassische und aktuelle Beiträge aus Theologie und Religionsphilosophie 9783170331365, 9783170331372, 3170331361

Ist uns Gottes Existenz prinzipiell verborgen? Will sich Gott verbergen? Die Rede von der Verborgenheit Gottes gehört zu

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Table of contents :
Deckblatt
Titelseite
Impressum
Danksagung
Inhaltsverzeichnis
Zum Sammelband
Einleitung: Die religionsphilosophische Debatte zur Verborgenheit Gottes
Das Argument der Verborgenheit Gottes
Teil I: Klassische Texte der christlichen Theologie
Disputatio Heidelbergae habita
De servo arbitrio
Heidelberger Disputation
Vom unfreien Willensvermögen
Dialogus de Deo abscondito duorum, quorum unus Gentilis, alius Christianus
Ein Gespräch zweier Männer, von denen der eine Heide, der andere Christ ist, über den verborgenen Gott
§ 27 Die Grenzen der Erkenntnis Gottes
1. Die Verborgenheit Gottes
Über die Verborgenheit Gottes
Teil II: Die aktuelle Debatte zur Verborgenheit Gottes
Göttliche Verborgenheit und menschliche Philosophie
1. Allgemeiner Hintergrund der Argumente
2. Ultimative Verborgenheit
3. Persönliche Liebe und Offenheit für Beziehung
4. Das Hiddenness-Argument
5. Überzeugung oder Akzeptanz?
Literaturverzeichnis
Göttliche Verborgenheit als verdient
1. Einleitung
2. „Nicht-anders-verdient-Argumente“
3. Verdiente Verborgenheit
4. Einwände
5. Schlussfolgerung
Literaturverzeichnis
Kognitive Götzenverehrung und göttliches Verbergen
1. Rationalität und Gott
2. Gott, Erklärung und moralische Exzellenz
3. Theismus: Dünn und Robust
4. Götzenverehrung
5. Göttliches Verbergen
6. Belege, Zeichen und Liebe
7. Verbergen, Suchen und Theodizee
Literaturverzeichnis
Pragmatische Argumente und der Glaube an Gott
1. Der Klang der Stille
2. Das Argument von der Verborgenheit Gottes
3. Weshalb das Argument von der Verborgenheit Gottes scheitert
Literaturverzeichnis
Deus Absconditus
I. Göttliche Verborgenheit und „moralisch bedeutsame Freiheit“
II. Schellenbergs Kritik der Soul-Making-Entgegnung
III. Die Soul-Making-Erwiderung auf (2)
IV. Anreize, Zwang und „Soul-Making“
V. Eine Beurteilung der Kritik Schellenbergs an (16) und (17)
VI. „Zwei abschließende Punkte“
VII. Schlussfolgerungen
Literaturverzeichnis
Suchen, ohne zu glauben: Bekenntnisse eines praktizierenden Agnostikers
I. Die Ambivalenz der Evidenzen
A. Kosmologische Evidenz
B. Intelligentes Leben und seine Evolution
C. Willensfreiheit und die Abhängigkeit des Bewusstseins vom Gehirn
D. Gut und Böse
E. Religiöse Erfahrung
F. Abwägen der Evidenzen
II. Implikationen der Ambivalenz
A. Sprünge in den Glauben
B. Die Ausgangswahrscheinlichkeit des Theismus
C. Die Stabilität des Agnostizismus
D. Agnostische Praxis
III. Die Hinterfragung der Ambivalenz
Literaturverzeichnis
Die Verborgenheit Gottes und Argumente für den Atheismus
1. Das Argument des Epistemischen Atheismus
2. Epistemisch gut dastehen
3. „Keine guten Belege“ für p haben
4. Schellenbergs Plädoyer für den Atheismus: Das zentrale Argument
5. Einwände gegen Schellenbergs Argument
6. Die Möglichkeit eines kumulativen Falls
Literaturverzeichnis
Teil III: Interreligiöse und mystische Lesarten
Göttliche Verborgenheit oder geheime Vertrautheit? Wie Johannes vom Kreuz ein zeitgenössisches philosophisches Dilemma auflöst
1. Einleitung: Was ist das Problem der „göttlichen Verborgenheit“?
2. Verborgenheit, Dunkelheit und epistemischer Asketismus: Der Eintritt in die „Kontemplation“
3. „Dunkelheit“ in der Nacht der Sinne und in der Nacht des Geistes
4. Schlussfolgerungen: „in der rechten Weise, unaufdringlich und liebend“
Literaturverzeichnis
Die Verborgenheit der „göttlichen Verborgenheit“: Göttliche Liebe in mittelalterlichen islamischen Ländern
Einleitung
Präliminarien: Das Vokabular der Liebe im mittelalterlichen Arabisch
Göttliche Liebe in der Falsafa-Tradition
„Personale Beziehung“ im mittelalterlichen Islam verstehen: Personen
Literaturverzeichnis
Der verborgene Gott der Juden: Hegel, Reb Nachman und die Akedah
Reb Nachman von Breslau
Reb Nachman und die Akedah
Literaturverzeichnis
Schweigen, Übel und Shūsaku Endō
1. Einleitung
2. Die Verfolgung der Kakure Kirishitan
3. Das Problem der göttlichen Abwesenheit
4. Das intellektuelle Problem und das erfahrungsbezogene Problem
5. Zur Beantwortung des erfahrungsmäßigen Problems
6. Schluss
Literaturverzeichnis
Anhang
Verzeichnis der Originalbeiträge
Autorin- und Autorenverzeichnis
… der Vergangenheit:
… der Gegenwart:
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Verborgenheit Gottes: Klassische und aktuelle Beiträge aus Theologie und Religionsphilosophie
 9783170331365, 9783170331372, 3170331361

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Georg Gasser Armin Kreiner Veronika Weidner (Hrsg.)

Verborgenheit Gottes Klassische und aktuelle Beiträge aus Theologie und Religionsphilosophie

Verlag W. Kohlhammer

1. Auflage 2020 Alle Rechte vorbehalten © W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Print: ISBN 978-3-17-033136-5 E-Book-Format: pdf: ISBN 978-3-17-033137-2 Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Danksagung Dieser Band versammelt Schlüsseltexte aus der klassischen deutschsprachigen Theologie und der aktuellen analytischen Religionsphilosophie zum Thema „Göttliche Verborgenheit“ (divine hiddenness). Die religionsphilosophischen Texte stammen aus der Diskussion der letzten beiden Jahrzehnte und sind zum ersten Mal in deutscher Sprache zugänglich. Wir hoffen, dadurch interessierten Studierenden der Philosophie und Theologie den Zugang zum facettenreichen Theologumenon der Verborgenheit Gottes zu erleichtern und möglichst viele Fachkolleginnen und Fachkollegen zu inspirieren, sich mit der Hiddenness-Debatte vertraut zu machen und diese durch Eigenbeiträge zu bereichern. Dieser Sammelband ist unter Mithilfe zahlreicher Personen und Institutionen entstanden, denen wir zu großem Dank verpflichtet sind: Zu nennen sind dabei insbesondere Marco Benasso, Monika Datterl und Christopher Slotta für ihre unverzichtbare Mitarbeit an der formalen Erstellung des Manuskripts sowie Florian Specker und Janina Schüle vom Verlag W. Kohlhammer für ihre große Geduld und umsichtige Betreuung dieses Buchprojekts. Wir möchten schließlich auch unserem Geldgeber danken: Die Erstellung des Sammelbands ist im Rahmen des Projekts „The Nature of God“ (#57297), unterstützt von der John Templeton Foundation, entstanden. Ohne die großzügige Finanzierung der Copyright-Kosten, der Honorare der Übersetzerinnen und Übersetzer und des Druckkostenzuschusses wäre die Realisierung dieses Projekts wohl kaum möglich gewesen. Georg Gasser, Armin Kreiner und Veronika Weidner Innsbruck/München, im August 2019

Inhaltsverzeichnis  Danksagung .............................................................................................................. 5

Inhaltsverzeichnis ................................................................................................... 7 Veronika Weidner Zum Sammelband ................................................................................................... 9 Georg Gasser, Armin Kreiner und Veronika Weidner Einleitung: Die religionsphilosophische Debatte zur Verborgenheit Gottes ..................................................................... 17

Teil I: Klassische Texte der christlichen Theologie  Martin Luther Heidelberger Disputation und De servo arbitrio.................................................. 29 Nikolaus von Kues Ein Gespräch zweier Männer, von denen der eine Heide, der andere Christ ist, über den verborgenen Gott ........................................... 35 Karl Barth Die Verborgenheit Gottes .................................................................................... 47 Karl Rahner Über die Verborgenheit Gottes ........................................................................... 77

Teil II: Die aktuelle Debatte zur Verborgenheit Gottes  John Schellenberg Göttliche Verborgenheit und menschliche Philosophie ................................. 97 Travis Dumsday Göttliche Verborgenheit als verdient .............................................................. 125

Paul Moser Kognitive Götzenverehrung und göttliches Verbergen ................................ 149 Jeff Jordan Pragmatische Argumente und der Glaube an Gott ........................................ 181 Michael Murray Deus Absconditus ................................................................................................ 195

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Inhaltsverzeichnis

Paul Draper Suchen, ohne zu glauben: Bekenntnisse eines praktizierenden Agnostikers ................................................................... 223 Robert McKim Die Verborgenheit Gottes und Argumente für den Atheismus ................... 247

Teil III: Interreligiöse und mystische Lesarten  Sarah Coakley Göttliche Verborgenheit oder geheime Vertrautheit? Wie Johannes vom Kreuz ein zeitgenössisches phiosophisches Dilemma auflöst ................................................................................................................... 271 Jon McGinnis Die Verborgenheit der „göttlichen Verborgenheit“: Göttliche Liebe in mittelalterlichen islamischen Ländern ........................................................... 295 Jerome Gellman Der verborgene Gott der Juden: Hegel, Reb Nachman und die Akedah ..... 321 Yujin Nagasawa Schweigen, Übel und Shūsaku Endō ................................................................ 343

Verzeichnis der Originalbeiträge ...................................................................... 363 Autorin- und Autorenverzeichnis .................................................................... 365

Zum Sammelband Der vorliegende Sammelband ist gleichermaßen als Nachschlagewerk für Hochschullehrende gedacht, die sich einen profunden Überblick über die Hiddenness-Debatte verschaffen wollen, wie auch als Textgrundlage im philosophischen und theologischen Seminarbetrieb. Die Herausgeberin und Herausgeber verfolgen dabei mit der Publikation folgende Ziele: das Hiddenness-Argument John L. Schellenbergs sowie einflussreiche Erwiderungen auf das Argument aus der anglophonen Debatte durch eine fachkundige Übersetzung auch im deutschen Sprachraum bekannt zu machen; die Anknüpfung der Hiddenness-Debatte an die deutschsprachige Theologie durch die Berücksichtigung wirkmächtiger Autoren dieser Tradition zu gewährleisten, die sich bereits vor einiger Zeit zum Theologumenon der Verborgenheit Gottes geäußert haben; eine Weitung der Perspektive auch über den Theismus christlicher Provenienz hinaus durch die Aufnahme theologischer Texte aus dem Judentum und Islam anzustreben; den argumentativen Dialog zwischen sog. analytisch bzw. kontinental-europäisch orientierten Autorinnen und Autoren zu fördern; zukünftige deutschsprachige Wortmeldungen von theologischer und religionsphilosophischer Seite anzuregen, die die Hiddenness-Debatte inhaltlich bereichern, insbesondere zur Frage der metaphysischen Gotteskonzeption, des epistemischen Glaubensverständnisses oder auch des christlichen Offenbarungsparadigmas. Daraus ergibt sich folgende Dreiteilung des Sammelbands in einen Teil I „Klassische Texte der christlichen Theologie“, der die Rede von der Verborgenheit Gottes als eines klassischen Sujets innerhalb der Theologie des Christentums präsentiert. Teil II „Die aktuelle Debatte zur Verborgenheit Gottes“ führt in Schellenbergs Hiddenness-Argument und die aktuelle Diskussion darüber ein. Der mit „Interreligiöse und mystische Lesarten“ überschriebene Teil III schließlich rückt Beiträge aus der mystischen Tradition und aus anderen Weltreligionen in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Kernthesen der einzelnen Texte werden im Folgenden überblickshalber skizziert, ohne sie weiter zu kommentieren. Dabei wird insbesondere erwähnt, worauf sich der Begriff der Verborgenheit Gottes, ob wörtlich oder nicht wörtlich verstanden1, jeweils bezieht. Teil I. In der knappen XIX. sowie XX. These seiner Heidelberger Disputation (1518) legt Martin Luther im Kontext dessen, weshalb das Spezifikum 1

Um den Text so knapp wie möglich zu halten, wird der wörtlich verstandene Begriff des verborgenen Gottes bzw. der Verborgenheit Gottes im Folgenden abgekürzt so wiedergegeben: verborgenw bzw. Verborgenheitw. Demgegenüber ist die im Gefolge Schellenbergs nicht wörtlich zu verstehende Rede über den verborgenen Gott bzw. die Verborgenheit Gottes so gekennzeichnet: verborgennw bzw. Verborgenheitnw (inhaltlich vgl. S. 20f.).

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Veronika Weidner

der Theologie in einer theologia crucis besteht, dar, inwiefern das Wesen Gottes bzw. dessen Erkenntnis den Menschen epistemisch verborgenw ist. Erstens weist Gott (der Vater) ein unsichtbares Wesen auf, das sich durch Majestät, Kraft und Weisheit charakterisieren lässt. Dieses kann zwar aus der Schöpfung erkannt werden, hat bei den Menschen aber nicht zur rechten Gottesverehrung geführt. Zweitens haben Menschen daher, dank göttlichen Willens­ ent­schlusses, das Wesen Gottes nicht vollständig erkannt, solange sie nicht das sichtbare Wesen Gottes (des Sohnes) erkennen. Jenes zeichnet sich durch Menschlichkeit, Schwäche sowie Torheit aus und wird im leidenden Christus am Kreuz offenbar. In seiner Streitschrift De servo arbitrio (1525), der berühmten Replik auf Erasmus von Rotterdams Verteidigung des libertarischen Willensvermögens in Bezug auf das ewige Heil in De libero arbitrio diatribē: Sive collatio (1524), bezeichnet Luther den Willen Gottes als verborgenw. Gott selbst verbergew seinen Willen in dem Sinne, dass dieser zu fürchtende Wille den Menschen prinzipiell nicht erkennbar ist – auch wenn Luther ihn zumindest insofern zu kennen meint, wenn er schreibt, dass der verborgenew Gott den Tod des Sünders will. Dem steht das den Menschen in der Heiligen Schrift offenbare Wort Gottes gegenüber, das ein Wort der Zusage ist, demzufolge der gepredigte Gott den Tod des Sünders nicht will. Im „Dialogus de Deo abscondito duorum, quorum unus Gentilis, alius Christianus“ entwickelt Nikolaus von Kues die apophatisch erscheinende Position, dass Gottes Wesen in dem Sinne epistemisch verborgenw ist, dass es prinzipiell unerkennbar ist und daher auch nicht gewusst werden kann, wodurch sich Gottes Anbetungswürdigkeit begründen lässt. Wer um sein Nicht-Wissen-Können in Bezug auf Gott – die alle Differenz überragende, neuplatonisch anmutende absolute Einheit und nur durch sich selbst erfassbare Wahrheit schlechthin – weiß, weiß mehr als jemand, der trügerischerweise meint, irgendein Wissen über Gott haben zu können bzw. tatsächlich zu haben. Solch ein um sein Nicht-Wissen-Können hinsichtlich des Wesens Gottes wissender Mensch zeichnet sich durch die an anderer Stelle von Nikolaus von Kues ausführlicher beschriebene gelehrte Unwissenheit, die ­docta ignorantia2, aus. Karl Barth erläutert im zweiten Band seiner Kirchlichen Dogmatik im §27 „Die Grenzen der Erkenntnis Gottes“ unter Punkt 1 „Die Verborgenheit Gottes“, dass Gott insofern verborgenw ist, dass Gottes Existenz und Wesen für den Menschen, da er Gott in nichts gleich und gänzlich anders als Gott ist, prinzipiell unerkennbar bzw. unbegreiflich, unsichtbar sowie unaussprechbar ist. Die grundlegende, für das Heil hinreichende Erkenntnis des Menschen in Bezug auf Gott besteht in der Erkenntnis der so verstandenen epistemischen Ver2

Vgl. Nicolaus Cusanus, De Docta Ignorantia, in: ders., Opera Omnia, hrsg. von Ernst Hoffmann und Raymund Klibansky, Bd. 1. Leipzig: Felix Meiner, 1932, insbesondere Kap. 3.4.26.

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borgenheitw Gottes. Dieses Begreifen der Unbegreiflichkeit Gottes ist jedoch allein dem gläubigen Menschen möglich, das er nicht etwa dem Gebrauch seines menschlichen Erkenntnisvermögens verdankt, sondern allein dem göttlichen Gnadenwirken. Denn Gott selbst gibt sich dem gläubigen Menschen als solch ein verborgenerw Gott zu erkennen und offenbart sich als dieser: in der Heiligen Schrift, die Zeugnis ablegt über die göttliche Offenbarung in Jesus Christus, und vor allem in Jesus Christus selbst. Karl Rahner kritisiert in seinem Aufsatz „Über die Verborgenheit Gottes“ die Ansicht der scholastisch geprägten sog. Schultheologie in Bezug auf die göttliche Verborgenheitw, der zufolge diese vornehmlich epistemisch im Sinne der Unbegreiflichkeit Gottes zu verstehen ist. Demnach ist das göttliche Wesen auch in der visio beatifica unbegreifbar, da der ontologisch unendliche Gott durch den endlichen menschlichen Intellekt nicht erkennbar ist. Rahner missfällt u.a. das zugrundeliegende Erkenntnismodell, das Erkennen nur als rationales Begreifen, Durchschauen bzw. Beherrschen konzipiert, und dessen Folge in Bezug auf eine defizitär konnotierte Anthropologie der Endlichkeit des Menschen. Gottes Verborgenheitw besteht Rahner zufolge vielmehr in der bleibenden Geheimnishaftigkeit des göttlichen Wesens wie Handelns, die als solche erst in der die Vernunft übersteigenden Liebe durch die Selbsthingabe des Menschen an Gott vollends erkannt wird und dem Menschen ewige Seligkeit schenkt. Teil II. „Göttliche Verborgenheit und menschliche Philosophie“ zählt zu den aktuellsten Beiträgen John Schellenbergs, in denen er das Hiddenness-Argument vorstellt und verteidigt, wobei er es hierbei in den Rahmen seiner neueren evolutionshistorischen Überlegungen zum vergleichsweise jungen Alter der Religionen sowie der Philosophie und Theologie einordnet. Schellenberg verdeutlicht, dass seine anti-theistischen Schlussfolgerungen nicht im Plädoyer für einen metaphysischen Naturalismus enden, sondern vielmehr die weitere Suche nach plausiblen Alternativ-Konzepten der sog. ultimistischen göttlichen Wirklichkeit motivieren. Travis Dumsday zufolge ist Gott insofern epistemisch verborgenw, dass Gottes Existenz für fast alle Menschen nicht eindeutig erkennbar ist, so dass jeder Zweifel an der Existenz Gottes ausgeschlossen wäre. Dumsday verteidigt in seinem Aufsatz „Göttliche Verborgenheit als verdient“ eine Version des sog. Just-Deserts-Arguments gegen mehrere Einwände, die ihm zufolge Teil einer vielversprechenden kumulativen Replik auf das Hiddenness-Argument sein könnte. Seinem Argument zufolge haben es alle Menschen, ausgenommen die Heiligen, aufgrund ihrer moralischen Bosheit nicht anders verdient, als von einer persönlichen Beziehung mit Gott ausgeschlossen zu sein. Menschen besitzen zwar prinzipiell die kognitiven Fähigkeiten, Belege für die Existenz Gottes zu erkennen und zu beurteilen. Allerdings stehen ihnen keine subjektiv

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Veronika Weidner

hinreichenden Belege für die Existenz Gottes zur Verfügung, um zur Überzeugung zu gelangen, dass Gott existiert. Gott zeichnet sich demnach verantwortlich dafür und ist auch moralisch gerechtfertigt, dass fast allen Menschen eine persönliche Beziehung mit Gott bis auf Weiteres verwehrt bleibt. Paul Moser verwendet in seinem Beitrag „Kognitive Götzenverehrung und göttliches Verbergen“ den Begriff der Verborgenheitw Gottes epistemisch als nicht prinzipiell gegebene Unerkennbarkeit der Existenz Gottes. Ein moralisch vollkommener Gott strebt Moser zufolge danach, dass Menschen nicht nur ein bloß theoretisches, propositionales Wissen im Sinne des Für-Wahr-Haltens hinsichtlich der Existenz Gottes erwerben. Vielmehr sollen Menschen auch ein praktisches, sog. kindgemäßes Wissen (filial know­ ledge) im Sinne der vertrauensvollen Hinwendung zu Gott als moralischer Autorität und Erlöser gewinnen. Während ersteres Wissen Gott zu einem inhaltlich kontrollierbaren, trivialisierten Wissens-Objekt degradiert und kognitiver Götzenverehrung gleichkommt, verdankt sich letzteres Wissen dem gnadenvollen Angebot Gottes als Subjekt, stiftet eine Beziehung mit Gott und wirkt moralisch-transformierend. Das fehlende propositionale wie kindgemäße Wissen mancher Menschen ist kein Grund, die Existenz Gottes zu verneinen, sondern zeigt auf, dass diese Menschen Gott auf die falsche Weise am falschen Ort suchen und daher nicht finden. Jeff Jordan diskutiert in seiner Monographie Pascal’s Wager. Pragmatic Arguments and Belief in God explizit Schellenbergs Verständnis der Verborgenheitnw Gottes, demzufolge dieser Terminus darauf verweist, dass es in der aktualen Welt nonresistant nonbelief gibt. Jordan legt dar, warum das Hiddenness-Argument nicht stichhaltig ist, indem er aufzeigt, dass u.a. die Annahme falsch ist, dass die verfügbaren Belege für die Existenz Gottes, wenn Gott existiert, aus Sicht eines menschlichen Subjekts jeweils derart beschaffen sind, dass sie die Proposition „Gott existiert“ als wahrscheinlich wahr erweisen, und es daher rational gerechtfertigt ist, überzeugt davon zu sein, dass Gott existiert. Stattdessen kann es Jordan zufolge rational wie auch moralisch gerechtfertigt und sogar gefordert sein, überzeugt davon zu sein, dass Gott existiert, wenn keine subjektiv hinreichenden Belege für die Existenz Gottes verfügbar sind. Zudem argumentiert Jordan gegen Schellenberg, warum Menschen auch dann in der Lage sind, in eine Beziehung mit Gott einzutreten, wenn sie nicht überzeugt davon sind, dass Gott existiert. Es ist demnach ebenso möglich und vielleicht sogar von Gott gewollt, dass sich Menschen aufgrund eines freien Willensentschlusses Gott zuwenden, indem sie akzeptieren, dass Gott existiert, und handeln, als ob die Proposition „Gott existiert“ wahr ist. Michael Murrays Beitrag „Deus Absconditus“ zufolge ist Gott insofern verborgenw, dass weder die göttliche Existenz und der göttliche Heilsplan

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Menschen unmissverständlich erkennbar noch die Gegenwart Gottes eindrücklich erfahrbar ist. Murray argumentiert gegen Schellenberg, dass der instrumentelle Wert der moralisch bedeutsamen libertarischen Willensfreiheit der Menschen in Hinblick auf deren Charakterbildung im Sinne eines soul making einen möglichen Grund für die Verborgenheitw Gottes darstellt. Denn Menschen würden ihre moralisch bedeutsame Freiheit, zwischen guten und bösen Handlungsverläufen wählen zu können, verlieren und daher auch keinen moralisch bedeutsamen Charakter bilden können, wenn ihnen Gottes Existenz mitsamt dem göttlichen Heilsplan machtvoll bewusst gemacht würde. Dann wären in der menschlichen Umwelt zu starke Anreize für ein dem göttlichen Willen entsprechendes Handeln gesetzt, die hinreichend nötigende Wünsche, das moralisch Gute zu tun, entstehen lassen. Diese hinreichend nötigenden Wünsche jedoch würden konkurrierende Wünsche, das moralisch Schlechte zu tun, übertrumpfen, so dass böse Handlungsverläufe unwählbar wären, während man zu einem guten Handeln gezwungen wäre. Paul Draper räsoniert in seinem Essay „Suchen, ohne zu glauben: Bekenntnisse eines praktizierenden Agnostikers“ angesichts der ambivalenten Belege in Bezug auf die Existenz Gottes über die Rolle der epistemisch verstandenen Verborgenheitw Gottes in seinem religiösen Leben, d.h. darüber, warum die These der Existenz Gottes für ihn persönlich gleichermaßen wahrscheinlich wahr wie falsch sein könnte, warum der Agnostizismus rational gerechtfertigt ist und was eine agnostisch-religiöse Praxis auszeichnet. Genauer gesagt sind die Belege hinsichtlich der Existenz Gottes insofern ambivalent, dass es klar formulierbare, plausible Argumente sowohl für den Theismus wie für den Naturalismus gibt, die jedoch die Wahrheit beider metaphysischer Weltanschauungen jeweils nicht eindeutig beweisen können und deren relative Stärke jeweils nicht eindeutig feststellbar ist, so dass man nicht beurteilen kann, ob evidentiell betrachtet insgesamt mehr für den Theismus als für den Naturalismus spricht. Praktisch gesehen führt sein Agnostizismus dazu, eine persönliche Beziehung mit Gott z. B. im Gebet zu pflegen und nach weiteren Belege im Hinblick auf die Existenz Gottes Ausschau zu halten. Robert McKim setzt sich im 5. Kapitel „Die Verborgenheit Gottes und Argumente für den Atheismus“ seiner Monographie Religious Ambiguity and Religious Diversity nicht nur mit Schellenbergs Hiddenness-Argument, sondern auch mit der Plausibilität des von Thomas V. Morris bereits 1988 diskutierten sog. Arguments des Epistemischen Atheismus kritisch auseinander. Gott sei laut McKim insofern epistemisch verborgenw, dass nicht alle Menschen die Existenz und das Wesen Gottes deutlich erkennen können. McKim erläutert, warum er den epistemischen Atheismus, demzufolge alle Menschen mangels guter Belege für die Wahrheit der These, dass Gott existiert, zum Atheismus

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verpflichtet sind, ablehnt. McKim versteht Schellenberg dahingehend, dass letzterem zufolge Gott nicht existiert, da Gott es nicht zulassen würde, dass das Fehlen der Überzeugung, dass Gott existiert, vernünftig ist. Er gesteht Schellenberg u.a. zu, dass die Rationalität des Fehlens der Überzeugung dem Theismus Schwierigkeiten bereitet und es sog. goods of clarity gibt, die das Zulassen der Irrationalität des Fehlens der Überzeugung erklären, es aber ebenso auch sog. goods of mystery gibt, die das Zulassen der Rationalität des Fehlens der Überzeugung erklären. Jedoch sei weder die Quantität noch Qualität der jeweiligen Güter eindeutig feststellbar, so dass auch ein Vergleich bzw. Abwägen unmöglich sei. Teil III. Sarah Coakley liest in ihrem Beitrag „Göttliche Verborgenheit oder geheime Vertrautheit? Wie Johannes vom Kreuz ein zeitgenössisches philosophisches Dilemma auflöst“ das Hiddenness-Problem vor dem Hintergrund der Erfahrungen der dunklen Nacht der Seele dieses spanischen Mystikers aus dem 16. Jahrhundert und will es als Scheinproblem enttarnen. Der spirituelle Weg der Kontemplation ist demnach für eine durchdringende Umwandlung des Selbst in körperlich-sinnlicher und geistiger Hinsicht notwendig, die wiederum eine neuartige Erkenntnis über Gottes Wesen sowie eine tiefere Begegnung mit Gott erst ermöglicht. Die Verborgenheitw Gottes bezeichnet hierbei die für einen Gläubigen nicht mehr spürbare Gegenwart Gottes und lässt den Gläubigen, wenn der kontemplative Prozess zum Ziel gelangt ist, erkennen, dass Gott nur scheinbar verborgenw war und sich dem Gläubigen durch die Erfahrung der vermeintlichen Verborgenheitw hindurch als durchgängig Gegenwärtiger und dem Wesen nach ganz anderer selbst offenbart. Jon McGinnis beleuchtet Schellenbergs Argument in seinem Aufsatz „Die Verborgenheit der ‚göttlichen Verborgenheit‘: Göttliche Liebe in mittelalterlichen islamischen Ländern“ aus der Perspektive in der mediävalen Falsafa-Tradition stehender muslimischer Philosophen wie z. B. Avicenna, AlFārābī oder Al-Ghazālī sowie auch des jüdischen Philosophen Maimonides. McGinnis erläutert, warum das Hiddenness-Problem aus Sicht dieser Denker kein Problem dargestellt hätte, da es sich nicht auf ein generell theistisches, sondern spezifisch jüdisch-christliches, nicht aber muslimisch salonfähiges Gotteskonzept bezieht. Schellenberg folgend benutzt McGinnis den Begriff der Verborgenheitnw Gottes, um die Tatsache zu benennen, dass es Ungläubige gibt, die ohne eigenes Verschulden keine personal relationship im Sinne einer personalen Beziehung mit Gott erleben. Laut McGinnis würden in der Falsafa-Tradition Stehende gegen Schellenberg einwenden, dass ein absolut vollkommener Gott nur sich selbst liebt, jedoch ein liebendes Verhalten der Menschen ermöglicht und erwartet, dass das Konzept der Person – sei es auf Gott oder den Menschen bezogen – eher unbekannt wie fraglich ist, Gott

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nicht nach einer personalen Beziehung mit den Menschen strebt, oder auch, dass Gott in keiner Relation zur Schöpfung steht. Jerome Gellmans Beitrag „Der verborgene Gott der Juden: Hegel, Reb Nachman und die Akedah“ schildert v.a. die jüdische Perspektive des Rabbis Nachman von Breslau aus dem 20. Jahrhundert in Bezug auf die Verborgenheitw Gottes, demzufolge Gott insofern epistemisch verborgenw ist, dass das göttliche Wesen prinzipiell nicht erkennbar ist, die Gegenwart und Nähe Gottes jedoch auch nicht erfahrbar ist. Gellman deutet die bei Rabbi Nachman erzählte Geschichte „Der König und der Weise“ als Allegorie der sog. Akedah, d.h. der von Gott geforderten Opferung Isaaks durch Abraham. Gott offenbare sich selbst hier als der ewig Verborgenew, während Abraham als Vorbild im Glauben lernt, dass die angemessene Reaktion im Kultivieren der Sehnsucht nach Gott besteht sowie in der Einsicht, dass der Mensch keinen Beitrag zu seiner Versöhnung mit Gott leisten kann und Gott unabhängig von allem menschlichen, auch frommen Tun immer verborgenw bleibt. Yujin Nagasawa versteht in seinem Aufsatz „Schweigen, Übel und Shūsaku Endō“ den Begriff der Verborgenheitw Gottes im Sinne der für gläubige Menschen nicht mehr erfahrbaren Gegenwart, Ansprechbarkeit und Wirkmächtigkeit Gottes, ausgehend von dem tragischen Schicksal der in Shūsaku Endōs Roman Schweigen im Mittelpunkt stehenden sog. Kakure Kirishitan bzw. verborgenen Christen in Japan im 17. Jahrhundert, die durch grausame Folterungen und den Tod hinauszögernde Hinrichtungen dazu gebracht werden sollten, ihrem Glauben abzuschwören. Nagasawa erörtert das sog. Problem göttlicher Abwesenheit, das aus dem Problem der zuvor erwähnten Verborgenheitw Gottes, unter dem fromme Gläubige leiden, und dem für sie gleichzeitig akuten Problem des Übels bzw. Theodizee-Problem aufgrund furchtbarer Übel besteht. Genauer gesagt präsentiert er das Problem göttlicher Abwesenheit in seiner intellektuellen und erfahrungsbezogenen Dimension und argumentiert, dass die logische Inkonsistenz des ersteren theoretisch nicht lösbar ist, während es für letzteres eine empfehlenswerte praktische Umgangsweise gibt. Nagasawa schlägt vor, dass die richtige Antwort frommer und wahrhaft religiöser Gläubiger auf das erfahrungsbezogene Problem göttlicher Abwesenheit darin liegt, sich diesem bewusst zu stellen und ihm mit der epistemisch demütigen Haltung eines sog. kosmischen Optimismus zu begegnen: Das Vorkommnis des Problems ist aufgrund des begrenzten menschlichen Erkenntnisvermögens nicht verstehbar, es besteht aber ein wenig Grund zur Hoffnung, dass alles im Kosmos ein gutes Ende nehmen wird.

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Bezüglich der Formalia ist zum Schluss anzumerken, dass die Zitationsweise der Literatur nur in den Übersetzungen einander annähernd angeglichen wurde. Zudem wurden die Fußnoten in Luthers Textausschnitten nicht mit aufgenommen. In Barths Beitrag haben wir darauf verzichtet, die im Ursprungstext in Sperrschrift hervorgehobenen Wörter in dieser Form wiederzugeben. Die Übersetzungen sind teilweise sehr nah am Originaltext und damit evtl. genauer, aber zweifelsohne holpriger zu lesen, teilweise erheben sie sich über die Vorlage und interpretieren mehr, sind dafür aber umso eleganter und leserfreundlicher. In jedem Fall empfiehlt sich die Lektüre des englischsprachigen wie lateinischen bzw. deutschen Originals und ggbf. ­weiterer Texte der Autoren bzw. Autorin für diejenigen, die tiefer in die Materie eintauchen möchten. Die Herausgeberin und Herausgeber hoffen, dass die mit der Erstellung dieses Sammelbandes verbundenen Mühen Früchte tragen und das Gespräch über die Verborgenheit Gottes wörtlicher wie nicht-wörtlicher Lesart neuen Auftrieb erhält.

Einleitung: Die religionsphilosophische Debatte zur Verborgenheit Gottes Das Argument der Verborgenheit Gottes Der wohl bekannteste philosophische Einwand gegen die Existenz Gottes beruht auf dem Problem des Übels. Kurz skizziert besteht es darin, dass die Existenz eines allwissenden, moralisch vollkommenen und allmächtigen Gottes mit all den Übeln, die es in der Welt gibt, nicht vereinbar zu sein scheint. Denn solch ein Gott wüsste dank seiner Allwissenheit von diesen Übeln in der Welt, würde diese aufgrund göttlicher moralischer Vollkommenheit verhindern wollen und wäre dazu mithilfe göttlicher Allmacht auch imstande. Warum gibt es dann aber Übel in der Welt? Die atheistische Antwort lautet: Weil es diesen Gott eben nicht gibt! Ohne hier auf Details einzugehen, sei nur darauf hingewiesen, dass das Problem des Übels in einer stärkeren und schwächeren Version vorliegt. Der stärkeren Version zufolge besteht ein logischer Widerspruch zwischen der Existenz Gottes und der Existenz des Übels in der Welt. Gemäß der schwächeren Version ist die Existenz Gottes angesichts der Vielzahl und Schrecklichkeit an Übeln in der Welt sehr unwahrscheinlich. Es steht demnach die Wahrheit des Theismus1 selbst auf dem Spiel – zumindest eines sogenannten personalen Theismus, der sich durch ein strikt personal konzipiertes Gottesbild auszeichnet. Über das Problem des Übels hat sich in den letzten Jahrzehnten eine reichhaltige, weit verzweigte internationale Diskussion entsponnen, die sich auch im deutschen Sprachraum widerspiegelt.2 Interessanter Weise hat ein dem Problem des Übels strukturell ähnlich gelagerter und in seiner Tragweite durchaus vergleichbarer Einwand gegen die Existenz Gottes in der anglophonen analytischen Religionsphilosophie in den letzten beiden Jahrzehnten vergleichbare Prominenz erlangt, während das diesem Einwand zugrunde liegende Problem hierzulande bis dato kaum rezipiert worden ist: das Problem der Verborgenheit Gottes bzw. das sog. „Hiddenness-Problem“.3 Das Hiddenness-Problem besagt im Kern, dass 1 2

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Der Begriff ‚Theismus‘ bezieht sich hier und im Folgenden auf den Begriff ‚Monotheismus‘, wobei in der Diskussion der Monotheismus christlicher Prägung im Vordergrund steht. Aussagekräftig sind teilweise groß angelegte Monographien zum Thema wie z. B. Friedrich Hermanni, Das Böse und die Theodizee. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2002, Armin Kreiner, Gott im Leid. Zur Stichhaltigkeit der Theodizee-Argumente. Freiburg: Herder Verlag, 2005, Ingolf Dalferth, Malum. Theologische Hermeneutik des Bösen. Tübingen: Mohr Siebeck, 2008, oder Klaus von Stosch, Theodizee. Paderborn: Schöningh, 2013. Um einen ersten Eindruck über mögliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Probleme bzw. der darauf aufbauenden Argumente zu gewinnen, vgl. z. B. Peter van Inwagen, „Lecture 8. The Hiddenness of God“, in: ders., The Problem of Evil. The Gifford

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die Existenz eines in vollkommener Weise liebenden Gottes nicht damit vereinbar zu sein scheint, dass es Menschen in der Welt gibt, die zu einer persönlichen Beziehung mit Gott fähig wären und auch keine inneren Widerstände gegenüber einer solchen Beziehung haben, aber denen dennoch die Überzeugung fehlt, dass Gott existiert. Wie kann dies aber sein, wenn Gott mit seinen Geschöpfen eine persönliche Beziehung eingehen will und daher genügend Belege für seine Existenz bereitstellen sollte? Die atheistische Antwort lautet erneut: Weil es diesen Gott eben nicht gibt! Eine zentrale Figur in der Hiddenness-Debatte ist der kanadische Religionsphilosoph John L. Schellenberg, der mit seinem erstmals in Divine Hiddenness and Human Reason (1993) vorgestellten argument from divine hiddenness die aktuelle Diskussion angestoßen und deren bisherigen Verlauf durch zahlreiche weitere Publikationen maßgeblich mitgeprägt hat. Ausgangspunkt der Überlegungen Schellenbergs ist die theologische Annahme, dass der Gott des Theismus strikt personal zu denken ist und sich durch vollkommene Liebe gegenüber all seinen Geschöpfen auszeichnet. Diese Liebe Gottes impliziere, dass Gott immer nach einer persönlichen Beziehung mit den Menschen strebt, die ihrerseits zu solch einer persönlichen Beziehung mit Gott fähig sind. Dieses göttliche Streben müsse als Mindestvoraussetzung beinhalten, dass Gott immer offen für eine persönliche Beziehung mit den dazu fähigen Menschen ist. Gott sei sozusagen in einer ständigen Haltung der Bereitschaft, in ein persönliches Beziehungsgeschehen mit allen dazu fähigen Menschen einzutreten. Diese Offenheit schließt für Schellenberg mit ein, dass ein auf vollkommene Weise liebender Gott nichts unternimmt oder unterlässt, was diese Menschen hindern würde, sich Gott persönlich zuzuwenden – vorausgesetzt, sie haben keinen inneren Widerstand gegenüber einer solchen persönlichen Beziehung. Was aber könnte Menschen dann daran hindern, in der Lage zu sein, sich Gott persönlich zuzuwenden? Schellenbergs Antwort lautet: die fehlende Überzeugung4, dass Gott existiert. Und wie gelangen Menschen zu der Überzeugung, dass Gott existiert? Laut Schellenberg benötigen sie dafür hinreichende Belege5, die aus ihrer subjektiven Sicht heraus dafür sprechen, dass die Existenz Gottes wahrscheinlich wahr ist.

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Lectures in the University of St. Andrews in 2003, New York: Oxford University Press, 2006, S. 135–151; John L. Schellenberg, „The Hiddenness Problem and the Problem of Evil“, in: Faith and Philosophy 27/1 (2010), S. 45–60; Trent Dougherty, „Reflections on the Deep Connection Between Problems of Evil and Problems of Divine Hiddenness“, European Journal for Philosophy of Religion 8/4 (2016), S. 65–84; Veronika Weidner, Examining Schellenberg’s Hiddenness Argument, Cham: Palgrave Macmillan, 2018, S. 3–5. 86–90. ‚Überzeugung‘ ist eine der möglichen Übersetzungen des mehrdeutigen englischen Terminus ‚belief‘. Im englischen Original ist dabei die Rede von ‚evidence‘ (oft im Singular).

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Diese ersten Ausführungen lassen schon erahnen, dass sich Schellenbergs Argumentation auf Annahmen aus dem Bereich zwischenmenschlicher Beziehungen stützt, die in einem analogen Schluss auf die Beziehung zwischen Mensch und Gott übertragen werden. Offenkundig ist es eine Grundvoraussetzung einer liebevollen persönlichen Beziehung zwischen zwei Menschen, dass beide von der Existenz des jeweils anderen überzeugt sind. Jemand kann sinnvoller Weise nur dann einem anderen Menschen vertrauen, ihm verzeihen oder dankbar sein, wenn er oder sie auch überzeugt davon ist, dass es das Gegenüber gibt. Analoges gilt für eine persönliche Gottesbeziehung; jemand muss zunächst einmal überzeugt davon sein, dass Gott (wahrscheinlich) existiert, da sonst religiöse Praktiken als Ausdruck einer lebendigen Gottesbeziehung, wie zu Gott zu beten, mit Gott zu hadern oder Gott um Verzeihung zu bitten, kaum sinnvoll wären. Könnte man daher nicht, so fragt Schellenberg, von einem Gott vollkommener Liebe zu Recht erwarten, dass er den Menschen subjektiv hinreichende Belege für seine göttliche Existenz zur Verfügung stellt – z. B. in Form einer religiösen Erfahrung, in der die Gegenwart Gottes zumindest andeutungsweise gespürt wird? Oder wäre nicht wenigstens, negativ ausgedrückt, mindestens zu erwarten, dass Gott nichts tun würde, was einen Menschen daran hindert, in eine persönliche Beziehung mit Gott einzutreten? Schellenberg bejaht diese Fragen. Es sei anzunehmen, dass Gott niemanden daran hindern würde, sich Gott persönlich zuzuwenden, wenn diese Person fähig für eine persönliche Beziehung mit Gott ist und keine inneren Widerstände dagegen hat. Das Problem aus Schellenbergs Sicht ist allerdings, dass es mindestens einen Menschen gibt, der zu einer persönlichen Beziehung mit Gott fähig wäre und gegen sie keine Widerstände hegt, aber trotzdem nicht in der Lage ist, in eine persönliche Gottesbeziehung einzutreten, weil ihm die Überzeugung fehlt, dass Gott existiert. Schellenberg ist der Ansicht, dass Gott diese empirische Tatsache, die er als „nonresistant nonbelief“6 bezeichnet, nicht zulassen würde. Da es aber offensichtlich nonresistant nonbelief in unserer Welt gibt, existiert Gott nicht. So wie also aufgrund des Problems des Übels das Vorkommen von Übel in der Welt als ein massiver Beleg für die Nicht-Existenz Gottes gewertet wird, so wird hier das Vorkommen von nonresistant nonbelief in der Welt als ein gewichtiger Beleg für die Nicht-Existenz Gottes interpretiert. In Kürze lässt sich das Hiddenness-Argument folgendermaßen zusammenfassen: 6

John L. Schellenberg, The Wisdom to Doubt. A Justification of Religious Skepticism. Ithaca: Cornell University Press, 2007, S. 205. Dieser Terminus wird zwar etwas sperrig, aber möglichst originalgetreu, mit ‚nicht-widerständiges Fehlen der Überzeugung‘ übersetzt, wobei diejenige Überzeugung gemeint ist, die sich auf die Proposition ‚Gott existiert‘ bezieht.

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(1) Wenn Gott existiert, dann liebt Gott alle Menschen immer auf vollkommene Weise.

(2) Wenn Gott alle Menschen immer auf vollkommene Weise liebt, dann ist Gott immer offen für eine persönliche Beziehung mit den zu einer solchen Beziehung fähigen Menschen.

(3) Wenn Gott immer offen für eine persönliche Beziehung mit den zu einer solchen Beziehung fähigen Menschen ist, dann tut oder unterlässt Gott nichts, was zu einer persönlichen Gottesbeziehung fähige Menschen, die keinen Widerstand gegen eine solche Beziehung haben, daran hindern würde, sich Gott persönlich zuwenden zu können. (4) Ein Mensch, der zu einer persönlichen Gottesbeziehung fähig ist und keinen Widerstand gegen eine solche Beziehung hat, kann sich nur dann Gott persönlich zuwenden, wenn er davon überzeugt ist, dass Gott existiert.

(5) Wenn Gott nichts tut oder unterlässt, was zu einer persönlichen Gottesbeziehung fähige Menschen, die keinen Widerstand gegen eine solche Beziehung haben, daran hindern würde, sich Gott persönlich zuwenden zu können, dann ist es nicht der Fall, dass es einen zu einer persönlichen Gottesbeziehung fähigen Menschen gibt, der keinen Widerstand gegen eine solche Beziehung hat und nicht davon überzeugt ist, dass Gott existiert. (6) Es gibt aber mindestens einen zu einer persönlichen Gottesbeziehung fähigen Menschen, der keinen Widerstand gegen eine solche Beziehung hat und trotzdem nicht davon überzeugt ist, dass Gott existiert. (7) Also existiert Gott nicht.

Bislang ist noch nicht deutlich geworden, warum Schellenberg sein Argument eigentlich als Hiddenness-Argument bezeichnet. Das Vorkommnis des nonresistant nonbelief, das mit der Existenz eines auf vollkommene Weise liebenden Gottes unvereinbar scheint, bezeichnet Schellenberg auch als göttliche Verborgenheit bzw. Verborgenheit Gottes und verwendet beide Begrifflichkeiten synonym. Diese Terminologie Schellenbergs ist mit Vorsicht zu genießen, da er die Begriffe der Verborgenheit Gottes bzw. göttlichen Verborgenheit im nicht wörtlich zu verstehenden Sinn verwendet: Er setzt dabei gerade nicht voraus, dass Gott existiert. Davon zu unterscheiden ist die in der theologischen Tradition wörtlich verstandene Rede von der Verborgenheit Gottes, die selbstverständlich voraussetzt, dass Gott existiert,

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aber etwas an Gott dem Menschen verborgen ist. Die theologische Rede von der Verborgenheit Gottes bezieht sich einerseits darauf, dass Gottes Gegenwart für einen Menschen in einer bestimmten Phase seines Lebens nicht mehr erfahrbar ist, und andererseits bezieht sie sich daruf, dass das Wesen des unendlichen transzendenten Gottes für uns endliche Menschen prinzipiell unbegreiflich bzw. nicht erkennbar ist. Die primäre Stoßrichtung der klassischen Rede von der Verborgenheit Gottes zielt auf die Unbegreiflichkeit des göttlichen Wesens ab und ist somit metaphysischer Art, weil da­ rin etwas Grundlegendes über Gottes Transzendenz sowie die ontologische Verhältnisbestimmung von Gott und Geschöpf ausgesagt werden soll. Die zweifelsohne sich daraus ergebenden erkenntnistheoretischen Folgen sind hingegen zunächst einmal zweitrangig. Die primäre Stoßrichtung von Schellenbergs nicht wörtlich zu verstehender Rede von Gottes Verborgenheit ist demgegenüber prinzipiell erkenntnistheoretischer Art. Sie bezieht sich darauf, dass es bestimmte Menschen gibt, denen die Existenz Gottes epistemisch nicht zugänglich bzw. verborgen ist, da ihnen subjektiv hinreichende Belege für Gottes Existenz nicht zur Verfügung stehen, obwohl es keine inneren Widerstände gegen eine Gottesbeziehung gibt. Aber Schellenberg bleibt in seinen weiteren Überlegungen nicht auf der erkenntnistheoretischen Ebene stehen, sondern folgert daraus, dass die traditionelle, wörtlich verstandene Rede von der Verborgenheit Gottes bei näherem Hinsehen die Nicht-Existenz Gottes aufdeckt. Wer nämlich über das Phänomen der nicht wörtlich verstandenen göttlichen Verborgenheit eingehend nachdenke, der werde dazu neigen, der Redewendung ‚absence of evidence is evidence of absence‘ zuzustimmen. Der Mangel subjektiv hinreichender Belege für die Existenz Gottes stelle einen objektiv hinreichenden Beleg für die Abwesenheit im Sinne der Nicht-Existenz Gottes dar. Mit anderen Worten: Die Erklärung, warum manche Menschen subjektiv unzulängliche Belege für die Existenz Gottes haben, liegt schlichtweg in der bereits genannten atheistischen Antwort, dass es diesen Gott gar nicht gibt und ihnen somit auch niemand subjektiv hinreichende Belege zur Verfügung stellen kann. Und, so ließe sich abschließend sagen, gilt es zu bedenken, dass die Anzahl von Menschen, die offenbar aufgrund unzureichender Belege für die Existenz Gottes eine Haltung des nonresistant nonbelief einnehmen, durchaus beträchtlich und sogar im Steigen begriffen ist: Dazu gehören neben Mitgliedern religiöser Traditionen mit einer nicht-personalen Gottesvorstellung und Menschen, die ihren Glauben an einen personalen Gott verloren haben und trotz Bemühungen nicht wiedererlangen können, auch die wachsende Anzahl von Menschen, die einer säkularer Weltanschauung anhängen. Die Wahrscheinlichkeit, dass all diese Menschen in irgendeiner Form eine widerständige Haltung gegen eine persönliche Beziehung mit Gott einnehmen und zur Verfügung stehende Be-

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lege nicht wahrnehmen können bzw. wollen, ist vermutlich sehr gering. Somit spricht auch empirisch Etliches für die These, dass es den Gott des personalen Theismus nicht gibt. Antwortversuche Das Hiddenness-Argument hat eine Fülle an teilweise höchst differenziert vorgetragenen Antworten hervorgerufen, die im Folgenden in Auswahl und nur stichpunktartig vorgestellt werden können.7 Eine erste Antwort besagt: Es ist nicht klar, wie Gott auf vollkommene Weise liebt. Wenngleich die Prämissen (1)–(3) des zuvor skizzierten Arguments von theologischer Seite grundsätzlich kaum in Frage gestellt werden, so ist damit noch nicht geklärt, wie Liebe und moralische Vollkommenheit Gottes zu denken sind. Es ließe sich beispielsweise dafür argumentieren, dass vollkommene Liebe im richtigen Verhältnis zum Objekt der Liebe stehen muss. Da der Mensch kein vollkommenes Wesen ist, sondern vielmehr durch die Erbsünde in seiner Fähigkeit zur Liebe nachhaltig gestört ist, liegt kein Verschulden auf der Seite Gottes vor, wenn er den Menschen nicht auf vollkommene Weise liebt. Oder vielleicht verhält es sich so, dass Gott die Schöpfung insgesamt auf vollkommene Weise liebt, aber der Mensch nicht den oft angenommenen besonderen Stellenwert innerhalb der Gesamtschöpfung einnimmt und daher auch nicht in besonderer Weise von Gott bedacht werden muss. Diese und ähnlich strukturierte Argumente greifen den Analogieschluss von einer zwischenmenschlichen liebenden Beziehung auf eine liebende Beziehung von Gott zum Menschen an und weisen die Analogie als nicht zutreffend zurück. Eine zweite Antwort besagt: Es ist nicht notwendig, von Gottes Existenz überzeugt zu sein. Gemäß dieser These ist Prämisse (4) des Arguments anzuzweifeln, da der Mensch durchaus eine Beziehung zu Gott anstreben oder eingehen kann, ohne von seiner Existenz überzeugt zu sein. Vielleicht, so eine der Überlegungen, ist es nicht nur ausreichend, sondern sogar gefordert, sich vertrauensvoll Gott zuzuwenden, ohne vorher der Überzeugung zustimmen zu müssen, dass Gott existiert. Zustimmung auf der kognitiv-theoretischen Ebene ist für eine vertrauensvolle Haltung gegenüber einem personalen „Du“ nicht förderlich, sondern läuft vielmehr Gefahr, Gott 7

Vgl. hierzu den einschlägigen Beitrag von Daniel Howard-Snyder und Adam Green, „Hiddenness of God,“ in: Stanford Encyclopedia of Philosophy, hrsg. von Edward N. Zalta (zuerst veröffentlicht am 23.04.2016). https://plato.stanford.edu/entries/divine-hiddenness/. Die Auswahl der Texte, insbesondere in Teil II, orientiert sich an diesen Antwortversuchen und stellt prominente Beispiele derselben vor. Dabei wird nicht der Anspruch erhoben, eine umfassende Auswahl aller möglichen Antworten zu präsentieren, da die Debatte in der Zwischenzeit zu komplex geworden ist.

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zu einem Objekt bzw. zum Inhalt einer theoretischen Annahme zu degradieren, während die erforderliche existentiell-persönliche Ebene in den Hintergrund gedrängt wird. Gottesglaube zeichnet sich dadurch aus, dass wir uns existentiell an Gott binden, obwohl uns keine subjektiv hinreichenden Belege für Gottes Existenz zugänglich sind. Eine dritte Antwort besagt: Gott ermöglicht und bewahrt den Wert menschlicher Freiheit. Es lässt sich Prämisse (5) in Frage stellen, indem mögliche Gründe Gottes benannt werden, denen zufolge es zulässig ist, dass Menschen von der Existenz Gottes nicht überzeugt sind. Möglicherweise gibt es Güter, die das Vorkommnis des vernünftigen Unglaubens aufwiegen oder gar übertreffen, wie etwa Freiheit. Wenn Freiheit eine hinreichende und notwendige Bedingung für die Möglichkeit einer persönlichen Beziehung zu einer anderen Person darstellt, dann müssen die Belege für die Existenz Gottes so beschaffen sein, dass sie menschliche Entscheidungsfreiheit nicht unterminieren. Wäre ein Mensch von der Existenz Gottes dank unmissverständlicher Belege überzeugt, dann bliebe ihm gar keine andere Wahl, als diese Belege zu akzeptieren. Dann könnte sich der betreffende Mensch aber nicht mehr glaubend und vertrauend Gott zuwenden, sondern würde Gott als gegebene Tatsache akzeptieren. Vermutlich würde diese Person das moralisch Gute tun bzw. moralisch Böses unterlassen – nicht jedoch i. S. einer freiwilligen Hingabe und eines inneren Ringens, sondern aufgrund einer klaren Evidenzlage. Eine vierte Antwort besagt: Die fehlende Überzeugung, dass Gott existiert, stellt sich nicht schuldlos ein. Die These dieser Antwortstrategie lautet, dass die Tatsache, dass manchen diese Glaubensüberzeugung fehlt, im Lichte des Theologumenons der Sünde nicht weiter verwunderlich ist. Nur zeichnet sich dieser, contra Prämisse (6), nicht dadurch aus, ohne Widerstände zu sein, sondern diese sind höchstens nicht phänomenal erfahrbar. Dass wir alle in den Strukturen der Sünde verstrickt sind, zeige gerade das Phänomen der fehlenden Überzeugung, dass Gott existiert, da unsere Fähigkeiten, Gott zu erkennen, durch den Sündenfall erheblich kontaminiert worden sind. Es könnte zudem der Fall sein, dass Gott bewusst als Folge der Erbsünde Belege für seine Existenz zurückhält und dazu auch moralisch gerechtfertigt ist, da der Mensch den ursprünglichen Bund mit Gott durch sein eigenes Verschulden aufgekündigt hat. Gott zeichnet sich demnach verantwortlich für die vorfindliche Evidenzlage und ist dazu auch moralisch gerechtfertigt. Dass vielen Menschen eine persönliche Beziehung mit Gott bis auf weiteres verwehrt bleibt, kann Gott nicht zum Vorwurf gemacht werden. Eine fünfte Antwort besagt: Eine agnostische Haltung ist angemessen. Indem die Belege für und wider die Existenz Gottes ambivalent sind, lässt sich weder der Schluss ziehen, der Theismus sei wahr, noch, er sei falsch. Da

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wir zudem auch nicht epistemisch in der Lage sind, überaus komplexe welt­ anschauliche Gebilde wie den Theismus oder den Naturalismus zu überprüfen und auf ihre Adäquatheit und evidentielle Stärke hin umfassend zu bewerten, sind wir auch nicht fähig, eine klare Aussage bezüglich der Existenz oder Nicht-Existenz Gottes zu formulieren. Folglich kann aus dem Argument die Konklusion, dass Gott nicht existiert, nicht gezogen werden. Die einzig adäquate Reaktion auf diese ambivalente Evidenzlage ist eine epistemisch skeptische und agnostische Grundhaltung, die sich eine Entscheidung bewusst offenhält. Eine sechste Antwort besagt: Es gibt Gründe Gottes, die uns unbekannt sind. Diese Antwort ist verwandt mit der dritten Antwort, weil dafür plädiert wird, dass Gott gute Gründe für seine Verborgenheit haben mag. Diese Antwort geht insofern über den dritten Antwortversuch hinaus, als mögliche Gründe dafür, dass viele vernünftige und nicht widerständige Menschen nicht von Gottes Existenz überzeugt sind, aufgrund unserer kognitiven Beschränktheit der Erkenntnis prinzipiell entzogen sind. Wenn wir uns unserer limitierten kognitiven Fähigkeiten bewusst werden und uns verdeutlichen, dass wir es mit den Gründen eines allwissenden und unendlichen Wesens zu tun haben, so erscheint es durchaus wahrscheinlich, dass es Gründe für das Vorkommnis des nonresistant nonbelief gibt, die uns nicht zugänglich sind. Somit kann aus diesem Vorkommnis keine atheistische Konklusion gezogen werden. Neben diesen Antwortversuchen, die sich mehr oder weniger direkt auf einzelne Prämissen des Schellenberg’schen Arguments der göttlichen Verborgenheit beziehen, gibt es auch theologische Antwortversuche, die sich primär auf Gottes Natur beziehen und das klassische Gottesattribut der incomprehensibilitas Dei stark machen. Wenn Gott unserer Erkenntnis aufgrund seiner und unserer Natur entzogen ist, da Gott unendlich ist und uns als endlichen Geschöpfen gegenüber steht, dann sollten wir uns nicht wundern, dass Gott uns als verborgen erscheint. Jeder Versuch einer Vermittlung von Gott in einer endlichen Welt läuft Gefahr, Aspekte der endlichen Welt mit Gott zu verwechseln bzw. dass wir uns in der Lage wähnen, Gott zumindest teilweise erkennen und verstehen zu können. Selbst eine göttliche Offenbarung ist demnach nicht so zu verstehen, dass Gott gewisse Dimensionen seiner selbst offenbart und für uns erkennbar und verständlich macht, während andere Dimensionen verborgen bleiben, sondern Gott offenbart sich – richtig verstanden – gerade als der Unbegreifliche und Unendliche. Oder anders ausgedrückt: Offenbarung bedeutet eigentlich nicht, dass sich Gott enthüllt und uns verständlich macht, sondern sich uns als der verborgen bleibende und geheimnisvolle Gott nähert, der zugleich aber als vertrauenswürdig und rettend erfahren wird. Diese Einsicht kommt in kondensierter

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Form in Jes 45,15 zum Ausdruck, wo es heißt: „Wahrhaftig, du bist ein verborgener Gott; Israels Gott ist der Retter.“ Beides gehört somit zusammen, die Verborgenheit Gottes und das Vertrauen, dass dieser Gott zugleich Retter ist und Erlösung schenkt. Von dieser theologischen Perspektive her erweist sich der Schellenberg’sche Gottesbegriff des Theismus als allzu personal und anthropomorph. Einem transzendent und begrifflich für uns nicht fassbaren Gott können wir letztlich nicht in der Welt auf die Spur kommen. Ein solcher Gott macht uns vielmehr unser epistemisches Unvermögen, Gott zu erkennen und zu begreifen, bewusst. Darin liegt die eigentliche Gotteserkenntnis, nämlich dass der geoffenbarte Gott immer auch der verborgene bleibt, und dass somit alles, was wir klar als Gott zu erkennen meinen, eigentlich nicht der wirkliche Gott, sondern nur ein falsches Abbild davon sein kann. Ein Gott, der sich als Verborgener offenbart, kann naheliegender Weise – um den Bogen hin zum Argument von Schellenberg zu schließen – keine hinreichend starke Belege für seine Existenz bereitstellen, die einer angemessenen Glaubenshaltung vorgelagert sind, da dies Gottes Natur nicht gerecht werden könnte.

Teil I: Klassische Texte der christlichen Theologie

Disputatio Heidelbergae habita Martinus Lutherus XIX: Non ille digne Theologus dicitur, qui invisibilia Dei, per ea, quae facta sunt, intellecta conspicit. [...] XX: Sed qui visibilia et posteriora Dei, per passiones et crucem conspecta intelligit. Posteriora et visibilia Dei sunt opposita invisibilium, id est, humanitas, infirmitas, stulticia. Sicut 1. Corinth. 1. vocat infirmum et stultum Dei, Quia enim homines cognitione Dei ex operibus abusi sunt, voluit rursus Deus ex passionibus cognosci et reprobare illam sapientiam invisibilium, per sapientiam visibilium, ut sic, qui Deum non coluerunt manifestum ex operibus, colerent absconditum in passionibus. Sicut ait 1. Corinth. 1. Quia in Dei sapientia non cognovit mundus Deum per sapientiam, placuit Deo per stulticiam praedicationis salvos facere credentes. Ita, ut nulli iam satis sit ac prosit, qui cognoscit Deum in gloria et maiestate, nisi cognoscat eundem in humilitate et ignominia crucis. Sic perdit sapientiam sapientum etc. sicut Isaias dicit: Vere absconditus tu es Deus.

Sic Iohan. 14. Cum Philippus iuxta Theologiam gloriae diceret: Ostende nobis Patrem, Mox Christus retraxit et in seipsum reduxit eius volatilem cogitatum querendi Deum alibi, dicens: Philippe, qui videt me, videt et patrem meum. Ergo in Christo crucifixo est vera Theologia et cognitio Dei. Et Ioh. 10. Nemo venit ad Patrem, nisi per me. Ego sum ostium etc.

De servo arbitrio Martinus Lutherus Nihil itaque potuit ineptius pro libero arbitrio adduci, quam hic locus Ezechielis, imo fortissime contra liberum arbitrium pugnat. Significatur enim hic, liberum arbitrium, qualiter se habeat, et quid possit in peccato agnito aut in sese convertendo, Scilicet quod non nisi in peius laberetur, et desperationem et impoenitentiam adderet peccatis, nisi Deus succurreret mox et

Heidelberger Disputation Martin Luther XIX: Nicht der wird mit Recht ein Theologe genannt, der das unsichtbare [Wesen] Gottes „erblickt, das durch das erkannt wird, was gemacht ist.“ [...]

XX: Sondern wer das Sichtbare und die dem Menschen zugewandte Rückseite Gottes erkennt, die durch Leiden und Kreuz erblickt wird. Die dem Menschen zugewandte Rückseite und das Sichtbare Gottes sind Gegensätze zum Unsichtbaren: das heißt, Menschlichkeit, Schwäche, Torheit. So nennt 1Kor 1 [sic] dies das Schwache und Törichte Gottes. Weil nämlich die Menschen die Erkenntnis Gottes aus den Werken missbraucht haben, wollte Gott wiederum aus den Leiden erkannt werden und jene Weisheit des Unsichtbaren durch die Weisheit des Sichtbaren verwerfen, damit so diejenigen, die den in seinen Werken offenbaren Gott nicht verehrten, den in den Leiden verborgenen [Gott] verehren sollten. So sagt 1Kor 1 [sic]: „Weil die Welt in Gottes Weisheit Gott nicht erkannte durch Weisheit, gefiel es Gott durch die Torheit der Predigt die Glaubenden selig zu machen.“ So, dass es keinem mehr genügt und nützt, der Gott in der Herrlichkeit und Majestät erkennt, wenn er ihn nicht in der Niedrigkeit und Schande des Kreuzes erkennt. So „verdirbt er die Weisheit der Weisen“ usw. und so sagt Jesaja: „Wahrlich, du bist ein verborgener Gott.“ So Joh 14, als Philippus im Sinne der Theologie der Herrlichkeit sagte: „Zeige uns den Vater“, da holte Christus alsbald seinen hochfliegenden Gedanken, Gott anderswo zu suchen, zurück und bezog ihn auf sich selbst, indem er sagte: „Philippus, wer mich sieht, sieht auch meinen Vater.“ Also ist im gekreuzigten Christus die wahre Theologie und Erkenntnis Gottes. Und Joh 10 [richtig: 14]: „Niemand kommt zum Vater, denn durch mich“; „Ich bin die Tür“ usw.

Vom unfreien Willensvermögen Martin Luther Nichts Alberneres kann also für das freie Willensvermögen angeführt werden als diese Stelle bei Ezechiel [Ez 18,23 – Anm. d. Hrsg.], da sie ja vielmehr höchst kräftig gegen das freie Willensvermögen kämpft. Denn hier wird angezeigt, wie es sich verhält und was es bei der Erkenntnis der Sünde oder bei seiner Bekehrung vermag. Dass es nämlich nur zum Schlechteren abgleiten kann

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promissionis verbo revocaret et erigeret. Sollicitudo enim Dei promittentis gratiam ad revocandum et erigendum peccatorem, satis magnum et fidele argumentum est, liberum arbitrium se solo non posse nisi ad peius, et (ut scriptura dicit) ad inferos labi, nisi Deum eius levitatis esse credas, quod nulla necessitate salutis nostrae, sed mera voluptate loquacitatis, verba promissionis effundat tam copiose. Ut sic videas, non solum omnia verba legis contra liberum arbitrium stare, sed etiam omnia verba promissionis ipsum penitus confutare, hoc est, universam scripturam contra illud pugnare.

Quare illo verbo, Nolo mortem peccatoris, nihil aliud agi vides, quam praedicari et offerri divinam misericordiam in mundo, quam solum afflicti et morte vexati cum gaudio et gratitudine suscipiunt, ut in quibus iam lex suum officium, id est, cognitionem peccati complevit. Illi vero, qui legis officium nondum sunt experti, nec agnoscunt peccatum, nec mortem sentiunt, con­ tem­nunt misericordiam promissam eo verbo. Caeterum, Cur alii lege tanguntur, alii non tanguntur, ut illi suscipiant et hi contemnant gratiam oblatam, alia quaestio est, nec hoc loco tractatur ab Ezechiele, qui de praedicata et oblata misericordia Dei loquitur, non de occulta illa et metuenda voluntate Dei, ordinantis suo consilio, quos et quales praedicatae et oblatae misericordiae capaces et participes esse velit. Quae voluntas non requirenda, sed cum reverentia adoranda est, ut secretum longe reverendissimum maiestatis divinae, soli sibi reservatum, ac nobis prohibitum, multo religiosius, quam infinitae multitudinis specus Coricii.

Quando nunc Diatribe argutatur, Plorat ne pius Dominus mortem populi sui, quam ipse operatur in illis? Hoc enim nimis absurdum videtur. Respondemus, ut iam diximus, Aliter de Deo vel voluntate Dei nobis praedicata, revelata, oblata culta, Et aliter de Deo non praedicato, non revelato, non oblato, non culto disputandum est. Quatenus igitur Deus sese abscondit et ignorari a nobis vult, nihil ad nos. Hic enim vere valet illud, Quae supra nos, nihil ad nos. Et ne meam hanc esse distinctionem quis arbitretur, Paulum sequor, qui ad Thessalonicenses de Antichristo scribit, quod sit exaltaturus sese super omnem Deum praedicatum et cultum, manifeste significans, aliquem posse extolli supra Deum, quatenus est praedicatus et cultus, id est, supra verbum et cultum quo Deus nobis cognitus est, et nobiscum habet commercium, sed supra Deum non cultum, nec praedicatum, ut est in sua natura et maiestate, nihil potest extolli, sed omnia sunt sub potenti manu eius. Relinquendus est

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und den Sünden Verzweiflung und Unbußfertigkeit hinzufügt, wenn nicht Gott alsbald zur Hilfe eilt und ihn [sc. den Sünder] mit dem Wort der Zusage zurückruft und aufrichtet. Denn die Sorge Gottes, der die Gnade zusagt, den Sünder zurückzurufen und aufzurichten, ist ein ausreichend großes und zuverlässiges Argument, dass das freie Willensvermögen aus sich heraus nur zum Schlechteren und (wie die Schrift sagt) zur Hölle abgleiten kann. Es sei denn, du glaubst, dass Gott so leichtfertig sei, dass er nicht aus Notwendigkeit für unser Heil, sondern aus purer Redseligkeit die Worte der Zusage so reichlich ausgießt. So siehst du also, dass nicht nur alle Worte des Gesetzes gegen das freie Willensvermögen stehen, sondern auch alle Worte der Zusage es gänzlich widerlegen, das heißt, die gesamte Schrift dagegen kämpft. Daher siehst du, dass mit jenem Wort „Ich will nicht den Tod des Sünders“ nichts anderes getan wird, als dass das göttliche Erbarmen in der Welt gepredigt und dargeboten wird, welches allein die Angefochtenen und vom Tode Gequälten mit Freude und Dankbarkeit aufnehmen. So hat in ihnen das Gesetz schon sein Amt, das heißt, die Erkenntnis der Sünde erfüllt. Jene aber, die das Amt des Gesetzes noch nicht erfahren haben, die Sünde nicht kennen und den Tod nicht empfinden, verachten das Erbarmen, das in diesem Wort zugesagt ist. Übrigens: Warum die einen das Gesetz erreicht, die anderen nicht, so dass jene die angebotene Gnade annehmen und diese sie verachten – das ist eine andere Frage und sie wird von Ezechiel an dieser Stelle nicht behandelt. Er spricht von der gepredigten und dargebotenen Barmherzigkeit Gottes, nicht vom verborgenen und zu fürchtenden Willen Gottes, der nach seinem Ratschluss ordnet, welche und was für welche nach seinem Willen der gepredigten und dargebotenen Barmherzigkeit fähig und teilhaftig sind. Dieser Wille ist nicht zu erforschen, sondern mit Ehrfurcht anzubeten als ein höchst verehrungswürdiges Geheimnis der göttlichen Majestät, ihm allein vorbehalten und uns verboten, weit frömmer als Korykische Höhlen von unendlicher Menge. Wenn nun die ,Diatribe‘ schwatzt „Beweint doch nicht der treue Herr den Tod seines Volkes, den er selbst in ihnen wirkt? Dies nämlich schiene allzu absurd“, so antworten wir, wie wir schon gesagt haben: Anders ist über Gott oder über den Willen Gottes zu disputieren, der uns gepredigt, offenbart, dargeboten und von uns verehrt wird, und anders über Gott, der nicht gepredigt, nicht offenbart, nicht dargeboten, nicht verehrt wird. So weit also Gott sich selbst verbirgt und von uns nicht gekannt werden will, geht er uns nichts an. Hier hat wahrlich jenes Wort Geltung: „Was über uns ist, geht uns nichts an.“ Und damit nicht einer glaubt, dies sei meine eigene Unterscheidung: Ich folge Paulus, der an die Thessalonicher über den Antichrist schreibt, dass er sich erheben werde über jeden Gott, der gepredigt und verehrt wird; damit zeigt er klar an, dass einer sich über Gott erheben kann, so weit er gepredigt und verehrt wird, das heißt, über das Wort und die Vereh-

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igitur Deus in maiestate et natura sua, sic enim nihil nos cum illo habemus agere, nec sic voluit a nobis agi cum eo, Sed quatenus indutus et proditus est verbo suo, quo nobis sese obtulit, cum eo agimus, quod est decor et gloria eius, quo Psalmista eum celebrat indutum. Sic dicimus, Deus pius non deplorat mortem populi quam operatur in illo, Sed deplorat mortem quam invenit in populo et amovere studet. Hoc enim agit Deus praedicatus, ut ablato peccato et morte, salvi simus.

Misit enim verbum suum et sanavit eos. Caeterum Deus absconditus in maiestate, neque deplorat neque tollit mortem, sed operatur vitam, mortem, et omnia in omnibus. Neque enim tum verbo suo definivit sese, sed liberum sese reservavit super omnia. Illudit autem sese Diatribe ignorantia sua, dum nihil distinguit inter Deum praedicatum et absconditum, hoc est, inter verbum Dei et Deum ipsum, Multa facit Deus, quae verbo suo non ostendit nobis, Multa quoque vult, quae verbo suo non ostendit sese velle. Sic non vult mortem peccatoris, verbo scilicet, Vult autem illam voluntate illa imperscrutabili. Nunc autem nobis spectandum est verbum, relinquendaque illa voluntas imperscrutabilis, Verbo enim nos dirigi, non voluntate illa inscrutabili, oportet. Atque adeo, quis sese dirigere queat ad voluntatem prorsus imperscrutabilem et incognoscibilem? Satis est, nosse tantum, quod sit quaedam in Deo voluntas imperscrutabilis, Quid vero, Cur et quatenus illa velit, hoc prorsus non licet quaerere, optare, curare, aut tangere, sed tantum timere et adorare. Igitur recte dicitur, Si Deus non vult mortem, nostrae voluntati imputandum est, quod perimus. Recte inquam, si de Deo praedicato dixeris, Nam ille vult omnes homines salvos fieri, dum verbo salutis ad omnes venit, vitiumque est voluntatis, quae non admittit eum, sicut dicit Matth. 23. Quoties volui congregare filios tuos et noluisti? Verum quare maiestas illa vitium hoc voluntatis nostrae non tollit aut mutat in omnibus, cum non sit in potestate hominis, aut cur illud ei imputet, cum non possit homo eo carere, quaerere non licet, ac si multum quaeras, nunquam tamen invenias, sicut Paulus Rom. 11. dicit. Tu quis es, qui respondeas Deo? Haec satis sint pro isto loco Ezechielis, pergamus ad reliqua.

Vom unfreien Willensvermögen

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rung, mit der Gott uns bekannt ist und mit uns in Verbindung steht. Aber über den Gott, der nicht verehrt, nicht gepredigt wird, wie er in seiner Natur und Majestät ist, kann nichts sich erheben, sondern alles ist unter seiner mächtigen Hand. Belassen werden muss also Gott in seiner Majestät und Natur, denn so haben wir nichts mit ihm zu schaffen, und er wollte nicht, dass wir so mit ihm zu schaffen haben. Vielmehr, insoweit er mit seinem Wort umkleidet und dargeboten ist, womit er sich uns darbot, haben wir mit ihm zu schaffen, was sein Schmuck und sein Ruhm ist, mit dem umkleidet ihn der Psalmist feiert. So sagen wir: Der treue Gott beweint nicht den Tod des Volkes, den er in ihm bewirkt. Sondern er beweint den Tod, den er im Volk findet, und trachtet, ihn abzuwenden. Dies nämlich tut der gepredigte Gott, dass er Sünde und Tod wegnehme und wir heil seien. Denn er sandte sein Wort und heilte sie. Im Übrigen beweint der in seiner Majestät verborgene Gott weder den Tod noch hebt er ihn auf, sondern wirkt Leben, Tod und alles in allem. Denn da hat er sich ja nicht in seinem Wort festgelegt, sondern sich frei bewahrt über allem. Die ,Diatribe‘ täuscht sich aber in ihrer Unwissenheit, wenn sie überhaupt nicht unterscheidet zwischen dem gepredigten und dem verborgenen Gott, das heißt, zwischen Wort Gottes und Gott selbst. Vieles tut Gott, was er uns durch sein Wort nicht anzeigt. Vieles auch will er, von dem er in seinem Wort nicht anzeigt, dass er es will. So will er nicht den Tod des Sünders, im Wort nämlich. Er will ihn aber in seinem unerforschlichen Willen. Wir aber müssen jetzt auf das Wort achten und jenen unerforschlichen Willen beiseite lassen. Denn nach dem Wort müssen wir uns richten, nicht nach jenem unerforschlichen Willen. Und daher, wer könnte sich nach jenem gänzlich unerforschlichen und unerkennbaren Willen richten? Es ist genug, nur zu wissen, dass es in Gott einen gewissen unerforschlichen Willen gibt. Was aber, warum und inwiefern er will – danach zu fragen, das zu wünschen, sich darum zu sorgen oder daran zu rühren, ist überhaupt nicht erlaubt, sondern nur zu fürchten und anzubeten. Also wird richtig gesagt „Wenn Gott nicht den Tod will, ist es unserem Willen anzurechnen, dass wir zugrunde gehen.“ Richtig, sage ich, wenn du von dem gepredigten Gott sprichst! Denn der will, dass alle Menschen selig werden, denn im Wort des Heils kommt er zu ihnen allen, und es ist die Schuld des Willens, der ihn nicht zulässt, so wie Mt 23 sagt: „Wie oft wollte ich deine Söhne versammeln, und du hast nicht gewollt?“ Aber: Warum jene Majestät diesen Fehler unseres Willens nicht aufhebt oder in allen ändert, weil es ja doch nicht in der Macht des Menschen liegt, oder warum er ihm jenen anrechnet, obwohl sich der Mensch ihm nicht entziehen kann, danach zu fragen ist nicht erlaubt. Und wenn du noch so viel fragst, findest du [es] doch niemals [heraus], so wie Paulus in Röm 11 sagt: „Wer bist du, der du mit Gott rechtest?“ Dies sei genug zu jener Stelle bei Ezechiel, wir wollen zum Übrigen weitergehen.

Dialogus de Deo abscondito duorum, quorum unus Gentilis, alius Christianus Nicolaus Cusanus Et ait Gentilis: Video te devotissime prostratum et fundere amoris lacrimas non quidem falsas, sed cordiales. Quaero, quis es? Christianus: Christianus sum. G: Quid adoras? C: Deum.

G: Quis est Deus, quem adoras? C: Ignoro.

G: Quomodo tam serio adoras, quod ignoras? C: Quia ignoro, adoro.

G: Mirum video hominem affici ad id, quod ignorat.

C: Mirabilius est hominem affici ad id, quod se scire putat. G: Cur hoc?

C: Quia minus scit hoc, quod se scire putat quam id, quod se scit ignorare. G: Declara, quaeso.

C: Quicumque se putat aliquid scire, cum nihil sciri possit, amens mihi videtur. G: Videtur mihi quod tu penitus ratione careas, qui dicis nihil sciri posse.

C: Ego per scientiam intelligo apprehensionem veritatis. Qui dicit se scire, veritatem se dicit apprehendisse. G: Et idem ego credo.

C: Quomodo igitur potest veritas apprehendi nisi per se ipsam? Neque tunc apprehenditur, cum esset apprehendens prius et post apprehensum.

Ein Gespräch zweier Männer, von denen der eine Heide, der andere Christ ist, über den verborgenen Gott Nikolaus von Kues Heide: Ich sehe, wie du voll Ehrfurcht niedergebeugt, aus tiefstem Herzen Tränen der Liebe vergießt, ohne zu heucheln. Bitte, sage mir, wer du bist! Christ: Ich bin ein Christ. H: Wen betest du an? C: Gott.

H: Wer ist der Gott, den du anbetest? C: Das weiß ich nicht.

H: Wie kannst du mit solchem Ernst etwas anbeten, das du nicht kennst? C: Eben weil ich ihn nicht kenne, bete ich ihn an.

H: Seltsam, daß ein Mensch von etwas ergriffen wird, das er nicht kennt.

C: Noch seltsamer ist, daß ein Mensch von etwas ergriffen wird, das er zu wissen meint. H: Warum?

C: Weil er das, was er zu wissen glaubt, weniger weiß als das, von dem er weiß, daß er es nicht kennt. H: Bitte, erkläre mir das!

C: Wer glaubt, etwas zu wissen, obwohl man doch nichts wissen kann, scheint mir wahnsinnig zu sein. H: Mir scheinst vielmehr du den Verstand völlig verloren zu haben, wenn du sagst, man könne nichts wissen. C: Unter Wissen verstehe ich: die Wahrheit erfaßt haben. Wer sagt, daß er weiß, behauptet damit, daß er die Wahrheit erfaßt hat. H: Das glaube ich auch.

C: Wie kann man aber die Wahrheit erfassen außer durch sie selbst? Denn man erfasst sie nicht, wenn zuerst das Erfassende kommt und dann das Erfaßte.

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Nikolaus von Kues

G: Non intelligo istud, quod veritas non possit nisi per se ipsam apprehendi. C: Putas, quod aliter apprehensibilis sit et in alio? G: Puto.

C: Aperte erras; nam extra veritatem non est veritas, extra circularitatem non est circulus, extra humanitatem non est homo. Non reperitur igitur veritas extra veritatem nec aliter nec in alio. G: Quomodo ergo mihi notum est, quid homo, quid lapis et ita de singulis, quae scio?

C: Nihil horum scis, sed te putas scire. Si enim te interrogavero de quidditate eius, quod te putas scire, affirmabis, quod ipsam veritatem hominis aut lapidis exprimere non poteris. Sed quod scis hominem non esse lapidem, hoc non evenit ex scientia, qua scis hominem et lapidem et differentiam, sed evenit ex accidenti, ex diversitate operationum et figurarum, quae, dum discernis, diversa nomina imponis. Motus enim in ratione discretiva nomina imponit.

G: Estne una an plures veritates?

C: Non est nisi una; nam non est nisi una unitas et coincidit veritas cum unitate, cum verum sit unam esse unitatem. Sicut igitur in numero non reperitur nisi unitas una, ita in multis nisi veritas una. Et hinc qui unitatem non attingit, numerum semper ignorabit et qui veritatem in unitate non attingit, nihil vere scire potest. Et quamvis putat se vere scire, tamen verius sciri ipsum, quod se scire putat, de facili experitur. Verius enim videri potest visibile, quam per te videatur; verius enim per acutiores oculos videretur. Non ergo a te videtur, uti visibile est in veritate; ita de auditu et ceteris sensibus. Sed cum omne id, quod scitur et non ea scientia, qua sciri potest, non sciatur in veritate, sed aliter et alio modo (aliter autem et in alio modo a modo, qui est ipsa veritas, non scitur veritas); hinc amens est, qui se aliquid in veritate scire putat et veritatem ignorat. Nonne amens iudicaretur ille caecus, qui se putaret scire differentias colorum, quando colorem ignoraret?

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H: Ich verstehe nicht, daß die Wahrheit nur durch sich selbst erfaßt werden kann. C: Glaubst du, daß sie auf andere Weise und in etwas anderem erfaßt werden kann? H: Ja!

C: Du irrst ganz offenbar; denn es gibt keine Wahrheit außerhalb der Wahrheit, keinen Kreis außerhalb des Kreisseins, keinen Menschen außerhalb des Menschseins. Daher findet man keine Wahrheit außerhalb der Wahrheit, weder anders noch in anderem. H: Auf welche Weise ist mir dann bekannt, was ein Mensch ist und was ein Stein ist, und alles andere, von dem ich Kenntnis habe?

C: Du weißt nichts von diesen, du glaubst nur zu wissen. Denn wenn ich dich nach der Washeit dessen, was du zu wissen meinst, fragte, so würdest du gestehen, daß du die eigentliche Wahrheit des Menschen und des Steines nicht ausdrücken kannst. Die Tatsache, daß du weißt, daß ein Mensch kein Stein ist, kommt nicht aus einem Wissen, durch das du den Menschen und den Stein und ihren Unterschied wüsstest, sondern aus ihren zufälligen, äußeren Eigenschaften, aus der Verschiedenheit ihrer Handlungen und Gestalten, welchen du, wenn du sie unterscheidest, verschiedene Bezeichnungen gibst. Die Bewegung in dem unterscheidenden Verstand gibt diese Namen. H: Gibt es eine oder mehrere Wahrheiten?

C: Es gibt nur eine einzige. Denn es gibt nur eine Einheit und die Wahrheit fällt mit der Einheit zusammen, weil es wahr ist, daß es nur eine Einheit gibt. Wie man in der Zahl nur eine einzige Einheit findet, so auch in den vielen Dingen eine einzige Wahrheit. Und darum wird der, der die Einheit nicht erreicht, die Zahlen nie kennen und der, der die Wahrheit in der Einheit nicht erreicht, nichts wahrhaft wissen. Und obwohl er glaubt, in Wahrheit zu wissen, erfährt er doch leicht, daß das, was er zu wissen glaubt, wahrer gewußt werden kann. Das Sichtbare zum Beispiel kann wahrer gesehen werden, als es von dir gesehen wird, und zwar durch schärfere Augen. Also siehst du es nicht so, wie es in Wahrheit sichtbar ist. Ebenso verhält es sich mit dem Gehör und den übrigen Sinnen. Da aber nun alles, das zwar gewußt wird, aber nicht mit jenem Wissen, mit dem es gewusst werden kann, nicht in Wahrheit, sondern anders und auf andere Weise gewußt wird – anders aber und auf andere Weise als die Wahrheit ist, wird diese nicht gewußt – ist jeder von Sinnen, der glaubt, in Wahrheit zu wissen und die Wahrheit nicht kennt. Hielt man nicht

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G: Quis hominum igitur est sciens, si nihil sciri potest? C: Hic censendus est sciens, qui scit se ignorantem et hic veneratur veritatem, qui scit sine illa se nihil apprehendere posse sive esse sive vivere sive intelligere. G: Hoc forte est, quod te in adorationem attraxit, desiderium scilicet essendi in veritate.

C: Hoc ipsum quod dicis. Colo enim Deum, non quem tua gentilitas falso se scire putat et nominat, sed ipsum Deum, qui est ipsa veritas ineffabilis. G: Rogo te frater, cum Deum, qui est veritas, colas et nos non intendamus Deum colere, qui non est Deus in veritate, quae est differentia inter vos et nos?

C: Multae sunt; sed in hoc una et maxima, quia nos veritatem ipsam absolutam, impermixtam, aeternam ineffabilemque colimus, vos vero non ipsam, uti est absoluta in se, sed uti est in operibus suis, colitis, non unitatem absolutam, sed unitatem in numero et multitudine; errantes, quoniam incommunicabilis est veritas, quae Deus est, alteri. G: Rogo te, frater, ad hoc, ut me ducas, ut te de Deo tuo intelligere queam. Responde mihi: quid scis de Deo, quem adoras? C: Scio omne id, quod scio non esse Deum et quod omne id, quod concipio non esse simile ei, sed quia ipse exsuperat. G: Igitur nihil est Deus.

C: Nihil non est, quia hoc ipsum nihil nomen habet nihili. G: Si non est nihil, est ergo aliquid.

C: Nec aliquid est, nam aliquid non est omne. Deus autem non est potius aliquid quam omne.

G: Mira affirmas Deum, quem adoras, nec esse nihil, nec esse aliquid; quem nulla ratio capit.

C: Deus est supra nihil et aliquid, quia ipsi oboedit nihil, ut fiat aliquid. Et haec est omnipotentia eius, qua quidem potentia omne id, quod est aut

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jenen Blinden für verrückt, der die Unterschiede der Farbe zu wissen glaubte, ohne die Farbe zu kennen?

H: Welcher Mensch ist denn dann ein wissender, wenn man nichts wissen kann?

C: Nur den kann man für einen Wissenden halten, der um sein Nichtwissen weiß. Und nur der wird die Wahrheit verehren, der weiß, daß er ohne sie nichts erfassen kann, weder Sein noch Leben noch Verstehen.

H: Vielleicht ist es das, was dich zur Anbetung bewog: das Sehnen, in der Wahrheit zu sein.

C: Ja, genau dies. Ich verehre Gott, nicht den, den ihr Heiden fälschlich nennt und zu kennen glaubt, sondern Gott selbst, der die unsagbare Wahrheit ist.

H: Da du nun, Bruder, den Gott verehrst, der die Wahrheit ist, und da wir ja auch nicht einen Gott verehren wollen, der nicht in Wahrheit Gott ist, so frage ich dich, worin besteht der Unterschied zwischen euch und uns? C: Es gibt viele Unterschiede, aber der größte und bedeutendste ist der, daß wir die absolute, unvermischte, ewige und unaussprechliche Weisheit selbst verehren; ihr dagegen verehrt sie nicht so, wie sie absolut in sich selbst ist, sondern so, wie sie in ihren Werken ist; nicht die absolute Einheit, sondern die Einheit in Zahl und Menge. Und dabei irrt ihr, denn die Wahrheit, die Gott ist, kann keinem andern mitgeteilt werden. H: Ich bitte dich, Bruder, führe mich dazu, daß ich vermag, das, was du von deinem Gott weißt, einzusehen. Antworte mir, was du von dem Gott weißt, den du verehrst. C: Ich weiß, daß alles, was ich weiß, nicht Gott ist, und daß alles, was ich erfasse, ihm nicht gleichkommt, dass er es vielmehr überragt. H: Also ist Gott nichts.

C: Er ist nicht nichts, denn dieses Nichts hat selbst den Namen „nichts“. H: Wenn er nicht nichts ist, ist er also etwas?

C: Er ist auch nicht etwas, denn etwas ist nicht alles, Gott aber ist nicht eher etwas als alles. H: Seltsam. Du behauptest, der Gott, den du verehrst, ist weder nichts noch etwas. Das kann kein Verstand begreifen. C: Gott steht über dem Nichts und über dem Etwas. Ihm gehorcht das Nichts, so daß es zu Etwas wird. Und dies ist seine Allmacht. Durch sie überragt er

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non est, excedit, ut ita sibi oboediat id, quod non est sicut id, quod est. Facit enim non-esse ire in esse et esse ire in non-esse. Nihil igitur est eorum, quae sub eo sunt et quae praevenit omnipotentia sua. Et ob hoc non potest potius dici hoc quam illud, cum ab ipso sint omnia. G: Potestne nominari?

C: Parvum est, quod nominatur; cuius magnitudo concipi nequit; ineffabilis remanet. G: Est ergo ineffabilis?

C: Non est ineffabilis, sed supra omnia effabilis, cum sit omnium nominabilium causa. Qui igitur aliis nomen dat, quomodo ipse sine nomine? G: Est igitur effabilis et ineffabilis.

C: Neque hoc. Nam non est radix contradictionis Deus, sed est ipsa simplicitas ante omnem radicem. Hinc neque hoc dici debet, quod sit effabilis et ineffabilis. G: Quid igitur dices de eo?

C: Quod neque nominatur, neque non nominatur, neque et non nominatur, sed omnia, quae dici possunt et copulative per consensum vel contradictionem, conveniunt propter excellentiam infinitatis eius, ut principium ante omnem cogitationem de eo formabilem.

nominatur disiunctive sibi non sit unum

G: Sic igitur Deo non conveniret esse. C: Recte dicis.

G: Est ergo nihil.

C: Non est nihil, neque non est, neque est et non est, sed est fons et origo omnium principiorum essendi et non-essendi. G: Est Deus fons pricipiorum essendi et non-essendi? C: Non.

G: Iam statim hoc dixisti.

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alles, was ist und nicht ist und es gehorcht ihm gleicherweise das, was ist und das, was nicht ist. Denn er läßt das Nicht-sein in das Sein übergehen, und das Sein in das Nicht-sein. Er ist also nichts von allem, das ihm unterworfen ist und dem seine Allmacht vorangeht. Und da alles von ihm stammt, kann man ihn nicht eher so oder anders nennen.

H: Kann er überhaupt genannt werden?

C: Gering ist, was genannt wird. Er, dessen Größe unfaßlich ist, bleibt unsagbar. H: Ist er also unsagbar?

C: Er ist nicht unsagbar, sondern vielmehr über alles aussagbar. Er ist der Grund alles Nennbaren. Wie könnte der, der dem andern seinen Namen gibt, selbst ohne Namen bleiben? H: Demnach ist er beides zugleich, sagbar und unsagbar.

C: Nein, auch das trifft nicht zu. Denn Gott ist nicht Wurzel und Ursprung des Widerspruches, sondern die Einfachheit, die vor jedem Ursprung steht. Daher kann man dies, daß er sagbar und unsagbar ist, auch nicht behaupten. H: Was willst du dann von ihm sagen?

C: Daß er weder genannt noch nicht genannt, noch genannt und nicht genannt werden kann, sondern daß alles, was ausgesagt werden kann, gemeinsam und getrennt in Übereinstimmung und Widerspruch ihm wegen der Außerordentlichkeit seiner Unendlichkeit nicht entspricht. Er ist der eine Ursprungsgrund und steht vor jedem Gedanken, den man von ihm bilden könnte. H: So kommt Gott das Sein nicht zu? C: Du hast Recht.

H: Er ist also nichts!

C: Er ist weder nichts noch ist er nicht, noch ist er und ist er nicht, sondern er ist die Quelle und der Ursprung aller Gründe des Seins und Nichtseins. H: Ist Gott also die Quelle der Gründe des Seins und Nicht-seins? C: Nein.

H: Aber das hast du gerade behauptet!

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C: Verum dixi, quando dixi et nunc verum dico, quando nego. Quoniam si sunt quaecumque principia essendi et non-essendi, Deus illa praevenit. Sed non-esse non habet principium nonessendi, sed essendi. Indiget enim non-esse principio, ut sit. Ita igitur est principium non-essendi, quia non-esse sine ipso non est. G: Estne Deus veritas?

C: Non, sed omnem praevenit veritatem. G: Est aliud a veritate?

C: Non, quoniam alteritas ei convenire nequit; sed est ante omne id, quod veritas per nos concipitur et nominatur, in infinitum excellenter. G: Nonne nominatis Deum Deum? C: Nominamus.

G: Vel verum dicitis vel falsum?

C: Neque alterum neque ambo. Non enim dicimus verum, quod hoc sit nomen eius, nec dicimus falsum, quia hoc non est falsum, quod sit nomen eius. Neque dicimus verum et falsum, cum eius simplicitas omnia tam nominabilia quam non nominabilia antecedat. G: Cur nominatis ipsum Deum, cuius nomen ignoratis? C: Ob similitudinem perfectionis. G: Declara, quaeso.

C: Deus dicitur a theoro, id est video. Nam ipse Deus est in nostra regione ut visus in regione coloris. Color enim non aliter attingitur quam visu et ad hoc, ut omnem colorem libere attingere possit, centrum visus sine colore est. In regione igitur coloris non reperitur visus, quia sine colore est. Unde secundum regionem coloris potius visus est nihil quam aliquid, nam regio coloris extra suam regionem non attingit esse, sed affirmat omne, quod est, in sua regione esse, ibi non reperit visum. Visus igitur sine colore existens innominabilis est in regione coloris, cum nullum nomen coloris sibi respondeat. Visus autem omni colori nomen dedit per discretionem. Unde a visu dependet omnis nominatio in regione coloris, sed eius nomen, a quo omne nomen, potius nihil esse quam aliquid deprehenditur. Eo igitur Deus se habet ad omnia sicut visus ad visibilia.

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C: Ich habe die Wahrheit gesagt, als ich es bejahte und sage nun wiederum die Wahrheit, wenn ich es verneine. Denn wenn es Ursprungsgründe des Seins und Nicht-seins gibt, dann geht Gott ihnen voran. Aber das Nichtsein hat nicht als Prinzip das Nicht-sein, sondern das Sein. Denn das Nicht-sein braucht ein Prinzip, um zu sein. So ist also das Prinzip des Nicht-seins, weil das Nichtsein ohne es nicht ist. H: Ist Gott nicht die Wahrheit?

C: Nein, sondern er geht aller Wahrheit voran. H: Ist er etwas anderes als sie?

C: Nein, denn das Anderssein kann ihm nicht zukommen. Aber er ist vor alledem, was von uns als Wahrheit begriffen und bezeichnet wird, unendlich erhaben. H: Ihr nennt doch Gott „Gott“? C: Ja!

H: Sagt ihr nun damit etwas Wahres oder Falsches?

C: Keines von beiden! Denn wir sagen nicht das Wahre, wenn wir sagen, daß das sein Name ist, und auch nichts Falsches, denn es ist nicht falsch, daß das sein Name ist. Und wir sagen auch nicht zugleich Wahres und Falsches, denn seine Einfachheit geht allem Benennbaren und Nichtbenennbaren voran. H: Warum nennt ihr ihn Gott, obwohl ihr seinen Namen nicht kennt?

C: Wegen des darin enthaltenen Gleichnisses seiner Vollkommenheit. H: Bitte, erkläre mir das!

C: Die Bezeichnung Gott (Deus) kommt von ϑεωρῶ, ich sehe. Denn Gott ist in unserem Bereich wie das Sehen im Bereich der Farbe. Die Farbe kann einzig durch das Sehen erfaßt werden, und auf daß jede beliebige Farbe erfaßt werden könnte, ist das eigentliche Zentrum des Sehens ohne Farbe. Im Bereich der Farbe ist daher das Sehen, das ohne Farbe ist, nicht zu finden. Daher ist in Hinblick auf den Bereich der Farbe das Sehen eher nichts als etwas. Denn das Gebiet der Farbe berührt außerhalb seines Gebietes das Sein nicht, sondern behauptet, daß sich alles Seiende innerhalb seines Gebietes befinde. Und dort findet er das Sehen nicht. Das Sehen, das ohne Farbe existiert, ist im Bereich der Farbe unnennbar, da ihm der Name keiner Farbe entspricht. Aber das Sehen gibt durch Unterscheidung jeder Farbe ihren Namen. Daher hängt jede Benennung im Bereich der Farbe vom Sehen ab, und doch haben wir entdeckt, daß

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G: Placet mihi id, quod dixisti et plane intelligo in regione omnium creaturarum non reperiri Deum nec nomen eius, et quod Deus potius aufugiat omnem conceptum quam affirmetur aliquid, cum in regione creaturarum non habens conditionem creaturae non reperiatur. Et in regione compositorum non reperitur non-compositum. Et omnia nomina, quae nominantur, sunt compositorum; compositum autem ex se non est, sed ab eo, quod antecedit omne compositum. Et licet regio compositorum et omnia composita per ipsum sint id, quod sunt, tamen cum non sit compositum, in regione compositorum est incognitum. Sit igitur Deus, ab oculis omnium sapientum mundi absconditus, in saecula benedictus.

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der Name dessen, von dem alle Namen sind, eher nichts ist als etwas. So verhält sich Gott zu allem, wie das Sehen zum Sichtbaren.

H: Was du gesagt hast, gefällt mir. Ich erkenne deutlich, daß im Bereich aller Geschöpfe Gott und sein Name nicht zu finden ist. Und daß Gott nichts entspricht, daß er sich vielmehr jeder Gedankenvorstellung entzieht, da er als etwas, das nicht die Verfassung eines Geschöpfes besitzt, im Bereich der Geschöpfe nicht gefunden werden kann. Auch findet man im Bereich des Zusammengesetzten nicht Nicht-Zusammengesetztes, und alle Namen, die genannt werden, sind Namen von Zusammengesetzten. Das Zusammengesetzte ist aber nicht aus sich selbst, sondern von dem, das allem Zusammengesetzten vorangeht. Und wenn auch das Gebiet des Zusammengesetzten und alles Zusammengesetzte durch dieses das ist, was es ist, so ist es dennoch als ein Nichtzusammengesetztes im Gebiet des Zusammengesetzten unbekannt. So sei Gott, verborgen vor den Augen aller Weisen dieser Welt, in Ewigkeit gepriesen!

§ 27 Die Grenzen der Erkenntnis Gottes Karl Barth Gott wird nur durch Gott erkannt. Wir erkennen ihn also nicht durch die Kraft der Anschauungen und Begriffe, mit denen wir auf seine Offenbarung im Glauben zu antworten versuchen. Wir erkennen ihn aber auch nicht ohne daß wir, von seiner Erlaubnis Gebrauch machend und seinem Befehl gehorchend, diesen Versuch unternehmen. Das Gelingen dieses Unternehmens und also die Wahrhaftigkeit unserer menschlichen Gotteserkenntnis besteht darin, daß unser Anschauen und Begreifen zur Teilnahme an der Wahrheit Gottes durch Gott selbst in Gnaden aufgenommen und bestimmt wird.

1. Die Verborgenheit Gottes Inwiefern wird Gott erkannt? und: Inwiefern ist Gott erkennbar? – auf diese Fragen haben wir in den beiden vorangehenden §§ grundsätzlich geantwortet. Wir können, was wir geantwortet haben, zusammenfassen in dem Satz: Gott wird durch Gott, Gott wird nur durch Gott erkannt. Seine Offenbarung ist nicht nur seine eigene, sondern auch des Menschen Bereitschaft zu seiner Erkenntnis; seine Offenbarung ist also Gottes Erkennbarkeit. Auf dem Boden und im Rahmen dieser grundsätzlichen Antwort haben wir nun noch praktische Antwort, eine konkrete Beschreibung des Geschehens zwischen Gott und Mensch zu geben, das wir Erkenntnis Gottes nennen und das als solches die immer wieder zu erneuernde Voraussetzung aller christlichen Lehre, der kirchlichen Dogmatik, aber auch der kirchlichen Predigt ist. Wir haben uns dieses Geschehen, wir haben uns die Gestalt der Erkenntnis Gottes anschaulich und verständlich zu machen. Wir tun das, indem wir ihre Grenzen bestimmen. Grenze ist hier, da es sich um ein Geschehen handelt, im Sinn des Begriffes terminus zu verstehen. Was da geschieht, wo Gott erkannt wird, das wird uns dann anschaulich und verständlich, das wird uns dann als Gestalt sichtbar, wenn wir wissen um den terminus a quo und um den terminus ad quem dieses Geschehens; um den Punkt, mit dem es anfängt [sic] und um den Punkt [sic] mit dem es endigt. Wir hätten also auch überschreiben können: «Der Weg der Erkenntnis Gottes». Aber eben was dieser Weg ist, wird bestimmt durch seinen Anfangs- und durch seinen Endpunkt, wird also bestimmt durch die Grenzen der Erkenntnis Gottes. Der zwischen diesen Grenzen verlaufende Weg der Erkenntnis Gottes ist die vorgetragene christliche Lehre selber, sofern sie eben auf Erkenntnis Gottes beruht und Erkenntnis Gottes vorbringt. Fragen wir jetzt immer noch danach, inwiefern diese Lehre auf Erkenntnis beruht und Erkenntnis vorbringt, fragen wir jetzt

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insbesondere nach der Gestalt ihrer Erkenntnis, dann fragen wir genauer und deutlicher, wenn wir nach ihren Grenzen fragen. Die Grenze, die uns im ersten Teil dieses § beschäftigen soll, ist der terminus a quo, der Anfangs- und Ausgangspunkt der Erkenntnis Gottes. – Erkenntnis Gottes ist die Voraussetzung aller christlichen Lehre, sagten wir. Das bedeutet aber: sie ist der Grund der Kirche und ihres Bekenntnisses, der Grund des Glaubens aller derer, die in der Kirche und durch die Kirche zur Gemeinschaft mit Gott und so zu ihrem eigenen Heil und zur Ehrung Gottes berufen sind. Erkenntnis Gottes in dem von uns bisher bestimmten Sinn: die objektiv und subjektiv durch Gott selbst begründete und zu ihrem Ziel geführte Erkenntnis Gottes, die Erkenntnis Gottes, deren Subjekt und Objekt Gott der Vater und der Sohn ist durch den Heiligen Geist – sie ist der Grund und zwar der alleinige Grund der uns widerfahrenden Liebe und des von uns erwarteten Lobes Gottes. Es bedeutet darum weder eine Übertreibung noch eine intellektualistische Verengerung, wenn Calvin am Anfang seines Katechismus sagt, der praecipuus finis humanae vitae bestehe darin, ut Deum, a quo conditi sunt homines, ipsi noverint. Dieser Satz ist auch keine Eigentümlichkeit calvinischen Denkens. Ihm sekundiert Joh. Gerhard: Dazu sei Gott in der Schöpfung und durch sein Wort hervorgetreten ex arcana majestatis suae sede, … ut homines Deum recte agnoscerent et veram de Deo doctrinam ab omni errorum fermento puram et illibatam conservarent atque ad posteros suos propagarent (Loci theol. 1610 L. II, 2). In der Tat: Ohne Erkenntnis Gottes keine Lehre, d. h. keine Verkündigung der in der Schrift bezeugten Offenbarung und Versöhnung. Ohne Lehre aber keine Kirche, kein Leben der Kinder Gottes, keine Ehrung Gottes durch den Menschen, kein Heil für den Menschen. Ohne Erkenntnis Gottes also kein Heil. Gottes Absicht in seinem ganzen Handeln mit uns und unsere Bestimmung, neben der wir keine andere haben, weil alle anderen in dieser eingeschlossen sind, ist in der Tat die, daß wir Gott erkennen.

Aber je stärker wir das betonen, um so deutlicher muß es uns sein: Gott wird durch Gott erkannt. Es handelt sich bei diesem Erkennen primär und eigentlich nicht um irgend ein in menschlicher Kraft zu vollziehendes und allenfalls irgend eines menschlichen und also relativen und also doch auch anfechtbaren Erfolges teilhaftiges Unternehmen. Es handelt sich um ein Geschehen, das die Tragkraft hat, die erforderlich ist, wenn wirklich Alles darauf gebaut werden, wenn die Kirche, wenn die Kinder Gottes aus diesem Grunde wachsen und leben sollen. Wir haben in den vorangehenden §§ immer wieder festgestellt: es handelt sich um ein Erkennen, dem gerade keine relative, sondern dem absolute, schlechthinige [sic], undiskutierbare Gewißheit zu eigen ist, die Gewißheit Gottes selbst. Eben in dieser Gewißheit kann es anders als durch Gott selbst nicht begründet, kann es aber anders als durch Gott selbst auch nicht angefochten und aufgehoben werden. Der terminus a quo der Erkenntnis Gottes ist also der, daß wir es in ihr durch Gott

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selbst mit Gott selbst, daß wir es in ihr in nicht zu überbietender und nicht zu bestreitender Gewißheit durch Gott selbst mit Gott selbst zu tun haben, daß sie also wirkliche Erkenntnis Gottes ist. Wir können gleich sagen, daß eben dies, nähere Bestimmung vorbehalten, auch der terminus ad quem sein wird, von dem wir nachher zu reden haben.

Wieder J. Gerhard bezeichnet darum die cognitio Dei ex verbo petita ausdrücklich als vollkommene Erkenntnis, cognitio perfecta, und sieht ihre perfectio darin, daß sie sufficiens ist ad salutem. (A. a. O. II, 90.) In der Tat: das ist die Kraft dieser Erkenntnis, daß sie zu unserem Heil zureicht. Was aber zureicht zu unserem Heil, das kann als Erkenntnis Gottes nicht anders als vollkommen sein. Das muß in einem Geschehen bestehen, in welchem wir es wirklich mit Gott, mit Gott selbst, zu tun haben. Denn was unser Heil schafft, was die Kirche und das Leben der Kinder Gottes begründet, das ist nicht weniger und nichts Anderes als Gott selber. Nicht nur ein Wort über Gott, sondern das Lautwerden des Wortes der Versöhnung als des Wortes der Wahrheit, das Gott selber spricht, das er allein sprechen kann! Eben darin besteht also die Vollkommenheit der Erkenntnis Gottes, daß wir es in ihr mit Gott selber zu tun haben. Eben darin ist sie wirkliche, d. h. wahrhaftige Erkenntnis Gottes.

Aber eben dies, daß wir es in der Erkenntnis Gottes in göttlicher Gewißheit durch Gott selbst mit Gott selbst zu tun haben, muß nun als terminus a quo dieses Geschehens genauer gesehen und näher bestimmt werden. Wir reden von der Erkenntnis Gottes, deren Subjekt Gott der Vater und Gott der Sohn ist durch den Heiligen Geist. Aber eben in dieses Geschehen sind wir, ist der Mensch als sekundäres, nachfolgendes Subjekt mit aufgenommen. Wir reden also nicht nur von einem Geschehen, das sich in der Höhe, im Geheimnis der göttlichen Trinität, abspielt. Wir reden auch von diesem Geschehen, und das eben ist die Kraft alles [sic] Redens von der Erkenntnis Gottes, daß wir dabei auch und zuerst von diesem Geschehen reden. Wir reden aber von der Offenbarung dieses Geschehens in der Höhe, und also von unserer Teilnahme daran. Wir reden von menschlicher Gotteserkenntnis auf Grund dieser Offenbarung und also auch von einem Geschehen, das sich seiner Art und Technik nach nicht von dem unterscheidet, was wir auch sonst Erkennen, menschliches Erkennen nennen. Daß es Gott nicht nur zum Gegenstand, sondern auch zum Ursprung hat, daß sein primäres, eigentliches Subjekt der Vater ist, der den Sohn, der Sohn, der den Vater erkennt im Heiligen Geiste, daß es darum und darin ein gewisses, ein vollkommenes, ein wahrhaftiges Erkennen ist, weil Gott durch Gott erkannt wird, das Alles bedeutet weder eine Aufhebung noch eine Zerstörung noch eine Alterierung des menschlichen Erkennens als solchen und also seiner Art und Technik, die ihm als menschlichem Erkennen eigen sind. Menschliches Erkennen vollzieht sich nun aber in Anschauungen und Begriffen. Anschauungen sind die Bilder, in denen wir Gegenstände als solche wahrnehmen. Begriffe sind die Gegenbilder, mit denen wir uns jene Wahrnehmungsbilder zu eigen machen,

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indem wir sie denken, d. h. indem wir sie ordnen. Eben damit werden sie und mit ihnen die entsprechenden Gegenstände fähig, von uns ausgesprochen zu werden. Können Menschen von Gott in menschlichen Worten sprechen – und das ist ja die Voraussetzung, die wir hier zu prüfen haben – dann können sie Gott offenbar zuvor anschauen und begreifen, d. h. wahrnehmen und denken. Wäre dem nicht so, dann würden sie ihn nicht erkennen: Erkenntnis Gottes wäre dann doch nur ein im Geheimnis der göttlichen Trinität verschlossenes Geschehen. Von einem echten Sprechen von Gott und also von christlicher Lehre könnte dann nicht die Rede sein. Aber was sagen wir, wenn wir sagen, daß Menschen Gott anschauen und begreifen und also menschlich anschauen und begreifen können? Haben wir damit eine Aussage über das menschliche Erkenntnisvermögen als solches, über eine unserem Anschauen und Begreifen immanente, d. h. ihm als solchem innewohnende und eigene Möglichkeit gemacht? Folgt daraus, daß wir Gegenstände überhaupt anzuschauen und zu begreifen vermögen, dies, daß wir gegebenenfalls, nämlich in der Voraussetzung dessen, daß Gott sich uns offenbart und also gegenständlich macht, nun auch diesen Gegenstand, nun auch ihn auf Grund derselben Mächtigkeit anzuschauen und zu begreifen vermögen? Wir werden uns offenbar der Einsicht der ganzen alten Kirche und Theologie nicht entziehen können, daß jene Aussage in diesem Sinn nicht gewagt werden dürfte. Bleibt es dabei, daß Gott nur durch Gott erkannt wird, dann ist eben damit entschieden darüber, daß wir ihn – welches auch die Funktion unserer Anschauungen und Begriffe und wie notwendig diese Funktion auch sein möge – jedenfalls nicht durch diese unsere Anschauungen und Begriffe erkennen. Gemeint ist: nicht durch deren innere Kraft, nicht vermöge ihres eigenen Vermögens, bezw. [sic] des Vermögens des menschlichen Anschauens und Begreifens als solchen, nicht vermöge einer vielleicht durch die Offenbarung zu aktualisierenden Mächtigkeit unseres Erkennens. Kann man diesem den Charakter und die Funktion eines Instrumentes in diesem Geschehen bestimmt nicht absprechen, sind wir bestimmt auch im Akte der Erkenntnis Gottes selber tätig als Empfänger von Bildern und als Schöpfer von Gegenbildern genau so wie in jedem anderen Erkenntnisakt – so ist doch ebenso bestimmt zu bestreiten, daß dieses unser Empfangen und Schaffen seine Wahrhaftigkeit einer uns eigenen Fähigkeit, Gott gegenüber wahrhaftig Empfangende und Schaffende zu sein, zu verdanken hat. Unser Anschauen und Begreifen, das sind ja wir selber! Wir selbst haben aber keine Fähigkeit zur Gemeinschaft mit Gott. Zwischen Gott und uns steht Gottes Verborgenheit, in der er uns fern und fremd ist, sofern er nicht – aber das geschieht nicht in Aktualisierung unserer Fähigkeit, sondern im Wunder seines Wohlgefallens – von sich aus Gemeinschaft zwischen sich und uns stiftet und schafft. Unser Anschauen vermag als solches wohl Götterbilder zu empfangen. Und

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unser Begreifen vermag als solches wohl Götzenbilder zu schaffen. Es handelt sich dann beide Male um die Projektionen unserer eigenen Herrlichkeit! Unser Anschauen und Begreifen vermag aber Gott nicht zu fassen. Will sagen: was es als solches, als unser eigenes Anschauen und Begreifen, als das Werk unserer Natur faßt, das ist als solches nicht Gott, sondern eine von Gott verschiedene Realität. Das ist nicht nur dann so, wenn wir es gar nicht mit Gottes Offenbarung zu tun haben, wenn unsere Unternehmung, Gott anzuschauen und zu begreifen, eine willkürliche, dem Glauben an Gottes Offenbarung fremde Unternehmung ist. Wir wiederholen jetzt nicht nur, was gegen das Unternehmen der natürlichen Theologie zu sagen war. Wir gehen jetzt in derselben Richtung noch einen Schritt weiter, oder vielmehr: wir berühren jetzt die Stelle, von der aus die Ablehnung der natürlichen Theologie erst ihre letzte Notwendigkeit und Kraft bekommt: Auch und gerade, wenn wir es mit Gottes Offenbarung zu tun haben, wenn wir also damit beschäftigt sind, im Glauben auf Gottes Offenbarung Antwort zu geben – auch und gerade dann sind wir von uns aus nicht fähig dazu, mit Gott Gemeinschaft zu haben und also ihn anzuschauen und zu begreifen und also Erkenntnis Gottes zu vollziehen. Gerade dann wird es ja sichtbar, daß Erkenntnis Gottes wohl nicht ohne unser Werk, aber darum doch nicht durch unser Werk, nicht als Frucht unseres Werkes zustande kommt. Gerade dann leuchtet ja die Wahrheit gebieterisch und entscheidend vor uns auf: Gott wird nur durch Gott erkannt, Gott kann nur durch Gott erkannt werden. Gerade dann, gerade im Glauben erkennen wir ja Gott in schlechthiniger Abhängigkeit, in reiner Nachfolge und Dankbarkeit. Gerade dann ist es uns ja endgültig ausgeredet, daß wir dabei auch auf eine uns eigene Fähigkeit und Mächtigkeit uns verlassen und vertrauen könnten. Gerade dann werden wir unseren Versuch, mit unseren Anschauungen und Begriffen auf Gottes Offenbarung zu antworten, nur als einen Versuch mit unzureichenden Mitteln, nur als eine Leistung unnützer Knechte beurteilen, das Gelingen dieses Versuchs und also die Wahrhaftigkeit unserer Erkenntnis Gottes auf keinen Fall uns selbst bezw. dem Vermögen unseres Anschauens und Begreifens zuschreiben können. Gerade im Glauben werden wir sagen müssen, daß unsere Erkenntnis Gottes allen Ernstes beginnt mit der Erkenntnis der Verborgenheit Gottes. Man bemerke, daß der Satz von der Verborgenheit Gottes, wie er hier aufgenommen und vertreten wird, nicht im Zusammenhang einer Theorie über die menschliche Erkenntnis im Allgemeinen steht, und also weder an widersprechenden noch an scheinbar gleichlautenden Sätzen solcher allgemeiner Erkenntnistheorien gemessen werden darf. Wir sind hier wohl auch mit menschlicher Erkenntnis, aber ganz allein mit der Erkenntnis Gottes und zwar mit der durch ihre Begründung in der Offenbarung ausgesonderten Erkenntnis Gottes beschäftigt. Diese ihre Aussonderung geschieht durch die sie begründende Offenbarung selber, sofern diese uns nötigt, neben dem in ihr erkannten Gott mit keinem anderen zu rechnen. Was im Rahmen einer allgemeinen, nicht auf Gottes Offenbarung oder nicht, wie diese es verlangt, allein auf

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sie sich beziehenden Erkenntnistheorie Gottes Offenbarsein heißen mag, das ist mit unserem Satz nicht verneint, und was dort sein Verborgensein heißen mag, das ist mit unserem Satz nicht bejaht und bestätigt, geschweige denn, daß wir unseren Satz von dorther gewonnen hätten. Nichts könnte zum Beispiel irreführender sein als die Meinung, als ob der theologische Satz von der Verborgenheit Gottes ungefähr dasselbe besage wie der platonische oder kantische Satz, laut dessen das höchste Wesen als eine aller Wahrnehmung und allem Verstehen entzogene Vernunftidee zu verstehen sei. Wenn dieses Entzogensein auch von Gott auszusagen ist, so ist damit nicht ausgemacht, daß jene alle Erfahrung und alle Kategorien eines Denkens übersteigende Vernunftidee mit Gott identisch sei. Gerade daß Gott dort als allgemeine, wenn auch überschwengliche, «reine», nicht gegenständliche, bezw. in ihrer Gegenständlichkeit nur intendierte Vernunftidee verstanden wird, weist vielmehr darauf hin, daß diese Identität nicht besteht und daß wir sie in Abrede stellen müssen. Der dem Menschen in seiner Offenbarung begegnende Gott ist durchaus keine nichtgegenständliche oder in ihrer Gegenständlichkeit nur intendierte Größe, sondern vielmehr der Inbegriff aller Gegenständlichkeit, und wenn er dem Menschen als der Verborgene begegnet, dann betrifft diese seine Verborgenheit nicht nur das menschliche Wahrnehmen und Verstehen als solches, sondern auch das bei diesem Wahrnehmen und Verstehen stattfindende Intendieren bezw. unser Vermögen dazu; sie betrifft den Akt menschlicher Erkenntnis und seine Intentionen, sie betrifft uns selbst. Und sie betrifft uns selbst, wie eben Gottes Offenbarung uns betrifft. Gottes Verborgenheit ist nicht der Inhalt eines letzten Wortes menschlicher Selbsterkenntnis; sie ist nicht Gegenstand einer letzten Leistung menschlichen Vermögens, sondern das erste Wort der von Gott selbst gesetzten Gotteserkenntnis, die als solche nicht in Selbsterkenntnis, nicht in einen Satz einer allgemeinen Erkenntnistheorie transponiert werden kann. Wir reden nicht von uns, sondern wir reden, allein durch Gottes Offenbarung belehrt, von Gott, wenn wir sagen, daß Gott verborgen ist.

Die Verborgenheit Gottes ist der Inhalt eines Glaubenssatzes. Wir sagten ja schon: gerade im Glauben werden wir uns die Fähigkeit, Gott anzuschauen und zu begreifen, absprechen müssen. Gerade im Glauben und also im Vollzug der Erkenntnis Gottes und also in der wirklichen Anschauung und im wirklichen Begreifen Gottes werden wir dies, daß wir Gott erkennen, anschauen und begreifen, nicht als ein Werk unserer Natur, nicht als eine Leistung auf Grund unseres eigenen Vermögens, sondern nur als ein Wunderwerk des göttlichen Wohlgefallens verstehen können und also – indem wir ihn erkennen – Gottes Verborgenheit erkennen müssen. Wir müssen jetzt aber fortfahren: Allein im Glauben, allein im Vollzug der wirklichen, weil in Gottes Offenbarung begründeten Gotteserkenntnis, begreifen wir Gottes Verborgenheit. Der terminus a quo der Erkenntnis Gottes ist also nicht identisch mit dem terminus ad quem des in unserer Macht liegenden Vollzuges der Einsicht des Unvermögens bezw. der Begrenztheit unserer Wahrnehmung und unseres diskursiven Denkens. Mit dem Vollzug dieser Einsicht, der vielleicht das Ende unserer Selbsterkenntnis bilden mag, haben wir im Geringsten noch nicht begonnen, Gott zu erkennen und zwar dann, wenn wir es bei

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dieser Negation bewenden lassen, ebensowenig wie dann, wenn wir sie durch die entsprechende Position, nämlich durch die Behauptung der Möglichkeit eines intuitiven Erkennens, einer unmittelbaren Schau der in unserem Wahrnehmen und Denken intendierten Wirklichkeit ergänzen zu dürfen meinen. Die Verborgenheit Gottes ist die Verborgenheit Gottes; sie ist eine seiner Eigenschaften und nun gerade die Eigenschaft Gottes, mit der seine Erkenntnis als solche formal zweifellos ihren Anfang nimmt. Es sind nicht Reflexionen über Raum und Zeit und über die Kategorien unseres Denkens, es sind nicht die Aporien, in die wir uns bei diesen Reflexionen verwickeln können, um uns dann selber eine mehr negativ oder vielleicht auch sehr positiv charakterisierte Grenze zu stecken, sondern es sind sehr schlicht die großen Positionen des biblischen Zeugnisses und des kirchlichen Bekenntnisses von Gottes Sein und Handeln, die uns den Satz von Gottes Verborgenheit auf die Lippen legen. Wir gestehen mit diesem Satz, daß wir, indem wir Gott erkennen, nicht einsehen, wie wir dazu kommen, ihn zu erkennen, daß wir unserem Erkennen als solchem die Fähigkeit zu diesem Geschehen nicht zusprechen, daß wir sie allein auf Gott zurückführen können. Es ist allein Gott und zwar Gottes Offenbarung und der Glaube an sie, was uns zu diesem Geständnis treiben und zwingen wird. Ohne den Glauben würden wir uns bestimmt mit jener Begrenzung begnügen, die wir uns selbst zuteil werden lassen, und es würde sich der mangelnde Ernst dieser Begrenzung wahrscheinlich darin verraten, daß wir uns der Offenbarung Gottes gegenüber nun doch ein Vermögen zur Erkenntnis Gottes zuschreiben und dementsprechend mit Gottes Offenbarung umgehen würden als mit einer Sache, die zu unserer Verfügung steht, statt einzusehen, daß das Vermögen, Gott zu erkennen, uns eben durch die Offenbarung abgesprochen ist und nur wiederum durch die Offenbarung nun dennoch zugesprochen sein kann. Wenn es Ps. 139, 6 [sic] von Gottes Tun heißt: «Zu wunderbar ist es für mich und unbegreiflich, zu hoch, als daß ich es faßte» oder Hiob 36, 26: «Siehe, Gott ist groß und unbekannt», wenn Paulus Gott «unsichtbar» nennt (Röm. 1, 20, Kol. 1, 15, 1. Tim. 1, 17), so kann man sich aus den näheren und ferneren Zusammenhängen dieser Stellen vergewissern, daß da bestimmt nicht von dem vom Menschen sich selbst gesetzten terminus ad quem, sondern von dem von Gott in seiner Offenbarung gesetzten terminus a quo die Rede ist. Von da aus wird man dann aber auch die entsprechenden Stimmen aus der alten Kirche und Theologie zu verstehen haben, obwohl hier gelegentlich schon sprachlich die Frage sich aufdrängt: wie weit man sich darüber klar gewesen ist, daß man, wenn man von der ἀκαταληψία, der incomprehensibilitas, der Unbegreiflichkeit Gottes redete, etwas grundsätzlich Anderes sagte, als das, was Plato und Plotin, wenn sie von der Unzugänglichkeit des wahren und höchsten Wesens und von der Überschwenglichkeit seiner Erkenntnis redeten, auch sagen konnten? Der Begriff ἀκατάληπτος als Bezeichnung des Wesens Gottes kommt im christlichen Bereich zuerst im ersten Clemensbrief (33, 3), dann bei Athenagoras (Leg. pro christ. 10) vor. Als der Märtyrer Attalus in der Verfolgung der gallischen Christen unter Aurel

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im Verhör gefragt wurde, was sein Gott für einen Namen habe, antwortete er: ὁ θεὸς ὄνομα οὐκ ἔχει ὡς ἄνθρωπος (Euseb, Kgsch. v l, 52) und Just. Martyr hat es sogar einen unheilbaren Wahnsinn genannt, dem ἄῤῥητος [sic] θεός einen Namen geben zu wollen (Apol. I 61). Gott ist ἐπέκεινα πάσης οὐσίας καὶ ἀνθρωπίνης ἔννοιας (Athanasius, C. gent. 2, vgl. 35). De Deo loquimur, quid mirum, si non comprehendis? Si enim comprehendis, non est Deus (Augustin, Sermo 117, 3, 5). Ergo Domine, non solum es, quo maius cogitari nequit, sed es quiddam maius quam cogitari possit, schreibt Anselm von Canterbury und beweist diesen Satz so: Gott ist der, über dem ein Größeres nicht gedacht werden kann. Ein Undenkbares ist aber als solches denkbar. Wäre es nicht mit Gott identisch, so wäre es ein Größeres als Gott. Also ist Gott, da über ihm ein Größeres nicht gedacht werden kann, selbst das Undenkbare. (Prosl. 15; man beachte bei dieser Konstruktion immerhin, daß die Undenkbarkeit Gottes gerade zu seiner positiven Größe gerechnet und nicht etwa auf einen menschlichen Mangel zurückgeführt wird!) Meines Wissens war es Anselm, der zuerst die paradoxe aber für das ganze Problem sehr wichtige und richtige Formel gebraucht hat, es gehe in der Theologie darum, rationabiliter comprehendere (Deum) incomprehensibile esse (Monol. 64). Im vierten Laterankonzil 1215 (c. 2, Denzinger 428) taucht die incomprehensibilitas als Eigenschaft Gottes zum ersten Mal in einer lehramtlichen Äußerung auf. Und dann lesen wir bei Thomas von Aquino: Comprehendere Deum impossibile est cuicumque intellectui creato (S. theol. I qu. 12 art. 7). Die Sache wurde offenbar als wichtig genug empfunden, daß das Wort im 16. und 17. Jahrhundert als Bezeichnung Gottes in eine ganze Reihe von reformierten Bekenntnisschriften übergehen konnte (Gallic., Belg., Scot. und Westm. Conf.), und daß die incomprehensibilitas Dei in der altprotestantischen Dogmatik mehr oder weniger betont als eine von den Eigenschaften Gottes ziemlich regelmäßig erwähnt und besprochen werden mußte. Wenn man an den «unsichtbaren» Gott des biblischen Zeugnisses denkt, versteht man wohl, daß und warum das so sein mußte. Aber eben die Beziehung auf den Gott des biblischen Zeugnisses und damit der Charakter dieses Satzes als eines Glaubenssatzes ist im Altertum wie im Mittelalter wie in der Neuzeit mindestens in einen gewissen Nebel gehüllt. Man zitierte gerne die Anekdote von jenem antiken Philosophen Simonides, der, vom König Hiero zur Beantwortung der Frage: Quid sit Deus? aufgefordert, einen Tag Bedenkzeit erbat, dann zwei, dann drei Tage usf. und schließlich antwortete: Je länger ich darüber nachdenke, um so weniger weiß ich es! Calvin und J. Gerhard fanden diese Geschichte bemerkenswert, und später hat sie auch Schleiermacher mit Beifall aufgenommen. Zitierte man sie, indem man sie stillschweigend in eine Äußerung des Selbstverständnisses des christlichen Glaubens uminterpretierte? Oder zitierte man sie, indem man ebenso stillschweigend in der docta ignorantia des natürlichen Menschen, wie sie offenbar in dieser Anekdote zur Aussprache kommt, ein Bekenntnis zu der Verborgenheit Gottes zu erblicken meinte? Das Zwielicht, das hier über der Dogmengeschichte liegt, läßt sich nicht ganz beseitigen. Und damit hängt es nun doch wohl zusammen, daß die Tragweite und Fruchtbarkeit des Satzes Deus est incomprehensibilis in der alten Dogmatik doch nicht so recht zur Auswirkung kam. Es war damit, daß er zu einem Bestandteil der Lehre von den Eigenschaften Gottes wurde, freilich etwas ganz Entscheidendes gesagt und gewonnen, ein höchst grundsätzlicher Hinweis gegeben. Es war aber, wie wenn man diesen Hinweis selbst nicht ganz verstanden hätte. Sonst hätte die incomprehensibilitas Dei nicht nur in der Reihe der übrigen Eigenschaften Gottes auftauchen und wieder verschwinden dürfen: sie hätte dann – und eben diese Stellung möchten wir ihr jetzt geben – die Lehre von

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der Erkenntnis Gottes grundlegend bestimmen müssen. Ich kenne in der neueren dogmatischen Literatur nur Einen, nämlich den Holländer H. Bavinck, der dies (vgl. den Anfang des 2. Bandes seiner Gereformeerde Dogmatiek 1918) gesehen zu haben scheint. Die Tatsache, daß dies in der alten Theologie nicht gesehen wurde, scheint mir nur daraus erklärlich, daß es in diesen Zeiten nicht bis ins Letzte deutlich war, ob man die Unbegreiflichkeit Gottes nun eigentlich von Plato und Plotin oder vom 139. Psalm und von Paulus her und also als einen die Offenbarung Gottes als solche bestätigenden Glaubenssatz verstehen wollte. Wir aber werden uns der Feststellung, daß es nur um das Zweite gehen kann, nicht wohl entziehen können. Eben damit gewinnt aber die Sache eine praktische Wichtigkeit, die sie früher trotz aller grundsätzlichen Einsicht so nicht haben konnte.

Versuchen wir es zunächst, uns über den Inhalt des Satzes von Gottes Verborgenheit näher zu verständigen. Wir haben zunächst sprachlich festzustellen: es geht nicht nur um seine «Unbegreiflichkeit», nicht nur darum, daß Gott nicht begriffen, d. h. nicht Inhalt eines von uns gebildeten Begriffes werden kann, sofern dabei an das Können und Vermögen unseres Begreifens als solches gedacht ist. Es geht allerdings auch darum. Wir können Gott nicht begreifen, weil und indem wir ihn schon nicht anschauen können, weil er nicht Gegenstand eines unserer Wahrnehmungsbilder werden kann, auf die sich dann unsere Begriffe, unsere Denkbilder und zuletzt unsere Worte und Sätze beziehen.

Auch die «Unbegreiflichkeit» Gottes ist im Sprachgebrauch der alten Theologie etwas Umfassenderes, als der deutsche Wortsinn erraten läßt. Quenstedt versteht darunter ein Dreifaches: Ἀκαταληψία sive incomprehensibilitas Dei est qua ipse ratione Essentiae suae ac proprietatum essentialium a nulla mente finita perfecte concipi aut oculis corporeis comprehendi aut lingua creata enunciari potest. Hinc tribus velut gradibus constat incomprehensibilitas quorum I. est incognoscibilitas, II. invisibilitas, III. ineffabilitas. Illa oculos mentis, ista oculos corporis, haec vero loquelam oris a Dei καταλήψει seu comprehensione excludit (Theol. did. pol. 1685 I c 8 sect. 1 th. 21). Es geht aber schon in den hier in Betracht kommenden Kirchenväterstellen um den ganzen Bereich des videre, sentire, aestimare, capere, investigare, explicare usw., um den ganzen Bereich der der menschlichen Sprache vorangehenden und zugrunde liegenden menschlichen Apperzeption bezw. Apperzeptionsfähigkeit. Diese Fähigkeit als solche wird durch den Begriff der incomprehensibilitas Dei hinsichtlich Gottes in Abrede gestellt.

Wir werden weiter (dies nun freilich zum Teil gegen die Tradition oder jedenfalls nicht eindeutig mit ihr!) auch das unser Anschauen und Begreifen begleitende und ihm immanente intuitive, unmittelbare Erkennen, sofern man mit einem solchen rechnen will, von dem, was hier als menschliches Vermögen negiert werden soll, nicht ausnehmen dürfen. Das hat seine schon berührte Bedeutung, sofern damit auch der nichtgegenständliche, unanschauliche, unbegreifliche, unaussprechliche Gegenstand eines solchen Erkennens von dem, den wir hier auf Grund seiner Offenbarung den verborgenen Gott nennen, ausdrücklich unterschieden wird. Wir werden Anlaß haben, darauf

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zurückzukommen. Zunächst aber hat diese Abgrenzung hier doch nur sekundäres Interesse. Wir fragen hier nach der die christliche Sprache und Lehre begründenden Erkenntnis. Als solche kommt nicht die unmittelbare, sondern die mittelbare, die in Anschauung und Begriffen verlaufende Erkenntnis in Betracht. Von ihr als solcher sagt der Satz von der Verborgenheit Gottes, daß sie nicht auf Grund eines dem Menschen als solchem eigenen Vermögens Erkenntnis Gottes sein könne. Aber eben diese Negation bedarf nun näherer sachlicher Erklärung. Der Satz von der Verborgenheit Gottes sagt (Gottes Unanschaulichkeit, Unbegreiflichkeit und Unaussprechlichkeit in sich schließend) dies: daß Gott nicht zu den Gegenständen gehört, die wir je dem Prozeß unseres Anschauens, Begreifens und Aussprechens und damit unserer geistigen Übersicht und Verfügung unterwerfen können. Sein Wesen ist im Unterschied zu dem aller anderen Gegenstände kein solches, das in diesem Sinn im Bereich unserer Macht ist. Gott ist unerfaßlich.

Wir hörten schon, wie die ἀκαταληψία Gottes gleich im zweiten Jahrhundert verstanden worden ist: wir können Gott kein nomen geben, wir können ihm gegenüber gerade jene nach Gen. 2, 19 f. für den Menschen in seinem Verhältnis zu den anderen Lebewesen so bezeichnende Tätigkeit nicht ausüben. Nulla definitione poterit proprie determinari (Augustin, De cogn. verae vitae 7). Denn: Deus non est in aliquo genere (Thomas von Aquino, S. theol. I qu. 3 art. 5).

Will sagen: die Linien, die wir ziehen können, um bildlich und begrifflich zu umschreiben, was wir meinen, wenn wir «Gott» sagen, lassen sich nicht so ausziehen, daß dieses Gemeinte nun wirklich umschrieben und also bezeichnet wäre, sondern sie brechen immer wieder auseinander, so daß es faktisch nicht umschrieben und also nicht bezeichnet ist. Die uns zur Verfügung stehenden Bezeichnungsmittel reichen hinsichtlich Gottes nicht aus, sodaß wir uns, nachdem wir sie auf ihn angewendet haben, dabei beruhigen könnten, gedacht zu haben, was hier gedacht und gesagt werden müßte. Das von uns in Gedanken und Worten erfaßte Wesen ist immer noch nicht oder schon nicht mehr das Wesen Gottes. Wie kämen wir denn dazu, auch nur zu «meinen», was hier gemeint wird [sic] und zu «intendieren», was hier intendiert werden müßte? Wie kämen wir dazu, auch nur die Existenz des Wesens festzustellen, das hier wahrzunehmen, zu begreifen, zu benennen wäre? Wir hörten eben von Augustin: es komme zu keinem proprie definiri, und wir hörten schon von Quenstedt, es komme zu keinem perfecte concipi Gottes. Dieses proprie oder perfecte sei nun, wie Chrysostomus in Auslegung des paulinischen ἐκ μέρους (1. Kor. 13, 9) bemerkt hat, nicht etwa quantitativ zu verstehen, als ob wir einen Teil des Wesens Gottes erfassen, einen anderen größeren Teil aber nicht erfassen könnten, sondern disjunktiv: wir erkennen wohl, daß Gott ist, aber nicht, was er ist. «Wir begreifen ihn nicht» heiße: «wir begreifen sein Wesen nicht». Οὐχ ὅτι τὸ μὲν αὐτοῦ τῆς οὐσίας γινώσκει, τὸ δὲ ἀγνοεῖ, ἁπλοῦς γὰρ ὁ θεός, ἀλλ’ ἐπειδὴ ὅτι μὲν ἔστι θεὸς

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οἶδε, τὸ δὲ τί τὴν οὐσίαν ἐστὶν ἀγνωεῖ (De incomprehensibili 1, 5). Aber dieser Unterschied ist undurchführbar: Daß Gott ist, liegt so wenig im Bereich unserer geistigen Übersicht und Verfügung, wie was er ist. Zum Feststellen seiner Existenz und zum Begrenzen seines Wesens fehlt uns das Vermögen.

Wenn wir uns nun fragen, warum dem so ist, so werden wir uns hüten müssen, uns von der alten Theologie auf die Wege allgemeiner Erwägungen verlocken zu lassen, auf denen uns dann wohl die Unbegreiflichkeit des höchsten Wesens im Sinne Platos und Plotins oder auch Kants, nicht aber die Verborgenheit Gottes einleuchtend werden könnte. Oder vielmehr: wir werden die vielleicht unvermeidbaren Elemente einer allgemein «metaphysischen» Sprachbildung ihres ursprünglichen Charakters entkleiden und ihnen, indem wir sie in den theologischen Zusammenhang stellen, einen deutlichen theologischen Sinn geben müssen. Wir dürfen also die Verborgenheit Gottes nicht begründen mit der Unfaßbarkeit des Unendlichen, des Absoluten, des in sich und aus sich selbst Existierenden usw., weil das Alles an sich und als solches (ob es sei oder nicht sei, und was es auch sein möge) trotz und in seiner angeblichen Unfaßbarkeit als Gebilde der menschlichen Vernunft mit Gott nicht identisch ist und gerade der göttlichen Verborgenheit keineswegs teilhaftig ist. Sondern wir werden sagen müssen: Gott ist darum kein Wesen, das wir uns geistig zu eigen machen können – die Bilder, in denen wir Gott anschauen, die Gedanken, in denen wir ihn denken, die Worte, mit denen wir ihn bezeichnen können, sind diesem Gegenstand darum an sich unangemessen und also an sich ungeeignet, dessen Erkenntnis auszudrücken und zu begründen, weil Gott – der lebendige Gott, der uns in Jesus Christus begegnet –, nicht ein solcher ist, der von uns aus unserem Vermögen angeeignet sein, sondern der sich uns aneignen und uns damit und so erlauben und befehlen und damit und so uns dazu befähigen will, daß wir nun auch ihn uns aneignen. Weil die Gemeinschaft zwischen Gott und uns durch Gottes Gnade begründet ist und Bestand hat, darum ist Gott uns verborgen. Daran scheitern alle unsere Bemühungen, ihn von uns aus zu erfassen. Er ist immer der, der allererst uns erfassen und sich aneignen will und erst auf Grund dessen und innerhalb des damit abgesteckten Raumes kann und soll es dann auch zu unserem eigenen Erfassen Gottes kommen. Es ist doch so: Was wir erfassen können, dem gleichen wir. Wir gleichen nun wohl der Welt und Allem, was in der Welt ist. Wir gleichen der Welt, sofern sie mit uns und wir mit ihr von Gott geschaffen sind. Und darum können wir uns von der Welt und von dem, was in der Welt ist, Anschauungen und Begriffe bilden. Wir gleichen aber Gott nicht. Daß wir zum Ebenbilde Gottes geschaffen sind, besagt, daß Gott uns dazu bestimmt hat, in unserer Existenz von seiner Existenz Zeugnis zu geben. Es besagt aber nicht, daß wir eine Eigenschaft hätten und in uns vorfänden, auf Grund derer wir Gott

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gleichgestellt wären. Als die Schlange das dem ersten Menschen einflüsterte, da verfehlte dieser jene seine wahre Bestimmung, da fiel er in die Sünde. Weil wir also in uns nichts Gott Gleiches vorfinden, darum können wir ihn von uns aus nicht erfassen. Anders ausgedrückt: Was wir erfassen können, dessen sind wir mächtig. Anschauen und Begreifen heißt ja begrenzen, und was wir begrenzen können, dem sind wir überlegen, dessen sind wir geistig mächtig. In diesem Sinn sind wir der Welt und dessen, was in der Welt ist, trotz der uns da scheinbar begegnenden Rätselhaftigkeit und Übermacht durchaus mächtig. Denn das scheinbar Unendliche der Welt ist faktisch durch das Endliche ebenso begrenzt, wie das scheinbar Endliche durch das Unendliche. Das Absolute und das Relative, das für sich und das an sich Seiende sind dialektische, sind Wechselbegriffe, deren Widerspruch in uns selbst immer schon überwunden und gemeistert ist und der darum auch theoretisch und praktisch immer wieder überwunden und gemeistert werden kann. Gott aber ist nicht der, den wir dialektisch begrenzen könnten. Wenn wir ihn einem der von uns zu begrenzenden und heimlich immer schon begrenzten Weltelementen gleichsetzen, dann haben wir ein solches Weltelement, aber nicht ihn begrenzt und also auch nicht ihn erfaßt. Wenn wir ihn in irgend eine unserer Weltanschauungen eingliedern, dann mögen wir damit diese Weltanschauung abgeschlossen haben: aber eben damit ist dann auch deren Gottlosigkeit am Tage; eben damit haben wir dann unfreiwillig die Verborgenheit Gottes bestätigt. Wir sind Gottes nicht mächtig und weil wir es nicht sind, darum können wir ihn von uns aus nicht erfassen. Noch anders ausgedrückt: Was wir erfassen können, mit dem sind wir ursprünglich und eigentlich Eines. Erfassen heißt ja aneignen. Es gibt aber keine Aneignung ohne ursprüngliche und eigentliche Einheit zwischen dem Aneignenden und dem Angeeigneten. Auf dieser Einheit beruht das Geheimnis unserer Fähigkeit, die Welt und was in der Welt ist, so oder so zu erfassen. Himmel und Erde, Unsichtbares und Sichtbares, Geist und Natur, Sein und Erkennen, die Welt als Objekt und der Mensch als Subjekt sind als Schöpfung Gottes, wie groß ihr immanenter Gegensatz immer sein mag, ursprünglich und eigentlich Eines. Hier findet im Akt der Erkenntnis der Welt durch den Menschen jene Wiedererinnerung statt und hier kommt umgekehrt, wie es die kühneren Philosophen immer gesehen und gesagt haben, die Welt im Menschen und dessen Erkenntnis schlechterdings zu sich selber. Und das ist es, was menschliches Erfassen hier möglich und wirksam macht. Zwischen Gott und dem Menschen aber findet eine solche Einheit nicht statt. Schöpfung durch Gott – auch die Schöpfung des Menschen – bedeutet die Setzung einer von der Existenz Gottes real verschiedenen Existenz. Zwischen Gott und Mensch wie zwischen Gott und Geschöpf überhaupt besteht unaufheb-

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bare Andersheit. Weil sie besteht, weil hier also jenes allem unserem sonstigen Erfassen zugrunde liegende Geheimnis der Einheit nicht besteht, darum können wir Gott von uns aus nicht begreifen. Gerade innerhalb der durch Gottes Gnade gestifteten Gemeinschaft zwischen Gott und uns entsteht und gilt diese Negation. Durch seine Gnade in Jesus Christus Gott gleich gemacht, werden wir nie sagen, daß wir ihm von uns aus gleich sind. Durch seine Gnade in Jesus Christus mächtig geworden, werden wir nie sagen, daß wir seiner von uns aus mächtig sind. Durch seine Gnade in Jesus Christus mit Gott Eines geworden, werden wir nie sagen, daß wir von uns aus mit ihm Eines sind. Durch Gottes Gnade ihm gleich, seiner mächtig, mit ihm Eines, wie das eben von seinen Kindern zu sagen ist im Namen seines eingeborenen Sohnes, werden wir die Offenbarung des Gerichtes der Wahrheit ehren und anerkennen, laut dessen wir das Alles von uns aus nicht sind, werden wir uns also auch die Fähigkeit, Gott zu begreifen, absprechen, oder vielmehr sie als uns abgesprochen erkennen müssen. Hier, indem wir das Wesen dieses Gottes, indem wir Gott in Jesus Christus denken sollen und möchten, brechen die Möglichkeiten unseres Erfassens faktisch auseinander, wissen wir faktisch nicht, was wir sagen, wenn wir «Gott» sagen, gleichviel ob wir es mit diesem Wort oder mit irgend welchen anderen Worten zu sagen versuchen. Und hier ist es, wo wir uns auch eingestehen müssen und werden, daß dem so ist, wo wir also das Unvermögen unseres Erfassens und also Gottes Verborgenheit erkennen und bekennen müssen. Der Anfang unserer Erkenntnis Gottes – dieses Gottes! – ist nicht ein Anfang, den wir mit ihm machen könnten. Er kann immer nur der Anfang sein, den er mit uns gemacht hat. Miteinander fällt diesem Gott gegenüber die Suffizienz unseres Denkbildes und die des in jenem vorausgesetzten Wahrnehmungsbildes und die des auf jenes begründeten Wortbildes. Sind wir von uns aus Gott nicht gleich, Gottes nicht mächtig, mit Gott nicht Eines und also nicht fähig, ihn zu begreifen, dann ist damit auch sozusagen nach rückwärts, hinsichtlich der Anschauungen, auf die sich unsere Begriffe beziehen müßten, darüber entschieden: Gott hat nie jemand gesehen; was jemand von sich aus gesehen hat, das war immer etwas Anderes als Gott. Gott ist unsichtbar und zwar dem leiblichen wie dem sogen. [sic] geistigen Auge des Menschen gleich unsichtbar, nicht identisch mit irgend einem von den Gegenständen, die zum Inhalt der Bilder unserer äußeren oder inneren Wahrnehmung werden können. Und gefallen ist die Entscheidung damit auch nach vorwärts: hinsichtlich der Worte, in denen wir unsere Begriffe ausdrücken, mit denen wir unserseits Erkenntnis bei Anderen begründen möchten. Was Gott ist, hat von sich aus, vermöge der Dynamik seiner Worte, noch niemand gesagt, noch niemand sagen können: Gott ist unaussprechlich, ineffabilis. Er ist aber beides: invisibilis und ineffabilis nicht so, wie wohl auch das Unendliche, das

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Absolute, das Unbedingte, der Geist in der Welt als unsichtbar und unaussprechlich bezeichnet werden kann, wobei es ja dann, wie die sämtlichen Philosophien und Weltanschauungen zeigen, sowohl an Begriffsbildern, wie an Wahrnehmungsbildern, wie an Wortbildern doch keineswegs so zu fehlen scheint, wie es sein müßte, wenn sich der Mensch das Erfassen jener Größen wirklich abgesprochen wüßte. Sondern Gott ist darum und darin unsichtbar und unaussprechlich, weil er nicht da ist, wie die von ihm geschaffene körperliche und geistige Welt da ist, sondern in dieser von ihm geschaffenen Welt in seiner Offenbarung, in Jesus Christus, in der Verkündigung seines Namens, in seinen Zeugnissen und Sakramenten da ist und also nur dem Glauben sichtbar und nur durch den Glauben zu bezeugen, d. h. aber nur als der Unsichtbare zu sehen, nur als der Unaussprechliche auszusprechen ist und Beides nicht als Inbegriff der Grenze oder des Ursprungs unseres Sehens und Sprechens, sondern daraufhin, daß er selbst uns zu solchem Sehen und Sprechen die Erlaubnis und den Befehl und so, also durch sein Wort und also in seiner freien gnädigen Entscheidung das Vermögen dazu gegeben hat. Von da aus wird kritisch zu würdigen und also auch ausdrücklich zu ergänzen und zurechtzustellen sein, was wir in der alten Kirche und Theologie über die Unbegreiflichkeit Gottes bezw. über seine Unsichtbarkeit und Unaussprechlichkeit gesagt hören: Non videri potest, visu clarior est, nec comprehendi, tactu purior est, nec aestimari, sensibus maior est, infinitus, immensus et soli sibi tantus, quantus est, notus; nobis vero ad intellectum pectus angustum est (Minucius Felix, Octavius 18). Indem wir Gott zu begreifen unternehmen, ist er ἐξαναχωροῦν ἀεὶ καὶ πόρρω ἀφιστάμενον τοῦ διώκοντος (Clemens Alex., Strom. II 2, 5, 2). Sensus capax omnium bene et recte dicetur, sed non similis hominum sensui, et lumen rectissime dicitur, sed nihil simile ei, quod est secundum nos, lumini. Sic autem et in reliquis omnibus nulli similis erit omnium pater hominum pusillitati et dicitur quidem secundum haec propter dilectionem, sentitur autem super haec secundum magnitudinem (Irenaeus, Adv. a. h. II 13, 4). Quidquid de Deo dixeris, quidquid tacitae mentis cogitatione conceperis, in humanum transilit et corrumpitur sensum, nec habet propriae significationis notam, quod nostris dicitur verbis et ad negotia humana compositis (Arnobius, Adv. nat. III 19). Ipsum quod in semetipso et a semetipso sit et ipse per se sit, quod invisibilis et incomprehensibilis (!) et immortalis – in his quidem honoris confessio est et sensus significatio et quaedam circumscriptio opinandi, sed naturae sermo succumbit et rem ut est verba non explicant … Deficit ergo in nuncupatione confessio et quidquid illud sermonum aptabitur, Deum ut est, quantusque est, non eloquetur (Hilarius, De trin. II 7). In omni nomine a nobis dicto, quantum ad modum significandi, imperfectio invenitur, quae Deo non competit (Thomas von Aquino, S. c. gent [sic] I c 30). Man beachte, daß Hilarius dies ausdrücklich auch auf den Begriff der Unbegreiflichkeit Gottes selber bezogen hat. Ebenso Augustin: Ne ineffabilis quidem dicendus est Deus, quia et hoc, cum dicitur, aliquid dicitur (De doctr. chr. I 6). Die Verborgenheit Gottes würde sich also auch auf dem Wege des Übergangs von einer apophatischen zu einer kataphatischen Theologie keineswegs leugnen oder umgehen lassen. Und dementsprechend wußte auch die altprotestantische Orthodoxie, daß jede Definition Gottes est duntaxat descriptio quaedam Dei, quatenus nobis est patefactus; nam Deus non potest definiri et ad perfecte definiendum Deum Dei ipsius Logica opus fuerit (Polanus, Synt. Theol. chr.

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1609, II 3, col. 857). Deum quidem cognoscimus, sed non comprehendimus (J. Gerhard, Loci theol. 1610 f. L. II 90). Dürfte man doch das Alles als von der Überschwenglichkeit der Erkenntnis Gottes in der Gnade seiner Offenbarung gesagt verstehen! Die Zusammenhänge weisen doch meistens in andere Richtung. In schöner Nähe zur Sache hat Anselm von Canterbury geredet, sofern die Verborgenheit Gottes bei ihm deutlicher als fast in der ganzen übrigen alten Theologie einerseits als ein Prädikat der Herrlichkeit gerade des dem Menschen gegenwärtigen Gottes und anderseits in ihrem Zusammenhang mit der sündigen Verschlossenheit des Menschen gegen diesen ihm gegenwärtigen Gott beschrieben wird: Ideo hanc (lucem) non video, quia nimia mihi est … Non potest intellectus meus ad illam. Nimis fulget, non capit illam, nec suffert oculus animae meae diu intendere in illam. Reverberatur fulgore, vincitur amplitudine, obruitur immensitate, confunditur capacitate. O summa et inaccessibilis lux, o tota et beata veritas, quam longe es a me, qui tam prope tibi sum! Quam remota es a conspectu meo, qui sic praesens sum conspectui tuo! Ubique es tota praesens et non te video. In te moveor et in te sum et ad te non possum accedere. Intra me et circa me es, et non te sentio. – Adhuc lates, Domine, animam meam in luce et beatitudine tua et idcirco versatur illa adhuc in tenebris et miseria sua. Circumspicit enim et non videt pulchritudinem tuam. Auscultat et non audit harmoniam tuam. Olfacit et non percipit odorem tuum. Gustat et non cognoscit saporem tuum. Palpat et non sentit lenitatem tuam. Habes enim haec, Domine Deus, in te tuo ineffabili modo, qui ea dedisti rebus a te creatis suo sensibili modo; sed obriguerunt, sed obstupuerunt, sed obstructi sunt sensus animae meae vetusto languore peccati (Prosl. 16–17). Man wird sagen dürfen: hier befinden wir uns jedenfalls in der Nähe der Einsicht, daß es sich nicht um irgend eine Verborgenheit, sondern um die des barmherzigen und heiligen Gottes handelt. Wir stellen schließlich, noch einmal an den Anfang der Dogmengeschichte zurückkehrend, fest, daß Justinus Martyr (Apol. II 6) gerade den Namen Christus als das ὄνομα περιέχον ἄγνωστον σημασίαν bezeichnet hat. Wir machen uns das, was die Tradition zu dieser Sache zu sagen hat, zu eigen, indem wir es als unter diesem Vorzeichen richtig gesagt verstehen.

Wir verstehen also den Satz von der Verborgenheit Gottes als das Bekenntnis zu der Wahrheit und Wirksamkeit des gerade in Gottes Offenbarung in Jesus Christus über den Menschen und damit auch über sein Anschauen und Begreifen ergehenden Gerichtsurteils, durch das ihm eine ihm eigene Möglichkeit zur Realisierung der Erkenntnis des ihm begegnenden Gottes abgesprochen, durch das ihm allein die durch Gottes Gnade ihm gewährte und gebotene Erkenntnis des Glaubens und also auch nur das Anschauen und Begreifen des Glaubens übrig gelassen wird. Aber eben damit sind wir nun bereits vorgestoßen zu der positiven Bedeutung dieses Satzes. Wo man sich wirklich zu Gottes Gericht bekennt, da bekennt man sich auch zu Gottes Gnade. Der Satz von der Verborgenheit Gottes ist also nicht als ein Satz verzweifelnder Resignation zu verstehen, sondern tatsächlich als der terminus a quo unserer wirklichen Erkenntnis Gottes, als die grundlegende und entscheidende Bestimmung nicht unseres Nichtwissens, sondern unseres Wissens um Gott. Sie besagt, daß unser Wissen um Gott darum nicht in uns anhebt, weil es in Gott, nämlich in Gottes Offenbarung und im Glauben

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an ihn schon angehoben hat. Das Bekenntnis zu Gottes Verborgenheit ist das Bekenntnis zu Gottes Offenbarung als dem Anfang unseres Wissens um ihn. Nur sekundär und abgeleitet ist es dann auch das Bekenntnis zu unserem eigenen Unvermögen. Die Emphase des Bekenntnisses zu Gottes Verborgenheit ist nicht zuerst die der Demut, sondern zuerst und entscheidend die der Dankbarkeit. Indem Gott uns unsre Sünden vergibt, erkennen wir, daß wir dessen bedürftig, daß wir Sünder sind. Und indem Gott sich selber anschaut und begreift in seinem Wort, erkennen wir, daß er uns anders als so nicht anschaulich und begreiflich ist, daß wir ihn also von uns aus nicht anzuschauen und zu begreifen vermögen. Diese Negation ist nur von jener Position her zu verstehen. Gerade dann, wenn uns das Bekenntnis zu dieser Negation unvermeidlich wird, gerade dann sind wir also von aller Resignation und Skepsis durch einen Abgrund getrennt. Gerade dann, wenn wir uns zu Gottes Verborgenheit vorbehaltlos bekennen müssen, haben wir ja schon begonnen, Gott wirklich und gewiß zu erkennen. Als Offenbarungs- und also als Glaubenssatz, als Bezeugung unserer dankbaren Verantwortung gegenüber dem uns gegenwärtigen Gott ist die Einsicht, daß Gott uns verborgen ist, das untrügliche Zeichen der Tatsache, daß wir durch Gott selbst, nämlich durch seine Offenbarung, zur Erkenntnis seiner selbst geführt sind, daß wir mit unserem Erkennen nicht draußen in der Ferne, sondern drinnen in der Nähe Gottes stehen. Eben in der wirklichen Erkenntnis Gottes geht es ja um das Erfassen Gottes in seiner Verborgenheit, um das comprehendere incomprehensibile. Nur in der wirklichen Erkenntnis Gottes kann es darum gehen. Erfassen wir, schauen wir, begreifen wir Gott in seiner Verborgenheit, dann stehen wir eben damit in der wirklichen Erkenntnis Gottes. «Die Furcht des Herrn ist der Anfang der Erkenntnis» (Spr. 1, 7). Man wird alle vier Begriffe in diesem Spruch als gleichgewichtig hören und verstehen müssen, um dann sofort einzusehen, daß mit ihm Alles gesagt ist, was an dieser Stelle zu sagen ist. Eben an dieser Stelle: hinsichtlich dieser notwendigen Wendung von der Negation zur Position – und von der Position her zu der zunächst im Vordergrunde stehenden Negation – haben wir nun auch in der kirchlich-theologischen Tradition (wie es auch mit ihrer Begründung des Satzes von Gottes Unbegreiflichkeit stehen möge) wieder festeren Boden unter den Füßen. Man ist jedenfalls im Altertum einig darüber: Gott erkennen heißt ihn «begreifen in seiner Unbegreiflichkeit». Sic eum digne aestimamus, dum inaestimabilem dicimus (Minucius Felix, Octavius 18). Das ist die eine, allein mögliche Weise, Gott zu erkennen: si cogitaverimus id illum esse, quod, quale et quantum sit, non possit intelligi nec in ipsam quidem cogitationem possit venire (Novatian, De trin. 2). Unus est hominis intellectus de Dei natura certissimus, si scias et sentias nihil de illo posse mortali oratione depromi (Arnobius, Adv. nat. 3, 19). Ἐν τοῖς γὰρ περὶ θεοῦ μεγάλη γνῶσις τὸ τὴν ἀγνωσίαν ὁμολογεῖν (Cyrill v. Jerusalem, Kat. 6, 2). Perfecta scientia est, sic Deum scire, ut, licet non ignorabilem, tamen inenarrabilem scias (Hilarius, De trin. II, 7). Εἴδησις τῆς θείας οὐσίας ἡ αἴσθησις αὐτοῦ τῆς ἀκαταληψίας (Basilius Ep. 234, 2, ad Amphilochium). Καλῶμεν τοίνυν αὐτὸν τὸν ἀνέκφραστον, τὸν ἀπερινόητον θεόν, τὸν ἀόρατον, τὸν ἀκατάληπτον, τὸν νικῶντα γλώττης δύναμιν

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ἀνθρωπίνης, τὸν ὑπερβαίνοντα θνητῆς διανοίας κατάληψιν, τὸν ἀνεξιχνίαστον ἀγγέλοις, τὸν ἀθέατον τοῖς σεραφίμ, τὸν ἀκατανόητον τοῖς χερουβίμ, τὸν ἀόρατον ἀρχαῖς, ἐξουσίαις, δυνάμεσι, καὶ ἁπλῶς πάσῃ τῇ κτίσει, ὑπὸ δὲ υἱοῦ καὶ πνεύματος ἁγίου γνωριζόμενον (Chrysostomus, De incompr. 3, 1). Sic enim sunt incomprehensibilia requirenda, ne se existimet nihil invenisse qui, quam sit incomprehensibile quod quaerebat, potuerit invenire (Augustin, De trin. XV 2). Hoc ergo non est, si comprehendisti, si autem hoc est, non comprehendisti (Sermo 52, 16).

Nicht eine Unvollkommenheit, sondern gerade die Vollkommenheit, nicht eine Problematisierung, sondern gerade die Gewißheit, nicht eine Grenze, sondern gerade die Wirklichkeit der Erkenntnis Gottes ist hinsichtlich ihres terminus a quo bezeichnet durch den Satz von der Verborgenheit Gottes. Da dem so ist, darf aus diesem Satz auf keinen Fall der Schluß gezogen werden, daß es eine wahre Erkenntnis Gottes nicht gebe, daß wir auf das Unternehmen Gott anzuschauen und zu begreifen und also auf das Reden von ihm zu verzichten hätten. Es wäre ein schweres Mißverständnis des Deus definiri nequit, wenn daraus geschlossen werden sollte: Also hat die Theologie und die Verkündigung überhaupt zu verstummen. Hier ist eben der positive Ursprung und Sinn dieser Sache nicht verstanden. Deus definiri nequit ist, recht verstanden, das Bekenntnis zu Gottes Offenbarung, durch das wir freilich bestätigen, daß uns das Unvermögen unseres eigenen Anschauens und Begreifens Gottes aufgedeckt ist, durch das uns aber der Mund nicht verschlossen, sondern für die Ausrichtung des göttlichen Auftrags gerade geöffnet wird. Und es wäre wiederum ein Mißverständnis, wenn aus dem Deus definiri nequit der Schluß gezogen werden sollte, daß alle Theologie und Verkündigung nur in negativen Aussagen verlaufen dürfe, daß sie aber eben in dieser Form, als «kataphatische» Theologie, in Form von Aufhebung bezw. Relativierung aller Bestimmtheit des göttlichen Wesens wahre Erkenntnis Gottes auszusprechen und zu begründen in der Lage sei. Hier, bei Ps. Dionys Areopagita und allen seinen Nachfolgern, ist das Deus definiri nequit zu wenig radikal verstanden. Vor der Verborgenheit Gottes kann man sich auch nicht in die Möglichkeit einer negativen Begrifflichkeit flüchten, als ob diese weniger als eine positive unsere eigene menschliche Begrifflichkeit, als ob sie als solche nicht ebenso unvermögend wäre wie jene. Und es wäre noch einmal ein Mißverständnis des Deus definiri nequit, wenn die Theologie und Verkündigung auf das Anschauen und Begreifen Gottes selbst verzichten wollte, um an Stelle dessen zu einer Theologie und Verkündigung der subjektiven Empfindungen und Erlebnisse des frommen Menschen bezw. des diesen zu Grunde liegenden Gefühls «schlechthiniger Abhängigkeit» zu werden. Hier, bei Schleiermacher, ist nicht verstanden, daß der Satz von der Unbegreiflichkeit Gottes uns nicht von Gott weg an den Menschen verweisen, sondern gerade bei Gott, aber eben bei der Gnade Gottes in seiner Offenbarung festhalten will. Gerade mit dem Deus definiri nequit empfängt die Kirche die Erlaubnis und den Befehl, sich an die ihr von Gott selbst geschenkte wahre Gotteserkenntnis zu halten und sich ja nicht in die vermeintliche Gotteserkenntnis einer Selbstexplikation des frommen Menschen zu flüchten. Sie könnte es dort nur mit einem Gott zu tun bekommen, der zwar erfaßbar, der aber eben darum nicht der wirkliche Gott wäre. Der wirkliche Gott ist der verborgene Gott. Die Kirche darf

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sich nicht flüchten vor der Aufgabe, eben diesen Gott zu erkennen und zu verkündigen. – Die berührten Mißverständnisse des Deus definiri nequit – sie sind die Mißverständnisse der verschiedenen Spielarten der mystischen Theologie – sind allesamt Versuche, dieser Aufgabe und das heißt: dem wirklichen Gott in seiner Verborgenheit auszuweichen. Es ist ratsam, sich an diesen Versuchen nicht zu beteiligen.

Indem wir den wirklichen Gott in seiner Offenbarung erkennen, erfassen wir ihn in seiner Verborgenheit. Und eben indem wir das tun, erkennen wir den wirklichen Gott in seiner Offenbarung. Wäre er uns nicht und bliebe er uns nicht der, den wir von uns aus nicht anzuschauen und nicht zu begreifen vermögen, dann wäre der, den wir erkennen, nicht der wirkliche Gott in seiner Offenbarung. Wiederum wäre er nicht dieser wirkliche Gott, wenn es bei seiner Erkenntnis nicht zu einem wirklichen, nun freilich allein von ihm aus begründeten und durch ihn geordneten und also seine Verborgenheit nicht aufhebenden, sondern bestätigenden menschlichen Anschauen und Begreifen käme. Wir müßten, wenn wir das Eine oder Andere in Abrede stellen wollten, seine Offenbarung und also ihn selbst in Abrede stellen. Noch in Abrede stellen oder wieder in Abrede stellen! Es könnte beides nur in einem gleich unseligen Vorher oder Nachher des Glaubens geschehen. Im Glauben selbst und also konfrontiert mit dem wirklichen Gott in seiner Offenbarung können wir weder Gottes Macht, noch unsere Ohnmacht, noch unsere Macht durch Gottes Gnadengabe in Abrede stellen. Es muß dabei, daß der Satz von der Verborgenheit Gottes auch unsere Ohnmacht bezeichnet, unter allen Umständen sein Bewenden haben. Gerade in der im Glauben an Gottes Offenbarung stattfindenden Erkenntnis Gottes wird diese unsere Ohnmacht unmöglich geleugnet werden können. Dürfen wir von Gottes Erlaubnis Gebrauch machen – müssen wir seinem Befehl gehorchen, den Versuch zu unternehmen, ihn mit unseren menschlichen Anschauungen und Begriffen zu erkennen, in unseren menschlichen Worten von ihm zu reden, dann bedeutet das in keinem Sinn dies, daß unser menschliches Anschauen, Begreifen und Reden nun doch ein eigenes Vermögen – vielleicht ein durch die Offenbarung und den Glauben erwecktes und aktualisiertes Vermögen – für Gott besitze. Unser Anschauen, Begreifen und Reden wird dann vielmehr in einen Dienst gestellt und in einen Gebrauch genommen, zu dem es die Fähigkeit aus sich selber und in sich selber nach wie vor nicht hat. Es ist dann die Wahrheit Gottes, die sich unserem Anschauen, Begreifen und Reden, das als solches der Wahrheit Gottes nicht fähig ist, selber mitteilt. Es bleibt dabei, daß unsere Wahrnehmungsbilder, Denkbilder und Wortbilder als solche keine Bilder Gottes sind und auch nicht sein können. Sie werden es. Sie werden wahr. Aber sie werden es nicht aus sich selber: sie werden es ganz und gar von ihrem Gegenstande her, nicht durch ihr eigenes Vermögen, sondern durch das ihres Gegenstandes. Es bleibt also bei der

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Verborgenheit Gottes. Wir werden ihm nicht zu nahe treten, indem wir ihn erkennen: wir werden ihm von uns aus nicht gleich; wir werden seiner von uns aus nicht mächtig; wir werden mit ihm von uns aus nicht Eines. Und das Alles heißt: wir können ihn von uns aus nicht erfassen.

Augustin hat das einmal folgendermaßen ausgedrückt: Vide quemadmodum tu contingendo efficeris quod non eras, non illud, quod contingis, facis esse quod non erat. Hoc dico: Deus non crescit ex cognitore, sed cognitor ex cognitione Dei. Es müsse darum unser Reden von Gott sein: eine pia confessio ignorantiae magis quam temeraria professio scientiae (Sermo 117, 5). Es kann sich, wie wir schon von Polanus hörten, nur handeln um eine descriptio quaedam Dei quatenus nobis est patefactus. Auf die Offenbarung des unaussprechlichen nomen Dei, quod vult cognosci, narrari, celebrari et invocari (M. Chemnitz, Loci theol. ed. 1590 De Deo c. 3) antworten wir erlaubnis- und befehlsgemäß, wenn wir recht von Gott reden. Mit dieser Quelle und Norm sind aber auch die Schranken dieses Redens bezeichnet. Seine äußere Schranke: Quid Deus sit, nemo explicare potest praeterquam Deus in verbo suo. Quicumque vero alias opiniones fingunt et diversa ratione Dei cognitionem assequi conantur, hi se ipsos fallunt et idola cordis sui venerantur (Bullinger, Comp. chr. rel. 1556 II 2). Und seine innere Schranke: Definitio ὀνοματώδης dari potest, οὐσιώδης vero minime (J. Gerhard, Loci theol. 1610 f. L. II 90). Λέγωμεν γὰρ οὐχ ὅσα δεῖ περὶ θεοῦ … ἀλλ’ ὅσα κεχώρηκεν ἡ ἀνθρωπίνη φύσις καὶ ὅσα ἡ ἡμετέρα ἀσθένεια βαστάσαι δύναται (Cyrill v. Jerusalem, Kat. 6, 2).

Es wird gut sein, ausdrücklich festzustellen, daß das Alles von jedem Wort gilt, das der Mensch aussprechen kann auf Grund seines Anschauens und Begreifens. Es gilt also nicht etwa erst von den Versuchen der wissenschaftlichen Theologie, von Gott in strengen Begriffen zu reden. Es gilt freilich auch von ihnen. Es gibt also nicht, wie noch A. E. Biedermann und überhaupt die Hegelsche Schule meinte, eine die inadaequate Sprache der Vorstellungen hinter sich lassende reine Begriffssprache, die, den Esoterikern solcher hohen Kunst zugänglich, als solche die Sprache der Wahrheit wäre. An der Inadaequatheit der menschlichen Sprache nimmt auch die Sprache der strengsten Begrifflichkeit teil. Nec nomen sapientiae mihi sufficit ostendere illud, per quod omnia facta sunt de nihilo … nec nomen essentiae mihi valet exprimere illud, quod per singularem altitudinem longe est supra omnia et per naturalem proprietatem valde est extra omnia (Anselm v. Canterbury, Monol. 65).

Es ist aber auch nicht so, daß es irgend ein «einfaches» Denken und Reden gäbe, das nun etwa in seiner «Kindlichkeit» nicht unter der Krisis der Verborgenheit Gottes stünde. Und es sind dieser Krisis nicht nur die Vokabeln des kirchlichen Dogmas, sondern auch die biblischen Vokabeln nicht entzogen. Es kann also nicht davon die Rede sein, daß wir etwa nur die biblische Anschauungs- und Begriffswelt wieder zu finden, die biblische Sprache aufzunehmen brauchten, um eben damit das Anschauen und Begreifen und die Sprache der Wahrheit uns zu eigen zu machen.

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Das ist oft genug der Irrtum einer biblizistischen Orthodoxie gewesen. Schon die Kirchenväter waren sich aber klar darüber, daß es keine, auch nicht die einfachsten christlichen Urworte gibt, bei deren Gebrauch wir jene innere Schranke alles menschlichen Redens nicht zu bedenken hätten. Ihnen war es vielmehr deutlich: auch die Worte Vater, Schöpfer, Herr, Herrscher, auch das Wort «Gott» selber – sind an sich und als solche mit dem unaussprechlichen Namen, mit dem Gott sich selber nennt und der also seine Wahrheit ausspricht, nicht identisch: sie können also seine Wahrheit an sich nicht aussprechen (vgl. Justin, Apol. II 6, Clemens Alex., Strom. V 12, 81, 6). Quem si patrem dixero, carnalem opineris; si regem, terrenum suspiceris; si dominum, intelliges utique mortalem (Minucius Felix, Oct. 18). Es liegt aber schon im Begriff jedes, auch des biblischen Zeugen: er ist ein Mensch, der in menschlichen Worten Gottes Wort bezeugt und insofern Gottes Wort redet, dessen menschliche Worte als solche also von der Verborgenheit Gottes an sich ebenso betroffen sind wie die jedes anderen Menschen, die also auch in ihrer Wiederholung durch eines anderen Menschen Mund der Krisis der Verborgenheit Gottes nicht entzogen sind.

Es ist darum so wichtig, das Alles ausdrücklich festzustellen, weil es bestimmt nicht zu vermeiden ist: wenn die innere Schranke übersehen oder vergessen oder geleugnet wird, die unser Anschauen, Denken und Reden als solches gerade dann vom Wesen Gottes trennt und fernhält, wenn es in der Verantwortung gegenüber Gottes Offenbarung geschieht, dann fällt auch die äußere Schranke, dann fällt der Charakter der Offenbarung Gottes als Quelle und Norm unseres Erkennens Gottes und unseres Redens von ihm, dann fällt dessen unbedingte Unterordnung unter jene.

Es eröffnet sich dann jetzt diese, jetzt jene diversa ratio Dei cognitionem assequi, das Reich der fingierten aliae opiniones. Dann crescit Deus ex cognitore, d. h. dann hört unser Erkennen auf, der Spiegel von Gottes Offenbarung zu sein, dann beginnt die Offenbarung Gottes der Spiegel unseres Erkennens zu werden. Jede eigene und ursprüngliche Fähigkeit, die unserem Anschauen und Begreifen Gottes, die unserer menschlichen Sprache zugeschrieben wird, muß ja dann bedeuten, daß wir kraft dieser Fähigkeit eine zweite Quelle und Norm der Offenbarung Gottes in uns selbst haben, die wir jener: der uns in Jesus Christus begegnenden Offenbarung immer schon entgegentragen, an der wir jene mindestens vergleichend messen und beurteilen werden, der wir jene dann aber, weil sie uns so viel näher liegt, heimlich und wohl rasch genug auch offen, sicher überordnen werden und die sich wahrscheinlich in unaufhaltsamer Entwicklung zuletzt als die eigentliche und einzige Quelle dessen, was wir für Offenbarung halten, herausstellen wird. Was Gott ist, werden wir dann zuerst und schließlich sehr wahrscheinlich allein, wir werden es jedenfalls entscheidend der immanenten Bedeutung der Worte entnehmen, mit denen wir ihn bezeichnen, diese aber den Anschauungen und Begriffen, auf Grund derer wir diese Worte aussprechen, deren Ausdrücke unsere Worte sind. Eine Philosophie oder eine Weltanschauung oder ein Mythus entscheidet dann praktisch über den Inhalt unserer Gotteserkenntnis, auch dann, wenn wir es nicht ganz versäumen, bei deren Bildung auch die Offenbarung Gottes in Jesus Christus wenigstens ehrerbietig und aufmerksam zu Rate zu ziehen. Es ist nicht einzusehen, daß wir, wenn der Satz von der Verborgenheit Gottes nicht gelten und uns jene Deutung unseres Erkenntnis-

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vermögens verwehren sollte, diese Umkehrung nicht vollziehen könnten und sogar vollziehen müßten.

Nur wenn dieser Satz gilt, sind wir bei der Offenbarung Gottes festgehalten als bei der alleinigen Quelle und Norm unserer Gotteserkenntnis. Indem er deren innere Schranke bezeichnet, bezeichnet er auch ihre äußere. Indem es ein uns eigenes Vermögen der Anschauung, des Begriffes und der Sprache Gott gegenüber nicht gibt, sind und bleiben wir angewiesen darauf, daß unser Anschauen, Begreifen und Reden, dessen Vermögen wir Gott selbst zuschreiben müssen, durch Gottes Offenbarung begründet werden muß, sind wir also auf Gottes Offenbarung angewiesen: nicht nur so, wie alles Erkennen auf seinen Gegenstand, sondern so, wie die Erkenntnis Gottes auf Gott als auf ihren Gegenstand und freien Ursprung angewiesen ist. Wenn dies feststeht, wenn es nun also als ausgemacht gelten soll, daß die Fähigkeit, Gott zu erkennen und also anzuschauen und zu begreifen, nicht in eine Fähigkeit des Menschen uminterpretiert, sondern nur als göttliches Geschenk verstanden werden kann, dann können wir jetzt den zweiten Schritt tun und feststellen: Von dem Gott, der uns durch seine Offenbarung zum Glauben an ihn erweckt, kann, darf und muß geredet, dieser Gott kann, darf und muß also von uns angeschaut und begriffen werden. Die Schranke, in der dies geschieht, soll bedacht sein. Es soll jetzt aber nicht mehr nur von der Schranke, sondern es soll jetzt auch von der Sache selbst die Rede sein. Es ist, wenn wir uns auf Gottes Offenbarung beziehen, kein Sophisma, sondern klar und wahr: Der Satz Deus definiri nequit würde sich selbst aufheben, wenn sein Subjekt nicht, seinem Prädikat zum Trotz (und doch auch als die Möglichkeit dieses seines Prädikats!), als erkennbar, d. h. dann aber als anschaulich und begreiflich zu verstehen wäre. Auch mit dem definiri nequit definieren, begreifen, erfassen wir ja, erfassen wir also ein Erfaßbares. Gott in seiner Offenbarung ist erfaßbar: so, daß er sich selbst denen erfaßbar macht, die ihn von sich aus nicht erfassen können, aber eben so erfaßbar! Der Mensch ist nicht, wie es die letzte Voraussetzung aller mystischen Theologie ist, mit sich selbst allein gelassen. Im Wunder der Offenbarung und des Glaubens steht er vor Gott, steht Gott vor ihm, erkennt er Gott und begreift er ihn also in seiner Unbegreiflichkeit. Wir können uns den Sachverhalt dieses Begreifens Gottes in seiner Unbegreiflichkeit vorweg deutlich machen in der schönen Darstellung, die die pseudoaugustinische, aus dem 13. Jahrhundert stammende Schrift Soliloquia animae ad Deum (cap. 31) von dieser Sache gegeben hat. Sie weiß auch um das Deus definiri nequit: Soli quidem tibi soli, Trinitas, integre nota es, Trinitas sancta, Trinitas supermirabilis et superinenarrabilis et superinscrutabilis et superinaccessibilis et superincomprehensibilis et superintelligibilis et superessentialis, superessentialiter exsuperans omnem sensum, omnem rationem, omnem intellectum, omnem intelligentiam, omnem essentiam supercoelestium animorum: quam neque dicere, neque cogitare, neque intelligere, neque cognoscere possibile est etiam oculis an-

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gelorum. Also sollen und können wir von Gott schweigen? Nein, gerade nicht! (Domine) vae tacentibus de te, quoniam loquaces muti sunt (aus Augustin, Conf. I 4, 4)! Et ego non tacebo, quoniam fecisti me et illuminasti me; et inveni me et cognovi me et inveni te et cognovi te quoniam illuminasti me. Sed qualiter cognovi te? Cognovi te in te. Cognovi te non sicut tibi es, sed cognovi te sicut mihi es; et hoc non sine te sed in te, quia tu es lux quae illuminasti me. Sicut tibi es, soli tibi cognitus es. Sicut mihi es, secundum gratiam tuam et mihi cognitus es. Durch Gnade! Das heißt aber: Intonasti desuper voce grandi in interiorem aurem cordis mei et rupisti surditatem meam et audivi vocem tuam et illuminasti caecitatem meam et vidi lucem tuam et cognovi quoniam Deus meus es. Propterea dixi quod cognovi te; cognovi te quoniam Deus meus es; cognovi te solum verum Deum et quem misisti Jesum Christum.

Die Verborgenheit Gottes ist die Unbegreiflichkeit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, des einen wahren Gottes, unseres Schöpfers, Versöhners und Erlösers, der als solcher nur sich selber bekannt und also auch nur sich selber anschaulich und begreiflich und der allein vermögend ist, recht, d. h. in Wahrheit von sich selber zu reden. Aber eben dieses: recht, d. h. in Wahrheit von sich selber zu reden, hat er nicht unterlassen. Er hat dafür gesorgt, daß er von denen zu finden ist, die ihn da suchen, wo er selber sich ihnen zu finden gegeben hat. Und er hat auch dafür gesorgt, daß sie ihn daselbst suchen möchten. Liegt es in keines Menschen, ja in keines Geschöpfes Möglichkeit, sich Gott von sich aus offenbar zu machen, wie wir uns andere Gegenstände offenbar machen können – weil Gott das Prius alles Erkennens und alles Erkannten ist! – so liegt es doch in Gottes eigener Möglichkeit, sich selbst seinem Geschöpf offenbar zu machen. Und eben diese Möglichkeit ist Wirklichkeit. Gott hat sich offenbart und Gott ist offenbar durch sich selber: in seinem Sohne, nämlich indem er Mensch wurde, durch den Heiligen Geist, nämlich durch dessen Ausgießung über alles Fleisch. Erkennen und Bekennen wir ihn als den verborgenen, dann ist eben dies das erste Werk des Lobpreises, mit dem wir ihm danken für die Gnade seiner Offenbarung. Es liegt im Wesen dieser seiner Offenbarung (im Unterschied zu anderen Offenbarungen, die es auch geben mag, die aber nicht Offenbarung in diesem strengen Sinne sind), daß sie Gnade, d. h. daß sie ein all unser Vermögen, unser Sein und unsere Existenz als solche schlechthin übersteigendes Geschenk ist und uns nun doch nicht aufhebt, unser Sein und unsere Existenz nicht verzehrt und nicht sprengt, sondern uns – von uns aus gesehen ein Wunder, eine überschwengliche, nicht zu begründende, nicht abzuleitende, nicht zu erklärende Wirklichkeit – zu unserem Heil gegenwärtig ist, im Glauben von uns bejaht und ergriffen werden, zu einer Bestimmung unseres Seins und unserer Existenz werden kann. Es liegt darum im Wesen dieser Offenbarung, daß wir ihr nur mit dem Lobpreis des Dankes begegnen können. Danken heißt: annehmen mit dem Geständnis, daß wir das Angenommene nicht erworben und nicht verdient, daß wir dieses Annehmen nicht vorhergesehen, daß wir keinen Anspruch darauf gehabt haben. Danken heißt: Anerkennen, daß es sich um das Annehmen eines reinen Ge-

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schenkes handelt, dessen Wirklichkeit anderswo als in der Güte des Schenkers keinen Grund hat, im Blick auf das wir also nur diese Güte des Schenkers preisen können. Eben indem wir Gott danken für seine Offenbarung, werden wir ihn lobpreisen in seiner Verborgenheit. Aber eben indem wir das tun, bekennen wir – wie würden wir sonst dazu kommen, das zu tun? – daß wir ihn schon erkannt haben, daß jenes Wunder schon Ereignis ist, daß uns jenes reine Geschenk schon gemacht ist und daß wir es schon angenommen haben. Eben indem wir seine Verborgenheit erkannten, haben wir durch die Gnade seiner Offenbarung ihn selbst erkannt. Nicht kraft des Vermögens eines von uns mitgebrachten Begriffs des Unbegreiflichen, nicht kraft unseres Vermögens, Rätsel als solche festzustellen, Geheimnisse als solche zu anerkennen, Paradoxien als solche gelten zu lassen. Wie sollte uns dieses Vermögen als solches gerade zu Gott führen, gerade für ihn öffnen? Kraft dieses Vermögens könnten uns zwar alle möglichen Wunderlichkeiten in ihrer Weise offenbar sein, könnte uns aber Gott noch immer verborgen bleiben. Wenn unserem Vermögen nämlich nicht Gottes eignes Vermögen beigelegt wird durch die Gnade seiner Offenbarung! Wenn es nicht geschieht, daß der von uns mitgebrachte Begriff des Unbegreiflichen im Ereignis jenes Wunders, in dem fleischgewordenen Sohne Gottes durch den über uns ausgegossenen Heiligen Geist zu einem Gefäß wird, den unbegreiflichen Gott zu fassen! Durch Gott selbst in der Gnade seiner Offenbarung muß es geschehen, daß unser Bekenntnis zu Gottes Verborgenheit und also der Lobpreis unseres Dankes zu einem Lobpreis Gottes und also zum Anfang unserer Erkenntnis Gottes wird. Eben dies ist es aber, was durch Gott selbst in der Gnade seiner Offenbarung tatsächlich geschieht. Und indem es geschieht, wird unser Anschauen des unanschaulichen, unser Begreifen des unbegreiflichen Gottes, unserem Unvermögen zum Trotz, durch Gottes eigenes Vermögen ein echtes Anschauen und Begreifen: dessen ganze Wahrheit Gottes Wahrheit ist und das nun doch und gerade so, durch das Vermögen seines Gegenstandes, ein wahres Anschauen und Begreifen ist. Wir hörten: Cognovi te in te – dich, die unbegreifliche Dreieinigkeit! – nämlich sicut mihi es, et hoc non sine te sed in te, quia tu es lux, quae illuminasti me. Sicut tibi es, soli tibi cognitus es. Sicut mihi es, secundum gratiam et mihi cognitus es. Du hast von oben gesprochen mit gewaltiger Stimme in mein inneres Ohr und hast meine Taubheit gebrochen und ich hörte deine Stimme und du hast erleuchtet meine Blindheit und ich sah das Licht und erkannte dich, daß du mein Gott bist! Cognovi te solum verum Deum et quem misisti, Jesum Christum! Gott ist nach Irenäus invisibilis propter eminentiam, ignotus autem nequaquam propter providentiam (Adv. o. h. II 6, 1; vgl. IV 6, 4). Jenseits aller Negation unseres Unvermögens durch die Unbegreiflichkeit Gottes und indem es bei dieser Negation sein Bewenden hat, gibt es nach Clemens Alex. die neue Möglichkeit: einzutauchen εἰς τὸ μέγεθος τοῦ Χριστοῦ. Darum habe schon Mose zu Gott gesagt: Offenbare dich mir! und habe damit erklärt, μὴ εἶναι διδακτὸν πρὸς ἀνθρώπων μηδὲ ῥητὸν τὸν θεόν, ἀλλ ἢ μόνῃ τῇ παρ’ αὐτοῦ δυνάμει γνωστόν, ἡ

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μεν γὰρ ζήτησις ἀειδὴς καὶ ἀόρατος, ἡ χάρις δὲ τῆς γνώσεως παρ’ αὐτοῦ διὰ τοῦ υἱοῦ (Strom. v, XI, 71).

Eben in seiner Offenbarung, eben in Jesus Christus, hat sich ja der verborgene Gott faßbar gemacht. Nicht direkt, sondern indirekt. Nicht für das Schauen, sondern für den Glauben. Nicht in seinem Wesen, aber im Zeichen. Nicht unter Aufhebung seiner Verborgenheit also – aber faßbar! Das ist ja Gottes Offenbarung: daß Gott der von ihm erwählten und dazu bestimmten Kreatur den Auftrag und die Macht gegeben hat, ihn zu vertreten und darzustellen, von ihm Zeugnis abzulegen. Das Wort ward Fleisch: das ist das erste, ursprüngliche und regierende Zeichen aller Zeichen. Auf dieses Zeichen hin, als Zeichen dieses Zeichens, gibt es eine kreatürliche Bezeugung seines ewigen Wortes auch sonst, nicht überall, aber da, wo dieses sein ewiges Wort sich selbst seine Zeugen erwählt, berufen und geschaffen hat: eine Bezeugung durch das Wort der Propheten und Apostel dieses Wortes, durch die sichtbare Existenz seines Volkes, seiner Kirche, durch die Botschaft, die da ausgerichtet wird und zu vernehmen ist, durch die Sakramente, in denen diese Botschaft ihre auch physisch sichtbare und greifbare Gestalt hat, durch unsere, der an diese Zeugnisse Glaubenden, Existenz endlich. Jesus Christus und sein sichtbares Reich auf Erden: das ist die große, von Gott selbst geschaffene Möglichkeit, ihn anzuschauen und zu begreifen und also auch von ihm zu reden – so wie wir Menschen ihn anschauen und begreifen, so, wie wir von ihm reden können, nicht ohne die Hülle, nicht ohne den Vorbehalt seiner Verborgenheit also, nicht außerhalb des Wunders seiner Gnade. Es ist nicht so, daß die Gnade seiner Offenbarung je und in irgend einer Beziehung aufhörte, Gnade und Wunder zu sein, nicht so, daß Gott selbst und sein freies Handeln je überflüssig würde, weil wir an seiner Stelle die von ihm erwählte und bestimmte Kreatur hätten. Es ist aber auch nicht so, daß wir Menschen nun doch uns selbst überlassen wären: der Unwissenheit oder unseres eigenen Herzens Erfindungen. Es ist vielmehr so, daß wir als Menschen und im Raume unserer menschlichen Anschauungen und Begriffe eine von Gott selbst ausgehende, seinem Willen entsprechende und mit seiner Verheißung versehene Weisung haben, auf Grund und nach Anweisung derer wir ihn anschauen und begreifen dürfen und sollen, auf Grund und nach Anleitung derer nun auch in menschlichen Worten von dem verborgenen Gott geredet werden darf und soll. Es ist also nicht so, daß Gott nun doch wieder in den Bereich unserer eigenen Übersicht und Verfügung käme: nur im Mißbrauch und nur unter Verlust seiner Offenbarung könnte das geschehen. Sondern ohne und gegen unser Vermögen, in Form einer Indienstnahme unseres unvermögenden Vermögens wird uns in Gottes Offenbarung erlaubt und geboten, zu tun, was als unsere eigene Willkür nur Wahnsinn sein könnte, was aber in der Freiheit und im Gehorsam der Offenbarung gegenüber der Sinn Gottes selbst ist: anschauend und

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begreifend jenen von ihm selbst gewollten und angeordneten kreatürlichen Zeugnissen nachzugehen, sie aufzunehmen als seine Zeugnisse, sie wiederum als seine Zeugnisse zu wiederholen und wiederzugeben. Gottes Offenbarung ist Gottes Kondeszendenz zur Kreatur. Indem diese Kondeszendenz wirklich wird in seinem Wort durch seinen Heiligen Geist, empfangen wir die Erlaubnis und den Befehl, im Glauben den Versuch zu unternehmen und immer wieder zu unternehmen – ohne Rücksicht auf unser eigenes Unvermögen im Vertrauen allein auf Gottes eigenes Vermögen – auf seine Offenbarung zu antworten mit menschlichen Anschauungen und Begriffen und also auch mit menschlichen Worten. Die Aussagen der Tradition könnten auch in dieser Hinsicht deutlicher sein als sie es sind. Sie weisen in diese Richtung; sie können aber wieder nicht ohne Vorsicht und Kritik aufgenommen werden: Gibt es keinen geschöpflichen Namen, unter dem der, den wir den Vater, den Schöpfer, den Herrn nennen, zu begreifen wäre, so gibt es doch ἐκ τῶν εὐποιϊῶν καὶ τῶν ἔργων προσρήσεις (Justin. Martyr, Apol. II 6). De Deo quidem Patre quamvis digne proloqui nemo valeat, tamen possibile est, intellectum aliquem capi ex occasione visibilium creaturarum (Origenes, Περὶ ἀρχῶν I 3, 1). Admirare creaturas et glorifica creatorem! (Ephraem, Adv. scrut. 47). Gibt es keinen einzigen Namen, der genügte, um das ganze Wesen Gottes umfassend auszusprechen, so gibt es doch viele und verschiedene, ein jeder von besonderem Bedeutungsgehalt (σημασία), die uns eine im Verhältnis zum Ganzen zwar dunkle und dürftige, aber für uns doch genügende Anschaulichkeit und Begreiflichkeit Gottes vermitteln können (Basilius, Adv. Eunom. 10). Erkennen wir nicht Gottes essentia, so erkennen wir doch habitudinem ipsius ad creaturas (Thomas v. Aquino, S. theol. I qu. 12 art. 12). Am einsichtigsten vielleicht Gregorius Eliberitanus (4. Jahrh.): Quidquid de eo dixeris, efficientiam operum suorum et dispensationes sacramentorum ipsius nominabis (Tract. Orig. 1). Die Problematik aller dieser Aussagen – mit Ausnahme der letzten – liegt in der merkwürdigen Allgemeinheit, in der da von einem Verhalten Gottes zur Kreatur als solcher geredet wird, durch welches er sich uns anschaulich und begreiflich mache. Ist damit einfach die Schöpfung als solche und also eine relative Erkennbarkeit Gottes in ihr gemeint? Wahrscheinlich hat man die meisten dieser Aussagen in der Tat so oder mindestens auch und zwar primär auch so zu verstehen. Es ist also mindestens weithin die natürliche Theologie bezw. eine natürliche Offenbarung, aus der die Kirchenväter die uns geschenkte relative Anschaulichkeit und Begreiflichkeit Gottes abgeleitet haben. Es ist klar, daß wir ihre Aussagen, sofern sie diesen Sinn haben, nicht aufnehmen können. Gottes Offenbarung, durch die wir die Erlaubnis und den Befehl bekommen, ihn in den Maßen unseres unvermögenden Vermögens anzuschauen und zu begreifen, kann wirklich nur – man möchte Clemens Alex. hier beim Wort nehmen dürfen – «die Gnade seiner Erkenntnis durch seinen Sohn», d. h. die «Größe Jesu Christi» sein. Diese Offenbarung geschieht im Bereich der Schöpfung Gottes, aber nicht aus der Kraft der Schöpfung als solcher. Es sind also, wie es in der zuletzt erwähnten Stelle hieß: die dispensationes sacramentorum ipsius im Zusammenhang mit der Erscheinung Jesu Christi selbst, in denen uns Gott – sicut mihi es! – erkennbar und also auch anschaulich und begreiflich wird. Wagen wir es und dürfen wir es wagen im Blick auf diese geschöpflichen dispensationes unserseits in unseren menschlichen Anschauungen und Begriffen von Gott zu reden und also

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Gebrauch zu machen von den uns in unserem Verhältnis zur Schöpfung überhaupt gegebenen Möglichkeiten, dann stammt die Legitimität und Kraft dieses Gebrauchs nicht aus einer von der Schöpfung ausgehenden, sondern aus der in die Schöpfung hineingetretenen und sie erleuchtenden Offenbarung. Weil und indem die eine Offenbarung Gottes in Jesus Christus die Schöpfung und unser Verhältnis zu ihr und so auch unsere menschlichen Anschauungs- und Begriffsmöglichkeiten tatsächlich erleuchtet – darum und damit bekommen wir die Erlaubnis und den Befehl, von ihnen jenen Gebrauch zu machen.

Der uns durch Gottes Offenbarung gegebenen Erlaubnis haben wir nun aber auch Vertrauen und ihrem Befehl haben wir Gehorsam zu schenken. Es würde in seiner Konsequenz nicht mehr und nicht weniger als eine Verleugnung Jesu Christi und eine Lästerung des Heiligen Geistes bedeuten, es wäre dem Tun jenes Knechtes zu vergleichen, der das eine ihm anvertraute Pfund nahm und vergrub es, wenn wir unser Unvermögen höher schätzen wollten als das Vermögen, das Gott selbst in seiner Offenbarung unserem Unvermögen beilegt, wenn wir also unter Berufung auf jenes, unter der resignierenden Anklage, daß Gott ein harter Herr sei, den Versuch, ihn anzuschauen und zu begreifen, unterlassen und uns auf einen der Wege der mystischen Theologie begeben würden. Indem uns Gott in den Zeugnissen seiner Offenbarung anschaulich und begreiflich begegnet: in der kreatürlichen Gestalt eines geschichtlichen Ereignisses oder einer Folge von solchen und in Beziehungen unseres eigenen Lebens zu diesen Ereignissen, sind wir eingeladen und aufgefordert, ihn als den in diesen Ereignissen und Beziehungen Handelnden und Herrschenden zu erkennen. Eben damit wird aber unser menschliches Anschauen und Begreifen innerhalb seiner natürlichen Schranken in Anspruch genommen. In Anspruch genommen freilich durch Gottes Offenbarung seiner selbst in diesen sichtbaren Ereignissen und Beziehungen: Gottes selbst, der als solcher nicht sichtbar ist noch wird. Und es ist freilich vor und über allem Anschauen und Begreifen unser Glaube, der hier in Anspruch genommen wird: unser Glaube, der als solcher kein Anschauen und Begreifen ist, sondern in unserem Ergriffensein durch den unsichtbaren Gott besteht. So bleibt unser Anschauen und Begreifen, auch wenn und indem es auf die Ereignisse und Beziehungen der Offenbarung gerichtet ist, schlechterdings zurück hinter Gott als seinem Gegenstande und hinter dem Glauben, der von uns aus gesehen die Kraft seiner Bewegung ist. So kommt unser Erkennen nur in Gott selbst und nur im Glauben zu seinem Ziel. Aber das ändert nichts daran, daß es als unser innerhalb seiner Schranken verlaufendes Anschauen und Begreifen auf dem Wege ist zu diesem Ziel, und daß es auch als Anschauen und Begreifen innerhalb dieser seiner Grenzen auf dem Wege zu diesem Ziel an dessen Wahrheit Anteil hat. Nur in Gott und nur im Glauben ist es Erkennen Gottes. Aber nur als der Versuch anschaulich-begrifflichen Erkennens ist es unser Erkennen. Und es soll und darf ja auf Grund der Offenbarung Gottes nicht nur Erkennen Gottes, son-

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dern unser Erkennen Gottes sein. Als Erkennen Gottes ist es mächtig, als unser Erkennen ohnmächtig. Aber auf Grund von Gottes Offenbarung kann und darf das nicht auseinanderfallen, sondern ist und bleibt das zusammengehalten: Gott und der Mensch, seine Macht und unsere Ohnmacht, er als das Ziel und wir auf dem Wege dazu und also: der Glaube, der schon am Ziel ist und unser Anschauen und Begreifen, welches immer nur eine Etappe unseres Weges zu diesem Ziel sein kann. Es darf uns nicht gereuen und nicht zu gering sein, im Glauben auch immer noch auf dem Wege zu sein. Es darf uns nicht zu gering sein, auch den Versuch des Anschauens und Begreifens zu unternehmen und immer wieder zu unternehmen. Wollten wir das nicht, wollten wir dessen müde werden, würden wir uns davon dispensieren zu können oder zu sollen meinen, dann würden wir gewiß auch nicht mehr im Glauben stehen und also am Ziele sein. Auf dem Grunde der Offenbarung darf und muß der Mensch innerhalb der Schranken, die ihm zukommen, bei der Erkenntnis Gottes, die ja in ihrer Wahrheit ganz und gar Gottes Selbsterkenntnis ist, auch dabei und also auch in der Wahrheit sein. Auf dem Grunde der Offenbarung darf und wird auch der Mensch, werden auch seine an sich und als solche unvermögenden Anschauungen und Begriffe an der Wahrheit des Zieles, zu dem der hier begonnene Weg führt, teilnehmen. Daß niemand den Vater kennt denn nur der Sohn, das bedeutet nach Joh. Chrysostomus keineswegs: πάντες ἐν ἀγνοίᾳ ἐσμέν, sondern eben nur das, daß wir ihn nicht so, nämlich nicht unmittelbar, nicht in seinem Wesen, erkennen, wie Gott sich selbst, wie also der Sohn den Vater erkennt (In Joann. 15, 1). Ist uns das Letztere verwehrt, so ist doch unser Anschauen und Begreifen auf dem Grunde der Offenbarung auch nicht schlechthin verhindert an einer «Annäherung» (προσέγγισις) [sic] d. h. an der Bewegung in der Richtung auf das Sein und Wesen Gottes und also nicht ohne die Fähigkeit – die ihm durch die Offenbarung beigelegte Fähigkeit – τοῦ ζητουμένου λαβεῖν εἰκασίαν, ein Abbild dessen, was es meint und sucht, zu erreichen (Gregor v. Nyssa, C. Eunom. 12).

Es hätte also keinen Sinn, das auf dem Grunde der Offenbarung geübte menschliche Anschauen, Begreifen und Reden mit einer grundsätzlichen Skepsis zu begleiten, es etwa zum vornherein und als solches mit Mißtrauen hinsichtlich seiner Leistungsfähigkeit und also seines Wahrheitsgehaltes zu umgeben. Ist das Deus definiri nequit einmal anerkannt und bekannt als Glaubenssatz, ist und bleibt es ausgeschlossen, die uns durch die Offenbarung beigelegte Fähigkeit in eine dem Menschen als solchem eigene Fähigkeit umzuinterpretieren, geben wir also mit unserem Anschauen, Begreifen und Reden nicht uns selbst, sondern Gott, nämlich seiner Gnade in Jesus Christus die Ehre, dann erkennen wir ihn, wenn auch in den Schranken menschlichen Erkennens, in Wahrheit, dann darf und muß dieses Erkennen ein zuversichtliches Erkennen sein. Werden wir uns selbst dabei immer mit Kritik zu begleiten haben, liegt es im Wesen dieses Erkennens, daß es nur in «An-

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näherungen» bestehen, daß es also nicht abgeschlossen sein kann, daß es auf der ganzen Linie korrekturbedürftig bleibt, daß das Gespräch zu seiner Erhaltung und Förderung in der Kirche nicht abbrechen darf – so wäre es doch Undankbarkeit und Aufruhr, wenn wir um seiner Inadaequatheit willen seine Wahrheit grundsätzlich negieren oder auch nur bezweifeln wollten. Die Verborgenheit Gottes einmal richtig verstanden und wie es ihr zukommt anerkannt, wird gerade eine grundsätzliche Resignation hier nicht mehr möglich und erlaubt sein können.

Κἂν γὰρ ἀδυνάτως ἔχωμεν καταλαβεῖν, ὅ τι ποτέ ἐστιν, ἀλλ’ ἀκούοντες τὸ Πατὴρ καὶ τὸ Θεὸς καὶ τὸ Παντοκράτωρ, οὐχ ἕτερόν τι, ἀλλ’ αὐτὴν τὴν τοῦ ὄντος οὐσίαν σημαινομένην νοοῦμεν (Athanasius, Ep. de synodis 35). Daß wir Gott anders verstehen als er sich selbst versteht, muß nicht bedeuten, daß wir ihn falsch (ψευδῶς) und verkehrt (διεστραμμένως) verstehen. Warum soll es nicht so sein, daß zwar Gott allein sich selbst nach seinem Wesen vollkommen erkennt, ἡμᾶς δὲ ἀνθρώπους ὄντας ἔλαττόν τε νοοῦντας αὐτοῦ, μὴ πάντως καὶ διεψευσμένας ἔχειν τὰς δόξας (inferiore modo eum intellegamus, minime tamen falso conceptu) (Cyrill v. Alex., Thesaurus 31)?

Es ist also nicht am Platz, die menschliche Vorstellung und das menschliche Wort von Gott als solche zu verdächtigen und gering zu schätzen. Sie werden, wie gesagt, als solche der Kritik ausgesetzt und nur zu bedürftig sein. Wir werden auch nie vergessen, daß sie als solche mit dem Menschen überhaupt unter dem Gerichte Gottes stehen, daß sie als solche kein Vermögen haben, die Wirklichkeit Gottes auch nur zeichenhaft wiederzugeben, daß das Schwert der Verborgenheit Gottes über ihnen allen hängt. Es liegt aber – und das ist nun gegenüber aller hochmütigen und verzagten Skepsis zu sagen – in keines Menschen Macht, dieses Schwert gegen sie in Bewegung zu setzen. Dieses Schwert trifft sie wohl, wenn und sofern sie, auf der Willkür und Eigenmacht des Menschen beruhend, mit dem Anspruch einer selbständigen Vollmacht, der dann nur ein geraubter und ohnmächtiger Anspruch sein kann, gebildet und vorgebracht werden. Wer will sie aber prinzipiell angreifen und verwerfen, wenn und sofern ihre Bildung und Aussprache von Gottes Offenbarung herkommt? Der Mensch kann es sich nicht nehmen, daß dies von seinen Anschauungen, Begriffen und Worten in Wahrheit zu sagen ist. Es ist Gottes Gnade, die das wirklich macht. Aber wenn Gottes Gnade das wirklich macht, dann kann es dem Menschen auch nicht genommen werden durch irgend einen prinzipiellen Einwand, den andere Menschen gegen ihn erheben können. Er braucht sich dann durch solche Einwände tatsächlich nicht anfechten zu lassen. Audio vulgus, cum ad coelum manus tendunt, nihil aliud quam «Deum» dicunt et «Deus magnus est» et «Deus verus est» et «si Deus dederit». Vulgi iste naturalis sermo est an christiani confitentis oratio? (Minuc. Felix, Octav. 18). Gewiß, diese Frage kann immer aufgeworfen werden. Aber mehr als eine Frage wird hier von Mensch zu Mensch nicht auf-

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geworfen, ein grundsätzlich vernichtendes Verdikt wird hier nicht gefällt werden können. Es besteht kein prinzipielles Hindernis dagegen, daß wir uns diesem vulgus getrost beigesellen. Wir müssen und wir werden das sogar tun, wenn uns durch Gottes Offenbarung der Befehl und die Erlaubnis dazu und also zu der christiani confitentis oratio gegeben ist.

Auf derselben Linie ist aber schließlich zu sagen, daß die Bemühung um die Wahrheit auf dem Boden der menschlichen Anschauungen und Begriffe und Worte von Gott darum kein unmögliches und also überflüssiges Bemühen zu sein braucht, weil sie sich nun eben auf diesem Boden abspielt. Theologie kann freilich lauter Eitelkeit sein. Sie ist es dann, wenn sie nicht sachlich und das heißt dann einfach: nicht demütig ist. Die Sachlichkeit der Theologie besteht darin, daß sie sich die Auslegung der Offenbarung zu ihrer einzigen Aufgabe macht. Wie sollte sie in der Ausführung dieses Programms nicht demütig sein, da sie ja die Offenbarung nicht zu ihrer Verfügung hat, sondern sie immer wieder finden, vielmehr von ihr sich immer wieder finden lassen muß? Setzen wir dieses Geschehen voraus – man wird es gewiß immer nur betend und arbeitend voraussetzen können – dann ist Theologie so wenig Eitelkeit wie das Stammeln des «alten Mütterleins». Wenn dieses stammeln darf, dann darf die Theologie ja gewiß auch zu reden versuchen. Es darf und muß dann auch der Versuch gewagt werden, innerhalb der Schranken menschlichen Erkennens nach der Wahrheit zu fragen, Richtiges und Falsches zu unterscheiden, jene «Annäherung» – durchaus in der Meinung, daß das Ziel als solches nur dem Glauben und nicht unserem Anschauen und Begreifen als solchem erreichbar ist – weiter und weiter zu treiben, d h. nach besseren, dem Gegenstand näher entsprechenden menschlichen Anschauungen und Begriffen zu suchen und damit das Zeugnis von der Wirklichkeit Gottes so viel an uns liegt, vollständiger und einleuchtender zu machen. Gilt jene Voraussetzung – so wie eben sie gelten kann und will – dann kann und darf in derselben Zuversicht, die uns gerade auf dem Hintergrund der Verborgenheit Gottes nicht verboten, sondern geboten ist, in aller Anspruchslosigkeit, aber auch ohne alle falsche Scham auch Theologie getrieben werden, um so mehr, da dies kein willkürliches, sondern von der Aufgabe der Verkündigung der Kirche her ein notwendiges Unternehmen ist. Gilt jene Voraussetzung, dann hat die Theologie bei ihrem Unternehmen festen Boden: einen sogar unverhältnismäßig viel festeren Boden als alle anderen Wissenschaften, unter den Füßen. Wir schließen unsere Überlegungen über den terminus a quo der Erkenntnis Gottes mit Augustin: Deus, cum de illo nihil digne dici possit, admisit humanae vocis obsequium et verbis nostris in laude sua nos gaudere voluit (De dostr. chr. I 6). Und wir erinnern uns noch einmal an jenes andere Wort desselben Kirchenvaters: Vae tacentibus de te, quoniam loquaces muti sunt (Conf. I 4, 4). Wir sind zugelassen, den unbegreiflichen Gott im Gehorsam anzuschauen und zu begreifen, den Unaussprechlichen im Gehorsam

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zu verkündigen. Gott freut sich des Lobes, das wir ihm in solchem Gehorsam darbringen, obwohl und indem wir nicht seiner würdig zu reden wissen. Und wehe uns, wenn wir auf unsere Ohnmacht uns versteifen und das unterlassen würden!

Über die Verborgenheit Gottes Karl Rahner „Gott ist tot“ lautet ein modernes Schlagwort, das schon langsam wieder abklingt und zurücktritt. „Wie sollen wir von Gott sprechen?“ fragen heute nicht wenige Theologen beim Versuch, sich mit den aktuellen Gegebenheiten des Verstehens, des Denkens, des verständlichen Sprechens auseinanderzusetzen. „Gott ist verborgen“, „Er ist Geheimnis, ja, das Geheimnis schlechthin“ sagt die lange theologische Überlieferung, auf die sich ein Dogmatiker hier besinnen möchte.1 Die wenigen Daten, die jeder Schultheologie dazu bekannt sind2, erlauben allerdings nur eine abstrakte Formalisierung; auf all das Konkrete und Eindrückliche aus Bibeltheologie und Theologiegeschichte muß hier verzichtet werden. Und doch wird dieser Versuch in der Hoffnung unternommen, auch so das Problem etwas radikaler vorstellen zu können, das sich hinter dem Wort von der Verborgenheit Gottes auftut. Zunächst soll etwas über die Daten der herkömmlichen Schultheologie in bezug auf die Verborgenheit Gottes gesagt werden. Unter Schultheologie ist dabei das katholische theologische Bemühen gemeint, wie es sich ohne sonderlich tiefes Eingehen auf die größere und gewiß auch farbigere Geschichte dieser theologischen Aussage in den Schulbüchern der Gegenwart niederge1 2

Für die entsprechenden Aussagen des kirchlichen Lehramtes vgl. DH 294; 501; 525; 800; 804; 3001. Siehe dazu die Bemerkungen, die sich gewöhnlich im Kapitel über die Möglichkeit einer Gotteserkenntnis finden, wobei diese Überlegungen für die jenseitige Gotteserkenntnis meist nur anhangsweise vorgetragen sind. M. Premm: Katholische Glaubenskunde 1. Gott der einwesentliche und dreipersönliche Schöpfer des Alls, Wien 1951, S. 86–88 (Lebenswert); J. Pohle, J. Gummersbach: Lehrbuch der Dogmatik 1, Paderborn 101952, S. 151–155, 174–176; J. Brinktrine: Die Lehre von Gott 1. Von der Erkennbarkeit, vom Wesen und von den Vollkommenheiten Gottes, Paderborn 1953, S. 39–42; F. Diekamp, K. Jüssen: Katholische Dogmatik 1, Münster 131958, S. 129–131; Die Katholische Glaubenswelt 1, Freiburg 1959, S. 396 f.; H. Lais: Dogmatik 1, Kevelaer 1965, S. 43–45. Die Problematik ist aber schon unter verschiedener Hinsicht deutlicher zu greifen und auch ansatzweise angegangen von verschiedenen Autoren in J. Feiner, M. Löhrer (Hrsg.): Mysterium Salutis. Grundriß heilsgeschichtlicher Dogmatik 2: Die Heilsgeschichte vor Christus, Einsiedeln – Zürich – Köln 1967, vgl. S. 35, Anm. 7; S. 289 f., 300, 345, 349. Zum Verständnis unserer Zurückhaltung in der Themenfrage auf protestantischer Seite kann auf die großen Unterschiede hingewiesen werden, die dort beim Sprechen von der „Verborgenheit Gottes“ auf den ersten Blick hin gegeben zu sein scheinen. Davon kann schon ein flüchtiger Blick in die folgenden dogmatischen Versuche überzeugen: W. Elert: Der christliche Glaube, Berlin 1940, S. 176–184 (Gotteserkenntnis); P. Althaus: Grundriss der Dogmatik, Gütersloh 51959, S. 31–33 (Der verborgene Gott); W. Trillhaas: Dogmatik, Berlin 1962, S. 97–119 (Gottes Verborgenheit und Gottes Erkenntnis); zu beachten sind vor allem auch die umfangreichen Ausführungen von K. Barth: Die kirchliche Dogmatik 2. Die Lehre von Gott, Zürich 31948, S. 200–229 (Die Verborgenheit Gottes).

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schlagen hat.3 Sollte es ähnliches auch auf evangelischer Seite geben, so kann das hier mangels Kompetenz dennoch nicht berücksichtigt werden. In einem zweiten Schritt soll darauf jene Problematik dieser schultheologischen Aussagen zur Sprache kommen, die bei diesem Bemühen selbst nicht genügend bedacht wird. Und schließlich soll noch der Versuch zu einer positiven Synthese dessen gewagt werden, was der Systematiker zu diesem Thema sagen kann. Was sagt die Schultheologie von der Verborgenheit Gottes? Wenn ich recht sehe, wird in der katholischen Theologie der Begriff Verborgenheit weniger gebraucht als jener von der Unbegreiflichkeit. Das ist von nicht unerheblicher Bedeutung. Ist damit doch schon einer essentialen Betrachtung des Problems der Vorzug gegeben vor einer heils- und offenbarungsgeschichtlichen Sicht. Natürlich weiß der Theologe aus der Offenbarung, daß dem Menschen Entscheidendes über Gott durch die Wortoffenbarung bekannt wird, von dem er sonst trotz aller Bedeutsamkeit für das Heil nichts wüßte. Gott tritt also in der Offenbarung sozusagen aus seiner Verborgenheit für den Menschen heraus und tut sich ihm als heilschaffend kund.4 Und doch wird das so von Gott geoffenbarte Wort wieder von der „Unbegreiflichkeit Gottes“ her gesehen als etwas, das verborgen ist und nur durch eine Wortoffenbarung enthüllt werden kann, soweit das überhaupt möglich ist. Dabei dominiert demnach der essentiale Aspekt. Die Grundaussage der Schultheologie behauptet in diesem Sinn die Unbegreiflichkeit, die „incomprehensibilitas“ Gottes. Diese Unbegreiflichkeit folgt aus der seinshaften Unendlichkeit Gottes, die es einem endlichen, geschaffenen Intellekt unmöglich macht, die in dieser absoluten Seinsfülle gegebene Wahrheit und Erkennbarkeit grundsätzlich auszuschöpfen. Das bedeutet nun jedoch nicht, in Gott würde das eine erkannt (wenigstens in der endgültigen Schau), während anderes einfach unbekannt bliebe. Vielmehr ist ein und derselbe Gott erkannt und zugleich grundsätzlich unbegreiflich, selbst wenn dann für gewöhnlich auch nicht mehr tiefer darü3

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Vgl. die Literaturangaben unter 2. Allgemein läßt sich sagen, daß auf katholischer Seite eher eine Neigung dazu besteht, die Frage sehr eng und knapp zu behandeln bzw. sie eher in Einteilung und Aufbau zu verdrängen. Jedenfalls geht man nicht sehr weit über die bloßen lehramtlichen Feststellungen hinaus. Auf evangelischer Seite werden dagegen unter diesem Thema eine ganze Reihe von Fragen angeschnitten, so daß sich der Sinn kaum recht fassen läßt. Gewöhnlich wirken die Ausführungen breit und fast vage. Berücksichtigt sind hier nur Schulbücher in deutscher Sprache, doch dürften sie sich wenigstens für die katholischen Veröffentlichungen kaum von entsprechenden ausländischen Werken unterscheiden. „Mysterium salutis“ ist dagegen auch in anderen Sprachen zugänglich. Vgl. Dei Verbum 2 und 3, wo jedoch unser Fragepunkt nicht ausdrücklich erwähnt ist.

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ber nachgedacht wird, wie denn bezüglich ein und desselben „Gegenstandes“ im gleichen Augenblick von Erkennbarkeit und Unbegreiflichkeit die Rede sein könne. Genauer bestimmt wird dann die Unbegreiflichkeit Gottes durch den Hinweis, daß dem Menschen das Wesen Gottes und das Mysterium seiner Trinität nicht durchschaubar sind. Das gilt wenigstens zunächst für die Erkenntnismöglichkeit des Menschen, der während seiner pilgerschaftlichen Existenz aufgrund seiner natürlichen Erkenntnisfähigkeiten die Trinität nicht spekulativ, philosophisch erreichen kann. Nur durch die freie, dem Menschen in seiner Natur nicht geschuldete und in diesem Sinne übernatürliche Wortoffenbarung kann er darum wissen, doch auch nach der Offenbarung entzieht sie sich seiner denkerischen Bewältigung, d. h. sie bleibt „Mysterium“.5 Außerdem versucht man die Notwendigkeit einer Offenbarung auch noch damit zu begründen, daß Gott seiner Welt gegenüber frei sei und daß auch durch die Schöpfung diese Freiheit keine Einschränkung erfahren habe. Darum sei der mögliche Raum für freie Entschlüsse Gottes nicht schon durch die Schöpfung und deren Strukturen völlig ausgefüllt. Vielmehr könne sich Gott durchaus noch einmal zu dieser seiner Welt als schon gegebener frei verhalten. Solche Freiheitsentschlüsse aber könnten aus diesem Grunde nur mittels einer Wortoffenbarung von den Menschen gewußt werden. Insofern nun solchen freien „Dekreten“ gerade ihrer Freiheit wegen eine Art Verborgenheit anhaftet, solange sie sich nicht objektiv vergegenständlicht haben, ist Gott auch in dieser seiner Freiheit der Welt gegenüber der Verborgene. Wieweit und warum gegebenenfalls solche Entschlüsse der Freiheit Gottes auch nach ihrer Offenbarung noch von Verborgenheit und Unbegreiflichkeit bestimmt sind, das wird kaum genauer bedacht. Wo eine solche freie Selbstäußerung Gottes auf die Welt hin allerdings etwas offenbart, was seiner eigenen inneren Natur nach Geheimnis ist und bleibt, ist damit auch ein Geheimnischarakter solcher Dekrete von ihrem Inhalt her deutlich gegeben. Essentiale Unbegreiflichkeit und die Notwendigkeit einer Offenbarung im geschichtlichen Wort hängen darum in dieser Betrachtung ganz eng zusammen. Der Verweis auf die freien Dekrete Gottes für eine in ihrer Wirklichkeit schon geschaffene Welt machen zwar grundsätzlich in der Frage nach der Verborgenheit Gottes eine mehr heilsgeschichtliche Thematik möglich, da Gott ja aus der Verborgenheit in eine freie Geschichte hinaustritt. Aber die Lehre von den freien Entschlüssen Gottes für die Welt wird nicht sehr deut5

Vgl. dazu K. Rahner: Der dreifältige Gott als transzendenter Urgrund der Heilsgeschichte. In: J. Feiner, M. Löhrer (Hrsg.): Mysterium Salutis. Grundriß heilsgeschichtlicher Dogmatik. Bd. 2, S. 317–401 [SW 22/1, S. 513–628 – hier und im Folgenden Anm. d. Hrsg.]; sowie den Beitrag K. Rahner: Über den Begriff des Geheimnisses in der katholischen Theologie. In: STh 4, S. 51–99 [SW 12, S. 101–135].

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lich zu der Aussage von der wesenhaften Unbegreiflichkeit Gottes hin vermittelt. Deshalb muß dieser heilsgeschichtliche Ansatz einer Lehre von der Verborgenheit Gottes gegenüber dem Gedanken von der essentialen Unbegreiflichkeit etwas zweitrangig und zusätzlich bleiben. Die Schultheologie macht dann noch eine zweite entscheidende Aussage: Gott bleibt auch in der „visio beatifica“ unbegreiflich. Man könnte sagen, dieser Gedanke sei natürlich schon durch die Begründung der Unbegreiflichkeit Gottes für den Intellekt des Menschen gedeckt. Denn diese Begründung stütze sich ja nicht so sehr auf die Eigentümlichkeiten der menschlichen Existenz gerade in ihrer irdischen Verfassung, als vielmehr auf die Inkommensurabilität von endlicher Erkenntnisfähigkeit des Menschen und Unendlichkeit Gottes, sie sei also metaphysisch und nicht heilsgeschichtlich konzipiert. Aber die Feststellung, daß die Schultheologie auch für die „visio beatifica“ an der Inkomprehensibilität Gottes festhält, muß doch unterstrichen werden. Denn die scholastische Lehre konzentriert das eigentliche Gerettetsein des Menschen, seine letzte Seligkeit, anders als die Schrift oder, wenn man so sagen darf, radikaler als sie auf die Lehre von der „visio beatifica“. Diese faßt sich zunächst einmal als Vollendung der theoretischen Vernunft des Menschen auf. Von daher betont sie eine absolute Unmittelbarkeit zwischen dem Intellekt des Menschen und dem Wesen Gottes, die ihrerseits nicht mehr durch eine endliche Wirklichkeit vermittelt ist. Darum muß sie auch so emphatisch den Unterschied zwischen der pilgerschaftlichen, dunklen, durch Kreatur und endliches Wort vermittelten Erkenntnis Gottes in Bildern und Rätseln einerseits und der radikalen Enthülltheit des unmittelbar in sich selbst sich zeigenden Gottes in der Schau anderseits herausstellen. Wird bei dieser Betonung der radikalen Enthülltheit Gottes in der „visio beatifica“ dennoch an der Unbegreiflichkeit Gottes festgehalten, so ist das bemerkenswert und nicht einfach selbstverständlich. Damit ist dann freilich auch das Problem gestellt, wie Gott noch unbegreiflich sein kann, wenn er unmittelbar geschaut wird und wenigstens hier für den Menschen das „capax infiniti“ gelten soll; wie eine solche Schau gegeben sein kann und was sie überhaupt sein soll, wenn auch darin Gott noch unbegreiflich bleibt. Die Problematik der Unbegreiflichkeit Gottes Die erwähnten Aussagen der Schultheologie sind nicht ganz ohne Probleme. Zunächst fällt bei diesem theologischen Bemühen das Übergewicht theoretischen Begreifenwollens auf. Die Inkomprehensibilität Gottes wird eigentlich von vornherein so sehr auf ein Verständnis des Erkennens und der darin erreichten Wahrheit bezogen, daß die Unbegreiflichkeit Gottes doch nur die Voraussetzung für eine negative Aussage über die Endlichkeit des Menschen

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selber bildet: der Mensch kann Gott nie ganz und erschöpfend begreifen. Fast könnte man noch hinzusetzen: Leider! Der dabei vorausgesetzte Horizont des Verstehens, das Maß, an dem die menschliche Erkenntnis gemessen wird, für die Gott unbegreiflich bleibt, ist eine Vorstellung, die nach dem Modell jenes Erkennens gebildet ist, in dem ein Gegenstand durchschaut und beherrscht wird. Diesem Idealfall des Erkennens gegenüber bleibt die Erkenntnis des Menschen von Gott auf Erden und sogar in der Vollendung noch zurück. Gott ist leider immer der Unbegreifliche, soviel der Mensch auch hier von ihm wissen mag und so unmittelbar er ihn auch in der Seligkeit schauen kann. In einem solchen Erkenntnisideal treffen sich griechischer Wille zu absoluter Gnosis und modernes Verstehen der Erkenntnis als eines Vorganges zur Bemächtigung eines Gegenstandes, mag nun eine solche Bemächtigung mehr im Sinne des deutschen Idealismus oder mehr nach der Idee der modernen Naturwissenschaften aufgefaßt sein. Die Unbegreiflichkeit Gottes ist in diesem Rahmen die Begründung der bleibenden, negativ verstandenen Endlichkeit der Kreatur, auch wenn anerkannt werden muß, daß die Annahme dieser Endlichkeit Gott die Ehre gibt, die ihm allein unbedingt zukommt. Das ist gegenüber jedem Versuch zu sagen, die menschliche Subjektivität als das Ereignis des absoluten Bewußtseins zu verstehen oder auch den Schmerz über die Endlichkeit anders zu verdrängen. Nur bleibt zu fragen, ob bei diesem Übergewicht theoretischen Begreifenwollens nicht doch die radikale Anerkennung Gottes in seiner Unbegreiflichkeit folgerichtig zur Gleichgültigkeit des Menschen führen muß gegenüber dem, was er doch nicht begreifen kann, zu einer praktischen Art von Atheismus also. Und wie läßt sich noch die Seligkeit des Menschen verstehen, wenn er unmittelbar in die ihn radikal überfordernde Unbegreiflichkeit Gottes hineingestürzt wird und wenn seine Erkenntnisfähigkeit im Grunde doch nicht dazu da sein soll, Unbegreiflichkeit6 zu erfahren, sondern umgreifend zu begreifen und sich so allenfalls resignierend in ihre Endlichkeit schicken müßte vor dem unbegreiflichen Gott? Damit wirft diese Theologie auch schon in der Frage nach der Unbegreiflichkeit Gottes ein zweites Problem auf. Es läßt sich ja noch verstehen, daß freie Entschlüsse Gottes der Welt gegenüber verborgen sein müssen, solange sie nicht durch eine eigentliche Offenbarung im Wort mitgeteilt worden sind. Aber es scheint schon, daß die Verborgenheit der personalen Freiheit Gottes gegenüber der Welt nicht so leicht verständlich ist, wie es die Schultheologie offenbar meint. Man braucht ja nur darauf zu reflektieren, daß sich die freien Entschlüsse Gottes für seine Welt auch in welthafter Wirklichkeit, wie es scheint, objektivieren müssen, ähnlich wie die göttliche Absicht zur 6

Es geht in dieser Erfahrung um die Unbegreiflichkeit selbst, nicht um das begreifend Erkannte.

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Schöpfung der Welt. Damit scheinen aber diese freien Dekrete Gottes keinen besonderen Verborgenheitscharakter über den hinaus zu besitzen, den jeder Entschluß einer personalen Freiheit an sich trägt, bevor er sich in der frei gesetzten Objektivation kundtut. Solange sich freie Dekrete Gottes nicht auf seine eigene innerste Wirklichkeit als unbegreiflicher Herrlichkeit beziehen, sind sie darum auf jeden Fall an Weltwirklichkeiten gebunden, die er frei setzt wie z. B. das Heil der Menschen. Solche Wirklichkeiten jedoch gehören in die Dimension des Endlichen und können darum für eine endliche Erkenntnisfähigkeit eigentlich auch nicht unbegreiflicher sein als andere Wirklichkeiten dieser Welt. Als endliche sind sie nämlich durchaus kommensurabel mit einem endlichen Intellekt grundsätzlich unbegrenzter Transzendentalität. Wollte man aber die Unbegreiflichkeit Gottes nur von der Freiheit seiner Entschlüsse und der damit verbundenen Notwendigkeit einer Offenbarung verstehen, dann müßte der „deus absconditus“ aus seiner Verborgenheit heraustreten, um so „deus revelatus“ zu werden, daß seine ganze Offenbarung begreiflich würde und alles für uns gleichgültig bliebe, was er dann vielleicht noch von sich verborgen bleiben ließe. Das „Unbegreifliche“ des „deus revelatus“ läge eigentlich nur in dem Schrecken des Menschen darüber, daß dieser Gott auch anders handeln könnte, als er tatsächlich mit uns handelt. Der Gott der erbarmenden Gnade mit den Sündern könnte auch ein Gott des bloßen Zornes und des Gerichtes sein oder (katholisch-scholastisch ausgedrückt) ein Gott der Verweigerung des übernatürlichen Zieles. Aber dieser Schrecken müßte doch eigentlich aufgehoben sein durch die Erfahrung, daß er tatsächlich als Gott der Vergebung und der absoluten Nähe frei gehandelt hat. Das aber wäre gerade begreiflich, weil es ja, wenn auch aufgrund der Freiheit Gottes, Bestimmung an uns selbst ist und darum eigentlich nicht unbegreiflicher sein kann, als wir uns selbst sind. Wenigstens scheint doch alles so zu sein, bis man deutlich sieht, daß der eigentliche Inhalt dieses freien Entschlusses Gottes uns gegenüber gerade das Nahekommen seiner Unbegreiflichkeit ist. Nur so ließe sich die Lehre von der essentialen Inkomprehensibilität und die Lehre von der heilsgeschichtlichen Verborgenheit Gottes7 miteinander vermitteln. Das ist aber noch nicht geschehen, wenn man sagt, durch die frei dekretierte Offenbarung Gottes würden doch gerade die in Gott verborgenen Mysterien vorgestellt, die geheimnisvoll seien. Es bleibt dann nämlich immer noch die Frage offen, welches genauere Verhältnis zwischen der Offenbarung als Vorgang und der Offenbarung als Inhalt, zwischen der „revelatio qua“ und der „revelatio quae“ besteht. In der traditionellen Schultheologie ist weiterhin nicht gesehen, daß nur in der Liebe das gerade in der unmittelbaren Schau des unbegreiflichen 7

Diese ist nicht nur möglich oder bloß vorläufig und nur faktisch überholt.

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Gottes liegende Problem aufgelöst werden kann. In diesem Zusammenhang kommt es nicht auf die scholastische Streitfrage an, ob das Wesen der Seligkeit in der Vollendung des Intellekts als solchen, d. h. in der „visio“ besteht oder in der des Willens durch die Liebe in ihrer Vollendung, für die die unmittelbare Schau als Erkenntnis nur Voraussetzung ist, oder auch in beidem. Diese traditionellen Meinungsverschiedenheiten und scholastischen Thesen sind letztlich ohne Interesse, solange man nicht sieht, daß die Erkenntnis des unbegreiflichen Gottes selbst auch in der unmittelbaren Schau nur dann nicht das Gegenteil der Vollendung ist, wenn sich das Erkennen als solches dadurch vollendet, daß es sich in die Liebe hinein „aufhebt“. Sonst würde ja die Erkenntnis in dem gewöhnlich von der abendländischen Tradition gegebenen Sinn an der Unbegreiflichkeit Gottes als dem einfach Fremden und Abweisenden scheitern. Setzt man freilich das ursprüngliche Wesen von Erkenntnis von vornherein nicht im Sinne des Durchschauens eines Gegenstandes an, sondern als mögliches Offensein für das Geheimnis schlechthin, dann wird die Frage gleich einfacher. Das Erkennen im traditionellen Sinn könnte unter dieser Voraussetzung als ein abgeleiteter Modus des ursprünglichen Sinnes von Erkenntnis gewertet werden. Die gegenseitige Perichorese von Erkenntnis und Freiheit ergibt sich von selbst und erledigt die Frage nach dem Vorrang von Erkennen oder Lieben in einer ursprünglicheren Einheit des Wesens des Geistes, die sich selbst in die Zweiheit von Erkennen und Lieben auseinanderlegt. Hinsichtlich der herkömmlichen Auffassung von der unmittelbaren Gottesschau8 wird ja meist die Frage nicht beantwortet, warum das Erkennen gerade in der Schau Gottes nicht an der Unbegreiflichkeit scheitert, nicht an seiner bleibenden „Verborgenheit“ verzweifelt oder resigniert. Wird dieses Erkennen schon im ersten Ansatz primär als umgreifendes Begreifen gewertet, dann muß der Gegenstand dieses Erkennens auch in seiner Vollendung noch mit dem negativen Prädikat des Unbegreiflichen charakterisiert werden. Die Schau ist damit im Grunde nur die Radikalisierung der Einsicht, daß wir eigentlich an Gott nicht herankommen. Noch ein weiteres Problem der schultheologischen Lehre von der Unbegreiflichkeit Gottes sei hier schließlich hervorgehoben. Dort nämlich, wo die Notwendigkeit einer übernatürlichen Wortoffenbarung aus der für den Geist des Menschen hier gegebenen Verborgenheit Gottes begründet wird, werden mehrere Grade von „Mysterien“ unterschieden. Darauf ist hier eigentlich nicht näher einzugehen. Aber auch für die höchste Stufe solcher Glaubensund Offenbarungsgeheimnisse wird einfach vorausgesetzt, daß es sie in einer bestimmten Zahl gebe. Von solchen „mysteria stricte dicta“ wird behauptet, es sei nur die eigentliche Wortoffenbarung Gottes selbst, die sie bekannt 8

Dabei muß man vielleicht von Bonaventura und einigen anderen Theologen absehen, die das „Ekstatische“ im Wesen des Menschen zu würdigen wußten.

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machen könne und sie blieben auch nach dieser Offenbarung noch für den Menschen undurchschaubar. Und doch ist die Frage kaum näher behandelt worden, ob sich diese Undurchschaubarkeit für jedes dieser „mysteria stricte dicta“ auch immer in der unmittelbaren Gottesschau durchhält. Es soll vielmehr einfach vom freien Entschluß Gottes abhängen, welche und wie viele dieser Geheimnisse durch die göttliche Offenbarung mitgeteilt werden. Natürlich liegt es schon in dem Begriff der Inkomprehensibilität Gottes, die doch als solche vor den Geist des Menschen gelangen kann, daß sie sich in unzählige Geheimnisse auszulegen vermag, vorausgesetzt freilich, daß eine solche „Auffächerung“ nicht von vornherein dem Begriff der Inkomprehensibilität zuwiderläuft. Diese Voraussetzung wird aber kaum ausdrücklich reflektiert. Die scholastische Lehre rechnet zunächst sehr unbefangen einmal damit, daß solche „mysteria stricte dicta“ im oben schon genauer umrissenen Sinn nicht nur Artikulation der Unbegreiflichkeit Gottes selbst sein können wie etwa das Geheimnis der Trinität. Vielmehr sollen sie auch in Wirklichkeiten vorliegen können, die Wirkungen Gottes nach außen sind wie etwa die Transsubstantiation. Daß aber eine solche Annahme nicht ohne weiteres einleuchtet, wurde früher schon gesagt. Auf jeden Fall wird daran deutlich, daß die Lehre von der Mehrzahl der „mysteria stricte dicta“ nicht eigentlich vermittelt ist mit dem Urmysterium der Unbegreiflichkeit Gottes. Die Frage wird also auch nicht beantwortet oder vielleicht nicht einmal gesehen, wie denn eine von Gott geschaffene, von ihm verschiedene und endliche Wirklichkeit für einen Intellekt von unbegrenzter Transzendentalität überhaupt ein „mysterium stricte dictum“ sein könne. Wenn nämlich das Axiom gilt, daß Sein, Erkennbarkeit und Erkennen in gleichem Maße wachsen und abnehmen, ja letztlich identisch sind, wie es für Thomas von Aquin an und für sich selbstverständlich ist9, dann kann eine solche endliche Wirklichkeit gar nicht grundsätzlich undurchschaubar sein. Geht man jedoch davon aus, daß ein eigentlicher Mysteriencharakter im Sinn eines „mysterium stricte dictum“ nur Gott allein und keiner anderen Wirklichkeit sonst zukommen kann, dann stellt sich die Frage nach der „Zahl“ der Mysterien neu. Soll es deren mehrere geben, bleibt diese „Zahl“ auf jeden Fall noch auf die eine Unbegreiflichkeit Gottes selbst hin zu vermitteln. Skizze einer Synthese Versucht werden soll nun eine positive Antwort auf die sichtbar gewordene Problematik in der katholischen Schultheologie hinsichtlich der Unbegreiflichkeit, der Verborgenheit und dem Mysteriumcharakter Gottes. 9

Vgl. dazu die Arbeit K. Rahner: Die Wahrheit bei Thomas von Aquin. In: STh 10, S. 21–40 [SW 2, S. 301–316].

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Ein solcher Versuch zu einer positiven Synthese braucht sich nicht vor das Dilemma stellen zu lassen, entweder Theologie oder aber Philosophie zu sein. Die folgenden Überlegungen mögen philosophisch-spekulativ scheinen. Sie gehen aber von der Glaubensüberzeugung aus, also von einer streng theologischen Aussage. Die dem Menschen von Gott geschenkte selige Vollendung besteht danach in der Unmittelbarkeit zu Gott, d. h. er ist selbst die Vollendung des Menschen. Alle geschöpfliche Vermittlung, soweit eine solche noch denkbar ist oder in der traditionellen Schultheologie gelehrt wird (lumen gloriae), muß in bezug auf die Unmittelbarkeit zu Gott ganz streng als Vermittlung zur Unmittelbarkeit verstanden werden. Es kann sich aber keineswegs um eine Wirklichkeit handeln, die Gott gewissermaßen als geschaffene und von ihm herkünftige vertritt und ihn so für den Menschen nur indirekt als die Ursache für unsere uns wirklich selbst gehörende Vollendung gegeben sein läßt. Natürlich kann diese theologische Aussage auch schon eine Interpretation jener Glaubenserfahrung sein, wie sie in der Schrift unmittelbar greifbar ist. Dieser Satz aber, der in der Formulierung durch Benedikt XII.10 für die katholische Theologie als Dogma gilt, ist doch nur – trotz aller Formulierungsmöglichkeiten – die Aussage einer radikalen Hoffnung des Menschen im Geiste Gottes. Gott selbst, wie er an und für sich ist, will danach die Seligkeit des Menschen sein, und diese Vollendung des „capax infiniti“ durch das „infinitum“ darf nicht noch einmal durch verständlichere, endliche Vermittlungen depotenziert werden. Eine solche „Metaphysik“ braucht durchaus nicht mehr zu sein als die Aussage, daß Gott selbst, er und nichts anderes, unser ewiges Leben ist, wie immer er auch von uns hier und jetzt verstanden werden mag. Dieser theologische Satz aber liegt allen Überlegungen zugrunde, um die es in diesem Beitrag geht. So philosophisch-spekulativ diese Ausführungen auch erscheinen mögen, sie wollen doch nur diese erste theologische Aussage verstehen und gegen Verharmlosungen in Schutz nehmen. „Die Wahrheit“ ereignet sich in der ursprünglichen Erfahrung des Geheimnisses als solchen. Solche Erkenntnis aber ist von ihrem Ursprung her kein defizienter Modus des eigentlichen Erkennens. Denn das Erkennen im landläufigen Sinn zielt ja an sich auf das Umgreifbare und Durchschaubare und scheitert eigentlich nur in einem bestimmten Fall in diesem Bestreben, ohne daß gerade das dieses nicht umgreifend Erkannte schon einfach zum schlechthin Unbekannten würde. Was wir im vulgären und weithin abendländisch-philosophischen Verständnis Erkennen als Umgreifen und Durchschauen nennen, vollzieht sich im Einordnen in einen Verständnishorizont und in ein Koordinatensystem, das uns „evident“ ist als das mit uns selbst in 10 Vgl. DH 1000–1001.

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Identität Besessene. Aber gerade das ist ein defizienter Modus des Erkennens, in dem das Geheimnis als solches aufgeht. Wird das Erkennen im alltäglichen Sinn so gefaßt als sekundäre und defiziente Weise des eigentlichen Wesens der Erkenntnis, dann ist es gleichgültig, ob man das alltägliche Erkennen mehr im Sinn eines Schaffens funktionaler Zusammenhänge unter primären Daten einer ersten Erfahrung versteht oder als Schau, in der das Geschaute umfaßt wird. Denn das Wesen des Erkennens liegt ja im Geheimnis als dem ursprünglich Erfahrenen und allein in sich Selbstverständlichen. Die unbegrenzte Transzendentalität des Menschen, die durch die Gnade radikalisierte Offenheit auf das Geheimnis als solches, macht diesen Menschen nicht im Sinne des deutschen Idealismus oder ähnlicher Philosophien zum Ereignis des absoluten Geistes, sondern verweist ihn in das unumgreifbare Geheimnis hinein, von dem her diese Transzendentalität sich eröffnet erfährt. Der Mensch ist auch nicht als transzendentales Subjekt der Hirte des Seins, sondern der von dem Geheimnis Behütete. Gerade dort, wo er im ursprünglichen Vollzug des Daseins und dann abgeleitet in der philosophischen Reflexion zu sich selber kommt, erfährt er sich nicht als das herrschende, absolute Subjekt, sondern als der sich selbst von dem Geheimnis her Zugeschickte. Darum weiß er sich aber auch als der, der in jedem Begriff über das Begriffene hinausgreift in das Namenlose und Unumgreifbare. Diese so verstandene Transzendentalität unbegrenzter Weite ist die apriorische Bedingung von wirklich gegenständlicher, urteilender, die Bedingung ihrer Möglichkeit selbst – wenn auch nur ins Unsagbare hinein – reflektierender Erkenntnis sowie der geschichtlich sich objektivierenden Freiheit. Insofern ist aber auch die Erfahrung der Herkunft von und der Hinkunft zu diesem namenlosen Geheimnis apriorische Bedingung jeder kategorialen Erkenntnis und für jedes kategorial-geschichtliche Handeln und nicht nur ein Randphänomen am Ende eines Weges. Denn sonst ginge es nur um einen Marsch in der Helle des kategorialen und schließlich wissenschaftlichen Verstehens, auf dem die durch Begreifbares fortschreitende Erkenntnis faktisch einmal ermattet, das noch nicht Verstandene auf sich beruhen läßt und diesen noch unbewältigten Rest des Erkennbaren schließlich auch noch Geheimnis nennen würde. Das ursprüngliche Erkennen dagegen ist das Anwesen des Geheimnisses als solchen, das Angerufensein von dem, was keinen Namen mehr hat, das sich Einlassen auf das, was nicht bewältigt wird, sondern einen überwältigt, das Sagen des Namenlosen, über das sich nicht klar reden läßt, der letzte Augenblick vor dem Verstummen, der notwendig ist, um das Schweigen zu hören und Gott liebend anzubeten. Würde jemand darauf bestehen, die eben doch ein Stück weit helle Erkenntnis des Alltags und die darauf sich gründende Wissenschaft sei das primäre Erkennen, dann ließe sich das Gesagte auch anders formulieren (denn ob so oder so formuliert, darauf käme es letztlich

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nicht an). Herkünftigkeit und Hinkünftigkeit des Erkennens vom und zum Geheimnis ist eines seiner konstitutiven Momente. Unthematisch wird das gerade auch in der Alltagserkenntnis erfahren und darf als apriorische Bedingung der Möglichkeit allen Erkennens „primär“ genannt werden, selbst wenn es für die auf ihre apriorischen Voraussetzungen auch erst nachträglich reflektierende Erkenntnis nur sekundär thematisch wird. Wahrheiten kann es viele geben. Sie können klar sein und Macht über die Wirklichkeit gewähren. Sie alle aber leben von dem Aufgehen des Geheimnisses als solchen, von der einen Wahrheit, die nicht nachträgliche Sammlung von Wahrheiten ist, sondern diesen allen als Bedingung ihrer Möglichkeit vorausliegt. Das Anwesen der einen Wahrheit ist natürlich unthematisch, da sie zuerst als Möglichkeitsbedingung kategorial-geschichtlicher und raum-zeitlicher Erfahrung gegeben ist. Sie kann darum auch übersehen und verdrängt werden, ihre schweigende Anwesenheit immer und überall kann überhört werden vor all den zuhandenen Wirklichkeiten, die als einzelne und verschiedene den Raum des Lebens und des Bewußtseins ausfüllen. Und wo diese eine Wahrheit schließlich in einem letzten Mut der Existenz durch das Wort verlautbart und so fast gegen ihr eigenes Wesen objektiviert wird, da kann sie doch noch mit anderen Objektivationen verwechselt werden und so unwahr und unglaubwürdig sein. Das ändert aber nichts daran, daß die eine Wahrheit das ursprüngliche Ereignis des Geistes ist und zwar als das Geheimnis, das als ein solches und bleibendes aufgeht und von sich her den Menschen in seiner ursprünglichen Wahrheitshabe konstituiert.11 Anders gesagt: der „deus ab­ scon­ditus“ ist als solcher die ursprüngliche Wahrheit des Menschen, die als frei zugeschickte den Menschen konstituiert. Der Mensch steht immer schon vor dem „deus absconditus“, auch wenn er wegzublicken sucht und es nicht wahrhaben will, daß seine ihm helle und Herrschaft verleihende Erkenntnis der Weltwirklichkeiten von diesem „deus absconditus“ herkommt gerade als dieses so Erkannte. Erkenntnis ist primär Erfahrung des überwältigenden Geheimnisses dieses „deus absconditus“. Die göttliche Offenbarung allerdings ist nicht Entschleierung eines bisher Verborgenen und dann durch solche Enthüllung nach Art weltlicher Erkenntnis Gewußten, sondern Radikalisierung der wachsenden Nähe des „deus absconditus“ als des bleibenden Geheimnisses. Dieses stellt sich darin aber als vergebend, rettend und ewige Heimat schenkend dar. Offenbarung ist also gerade keine durch Gott selbst gewährte gnostische Überwindung 11 Siehe dazu die erkenntnismetaphysischen Arbeiten K. Rahners: Geist in Welt. Zur Metaphysik der endlichen Erkenntnis bei Thomas von Aquin, München 31964 [SW 2, S. 1–300]; Hörer des Wortes. Zur Grundlegung einer Religionsphilosophie, München 21963 [SW 4, S. 1–281]; Die Wahrheit bei Thomas von Aquin. In: STh 10, S. 21–40 [SW 2, S. 301– 316] (Dieser Beitrag stammt aus den gleichen Jahren wie die vorgenannten Arbeiten).

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des Geheimnisses, auch nicht in seiner unmittelbaren „Schau“, sondern Geschichte der immer radikaleren Erkenntnis Gottes als des Geheimnisses. Das geht bis zur Unmittelbarkeit dieses Geheimnisses in dem, was man „Schau“ nennt, und kann nur ausgehalten werden in der liebenden Übergabe an dieses bleibende Geheimnis. Der Verlorene und nicht der Selige weiß alles als unendliches Allerlei und er weiß gerade so gar nichts. Der Selige gibt sich liebend weg, läßt sich bedingungslos an das liebend und rettend sich selbst in Unmittelbarkeit schenkende Geheimnis des „deus absconditus“ fallen. Wenn die theoretische Vernunft als das Vermögen des herrscherlichen Umgreifens verstanden wird, dann ist die Seligkeit gerade die Befreiung dieser theoretischen Vernunft in die Liebe des Mysteriums hinein, das uns in Unmittelbarkeit zu sich selbst völlig ergreift. Die Geschichte der Offenbarung ist dann die fortschreitende Erkenntnis, daß wir es mit dem bleibenden Geheimnis selbst zu tun haben, immer mehr mit ihm und mit nichts anderem. So gesehen wäre in dem Bericht über die Offenbarung gewiß vieles anders zu sagen und zu deuten, als dies gewöhnlich geschieht. Aber wenn der Höhepunkt dieser Offenbarung, die Mitteilung des Geistes Gottes selbst, in dem Ereignis geschieht, in dem ein Mensch in seinem Tod alles andere außer Gott verliert, sich Gott bedingungslos als dem unbegreiflich über ihn Verfügenden übergibt und so selig wird12, dann läßt sich die Geschichte dieser Offenbarung wohl so schreiben, wie es hier gemeint ist. Alles in einer Geschichte läßt sich eben nur von ihrem Ende her letztlich zutreffend deuten. Dieses Ende aber ist die Ankunft Gottes als des bleibenden, jedoch in Liebe angenommenen Geheimnisses. In dieser Geschichte wird also das Geheimnis nicht eigentlich langsam zerstört, sondern alle Vorläufigkeiten werden immer weiter abgebaut, soweit sie uns meinen lassen, wir hätten es mit Gott nur in dem zu tun, was wir von ihm begreifen zu können glauben. Das wären ja eigentlich alles nur gute oder schlechte Bilder und Gleichnisse, die ihn vertreten und ihn uns anpassen, bis wir dann endlich alles loslassen im Wissen darum, daß das radikal Unangepaßte in seiner Selbstzuwendung zu uns das einzig wirklich Angemessene für uns ist. Denn durch sich selbst hat Gott es uns gegeben, daß wir nicht mehr nach unserem Maß erkennen, wünschen und handeln müssen, sondern entsprechend der Maßlosigkeit Gottes selbst. Das endlich Geschöpfliche liegt in solcher Vollendung zwar darin, daß dieser Gott als unsere absolute Zukunft das unumgreifbare Geheimnis ist, aber diese seine Unbegreiflichkeit ist nicht eigentlich als die Grenze unserer Vollendung zu verstehen, sondern gerade als deren Grenzenlosigkeit, die als solche erfahren und geliebt wird. Natürlich bedeutet diese Lehre eine Gefahr für den Menschen. Dort nämlich, wo sie in ihrer theoretischen Objektivie12 Siehe dazu K. Rahner: Zur Theologie des Todes, Freiburg 61965 [SW 9, S. 348–392, 418– 441]; Zu einer Theologie des Todes. In: STh 10, S. 181–199 [SW 22/2, S. 230–244].

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rung genossen und noch einmal zum geheimen Götzen des Menschen gemacht wird, würde die höchste Vollendung zur schrecklichsten Verwirrung pervertiert. Nur wo wirklich das unbegreifliche Geheimnis selbst geliebt wird, wo die Erkenntnis über sich selbst hinausgehoben ist und Erkenntnis und Liebe wirklich durch diese Ekstase in das Geheimnis hinein nicht mehr zu sich selbst zurückkehren, ist diese letzte und größte Gefahr gebannt, aus dieser Lehre noch einmal eine sublime Gnosis zu machen, in der der Mensch sich nochmals mit Gott verwechselt. Dieser Gefahr darf man jedoch nicht dadurch entgehen wollen, daß man nicht radikal wahrhaben will, Gott wolle an sich selbst die absolute Zukunft und die Vollendung des Menschen sein. So will er ja nicht trotz seiner Unbegreiflichkeit, sondern gerade in ihr selbst die Seligkeit des Menschen sein, und dieser hat sich von daher auch selbst zu verstehen. Die Unbegreiflichkeit Gottes als selige Vollendung des Menschen ist natürlich in einem, will man sie noch weiter metaphysisch entfalten, die Unbegreiflichkeit Gottes in seinem Wesen und in der freien Zuwendung eben dieses Geheimnisses zum Menschen in seiner konkreten und individuellen Geschichte. Das vollzieht sich in dem einen und einzigen „freien Dekret“, das wirklich unumgreifbar ist, weil es eben noch einmal Gott selbst ist, der so die Vollendung des Menschen und selbst die versöhnende Vergebung für diesen Menschen ist. Dies gilt für den Sünder, der sich von sich aus diesem Gott versagen will, weil er vor dessen Unbegreiflichkeit in das Verstehbare seiner eigenen Erkenntnis und seines Handelns flüchten möchte. Zum Versuch einer positiven Synthese für die Antworten auf die Problematik, die mit der schultheologischen Lehre von der Verborgenheit Gottes gegeben ist, müßte auch eine Überlegung dazu gehören, wie das Verständnis Gottes als des immer unumgreifbaren Geheimnisses auf das Verständnis und die Radikalisierung anderer theologischer Aussagen bezogen werden kann innerhalb einer christlichen Dogmatik. So wäre z. B. die Trinitätslehre mit diesem Gedanken von der Verborgenheit Gottes zu konfrontieren. Es wäre dabei deutlich zu machen, daß der „Vater“ als ursprungsloser Ursprung auch der innergöttlichen Ausgänge sowie der Welt durch die Schöpfung gerade den Unumgreifbaren, keinem übergreifenden System Unterwerfbaren meint, der ein solcher bleibt und gerade als ein solcher aufgeht, wenn er durch seine Gnade und die Schau dem Menschen seine höchste Nähe schenkt. „Pater immensae maiestatis“. Der „Geist“ wäre zu verstehen als die Möglichkeit Gottes, sich selbst als das Geheimnis dem Menschen in Unmittelbarkeit mitzuteilen. Der „Sohn“ bedeutet, daß Gott diese letzte Wahrheit, die die seine ist, geschichtlich dem Menschen zusagen kann in einem Menschen, der in freier Annahme des geretteten Todes die Selbstzusage Gottes als Geheimnis endgültig und glaubhaft macht. Und da es sich in dieser Freiheit der Selbstzusage Gottes als Geheimnis um Gott selbst, nicht aber um et-

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was Geschöpfliches in Gottes Vertretung handelt, kommt diese Dreiheit dem einen Verhältnis Gottes zum Menschen unmittelbar Gott an sich selbst zu. Darum ist die heilsökonomische Trinität13 auch eo ipso immanente, und was wir offenbarungs- und glaubensgeschichtlich über dieses dreifaltige Verhältnis der einen Selbstmitteilung Gottes wissen, die uns unmittelbar dem Geheimnis als solchem konfrontiert, ist schon Wissen um die immanente göttliche Trinität, deren Geheimnis gar nichts anderes ist als das sich selbst mitteilende und so auch ewig bleibende Mysterium. In einer systematischen Christologie bliebe zu bedenken, daß Jesus in seiner menschlichen Wirklichkeit glaubend gerade vor diesem unerbittlichen und gerade in seiner Unumgreifbarkeit zu liebenden Geheimnis steht, so daß von da aus verständlich wird, daß in seinem Leben der Tod nicht als irgendeines der vielen Geschehnisse eines Menschenlebens erfahren wird, sondern als eigentlicher Höhepunkt. Denn der Mensch gelangt darin, sofern er den Tod bedingungslos, glaubend und hoffend annimmt, im Untergang alles anderen gerade nackt und bloß vor die Unbegreiflichkeit Gottes. Die katholische Schultheologie hat in der Frage des Wissens und des Selbstbewußtseins Jesu als Menschen eine seltsame, wenn auch rührende Neigung, diesem Wissen möglichst viel an positiven Einzelerkenntnissen zuzuschreiben, wenn sie sich auch hütet, das menschliche Bewußtsein Jesu mit der sogenannten Allwissenheit Gottes zu begaben. Es wäre für diese theologische Aussage wohl wichtiger, die Menschlichkeit Jesu zu betonen, der sich auch in seinem Wissen bedingungslos der Unbegreiflichkeit Gottes ergab und diese letzte „beata ignorantia“ unverdrängt besaß und liebend annahm.14 Daß von da aus manches in der Schrift bezeugte Nichtwissen Jesu dann eigentlich keinen Mangel, sondern in seiner Annahme gerade einen Vorzug bedeutet, ist eigentlich selbstverständlich. Was die Lehre von der Unbegreiflichkeit Gottes für die Ausführungen über die Offenbarung und ihre Geschichte in der Theologie bedeuten könnte, ist schon angedeutet worden. In der Gnaden- und Rechtfertigungslehre würde die so verstandene Unbegreiflichkeit Gottes als positives Ziel und endgültige Vollendung des Menschen deutlicher machen können, daß und warum Gott in sich selbst die rechtfertigende Gnade des Menschen ist. Es könnte inhaltlich deutlicher werden, daß die auch in der katholischen 13 Vgl. dazu K. Rahner: Der dreifaltige Gott als transzendenter Urgrund der Heilsgeschichte. In: J. Feiner, M. Löhrer (Hrsg.): Mysterium Salutis. Grundriß heilsgeschichtlicher Dogmatik. Bd. 2, S. 317–401 [SW 22/1, S. 513–628], eine Arbeit, die auf den Beitrag zurückgeht: K. Rahner: Bemerkungen zum dogmatischen Traktat „De Trinitate“. In: STh 4, S. 103–133 [SW 22/1, S. 512–568]. 14 Siehe dazu K. Rahner: Dogmatische Erwägungen über das Wissen und Selbstbewußtsein Christi. In: STh 5, S. 222–245 [SW 12, S. 335–352]; Die zwei Grundtypen der Christologie. In: STh 10, S. 227–238 [SW 22/1, S. 836–860].

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Schultheologie gegebene Lehre von der „gratia increata“ zentral ist für die radikalen Aussagen von Gnade und Rechtfertigung. Leider wird diese Lehre meist nur als bloße Konsequenz aus dem Verständnis der Gnade als geschaffener Bestimmung des Menschen vorgetragen. Die tridentinische Lehre von den eingegossenen „habitus“ der göttlichen Tugenden in der Rechtfertigung könnte und müßte dann auch als Ausdruck dafür gewertet werden, daß die Selbstmitteilung Gottes in Unmittelbarkeit wirklich beim Menschen selbst ankommt, daß aber diese „habitus infusi“ die Selbstmitteilung des Geheimnisses nicht vertreten oder ersetzen15. Vielleicht könnte dadurch für die katholische Schultheologie ein gerechteres Verständnis der forensischen Konzeption der Rechtfertigung in der Reformation erreicht werden, vorausgesetzt, daß diese Auffassung selbst nicht letztlich mythologisch mißverstanden wird, sondern nur Ausdruck dafür ist, daß der Mensch dann von Gott gerechtfertigt wird, wenn Gott selbst unmittelbar an ihm handelt und ihn durch sich selbst gerecht macht. Was unter Rücksicht auf die bleibende, aber sich selbst als Seligkeit mitteilende Unbegreiflichkeit Gottes zur Eschatologie zu sagen ist, kam der Sache nach wohl auch schon zur Sprache. Eschatologie kann nur dann nicht als mythologische und zu entmythologisierende Vorstellung der Aufgaben und Ziele entlarvt werden, die der Mensch selbst, wenn auch in einem nie vollendeten Fortschritt erreichen soll, sofern diese Eschatologie wirklich den wahren Gott selbst als absolute Zukunft des Menschen weiß. Diese menschliche Zukunft ist aber nur dann der wahre Gott in sich selbst, wenn man sie als unbegreifliche und in Unumgreifbarkeit bleibende weiß oder besser: erhofft. Sonst wäre die Zukunft als umgreifbare und entwerfbare doch wieder nur weltimmanent oder bloße Chiffre dafür, daß dieser Fortschritt in die menschliche Zukunft immer weiter geht und keinen Punkt für endgültig erklären darf. Damit ist auch schon angedeutet, welche fundamentale Bedeutung die Lehre von der bleibenden Unumgreifbarkeit Gottes für eine Theologie der Geschichte16 nicht nur des einzelnen, sondern der Menschen überhaupt und damit der Gesellschaft hat. Die christliche Kritik an dem jeweils geschichtlich und gesellschaftlich Gegebenen ist eine Kritik in der Kraft der Hoffnung 15 Siehe dazu K. Rahner: Zur scholastischen Begrifflichkeit der ungeschaffenen Gnade. In: STh 1, S. 347–375; Gnade. In: LThK2 4 (1960), Sp. 991–1000 [SW 17/1, S. 247–256]; Selbstmitteilung Gottes. In: LThK2 9 (1964), Sp. 627 [SW 17/1, S. 409]. 16 Vgl. dazu A. Darlap: Fundamentale Theologie der Heilsgeschichte. In: J. Feiner, M. Löhrer (Hrsg.): Mysterium Salutis. Grundriß heilsgeschichtlicher Dogmatik. Bd. 1: Die Grundlagen heilsgeschichtlicher Dogmatik, Einsiedeln – Zürich – Köln 1965, S. 3–156; A. Darlap, J. Splett: Geschichte und Geschichtlichkeit. In: Sacramentum Mundi (D) 2 (1968), Sp. 290–303; F. H. Tenbruck, G. Klein, E. Jüngel, A. Sand: Spricht Gott in der Geschichte?, Freiburg 1972.

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auf diese absolute Zukunft17, die man nicht selbst herrscherlich planen kann und der man doch vertraut und die man nicht als etwas Feindliches betrachtet, das möglichst auszumerzen oder zu vermeiden ist. Solche Kritik kann daher zugleich radikal und geduldig und auch langmütig sein, ebensoweit entfernt von einer konservativen Verherrlichung und Ideologisierung des Bestehenden wie von einer destruktiven Ungeduld, die mit bloßer Gewalt das innerweltlich Künftige in Opferung des gegenwärtigen Menschen herbeizuzwingen sucht.18 Endlich müßte noch deutlicher als üblich die Lehre von der Unumgreifbarkeit der absoluten Zukunft des Menschen, die sich selbst verheißt und schenkt, ausgewertet werden für die Gedanken darüber, was wir mit dem Wort „Gott“ eigentlich meinen. So könnte man z. B. fragen, ob das richtige Verhältnis dessen, was die Schultheologie unter der Unendlichkeit des Seins Gottes versteht und was sehr leicht als unzulässige Übersteigerung der Erfahrung des Endlichen als solchen mißverstanden wird, nicht eher und deutlicher aus der Erfahrung der Unumgreifbarkeit unserer durch Gott selbst eröffneten Hoffnung auf eine absolute Zukunft gewonnen werden kann.19 Bei der hier gemeinten Radikalisierung katholischer Schultheologie von der Unbegreiflichkeit Gottes her könnte auch deutlicher werden, daß eine richtige „theologia gloriae“, die dem Katholizismus oft vorgeworfen wird, immer noch Theologie des „deus absconditus“ ist, wenn sie sich selbst 17 Siehe dazu die gesammelten Texte in K. Rahner: Zur Theologie der Zukunft, München 1971. Die absolute Zukunft [Vorwort], S. 7 [SW 22/2, S. 798]; Weltgeschichte und Heilsgeschichte, S. 9–27 [SW 10, S. 590–604]; Theologische Prinzipien der Hermeneutik eschatologischer Aussagen, S. 28–52 [SW 12, S. 489–510]; Theologische Bemerkungen zum Zeitbegriff, S. 53–71 [SW 15, S. 622–637]; Zur Geschichtlichkeit der Theologie, S. 72–92 [SW 22/1, S. 203–244]; Ideologie und Christentum, S. 93–109 [SW 15, S. 395–408]; Das Christentum und der „Neue Mensch“, S. 110–129 [SW 15, S. 138–153]; Christlicher Humanismus, S. 130–148 [SW 15, S. 525–540]; Marxistische Utopie und christliche Zukunft des Menschen, S. 149–159 [SW 15, S. 410–418 unter dem Titel „Christentum als Religion der absoluten Zukunft“]; Zur Theologie der Hoffnung, S. 160–176 [SW 22/2, S. 207–221]; Fragment aus einer theologischen Besinnung auf den Begriff der Zukunft, S. 177–182 [SW 15, S. 424–428]; Über die theologische Problematik der „Neuen Erde“, S. 183–193 [SW 15, S. 557–566]; Immanente und transzendente Vollendung der Welt, S. 194–209 [SW 15, 544–556]; Docta ignorantia futuri, S. 210–228 [SW 24, S. 248–264 unter dem Titel „Die Frage nach der Zukunft“]; Perspektiven für die Zukunft der Kirche, S. 229–243 [SW 24, S. 177–188]; Die Zukunft der Theologie, S. 244–252 [SW 22/2, S. 527–534]. 18 Siehe dazu K. Rahner: Die gesellschaftskritische Funktion der Kirche. In: STh 9, S. 569– 590 [SW 24, S. 216–232]; Heilsauftrag der Kirche und Humanisierung der Welt. In: STh 10, S. 547–567 [SW 15, S. 711–726]. 19 Siehe dazu K. Rahner: Bemerkungen zur Gotteslehre in der katholischen Dogmatik. In: STh 8, S. 165–186 [SW 22/1, S. 496–511]; Zur Theologie der Hoffnung. In: STh 8, S. 561–579 [SW 22/2, S. 207–221]; Immanente und transzendente Vollendung der Welt. In: STh 8, S. 593–609 [SW 15, S. 544–556]. Zur Gottesfrage vgl. u. a. K. Rahner: Gotteserfahrung heute. In: K. Rahner: Gott in dieser Zeit, München 1972, S. 1–16 [SW 23, S. 138–149].

Über die Verborgenheit Gottes

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richtig versteht. Die „gloria“ ist ja nichts anderes als die liebende Übergabe des Menschen an die unmittelbar gewordene Unbegreiflichkeit Gottes. Damit soll nicht bestritten werden, daß die Theologie des Pilgerstandes und die der Vollendung in der Herrlichkeit wesentliche Unterschiede aufweisen. Die Mahnung an den Theologen in dieser Welt bleibt darum auch voll gültig, sich seiner pilgerschaftlichen Existenz auch in der Theologie bewußt zu bleiben. Aber der meist gegenseitige Vorwurf einer anmaßenden Grenzüberschreitung könnte doch beträchtlich entschärft werden, wenn man sich gegenseitig zugesteht, daß auch die je eigene „theologia gloriae“ es immer mit der Herrlichkeit des unbegreiflichen Gottes zu tun hat. In allen Theologien liegt die Gefahr zu meinen, das „lumen gloriae“ lichte alles und auch Gott in seinem Geheimnis so auf, daß mindestens in dieser „gloria“ auch Gott noch durchschaut wird. Umgekehrt ist es aber auch nicht so, daß „deus absconditus“ der Gott wäre, der nicht von uns erkannt werden will. Er teilt uns über sich selbst nicht das eine mit und verbirgt uns das andere, sondern er schenkt sich uns ganz. Wenn er das als „deus revelatus“ getan hat, ist er gerade radikal offenbar geworden als der unbegreifliche „deus absconditus“, vor dem der Mensch nicht mehr zu fliehen vermag, sondern den er so annimmt, wie er ist, eben als die Unbegreiflichkeit, die erkannt die eigene Wahrheit des Menschen und geliebt die eine selige Vollendung des Menschen ist.

Teil II: Die aktuelle Debatte zur Verborgenheit Gottes

Göttliche Verborgenheit und menschliche Philosophie John Schellenberg 1. Allgemeiner Hintergrund der Argumente Der Planet Erde beherbergt nun seit ungefähr 3,5 Milliarden Jahren Leben. Anatomisch moderne Menschen entwickelten sich vor etwa 200.000 Jahren; ihrem Verhalten nach moderne Menschen, die etwas praktizierten, das wir als Religion erachten könnten, wahrscheinlich ein gutes Stück später, vielleicht erst vor 50.000 Jahren. Und erst vor ein paar tausend Jahren – im letzten Zehntel dieser 50.000 Jahre – entstanden die gegenwärtigen religiösen Traditionen der Erde sowie die systematische Forschung in der Philosophie und Wissenschaft. Mit einem Alter von 200.000 Jahren ist Homo sapiens noch eine ziemlich junge und agile Spezies – ihr Vorgänger Homo erectus bestand mehr als sieben Mal so lange fort. Und in der Wissenschaft ist man sich einig darüber, dass die Erde für mindestens eine weitere Milliarde Jahre bewohnbar bleiben wird. Wenn wir daher insbesondere unseren vielgerühmten Einfallsreichtum auf die richtige Weise einsetzen, könnte unsere Spezies gerade erst dabei sein, ihre evolutionäre Reise anzutreten. Selbst wenn unsere Ausdauer nur der des H. erectus gleicht, haben wir, wenn die Religion so lange überlebt wie wir, erst ein Dreißigstel der gesamten Lebensdauer der menschlichen Religion vollendet. Und wenn wir stattdessen an diese zukünftige Milliarde Jahre denken und unserer Phantasie freien Lauf lassen, über intelligente Spezies nachzudenken, die auf uns folgen und uns in jeder Hinsicht übertreffen könnten, dann werden wir sehen, dass wir möglicherweise soeben das erste und auch das unreifste 20.000stel der gesamten Religionsgeschichte auf unserem Planeten vollendet haben. Wissenschaftliche Zeitskalen auf diese Weise heranzuziehen rückt die Dinge vielmehr ins rechte Licht! Es gibt hier eine Große Disparität [Great Disparity – Anm. d. Übers.] zwischen Vergangenheit und potentieller Zukunft, die wir – angesichts unserer dürftig entwickelten Gehirne und der Zeitskalen, die sie mühelos erfassen können – nur allzu leicht ignorieren.1 Angenommen, wir bringen jetzt die menschliche Philosophie in die Diskussion mit ein. Die 1

Beachten Sie, dass ich nur darüber spreche, was der Fall sein könnte, und daher nichts, von dem hier die Rede ist, impliziert, was zuweilen eine progressive Sichtweise der Evolution genannt wird – eine Sichtweise, die evolutionäre Prozesse von Natur aus als solche betrachtet, die im Laufe der Zeit zu Verbesserung führen. Ob wir oder andere intelligente Spezies dabei helfen können, die Evolution progressiv zu machen, ist eine andere Frage.

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Wissenschaft hat aufgrund unseres Einfallsreichtums und trotz dieser eingeschränkten Gehirne intellektuelle Wunderwerke vollbracht, wenn auch oft nur dadurch, dass man sich dem widersetzte, was selbstverständlich oder intuitiv erscheint. Die Philosophie jedoch hat noch grundlegendere und viel schwierigere Fragen im Blick, für die bislang nichts in Analogie zu wissenschaftlichen Methoden ersonnen worden ist. Und hier sind unsere Ergebnisse, das muss man zugeben, weniger spektakulär. Zumindest bislang. Gewiss ist dies der Fall, wenn die Unfähigkeit vieler Köpfe, annähernd so etwas wie einen begründeten Konsens über die Antworten auf diese Fragen zu erzielen, so verstanden wird, dass es das Licht der Errungenschaft trübt. Unter den Fragen, die die Philosophie in ihrem äußerst kurzen Leben erörtert hat, das sogar kürzer als das der Religion ist, sind freilich Fragen über die Religion, die wiederum ihre eigenen (ziemlich gegenläufigen) Antworten auf grundlegende Fragen bietet – und zwar in der Regel solche, die Vorstellungen über Wirklichkeiten jenseits der Natur aufweisen sowie über die besonderen Erfahrungen und Praktiken, die mit dem Kennenlernen derselben einhergehen. Angesichts des zeitlichen Kontextes, den ich dargelegt habe, und seiner eigenen bescheidenen Erfolgsbilanz könnte die Aufgabe der Philosophie wohl kaum als erfüllt betrachtet werden, bevor sie nicht eine repräsentative Menge charakteristischer Vorstellungen über grundlegende Fragen untersucht hat, die in der Religion, so wie wir sie heute weltweit kennen, aufzufinden sind, und versucht hat, deren intellektuellen Status zu bestimmen. Dies ist bislang nicht passiert. Und damit nicht genug. Denn angesichts der (in erkenntnistheoretischer Hinsicht) möglichen Primitivität der Spezies sollte die Philosophie sicherlich auch für wesentliche Variationen religiöser Themen offen sein, an die bisher noch nicht gedacht wurde – willens, die religiöse Vorstellungskraft zu weiten, um zu sehen, was sie sonst noch hervorbringen könnte. Diese Teile der Aufgabe der Philosophie fallen eindeutig dem zu, was wir Religionsphilosophie nennen. Aber im Westen – und ich vermute, ich schreibe vor allem für westliche Leser – hat sich die Religionsphilosophie hauptsächlich mit einer religiösen Vorstellung beschäftigt, und zwar der des Theismus, und sie scheint sich in eine enger gefasste und tiefer schürfende Version dieser Beschäftigung zu wandeln, die den Fokus insbesondere auf christliche Vorstellungen legt, anstatt den Horizont zu weiten und ihre Gesamtaufgabe in den Griff zu bekommen.2 Auch wenn es in Anbetracht des zeitlichen Kontexts, 2

Ich nehme an, dass der jüngste Aufstieg der „analytischen Theologie“ hier symptomatisch ist – und dies vor allem deshalb, weil ihre Befürworter und Fachleute zu meinen scheinen, dass es keine Rolle spiele, ob das, was sie tun, Theologie oder Philosophie genannt wird. Vgl. z. B. Wolterstorff, Nicholas. 2009. „How Philosophical Theology Became Possible within the Analytic Tradition of Philosophy“, in: Oliver D. Crisp und Michael C. Rea (Hrsg.), Analytic Theology: New Essays in the Philosophy of Theology (Oxford Univ. Press), S. 155–69.

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wie ich ihn dargestellt habe, besorgniserregend ist, ist dies vielleicht nicht überraschend. Die Religion hat einen gewaltigen Einfluss auf viele Menschen, einschließlich menschliche Denker. Und das neu aufkommende Forschungsgebiet der so genannten kognitiven Religionswissenschaft (KRW) [cognitive science of religion (CSR) – Anm. d. Übers.] hat bereits einen eindrucksvollen Nachweis für den gewaltigen Einfluss erbracht, den agensbezogene religiöse Vorstellungen – Vorstellungen von personalen Göttern oder von einem personalen Gott – wie zu erwarten auf unsere Gemüter haben, wenn man unser evolutionäres Erbe bedenkt.3 Dabei könnte die Tatsache der in metaphysischer Hinsicht naturalistischen Ansätze in der Philosophie, die vom Erfolg natürlicher Erklärungen in der Wissenschaft begeistert sind, in eine andere Richtung zu weisen scheinen. Aber es ist interessant zu beobachten, dass sie das nicht tut. Denn die meisten Naturalisten nehmen auch an, dass eine theistische, Gott-zentrierte Religion Erfolg haben muss, wenn überhaupt. Naturalismus oder Theismus. Dies scheinen die einzigen Optionen zu sein, die viele sehen. Die schärfsten Religionskritiker, einschließlich Philosophen wie z. B. Daniel Dennett, nehmen wohl an, dass ihre Arbeit erledigt ist, wenn sie zu ihrer eigenen Zufriedenheit personalistische, agensbezogene Vorstellungen einer göttlichen Wirklichkeit kritisiert haben. Insbesondere Dennett erzählt uns, dass „Religion ohne Gott oder Götter wie ein Wirbeltier ohne eine Wirbelsäule ist“ (Hervorhebung im Original).4 Es ist hier nun möglicherweise nicht damit getan, Dennett in Richtung nicht-theistischer, nicht-westlicher religiöser Vorstellungen zu weisen. Vielleicht ist es aufgrund der Arten kognitiver Faktoren, die von der KRW hervorgehobenen werden, so, dass sogar nicht-theistische Traditionen wie der Buddhismus und Taoismus auf dem populären Level immer noch inständige Anbetung von und Bittgebet zu gottähnlichen personalen Wesen aufweisen. Dennett hat nicht ganz Unrecht, und die ersten Ergebnisse der KRW könnten das bestätigen. Es macht den Menschen Mühe, sich das Göttliche als etwas Anderes als oder als mehr als nur etwas Personales zu denken. Dies – oder gewisse besondere Erfahrungen, die oft mystisch genannt werden. Das Vorhandensein der Letzteren straft die Ansicht Lügen, dass unsere Gehirne angebliche göttliche Offenbarungen zwangsläufig personal konfigurieren müssen. Erfahrungen einer, wie es scheint, sehr andersgearteten und insgesamt viel mysteriöseren und rätselhafteren göttlichen Wirklichkeit treten auch 3

4

Ohne dass sie unseren Ort in der Zeit angemessen berücksichtigen, scheinen viele theistische Denker diese Entwicklungen als solche zu betrachten, die ihrer Sichtweise möglicherweise einen Vorteil verschaffen. Vgl. z. B. Barrett, Justin L. 2004. Why Would Anyone Believe in God? (Altamira). Dennett, Daniel. 2006. Breaking the Spell: Religion as a Natural Phenomenon (Viking), S. 9.

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überall auf der Welt auf, selbst wenn ihre Anzahl relativ gering ist; und bei denjenigen, die sie haben, handelt es sich um einige der in höchstem Maße Guten und Weisen unter uns.5 Das ist der (höchst allgemeine) Hintergrund, den ich für die Argumente benötige, die ich vorstellen und erörtern werde. Ein Großteil dieses Hintergrunds wird für meine Leser Allgemeinwissen sein. Alles davon sollte es sein.

2. Ultimative Verborgenheit Wie bereits angedeutet sind im Rahmen der Beschäftigung menschlicher Philosophie mit der Religion im Laufe der Zeit – der menschlichen Zeit – bestimmte begründete Verteidigungen der These aufgekommen, dass die ultimative göttliche Wirklichkeit [the ultimate divine reality – Anm. d. Übers.] ein Gott ist, ein unübertreffbar großartiges Wesen [a being unsurpassably great – Anm. d. Übers.], das eine Person oder einer Person sehr ähnlich ist, die alle Macht, das gesamte Wissen, umfassende Güte besitzt, und die jedes andere konkrete Ding erschaffen hat. Argumente gegen die Existenz solch eines Wesens sind selbstverständlich auch aufgetaucht und diskutiert worden. Heutzutage wird man im gegenwärtigen Klima des „Theismus oder Naturalismus“ vorschnell davon ausgehen, dass die letzteren Argumente implizit Argumente für ein naturalistisches Bild der ultimativen Wirklichkeit sind. Dies passt gut zum Bewusstsein für die Voreingenommenheit zugunsten eines wissenschaftsorientierten Bildes der grundlegenden Natur der Dinge, die zuvor erwähnt wurde. (Manche Theisten werden möglicherweise sogar den Inhalt des Abschnitts 1 in diesem Aufsatz als Ausdruck einer solchen Voreingenommenheit sehen.) Und wenn man sich dieser Voreingenommenheit bewusst ist, könnte man vernünftigerweise fragen: Warum sollten wir diese ultimative Erzählung anderen, so wie z. B. unserer Gott-zentrierten, vorziehen, für die viel menschliche Erfahrung spricht? Ich habe gesagt, dass dies eine vernünftige Frage ist. Und das ist sie auch. In der Tat bin ich der Auffassung, dass eine der interessanten Konsequenzen einer temporalistischen Sensibilität [a temporalist sensitivity – Anm. d. Übers.] von der Art, wie sie in Abschnitt 1 empfohlen wurde, darin besteht, dass wir bemerken, wie die Wissenschaft selbst uns hilft, deren Vernünftigkeit zu sehen. In einer vielleicht sehr frühen Phase der evolutionären Entwicklung sollten wir – wie ich bereits angemerkt habe – offen dafür bleiben zu erfahren, dass die Natur nicht alles ist, was es gibt. Aber solch ein Temporalismus [temporalism – Anm. d. Übers.] legt gleichzeitig auch nahe, dass jegliche Beschränkung nicht-naturalistischer Alternativen auf den Theismus 5

Für einen interessanten und relevanten Nachweis, den ein Religions-Journalist erbracht hat, vgl. Gallagher, Winifred. 2002. Spiritual Genius: The Mastery of Life’s Meaning (Random House).

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ein Fehler wäre. Es sind vielmehr andersartige, religiöse Bilder der Ultimität [ultimacy – Anm. d. Übers.], wie bespielsweise das Gott-zentrierte, denen wir uns in der Religionsphilosophie zu diesem frühen Zeitpunkt der Forschung widmen sollten. Um meine eigene Diskussion dieser Angelegenheiten zu erleichtern (ich hoffe, es wird auch für andere hilfreich sein), habe ich den nicht-theistischen Begriff „Ultimismus“ [„ultimism“ – Anm. d. Übers.] eingeführt, der die eher allgemeine religiöse Vorstellung einer Wirklichkeit bezeichnet, die in dreifacher Hinsicht ultimativ ist: in metaphysischer, axiologischer und soteriologischer Hinsicht.6 Der Theismus impliziert den Ultimismus, aber umgekehrt ist das nicht der Fall. Das heißt, dass der Ultimismus anderen Vorstellungen über das Göttliche Luft zum Atmen verschafft – sowohl den Bestehenden als auch denjenigen, die wir möglicherweise in der Zukunft entwickeln. Natürlich könnten auch andere allgemeine Vorstellungen für diesen Zweck genutzt werden. Wir könnten zum Beispiel ein wenig bescheidener von einer dreifachen Transzendenz statt von einer dreifachen Ultimität sprechen. Der Theismus ist jedoch eine ultimistische Idee [an ultimistic idea – Anm. d. Übers.], und daher erlaubt es uns der Ultimismus, die Idee der Alternativen zum Theismus am deutlichsten darzulegen. Und ein Bezugsrahmen, der für temporalistische Erwägungen empfänglich ist, könnte unser Interesse an diesen Alternativen stark vergrößern. Religionsphilosophen sollten verschiedene Ausarbeitungen des Ultimismus entwickeln und untersuchen, und dabei bereit sein herauszufinden, dass die eine oder andere davon gut gestützt ist, so dass man große metaphysische und spirituelle Erleuchtung erlangen kann, aber ebenso – in Anbetracht unseres Ortes in der Zeit – bereit sein zu erfahren, dass jede oder irgendeine einen frühen und erfolglosen Versuch darstellt, zu sagen, was ein religiöses Ultimatives [a religious Ultimate – Anm. d. Über.] sein könnte, oder dass der Begriff von einem religiösen Ultimativen inkohärent oder aus einem anderen Grund sicherlich nicht in irgendeiner Weise realisiert ist. (Das ermöglicht es uns, zumindest zu beginnen, den Unterschied zwischen Religionsphilosophie und jedweder Form von Theologie zu sehen. Die Theologie nimmt angemessener Weise an, dass es eine ultimative göttliche Wirklichkeit gibt, und wird gewöhnlich die Parameter einer detaillierten Vorstellung solch einer Wirklichkeit ihr eigen nennen.) Wir sind jetzt soweit, die grundlegende Verborgenheits-Idee vorzustellen. Wenn wir nur eine temporalistische Sensibilität und einen ultimistischen Bezugsrahmen für die religiöse Untersuchung voraussetzen, was könnten wir über das Konzept der göttlichen Verborgenheit sagen? Es wird, schätze ich, sehr naheliegend erscheinen zu sagen, dass das Wesen der ultimativen 6

Dieser Begriff wurde zum ersten Mal in meinen Schellenberg, J. L. 2005. Prolegomena to a Philosophy of Religion (Cornell Univ. Press), Kap. 1, eingeführt.

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göttlichen Wirklichkeit, sollte es eine solche geben, aller Voraussicht nach weit außerhalb der Reichweite evolutionär entwickelter Menschen, die sich in einem frühen Stadium der Untersuchung befinden, liegen wird. Selbst wenn es eine göttliche Wirklichkeit gibt, könnte es uns ebenso verborgen sein, dass es sie gibt, als auch wie sie beschaffen ist, zumindest in dem Sinne, dass vielen die Überzeugung [belief – Anm. d. Übers.] fehlt, dass es solch eine Wirklichkeit gibt, und/oder eine wahre Überzeugung hinsichtlich dessen, wie sie beschaffen ist. Dies sollte überhaupt nicht überraschend sein. Und die Tatsache, dass es nicht überraschend sein sollte, heizt, wenn sie recht verstanden wird, die religiöse Suche weiter an. Die Dinge könnten allerdings ganz anders liegen, wenn wir unsere Aufmerksamkeit diesem oder jenem elaborierten Ultimismus [elaborated ultimism – Anm. d. Übers.] zuwenden, wie beispielsweise dem Theismus. Vielleicht wird der detaillierte Inhalt, der durch solch eine Ausarbeitung dem allgemeinen Inhalt des Ultimismus hinzugefügt wird, genügen, um – auf gewisse Weise – Verborgenheit eher überraschend erscheinen zu lassen, anstatt als etwas, das wir wohl erwarten könnten vorzufinden. Vielleicht werden wir sogar bemerken, dass die allgemeine oder weitläufige Verfügbarkeit der entsprechenden Art der religiösen Überzeugung für solche endlichen Personen, die es da geben mag, in solch einer These impliziert ist, und, wenn wir feststellen, dass die religiöse Überzeugung, wie sie in der Welt heutzutage vorzufinden ist, nicht auf diese Weise konfiguriert ist, zurecht folgern, dass die These falsch ist. Genau das ist es, was ein gewisses Hiddenness-Argument, das ich entwickelt habe, in Erwiderung auf die theistische Ausarbeitung des Ultimismus behauptet – eine Ausarbeitung, die, wie wir gesehen haben, das Konzept einer Person verwendet. Meine zentrale Frage in dem vorliegenden Aufsatz lautet, wie die Philosophie dieses Argument für den Atheismus (d. h. für die Ablehnung des personalen Ultimismus) einschätzen sollte. Es ist wichtig festzuhalten, dass, wenn das Hiddenness-Argument in der Philosophie erfolgreich ist, aufgrund des in Abschnitt 1 bereitgestellten allgemeinen Hintergrunds die richtige Antwort nicht darin bestehen wird, zu folgern, dass der Naturalismus wahr ist, sondern nur, dass die religiöse Suche weitergeht.

3. Persönliche Liebe und Offenheit für Beziehung Zentral für das Hiddenness-Argument ist eine Betonung des Wertes einer Art von Liebe in Personen, die eine Offenheit für Beziehung impliziert. Bevor ich dieses Argument vorstelle, macht es Sinn, den Konzepten und Thesen etwas Zeit zu widmen, die hier eine Rolle spielen.

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Lassen Sie uns zunächst festhalten, was die axiologische Komponente des Theismus (oder des personalen Ultimismus) beinhaltet. Das Ultimative müsste, wenn es eine Person ist, eine unübertreffbar großartige Person sein.7 Gemeinhin wird der Wert der Macht und des Wissens ebenso wie des Wohlwollens in Personen von Philosophen hervorgehoben, die den Inhalt des Theismus ausbuchstabieren. Aber der Wert der Liebe in Personen ist, wenn auch kaum beachtet, sicherlich nicht weniger offensichtlich.8 Daher müssen wir sagen, dass eine unübertreffbar großartige Person anderen Personen gegenüber gar nicht anders eingestellt sein könnte, als dass sie sie unübertreffbar liebt. Aber welche Art von Liebe ist unserer Ansicht nach eine großartig machende Eigenschaft [a great-making property – Anm. d. Übers.], wenn wir das sagen? Zunächst einmal ist etwas anzumerken, das implizit im vorherigen Absatz enthalten ist: Die Art von Liebe, von der die Rede ist, ist mehr als nur Güte [goodness – Anm. d. Übers.], wie sie gemeinhin verstanden wird, d. h. mehr als nur Wohlwollen [benevolence – Anm. d. Übers.]. Dieses „Mehr“ impliziert ein wie auch immer geartetes Streben nach Beziehung – einer bewussten und wechselseitigen Beziehung, die auf positive Weise bedeutsam ist [a conscious and reciprocal relationship that is positively meaningful – Anm. d. Übers.] und einen tiefen Austausch ermöglicht. Nennen wir so eine Beziehung eine persönliche Beziehung [a personal relationship – Anm. d. Übers.].9 Selbst äußerstes Wohlwollen könnte aus einer Distanz heraus ar7

8

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Ich gehe davon aus, dass wir unser gegenwärtiges Personverständnis zum Zweck dieser Ausarbeitung des Ultimismus vor Augen haben; ansonsten sind meine Überlegungen zum personalen Ultimismus nicht stichhaltig [otherwise all bets are off – Anm. d. Übers.]. Vielleicht wird sich der Personbegriff in der Zukunft der Kultur solchermaßen entwickeln, dass Möglichkeiten eröffnet werden, die unser gegenwärtiger Begriff nicht vorsieht, aber die theistische Ausarbeitung des Ultimismus, die ich im Kopf habe, ist nur aus Materialien erstellt, die momentan verfügbar sind. Eine Philosophin, die die Liebe nicht außer Acht gelassen hat und die in der Tat viel mehr darüber zu sagen gehabt hat als ich es habe, ist Stump, Eleonore. 2010. Wandering in Darkness: Narrative and the Problem of Suffering (Clarendon Press), insbesondere Kap. 5 und 6. Indem sie eine Sichtweise entfaltet, die Thomas von Aquin vertreten hat, jedoch mit einer subtilen eigenen Argumentation und mit einem Augenmerk für gegenläufige Positionen in der jüngsten philosophischen Literatur, argumentiert Stump, dass Liebe zwei miteinander verwobene Begehren umfasst, ein Begehren nach dem Wohl des Anderen und ein Begehren nach Vereinigung. Diese Sichtweise stimmt weitgehend mit meiner eigenen Hervorhebung dessen überein, dass Gott für eine persönliche Beziehung offen ist, anstatt dass er nur Wohlwollen aus einer Distanz heraus walten lässt, wie im Folgenden erörtert wird. Philosophen sind sehr gut darin, Arten von Dingen zu unterscheiden, inklusive Arten von Beziehungen, und es könnte für einige verlockend sein, den spezifischen Inhalt zu ignorieren, den ich hier einer „persönlichen Beziehung“ gebe, und davon auszugehen, dass es für die hier zur Debatte stehende Art von Liebe hinreichend sei, dass irgendeine Art von Beziehung ermöglicht wird. Dieser Versuchung sollte jeder widerstehen, der sehen kann, dass die Art von Liebe, die ich im Kopf habe, eine großartig machende Eigenschaft ist, und vorhat, das folgende Argument ernst zu nehmen.

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tikuliert werden. Aber diejenige, die liebt, begehrt danach, dem Objekt der Liebe nahe zu kommen. Diejenige, die liebt, begehrt danach, sich selbst in einer persönlichen Beziehung mitzuteilen, und weist diese Disposition solange auf, wie die Liebe anhält. Dies ist im menschlichen Leben kein unbekanntes Phänomen. Ganz im Gegenteil: Die Disposition, die hier eine Rolle spielt, ist wohlbekannt, und wird weitläufig als etwas erachtet, das von großartigem Wert in einer Person ist. Die uns bekannten Paradigmen der Liebe, wie beispielsweise liebende Eltern oder Geschwister oder Freunde, haben keine Mühe damit, sie immer aufzuweisen. Warum also haben Religionsphilosophen sie tendenziell ignoriert, wenn sie über die Eigenschaften nachgedacht haben, die ein personales Ultimatives [a personal Ultimate – Anm. d. Übers.] aufweisen müsste? Ich möchte hier nicht näher auf dieses Thema eingehen, außer darauf hinzuweisen, dass es die jüngste kulturelle Entwicklung außerhalb der Theologie sein könnte – inklusive der Arbeit von Feministen und all denjenigen, die für uns den Griff des „starken und einzelgängerischen Mannes“ gelockert haben, der sich selbst in viel traditioneller Theologie widerspiegelt –, der wir hier zu danken haben. Damit geht einher, dass für uns im einundzwanzigsten Jahrhundert eine wichtige Einsicht hinsichtlich des großartigen Werts relationaler Liebe nahezu unvermeidbar ist, und zwingt Philosophen, denen diese Einsicht zuteilgeworden ist, sie anzuwenden, wenn sie den personalen Ultimismus mit Inhalt füllen. Wie mein Hinweis über das Mitteilen bereits nahelegt, beinhaltet Liebe ein Wohlwollen, auch wenn sie gleichfalls darüber hinaus geht. Zumindest wenn wir nach einer großartig machenden Eigenschaft Ausschau halten, die in eine personale Form des Ultimismus eingebaut werden soll, werden wir behaupten, dass Liebe danach begehrt, Wohlwollen innerhalb des Kontexts einer persönlichen Beziehung zum Ausdruck zu bringen, die um ihrer selbst willen wertgeschätzt wird. Offensichtlich hat Gott im Kontext solch einer Beziehung sehr viel zu geben – mehr als jeder andere mögliche Liebende! –, so dass die Komponente des Wohlwollens uns helfen wird zu sehen, inwiefern relationale Liebe eine großartig machende Eigenschaft in Gott sein muss. Aber die Betonung dessen, dass persönliche Beziehung „um ihrer selbst willen“ wertgeschätzt wird, ist mindestens ebenso wichtig, und taucht hier aus zwei wesentlichen Gründen auf.10 10 Es gibt auch noch einen dritten Grund, den ich nur andeuten möchte. Wir erläutern eine Art von Liebe, die notwendigerweise damit verknüpft ist, persönliche Beziehung wertzuschätzen. Wo jedoch Beziehung nur in instrumenteller Hinsicht wertgeschätzt wird, wird sie nur kontingenterweise mit den eigenen Zielen verbunden sein (vielleicht gäbe es in einer anderen Situation etwas Besseres, das ich für Sie tun könnte, als danach zu streben, mit Ihnen auf persönliche Weise in Beziehung zu stehen).

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Erstens, persönliche Beziehung um ihrer selbst willen wertzuschätzen, gehört zum ureigenen Wesen solch einer Liebe. Robert Adams drückt dies treffend aus: „Das Ideal christlicher Liebe umfasst nicht nur ein Wohlwollen, sondern auch ein Begehren nach gewissen Arten einer persönlichen Beziehung um ihrer selbst willen. Wenn dem nicht so wäre, wäre es seltsam, es ‚Liebe‘ zu nennen. Es stellt einen Missbrauch des Wortes ‚Liebe‘ dar zu sagen, dass man eine Person liebt …, wenn man sich nicht, außer in instrumenteller Hinsicht, um das eigene Verhältnis zu diesem Objekt schert.“11 Zweitens, wenn Gott nach einer persönlichen Beziehung mit kompetenten endlichen Personen [capable finite persons – Anm. d. Übers.] strebt, muss Gott dies um ihrer selbst willen tun, da Gott die an der Beziehung beteiligten Personen um ihrer selbst willen wertschätzen wird. Dass Gott eine Beziehung mit einer Person um ihrer selbst willen wertschätzt, kann, mit anderen Worten, als abhängig davon betrachtet werden, dass Gott jedes Relatum der Beziehung um seiner selbst willen wertschätzt. Diese Idee ist vielleicht kontroverser, lassen Sie uns sie daher ausbuchstabieren. Wenn Gott eine endliche Person um ihrer selbst willen wertschätzt, dann schätzt Gott das um seiner selbst willen wert, was auch immer sie zu der Person macht, die sie im Unterschied zu anderen Personen ist. Dies wird beinhalten, jene zentralen Dispositionen um ihrer selbst willen wertzuschätzen, die dazu beitragen, sie zu der Person zu machen, die sie im Unterschied zu anderen Personen ist. Dann aber, wenn die verhaltensbezogenen und anderen Dispositionen jener Person diese zentralen Dispositionen auf eine positiv bedeutsame Art zum Ausdruck bringen, was der Fall sein wird, wenn sie sie auf persönliche Weise in Beziehung zu Gott setzen, wird Gott ebenso auch erstere Dispositionen um ihrer selbst willen wertschätzen. Wenn sie sie daher auf persönliche Weise in Beziehung zu Gott setzen, dann muss Gott diese Seite der Beziehung um ihrer selbst willen wertschätzen. Umgekehrt und gleichzeitig gilt, dass wenn Gott Gottes eigenes Sein um seiner selbst willen wertschätzt, dann wird dies in einer ähnlichen Weise dazu führen, dass Gott, falls Gott beginnen sollte, auf persönliche Weise in Beziehung zu dem anderen Individuum zu stehen, die betreffenden Dispositionen um ihrer selbst willen wertschätzt, die Gottes intrinsisch wertvolles Wesen zum Ausdruck bringen müssen, und daher dazu, dass Gott diese Seite der Beziehung um ihrer selbst willen wertschätzt. Wenn aber Gott beide Seiten der Beziehung um ihrer selbst willen wertschätzt, dann muss Gott die Beziehung als Ganzes um ihrer selbst willen wertschätzen. Nun, Gott, der perfekt ist, wird Gottes eigenes Sein und das jeder anderen Person um seiner selbst willen wertschätzen, da er deren großen intrinsischen Wert kennt. Daraus 11 Adams, Robert M. 1987. The Virtue of Faith (Oxford Univ. Press), S. 187–8.

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folgt, dass es eine normative Tatsache über Gottes Verhältnis zu endlichen Personen ist, und nicht bloß eine Tatsache über das Wesen der Liebe, dass wenn Gott solche Personen liebt, Gott eine Beziehung mit ihnen um ihrer selbst willen wertschätzt.12 Die kleine Wendung „um ihrer selbst willen“ in meiner früheren Aussage, dass „Liebe danach strebt, Wohlwollen innerhalb des Kontexts einer persönlichen Beziehung zum Ausdruck zu bringen, die um ihrer selbst willen wertgeschätzt wird“, ist hier daher ziemlich wichtig – viel wichtiger als manchem bewusst ist, der das Hiddenness-Argument diskutiert hat.13 Die charakteristische Haltung der Liebe strebt nach einer persönlichen Beziehung – sie strebt auf wohlwollende Weise danach, das ist klar, aber sie strebt dennoch nach einer persönlichen Beziehung, und insbesondere in Gott auch um ihrer selbst willen. Ohne nach einer persönlichen Beziehung um ihrer selbst willen zu streben, kann eine Haltung nicht als göttliche Liebe gelten. Wenden wir uns nun dem zu, was das Hiddenness-Argument von diesem Konzept der Liebe benötigt, indem wir gewisse Haltungen in Bezug auf eine persönliche Beziehung unterscheiden, die ein Gott möglicherweise aufweisen könnte, dessen Liebe ein „Streben nach“ einer persönlichen Beziehung mit endlichen Kreaturen implizieren würde. Beachten Sie, dass wenn Gott unübertreffbar liebt, dann muss Gott endliche Kreaturen immer lieben, und daher wird die Haltung eine solche sein, von der wir erwarten sollten, dass Gott sie immer aufweist. Wir könnten, nehme ich an, eine Disposition in Betracht ziehen, endlichen Personen eine persönliche Beziehung aufzuzwin12 Ein paar Kommentare zu diesem Gedankengang. Wenn Gott mich um meiner selbst willen wertschätzt, dann muss ich es im Unterschied zu anderen Personen sein, der wertgeschätzt wird. Mich allgemein zum Beispiel als ein Exemplar der Menschheit wertzuschätzen, würde wohl kaum ausreichen. Denn dann, wenn ich augenblicklich durch einen anderen Menschen ersetzt werden würde, würde sich nichts ändern: Es gäbe weiterhin ein Exemplar der Menschheit, das zur Verfügung stünde, um wertgeschätzt zu werden. Aber sicherlich ist es so, dass wenn Gott mich um meiner selbst willen wertschätzt und ich aufhörte zu existieren, dann wäre etwas von Wert verloren gegangen. Ein Problem scheint möglicherweise auch in dem Fall aufzutauchen, dass eine endliche Person böse ist. Wie könnte Gott die zentralen Dispositionen solch einer Person um ihrer selbst willen wertschätzen? Nun ja, entweder bewahrt sich die Person eine Kompetenz für eine Beziehung mit Gott oder nicht. Wenn nicht, dann ist der Fall für unsere Diskussion irrelevant, wie in einem Moment deutlich werden wird. Wenn ja, dann muss es etwas von ansehnlichem Wert geben, das noch vorhanden ist. Wir sollten auch nicht versäumen zu beachten, dass wir nicht von der Tatsache, dass einige aktuale Menschen böse sind, darauf schließen können, dass Gott böse Wesen erschaffen würde oder ihnen erlauben würde zu entstehen, ohne illegitimer Weise anzunehmen, dass unsere Welt von Gott erschaffen ist, und dass daher Gott existiert. Wie ich im späteren Verlauf betonen werde, muss ein Philosoph gegenüber der Möglichkeit offenbleiben, dass wenn Gott überhaupt Personen erschaffen würde, dies Personen wären, die ganz anders wären als diejenigen, die aktual existieren. 13 Für ein aktuelles Beispiel, vgl. Evans, C. Stephen. 2010. Natural Signs and Knowledge of God: A New Look at Theistic Arguments (Oxford Univ. Press), S. 163–4.

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gen – obwohl das aufgrund seiner Unvereinbarkeit mit einer beliebigen Anzahl göttlicher Attribute und vermutlich auch mit dem Wesen einer persönlichen Beziehung ebenso zügig ausgeschlossen werden kann. Wir könnten ferner erwägen, dass Gott eine persönliche Beziehung immer wertschätzt, oder nach einer persönlichen Beziehung strebt, oder nach einer persönlichen Beziehung begehrt, oder sich stark für eine persönliche Beziehung einsetzt oder sie aufrechterhält durch solche Dinge wie Zeichen und Wunder oder überwältigende, eindrucksvolle religiöse Erfahrungen, und auch, dass Gott für eine persönliche Beziehung immer offen ist. Das Streben würde hier vermutlich sowohl ein Begehren als auch ein Wertschätzen beinhalten, könnte aber subtil und ohne starken Einsatz operieren. (Im späteren Verlauf wird es einen Schwerpunkt darauf geben, überzeugt davon zu sein, dass Gott existiert, aber es ist sehr wichtig, zu unterscheiden zwischen dem, sich in solch einem Zustand der Überzeugung zu befinden, und dass Gott in der eigenen Erfahrung gegenwärtig ist – geschweige denn überwältigend gegenwärtig ist oder vermittelt durch Zeichen und Wunder.) Solch ein Streben scheint als ein Minimum für jede Liebe erforderlich zu sein, die ihrem ureigenen Wesen nach eine persönliche Beziehung anstrebt, und Streben erfordert normalerweise auch eine Offenheit. (Ich sage „normalerweise“, denn es gibt mögliche und generell ungewöhnliche Umstände, in denen einem Liebenden die Ressourcen fehlen könnten, den möglichen Konsequenzen der Offenheit Rechnung zu tragen, d. h. sie mit dem Wohlgedeihen aller betreffenden Parteien und jedweder Beziehung, die existieren oder zwischen ihnen entstehen könnte, in Einklang zu bringen. Da Gott jedoch nicht solch ein Liebender ist, können wir diese Qualifikation im Folgenden beiseitelassen.14) Es ist diese Offenheit, auf die sich das Hiddenness-Argument berufen wird, lassen Sie uns daher einen näheren Blick darauf werfen. Wenn man immer in dem Sinne offen ist, den ich meine, dann sorgt man dafür, selbst wenn man eine persönliche Beziehung mit einer anderen Person, die kompetent ist, an solch einer Beziehung teilzuhaben (d. h., die die kognitiven und affektiven Eigenschaften besitzt, die dafür erforderlich sind), nicht auf aktive Weise anstrebt oder befördert, dass es da nichts gibt, was man jemals tut (in einem weiten Sinn inklusive Unterlassungen), das zur Folge haben würde, dass solch eine Beziehung für die andere unverfügbar wäre, da man sie daran hindert, dazu fähig zu sein [being able – Anm. d. Übers.], sich persönlich auf einen zu beziehen [to relate personally to one – Anm. d. Übers.], wenn sie es versucht zu tun. Wenn daher Gott immer für eine persönliche Beziehung mit einer im betreffenden Sinn kompetenten endlichen Person P in einer Weise offen ist, die unübertreffbare Liebe zum Ausdruck bringt, 14 Ich habe an anderer Stelle viel für letztere Behauptung argumentiert. Manches davon ist gegen Ende von Abschnitt 4 zusammengefasst.

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dann sorgt Gott dafür, dass es niemals etwas gibt, das Gott tut, was P, sollte sie danach streben das zu tun, daran hindert, dazu fähig zu sein, an einer persönlichen Beziehung mit Gott teilzuhaben, bloß indem sie es versucht. Sagen wir einmal, dass wenn P in diesem Sinn fähig ist, zu einem Zeitpunkt, dann ist P in der Lage, ihre betreffenden Kompetenzen zu diesem Zeitpunkt einzusetzen und daraufhin an einer persönlichen Beziehung mit Gott teilzuhaben. (Beachten Sie, dass nichts davon impliziert, dass eine Teilhabe an einer persönlichen Beziehung mit Gott, sollte P sich dafür entscheiden, einfach sein würde: Vielleicht wird es schwierig sein, sich auf angemessene Weise in Beziehung zu Gott zu setzen.) P wünscht möglicherweise keine Beziehung oder möchte nicht einmal an ihre religiösen Optionen erinnert werden, und könnte daher mittels eines Widerstands Gott gegenüber, der Selbstbetrug beinhalten müsste, selbst eine Situation herstellen, in der sie unfähig ist, sich einfach so auf persönliche Weise in Beziehung zu Gott zu setzen, ohne dass sie zuerst das Verhalten zurücknimmt, das dazu geführt hat. Aber solange P nicht zu einem Zeitpunkt in dieser Weise widerständig ist, wird es für P möglich sein, an einer persönlichen Beziehung mit Gott teilzuhaben, wenn sie es versuchen sollte, und es dann zu tun. Niemals wird P die Tür zu solch einer Beziehung verschlossen vorfinden. Das ist als absolutes Minimum erforderlich, wenn Gott P in einer Weise unübertreffbar liebt, die nach einer persönlichen Beziehung mit P strebt. Es wäre, um Adams Wort zu gebrauchen, ein „Missbrauch“ des Wortes „Liebe“, zu sagen, dass Gott gegenüber endlichen Personen unübertreffbare Liebe von der Art aufweist, die sich von bloßem Wohlwollen unterscheidet und nach einer persönlichen Beziehung strebt, wenn man von Gott denken würde, dass er irgendetwas Geringeres tut.15

15 Denken Sie an eine Frau, die, als sie feststellt, dass sie eine ungeeignete Mutter ist, ihr Kind zur Adoption freigibt, wobei sie sicherstellt, dass das Kind nie von ihrer Existenz erfahren wird, und dies aus einer tiefen Liebe zu dem Kind heraus tut. Ist dies hier ein Gegenbeispiel? Die Antwort lautet nein. Es ist leicht zu vergessen, dass, wenn die Mutter sich auf diese Weise verhält, sie nicht nur offen für, sondern noch in einer persönlichen Beziehung mit dem Kind ist! Wir haben etwas, das wie ein Paradox aussieht: Liebe, die im Namen der Liebe aufgegeben wird. Gerade die Trauer, die diese Mutter spürt, ist ein Zeichen dafür, dass sie es zulässt, dass ein zentrales Merkmal von Liebe – Verfügbarkeit für persönliche Beziehung – ihr entrissen wird. Wir sagen zu Recht, dass sie das Kind „der Liebe eines anderen übergibt.“ Wenn wir uns zu der Idee hingezogen fühlen, dass selbst später, wenn die Mutter sagt, dass sie ihr Kind liebe, sie die Wahrheit sagt, ist das denke ich so, da ein tiefes Gefühl der Bindung oder ein starker Wunsch nach dem Wohl des Kindes, was jeweils üblicherweise mit relationaler Liebe assoziiert wird, aber nicht mehr als notwendig dafür ist, hier eher leicht, aber irrtümlicherweise mit relationaler Liebe selbst identifiziert wird. Sie besitzt keine Dispositionen mehr, die eine persönliche Beziehung mit dem Kind anstreben, und daher ist das, was auch immer sie aufweist, nicht die Bedingung, die sich von bloßem Wohlwollen unterscheidet und die wir hier als eine großartig-machende Eigenschaft ausfindig gemacht haben.

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Es könnte nichtsdestotrotz erwidert werden, dass das Wort „offen“, das ich verwende, seine rhetorische Stärke auf unerlaubte Weise gewinnt, indem man anführt, dass nicht „offen“ zu sein bedeute, „verschlossen“ zu sein, und daher noch nicht einmal nach einer persönlichen Beziehung zu begehren. Es gibt die Möglichkeit der partiellen Offenheit oder Quasi-Offenheit – Offenheit muss nicht eine Alles-Oder-Nichts-Angelegenheit sein. Selbst wenn ich zu einer bestimmten Zeit unfähig bin, dann an einer Beziehung mit Gott teilzuhaben, könnte Gott es mir dennoch ermöglichen, Dinge zu tun, die solch eine Beziehung für mich in der Zukunft verfügbar machen werden. Würde das nicht von Seiten Gottes als eine Art von Offenheit für eine persönliche Beziehung zählen? Aber für Gottes Haltung gegenüber einer persönlichen Beziehung mit Ihnen zu dem fraglichen Zeitpunkt ist das Wort „verschlossen“ vollkommen angebracht. Es ist wichtig, sich von diesem Punkt nicht ablenken zu lassen. Und wenn es schwer einzusehen ist, warum eine widerspruchsfreie Offenheit in unsere Vorstellung von Gottes unübertreffbarer Liebe eingebaut werden sollte, dann ist es möglicherweise lohnend, etwas mehr über die Paradigmen liebender Menschen in unserer Erfahrung nachzudenken, die zuvor erwähnt wurden. Für solche Menschen – Eltern, Geschwister, Freunde, Lehrer – ist solch eine widerspruchsfreie Offenheit ziemlich selbstverständlich: An dieser Stelle fangen die Dinge in der Geschichte ihrer Interaktion mit uns an. Es wäre absurd für jemanden, die Offenheit eines anderen für Beziehung mit einem als ein Ziel zu sehen, während man davon ausgeht, dass er einen bereits unübertreffbar liebt. Beachten Sie hier die Passung zwischen solch einer Betonung der Liebe und der soteriologischen Komponente des personalen Ultimismus. Der Theismus muss, um als eine religiöse Idee zu gelten, einen soteriologischen Inhalt aufweisen: Es muss möglich sein, dass der Wert des Ultimativen auf irgendeine Weise an endliche Personen kommuniziert wird, wenn wir mit einem religiösen Begriff arbeiten. Das Konzept des Ultimismus hilft uns, diesen Punkt im Blick zu behalten. Und es ist naheliegend, wenn man über den soteriologischen Inhalt des Theismus nachdenkt, ihn im Sinne einer persönlichen Beziehung mit der Person zu verstehen, die göttlich ist. Liebe strebt nun mal nach solch einer Beziehung. Es gibt hier daher eine Übereinstimmung zwischen der Axiologie und Soteriologie sowie eine religiöse und philosophische Fundierung der Hervorhebung der Offenheit für eine persönliche Beziehung im Hiddenness-Argument, die mit Gottes Liebe zusammenhängt. Manche theistischen religiösen Traditionen – zum Beispiel die christliche Tradition – haben die Liebe in einer ähnlichen Weise hervorgehoben, aber das allein ist kein guter Grund für Philosophen, die eine personale Form des Ultimismus zu verstehen suchen, solch eine Hervorhebung zu überneh-

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men. Noch sollten sich Philosophen von der Ambivalenz der Liebe beeinflussen lassen, die man rasch bemerken wird, wenn man unter die Oberfläche der entsprechenden Traditionen blickt. „Ja, Gott liebt uns, aber eine explizite persönliche Beziehung mit Gott ist aufgrund mysteriöser göttlicher Absichten vermutlich nicht immer möglich.“ Oder: „Ja, Gott liebt uns, aber in den Genuss einer expliziten persönlichen Beziehung mit Gott kommt man oft im Himmel, nicht hier auf Erden.“ Es ist nicht schwer zu sehen, warum die Ambivalenz entsteht: Der Grund ist genau jenes Hiddenness-Problem, von dem dieser Aufsatz handelt, zusammen mit dem Vorrecht der Theologie, davon auszugehen, dass die Art, wie die Welt ist, irgendwie die Absichten Gottes widerspiegelt. Es kann nicht überbetont werden, dass die Philosophie solch ein Vorrecht nicht besitzt. Sie hat kein Recht dazu, so etwas zu behaupten wie, dass Gottes Liebe auf eine eingeschränkte Weise interpretiert werden sollte, da dies alles sei, was mit der aktualen Welt vereinbar ist, und wir wissen, dass Gott existiert und dass er die aktuale Welt erschaffen hat! Noch einmal, das ist nicht Philosophie, sondern Theologie. Philosophie sollte das Konzept einer ultimativen göttlichen Wirklichkeit heranziehen und für sich selbst darüber nachdenken, worauf eine personale Füllung solch eines Konzepts hinausläuft. Wenn sie das tut, kann sie nicht anders, als die Bedeutung unübertreffbarer Liebe zu erkennen und ohne Ambivalenz zu bestätigen. Wenn das zu der Schlussfolgerung führen sollte, wie es dem Hiddenness-Argument zufolge dazu führt, dass tatsächlich kein personales Ultimatives existiert, dann muss die Philosophie diese Vorstellung aufgeben und dazu übergehen, andere in Erwägung zu ziehen.

4. Das Hiddenness-Argument Die Form, die ich dem Hiddenness-Argument in einem Moment geben werde, spiegelt die aus meiner Sicht bestehende Bedeutung dessen wider, „möglichst weit weg“ zu beginnen oder „von oben her“ zu argumentieren, wobei ich soweit möglich als Prämissen notwendige Wahrheiten verwende. Die stärkste Hiddenness-Argumentation wird so fundiert sein, anstatt „von unten her“ zu argumentieren, indem vielleicht die Abwesenheit von Zeichen und Wundern für religiöse Suchende von demjenigen zu rasch in die Sprache über die Verborgenheit hineingelesen wird, der sie zur Verteidigung des Atheismus verwenden möchte. Die Art der Herangehensweise, die am ehesten zu belastbaren Ergebnissen führt, beinhaltet es herauszuarbeiten, welche mit der Verborgenheit verbundenen Tatsachen in der Welt nicht bestehen würden, wenn eine unübertreffbar großartige Person in ihr gegenwärtig wäre, so dass man dem problematischen Phänomen erlaubt, zum Vorschein zu kommen, und durch die Reflektion über die Vorstellung Gottes

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der Art, wie man sie in Abschnitt 3 findet, an Kontur zu gewinnen. Das ist es, was ich damit meine, „von oben her“ zu beginnen. Darüber hinaus ist es so, dass aufgrund des Bestrebens, als Prämissen nur notwendige Wahrheiten über Personen und über die Liebe (oder andere evidente empirische Fakten) zu verwenden, das Argument hoffen kann, selbst in einem derartigen Klima des evolutionären Skeptizismus Gehör zu finden, das durch eine sorgfältige Reflektion über Überlegungen wie solche, die in Abschnitt 1 dargelegt sind, geschaffen werden könnte. Wie bereits erwähnt legt das Hiddenness-Argument den Fokus darauf, dass eine persönliche Beziehung Offenheit erfordert. Eine doxastische Konsequenz dieses Erfordernisses wird im folgenden allgemeinen Prinzip über Offenheit und Nicht-Offenheit dargelegt. Ich nenne es Nicht Offen, da es einen Zustand identifiziert, in dem eine Person B zu einem gewissen Zeitpunkt offenkundig nicht für eine persönliche Beziehung mit einer zweiten Person A offen ist: Nicht Offen: Notwendigerweise gilt, dass wenn eine Person A, ohne dass sie diesen Zustand durch den Widerstand gegenüber einer persönlichen Beziehung mit einer Person B hervorgebracht hat, zu einem gewissen Zeitpunkt in einem Zustand des Fehlens der Überzeugung [nonbelief – Anm. d. Übers.] in Bezug auf die Proposition ist, dass B existiert, wobei B dies zu diesem Zeitpunkt weiß und sicherstellen könnte, dass Aʼs Fehlen der Überzeugung zu diesem Zeitpunkt in eine Überzeugung gewandelt wird, dann ist es nicht der Fall, dass B zu dem betreffenden Zeitpunkt offen dafür ist, nun eine persönliche Beziehung mit A zu haben.

Letzten Endes ist eine persönliche Beziehung eine bewusste, wechselseitige Beziehung, und eine bewusste Beziehung ist eine Beziehung, in der man sich selbst wiedererkennt zu sein. Angesichts dieser Tatsachen kann man eine persönliche Beziehung offenkundig noch nicht einmal beginnen, ohne dass man überzeugt davon ist [believing – Anm. d. Übers.], dass der andere Beteiligte existiert. Nun, Überzeugung ist, wie die meisten zeitgenössischen Philosophen zustimmen würden, in dem Sinne unfreiwillig, dass man sich nicht entscheiden kann, von etwas zu einem Zeitpunkt überzeugt zu sein, bloß indem man es versucht. Wenn daher B seine Existenz nicht offenbart, dann tut er etwas, dass es für A unmöglich macht, an einer persönlichen Beziehung mit B zu einer bestimmten Zeit teilzuhaben, selbst wenn sie es versuchen sollte zu tun, und das ist gemäß unserer Definition von Offenheit genau das, was mit B’s Nicht-Offen-Sein dafür, nun solch eine Beziehung mit A zu haben, einhergeht.

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Vielleicht wird jemand trotzdem noch geneigt sein, an diesem Punkt zu widersprechen, indem er sagt, dass Hoffnung oder sogar eine gewisse Art von überzeugungslosem Glauben [beliefless faith – Anm. d. Übers.] zumindest zu Beginn einer bedeutsamen, bewussten Beziehung den Platz der Überzeugung einnehmen könnte, und dass B daher offen für solch eine Beziehung mit A sein kann, selbst wenn er A die in Frage kommende Überzeugung nicht ermöglicht.16 Wenden wir dies auf den religiösen Fall an: Wenn sich die Überzeugung zu einem späteren Zeitpunkt gebildet hätte und die fragliche Person am Ende ihres Lebens gefragt werden würde, wann sie meine, dass ihre persönliche Beziehung mit Gott begonnen habe, würde sie dann einen Irrtum begehen, wenn sie die Zeit herausgreifen würde, als ihre religiöse Hoffnung oder ihr Glaube entstand, anstelle der Zeit, in der sie begann, überzeugt zu sein? Nun, wenn sie den Begriff „persönliche Beziehung“ in derselben Weise gebraucht, wie wir ihn verwenden, würde sie das – eine bewusste Beziehung ist eine, in der man sich selbst wiedererkennt zu sein, im Gegensatz dazu, zu hoffen, in ihr zu sein. (Man kann das Hiddenness-Problem nicht lösen, bloß indem man anmerkt, dass die Begriffe, die es verwendet und denen es gewisse Bedeutungen zuschreibt, auf unterschiedliche Weisen verwendet werden können.) Aber um das hier grundlegendere Thema anzusprechen: Wenn die Überzeugung zu der Person in unserem Gedankenexperiment gelangt, die unter dem Eindruck stand, dass es möglicherweise keinen Gott gibt, dann wird die Veränderung in ihrem wahrgenommenen Verhältnis zu Gott nicht nur eine Veränderung dem Grade nach, sondern der Art nach sein [a change not just in degree but in kind – Anm. d. Übers.]. Es ist etwas völlig anderes als, sagen wir, ein Schritt davon, mit Intensität x zu hoffen, dass Gott existiert, hin dazu, dies mit Intensität x + 1 oder sogar x + 20 zu hoffen. In der Tat hat sich in einem sehr konkreten Sinn jetzt alles für sie verändert, denn das, was sie erhofft hat, ist (ihrer Ansicht nach) wahr geworden! Und es ist zum Teil aufgrund dieses Unterschieds für denjenigen, den sie liebt, dass diejenige, die ihn liebt, sich selbstverständlich dies als dasjenige wünschen wird, wo die Dinge in der Geschichte ihrer Interaktion ihren Anfang nehmen, wie zuvor erwähnt. D. h. aus beiden Perspektiven betrachtet, der Perspektive der Liebenden und der des Geliebten, ist die Beziehung, die durch eine Überzeugung möglich gemacht wird, eine andersartige Beziehung als eine, die mit Hoffnung oder überzeugungslosem Glauben auskommen muss.17 16 Ich bin Daniel Howard-Snyder dankbar dafür, dass er mir gegenüber an dieser Stelle nicht lockergelassen hat. 17 Für diejenigen, die nicht zustimmen, merke ich an, dass das Argument, das sogleich formuliert wird, ohne dabei seine Stärke zu verlieren, geringfügig abgewandelt werden könnte, um deren Einwand zu beseitigen. Man verändere (4) einfach in solch einer Weise, dass es sich, anstatt sich auf das nicht-widerständige Fehlen der Überzeugung [nonresistant nonbelief – Anm. d. Übers.] zu beziehen, darauf bezieht, sich auf nicht wi-

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Vor diesem Hintergrund, zusammen mit dem allgemeineren Hintergrund, der in den vorherigen drei Abschnitten dieses Aufsatzes zur Verfügung gestellt wurde, ist die Stärke des Hiddenness-Arguments für Philosophen, die danach Ausschau halten, eine personale Ausarbeitung des Ultimismus zu beurteilen, möglicherweise ersichtlich: (1) Wenn Gott existiert, dann liebt Gott solche endlichen Personen, die es da geben mag, auf vollkommene Weise. [Prämisse]

(2) Wenn Gott solche endlichen Personen, die es da geben mag, auf vollkommene Weise liebt, dann gilt für jegliche kompetente, endliche Person S und Zeit t, dass Gott zum Zeitpunkt t offen dafür ist, mit S zum Zeitpunkt t in einer auf positive Weise bedeutsamen und wechselseitigen, bewussten Beziehung (einer persönlichen Beziehung) zu sein. [Prämisse] (3) Wenn Gott existiert, dann gilt für jegliche kompetente, endliche Person S und Zeit t, dass Gott zum Zeitpunkt t offen dafür ist, mit S zum Zeitpunkt t in einer persönlichen Beziehung zu sein. [(1), (2) durch Hypothetischen Syllogismus]

(4) Wenn für jegliche kompetente, endliche Person S und jeglichen Zeitpunkt t gilt, dass Gott zum Zeitpunkt t offen dafür ist, mit S zum Zeitpunkt t in einer persönlichen Beziehung zu sein, dann gilt für jegliche kompetente, endliche Person S und jeglichen Zeitpunkt t, dass es nicht der Fall ist, dass S zum Zeitpunkt t auf nichtwiderständige Weise in einem Zustand des Fehlens der Überzeugung in Bezug auf die Proposition ist, dass Gott existiert. [Prämisse] (5) Wenn Gott existiert, dann gilt für jegliche kompetente, endliche Person S und jeglichen Zeitpunkt t, dass es nicht der Fall ist, dass S zum Zeitpunkt t auf nicht-widerständige Weise in einem Zustand des

derständige Weise in einem kognitiven Zustand in Bezug auf die Proposition, dass Gott existiert, zu befinden, der inkompatibel damit ist, dann fähig zu sein, an einer persönlichen Beziehung mit Gott teilzuhaben, bloß indem man es versucht, wenn man es denn anstreben sollte zu tun, wobei dieser kognitive Zustand konjunktiv konstruiert ist, indem er im Sinne des NichtÜberzeugt-Seins [nonbelieving – Anm. d. Übers.] und ohne überzeugungslosen Glauben und ohne überzeugungslose Hoffnung [beliefless hope – Anm. d. Übers.] ausbuchstabiert wird. Und dann nehme man die entsprechenden korrespondierenden Änderungen auch an anderer Stelle in dem Argument vor. Ich selbst denke, dass dieser kognitive Zustand nicht auf diese Weise konstruiert werden sollte, da es sich offenkundig so verhält, wie es in dem Text dargestellt ist. Aber selbst wenn Sie nicht zustimmen, werden Sie, indem sie eine konjunktive Alternative einführen, das Hiddenness-Argument nicht daran hindern, Erfolg zu haben, da es eine Menge endlicher Personen gibt oder gegeben hat, die für eine persönliche Beziehung mit Gott kompetent und nicht widerständig sind, die all deren Konjunktionen instanziieren.

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Fehlens der Überzeugung in Bezug auf die Proposition ist, dass Gott existiert. [(3), (4) durch Hypothetischen Syllogismus]

(6) Es gibt mindestens eine kompetente, endliche Person S und einen Zeitpunkt t, so dass gilt, dass S zum Zeitpunkt t auf nicht-widerständige Weise in einem Zustand des Fehlens der Überzeugung in Bezug auf die Proposition ist oder war, dass Gott existiert. [Prämisse] (7) Es ist nicht der Fall, dass Gott existiert. [(5), (6) durch Modus Tollens]

Das Argument ist offenkundig deduktiv gültig, so dass sich jedwede Beurteilung darauf beschränken wird, zu überprüfen, ob die Prämissen wahr sind oder zu Recht als wahr akzeptiert werden. Die erste Prämisse des Arguments hält einen Eindruck bezüglich dessen fest, was es für ein personales Wesen heißen würde, in axiologischer Hinsicht ultimativ zu sein, den heutzutage wohl kaum ein Philosoph ablehnen wird, was auch immer in früheren Phasen der kulturellen Evolution der Fall gewesen sein mag. Die zweite Prämisse enthält das Erfordernis der Offenheit, bezüglich dessen wir gesehen haben, dass es das absolute Minimum dessen repräsentiert, was mit unübertreffbarer Liebe assoziiert werden könnte. Die dritte Prämisse ((4) in dem Argument) zieht ihre Lehren aus dem Prinzip, das ich Nicht Offen genannt habe, und unserer diesbezüglichen Diskussion zuvor. Aber es könnte sich lohnen, seine offenkundige Wahrheit zu unterstreichen, indem wir uns selbst einfach fragen: Wie kann irgendwer Dankbarkeit zum Ausdruck bringen für etwas, das sie als ein Geschenk der Gnade Gottes erfahren hat, oder versuchen, Gottes Willen für ihr Leben herauszufinden, oder Gottes Vergebung und Unterstützung erkennen, oder um Gottes ermutigende Gegenwart wissen, oder irgendeines der hundert ähnlichen Dinge tun oder erfahren, die eine bewusste, wechselseitige Beziehung mit Gott mit sich bringt, wenn sie nicht überzeugt davon ist, dass Gott existiert? Es ist unmöglich. Um jemandem innerhalb einer bewussten Beziehung dankbar gegenüber zu sein, müssen Sie überzeugt davon sein, dass er existiert. Dasselbe gilt auch für den Fall, dass Sie versuchen herauszufinden, was jemand bevorzugt, oder wahrnehmen, dass jemand Ihnen vergeben hat oder Ihnen moralische Unterstützung und seine ermutigende Gegenwart anbietet. Daher scheint die dritte Prämisse des Arguments ebenso wie die anderen bislang erwähnten offenkundig eine notwendige Wahrheit zu sein. Und die letzte Prämisse des Arguments ((6) oben) stellt, auch wenn es nicht eine notwendige Wahrheit ist, eine offenkundige empirische Tatsache fest: Es gibt und hat oft nicht-widerständige Nicht-Überzeugt-Seiende [nonresistant nonbelievers – Anm. d. Übers.] gegeben. Diejenigen ohne ein wahrhaft philosophisches Interesse an dem Argument suchen möglicherweise nach irgendeinem Weg, es zu entkräften, anstatt in einem philosophischen Geist und aus philosophischen Absichten he-

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raus zu überlegen, ob es auf etwas aus ist, und es könnte dementsprechend schwierig für sie sein, es nicht auf die ein oder andere Weise zu missinterpretieren. (Vielleicht lassen sich so zumindest einige der Missinterpretationen erklären, denen das Argument in seiner kurzen fünfundzwanzigjährigen Geschichte ausgesetzt gewesen ist.18) Es ist wirklich ein recht einfaches und geradliniges Argument, und es wäre eine Ironie, wenn all die Bemühungen, die ich unternommen habe, um seine Konzepte zu erklären und zu zeigen, wie seine unterschiedlichen Schritte verteidigt werden können, als Indiz dafür gesehen werden sollten, dass es sehr komplex ist, oder sogar unter Nicht-Theisten umstritten ist, oder dass es im Dunklen operiert: Dies wäre auch eine Missinterpretation! Aber da das Argument so oft einer Miss­ interpration ausgesetzt gewesen ist, lassen Sie mich einige der Hauptfehler hervorheben, die hier gemacht werden könnten, aber unbedingt vermieden werden sollten. (i)

Das Argument behauptet in seiner ersten Prämisse nicht, dass ein Gott uns oder menschliche Wesen auf unübertreffbare Weise lieben würde. In der Tat ist diese Prämisse kompatibel damit, dass Gott überhaupt nicht irgendwelche endlichen Personen erschafft. So sollte es auch sein, wenn es sich um ein philosophisches und nicht um ein theologisches Argument handelt. Nur die letztere Art von Argument könnte annehmen, dass Gott überhaupt schöpferisch tätig sein würde, oder dass, wenn Gott schöpferisch tätig ist, wir unter anderem zu den Ergebnissen zählen werden. All dies ist viel wichtiger als es scheinen mag, denn wenn die endlichen Personen, auf die sich das Argument bezieht, als menschliche Wesen gedacht werden, dann könnte fälschlicherweise vermutet werden, dass Tatsachen über menschliche Wesen festlegen, ob Gott einen Grund dafür hat, nicht-widerständiges Fehlen der Überzeugung zuzulassen oder nicht.19

18 In einer zweiteiligen Diskussion in Religious Studies von 2005 war der gesamte erste Teil der Erläuterung der Missinterpretationen des Arguments gewidmet. Vgl. Schellenberg, J. L. 2005. „The hiddenness argument revisited (I)“, Religious Studies 41, S. 201–15. 19 Ein hilfreiches Beispiel ist in der zuvor erwähnten Diskussion über die Liebe in Eleonore Stumps Wandering in Darkness enthalten, bezüglich dessen wir bereits herausgefunden haben, dass es in Teilen für die Verborgenheits-Debatte relevant ist. Diese Diskussion enthält auch Stumps Meditationen, die sich auf leicht herstellbare Nähe zwischen Menschen und zwischen Menschen und Gott beziehen, über die negativen Implikationen dessen, was die Moralpsychologie über unser Ringen mit psychischer Integration ans Licht bringt. Während es jedoch gut möglich ist, dass diese Meditationen bedeutende Konsequenzen für eine Theologie der Verborgenheit haben, die annehmen kann, dass Gott existiert und menschliche Wesen erschaffen hat, und auch, dass (wie Stump meint) wir menschliche Wesen mit den Folgen der Erbsünde zu kämpfen haben, sind sie hier ohne die zweifelhafte Annahme, dass keine möglichen endlichen Personen weniger mit psy-

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(ii)

Unübertreffbare Liebe, wie sie in dem Argument verstanden und wie sie oben diskutiert wird, ist nicht auf unübertreffbares Wohlwollen reduzierbar, sondern impliziert auch das Streben nach einer persönlichen Beziehung um ihrer selbst willen.

(iii) Nicht einfach jede Art von Beziehung, die möglicherweise das Etikett „persönlich“ verdient, kann durch das ersetzt werden, wovon in dem Argument die Rede ist: Eine Liebe derjenigen Art, die über Wohlwollen hinausgeht und eindeutig eine großartig machende Eigenschaft ist, strebt nach einer bewussten, wechselseitigen Beziehung mit dem Geliebten um ihrer selbst willen, wie wir oben gesehen haben. (iv) In der Lage zu sein, an einer persönlichen Beziehung mit Gott zu einem bestimmten Zeitpunkt t teilzuhaben, ist nicht dasselbe, wie zum Zeitpunkt t fähig zu sein, Dinge zu tun, die in der Zukunft eine persönliche Beziehung mit Gott herbeiführen könnten. Denn was es heißt, in solch einer Lage zu sein, siehe oben. (v)

Das Argument behauptet oder impliziert nirgendwo, dass Gott eine persönliche Beziehung zwischen Gott und endlichen Personen herbeiführen sollte, sondern nur, dass Gott dafür sorgen würde, dass jede kompetente Person immer in der Lage ist, an solch einer Beziehung teilzuhaben – fähig, das zu tun, bloß indem sie es versucht (wenn sie danach streben sollte, das zu tun) –, sofern er oder sie nicht widerständig ist.

(vi) Das Argument behauptet oder impliziert nirgendwo, dass Gottes Gegenwart von allen gespürt werden würde, geschweige denn in überwältigender Weise gespürt werden würde, sondern nur, dass alle, die nicht-widerständig sind, überzeugt davon sein würden, dass Gott existiert. (vii) Wie bereits angedeutet stützt nichts in dem Argument die Vorstellung, dass das, was endliche Personen fähig sein würden zu tun, „bloß indem sie es versuchen“, einfach wäre, oder, allgemeiner, dass die Teilhabe an einer persönlichen Beziehung mit Gott einer Spazierfahrt gleichkäme. Noch allgemeiner sollten wir festhalten, chischer Integration ringen als wir es tun, nicht leicht anwendbar. Jedenfalls ist es Nähe zwischen Personen, mit der sich Stump befasst, und auch wenn Nähe ein Ziel persönlicher Beziehung sein mag, wie sie hier vorgestellt wird, ist sie nicht eine Vorbedingung.

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dass es unzählige Stile der persönlichen Beziehung mit Gott geben kann, und dass es ein Fehler ist, sich auf einen einzelnen heiklen Stil zu konzentrieren, wobei man meint, dass das Hiddenness-Argument auf diesen festgelegt sei. Eleonore Stump führt ein schönes Beispiel für die Ressourcen an, die dem Hiddenness-Argument hierbei zur Verfügung stehen. Nachdem sie anmerkt, dass eine Freundschaft zwischen uns und Gott aufgrund der Gefahr problematisch sein könnte, dass Gott uns entweder dominieren wird oder wir von Gott verwöhnt werden, bietet sie auch eine Lösung an, die auf Seiten Gottes nicht einen Mangel an Offenheit für eine persönliche Beziehung erfordert oder sogar einen Mangel an Freundschaft: das Bittgebet, das, wie sie sich ausdrückt, als eine Art „Puffer“ dient.20 (viii) Das Argument behauptet nicht, dass Gott in das Leben der nicht-widerständigen Nicht-Überzeugt-Seienden eingreifen wird, um ihnen hinreichende Evidenz für die Überzeugung zur Verfügung zu stellen, sondern stellt vielmehr (in (5)) fest, dass, wenn Gott existiert, es niemals irgendwelche nicht-widerständigen Nicht-Überzeugt-Seienden geben wird. (ix) Es wird nicht reichen, um (6) als falsch aufzuzeigen, wenn man zeigen kann, dass reflektierende Zweifler in der westlichen Welt heutzutage alle gegenüber einer Überzeugung in Bezug auf Gott [belief in God – Anm. d. Übers.] widerständig sind. Ich denke, dass auch das eindeutig falsch ist, aber was die letzte Prämisse des Arguments eindeutig wahr macht, ist, wie zuvor behauptet, dass die Kategorie der nicht-widerständigen Nicht-Überzeugt-Seienden, mit der das Argument arbeiten kann, so breitgefächert ist, dass sie nicht nur reflektierende Zweifler umfasst, sondern auch die­ jenigen, die nie eine reelle Chance gehabt haben, über Gott nachzudenken; und nicht nur heute lebende Menschen, sondern alle endlichen Personen, die kompetent sind, überzeugt zu sein in Bezug auf Gott [believing in God – Anm. d. Übers.], indem sie auf positive Weise auf solch eine Überzeugung antworten, und die jemals gelebt haben – was uns natürlich sehr weit in der evolutionären Geschichte zurückführt.

Wenn das Argument in einem echten philosophischen Geist angegangen wird, und solche Interpretationsfehler vermieden werden, dann, denke ich, 20 Stump, Eleonore. 1979. „Petitionary Prayer“, American Philosophical Quarterly 16, S. 81–91.

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wird man sehen, dass es eine erhebliche philosophische Herausforderung für die Überzeugung darstellt, dass der Ultimismus auf personale Weise exemplifiziert ist. Gibt es jedoch auch erhebliche Herausforderungen für das Argument, die formuliert werden könnten, wenn fehlerhafte Herangehensweisen vermieden werden? Meiner Ansicht nach ist das Beste, das gegen das Argument getan werden kann, dass man argumentiert, dass es andere Eigenschaften Gottes gibt oder geben mag – andere Eigenschaften als die der unübertreffbaren Liebe – die ihre gebührende Bestätigung bezüglich dessen, was wir insgesamt über die unübertreffbare Großartigkeit Gottes sagen, nur dann erhalten, wenn wir abmildern, was das Argument von uns hinsichtlich der Liebe zu akzeptieren verlangt. Insbesondere könnte argumentiert werden, dass es großartige Güter gibt oder geben mag, die ein unübertreffbar großartiges personales Göttliches gerne ermöglichen würde, aber nicht ermöglichen kann, ohne zumindest für irgendjemanden und für eine gewisse Zeit das nicht-widerständige Fehlen der Überzeugung zuzulassen. Wenn man dies betont, muss der Kritiker entweder sagen, dass die Vorstellung einer wahrhaft unübertreffbaren Liebe in Gott aufgegeben werden muss oder in Frage gestellt wird, oder, dass wir unser Verständnis dessen, was unübertreffbare Liebe erfordert, ändern sollten, um den Gedanken bezüglich solcher Güter unterzubringen. In jedem Fall wird unsere Aufmerksamkeit auf diese Vorstellung einer „Großartigere-Güter“-Verteidigung [„greater goods“ defense – Anm. d. Übers.] gegen das Hiddenness-Problem gelenkt. Hier wird eine Weise ersichtlich, wie jemand denken könnte, dass das Hiddenness-Problem dem Problem des Übels sehr nahe ist.21 In diesem Aufsatz ist kein Raum für die detaillierte Diskussion einzelner solcher Verteidigungen. Aber, wie sich herausstellt, ist das möglicherweise nicht nötig. Eine Großartigere-Güter-Verteidigung ist im Hiddenness-Gebiet weniger eindrucksvoll als in Bezug auf das Problem des Übels – und das hängt größtenteils genau damit zusammen, was mit der Hervorhebung einer persönlichen Beziehung getan werden kann, die zentral für das Hiddenness-Argument ist. Zum Beispiel könnte der freie Wille ein großartigeres Gut von erheblicher Relevanz sein, wenn sich die Frage stellt, ob ein höchst wohlwollender Gott Schmerz und Leiden zulassen würde. Aber die Free-Will-Defense ist sehr viel schwerer auf das Hiddenness-Problem anzuwenden. Der freie Wille könnte auf viele Weisen gebraucht werden, selbst wenn jeder vom ersten reflektierenden Augenblick an überzeugt wäre in Bezug auf Gott. In der Tat könnte 21 Es gibt auch andere Weisen, aber ich habe anderswo argumentiert, dass keine hinreichend ist, um zu zeigen, dass die Hiddenness-Herausforderung sich nicht in entscheidender Weise von der Herausforderung unterscheidet, die das Problem des Übels darstellt. Für meine neueste Arbeit zu diesem Thema, vgl. Schellenberg, J. L. 2017. „Evil, Hiddenness, and Atheism“, in: Paul Moser und Chad Meister (Hrsg.), The Cambridge Companion to the Problem of Evil (Cambridge Univ. Press), S. 108–123.

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der freie Wille gerade als Antwort auf Gottes liebende Offenheit gebraucht werden, da man immer noch entscheiden müsste, ob man an einer persönlichen Beziehung mit Gott teilhaben wird oder nicht, und auch wie. Und solch eine Wahl wäre immer wieder an verschiedenen Stellen auf dem Weg in der eigenen Beziehung mit Gott möglich, weil man wachsen und reifen würde und neue Umgebungen entdecken würde. Hier muss ich daran erinnern, dass eine Überzeugung in Bezug auf Gott nicht durch irgendeine brillante Darbietung himmlischer Pyrotechnik hergestellt werden muss. Religiöse Erfahrung, die subtil angepasst ist, um den Anforderungen jeden Augenblicks und den psychologischen Eigenheiten von Individuen gerecht zu werden, ist auch möglich. Daher muss der freie Wille von denjenigen, die immer überzeugt sind in Bezug auf Gott, nicht kompromittiert werden. Diese Herangehensweise kann in eine allgemeine Strategie umgewandelt werden, die die Vorstellung einer persönlichen Beziehung mit Gott aufnimmt und mit ihr arbeitet. Denken Sie an eine nie endende, immerzu wachsende persönliche Beziehung mit Gott. Da wäre genug Raum, innerhalb solch einer Beziehung die Verwirklichung genau derjenigen Güter zu ermöglichen, von denen gesagt wird, dass Gott unfähig sei, sie zu verwirklichen, ohne zu verhindern, dass sie auch nur beginnt, oder diejenige anderer Güter, die zu demselben Typ gehören. Wenn es zum Beispiel die Vorstellung gibt, dass wir nicht nur fähig sein müssen, irgendwelche alten freien Entscheidungen zu treffen, sondern gravierend falsche Entscheidungen, um für unseren Charakter verantwortlich zu sein, und dass es ein großartiges Gut ist, in dieser Weise verantwortlich zu sein, um dessentwillen das Zulassen des nicht-widerständigen Fehlens der Überzeugung notwendig ist, so könnte man feststellen, dass der Charakter nicht nur dadurch geformt werden kann, indem man etwas Gutes anstelle von etwas Schlechtem wählt, sondern indem man etwas Gutes um seiner selbst willen anstatt aus rein eigennützigen Gründen wählt, und dass die moralische Freiheit, letztere Art von Entscheidung zu treffen oder zu kultivieren, es nicht erfordert, dass man unfähig ist, in einer Beziehung mit Gott zu sein, sondern vielmehr eine Art von Freiheit ist, die in ihr gedeiht. Ebenso ist es der Fall, dass wenn das Gut, das wir bedenken sollen, das Gut der Suche nach Gott ist, die eine tiefe Sehnsucht nach dem Ultimativen Guten [the Ultimate Good – Anm. d. Übers.] aufweist, dann können wir wieder antworten, dass ein Fall der Art von Güte, zu dem dieses Gut zählt, innerhalb einer persönlichen Beziehung mit Gott verfügbar ist: Angesichts des unendlichen Reichtums des Göttlichen wäre solch eine Beziehung multidimensional, wobei sie sich potentiell immerwährend von einer Stufe zur nächsten bewegt und kontinuierlich eine tiefere Sehnsucht nach dem Guten, das Gott ist, her-

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vorruft.22 Dies kann man nur mithilfe der Reflexion des Gotteskonzepts einsehen. Aber wenn dieselben Güter oder Güter desselben Typs, auf die sich der Kritiker bezieht, in dieser Weise innerhalb einer persönlichen Beziehung mit Gott verfügbar sind, dann hat der Hiddenness-Argumentierende, wenn die Offenheit für solch eine Beziehung für jemanden eingeschränkt werden müsste, um sie auf andere Weise verfügbar zu machen, einen gewichtigen Grund zu bestreiten, dass Gott den letzteren Weg wählen würde. Da Theisten in der Tat zustimmen werden, dass jedes Gut in einem bedeutenden Sinn in Gott ist, ist es schwer einzusehen, wie eine Großartigere-Güter-Verteidigung gegenüber dem Hiddenness-Problem Erfolg haben könnte: Fälle irgendeines Guts, auf die sich der Kritiker berufen wird oder könnte, könnten in die Reichweite endlicher Personen gebracht werden, die eine endlose Begegnung mit dem Reichtum der göttlichen Person erleben, selbst wenn die Begegnung eher zurückhaltend und mit eher bescheidenen Gütern beginnt. Ein spezieller Fall dieser subversiven Beziehungsstrategie ist ebenso nennenswert. Er weist uns wieder auf die Tatsache hin, dass die Überzeugung in Bezug auf Gott und eine Erfahrung Gottes unterschieden werden müssen; man könnte einen guten Grund haben, von der Existenz Gottes überzeugt zu sein, selbst wenn man sich Gott sehr fern fühlt. Es gibt daher innerhalb einer persönlichen Beziehung mit Gott die Möglichkeit dessen, was Mystiker „die dunkle Nacht der Seele“ genannt haben – eine Art sekundäre Verborgenheit, die für jedwede Güter des Erprobens oder der Tapferkeit oder schwierigen Wahl (und so weiter) aufkommen könnte, von denen man denkt, dass sie Gott abverlangen, auf die erste Weise verborgen zu sein, die eine nicht-widerständiges Fehlen der Überzeugung implizieren würde. Nun könnte es sein, dass dieser Punkt, der den Fokus darauflegt, was innerhalb einer persönlichen Beziehung mit Gott verfügbar ist, ebenso auch von Verfechtern des Arguments aus dem Übel verwendet werden könnte. Aber es wird ersichtlich werden, dass er „organischer“ in dem Kontext des Hiddenness-Arguments zu Tage tritt, und zwar aufgrund der Betonung des Letzteren hinsichtlich einer Beziehung mit Gott, und er könnte den Hiddenness-Argumentierenden in einer guten Position in Bezug auf „Großartigere-Güter“-Argumente [„greater good“ arguments – Anm. d. Übers.] belassen, selbst wenn das Argument aus dem Übel diesbezüglich anfechtbar bleibt.23 22 Diese Argumente werden zusammen mit einigen ähnlichen Argumenten in Schellenberg, J. L. 2007. The Wisdom to Doubt: A Justification of Religious Skepticism (Cornell Univ. Press), S. 210–16, umfassender dargelegt. 23 Gegner des Hiddenness-Arguments entwickeln manchmal auch den Einwand, dass es sehr gut möglich sei, dass es Güter gebe, die uns unbekannt sind, die die Verborgenheit erforderlich machen, um derentwillen Gott sie zulassen würde, wenn man jedoch dazu verleitet wurde, die Prämissen des Hiddenness-Arguments zu akzeptieren, dann missglückt dieser Schritt. Das ist der Fall aufgrund dessen, was einige dieser Prämissen uns ermöglichen zu

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5. Überzeugung oder Akzeptanz? Es gibt in der Philosophie keine einfachen Beweisführungen und nur wenige flotte Schritte vorwärts. (Wenn wir uns selbst als solche sehen, die sich in einem frühen Stadium in der Evolution der Forschung befinden, dann hilft das dabei, dies verständlich zu machen. Es macht es nicht angenehmer.) Alles, was man tun kann, ist, seine Argumente so klar und stark wie möglich zu entwickeln und sie dann seinen Kollegen in dem Gebiet zur Annahme zu empfehlen. Mein Hiddenness-Argument ist, zusammen mit all dem erklärenden Material darum herum, solch eine Empfehlung. Es ist wichtig zu sehen, was hier vor sich geht und was nicht. Ich spreche keine Empfehlung dafür aus, dass alle Theisten, die des Arguments gewahr werden, ihre theistischen Überzeugung ablegen sollten und sie durch die Überzeugung ersetzen lassen sollten, dass es keinen Gott gibt. Tatsächlich hat die Überzeugung – wovon wir alle bezüglich Gott überzeugt sein sollten – in gewisser Hinsicht sehr wenig mit meiner Empfehlung zu tun. Ich denke mittlerweile, insbesondere im Licht der evolutionären Überlegungen, die in Abschnitt 1 dieses Aufsatzes skizziert werden, dass die Forschung in der Philosophie und vielleicht auch in vielen anderen Gebieten lernen sollte, eher mit Akzeptanz als mit Überzeugung auszukommen. Die hierbei grundlegende Unterscheidung zwischen Akzeptanz und Überzeugung übernehme ich aus L. Jonathan Cohens fabelhafter kleiner Abhandlung zu dem Thema, auch wenn ich in Details nicht mit ihm übereinstimme.24 Die grundlegende Idee ist die, dass Akzeptanz freiwillig ist, während Überzeugung das nicht ist. Zu akzeptieren, dass p, heißt grundsätzlich, diese Proposition als eine Prämisse im fraglichen Gedankengang zu verwenden, während überzeugt davon zu sein, dass p, eine unfreiwillige Disposition ist oder beinhaltet, dass (wie man sagen könnte) es einem p-mäßig erscheint. Meine Empfehlung lautet, dass, wie auch immer die Dinge für sie auf der Stufe der Überzeugung sein mögen, Forscher in der Philosophie akzeptieren sollten, dass der Ultimismus, wenn er personal (d. h. theistisch) ausgefüllt wird, falsch ist, weil vieles für die Stichhaltigkeit des Hiddenness-Arguments spricht, und weiterziehen schlussfolgern, nämlich, dass aus dem Umstand, dass ein liebender Gott das nicht-widerständige Fehlen der Überzeugung nicht zulassen würde, es deduktiv folgt, dass es keine Güter gibt, seien sie bekannt oder unbekannt, die so beschaffen sind, dass Gott um ihretwillen so etwas tun könnte. Daher wird auch dies akzeptabel – letztlich folgt es offenkundig aus dem, was man dadurch einsieht –, und es wird ersichtlich, dass der gegenwärtige Einwand an der Frage vorbeigeht. 24 Vgl. Cohen, L. Jonathan. 1992. An Essay on Belief and Acceptance (Clarendon Press). Mein Verständnis von Akzeptanz ist in manchen Hinsichten dem von Dawes, Gregory W. 2013. „Belief is not the Issue: A Defense of Inference to the Best Explanation“, Ratio 26, S. 62–78, näher.

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sollten, um andere Weisen zu erwägen, in denen der Ultimismus wahr sein könnte. Diese Empfehlung ist dennoch ambivalent, und das ist sie mit Absicht, und zwar aufgrund dessen, wie sie das Wort „weil“ gebraucht. Ein Grund weiterzuziehen stünde zur Verfügung, wenn all die verfügbare Evidenz darauf hinweisen würde, dass das Hiddenness-Argument, das wir bedacht haben, für sich genommen stichhaltig ist. Aber ein anderer stünde zur Verfügung, wenn all die verfügbare betreffende Evidenz einem Forscher nahelegen würde, dass das Hiddenness-Argument, zusammen mit all dem anderen verfügbaren Rückhalt für den Atheismus, uns zu einem Wendepunkt der Art bringt, wie es meine Empfehlung nahelegt. So oder so würde die Akzeptanz des Atheismus (der Falschheit des personalen Ultimismus) aufgrund der Stärke der Argumentation entstehen, die für die Stichhaltigkeit eines Hiddenness-Arguments spricht. Offensichtlich kann nicht alles, was man bezüglich des Rückhalts für den Atheismus oder sogar bezüglich dessen, was für die Stichhaltigkeit eines Hiddenness-Arguments spricht, in einem Aufsatz wie diesem detailliert ausgeführt werden. Zu einem gewissen Grad verlasse ich mich auf das Verständnis meiner Leser hinsichtlich dessen, was sich in der allgemeineren Literatur finden lässt. Aber lassen Sie uns einige Tatsachen bedenken, die dabei helfen könnten zu verhindern, dass meine Empfehlung unrealistisch erscheint, zumindest unter Philosophen. (1) Eine Erforschung der Religion gibt es in der westlichen Philosophie nun seit mehr als zweitausend Jahren, und sie war für den Großteil dieser Zeit direkt auf theistische Vorstellungen fokussiert, wobei sehr wenig Zeit für nichttheistische aufgebracht wurde. (2) Gemäß der letzten Studie befürworten 73% der zeitgenössischen Philosophen den Atheismus.25 Nun wäre die Zahl sicherlich niedriger, wenn wir Religionsphilosophen befragen würden, die überwiegend überzeugt-seiende Theisten sind. Während jedoch behauptet werden könnte, dass in der Philosophie Religionsphilosophen die Experten bezüglich Religion sind, müssten wir wiederum die Tatsache zur Kenntnis nehmen, dass die meisten dieser Religionsphilosophen ihre Untersuchungen nicht über den Theismus hinaus fortgeführt haben, und auch, dass (3) viele von ihnen ihrem Selbstverständnis nach im Auftrag ihrer religiösen Gemeinschaften arbeiten, und daher vielleicht als solche betrachtet werden sollten, die Theologie betreiben – wenn auch philosophische Theologie –, nicht Philosophie. Lassen Sie mich betonen, dass ich keine Missachtung der Theologie beabsichtige – ich habe vor vielen Theologen Hochachtung. Aber man muss die Theologie nicht geringschätzen, um festzustellen, dass sie etwas anderes als die Philosophie ist. Schließlich 25 Vgl. Bourget, David und Chalmers, David J. 2014. „What Do Philosophers Believe?“, Philosophical Studies 170, S. 465–500.

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müssen wir festhalten, dass (4) die Akzeptanz des Atheismus nicht in irgendeiner Weise impliziert (wie diejenigen annehmen, die fälschlicherweise die Disjunktion „Theismus oder Naturalismus“ akzeptieren), dass wir die Wahrheit religiöser Behauptungen ausschließen. Tatsächlich öffnen wir die Tür zur Religion noch weiter auf, als es jemals zuvor getan wurde! Was sollte eine Philosophin qua Philosophin sagen, die all diese Fakten zu berücksichtigen sucht – derweil sie sensibel für unsere zeitliche Lage ist und den Fokus auf Überzeugungen aufgibt – und dann die Stärke des Hiddenness-Arguments bemerkt? Ich denke, sie sollte die Akzeptanz des Atheismus in der Philosophie favorisieren. Solche Urteile sind nun schwierig: Wann akzeptieren Sie eine Präposition, und wann sagen Sie, dass wir auf mehr Evidenz warten sollten? Viele würden heutzutage sagen, dass wir wesentlich über uns hinausgelangen, wenn wir akzeptieren, dass der Theismus falsch ist. Ich würde behaupten, dass wir genug wissen, um das zu tun. Die Details, die theistische Vorstellungen dem Ultimismus hinzufügen, erlauben es, dass die betreffende Schlussfolgerung gezogen wird. Und es ist nicht die Aufgabe der Philosophie, zu versuchen, bestehende religiöse Überzeugungen mit anscheinend inkonsistenten Fakten in der Welt zu versöhnen – auch das wiederum gehört zur Arbeit der Theologie. (Natürlich ist es auch nicht die Aufgabe der Philosophie, zu versuchen, eine Inkonsistenz zu entdecken.) Ich meine, wir sollten damit weitermachen, andere Ausfüllungen des Ultimismus aufzuspüren, wobei wir die Möglichkeit offenlassen, dass der Ultimismus wahr ist, und daher weder überzeugt davon sind noch akzeptieren, dass er falsch ist. Selbst zu einem frühen Stadium der religiösen Forschung sollten wir Schlussfolgerungen ziehen, wo wir es können, um unseren Beitrag dazu zu leisten, dass die Forschung in Bewegung bleibt, derweil wir sehr vorsichtig sind, die Forschung nicht da abzubrechen, wo wir es nicht sollten. Der erörterte Unterschied zwischen dem erkenntnistheoretischen Status des Ultimismus, der nur behauptet, dass es eine metaphysische, axiologische und soteriologische ultimative Realität irgendeiner Art gibt, und dem des personal ausgearbeiteten Ultimismus scheint mir diese Balance richtig zu erfassen und auch angemessen auf die Anliegen der religiösen Forschung in der Philosophie zu antworten. Wenn dem jedoch so ist, dann ist die Akzeptanz des Atheismus in der Philosophie gerechtfertigt. Die 73 Prozent haben Recht.26,27 26 Oder zumindest haben sie die Dinge im Wesentlichen richtig erfasst. Philosophen sind heutzutage oftmals nicht zu ihren religiösen Sichtweisen oder zum Vertrauen, mit dem sie diese aufrechterhalten, berechtigt. Was ich ihnen daher attestiere, ist wenig eindrucksvoller als eine blinde Vermutung! 27 Für ihre hilfreichen Anmerkungen zu früheren Entwürfen dieses Aufsatzes bedanke ich mich herzlich bei Eleonore Stump, Adam Green und Alexander Pruss.

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Literaturverzeichnis Adams, Robert M. 1987. The Virtue of Faith (Oxford Univ. Press). Barrett, Justin L. 2004. Why Would Anyone Believe in God? (Altamira Press). Bourget, David und Chalmers, David J. 2014. „What Do Philosophers Believe?“, Philosophical Studies 170, S. 465–500. Cohen, L. Jonathan. 1992. An Essay on Belief and Acceptance (Clarendon Press). Dawes, Gregory W. 2013. „Belief is not the Issue: A Defense of Inference to the Best Explanation“, Ratio 26, S. 62–78. Dennett, Daniel. 2006. Breaking the Spell: Religion as a Natural Phenomenon (Viking). Evans, C. Stephen. 2010. Natural Signs and Knowledge of God: A New Look at Theistic Arguments (Oxford Univ. Press). Gallagher, Winifred. 2002. Spiritual Genius: The Mastery of Life’s Meaning (Random House). Schellenberg, J. L. 2005. „The hiddenness argument revisited (I)“, Religious Studies 41, S. 201–15. —. 2005. Prolegomena to a Philosophy of Religion (Cornell Univ. Press). —. 2007. The Wisdom to Doubt: A Justification of Religious Skepticism (Cornell Univ. Press). —. 2017. „Evil, Hiddenness, and Atheism“, in: Paul Moser und Chad Meister (Hrsg.), The Cambridge Companion to the Problem of Evil (Cambridge Univ. Press), S. 108–123. Stump, Eleonore. 1979. „Petitionary Prayer“, American Philosophical Quarterly 16, S. 81–91. —. 2010. Wandering in Darkness: Narrative and the Problem of Suffering (Clarendon Press). Wolterstorff, Nicholas. 2009. „How Philosophical Theology Became Possible within the Analytic Tradition of Philosophy“, in: Oliver D. Crisp und Michael C. Rea (Hrsg.), Analytic Theology: New Essays in the Philosophy of Theology (Oxford Univ. Press), S. 155–69.

Göttliche Verborgenheit als verdient Travis Dumsday In der gegenwärtigen Religionsphilosophie avancierte das Problem der Verborgenheit Gottes zu einem der bekanntesten Argumente für den Atheismus. Dessen Grundidee besagt: Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass Gott, wenn er existierte, sich uns so zu erkennen gäbe, dass seine Existenz vernünftigerweise nicht bezweifelt werden könnte (zumindest würde er sich allen zu erkennen geben, die gewillt sind, an ihn zu glauben). Dass er dies aber nicht tut, spricht dafür, dass er überhaupt nicht existiert. Ein bislang relativ wenig beachtetes Gegenargument besagt, dass Gott es gerechterweise unterlässt, jedem einzelnen von uns einen rational unbezweifelbaren Glauben [belief – Anm. d. Übers.] zu gewähren, weil wir eines solchen Glaubens nicht würdig sind. Stattdessen verdienen wir es, von der Gemeinschaft mit Gott ausgeschlossen zu werden. John Schellenberg hat dieses Gegenargument als „Nicht-anders-verdient-Argument“ (Just Deserts Argument – Anm. d. Übers.) tituliert. Ich werde mehrere mögliche Versionen dieses Arguments vorstellen und eine davon ausführlicher entwickeln und verteidigen.

1. Einleitung Wenn Gott existiert, warum richtet er es dann nicht so ein, dass seine Existenz uns offensichtlicher erscheint – so offensichtlich, dass sie rationalerweise nicht bezweifelt werden kann? Dieses Problem beschäftigt die christliche Theologie schon seit langem und geht bis in die Väterzeit zurück.1 Neuerdings wurde daraus ein Argument für den Atheismus, das unter der Bezeichnung „Problem der Verborgenheit Gottes“ bekannt ist. Das Argument lässt sich kurz so zusammenfassen: Jeder einigermaßen entwickelte Theismus geht davon aus, dass Gott uns liebt und letztlich unser Bestes will. Bei einer echten Liebe liegt dem Liebenden an einer offenen Beziehung zum Geliebten, vor allem dann, wenn das endgültige Wohl des Geliebten davon abhängt. Worin aber besteht unser endgültiges Wohl, und was setzt es nach Ansicht eines entwickelten Theismus voraus? Es setzt eine positive Beziehung zu Gott voraus. Folglich würde Gott sicherstellen, dass jeder von uns in der Lage ist, in eine solche Beziehung zu treten. Tatsächlich glauben aber viele Menschen nicht an Gott, häufig ohne eigene Schuld. Nicht-widerstrebender Nicht-Glaube [non1

Vgl. z. B. Athanasius, Über die Menschwerdung des Logos, Kap. 11–15; Augustinus, Der freie Wille, S. 106–118; Johannes Chrysostomos, Homilien über den ersten Brief an die Korinther, Pr. 2, 4–8; Gregor von Nazianz, Homilien, 28, Kap. 12; Origenes, Vier Bücher von den Prinzipien, Buch 3, Kap. 1 [die Quellenangaben werden im Literaturverzeichnis nicht aufgeführt – Anm. d. Übers.].

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resistant nonbelief – Anm. d. Übers.] (also ein Nicht-Glaube jener, die eigentlich durchaus zu glauben willens wären) ist weit verbreitet. Folglich existiert in unserer Welt ein Sachverhalt, der dem widerspricht, was der Theismus a priori erwarten lässt, was wiederum die Schlussfolgerung nahelegt, dass Gott nicht existiert. Im 20. Jahrhundert haben mehrere Autoren wichtige Beiträge zur Diskussion dieses Problems beigesteuert.2 In den Fokus rückte das Argument aber erst zu Beginn und in der Mitte der 1990er Jahre.3 Die verschiedenen Ausformulierungen des Arguments unterscheiden sich voneinander. Schellenberg vertritt die stärkste Version. Danach reiche ein einziger Fall eines nicht-widerstrebenden Nicht-Glaubens (also eines Nicht-Glaubens von jemandem, der eigentlich durchaus zu glauben willens wäre) aus, um den Theismus zu widerlegen.4 Im Vergleich dazu haben Drange5 und Keller6 schwächere Formulierungen vorgeschlagen, wonach eher das enorme Ausmaß solchen Unglaubens den Theismus widerlegt. Später hat Maitzen gezeigt, dass das eigentliche Problem in der offensichtlich unerklärbaren demographischen Verteilung des Nicht-Glaubens besteht.7 (Hier zeigt sich eine Analogie mit dem Problem des Übels: Schellenbergs Formulierung hat eine gewisse Ähnlichkeit mit der logischen Version dieses Problems; die anderen Ansätze ähneln eher der evidentialistischen Version.) Die Literatur zu dem Problem ist permanent im Wachsen begriffen. Zahlreiche Einwände8 2

3

4 5 6 7 8

Vgl. z. B. Hick, John. 1981. „Soul-Making Theodicy“, in: Stephen Davis (Hrsg.), 1981. Encountering Evil (John Knox), reprint in: Peterson et al. 2007. Philosophy of Religion: Selected Readings, 3. Aufl. (Oxford Univ. Press), S. 341–353; Mesle, C. Robert. 1988. „Does God Hide From Us? John Hick and Process Theology on Faith, Freedom, and Theodicy“, International Journal for Philosophy of Religion 24, S. 93–111; Penelhum, Terence. 1983. God and Skepticism (Reidel); O’Hear, Anthony. 1984. Experience, Explanation, and Faith (Routledge and Kegan Paul); Morris, Thomas V. 1992. Making Sense of it All: Pascal and the Meaning of Life (Eerdmans). Vgl. Schellenberg, J. L. 1993. Divine Hiddenness and Human Reason (Cornell Univ. Press); Drange, Theodore. 1993. „The Argument from Non-Belief“, Religious Studies 29, S. 417–432; Keller, James. 1995. „The Hiddenness of God and the Problem of Evil“, International Journal for Philosophy of Religion 37, S. 13–24; Maitzen, Stephen. 2006. „Divine Hiddenness and the Demographics of Theism“, Religious Studies 42, S. 177–191. Schellenberg, J. L. 1993. Divine Hiddenness and Human Reason. Drange, Theodore. 1993. „The Argument from Non-Belief“. Keller, James. 1995. „The Hiddenness of God and the Problem of Evil“. Maitzen, Stephen. 2006. „Divine Hiddenness and the Demographics of Theism“. Vgl. z. B. Aijaz, Imran und Weidler, Markus. 2007. „Some Critical Reflections on the Hiddenness Argument“, International Journal for Philosophy of Religion 61, S. 1–23; Azadegan, Ebrahim. 2013a. „Divine Hiddenness and Human Sin: The Noetic Effect of Sin“, Journal of Reformed Theology 7, S. 69–90; 2013b. „Ibn ‘Arabi on the Problem of Divine Hiddenness“, Journal of the Muhyiddin Ibn ‘Arabi Society 53, S. 49–67; 2014. „Divine Love and the Argument from Divine Hiddenness“, European Journal for Philosophy of Religion 6, S. 101–116; Brown, Hunter. 2013. „Incarnation and the Divine Hiddenness Debate“, Heythrop Journal 54, S. 252–260; Cullison,

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und Gegeneinwände9 wurden bisher vorgetragen. Ich konzentriere mich auf eine bislang wenig beachtete Möglichkeit der Entgegnung, nämlich auf die These, dass Gott es gerechterweise unterlässt, sich auf eine Weise zu offenbaren, die überall vernünftigen Glauben hervorrufen würde, weil wir eine solche Offenbarung gar nicht verdienen. Es ist also durchaus gerecht, wenn Gott „verborgen“ bleibt. Schellenberg10 und Keller11 erwägen einen vergleichbaren Einwand, verwerfen ihn aber. Schellenberg bezeichnet ihn als „Nicht-anders-verdient-Argument“. In der Literatur wurde das Argument nicht weiter diskutiert. Ich möchte es hier aufgreifen und vertiefen. Mein Aufsatz ist folgendermaßen aufgebaut: Im nächsten Abschnitt stelle ich mehrere Versionen des „Nicht-anders-verdient-Arguments“ vor und speAndrew. 2010. „Two Solutions to the Problem of Divine Hiddenness“, American Philosophical Quarterly 47, S. 119–134; Cuneo, Terence. 2013. „Another Look at Divine Hiddenness“, Religious Studies 49, S. 151–164; Dumsday, Travis. 2010a. „Divine Hiddenness, Free-Will, and the Victims of Wrongdoing“, Faith and Philosophy 27, S. 423–438; 2010b. „Divine Hiddenness and the Responsibility Argument“, Philosophia Christi 12, S. 357–371; 2012. „Divine Hiddenness as Divine Mercy“, Religious Studies 48, S. 183–198; Evans, Stephen C. 2006. „Can God Be Hidden and Evident at the Same Time? Some Kierkegaardian Reflections“, Faith and Philosophy 23, S.  241–253; Howard-Snyder, Daniel. 1996. „The Argument from Divine Hiddenness“, Canadian Journal of Philosophy 26, S. 433–453; Marsh, Jason. 2008. „Do the Demographics of Theistic Belief Disconfirm Theism? A Reply to Maitzen“, Religious Studies 44, S.  465–471; McBrayer, Justin und Swenson, Philip. 2012. „Scepticism About the Argument from Divine Hiddenness“, Religious Studies 48, S. 129–150; McKim, Robert. 2001. Religious Ambiguity and Religious Diversity (Oxford Univ. Press); Moser, Paul. 2008. The Elusive God: Reorienting Religious Epistemology (Cambridge Univ. Press); O’Connell, Jake. 2013. „Divine Hiddenness: Would More Miracles Solve the Problem?“, Heythrop Journal 54, S. 261–267; Poston, Ted und Dougherty, Trent. 2007. „Divine Hiddenness and the Nature of Belief“, Religious Studies 43, S. 183–198; Rea, Michael. 2009. „Narrative, Liturgy, and the Hiddenness of God“, in: Kevin Timpe (Hrsg.), Metaphysics and God: Essays in Honor of Eleonore Stump (Routledge), S. 76–96; Tucker, Chris. 2008. „Divine Hiddenness and the Value of Divine-Creature Relationships“, Religious Studies 44, S. 269–287. 9 Wichtige Beiträge liefern Cordry, Benjamin. 2008. „Divine Hiddenness and Belief De Re“, Religious Studies 45, S. 1–19; Lovering, Robert. 2004. „Divine Hiddenness and Inculpable Ignorance“, International Journal for Philosophy of Religion 56, S. 89–107; Maitzen, Stephen. 2008. „Does Molinism Explain the Demographics of Theism?“, Religious Studies 44, S. 473– 477; Schellenberg, J. L. „Response to Howard-Snyder“, Canadian Journal of Philosophy 26, S. 455–462; 2005a. „The hiddenness argument revisited (I)“, Religious Studies 41, S. 201– 215; 2005b. „The hiddenness argument revisited (II)“, Religious Studies 41, S.  287–303; 2005c. „On Reasonable Nonbelief and Perfect Love: Replies to Henry and Lehe“, Faith and Philosophy 22, S. 330–342; 2007. „On Not Unnecessarily Darkening the Glass: A Reply to Poston and Dougherty“, Religious Studies 43, S. 199–204; 2008a. „Reply to Aijaz and Weidler on Hiddenness“, International Journal for Philosophy of Religion 64, S.  135–140; 2008b. „Response to Tucker on Hiddenness“, Religious Studies 44, S. 289–293; 2013. „Replies to My Colleagues“, Religious Studies 49, S. 257–285; Trakakis, Nick. 2007. „An Epistemically Distant God? A Critique of John Hick’s Response to the Problem of Divine Hiddenness“, Heythrop Journal 48, S. 214–226. 10 Schellenberg, J. L. 1993. Divine Hiddenness and Human Reason, S. 133–136. 11 Keller, James. 1995. „The Hiddenness of God and the Problem of Evil“, S. 17.

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zifiziere diejenige, die ich verteidigen möchte. Im dritten Abschnitt werde ich diese Version dann detaillierter entwickeln. Der vierte Abschnitt setzt sich mit diversen Einwänden auseinander. Im fünften und letzten Abschnitt untersuche ich kurz, wie sich das Argument in einen breiter angelegten kumulativen Ansatz zur Lösung des Problems der Verborgenheit Gottes integrieren lässt.

2. „Nicht-anders-verdient-Argumente“ Betrachten wir zunächst folgende mögliche Entgegnungen auf das Problem der Verborgenheit Gottes, die allesamt irgendwie mit menschlicher Schuld und göttlicher Gerechtigkeit zusammenhängen.

(A) Soweit wir wissen, sind wir alle (oder zumindest die allermeisten von uns) in unterschiedlichem Ausmaß böse. Teilweise könnte dies die Folge des Falls sein, wie er in der jüdisch-christlichen Tradition beschrieben wird; das muss aber nicht so sein. Wie auch immer, soweit wir wissen, hat unsere Sündhaftigkeit weitreichende Folgen, die uns in einem beachtlichen Ausmaß verderben. Diese Verderbtheit betrifft unsere affektiven und unsere kognitiven Fähigkeiten. Deren Auswirkungen führen dazu, dass viele von uns die offensichtlichen Evidenzen für die Existenz Gottes übersehen. An sich wären diese völlig ausreichend, um einen echten nicht-widerstrebenden NichtGlaubenden zu überzeugen. Möglicherweise lässt Gott dies dauerhaft zu, nicht weil er nichts dagegen unternehmen kann (er könnte beispielsweise auf übernatürliche Weise die Verderbnis unserer Fähigkeiten außer Kraft setzen, so dass wir in der Lage wären, die Bedeutung all der Evidenzen um uns herum zu erkennen), sondern weil wir es aufgrund unserer Bosheit verdienen, von der personalen Gemeinschaft mit ihm ausgeschlossen zu werden. Es wäre dann gerecht und angemessen, wenn Gott es unterlassen würde, uns eine solche Beziehung zu gewähren – zumindest vorläufig. (Man könnte hier sogar noch eine stärkere Formulierung wählen, wonach Gott dies nicht nur kann, sondern sogar sollte, weil Gerechtigkeit zu unserer Ausschließung verpflichtet. Auch wenn sich diese stärkere Formulierung sicherlich verteidigen ließe, setze ich hier und im Folgenden die schwächere voraus.) (B) Soweit wir wissen, sind wir alle (oder zumindest die allermeisten von uns) in unterschiedlichem Ausmaß böse. Teilweise könnte dies die Folge des Falls sein, wie er in der jüdisch-christlichen Tradition beschrieben wird; das muss aber nicht so sein. Unsere kognitiven Fähigkeiten sind davon aber nicht maßgeblich betroffen. Wir sind

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durchaus in der Lage, die Evidenzen für die Existenz Gottes zu erkennen und zu beurteilen. An sich würden diese Evidenzen ausreichen, um jeden echten nicht-widerstrebenden Nicht-Glaubenden zu überzeugen. Tatsächlich gibt es aber gar keine nicht-widerstrebenden Nicht-Glaubenden (oder zumindest nur relativ wenige). Wenn jemand nicht glauben kann, dann deshalb, weil er sich nicht genügend Zeit für die Evidenzen nimmt, oder weil er sich im Hinblick auf die Qualität der Evidenzen täuscht, usw. Jeder (oder zumindest fast jeder) Nicht-Glaube ist schuldhaft, und zwar nicht indirekt (aufgrund der allgemeinen Bosheit oder Schuldhaftigkeit der Person), sondern direkt (aufgrund der besonderen Schuldhaftigkeit im Hinblick auf die Bewertung der Evidenzen für Gott). Möglicherweise lässt Gott dies dauerhaft zu, nicht weil er nichts dagegen unternehmen kann (obwohl einige unverbesserliche Nicht-Glaubende vielleicht unter allen Umständen in ihrem Unglauben verharren würden), sondern weil wir es aufgrund unserer Bosheit verdienen, von der personalen Gemeinschaft mit ihm ausgeschlossen zu werden. Es wäre dann angemessen und gerecht, wenn Gott es unterlassen würde, uns eine solche Beziehung zu gewähren – zumindest vorläufig.12

(C) Soweit wir wissen, sind wir alle (oder zumindest die allermeisten von uns) in unterschiedlichem Ausmaß böse. Teilweise könnte dies die Folge des Falls sein, wie er in der jüdisch-christlichen Tradition beschrieben wird; das muss aber nicht so sein. Dies beeinträchtigt jedoch nicht maßgeblich unsere kognitiven Fähigkeiten. Wir sind durchaus in der Lage, die Evidenzen für die Existenz Gottes zu beurteilen. Aufgrund unserer offensichtlichen Unwürdigkeit verbirgt Gott gerechterweise seine Existenz bzw. die Qualität der Evidenzen. Vielleicht geschieht dies dadurch, dass er unsere kognitiven Fähigkeiten von außen beeinflusst, vielleicht geschieht dies aber auch dadurch, dass er die Entstehung einer religiösen Vielfalt und damit einer Mehrdeutigkeit begünstigt (indem er konfligierende und verwirrende „Offenbarungen“ an verschiedene Gruppen zulässt oder nicht-göttlichen, aber überna-

12 Die letzte Version ähnelt einem von Douglas Henry verteidigten Argument. Vgl. Henry, Douglas. 2001. „Does Reasonable Nonbelief Exist?“, Faith and Philosophy 18, S. 75–92; 2008. „Reasonable Doubts About Reasonable Nonbelief“, Faith and Philosophy 25, S. 276–289. Er konzentriert sich allerdings nicht auf die Thematik von Verdienst und göttlicher Gerechtigkeit, sondern stellt die These in Frage, dass nicht-widerstrebender Nicht-Glaube weitverbreitet sei.

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türlichen Wesen erlaubt, solche „Offenbarungen“ etc. zu verbreiten) oder auf irgendeine andere Weise.13

(D) Soweit wir wissen, sind wir alle (oder zumindest die allermeisten von uns) in unterschiedlichem Ausmaß böse. Teilweise könnte dies die Folge des Falls sein, wie er in der jüdisch-christlichen Tradition beschrieben wird; das muss aber nicht so sein. Dies beeinträchtigt jedoch nicht maßgeblich unsere kognitiven Fähigkeiten. Wir sind durchaus in der Lage, die Evidenzen für die Existenz Gottes zu erkennen und zu beurteilen. Die Evidenzen sind allerdings als solche nicht ausreichend, um jeden echten nicht-widerstrebenden Nicht-Glaubenden zu überzeugen. (Dies könnte so sein, weil keines der Argumente für die Existenz Gottes nachweisbar schlüssig ist, oder weil gegen anscheinend gute Argumente offensichtliche Einwände vorliegen, oder weil gute Evidenzen für beide Seiten vorliegen, die sich gegenseitig aufheben, oder weil es zwar nachweisbar gültige Argumente gibt, diese aber für viele zu kompliziert sind, usw.). Vielleicht lässt Gott dies zu, nicht weil er unfähig ist, uns zusätzliche Evidenzen bereitzustellen (er könnte uns allen z. B. unmittelbare und überwältigende religiöse Erfahrungen gewähren oder weltweit sichtbare Wunder wirken), sondern weil wir es aufgrund unserer Bosheit verdienen, von einer personalen Beziehung mit ihm ausgeschlossen zu werden, so dass es gerecht und angemessen ist, wenn er es unterlässt, uns eine solche Beziehung zu gewähren – zumindest vorläufig.

Diese vier Versionen decken sicherlich nicht alle Möglichkeiten ab, das Nicht-anders-verdient-Argument auszuformulieren. Ich habe sie nur deshalb vorgestellt, um einige Unterschiede herauszustellen. Die vier Versionen unterscheiden sich im Hinblick darauf, (1) ob das Böse uns auch auf der kognitiven Ebene korrumpiert; (2) ob die objektiven Evidenzen für den Theismus ausreichen, um einen nicht-korrumpierten und /oder nicht-widerstrebenden Menschen zu überzeugen, (3) was die Ursachen für unzureichende Evidenzen sein könnten, falls sie tatsächlich unzureichend sein sollten, (4) ob Gott auf aktive Weise unsere Fähigkeiten unterbindet, seiner Existenz gewahr zu werden, oder ob er unsere Unwissenheit nur zulässt. Alle genannten Versionen stimmen jedoch darin überein, dass wir es – soweit wir wissen – verdienen, von einer Beziehung mit Gott ausgeschlossen zu werden, und dass diese Unwürdigkeit zu erklären hilft, warum es in unserer

13 Schellenberg interpretiert Pascals Nicht-anders-verdient-Argument in diese Richtung. Vgl. Schellenberg, J. L. 1993. Divine Hiddenness and Human Reason. Ich neige zu der Ansicht, dass Pascals Version mehr der Version (D) gleicht, werde aber diese exegetische Frage hier nicht vertiefen.

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Welt Unglauben gibt. (Die Formulierung „soweit wir wissen“ soll deutlich machen, dass die verschiedenen Versionen des Nicht-anders-verdient-Arguments hier als Verteidigung, nicht als Theodizee formuliert werden. Sie liefern also mögliche Gründe, warum Gott es gerechtfertigterweise unterlassen könnte, sich allen nicht-widerstrebenden Nicht-Glaubenden kundzutun. Sie beanspruchen nicht, die tatsächlichen Gründe zu kennen.) Ein Nicht-anders-verdient-Argument ließe sich auf der Grundlage von (A) – (D) entwickeln oder auch auf der Basis anderer möglicher Varianten, die aus unterschiedlichen Kombinationen der vier genannten Annahmen resultieren. Ich werde mich auf die Version (D) konzentrieren. Ich behaupte nicht, dass sie in sich wahrscheinlicher als die anderen ist, denke aber, dass es sich lohnt, hier anzusetzen, weil sie auf weniger und schwächeren Annahmen basiert. Sie setzt nicht voraus, dass unsere kognitiven Fähigkeit korrumpiert sind, auch nicht, dass die Evidenzen für den Theismus ausreichend sind, um jeden echten nicht-widerstrebenden Nicht-Glaubenden zu überzeugen (was Verteidiger des Verborgenheitsproblems leugnen würden), auch nicht, dass jeder Nicht-Glaube als solcher schuldhaft ist (d. h., dass alle Nicht-Glaubenden auf schuldhafte Weise den Status der Evidenzen falsch einschätzen oder sich selbst darüber täuschen). Mit anderen Worten: Version D ist leichter zu verteidigen, und was noch wichtiger ist, sie ermöglicht es, sich auf die Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Varianten des Nicht-anders-verdient-Arguments zu konzentrieren, nämlich darauf, was Menschen verdienen und was für Gott gerecht ist. Betrachten wir also die Version (D) etwas genauer.

3. Verdiente Verborgenheit Ich setze zwei weitere Hintergrundannahmen voraus, die an dieser Stelle näher erläutert werden sollen. Diese Annahmen ließen sich in jede der oben genannten Varianten (A) – (D) integrieren. Daher resultiert daraus kein Nachteil für die Variante (D) gegenüber den anderen Optionen. Diese Annahmen lauten wie folgt:

(1) Ich gehe davon aus, dass das Problem der Verborgenheit Gottes auf jeden einigermaßen entwickelten oder, wie ich es nenne, „generischen Theismus“ abzielt. Dies entspricht dem ausdrücklichen Ziel der meisten Vertreter des Verborgenheitsarguments – Drange ist eine Ausnahme, weil er auf den christlichen Theismus abzielt, obwohl auch er zu der Ansicht neigt, dass die Verborgenheit ein Problem für jedes theistische System darstellt.14 Jedenfalls erfolgt

14 Drange, Theodore. 1993. „The Argument from Non-Belief“.

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meine Entgegnung im Namen eines generischen Theismus. Folglich werde ich keine spezifisch christlichen Dogmen (wie z. B. den Glauben an ein Leben nach dem Tod, die Möglichkeit der Vergebung, den Fall des Menschen usw.) berücksichtigen. Ich gehe nicht davon aus, dass sie falsch sind, aber ich setze auch nicht voraus, dass sie wahr sind.

(2) Außerdem gehe ich davon aus, dass Gott, wenn es ihn gibt, berechtigterweise moralische Übel des Menschen zulassen kann, und dass er dies wenigstens teilweise auch tut, um menschliche Freiheit zu ermöglichen. Anders formuliert, im Folgenden wird vorausgesetzt, dass eine Version des Arguments der Willensfreiheit für das Problem der moralischen Übel tragfähig ist.

Diese Annahmen werden nicht weiter begründet. Im Hinblick auf die erste Annahme ist dies nicht nötig, weil die meisten Vertreter des Verborgenheitsarguments ohnehin eher auf den generischen als auf den christlichen Theismus zielen. Die zweite Annahme ist wesentlich, aber auch Gegenstand einer wichtigen Kontroverse.15 Ich kann hier jedoch keine Theodizee der moralischen Übel vorlegen. Daher bitte ich die Leser um Nachsicht, wenn ich diese zweite Annahme im Folgenden einfach voraussetze. Was nun den genauen Gehalt von (D) betrifft, sollte ich zuerst etwas zur Behauptung sagen, dass „wir alle, soweit wir wissen, in unterschiedlichem Ausmaß böse sind“. Das scheint ein ziemlich harsches Urteil zu sein. Außerdem ist fraglich, worin die genaue Extension von „alle“ besteht. Sind damit beispielsweise auch Kinder und geistig Behinderte gemeint? Ich möchte dazu Folgendes klarstellen: Soweit wir wissen, haben alle (oder zumindest die überwiegende Mehrheit aller) zurechnungsfähigen Erwachsenen bewusst und frei schwerwiegende unmoralische Handlungen vollzogen oder richtige Handlungen unterlassen. Mit „schwerwiegend unmoralisch“ sind nicht nur kriminelle Handlungen gemeint. Ich überlasse es den Lesern, auf ihr Leben zurückzublicken und darüber nachzudenken, welche ihrer schlechten Handlungen als schwerwiegend unmoralisch im Gegensatz zu einfach nur unmoralisch infrage kommen. (Wer keine gefunden hat, sollte nochmal genauer hinsehen.) Die Einschränkung „oder zumindest die überwiegende Mehrheit“ wurde eingefügt, um die Möglichkeit offenzulassen, dass sich unter uns echte moralische Heilige befinden, also Menschen, die nicht in dem hier diskutierten Sinn korrumpiert sind. Wie steht es um diese Menschen? Ist Gott für sie auch 15 Hier sei betont, dass sich das Problem des Übels vom Problem der Verborgenheit unterscheidet. John L. Schellenberg hat dies auf überzeugende Weise begründet. Vgl. Schellenberg, J. L. 2010. „The Hiddenness Problem and the Problem of Evil“, Faith and Philosophy 27, S. 45–60.

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verborgen? Im Rahmen des Arguments schlage ich vor, dass dies, soweit wir wissen, nicht der Fall ist. Hier ließe sich anführen, dass es tatsächlich solche Menschen gibt und dass sich die besten geschichtlichen Beispiele dafür unter den großen Heiligen der theistischen Traditionen finden. Das würde heißen, dass die rechtschaffensten Menschen in der Geschichte mit denjenigen identisch sind, die von sich behaupten, in einer offenen Beziehung mit dem Göttlichen zu stehen. Soweit wir wissen, könnte das tatsächlich der Fall sein, zumal wenn wir davon ausgehen, dass eine derartige moralische Tugendhaftigkeit Seltenheitswert zu haben scheint. Klammern wir die Heiligen aus, können wir uns angesichts unseres in moralischer Hinsicht verderbten Charakters fragen, ob wir in dem gegenwärtigen Zustand moralischer Verderbtheit würdig sind, in einer personalen Beziehung zu Gott zu stehen. Sind wir würdig, in eine intime Beziehung mit einem Wesen zu treten, das vollkommen gerecht ist, über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann? Oder verdienen wir es stattdessen, von einer solchen Beziehung ausgeschlossen zu werden, zumindest bis auf weiteres? Was verdienen wir vor Gott angesichts all unserer vergangenen Handlungen und Unterlassungen und der Beschaffenheit unseres Charakters? Ich würde behaupten, dass wir es verdienen, von einer Beziehung zu Gott ausgeschlossen zu werden.16 Wenn wir dies verdienen, und Gott gerecht ist, dann scheint es nur angemessen zu sein, wenn Gott (der vollkommen gerecht ist) uns ausschließt.17 Wenn dies zutrifft, warum sollte Gott uns dann eine Erkenntnis seiner selbst zugänglich machen, die so beschaffen ist, dass sie jeden nicht-widerstrebenden Nicht-Glauben unmöglich machen würde? Schließlich liegt der Schwerpunkt des Problems der Verborgenheit Gottes darin, dass ein rational abgesicherter Glaube an Gott nötig ist, um in eine Beziehung mit Gott treten zu können. Wenn es also bei der rationalen Absicherung um die Beziehung geht, uns aber eine solche Beziehung gerechterweise verwehrt bleibt, sollten wir nicht überrascht sein, keinen rational abgesicherten Glauben zu haben. Warum sollte Gott ihn uns gewähren, wenn er uns ohnehin nichts nützen würde (jedenfalls nicht das, worum es beim Verborgenheitsproblem geht). Unsere eigenen Mängel liefern eine gute Erklärung dafür, warum Gott uns die unter (D) genannten zusätzlichen, überwältigenden und für alle zugänglichen Evidenzen verwehrt. Selbst wenn unsere Unwürdigkeit uns davon abhält, in eine Beziehung mit Gott zu treten, sollte Gott nicht trotzdem versuchen, eine solche Beziehung zu ermöglichen? Angeblich liebt Gott uns doch, und Liebe impliziert 16 Christliche Leser sollten bedenken, dass spezifisch christliche Dogmen (wie die Lehren von der Rechtfertigung, der Vergebung der Sünden, der heiligmachenden Gnade, usw.) hier immer noch ausgeklammert bleiben. 17 Auch hier ließe sich die Behauptung verteidigen, dass Gott uns ausschließen sollte.

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das Streben nach Gemeinschaft. Auch diese Annahme liegt dem Problem der Verborgenheit Gottes, so wie es oben formuliert wurde, zugrunde. Diese Annahme ist allerdings umstritten. Strebt Liebe immer nach einer offenen, ausdrücklichen Beziehung? Liebe kann den Wunsch danach implizieren, muss sie aber immer auch das aktive Streben umfassen? Im Bereich menschlicher Beziehungen ist dies sicherlich nicht der Fall. Wir würden nicht darauf bestehen, dass die Frau eines offensichtlich unheilbaren Kokainsüchtigen den Kontakt mit ihrem Mann aufrechterhalten muss, trotz des daraus resultierenden physischen und emotionalen Missbrauchs. Es wäre in moralischer Hinsicht problematisch, wenn die Frau aufhören würde, sich die Heilung ihres Mannes und die Wiederaufnahme einer Beziehung zu wünschen (oder zumindest zu denken, dass dieser Wunsch noch vorhanden wäre, wenn sie ihn immer noch wirklich lieben würde). Wir würden jedoch gewiss nicht darauf bestehen, dass sie auch in aktivem Kontakt mit ihm bleiben müsste. Warum nicht? Dafür gibt es mehrere Gründe, von denen drei sich unmittelbar aufdrängen: Erstens würde sie Schaden für sich selbst riskieren. Zweitens wäre es durchaus denkbar, dass ein kontinuierlicher Kontakt auch für den selbstzerstörerischen Ehemann schlecht wäre. Vielleicht würde er permanent daran erinnert, was er verloren oder gewollt aufgegeben hat, was zusätzliches überflüssiges Leid hervorrufen würde. Vielleicht würde ein kontinuierlicher Kontakt mit seiner Frau angesichts ihrer Gesundheit, ihrer guten Laune und sogar ihrer Liebe in ihm Unmut, Eifersucht oder Hass auslösen und zu einer noch größeren moralischen Zersetzung beitragen. Drittens wäre es denkbar, dass der Ehemann so verkommen wird, dass seine Frau sich gerechterweise von ihm trennt. Es könnte ein Zeitpunkt kommen, an dem sie sich zwar noch wünscht, dass er sich bessern möge (falls dies möglich ist – niemand ist dazu verpflichtet, Unmögliches zu wünschen), an dem es für sie aber angebracht wäre, die Beziehung zu beenden. (Dies wäre z. B. der Fall, wenn er ihre Kinder als Sklaven verkauft hätte, um an Geld für Drogen zu kommen. Unter diesen Umständen wäre es sogar falsch, die Beziehung aktiv aufrechtzuerhalten. Ein Abbruch wäre verpflichtend. Dieser Gedankengang wird hier aber nicht weiter verfolgt.) Wenn unsere moralische Verderbtheit wirklich gravierend und vor allem wenn sie unheilbar ist, könnte es für Gott durchaus angemessen sein, uns eine personale Beziehung zu ihm zu verwehren, und zwar sowohl in seinem eigenen18 als auch in unserem Interesse, und schließlich auch um der Gerechtigkeit willen. 18 Man könnte annehmen, dass Gott als Gott kein Schaden oder irgendein Schmerz zugefügt werden kann. Historisch betrachtet gingen Theisten mehrheitlich davon aus, dass Gott leidensunfähig ist. Ungeachtet der Lehre von der Inkarnation gilt das auch für christliche Theologen. Trotzdem gab es einen Disput über diese Frage. Wenn daher die Vertreter des

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Die vorgeschlagene Version des Nicht-anders-verdient-Arguments ist nicht darauf angewiesen, dass unser Ausschluss aus der Gottesbeziehung als eine Strafe für unsere Sünden gedeutet wird (obwohl man dies durchaus tun könnte). Mir genügt jedoch die Behauptung, dass unser moralischer Status so beschaffen ist, dass es angemessen und gerecht ist, wenn Gott uns ausschließt. Wenn ein Gut gerechterweise verwehrt wird, kann dies als Akt der Gerechtigkeit betrachtet werden und muss nicht unbedingt als Strafe gesehen werden (auch wenn dies möglich sein mag). Diese Bemerkung soll einem möglichen Einwand zuvorkommen, der besagt: Würde der Ausschluss als gerechte Strafe verstanden, gäbe es auch andere gleichermaßen angemessene Strafen, die Gott verhängen könnte. Wird der Ausschluss nicht als Strafe für Sünden, sondern einfach als gerechte Reaktion auf die Tatsache, dass wir ihn verdienen, verstanden, lassen sich diese Bedenken vermeiden. Außerdem kann man so einem anderen Einwand zuvorkommen, den Keller gegen das Nicht-anders-verdient-Argument vorgebracht hat. Danach wäre der Ausschluss aus der Gegenwart Gottes eine Strafe ohne jede heilsame oder läuternde Wirkung für die Bestraften.19 Wenn der Auschluss keine Strafe ist, ist auch dieser Einwand entkräftet. Es ist erwähnenswert, dass Keller eindeutig gegen die Retributionstheorie von Strafe ist, wonach eine Strafe auch dann angemessen ist, wenn sie keine abschreckende oder läuternde Wirkung hat. Der Retributionstheorie zufolge ist Strafe hauptsächlich eine Sache der Gerechtigkeit. Wenn man diese Theorie akzeptiert, hat Kellers zweiter Einwand wenig Gewicht. (Ein anderer Aspekt, der gleich noch aufgegriffen wird, verdient hier erwähnt zu werden. Bei dem Ausschluss, von dem hier die Rede ist, kann es sich um einen permanenten oder temporären handeln. Wenn er temporär ist, wird die Stärke des ersten Einwands weiter abgeschwächt.) Warum aber sollte Gott sich nicht unschuldigen Kindern offenbaren? Nach dem von Schellenberg favorisierten Verständnis von Offenbarung könnte sich Gott durch überwältigende und rational unbezweifelbare Erfahrungen erkennbar machen, sobald eine Person das entsprechende Alter erreicht hat.20 Schellenberg geht es dabei allerdings nicht um Gerechtigkeit (also nicht da­ rum sicherzustellen, dass alle eine Erkenntnis erhalten, bevor sie korrumpiert werden). Stattdessen geht es ihm darum sicherzustellen, dass jeder einen rational fundierten Glauben an Gott hat, bevor sich überhaupt irgendwelche Zweifel einstellen können. Trotzdem könnte das Thema Gerechtigkeit ein weiterer Grund sein, dieses Offenbarungsverständnis zu favorisieren. Verborgenheitsarguments sich auf eine Seite schlagen, schwächt dies ihr Argument, weil sie eine Hintergrundannahme vertreten, die nicht von allen geteilt wird. 19 Keller, James. 1995. „The Hiddenness of God and the Problem of Evil“. 20 Schellenberg, J. L. 1993. Divine Hiddenness and Human Reason, S. 49.

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Dies erinnert an ein Argument im Zusammenhang mit der Diskussion um das Problem des Übels: Wenn man hier behauptet, uns werde viel oder alles Leid gerechterweise zugefügt, weil wir es verdienen, liegt es nahe, mit dem Leid der Kinder konfrontiert zu werden. Im Fall der Verborgenheit handelt man sich damit jedoch ein Problem ein: Würde sich Gott auf die Weise offenbaren, die Schellenberg vorschwebt, so dass also alle Kinder eine überwältigende Erfahrung des Göttlichen hätten, würde dies auch zu den Erwachsenen durchsickern. Die auffällig konsistente (und auch überall verbreitete) Geschichte, von der Kinder berichten, würde auch Erwachsenen ein unleugbares Indiz dafür liefern, dass der Theismus wahr ist. Wie wir gesehen haben, wäre eine solche Erkenntnis vielleicht sogar schlecht für uns. Außerdem könnte es ja gerecht und angemessen sein, dass uns eine solche Einsicht verwehrt bleibt. Vielleicht bleibt Kindern eine ausdrückliche Offenbarung des Göttlichen gerade um dieser Gerechtigkeit willen verwehrt. Wer dies wiederum als ungerecht oder als unverhältnismäßig betrachtet, der sollte bedenken, dass wir in unserer Gesellschaft immer dann Vergleichbares tun, wenn wir einen Vater oder eine Mutter aufgrund eines Vergehens ins Gefängnis schicken, obwohl uns klar ist, dass damit langfristig das Wohlergehen der Kinder aufs Spiel gesetzt wird. Als zweite mögliche Entgegnung ließe sich ein anderes Argument ins Spiel bringen, das dem Nicht-anders-verdient-Argument ähnlich ist. Man könnte argumentieren, dass es für Gott genauso angemessen ist, jene auszuschließen, die dies aufgrund ihrer Bosheit verdienen, wie es angemessen ist, sich jenen nicht zu offenbaren, die eine solche Offenbarung noch nicht verdient haben. Kleine Kinder verdienen offensichtlich keinen Ausschluss; es ließe sich jedoch auch behaupten, dass sie noch nichts getan haben, was eine Beziehung verdienen würde. Noch haben sie jedenfalls nichts getan, was sie würdig machen könnte, Gott zu erkennen. Daher wird ihnen diese Erkenntnis auch zu Recht nicht gewährt, solange sie sich dieser nicht würdig erweisen. Vielleicht wird dies eines Tages der Fall sein, aber dieser Tag ist eben noch nicht da.21 Wenn sie dann durch eine spätere moralische Verderbtheit aktiv unwürdig werden, werden sie aus den gleichen Gründen wie Erwachsene ausgeschlossen. 21 Was genau wäre nötig, um die Gemeinschaft mit Gott zu verdienen? Ist es überhaupt möglich, dies zu verdienen? Diese Fragen muss ich hier nicht definitiv beantworten. Für meinen zweiten Antwortvorschlag brauche ich nur die Annahmen, (1) dass es – soweit wir wissen – möglich ist, dass nur denjenigen Gemeinschaft mit Gott gewährt wird, die dies auch verdienen, und (2) dass – soweit wir wissen – dazu ein gewisses Ausmaß an frei und bewusst vollzogenen moralischen Handlungen sowie eine entwickelte moralische Tugend erforderlich sind, die kleine Kinder (vor dem Erwerb des Vernunftgebrauchs) noch nicht besitzen.

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Ein anonymer Gutachter hat eine dritte Möglichkeit vorgeschlagen, mit der Unwissenheit von Kindern im Rahmen des Nicht-anders-verdient-Arguments zurechtzukommen. Es sei möglich, dass Gott das Böse, das Kinder tun werden, voraussieht und dass sie deshalb ausgeschlossen werden. Auf der Basis bestimmter Modelle göttlichen Vorauswissens und/oder der scientia media könnte dies auch funktionieren. Die vorliegende Version (D) des Nicht-anders-verdient-Arguments lässt sich so zusammenfassen: Soweit wir wissen, ist es durchaus angemessen, wenn Gott es unterlässt, sich uns mündigen Erwachsenen (oder zumindest der überwiegenden Mehrheit) zu offenbaren, aufgrund der Tatsache, dass wir es verdienen, von einer Beziehung mit ihm ausgeschlossen zu werden. Dieser Ausschluss lässt sich als gerechte Strafe für gravierendes Fehlverhalten verstehen oder einfach als etwas, das wir zwar verdienen, das aber nichts mit Strafe zu tun hat. Wir verdienen es einfach, ausgeschlossen zu werden, und werden daher auch ausgeschlossen. Was die Unwissenheit der Heiligen betrifft, so gibt es diese, soweit wir wissen, nicht. Die Unwissenheit von Kindern lässt sich auf unterschiedliche Weisen rechtfertigen. Ihnen könnte eine Erkenntnis verwehrt bleiben, weil sie sich eine Beziehung noch nicht verdient haben oder weil sich ihre Erkenntnis unweigerlich unter Erwachsenen herumsprechen würde (die davon aber verdientermaßen ausgeschlossen bleiben sollen). Das ist die Grundlage der vorliegenden Version des Nicht-anders-verdient-Arguments. Natürlich gibt es weitere Einwände, mit denen ich mich jetzt auseinandersetzen werde.

4. Einwände In diesem Abschnitt untersuche ich sechs verschiedene Einwände gegen das Nicht-anders-verdient-Argument.

Einwand 1: Gott mag vollkommen gerecht sein. Er ist aber auch vollkommene Liebe. Aus diesem Grund würde uns Gott unsere vergangenen Sünden vergeben und über unsere gegenwärtige objektive Unwürdigkeit hinwegsehen und uns personale Gemeinschaft gewähren.

Im Wesentlichen ist das Schellenbergs Erwiderung, und zum Teil auch die von Keller.22 Sie ist allerdings voreilig. Ist es denn unmittelbar einleuchtend, dass Liebe über Gerechtigkeit steht? Ist es unmittelbar klar, dass einer Person, der ein großes Gut verdientermaßen vorenthalten wird, dieses Gut trotzdem gewährt wird – und zwar im Namen der Liebe? Im Alltag gibt es zweifellos 22 Vgl. Schellenberg, J. L. 1993. Divine Hiddenness and Human Reason, S.  135; sowie Keller, James. 1995. „The Hiddenness of God and the Problem of Evil“, S. 17.

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viele Situationen, in denen wir diese Frage verneinen würden. Liebende Eltern, die ihren missratenen Sohn enterben, verwehren ihm ein großes Gut (in Gestalt eines großen Vermögens). Die Handlungen des Sohnes lassen seinen Ausschluss vom Erbe aber als völlig angemessen erscheinen. Vielleicht ist dies seinem langfristigen Wohlergehen sogar förderlich. Man denke z. B. an Eltern, die ein Kind enterben, weil sie seinen kostspieligen Drogenkonsum nicht unterstützen wollen. Ein anderes Beispiel wäre ein Richter, der einen überführten Mörder vielleicht sogar in dem Sinn liebt, dass er sich aufrichtig dessen bestmögliches Wohlergehen wünscht. Trotzdem bedeutet diese Liebe nicht, dass er sich als gerechter Richter davon abhalten lässt, ihn gerechterweise zu einer Gefängnisstrafe oder zum Tod zu verurteilen. Dies gilt selbst dann, wenn der Gefangene Reue zeigt und das Gericht sicher sein kann, dass er keine weiteren Verbrechen begehen wird. Der Richter kann die angemessene Strafe so festlegen, dass die Liebe sich der Gerechtigkeit beugt. (Es ließe sich sogar behaupten, dass er dies nicht nur kann, sondern dass er dazu verpflichtet ist, weil die Gerechtigkeit es verlangt, dass seine Liebe nicht die Durchsetzung des Rechts behindert.) Anscheinend kann es also zu einem Konflikt zwischen Liebe und Gerechtigkeit kommen, und manchmal ist es angemessen, wenn die Gerechtigkeit den Sieg davon trägt. Wie verhält es sich in unserem Fall? Sollte letztlich die Gerechtigkeit oder die Liebe siegen? Sollte Gott über unsere Mängel hinwegsehen und mit uns Gemeinschaft haben, obwohl die Gerechtigkeit eigentlich unseren Ausschluss nahelegt (oder sogar erfordert)? Zumindest ist es meines Erachtens nicht offensichtlich, dass die Gerechtigkeit das Nachsehen haben soll. Wenn dies nicht offensichtlich ist, liegt die Beweislast beim Vertreter des Verborgenheitsarguments. Er muss zeigen, warum die Gerechtigkeit das Nachsehen haben sollte. Diejenigen, die das Problem der Verborgenheit Gottes als positives Argument für den Atheismus vorbringen, stützen ihr Argument also offensichtlich auf eine kontroverse Annahme über das Verhältnis von Liebe und Gerechtigkeit. Es ist ihre Aufgabe, die anderen von der Wahrheit ihrer Annahme zu überzeugen. Allerdings haben die Protagonisten des Arguments diesem Problem bisher wenig Beachtung geschenkt. Sicherlich besagt eine zentrale christliche Behauptung, dass Gott, da er sowohl vollkommen gerecht als auch vollkommen liebend ist, einen Weg findet, um sowohl den Ansprüchen der Gerechtigkeit als auch der Liebe gerecht zu werden, und dass ihm dies viel abverlangt. Wir klammern hier aber immer noch das christliche Dogma aus, auch das Dogma der stellvertretenden Sühne und der uns dadurch ermöglichten Erlösung. Einwand 2: Möglicherweise verdienen wir es also nicht, in eine positive Beziehung mit Gott zu treten. Möglicherweise kann (oder sollte) uns Gott gerechterweise ausschließen. Warum aber kann er uns trotzdem

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keine rational unbezweifelbaren Evidenzen für seine Existenz gewähren? Warum lässt er uns im Zustand des Zweifels? Auch wenn wir nicht in Gemeinschaft mit ihm treten können, könnten wir nicht wenigstens erkennen, dass er existiert? Gott könnte uns eine Beziehung zu ihm verwehren und uns trotzdem hinreichende Evidenzen liefern, um jeden nicht-widerständigen Nicht-Glauben zu beseitigen.

Das stimmt – aber warum sollte er dies tun? Um unsere Neugierde zu befriedigen? Dazu ist er kaum verpflichtet. Sollte er uns über eine wichtige Wahrheit informieren, die es wert ist, erkannt zu werden? Viele Wahrheiten sind wichtig und wert, erkannt zu werden. Gott ist nicht dazu verpflichtet, uns diese mitzuteilen. Warum sollte er dazu verpflichtet sein, uns ausgerechnet diese mitzuteilen, noch dazu, wenn sie für uns aufgrund unseres Fehlverhaltens axiologisch irrelevant bleibt? Man beachte die Formulierung des Verborgenheitsproblems: Weil unser letztliches Wohlergehen in einer positiven Beziehung zu Gott besteht oder eine solche zumindest voraussetzt, und weil Liebe nach Beziehung strebt, würde Gott jedem die epistemischen Ressourcen zuteil werden lassen, der sich nicht aktiv gegen eine Beziehung sträubt. Da er uns diese Ressourcen nicht gegeben hat, existiert er nicht. Wenn man dagegen einräumt, dass der epistemische Status des Theismus von seiner axiologischen Relevanz getrennt wird, schwächt sich das Problem der Verborgenheit Gottes, so wie es normalerweise formuliert wird, erheblich ab. Was bleibt, ist die These über das Wesen der Liebe, die von sich aus nach Beziehung strebt. (Wie gezeigt, handelt es sich dabei um eine fragwürdige These.) Darauf ließe sich wiederum erwidern, dass der Theismus seine axiologische Bedeutung auch angesichts unserer Verderbtheit behält, weil diese heilbar ist. Wir alle können bereuen und für unser vergangenes Fehlverhalten Sühne leisten. Auch wenn wir daher gegenwärtig der Gemeinschaft mit Gott unwürdig sind, folgt aus der Möglichkeit einer zukünftigen Würdigkeit, dass Gott uns alles gewähren sollte, was wir benötigen, um eine Beziehung mit ihm anzustreben. Eine der dafür notwendigen Voraussetzungen ist ein rational fundierter Glaube an seine Existenz. Warum sollte man jedoch annehmen, dass Reue etwas Gutes bewirkt? Warum sollte man annehmen, dass es Hoffnung auf Erlösung gibt? Der Kontrahent scheint gewisse christliche Annahmen in seine Kritik einzuschmuggeln (nämlich die Möglichkeit, Vergebung auf eine Weise zu erlangen, die im Einklang mit Gerechtigkeit steht), die sich angeblich gegen den generischen Theismus richtet. Natürlich könnte auch der generische Theist für den Glauben an die Möglichkeit von Erlösung plädieren. Es ist allerdings schwierig zu sehen, wie sich ein überzeugender Beweis für diese Möglichkeit erbringen lässt, wenn man sich nur auf die natürliche Theologie stützt.

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Aus der Sicht eines generischen Theismus schaut es so aus, dass Gott uns, soweit wir wissen, ausschließen kann und dass dies angemessen ist. Da das Nicht-anders-verdient-Argument eine Verteidigung und keine Theodizee ist, genügt das. (Man könnte jetzt besorgt sein, dass dieser Einwand zwar vom Standpunkt des generischen Theismus unwirksam ist, dass er sich aber als Einwand gegen den spezifisch christlichen Theismus durchaus als triftig erweist. Ich werde darauf gleich zurückkommen.) Außerdem fragt man sich, ob das bloße Wissen, dass Gott existiert, im Hinblick auf die Ermöglichung echter Reue neutral ist oder eher sogar ein Hindernis. Die Neuen Atheisten (Dawkins, Hitchens u. a.) wollen uns bis zum Überdruss weismachen, dass der Glaube an Gott das moralische Verhalten nicht zum Besseren beeinflusst. Sie betonen dagegen, dass der theistische Glaube brutale Intoleranz und Engstirnigkeit fördert. Wenn man diesen Autoren folgt, könnte man argumentieren, dass wir moralisch so verkommen sind, dass das Wissen um gewisse Wahrheiten, wie die Wahrheit des Theismus, eher dazu führt, uns schlechter zu machen. So wie eine an sich nahrhafte Mahlzeit einen halbverhungerten Menschen umbringen kann (man muss in diesem Fall mit leichtem Protein oder dgl. beginnen), könnten uns religiöse Wahrheiten über unseren verderbten Zustand noch schlechter werden lassen, als wir es ohnehin schon sind. Es wäre denkbar, dass wir die Wahrheit einfach nicht verkraften. Was wäre, wenn ein solches Wissen nur Angst und hoffnungslose Niedergeschlagenheit hervorrufen würde? Was wäre, wenn Gerechtigkeit unseren immerwährenden Ausschluss aus der göttlichen Gegenwart billigen oder gar verlangen würde? Wäre es dann gut zu wissen, dass Gott existiert, zu wissen, dass unser endgültiges Wohlergehen von einer positiven Beziehung zu Gott abhängt, gleichzeitig aber auch zu wissen, dass wenig oder gar keine Hoffnung besteht, eine solche Beziehung jemals zu verwirklichen? In einem solchen Szenario – das mir im Rahmen eines nur generischen Theismus durchaus möglich erscheint – wäre es besser für uns, die Wahrheit nicht zu kennen.23 (Man beachte, dass ich hier nichts über ein Leben nach dem Tod sage. Das Argument überzeugt unabhängig davon, ob man an eine individuelle Unsterblichkeit glaubt.) 23 Diese Entgegnung auf den Einwand würde auch Sinn machen als Bestandteil einer ausschließlichen Verteidigung gegen das Argument der Verborgenheit Gottes (d. h. unser Zustand ist so verderbt/hoffnungslos, dass es für uns besser ist, wenn wir nicht wissen, dass der Theismus wahr ist). Etwas Ähnliches entwickle ich in Dumsday, Travis. (Manuskript). Anti-Theism and the Problem of Divine Hiddenness. Man könnte auch noch allgemeiner fragen, ob einige (oder vielleicht sogar sehr viele) Menschen aufgrund ihrer Verderbtheit oder irgendeiner anderen Ursache gar nicht zu einer Gemeinschaft mit Gott fähig wären, so dass ein liebender Gott diese aufschiebt. Howard-Snyder, Daniel. 1996. „The Argument from Divine Hiddenness“, entwickelt eine Idee, die in diese Richtung geht.

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Wenn uns die Beziehung zu Gott aus Gründen der Gerechtigkeit verwehrt bleibt (ich betone nochmals, dass dies nicht notwendig als Strafe verstanden werden muss, sondern nur als etwas, was wir verdienen), warum sollte uns dann nicht auch aus Gründen der Gerechtigkeit die Erkenntnis seiner Existenz verwehrt werden? Oder warum sollte Gott es nicht zulassen, dass wir (wie das Modell B annimmt) in Unkenntnis verbleiben? Vielleicht verdienen wir es schlicht und ergreifend, dass uns bestimmte Güter verwehrt bleiben, darunter auch gewisse Erkenntnisse, und diese wäre dann eine davon. Einwand 3: Wenn uns das endgültige Wohlergehen aufgrund unserer moralischen Verderbtheit verwehrt bleibt, hätte Gott nicht zulassen dürfen, dass wir so verdorben werden. Es mag angemessen sein, dass Gott einige Übel zulässt. Aber er sollte nicht Übel zulassen, die das Erreichen unseres endgültigen Ziels verhindern.

Weiter oben habe ich vorausgesetzt, dass Gott moralische Übel zulassen kann, ohne dies näher zu begründen. Der Einwand ließe sich auch so interpretieren, dass er nicht exakt auf diese Annahme zielt, sondern eher auf eine Umschreibung derselben. Dann würde eingeräumt, dass Gott zwar einige moralische Übel berechtigterweise zulässt, dass ein liebender Gott aber spätestens dann den Stecker ziehen würde, wenn ein moralisches Übel so schlimm ist, dass es uns vom Erreichen unseres endgültigen Wohlergehens abhält. Würde das „Ziehen des Steckers“ so weit gehen, dass dabei unsere Freiheit aufgehoben wird? Wenn dem so wäre, scheint es vielen nicht unmittelbar einzuleuchten, dass Gott dazu verpflichtet wäre (insbesondere wenn man davon ausgeht, dass wir ein Recht auf Autonomie haben). Als selbstverständlich wird dabei die Annahme vorausgesetzt, dass eine Version des Arguments der Willensfreiheit funktioniert. Wenn dem so ist, hat der Einwand wenig Gewicht. Einwand 4: Vielleicht ist ein generischer Theismus nicht vom Problem der Verborgenheit Gottes betroffen, wohl aber ein spezifisch christlicher Theismus. Dieser behauptet nämlich, dass Gott uns Vergebung in Aussicht stellt und eine Beziehung mit uns sucht. Aus dieser Sicht würde Gott gegenwärtig keinen nicht-widerstrebenden Nicht-Glauben zulassen.

Das Christentum liefert eine Geschichte, wie Gott die Forderungen von Liebe und Gerechtigkeit in Einklang gebracht hat, so dass wir, die wir es eigentlich verdienen, von seiner Gegenwart ausgeschlossen zu werden, Erlösung und Vergebung erhalten und in seine Gegenwart aufgenommen werden können. Es könnte daher der Eindruck entstehen, das Christentum sei für das Verborgenheitsproblem anfälliger als ein generischer Theismus. Das Christentum nennt allerdings auch zusätzliche Gründe, warum Gott einen nicht-widerstrebenden

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Nicht-Glauben zulassen könnte. Die christliche Theologie kennt außerdem eine Fülle von Dogmen, die für das vorliegende Problem relevant sind und einem nur generischen Theismus nicht zur Verfügung stehen. Dazu zählt z. B. die Idee, wonach Vergebung möglich ist, aber subjektiv nur durch den Glauben angeeignet werden kann, wobei Glauben (zumindest nach dem Verständnis eines Großteils der traditionellen Theologie) die Möglichkeit vernünftigen Zweifels beinhaltet. (Es gibt wichtige Gründe, warum Glauben das Mittel ist, wodurch Vergebung subjektiv angeeignet wird). Kurz, wenn man versucht, das Problem der Verborgenheit Gottes von einem Einwand gegen jeden einigermaßen entwickelten Theismus zu einem Einwand speziell gegen das Christentum zu machen, könnte das nach hinten losgehen, weil das Christentum zusätzliche Ressourcen zur Verfügung stellt, um das Problem anzugehen.24 Einwand 5: Dem Argument scheint ein ziemlich düsteres Bild der Menschheit zugrundezuliegen. Sind wir tatsächlich so verdorben, dass wir den Ausschluss aus der Gemeinschaft mit Gott verdienen? Selbst wenn die meisten von uns so verderbt sein sollten, gibt es dann nicht wenigstens einige, die sich ihr entziehen könnten? Sollte es dann aber da draußen nicht einige Menschen mit einer direkten Erkenntnis der Existenz Gottes geben? Wenn ja, wo sind sie?

Die Antworten auf die Fragen, wie verderbt der typische Erwachsene ist und was aus seiner Verderbtheit resultiert, sind in der Tat umstritten. Die diesbezüglichen Intuitionen gehen auseinander. Man bedenke, in welchem Ausmaß die Intuitionen über Strafe in den Debatten der angewandten Ethik auseinandergehen. Alle moralisch einsichtsfähigen Menschen sind davon überzeugt, dass Mord ein gravierendes moralisches Vergehen ist. Trotzdem gibt es einen weitverbreiteten Dissens darüber, welche Strafe für Mord angemessen ist. Auch unter kompetenten Ethikern gibt es eine anhaltende Debatte über die Todesstrafe. Aus diesem Grund überrascht auch dieser Dissens nicht. Ich neige zu der Ansicht, dass unsere Verderbtheit gravierend ist, obwohl es natürlich Grade der Verderbtheit gibt und einige von uns schlechter sind als andere. Ich neige außerdem zu der Ansicht, dass wir angesichts des immensen moralischen Unterschieds zwischen jeder Verderbtheit unsererseits und der absoluten moralischen Vollkommenheit Gottes gerechterweise auch dann von einer Beziehung mit Gott ausgeschlossen würden (und möglicherweise auch von der Erkenntnis seiner Existenz), wenn wir wesentlich 24 Zur Diskussion einiger weiterer christlicher Lehren, die sich möglicherweise anwenden lassen, vgl. Dumsday, Travis. 2013. „A Thomistic Response to the Problem of Divine Hiddenness“, American Catholic Philosophical Quarterly 87, S. 365–377.

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weniger verderbt wären, als wir es tatsächlich sind. Ich räume allerdings auch ein, dass beide Annahmen umstritten sind.25 Die hier wichtigere Frage lautet jedoch nicht, wer im Hinblick auf die Natur und das Ausmaß unserer Verderbtheit recht hat, sondern was aus dem Dissens für die Dialektik um das Problem der Verborgenheit Gottes resultiert. Wenn ich richtig liege, muss der Verteidiger des Problems zeigen, dass wir nicht wirklich sehr verderbt sind und/oder dass das Ausmaß der Verderbtheit mit einer Gemeinschaft mit Gott vereinbar wäre. Soweit man diesbezüglich unterschiedlicher Meinung sein kann, scheitert das Problem der Verborgenheit Gottes als ein positives Argument für den Atheismus. Anders formuliert, wenn die relevanten moralischen Intuitionen tatsächlich vage sind, trägt das Nicht-anders-verdient-Argument, sofern es eine Verteidigung und keine Theodizee sein soll, den Sieg davon. Einwand 6: Wie steht es um Menschen, die in moralischer Hinsicht nicht vorbildlich sind, die dies sogar zugeben, und trotzdem behaupten, in direktem Kontakt mit Gott zu stehen? Religiöse Erfahrungen sind in der Tat unter allen Bevölkerungsgruppen verbreitet.

Das trifft tatsächlich zu. Religionssoziologische und –psychologische Studien zeigen übereinstimmend, dass mehr als 30 Prozent der Bevölkerung im Laufe des Lebens eine intensive religiöse Erfahrung machen und dass eine beträchtliche Anzahl zwei oder mehr solcher Erfahrungen macht.26 Diese Statistiken könnten natürlich den Vertretern des Verborgenheitsproblems zu denken geben. Sie könnten zeigen, dass Gott gar nicht so verborgen ist, wie sie annehmen. Abgesehen davon: Wenn Vertreter des Problems behaupten, aus derar25 Ein anonymer Gutachter hat im Hinblick auf unsere Unwürdigkeit selbst im Fall eines weniger verderbten Zustands Folgendes geschrieben: „Der Autor scheint nichts zu haben, womit sich die logische Schlussfolgerung vermeiden ließe, dass es jedes endliche Geschöpf verdient, von Gott ausgeschlossen zu werden, auch wenn sein Leben moralisch vollkommen ist (oder vielleicht ein einziges Mal nicht so dankbar war, wie es hätte sein sollen). Vielleicht ist dem so. Einige meiner protestantischen Freunde gehen davon aus. Aber wenn dem so ist, hätte es explizit gemacht werden sollen.“ Ich würde nicht behaupten, dass ein Mangel an moralischer Vollkommenheit das Gleiche ist wie eine moralische Verderbtheit. Einige traditionelle Interpretationen der Geschichte von Adam und Eva gehen davon aus, dass sie nicht in einem Zustand vollkommener Rechtschaffenheit erschaffen wurden, sondern mit einer gewissen Offenheit für moralische Entwicklung (wie selbstverständlich auch für moralische Verderbnis). Obwohl sie nicht vollkommen waren, hatten sie aber dennoch Gemeinschaft mit Gott. Meiner Ansicht nach ist nicht Vollkommenheit, sondern das Fehlen einer gravierenden Verderbtheit für eine solche Gemeinschaft erforderlich. Soweit wir wissen, könnte die Messlatte für gravierende Verderbtheit höher liegen als wir meinen. 26 Einen präzisen Überblick über Daten, die international in den vergangenen 45 Jahren gesammelt wurden, bieten z. B. Hill, Peter C., Hood, Ralph W. und Spilka, Bernand. 2003. The Psychology of Religion: An Empirical Approach (Guilford), S. 299–312.

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tigen Erfahrungen resultieren Probleme für das Nicht-anders-verdient-Argument, ließe sich ihnen folgendes Dilemma entgegnen: Wenn die Erfahrungen als authentisch betrachtet werden, stellen sie gute Evidenzen für den Theismus dar, wodurch das Verborgenheitsargument deutlich geschwächt wird. Wenn sich nachweisen lässt, dass sie nicht authentisch sind, stellen sie für das Nicht-anders-verdient-Argument auch kein Problem dar. Dasselbe ließe sich von denjenigen behaupten, die über keine intensiven religiösen Erfahrungen verfügen, sondern lediglich behaupten, in einer wirklichen Beziehung zu Gott zu stehen. Wenn ihre Behauptung glaubwürdig ist, spräche dies gegen das Verborgenheitsargument. Andernfalls ergibt sich daraus kein Problem für das Nicht-anders-verdient-Argument.

5. Schlussfolgerung Ich fasse nochmals zusammen: Soweit wir wissen, unterlässt es Gott angemessenerweise, sich uns zurechnungsfähigen Erwachsenen (oder zumindest der überwiegenden Mehrheit von uns, die wir keine Heiligen sind) zu offenbaren aufgrund der Tatsache, dass wir es nicht verdienen, in Gemeinschaft mit ihm zu treten. Dieser Ausschluss lässt sich als gerechte Strafe für gravierendes Fehlverhalten begreifen, aber auch als etwas, das wir verdienen. Die Gemeinschaft mit Gott wäre ein großes Privileg, das uns aber vorenthalten wird, weil wir sie nicht verdienen. Soweit wir wissen, erkennen Heilige, wenn es sie gibt, Gott, während die Unwissenheit von Kindern angemessen ist, weil sie die Gemeinschaft mit Gott noch nicht verdient haben oder weil sich ihre Erkenntnis, wenn sie ihnen gewährt würde, unweigerlich bei Erwachsenen herumsprechen würde, die ihrer aber moralisch nicht würdig sind. Reicht die vorliegende Formulierung des Nicht-anders-verdient-Arguments aus, um mit dem Problem der Verborgenheit Gottes zurechtzukommen? Ich bin mir nicht sicher, neige aber zu der Ansicht, dass man das Problem der Verborgenheit Gottes ähnlich wie das Problem des Übels am besten mit einem breit angelegten kumulativen Argument angeht, das auf mehrere voneinander unabhängige, aber miteinander vereinbare Argumentationsstränge zurückgreift. Das Nicht-anders-verdient-Argument scheint mit vielen gängigen Antworten vereinbar zu sein (z. B. mit Swinburnes Argument der Verantwortlichkeit,27 dem Argument der Willensfreiheit, das er – wie

27 Swinburne, Richard. 2004. The Existence of God, 2. Aufl. (Clarendon Press); 1998. Providence and the Problem of Evil (Clarendon Press).

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auch Hick28 und Murray29 – vertritt). Die genauen Konturen dieses kumulativen Arguments muss die zukünftige Diskussion klären.30

28 Hick, John. 1981. „Soul-Making Theodicy“. 29 Murray, Michael J. 2002. „Deus Absconditus“, in: Daniel Howard-Snyder und Paul Moser (Hrsg.), Divine Hiddenness: New Essays (Cambridge Univ. Press), S. 62–82. 30 Ich bedanke mich bei zwei anonymen Gutachtern von Faith and Philosophy und beim He­ raus­geber Thomas Flint für viele hilfreiche Anregungen und Korrekturen.

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Kognitive Götzenverehrung und göttliches Verbergen Paul Moser Gibt es so etwas wie Jüdisch-Christliche Philosophie? Vermutlich. Oder zumindest: Warum nicht? Spielarten der Philosophie gibt es heutzutage wie Sand am Meer. Gibt es aber eine spezifisch Jüdisch-Christliche Erkenntnistheorie oder Theorie des Wissens? Nun, auf diese Frage scheint es keine so leichte Antwort zu geben. Von einem kognitiven Standpunkt aus gesehen betrifft diese Frage die Art, wie wir genau zu Gott, dem ursprünglich Wissenden, stehen. Die Implikationen dieses Themas sind, wie wir sehen werden, durchaus tiefgründig. Fragen zur Erkenntnis Gottes hängen von Fragen ab, welche Art von Gott wir dabei im Kopf haben. Die zu einer theistischen Erkenntnistheorie passende Art von Gott macht hier den relevanten Unterschied. Reden wir über den dürftigen, domestizierten Gott des Deismus, des philosophischen Theismus oder des liberalen Christentums? Oder reden wir über den verurteilenden und aufrichtig liebenden Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs, und Jesu? Letzterer ist der barmherzige, aber schwer fassbare persönliche Gott, der ein verzehrendes Feuer gegen das Böse ist. Dies ist auch der Gott, dessen Liebe für alle ein göttliches Leiden für uns erfordert, sogar im Kreuz des Gottessohns, um uns gänzlich im göttlichen Bild der Heiligkeit und der sich selbst verschenkenden Liebe neu zu gestalten. Im Zurückschrecken vor letzterem, robustem Gottesbegriff zugunsten eines bloßen Theismus vernachlässigen Philosophen und Theologen die charakteristischen erkenntnistheoretischen Ressourcen des Jüdisch-Christlichen Theismus. Sie verfehlen damit aber den wahren Kern der Gotteserkenntnis. Das Ergebnis davon ist eine Erkenntnistheorie des Theismus, die es verabsäumt, Erkenntnissubjekte auf die Art herauszufordern, die erforderlich wäre: nämlich im Zusammenhang mit menschlicher Götzenverehrung. […] Früher oder später werden Philosophen mit der Frage konfrontiert, ob Gott existiert. Indem sie dies tun, schließen sie sich dem Rest der Menschheit an, einen Sachverhalt von höchster Wichtigkeit zu betrachten. Vorsicht aber vor Philosophen, die ein theologisches Talent mit sich bringen, da ein solches Talent seinen Preis hat. Dieser Preis beeinflusst die Haltung, insbesondere die Erwartungen, im Hinblick auf Gott auf eine Art und Weise, die ungeprüft bleibt oder gar unhaltbar ist. Deshalb ist es wichtig, sich folgende Frage zu stellen: Was sind unsere Erwartungen bezüglich Gott? Diese Erwartungen bestimmen größtenteils unsere Verpflichtungen Gott gegenüber und somit können sie mehr über uns, auch über unsere eigenen Werte, als über Gott

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selbst aussagen. Außerdem können solche Erwartungen uns davon abhalten, die notwendigen Augen zum Sehen und Ohren zum Hören für eine genuine Offenbarung Gottes zu haben. Erwarten wir bestimmte Dinge von Gott (sofern Gott existiert), sodass, wenn diese Dinge offensichtlich nicht eintreten, Gottes Existenz oder Autorität in Frage gestellt wird? Erwarten wir beispielsweise, dass Gott uns kognitiv mit Zeichen und Wundern oder Träumen und ekstatischen Erfahrungen versorgt? Wie auch immer, was, wenn überhaupt, begründet unsere Erwartungen bezüglich Gott? Vielleicht stehen unsere Erwartungen im Widerspruch zu Gottes eigenem Ziel, uns freiwillig dazu zu bringen, Gott (anstatt falscher Götzen) anzuerkennen und dankbar zu vertrauen als grundlegendem Ursprung unseres Gedeihens. Wir werden sehen, wie die Natur des Jüdisch-Christlichen Gottes spezielle Implikationen für bekannte Fragen zu Gottes Existenz und seinem Verbergen sowie kognitiver Götzenverehrung enthält.

1. Rationalität und Gott Für Philosophen führt u. a. die unverdächtig erscheinende ontologische Frage, ob Gott existiert, schnell zur stacheligen erkenntnistheoretischen Frage, ob es für uns rational sei, an Gottes Existenz zu glauben. Auch wenn letztere Frage verbreitet ist, verlangt sie unmittelbar die Beachtung der heiklen Begriffe „rational“ und „Gott“. Der Begriff „rational“ beinhaltet so etwas wie überlegte Rationalität (in Bezug auf das, was vernünftig im Glauben oder Handeln ist), moralische Rationalität (in Bezug auf das, was moralisch gut, richtig oder lobenswert im Glauben oder Handeln ist) und epistemische Rationalität (in Bezug auf die Art und Weise einer angemessenen Berechtigung [warrant – Anm. d. Übers.] des Wissens, dass eine Überzeugung wahr ist). Weitere Arten der Rationalität wetteifern um unsere Aufmerksamkeit, aber wir werden uns hier mit epistemischer Rationalität beschäftigen, also mit der Art von Rationalität, die für Wissen passend ist.1 Hier sei auch festgehalten, dass epistemische Rationalität nicht die Art eines deduktiv gültigen Beweises erfordert, der kennzeichnend für Logik und Mathematik ist. Ansonsten gäbe es nicht viel Rationalität oder Wissen in den Wissenschaften oder in der alltäglichen Entscheidungsfindung. In vielen Fällen hängen epistemische Rationalität und somit auch Wissen nicht von einem deduktiven Beweisverfahren, sondern von einem Schluss auf die beste verfügbare Erklärung angesichts einer ganzen Bandbreite an Belegen ab, die wir in Erfahrung und Reflexion vorfinden. Ebenso könnte die epistemisch rationale Überzeugung, dass Gott existiert, davon abhängen, ob die 1

Hierzu siehe Moser, Paul K. 1989. Knowledge and Evidence (Cambridge Univ. Press), Kap. 5, sowie Moser, Paul K. 1993. Philosophy after Objectivity (Oxford Univ. Press), Kap. 4.

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These der Existenz Gottes eine unverzichtbare Rolle in der besten verfügbaren Erklärung angesichts unserer ganzen Bandbreite an Erfahrungen und Überlegungen spielt. Indem wir kognitiv auf das beste Ergebnis in einer Untersuchung abzielen, streben wir oft nach wahren Überzeugungen, die zur besten verfügbaren Erklärung der Welt beitragen, einschließlich der ganzen Bandbreite an Erfahrungen. Der Begriff „Gott“ wurde verwendet, um den mythischen Zeus aus Griechenland ebenso zu kennzeichnen wie den unbändigen Thor aus Skandinavien oder den erbärmlichen Jim Jones von Guyana bis hin zum auf rechte Weise gnädigen Jahwe aus Israel. Deshalb bedarf dieser Begriff dringend einer Verfeinerung. Um bei einer vertrauten theistischen Tradition zu bleiben, verwenden wir den Begriff „Gott“ als einen höchsten Titel. Dieser erfordert von seinem Träger: (a) Würdigkeit der Anbetung und volle Hingabe, und deshalb (b) moralische Perfektion und (c) einen allliebenden Charakter. Dies löst nicht das Problem, ob Gott tatsächlich existiert, weil diesem Titel auch niemand entsprechen könnte. Der Begriff könnte eine Bedeutung haben, ohne aber etwas zu bezeichnen. Da Gott anbetungs- und unbedingt vertrauenswürdig sein muss, muss Gott insgesamt moralisch gut sein, also ein Gott unermüdlicher Rechtschaffenheit. Ein moralisch korruptes allmächtiges Wesen würde vermutlich unsere Angst verdienen, aber wäre nicht anbetungs- und unbedingt vertrauenswürdig. Deshalb kann nicht einfach jeder unzähmbare Tyrann die Beschreibung für „Gott“ erfüllen. Sogar ein allmächtiges Wesen, das gänzlich gerecht oder fair, aber dennoch lieblos ist, wäre hierfür nicht geeignet. Ein Wesen, das anbetungs- und voll vertrauenswürdig wäre, muss gänzlich barmherzig sein; ansonsten würde eine moralische Verfehlung in Kontrast dazu stehen. Darum muss Gott allumfassende Barmherzigkeit haben und deshalb für das moralische Gut von all jenen, die Hilfe benötigen, zu leiden bereit sein. Dies ist wahr, und zwar unabhängig davon, ob alle oder die meisten Menschen die Hilfe Gottes akzeptieren.2 Haben wir irgendwelche Belege einer solchen barmherzigen Handlung, jetzt oder in der Vergangenheit? Wenn die Weltgeschichte mit gebotener Vorsicht und Offenheit untersucht wird, finden wir, dass ein plausibler Kandidat für diese Beschreibung eines allbarmherzigen Gottes Jahwe ist, der Gott des Jüdisch-Christlichen Theismus und der erklärte Vater dieses störenden jüdischen Außenseiters namens Jesus von Nazareth. Wir können trotzdem anerkennen, dass einige dem Namen nach erklärte Anhänger Jahwes grausame Befehle und Handlungen Jahwe zugeschrieben haben, obwohl sie damit ihre eigennützigen 2

Über Gottes Leiden und dessen Beziehung zur göttlichen Liebe, siehe Fiddes, Paul. 1988. The Creative Suffering of God (Clarendon Press) und Fretheim, Terence. 1984. The Suffering of God (Fortress Press), Kap. 9.

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Ziele verfolgten.3 Wir können deshalb einräumen, dass die Geschichte des namentlichen Judentums und Christentums daran scheitert, Jahwe durchwegs als allbarmherzig darzustellen. Allerdings zerstören schlechte Nachahmungen nicht das eigentliche Original.

2. Gott, Erklärung und moralische Exzellenz Wenn wir uns der Berechtigung für die Anerkennung des Jüdisch-Christlichen Gottes zuwenden, sollten wir beachten, dass Gottes Existenz möglicherweise eine wesentliche Rolle in einer verfügbaren besten Erklärung der Welt spielt, einschließlich unserer eigenen Herkunft und unserer Stellung in der Welt. Gottes Existenz könnte das, was Bertrand Russell „das unerschöpfliche Mysterium der Existenz“ der Welt genannt hat, beseitigen.4 Die erste nach einer Erklärung verlangende Frage ist: Warum gibt es eine materielle Welt und nicht vielmehr gar keine solche Welt? Eine nächste derartige Frage ist: Warum gibt es die gegenwärtige naturgesetzlich bestimmte materielle Welt, die zu einem gewissen Grad das Entstehen moralischer Handelnder, wie es menschliche Personen sind, ermöglicht, als vielmehr eine Welt, die sich davon deutlich unterscheidet? Es hätte vielleicht eine Welt voller chaotischer Ereignisse, etwa fehlerhafter Feuerwerke, und sonst gar nichts geben können. Es ist offensichtlich, dass eine materiell beschaffene Welt für die Entstehung menschlicher Personen nicht günstig sein muss. Das Bestehen zielgerichteter Absichten des Jüdisch-Christliches Gottes kann plausible Antworten auf wichtige nach einer Erklärung verlangende Fragen geben und somit Russells vermeintliches unerklärbares Mysterium der Existenz der Welt beseitigen. Die Existenz Gottes als Schöpfer und Erhalter der Welt kann ein entscheidender Bestandteil in einer möglichen besten Erklärung sein, etwa für Fragen wie: (a) Warum gibt es eine materielle Welt und nicht vielmehr keine, und (b) warum gibt es die gegenwärtige naturgesetzlich bestimmte materielle Welt, die in einem gewissen Ausmaß das Entstehen menschlicher Personen ermöglicht, anstatt einer signifikant davon verschiedenen Welt?5 Als allmächtiger und kreativer Akteur verfügt Gott über zielgerichtete kausale Kräfte, die sich in der benötigten Erklärung abbilden und dadurch Russells Mysterium aufheben. 3 4 5

Für reichliche Belege hierfür, siehe Hanson, Norwood R. 1971. What I Do Not Believe and Other Essays (Reidel). Russell, Bertrand. 1957. „A Free Man’s Worship“, in: Bertrand Russell (Hrsg.), Mysticism and Logic (Doubleday), S. 44–54. Für Diskussionen der theistischen Relevanz von (b), siehe Forrest, Peter. 1996. God without the Supernatural: A Defense of Scientific Theism (Cornell Univ. Press), Kap. 2; vergleiche auch Miller, Kenneth. 1999. Finding Darwin’s God (Harper-Collins), Kap. 7–8.

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Obwohl Gottes Existenz das Mysterium der Existenz der Welt aufzuheben mag, wird es nicht alle Mysterien der Existenz beseitigen. […] Demgemäß ersetzen Theisten das Mysterium der Existenz der Welt mit dem Mysterium der Existenz Gottes (was nicht mit dem schlecht formulierten Problem über den Ursprung der Existenz Gottes verwechselt werden darf). Man kann sich plausibler Weise darüber wundern, was Theisten hier eigentlich gewinnen. Selbst wenn theologische Mysterien schmackhafter erscheinen als kosmologische, so sind es dennoch Mysterien, und es nimmt der Erklärungskraft des Theismus den Wind aus den Segeln. Eine ähnliche Lektion folgt aus der bekannten These der notwendigen Existenz Gottes. Gemäß dieser These kommen wir wiederum zu einem Punkt, wo uns die Erklärungen ausgehen, wo Ontologie die verfügbaren Erklärungen übersteigt. Auch Anhänger der Notwendigkeitsthese Gottes müssen eingestehen, dass manche Aspekte der theistischen Ontologie keine Erklärungen haben. Mysterien hetzen in der Tat den Theismus. Dennoch ist dadurch nicht jegliche Erklärungskraft verloren. Einige wichtige erklärungsbedürftige Fragen beziehen sich auf uns als moralische Akteure. Warum gibt es beispielsweise solche sich selbst-bestimmende Wesen wie menschliche Personen mit der erstaunlichen Fähigkeit, freie bewusste Handlungen zu vollziehen? Wohl oder übel handeln wir oft im Lichte von Absichten, um unsere Ziele zu erreichen, und wir unterscheiden uns dabei entscheidend von der unbewussten materiellen Welt.6 […] Warum gibt es also überhaupt solche erstaunliche Wesen wie freie, selbstbestimmte, menschliche Akteure? Diese Frage zielt darauf ab, warum solche Wesen zuallererst entstanden sind, nicht warum sie immer noch existieren. Zudem betrifft es primär die psychologische denn die biologische Konstitution solcher Wesen. Womöglich war ihr Auftreten ein unglaublicher Zufall der Natur ohne intelligente Führung. Die Anerkennung des Jüdisch-Christlichen Gottes ermöglicht uns dagegen, diese ansonsten mysteriöse Frage auf eine Art zu beantworten, die zumindest kohärent ist. Gemäß dem Jüdisch-Christlichen Theismus hat Gott, vielleicht auch indirekt, Wesen im Ebenbild Gottes mit bewusster freier Handlungsfähigkeit erschaffen, um diesen Wesen damit eine liebende Beziehung zu Gott und untereinander zu ermöglichen. Ein solcher Theismus bejaht, dass wir Zweit-Schöpfer sind, die nach dem Bild des ursprünglichen Schöpfers ins Dasein gerufen wurden. 6

Über die Bestandteile intentionaler Handlungen, siehe Mele, Alfred und Moser, Paul. 1994. „Intentional Action“, Noûs 28, S. 39–68.

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Wie bereits erwähnt, könnten wir selbstverständlich auch ein Zufallsprodukt einer blinden gleichgültigen Natur sein, oder aber wir könnten auch unser ganzes Leben lang nur träumen. Nicht-Theisten, die einen Ausweg im Zufall suchen, wie etwa Russell, zeigen ihrerseits eine Bereitschaft, ein erhebliches Vertrauen in die innerweltliche Schaffenskraft des Zufalls zu stecken, um somit eine Akzeptanz der Existenz Gottes zu vermeiden. Somit ergibt sich hier ein Sprung des Glaubens auf umgekehrte Weise, wodurch sich Theoretiker auf den Zufall als Grund der Welterschaffung berufen, trotz einer verbreiteten Meinung, dass ein solcher Sprung (nur) den Theismus beträfe.7 Der wahre moralisch vollkommene Gott würde immer danach suchen, was für uns moralisch am besten ist und uns so eine Gelegenheit bieten, ohne Zwang Gottes Art von moralischer Güte zu erreichen. Gott wäre, in anderen Worten, ein Erlöser, der es uns durch Wissen über Gott ermöglicht, von unseren moralischen Mängeln ohne Zwang gerettet zu werden und damit moralisch gut wie Gott zu werden. In dieser Hinsicht würden wir befähigt, an Gottes moralischer Natur teilzuhaben. Diese Gelegenheit, grundsätzlich moralisch zu sein, wäre volitional und nicht nur intellektuell verfasst. Sie würde uns ermöglichen, unseren Willen und nicht nur unseren Intellekt (also unsere Gedanken und Überzeugungen) zu transformieren. Die Art von Wissen über Gott, die der wahre Gott schätzt, würde demzufolge viel mehr unsere volitionale als nur unsere intellektuelle Seite umgestalten. Es würde eine Veränderung des Willens bzw. der willentlichen Orientierung betreffen, die über ein Bilden von Überzeugungen sowie Betrachtung, Einsicht, Erleuchtung und Sinneserfahrung hinausgeht. Wissen über Gott wäre in der besagten moralischen Umgestaltung bedeutsam. Es würde auf angemessene Weise persönlich als auch psychologisch diejenigen, die umgeformt worden sind, zur personalen Quelle ihrer Umformung in Beziehung setzen. Der Apostel Paul begründet christliches Erkennen von Gott dementsprechend in einer neuen Versöhnung mit Gott (siehe 2 Kor 5:16–19). Er kontrastiert solches Wissens auch mit dem „Wissen aus dem Fleisch“, also einem Wissen, das von einer solchen angemessenen moralischen Transformation unberührt ist.8 Moralische Exzellenz in Beziehungen zwischen Akteuren erfordert hingebungsvolles Mitgefühl und interpersonales Vertrauen im Hinblick auf das Ziel der moralischen Gutheit aller Beteiligten. Jegliches Wesen, das es wert 7 8

Für eine Übersicht einiger relevanter empirischer Belege und sachdienlicher Hinweise, siehe Schroeder, Gerald. 1997. The Science of God (Free Press), Kap. 2. Über das Thema der Versöhnung mit Gott im Neuen Testament, siehe Martin, Ralph. 1981. Reconciliation (John Knox Press); Stuhlmacher, Peter. 1986. Reconciliation, Law, and Righteousness (Fortress Press) und Farmer, Herbert H. 1998. Reconciliation and Religion, hrsg. von Christopher H. Partridge (Edwin Mellen).

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wäre, den herausragenden Titel „Gott“ zu tragen, muss konsequent derartiges Mitgefühl und Vertrauen fördern. Der wahre Gott muss dementsprechend darauf abzielen, Akteure, die charakteristischer Weise sich selbst im Blick haben, wie das etwa für Menschen typisch ist, in moralisch neue Menschen umzugestalten, und zwar erneuert nach dem selbstlosen Charakter Gottes. Mit diesem Ziel vor Augen müssen wir Menschen Handelnde für ein Reich Gottes werden, das angeblich allen offensteht, anstatt Handelnde zugunsten unseres eigenen exklusiven Reichs zu sein. Als moralisch vollkommen muss der wahre Gott in der Menschheitsgeschichte wirken, um freie menschliche Handelnde zu ermutigen, Gottes moralische Exzellenz durch Gotteserkenntnis und Gottes Güte zu suchen. […] Die Geschichte des antiken Israels, insbesondere seine prophetische Tradition, weist Muster menschlichen Verhaltens und von Geboten auf, die moralisch außergewöhnlich sind.9 Diese Muster werden wohl am besten durch die alttestamentliche Sichtweise erklärt (nahegelegt beispielsweise in Gen 12:3, 22:15–18, 28:13–14), dass ein ernsthaft moralisch liebender Gott eine bestimmte Gruppe von Personen auserwählt hat, um auf diese Weise alle Nationen der Erde moralisch und spirituell zu transformieren. (Hier und im Folgenden meine ich mit „ernsthaft moralisch“ eine genuin uneigennützige Fürsorge für das moralisch Gute anderer.) Im antiken Israel finden wir historische, wenngleich fehlbare Belege eines Erlösergottes, der bemüht ist, eine bescheidene Stammesgruppe von ihren selbstzerstörerischen Wegen zu befreien und als Gemeinschaft zu ermutigen, andere dazu zu bewegen, sich diesem Gott in der Hoffnung auf Erlösung zuzuwenden.10

3. Theismus: Dünn und Robust Womöglich spielt der Jüdisch-Christliche Theismus eine wesentliche Rolle in einer besten Erklärung der Welt, einschließlich uns selbst, und erhält so eine epistemische Berechtigung. Diese Auffassung ist plausibel und ich unterstütze sie. Diese Auffassung würde aber höchstens einen kognitiv dünnen Theismus hervorbringen: die Auffassung, dass es zumindest für einige Menschen epistemisch vernünftig ist, zu glauben, dass Gott existiert. Ein solcher Theismus ist tatsächlich dünn, insofern selbst bekennende Gegner Gottes vernünftigerweise glauben können, dass Gott existiert und somit sogar einen kognitiv dünnen Theismus befürworten können. Man kann überzeugt 9

Dazu siehe Heschel, Abraham. 1962. The Prophets (Harper and Row) und von Rad, Gerhard. 1965. Old Testament Theology, Vol. 2: The Theology of Israel’s Prophetic Traditions (Harper and Row). 10 Dazu siehe Herberg, Will. 1951. Judaism and Modern Man (Jewish Publication Society), Kap. 17–19, und Hanson, N. R. 1971. What I Do Not Believe and Other Essays.

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sein, dass Gott existiert, aber Gott hassen. Wie es etwa im Jak 2:19 heißt, glauben sogar die Dämonen an Gott und erschaudern vor ihm. Unsere wesentliche Schwäche hinsichtlich Gott sind nicht das Erklärungsvermögen und die intellektuellen Fähigkeiten, sondern unsere moralische Orientierung hinsichtlich Autori­tät oder Herrschaft [lordship – Anm. d. Übers.] über unser Leben. Wenn man aufrichtig Versöhnung wünscht, so würde der wahre Gott sich nicht mit einem dünnen Theismus zufrieden geben, sondern einen kognitiv robusten Theismus fördern: die Auffassung, dass wir unter epistemischer Rücksicht liebend an Gott glauben oder auf ihn vertrauen als Herr über unser Leben. Ein kognitiv robuster Theismus impliziert einen kognitiv dünnen Theismus, aber verlangt eine existentielle Verpflichtung an einen persönlichen Gott als Herr, der über einen vernunftbasierten Glauben an Gottes Existenz hinausgeht. Ein solcher Gott als Herr entspringt nicht der Schluss­folgerung eines Arguments, sondern ist der persönliche Ermögli­chungsgrund, ein entsprechendes Argument vorzubringen. Unser Anerkennen Gottes als persönlichen Herrn versöhnt uns mit Gott insofern, als es von uns verlangt, dankbar Gott als oberster moralischer Autorität für unser Leben zu vertrauen. In diesem Wissen bestätigen wir unsere moralische Verantwortung Gott gegenüber und vertrauen sogar Gott als dem höchsten moralischen Wegweiser. Dieses Wissen ist nicht eine Frage bloßer berechtigter Zustimmung. Es beinhaltet vielmehr eine Erkenntnis von Gott als Herrn in der zweiten Person, als moralisch überlegenes „Du“ und nicht nur als ein Objekt menschlichen Wissens, das keine Ansprüche an uns richtet. Die Herrschaft Gottes geht mit höchster moralischer Führung einher, und moralische Führung schließt den Ruf nach moralischer Verantwortung und Ausrichtung mit ein. Es handelt sich um einen Ruf nach moralischer Neuorientierung und Transformation, sofern er an egoistisch gesinnte Adressaten gerichtet ist. Gott als Herrn zu erkennen verlangt eine aufrichtige Verpflichtung unsererseits Gott gegenüber auf folgende Weise: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe“ und „Nicht mein, sondern dein Reich komme.“ Dieses Erkennen folgt den Weg des Martyriums über Gethsemane bis ans Kreuz, da es von unserem willentlichen Feingefühl und der Unterwerfung unter den Willen Gottes abhängt. Wahrlich lernen wir Gott nicht durch unsere eigene kognitive Stärke kennen, sondern vielmehr durch unsere durchgehende Schwäche im Vergleich zum Vorrang des Willens Gottes.11 Ein kognitiv robuster Theismus erkennt an, dass der wahre Gott uns zu einer moralischen Umwandlung auffordert, weg von unserer Ichbezogenheit hin zum selbstlosen liebenden Charakter Gottes. Vielleicht kommt ein 11 Über das wichtige Thema der willentlichen Schwäche im Jüdisch-Christlichen Theismus, siehe Savage, Timothy. 1996. Power Through Weakness (Cambridge Univ. Press) und Dales. Douglas. 1994. Living Through Dying (Lutterworth Press).

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entsprechender Ruf aus dem persönlichen Gewissen, und vielleicht hängt er manchmal von der Botschaft anderer Menschen ab. Aber haben wir überhaupt ein Recht, Gott zu erkennen? Insbesondere, sind wir berechtigt zu wissen, dass Gott existiert, ohne Gott als Herrn zu erkennen, als den moralisch vollkommenen Akteur über unser Leben, einschließlich unseres intellektuellen Lebens? Manche Menschen nehmen dies zwar unkritisch an, aber es ist nicht überzeugend. Wer ist also berechtigt, zu entscheiden, wie man Gott erkennt – Menschen oder Gott? Wenn wir unsere umfassende Unterlegenheit relativ zu Gott betrachten, können wir dann vernünftigerweise Forderungen an Gott stellen bezüglich unserer bevorzugten Weise, Gott zu erkennen? Viele Menschen gehen so vor, als ob wir ein Recht dazu hätten. Dies ist jedoch nichts anderes als eine eigennützige Annahme. Nichts erfordert es, dass Gott Erkenntnis über Gott auf die uns bevorzugte Art bereitstellt. Es ist offensichtlich, dass Gott uns nichts Derartiges schuldet, trotz allgemeiner gegenteiliger Erwartungen. Gott schuldet uns nichts weiter als Treue zu einem liebenden Charakter und die Versprechungen, die aus einem solchen Charakter folgen. Wenn wir ehrlich darüber nachdenken, so sehen wir, dass wir uns nicht in einer Position befinden, Forderungen im Sinne von Belegen an Gott zu stellen, die über eine solche Treue hinausgehen. Nichts erfordert es, dass Gott (i) unser propositionales Wissen, dass Gott existiert, ermöglicht, abgesehen von (ii) unserem kindgemäßen [filial] Wissen über Gott als Herrn und Vater unseres Lebens. Idealerweise entstehen beide Wissensformen gemeinsam, obwohl Philosophen die schlechte Angewohnheit haben, die Schlüsselrolle des kindgemäßen Wissens über Gott zu vernachlässigen. Gott kann allliebend sein, indem er Belege für die Existenz Gottes derart bereitstellt, dass die menschliche Aufnahmefähigkeit für kindgemäßes Wissen über Gott dafür empfänglich wird. Wir haben kein Recht, Belege für die Realität Gottes einzufordern, die uns nicht herausfordern, eine willentliche Umformung hin auf Gottes Charakter durchzumachen. Daher spricht Gottes Verbergen vor einem beliebigen oder gleichgültigen Forscher nicht gegen die Realität der Existenz Gottes. Gottes Wege, unverzichtbares Wissen über Gott mitzuteilen, entsprechen nicht unseren natürlichen Erwartungen. Dies zeigt sich in Gottes überraschendem Angebot der Erlösung durch Gnade anstatt durch Verdienst. […] Die Erkenntnistheorie des Jüdisch-Christlichen Theismus verweigert eine Trivialisierung Gottes als eines anspruchslosen Wissensobjekts für eine bequeme Untersuchung oder Spekulation unsererseits. Es verlangt nach kind-

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gemäßem Wissen über Gott als Herrn, als obersten persönlichen Wegweiser und Geber menschlichen Lebens.12 Dieser Gott ist ein liebender und befehlender Akteur, dem wir letztlich Verantwortung schulden sowie die letzte persönliche Autorität für alles Geschaffene, einschließlich menschlicher Wissenssubjekte. Im kindgemäßen Wissen über Gott haben wir Wissen über ein oberstes persönliches Subjekt, nicht über ein bloßes Objekt für eine zwanglose Betrachtung. Dies ist kein Wissen einer vagen „ersten Ursache“, einer „ultimativen Kraft“, eines „Fundaments des Seins“ oder gar einer „besten Erklärung“. Es ist vielmehr ein sich selbst als schuldig befindendes Wissen von einem persönlichen, in Beziehung tretenden Herrn, der dankbare Hingabe in Form einer Aneignung von Gottes großzügiger Erlösungstat erwartet. […] Kindgemäßes Wissen von Gott versöhnt unser persönliches Wissen, womit wir in eine angemessene Kind-Eltern-Beziehung zu Gott eintreten. Dieses Wissen ist persönlich transformierend, nicht unpersönlich abstrakt oder moralisch wirkungslos. Es wird durch Gottes persönlichen Geist auf eine Art mitgeteilt, die eine umfassende Lebensverpflichtung einfordert. Wissen von einem auf tiefgründige Weise erfassten persönlichen Gott verlangt persönliche Belege (wie etwa den Beleg des [umgestalteten] Willens), nicht bloße unpersönliche Gründe. Dieses Wissen ist deshalb nicht nur eine wahre Schlussfolgerung, die auf der Basis berechtigter Inferenzen beruht. […] Ein persönlicher Herr, der liebt, befiehlt und versöhnt, ist nicht der stille Gott, der uns vielfach in der natürlichen Theologie begegnet. Als Folge davon fehlt in den Jüdisch-Christlichen Schriften durchwegs das, was Philosophen „natürliche Theologie“ nennen. Ein Gott, der auch der Herr ist, muss leiten und deshalb muss er uns zu passenden Zeiten in bestimmte Richtungen lenken. Gott muss also leiten, und dies führt dazu, dass wir für schuldig befunden und verurteilt werden, zumindest für unser früheres Versagen angemessen dankbar oder anderweitig gehorsam Gott gegenüber zu sein. Wir können kein kindgemäßes Wissen über Gott haben, wenn wir auf schwerwiegende Weise unehrlich hinsichtlich unseres moralischen Standpunkts Gott gegenüber sind. Genuine Versöhnung verlangt ein Bewusstsein von der Notwendigkeit der Versöhnung. Gott muss also mit dem Versuch beginnen, uns diese Notwendigkeit bewusst zu machen, indem er unsere Auf12 Über die wichtigen kognitiven und moralische Implikationen von Gott als Person, siehe Farmer, Herbert H. 1935. The World and God (Nisbet Press); Farmer, Herbert H. 1942. Towards Belief in God (S.C.M. Press) 1942 und Oman, John. 1917. Grace and Personality (Cambridge Univ. Press).

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merksamkeit gegenüber den Verfehlungen einer dankbaren kindgemäßen Beziehung zu Gott weckt. Um des menschlichen Wohls willen muss Gott als Versöhner im Kern unseres Lebens zu wirken versuchen, und nicht nur in der Peripherie. Gott muss also danach streben, von uns gefunden zu werden und uns zu finden, und zwar in einer beträchtlichen Tiefendimension unseres Lebens und nicht bloß auf der Oberfläche unserer Existenz. Die von Gott gesuchte selbst-reflektierende Ehrlichkeit und selbstlose Liebe arbeitet im Kern eines Lebens oder überhaupt nicht. Wir können folglich die Unzulänglichkeit von „Zeichen und Wundern“, Träumen und ekstatischen Erfahrungen sowie abstrakten philosophischen Argumenten als Hauptwege zu Gott sehen. Gott muss uns zu einer Dimension moralischer Tiefe bzw. Ernsthaftigkeit durch das ein oder andere Mittel hinführen, womöglich sogar durch eine Konfrontation mit dem eigenen drohenden Tod. Gott führt uns in eine solche Tiefe, indem er uns für unsere gelegentliche Undankbarkeit, moralische Dummheit, eigennützige Gleichgültigkeit, unberechtigten Stolz und selbst-verteidigende Angst verurteilt. Im kindgemäßen Wissen bietet Gott als Versöhner an, uns zu verändern, indem er den starken Kontrast betont zwischen dem, (a) was wir allein sind, und dem, (b) was wir als bereitwillige Teilnehmer an Gottes Programm einer kindgemäßen Versöhnung mit Gott sein können. […] Von Natur aus leisten wir Widerstand, zu einer selbst-reflektierenden moralischen Tiefe in unserem Leben vorzudringen, da dies schmerzhaft ist sowie uns bescheiden und demütig macht. Es kann auch einen Ausschluss durch unsere Bekanntschaften bedeuten, wenn die Folgen sozial herausfordernd oder heikel sind. Zudem wollen wir üblicherweise am Ende nur uns selbst gegenüber verantwortlich sein und unseren eigenen bevorzugten moralischen und erkenntnistheoretischen Standards. Wie Thomas Nagel schreibt, bedeutet die Existenz Gottes ein ernsthaftes „kosmisches Autoritätsproblem“ für uns (so sehr, dass Nagel hofft, Gott existiere nicht).13 […] Gott muss als innere verurteilende Autorität und als Garant wirken, der die Menschen auf eine Art qualitativ neu macht, welche die kartesische Gewissheit steril und schwach erscheinen lässt.14 Gottes Geist muss mit unserem Geist bezeugen, dass wir tatsächlich Kinder Gottes sind, dass Gott tatsächlich unser großzügiger Vater ist. Als Versöhner muss Gott eine einzigartige Art der persönlichen Versicherung anbieten, und zwar als Geschenk und nicht 13 Nagel, Thomas. 1997. The Last Word (Oxford Univ. Press), S. 131. 14 Zur Rolle Gottes als verurteilender Autorität und als Garant, siehe Forsyth, Peter T. 1913. The Principle of Authority (Hodder and Stoughton) und Camfield, Frederick W. 1934. Revelation and the Holy Spirit (Scribner).

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als Mittel für missbräuchliche menschliche Kontrolle. Gott hat schließlich keinen Bedarf an einem kognitiven Vorschlaghammer. Dies passt gut zum robusten Theismus wie auch zu Gottes persönlichem Charakter der bescheidenen Liebe.

4. Götzenverehrung Dünner Theismus, der sich auf theoretisches Wissen hinsichtlich der Existenz Gottes konzentriert, kann die Bedeutung verschleiern, Gott als persönlichen Herrn zu kennen, der uns zur Veränderung des Bildes von Herrschaft, der Denkweise und der moralischen Orientierung auffordert. Zu starke Vereinfachungen Gottes (beispielsweise als bloß sentimental, freundlich, rau oder distanziert) können ähnlich verschleiernd sein, auf eine Art, die uns ermöglicht, aus „Gott“ ein selbst-kontrollierbares Idol zu machen (wobei „Gott“ dann nicht der wahre Gott ist). Somit kann selbst der fromme Theismus götzendienerisch sein. Für unser eigenes Wohl können wir Gott nicht bloß als ein weiteres anspruchsloses Objekt menschlichen Wissens beherrschen, als einen manipulierbaren Besitz oder als eine verdienstvolle Belohnung. Wie wir erwarten sollten, ist Gott nicht für uns zu kontrollieren; ähnliches gilt für angemessenes Wissen von und Belege für Gott. Gott offenbart, wie bekannt, Gottes Wissen für uns und versucht dabei, uns in Liebe in Bezug auf unsere Freiheit umzuwandeln. Unser Wissen über Gott und unsere Suche danach laufen Gefahr, götzendienerisch zu werden, sofern sie getrennt vom versöhnenden kindgemäßen Wissen von Gott als Herrn sind. Ein robuster Theismus fungiert als Schutzvorrichtung gegen diese Gefahr. Götzenverehrung bedeutet im Grunde, dass wir den wahren Gott nicht den Herrn in unserem Leben sein lassen. Sie ist Hingabe für etwas anderes als den wahren Gott als höchste Autorität und Quelle unseres Gedeihens. Sie stellt auf inhärente Weise ein Zurückweisen der Autorität Gottes und eine Suche nach Selbstdefinition, Selbstgefälligkeit, und Selbstverwirklichung nach unseren eigenen Bedingungen dar. Götzenverehrung missachtet die ernsthafte Herausforderung, die wir vom wahren Gott haben, im Allgemeinen frei von selbstverteidigender Angst, Überheblichkeit, und Ichbezogenheit zu sein. Sie tauscht die Vorherrschaft Gottes über unser Leben durch die Vorherrschaft von etwas Minderwertigerem als Gott aus.15 […] 15 Siehe Johnson, Luke. 1990. Faith’s Freedom (Fortress Press), Kap. 4; vgl. Mackay, John. 1969. Christian Reality and Appearance (John Knox Press), sowie Halbertal, Moshe und Margalit, Avishai. 1992. Idolatry, übers. von Naomi Goldblum (Harvard Univ. Press), über verschiedene Arten der Götzenverehrung.

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Kognitive Götzenverehrung lehnt Gottes Souveränität ab, indem sie Wege zur Gotteserkenntnis empfiehlt. Aber genauso, wie Gott gänzlich souverän im Bereich des Anempfehlens menschlicher Handlungsweisen ist, so ist Gott ebenso Souveränität beim Vorschreiben von Weisen zu wissen. Insbesondere gilt dies bezüglich der Weisen der Gotteserkenntnis. Kognitive Götzenverehrung hängt von einem Erkenntnisstandard ab, der den Primat der moralisch selbst-transformierenden Gotteserkenntnis ausschließt, die jedoch zentral für das Erkennen Gottes als unseres Herrn ist. […] Einen prominenten Fall kognitiver Götzenverehrung könnte man die Götzenverehrung neutraler Beweise nennen. Solche Götzenverehrung beinhaltet unsere Forderung nach eindeutigen Belegen für die Existenz Gottes unabhängig von der Ausrichtung unseres eigenen Willens im Verhältnis zum Willen Gottes. Wir machen uns damit selbst zum Richter über Gottes Existenz, ohne von uns selbst einzufordern, sich ernsthaft Gott als Herrn unseres Lebens zu verpflichten. Diese Art der Götzenverehrung wird etwa vehement in Jesaja 58 kritisiert, wo Jahwe sich folgendermaßen über sein Volk aus Israel beschwert: „[…] Sie suchen mich Tag für Tag; denn sie wollen meine Wege erkennen. Wie ein Volk, das Gerechtigkeit übt und das vom Recht seines Gottes nicht ablässt […]“ Man beachte den allgemeinen Wunsch, Gottes Wege zu kennen, ohne sich dem Willen Gottes zu unterwerfen. Der Jüdisch-Christliche Theismus verlangt deshalb nach einer Erkenntnistheorie des treuen Gehorsams als Gegenmittel für die verbreitete Götzenverehrung der neutralen Beweise. […] Üblicherweise bevorzugen wir, aufgrund unserer Neigung, Autorität bzw. Herrschaft über unser Leben behalten zu wollen, Götzen gegenüber dem wahren Gott. Unsere übliche Einstellung ist darum: Ich lebe mein Leben nach meiner Vorstellung, um das zu bekommen, was ich will und wann ich es will. Wir erhöhen damit uns selbst über den wahren Gott und verlieren dann unsere Selbstkontrolle an die Kontrolle durch Götzen, von denen wir uns Erfolg, Glück, Ehre und Selbstbestätigung erwarten. Wir tauschen Gottes oberste Realität für ein falsches Substitut ein. Dementsprechend sprechen wir natürlicherweise primären, wenn nicht sogar exklusiven Wert kontrollierbarem Wissen zu anstatt dem kindgemäßen Wissen, das vom gnädigen Angebot eines unkontrollierbaren Gottes abhängt. Es kollidiert die menschliche Besessenheit der Selbstkontrolle über die eigenen Lebensumstände mit Gottes Ruf, uns durch dankbares Vertrauen zu Gott als dem Herrn über unser Leben moralisch zu transformieren. Wir tendieren dazu, das, was wir kontrollieren oder was uns praktischerweise zur Verfügung steht, zu trivialisieren. Unsere Kontrolle über verfügbare Belege für Gott wäre eigentlich eine Kontrolle über Gott selbst. Für unser eigenes Wohl

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jedoch lässt sich Gott nicht kontrollieren oder trivialisieren; zudem haben wir auch keine Kontrolle über Belege für Gott. Wir können deshalb ein gelegentliches Verbergen Gottes vor uns nicht ausschließen. An sich wäre ein solches Verbergen sogar zu erwarten angesichts unserer selbstzerstörerischen Neigungen und des daraus resultierenden Bedarfs an Gottes korrigierender Liebe.

5. Göttliches Verbergen Wir können nun damit beginnen, nach passenden Belegen für die Wirklichkeit von Gottes Ruf zu fragen. Im Idealfall erhalten wir Belege und Gewissheit bezüglich Gottes Ruf aus erster Hand, d. h. durch Gottes direkte Kommunikation anstatt nur durch unser eigenes Nachdenken. Dementsprechend bezeugt Gott Gottes Anwesenheit und somit seine Existenz auf eine inhärent persönliche Weise. Solche Zeugnisse sind nicht übertragbar oder in maßgebender Weise reproduzierbar oder von uns für egoistische sich selbst zuschreibbare Ziele manipulierbar. Indem Gottes Ruf nicht im Zwang erfolgt, sondern die menschliche Freiheit respektiert, müssen Empfänger des Rufes Gottes ernsthaft bereit für das Empfangen von Gottes transformierender Liebe sein. Die alttestamentliche prophetische Tradition wird zu ihrem unvergleichlichen Höhepunkt gebracht, indem Jesus bemerkt hat, dass das reine Herz Gott sehen wird. Um beim Alten Testament zu bleiben, hat er auch nahegelegt, dass Gott seine Wege vor undankbaren Verweigerern „verbirgt“ und sich jenen zeigt, die sich demütig Gottes Programm einer moralisch ernsthaft liebenden Gemeinde öffnen (siehe Lk 10:21–22 oder Mt 11:25–27).16 Wie kann ein allliebender Gott daran scheitern, sich so zu manifestieren, dass jeder ernsthafte Zweifel über Gottes Existenz sich verflüchtigt? Das Alte und das Neue Testament präsentieren uns einen allliebenden Gott, der sich manchmal vor den Menschen verbirgt, ein Gott, dessen Realität manchmal weniger denn offensichtlich für die Menschen ist. Viele Menschen nehmen an, dass die Existenz eines allliebenden Gottes, wenn sie denn wirklich ist, für alle gewöhnlichen erwachsenen Menschen auch offensichtlich wäre. Gottes Existenz ist allerdings nicht offensichtlich für alle gewöhnlichen erwachsenen Menschen. Deshalb können wir laut vieler Menschen auch vernünftigerweise die Existenz Gottes ablehnen. Manche gewöhnliche Menschen glauben natürlich nicht an Gottes Existenz. Sie behaupten keine passenden Belege (für vernünftige Überzeugungen) für die Existenz Gottes zu haben. Würde ein allliebender Gott solche Zweifel über Gottes Existenz zulassen? 16 Zum wiederkehrenden Thema des göttlichen Verbergens im Alten Testament siehe Balentine, Samuel. 1983. The Hidden God (Clarendon Press) und Terrien, Samuel. 1978. The Elusive Presence (Harper and Row).

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Ein wichtiger Punkt ist, ob die betreffenden Menschen auch wirklich bereit sind, hinweisende Belege für Gott zu erwerben. Wenn sie dazu fähig sind, dann ist göttliches Verbergen kein Grund für den Agnostizismus oder Atheismus.17 Falls der Gott, der sich hin und wieder verbirgt, passende verfügbare Belege für Gottes Existenz, samt Hinweisen auf solche Belege, für alle Menschen hinterlässt, dann schädigt dies den Theismus epistemisch durch göttliches Verbergen nicht. Nachdem Menschen öfters an den falschen Stellen für solche Belege suchen, werden wir an letzteres Thema weiter unten anknüpfen. An dieser Stelle ist der wichtige Punkt, dass aus Gottes gelegentlichem Verbergen vor manchen Menschen nicht ohne weiteres ein Agnostizismus oder Atheismus folgt. Zumindest verdienen sich die verfügbaren Belege zugunsten der Existenz Gottes eine gleichwertige Berücksichtigung. In jedem Fall impliziert das Verbergen Gottes vor manchen Menschen nicht, dass Gott sich immer vor allen Menschen verbirgt, oder, dass jedem passende Belege für die Existenz Gottes fehlen, oder auch, dass irgendjemandem verfügbare Belege für Gottes Existenz fehlen. Möglicherweise verbirgt sich Gott gelegentlich vor manchen Menschen aus verschiedenen Gründen, einschließlich, um (a) Menschen beizubringen, sich nach einer persönlichen Beziehung zu Gott zu sehnen und eine solche auch zu schätzen lernen; (b) ein dankbares Vertrauen in Gott auch in sehr schwierigen Zeiten zu stärken; (c) menschliche Selbstgefälligkeit gegenüber Gott und Gottes Absichten zu beseitigen, oder (d) hochmütige menschliche Selbstbezogenheit zu zerstören. Ein besonders beunruhigendes Beispiel des Verbergens Gottes betrifft die erschütternde Bitte Jesu am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15:34; Mt 27:46). Offensichtlich hat sich Gott vor Jesus am Höhepunkt seines qualvollen Leidens am Kreuz verborgen. Aufgrund seines Leidens und Gottes Verbergen hat Jesus aber womöglich ein noch tieferes Vertrauen in seinen oft unberechenbaren, aber dennoch heilbringenden Vater gewonnen. Jedenfalls zielt nicht jegliches Verbergen Gottes darauf ab, menschliches Aufbegehren zu richten. Gottes gelegentliches Verbergen vor Menschen kann von einem moralischen Standpunkt gesehen konstruktiv herausfordernd sein. Die Präsenz Gottes für selbstverständlich zu halten, so als ob sie jederzeit zur persönlichen Disposition stünde, enthält eine Art vorausgesetzte Autarkie, die nicht kompatibel ist mit einem aufrichtigen Sich-Anvertrauen Gottes. Gottes Gegenwart lässt sich nicht unterwerfen, und sie ist auch nicht auf Abruf verfügbar. […]

17 Im Gegensatz zu Schellenberg, J. L. 1993. Divine Hiddenness and Human Reason (Cornell Univ. Press).

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Vorübergehendes Verbergen kann den Menschen ein angemessenes Anerkennen des moralischen Ernstes von der Gleichgültigkeit Gott gegenüber einflößen. Gottes vorübergehendes Verbergen kann in den Menschen auch Bescheidenheit und vertrauensvolle Geduld aufbauen, was in der Fähigkeit resultiert, die wiederkehrende biblische Aufforderung „Warte auf den Herrn!“ (Ps 27:14; Jes 30:18) zu erfüllen. Wie erwähnt, gestaltet Gottes Liebe moralisch um und sie unterwirft sich nicht, weil Gott bescheidene Diener und keinen selbstsicheren elitären Zirkel sucht. […] Wir sollten einige einflussreiche Ansätze über göttliches Verbergen vermeiden, einschließlich der folgenden Erwiderungen, die auf Freiheit und die angemessene Motivation verweisen. Die Freiheitserwiderung

Anhänger der Freiheitserwiderung behaupten, dass sich Gott verbirgt, um Menschen frei zu ermöglichen, Gott zu lieben, zu vertrauen und zu gehorchen. Im Interesse, wahrhaft liebende Beziehungen mit Menschen zu entwickeln, zwingt Gott die Menschen nicht, auf bestimmte Arten zu antworten. Tatsächlich erscheint ein Zwang zur Liebe unmöglich; Liebe, die nicht zurückgewiesen werden kann, ist offensichtlich keine genuine Liebe. Der liebende Gott verbirgt sich also, um Zwang zu verhindern.18 Die Freiheitserwiderung lässt folgende einfache Frage aufkommen: Könnte sich Gott nicht klarer, oder zumindest weniger dunkel, selbst offenbaren, ohne dadurch die Freiheit in unserer Antwort darauf aufzuheben? Gott könnte, so scheint es, sich signifikant weniger verbergen, während er unsere Freiheit intakt lässt, sogar unsere Freiheit, die Existenz Gottes zu negieren. Einige Offenbarungen der Macht Gottes würden uns tatsächlich so überwältigen, dass unsere Freiheit erstickt wird, aber ein Aufheben der göttlichen Verborgenheit scheint keine solche Offenbarung zu benötigen. Deshalb sollten wir diese exklusive Disjunktion in Frage stellen: Entweder ist Gott verborgen, oder die menschliche Freiheit, auf Gott zu antworten, ist verloren. Anhänger der Freiheitserwiderung schulden uns einen überzeugenden Fall für diese Disjunktion. Ansonsten bietet die Freiheitserwiderung keinen passenden Erklärungsansatz göttlicher Verborgenheit. Die Erwiderung angemessener Motivation

Unterstützer der Erwiderung angemessener Motivation glauben, dass Gott sich verbirgt, um eine menschliche Reaktion zu verhindern, die sich aus un18 Für eine relevante Diskussion dazu siehe Murray, Michael J. 1993. „Coercion and the Hiddenness of God“, American Philosophical Quarterly 30, S. 27–38.

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geeigneten Motiven speist. Beispielsweise will Gott nicht, dass Menschen auf eine göttliche Selbstoffenbarung aus egoistischer Angst oder Arroganz antworten. Gott möchte, dass Menschen eine Beziehung mit Gott aus vernünftigen Motiven entwickeln. Gottes Selbstoffenbarung ohne Verborgenheit würde in uns aber Reaktionen der egoistischen Angst oder Arroganz hervorrufen. Im Interesse, eine solche Angst bzw. Arroganz zu verhindern, verbirgt sich Gott.19 Diese Erwiderung ist durch folgenden Aspekt problematisch: Könnte Gott nicht eine weniger dunkle Form der Selbstoffenbarung vollziehen, sodass keine ungeeigneten Motive als unsere Antwort auf diese Offenbarung hervorgerufen werden, wie eben egoistische Angst und Arroganz? Es hat den Anschein, als ob Gott deutlich weniger verborgen sein könnte, ohne dadurch die Gefahr zu erhöhen, dass wir aus schlechten Motiven heraus reagieren. Manche Offenbarungen der Macht Gottes könnten womöglich dazu führen, dass viele Menschen aus egoistischer Angst statt aus Liebe antworten, aber das Aufheben der göttlichen Verborgenheit scheint keine solche Offenbarung zu benötigen. Deshalb sollten wir Abstand davon nehmen, diese spezifische Disjunktion zu befürworten: entweder verbirgt sich Gott oder die Menschen werden (viel) eher Gott aus unpassenden Motiven antworten. Unterstützer der Erwiderung angemessener Motivation schulden uns einen vernünftigen Grund für diese Disjunktion. Ansonsten erklärt ihre Erwiderung göttliche Verborgenheit nicht angemessen. Womöglich sieht es mit der Erwiderung angemessener Motivation besser aus, wenn wir einige positive Tugenden der Motivation in Betracht ziehen, die durch göttliche Verborgenheit kultiviert werden. Beispielsweise könnte man vorschlagen, dass Gott sich verbirgt, um in uns eine aufrichtige Einstellung in Bezug auf das Elend unseres eigenen Lebens im Licht der Abwesenheit Gottes hervorzurufen. Eine solche Aufrichtigkeit könnte dazu führen, reuig, demütig und sogar leidenschaftlich nach Gott zu suchen. Wenn jedoch Gottes Selbstoffenbarung sehr offensichtlich wäre, dann würden sowohl (a) das Gefühl unseres Elends ohne Gott und (b) unser Gefühl eines genuinen Risikos, welches für einen wahrhaft leidenschaftlichen Glauben erforderlich ist, auf problematische Weise gemindert werden. Gott verbirgt sich also, um positive Tugenden für die genannte Motivation auszulösen. Probleme für die Erwiderung angemessener Motivation bleiben jedoch bestehen. Betrachten wir etwa eine Welt, in der Gott zugänglicher ist. Müsste eine solche Welt weniger empfänglich für ein menschliches Streben nach Gott sein, das sich bereuend, demütig und leidenschaftlich zeigt? Dem 19 Siehe dafür relevante Diskussionen wie Pascal’s Pensées, sowie Swinburne, Richard. 1981. Faith and Reason (Clarendon Press), S. 156, und Swinburne, Richard 1992. Revelation (Clarendon Press), S. 95.

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scheint nicht so zu sein. Die bloße Tatsache einer größeren Deutlichkeit der Selbstoffenbarung Gottes scheint eine bereuende, demütige und leidenschaftliche Suche nach Gott nicht in Frage zu stellen. Gott könnte ohne weitere Schwierigkeiten unter erheblich deutlicheren Bedingungen der göttlichen Offenbarung ein solches Suchen bereitwillig fördern. Unterstützer der Erwiderung angemessener Gründe müssen zumindest erklären, warum dem nicht so ist, wenn sie göttliche Verborgenheit angemessen erklären wollen. Die Erwiderung durch göttliche Gründe

Ein vernünftiger Zugang zum Problem der göttlichen Verborgenheit beinhaltet die Erwiderung durch göttliche Gründe: Gott schränkt göttliche Offenbarungen zumindest vorübergehend für zumindest einige Menschen ein, um die Erfüllung von Gottes eigenen, verschiedenartigen, moralisch bedeutsamen und liebenden Gründen bezüglich der Menschen zu fördern. Die Erwiderung durch göttliche Gründe erlaubt, dass Anzahl und Art der Offenbarung Gottes zwischen Menschen variieren können, während gleichzeitig eine gemeinsame minimale Offenbarung für alle Menschen verfügbar ist. Die Variationen werden durch Gottes Gründe bzw. Absichten bestimmt. Wenn diese Gründe moralisch gerecht und liebend sind, dann kann Gott moralisch gerecht und liebend sein, indem er unterschiedlich ausgeprägte Offenbarungen zuteil werden lässt. Gott verbirgt sich nicht aus einem Grund, sondern aus unterschiedlichen Gründen, genauso wie Gott offensichtlich das Böse aus unterschiedlichen Gründen zulässt. Dennoch, die genauen Details der Gründe Gottes sind uns manchmal unklar, was wir jedoch angesichts von Gottes transzendenter Überlegenheit erwarten sollten. Wenn wir uns über solche Details im Unklaren sind, können wir dennoch Gott, der sich zeitweise verbirgt, kennen und vertrauen, denn Gott hat andernorts liebend in unser menschliches Elend eingegriffen. Damit wir Gründe für Gottes Existenz haben, müssen wir nicht in der Lage sein, alle Absichten und Handlungen Gottes, inklusive der Verborgenheit Gottes, zu erklären. Dass Gott sich zeitweise aus anderen Gründen als dem Richten menschlichen Aufbegehrens verbirgt, wird von der Erwiderung durch göttliche Gründe anerkannt. Gott zielt immer darauf ab, uns durch Liebe und nicht durch externe Faktoren zu motivieren, so liebend wie Gott selbst zu werden. Einiges an der Verborgenheit Gottes könnte aus unserer eigenen Blindheit, unserem Versagen, auf angemessene Weise empfänglich für Gott zu sein, resultieren. Man betrachte diesen transkribierten, nicht deutschen, sprachlichen Token: Tov vayashar adonai; tov layisrael elohim; tov vayashar hadavar. Vermutlich werden die meisten Leser nicht die semantische Bedeutung dieses Tokens erfassen. Die meisten Leser werden vermutlich nicht einmal sicher sein, dass dieser Token tatsächlich eine solche Bedeutung hat, wäh-

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rend einige Leser vielleicht einen vagen und vorläufigen flüchtigen Einblick in einen Teil seiner Bedeutung haben. Das Problem liegt jedoch nicht im sprachlichen Token selbst. Es liegt vielmehr im Zugang der Annahmen insgesamt und in den anderen Einstellungen, die eine Person hinsichtlich dieses Tokens mitbringt. Nennen wir diese Perspektive eine empfängliche Einstellung. Das Problem, die Bedeutung zu erkennen, liegt im Fehlen der angemessenen Exposition und Sensitivität für antikes Hebräisch, speziell der sephardischen Interpretation des antiken Hebräisch. Die Empfänglichkeit für einen bedeutenden Beleg hängt also manchmal von der empfänglichen Einstellung der Menschen ab. Das Versagen, einige Belege zu empfangen, ist auf psychologische und volitionale Tatsachen der auserkorenen Empfänger zurückzuführen und nicht auf Mängel in den verfügbaren Belegen. Es ergibt sich eine Analogie: Menschen, deren empfängliche Einstellung gegenüber Gottes Programm einer gesamtheitlichen Erneuerung durch Gnade verschlossen ist, können blind für die verfügbaren Belege von Gottes Realität sein. Die Belege können verfügbar sein, genauso wie unser transkribierter hebräischer Token semantisch bedeutsam ist. Wir benötigen jedoch angemessene, gottesempfängliche „Ohren zum Hören und Augen zum Sehen“ für die verfügbaren Belege. Wir brauchen eine Veränderung der empfänglichen Einstellung, um die verfügbaren transformierenden Belege auf die richtige Art zu verstehen. Eine solche Veränderung beinhaltet die Ausrichtung unseres Lebens und unserer Lebensprioritäten, nicht nur eine intellektuelle Zustimmung. Wir müssen uns hierbei an verfügbare Belege der Offenbarung Gottes anpassen. […] Fehlt uns die volitionale Veränderung, können wir wegen unserer eigenen falschen „Intelligenz“ und „Weisheit“ für die Belege der Realität Gottes blind sein. (Dieses Thema kommt in den jüdischen und christlichen Schriften immer wieder vor.) Uns fehlt dann eventuell die Art von aufrichtiger Offenheit, Bescheidenheit, Dankbarkeit und kindgemäßem Gehorsam, die angemessen sind, um kognitiv und anderweitig mit dem Gott des Universums in eine Beziehung zu treten. Und dann schreiben wir die Autorität Gottes uns selbst oder einem anderen Teil des Universums zu. In diesem Fall machen wir uns einer selbst-destruktiven Götzenverehrung schuldig, womöglich sogar einer Art kognitiver Götzenverehrung, in welcher wir eine bestimmte Art von Wissen oder Belege von Gott erwarten, die unpassend für eine kindgemäße Beziehung mit Gott sind. Insofern wir gegen Gottes Programm der menschlichen Umgestaltung des Willens verstoßen, sind wir Sklaven der Selbstsucht und müssen davon befreit werden. […]

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Kognitive Götzenverehrung, wie oben charakterisiert, kann uns von der notwendigen Veränderung hin zu Freiheit und selbstloser Liebe abhalten. Oft fußt sie auf einem Prinzip der folgenden Form: Sofern Gott (falls Gott existiert) nicht Belege der Art K liefert, ist Gottes Existenz zu sehr verborgen, um eine begründete Bestätigung zu gewährleisten.

Das Problem liegt nicht in einem derartigen Prinzip, sondern vielmehr in der Angabe der Art K. Falls wir K so spezifizieren, dass der persönliche Charakter und die erlösenden Absichten des Gottes der Jüdisch-Christlichen Tradition nicht berücksichtigt werden und wir somit von der göttlichen Aufgabe der Veränderung getrennt sind, dann betreiben wir kognitive Götzenverehrung. Wir akzeptieren dann eine kognitive Verpflichtung, die darauf abzielt, Gott als Herrn aus unserem Leben auszuschließen. Das ist die Grundlage kognitiver Götzenverehrung. Sie entspringt dem menschlichen Verlangen, die höchste Autorität unseres Lebens zu sein oder diese zumindest zu ernennen, so, als ob wir dazu berechtigt wären. Wir separieren uns dadurch von wichtigen verfügbaren Belegen Gottes und machen uns selbst blind, die überlegene Realität und Autorität über uns als abhängige erkennende Geschöpfe anzuerkennen. Wir unterdrücken so die Wahrheit über Gottes Realität. […] Angemessene Erkenntnis des Jüdisch-Christlichen Gottes ist inhärent ethisch und praktisch, statt einfach nur reflektierend. Es ist traurig zu sagen, aber reine Betrachter, die sich aus der Distanz beschweren, können tatsächlich in dieser Ferne aufgrund ihrer eigenen, sich selbst-isolierenden Entscheidung bleiben. Gott auf angemessene Weise zu erkennen, verlangt einen Ruf wahrzunehmen – einen echten persönlichen Ruf –, um sich so aus der Ferne anzunähern und dankbar in Gottes allumfassenden Plan einer barmherzigen Erlösung einzutreten. Dieser Plan ist kein reines intellektuelles Rätsel für Philosophen. Gott ist für unser eigenes Wohl ernster als unsere mentalen Turnübungen. Am Ende haben wir ein Leben zu formen und zu leben, und nicht bloß Gedanken zu denken oder intellektuelle Rätsel zu lösen. Im Evangelium nach Johannes (Joh 7:3–4) steht Jesus vor einer Variante des Problems der Verborgenheit Gottes, das von seinen eigenen Brüdern vorgebracht wird (die laut Vers 5 nicht an ihn glaubten). Seine Brüder sagen zu ihm, dass niemand im Verborgenen wirkt, wenn man aufrichtig bemüht ist, bekannt zu werden. Ihre Aufforderung lautet unverhohlen: „Zeige dich der Welt“ (Joh 7:4; vgl. Joh 10:24). Ein Teil von Jesu Antwort ist, dass die Welt ihn hasst, weil er bezeugt, dass ihre Werke schlecht sind. Er deutet also an, dass die Welt die falsche moralische Einstellung ihm gegenüber hat. Johannes schildert dann, wie Jesus im Tempel lehrt, dass jeder, der Gottes Willen

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tun will, wissen wird, ob Jesu Lehre von Gott stammt (Joh 7:17). Man beachte also in der Erkenntnistheorie von Johannes die Bedeutung des eigenen Willens für das Befolgen des Willens Gottes. […] Gottes Wege müssen nicht unseren bevorzugten Wegen, sich Gott zu nähern, unter epistemischer, moralischer oder anderweitiger Rücksicht entsprechen. Dies ist eine der zentralen Thesen der biblischen Schriften und passt zu Gottes charakteristischer Rolle angesichts der menschlichen Notlage; auch unserer epistemischen Misere. Gott ist der höchste Geber von Gütern, der uns sucht, bevor wir nach Gott suchen. Darum geht es in der hebräischen Liebe des Bundesschlusses („chesed“) und in der christlichen Gnade („charis“). Wenn wir Gott lieben, dann weil er uns zuerst geliebt hat und uns Gottes Liebe angeboten hat.20 Diese Reihenfolge ist sowohl erkenntnistheoretisch als auch moralisch entscheidend. Um unseres eigenen Heils willen ruft Gott uns auf, sich dankbar dem barmherzigen Geber von Gütern hinzugeben; Gott fordert uns nicht auf, mit unseren selbstgefälligen Rezepten Gott zu finden und ängstlich herum zu werkeln. Der Jüdisch-Christliche Gott ist also nicht der Gott unserer eigenen Pläne, so gut gemeint sie auch sein mögen. […] Der Jüdisch-Christliche Gott schätzt Wissen als selbstloses Lieben vielmehr als Wissen als bloße Kontemplation und Theoretisierung. Solches Wissen als Liebe ist insgesamt passend für die Familie Gottes, und es hat offensichtliche moralische Konsequenzen. Wir wachsen in unserer Gotteserkenntnis, indem wir Gottes barmherzige Natur teilen und dadurch aufrichtig barmherzig werden. In anderen Worten werden Gottes Kinder auf den Charakter des Elternteils bereitwillig und gerne hingeformt, und sie steigern dadurch ihre Erkenntnis des Elternteils. Diese bedeutsame Barmherzigkeit ist keine selbstgemachte oder unabhängige Voraussetzung, um Gott zu erkennen. Vielmehr folgt sie als Geschenk Gottes auf eine aufrichtige Offenheit, mit Gott im Einklang zu sein. Gottes transformierende Liebe wird in unsere Herzen eingegossen, und zwar so, dass sie sowohl epistemisch als auch moralisch entscheidend ist, um den Gott der unübertroffenen Liebe zu erkennen. In Abwesenheit einer solchen Liebe bleiben wir die Beute für eine Art sich selbstverteidigende Angst, die mit aufrichtiger Liebe inkompatibel ist und damit auch mit einer geeigneten Gotteserkenntnis. 20 Wie richtigerweise von Nygren, Anders. 1953. Agape and Eros, übers. von Philip S. Watson (Harper and Row), Teil. II, Kap. 6, und Morris, Leon. 1981. Testaments of Love: A Study of Love in the Bible (Eerdmans), Kap. 7, betont wird.

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Unsere habituelle Ablehnung, Gott so zu lieben, wie er liebt, macht uns blind, Gottes Dinge zu sehen. Unsere ständige Einstellung der Undankbarkeit blendet uns in Bezug auf Gott. Tatsächlich ist Undankbarkeit die giftige Wurzel der Resistenz gegen Gott; es ist eine zerstörerische Einstellung, die dazu führt, dass Gott sich verbirgt. Im Unterschied dazu lernen wir durch Dankbarkeit für die erhaltenen Güter, Gott zu vertrauen und sogar zu lieben, und damit die Gotteserkenntnis zu erweitern.21 Wir müssen das Geschenk der Gegenwart Gottes willkommen heißen, damit es uns zugutekommt, indem es uns verwandelt. Eine angemessene Suche nach Gott beinhaltet auch, Gott einzuladen und dankbar willkommen zu heißen. Nur das Ziehen von Schlüssen, so vernünftig sie auch sein mögen, wird diesen Anforderungen nicht gerecht.

6. Belege, Zeichen und Liebe In seiner Barmherzigkeit ist es für Gott nicht zufriedenstellend, wenn wir bloß wissen, dass Gott existiert. Solch rein propositionales Wissen liegt weit hinter dem, was Gott als Weg der Erlösung schätzt: nämlich, dass alle Menschen sich frei dazu entscheiden, durch Gott verwandelt zu werden von selbstsüchtigen zu sich selbst verschenkenden liebenden Dienern des Gottes der moralisch ernsthaften Liebe. (Für jüdische und christliche Vorschläge dieses Ideals siehe beispielsweise Dtn 6:5; 10:12–13; Lev 19:18; Mk 12:28–30). In seiner allumfassenden Liebe ist es Gottes Ziel, dass alle Menschen aus freien Stücken moralisch so vollkommen werden, wie Gott moralisch vollkommen ist. Dieses Ziel vor Augen hat Gott keinen Grund, unbestreitbare oder nicht unterdrückbare Belege anzubieten, die bloß propositionales Wissen, dass Gott existiert, hervorbringen würden, selbst wenn Gott passende verfügbare Belege für das Wissen, dass Gott existiert, bereitstellt. Die Liebe zu Gott kann nicht erzwungen werden, sondern muss frei gegeben werden. Indem Gott menschliche Freiheit respektiert, hat er Belege für Gottes Existenz angeboten, die es erlauben, diese zu bestreiten. Aufgrund seines Heilsplans schätzt Gott kein Wissen über Gottes Existenz, außer kindgemäßes Wissen von Gott. Gott wünscht, dass wir Gott als Gott, spezifisch als unseren barmherzigen Vater, erkennen. Gott ist epistemisch souverän und moralisch fordernd, insofern vielmehr Gott und nicht Menschen die Bedingungen für ein persönliches Erkennen von Gott festlegt, und diese Bedingungen sind empfindlich für unsere aufgeschlossene Einstellung zu Gott. Wie vorhin angedeutet, sind wir nicht in einer Position einzufordern, dass der Gott des Universums unseren bevorzugten Einschränkungen hinsichtlich Belegen entspricht. 21 Über die zentrale Rolle der Dankbarkeit zu Gott in den jüdischen und christlichen Schriften, siehe Guthrie, Harvey. 1981. Theology as Thanksgiving (Seabury Press) sowie Ford, David und Hardy, Daniel. 1985. Praising and Knowing God (Westminster Press).

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Der Jüdisch-Christliche Zugang zum kindgemäßen Erkennen Gottes gibt Gottes Offenbarung Vorrang. Er stellt also einen top-down statt eines bottom-up Zugang zur Quelle des kindgemäßen Erkennen Gottes bereit. Dies erklärt das Fehlen esoterischer philosophischer Argumentationen über Gott in den jüdischen und christlichen Schriften. Selbst wenn kindgemäßes Erkennen Gottes für alle aufrichtig Suchenden verfügbar ist, erfolgt seine Realisierung durch – und nicht vor – eine(r) ehrlich offene(n) Einstellung zu unserem liebenden Gott durch eine für Gott charakteristische Form der Liebe. […] Kritiker werden einwenden, dass Gottes Gegenwart zu zweideutig ist, um eine begründete Anerkennung zu verdienen. Sicherlich, so lautet der Einwand, schuldet uns Gott mehr übernatürliche Zeichen und Wunder, oder was auch immer Gottes erlösende Ziele sein mögen. Warum gibt uns Gott nicht ein und für allemal eindeutige Manifestationen von Gottes unglaublicher Macht? Schließlich würde es für Gott keinen Aufwand bedeuten, und es könnte nagende Zweifel über Gottes Existenz beseitigen. Sicherlich würde ein wahrhaft liebender Gott seine übernatürlichen Kräfte verwenden, um uns von unseren Zweifeln zu befreien. Viele werden daher einwenden, dass Gottes Erlösungsziele Gott nicht vom Vorwurf der übermäßigen Zurückhaltung in seiner Offenbarung entlasten. Beispielsweise lehnt N. R. Hanson den Theismus ab, weil auffallende beobachtbare Ereignisse, die Gottes Existenz nachweisen, fehlen.22 Falls Gott existiert, ist Gott für eine unangemessene Selbstoffenbarung tadelnswert. Viele Menschen haben unsinnige Erwartungen, was genau wunderbare Zeichen in einer Person bewirken. Wunder sind wie gewöhnliche Ereignisse mehrdeutig. Sie erlauben logisch unterschiedliche, kohärente (nicht zu verwechseln mit korrekten) Interpretationen, inklusive naturalistischer nicht-übernatürlicher Interpretationen. Übernatürliche Ereignisse drängen uns ihre Interpretation nicht auf. Wohl oder übel müssen wir als Interpretierende über unsere Interpretation von Ereignissen entscheiden, und unterschiedliche Hinter­ grund­an­nahmen und Beweggründe beeinflussen üblicherweise unsere interpretativen Entscheidungen. Wir sollten deshalb übernatürliche Zeichen nicht als Beweise für alle Fragenden sehen. In Menschen, die aufrichtig offen für Gottes Eingreifen sind, kann ein übernatürliches Zeichen Vertrauen zu Gott auslösen und aufbauen, aber dies gilt nicht für alle Menschen. Die beste Erklärung für ein auffälliges Ereignis könnte sein, dass es übernatürlich ist, aber wenn jemandes Hintergrundannahmen durchwegs materialistisch wären, würde eine solche Erklärung nach diesen Maßstäben nicht den Vorrang erhalten. Man würde dann einen alternativen Zugang zum auf22 Hanson, Norwood R. 1971. What I Do Not Believe and Other Essays, S. 322.

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fälligen Ereignis finden, sich vielleicht sogar der Entscheidung für eine Interpretation enthalten. Selbst die beste Erklärung von Ereignissen kann aus freien Stücken und konsistent abgewiesen werden, wenn bestimmte Veränderungen im Gedankengebäude vorgenommen werden. Dem entspricht der Schluss der Geschichte des reichen Mannes und Lazarus im Neuen Testament: „Wenn [Menschen] auf Mose und die Propheten nicht hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht“ (Lk 16:31). Das Evangelium des Johannes stimmt der Nichtwirksamkeit übernatürlicher Zeichen, den Glauben zu erzeugen, zu: „Nachdem Jesus dies gesagt hatte, verschwand er und versteckte sich vor ihnen. Obwohl er so viele Zeichen in ihrer Anwesenheit erbracht hatte, glaubten sie nicht an ihn“ (Joh 12:36–37). Wie sieht es mit Menschen aus, die offen für Gottes Intervention sind, aber noch nicht an Gott glauben? Würden nicht diese von übernatürlichen Zeichen profitieren, um auf diese Weise an Gott zu glauben? Womöglich. Unterscheiden wir zwischen Menschen, die passiv offen für den Glauben an Gott sind, und Menschen, die aktiv offen für den Glauben an Gott sind. Menschen, die passiv offen für solchen Glauben sind, werden nicht ernsthafte Anstrengungen unternehmen, um zu untersuchen, ob Gott interveniert hat, beispielsweise im Leben, Tod und der Auferstehung Jesu Christi. Solche Menschen sind „offen“ für Gott mit einer bemerkenswerten Gleichgültigkeit. Diese Gleichgültigkeit zeigt sich im Versagen auf eine Weise zu reagieren, welche die verfügbaren Belege für Gott ernst nimmt. Passive Offenheit ist dementsprechend ein bloßes Lippenbekenntnis, dass man Interesse an der Verfügbarkeit von Belegen für Gott zeigt. Wir schätzen Belege für Gott nicht angemessen, wenn wir nicht ein moralisch ernsthaftes Interesse an der Verfügbarkeit solcher Belege haben. Passive Offenheit ist deshalb eine unangemessene und ungenügend ernsthafte Einstellung hinsichtlich der verfügbaren Belege für Gott. Es trivialisiert eine Angelegenheit allerhöchster Wichtigkeit. Menschen, die aktiv offen für den Glauben an Gott sind, haben ein moralisch ernsthaftes Interesse an der Verfügbarkeit von Belegen für Gott. Ein solches Interesse hat potentiell moralisch transformierende Effekte. Solchen Menschen ist es nicht moralisch gleichgültig, ob Gott interveniert hat, etwa im Leben, Tod und der Auferstehung Jesu Christi. Sie haben ein moralisch ernsthaftes Interesse an den verfügbaren Belegen für Gottes Eingreifen.23 Das besagte Jüdisch-Christliche Konzept des kindgemäßen Wissens von Gott impliziert, dass Menschen, die für solches Wissen geeignet sind, aktiv bereit sein müssen, auf Gottes Charakter hin moralisch verwandelt zu werden. Eine 23 Für einige Einzelheiten zur Beziehung von Gott und moralischer Ernsthaftigkeit siehe Thielicke, Helmut. 1972. „What Has God to Do with the Meaning of Life?“, in: Helmut Thielicke, How to Believe Again, übers. von H. G. Anderson (Fortress Press), S. 104–13.

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wichtige Frage bezüglich solcher Menschen ist, ob ihre Glaubensbekundung für Gott – zumindest für einige von ihnen – voraussetzt, dass sie direkt mit einem übernatürlichen Zeichen von Gott konfrontiert werden. Mit anderen Worten, gibt es moralisch ernsthaft Suchende, die an Gott glauben würden, wenn und nur wenn sie ein übernatürliches Zeichen von Gott aus erster Hand erhielten? Vielleicht, aber die Frage ist verwirrend, denn der Ausdruck „ein übernatürliches Zeichen von Gott“ ist vage. Unterscheiden wir hier zwischen moralisch unwirksamen und moralisch transformierenden übernatürlichen Zeichen. Moralisch unwirksame übernatürliche Zeichen können Menschen unterhalten, aber nicht ihren moralischen Charakter transformieren. Moralisch transformierende Zeichen können im Unterschied dazu den moralischen Charakter hin auf den moralischen Charakter Gottes verändern. Menschen suchen oft bloße Unterhaltung in den sichtbaren Phänomenen, wohingegen Gott um unsere moralische Transformation vom Inneren heraus bemüht ist. Wie vorhin bemerkt, stellt Jes 58:2 den hebräischen Gott als jemanden dar, der sich über die Israeliten beschwert, dass „sie Tag für Tag mich suchen und sich erfreuen, meine Wege zu kennen, als ob sie ein Volk wären, das Gerechtigkeit übt und vom Recht Gottes nicht ablässt.“ Gleichermaßen rät uns das Neue Testament davon ab, nach unwirksamen Zeichen Gottes zu suchen. Dennoch verspricht es ein moralisch transformierendes Zeichen für aufrichtige Gottessuchende, d. h. Suchende, die aktiv offen sind für eine moralische Transformation hin zu Gottes moralischem Charakter. Da dieses Zeichen ein eindeutiges Zeichen vom Gott der moralisch ernsthaften Liebe ist, sollten wir erwarten, dass es den Charakter Gottes offenbart: Gottes moralisch ernsthafte Liebe. Das Neue Testament bestätigt diese Erwartung öfters. Paulus betont zum Beispiel: „Die Hoffnung in Gott aber lässt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Röm 5:5; vgl. 2 Kor 5:16–17; 1 Joh 4:12–13;16;19. Über die Rolle des Heiligen Geistes in der Epistemologie des Paulus, siehe 1 Kor 2:4–16). Die Gegenwart von Gottes moralisch transformierender Liebe ist das zentrale epistemische oder evidentielle Fundament für eine kindgemäße Gotteserkenntnis. Solche Liebe ist eine grundlegende Quelle für Gotteserkenntnis (vgl. Kol 2:2; 1 Kor 8:2–3). Es ist der wirkliche Beleg der Realität und Gegenwart Gottes. Diese Liebe ist eine Sache des persönlichen Eingreifens durch Gott und die Grundlage für eine persönliche Beziehung zu Gott. Es handelt sich um die unverwechselbare Gegenwart eines persönlichen Gottes. Die fragliche kindgemäße Erkenntnis gründet in der moralisch transformierenden göttlichen Liebe, die einen liebenden Charakter in aufrichtigen Gotteskindern bewirkt, selbst wenn bisweilen diese Menschen den Transformationsprozess durch Gott behindern. Diese Transformation geschieht jemanden, zumindest teilwei-

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se, und ist deshalb weder rein selbstgemacht noch einfach das Nebenprodukt einer Strategie zur Selbsthilfe. (Ich schreibe „teilweise“ aufgrund der Rolle der menschlichen Freiheit im Suchen von und Antworten auf Gott.) Dieses weithin vernachlässigte, übernatürliche Zeichen ist (zu Gottes festgelegter Zeit) für jeden verfügbar, der sich Gott mit moralischer Ernsthaftigkeit zuwendet. Es verwandelt den Willen, um (a) Dankbarkeit, Vertrauen und Liebe zu Gott zu haben, und um (b) andere selbstlos zu lieben. Dementsprechend wissen wir, „dass wir vom Tod in das Leben übergetreten sind, weil wir einander lieben“ […] „Jeder der nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe“ (vgl. 1 Joh 3:14; 4:8). Wir müssen deshalb lernen, Gottes Liebe für alle Menschen zu erfassen und von ihr erfasst zu werden. Solche göttliche Liebe ist weder mit einer Proposition noch mit einem Argument gleichzusetzen. Gottes Selbstoffenbarung der transformierenden Liebe wird uns weiter führen als bloße historische oder wissenschaftliche Wahrscheinlichkeiten, nämlich zu einer festen Grundlage der persönlichen Bekanntschaft mit Gott. Wie Paulus bemerkt (Röm 8:16), bestätigt Gottes Geist unserem Geist, dass wir wirklich Kinder Gottes sind, wenn wir aufrichtig zu Gott schreien „Abba, Vater“ (man beachte den durch Jesus inspirierten kindgemäßen Inhalt dieses Rufes). Wir erhalten so Gottes persönliche Zusicherung unserer kindgemäßen Beziehung zu Gott. […] Die Belege für Gottes Gegenwart in der Umwandlung des Charakters in Gottes wirklichen (und nicht nur dem Namen nach) Kindern verdient eine ernsthafte Betrachtung. Sie gehen viel tiefer als die vergleichsweise oberflächlichen Belege, die in unterhaltsamen Zeichen, Wundern, Visionen, ekstatischen Erfahrungen und philosophischen Argumenten zu finden sind. Durch bestimmte Änderungen in unseren Überzeugungen könnten wir auf konsistente Weise ein jedes Zeichen und Wunder sowie jede Vision und ekstatische Erfahrung oder jedes Argument als eine Illusion oder nicht schlüssig zurückweisen. Im Unterschied dazu lässt eine echte Umbildung des Charakters auf das Ideal der allumfassenden Liebe des jüdisch-christlichen Gottes hin keine einfache Ablehnung mehr zu. Es trägt unmittelbar dazu bei, wer man wirklich ist, d. h. die Art von Person, die man tatsächlich ist. Eine solche Transformation stellt sich zu tiefgreifend gegen unsere natürliche Tendenz zur Selbstbezogenheit, um als ein Selbsthilfetrick durchzugehen. Sie stellt deshalb eine Art unerschütterlicher Beleg dar, der einer schnellen Abweisung widersteht. […] Als ein allliebender Versöhner versucht Gott (zu Gottes vorgesehenem Zeitpunkt), alle Menschen z. B. durch das menschliche Gewissen und Erklärungen einfordernde Warum-Fragen, wie zuvor erwähnt, in das Reich Gottes zu lo-

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cken. Jedoch schaltet Gott unsere Willensfreiheit dabei nicht ab. Weder Gott noch sonst jemand kann echte Dankbarkeit, Vertrauen oder Liebe erzwingen. Willensfreiheit ist eine Vorbedingung für liebende Beziehungen, und indem Gott sich ganz am moralisch Guten orientiert, sucht Gott solche persönlichen Beziehungen über alles andere. Im Allgemeinen sucht Gott die frei gewählte und dankbare Vereinigung unseres Willens mit Gottes moralisch ernsthaft liebendem Willen; nur dann ist echte allumfassende Gemeinschaft möglich. Aufgrund der Zeichen der persönlichen Vortrefflichkeit, die von Gott in uns und im Rest der Schöpfung hinterlassen wurden, sollten wir nach Gott suchen und dadurch Gott kennen lernen. Dennoch folgt daraus nicht, dass jeder von uns die Verantwortung der Gottessuche akzeptieren wird. Die Anforderungen an die Jüngerschaft sind für viele von uns – je nach unseren gewählten Prioritäten – einfach zu umständlich. Wir lehnen es deshalb ab, vom Zentrum unseres Universums verdrängt zu werden. Dennoch wird ein gnädiger Gott unsere selbstzerstörerischen Scheuklappen in Frage stellen, die darauf abzielen, Gottes Programm einer allumfassenden Erlösung auszuschließen. Wir können es deshalb vernünftigerweise Gott nicht vorwerfen, wenn wir uns manchmal stur dafür entscheiden, die Scheuklappen aufzusetzen.

7. Verbergen, Suchen und Theodizee Die Erwiderung der angemessenen Motivation zum Problem der Verborgenheit Gottes erlaubt es dem Jüdisch-Christlichen Theismus, die Kosten der Verpflichtung anzunehmen, an einen Gott der moralisch ernsthaften Liebe zu glauben. Es ermöglicht uns auch anzuerkennen, dass der Jüdisch-Christliche Theismus jetzt nicht nur auf moralisch ernsthafte Weise testbar ist, sondern auch, dass er jetzt von jeder Person getestet werden sollte. Jede Person muss den Test für sich selbst vollziehen, indem sie nach Gott mit der nötigen Bescheidenheit und moralischen Ernsthaftigkeit sucht, insofern Stolz und Oberflächlichkeit einen automatisch davon abhalten, Gott und unser aufrichtiges Bedürfnis nach Gott zu sehen. Der geeignete Test kann nicht durch eine „neutrale“ Untersuchung von Belegen durchgeführt werden, was auch immer das sein mag; es verlangt die Bereitschaft, sich von allen Ablenkungen für die notwendige moralische Transformation zu entsagen. Kindgemäße Gotteserkenntnis erfolgt durch Gnade, nicht durch Verdienst; aber Gnade ist für alle (zu Gottes festgelegtem Zeitpunkt) verfügbar, die nach Gott mit echter Bescheidenheit und nötiger moralischer Ernsthaftigkeit rufen. Meine Position impliziert, dass wir göttliches Verbergen und einen vollkommen liebenden Gott auf einer persönlichen evidentiellen Ebene in Einklang bringen können, aber nicht auf einer umfassenden erklärenden Ebene. Sie beruht auf folgendem biblischen Versprechen: „Sucht ihr mich, so findet

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ihr mich. Wenn ihr von ganzem Herzen nach mir fragt, lasse ich mich von euch finden – Spruch des Herrn.“ (Jer 29:13–14; vgl. Mt 7:7–8). Außerdem beinhaltet meine Position eine scharfe Unterscheidung zwischen: (a) Wenn du nach Gott richtig suchst, wirst du Gott finden, und (b) wenn du nach Gott richtig suchst, wirst du eine passende, umfassende Erklärung, warum sich Gott manchmal verbirgt, finden. Das Versprechen (a) hängt nicht vom Versprechen (b) ab und garantiert damit keine Theodizee oder irgendeine umfassende Erklärung für die Verborgenheit Gottes. Versprechen (a) beschränkt sich auf den Aspekt des Erwerbens von Belegen für Gottes Realität. Obwohl eine Theodizee für die Verborgenheit Gottes für uns nicht verfügbar ist, kann Versprechen (a) Gültigkeit haben und für Menschen wertvoll sein. Die menschliche Suche kann zu einer wertvollen, erlernten Wertschätzung für Gottes Offenbarung, die eine willentliche Übereinstimmung mit Gottes Charakter involviert, beitragen. Indem eine menschliche Suche eingefordert wird, behält Gott den Wert der göttlichen Offenbarung bei und rettet sie davor, „billig und einfach“ für Menschen zu werden. Gottes Ziel ist es, dass Menschen die göttliche Liebe schätzen, pflegen und durch sie transformiert werden, und nicht nur darüber nachdenken. Die menschliche Suche, selbst wenn durch sie Gott gefunden wird, bringt keine Theodizee der Verborgenheit Gottes hervor, denn sie erzeugt keine passende, umfassende Erklärung für das Verbergen Gottes. Der Jüdisch-Christliche Gott ist nicht nur hin und wieder verborgen, sondern verbirgt sich manchmal auch aktiv (wie es durch Jesu Ruf der Verlassenheit am Kreuz angenommen wird). Falls sich Gott tatsächlich manchmal von sich aus den Menschen gegenüber verbirgt, dann muss eine passende Erklärung für das Verbergen Gottes auf Gottes Absichten des Verbergens rekurrieren, und zwar jenseits irgendwelcher menschlich-kognitiver Beschränkungen aufgrund der Sünde. Selbst wenn die menschliche Suche Belege für Gott liefert, kennt man deshalb nicht unbedingt die konkreten Absichten, weshalb sich Gott hin und wieder verbirgt. Tatsächlich sind wir in dieser Hinsicht oft unwissend. Das sollte aufgrund der Unterschiede zwischen Gott und Menschen auch nicht überraschend sein. (Dies ist eine der Hauptlehren des Buchs Hiobs.) Der wichtige Punkt hingegen ist, dass unser Fehlen einer passenden Erklärung für die Verborgenheit Gottes nicht die Tatsache in Frage stellt, dass irgendjemand gute Belege für Gottes Realität und Liebe hat. Über solche Belege zu verfügen, ist eine Sache; Gottes Absichten für das Verbergen zu erklären, ist eine ganz andere. […] Schlussendlich liegt der „Beweis“ für Gott im moralisch ernsthaften Testen. Suche also richtig und du wirst unvergleichliches Wissen und neues Leben finden. Zudem sind die freudigen, ersten Früchte der letztendlichen Erlö-

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sung (wo Gott jede Träne und Tod wegwischen wird und es kein Leiden mehr geben soll) bereits in unserer leider gebrochenen Welt offensichtlich – wenn wir nur die Augen zum Sehen und Ohren zum Hören haben. Falls unsere Befunde in Bezug auf Gott dazu führen, dass wir Gott danken und sogar loben, dann wissen wir sicher, dass wir erneuert wurden. Am Ende verbirgt sich der Jüdisch-Christliche Gott nur in Gottes einzigartiger, übermenschlicher Liebe für uns alle.

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Pragmatische Argumente und der Glaube an Gott Jeff Jordan In den vorangehenden sechs Kapiteln habe ich dafür argumentiert, dass eine Wette bezüglich der Existenz Gottes moralisch, intellektuell und theologisch angemessen sei. Ich habe dieses Wetten als eine Form der Verpflichtung Gott gegenüber verstanden, die zum Teil beinhaltet, einen Glauben an Gott auf der Grundlage eines pragmatischen Arguments zu bilden. Das Argument geht im Detail so, dass innerhalb gewisser festgelegter Parameter – man bedenke im Besonderen die Regeln (I) und (D)1 – die James’sche Wette2 einige gute Gründe für den theistischen Glauben liefern kann. In Übereinstimmung mit diesen Regeln ist es rational und moralisch zulässig, über ein pragmatisches Argument induktiv auf die Existenz Gottes zu schließen, auch wenn es keine starke Evidenzbasis dafür gibt. Es gibt jedoch einen interessanten Einwand, demzufolge ein Befolgen der Regeln (I) und (D) nicht ausreichend ist. Gemäß diesem Einwand hat ein epistemisches Subjekt starke Belege für den Atheismus, wenn gute Gründe für den Theismus fehlen, da die Abwesenheit starker Belege für den Theismus schlicht einen starken Beleg für den Atheismus darstellt. Das Schweigen Gottes, so besagt dieser Einwand, zeigt klar auf, dass dem Atheismus der Vorrang zu geben sei. Es handelt sich um den coup de grace angewandt auf den Gottesglauben, der die Waagschale auf entscheidende Weise Richtung Skeptizismus neigt.

1. Der Klang der Stille Die meistkommentierte Version dieses Einwands, die man das „Argument von der Verborgenheit Gottes“ (Divine Hiddenness Argument) nennen könnte,

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Anm. d. Übers.: Regel (I) besagt – in aller Kürze –, dass es durchaus rational und moralisch zulässig ist, eine Proposition p zu glauben, auch wenn die Wahrscheinlichkeit der Wahrheit von p