Verarbeitung und Zweckbindung von Informationen im Strafprozeß [1 ed.] 9783428478361, 9783428078363


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Verarbeitung und Zweckbindung von Informationen im Strafprozeß [1 ed.]
 9783428478361, 9783428078363

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MARCUS A. ERNST

Verarbeitung und Zweckbindung von Informationen im Strafprozeß

Schriften zum Strafrecht Heft 97

Verarbeitung und Zweckbindung von Informationen im Strafprozeß

Von

Marcus A. Ernst

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ernst, Marcus A.: Verarbeitung und Zweckbindung von Informationen im Strafprozess / von Marcus A. Ernst. - Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Schriften zum Strafrecht ; H. 97) Zug!.: Regensburg, Univ., Diss., 1992/93 ISBN 3-428-07836-5 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 3-428-07836-5

Meinen Eltern

Vorwort Die Arbeit hat im Wintersemester 1992/93 der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg als Dissertation vorgelegen. Rechtsprechung und Literatur wurden, wenn auch nur in den Anmerkungen, bis Januar 1993 berücksichtigt. Dank schulde ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Jürgen Wolter, der das Thema der Arbeit angeregt hat und mit dem ich zwei Jahre als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Regensburg zusammenarbeiten durfte. Zu besonders herzlichem Dank verpflichtet bin ich Herrn Prof. Dr. Friedrich-Christian Schroeder für seine ständige Gesprächsbereitschaft und vielen fruchtbaren Hinweise, nicht nur in bezug auf die Erstellung dieser Arbeit. Für ihre wertvolle Unterstützung, insbesondere in Form der sorgfältigen und mühevollen Korrektur des Manuskripts, danke ich Frau Karin Susanne Blank. Besonderen Dank schulde ich meinen Eltern, die mich in jeder Hinsicht unterstützt haben. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet, die ohne ihre Hilfe nicht möglich gewesen wäre.

Inhaltsverzeichnis

A. Einleitung ...................................................................................................................................... 17 B. ProblemsteUung und Reirhweite der Untersurhung .............................................................. 22

I.

Praxis und Erscheinungsformen der Informationsverarbeitung bei den Strafverfolgungsbehörden .................................................................................................................... 22 1. Staatsanwaltschaftliche Vorgangsverwaltung ........................................................... 22 2. Umfassende Datenbanken .......................................................................................... 23

a) INPOL ..................................................................................................................... 23 b) KpS - Kriminalpolizeiliche personenbezogene Sammlungen ......................... 24 c) StVG - ZEVIS ........................................................................................................ 26 3. Modeme computergestützte Fahndungsmethoden ................................................. 27 a) Schleppnetzfahndung § 163d StPO ..................................................................... 27 b) Rasterfahndung §§ 98a ff. StPO .......................................................................... 27 c) Polizeiliche Beobachtung § 163e StPO ............................................................... 29 11.

Begriffe ................................................................................................................................. 29 1. Personenbezogene Informationen .............................................................................. 30 2. Verarbeitung .................................................................................................................. 30 3. Aufbewahrung ............................................................................................................... 31 4. Veränderung - Gleichbehandlung mit der Speicherung ......................................... 31 5. Nutzung von Informationen ........................................................................................ 32 6. Begriff der Übermittlung ............................................................................................. 32

111.

Vorteile und Gefahren der elektronischen Datenverarbeitung .................................. 33 1. Vorteile der modemen Datenverarbeitung .............................................................. 33 2. Relevanz der Datenverarbeitung bei der Verfolgung besonderer krimineller Erscheinungsformen ..................................................................................................... 34 a) Erster Einsatz bei der Terrorismusfahndung .................................................... 35 b) Waffe gegen die Organisierte Kriminalität ....................................................... 35

10

Inhaltsverzeichnis 3. Gefahren durch staatliche Datenverarbeitung insbesondere bei den Strafverfolgungsbehörden für den Bürger .............................................................................. 36 IV.

Reichweite der Untersuchung ........................................................................................... 37

c. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Inlonnationsverarbeitung ....................................... I.

40

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung - Schutzbereich ............................ 43 1. Die allgemeine Handlungsfreiheit .............................................................................. 43 2. Das allgemeine Persänlichkeitsrecht und seine Ausformungen ............................ 44 3. Recht auf informationelle Selbstbestimmung .......................................................... 45 a) Gefahren der Informationsverarbeitung ............................................................ 47 b) Sphärentheorie ....................................................................................................... 47 c) Eingriffstheorie oder Lehre vom informationellen Totalvorbehalt .............. 50 d) Konzeption der autonomen Selbstdarstellung und Kommunikationstheorie

53

e) Beschränkung auf Daten - Abschichtung aufgrund der besonderen Systemgefahren der EDV als untaugliches Kriterium ......................................... 56 4. "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" als Teilinhalt der Ausformungen des allgemeinen Persänlichkeitsrechts ....................................................... 57 a) Recht auf Kommunikation und Selbstdarstellung ............................................ 61 b) Recht auf Privatheit .............................................................................................. 62 c) Entfaltungsfreiheit und Entscheidungsfreiheit ................................................. 63 d) Recht am eigenen Bild und am eigenen Wort .................................................. 64 5. Ergebnis .......................................................................................................................... 64 11.

in ~ allgemeine Persänlichkeitsrecht durch Maßnahmen der InformatIonsverarbeitung ................................................................................................................ 65

~ingriffe

1. Der moderne Eingriffsbegriff ..................................................................................... 66 2. Der Eingriffsbegriff im Strafverfahren ...................................................................... 67 3. Systematische Unterscheidung strafprozessualer Grundrechtseingriffe .............. 67 a) Zwangsmaßnahmen ............................................................................................... 67 b) Nichtimperative Maßnahmen .............................................................................. 69 c) Informationseingriff und Ausformungen ........................................................... 69 4. Ergebnis .......................................................................................................................... 71 III.

Kriterien für die Einstufung von Informationsverarbeitungsmaßnahmen als Grundrechtseingriff ............................................................................................................ 71 1. Zwang zur Angabe personenbezogener Daten ........................................................ 72 2. Herkunft und Sensibilität der Information ................................................................ 72

Inhaltsverzeichnis

11

3. Das Prinzip der Zweckbindung und die Zweckentfremdung ................................. 73 a) Zweckbindung von Strafverfolgungsdaten ......................................................... 77 b) Einengung der Zweckbindung durch Erhebungsnorm .................................... 78 c) Zufallsfunde ........................................................................................................... 79

d) Vorsorge für die künftige Strafverfolgung ........................................................ 81 (1) Systematische Einordnung ............................................................................ 81 (2) Legitimation .................................................................................................... 88 e) Zweckeinheit Verbrechensverhütung - Strafverfolgung? ................................ 90

f) Ergebnis .................................................................................................................. 90 4. Bagatelleingriffe ............................................................................................................ 91 5. Art und Weise der geplanten Informationsverarbeitung ........................................ 92

6. Unmittelbarkeit der Betroffenheit ............................................................................. 93 7. Art der staatlichen Stelle ............................................................................................. 93 8. Rechtsschutzmöglichkeiten des Betroffenen ............................................................ 93

9. Ergebnis .......................................................................................................................... 94

IV.

Rechtfertigung von Informationseingriffen zur Strafverfolgung ................................. 94 1. Staatliches Strafverfolgungsinteresse ......................................................................... 94

2. Recht auf Sicherheit als Grundrechtsbeschränkung ............................................... % 3. Informationsvorhaltung als Staatsauftrag ................................................................. 98 4. § 46 StGB - Täterbild ................................................................................................... 99 5. Abwägungsmodell ......................................................................................................... 99

6. Ergebnis .......................................................................................................................... 101 V.

Unantastbarer Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts für staatliche Informationsverarbeitung ........................................................................................................... 102

1. Unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung .................................................. 102 2. Durchgängige Abwägung ............................................................................................. 103 3. Herieitung eines absolut geschützten Bereichs ........................................................ 103

a) Art. 1 GG ................................................................................................................ 103 b) Art. 79 Abs. 3 GG .................................................................................................. 105 c) Art. 19 Abs. 2 GG .................................................................................................. 105 d) Gefahrdungsschutz - Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG ....................... 107 e) Einschränkungen des Kembereicbsschutzes ..................................................... 109

f) Zusammenfassung ................................................................................................. 110 g) Einklang mit sonstigen Schutzvorschriften und Verfahrensgrundsätzen der StPO oder des GG ................................................................................................ 113 (1) Grundsatz des offenen Verfahrens............................................................... 113

12

Inhaltsverzeichnis (2)§ 136a StPO ..................................................................................................... 114 (3) Unschuldsvermutung ..................................................................................... 115 (4)Ergebnis ........................................................................................................... 115 h) Ergebnis .................................................................................................................. 115 4. Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Menschenwürde im Strafprozeß .......... 116 5. Verfassungsrechtliche Aufbewahrungsverbote ........................................................ 116 6. Ergebnis .......................................................................................................................... 116 VI.

Anforderungen an Eingriffsgrundlagen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch Informationsmaßnahmen ....................................................................................... 117 1. Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt - GeneralklauseI ............................................ 118

2. Abwägung im einzelnen ............................................................................................... 120 a) Erforderlichkeit und Geeignetheit ...................................................................... 120 b) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne .............................................................. (I)Verfahrensstatus ............................................................................................ (2)Art und Ausmaß der Straftat ....................................................................... (3) Sensibilität der Daten ....................................................................................

121 123 124 124

3. Notwendige Verfahrenssicherungen .......................................................................... 124 a) Zweckbindungsgebot ............................................................................................. 125 b) Das Prinzip der Durchschaubarkeit ................................................................... 126 c) Auskunfts- und Löschungsrechte ........................................................................ 126 d) Einsatz unabhängiger Datenschutzbeauftragter ............................................... 126 e) Grundsatz der information ellen Gewaltenteilung ............................................ 127 f) Besonderer Schutz der Daten .............................................................................. 127 4. Ergebnis .......................................................................................................................... 128 VII.

Zwischenergebnis ................................................................................................................ 129

D. RKhtsgrundlagen und Praxis der Inlonnationsverarbeitung bei den Stralverlolgungsbehörden ....................................................................................................................................... 131 I.

Eingriff durch Aufbewahrung personenbezogener Informationen ............................. 131 1. Grundlagen .................................................................................................................... 131 2. Aufbewahrungseingriff und -befugnis innerhalb des einzelnen Strafverfahrens 131 3. Eingriff und Befugnis zur Speicherung in staatsanwaltschaftlichen Informationssystemen ................................................................................................................. 134 a) Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch Speicherung in Datenbanken der Staatsanwaltschaft ....................................................................... 135

Inhaltsverzeichnis

13

b) Legitimation zur Speicherung in staatsanwaltschaftlichen Informationssystemen ..................................................................................................................... 136 (1) §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO .................................................................... 136 (2)§§ 22 ff. KUG .................................................................................................. 138 (3) Rechtfertigung durch § 34 StGB .................................................................. 139 (4) Bundesdatenschutzgesetz als Eingriffsermächtigung ............................... 139 (5)Gewohnheitsrecht .......................................................................................... 141 (6) Richtlinien ....................................................................................................... 141 c) Ergebnis .................................................................................................................. 141 4. Einstellung von Strafverfolgungsdaten in polizeiliche Computer - Speicherung zur Vorsorge für die künftige Strafverfolgung in INPOL ...................................... 142 a) Eingriff .................................................................................................................... 142 b) Legitimation ........................................................................................................... (1)§ 81b 2. Alt. StPO ........................................................................................... (2) BKAG .............................................................................................................. (3) § 163 StPO ....................................................................................................... (4) Richtlinien .......................................................................................................

144 144 145 145 145

c) Ergebnis .................................................................................................................. 146 5. Speicherung von Strafverfolgungsdaten zu Zwecken der Gefahrenabwehr, Straftalverhütung .......................................................................................................... 147 6. Speicherung gemäß § 163d StPO ................................................................................ 147 7. Speicherung in ZEVIS ................................................................................................. 147 8. Speicherung rechtswidrig erlangter Informationen ................................................. 148 9. Speicherung von Zufallsfunden .................................................................................. 148 10. Ergebnis .......................................................................................................................... 148 11.

Übermittlung von Informationen im Bereich der Strafverfolgung als Grundrechtseingriff .................................................................................................................................. 149 1. Grundlagen .................................................................................................................... 149 a) Verfassungsrechtliche und einfachgesetzliche Übermittlungsverbote .......... (1) Übermittlungsverbote aufgrund der Menschenwürdegarantie - Kembereich .............................................................................................................. (2) Spezialgesetzliche Übermittlungsverbote oder VeIWendungsregelungen ............................................................................................................... (3) Ergebnis ...........................................................................................................

151 151 152 152

b) Übermittlungseingriff und Zweckbindung ..............;......................................... 153 c) Anforderungen an Ermächtigungen zur Datenübermittlung ......................... 155 (1) Hypothetischer Ersatzeingriff als Schutzinstrument ................................ 155 (2) Prüfungsvorbehalt beim Empfanger oder Absender ................................ 157 (3) Protokollpflichten .......................................................................................... 158 (4) Striktes Verbot der "Drittweitergabe" ........................................................ 159

14

Inhaltsverzeichnis (5) Striktes Verbot von on-line Verbindungen ................................................ 160 (6) Datenschutzrechtliche Vorkehrungen beim Empfänger .......................... 161 d) Ergebnis .................................................................................................................. 162 2. Differenzierung nach der Übermittlungsrichtung ................................................... 163 3. Datenaustausch Staatsanwaltschaft - Kriminalpolizei - § 163 StPO ..................... 163 a) Weitergabe von Strafverfolgungsdaten von der Kriminalpolizei an die Staatsanwaltschaft ................................................................................................. 164 b) Übermittlungseingriff durch die Polizei bei Aufbewahrung von im Rahmen des § 163 StPO erhobenen Daten ....................................................................... 165 c) Ergebnis .................................................................................................................. 166 4. Übermittlung von Informationen an die Strafverfolgungsbehörden .................... 167 a) Legitimation für Übermittlungseingriffe durch die Staatsanwaltschaft gegenüber anderen Behörden ................................................................................. (1)§ 161 StPO: Auskunftsrecht der Staatsanwaltschaft ................................. (2) Polizeiliche Übermittlungsermächtigungen ............................................... (3) §§ 98a Abs. 2, 98c StPO ................................................................................. (4) Bundesdatenschutzgesetz ..............................................................................

167 167 170 170 171

b) Übermittlung von Beweiserhebungen Privater ................................................. 172 c) Ergebnis .................................................................................................................. 173 5. Datenübermittlungen von den Strafverfolgungsbehörden an Dritte - wesentliche Übermittlungsbereiche und systematische Einordnung - ............................. 173 a) an die Präventivpolizei zur Gefahrenabwehr .................................................... 173 (1) Eingriffslegitimation ...................................................................................... 174 (2) Übermittlungspflichten der Staatsanwaltschaft - Zweckentfremdungsnotwendigkeiten ............................................................................................. 175 b) an die Nachrichtendienste .................................................................................... 176 (1) Eingriff ............................................................................................................. 176 (2)§ 18 BVerfSchG .............................................................................................. 176 c) an andere Behörden und Private ........................................................................ 179 (1) MISfRA - Mitteilungen in Strafsachen ..................................................... 179 (2)ZEVIS .............................................................................................................. 179 6. Ergebnis .......................................................................................................................... 181 111.

Nutzung von Informationen .............................................................................................. 182

N.

Zwischenergebnis ................................................................................................................ 182

E. Rechtmäßigkeit während einer 'Übergangszeit ........................................................................ 184 I.

Zubilligung eines Übergangsbonus .................................................................................. 184

11.

Länge der Übergangszeit ................................................................................................... 187

Inhaltsverzeichnis IH.

15

Reichweite des Übergangsbonus ...................................................................................... 188 1. Schutzwirkung des BDSG im Rahmen der Strafverfolgung .................................. 189 2. Autbewahrung während der Übergangszeit ............................................................. 189 3. Übermittlung während der Übergangszeit ............................................................... 191

IV.

Zwischenergebnis ................................................................................................................ 192

F. Wesentliche Ergebnisse ............................................................................................................ 194 Literaturverzeichnis .......................................................................................................................... 198

A. Einleitung Durch die Entwicklung und Einführung moderner Computertechnik in allen Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens hat sich unsere gesamte Gesellschaft verändert und verändert sich noch unabsehbar. Der Wert von Informationen ist gestiegen, Entfernungen und Grenzen können schneller überwunden werden. Man spricht auch von einer "Dritten industriellen Revolution"l. Eine derartige Veränderung schlägt sich im gesamten Sozialleben nieder, insbesondere auch bei der staatlichen Verwaltung, indem diese sowohl intern diese Entwicklungen vollziehen als auch im Außenverhältnis auf die veränderten Bedingungen reagieren muß. Die positiven Aspekte dieser Techniken sind jedoch in der öffentlichen Diskussion um die Einführung moderner Kommunikations- und Datenverarbeitungstechnik in den Hintergrund getreten. In erster Linie ist von den Gefahren dieser Techniken die Rede, dem "gläsernen" Menschen, einer Bedrohung von größerem Ausmaß als George Orwell sie in seinem Roman "1984" beschrieben hat2. Knapp zehn Jahre nach dem Volkszählungsurtei13 zeigen sich die ersten negativen Auswirkungen der dem Grunde nach vernünftigen und notwendigen Diskussion um den Datenschutz. Vielfach ist eine Informationsbeschaffung nicht mehr möglich, aller Orten heißt es, aus datenschutzrechtlichen Gründen könnten Informationen nicnt weitergegeben werden. Dies behindert längerfristige Planungen, wissenschaftliche Untersuchungen und möglicherweise auch wesentlich eine effektive Strafverfolgung. Forderungen wie freier Zugang zu Informationen, oder "freedom of information", werden laut4, während andere immer noch ein ausdrückliches Spezialgrundrecht auf Datenschutz und mehr Schutzvorkehrungen für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung fordern5. 1 Vgl. Steinmüller U.Q., Grundfragen des Datenschutzes, BT-Drucks. VI/3826 Anl. I, S.5 ff. 2 Vgl. Busch Cilip 38 (1991), 75 (87). 3 BVerjGE 65, 1 ff. 4 Vgl. Kneifel CR 1990, 134 ff.; ders. CR 1990, 352 ff; Brossette, Der Wert der Wahrheit, S. 223 ff. m.w.N.

2 Ernst

A. Einleitung

18

Die Entpersönlichung und der "gläserne" Mensch wurden als gleichsam zwangsläufige Folge der Einführung der modernen Techniken zur Datenverarbeitung in unserer Gesellschaft angesehen. Aufgrund der hinzutretenden, wohl teilweise als staats- oder politikverdrossen zu bezeichnenden Haltung von Teilen der Bevölkerung haben diejenigen, die Angst wecken wollten, dies erreichen können. Eine "neue" Technikfeindlichkeit wurde von Teilen der politischen Linken geschürt und gaukelt das Bild einer allgemeinen Ablehnung der Bevölkerung gegenüber der Einführung einer solchen Technik vor. Dies ist nicht nur für die Informationstechnologien zu beklagen, sondern reicht viel weiter. So werden Projekte im Bereich der Gentechnik, Fortpflanzungsmedizin, Nuklearforschung und -entwicklung behindert und verhindert. Insofern muß schon von einem technikfeindlichen Zeitgeist gesprochen werden6 . Entgegen der angeblichen Intention führen derartige Bestrebungen nicht zur Erweiterung der allgemeinen Handlungsfreiheit, die vielfach von diesen Gruppen gerade im Bereich der Schwangerschaftsabbruchsregelung gefordert wird, sondern, z.B. im Bereich der Fortpflanzungstechnik, zu Einschränkung bzw. Verbot und damit vollkommener Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit. Die Linie ist also eine konsequent moderne Erfmdungen blockierende, technikfeindliche und weniger auf Grundwerte Bedacht nehmende Verhinderungspolitik. Der Gesetzgeber reagiert hierauf jedoch mehr populär, denn abgewogen rechtspolitisch. Insbesondere die Rechtspolitiker waren nicht in der Lage, frühzeitig Vorschläge zur Integration der Informationstechnik in unsere Gesellschaft zu organisieren. Die Angst der Bevölkerung wurde nicht rechtzeitig durch Vorschläge zu Schutzbestimmungen vor den tatsächlich existierenden Gefahren der Datenverarbeitung aufgenommen und so der Boden weiterer Verunsicherung nicht entzogen. Für die Fortpflanzungsmedizin wurden weitreichende Verbote erlassen7, im Bereich des Polizeirechts und der Strafprozeßordnung soll dagegen aufS 6

Vgl. Kloepfer, Datenschutz als Grundrecht. Brossette, Der Wert der Wahrheit, S. 149 ff.

7 Vgl. die sehr weitreichende Reaktion des Gesetzgebers im Embryonenschutzgesetz vom 13. Dezember 1990, BGB!. 1990 I S. 2746; wonach z.B. jedwede Eispende durch Frauen sogar innerhalb der Verwandtschaft gern. § 1 Abs. 1 Nr. 2 EmbSchG unter Strafe steht; auch in diesem Sinne krit.: F.-C. Schroeder, FAZ v. 9.7.1991, S. 12; und neuerlich: Geilen, ZStW Bd. 103 (1991),829 ff.

A. Einleitung

19

grund erster Anzeichen für die Verbreitung der Organisierten Kriminalität8 mehr und mehr erlaubt werden. Denn hier erscheint es den politisch Verantwortlichen populär, mit Hinweis auf die Gefahren durch Terrorismus und Organisierte Kriminalität durch weitgreifende Ermittlungsermächtigungen Handlungsfähigkeit zu beweisen. Dies kann im Bereich der Grundrechtsgarantien und der Grundrechtsausübung jedoch nicht der "richtige Weg" sein. Gerade bei Strafverfolgungsmaßnahmen spielt die Informationsverarbeitung eine entscheidende Rolle. Grundsätzlich ist das Strafverfahren darauf gerichtet, die notwendigen Informationen für das durch einen Anfangsverdacht in Gang gesetzte Verfahren zu ermitteln, um so zu einer staatsanwaltlichen oder gerichtlichen Entscheidung über das Vorliegen einer Straftat, einer Täterschaft oder deren Ausschluß zu gelangen9• Zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität wurden jetzt auch Richtlinien zur begrenzten Vornahme von Initiativermittlungen zur Klärung, ob ein Anfangsverdacht vorliegt, erlassenlO• Ebenso sind auch die neuen Methoden der Informationsverarbeitung zu beachten, die, wie die Rasterfahndung oder die Schleppnetzfahndung, nur einen Verdacht auf eine Straftat erfordern und dann erst mit Hilfe von Informationsverarbeitung Verdächtige aus bestehenden Datenbeständen herausflltern sollen. Diese

Informationserhebung

ist

aufgrund

des

Legalitätsprinzips

(§ 152 Abs. 2 StPO) und der Regelungen des materiellen Strafrechts (§§ 258, 258a StGB) gesetzlich geboten bzw. strafbewehrt angeordnetll . So-

weit die Staatsanwaltschaft vom Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält, ist sie gemäß §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO dazu verpflichtet aufzuklären, ob eine Straftat verübt wurde und hat gegebenenfalls den Täter zu ermitteln12• Derartige Ermittlungen sind Informationserhebungen. Das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren ist grundsätzlich und von jeher ein Informationssammlungsverfahren13• Konkretisiert sich die Aufklärungstätigkeit in RichVgl. DER SPIEGEL 1992, Nr. 35 (24.08.1992) Titelthema, S. 26 ff. S. a. Wolter, GA 1988, 49 (53); Rogall, Informationseingriff, S. 87 ff. 10 RiStBV Anlage E Nr. 6.

8

9

Rogall 'ZStW 103 (1991), 907 (936). F.-C. Schroeder JZ 1985, 1028 ff.; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 37 A; Krey, Strafverfahrensrecht, Bd. I, Rdnr. 395 f.; Kühne, Strafprozeßlehre, Rdnr. 143 ff. 13 Vgl. Rudolphi, SK-StPO, Vor § 94 Rdnr. 4 ff.; Rogall 'ZStW 103 (1991), 907 (935); vgI. a. allg. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 60, 150. 11

12

20

A. Einleitung

tung Tatverdächtiger, werden Informationen gesammelt, die entweder den Verdacht erhärten oder ausräumen sollen. Damit wird das Ermittlungsverfahren jedoch unmittelbar von anderer Qualität, da bezüglich des Verdächtigen oder Beschuldigten personenbezogene Informationen erhoben und verarbeitet werdenl4• Genauso verhält es sich, soweit Opfer und andere Zeugen in die Informationserhebungen einbezogen werden und auch Angaben von diesen über sich selbst notwendig sind. Schon dies zeigt die Notwendigkeit besonderer Berücksichtigung des Strafverfahrens innerhalb der Schaffung einer staatlichen Informationsordnung. Parallel und unabhängig zu den Entwicklungen im Bereich des Datenschutzes hat das seit dem Bestehen der Strafprozeßordnung - aber vor allem gerade in den letzten Jahren - gewandelte Verständnis von Grund- und Bürgerrechten zu einem Nachdenken über eine Neuordnung der Strafprozeßordnung Anlaß gegeben. Diese Diskussion erhielt durch die Frage des grundrechtlichen Schutzes persönlicher Lebenssachverhalte eine große Verstärkung. Dies hat gerade auch dazu geführt, daß nicht nur die elektronische Datenverarbeitung, sondern auch die manuelle Informationsverarbeitung bezüglich ihrer Grundrechtsrelevanz differenziert betrachtet wurde l5 . Es zeichnet sich daher eine deutliche Entwicklung ab, die vom Datenschutz als Schutz des einzelnen vor der unkontrollierten Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten mit Hilfe von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen durch Staat und Private hin zu einem jedenfalls gegen den Staat gerichteten Abwehrrecht geht, das gegen jeglichen Umgang mit personenbezogenen Informationen unabhängig von der Verarbeitungsweise gerichtet ist. Die rechtlichen Probleme der Informationsverarbeitung im Strafverfahren und die grundrechtliche Verankerung des Begehrens der Bevölkerung auf Schutz der eigenen Informationen soll in dieser Arbeit untersucht werden, um mit Hilfe juristischer Methodik und der Auslegung der Verfassung die Grundlagen einer strafprozessualen Informationsordnung zu legen. Eine möglichst schnelle gesetzliche Regelung der Informationsverarbeitung bei den Strafverfolgungsbehörden16 könnte zudem die beschriebene Unsicher14 Zur Verdeutlichung einige Beispiele: Vergleich von Fingerabdrücken am Tatort mit den Fingerlinien Beschuldigter (§ 81b StPO); Durchsuchung nach Diebesbeute (§ 102 StPO [beim Verdächtigen)); körperliche Untersuchung zur Ermittlung der DAK (§ 81a StPO) usf. 15 Hierzu umfassend: Wolter, Aspekte einer Strafprozeßreform.

A. Einleitung

21

heit in der Bevölkerung beseitigen und den Strafprozeß aus einer unseligen Diskussion befreien. Damit wäre eine notwendig effektive Strafverfolgung möglich und die dazu erforderlichen Grundrechtseinschränkungen unter Beachtung des Grundgesetzes parlamentarisch legitimiert.

16

Zum Begriff der Strafverfolgungsbehörden vgl. a. F.-c. Schroeder GA 1985, 485 (490).

B. Problemstellung und Reichweite der Untersuchung Zur Einführung in die Problematik sollen zunächst einige Beispiele für die technische Entwicklung und die daraus resultierenden Einsatzmöglichkeiten moderner Computersysteme in der öffentlichen Verwaltung, insbesondere bei den Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, gegeben werden. I. Praxis und Erscheinungsformen der Informationsverarbeitung bei den Strafverfolgungsbehörden Der Strafprozeß ist Teil und zugleich Spiegelbild unserer Wirklichkeit und erfährt, wie ebendiese, Wandlungen durch die Entwicklungen in unserer Gesellschaft und den technischen Fortschritt. Parallel hierzu ändern sich auch die Erscheinungsformen der Kriminalität mit den geänderten Bedingungen moderner Technik. Hierauf reagieren die Strafverfolgungsbehörden und die Polize~ indem sie sich die technischen Fortschritte in der Datenverarbeitung und bei Geräten zur Kommunikationsüberwachung zu Nutze machen. Vom Schreibcomputer bis zu riesigen Datenverarbeitungsanlagen hat die moderne Technik Einzug bei den Strafverfolgungsbehörden gehalten. Nicht von ungefähr sprechen schon heute Beobachter vom "Kommissar Computer". Derzeit sind in der Praxis im wesentlichen drei Anwendungsgebiete moderner Informationsverarbeitung bei den Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden zu unterscheiden: die Vorgangsverwaltung bei den Staatsanwaltschaften, die Speicherung großer Datenbestände in Datenbanken bei der Polizei und zum anderen der Einsatz zu technikgestützten Fahndungsmaßnahmen. 1. Staatsanwaltschajtliche Vorgangsverwaltung

Die Staatsanwaltschaften der Länder1 arbeiten innerhalb der Vorgangsverwaltung bereits seit Jahren mit eigenen Informationssystemen2• Diese In1

Für Bayern vgl. Göttlinger eR 1989, 652 ff.

I. Praxis der Informationsverarbeitung bei den Strafverfolgungsbehörden

23

formationssysteme sollen ein efftzientes und justizförmiges Verfahren garantieren3• Grundstein hierfür war die Überführung der staatsanwaltschaftlichen Namenskarteien, die wegen des zu groß gewordenen Umfangs von der manuellen Bearbeitungsweise auf eine automatisierte Arbeitsweise umgestellt werden mußten4 • Diese Entwicklung setzte Mitte der 70er Jahre ein und umfaßte zunächst nur die Namen Beschuldigter und Verurteilter mit Aktennachweis, jedoch keine Informationen zum jeweiligen VerfahrensstandS . Mittlerweile umfassen diese Eintragungen den Namen der Betroffenen, einen Aktenachweis bzgl. aller anhängigen oder abgeschlossenen Verfahren, die berührte Strafvorschrift und - soweit abgeschlossen - die Art des Abschlusses, d.h. Urteil, Einstellung usw.

2. Umfassende Datenbanken a) INPOL Es ist auch möglich, Informationssysteme unmittelbar zur Fahndung einzusetzen. Die Polizeibehörden verfügen hier über die notwendigen Geräte (die sogenannte Hardware), weshalb derartige Maßnahmen in der Regel bei der Polizei stattfmden6 . Das wichtigste Beispiel für die Informationsverarbeitung im Zusammenhang mit Strafverfolgung und Gefahrenabwehr ist das polizeiliche Informationssystem INPOL. Am 27. Januar 1972 verabschiedete die Innenministerkonferenz des Bundes und der Länder die Schaffung eines gemeinsamen, arbeitsteiligen, elektronischen Informations- und Auskunftssystems für die gesamte Polizei in

2 Hoffmann ZRP 1990, 55 u. Fußn. 1 mit genaueren techno Angaben; Überblick über Informationssysteme bei den Staatsanwaltschaften: RebmannjSchoreit NStZ 1984, 1 (2); Ringwald ZRP 1988, 178; Gönlinger eR 1989, 652 ff. 3 Hoffmann ZRP 1990, 55 (56); Schoreit DRiZ 1987, 82 (85). Bei den Staatsanwaltschaften in Darmstadt und Frankfurt sowie bei der Amtsanwaltschaft Frankfurt wurden diese Karteien, die Informationen über den Namen des Beschuldigten, sein Geburtsdatum, Anschrift und Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft enthalten, bereits frühzeitig automatisch geführt: vgI. OLG Frankfurt NJW 1989,47. 4 Hoffmann ZRP 1990, 55 u. Fußn. 4 mit dem Beispiel der Staatsanwaltschaften Frankfurt und Darmstadt. S Hoffmann ZRP 1990, 55. 6 Vgl. Wolter GA 1988,49 (57).

24

B. Problemstellung und Reichweite der Untersuchung

der Bundesrepublik, genannt INPOL7. Dem Bundeskriminalamt wurde durch § 2 BKAG die Leitungshoheit zugewiesen8• Das INPOL-System untergliedert sich in die verschiedenen Teilbereiche9: Kriminalaktennachweis, Kriminalpolizeiliche personenbezogene SammlungenlO, Personenfahndung, Sachfahndung, Haftdatei, Daktyloskopie, Spurendokumentation - SPUDOK -, Straftaten-Straftäterdatei - SSD - und zentrale FundsteIlen, Dokumentation in umfangreichen Ermittlungsverfahren, - PIOS-. Das INPOL-System stellt einen riesigen Informationspool dar und wird in drei Richtungen genutzt, und zwar zur konkreten Gefahrenabwehr, zur Vorsorge für die künftige Strafverfolgung und auch - was sich als besonders umstritten darstellt - zur Verhütung von Straftaten11 • Entgegen der ursprünglichen Planung, die Staatsanwaltschaften an dem Informationsverbund teilhaben zu lassenl2, gibt es nur wenige Probeanschlüssel3 . Die faktische Informationsherrschaft liegt bei der Polizeil4 . b) KpS - Kriminalpolizeiliche personenbezogene Sammlungen Die Kriminalpolizeilichen personenbezogenen Sammlungen stellen den wohl wichtigsten Teil des INPOL-Systems dar, zu dem 1981 Richtlinien erlassen wurdenl5 . Die Polizei speichert in diesen Sammlungen unter anderem Informationen, die sie durch Ermittlungen im Rahmen der Strafverfolgung, welche sie für die Staatsanwaltschaft getätigt hat, erlangt hat. Als Ermächtigung zu derartigen Sammlungen werden polizeirechtliche Zuständigkeiten angeführt l6 .

7 Menen NStZ 1987, 10 (11); ders., Datenschutz und Datenverarbeitungsprobleme bei den Sicherheitsbehörden, S. 2 ff. 8 Menen, Datenschutz und Datenverarbeitungsprobleme bei den Sicherheitsbehörden, S. 4; vgI. a. Schoreit ZRP 1981, 73. 9 Menen, Datenschutz und Datenverarbeitungsprobleme bei den Sicherheitsbehörden, S. 4 ff.; ders. NStZ 1987, 10 (11). \0 Dazu Honnacker CuR 1986, 287 ff. 11 Vgl. Paeffgen JZ 1991, 437 (441); Wo/ter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 155. 12 Menen NStZ 1987, 10 (11 Fußn. 3); Kuh/mann DRiZ 1976, 265; vgI. a. RiStBV Nr. 40 ff. insb.4Ob. 13 Menen NStZ 1987, 10 (11 Fußn. 4); vgI. a. Emesti NStZ 1987, 57 (57, 60 ff.); Schoreit DRiZ 1987, 82 (85). 14 Menen NStZ 1987, 10 (11 f., 14 f.); vgI. a. Baumann StrafV 1986, 494 (4%); Ringwa/d, INPOL, S. 19 f., 172., 179 ff. 1S GMBI 1981, 120 ff.

I. Praxis der Infonnationsverarbeitung bei den Strafverfolgungsbehörden

25

Grundsätzlichen Zugang zu den Daten von INPOL haben die Bundesund Landespolizeibehörden ohne Einschränkungl7; im Zuge des Schengener Abkommens wurde auch für die Mitgliedsstaaten gern. Art. 94 ff. des Schengener Durchführungsabkommens18 die Errichtung einer computergestützten Fahndungsdatei beschlossen. Im Rahmen der internationalen Kriminalitätsbekämpfung wurde INTERPOL seit dem 23.2.1976 die Abfrage aus dem INPOL-System ermöglicht19• Ebenfalls noch 1976 erhielten die INTERPOL-Abteilungen in Stockholm, Wien, Belgrad und Rom direkte Abfragemöglichkeiten eingeräumt20. Seit 1975 sind das Bundeskriminalamt und die Rechner zahlreicher Landeskriminalämter in der Lage, über Telex den Datenbestand des AusländerZentralregisters beim Bundesverwaltungsamt zu nutzen21 • Der Datenbestand des ZEVIS-Systems des Kraftfahrtbundesamtes steht dem Bundeskriminalamt seit 197722 durch Abruf zur Verfügung23• Darüber hinaus ist das BKA in den Bereichen Terrorismus, Staatsgefährdung und Landesverrat berechtigt, auf die Daten des nachrichtendienstlichen Informationssystems NADIS zuzugreifen. Die Informationen, die das BKA zu diesen Bereichen aufgrund polizeilicher Ermittlungstätigkeit gewinnt, speist es im Gegenzug in das NADIS-System ein.

16

So h.M. VGH München NJW 1984, 2235 m. w. N.; aA. Schoreit CuR 1986, 87 (88).

Mmen, Datenschutz und Datenverarbeitungsprobleme bei den Sicherheitsbehörden, S. 28 ff. 18 Vgl. BT-Drucks. 121/92; Vertragstext abgedruckt bei Uhlig/Schomburg/lAgodny, Kommentar zum IRG, Anhang 0; vgI. a. Scheller JZ 1992, 904 (905); Kniesei NVwZ 1990, 743 f.; Weichen CR 1990, 62 ff. 19 INPOL-Nachrichten 4/74 zit. n. Merten, Datenschutz und Datenverarbeitungsprobleme bei den Sicherheitsbehörden, S. 30 Fußn. 79; zur pol. Zusammenarbeit in Europa a. Busch Cilip 30 (1988), 38 ff.; zum Schengener-Infonnationssystem SIS Cilip 33 (1989), 95 (100 ff.). 20 INPOL-Nachrichten 4/74 zit. n. Menen, Datenschutz und Datenverarbeitungsprobleme bei den Sicherheitsbehörden, S. 30 Fußn. SO. 21 INPOL-Nachrichten 4/76, 11/76; zit. n. Menen, Datenschutz und Datenverarbeitungsprobleme bei den Sicherheitsbehörden, S.31 Fußn. 85,86. Vgl. a. Kritik im 4. TB des Bill, S. 34; s. zum Gesetz zur Errichtung des Bundesverwaltungsamtes auch BGBI. 1959 I S. 829 insb. § 6, der als Ennächtigungsgrundlage bemüht wird. II Gesetzlich geregelt erst durch das Gesetz zur Anderung des Straßenverkehrsgesetzes vom 28. Januar 1987 (BGBI. 1987 I S. 486). 23 Näher Bäumler CR 1989,1008 ff.; Fuckner CR 1988, 411 ff. 17

26

B. Problemstellung und Reichweite der Untersuchung

So haben also die Polizeibehörden schon heute riesige Datenbestände, die sie aufgrund von Dateien-Richtlinien24 und Polizeigesetzen25 verwalten. Doch ist nach Ansicht der Polizeibehörden speziell die innereuropäische Verbrechensverfolgung mit Hilfe elektronischer Datenverarbeitung immer noch nicht ausreichend ausgebaut26 • Jedenfalls sei die innereuropäische Zusammenarbeit zu sehr zersplittert; so gibt es die Systeme: TREVI, EDU, HONLEA, das INTERPOL-Nachrichtensystem, das Schengener-Informationssystem (SIS), das Europäische Informationssystem (EIS)27. Ziel zukünftiger Entwicklungen soll jedoch ein Europäisches Kriminalamt EKA sein28• Wesentliche Aufgabe einer solchen europäischen Polizei soll die Informationssammlung und -auswertung darstellen. Alle bei den nationalen Polizeibehörden vorliegenden Informationen sollen zusammengeführt werden29. c) StVG - ZEVIS Das Verkehrsinformationssystem ZEVIS stellt einen großen Bestand an personenbezogenen Daten dar, der zu einem großen Teil aus Strafverfahren herrührt und auf den die Sicherheitsbehörden auch für Maßnahmen der Ge!ahrenabweh?O in weitem Umfang Zugriff haben31 . Dieses beim Kraftfahrtbundesamt in Flensburg angesiedelte Informationssystem enthält die Daten der Kraftfahrzeughalter und ihrer Fahrzeuge, Angaben über entzogene, versagte und zurückgegebene Führerscheine sowie die Personalien der in das Verkehrszentralregister (VZR) eingetragenen Personen32. Insgesamt beläuft sich die Anzahl der Datensätze allein im Bereich des Fahrzeugregisters auf ca. 35 Millionen Eintragungen33. Durch die Datensammlungen des ZEVIS-Systems verfügen die Sicherheitsbehörden über ein fast vollständiges Melderegister. GMBJ. 1981, 114 ff. Vgl. §§ 41 ff. BayPAG; §§ 30 ff. SPoIG; §§ 44g ff. HessSOG; §§ 14 ff. HambG ü. Datenverarbeitung bei der Polizei; §§ 22 ff. PolG NW. 26 Zacher, Kriminalistik 1992, 7. TI Zacher, Kriminalistik 1992, 7. 28 Zacher, Kriminalistik 1992, 7 (8 f.). 29 Zacher, Kriminalistik 1992, 7 (9). 30 Vgl. §§ 35 Abs. 1 Nr. 4, 5; 36 Abs. 2 Nr. Id StVG. 31 Zum Ganzen: Bäumler CR 1989, 1008; Brinckmann DÖV 1985, 889 ff. 32 Bäumler CR 1989,1008. 24

2S

I. Praxis der Infonnationsverarbeitung bei den Strafverfolgungsbehörden

27

3. Modeme computergestützte Fahndungsmethoden Über den weitreichenden Zugriff auf Datenbanken hinaus sind spezifische elektronische Fahndungsmaßnahmen möglich. Zur Verdeutlichung seien die wichtigsten derzeit praktizierten und auch gesetzlich geregelten Methoden erwähnt und kurz erläutert: a) Schleppnetzfahndung § 163d StPO Die durch das StVÄG 198634 in die StPO eingestellte Schleppnetzfahndung, § 163d StPO, ermächtigt die Strafverfolgungsbehörden an Grenzkontrollstellen oder bei gemäß § 111 StPO angeordneten Straßenkontrollen, personenbezogene Informationen zu speichern. Damit soll erreicht werden, daß z.B. bei Straßenkontrollstellen, die um den Tatort eines Verbrechens gebildet werden und bei denen möglicherweise auch die Täter kontrolliert werden, ohne als solche identiflziert zu werden, durch eine nachträgliche Auswertung der angefallenen Informationen doch noch Ermittlungserfolge erzielt werden können. Durch die Auswertung der anläßlich einer solchen Kontrolle erhobenen Informationen können sich dann nachträglich Verdachtsmomente ergeben. So wurden beispielsweise bei der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer 1977 die Mitteilungen der Entführer in einen Briefkasten am Gare du Nord in Paris eingeworfen. Diese Briefe wurden jeweils von einem der Beteiligten mit dem Zug von Aachen nach Paris gebracht. Aus dem Zusammenhang der bei der grenzpolizeilichen Kontrolle der Passagiere erhobenen Informationen und dem Zeitpunkt des Einwurfs der Nachrichten der Erpresser konnte man dann auf eine Person schließen, die an den jeweiligen Tagen zur maßgeblichen Uhrzeit den Zug benutzte und daher als Überbringer in Frage kam. b) Rasterfahndung §§ 98a ff. StPO Neuerlich wurde durch das Gesetz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität35 die Rasterfahndung in die StPO eingefügt.

1989 vor der Wiedervereinigung Deutschlands. Verkündet im Bundesgesetzblatt vom 30.04.1986, BGBI. I S. 537ff., 543/544; in Kraft getreten am 01.04.87. 3S BGB\. 1992 I S. 1302. 33 34

B. Problemstellung und Reichweite der Untersuchung

28

Die Rasterfahndung, §§ 98a ff. StPO, ist eine unter Verwendung von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen durchgeführte Fahndungsmethode, bei der Datenbestände systematisch nach bestimmten Kriterien ("Rastern") verglichen werden. Hierzu werden große Datenbestände der öffentlichen Verwaltung oder der Privatwirtschaft nach bestimmten Merkmalen oder Lebensgewohnheiten der potentiellen Täter einer Straftat durchsucht36 • Bei einer derartigen Fahndung werden daher zunächst aufgrund von kriminalistischer Erfahrung und konkreten Anhaltspunkten, z.B. durch Spuren am Tatort, Merkmale festgelegt37, welche der Täter der begangenen38 Tat wahrscheinlich besitzt, Z.B. Alter, Körpergröße, sonstige körperliche Merkmale, Familienstand oder bestimmte Lebensgewohnheiten. Man unterscheidet dann zwei verschiedene Vorgehensweisen, die positive und die negative Rasterfahndung. Bei der negativen Rasterfahndung werden aus einem bestimmten Datenbestand die Unverdächtigen ausgesondert, so daß nach mehreren Abgleichen die Anzahl der für eine Täterschaft in Frage kommenden Personen immer geringer wird und letztlich eine geringe Zahl von Personen übrigbleibt39. Mit der positiven Rasterfahndung werden die Personen aus einem Datenbestand aussortiert, die die festgelegten Merkmale erfüllen. Man erhält so aufgrund der oft sehr groben Merkmale eine große Anzahl von Personen, die dann in weiteren Verfahren reduziert werden muß. Mit der Rasterfahndung, insbesondere der negativen, hat man in den achtziger Jahren die Datenbestände von Versorgungsunternehmen nach Kunden "abgerastert'o4O, die ihre Rechnung bar bezahlt haben, weil dieses Verhalten für Terroristen typisch war41 • Man versuchte so, Spuren von Terroristen, insbesondere deren konspirative Wohnungen, zu ermitteln.

Vgl. auch Schoreit DRiZ 1987, 464 (466); ders. DRiZ 1987, 82 (83). Vgl. Wanner CuR 1986, 274 (279); Riegel ZRP 1980, 300. 38 Initiativermittlungen im Sinne der RiStBV Anlage E Nr. 6 ohne konkrete Tat scheiden hier aufgrund des Wortlauts der §§ 98a ff. aus. 39 Vgl. Schoreit DRiZ 1987, 82 (83); ders. DRiZ 1987, 464 (466). 40 So z.B. die Kundendaten der Hamburger Elektrizitätswerke (HEW) vgI. Bull, Datenschutz, S. 66 f. 41 Vgl. Wehner Kriminalistik 1986, 540 (541). 36

31

11. Begriffe

29

c) Polizeiliche Beobachtung § 163e StPO Die Polizeiliche Beobachtung wurde durch das OrgKG als § 163e in die StPO aufgenommen. Die Vorschrift erlaubt es, das Bewegungsverhalten von zur Fahndung ausgeschriebenen Personen oder Kraftfahrzeugen, die vermutlich bei der Verübung von Straftaten oder von einem Straftäter benutzt wurden oder werden, in einer Datei zu speichern. Die zur Fahndung Ausgeschriebenen werden bei jeder polizeilichen Kontrolle mit Ort und Zeit des Antreffens und anderen zu registrierenden Umständen, wie Begleitpersonen und benutztes Kraftfahrzeug, gespeichert. Wesentlich ist, daß auch ausdrücklich personenbezogene Informationen von Begleitpersonen erfaßt werden dürfen, auch wenn diese selbst nicht zur Fahndung ausgeschrieben sind. Der Betroffene nimmt zwar die Kontrolle wahr, erhält jedoch in der Regel keine Kenntnis von der Speicherung der angefallenen Daten bis zum Abschluß der Maßnahme42 • Aus dem daraus ableitbaren Bewegungsprofil kann sich ein Tatverdacht erhärten oder auch ausgeräumt werden sowie auf etwaige Beteiligte oder eine bestimmte Vorgehensweise geschlossen werden43• Die Vorschrift setzt eine Informationserhebung aufgrund anderer Erhebungsermächtigungen, also § 111 StPO oder Grenzkontrollvorschriften sowie sonstiger polizeilicher Befugnisse voraus und erlaubt die Nutzung dieser Informationen zu einem anderen Zweck44, nämlich der Polizeilichen Beobachtung. 11. Begriffe

Im Bereich der Informationsverarbeitung sind verschiedene Begriffe zu unterscheiden. Diese sollen hier zunächst erläutert und festgelegt werden. In der Bearbeitung wird die Terminologie in Anlehnung an das Bundesdatenschutzgesetz verwandt. Danach sind die Begriffsdefmitionen in § 3 BDSG45 als wesentliche Grundlage zu betrachten.

42 Vgl. auch StVÄGE 1989 S. 89, in dem von für den Verdächtigen "unauffälliger" Erkenntnissammlung die Rede ist. 43 Vgl. Begründung zum Gesetzentwurf des Bundesrates BT-Drucks. 12/989 S. 43 f. 44 Vgl. hierzu ausdrücklich Begründung zum OrgKG BT-Drucks. 12/989 S. 44. 45 Bundesdatenschutzgesetz vom 20.12.1990 (BGBI. I S. 2955).

30

B. Problemstellung und Reichweite der Untersuchung

Dies bietet sich an, um nicht durch zusätzliche Begriffsbildung eine Vergleichbarkeit zu erschweren. Das Instrumentarium des BDSG ist als spezialgesetzliche Regelung für die Datenverarbeitung bei einer die Daten- und Informationsverarbeitung untersuchenden Arbeit am sachnächsten. 1. Personenbezogene Infonnationen

"Personenbezogene Daten" sind gemäß § 3 Abs. 1 BDSG "Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (Betroffener)". Gemäß § 3 Abs.2 S. 2, Abs. 3 BDSG werden dort aber nur elektronisch gespeicherte Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse erfaßt, nicht aber die Perpetuierung in Akten oder in anderer, nicht elektronischer Weise. Die Verwendung des Begriffs der Daten schränkt den Anwendungsbereich auf elektronische Verarbeitung ein46 • Da im Rahmen dieser Untersuchung jedoch auch die manuelle Bearbeitung von personenbezogenen Sachverhalten betrachtet werden soll, wird im folgenden der Begriff der personenbezogenen Infonnationen als Oberbegriff für Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer Person verwandt, unabhängig von der Art der Perpetuierung und Verarbeitung, und so in die Untersuchung einbezogen. Soweit Begriffsbestimmungen des BDSG für diese Arbeit fruchtbar gemacht werden sollen, ist daher immer eine Erweiterung auch auf nicht elektronisch verarbeitete Informationen vorzunehmen. Innerhalb der Verarbeitung von personenbezogenen Informationen und Daten kann man verschiedene Phasen und Verarbeitungsweisen unterscheiden. Bei dieser Differenzierung lehnt sich die Bearbeitung an die im Bundesdatenschutzgesetz normierten Verarbeitungsphasen und -methoden an.

2. Verarbeitung Verarbeitung von Daten ist gemäß § 3 Abs. 5 BDSG "das Speichern, Verändern, Übermitteln, Sperren und Löschen personenbezogener Daten". Diese verschiedenen Verarbeitungsschritte sollen aber auch in Bezug auf manuelle Verarbeitungsweisen, also den gleichartigen Umgang mit Informationen, untersucht werden.

46 Vgl. hienu § 3 Abs. 2 S. 2 u. Abs. 3 BDSG, die Akten ausdrücklich aus dem Verarbeitungsbegriff und Regelungsbereich ausschließen.

11. Begriffe

31

Bei den Phasen der Löschung und Sperrung von Informationen und Daten handelt es sich bis auf extreme Einzelfälle nicht um Eingriffe oder Beeinträchtigungen der Betroffenen, sondern um Schutzvorkehrungen. Sie sollen deshalb auch nicht einzeln untersucht werden, sondern im Rahmen der Erörterung von Speicherung, Veränderung und Übermittlung auf die jeweilige Maßnahme bezogen betrachtet werden. "Erheben" ist gemäß § 3 Abs. 4 BDSG "das Beschaffen von Daten über den Betroffenen" und unterfällt nicht dem in Abs. 5 geregelten Begriff der Verarbeitung47•

3. Aufbewahrung Der Begriff der Aufbewahrung umfaßt die Einstellung von Informationen in Akten und das Speichern von Daten. Eine Datenspeicherung ist gemäß § 3 Abs. 5 Nr. 1 BDSG "das Erfassen, Aufnehmen oder Aufbewahren personenbezogener Daten auf einem Datenträger zum Zwecke ihrer weiteren Verarbeitung oder Nutzung." Da die elektronische Datenverarbeitung die größeren Gefährdungen darstellt, wird die Speicherung bei der folgenden Untersuchung im Mittelpunkt stehen. Die Erörterungen sind jedoch, soweit dies nicht besonders erwähnt ist, auch auf die Aufbewahrung von Informationen in Akten bezogen.

4. Veränderung - Gleichbehandlung mit der Speicherung Bei der Verarbeitung von Daten unterscheidet das BDSG zwischen der Speicherung und der Veränderung von Daten. Gemäß § 3 Abs. 5 Nr. 2 BDSG ist das Verändern von Daten das inhaltliche Umgestalten gespeicherter personenbezogener Informationen, z.B. durch Berichtigung48. Werden aber Daten inhaltlich umgestaltet, so umfaßt die neue Speicherung der so veränderten Daten jedoch einen anderen Zeicheninhalt, war also unmittelbar vorher nicht auf diese Weise gespeichert. Dies zeigt, daß der Begriff des Veränderns letztlich überflüssig ist. 47 Dies entgegen der Landesdatenschutzgesetze der Länder Berlin, Bremen, Hessen und Nordrhein-Westfaten; kritisch hierzu: PJegel, Gedächtnisschrift Meyer, 345 (346). 48

Riegel, Datenschutz in der Bundesrepublik Deutschland, S. 93.

32

B. Problemstellung und Reichweite der Untersuchung

Nach hier vertretener Auffassung ist bei der Betrachtung der Datenspeicherung auch die Datenveränderung einzubeziehen, da es sich hierbei auch um einen Speicherungsvorgang handelt49• Innerhalb der vorliegenden Untersuchung wird daher die Veränderung auch unter dem Begriff der Speicherung behandelt. Dasselbe gilt sinngemäß auch für den Oberbegriff der Informationen, deren Veränderung bei der Untersuchung der Aufbewahrung einbezogen werden.

5. Nutzung von Informationen Gemäß § 3 Abs. 6 BDSG ist das Nutzen "jede Verwendung personenbezogener Daten, soweit es sich nicht um Verarbeitung handelt". Damit wird also jeder Umgang mit Daten erfaßt, der nicht Speichern, Verändern, Übermitteln, Sperren oder Löschen ist. Die Nutzung, die möglicherweise auch technisch unterstützt sein kann, ist die Auswertung der Informationen, die aber keine Phase der Datenverarbeitung selbst ist. Für die Ermittlungen im Strafverfahren liegt hierin die wichtige Phase der Auswertung der erhobenen Informationen und Daten nach Anhaltspunkten für die zu untersuchende Straftat nach kriminalistischen Erkenntnissen.

6. Begriff der Übermittlung Gemäß § 3 Abs. 5 Nr. 3 BDSG ist das Übermitteln von Daten ein Teil der Verarbeitung. "Übermitteln [ist] das Bekanntgeben gespeicherter oder durch Datenverarbeitung unmittelbar gewonnener personenbezogener Daten an einen Dritten (Empfänger) in der Weise, daß a) die Daten durch die speichernde Stelle an den Empfänger weitergegeben werden oder b) der Empfänger von der speichernden Stelle zur Einsicht oder zum Abruf bereitgehaltene Daten einsieht oder abruft',so. Der Empfänger ist im Anschluß in § 3 Abs. 9 BDSG defmiert: "Dritter ist jede Person oder Stelle außer halb der speichernden Stelle. Dritte sind nicht 49 VgJ. Riegel, Datenschutz bei den Sicherheitsbehörden, S. 17; ders. Datenschutz in der Bundesrepublik Deutschland, S. 93. so § 3 Abs. 5 Nr. 3 BDSG.

III. Vorteile und Gefahren der elektronischen Datenverarbeitung

33

der Betroffene sowie diejenigen Personen und Stellen, die im Geltungsbereich dieses Gesetzes personenbezogene Daten im Auftrag verarbeiten oder nutzen." Unter dem Begriff der Übermittlung soll auch die manuelle Weitergabe von Informationen behandelt werden. Hf. Vorteile und Gefahren der elektronischen Datenverarbeitung

Der mit der Technisierung unserer Gesellschaft verbundene Einzug moderner Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung, unter Einschluß der Justizbehörden, erweist sich für den Bürger als vor- und nachteilig. Dies gilt es, kurz zu skizzieren. 1. Vorteile der modemen Datenverarbeitung

Wenn sich diese Arbeit auch im Anschluß wohl überwiegend mit den Nachteilen und Gefahren der Datenverarbeitung auseinandersetzen wird, sollen zunächst die Vorteile dieser Technik für den einzelnen Bürger oder die Gesellschaft dargestellt werden. Dies hat auch deshalb große Bedeutung, weil möglicherweise gerade eine Abwägung zwischen den gesellschaftlichen Interessen und denen des Einzelnen in Bezug auf Maßnahmen der Informationsverarbeitung notwendig werden kann. Der einzelne Bürger hat in weitreichender Weise Vorteile vom Einsatz der Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung. Anträge können mit Hilfe der EDV schneller bearbeitet werden, Verwaltungsverfahren sind weniger langwierig als dies früher noch der Fall war. Persönliche Angaben müssen nicht stets neu gemacht werden, sondern nur im Vergleich mit den schon früher erhobenen Daten möglicherweise ergänzt oder berichtigt werden. Benötigt die Verwaltung spezielle Angaben, so kann sie auf die einmal erhobenen Informationen zurückgreifen und muß nicht - wie früher - zeitaufwendig und damit teuer in herkömmlichen Ordnungssystemen wie Karteikästen suchen oder den Betroffenen um erneute Angabe bitten. Als einfache Beispiele sind hier die KFZ-Zulassung oder die Verlängerung der Ausweispapiere zu nennen. So gereicht es dem Bürger zum Vorteil, daß die Verwaltung die für ihre Arbeit notwendigen Informationen sachgerecht zu speichern und abzurufen

3 Ernst

34

B. Problemstellung und Reichweite der Untersuchung

in der Lage ist, da der Bürger so weniger oft in Anspruch genommen werden muß. Der wesentliche gesamtgesellschaftliche Vorteil des EDV-Einsatzes in der öffentlichen Verwaltung ist die größere EffIzienz. Durch elektronische Datenverarbeitungsanlagen können Verwaltungsverfahren vielfach automatisiert ablaufen und ersparen so teuere Arbeitszeit des Verwaltungspersonals. Zusätzlich ist die öffentliche Verwaltung damit flexibler in ihrer Reaktion auf sich verändernde Sachverhalte oder Umweltbedingungen.

2. Relevanz der Datenverarbeitung bei der Verfolgung besonderer krimineller Erscheinungsfonnen Für den Bereich der Strafverfolgung sind durch den Einsatz der EDV ganz neue Formen und Möglichkeiten der Strafverfolgung entstanden. Gerade im Bereich der Verfolgung des Terrorismus und der Bandenkriminalität über Grenzen hinweg, ist eine Bekämpfung mit den weitreichenden Möglichkeiten der EDV überhaupt erst möglich oder jedenfalls erleichtert worden. Daher haben der Staat und seine Bürger ein vitales Interesse, auch die besonderen Möglichkeiten dieser Technik für die Bekämpfung derartiger sozialschädllcher Entwicklungen einzusetzen. Die Computertechnologie - im Einsatz bei den Strafverfolgungsbehörden oder in ihrem Auftrag - ermöglicht es, riesige Informations- und Datenmengen zu speichern, miteinander zu verknüpfen und auszuwerten. Ohne zeitliche Verzögerung können Daten von einem Ort bzw. Computer zu einem anderen übermittelt werden, die jeweils gespeicherten Daten zusammengeführt und ausgewertet werden. Beim Einsatz moderner Datenverarbeitungstechniken ist es daher möglich, das sogenannte Mosaikgeheimnis zu überwinden51 , indem allgemein zugängliche Informationen aus sämtlichen Lebensbereichen gespeichert und zusammengeführt werden und damit Spurenarchive der Strafverfolgungsbehörden schnell ausgewertet werden können oder Aufenthaltsorte und Tatneigungen von Verdächtigungen schnell erkannt oder ausgeschlossen werden können. Zur Bekämpfung von zwei Erscheinungsformen der Kriminalität erscheint die elektronische Datenverarbeitung besonders geeignet: Zum einen SI

vgl. Rudolphi, SK-StGB, § 93 Rdnr. 14 ff.; Roga/l, Informationseingriff, S. 28.

IH. Vorteile und Gefahren der elektronischen Datenverarbeitung

35

das Phänomen des Terrorismus und zum anderen die sogenannte Organisierte Kriminalität. a) Erster Einsatz bei der Terrorismusfahndung Bei der Fahndung nach terroristischen Straftätern haben die Ermittlungsbehörden erstmalig in großem Ausmaß elektronische Datenverarbeitungsanlagen im Ermittlungsverfahren eingesetzt. So wurden beispielsweise den Ermittlungsbehörden bekannte Besonderheiten in der Lebensweise von terroristischen Straftaten Verdächtiger, wie ZoB. die Barzahlung von Miet-, Strom- und Wasserrechnungen als Suchkriterien genutzt und dann an potentiellen Aufenthaltsorten die Kundendateien der Versorgungsunternehmen nach Personen, die diese Merkmale erfüllen, "abgerastert". b) Waffe gegen die Organisierte Kriminalität Auch in der Bundesrepublik Deutschland sind Anzeichen für die Existenz Organisierter Kriminalität nicht mehr zu übersehen52 Organisierte Kriminalität bedeutet eine weitreichende Arbeitsteilung und die Nutzung moderner Infrastruktur sowie grenzüberschreitende kriminelle Betätigung53 . Verübt werden vor allem Delikte im Drogenhandel, Waffenhandel, Schutzgelderpressungen und internationale Automobilverschiebungeno 0

Ein besonderes Merkmal ist hierbei, daß die Organisation eine Art soziales Netz für ihre Angehörigen bereit hält, indem sie für Verteidigerkosten, Kautionen und Unterhalt für Familien von beschuldigten Organisationsmitgliedern aufkommt54 . Eine rechtzeitige Kenntnisnahme organisiert begangener Straftaten ist für die Strafverfolgungsbehörde oft schwierig, weil es sich bei diesen Straftaten vielfach um solche ohne privates Opfer handelt oder die Opfer zu eingeschüchtert sind, die Taten den Strafverfolgungsbehörden zur Kenntnis zu bringen55 Aufgrund des hohen Grades an Organisation, Arbeitsteilung und Infrastruktur laufen die herkömmlichen Ermitt0

52

Vgl. DER SPIEGEL 1992, Nr. 35 (24.08.1992) Titelthema, S. 26 ff.

53

Vgl. a. Anlage E zu RiStBV 2.1; Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 82.

BGHSt 32, 120; Schwind, Organisierte Kriminalität, S. 17 ff.; Rogall JZ 1987, 847 (852); Kubica Kriminalistik 1986, 231 f.; Ciupka/Schmidt Kriminalistik 1989, 199. 55 So insbesondere bei Schutzgelderpressungen; vgl. a. Lisken DRiZ 1987, 184 (188); Blum DRiZ 1987, 87 (87 f.); Schöch NStZ 1984, 385 (396). 54

3"

B. Problemstellung und Reichweite der Untersuchung

36

lungsmaßnahmen oft leer, weil Fahndungserfolge meist nur auf unterster Ebene einer Organisation gelingen, diese aber von der Befehlsebene völlig abgeschottet ist, so daß auch bei willentlicher Zusammenarbeit von Strafverfolgungsbehörden und einem Mitglied, dieses in der Regel keinen Hinweise geben kann. Daher bedienen sich die Strafverfolgungsbehörden immer häufiger technischer Hilfsmittel bei der Fahndung, insbesondere der automatischen Datenverarbeitung56, um so auch Hintermänner fassen zu können. Diese Erscheinungsform moderner Kriminalität, insbesondere unter dem Aspekt der immens wachsenden Rauschgiftkriminalität, war wesentlicher Auslöser für die Regelung computergestützter Fahndungsmethoden in der Strafprozeßordnung durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG57). Hier ist die Polizeiliche Beobachtung gemäß § 163e StPO, die schon oben erläutert wurde, als Beispiel anzuführen. Durch die Speicherung der Bewegungen eines Verdächtigen und der Personalien der anläßlich einer Kontrolle angetroffenen Begleitpersonen können durch das entstehende Bewegungsbild Rückschlüsse auf den Aufenthalt der Führungsebene oder auf Tatbeteiligungen getroffen werden. Für den Bereich der internationalen Kriminalität ist durch Art. 99 Schengener Durchführungsabkommen eine gleichartige Vorschrift für die Mitgliedsstaaten des Schengener Abkommens geschaffen worden58 .

3. Gefahren durch staatliche Datenverarbeitung insbesondere bei den StrafVerfolgungsbehörden für den Bürger Durch die Verbreitung der elektronischen Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung werden immer mehr personenbezogene Daten gespeichert. Hierdurch entsteht die Gefahr, daß die Staatsverwaltung durch Zusammenführen der zu verschiedenen Anlässen über den Bürger erho-

Wolter GA 1988,49 ff.; ders., SK-StPO, Vor § 151 Rdnr.23. Vg!. Entwürfe BT-Drucks. 12/989, BT-Drucks. 12/2720 und in der endgültigen Gesetzesfassung v. 15.07.1992 (BGB!. I S. 1302). 58 Vg!. auch Scheller JZ 1992,904 (907 f.). 56

57

IV. Reichweite der Untersuchung

37

benen Informationen ein Abbild über das Leben des betroffenen Bürgers und seiner Persönlichkeit zu erhalten in der Lage wäre, das er in dieser Form möglicherweise nicht bereit gewesen wäre, selbst darzustellen59 . Es ist heute möglich, in kürzester Zeit durch Verbindung mehrerer Computer oder den Austausch von Daten über Telefonleitungen (ISDNio) fremde Datenbestände nach Personen zu durchsuchen oder nach Merkmalen abzurastern. Die Daten müssen nicht wie früher mühsam und zeitaufwendig von Karteikarten oder aus Akten entnommen werden, sondern stehen unmittelbar als übermittlungsfähige Daten zur Ve~fügung. Die Staatsanwaltschaft oder die Polizei könnte sich weitreichend von anderen staatlichen Stellen Informationen über Personen übermitteln lassen, die dort gespeichert sind. Denn es sind nur wenige Übermittlungsverbote explizit normiert 61 . Eine derartige Informationsspeicherung, insbesondere in elektronischen Datenverarbeitungsanlagen mit den Möglichkeiten kurzfristigen Datenabrufs und damit der Kenntnisnahme der Informationen, als auch ihrer Übermittlung an andere Stellen oder der schier unbegrenzt möglichen Zusammenschau von Einzelinformationen einer Person zu einem Persänlichkeitsbild könnten geeignet sein, den Betroffenen in seinen Grundrechten zu verletzen. IV. Reichweite der Untersuchung

In der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, inwieweit die aufgezeigten Gefährdungen des Bürgers durch die staatliche Informationsverarbeitung rechtliche Relevanz aufweisen. Soweit Informationsverarbeitungsmaßnahmen bei den Strafverfolgungsbehörden rechtlich relevant sind, werden die verfassungsrechtlichen Vorgaben für eine strafprozessuale Informationsordnung ermittelt und die daraus resultierenden Konsequenzen für eine Regelung dieses Bereichs durch den

59

Vgl. a. Geiger, Persönlichkeitsschutz, S. 45 (46 f.).

Dabei handelt es sich um ein neues digitales Übertragungssystem der Post, das die Möglichkeiten von Datenübermittlungen verbessert, vgl. hierzu A WV-Empfehlungen, DuD 1990,417 Cf.; Pordesch, DuD 1990,559 CC. 61 Vgl. §§ 67 ff. SGB X, §§ 30 Abs. 1,35 AO, § 5 PostG, § 10 FAG und BZRG. 60

38

8. Problemstellung und Reichweite der Untersuchung

Gesetzgeber dargestellt. Soweit derzeit schon Regelungen vorhanden sind, einschließlich der Neuerungen durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität (OrgKG62) - vgl. §§ 98a ff., 163e StPO - werden diese näher betrachtet. Dabei beschränkt sich die Untersuchung ausdrücklich auf die Informationserhebung, -verarbeitung und -übermittlung in einem durch Tatverdacht in Gang gesetzten Strafverfahren63 und die durch die Gemeinsamen Richtlinien zur Verfolgung der Organisierten Kriminalität gemäß Nr. 6 möglichen Initiativermittl ungen 64. Nicht der Untersuchung unterzogen werden sollen die rechtmäßige Informationserhebung durch technische Maßnahmen, die nicht in der reinen Informationserhebung durch die Anwendung eines Computers bestehen, wie Lauschangriffe, Videoüberwachung u.ä. Auch soll hier eine von den Aspekten der Gefahrenabwehr bestimmte Informationsordnung der Sicherheitsbehörden außer Betracht bleiben. Insoweit hier jedoch notwendige Verknüpfungen und Überlagerungen vorliegen, werden diese aufgezeigt und erläutert. Die Gefährdungen für die Grund- und Bürgerrechte des Beschuldigten, aber auch für die von Opfern, anderen Zeugen und Verfahrensbeteiligten, werden abgeschichtet nach den verschiedenen Phasen der Datenverarbeitung, Speicherung, Übermittlung und Nutzung betrachtet. Soweit Fahndungsmethoden untersucht werden, sollen nur solche behandelt werden, die eine Informationsverarbeitung oder -erhebung gerade durch den Einsatz von Informationsverarbeitungsmaßnahmen unter besonderer Berücksichtigung des Einsatzes von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen ermöglichen, also Dateiabgleich, -verknüpfung und ähnlichem. 62 Vgl. Entwürfe BT-Drucks. 12/989, BT-Drucks. 12/2720 und in der endgültigen Gesetzesfassung v. 15.07.1992 (BGBl. I S. 1302). 63 Die Bereiche der Datenverarbeitung im Rahmen der Gefahrenabwehr, Verbrechensverhütung, Vorsorge für die künftige Strafverfolgung müssen daher mit Ausnahme des Bereichs Datenübennittlung in oder aus diesen Bereichen außer Betracht bleiben. Zu den Begriffen vgl. Paeffgen JZ 1991, 437 (441 f.); Merten ZRP 1991, 213 (216 ff.) jew. m.w.N. 64 Gemeinsame Richtlinien der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren der Länder über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität, KleinknechljMeyer Anl. E. zu RiStBV.

N. Reichweite der Untersuchung

39

Dabei soll sich die Untersuchung mit der gesamten Informationsverarbeitung bei den Strafverfolgungsbehärden beschäftigen und damit sowohl die EDV-gestützte Verarbeitung von Daten als auch die Behandlung personenbezogener Informationen in Akten umfassen.

c. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

Derzeit werden in der Praxis der Strafverfolgungs- und Justizbehörden zahlreiche personenbezogene Informationen und Datenl verarbeitet, d.h. gespeichert, verändert, genutzt und übermittelt. Dies sind Informationen von und über Anzeigeerstatter, Opfer, andere Zeugen, Beschuldigte, Angeschuldigte, Angeklagte und Verurteilte, vor und während eines Strafverfahrens und auch nach Verbüßung einer möglichen Strafe; also von allen nur denkbaren "Verfahrensbeteiligten" in jedem Stadium des Strafverfahrens. Das Strafverfahren ist darauf angelegt, die materielle Wahrheit zu erforschen (§§ 155, 244 Abs. 2 StPO) und die Täter einer Straftat aufgrund des staatlichen Gewaltmonopols aus spezial- und generalpräventiven Gründen zu bestrafen2. Im modernen Strafprozeß sind hierzu weitere Aspekte hinzugetreten. Im Sinne von Gerechtigkeit und Humanität sollen auch gerade Anliegen wie Wiedergutmachung, Täter-Verletzten-Ausgleich und soziale Konfliktlösung durch das Strafverfahren erreicht werden3. So ist die staatliche Strafverfolgung nicht Selbstzweck, sondern soll insbesondere dazu dienen, den durch die Straftat gestörten Rechtsfrieden wiederherzustellen, also eine Gemeinschaftsaufgabe wahrzunehmen4. Dies bedeutet aber auch, daß der Staat bei der Verfolgung einer Straftat nicht jedwede Möglichkeit zur Aufklärung und zur Erforschung der Wahrheit vornehmen darf, denn eine Strafverfolgung um jeden Preis wäre nicht in der Lage, den begehrten Rechtsfrieden wiederherzustellenS . Würde der Staat zugunsten der Strafverfolgung jedwede Maßnahme treffen dürfen und damit in die Grundrechte des Einzelnen zahlreich eingreifen (dürfen),

1

Vgl. Begriffsbestimmung in § 3 Abs. 1 BDSG.

Woller, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 13, 28. Roxin, Wiedergutmachung und Strafrecht, 1987, S. 48. 4 Vgl. BVerfGE 51, 324 (343); MaurachjZipf, AT, § 6. s Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 28, 25. 2

3

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Infonnationsverarbeitung

41

würde er damit möglicherweise den Rechtsfrieden nachhaltiger stören, als dies durch die zu verfolgende Straftat geschehen ist6• Andererseits wird das staatliche Verfahren der Strafverfolgung in den seltensten Fällen kooperativ ablaufen, insbesondere nicht bei schweren und schwersten Straftaten. In der Erwartung einer hohen Strafe wird der Straftäter wohl regelmäßig darum bemüht sein, die Ermittlungen zu behindern und den Nachweis seiner Schuld zu vereiteln. Insoweit ist der Staat zur Durchsetzung des materiellen Strafrechts und zur Aufklärung gegenüber Verdächtigen oder Beschuldigten veraniaßt, Zwangsmaßnahmen zu ergreifen oder andere Grundrechtseingriffe vorzunehmen. Die staatliche Informationsverarbeitung, insbesondere durch die Strafverfolgungsbehörden bzw. die Polizei, könnte also Grundrechtspositionen der Bürger tangieren. Mit Hilfe einer kurzen negativen Abgrenzung soll belegt werden, daß die speziellen Freiheitsrechte mangels ausreichender Weite keinen hinreichenden Schutz vor den Gefahren staatlicher Informationsverarbeitung sicherstellen7. Die Freiheit der Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG schützt in Form der negativen Meinungsfreiheit auch vor der Speicherung und Übermittlung personenbezogener Daten. Soweit aber die Informationen bei Dritten erhoben werden oder durch nicht erkennbare Übermittlung an die Strafverfolgungsbehörden gelangen, ist der Schutzbereich der negativen Meinungsfreiheit nicht berührt, da der Betroffene nicht zur Offenbarung der Information gezwungen wurde, sondern diese Informationen überhaupt nicht unmittelbar durch Befragung bei ihm erhoben wurden8. Zusätzlich muß angeführt werden, daß auch die negative Meinungsfreiheit nur die Stellungnahme und Meinung nicht zu äußern schützt, nicht aber auf Tatsachen zu beziehen ist9. Auf Tatsachen wird es den Strafverfolgungsbehörden aber in der Regel gerade ankommen. Darüber hinaus läuft der Grundrechtsschutz der negativen Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG in den Vgl. a. Wolter, Aspekte einer Strafprozeßrefonn, S. 44 f. Hier ist insbesondere auf die ausführlichen Erörterungen der Autoren Steinmüller u. a., Grundfragen des Datenschutzes, BT-Drucks. VI/3826 Anl. 1, S. 83 ff. u. Deutsch, Heimliche Erhebung von Infonnationen, S. 85 ff. jew. m. w. N. zu verweisen. 8 BVerfGE 65,1 (40 f.). 9 BVerfGE 65,1 (41). 6

7

42

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

Fällen leer, in denen die Informationserhebung heimlich oder bei Dritten erfolgtlO • In weiten Bereichen der staatlichen Informationsverarbeitung ist der Schutzbereich des Art. 5 GG daher nicht betroffen. Die Bekenntnisfreiheit aus Art. 4 GG ist nur dann berührt, wenn sich die Informationsverarbeitung insbesondere auf das Bekenntnis des Betroffenen oder sein Nicht-Bekenntnis bezieht und darauf gerichtet ist, diese Freiheit zu beeinträchtigen. Auch die anderen Freiheitsrechte, wie Art. 12 GG (Berufsfreiheitll), Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit), Art. 9 GG (Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit), Art. 10 GG (Post- und Fernmeldegeheimnis), Art. 13 GG (Wohnungsgrundrecht), gewährleisten nur ausschnittsweise Schutz gegen die beschriebenen Gefahrenl2 . Das Recht auf Eigentum aus Art. 14 GG entfaltet für den Bereich des Informationsschutzes nur im gewerblichen Bereich im Rahmen von Urheberschutzgesetzen u.ä. eine erweiterte, jedoch insgesamt auch nur minimale Schutzfunktion13. Möglicherweise sind durch Informationsverarbeitungsmaßnahmen zwar jeweils Teilinhalte der speziellen Grundrechte betroffen. Ein umfassender bzw. hinreichender Schutz ist hieraus jedoch nicht herzuleitenl4 • Denn auch bei Wahrung der durch diese Normen verbürgten Freiheiten ist eine Informationserhebung und -verarbeitung möglich, die aufgrund ihres Ausmaßes, ihrer Dauer oder durch die Art und Weise der Verarbeitung oder Übermittlung in Akten oder elektronische Datenverarbeitungsanlagen in die Privatheit eindringen kann lS und damit die oben (B. III. 3.) beschriebenen Gefährdungen verursacht. Durch staatliche Informationsverarbeitung besteht im besonderen die Gefahr der Beeinträchtigung der Privatheit des

10

BVerfGE 65,1 (40).

Wobei auch Art. 12 GG durchaus datenschutzrechtliche Teilinhalte zugeschrieben werden, vgI. Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehren, S. 466. 12 Vgl. BVerfGE 65, 1 (38 ff.). 11

13

Vgl. Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehren, S. 466.

14

Vgl. BVerfGE 65, 1 (38 ff.).

IS

Vgl. hierzu insbesondere auch BVerfGE 65,1 (38 ff.).

I. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung - Schutzbereich

43

Bürgersl6 . Ein spezielles Grundrecht auf Privatheit ist im Grundrechtskatalog nicht formuliert l7, seine Existenz wird aber nicht bezweifelt und dem Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG LV.m. Art. 1 Abs 1 GG zugeordnet l8 . Im Einklang mit dem Bundesverfassungsgericht ist daher festzustellen, daß gegen die durch die staatliche Informationserhebung und -verarbeitung für den Bürger drohenden Gefahren19 kein spezielles Freiheitsrecht als Abwehrrecht zur Verfügung steht20• Soweit durch eine Maßnahme der Informationsverarbeitung dennoch sowohl ein Eingriff in ein spezielles Grundrecht vorliegt als auch zusätzlich in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 L V. m. Art. 1 Abs. 1 GG eingegriffen wird, stehen diese Eingriffe regelmäßig gleichrangig nebeneinander21 • I. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Schutzbereich Zunächst ist der Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und seine Herleitung zu untersuchen. 1. Die allgemeine Handlungsfreiheit

Die freie Entfaltung der Persönlichkeit wird durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Entgegen der früher und teilweise noch heute vertretenen Persönlichkeitskerntheorie, im Sinne der Gewährleistung nur eines Schutzes eines sehr engen persönlichen Kernbereichs22, geht die heutige Verfassungsrechtsprechung und -literatur bei der Markierung des Schutzbereichs des Art. 2 Abs. 1 GG wesentlich weiter. Danach gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG i6 Hufen JZ 1984, 1072 (1073 f.); Rogall, Informationseingriff, S. 32; vgl. a. Mallmann, Datenschutz in Verwaltungs-Informationssystemen, S. 47 ff.; O. Mallmann JZ 1973, 651 ff.; Meister DuD 1983, 162 (163 f.). i7 Vgl. hierzu auch Hufen JZ 1984, 1072, 1073 f.; Rogall, Informationseingriff, S. 35; Benda, Handbuch des Verfassungsrechts, 119 mit Hinweis auf das in den Vereinigten Staaten normierte Recht auf ·privacy". i8 Vgl. a. BVerfGE 76, 143 (159) und auch die einfachgesetzlich geltende Regelung des Art. 8 I EMRK hierzu Frowein, in: FroweinjPeukert, Art. 8 Rdnr. 5. i9 Vgl. oben B. III. 3.. 20 BVerjGE 65, 1 (38 CL); vgl. Hufen JZ 1984, 1072 (1073 f.); Rogall, Informationseingriff, S. 35; Steinmüller u. a., Grundfragen des Datenschutzes, BT-Drucks. VIj3826 Anl. 1, S. 83 ff. 2i S. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 117; vgl. a. BVerjGE 54, 148 (153); aA. v. Mangoldt/KJein/Starck, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 11. 22 Insbesondere Peters, Festschrift für Laun, 669 (673); OLG Koblenz NStZ 1982, 338 (339); vgl. a. v. Münch, Art. 2 Rdnr. 19; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht 11, § 8 11 1 m.w.N.

44

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

die allgemeine Handlungsfreiheit des Einzelnen in der Weise, daß der einzelne Bürger nur aufgrund solcher Vorschriften zu seinem Nachteil herangezogen werden darf, die formell und materiell mit der Verfassung in Einklang stehen23 . Diese weite Interpretation wird im wesentlichen mit der Entstehungsgeschichte der Vorschrift begründet24 . Damit wird aber Art. 2 Abs. 1 GG auch zu einem Auffanggrundrecht im Verhältnis zu den speziellen Freiheitsrechten25 und ist ein subjektives öffentliches Recht26 .

2. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine Ausfonnungen Das Bundesverfassungsgericht ist aber in seiner Rechtsprechung zur Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG über die Gewährung der allgemeinen Handlungsfreiheit hinausgegangen. Durch die Verknüpfung des Schutzes der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG mit Art. 2 Abs. 1 GG wurde das allgemeine Persönlichkeitsrecht begründet27. Bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts28 um ein "unbenanntes" Freiheitsrecht, das die speziellen Freiheitsrechte ergänzt und die Grundbedingungen menschlicher Existenz und den Bestand eines abgeschirmten Bereichs persönlicher Lebensgestaltung garantieren so1l29. Eine derartige Ausweitung des Schutzbereichs impliziert aber auch eine engere Schrankenziehung für die Grundrechtsausübung. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht bezieht auch die Gewährleistung eines geschützten Bereichs der Persönlichkeit außer halb der aktiven Entfal-

BVerfGE 29, 402 (409); vgI. a. v. Münch, Art. 2 Rdnr. 18 m.w.N. Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht 11, § 8 11 2; v. Münch, Art. 2 Rdnr. 18 jew. m.w.N. 2S Vgl. a. BVerfGE 49, 15 (23); Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht 11, § 8 11 2 a) m.w.N. 26 BVerfGE 29, 402 (408). Xl BVerfGE 27, 1 (6) [Mikrozensus); 344 (350 f.) [Scheidungsakten); 32, 373 (379) [Krankenakten); 34, 238 (245 f.) [fonband); 269 (282 f.) [Soraya); 35, 202 (220) [Lebach); 44, 353 (372 f.) [Suchtkrankenberatungsstelle); 47, 46 (73) [Sexualkundeunterricht); 49, 286 (298) [franssexuelle); 54, 148 (153 ff.) [Eppler); 56, 37 (41 ff.) [Selbstbezichtigung); 63, 131 (142 f.) [Gegendarstellung); 72, 155 (170 f.) [Schuldenfreiheit Minderjähriger); Jarass NJW 1989, 857; Hufen JZ 1984, 1072 (1074); Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht 11, § 8 11 3. 28 BVerfGE 54, 148 (153). 23

24

29 Vgl. a. v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 64, 116; BK-Zippelius, Art. 1 Abs. 1 u. Abs. 2 Rdnr.97; Benda, Handbuch des Verfassungsrechts, 119; Marcic, Festschrift für Voegelin, 360 (392); Süss, Festschrift für Lehmann, 189 (197).

I. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung - Schutzbereich

45

tung ein30 • Über die Sphären persönlicher Lebensgestaltung hinaus ist insbesondere die persönliche Ehre3!, das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person32, das Recht am eigenen Bild33 und am nicht öffentlich gesprochenen Wort34 sowie der Schutz vor Unterschiebung nicht getaner Äußerungen vom Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts umfaßt35. 3. Recht auf infonnationelle Selbstbestimmung Durch das Volkszählungsurteil36 wurde das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch das Bundesverfassungsgericht weiter ergänzt. Nach dieser Entscheidung schützt das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch das sogenannte Recht auf infonnationelle Selbstbestimmunl7 . Dieses umfasse den Schutz der Bürger vor den Gefahren staatlicher Informations- und Datenverarbeitung. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung hat durch seine Einbeziehung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht Grundrechtsrang. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung "die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden,,38. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit setze unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraus39. Ein Eingriff ist "nur im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit und unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes möglich; die Einschrän-

vgl. a. Pieroth/SchJink, Grundrechte Staatsrecht 11 § 811 3. BVerfGE 54,208 (217). 32 BVerfGE 35, 202 (222). 33 BVerfGE 34, 238 (245 f.); 54, 148 (154). 30

31

34 3S

BVerfGE 34, 238 (246). BVerfGE 54,148 (155); 54, 208 (217).

37

65, 1 ff. BVerfGE 65,1 (43 f.).

38

BVerfGE 65,1

39

BVerfGE 65,1

36 BVerfGE

(42 f.). (43); vgI. a. BVerfGE 67, 100 (142 f.); 78, 77 (84 f.).

46

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

kung darf nicht weiter gehen als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerläßlich ist'o4O. Diese Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts lassen eine starke Akzentuierung zugunsten der Belange des Datenschutzes und seiner Verankerung in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG erkennen. Eine Abgrenzung, wann der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts jenseits des selbst zur Entscheidung stehenden Volkszählungsgesetzes tangiert ist, ist jedoch anhand dieser formelhaften Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts nicht möglich41 • Zwar war der Begriff des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung schon in der Literatur geprägt worden42 • Gerade aber die Anerkennung durch das Bundesverfassungsgericht und die Umsetzung der Entscheidung auch auf andere Sachverhalte und damit das Ringen um die Reichweite eines derartigen Abwehrrechtes gegen Informationseingriffe hat zu einer ausgedehnten Diskussion in vielen Bereichen der Rechtswissenschaft geführt43 •

40 41

BVerfGE 67, 100 (143). Rogall, Informationseingriff, S. 48 f.

42 Die Begriffsprägung stammt wohl von Steinmüller u. a., Grundfragen des Datenschutzes, BT-Drucks. VI/3826 An!. 1, S.5 (85, 139 ff.); vgI. a. Rogall, Informationseingriff, S. 39. 43 VgI. u.a. R. Baumann DVB!. 1984,612 ff.; Benda DuD 1984,86 ff.; Broß RiA 1984, 55 ff.; J. Busch DVBI 1984, 385 ff.; Bäumler JR 1984, 361 ff.; Konferenz der DatenSChutzbeauftragten DÖV 1984, 504 ff.; Berg eR 1988, 234 ff.; Denninger KritJ 1985, 215 ff.; ders., Informationsgesellschaft oder Überwachungsstaat, S. 107 ff.; Frohn DÖV 1984,458 ff.; Geiger DSWR 1984, 43 ff.; Groß AöR 113 (1988), 161 ff.; Hartleb DVR 1984, 99 ff.; Hase DuR 1984, 39 ff.; Hassemer StrafV 1988, 267 ff.; Heußner SGb 1984, 279 ff.; ders. RuP 1990, 147 ff.; Hufen JZ 1984, 1072 ff.; Karaus, Der grundrechtliche Schutz der Privatsphäre bei der Erhebung, Verarbeitung und Weitergabe von statistischen Daten (BVerfGE 65, 1 ff.); Kniesei Die Polizei 1984, 304 ff.; Krause JuS 1984, 268 ff.; Krumm DRiZ 1988, 270 ff.; Küpferle DuR 1987, 427 ff.; Meister DuD 1984, 162 ff.; Merlen DÖV 1985, 518 ff.; ders., Datenschutz und Datenverarbeitungsprobleme bei den Sicherheitsbehörden; Meydam DuD 1985, 12 ff.; Mückenberger KJ 1984, 1 ff.; Podlech Leviathan, 1984, 85 ff.; Riegel DVBI 1985, 765 ff.; ders. RiA 1984, 121 ff.; Rogall GA 1985, 1 ff.; Schickedanz BayVBI 1984, 705 ff.; Schlink Der Staat 1986, 233 ff.; H. Schneider DÖV 1984, 161 ff.; Schalz/Pitschas, Informationelle Selbstbestimmung und staatliche Informationsverantwortung; Schareit DRiZ 1987, 82 ff.; Schwan DVR 1985,255 ff.; Similis NJW 1984, 398 ff.; Simitis/Fuckner NJW 1990, 2713 ff.; Steinmüller DuD 1984, 91 ff.; Vahle Die neue Polizei 1986, 76 ff.; ders. DuD 1987, 434 ff.; Vogelgesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung?; Weichert, Informationelle Selbstbestimmung und strafrechtliche Ermittlung; Wente NJW 1984, 1446 ff.; Wilde BayVBI 1986, 230 ff.; Wimmer, DÖV 1984, 453 ff.

I. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung - Schutzbereich

47

a) Gefahren der Informationsverarbeitung Um unbefangene und unvoreingenommene Kommunikationsmöglichkeiten sicherzustellen, gilt es zu verhindern, daß Kommunikationspartner Zugriff auf personenbewgene Informationen erhalten, ohne daß der Betroffene dies autorisiert hätte, davon wüßte oder damit rechnen könnte. Deshalb ist der Betroffene mit Hilfe datenschutzrechtlicher Vorschriften vor der unbegrenzten Erhebung, Speicherung und Übermittlung von Informationen über ihn zu schützen44 . Ein weiterer Aspekt ist die Auswirkung von Angst vor technischer Registrierung auf unser Gemeinwesen. Wird die Freiheit von Angst vor technischer Überwachung nicht gewährleistet, droht schwerer Schaden für das Gemeinwesen, weil sich der Einzelne aufgrund der resultierenden Einschüchterung möglichst "unauffällig" benehmen wird, und, um nicht auf-zufallen, so weder am Sozialleben noch an der politischen Willensbildung in der Weise teilnähme, wie er dies sonst tun würde. Damit wird aber die Gefahr für die Grundrechtsausübung des Einzelnen auch rückbezüglich im Verhältnis zum Gemeinwesen45 . Denn ein demokratisch legitimiertes Gemeinwesen hat nur dann die Chance auf Existenz und Fortbestand, wenn die Mitglieder ihre Willensbildung und Lebensgestaltung frei von staatlichem Zwang betreiben können46 • Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist auch Ausfluß dieses Schutzgedankens47. b) Sphärentheorie Umfang und Reichweite des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG waren oft Anlaß für Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Zur Feststellung eines Eingriffs und der Eingriffstiefe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausformung als Recht auf Privatheit hat man sich sowohl bis48 zur Volkszählungsentschei-

44

45

BVerfGE 65,1 (42 f.). BVerfGE 65,1 (43).

Vgl. a. W. Schmidt JZ 1976, 32 (33). Vgl. BVerfGE 65,1 (43). 48 BVerfGE 6, 32 (41), 389 (433); 27, 1 (6),344 (350 f.); 32, 373 (378 f.); 34, 238 (245 f.); 35, 202 (220); 38, 312; 54, 148 (153); Evers, Privatsphäre, S. 40; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht 11, § 8 11 4. 46 47

48

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

dung49 als auch noch danach50 der Sphärentheorie bedient. Danach waren die drei Schutzbereiche Intimsphäre, Privat- oder Geheimsphäre und die Öffentlichkeits- oder Sozialsphäre zu differenzieren51 . Der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist betroffen, wenn der Staat von der privaten Lebensgestaltung des Bürgers Kenntnis nimmt und erfordert daher eine Ermächtigungsgrundlage52 . Damit war durch die Sphärentheorie ein Abgrenzungskriterium entwickelt, welches den Schutz des Bürgers vor Beeinträchtigungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gewährleistete. So liegt - z.B. beim Abhören des nicht öffentlich gesprochenen Wortes53 eine Verletzung der Privatsphäre vor, die aufgrund des Gesetzesvorbehalts aus Art. 2 Abs. 1 GG der gesetzlichen Eingriffsermächtigung bedarf. Bei der Kenntnisnahme von Vorgängen aus der sozialen Sphäre ist dagegen der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht betroffen. Unabhängig von der Eignung der Sphärentheorie zur Feststellung von Beeinträchtigungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch staatliche Maßnahmen außerhalb des Bereichs der Informationsverarbeitung ist sie jedenfalls kein taugliches Instrument zur Abgrenzung des Schutzbereichs und zur Einordnung von Maßnahmen als Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Rahmen ausgedehnter Informationssammlung oder der elektronischen Datenverarbeitung. Denn elektronische Datenverarbeitung sowie ausgedehnte, nicht technisch unterstützte Informationssammlungen stellen eine Gefahr für die Entfaltung und Freiheitsausübung des Einzelnen dar, unabhängig davon, aus welcher Sphäre die Informationen stammen. Vielfach werden vom Bürger durch seine Teilnahme am sozialen Leben, welches jedermann registrieren kann, da es gerade öffentlich ist, auch private Informationen bekanntgegeben. So kann eine politische Überzeugung oder deren Ablehnung bei der Teilnahme an einer Parteiveranstaltung oder einer Demonstration zum Ausdruck kommen. Ähnlich verhält es sich mit 49

BVerJGE 65, 1 ff.

so Vgl. BVerJGE 67, 100 (144); 75, 318 (380); SO, 367 (373). BVerJGE 6, 32 (41), 389 (433); 27, 1 (6), 344 (350 f.); 32, 373 (378 f.). BVerJGE 79, 256 (268); 54, 148 (153); 72 155, (170). 53 BVerJGE 34, 238 (246).

SI

S2

I. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung - Schutzbereich

49

der geistigen/politischen Einstellung, die sich in der Auswahl von Literatur in öffentlich zugänglichen Bibliotheken äußern kann. Alle diese Vorgänge haben für sich genommen wenig Aussagekraft. Würde man aber diese Einzelbetätigungen, gegen deren Erfassung und Aufzeichnung im Verwaltungsverfahren oder bei der Kundenbetreuung in der Industrie nichts einzuwenden ist, die sogar notwendig sind, damit z. B. der Entleiher von der Bibliothek zur Rückgabe gemahnt werden kann, miteinander verknüpfen, könnte man vielfach ein Persönlichkeitsproftl der betroffenen Person erstellen. Ein Verstoß gegen die Sphärentheorie im hergebrachten Sinne liegt dagegen jedoch nicht vor, da die miteinander verknüpften Daten, wie gerade dargetan, nur aus dem Bereich der öffentlichen Sphäre stammen. Ein wirksamer Schutz wird also in diesen Fällen mit Hilfe der Sphärentheorie nicht erreicht, denn auch ohne daß ein Eingriff im Sinne dieser Theorie vorliegt, könnte mit diesen Informationen ein Persönlichkeitsproftl hergestellt werden, welches einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt oder es zumindest gefährdef4. Ein Schutz des Bürgers vor derartigen Gefahren war somit für die Rechtsprechung und die Wissenschaft mit Hilfe der Sphärentheorie nicht herzuleiten. Die hergebrachte Sphärentheorie ist daher für den Bereich der automatisierten Verknüpfung von Einzeldaten - (auch) aus dem Bereich der öffentlichen Sphäre - ebenso wie für die Methode der langfristigen Observation, für den Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als nicht ausreichend anzusehen55 . Die vielfältigen Ausformungen der Sphärentheorie vermögen in diesem Bereich keine Lösung herbeizuführen56 . Eine Einordnung nach dem Sozialbezug im Sinne der Sphärentheorie ist deshalb zur Beschreibung des Schutzbereiches des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG nicht tauglich.

54

Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 175.

ss Auf den Gesichtspunkt des Grundrechtseingriffs durch Ausforschungsermittlungen, un-

abhängig von elektronischer Datenverarbeitung, war hier nicht einzugehen, vgJ. aber Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 160 ff., 192 ff. m.w.N. 56 Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 134. 4 Emal

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C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Inforrnationsverarbeitung

Auch eine Anknüpfung an den Geheimhaltungswillen des Betroffenen zur Abgrenzung des Schutzbereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist untauglich. Dies liegt darin begründet, daß auch eine Betätigung in der Öffentlichkeit in vielen Bereichen unumgänglich ist und durch die genaue Registrierung, Speicherung und Auswertung derartiger Betätigungen auch auf die engste Persönlichkeit des Betroffenen geschlossen werden kann, selbst wenn der Betroffene dies gerade geheimhalten will. Eine permanente Artikulation des Geheimhaltungswillens bei derartigen Aktivitäten wäre aber gerade nicht im Interesse des Handelnden. So kann weder der Sozialbezug noch der Geheimhaltungswille des Betroffenen als Abgrenzungskriterium für den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts herangezogen werden. c) Eingriffstheorie oder Lehre vom informationellen Totalvorbehalt Aus den möglichen Gefährdungen des Einzelnen aufgrund moderner Informationsverarbeitung zieht die Eingriffstheorie wohl die umfassendste Konsequenz. Durch jedwede Möglichkeit der Informationserhebung und -verarbeitung sei die Gefahr der Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eröffnet. Daher sei jede Art des staatlichen Umgangs mit personenbezogenen Informationen ein regelungsbedürftiger Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung;7. Jede Person habe eine Art eigentumsähnliches Recht an der Bekanntgabe ihrer Informationen und über den Umgang mit diesen. Dies führt dazu, daß der Staat sich mit dem Bürger nicht mehr befassen könnte, ohne in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einzugreifen. Diese Auffassung steht daher auch der Auffassung vom allgemeinen Totalvorbehalt sehr nahe58, ist ihre Weiterführung auf dem Gebiet des Datenschutzes und ist in den Rechtsfolgen identisch. Zunächst wirkt die Eingriffstheorie wegen ihrer Einfachheit sehr überzeugend. Sie stellt sich aber bei näherer Betrachtung als problematisch dar. Die Eingriffstheorie läßt es an der notwendigen Konkretisierung des Schutzbereichs des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung fehlen. 57 Schwan VerwArch. 1975, 120 (127 ff.); Steinmüller u. a., Grundfragen des Datenschutzes, BT-Drucks. VI/3826 Anl. 1, S.85 ff.; Denninger KritJ 1985, 215 (221, 230); vgf. a. Weßlau, VOrfelderrnittlungen, S. 180 f.; Riegel, Datenschutz bei den Sicherheitsbehörden, S. 5. 58 VgI. hierzu Rogall, Inforrnationseingriff, S. 31, 16.

I. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung - Schutzbereich

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Um einen Eingriff festzustellen, ist es notwendig, den Eingriffsgegenstand festzulegen. Dies leistet jedoch die Eingriffstheorie nicht59• Die Lehre vom Totalvorbehalt ist nicht in der Lage zu beschreiben, wie bei der Teilnahme am sozialen Leben zu unterscheiden ist, welcher Informationen sich der Betroffene durch seine Teilnahme selber begibt, also gleichsam sein Eigentum aufgibt - der Schutzbereich aufhört - und bei welchen Informationen er zu einer solchen Aufgabe nicht bereit ist. Dies wird bei den praktischen Auswirkungen deutlich. Indiziert die Darstellung der eigenen Person den Verzicht auf das Recht an dieser Information, so ist gerade die Eingriffstheorie nicht in der Lage, den Einzelnen vor der Gefährdung durch die Zusammenschau von Einzeldaten aus dem öffentlichen Bereich (Persönlichkeitsbilder) zu schützen60 • Soll jede Art der öffentlichen Betätigung vom Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung umfaßt sein, entspricht dies nicht dem vorherrschenden Kommunikationsverständnis in unserer Gesellschaft. Eine Information über einen Einzelnen ist jedenfalls dann, wenn er am öffentlichen Leben teilnimmt, Z.B. an einem Gespräch, nicht mehr nur auf ihn zu beziehen. Vielmehr wird eine derartige Beteiligung zu einem sozialen Sachverhalt, der unmittelbar auch andere betrifft61 . Würde man eine derart weitreichende Informationsbeherrschung62, wie dies die Eingriffstheorie vorschlägt, annehmen, würde man damit auch unmittelbar andere in ihrer Grundrechtsausübung in Form von Informations- und Kommunikationsrechten beeinträchtigen63 • Eine Abschichtung und Differenzierung ist daher notwendig64, wird aber von dieser Meinung nicht geleistet.

vgl. Rogall, Informationseingriff, S. 31, 54; Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 181. Benda, Festschrift für Geiger, S. 23 (34 f.); Bull, Gedächtnisschrift für Sasse, Bd. 11,869 (878); vgI. a. Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 182 f. 61 Bull, Gedächtnisschrift für Sasse, Bd. 11, 869 (878); vgI. a. Benda, Festschrift für Geiger, S. 23 (34 f.); Rogall GA 1985, 1 (11); O. Mallmann, JZ 1983, 651. 62 Zur Terminologie vgl. Amelung, Informationsbeherrschungsrechte, S. 30 insbes. Fußn. 3. 63 Bull, Gedächtnisschrift für Sasse, Bd. 11, 869 (878). 64 Vgl. a. hierzu Bull, Gedächtnisschrift für Sasse, Bd. 11, 869 (878); a. A. Weßlau, Vorfeld39 60

ermittlungen, S. 183 f.

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C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Infonnationsverarbeitung

Mit der ausschließlichen Berufung auf die Freiheit vor Informationssammlung und -weitergabe verfällt die Theorie in einen Zirkelschluß65 , die betroffene Grundrechtsposition wird nicht hinreichend beschrieben66• Durch eine derartige Interpretation des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bekäme das allgemeine Persönlichkeitsrecht eine völlig andere Dimension als bei seinen bisherigen Ausformungen. Es würde zu einem umfassenden Abwehrrecht gegen staatliche Maßnahmen. Damit gewährt die unumschränkte Anerkennung eines informationellen Selbstbestimmungsrechts als Ausfluß des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dem Betroffenen mehr Rechte als das zur Grundlage gemachte Grundrecht67. Die Beschreibung des Schutzbereichs ist so methodisch nicht möglich68• Auch die Entscheidung zum Volkszählungsgesetz stützt diese Ansicht nicht. Das Bundesverfassungsgericht gewährt keine absolute Verfügungsbefugnis über eigene Informationen. Gegen eine derartige Sichtweise spricht insbesondere der Wortlaut der Begründung, in der das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich darauf hinweist, daß das Recht auf gegen unbegrenzte Erhebung... lt69 informationelle Selbstbestimmung nur schützt. It •••

So ist die Eingriffstheorie nicht in der Lage, Kriterien für den Verzieht auf Informationsbeherrschung darzulegen, einen Schutzbereieh überhaupt erst zu beschreiben und damit auch nicht, bestimmte Gefährdungen für den Einzelnen auszuschließen. So liegt in der Zubilligung einer vollständigen Verfügungsbefugnis über die eigenen Informationen keine Lösung70• Das allgemeine Persönlichkeitsrecht verlangt aber eine Konkretisierung insofern, daß besondere persönliehkeitskonstituierende Tatbestände betroffen sein müssen. Das allgemeine Persönliehkeitsrecht als solches gibt es 65 Gallwass, Der Staat, S. 507 (511); vgl. a. Rogall, Infonnationseingriff, S. 30 f.; vgl. a. KJoepfer, Datenschutz als Grundrecht, S. 23. 66 Vgl. Rogall, InConnationseingriff, S. 31; nicht für einen Widerspruch hält dies: Weßlau, Vorfeldennittlungen, S. 180 C. 67 Rogall, Infonnationseingriff, S. 47. 68 Vgl. Rogall, Infonnationseingriff, S. 47. 6J BVerjGE 65, 1 (43) [Hervorhebung durch den Autor); vgl. a. BVerwG NJW 1990, 2765. 70 Entgegen dem Eindruck von umfassendem Grundrechtsschutz, den diese Theorie vermittelt, kommt Schwan selbst bei der Übertragung dieser Auffassung auf das Strafprozeßrecht zu dem Ergebnis, die GeneralklauseIn der §§ 161, 163 StPO rechtfertigten derartige Infonnationseingriffe; vgl. Schwan, VelWArch. 1979, 109 (111 f., 116 ff.) u. Rogall, Infonnationseingriff, S. 31.

I. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung - Schutzbereich

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nicht. Die Konstruktion eines informationellen Totalvorbehaltes kann daher nicht überzeugen. d) Konzeption der autonomen Selbstdarstellung und Kommunikationstheorie Die Vertreter der Lehre von der autonomen Selbstdarstellung leiten die SchutZWÜfdigkeit der Bürger vor staatlicher Informationsverarbeitung aus einem umfassenden grundrechtlich geschützten Selbstdarstellungsrecht her71 • Das Recht auf Selbstdarstellung sei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG zu entnehmen. Außerhalb der geschützten Privatsphäre schütze das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch den sozialen Geltungsanspruch des Individuums. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gebe dem Bürger das Recht, sein Bild in der Öffentlichkeit selbst zu defmieren und zu wählen, wie er sich selbst gegenüber Dritten oder in der Öffentlichkeit darstellen wolle72• Ausgangspunkt dieser Auffassung sind soziologische Rollentheorien73 • Die menschliche Persönlichkeit erfahre ihre Prägung durch die gesellschaftliche Resonanz auf die vorgenommenen Handlungen74 bzw. der Mensch stelle sich in verschiedenen Lebensbereichen, wie Z.B. im Erwerbs- und Familienleben, aber auch in seiner Kommunikation mit staatlichen Institutionen verschieden dar. Die verschiedenartige Darstellung sei jedoch nur möglich, wenn der Einzelne über die Informationen, die er im jeweiligen Kreis preisgibt, selbst verfügen könne bzw. vor der Verfügung anderer geschützt sei75 • Die Selbstdarstellung sei für die Bildung der Persönlichkeit existentiell. Wegen der enormen Bedeutung der Selbstdarstellung für die Persönlichkeitskonstitution wird dann dem Einzelnen ein Recht zur Bestimmung über die an die Umwelt abzugebenden oder abgegebenen Informationen 71 Vgl. Steinmüller u. a., Grundfragen des Datenschutzes, BT-Drucks. VI/3826 Anl. 1, S. 85 ff., 139; Mallmann, Datenschutz in Verwaltungs-Informationssystemen, S. 47 ff.; Podlech, AK-GG, Art. 1 Abs. 1 Rdnr. 39; Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 14,44 ff. 72

Vgl. BVerfGE 54,148 (155); 65, 1 (41 f.).

Vgl. Steinmüller u. a., Grundfragen des Datenschutzes, BT-Drucks. VI/3826 Anl. 1, S. 83 ff.; aber a. PJ. Müller, Gefährdungen der Privatsphäre, S. 65 ff.; ders., Erfassungsschutz, 141 ff. 74 Luhmann, Grundrechte als Institutionen, 61 ff. 73

75

PJ. Müller, Gefährdungen der Privatsphäre, S. 65 ff.

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C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Infonnationsverarbeitung

zugestanden76• Eine derartige Persönlichkeitskonstitution sei nicht mehr gewährleistet, wenn für den Betroffenen nicht mehr einschätzbar ist, was seine Gesprächspartner über ihn wissen. Daher sei die Darstellung auch in der Öffentlichkeit der autonomen Entscheidung des Einzelnen und damit seinem Recht auf Privatheit zuzuordnen77• Von diesem Ausgangspunkt sei das informationelle Selbstbestimmungsrecht zu beschreiben. Dieses solle umfassend gegen die staatliche Informationsverarbeitung schützen. Eine weitere Abgrenzung oder Begrenzung sei wegen des umfassenden Einflusses auf die Persönlichkeit nicht möglich78. Auch der Ansatz der Kommunikationstheorie kann nicht überzeugen. Zwar ist der Schutz von Kommunikationschancen79 notwendig, dennoch kann nicht ohne weitere Begründung bei deren Beeinträchtigung, sei sie auch noch so gering, davon ausgegangen werden, daß der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen sei oder es sich um einem Grundrechtseingriff handele. Es kann kein Recht des Einzelnen gegenüber dem Staat begründet werden, diesen von Kommunikationsvorgängen vollständig fernzuhalten. Insoweit legt die Theorie der autonomen Selbstdarstellung auch Luhmann so , auf den sie sich vielfach beruft, falsch aus81 . Zwar hat Luhmann in seiner systemtheoretisch-funktionalen Persönlichkeitstheorie die Wechselwirkung zwischen Individuum und Gesellschaft bzw. Rechtsordnung erkannt und herausgearbeitet, daraus aber gerade nicht den Schluß gezogen, dem Einzelnen stehe es auf Kosten der gesellschaftlichen Informationsordnung zu, vollständig über die eigenen Informationen zu verfügen82• Ein umfassendes Recht zur Selbstdefmition in der Gesellschaft zugunsten der Interessen des Einzelnen ist aus dem Grundgesetz nicht herzu-

76 Steinmüller u. a., Grundfragen des Datenschutzes, BT-Drucks. VI/3826 Anl. 1, S. 85 ff.; 139; Mallmann, Datenschutz in Verwaltungs-Infonnationssystemen, S. 22, 47 ff.; Podlech, AKGG, Art. 1 Abs. 1 Rdnr. 39, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 44 ff.; vgl. a. Rogall, Infonnationseingriff, S.39. 77 Steinmüller u. a., Grundfragen des Datenschutzes, BT-Drucks. VI/3826 Anl. 1, S.85; Mallmann, Datenschutz in Verwaltungs-Infonnationssystemen, S. 22. 78 Mallmann, Datenschutz in Verwaltungs-Infonnationssystemen, S. 22. 79 Vgl. a SCholzjPitschas, Infonnationelle Selbstbestimmung, S. 76 m.w.N. 80 Grundrechte als Institution, S. 53 ff., 60 ff. 81 Vgl. a. Rogall, Infonnationseingriff, S. 41; Ehmann AcP 188 (1988), 230 (335 ff.). 82 So aber wohl Mallmann, Datenschutz in Verwaltungs-Infonnationssystemen, S. 22 ff.; aber: Luhmann, Grundrechte als Institution, S. SO; Ehmann AcP 188 (1988), 230 (335 ff.); zur Konzeption Luhmanns vgl. a. Smid JuS 1986, 513 ff.

I. Das Recht auf infonnationelle Selbstbestimmung - Schutzbereich

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leiten83 . Dem Anspruch auf Selbstdarstellung sind unter anderem durch die Rechte anderer - insbesondere auf Informationsfreiheit und Äußerungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG - Grenzen gezogen84• Ein derartig umfassend verstandenes Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wie es die Vertreter der autonomen Selbstdarstellungs- und Kommunikationstheorie vorschlagen, ist inhaltsleer und fügt sich weder in die Systematik des Art. 2 Abs. 1 GG noch in die sonstige Systematik der Grundrechte ein85 • Auch das Bundesverfassungsgericht kreiert durch die Anerkennung eines informationellen Selbstbestimmungsrechts als eigenständige Ausformung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ein neues spezielles Freiheitsrecht im Sinne eines Abwehrrechtes ohne klare Konturen und nachvollziehbare Herieitung86 . Das Bundesverfassungsgericht stellt damit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung mit den anderen Persönlichkeitsrechten, wie Recht auf Kommunikation und Selbstdarstellung, Recht auf Privatheit usw. auf eine Stufe, ohne die bei den anderen Ausformungen nach langer Diskussion und vielfältiger Rechtsprechung herausgearbeiteten Begrenzungen zu benennen. Das Bundesverfassungsgericht spricht lediglich von einem Recht zur Abwehr von staatlichem Informationsgebaren87 als dem einen Ausgangspunkt und lehnt auf der anderen Seite ein Dateneigentum des Betroffenen ab88• Nach welchen Abgrenzungskriterien jedoch der verbleibende Regelungsraum gestaltet ist, läßt das Bundesverfassungsgericht offen. Eine Grenzziehung ist aber aufgrund des Ausgangspunktes der grundsätzlichen Datenherrschaft, wie gezeigt, nicht möglich. Die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts ermöglichen ebenso wie die Konzeption der autonomen Selbstdarstellung keine Abschichtung des Schutzbereichs des informationellen Selbstbestimmungsrechts. Das Bundesverfassungsgericht beantwortet lediglich die Frage nach dem Fundament des Schutzes gegenüber Maßnah83 vgI. Luhmann, Grundrechte als Institution, S.80; a. Vogelgesang, Grundrecht auf infonnationelle Selbstbestimmung?, S. 112 ff.; Kloepfer, Datenschutz als Grundrecht, S.4O ff; Rogall, Infonnationseingriff, S. 40. 84 Rogall, Infonnationseingriff, S. 41. 8S Rogall, Infonnationseingriff, S. 57, 45, 47; vgI. a. Vogelgesang, Grundrecht auf infonnationelle Selbstbestimmung?, S. 256. 86 Vgl. Rogall, Infonnationseingriff, S.44 f. lf7 BVerfGE 65, 1 Leitsatz 1 sowie S. 43. 88 BVerfGE 65,1 (43 f.).

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C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

men der Informationsverarbeitung durch die Einbeziehung in das allgemeine Persönlichkeitsrecht gemäß Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG. e) Beschränkung auf Daten - Abschichtung aufgrund der besonderen Systemgefahren der EDV als untaugliches Kriterium Teilweise wird versucht, die Reichweite des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in einem ersten Schritt durch die Beschränkung auf die automatische Datenverarbeitung, also nach der Methode, einzugrenzen. Danach sei das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nur betroffen, wenn die besonderen Systemgefahren der elektronischen Datenverarbeitung zu berücksichtigen seien89 . Unter diesem Aspekt ist eine Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nur dann vorstellbar, wenn der betroffene Bürger konkret von elektronischen Datenverarbeitungsmaßnahmen in Mitleidenschaft gezogen ist90 . Auch dieser Auffassung ist eine Absage zu erteilen. Liegt hier wohl der Schwerpunkt der Gefahren für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch staatliche Informationsverwaltung und -verarbeitung und hat die Diskussion um die elektronische Datenverarbeitung diese Problematik erst in den Blick gerückt91 , so reicht aufgrund des gewandelten Grundrechtsverständnisses eine derart enge Betrachtungsweise nicht aus92 • Aufgrund des größeren Stellenwerts der Freiheitsrechte in der Grundrechtssystematik kann auch eine Gefährdung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, in der Ausformung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, nicht nur durch elektronische Datenverarbeitung angenommen werden93 • Auch die Informationsherrschaft ohne eine derartige Verarbeitungshilfe kann die Grundrechtsausübung des Einzelnen bedrohen. So ist beispielsweise auch die Beschattung einer Person "rund um die Uhr" über längere Zeit mit der ausschließlichen Beobachtung von Vorgängen außerhalb des 19 Rudolphi, SK-StPO" Vor § 94 Rdn 45; so auch noch Rogall GA 1985, 1, (13) wohl weitreichender heute: vgl. ders., Informationseingriff, S. 82 f., 28 f. 90 Voge/gesang, Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung?, S. 154 ff. 91 So beschäftigte sich auch das BVerfG in der E 65, 1 ff. nur mit der im Volkszählungsgesetz vorgesehenen elektronischen Auswertung der Befragung; vgl. a. BVerfGE 78, 77 (84). S. a. Rogall, Informationseingriff, S. 28. 92 BVerfGE 78, 77 (84); SO, 367 (373). Vgl. a. Woller, SK-StPO, Vor § 151, Rdnr. 132 f. 93 BVerfGE 78, TI (84); 80367 (373); Schlink Der Staat 1986,233 (237 ff.); s. a. Woller GA 1988,49 (58 f.); ders., SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 114.

I. Das Recht auf infonnationelle Selbstbestimmung - Schutzbereich

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Eindringens in besonders geschützte Bereiche sicherlich als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Form des informationeUen Selbstbestimmungsrechts zu werten, auch ohne daß diese EDV-gestützt abläuft94 . Auch das Bundesverfassungsgericht nimmt eine derartige Abgrenzung von Daten und Informationen95 nicht vor96 • Eine Differenzierung, ob ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung vorliegt, danach vorzunehmen, ob elektronische Daten verarbeitet werden oder ob inhaltsgleiche Informationen über den Betroffenen manuell verarbeitet werden, ist daher abzulehnen. Eine Abschichtung mit der Begrenzung auf die Gefahren der EDV wird daher der Problematik um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht gerecht.

4. ''Recht auf infonnationelle Selbstbestimmung" als Teilinhalt der Ausfonnungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts Da die bisher vorgestellten Theorien nicht überzeugen können, ist nach anderen Möglichkeiten zur Beschreibung des Schutzbereichs bzw. der Konturierung einer Informationsverarbeitung als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu suchen. Die gemeinsame Unzulänglichkeit der bisher dargestellten Theorien besteht darin, daß der Schutzbereich des sog. informationellen Selbstbestimmungsrechts mit den verwandten Methoden nicht einzugrenzen ist. Dies führt, da die grundsätzliche Schutzwürdigkeit personenbezogener Daten wohl nicht ernstlich angezweifelt wird, zur Schutzlosigkeit oder - überwiegend - zu einem informationellen Totalvorbehalt. Dieser ist jedoch systematisch nicht mit der Verortung beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Einklang zu bringen. Auf dem Weg zu einer vermittelnden Lösung soll, entgegen anderen Ansätzen in der Literatur, die Untersuchung nicht von dem zu schützenden Sachverhalt z.B. der Beeinträchtigung des Betroffenen ausgehen und dann 94

vgl. insb. BVerfGE 78, 77 (84); vgl. a. BGH NJW 1991, 2651 m. Anm. Wolter Jura 1992,

520 (524). 95

Zu den Begriffen: Amelung, Infonnationsbeherrschungsrechte, S. 11 f.; Sieber NJW

1989, 2569 ff.

96 Für eine derartige Trennung: Rogall GA 1985, 1 (5); ders. Infonnationseingriff, S. 46; ders. GA 1989, 319 ff.

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C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

auf schutzgewährende Normen reflektieren, da bei dieser Vorgehensweise die Gefahr besteht, in einen Zirkelschluß zu geraten. Vielmehr wird von der Systematik des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausgegangen und von diesem Standpunkt aus versucht, auch die Verarbeitung von personenbezogenen Informationen zu erfassen. Die unbeschränkte Informationsverarbeitung stellt keine Gefahren für neue Ausfonnungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, sondern nur neue Gefahren für die schon bekannten Persönlichkeitsrechte. Es stellt sich daher die Frage, ob nicht die schon bekannten Ausformungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ausreichenden Schutz gegen die Gefahren der Informationsverarbeitung bei staatlichen Stellen bieten. Die Darstellung der rollentheoretischen bzw. kommunikationstheoretischen Lösungsansätze hat zu erkennen gegeben, daß die größte Gefahr staatlicher Informationsverarbeitung in der Möglichkeit der Beeinträchtigung des Rechts auf autonome Selbstdarstellung und Kommunikation besteht. Daher soll diese Ausformung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zunächst herangezogen werden. Durch die Maßnahmen staatlicher Informationsverarbeitung wird in der Regel das Recht auf autonome Selbstdarstellung nicht unmittelbar betroffen. Lediglich durch die staatliche Kenntnisnahme und Perpetuierung des Verhaltens des Betroffenen für einen kurzen Zeitraum - z.B. wenn er sein Fahrzeug ordnungswidrig abgestellt hat: hier werden eventuell der Fahrzeugführer, das Fahrzeug, Art des Fehlverhaltens, Ort und Uhrzeit registriert - liegt noch keine Beeinträchtigung des Rechts auf Selbstdarstellung und Kommunikation vor. Würden derartige Informationen langfristig gespeichert oder an diverse staatliche Stellen übermittelt, kann das Recht auf autonome Selbstdarstellung jedoch entscheidend beschnitten werden; nämlich dann, wenn der Betroffene in eine Situation gerät, in der seine Gesprächspartner wegen derartiger Registrierungen schon soviel über sein vergangenes Verhalten wissen, daß eine abweichende Selbstdarstellung nicht mehr möglich ist oder erscheint. Hier ist dann das Recht auf autonome Selbstdarstellung betroffen. Die Sammlung, Speicherung und Übermittlung der Informationen, die zu dieser Situation geführt haben, sind daher als Vorstufen zu diesem Erfolg zu verstehen.

I. Das Recht auf inforrnationelle Selbstbestimmung - Schutzbereich

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Damit aber wird deutlich, daß der Beeinträchtigung der autonomen Selbstdarstellung durch nicht erkennbaren Kenntnisstand oder übermäßige Information bei staatlichen Stellen immer die Sammlung, Übermittlung und Speicherung der Informationen vorausgeht. Mit einer derartigen Sammlung und Übermittlung von Informationen kann also eine Gefährdung für das Recht auf Selbstdarstellung begründet werden. Einem Eingriff in das Recht auf autonome Selbstdarstellung durch Datensammlungen könnte also vorgebeugt werden, würde man schon die Gefährdung, die in der vorausgehenden Sammlung besteht, in den Schutzbereich dieses Abwehrrechtes einbeziehen. Soweit Maßnahmen unternommen werden, die im weiteren Verlauf einen Eingriff in das Recht auf autonome Selbstdarstellung erwarten lassen, sind daher schon diese Vorfeldmaßnahmen einem Eingriff in die jeweilige Rechtsposition gleichzustellen, weil dem Betroffenen der Eintritt der Beeinträchtigung nicht zuzumuten ist97• Auf diese Weise ist es möglich, Informationseingriffe danach zu unter-. scheiden, ob sie Gefährdungen für das Recht auf autonome Selbstdarstellung mit sich bringen oder "einfache" Informationsverarbeitungen darstellen, die ein solches Risiko nicht bergen. Wann eine eingriffsgleiche Gefährdung vorliegt, ist sodann an der konkreten Verarbeitungsmethode zu orientieren, da die verschiedenen Methoden verschiedene Risiken für die Gefährdung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung setzen. Grundsätzlich liegt eine eingriffsgleiche Gefährdung dann vor, wenn eine derart signifikante Gefahrerhöhung für das geschützte Rechtsgut vorliegt, die das allgemeine Lebensrisiko übersteigt98. Auch hier soll der auch in anderen Teilen der Rechtsordnung nutzbar gemachte Adäquanzgedanke fruchtbar gemacht werden99 • Die Gefährdung des Bürgers durch informationelle Maßnahmen muß also über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehen. Im Verlauf der Maß97 Ebenfalls für die Einbeziehung des Gefährdungsgedankens in den Grundrechtsschutz: Wolter, Gedächtnisschrift für Meyer, 493 (495 ff.); ders., SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 90 ff.; Weßlau, VOrfelderrnittlungen, S. 188 ff.; Rogall, Inforrnationseingriff, S. 60 ff.; Bull, Gedächtnisschrift für Sasse, Bd. II, 869 (879 ff.); SCholzjPitschas, Inforrnationelle Selbstbestimmung, S. 83 ff.; Woertge, Prinzipien des Datenschutzrechts, S. 74 ff. 98 Vogelgesang, Grundrecht auf inforrnationelle Selbstbestimmung?, S. 126, 155; Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 189 ff.; Lübbe-Wolf, Eingriffsabwehrrechte, S.43 f. 99 Rogall, Informationseingriff, S. 61 f.

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

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nahme muß eine Beeinträchtigung eines der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Persönlichkeitsgüter zu erwarten sein. Die getroffene Maßnahme muß daher jedenfalls auf die Person des Betroffenen gezielt vorgenommen worden sein. Dies deckt sich aber schon mit der grundsätzlichen Voraussetzung der Verarbeitung personenbezogener Daten und kann daher als Kriterium nicht ausreichend sein. Es muß vielmehr hinzukommen, daß die informationelle Maßnahme weitere Beeinträchtigungen geradezu zwangsläufig erwarten läßt. Eine derartige Prognose hängt daher zum einen von dem betroffenen Persönlichkeitsgut des Art. 2 Abs. 1 GG und zusätzlich von der Art und Weise der Verarbeitung der Informationen ab. Vorläufig ist daher festzuhalten, daß das informationelle Selbstbestimmungsrecht nicht als ein zusätzliches Recht zu dem Recht auf Selbstdarstellung und Kommunikation zu definieren ist, sondern nur einen Teiliohalt gerade dieses Rechts darstellt lOO • Es regelt, wer welche Informationen erhalten oder autbewahren darf und wirkt damit im Vorfeld des Rechts auf autonome SelbstdarstellunglOl • Rogall bezeichnet das "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" als den anerkannten Ausformungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts beigegebene "Kompetenz" bei Eintreten bestimmter Bedingungenl02 . Den Persönlichkeitsgütern seien unter den Bedingungen der modernen Informationsverarbeitung und dadurch größerer Gefährdungen neuartige oder weiterreichende Schutzmechanismen beizugebenl03 • Diese Auffassung ermöglicht die Ausfüllung des leeren Rechts auf ioformationelle Selbstbestimmung mit tatbestandlich zu fassenden Inhalten und verhilft so zum einen zu Abwehrrechten und ermöglicht zum anderen, deren Reichweite zu konkretisieren. Für eine derartige Konkretisierung werden dann die gefestigten inhaltlich und tatbestandlich anerkannten Ausformungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts herangezogen, um in Kombination mit den verschiedenen Typen von Informationsverarbeitungsmaßnahmen den Schutzbereich neu, unter Beachtung des informationellen Selbstbe-

100 101

Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 133. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 133.

102

Informationseingriff, S. 57 f.

103

Rogall, Informationseingriff, S. 58; Zustimmung für eine derart "vermittelnde"

Lösung wohl a. Gusy JZ 1992, 786.

I. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung - Schutzbereich

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stimmungsrechts, festzulegen lO4 • Dieses Ergebnis ist auf die übrigen Ausformungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu übertragen. Aufgrund der Herleitung des informationellen Selbstbestimmungsrechts als Schutz vor Beeinträchtigung der einzelnen Ausformungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts schon in einem Vorfeld der Gefährdung ist es zunächst notwendig festzustellen, bei welchen Ausformungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts überhaupt ein Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Vorfeldschutz vor den Gefahren der Informationsverarbeitung durch die Strafverfolgungsbehörden möglich und nötig erscheintlOS. a) Recht auf Kommunikation und Selbstdarstellung Das Recht auf Kommunikation und Selbstdarstellung ist dann betroffen, wenn der Einzelne sein Bild in der Öffentlichkeit zu bestimmen, nicht mehr in der Lage ist. Zur Festlegung des Schutzbereiches des informationellen Selbstbestimmungsrechts sind die Erkenntnisse um die soziale Bedeutung von Kommunikationsvorgängen fruchtbar zu machen lO6 • Durch die Veränderungen in den Techniken der Informationsverarbeitung und dem gewandelten Grundrechtsverständnis ist dieses Grundrecht neuen Gefährdungen ausgesetzt. Sowohl die Aufbewahrung als auch die Übermittlung von Informationen können für den Betroffenen eine Beeinträchtigung in seiner Selbstdarstellung und Kommunikation darstellen. Zur Persönlichkeitskonturierung ist dem einzelnen die Möglichkeit zu eröffnen, das Bild, das die Gesellschaft von ihm hat, selbst zumindest mitzubestimmen. Kommt es daher bei staatlichen Stellen zur langfristigen Aufbewahrung von Informationen oder zu für den Betroffenen nicht einschätzbarem Informationsaustausch, ist eine unbefangene Selbstdarstellung nicht mehr möglich. Diese Gefährdung wird durch die derzeit unklare Gesetzeslage zu Informationsverarbeitungsmaßnahmen und der daraus resultierenden mangelnden Einschätzbarkeit des Informationsstands staatlicher Behörden weiter begünstigt. Jede über die Informationserhebung hinausgehende Verwertung der Kenntnisse über den Betroffenen, mögen sie auch aus öffentlich zugäng104

lOS 106

Rogall, Informationseingriff, S. 58 ff. Vgl. a. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 90. Vgl. a. Mallmann, Datenschutz in Verwaltungs-Informationssystemen, S. 47 ff.

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C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

lichen Bereichen des Betroffenen stammen, kann daher einen weiteren Grundrechtseingriff, in diesem Fall in das Recht auf Kommunikation und Selbstdarstellung, darstellen l07• b) Recht auf Privatheit Das Recht auf Privatheit gewährt dem Einzelnen das Recht, einen zurückgezogenen Raum freier Lebensgestaltung zu wahren, in dem dem Staat die Kenntnisnahme grundsätzlich verwehrt ist. Die moderne Informationsverarbeitung birgt aber gerade für das Recht auf Privatheit neue Gefahren. War es früher ausreichend, mit Hilfe der Sphärentheorie die Privatheit zu schützen, indem man die Einsichtnahme in bestimmte, dem privaten Bereich zuzuordnende Quellen verhinderte, reicht dies - wie im Rahmen der Sphärentheorie dargestellt - heute für einen wirksamen Schutz nicht aus. Es ist vielmehr so, daß durch die Verknüpfung von Einzelinformationen nur aus dem herkömmlich als öffentliche Sphäre bezeichneten Bereich Persönlichkeitsbilder erstellt werden können, die Schlüsse auf das höchstpersönliche Wesen des Betroffenen zulassen und damit in das Recht auf Privatheit eingreifen. Es sind also Schutzvorkehrungen zu treffen, die den Schutz des Einzelnen vor der Verknüpfung von Einzelinformationen über sein Leben, seien sie auch aus dem öffentlich zugänglichen Bereich, sicherstellen, soweit hierdurch ein Persönlichkeitsbild entstehen könnte, das auch Einblicke in den höchstpersönlichen Bereich gewähren könnte. Auch hier greift der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in einem Gefährdungsvorfeld ein. Der Schutzbereich dient im wesentlichen der Verhinderung der Erstellung von Persönlichkeitsbildern aufgrund der Verknüpfung von Einzelinformationen. Dabei ist von wesentlicher Bedeutung, daß eben nicht nur höchstpersönliche Informationen umfaßt sind, sondern gerade die in der Verknüpfung der Daten bestehende Gefahr gebannt werden soll, auch ohne höchstpersönliche Informationen auf die innerste Persönlichkeit schließen zu können. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wirkt weit im Vorfeld, nämlich in dem Sinne, daß aufgrund des Schutzes vor solchen Persönlichkeitsbildern der Bürger seine Entfaltungschancen wahrnehmen kann und nicht wegen der 107

Wo/ter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 132.

I. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung - Schutzbereich

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Angst vor derartigem staatlichen Verhalten auf solche verzichten müßte, indem bestimmte Informationsverarbeitungsmöglichkeiten wegen dieser Gefährdung nicht gestattet werden oder unter besondere Schutzvorkehrungen zu stellen sind. Eine weitere Konkretisierung ist jedoch nur anhand der Betrachtung der Verarbeitungsmethoden möglich. c) Entfaltungsfreiheit und Entscheidungsfreiheit Menschenwürdegarantie und Freiheitsrechte schützen nicht nur negativ vor staatlichem Zwang, sondern gewähren positiv auch die Grundlagen zur PersönlichkeitsentfaltunglO8 . Diese Ausformung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts könne nach Rogall109 - in unserem Staat - nicht von staatlichen Informationsverarbeitungsmethoden bedroht sein. Doch gerade eine derartige Beurteilung oder pauschale Einordnung sucht die Diskussion zum Thema Datenschutz zu verhindern und ist daher nicht zu vernachlässigen. Rogall ist zuzugeben, daß, schützt man das Recht auf Privatheit wirksam, es nicht zu einer Rückbezüglichkeit kommen kann, die aufgrund der Registrierung der Privatheit die Einschränkung der Entfaltungsfreiheit nach sich ziehen könnte. Liegt der Fall jedoch anders, sei es auch durch rechtswidrige Eingriffe in die Privatheit, kann die Gefahr der Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit nicht völlig von der Hand gewiesen werden. So ist es nicht schwierig nachzuvollziehen, daß Z.B. im öffentlichen Dienst Beschäftigte, die aufgrund von Fernsehberichterstattungen oder eigener Wahrnehmung wissen, daß bei Demonstrationen regelmäßig und in großem Umfang Videoaufnahmen gefertigt werden, als auch Demonstrationsteilnehmer bei der Anfahrt zum Demonstrationsort mit ihrem Kraftfahrzeug registriert und gespeichert werden, aus Angst vor Nachteilen auf die Ausübung ihres Demonstrationsrechtes verzichten. Derartige Befürchtungen zeigen auch gerade die Klagebegehren gegen das Volkszählungsgesetz. Eine Rückbezüglichkeit derartiger Gesetze auf das Verhalten der Bürger kann nicht als Fiktion bezeichnet werden.

lOS Vgl. Grabitz AöR 98 (1973), 568 (608 f.); Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr.22; Krauß, 7. SchwIT-Festgabe, 171 (185). 109 Rogall, Informationseingriff, S. 58.

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C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher InCormationsverarbeitung

Es bleibt jedoch zu beachten, daß, wird das Recht auf Privatheit im oben beschriebenen Sinne gewahrt, eine tatsächliche Gefährdung der Entscheidungsfreiheit fast ausgeschlossen erscheint. d) Recht am eigenen Bild und am eigenen Wort Bei den Rechten am eigenen Bild und am eigenen Wort ist eine Beeinträchtigung schon durch eine Gefährdung im Sinn der Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung nicht erkennbar. Wird der Betroffene auf Bild- oder Tonmaterial aufgenommen, liegt ein Eingriff in seine Rechte vor, wird er dies nicht, liegt aber auch keine genauer zu fassende und damit abgrenzbare Gefährdung vor. Auch die Möglichkeit, z.B. als unbeteiligte Kontaktperson eines Straftäters im Zuge von Bild- oder Tonaufzeichnungen ebenfalls beeinträchtigt zu werden llO, ist schon bei der Eingriffsbefugnis zu solchen Aufnahmen mit zu berücksichtigen, gewährt aber kein eigenes Gefährdungsabwehrrecht.

5. Ergebnis Die Gefahren der Informationsverarbeitung, insbesondere bei Anwendung moderner Datenverarbeitungstechnik, liegen in den vielfältigen Verknüpfungsmöglichkeiten, der ständigen Abrufbarkeit, der zeitlich unbegrenzten Speicherung und der nicht offensichtlichen Weitergabe der Informationen, also letztlich in der mangelnden Durchschaubarkeit des staatlichen Verhaltens in Kombination mit unberechenbar hohem Informationsvorsprung. Bei einem derartigen informationellen Verhalten des Staates ist der Einzelne in seiner Grundrechtsausübung eingeschränkt oder wenigstens gefährdet. Der Einzelne kann gegenüber dem Staat nicht mehr einschätzen, über welche Informationen dieser verfügt. Er kann nicht mehr das Bild über sich selbst gestalten bzw. ändern. Durch die Verknüpfungs- und Übermittlungsmöglichkeiten können Persönlichkeitsbilder hergestellt werden, die nicht dem Willen des Betroffenen oder der Wirklichkeit, z.B. nach Änderung der Persönlichkeit, entsprechen.

HO BOH NJW 1991, 2651 m. Anm. Wolter Jura 1992, 520 (524 C.); Oeppert JK 92 StPO, § 163/1; Hassemer JuS 1992, 161; Merten NJW 1992, 354.

11. Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch Informationsverarbeitung

65

Diese Gefahren werden nicht von den speziellen Freiheitsrechten umfänglich erfaßt. Derartige staatliche Informationsverarbeitungsmaßnahmen tangieren den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Das "informationelle Selbstbestimmungsrecht" stellt kein eigenständiges Recht neben den bisher bekannten Ausformungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar, sondern ist ein Schutz im Vorfeld der anerkannten Ausformungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Hierzu gehören das Recht auf Privatheit, das Recht auf Selbstdarstellung und Kommunikation, das Recht auf Entfaltungs- und Entscheidungsfreiheit sowie die Rechte am eigenen Bild und am eigenen Wort. Diese sind Grundlage des Wirkungsbereichs des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. Auch Gefährdungen sind in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einzubeziehen, weil den Betroffenen der Eintritt einer zu erwartenden Verletzung nicht ohne weiteres zumutbar ist. Die Rechte am eigenen Bild und am eigenen Wort haben im Bereich der Grundrechtsgefährdung jedoch keine eigenständige Bedeutung. Das Recht auf Selbstdarstellung und Kommunikation ist durch Informationsverarbeitungsmaßnahmen besonders gefährdet. Bei der Betrachtung des Schutzbereichs des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Bezug auf derartige Maßnahmen ist daher dieser Ausformung besondere Bedeutung beizumessen. Damit wird insbesondere der Forderung nach einer Feststellung der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts im Einzelfall Rechnung getragen und nicht ein "Super"-Abwehrrecht konstruiert, das sich mangels Konturierung als weniger eingriffsfest herausstellen könnte. 11. Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch Maßnahmen der Informationsverarbeitung

Nachdem die Reichweite des Schutzbereiches des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aufgrund neuartiger Gefahren durch Informationsverarbeitungsmaßnahmen auch auf ein Gefährdungsvorfeld auszudehnen ist, bleibt zu erörtern, welche Kriterien einen Informationseingriff indizieren. S Emlt

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C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

1. Der modeme Eingriffsbegriff

Eingriffe des Staates in die Freiheit und das Eigentum von Grundrechtsträgern stehen unter dem Vorbehalt des Gesetzes und bedürfen einer Ermächtigungsgrundlage111 . Eingriffe sind von schlicht-hoheitlichem Handeln staatlicher Behörden zu unterscheiden, welches nur einer Aufgabenzuweisungsnorm, nicht aber einer Ermächtigungsgrundlage bedarf112• Der Begriff des Eingriffs hat in der staatsrechtlichen Lehre in den letzten Jahrzehnten eine deutliche Veränderung erfahren113. Der klassische Eingriffsbegriff setzte eine zweckgerichtete, einseitig hoheitliche, unmittelbare Beeinträchtigung des Bürgers durch einen Rechtsakt voraus114• Insbesondere die deutliche Zunahme der staatlichen Leistungsverwaltung und die Erkenntnis der Ähnlichkeit der Auswirkungen von Leistung und Eingriff auf den Bürger hat zum weitgehenden Verzicht auf das Merkmal der Finalität des Eingriffs geführt115 und auch rein faktische Grundrechtsbeeinträchtigungen als Eingriff eingeordnet116• Außerdem wurde eine Ausweitung des Eingriffsbegriffs durch die Integration auch von Grundrechtsgefährdungen vorgenommen117• Zudem ist für das Vorliegen eines Eingriffs keine unmittelbare Zwangseinwirkung notwendig. Auch nichtimperatives Verhalten des Staates kann einen Eingriff gegenüber dem Bürger darstellen. Eingriffe erfordern grundsätzlich Befugnisnormen, Aufgabenzuweisungsnormen reichen regelmäßig nicht hin. Das heißt, Eingriffe stehen unter dem Vorbehalt des Gesetzes118• Die Herleitung des Gesetzesvorbehalts wird

11l BVerjGE 7, 198 (204); Herzog, Maunz/Dürig/Henog/Scholz, Art. 20 VI Rdnr. 55 ff.; v. Münch, Art. 1 Rdnr. 16 ff.; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rdnr. 201, 508; schon früh: Jellinek, System, 1905, S. 84 ff.; vgI. a. Rudolphi, SK-StPO, Vor § 94 Rdnr. 14 ff.; Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 160 ff. 112 Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 165. 113 Vgl. a. Rogall, Informationseingriff, S. 17; Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 163 f. 114 Vgl. Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehren, S. 231 f.; Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 162 m.w.N. 115 V g1. Rogall, Informationseingriff, S. 17. 116 Vgl. Rogall, Informationseingriff, S. 17.

117 Vgl. BVerjGE 49, 89 (142); 51, 234 (326 f.); 53,30 (51); 66, 58; sowie Rogall, Informationseingriff, S. 17; a. Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 188 f. 118 Zur begrifflichen Abgrenzung zum Gesetzesvorbehalt vgI. Rogall, Informationseingriff, S. 11 f.; Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 160.

11. Eingriffe in das allgemeine Persänlichkeitsrecht durch Informationsverarbeitung

67

teilweise aus dem Rechtsstaatsprinzip, teilweise aus den Grundrechtsnormen selbst und auch aus gewohnheitsrechtlichen Quellen unternommen119•

2. Der Eingriffsbegriff im Strafverfahren Auch die im Mittelpunkt des Interesses dieser Arbeit stehende Strafverfolgungstätigkeit des Staates ist von dem Erfordernis der Ermächtigungsgrundlage für Grundrechtseingriffe nicht suspendiert120• Sowohl die einzelnen grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte als auch der allgemeine Vorbehalt des Gesetzes gelten nach ganz herrschender Meinung auch für die staatliche Strafverfolgungstätigkeit121 • Soweit also den oben beschriebenen Maßnahmen der Informationsverarbeitung durch die Strafverfolgungsbehörden Eingriffsqualität zukommt, sind zur Vornahme Ermächtigungsgrundlagen notwendig. Die Konturierung einer Maßnahme der Informationsverarbeitung als Eingriff steht daher im Mittelpunkt der weiteren Untersuchung.

3. Systematische Unterscheidung strafprozessualer Gntndrechtseingriffe Innerhalb der StPO sind zahlreiche verschiedenartige Ermächtigungen der Strafverfolgungsbehörden zu Grundrechtseingriffen zur Erhebung und Auswertung von Informationen zu fmden. Diese Ermächtigungen zu Grundrechtseingriffen lassen sich in Gruppen einteilen und systematisieren: in strafprozessuale Zwangsmaßnahmen122 und in die nichtimperativen Maßnahmen123. a) Zwangsmaßnahmen Bei den strafprozessualen Zwangsmaßnahmen ist die Einordnung als Grundrechtseingriff eindeutig. Hergebracht haben sich die Strafverfolgungsbehörden zur Ermittlung des Sachverhalts ganz überwiegend solcher 119 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht 11, § 6 IV 1 m.w.N; Rudolphi, SK-StPO, Vor § 94 Rdnr. 14 ff. 120 Vgl. a. Rogall, Informationseingriff, S. 1.

121 BVerfGE 47,239 (248); Rudolphi, SK-StPO, Vor § 94 Rdnr. 18; Rogall, Informationseingriff, S. 1 f., vgl. a. 11, 14 ff.; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 2; a. A. Jakobs, Strafrecht AT, Rdnr. 4/9,4/57; Baumann/Weber, Strafrecht AT, § 12 I 2b, § 13 11 3. 122 So die Terminologie v. F.-C. Schroeder JZ 1985, 1028 ff. 123 Vgl. a. Amelung JZ 1987, 738ff.; zust. Kühne, Strafprozeßlehre, Rdnr. 163.

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C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Inforrnationsverarbeitung

Zwangsmaßnahmen bedient. Ermächtigungsgrundlagen für derartige Maßnahmen rechtfertigten die Ausübung unmittelbaren Zwangs und damit den Eingriff in Grundrechtspositionen der Betroffenen zugunsten der Aufklärungstätigkeit der Strafverfolgungsbehördenl24 . So legitimiert z.B. § 81a StPO einen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit durch die Entnahme einer Blutprobel2S , auch gegen den Widerstand des Betroffenen. Bei dieser Eingriffsermächtigung ist deutlich, daß hier die besondere Art und Weise der Informationserhebung, die eine Beeinträchtigung der körperlichen Integrität voraussetzt und damit in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG des Betroffenen eingreiftl26, eine Regelung notwendig macht. Die Verpflichtung zu Zeugenaussagen gemäß §§ 48 ff. StPO ist die gesetzliche Auferlegung einer Auskunftspflicht und stellt einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG dar127• Bei strafprozessualen Zwangsmaßnahmen liegt also immer ein Eingriff in durch besondere Freiheitsrechte geschützte Rechtsgüter oder in die allgemeine Handlungsfreiheit vor, z.B. durch zwangsweise Vornahme der Untersuchungshandlung oder Auferlegung einer Auskunftspflicht. Bei den strafprozessualen Zwangsmitteln sind physische Eingriffe in die Grundrechte des Betroffenen durch körperliche Einwirkung oder auch durch Durchsuchung von ihm beherrschter Räume, vgl. §§ 102, 103 StPO, möglich. Bei Weigerung zur Auskunftserteilung durch Zeugen, denen kein gesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, kann gem. § 70 StPO Ordnungsgeld und sogar Zwangshaft verhängt werden, um die Aussagebereitschaft herbeizuführen. Die Strafverfolgungsbehörden sind so ermächtigt, im äußersten Fall Zeugenaussagen auch mit Hilfe von freiheitsbeschränkenden Mitteln herbeizuführen.

124

125

Rudolphi, SK-StPO, Vor § 94 Rdnr. 36. KJeinknechtjMeyer § 81a Rdnr. 1; Roxin, Strafverfahrensrecht, § 33 A 11 1; Kühne,

Strafprozeßlehre, Rdnr. 237.

126 Dahs, in: Löwe/Rosenberg, § 81a Rdnr.2; KMR-Pau/us, § 81a Rdnr.2 (aber auch Beeinträchtigung der Privat- u. Intimsphäre).

127

BVerfGE 6, 32 (36); v. Münch, Art. 2 Rdnr. 17; Dürig, Maunz/Dürig/Herzog/Scholz,

Art. 2 Rdnr. 9.

11. Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch Informationsverarbeitung

69

b) Nichtimperative Maßnahmen Anders hingegen stellt sich die Sachlage bei nichtimperativen Untersuchungsrnaßnahmen dar. Hier begegnen die Strafverfolgungsbehörden dem Betroffenen nicht mehr mit unmittelbarem Zwang gegenüber seiner Person. So liegt der Fall bei der in § 100a StPO normierten Telefonüberwachung. Hier wird kein unmittelbarer Zwang gegenüber dem Abgehörten ausgeübt oder er mit einer Auskunftspflicht belegt, sondern eine derartige Abhörmaßnahme erfolgt in der Regel heimlich und entfaltet damit eben gerade keine Zwangswirkung gegenüber dem Betroffenen l28 . Die Einordnung der Telefonüberwachung als Grundrechtseingriff fällt dennoch leicht, weil sie in das spezielle Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 GG eingreift. Art. 10 GG soll als spezielles Freiheitsrecht den Schutz der Privatsphäre gegenüber (heimlicher) staatlicher Kenntnisnahme des Fernmeldeverkehrs sichern129. Derartige Ermittlungsmaßnahmen, die sich hauptsächlich als technisches Informationsmanagement darstellen, werden als "nichtimperative Maßnahmen" in der Literatur behandelt l30• c) Informationseingriff und Ausformungen Mit modernen Informationsverarbeitungsmethoden ist aber ein weiterer Typ von Grundrechtseingriffen im Ermittlungsverfahren etabliert: der "Informationseingriff'. Ein Informationseingriff liegt vor, wenn gerade oder in der Hauptsache der Eingriff in der Informationssammlung besteht und eben nicht in einem die Informationssammlung ermöglichenden "Nebenakt", der in der Ausübung von Zwang besteht. Zusätzlich zu den aufgestellten Voraussetzungen ist notwendig, daß die Informationsverarbeitung eine derartige Intensität aufweist, daß in die bekannten Ausformungen des allge128

S.a. Weßlau, S. 167f.

BVerjG DVBI. 1992, 823; BVerjGE 67, 157 (171); Schuppert, AK-GG, Art. 10 Rdnr. 13ff; v. Münch, Art. 10 Rdnr. 2; Schmidt-Bleibtreu, Art. 10 Rdnr. 3, 6; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht 11, § 2 V, § 19 I, 11. 130 Rogall, Informationseingriff, S. 2, 82; vgI. zu dem Begriff der imperativen Maßnahmen: Gallwass, Faktische Beeinträchtigungen im Bereich der Grundrechte, S. 10 ff.; LübbeWolf, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 43 f.; Gusy Jura 1986, 296 ff. 129

70

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Infonnationsverarbeitung

meinen Persönlichkeitsrechts eingegriffen wird oder diese als unmittelbar gefährdet angesehen werden müssen. Insofern liegt auch wiederum bei § lOOa StPO ein Informationseingriff vor. Bei anderen Maßnahmen der Informationsverarbeitung ist jedoch die Unterscheidung zwischen Eingriff und schlicht-hoheitlicher Maßnahme nicht offensichtlich. Entgegen der Telefonüberwachung greifen bei derartigen Maßnahmen nicht tatbestandlich eng gefaßte spezielle Freiheitsgrundrechte ein, sondern wegen der großen Anwendungsvielfalt ist eine spezielle Freiheitsverbürgung, wie oben I. 4. nachgewiesen, schon methodisch nicht möglich. Qualitativ kann nicht zwischen Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch Informationsverarbeitungsmaßnahmen und Zwangsmaßnahmen differenziert werden. Zwangsmaßnahmen sind nicht der grundsätzlich tiefere Eingriff in die Rechte des Bürgers. So kann eine Durchsuchung der Person durchaus als geringgewichtiger angesehen werden, als die Aufbewahrung und Verknüpfung von vielerlei persönlichen Informationen über denselben Betroffenen, die einen Einblick in seine höchstpersönliche Sphäre gewähren. Schon hieran scheitert der Versuch einer Differenzierung von Grundrechtseingriffen innerhalb der StPO, die zwar für Zwangsmaßnahmen eine spezialgesetzliche Befugnis verlangt, nicht aber für Eingriffe in Ausformungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Informationsverarbeitungsmaßnahmenl3l . Eine derartige Auffassung verkennt die Reichweite des Volkszählungsurteils und die tatsächlichen Gefahren, die durch eine nicht gesetzlich geregelte Datenverarbeitung entstehen können. Damit ist aber festzustellen, daß jede Informationsverarbeitungsmaßnahme potentiell einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und damit einen Informationseingriff darstellen kann. Ob es sich tatsächlich um einen Eingriff oder eine ebenso zu behandelnde, eingriffsgleiche Gefährdung handelt, ist anhand der konstruktiven Eigenarten der jeweiligen Formen der Informationsverarbeitung oder anband der einzelnen Maßnahme im Verhältnis zum Persönlichkeitsgut im Wege der Gefahrenprognose zu bestimmenl32 •

131

Kramer NJW 1992, 2732 (2734).

Vgl. a. Vogelgesang, Grundrecht auf infonnationelle Selbstbestimmung?, S.126, 155; Rogall, Infonnationseingriff, S. 58. 132

111. Kriterien zur Einstufung von Informationsverarbeitung als Eingriff

71

4. Ergebnis Nach der Untersuchung der grundrechtsgefährdenden Qualität der Informationsverarbeitung durch staatliche Stellen ist folgendes festzuhalten: Durch die staatliche Informationsvorsorge, sowohl in Form der Informationserhebung als auch in der der Informationsverarbeitung, d.h. Speicherung, Verwertung und Übermittlung, liegt ohne Anerkennung der Lehre vom informationellen Totalvorbehalt zumindest die Möglichkeit einer Gefährdung oder eines Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Wegen der Intensität der mit moderner Informationsverarbeitung verbundenen Gefahren kann sich schon die Grundrechtsgefährdung als Eingriff darstellen. Durch die moderne staatliche Informationsverarbeitung, insbesondere beim Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen, wird in vielfältige Belange aus dem Kreis des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eingegriffen, die nicht durch spezielle Freiheitsrechte geschützt werden. Soweit ein Eingriff in diese Rechtspositionen vorliegt, ist eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage notwendig, der Eingriff steht unter Gesetzesvorbehalt. 111. Kriterien für die Einstufung von Informationsverarbeitungsmaßnahmen als Grundrechtseingrift' Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts kann ein Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht immer dann vorliegen, wenn staat1iche Stellen zwangsweise personenbezogene Informationen erheben oder verarbeiten133• Hierin liegt dann eine Zwangsmaßnahme, die der Ermächtigungsgrundlage bedarf. Die nicht auf einer Auskunftspflicht des Bürgers beruhenden Informationserhebungen werden hiervon zunächst nicht erfaßt. Im Rahmen der hier vorgenommenen Abschichtung nach der Gefährdung für die Ausformungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch Informationsverarbeitungsmaßnahmen ist der Schutz jedoch auszudehnen und näher zu konkretisieren. Wegen der Vielfältigkeit der Gefahren und Lebensbereiche, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seinen verschiedenen Ausformungen 133

BVerJGE 65,1 (43 f.).

72

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher InCormationsverarbeitung

schützt, sind mehrere Kriterien bei der Einordnung einer Maßnahme als Eingriff zu berücksichtigen. 1.

Zwang zur Angabe personenbezogener Daten

Der Zwang zur Angabe personenbezogener Daten ist immer ein Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheitl34•

2. Herkunft und Sensibilität der Infonnation Das Gefährdungsvorfeld des allgemeinen Persönlichkeitsrechts - mehrheitlich als "Recht auf informationelle Selbstbestimmung" bezeichnet - ist je nach der Sensibilität der Information verschieden stark betroffen. Denn je sensibler die Information, umso eher ist eine Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, insbesondere in seiner Ausformung als Recht auf Privatheit, zu erwarten. Hier können die hergebrachten Grundsätze der Sphärentheorie135 zur Abgrenzung hilfreich herangezogen werden. Danach liegt abhängig davon, wieweit in die verschiedenen Sphären des Betroffenen eingedrungen wird, ein Eingriff vor oder nicht. Je näher die Informationen dem persönlichen Kernbereich entstammen, je eher liegt eine Gefährdung oder Beeinträchtigung vor l36 • Entgegen vieler Stimmen in der Literatur137 ist die Sphärentheorie des Bundesverfassungsgerichts durch die Volkszählungsentscheidung nicht zu Grabe getragen worden138. Sie dient vielmehr immer noch dazu, einen absolut geschützten Kernbereich zu bestimmen139• Ist die Sphärentheorie auch ungeeignet, alle Eingriffe oder Gefährdungen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung zu umfassen, so ist sie Vgl. a. Rogall, Informationseingriff, S. 62. BVerjGE 6, 32 (41), 389 (433); 27, 1 (6), 344 (350 f.); 32, 373 (378 C.); 34, 238 (245 f.); 35, 202 (220); 38, 312; 54, 148 (153); Evers, Privatsphäre, S. 40; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht 11, § 8 11 4. 136 Vgl. a. Rogall, Informationseingriff, S. 63. 137 Vgl. Hufen JZ 1984, 1072 (1074); Steinmüller DuD 1984, 91 (93); Benda DuD 1984,86 (88); Denninger KritJ 1985, 215 (220); Heußner RuP 1990, 147 ff. 138 Wolter, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, 761 (768 Cf.); Geis JZ 1991, 112 (115 ff.); Rogall, Informationseingriff, S. 46 ff. Vgl. a.Amelung NJW 1990, 1753 (1755). 139 Vgl. a. BVerjGE SO, 367 ff. 134

135

III. Kriterien zur Einstufung von Informationsverarbeitung als Eingriff

73

dennoch nicht obsolet. Soweit Informationen aus dem Intimbereich des Betroffenen stammen, sind Eingriffe zu Zwecken der Strafverfolgung unzulässig, entstammen die Informationen dem privaten Bereich, so sind diese ganz besonders gegen Kenntnisnahme Dritter und Übermittlung zu sichern. In der Autbewahrung und Übermittlung von Informationen aus dem Privatbereich liegt regelmäßig ein Eingriff, der einer Ermächtigungsgrundlage bedarf.

3. Das Prinzip der Zweckbindung und die Zweckentfremdung Neben der Herkunft der Informationen ist die Zweckbindung/-entfremdung das zweite wichtige Instrument zur Einordnung einer Verarbeitungsmaßnahme als Eingriff. Die Zweckbindung einer Information ist ein normatives Schutzinstrument im Anwendungsbereich der Informationsverarbeitung und damit stellt gleichzeitig die Umkehrung in Form der Zweckentfremdung ein wichtiges Abgrenzungskriterium für einen Grundrechtseingriff dar. Die Zweckbindung wird durch die Erhebung der Informationen bereits festgelegt. Die Erhebungsermächtigung muß, um verfassungsgemäß zu sein, eine Zweckbindung bzw. -bestimmung enthalten. Soweit eine derartige Zweckbindung nicht explizit vorliegt, ist die Zweckbindung mit Hilfe der Auslegung zu ermitteln. Ist so die Reichweite der Zweckbindung, innerhalb der die Informationen erhoben wurden, festgelegt, kann zwischen verschiedenen Formen des Umgangs mit den Informationen differenziert werden. Die weitere Verwendung der Informationen innerhalb des Erhebungszwecks ist kein über die Erhebung der Informationen hinausgehender Grundrechtseingriff oder ein aufgrund der Erhebungsermächtigung legitimierter Umgang mit den Informationen. Die Zweckbindung beschränkt die Reichweite des Grundrec:htseingriffs, indem sie es ermöglicht, beim Umgang mit den Informationen im weiteren Verfahren zwischen durch die Erhebungsnorm legitimierter, weil innerhalb der Zweckbestimmung verbleibender, Verarbeitung und den Zweck überschreitender und damit den Grundrechtseingriff vertiefender Verarbeitung zu unterscheiden. Die Zweckbindung dient dazu, den Umgang mit erhobenen Informationen einzuschränken. Diese Einschränkung orientiert sich an der Erhebungs-

C. Grundrechtliehe Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

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ermächtigung, also der Norm, die den staatlichen Behörden die Erhebung der Informationen in der vorgenommenen Weise gestattet. Soweit daher bestimmte Informationserhebungen legitimiert sind, ergibt sich als Schranke des Umgangs mit den erhobenen Informationen und Daten der Zweck, zu dem die Informationserhebungsmaßnahme vorgenommen wurde, als Konkretisierung der gesetzgeberischen Vorstellung von der gesamten Reichweite des Eingriffs bei der Gestattung derartiger Maßnahmen. Die Maxime der Zweckbindung soll sicherstellen, daß die erhobenen Informationen nicht beliebig, also ohne Beachtung des Erhebungszwecks, verwendet bzw. zwischen verschiedenen staatlichen Stellen ausgetauscht werdenl40• Innerhalb dieses Zwecks ist der Umgang mit den Informationen für den Bürger voraussehbar und vom Gesetzgeber in Form der Informationserhebungsermächtigung legitimiert. Schon im Volkszählungsurteil hat das Bundesverfassungsgericht festgelegt, daß Informationserhebungen, die mit Zwang zur Angabe personenbezogener Daten verbunden sind, sowie Ermächtigungen zu Informationserhebungen bei Dritten oder heimliche Erhebungen nur zulässig sind, wenn eine Zweckbindung in der Ermächtigungsgrundlage für die Erhebung normiert ist141 . Im Sinne des Informations- und Datenschutzes muß jedoch die Zweckbindung auch Informationen erfassen, die nicht durch einen zielgerichteten Eingriff gegenüber dem Bürger, sondern allein schon die Kenntnisnahme mag diese auch durch freiwillige Angaben des Betroffenen erfolgen - erfassen. Dies liegt darin begründet, daß der Bürger, auch wenn er freiwillig Angaben macht, sich darauf verlassen können muß, daß derartige Informationen zu den Zwecken verwendet werden, die den Grund für seine Angaben gebildet haben. Würde die Zweckbindung sich nur auf zwangsweise erhobene Informationen beziehen, müßte weitreichend damit gerechnet werden, daß Bürger z.B. staatliche Leistungen nur deshalb nicht mehr in Anspruch nehmen würden, weil sie nicht mehr wissen können wie mit ihren Informationen verfahren wird. Die Zweckbindung vereinigt damit zwei Schutzrichtungen bzw. Regelungsinhalte. Einerseits regelt sie die Möglichkeit der Weitergabe an andere Behörden mit anderen Aufgaben und andererseits bestimmt sie die Reich140

Vgl. a. BVerjGE 65, 1 (46).

141

BVerjGE 65, 1 (46).

III. Kriterien zur Einstufung von Informationsverarbeitung als Eingriff

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weite der Nutzung innerhalb der erhebenden Behörden zu von der Erhebung verschiedenen Zwecken, z.B. wenn ein und dieselbe Behörde mehrere Aufgaben wahrnimmt. Werden die Informationen nach ihrer Erhebung zu einem anderen Zweck verwendet als zu dem sie erhoben wurden, ist ein derartiger Umgang mit den Informationen nicht mehr durch die Erhebungsnorm legitimiert 142. Durch eine solche Zweckentfremdung wird in das allgemeine Persönlichkeitsrecht erneut eingegriffen oder dieses eingriffsgleich gefährdet, weil der Informationsumgang für den Betroffenen nicht mehr überschaubar ist. Soweit es sich um eine heimliche Informationserhebung handelt, wäre der Betroffene jedoch nicht weiter gefährdet, da ihm ohnehin die Überschaubarkeit fehlt. Da aber heimliche Informationserhebungen regelmäßig den tieferen Eingriff darstellen und nur unter besonders hohen Anforderungen zulässig sind, kann für die Weiterverarbeitung von Informationen, die aufgrund derartiger Methoden erhoben wurden, nichts anderes gelten. So sind also an die Weiterverarbeitung von Informationen, die aus einer heimlichen Informationserhebung herrühren, besonders hohe Anforderungen zu stellen. Eine Weiterverarbeitung ist daher grundsätzlich nicht möglich, soweit der Gesetzgebers dies nicht ausdrücklich in Form einer einen Grundrechtseingriff legitimierenden Zweckentfremdungsermächtigung gestattet hat. Eine Zweckentfremdung ist ein neuer Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, regelmäßig in seiner Ausformung auf Selbstdarstellung und Kommunikation, und bedarf der neuen Ermächtigungsgrundlage, da gerade hier die Gefahren bestehen, daß der Betroffene nicht mehr den Fluß oder die Verwendungsreichweite der erhobenen Informationen überschauen kann. Auf der anderen Seite ist eine Weitergabe innerhalb des Erhebungszwecks möglich und sichert damit auch die Ausnutzung der Vorteile, die die elektronische Datenverarbeitung bietet (vgl. oben B. I. 1.). So ist es sinnvoll und im Interesse des Betroffenen, wenn die Informationen, die für ein Verwaltungsverfahren, an dem mehrere Behörden beteiligt sind, erhoben wur142 Vgl. BVerfGE 65, 1 (46), wo das Bundesverfassungsgericht explizit "Schon angesichts der Gefahren der automatischen Datenverarbeitung ist ein - amtshilfefester - Schutz gegen Zweckentfremdung durch Weitergabe- und Verwertungsverbote erforderlich" eine Zweckbindung vorschreibt.

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C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

den, zwischen diesen Behörden per Datenübermittlung weitergegeben werden und so die Daten nicht jeweils neu bei ihm erfragt werden müssen l43. Auch die Verarbeitung von Informationen, die ohne Grundrechtseingriff erhoben wurden, z.B. freiwillige Angaben des Betroffenen, kann einen Grundrechtseingriff darstellen. Soweit die Informationen zu anderen Zwecken als zu denen der Betroffene die Angaben gemacht hat, verarbeitet werden, kann dies eine Gefährdung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bedeuten. SO Z.B. bei Angaben im Sozialrecht, für die entgegen solchen des Steuerrechts keine Verpflichtung besteht, die anderseits aber Voraussetzung für eine staatliche Leistungsbewilligung sind. Werden derart "freiwillig" gemachte Informationen zweckentfremdend verwendet, kann sehr wohl eine Gefährdung für das allgemeine Persönlichkeitsrecht vorliegen. Eine Abgrenzung nach der Art der Erhebungsmaßnahme für die Zulässigkeit im Rahmen der Weiterverarbeitung kann daher für den Bereich der Bagatelleingriffe bzw. der schlicht hoheitlichen Maßnahmen nicht getroffen werden. Die Gefahr der Informationssammlung besteht für den Bürger gerade darin, daß viele Einzelbetätigungen, die für sich selbst keinen oder nur geringen Aussagewert haben, in der Gesamtschau viel über die Person aussagen können. Gerade beim Einsatz elektronischer Datenverarbeitung können viele Einzeldaten zunächst gespeichert und dann programmgesteuert ausgewertet werden. In diesem Sinn gibt es, wie das Bundesverfassungsgericht schon festgestellt hat, kein belangloses Datum mehr l44 . Da es sich bei Maßnahmen der Zweckentfremdung von Informationen um Grundrechtseingriffe handelt, sind diese nur möglich, wenn hierfür gesetzliche Ermächtigungen normiert sind. Diese müssen nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Volkszählung verhältnismäßig sein und Schutzvorkehrungen sowie Beteiligungsrechte normieren l45 .

143 144

145

Vgl. a. Schwan, VelWArch. 1975, 120 (138 ff.). BVerfGE 65,1 (45). BVerfGE 65,1 (46).

111. Kriterien zur Einstufung von Informationsverarbeitung als Eingriff

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a) Zweckbindung von Strafverfolgungsdaten Fraglich ist, in welcher Weise Daten, die zur Strafverfolgung erhoben wurden, einer Zweckbindung unterliegen bzw. welche Reichweite eine Zweckbindung zur Strafverfolgung hat. Die Informationserhebungsermächtigungen für die Strafverfolgungsbehörden fmden sich in der StPO. Wegen der Neuartigkeit der Datenverarbeitung, der durch sie bedingten Gefährdung und der so erst kurzen Zeit der Entwicklung rechtlichen Instrumentariums zum Schutz, sind die vielfach alten Ermächtigungen zu Grundrechtseingriffen in der StPO nicht explizit mit einer Zweckbindung versehen. Damit genügen sie den Anforderungen des Volkszählungsurteils formal nicht. Dies läßt jedoch nicht den Schluß zu, die Normen seien deshalb nicht verfassungsgemäß. Vielmehr sind sie verfassungskonform auszulegen l46 • Danach ergibt sich aus dem Sachzusammenhang der strafprozessualen Informationserhebungsnormen die Zweckbindung an die Strafverfolgung. Würde man das Erfordernis der expliziten Zweckbindung bei Datenerhebungsnormen verlangen, müßten unüberschaubar viele Gesetze "unnötig" geändert werden. Zur Festlegung der Zweckbindung von Datenerhebungsnormen reicht im Wortsinn schon die rechtssystematisch anerkannte teleologische Auslegung147• Ergänzt durch die Analyse des systematischen Zusammenhangs, ist eine Zweckbestimmung zumindest im Fall der Erhebungsermächtigungen aus der Strafprozeßordnung eindeutig festzustellen, nämlich zu Zwecken der Strafverfolgung. Fraglich ist, ob die Zwecksetzung der Strafverfolgung konkret genug ist oder weiterer Eingrenzung bedarf. Vorstellbar wäre, hier den Erhebungszweck auf die Strafverfolgung für das die Erhebung auslösende Verfahren zu beschränken. Andere Eingrenzungen wären möglich, wie z.B. örtlich auf die Behörde, die mit dem die Erhebung auslösenden Verfahren beschäftigt ist, z.B. die Staatsanwaltschaft im Landgerichtsbezirk oder - weiter - im Oberlandesgerichtsbezirk (Generalstaatsanwaltschaft). In der Weitergabe personenbezogener Informationen innerhalb der Staatsanwaltschaft liegt keine Zweckentfremdung und kein Übermittlungseingriff. Denn erhält die Staatsanwaltschaft Kenntnis von einer Straftat, so 146

Vgl. BVerJGE 2, 266 (282); 8, 28 (34).

147

Vgl. a. Larenz, Methodenlehre, S. 333 f.

78

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

ist sie aufgrund des Legalitätsprinzips gemäß §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO verpflichtet, Ermittlungen anzustellen. Dies bezieht sich auch auf Kenntnisse, die sie bei der Verfolgung einer anderen Straftat erhält. Eine Suspendierung vom Legalitätsprinzip ist auch zugunsten anderer Verfahrensbeteiligter als dem Verdächtigen nicht vorgesehen148. Soweit der die Untersuchung in der Anlaßstraftat, z.B. wegen der staatsanwaltschaftlichen Geschäftsverteilung, führende Beamte der Staatsanwaltschaft nicht auch die nunmehr entdeckte Straftat des Verdächtigen oder aber auch eines Dritten (sogar Opfers der Anlaßtat ) aufzuklären hat, ist er aufgrund des Legalitätsprinzips verpflichtet, seine Informationen weiterzugeben. Dasselbe gilt, wenn er örtlich unzuständig ist. In diesem Fall hat er die Informationen der örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft zu übermitteln149. Bei der Weitergabe von Daten innerhalb der Staatsanwaltschaft(-en) han-delt es sich nicht um eine Zweckentfremdung der ursprünglich erhobenen Daten, sondern um eine vom Legalitätsprinzip gebotene Verwertung150• b) Einengung der Zweckbindung durch Erhebungsnorm Wenn der Erhebungseingriff besonders schwerwiegend ist, weil er sehr tief in die Grundrechtsausübung des von ihm Betroffenen eingreift oder Nichtverdächtige oder nicht hinreichend Verdächtige einbezieht, ist es notwendig, die Zweckbindung weiterreichen zu lassen. Damit eine derartige Maßnahme nicht unverhältnismäßig ist, wird sie z.B. an die Verfolgung bestimmter, besonders schwerer Anlaßstraftaten gebunden, zu deren Verfolgung auch der Einsatz solcher Mittel verhältnismäßig erscheint. In diesen Fällen ergibt sich aber für Verdachtsmomente für die Verübung einer anderen Straftat als der die Anordnung der Maßnahme auslösenden eine Unverhältnismäßigkeit der Informationserlangung. Dieses Mißverhältnis wird im Interesse des Beschuldigtenschutzes durch eine stärkere Zweckbindung, die eine Nutzungsbeschränkung und damit ein Verwertungsverbot impliziert, gelöst. Vgl. in diesem Zusammenhang auch § 55 Abs. 1 StPO. Vgl. BGHSt 10, 391 (392); 21, 212 (215); 247 (249); 26, 374; vgI. a. KJeinknechtjMeyer, Vor § 7 Rdnr. 10, § 12 Rdnr. 1. 150 Vgl. auch Wolter Jura 1992,520 (532) zu BGH NJW 1991, 2651 f. 148 149

III. Kriterien zur Einstufung von Informationsverarbeitung als Eingriff

79

Hierfür gibt es mittlerweile einige Beispiele. Eine derartige explizite Zweckbindung wurde bei dem auch als Reaktion auf das Voikszählungsurteil geschaffenen § 163d Abs. 4 S. 4 StP0151 festgelegt. Zwar handelt es sich bei § 163d StPO um eine computerspezifische Speicherungsermächtigung, die zunächst als Einzelregelung wenig Grundlage für eine systematische Auslegung botl52, an der jedoch der Wille des Gesetzgebers zur Beschränkung der Nutzung und Weitergabe der gespeicherten Informationen auf die Strafverfolgung zu erkennen war. Die Weitergabe derartiger Daten an die Präventivpolizei ist eine Zweckentfremdung und bedarf der gesetzlichen Eingriffsermächtigung. Diese Auffassung fmdet auch in § 479 Abs. 2 StVÄGE 1989 ihren Widerhall, in dem eine Normierung zur derartigen Zweckentfremdung für begrenzte Fälle vorgesehen ist. c) Zufallsfunde Die Vorschrift des § 163d StPO wurde dann durch die neuen, durch das OrgKG eingeführten, §§ 98b Abs. 3 S. 3, 100b Abs. 5, 100d Abs. 2, llOe StP0153 ergänzt. Die neuen Vorschriften sehen größere Verwertungsbeschränkungen bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen sogar innerhalb der Strafverfolgungsbehörden vor. Diese Verwertungsbeschränkungen engen die Verwertung der erhobenen Informationen grundsätzlich auf das Strafverfahren ein, welches den Anlaß für die Ermittlungen gegeben hat. Eine Verwertung darüber hinaus ist, soweit nicht ebenso eine Katalogstraftat verfolgt wird, sogar dem bearbeitenden Staatsanwalt untersagt. Darin liegt inzident aber auch das Verbot der Weitergabe dieser Informationen innerhalb wie außerhalb der Behörde. Damit regelt eine derartige, explizit weiterreichende Zweckbindung der Erhebungsermächtigung auch den Umgang mit sogenannten Zufallsfunden. Soweit die erhobenen Informationen zwar den Hinweis auf die Verübung einer Straftat ergeben, diese jedoch wegen ihrer Schwere einen Erhebungs151 Im Fall des § 163d StPO als Reaktion auf die Zweckbindungsanforderungen des Volkszählungsurteils; die Ausnahme des S. 5 ist eine gesetzliche Regelung zur Zweckentfremdung. 152 So a. Rieß in: Löwe/Rosenberg, § 163d Rdnr. 1 f. 153 Sämtlich eingeführt durch das OrgKO v. 22.07.1992 BOBI. I S. 1302, inkraftgetreten am 15.09.1992. Hier fällt jedoch auf, daß die in der Eingriffsschwere vergleichbare Maßnahme der Schleppnetzfahndung, § 163d (vgl. hierzu § 163d Abs. 4 S.4, 5) StPO - systematisch unschlüssig - nicht mit einem derartigen Verwertungsverbot ausgestattet wurde.

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C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

eingriff der vorgenommenen Art nicht ermöglicht hätte, dürfen die Informationen nicht verwendet werden. Diese Verwertungsbeschränkung stellt sich damit gleichzeitig als eine Verwendungsbeschränkung im Sinne einer Zweckbindung dar. Aus dieser Einordnung der Ermächtigung zu Datenerhebungen können nun auch Konsequenzen für die Behandlung von Zufallsfunden gezogen werden. Grundsätzlich verpflichtet das Legalitätsprinzip die Strafverfolgungsbehörden zur Aufklärung von Straftaten, wenn ein Tatverdacht bekannt wird. Dies zeigt aber im Umkehrschluß, daß grundsätzlich eine Verwendung von Zufallsfunden, die bei anderen Informationserhebungen anfallen, innerhalb der Strafverfolgungsbehörden zulässig sein solll54. Dem ist jedoch nur zuzustimmen, soweit die Erhebungsermächtigungen der StPO, die tiefgreifende Grundrechtseingriffe vorsehen, mit derartig engen Zweckbindungsregelungen versehen werden. Die nach dem Volkszählungsurteil eingestellten Erhebungsermächtigungen wurden regelmäßig mit solchen Zweckbindungsregelungen versehen. Daß sich der Gesetzgeber der Notwendigkeit enger Zweckbindungsregelungen über neue Vorschriften hinaus bewußt ist, zeigt auch die Ergänzung des § lOOb StPO durch die Änderung bzw. Neueinstellung des Abs. 5, der eine Verwendung auf die Verfolgung von Katalogtaten des § 100a StPO beschränkt. Diese Liste ist noch durch die Erwähnung des § 108 StPO zu ergänzen, der eine grundsätzliche Verwertung auch von Zufallsfunden bei der Beschlagnahme ausdrücklich normiert und in S. 3 nur für den besonderen Fall, daß die Anordnung zur Durchsuchung aufgrund von § 103 Abs. 1 S. 2 StPO ergangen ist, Beschränkungen macht. Hier ist jedoch zu beachten, daß der Gesetzgeber auch im geltenden Recht Nachbesserungen vorgenommen hat, indem er z.B. bei der Novellierung der Schwangerschaftsabbruchsregelung den § 108 Abs. 2 StPO eingefügt hat und damit eine explizite Verwendungsbeschränkung für Informationen normiert hat.

154

Vgl. RogalI, Informationseingriff, S. TI f.

III. Kriterien zur Einstufung von Informationsverarbeitung als Eingriff

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In diese Richtung geht auch die Gesetzesiniative des Landes Hessen l55 , die einen Schutz von Patientendaten durch Auskunftsverweigerungsrechte der Patienten, § 54a, und ein Beschlagnahmeverbot bei Heilberufen, § 98a, fordert. Grundsätzlich kann man daher sagen, daß die Informationseingriffe innerhalb der StPO durch ihren Standort eine Zweckbindung zur Strafverfolgung - je nach Eingriffstiefe der Informationserhebung noch weiter verengt auf die Verfolgung innerhalb des jeweiligen Verfahrens - festlegen i56 • d) Vorsorge für die künftige Strafverfolgung (1) Systematische Einordnung Unter der Vorsorge für die künftige Strafverfolgung ist die Sammlung von Informationen und Daten zu verstehen, die es den Justizbehörden ermöglichen soll, künftige Straftaten leichter und schneller aufzuklären i57. Dies können Fingerabdruckarchive sein, aber auch Datenbanken mit den personenbezogenen Informationen ehemaliger Straftäter und ihrer bisherigen Vorgehensweise, sog. modus operandi-Dateien, die es erlauben, Straftaten einem Täter zuzuordnen und diesen schnell ausfindig zu machen. Überwiegend soll die Vorsorge für die künftige Strafverfolgung durch technisches, organisatorisches und operatives Vorgehen dazu beitragen, künftige Straftaten effizient aufklären zu können l58. Die Einordnung der staatlichen Informationsverarbeitung zur Vorsorge für die künftige Strafverfolgung zwischen der Gefahrenabwehr durch die Sicherheitsbehörden und der Strafverfolgung durch die Strafverfolgungsbehörden ist umstritten l59.

Im Bereich der Vorsorge für die künftige Strafverfolgung liegt weder ein Tatverdacht noch eine konkrete Gefahr vor l60 . Eine Einordnung aus dieser BR-Drucks. 568/92 vom 17.08.1992. Enger Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 333 f. 157 Vgl. a. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 37, 156, 155. 158 Z.B. die Sammlung von Fingerabdrücken rechtskräftig Verurteilter, um im Wiederholungsfalle die Aufklärung zu erleichtern. 159 Paeffgen JZ 1991, 437 (441) m.w.N. in Fußn. 57. 160 Paeffgen JZ 1991, 437 (441) m.w.N. in Fußn. 57; Alberts ZRP 1990, 147; Wolter GA 1988,49 (52 f.). 155

156

6 Emst

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C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

Perspektive zur Gefahrenabwehr oder Strafverfolgung ist daher nicht möglich. Die Informationen für derartige Informationssammlungen stammen fast sämtlich aus den Erkenntnissen aus dem Ermittlungsverfahren, das von der Staatsanwaltschaft geleitet wird und zu dessen Durchführung die StPO Eingriffs- und Erhebungsermächtigungen vorsieht; oder aus der Hauptverhandlung, die sich in den Händen des Gerichts befmdet. Die Herkunft derartiger Informationen aus Strafverfahren spricht also schon wegen der Informationsherrschaft bei den Strafverfolgungsbehörden für die Einordnung in den Bereich der Strafverfolgung im weiteren Sinne161 . Teilweise wird eine Zuordnung des Bereichs der Sicherung künftiger Strafverfolgung zum Polizeirecht vorgenommen l62. Hier wird insbesondere mit der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung argumentiert l63 • Die Aufbewahrung von Informationen zur Sicherung künftiger Strafverfolgung sei nicht vom Katalog des Art. 74 Nr. 1 GG erfaßt, der Bundesgesetzgeber damit zu einer Regelung nicht ermächtigt. Zu Recht stellt Paeffgen fest, daß der Bereich der Sicherung künftiger Strafverfolgung nicht der Regelungskompetenz für das "Strafrecht" aus Art. 74 Nr. 1 GG zuzuordnen ist l64 ; dies allein schon deshalb nicht, weil die Strafvollstreckung in Art. 74 Nr. 1 gesondert erwähnt wird und daher davon auszugehen ist, daß mit dem Begriff Strafrecht nicht, wie herkömmlich, das materielle und das formelle Strafrecht gemeint sein soll, sondern nur das materielle Strafrechtl65 • Das Strafprozeßrecht ist im Sinne der Aufzählung des Art. 74 Nr. 1 GG dem "gerichtlichen Verfahren" zuzuordnen l66 .

161 BVerfGE 2,304; Merten ZRP 1988, 173; Schweckendieck ZRP 1989, 127; Wolter, SKStPO, Vor § 151 Rdnr. 161 m.w.N. Als polizeiliche Aufgabe wird dies jedoch in NW gesehen, so jedenfalls die Zuordnung im neuen Polizeigesetz NW; vgI. a. Merten, ZRP 1991, 213 (217). 162 Paeffgen JZ 1991, 437 ff; Ahlf, Polizeiliche Kriminalakten, S. 44; Götz, Polizeirecht, Rdnr. 136; Kniesel/TegtmeyerjVahle, Datenschutz, Rdnr. 249 ff. 163 Vgl. Paeffgen JZ 1991, 437 ff.

164 JZ 1991, 437 (442); aA. Merten NStZ 1987, 10 (13); Schweckendieck ZRP 1989, 125 (127). 1M

Rdnr.7. 166

Vgl. Maunz, Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 74 Rdnr. 63; v. Münch, Art. 74

Paeffgen JZ 1991, 437 (442).

III. Kriterien zur Einstufung von Informationsverarbeitung als Eingriff

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Die Vorsorge für die künftige Strafverfolgung sei aber auch von der Kompetenz für die Regelung des "gerichtlichen Verfahrens" in Art. 74 Nr. 1 GG nicht erfaßt. Gerade das "gerichtliche Verfahren" sei traditionell an den Begriff des Verdachts geknüpft, ein solcher sei aber im Fall der Vorsorge für die künftige Strafverfolgung gerade in der Regel noch nicht gegeben167. Damit liege, da eine Zuweisung der Materie an den Bundesgesetzgeber nicht vorgenommen worden sei, gemäß Art. 70 Abs. 1 GG die Regelungskompetenz bei den Landesgesetzgebernl68 . Fraglich ist, ob die Grundfeststellung, die Vorsorge für die künftige Strafverfolgung sei nicht dem Katalog des Art. 74 Nr. 1 GG zu entnehmen, bei näherer Betrachtung Bestand haben kann. Paeffgen ist insoweit beizupflichten, als die Zwecksetzung der Vorsorge für die künftige Strafverfolgung zumindest nicht unmittelbar dem Katalog des Art. 74 Nr. 1 GG zu entnehmen ist. Wegen seiner groben Fassung bedarf der Katalog des Art. 74 Nr. 1 GG der Auslegung. Die Maximen für derartige Auslegungen hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen zu Art. 74 GG festgelegtl69. Danach ist "bei der Bestimmung der Reichweite der einzelnen, in den Kompetenzvorschriften des Art. 74 GG klassifizierten und typisierten Gesetzgebungsmaterien [... ] deren herkömmliche systematisch-begriffliche Zuordnung in der Tradition und Entwicklung des deutschen Rechts zu berücksichtigen,,170. Soweit Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung entnommen worden sind, sind diese gleichartig auszulegenl7l . Die Heranziehung von Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung führt jedoch im vorliegenden systematischen Rahmen nicht weiter. Hier könnte allenfalls Art. 9 Nr. 2 WRV herangezogenen werden, der dem Bund eine sogenannte Bedarfskompetenz einräumte, aber vom Parlamentarischen Rat während des Verfassungskonvents

167

168 169

170 171

Paeffgen JZ 1991, 437 (442). Paeffgen JZ 1991, 437 (442 f.). Grundsätzlich BVerfGE 11, 126 (130); spez. 41,344 (355). BVerfGE 41,344 (355). BVerfGE 42, 20 (29).

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C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher InCorrnationsverarbeitung

von Herrenchiemsee aufgrund der Lehren des Dritten Reichs ausdrücklich verworfen wurde l72 . Insoweit ist der Alternative im Urteil des Bundesverfassungsgerichts Aufmerksamkeit zu schenken, die auch der Entwicklung des deutschen Rechts Bedeutung beimißt. Dabei handelt es sich gerade nicht nur um die Anknüpfung an einen historischen status quo, sondern auch um die Einbeziehung von neuen Entwicklungenl73 . Gerade das Strafprozeßrecht hat erhebliche Wandlungen erfahren. Zwei seien hier als wesentlich herausgegriffen: Zum einen hat gerade das Ermittlungsverfahren, das im Sinne des Grundgesetzes ein im Verhältnis zum "gerichtlichen Verfahren" unwesentlicher Annex war, in seiner Bedeutung zugenommen l74 . Darüber hinaus ist im Bereich der Organisierten Kriminalität der Anfangsverdacht für die Ermittlungen auch der Staatsanwaltschaft nicht mehr ausschließliches Kriterium, sondern gemäß Nr. 6 der Gemeinsamen Richtlinien zur Organisierten Kriminalität 175 sind auch InitiativermittIungen möglich, an denen auch die Strafverfolgungsbehärden zu beteiligen sind. Daneben hat auch die Rechtsprechung zum Schutz von persönlichen Informationen zu einer Entwicklung im Bereich des Grundrechtsschutzes beigetragenl76 . Hier ist die Entwicklung der Stärkung der individuellen Freiheitsrechte, insbesondere die Anerkennung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung durch das Bundesverfassungsgericht, als wegweisend zu beachten. Aufgrund des Volkszählungsurteils ist es nämlich notwendig, Daten bereichsspezifisch zu verwalten. Dahinter steht der Gedanke, daß es, um efProtokolle des Parlamentarischen Rats, S. 246. Vgl. BVerjGE 61, 149 (201 C.), in der das BVerjG ausdrücklich wegen der Änderung von der Haftung des Beamten aus § 839 BGB und der folgenden Überleitung auf den Staat gemäß Art. 34 GG zur geplanten Regelung der unmittelbaren Haftung des Staates nach dem Staatshaftungsgesetz 1981 als eine Abweichung von der historischen Kontinuität und eine Entwicklung angesehen hat, die eine künftige Zuordnung dieser Materie zum bürgerlichen Recht unmöglich mache. 174 Vgl. E. Müller NJW 1981, 1801 (1806); Rieß, in: LöwejRosenberg, Vor § 158 Rdnr. 7; Blankenburg-Sessar-Steffen, Strafrechtliche Sozialkontrolle, S. 89 ff, 303 f. 175 Gemeinsame Richtlinien der Justizministerj-senatoren und der Innenministerj-senatoren der Länder über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der Organisierten Kriminalität, KleinknechljMeyer An\. E zu RiStBV. 176 BVerjGE 65,1 (43); vgI. a. BVerjGE 67,100 (142 f.); 78, 77 (84 f.). 172

173

III. Kriterien zur Einstufung von Informationsverarbeitung als Eingriff

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fektiven Datenschutz zu ermöglichen, auch auf dem Gebiet der Informationsverarbeitung einer Gewaltenteilung bedarf. Das heißt aber nichts anderes, als daß die Kompetenz und Verantwortung zur Verwaltung der im jeweiligen Sachbereich angefallenen Daten dem jeweiligen Hoheitsträger, der für die Erhebung gesetzlich zuständig war, zufällt 177• Paeffgen selbst sieht dieses Problem und geht daher von einem Evokationsrecht und einem zumindest zeitweisen Kondominium bzgl. der Informationen aus178• Richtigerweise hätte dieses Argument aber schon bei der Zuordnung zur Gesetzgebungskompetenz beachtet werden müssen. Zwar kann auch das verfassungsrechtlich herzuleitende Zweckbindungsgebot zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts eine gegebene verfassungsrechtliche Zuordnung nicht umstürzen, dennoch ist gerade das Argument der Zweckbindung gewichtig, wenn es um die Auslegung und Zuordnung zum Katalog des Art. 74 Nr. 1 GG geht. Die Verwaltung der Akten zu den Strafverfahren liegt seit jeher in den Händen der Strafverfolgungsbehörden in Form von Gericht und Staatsanwaltschaft, alleine schon um die auch in Art. 74 Nr. 1 GG genannte Strafvollstreckung zu besorgen. Die Sammlung und Aufbewahrung von Informationen zur Sicherung künftiger Strafverfolgung stellt nur einen modifizierten Umgang mit den bisher schon gesammelten Informationen dar, indem diese aufgrund kriminologischer Erkenntnisse ausgewertet werden, und ist daher nur eine Erweiterung der Zugriffsmöglichkeiten auf die bisher schon in den staatsanwaltschaftlichen Namenskarteien verwahrten Informationen. Eine Kompetenzverschiebung würde aber, wie auch Paeffgen einräumt, eine Zweckentfremdung bedeuten. Gerade aber das Institut der Zweckbindung und der konkret anvisierte Zweck sind die entscheidenden Argumente auch bei der Auslegung des Art. 74 Nr. 1 GG im vorliegenden Zusammenhang. Die Zweckentfremdung der Informationen durch die Überlassung an die Polizei kann nicht auf die Kompetenzzuordnung des Art. 74 Nr. 1 GG gestützt werden. Die Verwaltung der Strafverfolgungsdaten und damit auch deren Bereithaltung für den Fall, daß diese zur Überführung von Straftätern in Zukunft benötigt werden, gehört auch nach der Kompetenzzuordnung

117

BVerjGE 65,1 (45 f.).

178

Paeffgen, JZ 1991, 437 (445).

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C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

des Grundgesetzes in Art. 74 Nr. 1 GG zur Verantwortung des Bundesgesetzgebersl79. Aufgrund der Berücksichtigung der Rechtsentwicklung im Rahmen des Bedeutungszuwachses des Ermittlungsverfahrens und der Notwendigkeit bereichsspezifIscher Datenverarbeitung ergibt sich eine Zuordnung der Bereithaltung von Informationen zur Vorsorge für die künftige Strafverfolgung zum Kompetenzbereich des Bundesgesetzgebers und damit zur Strafprozeßordnungl80. Anders sehen dies jedoch die vom Bundesminister des Inneren erlassenen Richtlinien zur Führung Kriminalpolizeilicher personenbezogener Samm-Iungen181 vor, die der Kriminalpolizei die Aufgabe zuweisen, auch zur Strafverfolgung personenbezogene Sammlungen zu führen. Da die Polizei derzeit die einzige Behörde ist, die über ausreichende Rechnersysteme verfügt, fmdet faktisch eine Speicherung von Strafverfolgungsdaten zur Vorsorge für die künftige Strafverfolgung nur bei den Polizeibehörden statt. Wenn die Polizei von der Staatsanwaltschaft gemäß §§ 161, 163 StPO mit Ermittlungen beauftragt wird, legt sie "Doppelakten" an. Das bedeutet, daß die Polizei ihre Fahndungsergebnisse, also Repressivdaten, an die Staatsanwaltschaft gemäß § 163 Abs. 2 StPO übersendet, selbst aber eine Akte behält und die darin enthaltenen Informationen zu repressiven und präventiven Zwecken in das INPOL-System einstellt. Dies widerspricht der Zweckbindung und ist rechtswidrig182• Die Polizei ist nicht legitimiert, die im Rahmen der Strafverfolgung angefallenen Informationen für eigene Zwecke zu verarbeiten183• 179 Denninger CuR 1988, 51 (54); Baclces KritV 1986, 315 (332); Burghard Kriminalistik 1987,518 (520); Dreier JZ 1987, 1009 (1016); Merten ZRP 1988, 172 (173); Ringwald, INPOL, S. 142 ff.; Amelung NJW 1979, 1687 (1688 Fußn. 8); Schoreit NJW 1985, 169 (172); ders.:KritV 1988, 157 (168); ders.: KritV 1989, 201 (203); Schweckendieck ZRP 1989, 125 (127). 1110 Wegen der Zuordnung zum Strafprozeßrecht kann daher auch der Meinung, die sich auf eine Bundeskompetenz aufgrund von Art. 73 Nr. 10 beruft und damit eine Art Bundespolizeirecht für die Vorsorge künftiger Strafverfolgung fordert, nicht gefolgt werden; vgI. Herold, Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Vollzugspolizei, S. 65 (103); Bull, Sicherheitsgesetze, S. 29. 181 GMBI. 1981, 119 ff. 182 Emesti ZRP 1986, 57 (62); Rebmann/Schoreit NStZ 1984, 1 (6); dem steht BVerwG NJW 1990, 2768 nicht entgegen, da jeweils nur Gefahrenabwehr betroffen war. 183 Vgl. Schoreit CuR 1986, 87 (88).

III. Kriterien zur Einstufung von Informationsveraroeitung als Eingriff

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Eine Speicherung derartiger Daten zu Zwecken der Vorsorge für die künftige Strafverfolgung könnte allenfalls im Auftrag der Staatsanwaltschaft gemäß § 15 BDSG erfolgen. Dieser rechtlichen Einordnung widerspricht aber die derzeitige Praxis. Die Verarbeitung im Auftrag setzt hoheitliche Befugnisse der Staatsanwaltschaft über die von der Polizei in ihrem Auftrag gespeicherten Daten voraus. Dazu gehört auch die Delegationsmacht zur Löschung, Sperrung und ähnlichem l84 . Die Staatsanwaltschaften haben jedoch keinerlei Zugang zum INPOL-System l85 und auch keinerlei Rechte gegenüber den Polizeibehörden, den Umgang mit den Daten zu überwachen186. Nur § 163d StPO und § 2 Abs. 1 Nr. 2 BKAG räumen der Staatsanwaltschaft lediglich ein Unterrichtungsrecht ein. Durch diese faktische Datenherrschaft der Polizei ist die Antastung der durch die StPO garantierten Stellung der Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens zu befürchten187• Daher werden die aus dem Abschluß von Strafverfahren resultierenden Daten neuerdings mit dem Terminus Justizdaten belegt, um eine Aufnahme in die polizeilichen Dateien zu verhindern und die Informationsherrschaft in diesem Bereich bei der Justiz zu erhalten188• Wegen der systematischen Einordnung der Vorsorge für die künftige Strafverfolgung in das Strafprozeßrecht und der Funktion der Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens gemäß §§ 161, 163 StPO hat § 163d Abs. 4 S. 3 StPO ebenfalls einen bedenklichen Wortlaut. Denn hiernach ist die Staatsanwaltschaft "über die Löschung ... zu unterrichten". Dies heißt aber inzident, daß der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, daß im Normalfall die Polizei die Daten gemäß § 163d StPO speichert189• Dem ist jedoch zu widersprechen. Es besteht kein Anlaß, von der Ermittlungsherr184 Vgl. hienu auch Nr. 39 ff. RiStBV, nach denen die Staatsanwaltschaft im Rahmen der Nutzung des INPOL-Systems hierum ersuchen muß; aber auch § 163d Abs. 4 S. 3 StPO, nach dem die Staatsanwaltschaft von der Polizei unterrichtet wird, also nicht selbst speichert. 1&5 Merten NStZ 1987, 10 (11 Fußn. 4). 186 Merten, NStZ 1987, 10 (11 Fußn. 3): Indiz sei die Wortgestaltung des § 2 Abs. 1 Nr. 2 BKAG "die Strafverfolgungsbehörden des Bundes und der Länder über die sie betreffenden Nachrichten ... zu unterrichten" sowie Kuh/mann DRiZ 1976, 265. 187 Merten NStZ 1987, 10 (11). 188

Vgl. Merten NStZ 1987, 10 (12).

So wohl auch Wolter, Aspekte einer Strafprozeßrefonn bis 2007, S. 54 f.; zur grundsätzlichen Verschiebung der Ennittlungshoheit zugunsten der Polizei durch den Gesetzgeber: Schoreit CuR 1986, 224 (225); ders. StrafV 1989, 449. 189

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C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Inforrnationsverarbeitung

schaft der Staatsanwaltschaft gerade in diesem sensiblen Bereich abzugehen. Zudem würde, soweit die Polizei die Verwaltung dieser repressiven Daten übernimmt, die Befugnis für die Verwaltung repressiver und präventiver Daten in einer Hand liegen. Dies würde jedoch die Gefahr des Mißbrauchs mit den ausdrücklich nur zu repressiven Zwecken gesammelten Daten deutlich erhöhenl90 . Daher ist zu fordern, daß die Staatsanwaltschaften sachlich und personell in die Lage versetzt werden, die Daten selbst zu verwaltenl91 , wenn nötig, auch in Form der Trennung zwischen Kriminalpolizei und Präventivpolizei unter der Verfahrens- und Organisationshoheit der Staatsanwaltschaftl92. Die Staatsanwaltschaft ist grundsätzlich selbst zur Speicherung und Auswertung der Daten berufenl93• In diesem Zusammenhang sind auch die Strafgerichte als Strafverfolgungsbehörden anzusehen, und damit ist auch ihnen eine Auswertung zu gestattenl94 . (2) Legitimation Fraglich ist, ob die Ermächtigung zur Verwendung von Daten zu Strafverfolgungszwecken auch die Verwendung zur Vorsorge für die künftige Strafverfolgung legitimiert oder ob es sich insoweit um eine Zweckentfremdung handelt. Eine Ausweitung der Verwendung von Strafverfolgungsdaten zu Zwecken zukünftiger Strafverfolgung ist nicht ohne weiteres möglich, insbesondere weil bei den Erhebungsermächtigungen im Rahmen der Strafverfolgung auch weitreichend Unverdächtige, Opfer und andere Zeugen betroffen sind. Die Vorsorge für die künftige Strafverfolgung stellt sich regelmäßig als Speicherung dar. Eine derartige Speicherung ist aber zumindest bzgl. der angesprochenen Verfahrensbeteiligten nicht als von der Erhebungsnorm und dem Erhebungszweck umfaßt anzusehen. Soll dieser Erhebungszweck, z.B. für die im Grundsatz anerkennenswerten Belange der Vorsorge für die künftige Strafverfolgung durchbrochen werden, bedarf es der Entscheidung Anders und bedenklich Kniesel ZRP 1987, 3n (379). Rebmann/Sclwreit NStZ 1986, 1 (3); Schweckendieck ZRP 1989, 125 (127); schon sehr früh Füllkrug ZRP 1984, 193 (195). 192 Wolter GA 1988,49 (70). 193 S.a. Fül!krug ZRP 1984, 193 ff. 194 Rogall NStZ 1986, 385 (386); KMR-Müller, § 163d Rdnr. 18. 190

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111. Kriterien zur Einstufung von Informationsverarbeitung als Eingriff

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durch das Parlament und der erneuten Abwägung zwischen Datenschutz und nicht mehr dem Strafverfolgungsinteresse, sondern dem Interesse an der Vorsorge für die künftige Strafverfolgung, was zwangsläufig zu einer andersgearteten Abwägung führen muß. Bei der Vorsorge für die künftige Strafverfolgung handelt es sich sicherlich auch schon um eine Sicherung der Strafrechtspflege. Eine geordnete Strafrechtspflege ist nur möglich, wenn die Strafverfolgungsbehörden in der Lage sind, die Täter einer Straftat in einem angemessenen Zeitraum zu überführen. Hierzu ist jedoch in Anbetracht der großen Zahl der Wiederholungstäter die Aufbewahrung personenbezogener Informationen von ehemals Straffälligen notwendig, um anhand von Tatortspuren oder bestimmter Vorgehensweisen schnell und ohne hohen Aufwand auf den Täter schließen zu können und diesen zu überführen. Diesem Interesse stehen die Belange der Täter, die ihre Strafe verbüßt haben, entgegen. Es muß einem Straftäter möglich sein, nach Verbüßung seiner Straftat in die Gesellschaft zurückzukehren und sich dort neu zu organisieren, ohne daß die ehemalige Straffälligkeit ihn ständig stigmatisiert. Nur unter diesen Voraussetzungen ist eine Resozialisierung möglich. Setzt man dies aber voraus, kann es nicht gerechtfertigt sein, über jedweden, der jemals in irgendeiner Weise straffällig geworden ist, Informationen ständig bereitzuhalten. Eine Speicherung solcher Informationen in jederzeit zugriffsfähigen Akten oder Datenbanken muß daher im Grundsatz zeitlich begrenzt sein und ist bei der Speicherung in Datenbanken auf schwere Straftaten und solche mit typischer Wiederholungsgefahr zu beschränken. Die Normierung einer Erhebungsermächtigung bedeutet daher nicht zugleich die Abwägung des Gesetzgebers, die erhobenen Daten auch über lange Zeit zur Verfolgung einer zum Zeitpunkt der Erhebung noch nicht absehbaren Straftat zu speichern oder zugriffsfähig aufzubewahren. Hierzu bedarf es der gesonderten Festlegung durch den Gesetzgeber, wann die erhobenen Informationen abrufbar zur Verfügung gehalten werden dürfen. Dies ist im Gegensatz zu den Abwägungen bei der Erhebung, die vom Verdachtsgrad, der Schwere der Straftat usw. geleitet sind, vom wirklichen Ausgang und den Erkenntnissen, die im Verfahren gegen den Verdächtigen gemacht wurden, abhängig. Eine grundsätzliche Aufbewahrungsregelung ist daher möglich, in der der Gesetzgeber die Aufbewahrung von Informationen unabhängig davon, aus welcher Art der Informationserhebung diese Informationen herrühren, regelt, sondern die Ermächtigung an Bedin-

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C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

gungen WIe Wiederholungsgefahr und ähnlichen Abwägungsmaximen orientiert. e) Zweckeinheit Verbrechensverhütung - Strafverfolgung? Mit der Behauptung, die Gefahrenabwehr mit der Zielsetzung der Verbrechensverhütung und die Strafverfolgung verfolgten denselben Zweck, nämlich die Durchsetzung eines Rechts auf Sicherheit für die Bevölkerung, wird versucht, jedwede Zweckbindung von Strafverfolgungsdaten zu unterlaufen. Denn soweit die Polizei oder die Nachrichtendienste jeweils im Interesse der Verbrechensverhütung tätig würden, läge bei einer Datenübermittlung von Strafverfolgungsdaten keine Zweckentfremdung und damit unter dem Gesichtspunkt des zweckentfremdenden ÜbermiUlungseingriffs auch kein solcher vor l95 • Dem ist zu widersprechen. Eine derart weite Auslegung des Begriffs der Zweckbindung würde seine Funktion zur Begrenzung von Eingriffen in das informationelle Sdbstbestimmungsrecht auflösen. Auch das für die Informationsverarbeitung geltende Gewaltenteilungsprinzip würde verIetzt196• Die Zweckbindung ist also so zu verstehen, daß die zum Zwecke der Strafverfolgung erhobenen und gespeicherten Daten nur zu Zielen der Strafverfolgung verarbeitet werden dürfen. Eine Verwendung zur Gefahrenabwehr erfordert eine Ermächtigungsgrundlage für den notwendigen Übermittlungseingriff bei der Weitergabe an die Sicherheitsbehörden. t) Ergebnis

Grundsätzlich unterliegen die Informationen, die die Staatsanwaltschaft aufgrund der in der StPO normierten Eingriffsbefugnisse erhebt oder durch die Polizei erheben läßt, einer Zweckbindung zur Verwendung für Zwecke des Strafverfahrens. Werden daher Informationen innerhalb einer Staatsanwaltschaft oder zu anderen Staatsanwaltschaften weitergeben, liegt hierin keine Zweckentfremdung und kein ÜbermiUlungseingriff. Dies gilt

195

Vgi. ScholzjPitschas, Informationelle Selbstbestimmung, S. 172; Pitschas/Aulehner

NJW 1989, 2353 (2357).

196 Vgi. BVerJGE 65, 1 (40 ff., 69); Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 170, 36; vgi. a. ders., Gedächtnisschrift Meyer, 493 (505); ders. Jura 1992, 520 (532).

IIl. Kriterien zur Einstufung von Infonnationsverarbeitung als Eingriff

91

auch für die Weitergabe von sogenannten Zufallsfunden, die nicht zielgerichtet erhoben wurden. Erhebungsermächtigungen, die einen besonders tiefen Grundrechtseingriff darstellen und deshalb mit Verwertungsverboten ausgestattet sind, wie z.B. §§ 98b Abs. 3 S. 3, lOOb Abs. 5, l00d Abs. 2, llOe, 163d StPO, erhalten durch diese Verwertungseinschränkung eine Regelung der Zweckbindung der erhobenen Informationen für das spezielle Verfahren. Informationen, die aufgrund von Erhebungsermächtigungen ohne spezielle Zweckbindung und daraus resultierender Verwendungsbeschränkung erhoben wurden, sind grundsätzlich auch für andere Strafverfahren verwendbar . Informationen, die aus heimlicher Informationserhebung herrühren, unterliegen einer Zweckbindung für das Verfahren, für das sie erhoben wurden. Der Bereich der Vorsorge für die künftige Strafverfolgung gehört systematisch zum Anwendungsbereich des Art. 74 Nr. 1 GG im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens und damit zur Kompetenz des Bundesgesetzgebers. Hieraus ergibt sich auch die Zuordnung der Datenverwaltung zu den Staatsanwaltschaften und Gerichten als von der StPO benannten Strafverfolgungsbehörden. Die Zwecke zur Vorsorge für die künftige Strafverfolgung und die Zwecksetzung zur Strafverfolgung sind nicht identisch. Die Verwendung von Strafverfolgungsdaten zu Zwecken der Vorsorge für die künftige Strafverfolgung stellt eine Zweckentfremdung dar. Die Nutzung von Informationen, die zu Zwecken der Strafverfolgung erhoben wurden, durch die Sicherheitsbehörden ist vom Erhebungszweck nicht mehr gedeckt und stellt daher eine Zweckentfremdung und damit einen regelungsbedürftigen Grundrechtseingriff dar.

4. Bagatelleingriffe Soweit die Informationsmaßnahmen nicht die Intensität erreichen, die eine Gefährdung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach den dargelegten Kriterien aufweist, handelt es sich um Bagatelleingriffe, die nicht der Ermächtigungsgrundlage bedürfen, sondern schon durch die Aufgabenzu-

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C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

weisungsnormen oder vorgelagerte Erhebungsermächtigungen (mit-) gedeckt sind197• Soweit für den Bereich des Strafverfahrens die Strafverfolgungsbehörden offen und ohne Zwang zur Informationsweitergabe - z.B. informatorische Befragung - Daten aus dem öffentlichen Bereich erheben, ist hierin nur ein Bagatellgrundrechtseingriff zu sehenl98 • Ähnlich verhält es sich mit einer kurzen Anfrage einer Behörde, um einen Verdächtigen zu entlasten, an eine andere Behörde, z.B. danach, ob der Betroffene sich wirklich zu einer bestimmten Zeit beispielsweise beim Arbeitsamt aufgehalten hat und deshalb keineswegs der Täter sein kann.

5. Art und Weise der geplanten In[onnationsverarbeitung Ein weiteres Kriterium zur Qualifizierung einer Informationsverarbeitungsmaßnahme als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist die Art und Weise der Verarbeitung; denn diese bergen verschieden starke Gefahren. So ist zwar im Grundsatz die manuelle Informationsverarbeitung in den Schutzbereich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung einzubeziehen, aufgrund der größeren Aufbewahrungs- bzw. Speicherungskapazitäten sowie des schnelleren Zugriffs und Vergleichs der Informationen bei computergestützter Verarbeitung bringt diese jedoch deutlich größere Gefährdungen mit sich. Auch ist eine Unterscheidung zu treffen zwischen der Aufbewahrung als Informationsverarbeitung und der regelmäßig schwerwiegenderen Übermittlung von Informationen an andere Stellen. Ebenso die Heimlichkeit der Maßnahme kann ein entscheidendes Kriterium für die Qualifizierung als Grundrechtseingriff sein. Gerade die Heimlichkeit einer Informationsverarbeitung gefährdet das allgemeine Persönlichkeitsrecht tiefgreifend. Der Betroffene kann den Informationsfluß nicht mehr überschauen und dann mangels Kenntnis von der Maßnahme keinen Rechtsschutz begehren.

197 Vgl. a. KJoepfer JZ 1984, 685 (687); Rogall, Informationseingriff S. 17; viel zu weitgehend Kramer NJW 1992, 2732 (2734 ff.). 198 Vgl. Rogall GA 1985, 1 (6); Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr.45; noch nicht einmal als Grundrechtseingriff qualifIZieren dies u.a. Rudolphi, SK-StPO, Vor § 94 Rdnr.47; Weßlau, Vorfeldermittlungen, S. 196ff., 336.

III. Kriterien zur Einstufung von Infonnationsverarbeitung als Eingriff

93

6. Unmittelbarkeit der Betroffenheit Zu differenzieren ist ebenfalls dem Grad der Betroffenheit des Einzelnen durch die Informationsverarbeitungsmaßnahme. So ist zu unterscheiden, ob der Einzelne als Person in den Blickpunkt der Informationsverarbeitungsmaßnahme gerät oder, wie z.B. bei der Rasterfahndung, lediglich auch als Datensatz in den "abgerasterten" Dateien vorkommt und nicht darüber hinaus in Anspruch genommen wird. Hier ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht in der Regel nicht intensiv gefährdet199. Die von den Strafverfolgungsbehörden beschlagnahmten Datenträger werden nur nach Merkmalsträgern "abgerastert" und nur bei Übereinstimmungen wird der Betroffene vom Computer ausgewiesen und möglicherweise gespeichert und gelangt so erst wirklich zur Kenntnisnahme der Strafverfolgungsbehörde. Erst mit einer derartigen Herausftlterung tritt eine Gefährdung ein, weil in diesem Stadium zum erstenmal tatsächlich "Kenntnis" von dem Betroffenen genommen wird.

7. Art der staatlichen Stelle Teilweise wird vorgeschlagen auch danach zu differenzieren, welche staatliche Stelle die Informationen verarbeitet2OO• Dies kann als eigenständiges Kriterium kaum Bedeutung erlangen, weil eine derartige Einordnung in unmittelbarem Zusammenhang mit dem mit der Verarbeitungsmethode verfolgten Zweck steht und so ohnehin schon Beachtung erfährt.

8. Rechtsschutzmöglichkeiten des Betroffenen Darüber hinaus werden auch die Rechtsschutzmöglichkeiten des Betroffenen bei der Einschätzung einer Maßnahme als Eingriff einbezogen201 • Die Rechtsschutzmöglichkeiten sind dagegen nicht eingriffskonturierend, sondern als notwendige Voraussetzungen für die Legitimierung der Maßnahme selbst anzusehen. So kann man allenfalls argumentieren, daß heimlich vorgenommene Maßnahmen den Betroffenen, weil er mangels Kenntnis keinen Rechts199

Rogall, Infonnationseingriff, S. 184.

200

Vgl. Rogall, Infonnationseingriff, S. 64. Rogall, Infonnationseingriff, S. 64.

201

94

C. Grundrechtliehe Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

schutz begehren kann, intensiver betreffen. Dies ist jedoch dem Kriterium der Art und Weise der Vornahme der Maßnahme zuzuweisen.

9. Ergebnis Maßgeblich für die Einstufung einer Maßnahme als Grundrechtseingriff durch Informationsveraroeitung ist die Sensibilität der verarbeiteten Information nach den Kriterien der Sphärentheorie, das Vorliegen einer Zweckentfremdung, die Art der Informationsverarbeitung und die U nmittelbarkeit der Betroffenheit. Soweit die Maßnahme eine BagateUgrenze nicht überschreitet, kann auch trotz Erfüllung einer oder mehrerer dieser Kriterien kein maßgeblicher Eingriff vorliegen; es handelt sich hierbei um einen sog. Bagatelleingriff. Eine solche mögliche Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts ist im Wege einer Gefahrenprognose, anhand derer dann Schutzvorkehrungen entwickelt werden können, festzustellen. Als wesentliches Abgrenzungsmerkmal für die Gefahrenprognose müssen zusätzlich zu der Abschichtung der einzelnen Persönlichkeitsrechte die verschiedenen Verarbeitungsschritte der Informationsverarbeitung herangezogen werden. IV. Rechtfertigung von InformationseingrifTen zur Strafverfolgung 1. Staatliches Strafverfo/gungsinteresse

Dem Bedürfnis des Betroffenen nach Ausübung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts und dessen Schutz im Bereich von Strafverfolgungsmaßnahmen stehen wesentliche Allgemeininteressen entgegen, die möglicherweise die Vornahme von Eingriffen durch Informationsverarbeitungsmaßnahmen rechtfertigen. Diese Allgemeininteressen ergeben sich aus dem Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG und dem daraus fließenden staatlichen Gewaltmonopol als Ausgangspunkt zur Verpflichtung zur Strafrechtspflege. Hieraus ist die Maxime der Funktionstüchtigkeit und Wirksamkeit gerechter Strafrechtspflege ableitbar202, die nach ganz h.M.203 das maßgebliche Gegeninteresse 202 BVerjGE 29, 183 (194); 44, 353 (374); 57, 250 (275); 77, 65 (76); SO, 367 (378); BVerjG NStZ 1982, 253; vgl. a. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 49; Hassemer StrafV 1982, 275 (277).

IV. Rechtfertigung von Infonnationseingriffen zur Strafverfolgung

95

des Staates gegenüber den Freiheitsrechten der von Strafverfolgungsmaßnahmen Betroffenen darstellen204 . Denn ohne eine wirksame Strafrechtspflege können die materiell-rechtlichen Normen des Strafrechts nicht durchgesetzt werden, Rechtsfrieden nicht geschaffen und wesentliche Strafzwecke wie die Generalprävention nicht bewirkt werden205 . Aufgrund der Ableitung aus dem Rechtsstaatsprinzip und damit aus Art. 20 Abs. 3 GG kommt diesem Interesse Verfassungsrang zu206. Teilweise wird sogar vertreten, hierin liege eine Gleichrangigkeit mit jedem Grundrecht207. Hieraus ergeben sich insoweit Schwierigkeiten, als es grundsätzlich schwer vorstellbar erscheint, bei einer Abwägung zwischen Einzelinteressen und dem mit Verfassungsrang ausgestatteten Interesse der übrigen Staatsbürger eine Abwägung zugunsten der Einzelinteressen vorzunehmen. Vielmehr wirkt so betrachtet das kollektive Interesse an wirksamer Strafverfolgung gegenüber dem Interesse des Einzelnen überragend208 . Bei dem Konflikt zwischen dem mit Verfassungsrang ausgestatteten, kollektiven Interesse der Bevölkerung und den Freiheitsinteressen der jeweils Betroffenen darf es aber nicht zu einer, wegen der Vielzahl der Repräsentanten des Interesses an der Strafverfolgung, ständigen Einschränkung der Freiheitsinteressen des Einzelnen kommen, soll eine derartige Abwägung sinnvoll sein. Daher bedarf das verfassungsrechtliche Rechtsstaatsprinzip der Relativierung in sich209. Denn auch der Anspruch des Beschuldigten auf ein justizförmiges Verfahren und Achtung seiner grundrechtlich verbürgten Freiheitsrechte entstammt dem Rechtsstaatsprinzip21O.

203 vgl. BVerjGE 77, 65 (76); SO, 367 (375 f.); 19, 342 (347); 20,45 (49), 144 (147); 32, 373 (381); 33, 368 (383); 34,238 (248); 38, 105 (115), 312 (315 f., 321); 39, 156 (163); 41, 246 (250); 44,353 (374); 46, 214 (222 f.); 49, 24 (54); 51, 324 (343); 64, 108 (116); BVerjG NStZ 1987, 276, 419; NJW 1988, 1075; BGHSt 31, 299; Beulke StrafV 1990, ISO; Rudolphi, SK-StPO, Vor § 94 Rdnr.1. 204 Anders jedoch die Auffassung von Grünwald, JZ 1976, 767 (m f.), der gerade im Rechtsstaatsprinzip eine ausschließliche Absicherung der Abwehrrechte der von Strafverfolgungsmaßnahmen Betroffenen sieht. 20S Vgl. Hassemer StrafV 1982, 275 f. m.w.N. 206 Vogel NJW 1978,1217 (1218). 2JJ7 Vgl. Zeidler, 53. DIr 1980, I 23 f.; Stemberg-Lieben NJW 1987, 1242 (1246); Vogel NJW 1978, 1217 (1218). 208 Vgl. a. Lammer, Verdeckte Enniulungen, S. 45 ff. 209 Vgl. Jarass/Pieroth, Art. 20 Rdnr. 21; a. Lisken ZRP 1990, 15 (16). 210 Vgl. a. Grünwald JZ 1976, 767 (m f.).

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C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Infonnationsverarbeitung

Das Rechtsstaatsgebot vereinigt damit in sich sowohl kollektive als auch individuelle Interessen. Hierauf ist bei der Auslegung Rücksicht zu nehmen. Mit der Veränderung der Terminologie von der "Funktionstüchtigkeit211 " zur "Wirksamkeit,,212 der Strafrechtspflege ist sprachlich eine Präzisierung dieses Instituts erfolgt. Es geht eben nicht, wie der Begriff vermuten läßt, um die Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege insgesamt - denn sie ist nicht in Frage gestellt, würde der eine oder andere Beschuldigte aufgrund der Achtung seiner Freiheitsinteressen nicht überführt werden können -, sondern um die Durchsetzung des materiellen Strafrechts und staatlichen Strafanspruchs in Einzelfällen213 . Diese Einzelfälle reflektieren in ihrer Gesamtheit auf das grundsätzliche Prinzip. Das heißt aber, das System darf die Einzelinteressen nur insoweit beschneiden, als es für die Aufrechterhaltung des Gesamtsystems notwendig erscheint214 .

2. Recht auf Sicherheit als Grundrechtsbeschränkung Einige Stimmen verlangen, bei der Abwägung zwischen den Belangen des einzelnen, von Strafverfolgungsmaßnahmen Betroffenen, und den gesellschaftlichen Interessen sei als gegenläufiges Prinzip ein überindividuelles Grundrecht der nicht betroffenen Bürger auf (innere) Sicherheit zu beachten und in die Abwägung einzustellen215 . Ein derartiges Kollektiv-Grundrecht der "Gesamtheit der Einzelnen" ist jedoch weder aus dem Grundrechtskatalog noch aus dem Auftrag zum Schutz der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG herzuleiten216. Der Gedanke, die kollektiven Interessen anderer Bürger an innerstaatlicher Sicherheit als Abwägungsmaßstab bei Grundrechtseingriffen gegenüber Betroffenen zu berücksichtigen, ist bei präventiven Maßnahmen zum 211 So noch BVerjGE 19, 342 (347); 20,45 (49), 144 (147); 32, 373 (381); 33, 368 (383); 34, 238 (248); 38,312 (315 f., 321); 39, 156 (163); 41, 246 (250); 46, 214 (222); 49, 24 (54); 51, 324 (343 f.); 64, 108 (116). 212 S. a. BVerjGE 77, 76; SO, 375; Mahrenholz, Festschrift für Hesse, 64. 213 Vgl. Hasserner StrafV 1982, 279 ff. 214 Vgl. Lisken ZRP 1990, 15 (16). 215 Scholz/Pitschas, Infonnationelle Selbstbestimmung, S. 111 ff., 123, 175 ff.; StembergLieben NJW 1987, 1242 (1246); vgl. a.lsensee, Grundrecht auf Sicherheit, S. 33 ff.; Robbers, Sicherheit, S. 231; Zeidler, 53. DIr 1980, Bd. 2, I S. 5 (24). 216 Baclres KritV 1986, 315 (329 f.); Denninger KritJ 1985, 215 (217); 1988, 1 (2, 13 ff.); KritV 1986, 291 (294 ff.); Lisken ZRP 1990,15 (16); Wolter, Aspekte einer Strafprozeßrefonn, S. 29 f.; ders., StrafV 1989, 358 (369 ff.); ders., SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 36.

IV. Rechtfertigung von Informationseingriffen zur Strafverfolgung

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Schutze von Leib und Leben oder Freiheit sinnvoU217• Hier sind in der Tat das Sicherheitsinteresse und damit möglicherweise auch Menschenwürdepositionen einzelner Betroffener als kollektive Dimension heranzuziehen, strukturell gleichartig wie bei Strafverfolgungsmaßnahmen das beschriebene Interesse der Wirksamkeit der Strafrechtspflege. Grundsätzlich ist es aber weder Ziel noch Aufgabe des Strafprozeßrechts, im Einzelfall Straftaten zu verhüten und so den Sicherheitsinteressen und der Ausübung der Grundrechte der Bevölkerung zum Durchbruch zu verhelfen218• Dem steht auch nicht entgegen, daß auch das Strafrecht präventive Maßnahmen wie Sicherungsverwahrung und Unterbringung vorsieht. Denn es handelt sich hierbei um die innerhalb der Zweispurigkeit des Strafrechtssystems wesentlich weniger häufigen Fälle, in denen vom Grundsatz der repressiven Zweckverfolgung abgesehen wird219• Im Rahmen der Strafverfolgung werden bei der Unterbringung, weil eine Strafverfolgung wegen Schuldunfähigkeit des Täters nicht möglich ist, oder bei der Sicherungsverwahrung, wegen der besonderen Gefährlichkeit des Täters, über die Aspekte der Strafverfolgung auf gesetzlicher Gnmdlage Aspekte der Gefahrenabwehr beachtet. Es handelt sich hierbei um besondere, gesetzlich nonnierte Einbeziehungen von Gefahrenabwehraspekten und nicht um eine bloße Herleitung aus der Verfassung. Ein überindividuelles Recht auf Sicherheit kann daher nicht zur Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen zur Strafverfolgung dienen. Schließt man sich dem nicht an, unterläge dieses überindividuelle Recht auf Sicherheit wegen seiner konstruktiven Gleichartigkeit mit der Maxime der Wirksamkeit der Strafrechtspflege der gleichen Relativierungsnotwendigkeit und könnte so auch derartige Grundrechtseingriffe nicht rechtfertigen220 .

217

Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 36 f.

E. Müller, Zur Funktionalisierung der Strafjustiz, S. 39; Strate StrafV 1989, 406; Bendler StrafV 1990, 233; vgI. a. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr.37; anders jedoch Schäfer, in: LöwejRosenberg, Einleitung Kap. 6 Rdnr. 38, für den präventiven Charakter der Sicherungsverwahrung Rdnr. 45. 219 Ein Beispiel hierfür sieht Wolter Jura 1992, 520 (532) in BGH NJW 1991, 2561: Die Strafverfolgung wurde hier zumindest auch wegen etwaiger Prävention durch Anordnung der Sicherungsverwahrung betrieben. 220 Vgl. a. Lammer, Verdeckte Ermittlungen im Strafprozeß, S. 50. 218

7 I!mst

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C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Infonnationsverarbeitung

3. Infonnationsvorhaltung als Staatsauftrag Eine Rechtfertigung staatlicher Informationseingriffe und Informationsaufbewahrung wird auch aus einem Staatsauftrag zur Informationsvorhaltung hergeleitet221 • Hierbei handelt es sich nicht um eine Ausformung eines Grundrechts auf "Sicherheit", das ja bereits zumindest für den Bereich der Strafverfolgung abgelehnt wurde, sondern um einen Staatsauftrag, auch Informationsvorsorge zu betreiben. Eine derartige Notwendigkeit ist in vielen Bereichen der Gesellschaft anzuerkennen. So wird von den Bürgern gerade im Bereich der Gefahrenabwehr erwartet, daß der Staat bei Eintritt einer Gefahrenlage schon über die notwendigen Informationen, Z.B. die Anzahl eventuell zu evakuierender Personen oder Namen potentieller Helfer, verfügt. Beim Volkszählungsurteil wurde dies auch für staatliche Planungsaufgaben akzeptiert, wobei hier die Daten jedoch nur anonymisiert waren, weil eine personenbezogene Sammlung nicht notwendig war. Für den Bereich von Strafverfolgungsmaßnahmen ist dies auch selbstverständlich. Niemand könnte Verständnis entwickeln, würden die Staatsanwaltschaften oder die Polizei keine Akten oder Dateien über Straftäter führen und so bei einer erneuten Straffälligkeit nicht in der Lage sein, den Täter zu überführen, weil entsprechende Aufzeichnungen fehlen. Eine derartige Vorhaltung von Informationen folgt auch schon aus dem Grundsatz wirksamer Strafrechtspflege, denn eine solche ist nicht ohne derartige Informationen durchzusetzen. Sie ist aber auch aus dem Interesse des Verletzten auf Bestrafung des Täters herzuleiten, das der Staat als Träger des Gewaltmonopols durchzusetzen sich verpflichtet hat. Gerade im Bereich der Vorsorge für die künftige Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr ist dies einleuchtend. Der Staat ist in diesem Zusammenhang in der Tat verpflichtet, wesentliche Informationen zu sammeln, um Gefahren zu beherrschen oder die Strafrechtspflege überhaupt wirkungsvoll vollziehen zu können. Ob dieser verfassungsrechtlich gebotenen Notwendigkeit der Informationssammlung, die aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet

221 BVerwG NJW 1990, 2765 (2766); Rogall, Infonnationseingriff, S. 54 f.; vgI. a. Vogelgesang, Grundrecht auf infonnationelle Selbstbestimmung?, S. 189 ff.; SCholzjPitschas, Infonnationelle Selbstbestimmung, S. 103 ff., 157; anders Weßlau, VOrfeldennittlungen, S.131, 167,

die dem Staat eine Infonnationsvorsorgepflicht als originäre Staatsaufgabe nicht zugesteht.

N. Rechtfertigung von Informationseingriffen zur Strafverfolgung

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wird, eine einfachgesetzliche Ermächtigungsgrundlage gegenübersteht, ist innerhalb der weiteren Untersuchung zu ermitteln. Die Informationsvorhaltung als wesentlicher Staatsauftrag ist daher auch maßgebliches Gegeninteresse des Staates gegenüber den Anforderungen des Betroffenen auf Schutz seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

4. § 46 StGB - Täterbild Schon im staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren und im Strafverfahren überhaupt ist durch gesetzliche Vorschriften wie § 160 Abs. 3 StPO in Verbindung mit §§ 46 ff. StGB, § 463d StPO den Strafverfolgungsbehörden auferlegt, ein Bild von dem Beschuldigten/Täter zu ermitteln, um ihn auch unter Beachtung seiner besonderen Persönlichkeit sachgerecht zu bestrafen. Daher kann es nicht mit den Zielen des Strafverfahrens in Einklang stehen, die Ermittlung der Persönlichkeit des Täters auf der einen Seite zu fordern, auf der anderen Seite aber die Ermittlungen hierzu unter Rückgriff auf die Möglichkeiten der elektronischen Datenverarbeitung vollständig zu verbieten. Dennoch gilt es zu beachten, daß innerhalb eines Strafverfahrens über Verdächtige, Beschuldigte, Opfer, andere Zeugen - oder nach Aburteilung auch Täter - vielfach sehr weitreichend Informationen erhoben werden. Wegen dieser häufig anzunehmenden Detail- und Intimkenntnisse sind derartige Daten besonders zu schützen. Auch gerade unter dem Aspekt der Resozialisierung sind die Betroffenen hier besonders an der Geheimhaltung interessiert. Insgesamt sind im Bereich des Strafverfahrens größere Eingriffe als in anderen Bereichen zu rechtfertigen. Hierbei muß aber Beachtung fmden, daß z.B. Opfer oder andere Tatzeugen wegen der verschiedenen Interessenlage anders behandelt werden müssen, ebenso Freigesprochene. Bei § 46 StGB handelt es sich um eine materiell-rechtliche Ausformung der Reichweite des staatlichen Strafverfolgungsinteresses. 5. Abwägungsmodell

Die staatliche Strafverfolgungstätigkeit und die Freiheitsinteressen der Bürger laufen einander zuwider, eine gleichzeitige Erfüllung beider Prinzi-

100

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Infonnationsverarbeitung

pien ist daher nicht möglich. Fraglich ist deshalb, ob einem der Prinzipien grundsätzlich der Vorrang gebührt oder wie den verschiedenen Zielsetzungen jeweils zum Durchbruch zu verhelfen ist. Die Abwägung muß von der Intention der Freiheits- und Grundrechte des Betroffenen geleitet sein. Die verschiedenen gegenläufigen Interessen von Grundrechtsschutz und staatlichem Strafverfolgungsinteresse sind auf Grundlage des Verhältnismäßigkeitsprinzips gegeneinander abzuwägen222 • Ein Eingriff ist danach auch unter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips nur möglich, wenn dies zur Erreichung des Rechtsfriedens und der Durchsetzung des materiellen Strafrechts unbedingt erforderlich ist223• Der Grundrechtseingriff muß geeignet, erforderlich und für die Erreichung des verfolgten Zwecks angemessen sein224 • Eine Abwägung durch die Exekutive bedarf jedoch zunächst bereichsspezifischer Grundlagen durch den Gesetzgeber225 • Die vom Gesetzgeber zu erlassenden Regelungen sind derart eng zu fassen, daß eine eigene Verhältnismäßigkeitsprüfung durch Richter oder Strafverfolgungsbehörden nur selten notwendig wird226 . Diese aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip folgende Verpflichtung sichert auch die Einhaltung der durch die Wesentlichkeitstheorie aufgestellten Erfordernisse. Bei der Abwägung sind neben der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch die Grundsätze der "Wechselwirkungstheorie" zu beachten227• Danach sind unter dem Aspekt der wertsetzenden Bedeutung der Grundrechte Einschränkungen von Grundrechten durch allgemeine Gesetze nur unter Beachtung 222 Von den Gerichten in ständiger Rechtsprechung durchgeführt vgi. BVerfGE 16, 194 (202); 17, 108 (117); 19, 342 (348); 20, 162 (186 ff.); 27, 352; 44, 353 (372); 47, 239; 56, 247 (249); BVerfG MDR 1985, 817; BGH StratV 1989, 388 (389 f.); NStZ 1982, 254 f.; KG NJW 1980,894; BayObLG StratV 1989,522 (523); JR 1980, 432 (433 f.); OLG Frankfurt MDR 1981, 316; NJW 1967, 1047 (1048); 1980, 599; OLG Hamburg NJW 1980, 842; sowie BGHZ 24, 72 (SO); BGH (Z) NJW 1988, 1017 f.; 1966,2353 (2354).

Vgi. Rudolphi, SK-StPO, Vor § 94 Rdnr. 68. BVerfGE 16, 194 (202); 17, 108 (117); 19, 342 (348); 20, 162 (186 ff.); 27, 352; 44, 353 (372); 47, 239; 56, 247 (249). 22S Vgi. Rogall, Infonnationseingriff, S. 49; vgi. a. Rudolphi, SK-StPO, Vor § 94 Rdnr. 68. 223

224

226 Degener, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 185 ff., 203 ff.; Rudolphi, SK-StPO, Vor § 94 Rdnr. 69. 2Z1 BVerfGE 7, 198 (208 f); 12, 124 f; 13, 325; 17, 117; 66, 150; 71, 214; BGHSt 26, 304; BayObLG JR 1980, 433.

IV. Rechtfertigung von Informationseingriffen zur Strafverfolgung

101

der maßgeblichen Wertentscheidungen, die zur Einstellung des einzuschränkenden Grundrechts in den Grundrechtskatalog geführt haben, möglich. Danach ist ein Eingriff ebenfalls nur zulässig, wenn die unbedingt notwendige Strafverfolgung unter Berücksichtigung der Grundrechte des Einzelnen auf möglichst schonende Weise vorgenommen wird. Bei Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch Informationsmaßnahmen des Staates ist daher nicht nur die Verhältnismäßigkeit der Beeinträchtigung zu überprüfen, sondern auch jeweils zu beachten, ob die vorgenommene Einschränkung noch der Wertentscheidung des Verfassungsgebers bei der Normierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts entspricht.

6. Ergebnis Der Staat hat im Bereich der Strafverfolgung ein hohes gesamtgesellschaftliches Interesse an der Aufklärung von Straftaten und funktionierender Strafrechtspflege, zu deren Gunsten Einschränkungen des Einzelnen in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht grundsätzlich hingenommen werden müssen. Das staatliche Strafverfolgungsinteresse bzw. das Interesse an wirksamer Strafverfolgung ist das maßgebliche Gegeninteresse, das bei einer Abwägung zur Vornahme eines strafprozessualen Eingriffs gegen einen Betroffenen einzustellen ist. Die Konstruktion eines kollektiven Einzelgrundrechts auf Sicherheit, als dem Grundrechtsschutz des Einzelnen gegenläufiges Abwägungsinteresse, ist jedenfalls für das Strafprozeßrecht nicht anwendbar. Hingegen ist ein Staatsauftrag zur Informationssammlung und Informationsbereithaltung, insbesondere zur Sicherung einer wirksamen Strafrechtspflege bzw. zur notwendigen Vorsorge für die künftige Strafverfolgung,anzuerkennen. Die umfassende Informationserhebung über den Angeklagten wird schon materiell-rechtlich durch § 46 StGB vorgeschrieben. § 46 StGB stellt damit eine Ausformung der Informationsansprüche der Strafverfolgungsbehörde gegenüber dem Täter dar.

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher InCormationsverarbeitung

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V. Unantastbarer Bereich des allgemeinen Persönlichkeits rechts für staatliche Informationsverarbeitung Über die Notwendigkeit der Abwägung hinaus ist zu klären, ob Bereiche des allgemeinen Persönlichkeitsrechts auszumachen sind, die jedem Zugriff zugunsten von Strafverfolgungsmaßnahmen - unabhängig von jeder Abwägung - verschlossen sind. 1. Unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung

Vielfach haben Rechtsprechung und Lehre einen unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung angenommen, in den ein Eingriff grundsätzlich unzulässig ist. Jedenfalls sei eine Abwägung zugunsten von Strafverfolgungsinteressen nicht möglich228 . Insbesondere die vom Bundesverfassungsgericht auch weiter vertretene (vgl. oben C. I. 3. b) Sphärentheorie229 geht von einem derartig unantastbaren Kernbereich der Grundrechtsausübung aus. Dies hat auch seinen Sinn darin, daß Kriminalitätsbekämpfung nicht um jeden Preis geschehen darf, sondern wenigstens dort Halt machen muß, wo die Grundrechte mit ihrem Menschenwürdegehalt an der Schutzwirkung des Art. 79 Abs. 3 GG teilhaben23O• Denn bei Menschenwürdeverletzungen durch staatliche Strafverfolgungsmaßnahmen ist das Prozeßziel, nämlich Rechtsfrieden zu schaffen, nicht mehr zu erreichen231 • Ein weiteres Argument für einen derartigen Kernbereich ist auch die Lehre vom Subjektscharakter des von staatlichen Maßnahmen Betroffenen232 • Soweit also durch die Ermittlungsmaßnahmen die Menschenwürde angetastet und/oder der Betroffene zum bloßen Objekt staatlichen Aufklä228 BVerfGE 6, 32 (41), 389433; 27, 1 (6),344 (350 C.); 34, 238 (248); 35,202 (220); 38, 312 (320); 67, 100 (144); 75, 318 (380); SO, 367 (373 CC.); BVerfG NJW 1990, 701; JZ 1987, 1118 (1119); BGH [Z) NJW 1988, 1016 (1017); BGHSt 5, 332 C.; 31, 296 (299 C.); BGH StrafV 1989, 388 (390); BayObLG StrafV 1989, 522 (523); OLG Hamm NStZ 1988, 515; KG NJW 1980, 894; LG Saarbrücken NStZ 1988, 424 C.; A. Amdt NJW 1961, 897 (900, 902); Dalakouras, Beweisverbote, S. 86 CC., 268 CC.; Geppen JR 1988, 471 (473); Gössel NJW 1981, 649 (656); Herdegen, Beweisverbote, S. 110; Hemnann, Jescheck-FestschriCt, 1291 (1294); Pelchen in: KK, Vor § 48 Rdnr. 37; Peters, DIT 1966, 91 (154); Roh//, Privatsphäre, S. 225 CC.; Rüping ZStW 91 [1979), 351 (359); Amelung JR 1984, 256; Schäfer in: Löwe/Rosenberg, § 97 Rdnr. 9, § 100 a Rdnr.44; Wolter, GedächtnisschriCt Cür Armin KauCmann, 761 (769). 2B VgJ. BVerfGE 6, 32 (41), 389 (433); 27, 1 (6), 344 (350 C.); 32, 373 (378 C.); 34, 238 (245 C.); 35, 202 (220); 38,312; 54, 148 (153); 67, 100 (144); 75, 318 (380); SO, 367 (373); Evers, Privatsphäre, S. 40; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht 11, § 8 11 4. 230 VgJ. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 30; ders. StrafV 1989, 358 (364). 231 VgJ. a. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 25. 232

Roxin, Strafverfahrensrecht, § 2 B; vgJ. a. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 25.

V. Für Infonnationsverarbeitung unantastbarer Bereich des Persönlichkeitsrechts

103

rungsinteresses werden würde, ist eine Abwägung ausgeschlossen233• Nur auf diese Weise kann der Staat dem Verfassungsgebot aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG, die Menschenwürde zu achten und vor allem zu schützen, gerecht werden234• Bei der StPO als Ausführungsgesetz zum Grundgesetz muß dies ohne Einschränkung gelten235 •

2. Durchgängige Abwägung Eine gewichtige Auffassung in Rechtsprechung und Literatur geht hingegen von der Relativität der Grundrechtsgewährleistung in jedem Bereich aus. Danach ist immer eine Abwägung nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips zwischen dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse und den Interessen des Betroffenen vorzunehmen236 . Von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird dabei abgewichen237•

3. Herleitung eines absolut geschützten Bereichs Die Antwort auf die aufgeworfene Frage der Existenz eines absolut geschützten Kernbereichs ist hier insoweit entscheidend, als mit Anerkennung eines solchen auch absolute Grenzen der Informationsverarbeitung durch die Strafverfolgungsbehörden markiert wären. Fraglich ist also, ob ein so gestalteter Grundrechtsschutz der Verfassung zu entnehmen ist. a) Art. 1 GG Der Bestand eines absolut geschützten Bereichs könnte aus Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet werden. Die Menschenwürde stellt das oberste Verfas-

233 Vgl. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr.25; anders aber Krauft, Festschrift für GaIlas, 365 (384, 388) der eine Abwägung durch den Gesetzgeber für möglich hält. 234 Vgl. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 25. 23S Eb. Schmidt I, Rdnr. 333; jedoch Forsthoff, 45. DIT-Festschrift, 41 (43). 236 BGHSt 19, 325 (331); 29,23 (25); 34,397 (401); KG NJW 1979, 1668 (1669); s.a. BGHSt 14, 358 (361 f.); BGHZ 27, 289 f.; BGH [Z) NJW 1970, 1848 m. Anm. Arzt JZ 1971, 388 u. Bocke/mann JR 1971, 67; BayObLG JR 1980, 434; LG Aschaffenburg StrafV 1989, 244 f.; Beier, 57 Fußn. 133; Heinitz JR 1964, 444; Krauft, Festschrift für GaIlas, 365 (388); Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht 11, § 8 11 4; Plagemann NStZ 1987,570; Schünemann ZStW 90 (1978), 11 (19 m. Fußn. 30 f.); Stemberg-Lieben NJW 1987, 1242 (1245); Klöhn, Schutz der Intimsphäre, 106 ff., 274 CC., 402. 237 Vgl. BGHSt 19, 325 (331); 29, 23 (25); 34, 397 (401); Heinitz JR 1964, 441 (444); Plagemann NStZ 1987, 570 Cf.

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C.

Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

sungs-238 und Konstitutionsprinzip239 im Grundgesetz dar und bestimmt damit auch Reichweite und Interpretation der restlichen Verfassung240 • Nach dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG ist die "Würde des Menschen ... unantastbar". Dies impliziert eine Absolutheit des Schutzes. Der insoweit eindeutige Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG verbietet damit jeglichen Eingriff in den Kernbereich der Menschenwürde und läßt eine Abwägung nicht zu. Hieraus wird auch hergeleitet, daß das Individuum nie zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht werden darf (sog. Objektsformel)241. Ist dieser Bereich betroffen, ist eine Abwägung unter dem Gesichtspunkt staatlicher Interessen nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht möglich. Spricht also der Wortlaut der obersten Verfassungsnorm für den Bestand eines unantastbaren Bereichs der Grundrechtsausübung, so ist aber das weitere Problem, die Reichweite des Schutzes, zu erfassen. Weitgehende Einigkeit besteht dahingehend, daß das sog. forum internum eingriffsfest geschützt wird242 . Eine Beschränkung der MenschenWÜfdegarantie auf das forum internum würde jedoch jegliche Kommunikationsvorgänge aus der Menschenwürdegarantie ausschließen. Dies erscheint jedoch angesichts der existentiellen Notwendigkeit von Kommunikationsvorgängen243 nicht haltbar. Daher muß wenigstens ein Teilausschnitt der Rechte auf Selbstdarstellung und Kommunikation am Menschenwürdeschutz des Art. 1 Abs. 1 GG teilnehmen244 , mag hierdurch auch die Abgrenzung erschwert sein. Eine Beschränkung des Kernbereichsschutzes auf das forum internum ist daher abzulehnen245 . Das Recht auf Selbstdarstellung und Kommunikation steht eigenständig neben dem Recht auf Privatheit und BVerfGE 54,341 (357). BVerfGE 45, 187 (227). 240 Richter/Schuppen, Casebook, Art. 1 B I. 2. a); vgI. a. Wolter NStZ 1993, 3 f. 241 BVerfGE 27, 1 (6); Richter/Schuppen, Casebook, Art. 1 BI. 3. c). 242 Vgl. Hassemer, Festschrift für Maihofer, S. 183 (200 ff.); Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 116, 130 ff.; Rogall, Informationseingriff, S. 67; Amelung NJW 1988, 1002 (1004). 243 Mallmann, Datenschutz in Verwaltungs-Informationssystemen, S.22, 47 ff.; vgl. a. Podlech, AK-GG, Art. 1 Abs. 1 Rdnr.39, Art. 2 Abs. 1 Rdnr.44 ff.; Wolter, SK-StPO, Vor 238

239

151 Rdnr. 132. 244 Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 132. 245 So aber wohl das BVerfG vgI. E 76,143 (158 f.); 80, 367 ff. mit Zustimmung Rogall, Informationseingriff, S. 66 f.; ablehnend jedoch Wolter StrafV 1990, 175 (178 f.); Geis JZ 1991, 112 (116); Küpper JZ 1990, 416 (420); Geppen JR 1988, 471 (472).

§

V. Für Informationsverarbeitung unantastbarer Bereich des PeISÖnlichkeitsrechts

105

Geheimsphäre, soweit es Grundrechtspositionen außerhalb dieser höchstpersönlichen Sphäre erfaßt, um diese zu schützen und nimmt auch an der Menschenwürdegarantie teil246• b) Art. 79 Abs. 3 GG Die "Ewigkeitsgarantie" des Art. 79 Abs. 3 GG erfaßt den Menschenwürdeschutz als Verfassungsgebot247• Die Gewährleistung des Verfassungsgrundsatzes der Menschenwürde, der so unabhängig von einer verfassungsändernden Mehrheit unverrückbar diesem Grundgesetz beigegeben wurde, verstärkt seine Bedeutung und trägt dazu bei, daß Art. 1 GG für die gesamte Auslegung des Grundgesetzes besonderer Stellenwert zukommt. Zusätzlich wird damit auch die Wichtigkeit des Individuums und die Achtung seiner Rechte verstärkt, dies läßt auch auf eine Unantastbarkeit eines Menschenwürdekernsschließen. c) Art. 19 Abs. 2 GG Für die Annahme eines unantastbaren Kernbereichs wird auch Art. 19 Abs. 2 GG mit der Normierung der sogenannten Wesensgehaltsgarantie an· t248. geführ Hierzu ist zu klären, ob sich Art. 19 Abs. 2 GG mit dem Terminus "Grundrecht" auf den individuell-rechtlichen Abwehranspruch des einzelnen Grundrechtsträgers richtet, oder nur den Schutz des abstrakten Grundrechts als Institution (objektiv-öffentliches Recht) umfaßt. Der Wortlaut der Vorschrift "In keinem Falle" schreibt eine absolute Sichtweise vor. Art. 19 Abs. 2 GG muß also jedenfalls in einem Teilbereich absolut verstanden werden, d.h. ohne Abwägung nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip249.

2A6 241

§7IV.

Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 143 a.E. Vgl. a. JarassjPieroth, Art. 79 Rdnr. 9; Pieroth/Schlink, Grundrechte Staatsrecht 11,

248 Vgl. a. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr.118; vgI. a. Maihofer, Rechtsstaat und menschliche Würde, S. 135 Fußn. 200. 249 So wohl auch das BVerfG NJW 1991, 2549 (2551), wenn es formuliert • ...verletzt weder den Wesensgehalt der Koalitionsfreiheit (Art. 19 11 GG) noch greift sie in unverhältnismäßiger Weise in das Grundrecht ein... •

106

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

Beispiele der vollkommenen Beschneidung der Grundrechtsausübung, wie der fmale Rettungsschuß, sprechen für die Unmöglichkeit eines individuellen Schutzbereichs; weil in diesem Fall das Grundrecht auf Leben aus Art. 2 Abs. 1 GG vollständig entzogen wird, sollen derartige Eingriffe rechtmäßig sein. Ist man sich einig, daß derartige Maßnahmen der staatlichen Gewalt möglich sein sollen250, und hierüber herrscht kaum Zweifel, so kann Art. 19 Abs. 2 GG keine individuelle, absolute Schutzrichtung haben. Dem kann auch nicht das Argument entgegengesetzt werden, daß dieser Ausnahmefall nicht eine Gesamtinterpretation des Art. 19 Abs. 2 GG beeinträchtigen könne, da über Art. 2 Abs. 1 GG hinaus auch andere Grundrechte einer derartigen Beeinträchtigung unterworfen seien, wie z.B. Art. 14 GG. Bezüglich der Interpretation des Begriffs "Grundrecht" ist nach Wortlaut und Grammatik zur Überprüfung auch auf die Entstehungsgeschichte des Art. 19 Abs. 2 GG zu verweisen. Hätte die individuelle Grundrechtsausübung des einzelnen bzw. sein Abwehrrecht entscheidend sein sollen, hätte die Formulierung anders lauten müssen. Es wäre nicht vom Grundrecht als solchem, sondern von der Grundrechtsausübung die Rede gewesen251 • Ein weiteres Argument für die Ablehnung einer individuellen Schutzfunktion des Art. 19 Abs. 2 GG ist die systematische Zuordnung zu Art. 19 Abs. 1 GG, der sich ausdrücklich nur an den Gesetzgeber wendet252 . Art. 19 Abs. 2 GG kommt daher keine absolut individuelle Schutzfunktion zu. Für den individuellen Grundrechtsschutz ist daher allenfalls eine relative Schutzwirkung durch Art. 19 Abs. 2 GG gewährleistet. Eine rein relative, individuelle Schutzfunktion wäre jedoch nur die Konstituierung des Verhältnismäßigkeitsprinzips, dieses ist aber schon den Grundrechten selber bzw. dem Rechtsstaatsgebot aus Art. 20 GG zu entnehmen. Die Grundrechtsausübung wird immer relativ zum Staatsinteresse beschränkt, Schutz ist nur über Art. 1 Abs. 1, 2 GG zu erreichen. Art. 19 Abs. 2 GG läuft insoweit leer bzw. ist nur von deklaratorischer Bedeutung. Im Gegensatz zu Art. 1 Abs. 1, 2 GG handelt es sich um eine vor einer 2SO Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S.236 ff.; Hendrichs, in: v. Münch, Art. 19 Rdnr. 24; v. Mangoldt/Klein, Art. 19 Anm. V 2 c. 251 Vgl. Herzog, Festschrift für Zeidler Bd. 11, 1414 (1424). 252 A. A. Maunz, Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 19 Rdnr. 25; Hendrichs, in: v. Münch, Art. 19 Rdnr. 219.

V. Für Informationsverarbeitung unantastbarer Bereich des Persönlichkeitsrechts

107

verfassungsändernden Mehrheit nicht geschützte Garantie ohne eigenen Wirkungsbereich253 • Für einen absoluten Schutz bleibt daher nur noch in Bezug auf institutionellen Grundrechtsschutz Raum. Art. 19 Abs. 2 GG entfaltet eine Schutzfunktion bzgl. der Antastung des objektiv-rechtlichen Wertgehalts der Grundrechte, ohne daß eine Abwägung zulässig wäre. Art. 19 Abs. 2 GG errichtet einen über den engen Kernbereich der Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 GG hinausgehenden, die Grundrechte institutionell absolut schützenden Bereich. Dies setzt jedoch zunächst eine differenzierte Feststellung des Wesensgehaltes eines Grundrechtes in Abschichtung zum Menschenwürdekernbereich voraus. Der Menschenwürdekernbereich ist dann, wie oben dargestellt, durch Art. 1 Abs. 1 GG änderungsfest geschützt. Art. 19 Abs. 2 GG sichert über diesen engen Kernbereich hinausgehende Freiheitsräume durch die Anforderung an den Gesetzgeber, auch schon den über den Kernbereich hinausgehenden' Wesensgehalt zu schützen. Der Rechtsstaat des Grundgesetzes ist so nicht nur durch die Art. 1 und 20 GG an Menschenwürdemindestpositionen gebunden, sondern hat dem Bürger darüber hinausgehende Freiheitsräume zu sichern. Dieser Sicherung dient Art. 19 Abs. 2 GG. Er ist nicht vom Schutz des Art. 79 Abs. 3 GG erfaßt, die Wertentscheidung der Verfassungsväter kann daher mit verfassungsändernder Mehrheit zurückgenommen werden. Darüber hinaus erreicht die Schutzwirkung des Art. 19 Abs. 2 GG auch Grundrechte, die keinen Menschenwürdekern enthalten. d) Gefährdungsschutz - Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG Es besteht aber noch ein weiterer Strang zur Begründung eines Schutzes des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 LV. mit Art. 1 Abs. 1 GG vor den Gefahren von Informationsverarbeitungsmaßnahmen auch schon im Vorfeld einer Beeinträchtigung. Ein derartiger Schutz der Bürger durch datenschutzrechtliche Bestimmungen ist auch als ein Ausschnitt der staatlichen Schutzpflicht für die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 2. Alt. GG herzuleiten. 2S3 So die Auffassung von Häberle, S. 234ff., der jedoch diesem deklaratorischen Charakter der Vorschrift bei einer eventuellen Gesetzgebung wegen ihrer mahnenden Wirkung große Wichtigkeit beimißt.

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C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Infonnationsverarbeitung

Wegen der umfassenden Schutzpflicht des Staates gegenüber der Menschenwürde hat er die Pflicht, durch verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen und die Normierung von Teilhaberechten für den Betroffenen, schon im Vorfeld der Gefährdung dem Kernbereich der Menschenwürde Schutz vor Verletzung zu bieten254 • Auch schon Grundrechtsgefährdungen können als Eingriffe in den Menschenwürdekerngehalt zu behandeln sein255 . In Fällen, in denen massive Schäden zu erwarten sind oder die Entwicklung nicht beherrscht werden kann, ist der Eintritt einer Verletzung der Menschenwürde nicht zumutbar. Dies resultiert aus der umfassenden Schutzpflicht des Staates aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 2. Alt. GG256• Insbesondere um dem Recht auf Selbstdarstellung und Kommunikation Sinn und Ausstrahlung zu geben, ist gerade die Menschenwürde schon im Vorfeld der Verletzung, teilweise auch schon im Vorfeld von Gefährdungen, zu schützen257. Aufgrund der aktiven Schutzpflicht des Staates für die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 2. ..o\1t. GG ist für den Bereich des Strafrechts und Strafprozeßrechts der Gesetzgeber gehalten, vor allem für den Bereich moderner Informationsverarbeitung, Schutzvorkehrungen vor massiven Grundrechtsverletzungen zu schaffen258 . Schon aus der in Art. 1 Abs. 1 S. 22. Alt. GG festgelegten Schutzpflicht läßt sich die Forderung an den Gesetzgeber ableiten, Mindestanforderungen verfahrensrechtlichen Schutzes zu schaffen259 . Diese Erkenntnis hat insbesondere die Volkszählungsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts gefördert und begründet260 • Das Recht auf Selbstdarstellung, Kommunikation und Selbstbestimmung wird im Vorfeld durch das informationelle Selbstbestimmungsrecht ge-

254 Podlech, AK-GG, Art. 1 Abs. 1 Rdnr. 79; v. Münch, Art. 1 Rdnr. 28 f.; vgl. a. Jarass/Pieroth, Vor Art. 1 Rdnr. 11; Hofmann NJW 1989, 31TI (3186) 2SS BVerfGE 51, 324 (347); Podlech, AK-GG, Art. 1 Abs. 1 Rdnr. 79, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 54; v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 1 I Rdnr. 71. 2S6 BK-Zippelius, Art. 1 Abs. 1 u. 2 Rdnr. 22; v. Münch, Art. 1 Rdnr. 29. 1S7 Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 143 a.E.

Podlech, AK-GG, Art. 1 Abs. 1 Rdnr. 79, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 54. Dies auch im Sinne eines ·prozessualen Minimums·, vgl. Grimm recht 1988 [Dem], 41 (47 ff.); s.a. Wolter, SK-StPO, Vor 151 Rdnr. 90. 260 BVerfGE 65, 1 ff. 258 r'B

V. Für Informationsverarbeitung unantastbarer Bereich des Persönlichkeitsrechts

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schützt, welches wiederum durch verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen zu bewehren ist261 • Gerade dies muß auch für Eingriffe in andere Ausformungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG gelten. Hier hat das Bundesverfassungsgericht262 schon früh die weiten Schranken dieser Vorschrift durch den Abwägungsmaßstab des VerhäItnismäßigkeitsprinzips mit dem eingriffsbegrenzenden Wertgehalt des Art. 1 Abs. 1 GG verbunden263 • Damit ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht, insbesondere in seinen speziellen Ausformungen, den Rechten auf Privatheit, Selbstdarstellung und Kommunikationsfreiheit, nicht nur durch den allgemeinen Gesetzesvorbehalt des Art. 2 GG geschützt, sondern zusätzlich durch die Reichweite der Menschenwürdegarantie, soweit der Menschenwürdekerngehalt durch eine informationelle Maßnahme des Staates betroffen ist. Die Grundrechte schützen unmittelbar-konstitutiv ein "prozessuales Minimum", in das auch der Schutz von Ausschnitten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einzubeziehen ist264 • e) Einschränkungen des Kernbereichsschutzes Möglicherweise könnte kollidierendes Verfassungsrecht die Schranken der Grundrechte der Betroffenen weiter herabsetzen. Die Menschenwürde stellt den obersten Wert in der freiheitlichen Demokratie dar. Soweit der Menschenwürdegehalt bzw. der Kernbereich des Art. 1 Abs. 1 GG verletzt ist, ist daher eine Eingriffsrechtfertigung auch über die Konstruktion kollidierenden Verfassungsrechts nicht möglich265 • In dem Rahmen, in dem Grundrechte, hier insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG, wegen ihres Menschenwürdegehaltes am Schutz durch Art. 1 Abs. 1 i. V. m.

261

Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 147.

262

BVerJGE SO, 367 (375); 67, 100 (142); 65, 1 (41); 63, 131 (142 f.); 54, 148 (153); 44, 353

(372f.); 38, 312 (314); 35, 202 (220); 33,368 (374); 32, 373 (379); 27, 1 (6), 344 (350). 26:3 Ebenso BGHSt 31, 299; Jarass, in: Jarass-Pieroth, Art. 2 Rdnr. 1, 26 ff. m.w.N.; sowie Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 35. 264 Grimm recht 1988 [Bem], 41, 47 ff.; Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 90. 26S Vgl. a. v. Mangoldt/KJein/Starck, Art. 1 Abs. 1 Rdnr.28; Pieroth/Sch/ink, Grundrechte Staatsrecht 11, § 7 IV; Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 113.

110

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Infonnationsverarbeitung

79 Abs. 3 GG teilhaben, ist jede Abwägung bezüglich der Grundrechtsvorbehalte oder der Grundrechtsschranken anderer Grundrechte verfehlt266 • Zu erwägen ist jedoch, inwieweit ein freiwilliger Verzicht des Beschuldigten auf derartige Menschenwürdepositionen als eingriffsmildemde Zustimmung, z.B. als einzigem Ausweg zum Beweis der Unschuld gegenüber schwerwiegenden Vorwürfen, möglich ist267• Hier sind jedoch grundsätzlich hohe Anforderungen an das Einverständnis zu stellen268, damit nicht Beschuldigte im weitesten Sinne genötigt werden, eine derartige Einwilligung zu erteilen. Jedenfalls darf nicht der Fall eintreten, daß ein Beschuldigter befürchten muß, durch die Verweigerung der Einwilligung als noch mehr verdächtig zu gelten. Zusätzlich muß sichergestellt sein, daß die, aufgrund dieses Verzichtes dem Gericht gegenüber offengelegten, Informationen die richterliche Überzeugung von der Schuld des Täters überhaupt erschüttern könnten269 . Letztlich muß aber wenigstens ein Mindestmaß an Handlungsfreiheit, die durch einen absoluten Schutz untergraben wäre, dem Betroffenen verbieiben270 und damit ein Verzicht auf Menschenwürdeschutz im Einzelfall möglich sein. f) Zusammenfassung

Der Betroffene ist schon aus dem Verfassungsprinzip der Menschenwürde abwägungsfest gegen solche Beeinträchtigungen durch Informationsverarbeitungsmaßnahmen zu schützen, die in sein forum internum oder die essentiell notwendigen Kommunikationsmechanismen eingreifen.

266 vgl. v. MangoldtjKJein/Starck, Art. 2 Abs. 1 Rdnr. 39; Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 117, 113. U,7 Grundsätzlich ist ein Menschenwürdeverzicht nicht möglich: BVerwGE 64, 274 (279 ff.); BVerjG NJW 1987, 3246; vgI. a. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 129; vgI. für eine derartige Möglichkeit bei dem freiwilligen Anschluß an einen Polygraphen: Amelung NStZ 1982, 38 f.; Achenbach NStZ 1984, 350 (352); Jaworski Kriminalistik 1990, 123 (129); Prittwitz MDR 1982,886 (895), Rogall, SK-StPO, § 136a Rdnr. 75 f.; KIimke NStZ 1981, 433; Undeutsch ZStW 87 (1975), 650; ; Wolter, Gedächtnisschrift für Annin Kaufmann, 761 (769); ders. Gedächtnisschrift für Meyer, 493 (514); vgl. a. ders., SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 129 m.w.N. 268 Jedoch nicht im Rahmen einer sonst bekannten wirksamen Einwilligung vgl. AKPodlech, Art. 1 Abs. 1 Rdnr. 71. '1fJ) Vgl. auch wiederum zum Polygraphen Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 129 m.w.N. rTO Vgl. a. Richter/Schuppert, Casebook, Art. 1 11.

V. Für Infonnationsverarbeitung unantastbarer Bereich des Persönlichkeitsrechts

111

Der Menschenwiirdekerngehalt ist jedoch eng zu begrenzen271 , um diese absolute Schutzposition nicht aufzugeben bzw. der Relativierung zu opfern272 . Zur Bestimmung der Reichweite des Menschenwiirdeschutzes bedient man sich regelmäßig, wegen der Schwierigkeit der Beschreibung des Schutzbereiches, der Fallgruppenbildung273 und der Beachtung anerkannter einfachgesetzlicher Ausprägungen des Kernbereichsschutzes. Hierzu zählen z.B. prozessuale Grundsätze wie Verstoß gegen die Unschuldsvermutung, den nemo tenetur-Grundsatz, das Folter- oder Täuschungsverbot gem. § 136a StP0274. Wesentlich sind für den hier zu beschreibenden Bereich der staatlichen Informationsverarbeitung bei den Strafverfolgungsbehörden die Objektsformel und die essentiell notwendigen Kommunikationsminima275 . Bei der Informationsverarbeitung sind jedoch nur sehr begrenzte Gefährdungen für die Menschenwürde erkennbar. Eine denkbare Menschenwürdeverletzung durch Informationsverarbeitungsmaßnahmen liegt in der Erstellung vollständiger Persönlichkeitsbilder276, dem "gläsernen" Menschen. Nach verbreiteter Meinung in der Literatur verstößt die Erstellung vollständiger Persönlichkeitsbilder gegen Art. 1 Abs. 1 i. V. mit Art. 79 Abs. 3 GG 2TI. Dies betrifft nicht nur die Zusammenschau von Informationen aus dem höchstpersönlichen Bereich, sondern auch aus den darüber hinausgehenden Sphären, soweit am Ende ein allumfassendes Persönlichkeitsbild entsteht/entstehen soll278. Es ist zu verhindern, daß mit Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 143 a.E. Wohl im selben Sinn, nämlich um damit auch die Gefahr der Vennengung dogmatischer Aussagen mit rechtspolitischen Forderungen zu verhindern: Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 143 a.E. 273 Vgl. Rogall, Infonnationseingriff, S. 66 f. 274 Vgl. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 118; zu weiteren Menschenwürdeverletzungen: heimliche Wohnungseingriffe Rdnr. 114, Hotelzimmer, Haftzellen, Rdnr. 119. 275 BVerJGE 65, 1 (43 f, 46); wobei dem Datenschutz in jedem Fall soweit Rechnung getragen werden muß, daß Selbstbezichtigungen und unzumutbare intime Angaben die Grenze der Abwägung darstellen; damit wird aber wiederum ein Bezug zur "Intimsphäre" und ihrem absoluten Schutz hergestellt; vgI. a. Wolter GA 1988,49 (59). 276 Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 118, 117. m Vgl. BVerfGE 27, 1 (6 f.); 65, 1 (42); 67, 100 (144); Denninger, Infonnationsgeseilschaft oder Überwachungsstaat, S. 107 (144 f., 159); Benda, Festschrift für Geiger, 23 (36 f.); v. MangoldtjKJein/ Starck, Art. 1 Abs. 1. Rdnr. 63 ff.; Schmitt-Glaeser, § 129, Rdnr.36 Fußn. 109; Rogall GA 1985, 1 (26); Wolter GA 1988,141; ders., SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 128; vgI. a. ders., Gedächtnisschrift für Meyer, 493 (497). 278 Vgl. a. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 128 und 130. 271

272

112

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Inforrnationsverarbeitung

Hilfe von Verknüpfung und Auswertung von Daten die gesamte Person zu Überführungszwecken elektronisch "durchleuchtet" und registriert wird279 . Zwar ist der Kernbereich des Rechts auf autonome Selbstdarstellung und des Rechts auf Kommunikation als Ausfluß der MenschenWÜTdegarantie unantastbar und einer eventuellen Abwägung mit staatlichen (Strafverfolgungs-)Interessen entzogen280 • Doch allein dies reicht zur präzisen Beschreibung nicht aus. In der Sammlung von Informationen über einen Tatverdächtigen, Angeklagten usw., ist auch bei der Zusammenschau von Einzelinformationen, soweit diese rechtmäßig, d.h. auf gesetzlicher Grundlage, erlangt worden sind, nur dann eine Menschenwürdeverletzung zu erkennen, wenn darin eine Herabwürdigung zum Objekt hinzutritt281 • Die Dichte der Informationen muß den Betroffenen zum Objekt des staatlichen Handelns machen und ihm keinerlei Freiraum lassen. Unmittelbar unterhalb dieser Objektseinstufung ist aber gerade im Rahmen des modernen Strafverfahrens, das die Täterpersönlichkeit als wesentliches Kriterium für die Schuldfeststellung heranzieht (vgl. § 46 StGB), zur Behandlung als Subjekt des Strafprozesses auch eine weiterreichende Aufklärung des persönlichen Bereichs des Angeklagten notwendig. Die schwierige Grenzziehung verläuft also zwischen der notwendigen Aufklärung im Sinne des § 46 StGB und der Herabwürdigung zum "gläsernen" Menschen und Angeklagten, der schon durch die Offenlegung seiner Lebensweise oder seiner Persönlichkeit geradezu "vorverurteilt" ist. Jedoch ist weder unter dem Aspekt des § 46 Abs. 2 StGB noch der Normen des Besonderen Teils des StGB282 eine Überschreitung der Grenzziehung und eine Abwägung zwischen MenschenWÜTdepositionen und Strafverfolgungsinteressen möglich283 . Als einfachgesetzliche Normen stehen sowohl § 46 Abs. 2 StGB als auch die Vorschriften des Besonderen Teils des StGB unter Verfassungsvorbehalt. Ihre Auslegung muß mit der Verfassung in Z19 Dagegen wohl BVerjGE 67, 100 (144); 65, 1 (42); 27, 1 (6 f.); vgl. auch Wolter, SKStPO, Vor § 151 Rdnr. 128. 280 Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 132 a.E. 281 So wohl auch nur bei Behandlung als Objekt: Wolter, Gedächtnisschrift für Armin Kaufmann, 761 (nI). 282 So Rogall, Inforrnationseingriff, S. 66 Fußn. 420. 283 Ein Eingriff erscheint allenfalls zum Schutze der Menschenwürdeposition eines anderen Menschen möglich, also insoweit für Präventivmaßnahmen denkbar; vgl. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr.33.

V. Für Infonnationsverarbeitung unantastbarer Bereich des Persönlichkeitsrechts

113

Einklang stehen. Da der Menschenwürdekernbereich, wie oben festgestellt, schon aus der Verfassung heraus einer Relativierung entzogen ist, können einfachgesetzliche Normen hier nicht durchgreifen. g) Einklang mit sonstigen Schutzvorschriften und Verfahrensgrundsätzen der StPO oder des GG Die grundsätzliche Zulässigkeit staatlicher Informationsverarbeitung durch die Strafverfolgungsbehörden unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ist nun zusätzlich an den Verfahrensgrundsätzen der Strafprozeßordnung zu messen. Möglicherweise sind aufgrund der Verfahrensgrundsätze der Strafprozeßordnung weitere Einschränkungen für die Vornahme von Informationseingriffen oder weitere Kriterien für die Abwägung zu beachten. Die Prozeßgrundrechte der Art. 103, 104 GG284 werden durch Maßnahmen zur Informationsverarbeitung bei den Strafverfolgungsbehörden nicht berührt. Der Fair Trial-Grundsatz und die prozessuale Chancengleichheit als Ausformungen von Art. 1 und 2 GG sind durch die schon dargelegten Ansprüche auf Auskunft, Löschung und den Einsatz Datenschutzbeauftragter zu gewährleisten. (1) Grundsatz des offenen Verfahrens Die Informationsverarbeitung im Strafverfahren ist vielfach für den Betroffenen nicht erkennbar, Auskunftsrechte können teilweise wegen der Gefährdung des Verfahrenszwecks suspensiert sein. Möglicherweise verstößt dies gegen den Grundsatz des offenen staatlichen Verfahrens. Dieser Grundsatz des offenen staatlichen Verhaltens gilt auch im Strafprozeß einschließlich dem vorbereitenden Ermittlungsverfahren285 und wird aus dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 28 Abs. 1 GG hergeleitet. Der Grundsatz erfordert nicht die ausschließliche Offenheit von Ermittlungsmaßnahmen gegenüber den Betroffenen. Vielmehr können, soweit die 284 28S

8 F.mot

Grds. vgI. Woller, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 144. Vgl. Woller, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 105 m.w.N.

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

114

Durchführung des Verfahrens dies erfordert, hiervon Ausnahmen gemacht werden. In diesen Fällen sind Schutzmaßnahmen für den Betroffenen zu normieren, z.B. die nachträgliche Information über die Vornahme der Maßnahmen. Grundsätzlich hat der Betroffene innerhalb der staatlichen Informationsverarbeitung Auskunftsansprüche. Für die Fälle der nicht erkennbaren Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden oder der Verweigerung des Auskunftsanspruchs aus Gründen der Verfahrenssicherung sind jedoch nachträgliche Schutzmechanismen zu normieren. Soweit dies gewährleistet ist, sind auch nicht erkennbare staatliche Informationsmaßnahmen ohne Verstoß gegen das Gebot der Offenheit des Verfahrens möglich. Das Strafverfahren braucht daher gegenüber Beschuldigten und Verdächtigen nicht ausschließlich offen sein. Dies gilt in der Hauptsache für das Ermittlungsverfahren286• Gerade im Bereich der terroristischen und Organisierten Kriminalität ist eine effIZiente Strafverfolgung nur bei Anwendung auch heimlicher Maßnahmen möglich287• Der Grundsatz des offenen staatlichen Verhaltens führt daher in diesem Zusammenhang nicht weiter bzw. steht der Informationsverarbeitung nicht strikt entgegen. (2) § 136a StPO Fraglich ist, inwieweit der Rechtsgrundsatz des § 136a StPO der Informationsverarbeitung durch die Strafverfolgungsbehörden entgegensteht. Grundsätzlich bezieht sich § 136a StPO nur auf Vernehmungen oder vernehmungsähnliche Situationen, also eine besondere Art der Informationserhebung. Da die Informationsverarbeitung in der Regel ohne Kenntnis und ohne Inanspruchnahme des Betroffenen erfolgt, liegt die Alternative der Täuschung bei Informationsverarbeitungsmaßnahmen nicht vor. Weitreichend wird § 136a StPO außerhalb der Täuschungsalternative als einfachrechtliche Ausformung des Menschenwürdeschutzes der Verfassung betrachtet288• Ein Schutz vor Beeinträchtigungen von Menschenwürdepositionen durch Informationsverarbeitungsmaßnahmen wurde jedoch schon oben aus der Verknüpfung des Art. 2 Abs. 1 mit Art. 1 GG und der staatli-

2K1

vgl. Rogall JZ 1987, 847 (850); vgI. a. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 106. Vgl. a. Lammer, Verdeckte Ermittlungen, S. 20 ff.

288

Vgl. Hanack, in: Löwe/Rosenberg, § 1300 Rdnr. 33.

286

V. Für Informationsverarbeitung unantastbarer Bereich des Persönlichkeitsrechts

115

chen Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 2. Alt. GG hergeleitet. Durch die Wertentscheidung, die in der Normierung des § 136a StPO liegt, gilt nichts anderes. (3) Unschuldsvermutung Grundsätzlich ist der Staat gegenüber dem Beschuldigten zu Fairneß und Gleichbehandlung verpflichtet289 und hat von der Rechtstreue seiner Bürger auszugehen290• Durch Informationsverarbeitungsmaßnahmen könnte die im Strafprozeßrecht bedeutsame Unschuldsvermutung angetastet sein. Die Unschuldsvermutung setzt sich im wesentlichen aus den drei Aspekten in dubio pro reo, Verbot der Vorwegnahme von Strafzwecken und Schuldvorhaltung vor rechtskräftiger Verurteilung291 zusammen. Durch die Verarbeitung von Informationen werden derartige Belange der Betroffenen nicht verletzt. Die Unschuldsvermutung kann und soll nicht vor der Verdachtsklärung durch die Strafverfolgungsbehörden schützen. Informationsverarbeitungsmaßnahmen haben nicht den Charakter der vorzeitigen Sanktionierung. (4) Ergebnis Die hergebrachten Prozeßgrundsätze der StPO und die speziellen Prozeßgrundrechte des Grundgesetzes stehen einer Regelung von Informationseingriffen durch Strafverfolgungsbehörden nicht entgegen. h) Ergebnis Es ist daher festzustellen, daß dem Grundrechtsträger ein von staatlicher Seite her unantastbarer Intimbereich jenseits jeder Abwägung oder Verhältnismäßigkeitsprüfung mit Strafverfolgungsinteressen verbleibt. Der Schutz dieses Kernbereichs ist aus Art. 1 Abs. 1 i. V. mit Art. 79 Abs. 3 GG herzuleiten.

2B9 Wobei hierfür schon die "Doppel"rolle der Staatsanwaltschaft gern. § 160 Abs. 2 StPO eine gewisse Gewähr bietet vgl. a. Odersky, Festschrift für Rebrnann, 343 ff. 290 Vgl. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 106 rn.w.N. 291 Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 108; vgl. a. Rdnr. 124.

8"

116

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Infonnationsverarbeitung

Im Bereich der Legislative schützt auch Art. 19 Abs. 2 GG die Grundrechtsausübung, da er dem Gesetzgeber untersagt, den Wesensgehalt der Grundrechte anzutasten, und damit in seiner Reichweite über den Kernbereichsschutz des Art. 1 Abs. 1 GG hinausgeht.

4. Rechts/olgen eines Verstoßes gegen die Menschenwürde im Stra/prozeß Menschenwürdeverletzende Ermittlungsmethoden sind der Regelung durch den Gesetzgeber strikt entzogen292 • Begangene Menschenwürdeverletzungen durch Ermittlungsmaßnahmen ziehen ein umfassendes Beweisverwertungsverbot mit Fernwirkung nach sich, auf derartigen Beweisen beruhende Urteile sind vollständig revisibe1293 . Beweisverwertungsverbote aufgrund von Menschenrechtsverletzungen sind von Amts wegen zu prüfen, unter den Voraussetzungen extremer Menschenrechtswidrigkeit können sogar verfassungsrechtliche Verfolgungsverbote eintreten294 •

5. Verfassungsrechtliche Aujbewahrungsverbote Bei der Aufbewahrung von Informationen sind grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Aufbewahrungsverbote zu beachten. Allein durch die Aufbewahrung rechtmäßig erhobener Informationen ist die Möglichkeit von Menschenwürdeverletzungen nicht denkbar, ein Verbot der Aufbewahrung aus diesen Gesichtspunkt nicht begründet295 •

6. Ergebnis Im Bereich der Strafverfolgung ist em eingriffsfester Bereich des Grundrechtsschutzes anzuerkennen, in den weder die Strafverfolgungsbehörden noch der Gesetzgeber eingreifen dürfen. 292

Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 130.

Rogall, SK-StPO, § 136a Rdnr.94 Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 130; ders. NStZ 1984, 275 (276). AA BGHSt 34, 364; vgI. a. BGHSt 27, 357; 32, 68. 294 Vgl. Beulke ZStW 103 (1991), 657 (677); Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 130. 293

295 Derartiges kann allenfalls unter dem Aspekt von extrem menschenrechtswidrigen Beweiserhebungen gelten. In derartigen Fällen kann man dafür eintreten, daß die Ergebnisse derartiger Beweiserhebungen nicht in die Ermittlungsakte eingestellt werden dürfen. Andererseits muß man aber in solchen Fällen auch von einem Interesse des Betroffenen ausgehen, daß das rechtswidrige Verhalten der Ennittlungsbehörden perpetuiert wird, um Rechtsschutz und möglicherweise Schadensersatz durchsetzen zu können. In diesem Fall ist eine Perpetuierung außerhalb der Ennittlungsakte jedenfalls notwendig.

VI. Anforderungen an Eingriffsgrundlagen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht

117

Durch Erstellung von vollständigen Persönlichkeitsbildern und dem darauf beruhenden Verlust der Subjektsstellung des Betroffenen kann ein Menschenwürdeverstoß begründet sein. Wegen der Anerkennung eines abwägungsfesten Kernbereichs der Grundrechte in Form ihres Menschenwürdekerns ergeben sich auch unmittelbare Konsequenzen für den Strafprozeßgesetzgeber und die Strafverfolgungsbehörden. Eingriffe in diesen engsten Bereich kann der Gesetzgeber nicht legitimieren. Die Strafverfolgungsbehörden können hier nicht eingreifen, auch nicht unter Abwägung der beteiligten Belange. Bei menschenwürdeverletzender Informationserhebung ergeben sich weitreichende Verwertungsverbote, teilweise sogar Einstellungsgebote und Verfolgungsverbote. Die Ausformung des Gesetzesvorbehaltes ist wegen der Zugrundelegung des Verhältnismäßigkeitsmaßstabs anhand der konkreten Bedingungen zu ermitteln. Durch die Herleitung des Schutzes vor Informationsverarbeitungsmaßnahmen aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht wird der Schutz vor Informationsverarbeitungsmaßnahmen nicht unbeschränkt gewährt. Daher ist es notwendig, die Schutzbedürfnisse des Einzelnen mit den Interessen des Staates in Einklang zu bringen. Hierzu dient das Instrument der Abwägung, mit dessen Hilfe die verschiedenen Interessen in praktische Konkordanz gebracht werden sollen. VI. Anforderungen an EingrilTsgrundlagen in das allgemeine Persönlichkeits reCht durch Informationsmaßnahmen

Außer halb des Menschenwürdeschutzes lassen sich weitere Kriterien für Abwägungsmaximen und Eingriffsgrundlagen zur Vornahmen von Informationsverarbeitungsmaßnahmen durch die Strafverfolgungsbehörden entwikkeIn. Sowohl aufgrund der Herleitung aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht als auch aufgrund der Gemeinschaftsgebundenheit des Einzelnen hat das Bundesverfassungsgericht das Recht auf informationelle SeIbstbestim-

118

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

mung nicht schrankenlos gewährt2%. Beschränkungen müssen jedoch nach Art. 2 Abs. 1 GG dem Gesetzesvorbehalt genügen. Einschränkungen dieses Rechts sind nur im überwiegenden Allgemeininteresse möglich. Dabei hat der Gesetzgeber unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips297 und der Normenklarheit298 die (gegensätzlichen) Interessen derart in praktische Konkord~99 zu bringen, daß das Allgemeininteresse (auf wirksame Strafverfolgung) und das Anliegen effektiven Datenschutzes jeweils so weit als möglich ihre Wirkung behalten. 1. Gesetzes- und Parlamentsvorbehalt - Generalklausel

Informationsverarbeitungsmaßnahmen stehen, wie festgestellt, nicht unter einem Totalvorbehalt300, da sie, wie auch die Ableitung aus den grundsätzlichen Kommunikationsrechten zeigt, nicht immer Grundrechtseingriffe darstellen. Soweit es sich jedoch um Informationseingriffe handelt, beeinträchtigen sie das allgemeine Persönlichkeitsrecht und sind als Grundrechtseingriff nur auf Grundlage eines ermächtigenden Gesetzes möglich. Der Exekutive in Form der Staatsanwaltschaft, einschließlich ihrer polizeilichen Hilfsbeamten, und der Judikative, also dem Richter, ist eine Einschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ohne gesetzliche Grundlage nicht gestattet301 . Die Aufgabe der Abwägung zwischen dem Strafverfolgungsinteresse und dem Informationsbeherrschungsinteresse302 des Bürgers hat also der Gesetzgeber vorzunehmen. Staatsanwaltschaft und Gerichte sind insoweit an diese Abwägung gebunden. Ein Verstoß durch Eingriffe ohne gesetzliche Grundlage oder gegen die vom Gesetzgeber vorgenommene Abwägung im Bereich der Informationsbeherrschungsrechte steht einem rechtswidrigen, weil nicht ausdrücklich ge296

BVerfGE 65, 1 (44).

NT

Vgl. BVerfGE 19,324 (348). BVerfGE 45, 400 (420).

298

Vgl. Hesse, Verfassungsrecht, Rdnr. 317 ff. Vgl. BVerfGE 65, 1 (43 f.): keine unbeschränkte Herrschaft über die eigenen Daten u.a. wegen der Gemeinschaftsbezogenheit und der Gemeinschaftsgebundenheit des Einzelnen. Siehe a. BVerwG NJW 1990, 2765. 301 Vgl. a. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 89. 299

300

302 Zum Begriff des Informationsbeherrschungsinteresses und der Informationsbeherrschungsrechte vgI. Amelung, Informationsbeherrschungsrechte, S. 30 ff., 11 ff.

VI. Anforderungen an Eingriffsgrundlagen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht

119

setzlich erlaubtem Eingriff in ein Grundrecht, wie z.B. der Anordnung einer Telefonüberwachung, ohne daß die gesetzlich normierten Anordnungsvoraussetzungen vorliegen, gleich. Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch Informationserhebungen und -verarbeitungen durch die Strafverfolgungsbehörden bedürfen einer Ermächtigungsgrundlage, die den Anforderungen des Parlamentsvorbehalts, des Bestimmtheitsgebots genügt und die notwendigen verfahrensrechtlichen Vorkehrungen regelt3()3. Trotz der grundsätzlichen Anerkennung der Regelungsnotwendigkeit der staatlichen Informationsordnung erheben sich Stimmen, die das Feld der strafrechtlichen Informationsordnung für eine Einzelfallregelung für untauglich halten. Aufgrund der notwendigen Flexibilität der Strafverfolgungsbehörden, auf Entwicklungen der Kriminalität reagieren zu können, könne man auf Generalklauseln auch für Eingriffe in Grundrechtspositionen nicht verzichten. Da für die informationsverarbeitende Tätigkeit der Strafverfolgungsbehörden ein Totalvorbehalt nicht bestehe, komme die Wesentlichkeitstheorie zur Anwendung304 • Diese verlange aber nur, daß der Gesetzgeber die staatliche Informationsordnung grundsätzlich regeln müsse. Eine strafprozessuale Informationsordnung könne nur zu einem gesetzlichen Interessenausgleich der Beteiligten führen, da die grundsätzliche Informationsvorsorge durch den Staat sogar einen Verfassungsauftrag aus dem Sozialstaatsprinzip darstelle305 • So müsse ein Ausgleich zwischen der Entwertung der Grundrechtspositionen des Einzelnen und der Ermöglichung der staatlichen Aufgabenerfüllung gefunden werden. Jedoch könne auch in diesem Bereich der Gesetzgeber nur die Rahmenbedingungen regeln, da es insoweit wiederum auf die Einzelabwägung in der Praxis ankomme. Soweit der Eingriff eine bestimmte Intensität nicht überschreitet, müßten generelle Befugnisnormen als ausreichend angesehen werden und nicht für jeden Fall der Informationsverarbeitung spezielle Eingriffsermächtigungen normiert werden306• Sowohl Verwaltung als auch Rechtsprechung seien demokratisch legitimiert, was eine All-Regelung nicht erfordere. Auch müßten die negati-

303

BVerjGE 65,1 (44); 45, 400 (420).

304

Rogall, Informationseingriff, S. 54. Rogall, Informationseingriff, S. 54 f.;eig. Auffassung: Rechtsstaatsprinzip, vgI. oben

30S

IV. 3. 306

Rogall, Informationseingriff, S. 67 f.

120

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

ven Folgen eines informationellen Totalvorbehaltes für die sogenannte "balance of powers" im strafprozessualen Kräftefeld beachtet werden307• Die Argumentation Rogal/s richtet sich also in erster Linie gegen die Gefahr der Handlungsunfähigkeit der Strafverfolgungsbehörden mangels entsprechender Eingriffsnormen. Doch wie Rogal/ selbst anführt, herrscht im Strafprozeßrecht, wegen seiner besonderen Sensibilität und der ungeheueren Auswirkungen auf die Betroffenen, die Regelungstechnik der Spezialermächtigung vor. Dies ist auch beizubehalten. Soweit Ermächtigungen notwendig erscheinen, sind sie durch den Gesetzgeber zu regeln. Im Bereich der Grundrechtseingriffe im Strafverfahren ist der überwiegende Teil als "wesentlich" und damit regelungsbedürftig anzusehen308 • Daß hierdurch nicht die Strafverfolgungsbehörden handlungsunfähig werden, zeigt die derzeitige Praxis, die im Bereich des Informationsmanagements nicht handlungsunfähig ist, sondern von der Rechtsprechung Übergangsboni zugestanden erhält. Soweit also für den Gesetzgeber im Bereich der Strafverfolgung erkennbar ist, daß bestimmte Grundrechtseingriffe für die Wirksamkeit der Strafrechtspflege erforderlich und geeignet sind, hat er diese zu regeln. Eine Abwendung von der Spezialermächtigung scheint weder ratsam noch im Hinblick auf die Wesentlichkeitstheorie legitimierbar. Gegen die Gefahr der Kräfteverschiebung war die Rechtsprechung auch bisher in der Lage, flexibel zu reagieren. Eine GeneralklauseI zu Grundrechtseingriffen ist daher im Bereich des Strafverfahrens abzulehnen.

2. Abwägung im einzelnen Wie oben unter III 5. dargestellt, ist zwischen den staatlichen Strafverfolgungsinteressen und dem Grundrechtsschutz der Betroffenen durch Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips abzuwägen. a) Erforderlichkeit und Geeignetheit Eingriffsgrundlagen zur Beschränkung, Beeinträchtigung und Gefährdung von Grundrechtspositionen durch Informationsverarbeitungsmaßnah-

307 308

Vgl. Rogall, Informationseingriff, S. 70 f. So letztlich wohl auch Rogall, Informationseingriff, S. 75 f.

VI. Anforderungen an Eingriffsgrundlagen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht

121

men müssen so beschaffen sein, daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht, schon in seinem Vorfeld auch als Recht auf informationelle Selbstbestimmung bezeichnet, geschützt und die materiellen Grundrechtspositionen nicht entwertet werden309• Derartige Eingriffe sind nur statthaft, wenn dies im überwiegendem Allgemeininteresse unerläßlich ist310 • Diese Notwendigkeit der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zum Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht folgt auch schon aus dem objektiv rechtlichen Wertgehalt der Grundrechte selbst311 . Das Prinzip der Erforderlichkeit spiegelt sich u.a. in §§ 14, 13 BDSG wider. Für den Strafprozeß ist diese grundsätzliche Notwendigkeit durch das Erfordernis des Tatverdachts in § 160 Abs. 1 StPO festgelegt 312 • Alle Maßnahmen zur Informationsverarbeitung mit Eingriffscharakter müssen für den verfolgten Zweck zunächst geeignet und erforderlich sein313 • Die Stufen der Erforderlichkeit314 und der Geeignetheit315 sind in ihren Voraussetzungen und ihrer Reichweite weitgehend geklärt, ihre Anwendung bereitet wenig Schwierigkeiten und ist leicht nachvollziehbar316 • Beispielsweise ist die Sammlung personenbezogener Daten zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken nicht erforderlich und so nicht statthaft. Staatliche Stellen haben sich bei der Sammlung personenbezogener Daten auf das unerläßliche Minimum zu beschränken317. b) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Darüber hinaus muß die Maßnahme der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne entsprechen318• Bei der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne hanBVerfGE 63, 131 (141); vgl. a. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr.90. BVerfGE 65, 1 (44); vgl. a. BVerfGE 19, 342 (348) sowie Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 167; Similis, NJW 1986, 2795 (2801 f.). 311 BVerfGE 65,1 (44); vgI. a. Grimm NJW 1989, 1305 (1308). 312 KleinknechtjMeyer, §160 Rdnr. 1, 9 C.; neuerdings sind im Ausnahmefall auch Initiativermittlungen möglich, vgl. RiStBV Anlage E Nr. 6. 313 BVerfGE 65,1 (46). 309

310

314 Rudolphi, SK-StPO, Vor § 94 Rdnr.72; für eine schon grundrechtsschonende Auslegung dieses Elements: Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 38, 34. 315

Rudolphi, SK-StPO, Vor § 94 Rdnr. 71

316

Vgl. a. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 38.

317

BVerfGE 65, 1 (46); s. a. Tinne!eld/l'ubies, Datenschutzrecht, I. Teil, 5.1. Vgl. a. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 38.

318

122

C.

Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

delt es sich um ein offenes Prinzip, das zwar auch der Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung anheimgestellt ist319, aber in erster Linie der Konkretisierung durch den Gesetzgeber bedarf32o. Hierbei ist es wichtig, die für die jeweilige Entscheidung oder den Sachzusammenhang wichtigen Kriterien zu ermitteln, anband derer die Abwägung erfolgen kann321 . Gerade wegen dieser Schwierigkeiten des Verhältnismäßigkeitsprinzips322 ist im Interesse einer größtmöglichen Gleichbehandlung und auch unter dem Aspekt präventiven Rechts- insbesondere Grundrechtsschutzes zu fordern, daß der Gesetzgeber für den Bereich der Grundrechtseingriffe im Zusammenhang mit Strafverfolgungsmaßnahmen Eingriffsnormen für die Strafverfolgungsbehörden möglichst so konkret faßt, daß es nur in Sonderfällen der richterlichen Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips bedarf323. Eine Berufung allein auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip schlechthin ist wegen der Inhaltsleere des Prinzips nicht sinnvo1l324. Der Gesetzgeber ist gehalten, die von ihm als wesentlich erkannten Abwägungsmaximen in die gesetzlichen Regelungen einzustellen, um so zu gewährleisten, daß nicht über das Maß hinaus in den Rechtskreis des Bürgers eingegriffen wird, das er für angemessen befunden hat. Hier ist es dem Gesetzgeber anheimgegeben, die Abwägung zwischen der Justizgewährungspflicht gegenüber dem Verletzten, die aus dem staatlichen Gewaltmonopol erwächst, und den Freiheits- und Eigentumsrechten der Betroffenen vorzunehmen. Hierzu hat er sich des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu bedienen325 .

319

320 321

Wolter,

SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 38.

Rudolphi, SK-StPO, Vor § 94 Rdnr. 68 f.;vg1. Vgl. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 38.

a. Grabitz, AöR 98 (1973), 568 (582).

322 Vgl. Degener, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 59 ff., 111 ff., 149; AK-BäumlinRidder, Art. 20 Abs. 1 - 3 III Rdnr. 64 ff.; Pieroth/Schlinle, Grundrechte Staatsrecht 11, § 6 IV 4 b) cc); Sehlinie EuGRZ 1984, 457 (462 ff.); besonders für die Belange des Strafprozesses Roxin, Strafverfahrensrecht, § 2 A III; SChäfer, in: Löwe/Rosenberg, Eint. Kap. 6 Rdnr. 12; Fezer, Fall 7 Rdnr. 22, Fall 15 Rdnr. 58; Hillenkamp NJW 1989, 2841 (2849); Gössel NJW 1981, 649 (657); Kühne, Strafprozeßlehre, Rdnr. 166. 323 Vgl. a. Rudolphi, SK-StPO, Vor § 94 Rdnr. 69; Degener, Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 202 ff., 185ff.; Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 38. 31-' Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr.54. 32S BVerfGE 41, 88 (108 f.); Hesse, Grundzüge, Rdnr. 72, 317, aber auch mit differenzierender Begründung Alay, Theorie der Grundrechte, S. 143 ff., 152.

VI. Anforderungen an Eingriffsgrundlagen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht

123

Es sollen daher zunächst die für die Feststellung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne wichtigen Kriterien für die Normierung von Eingriffen durch Informationsverarbeitung aufgefächert werden. (1) Verfahrensstatus Die Verpflichtung zur Hinnahme der Gefährdung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts ist jeweils anders zu beurteilen, ob der Einzelne nur "drittbetroffen" ist, also z.B. nur als Merkmalsträger oder Begleiter eines Beschuldigten, der im Mittelpunkt einer Datenverarbeitungsmaßnahme steht, und deshalb "mit"berücksichtigt wird326, oder ob es sich bei dem Betroffenen um den Verdächtigen einer besonders schweren Straftat handelt. Denn ein Verdächtiger muß - trotz Unschuldsvermutung327 - stärkere Eingriffe in seine Rechte dulden als ein Unverdächtiger. Es ist also auch die Verfahrensstellung des Betroffenen bei der Abwägung zu berücksichtigen328. An Eingriffe sind jeweils im Rahmen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne dann höhere Anforderungen zu stellen je nachdem, ob sich die Maßnahme gegen Verdächtige oder Unverdächtige, Zeugen oder sogar Opfer richtet. Dies ist aufgrund des gewandelten Ermittlungsverfahrens von besonderer Bedeutung. Die modernen Fahndungsmethoden und Informationsverarbeitungsmöglichkeiten durch die Strafverfolgungsbehörde beziehen weitreichend auch Unverdächtige mit ein. So werden bei der Rasterfahndung vielfach die Datensätze Unverdächtiger auf die Merkmalsübereinstimmung mit Verdächtigen "abgerastert,,329, auch werden personenbezogene Daten von Tatzeugen in polizeiliche Spurensammlungen bzw. Fahndungsdateien aufgenommen. Möglicherweise wird durch derartige Maßnahmen die Balance zwischen Tatverdacht und Eingriffsbefugnis zerstört, werden die bisherigen Abstufungen eingeebnet330.

Vgl. a. Rogall, Informationseingriff, S. 64. Vgl. Rudolphi, SK-StPO, Vor § 94 Rdnr. 8 ff. 328 Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr.41. 329 Vgl. a. Herold, RuP 1985, 84 (87 ff.); Dästner, RuP 1988, 31 (34). 330 Vgl. a. Stellungnahme der Strafverteidigervereinigungen zum OrgKG, BT-Drucks. 12/989, S. 65. 326

3V

124

C.

Grundrechtliche Relevanz staatlicher Infonnationsverarbeitung (2) Art und Ausmaß der Straftat

Desgleichen ist bei den Abwägungsüberlegungen die Schwere der Straftat zu berücksichtigen331 . Je gewichtiger die Straftat und ihre Folgen, um so eher ist eine Maßnahme zur Aufklärung verhältnismäßig im engeren Sinne332. (3) Sensibilität der Daten Ebenso verhält es sich mit der Sensibilität der Informationen. Ist erkennbar, daß besonders sensible Daten mit Hilfe der zu regelnden Maßnahme erhoben oder verarbeitet werden sollen, also der Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts besonders tief ist, ist dies bei der Abwägung zu berücksichtigen.

3. Notwendige Verfahrenssicherungen Schon das Bundesverfassungsgericht fordert in seiner Entscheidung zum Volkszählungsurteil die Normierung verfahrensrechtlicher Schutzvorkehrungen für die von Datenverarbeitungsmaßnahmen Betroffenen333 . Es müssen Aufklärungs- und Auskunftspflichten sowie Löschungsfristen vorgesehen werden, und im Rahmen präventiven Rechtsschutzes ist die Beteiligung unabhängiger Datenschutzbeauftragter zu regeln334. Jenseits des Schutzes der Menschenwürde durch die Verknüpfung von Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art 1 Abs. 1 GG und der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 2. Alt. GG, also dem Bereich des "prozessualen Minimums,,335, fällt dem Gesetzgeber die Aufgabe zu, die Reichweite verfahrensrechtlicher Schutzvorkehrungen zu bestimmen. Er hat aber die Verpflichtung zur Eindämmung besonderer Gefahren336, dies gerade auch im

333

Vgl. Kühne, Strafprozeßlehre, Rdnr. 166; Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr.41. Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 41, 43, 44. BVerfGE 65, 1 (44); 53, 30 (65), 63, 131 (143).

334

BVerfGE 65, 1 (46).

331

332

335

336

Vgl. auch oben C. VI. 3. 53, 30 (57).

BVerfGE 49, 89 (129);

VI. Anforderungen an Eingriffsgrundlagen in das allgemeine Pel'SÖnlichkeitsrecht

125

Bereich der aktuellen technischen Entwicklungen, insbesondere bei der Informations- und Gentechnologie337. Hier sind Richtervorbehalte, spezifische Straftatenkataloge, enge Befristungen, Regelungen zum Umfang der herauszugebenden Daten und zur Zweckbindung, zur Reichweite von Berufs- und Amtsgeheimnissen, zur Rückgabe und Vernichtung von Unterlagen und Akten, zur Löschung von Daten, zur nachträglichen Unterrichtung und zum Auskunftsrecht der Betroffenen sowie zur Verwertung von Zufallsfunden einzuordnen. a) Zweckbindungsgebot Bei Informationsverarbeitungsmaßnahmen erachtet es das Bundesverfassungsgericht zum effektiven Grundrechtsschutz für notwendig, daß der Gesetzgeber bei der Normierung eines Zwangs zur Angabe personenbezogener Daten und deren Verarbeitung den Verwendungszweck bereichsspezifisch festlegt338. Die Verwendung der Daten ist auf den Erhebungszweck zu begrenzen, und dies ist durch Weitergabe- und Zweckentfremdungsverbote sicherzustellen339. Der Erhebungszweck einer Maßnahme der Strafverfolgungsorgane ist durch die Ermächtigungsgrundlage oder ihre systematische Einordnung bestimmt340 • Grundsätzlich ist dieser Erhebungszweck dem Betroffenen schon bei der Informationserhebung kund zu machen341 • Vielfach wird der Zweck der Datenerhebung schon grob durch den Arbeitsbereich der erhebenden Behörde bestimmt sein. Die Zweckbindung von Informationen, die UD Strafprozeß verarbeitet werden, wurde schon oben C. III. 3 dargelegt.

337 BVerjGE 65, 1 (44,46); 54, 148 (153); 63, 131 (143); 67, 100 (142 f.); vgl. a. BGH JuS 1991,336. 338 BVerjGE 65, 1 (44).

339

BVerjGE 65,1 (46).

340

V gl. oben C. 111. 3. Vgl. §§ 13 Abs. 3, 14 Abs. 1 BDSG.

341

126

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

b) Das Prinzip der Durchschaubarkeit Das Prinzip der Durchschaubarkeit der Datenverarbeitung findet sich in den §§ 18 Abs. 2,19,20 BDSG und entsprechenden Vorschriften über Register- und Auskunftsrechte in den Landesdatenschutzgesetzen342• Der Bürger muß Kenntnis haben können, in welcher Weise und zu welchem Zweck seine Daten verarbeitet werden bzw. über seine Daten verfügt wird, d.h. die behördliche Verarbeitung seiner Daten muß durchschaubar sein343• c) Auskunfts- und Löschungsrechte Nach dem Vorbild des BDSG sind entsprechende Auskunftsrechte und Löschungspflichten zu normieren344 • Nur durch entsprechende Auskunftsrechte kann die Gefährdung für das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch moderne Datenverarbeitung bis zu einem bestimmten Maß hingenommen werden. Der Betroffene erhält so Gelegenheit, die über ihn gespeicherten oder übermittelten Daten zur Kenntnis zu nehmen und möglicherweise Löschungs- oder Berichtigungsansprüche durchzusetzen. Eine besondere Problematik ergibt sich jedoch im Bereich der Strafverfolgungsmaßnahmen aus dem Erfordernis der Geheimhaltung. Sollte das Verfahren durch die Auskunftserteilung gefährdet sein, darf der grundsätzlich gewährte Rechtsschutzanspruch des Betroffenen nicht völlig suspendiert werden. Dies leitet aber schon zum nächsten Bereich über. d) Einsatz unabhängiger Datenschutzbeauftragter Unabhängigen Datenschutzbeauftragten fallen im Bereich der Strafverfolgung mindestens zwei Aufgaben zu. Die erste besteht in der Wahrnehmung der Interessen solcher Betroffener, denen Auskunft wegen der daraus resultierenden Gefährdung für das Verfahren nicht gewährt werden kann. Hier ist es vorstellbar, Datenschutzbeauftragte zu installieren, die von denjenigen, die Auskunft begehrt haben und damit abgewiesen wurden, ange342 343

344

Tinnefeld/Tubies, Datenschutzrecht, I. Teil, 5.1. Tinnefeld/Tubies, Datenschutzrecht, I. Teil, 5.1. §§ 19, 20, 21 BDSG.

VI. Anforderungen an Eingriffsgrundlagen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht

127

rufen werden können. Der Datenschutzbeauftragte - zur weiteren Geheimhaltung verpflichtet - prüft dann den Vorgang unter datenschutzrechtlichen Aspekten345 und, soweit Grund zur Beanstandung besteht, nimmt er für den Betroffenen entsprechende Rechtsbehelfe wahr346• Die andere Aufgabe ist, die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung bei den Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich im Wege von Stichproben zu überprüfen347• e) Grundsatz der informationellen Gewaltenteilung Der Grundsatz der "Fraktionierung der Datenherrschaft" dient der Kontrolle staatlicher Macht348 • So ist im Zusammenspiel mit dem Grundsatz der Zweckbindung der Daten zusätzlich notwendig, die Datenverarbeitung möglichst dezentral vorzunehmen. Es ist Sorge dafür zu tragen, daß die verschiedenen Verwaltungsträger, soweit sie der Datenverarbeitung bedürfen, diese selbst vornehmen und nicht eine zentrale Stelle die Datenverarbeitung für mehrere verschiedene Hoheitsträger vornimmt. Die Datenherrschaft ist vor einer Erhebungsmaßnahme, ähnlich wie der Zweck der Maßnahme, zu bestimmen. Dies ist insbesondere auch deshalb notwendig, da möglicherweise die Zuständigkeitsregelung Ausschlag auf den Zweck der Verarbeitung haben kann.

t) Besonderer Schutz der Daten Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht sind je nach der Sensibilität der erhobenen Daten im Verhältnis zum Erhebungszweck abzuwägen. Sollen besonders sensible Daten erhoben worden, muß dies für die Erreichung des verfolgten Zwecks unerläßlich sein. In diesem Zusammenhang wird auch die Ansicht vertreten, besonders sensible Daten seien in höherem Maße zu schützen als andere. Im Grund34S

§ 19 Abs. 5, 6 BDSG.

346

Schon deneit im BDSG in § 19 Abs. 6 ansatzweise geregelt. Vgl. §§ 24, 25 BDSG.

347

348 Bull, Datenschutz oder die Angst vor dem Computer, 1984, S. 83; Tinnefeld/l'ubies, Datenschutzrecht, I. Teil, 5.1.

128

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Informationsverarbeitung

satz ist einer derartigen Differenzierung nicht zuzustimmen, da angesichts der heutigen Datenverarbeitung kein "belangloses Datum" mehr vorstellbar ist349 • Andererseits sind in besonderen Fällen, so bei Personen unter 18 Jahren, noch striktere Regelungen zu fordern. So sollte eine elektronische Informationsverarbeitung bei diesem Personenkreis völlig ausscheiden350 • Die Datensicherheit umfaßt hier die Abwehr der Kenntnisnahme oder Veränderung durch Unbefugte351 .

4. Ergebnis Im Bereich der Abwägung zwischen den Freiheits- und Grundrechtsinteressen der Bürger und dem Strafverfolgungsinteresse des Staates ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip mit größtmöglicher Grundrechtsschonung anzuwenden. Im überwiegenden Allgemeininteresse ist Informationsverarbeitung im Strafverfahren möglich, und damit sind Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht bzw. das informationelle Selbstbestimmungsrecht gerechtfertigt. Der Gesetzgeber ist damit ermächtigt und verpflichtet, derartige Informationseingriffe gesetzlich zu regeln und hat dabei insbesondere für verfahrensrechtliche Schutzvorkehrungen zu sorgen und Rechtsschutzmöglichkeiten zu schaffen. Für die Abwägung zur Legitimation von Informationsverarbeitungsmaßnahmen sind im Bereich der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne insbesondere der Verfahrensstatus des Betroffenen, Art der Anlaßstraftat und Sensibilität der zu verarbeitenden Daten von Bedeutung. Notwendige Verfahrenssicherungen wie Zweckbindungsgebote, Auskunftsrechte, Löschungspflichten, Einbindung von Datenschutzbeauftragten, 349 BVerjGE 65, 1 (42 f.); vgI. aber a. § 24 VerfSchG, der besonderen Schutz für Daten Minderjähriger vorsieht. 3SO Vgl. auch §§ 11, 24 BVerfSchG. 351 Vgl. hierzu: DER SPIEGEL 1992, Heft 34 (17.08.1992), S. 50 f. Hier wird über die umfangreiche Kenntnisnahme des ehemaligen DDR Ministeriums für Staatssicherheit von bundesdeutschen Strafverfolgungsdaten aus dem INPOL-System berichtet. Danach ist die Hauptabteilung III - zuständig für elektronische Aufklärung - des Ministeriums für Staatssicherheit per Telephonleitung aus dem Osten, aber auch mit herkömmlichen Mobiltelephonen vom Boden der Bundesrepublik Deutschland aus in die Computer des BKA, in die ZEVISKartei, in die Dateien von Einwohnermeldeämtern, Post- und Arbeitsämtern eingedrungen.

VII. Zwischenergebnis

129

informationelle Gewaltenteilung und ausreichender Schutz der Daten gegenüber unbefugter Kenntnisnahme sind zu beachten. VII. Zwischenergebnis Informationsverarbeitungsmaßnahmen können in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingreifen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist keine eigene Ausformung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, sondern eine Vorverlagerung des Schutzbereichs der Ausformungen dieses Rechts. Wegen der großen Gefahren für das allgemeine Persönlichkeitsrecht sind schon inadäquate Gefährdungen als Eingriff zu werten. In den Menschenwürdekernbereich der Grundrechte ist ein Eingriff zugunsten von Strafverfolgungsinteressen nicht zulässig. Die Anfertigung von vollständigen Persönlichkeitsbildern und die damit verbundene Objektseinstufung des Betroffenen sind ein unzulässiger Menschenwürdeverstoß. Eingriffskriterien sind die Sensibilität der Information, Zweckentfremdung, die Art der Informationsverarbeitung und die Unmittelbarkeit der Betroffenheit. Unterhalb des Bereichs der Menschenwürdeverletzung ist zur Legitimation von Informationsverarbeitungsmaßnahmen der Strafverfolgungsbehörden zwischen dem Strafverfolgungsinteresse des Staates und den Freiheitsinteressen der Bürger nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip abzuwägen. Die Informationsverarbeitung bei den Strafverfolgungsbehörden in Form der Erhebung, Speicherung und Übermittlung stellt einen potentiellen Grundrechtseingriff dar. Für die Bestimmung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne sind die Kriterien: der Verfahrensstatus, die Anlaßstraftat und die Sensibilität der Informationen. Darüber hinaus muß die Einhaltung der notwendigen Verfahrenssicherungen wie Zweckbindungsgebote, Auskunftsrechte, Löschungspflichten, Einbindung von Datenschutzbeauftragten, informationelle Gewaltenteilung 9 Ilrusl

130

C. Grundrechtliche Relevanz staatlicher Infonnationsverarbeitung

und ausreichender Schutz der Daten gegenüber unbefugter Kenntnisnahme sichergestellt sein.

D. Rechtsgrundlagen und Praxis der Informationsverarbeitung bei den Strafverfolgungsbehörden Wegen der verschiedenen Methoden der Informationsverarbeitung und der Möglichkeiten des Einsatzes bei den Strafverfolgungsbehörden sollen die allgemein gefundenen Ergebnisse auf die einzelnen Phasen und Methoden der Informationsverarbeitung unter dem Aspekt des Eingriffs und der Ermächtigungsgrundlage übertragen werden. I. EingritT durch Aufbewahrung personenbezogener Informationen 1. Grundlagen

Grundlage der Betrachtung ist zunächst der Umgang mit Informationen, die durch rechtmäßige Informationserhebungen gewonnen wurden. Der Sonderfall der rechtswidrigen Informationserhebung soll erst im Anschluß behandelt werdenI.

2. Aujbewahrungseingriff und -befugnis innerhalb des einzelnen Strafverfahrens Die StPO sieht keine allgemeinen Regelungen für die Aufbewahrung von Informationen, die innerhalb von Strafverfolgungsmaßnabmen erhoben wurden, vor. Die gesetzlich legitimierten Erhebungseingriffe innerhalb der StPO wurden jedoch bisher regelmäßig auch als ein Recht zur Verarbeitung, insbesondere zur Aufbewahrung, interpretiert2• Soll die Erhebung von Informationen, insbesondere durch spezielle Erhebungsbefugnisse, die in der StPO geregelt sind, für das Verfahren sinnvoll sein, so bedarf es der Protokollierung der Untersuchungshandlungen. Denn innerhalb des Verfahrens soll den festgestellten Tatsachen, z.B. bei einer 1

Unten 8.

läeß in: Löwe/Rosenberg, §163c Rdnr. 25; KleinknechtjMeyer, § 81b Rdnr. 2, § 163c Rdnr 17; Müller, in: KK, § 163c Rdnr. 18; dies auch von einem namhaften Vertreter der sog. Totalvorbehaltstheorie vgI. Schwan, VelWArch. 1975,120 (138 fl). A. A. Schoreit CuR 1986, 87 (88); Wo/ter GA 1988, 49 (54,56, 63). 2

132

D. Rechtsgrundlagen und Praxis der Informationsverarbeitung

Wohnungsdurchsuchung oder bei der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen, ein Beweiswert zukommen oder sollen diese als Grundlage für weitere Ermittlungen dienen. Gerade auch bei der Einvernahme von Zeugen ist es notwendig, personenbezogene Daten, wie z.B. eine ladungsfähige Adresse als auch den Inhalt der Aussagen über die zu untersuchende Tat, für den weiteren Fortgang des Verfahrens zu protokollieren3. Dies wird auch von den Regelungen für die richterlichen und staatsanwaltlichen Untersuchungen, vgl. §§ 168 ff. StPO, gestützt. Soweit die Polizei derartige Untersuchungen zu Zwecken der Strafverfolgung vornimmt, gilt nichts anderes4• Zwar stellt auch die Perpetuierung der erhobenen Informationen einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar, jedoch ist dieser im Verhältnis zu dem jeweils legitimierten Erhebungseingriff von untergeordneter Bedeutung. Dieser Autbewahrungseingriff ist die zwingende Folge des Erhebungseingriffs, soll dieser seinen Zweck erfüllen. Zum Beispiel wäre die Entnahme einer Blutprobe zum Nachweis von Alkoholgenuß gemäß § 81a StPO völlig sinnlos, dürfte das Ermittlungsergebnis nicht perpetuiert werden. Es kann insgesamt aus den Befugnissen zur Informationserhebung sowie aus den gesonderten Protokollvorschriften eine Befugnis zur Protokollierung bzw. Perpetuierung der jeweiligen Informationserhebung geschlossen werdens. Dies widerspricht auch nicht den Wertungen der Volkszählungsentscheidung6, da darin nur verlangt wird, daß eine Zweckbindung vorliegt, nicht aber, daß diese in sämtlichen staatlichen Informationserhebungsermächtigungen nachträglich explizit eingestellt werden müßte. Es reicht vielmehr aus, wenn diese mit Hilfe der Auslegung eindeutig zu ermitteln ist7• Dürfen also die Strafverfolgungsbehörden den Ablauf und das Ergebnis von Untersuchungshandlungen festhalten und müssen dies sogar, so schließt 3 Dahs, in: Löwe/Rosenberg, § 69 Rdnr. 13 f.; Rieß, in: Löwe/Rosenberg, § 168a Rdnr. 13; Rieß, in: Löwe/Rosenberg, § 168 Rdnr. 5 "stets ein Inhaltsprotokoll". 4 Rieß, in: Löwe/Rosenberg, § 163a Rdnr. 100ff.; Kleinknecht/Meyer, §§ 163a Rdnr. 4; vgI. a. § 168a, b, RiStBV 5a. S Rieft in: Löwe/Rosenberg, § 163 Rdnr. 2, § 163c Rdnr. 25; Rogall, Informationseingriff, S. 68 f; vgI. a. Schwan VerwArch. 1975,120 (127 ff, 138 ff.); ders. VerwArch 1979, 109 (111 ff., 116 ff.). 6 BVerJGE 65, 1 ff. 7 Näher oben C. III. 3.

I. Eingriff durch Aufbewahrung personenbezogener Infonnationen

133

sich die Frage an, in welchem Umfang bzw. auf welche Art und Weise eine derartige Perpetuierung erfolgen darf. Zum einen kann die Protokollierung nur hand- oder maschinenschriftlich in einem der Ermittlungsakte zuzuordnenden "Papier" erfolgen. Eine Speicherung im Sinne des § 3 Abs. 5 Nr. 1 BDSG liegt in diesem Fall nicht vor, da die Vorschrift nur das Erfassen, Aufnehmen oder Aufbewahren auf einem Datenträger umfaßt und die Einstellung in Akten gemäß § 3 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 BDSG ausdrücklich von der Regelung ausnimmt. Es liegt also lediglich eine manuelle Aufbewahrung vor. Teilweise wird vertreten, jede Speicherung von Informationen, die die Strafverfolgungsbehörden während eines Ermittlungs- oder Strafverfahrens erheben, stelle einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht dar und bedürfe unabhängig vom Datenverarbeitungssystem einer besonderen, gerade die Speicherung legitimierenden Ermächtigungsgrundlage8. Es ist zu klären, ob schon das Recht und die Pflicht zur Dokumentation des Verfahrensverlaufs eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage auch für eine Speicherung von Daten bietet. Soweit die Protokollierung in einem EDV-System erfolgt und damit die Schriftzeichen über den unmittelbaren Ausdruck hinaus auf einem Datenträger perpetuiert werden, liegt eine Speicherung im Sinne des § 3 Abs. 5 Nr. 1 BDSG vor. Bei der Bearbeitung der Informationen mit Hilfe von Computern ist jedoch zu differenzieren, nämlich zwischen einzelnen Personalcomputern, die nur dem oder den Bearbeiter(n) des jeweiligen Strafverfahrens als Arbeitshilfe dienen, aber nicht die Möglichkeit eröffnen, von anderen genutzt zu werden, und eben solchen Datenverarbeitungsanlagen, die einen zentralen Datenspeicher mit Zugriffsmöglichkeiten vieler Personen innerhalb der Behörde besitzen oder sogar solchen, die die gespeicherten Daten für eine Fernabfrage mit lediglich pauschaler Zugangskontrolle, sog. on-line Abfrage, für eine Vielzahl von Anfragenden auch außerhalb der Behörde bereit halten. .. 8 Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 19; vgI. a. Denninger, Infonnationsgesellschaft oder Uberwachungsstaat, S. 107 (116 ff., 139 ff., 159 ff.); Schlink, Amtshilfe, S. 202; letztlich ähnlich Wolter GA 1988,49 (58 u. Fußn. 51); Schoreit DRiZ 1987, 82; ders. CuR 1986, 87 (90 f.); Kühl NJW 1987, 737 (740); aA. Rudolphi, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 45; Rogall GA 1985, 1 (13 ff.) m.w.N.

134

D. Rechtsgrundlagen und Praxis der Infonnationsverarbeitung

Im ersten Fall liegt zwar eine Speicherung im Sinne des § 3 Abs. 5 Nr. 1 BDSG vor, sie hat jedoch untergeordnete Bedeutung. Im Zuge der technischen Entwicklung ist es durchaus verbreitet, Notizen nicht mehr auf Papier oder auf einer Schreibmaschine anzufertigen, sondern sich hierzu eines Computers zu bedienen. Eine Änderung der Gefährdungslage bzgl. des Schutzgutes der informationellen Selbstbestimmung der Betroffenen tritt hier nicht ein9• Einfache EDV-Anwendungen zu einzelnen Verfahren, die nur der Arbeitserleichterung der zuständigen Staatsanwälte während des Verfahrens dienen, sind als Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Rahmen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung schon von der Informationserhebungsermächtigung legitimiertlO • Damit kann also für den Bereich der, in der StPO geregelten, nicht speziell auf elektronische Fahndungsmaßnahmen gerichteten, Informationserhebungen festgehalten werden, daß die Befugnis zur Datenerhebung die Befugnis zur Protokollierung in Akten umfaßt, nicht jedoch deren Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, die über Schreibcomputer hinausgehenll .

3. Eingriff und Befugnis zur Speicherung in staatsanwaltscha/tlichen Infonnationssystemen Anders kann sich dies jedoch bei Datenverarbeitungsanlagen darstellen, die den Zugriff auf Verfahrensdaten auch Dritten, nicht mit dem Fall dienstlich befaßten Personen, ermöglichen. Bei den Staatsanwaltschaften werden zu den vorhandenen Strafakten sogenannte zentrale Namenskarteien zur Vorgangsverwaltung, regelmäßig mit Hilfe von elektronischen Datenverarbeitungsanlagen, geführtl2. Sie enthalten Informationen über den Namen des Beschuldigten, sein Geburtsdatum, Anschrift und Aktenzei-

9 Vgl. a. Sehlinie, Amtshilfe S.202; Riegel, Gedächtnisschrift für Meyer, 345 ff. der zwar davon ausgeht, daß die Infonnationserhebungsennächtigungen der StPO keine Speicherungsennächtigungen enthalten, dies aber, wie man anhand der gewählten Beispiele erkennen kann, nur auf Speicherungen in Datenbanken bezieht und daher der hier vertretenen Auffassung nicht entgegensteht. 10 Vgl. a. Sehoreit DRiZ 1987, 82 (85). 11 ld.S. wohl auch Rieß, in: Löwe/Rosenberg, § 163d Rdnr. 5; Rogall NStZ 1986, 385 (388); durch Verbreitung staatsanwaltschaftlicher Infonnationssysteme werden "Ennittlungsakten" mehr und mehr als Dateien geführt, so Hoffmann ZRP 1990,55 (57). 12 Vgl. OLG Frankfurt NJW 1989,47 m. Anm. Similis NJW 1989, 21 u. Seholderer NStZ 1989,58; Begr. zu §§ 474 ff. StPO-OrgKG, BT-Drucks. 12/989, 45.

I. Eingriff durch Aufbewahrung personenbezogener Informationen

135

chen der Staatsanwaltschaft. Opfer, andere Zeugen und Hinweisgeber sind insoweit von einer derartigen Maßnahme nicht unmittelbar betroffen. Hier liegt die Problematik darin, daß der Computer nicht lediglich als Werkzeug zur Protokollierung eingesetzt wird, sondern die personenbezogenen Informationen in einen Großrechner eingespeichert werden, so daß auch nicht unmittelbar mit dem jeweiligen Strafverfahren beschäftigte Angehörige der Strafverfolgungsbehörden hierauf Zugriff nehmen können. a) Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht durch Speicherung in Datenbanken der Staatsanwaltschaft Fraglich ist, ob es sich bei einer derartigen Speicherung um einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht handelt. Durch die zentrale Aufbewahrung der Geschäftsvorgänge der Staatsanwaltschaft wird der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts berührt. Die Verfügbarkeit der personenbezogenen Daten wird auf die gesamte Behörde ausgedehnt. Die Möglichkeit der Kenntnisnahme wird auf einen kaum überschaubaren Kreis von Personen ausgedehnt und elektronische Übermittlungen werden möglich. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, insbesondere das Recht auf Selbstdarstellung und Kommunikation, aber auch das Recht auf Privatheit sind unmittelbar gefährdet. Durch eine derartige Aufbewahrung der Informationen über einen Beschuldigten, die es ermöglicht, die entsprechende Verfahrensakte, angeklagte Straftaten und vorherige Ermittlungsverfahren oder Verurteilungen zur Kenntnis zu nehmen, wird das Recht auf Selbstdarstellung und Kommunikation beeinträchtigt13.Die Kenntnisnahme der Eigenschaft als Beschuldigter wird nicht mehr auf die am Verfahren unmittelbar Beteiligten beschränkt. Auch geringe Verdachtsgrade, die sich später als nicht zutreffend erweisen, führen zu einer Aufnahme in eine derartige Datenbank und werden nicht gelöscht, sondern es wird nur die Rechtsgrundlage der Einstellung hinzugefügt, also z.B. § 170 Abs. 2 oder §§ 153 ff. StPO. Hier ist die Alt und Weise der Bearbeitung für die Unterscheidung von der einfachen Speicherung und zur Qualifizierung als Eingriff entscheidend. Soweit die Speicherung in einer Datenbank erfolgt oder eine größere Zahl

13

Vgl. a. Schoreit DRiZ 1987, 82; ders. CuR 1986, 87 (90 f.).

136

D. Rechtsgrundlagen und Praxis der Informationsverarbeitung

auch mit dem einzelnen Verfahren nicht betrauter Personen die Möglichkeit zur Einsichtnahme hat, liegt in der Speicherung in einem solchen System eine nicht hinnehmbare Gefährdung für das allgemeine Persönlichkeitsrecht und damit auch ein Grundrechtseingriffvorl4 • b) Legitimation zur Speicherung in staatsanwaltschaftlichen Informationssystemen Das Eindringen in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts durch eine derartige Speicherung geht wegen der Verfügbarkeit der Daten über den Eingriff der Erhebung als solcher hinaus und bedarf der eigenständigen Regelungl5 . Die Erhebungsnormen rechtfertigen einen derartigen Umgang mit den personenbezogenen Informationen nicht. Der Gesetzgeber hat mit der Ermächtigung zur Erhebung nicht die Einstellung in staatsanwaltliehe Informationssysteme legitimiert. Zu betrachten ist, ob andere Vorschriften als die Ermächtigungsgrundlagen zur Erhebung der Informationen eine derartige Speicherung legitimieren. (1) §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO Zur Legitimation der Speicherung personenbezogener Informationen in staatsanwaltschaftlichen Informationssystemen werden die §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO angeführt l6 . Bei § 152 Abs. 2 StPO handelt es sich um eine Aufgabenzuweisungsnorm, nicht aber um eine Ermächtigung zu Grundrechtseingriffen. Ermächtigungen zu Grundrechtseingriffen sind jedoch in der StPO grundsätzlich spezialgesetzlich geregelt, und Aufgabenzuweisungsnormen reichen für Eingriffe daher nicht aus17•

14 IS

In diesem Sinne ist wohl auch Rudolphi, SK-StPO, Vor § 94 Rdn. 45 zu verstehen. Vgl. a. Woller, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 19; so a. Rogall NStZ 1986, 385 (388).

16 Vgl. Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt zu OLG Frankfurt NJW 1989, 47 (48). 17 Rogall GA 1985, 1 (6 f.); ders., Informationseingriff, S. 50; Rudolphi, SK-StPO, Vor § 94 Rdnr. 20; Woller, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr. 92.

I. Eingriff durch Aufbewahrung personenbezogener Informationen

137

Teilweise wird es jedoch als ausreichend erachtet, daß die jeweilige Aufgabenzuweisungsnorm zwingende Handlungspflichten für die Behörde normiert18• Dies könnte jedoch nur dann gelten, wenn die Datenspeicherung unabdingbare Voraussetzung für die Aufgabenerfüllung der Strafverfolgungsbehörde wäre. Zwar erleichtert die elektronische Speicherung in Datenbanken der Staatsanwaltschaft die Erfüllung ihrer Aufgaben, daß sie jedoch für alle Beschuldigten unabweislich notwendig ist, kann nicht angenommen werden. Darüber hinaus entsprechen die §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO nicht den sonstigen Voraussetzungen für eine Ermächtigungsnorm zur Führung von Datenbanken nach dem Volkszählungsurteil. Die Vorschrift enthält keinerlei in diesem Urteil als notwendig erkannte Schutzmechanismen19 für die von den Datenverarbeitungsmaßnahmen Betroffenen. Die §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO verfügen auch nicht über eine Zweckbindungsklausel für Datenverarbeitung20, wobei diese jedoch wegen der oben nachgewiesenen, generellen Zweckbindung der Normen der StPO an Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden noch verzichtbar wäre. Gewichtiger ist daher, daß weder Grund noch Grenzen einer eventuellen Speicherung normiert sind, Normenklarheit damit nicht gegeben ist. Darüber hinaus bedarf eine Ermächtigungsnorm zur Datenspeicherung der Regelung von Aufbewahrungsund Löschungsfristen sowie von Aufklärungs- und Auskunftspflichten21 ; an alledem fehlt es bei den §§ 152 Abs. 2, § 160 Abs 1 StPO. Zwar ist das neue BDSG anwendbar, für eine Speicherung derart sensibler Daten reicht dies jedoch zum Schutz vor den Beeinträchtigungen und Gefährdungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht aus. Gemäß § 20 Abs. 2 BDSG sind die erhobenen Daten zu löschen, wenn ihre Aufbewahrung nicht mehr erforderlich ist. Eine derart weite, nicht bereichsspezifische Regelung, die die Speicherungsfristen in das Ermessen der Behörden stellt, genügt in diesem Bereich nicht22 . Der Bürger ist nicht in der Lage, in Ansehung der Vorschriften der §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO zu erkennen, daß aufgrund dieser Normen seine Daten gespeichert werden könnten. 18 19 20

21

..

Knemeyer DOV 1978, 11 f. Vgl. oben C. V 2. b) (4) u. BVerfGE 65,1 (44); 53, 30 (65), 63,131 (143).

OLG Frankfurt NJW 1989, 47 (48). OLG Frankfurt NJW 1989, 47 (48).

22 Vgl. a.

Crummenerl StrafV 1989,131 (132).

138

D. Rechtsgrundlagen und Praxis der Informationsverarbeitung

Die §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO entsprechen damit unter keinem Zweckgesichtspunkt den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Ermächtigungsgrundlagen zum Eingriff in das "informationeUe Selbstbestimmungsrecht" und sind daher als Ermächtigungsgrundlage untauglich23 . (2) §§ 22 ff. KUG Eine Legitimation für die Informationsverarbeitung im Zusammenhang mit Abbildungen wird teilweise in § 22 KUG gesucht. § 24 KUG regelt Ausnahmen von den Rechten am eigenen Bild zugunsten öffentlicher Interessen, indem es die Vervielfältigung, Verbreitung und öffentliche Zurschaustellung zuläßt24 • Die §§ 22 ff. KUG ermächtigen zu Eingriffen in das Recht am eigenen Bild. Ob diese Normen jedoch noch den heutigen Anforderungen an Eingriffsgrundlagen zu Grundrechtseingriffen genügen, insbesondere dem Bestimmtheitsgrundsatz, darf bezweifelt werden, da weder Tatverdacht noch das Vorliegen einer Gefahr vorausgesetzt werden25 • Auch unter Beachtung der Entstehungsgeschichte, bei der der Gesetzgeber ausdrücklich keine neue Befugnisnorm schaffen woUte26, sind Eingriffe hierauf kaum zu stützen. Angesichts der Tatsache, daß schon die Verarbeitung von Bildmaterial kaum auf die §§ 22 ff. KU G gestützt werden kann, ist jedenfalls eine staatsanwaltliche Informationsverarbeitung hierdurch keinesfalls legitimiert.

OLG Frankfun NJW 1989, 47 (48). Streitig ist ebenso, ob § 22 KUG auch die Herstellung von Abbildungen legitimiert, obwohl gerade diese schon von §§ 22 ff. vorausgesetzt werden. Als Eingriffsermächtigungen zur Herstellung von Abbildungen sind daher §§ 22 ff. KUG abzulehnen; vgI. Deutsch, Heimliche Erhebung von Informationen, S. In f.; Wolter, SK-StPO, Vor § 151 Rdnr.97; Rieß, in: Löwe/Rosenberg, § 163 Rdnr. 45. 2S Vahle, Polizeiliche Aufklärungsmaßnahmen, S. 71. 26 Vgl. Vahle, Polizeiliche Aufklärungsmaßnahmen, S. 70 f.; ders. Kriminalistik 1984, 423 (424). 23 24

I. Eingriff durch Aufbewahrung personenbezogener Informationen

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(3) Rechtfertigung durch § 34 StGB Teilweise werden Grundrechtseingriffe im Strafverfahren auch mit der Berufung auf § 34 StGB für zulässig erklärt27. Eine Rechtfertigung zur Führung staatsanwaltschaftlicher Informationssysteme aufgrund eines Staatsnotstands mit Rückgriff auf § 34 StGB ist jedoch nicht möglich. Es fehlt zum einen an einer Notstandslage ohne eine derartige Informationsverarbeitung, zum anderen ist diese Norm für eine datenschutzrechtliche Eingriffsermächtigung zu unbestimmt28• Darüber hinaus handelt es sich bei § 34 StGB ausdrücklich um eine Präventionsnorm, denn die zukünftige Beeinträchtigung oder weitere Beeinträchtigung von Rechtsgütern soll durch Abwehrhandlungen verhindert werden29; um derartige Abwehrhandlungen handelt es sich je