Trauerarbeit im Urchristentum: Auferstehungsglaube, Heils- und Abendmahlslehre im Kontext urchristlicher Verarbeitung von Schuld und Trauer 9783737001021, 9783847101024, 9783847001027


106 40 1MB

German Pages [136] Year 2013

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Trauerarbeit im Urchristentum: Auferstehungsglaube, Heils- und Abendmahlslehre im Kontext urchristlicher Verarbeitung von Schuld und Trauer
 9783737001021, 9783847101024, 9783847001027

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Shin Yoshida

Trauerarbeit im Urchristentum Auferstehungsglaube, Heils- und Abendmahlslehre im Kontext urchristlicher Verarbeitung von Schuld und Trauer

Mit 10 Abbildungen

V& R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0102-4 ISBN 978-3-8470-0102-7 (E-Book) Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Fördervereins der Theologischen Fakultät Heidelberg und der badischen Landeskirche. Ó 2013, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Druck und Bindung: CPI Buch Bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Meinen Eltern, Mieko und Yoshisato

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

11

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tod und Trauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Trauer im Roman »Kokoro« . . . . . . . . . . . . . . . Trauer und Urchristentum . . . . . . . . . . . . . . . Trauerarbeit im Urchristentum . . . . . . . . . . . . . Methodische Überlegung zur psychologischen Exegese

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

13 13 14 16 18 20

1 Trauer und Trauerarbeit . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Trauer und Trauerarbeit nach Sigmund Freud . 1.2 Trauer in der aktuellen Forschung . . . . . . . 1.2.1 Normale Trauer und Trauer als Krankheit 1.2.2 Komplizierte (Pathologische) Trauer . . . 1.2.3 Der Prozess der Trauer . . . . . . . . . . 1.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

. . . . . . .

25 25 26 26 29 31 33

2 Wir sind schuld, dass Jesus starb . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Analyse von 1 Kor 15,3 – 8 . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Aufbau von 1 Kor 15,3 – 8 . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.1 Vers 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.2 Vers 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.3 Vers 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.4 Vers 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.5 Vers 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.6 Vers 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . 2.2 Überlieferungsgeschichte von 1 Kor 15,3ff . . . . . . . 2.3 Bedeutung der erweiterten vorpaulinischen Tradition

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . . . .

35 36 36 37 38 39 40 41 42 43 43 45 49

. . . . . . .

. . . . . . .

8

Inhalt

2.4 Bedeutung des ursprünglichen Glaubensbekenntnisses . . . . . 2.4.1 Trauer und traumatisches Schuldgefühl . . . . . . . . . . 2.4.2 Trauer und Überlebendenschuld . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2.1 Überlebendenschuld im Konzentrationslager . . . 2.4.2.2 Überlebendenschuld in Hiroshima . . . . . . . . . 2.4.3 Schuldgefühl und Selbsthilfegruppen . . . . . . . . . . . 2.4.4 Schuldgefühl und Sühne . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.5 Der Q-Kreis und Trauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.6 Schuldgefühl und Selbstmord . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.7 Verehrung Christi und Schuldgefühl . . . . . . . . . . . . 2.4.7.1 Verehrung Christi und Idealisierung . . . . . . . . 2.4.7.2 Messianische Erwartung und Messiasbewusstsein Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.8 Meaning Reconstruction . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.9 Meaning Reconstruction und Bedeutung der vorpaulinischen Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Judas Galiliaos und Johannes der Täufer . . . . . . . . 2.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . .

51 53 55 55 57 59 61 63 65 68 68

. . . .

71 73

. . . . . .

74 78 81

. . . . . . . . . . .

. . . . . . .

83 84 87 87 90 91 92

. . .

94 96 98

. . . . . .

101 102 103 105 108 112

. . .

113

3 Trauer und Abendmahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die Abendmahlsüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Die zwei Überlieferungen des Abendmahls . . . . . . . . . 3.1.1.1 Die pln. Überlieferung bei Paulus: 1 Kor 11,23 – 25 . 3.1.1.2 Die mk. Überlieferung: Mk 14,22 – 25 . . . . . . . . 3.1.1.3 Fünf Gemeinsamkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Die ältesten Abendmahlsworte . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Grundmotiv des Abendmahls: Erinnerung der Mahlgemeinschaft Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Motiv der Parusie Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Trauer und Auferstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Formeltradition und Erzähltradition der Ostertexte . . . . . . 4.2 Die Überlieferung des leeren Grabs . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Auferstehungserlebnis als Trauer-Vision? . . . . . . . . . . . 4.4 Veränderter Bewusstseinszustand . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Die Auschwitz-Erfahrung bei V. E. Frankl . . . . . . . . . . . 4.6 Die Frage nach der Lösung der Schuldgefühle durch die reale Präsenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . .

. . . . . .

9

Inhalt

Exkurs: Die Frage nach dem Charakter der Vision . . . . . . . . . . . 4.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

114 115

5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

119

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hilfsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kommentare, Monographien, Aufsätze, Artikel

. . . .

123 123 123 123

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

135

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

. . . .

Vorwort

Die vorliegende Arbeit ist eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im Wintersemester 2009/2010 bei der Theologischen Fakultät der RuprechtKarls-Universität Heidelberg eingereicht habe. Herzlich danke ich Prof. Dr. Peter Lampe für die fachliche und persönliche Betreuung und seine Bemühungen um die Veröffentlichung meiner Arbeit. Mein Dank gilt auch Prof. Dr. Gerd Theißen für sein Zweitgutachten und seine wohlwollende Beratung. Auch habe ich Prof. Dr. Migaku Sato zu danken. Als ich noch in Japan war, empfahl er mir das Thema dieser Arbeit. Ebenfalls bin ich Prof. Dr. Petra von Gemünden zu Dank verpflichtet, die Korrektur las und mir mehrere Verbesserungsvorschläge unterbreitete. Außerdem möchte ich meinen ehemaligen Mitbewohnerinnen und Mitbewohnern im Ökumenischen Wohnheim für Studierende und im Theologischen Studienhaus Heidelberg meinen aufrichtigen Dank aussprechen. Sie übernahmen stets die mühsame Arbeit des Korrekturlesens. Während meiner Promotion unterstützten sie mich und gaben mir Kraft. Vor allem möchte ich dem ehemaligen Studienleiter Pfarrer Walter BoÚs für seine seelsorgerische Begleitung danken, ebenso wie auch Pfarrerin Miriam Jakob und Herrn Paul Swoboda, die mir immer mit kritischen Anregungen weiterhalfen und meinen Text sprachlich und inhaltlich verbesserten. Finanzielle Unterstützung erfuhr ich durch das Stipendium des Diakonischen Werks der EKD und das Gerhard von Rad Stipendium. Bei dieser Gelegenheit möchte ich dafür danken. Für einen Druckkostenzuschuss danke ich dem Förderverein der Theologischen Fakultät Heidelberg und der badischen Landeskiche. Ein besonders herzlicher Dank gilt meinen Eltern für die Unterstützung meines Aufenthalts in Deutschland. Als Ausdruck des Danks wird dieses Buch ihnen gewidmet. Heidelberg, Dezember 2012

Shin Yoshida

Einleitung Soiled sorrow has no desires or wishes; soiled sorrow in its torpor dreams of death C. Nakahara

Tod und Trauer Tod. Er ist unser unvermeidliches Schicksal. Wir müssen den Gedanken zulassen, dass der Tod jeden ereilen wird und jederzeit ereilen kann. Irgendwann müssen wir von unserem Partner, unseren Eltern, Kindern, Freunden und Bekannten Abschied nehmen. Jeder Tod eines nahestehenden Menschen ist ein unerklärbares Ereignis für die Hinterbliebenen. Sich von einem geliebten Menschen zu verabschieden, tut sehr weh. Für uns ist Abschiedsschmerz ein überwältigendes Gefühl. Den heftigen Schmerz des Verlustes müssen Trauernde eine ganze Weile tragen. Wo Verlust und Trennung der geliebten Personen erfahren werden, setzt Trauer ein. Trauer. Sie ist unsere unabwendbare Erfahrung. Wir müssen den Gedanken zulassen, dass Trauer und unser Leben untrennbar miteinander verbunden sind. Wo immer wir Menschen antreffen, begegnen wir dem Phänomen Trauer, das deren Erleben und Fühlen, Denken und Verhalten beeinflusst und bestimmt. Trauer ist eine der Grunderfahrungen menschlichen Daseins. Jede Gesellschaft, jede Kultur und jeder einzelne Mensch muss sich mit dem Erfahren von Trauer auseinandersetzen. Bei der Trauer begegnet man dem Verlust des Unersetzlichen. Der Tote kann nicht wiedergesehen werden! Warum musste er sterben? Was löst den Schmerz aus? Wann ist die Trauer beendet? Mit diesen Fragen wird der Trauernde unausweichlich konfrontiert. Aber wir können auf diese Fragen keine eindeutige Antwort geben. Für Trauernde scheint kein Ende der Trauer absehbar und die ganze Welt zusammenzubrechen. Den Tod kann man fast nicht verkraften. Die Bewältigung von Trauer fängt dann an, wenn man das Gefühl hat, man könnte nicht mehr mit dem Weinen aufhören. Aber die Lösung der Trauer scheint die Trauer selbst zu sein. Denn die Trauer hilft, den Schmerz zu lindern, so dass der Verlust durch die Trauerarbeit Bedeutung für das eigene Leben bekommen kann. Wie reagieren Menschen im Trauerfall? Wie kann man den Tod einer nahe-

14

Einleitung

stehenden Person akzeptieren? Bevor diese Fragen behandelt werden, werde ich als Einführung zu meiner vorliegenden Arbeit einige Stellen aus dem japanischen Roman »Kokoro« (jap. Das Herz) des japanischen Schriftstellers Natsume So¯seki zitieren, damit man erahnen kann, mit welchen Gefühlen der Trauernde im extremen Trauerfall konfrontiert wird.

Trauer im Roman »Kokoro« Natsume So¯seki hat diesen Roman im Jahr 1914 geschrieben, als er 47 Jahre alt war. Im Roman »Kokoro« wollte er unverblümt die Wahrheit über und das Wesen des menschlichen Herzens anschaulich darstellen, und so schrieb er in einer Voranzeige für seinen Roman, welcher in einer japanischen Zeitung veröffentlicht wurde: »Ich empfehle denjenigen, die danach verlangen, das eigene Herz zu erfassen, dieses Werk, dem es gelungen ist, das menschliche Herz zu erfassen.« Zu diesem Zwecke wollte dieser Roman das wahre innere Bild des Menschen und zugleich die Tiefe des menschlichen Daseins durch eine Tragödie zeigen. Der Roman »Kokoro« ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil »Sensei (jap. Der Lehrer) und Ich«, erzählt ein junger Student – der Ich-Erzähler – die Begegnung und Beziehung zu einem älteren Mann (Sensei). Obschon der Student sich mit Sensei anfreundet, muss er jedoch stets fühlen, dass eine Distanz zwischen den beiden bleibt. Sensei besucht regelmäßig allein das Grab eines Freundes. Aber er erklärt nicht, wozu er dies monatlich tut und was in seinem früheren Leben passiert war. Im zweiten Teil »Meine Eltern und ich« muss der Ich-Erzähler in seiner Heimat den sich ankündigenden Tod seines Vaters erwarten. Als sein Vater im Sterben liegt, bekommt der Erzähler einen langen Brief von Sensei, in dem dieser ihn in sein Geheimnis einweiht. Der dritte Teil des Romans heißt »Sensei und sein Abschiedsbrief«. Sensei stellt in seinem Abschiedsbrief dar, dass er und ein Freund (K) im Laufe des Studiums im gleichen Haus einer Witwe wohnten und beide sich dort in ihre Tochter verliebten. Sensei bat um die Hand der Tochter, bevor sein Freund sich der Tochter erklären konnte. Wenig später begann sein Freund sich vor Gram zu verzehren und nahm sich plötzlich das Leben. Sensei beklagte den Tod seines Freundes, welcher fortan sein Leben überschattete. Durch diese tragischen Vorkommnisse lud Sensei eine tiefe Schuld auf sich. Aufgrund des Todes seines Freundes verlor er den wesentlichen Sinn und die Bedeutung seines Lebens aus den Augen. Der Tod warf dunkle Schatten auf sein weiteres Leben. Von Reue und Schuldgefühlen geplagt, versuchte Sensei nach seiner Hochzeit mit der Tochter der Witwe zunächst, seine Gefühle in Alkohol zu ertränken, später hoffte er seine Schuld durch die Lektüre von Büchern vergessen zu können. Er führte letztlich, nach-

Trauer im Roman »Kokoro«

15

dem auch dies nicht wirkte, lange Jahre ein einsames, passives Leben. Er verstand die Welt nicht mehr. Wenn er nach seinen furchtbaren Taten die Stimme seines Gewissens drohend in seinem Innern verspürte, dann unterdrückte er diese Mahnung und wollte sich von Selbstvorwürfen befreien. Aber wie? Im Jahr 1912 stirbt der Kaiser-Meiji. Ihm folgt General Maresuke Nogi, den Sensei hoch achtet, in den Tod durch Selbstmord nach. Seinsei trifft nun eine Entscheidung. Anlässlich des Selbstmords Nogis nimmt er sich das Leben. Der Roman handelt von der Einsamkeit des Menschen, seinem Egoismus und der Zerbrechlichkeit des Vertrauens zum Nächsten. Nach dem Tod des Freundes scheint für Sensei seine ganze Welt vollkommen zusammenzubrechen. Neben seinen Schuldgefühlen muss er mit der Bewältigung der Trauer kämpfen. Es ist ersichtlich, dass das Leiden und der Kummer Senseis die notwendige Folge der von ihm selbst begangenen Schuld sind. In der folgenden Passage bekennt er seine Schuld nachdrücklich: »Ich spüre lediglich die tiefe Sündhaftigkeit der Menschen, und so besuchte ich allmonatlich einmal das Grab meines toten Freundes (…) Von diesen Empfindungen bedrängt, verlangte mich manchmal danach, mich von Unbekannten auf der Strasse auspeitschen zu lassen, doch allmählich hatte ich das Gefühl, das war noch zu wenig. Und ich wünschte mir das Leben zu nehmen. Als letzten Ausweg entschloss ich mich, so zu leben, als sei ich bereits gestorben.«1

Neben dem Trauergefühl kann ein tiefes Schuldgefühl gegenüber dem Verstorbenen auftreten. Wegen des Suizids des Freundes wird Sensei mit einem schweren und unwiederbringlichen Verlust konfrontiert. Seine Trauer, die lange Zeit das Fühlen und Denken beherrscht, kreist außerdem um das erschütterte Selbstvertrauen und die Selbstvorwürfe. Bei schwerwiegender Trauer treten nicht nur Schuldgefühle auf. Häufig tritt eine komplexe Mischung aus Angst, Wut, Rachegefühle, usw., gegenüber dem verstorbenen Menschen auf. Die Beziehung zum Verstorbenen wird in veränderter Form durch alltägliche Rituale fortgesetzt, z. B. durch regelmäßige Grabbesuche. Die Frage drängt sich auf, was den Schmerz und die plagenden Gefühle auslöscht. In diesem Roman lautet die bittere Antwort: Der Selbstmord. »Bedenken Sie bitte, dass dieser bedrückende Kampf ständig in mir getobt hat, während ich nach aussen hin ein ereignisloses Leben führte. Ich litt sehr viel härter darunter als meine gewiss bedauernswerte Frau. Und schließlich war mir, als könnte ich unmöglich noch länger in diesem Gefängnis sitzen, und so blieb mir, als ich die Unmöglichkeit auszubrechen erkannt hatte, nur noch der Selbstmord, der ja die geringste Anstrengung erfordert. Vielleicht fragen Sie mich erstaunt nach meinem Motiv hierfür, doch die geheimnisvolle, furchtbare Macht, die mich immer aufs neue peinigte, liess 1 N. So¯seki, Kokoro, 352.

16

Einleitung

nur mehr den Weg zum Tode für mich frei und hat verhindert, dass ich in irgendeiner Richtung tätig war.«2

Sensei kommt zu dem Entschluss, sich das Leben zu nehmen. Betrachtet man seinen Abschiedsbrief, ist in der Tat sehr gut begreiflich, dass sein Tod die gebührende Strafe für seine einst begangene Schuld ist. In diesem Roman beschreibt der Schriftsteller Natsume So¯seki diese Schattenseite des menschlichen Herzens. In meiner vorliegenden Arbeit versuche ich ebenso, diese Schattenseite in den Herzen der Jünger Jesu im Urchristentum eingehend zu behandeln. Die Menschheitsgeschichte zeigt immer wieder eine Schattenseite des Menschen, aus der man sich normalerweise nichts macht und welche man vernachlässigen möchte. Die Geschichte des Urchristentums hat ebenso eine verborgene Seite, über die man nicht öffentlich reden kann, oder genauer gesagt, nicht reden möchte. Vor allem, was die Frage nach der Entstehung der Urgemeinde anbelangt, bleibt vieles stets in der Schwebe. Obwohl sich bis dato zahlreiche Wissenschaftler dazu geäußert haben, sind sie jedoch nur wenig mit psychologischen Kategorien dem nachgegangen, was die Jünger Jesu nach dessen Tod tatsächlich gedacht und gewünscht haben mögen. Darüber hinaus haben sie der Schattenseite der Herzen der Jünger wenig Aufmerksamkeit geschenkt. In der Tat berichten die Darstellungen der Bibel sehr wenig darüber, was im Innersten der Herzen der Jünger passierte und worin ihr Kummer und ihre Qual begründet lagen. Die biblischen Aussagen, welche wir zur Hand nehmen können, sind möglicherweise lediglich die Spitze des Eisberges. Dahinter dürfte sich eine wesentlich größere Anzahl schwer zu erfassender Vorgänge verbergen. Ich möchte den Versuch unternehmen, etwas Licht auf diese wenig beleuchtete Seite der Urgemeinde zu werfen.

Trauer und Urchristentum Trauer und Urchristentum. Diese Kombination scheint außergewöhnlich zu sein. Meine These ist jedoch, dass Trauer für die Entstehung des Urchristentums von Belang war. Welches Ereignis gab den Anlass zur Entstehung des Urchristentums? Kontrovers ist, wie sich die Jünger von dem Schock, den Jesu Tod sicher in ihnen ausgelöst hat, wieder erholen konnten. Weiter stellt sich die Frage, warum die Jünger den gestorbenen Jesus nach dessen Tod als Christus verehrten, obwohl sie

2 A.a.O., 354.

Trauer und Urchristentum

17

alle geflohen waren und ihn verraten hatten, kurz nachdem er in Gethsemane verhaftet worden war (Mk 14,32 ff.). Der Zustand der Jünger nach der Hinrichtung Jesu war eine Erfahrung, die laut Samuel Vollenweider als »umstürzende Krisenerfahrung« bezeichnet werden kann.3 Die Kreuzigung Jesu als eines gefährlichen politischen Aufrührers hat seine Jünger tief schockiert.4 Die Kreuzigung galt als grausamstes und schrecklichstes Verfahren. Der grausame Tod eines geliebten Menschen gehört in der Regel zu den besonders tragischen Erlebnissen. Hinzu kam die Gewissensqual des Petrus, dass er Jesus dreimal verleugnet hatte (Mk 14,66 – 72), obwohl er geschworen hatte, Jesu Nachfolge anzutreten (Mk 10,28; 14,29). Als Zeugen des Todes Jesu werden keine Jünger erwähnt, sondern nur drei Frauen (15,40). Die Jünger haben Jesus nicht begraben, sie haben ihm nicht diesen letzten Liebesdienst erwiesen (Mk 15,42 – 47). Die Jünger fühlten sich vermutlich schuldig wegen ihrer Flucht und des Verrats in ihren Reihen (Mk 14,50). Zweifellos vertrauten die Jünger Jesus und hatten ihn sehr gern (Mk 10,28). Die Beziehung zwischen Jesus und seinen Jüngern scheint so eng wie die einer Familie gewesen zu sein (Mk 3,31 – 35; 10,28 – 31; Mt 8,19 – 22).5 Sie hatten sich der Hoffnung auf die Verkündigung des »Reichs Gottes« hingegeben und waren schließlich mit Jesus nach Jerusalem hinaufgezogen, wo sie aber diese Hoffung verloren. Sie flohen, sobald Jesus brutal verhaftet wurde. Nach seinem Tod gerieten sie sehr wahrscheinlich in ein Stadium furchtbaren Entsetzens und großer Angst. Sie hatten großen Kummer über den Verlust einer ihnen so wichtigen Person zu bewältigen. Ein japanischer christlicher Schriftsteller, Shusaku Endo, gibt in seinem Jesusbuch interessante Ansichten zu den psychologischen Zuständen der Jünger Jesu wieder. Er beschreibt den Zusammenhang zwischen Jesu Tod und den Schuldgefühlen der Jünger. Sie werfen sich vor, Jesus am Kreuz im Stich gelassen zu haben. »At noontime on the following day, when Jesus moved along the hot narrow streets of Jerusalem toward the place of execution at Golgotha, bearing his onerous cross through jeers and insults from the crowd, the disciples then recognized in the heaviness of his cross the enormity of their own treachery. To their indescribable shame they realized that what drove Jesus to his place of execution was their own bargaining. That Jesus had to die in order to save them was, for the disciples themselves, no mere spiritual point for 3 S. Vollenweider, Ostern – der denkwürdige Ausgang einer Krisenerfahrung, 40. 4 Die Kreuzigung ist besonders grausame und entehrende Todesbestrafung, die von Rom an antirömischen Rebellen und Sklaven vollstreckt wurde. Eingehend behandelt findet sich die Kreuzigung M, Hengel, Mors Turpissima Crucis, 125 – 163. v. a. 178 – 181. Siehe auch H-W. Kuhn, Der Gekreuzigte von Givcat ha-Mivtar, 301 – 334; H-J. Klauck, Die Kreuzesstrafe, 17 – 33. 5 Die Merkmale der Jüngerschaft Jesu argumentiert G. Theißen/ A. Merz, Jesus, 199 f.

18

Einleitung

mental prayer ; it was palpable fact. From that moment on, the disciples looked upon Jesus as the one who carried the burden of their sins.«6

De facto hat nicht nur Judas Jesus verraten, alle Jünger Jesu machten sich des Verrats schuldig, indem sie flohen. Die Schuldgefühle liegen in dem quälenden Gedanken, nicht alles für Jesus getan zu haben und etwas unterlassen zu haben. Sie werden sich schuldig gefühlt und sich Vorwürfe gemacht haben. »Humiliation, shame, self-contempt, the resulting self-excuses (what else could we do?), and all the other feelings that cowards must live with in order to survive – in that space thirty-odd hours the disciples chewed on all of them.«7

Als Jesus starb, wurden seine Jünger aus der Bahn geworfen und wussten nicht, wie es weitergehen sollte. Wie haben die Jünger die Selbstvorwürfe und Schuldgefühle überwunden? Was konnten sie tun? Eine einfache Methode, um Schuldgefühle loszuwerden, ist die Verdrängung. Auf diese Weise lassen sich Schuldgefühle allerdings oftmals nicht beseitigen. Eine bessere Methode ist die Ent-Schuldigung. Also liegt, so S. Endo, die Antwort nahe: Sie baten Jesus um Verzeihung! »There were only two alternatives for men in their situation. One choice was to spurn Jesus completely, to repudiate him, like a traitor who rats on his own comrades, and to squirm and struggle for another path in life. The other choice lay in asking Jesus to forgive them.«8

S. Endo versucht, den psychologischen Zustand der Jünger zu rekonstruieren. Sollte seine mutige Rekonstruktion lediglich als Phantasie des Schriftstellers betrachtet werden? Ist es überhaupt möglich, die Psyche der Jünger zu erfassen? Natürlich bleibt sein Roman wissenschaftlich unhinterfragbar. Um in dieser schwierigen Frage zu zufriedenstellenden Ergebnissen zu gelangen, bedarf es methodologischer Vorüberlegungen.

Trauerarbeit im Urchristentum In dieser Arbeit beschäftige ich mich mit der Situation der Jünger nach Jesu Tod. Dabei soll der psychologische Begriff »Trauerarbeit« betrachtet werden. Der Begriff Trauerarbeit geht auf Sigmund Freud zurück. Wissenschaftlich untersuchte er Trauer zum ersten Mal in seinem Aufsatz »Trauer und Melancholie« aus dem Jahr 1917.9 Trauer definierte S. Freud als psychische Reaktion auf be6 7 8 9

S. Endo, A Life of Jesus, 169. Ebd. Ebd. S. Freud, Trauer und Melancholie, in: ders, Das Ich und das Es, Frankfurt am Main 200511.

Trauerarbeit im Urchristentum

19

deutsame Verlusterfahrungen; er beleuchtete, was mit einem Menschen geschieht, der von einem tragischen Unglück getroffen wird. Wenn ein von uns geliebter Mensch stirbt, trifft es uns sehr persönlich und direkt, der Tod wird zu einer dramatischern Erfahrung. Der Verlust einer nahestehenden Person führt zu einer hoch emotionalen Belastung. Für den Trauernden ist einige Zeit nötig, um den Tod eines geliebten Menschen psychologisch nachvollziehen und sich innerlich von dem Verstorbenen lösen zu können. Den Lösungsprozess, welcher langwierig und qualvoll ist und einen hohen Aufwand an psychischen Energien erfordert, nannte S. Freud »Trauerarbeit«. Bereits der japanische Theologe Migaku Sato hat in seinem in Japan veröffentlichten Buch »Tragödie und Evangelium« den Zusammenhang zwischen diesem Freudschen Begriff der Trauerarbeit und dem emotionalen Prozess in den Jüngern Jesu hergestellt.10 M. Sato hebt hervor, dass die Entstehung des Christentums eine Konsequenz von überwundener Trauerarbeit darstellen könnte. Diese These soll weiter entwickelt werden. Unter Zuhilfenahme psychologischer Theorien soll vor allem der Begriff Trauerarbeit erläutert werden. Soweit ich sehe, gibt es noch keine eingehende konkrete Untersuchung, die die Entstehung des Christentums mit diesem Begriff der Trauerarbeit zu erklären sucht. Ob und wie Trauerarbeit eine historische Realität des Urchristentums darstellte, war bislang nicht Gegenstand einer speziellen Monographie. Die Frage nach dem Hintergrund der Entstehung des Urchristentums ist vielfach umstritten, diesbezüglich gibt es zahlreiche Hypothesen. Solche Hypothesen stellen zumeist eine vage Möglichkeit, keineswegs aber zwingende Notwendigkeiten dar. Aus dem Blickwinkel der psychologischen Untersuchung scheint sich eine neue Perspektive für das Verständnis und die Darstellung des Urchristentums zu ergeben, eine Perspektive, in der die Überwindung der Trauer der Jünger Jesu von eminenter Bedeutung für die Entstehung des Urchristentums war. Die Antwort auf die Frage, in welchem Maße die Überwindung der Trauer in der Urgemeinde in den Quellen ein Echo gefunden hat, hängt von der Bewertung einiger Stellen der ursprünglichen Tradition ab. 10 M. Sato, Tragödie und Evangelium, Tokio 2001. Meine Arbeit ist eine Weiterentwicklung seiner These. Die Grundgedanken dieser Arbeit sind seinem Buch entnommen und wurden im Gespräch mit ihm entwickelt. Für seine Anregung soll ihm an dieser Stelle gedankt sein. Die von M. Sato ins Spiel gebrachte Idee soll übernommen und im Folgenden in meiner Arbeit weitergeführt werden. Weitergeführt sollten auch folgende Bücher werden, die Konturen oft nur skizzierten und undeutlich und vage lassen. D. C. Allison, Resurrecting Jesus, 364 – 375; S. Vollenweider, Ostern – der denkwürdige Aussage einer Krisenerfahrung, 34 – 53; K. Syreeni, Coping with the Death of Jesus: The Gospels and the Theory of Grief Work, 63 – 86. These von K. Syreeni, die Entstehung des Evangeliums im Zusammenhang des Begriffs »Grief Work« betrachtet, scheint mir zu hypothetisch. Entgegen seiner These steht die vorliegende Arbeit auf dem Standpunkt, dass der Begriff der Trauerarbeit nur für den psychologischen Zustand der Jünger Jesu gilt.

20

Einleitung

In dieser Arbeit lege ich zunächst die grundlegenden Begriffe Trauer und Trauerarbeit dar (Kapitel 1). Danach untersuche ich die Aussagen in 1 Kor 15,3 – 8 (Kapitel 2) und die Abendmahlstradition (Kapitel 3) ausführlicher. Schließlich betrachte ich mit psychologischen Erkenntnissen die Auferstehungserfahrung (Kapitel 4). Die Vermutung drängt sich auf, dass sich in diesen Texten der psychologische Zustand der Jünger Jesu widerspiegelt. Der Versuch soll unternommen werden, die Aussagen des Urchristentums mit Hilfe moderner psychologischer Argumente zu erhellen, und so zu Aussagen über den Ursprung des Urchristentums zu kommen.

Methodische Überlegung zur psychologischen Exegese Die vorliegende Arbeit ist der historisch-kritischen Methode verpflichtet, die jedoch in Richtung auf die psychologische Interpretation von Texten erweitert wird. Ich greife auf Versuche zurück, die die historisch-kritische und die psychologische Analysemethode in Einklang bringen.11 Mein Interesse wendet sich der in verschiedenen Publikationen der neueren psychologischen Forschung verwendeten Terminologie zu. Warum soll die neutestamentliche Wissenschaft auf der Basis psychologischer Theorie arbeiten? Ist ein solches Verfahren nicht unwissenschaftlich, da es zwei Methodenbereiche (histor.– exegetische Theologie und Psychologie) in unzulässiger Weise miteinander verknüpft? Ich denke, Theologie allein kann heutzutage keine befriedigenden Antworten auf die neuen vielfältigen Herausforderungen in der modernen Welt geben. Im Gefolge der dialektischen Theologie neigte man gerne dazu, andere Fächer nicht zu beachten. In der heutigen Situation der Wissenschaft ist jedoch die interdisziplinäre Untersuchung von Relevanz. Diese Herangehensweise an biblische Texte könnte uns provozieren und neue Fragen entstehen lassen. Allein so dürften neue Perspektiven biblischer Forschung zu eröffnen sein. Für die biblische Forschung scheinen mir die Ergebnisse moderner psychologischer Untersuchungen ergiebig zu sein. Ich behandele den Vorgang des Trauerns als einen begrenzbaren psychischen Prozess, wie er sich etwa in Verlustsituationen einstellt. Meiner Arbeit liegt deshalb die von Gerd Theißen ausgeführte Untersuchungsmethode der historischen Religionspsychologie zugrunde.12 Die Art und Weise der psychologischen Erforschung von antiken Texten, vor allem von biblischen Texten, ist sehr umstritten.13 Immer wieder kommt die 11 Vgl. G. Theißen/ P. von Gemünden (Hg.), Erkennen und Erleben, Gütersloh 2007. 12 Diesbezügliche eingehende Erläuterungen der Methode gibt G. Theißen, Erleben und Verhalten, 15 – 32. 13 Die Forschungsgeschichte findet sich in M. Leiner, Psychologie und Exegese, 41 – 76.

Methodische Überlegung zur psychologischen Exegese

21

Frage an die psychologische Auslegung des Neuen Testaments auf, ob man menschliches Erleben und Verhalten in der antiken Welt überhaupt in moderne psychologische Kategorien einordnen kann, und ob man mit moderner psychologischer Theorie die Vergangenheit begreifen kann. Ist die psychologische Exegese methodisch gerechtfertigt? Diese Frage kann verhältnismäßig leicht gelöst werden. Hilfreich scheint der Versuch von Martin Leiner zu sein. Im Blick auf umfangreiche Untersuchungen zu den psychologischen ausgerichteten exegetischen Studien führt er folgende überzeugende Argumente an. »Theorien, die im interkulturellen Vergleich auch in sehr andersartigen Kulturen bestätigt werden konnten, sind zumindest in der Gegenwart verallgemeinerungsfähig. Auch sie können – vor allem wenn die untersuchten Kulturen Ähnlichkeiten mit der biblischen Antike aufweisen – mit verhältnismäßig großer Wahrscheinlichkeit auf die Vergangenheit übertragen werden.« Weiterhin: »Die psychologischen Regelmäßigkeiten des Erlebens und Verhaltens scheinen sich über die Jahrtausende, die die Geisteswissenschaften forschen, nicht erheblich geändert zu haben. Sie können für diesen Zeitraum als universell gültig angesetzt werden, und ohne Bedenken auf historische Personen übertragen werden.«14 Seine Darstellung ist durchaus legitim. Die Frage, ob die Erlebens- und Verhaltensweisen der Trauer in antiker und moderner Welt sich grundsätzlich unterscheiden, ist deshalb leicht zu beantworten. Das Thema des menschlichen Affekts (p\hor) war in der antiken griechischen Welt von großer Bedeutung. Der Affekt wurde von Platon und Aristoteles in verschiedene Typen eingeteilt. Aufgrund seiner psychologischen Untersuchung der Affekte betrachtet Aristoteles Affekte als Gesamtheit der Bewegungen der Seele, wie Begierde, Zorn, Furcht, Mut, Neid, Freude, Freundschaft, Hass, Sehnsucht, Eifersucht und Erbarmen. Die Stoiker betrachten den Affekt vornehmlich als etwas Negatives. Da sie die platonische Dreiteilung der Seele mit der Annahme eines irrationalen Stellenteils ablehnen, sehen sie in den Affekten ein Abweichen von der Vernunft, das immer die gesamte Person betrifft. Der Affekt bedeutet hier prinzipiell eine Emotionen von besonders heftiger Qualität und gilt als »falsches Urteil«. Die vier Hauptaffekte der Stoa sind: Lust, Schmerz (Trauer), Begierde und Furcht (Bdom¶, k¼pg, vºbor, 1pihul¸a). Was die Trauer als Affekt angeht, so wird dieser Aspekt vor allem von dem durch diese Tradition bestimmten Marcus Tullius Cicero betont: »Der Affekt der Trauer wird durch ein frisches (recens) und somit unerwartetes (necopinatum) Übel ausgelöst. Dieses Übel ruft den Schmerz hervor, weil zum einen erst wenig Zeit nach seinem

14 M. Leiner, Psychologie und Exegese, 246. Fortsetzung der Diskussion durch M. Leiner und G. Theißen: M. Leiner, Dem Evangelium die Seele wiedergeben? 29 – 54; G. Theißen, Psychologische Aspekte paulinischer Theologie, 11 – 14; ders. Erleben und Verhalten, 15 – 48.

22

Einleitung

Eintreten vergangen ist, zum anderen, weil es dadurch unangemessen und unüberschaubar ist.«15 Trauer ist zwar individuell, aber ein wesentlicher Bestandteil der biologisch verwurzelten menschlichen Affekte. Hinsichtlich der Trauerreaktionen (bzw. Verlustreaktionen) gibt es keine wesentlichen Unterschiede zwischen antikem und modernem Mensch. Im Prinzip ist die moderne psychologische Theorie bezüglich der Trauerreaktion auf den antiken Menschen übertragbar, so dass man historische Ereignisse mit modernen Begriffen darstellen kann, welche den Menschen damals unbekannt waren.16 Allerdings müssen die Trauerreaktion und der Ausdruck von Trauer in Riten und Gewohnheiten (Trauerausdruck) unterschieden werden. Die Trauerreaktion (bzw. Verlustreaktion) kann man als die emotionale Reaktion auf das Todeserlebnis (Verlusterlebnis) und das damit verbundene Verhalten bezeichnen. Nach einem Trauerfall empfindet man tiefe Traurigkeit, ein Gefühl der Niedergeschlagenheit bis hin zur Depression und manchmal sogar Wut. Der Trauerausdruck hingegen bezeichnet den Umgang mit den Toten, z. B. in Trauer- und Bestattungsriten, wie Gedächtnisfeiern, die auf den Toten im Grab bezogen sind, in der Trauerkleidung, Trauermusik oder im Trauerfasten. Solche Trauerrituale beinhalten nicht nur physische Handlungen, sondern vielmehr auch gesprochene Worte. Das heißt sowohl verbale Ausdrucksformen (Klage, Trauerweinen der Trauerfrauen und Trauerlyrik usw.), als auch körperbezogene Ausdrucksformen (Trauerfarben, Trauerkleidung und Mutilation der Trauernden usw.). Der Trauerausdruck ist außerdem nicht primär auf den Toten zu beziehen, er erfüllt vielmehr eine soziale Funktion im Leben der Hinterbliebenen. Trauerausdruck in Riten und Gewohnheiten gehört zum kulturellen Brauchtum der Menschen und man kann Rückschlüsse auf ihr Verständnis des Todes und seiner Funktion ziehen. Es handelt sich beim Trauerausdruck daher um eine von der Gesellschaft geprägte Ausdrucksform.17 Wie Arnold van Gennep treffend be15 Vgl. A. Führer, Tod, Trauer und Trost, 108. 16 In dieser Arbeit wird untersucht, ob und in welchem Maße die Trauerreaktion der Jünger Jesu in ihrem Text (1. Kor. 15,3ff) reflektiert wird. Hier müssen zunächst methodische Überlegung zur historischen Psychologie angestellt werden. Mein Standpunkt ist folgender : Obschon man die Jünger Jesu nicht befragen, analysieren und empirisch untersuchen kann, kann man die erhaltenen Zeugnisse in ihrer mündlichen oder schriftlichen Überlieferung im Hinblick auf das Erleben und Verhalten der Verfasser befragen. Denn diese erhaltenen Zeugnisse sind »nicht etwas Sekundäres, das sich auf ein Erleben und Verhalten hinter den Texten beziehen, sondern Teil der psychischen Wirklichkeit selbst.« G. Theißen, Erleben und Verhalten, 23. 17 Vgl. K-E. Apfelbacher, Selig die Trauernden, 41 – 122; H. Stubbe, Formen der Trauer, 159 – 182. Den Umgang mit dem Trauerausdruck behandelt K-E. Apfelbacher sehr ausführlich, allerdings nur innerhalb des christlichen, bzw. westlich- abendländischen Kulturraums. H. Stubbe untersucht den kulturanthropologischen Aspekt des Trauerausdrucks. In seiner Arbeit beschreibt er konkret die vielfältigen Formen der Trauer, die sich in allen Kulturre-

Methodische Überlegung zur psychologischen Exegese

23

obachtete, seien Trauergebräuche »Übergangsriten (rites de passage)«: Trennung, Umwandlung, Wiederangliederung. Jede größere Veränderung im Leben eines Menschen erfordert profane oder sakrale Aktionen und Reaktionen, die reglementiert und überwacht werden müssen.18 Ein solcher ritueller Umgang mit Sterben, Tod, Bestattung und Trauer hat eine die Gemeinschaft stabilisierende Funktion. Anders gesagt: Die Trauer veranlasst die persönlich angelegte Trauerreaktion, und diese bewirkt dann den sozial bezogenen Trauerausdruck. Der Trauerausdruck ist in diesem Sinne zeitlich und räumlich oft sehr unterschiedlich und durch gesellschaftliche und kulturelle Konventionen geregelt.19 Bei Trauerfällen gibt es beispielsweise die Sitte, dass sich in einigen Kulturräumen die Hinterbliebenen das Haar abschneiden, während man in anderen Kulturräumen nach der Sitte Haare und Bart wachsen lässt. Deshalb ist die Existenz universaler Formen des Trauerausdrucks sehr fragwürdig. Somit ist die Trauerreaktion universal, der Trauerausdruck hingegen zeitlich und räumlich beschränkt.20 Im Folgenden soll erläutert werden, wie sich der Trauerausdruck im Urchristentum äußert. Die Jünger gehörten der judäischen Trauerkultur an.21 Es ist

18 19 20

21

gionen finden lassen. Gemäß seiner Beobachtung treten in verschiedenen Kulturen Ähnlichkeiten in der Trauerreaktion auf. Die Trauer scheint z. B. nach dem Tod des Ehepartners in England, in Brasilien oder Japan ähnliche emotionale Reaktionen auszulösen, wenn man einmal von der Kulturspezifität der Trauerrituale (Trauerausdruck) absehen will. A.a.O., 323 – 329. A. van Gennep, Übergangsriten, 142 – 159. Angesichts der Trauerriten und Totenklage gibt es zwar Ähnlichkeiten, doch auch Unterschiede zwischen dem Alten Israel und dem antiken Griechenland. Vgl. S. Schroer, Trauerriten und Totenklage im Alten Israel, 299 – 321. Im alten Ägypten wird die Mumifizierung der Toten als Totenritus aufgrund des Glaubens an das ewige Leben durchgeführt. Sie gilt als einer der damaligen Trauerriten zum Abschied von den Toten. Jedoch ist dieser Ritus in anderen antiken Kulträumen völlig unakzeptabel: z. B. im antiken Judentum, »weil der Platz, den Totenriten im alten Ägypten einnehmen, im antiken Judentum explizit anathematisiert, das heißt durch Verbote versperrt und verworfen wurde.« J. Assmann, Totenriten als Trauerriten im Alten Ägypten, 307. Es ist darum deutlich erkennbar: Jeder Trauerritus hängt vom eigenen religiösen Hintergrund ab. Der Umgang mit dem Tod (oder den Toten) passt sich den örtlichen und zeitlichen Bedingungen an. Im Alten Testament begegnet man folgenden Formen von Trauerausdruck: Ablegen des Turbans (Ez 24,17), Abstreifen der Sandalen (Ez 24,17), Hängen lassen der Haare (Lev 10,6), Schneiden einer Randglatze (Lev 19,27) oder Stirnglatze (Dtn 14,1), Stutzen des Kinnbartes (Lev 19,27), Verhüllen des Lippenbartes (Ez 24, 17) und des Hauptes (2 Sam 19,5), sich die Brust schlagen (Jes 32,12), sich die Lenden schlagen (Jer 31,19), sich Schnitte zufügen (Lev 19,28), sich im Staub wälzen (Jer 31,12) sowie das Ablegen von Schmuck (Jdt 10,4). Vor allem das Trauerfasten im AT betrachtet ausführlich T. Pedella, Súm-Fasten. Kollektive Trauer um ˙ den verborgenen Gott im Alten Testament, 1989. Laut bisheriger Forschungen kann die Bedeutung solcher Gesten der Trauer im ATals Ausdruck von Furcht, Demut oder Solidarität erklärt werden. P. Kruger betont dagegen, Gesten der Trauer seien nach Victor Witter Turners Theorie Ausdruck des universellen kulturellen Phänomens der »umgekehrten Welt (symbolic inversion)«. P. Kruger, The Inverse World of Mourning in the Hebrew Bible, 41 – 49.

24

Einleitung

leicht vorstellbar, dass die damaligen Trauerbräuche des Judentums bei der Trauerbewältigung der Jünger nach dem Tod Jesu.22 Die moderne psychologische Theorie ist nicht nur applikabel auf das Innenleben gegenwärtiger Menschen. Innerhalb der menschlichen Psyche besteht eine Kontinuität zwischen antiken und modernen Menschen. Die grundlegende Funktion psychologischer Theorie besteht darin, die Wirklichkeit der Psyche von Menschen im Allgemeinen zu erfassen. Die Aufgabe der psychologischen Auslegung ist also, den psychologischen Zustand antiker Menschen sichtbar zu machen und darzustellen. Ausgangspunkt dieser Arbeit sind die Trauertheorie von S. Freud sowie aktuelle Forschungen. Die Darstellung der Struktur und des Charakters der Trauertheorie wird unser erster Schritt sein. Wie schon gesagt, ist Trauer ein normaler menschlicher emotionaler Zustand. Somit ist leicht vorstellbar: Bei Jesu Tod mussten die Jünger absolut untröstlich sein. Zweifelsohne hat sein Tod sie in tiefe Trauer versetzt. Die vorliegende Arbeit versucht sich mit der Rekonstruktion der menschlichen psychischen Zustände und Reaktionen der Jünger Jesu zu befassen. In meiner Untersuchung wird die Trauer der Jünger Jesu mit den anschaulichen Darstellungen in der Literatur verglichen, die sich mit Trauer beschäftigen. Auf diese Weise kann ihre Trauer deutlich illustriert werden. Dem Einwand, solch eine Profilierung antiker Trauerprozesse anhand moderner psychologischer Theoriebildungen sei unmöglich und ungerechtfertig, kann entgegnet werden, dass Trauer als menschlicher Zustand im Sinne einer zeit- und ortsübergreifenden Wirklichkeit verstanden werden kann. Zum Schluss soll das Verhältnis zwischen psychologischer NT-Exegese und heutigen Glauben betrachtet werden. Welchem Zweck dient die psychologische Untersuchung des Glaubens? Diese Frage ist heikel. Der psychologischen Untersuchung wird man eine bestimmte theologische Relevanz nicht absprechen können. Gewiss, diese Untersuchung kann nicht Glauben wecken, wohl aber kann sie die notwendige Besinnung auf ein modifiziertes Verständnis des Christentums fördern und auf diese Weise der Ideologisierung oder Dogmatisierung des Glaubens wehren. Meine Arbeit hat in diesem Sinne die Aufgabe, mit Hilfe der modernen psychologischen Theorien die Ursprünge und Anfänge des Christentums zu erforschen und darzustellen, ohne sich von dogmatischen oder ideologischen Wunschbildern beirren zu lassen. 22 Die allgemein verbreiteten Trauerriten im antiken Judentum zeigt die gesellschaftliche Stellung: »Die Rabbiener verankerten die Trauerriten in der Schrift und instrumentalisierten sie im Sinne ihrer perspektivischen Wahrnehmung und Idealisierung der Toten – oder besser : der von Toten in der Gesellschaft verkörperten Rolle und Funktion. Zum einen wurde, etwa in dem Verbot des Torastudiums während der Trauerzeit, die Tradition auf den Bereich der rabbinischen Schülerkreise bezogen, zum anderen entsprach die an den Riten beteiligte Öffentlichkeit zunehmend dem beanspruchten Kompetenz- und Autoritätsbereich der palästinischen Judentum.« M. Tilly, »Wenn ein Stein bewegt wird …«, 148.

1 Trauer und Trauerarbeit23 We are healed from suffering only by experiencing it to the full. M. Proust

Bevor ich die einzelne Studien referieren werde, möchte ich nach einleitenden Prolegomena die grundlegenden Begriffe der Trauer und Trauerarbeit erklären.24 Beide Begriffe bedürfen terminologischer Klarstellungen. Zunächst erkläre ich diese Begriffe aus der Sicht von Sigmund Freud, danach soll ich gezeigt werden, in welchem Zustand sich die aktuelle Trauerforschung befindet. Im Laufe dieser Darstellung erläutere ich das Verhältnis der normalen Trauer zur komplizierten (pathologischen) Trauer.

1.1

Trauer und Trauerarbeit nach Sigmund Freud

Im Aufsatz »Trauer und Melancholie« vergleicht S. Freud die Melancholie mit der ihr verwandten Trauer. Nach S. Freud gibt es im Wesentlichen keinen Unterschied zwischen Melancholie und Trauer. S. Freud definiert Trauer folgendermaßen: »Trauer ist regelmäßig die Reaktion auf den Verlust einer geliebten Person oder einer an ihre Stelle gerückten Abstraktion wie Vaterland, Freiheit, ein Ideal usw.«25

Die von S. Freud begründete Psychoanalyse versteht den Verlust eines nahestehenden Menschen als Verlust eines »Liebesobjektes« bzw. als Verlust eines »libidinös« besetzten »Objektes«. Beim Trauervorgang bedient sich, psycho23 Grundlegendes zu diesen beiden Begriffen habe ich in den folgenden Forschungsschriften gelernt: K. Lammer, Den Tod begreifen. Neue Wege in der Trauerbegleitung, NeukirchenVluyn 2003; ders., Trauer verstehen. Formen – Erklärungen- Hilfen, Neukirchen-Vluyn 2004. 24 Unter Anlehnung an K. Lammer können die angloamerikanischen Trauerbegriffe, bereavement, grief und mourning wie folgt kategorisiert werden. 1) Bereavement: Verlustsituation nach einem Todesfall. 2) Grief: Subjektive Erlebnisseite der Trauer. 3) Mourning: Expressives Trauerverhalten. Vgl. K, Lammer, Den Tod begreifen, 36 – 28. 25 S. Freud, Trauer und Melancholie, 173.

26

Trauer und Trauerarbeit

analytisch gesehen, der »Überbesetzung«. Trauernde beschäftigen sich beinahe ausschließlich mit Erinnerungen an die Verstorbenen. Sie erleben dabei die Gefühle, die sie dem Verstorbenen entgegen gebracht haben in übersteigertem Maße. Sie idealisieren oder dramatisieren ihre inneren Bilder von den Verstorbenen. Der Trauerprozess nach S. Freud lässt sich wie folgt darstellen:26 a) Anlass b) Reaktion

c) Bewältigung (»Trauerarbeit«) d) Ziele

Verlust eines mit Liebesenergien besetzten Objekts. Schmerzliche Verstimmung; Präokkupation mit dem/ der Verstorbenen; Aufhebung des Interesses für die Außenwelt und Leistungshemmung; Unfähigkeit zur Wahl eines neuen Liebesobjekts. Realisieren des Verlusts; über den Umweg der Überbesetzung von Erinnerungen und Erwartungen an den Verstorbenen; schrittweise Ablösung der Besetzungsenergie von der verstorbenen Person; Bearbeiten des Ambivalenskonflikts. Ablösung von den Verstorbenen; Auflösung der Trauer ; Ersetzen der Verstorbenen.

Dieser Trauerprozess benötigt sehr viel Zeit und Energie. Wenn man frei vom verlorenen Objekt ist und von ihm nicht mehr behindert wird, kann die Trauerarbeit abgeschlossen werden. Ziel der Trauerarbeit sind der innere Abschied von dem Verstorbenen und die Bereitschaft, sich wieder auf das Leben einzulassen. Es ist sehr schwer für den Trauernden, die Wirklichkeit zu akzeptieren. Viele Trauernde haben Mühe, die Realität des Todes der geliebten Menschen zu akzeptieren. Trauer dauert deshalb länger, als dies allgemein angenommen wird.27

1.2

Trauer in der aktuellen Forschung

1.2.1 Normale Trauer und Trauer als Krankheit Seit der Studie von S. Freud ist Trauer kein vernachlässigtes Forschungsthema in der Psychologie mehr. In der aktuellen Forschung über Trauerarbeit wird Freuds These mit verschiedenen empirischen Ansätzen nachgegangen. Dabei kann Trauer unterschiedlich definiert werden. Die praktische Theologin Kerstin Lammer definiert in ihrer Trauerforschung den Begriff folgendermaßen:

26 Die Zusammenfassung seiner These gibt K. Lammer, Trauer verstehen, 51. 27 Es gibt keinen allgemeinen Mittelwert für die Zeitdauer der Trauer, da jede Trauer unterschiedlich und vielfältig ist, jedoch dauert im Fall des Todes des Ehepartners Trauer durchschnittlich 1 bis 2 Jahre, im Fall vom Tod des Kindes 2 bis 5 Jahre.

Trauer in der aktuellen Forschung

27

»Trauer ist die normale Reaktion auf einen bedeutenden Verlust«.28 Dieser Begriff der Trauer als Verlustreaktion hat nach K. Lammer folgende Vorzüge:29 a) Trauer dient zur Bewältigung von Verlusterfahrungen. Trauer tritt auf, wenn sie »gebraucht« wird, nämlich im Dienste der Verlustbewältigung. b) Trauer ist ein normaler, gesunder und psychohygienisch notwendiger Prozess der Verarbeitung von einschneidenden Verlusten und Veränderungen. c) Zum Trauerprozess gehören Veränderungen in den Bereichen der Psyche, des Geistes, des Körpers und des Verhaltens bzw. Sozialverhaltens. d) Die Definition der Trauer als Verlustreaktion liefert Schlüsselkategorien, nach denen sich die vielen verschiedenen Beiträge zur Trauerliteratur ordnen lassen.

Trauer wird einerseits wie von K. Lammer als »normale menschliche Reaktion« definiert, sie wird anderseits aber auch wie von Erich Lindemann als »Krankheit« beschrieben. Erich Lindemann gilt als Pionier der empirischen Trauerforschung. Durch seinen Artikel »Symptomatology and Management of Acute Grief« hat er mit Blick auf die vielen Toten des Zweiten Weltkriegs und aufgrund einer Feuerkatastrophe in Boston die Trauersymptomatik erforscht.30 Er liefert in der Studie über Familien der Opfer des Coconut-Grove-Feuers eine detaillierte Beschreibung der Trauer als ein definiertes Syndrom. Er fand verschiedene Charakteristika von Trauer mit Krankheitswert. Ihm zufolge ist Trauer ein Syndrom, in dem sich folgende psychische und physische Symptome als eine Art Krankheitsbild zusammenfassen:31 a) Somatische Störungen; Atembeschwerden, Kraftlosigkeit und Erschöpfung, Verdauungsstörungen, körperliches Unbehagen, Schmerzempfinden, intensiver seelischer Schmerz. b) Derealisation und Depersonalisation; »Präokkupation« mit dem Verstorbenen bei gleichzeitiger Störung der sonstigen Wahrnehmung. Oft ist man mit inneren Bildern und Erinnerungen an den Verstorbenen beschäftigt, während andere Dinge und Personen unwirklich und entfernt scheinen. c) Schuldgefühle d) Aggressivität, Reizbarkeit oder Feindseligkeit e) Verhaltensänderungen wie Überaktivität und Rastlosigkeit oder Aktivitätshemmung und Verlangsamung. f) An der Grenze der Normalität liegt nach E. Lindemann die sogenannte »Symptombildung durch Identifikation«, d. h., dass die Trauernden selbst Züge, Verhaltensweisen oder Krankheitsmerkmale der Verstorbenen annehmen.

28 K. Lammer, Trauer verstehen, 9. 29 A.a.O., 9 f. 30 E. Lindemann, Symptomatology and Management of Acute Grief, 101, 141 – 148. Vgl. aus der Sicht der Soziologie ebenso T. D. Eliot’s Überblick über das Trauersyndrom. T. D. Eliot, The Beraved Familiy, 185 und 187. 31 K. Lammer, Trauer verstehen, 24 f.

28

Trauer und Trauerarbeit

Beim Empfang der Todesnachricht fallen viele Trauernde zuerst in einen Schockzustand, andere reagieren gefasst und akzeptierend, bei wieder anderen reicht die Reaktion von Protest bis zur Randale. Einige stellen Fragen über Fragen, andere weisen sich selbst die Schuld am Tod des verstorbenen Menschen zu, viele Trauernde haben nach dem Verlust eines ihnen nahestehenden Menschen Panikattacken. Die einen fühlen sich wie gelähmt, andere entwickeln eine rastlos getriebene Überaktivität. Die einen neigen zu Depression oder Angstzuständen und Suizidalität, andere greifen zu Alkohol und Tabletten, wieder andere erleiden Herz-, Atemwegs- oder andere Erkrankungen.32 Schuldgefühle sind typisch für Trauernde. Ist Trauer eine Krankheit? Diese Frage kann nicht mit ja oder nein beantwortet werden. Beim derzeitigen Forschungsstand gibt es keine einheitliche Meinung. Falls jemand unter plötzlichen oder gewaltsamen Umständen ums Leben gekommen ist, läuft Trauer eher nicht als normale Reaktion ab, sondern als Krankheit.33 In solchen schweren Trauerfällen kann die Reaktion der Hinterbliebenen als komplizierte Trauer betrachtet werden. Wenn schwere körperliche und seelische Störungen eintreten sollten, können diese als Zeichen komplizierter Trauer angesehen werden. In der allgemeinen Trauerforschung wird häufig die These vertreten, es gäbe eine normale und eine komplizierte Trauer.34 Wie gesagt, hat sich seit E. Lindemanns Forschungen das Verständnis der Trauer als Krankheit bei vielen Autoren eingeprägt. Die Einordnung als Krankheit wird nicht anhand klar abgegrenzter Kategorien getroffen, vielmehr anhand eines graduellen Vergleichs mit Extremen. Tritt z. B. eine Ansammlung von Risikofaktoren auf (wie z. B. bei dem extremen Tod durch Suizid) wächst die Gefahr, dass der Trauernde in eine pathologische Trauer gerät. Spezifische Todesumstände erweisen sich in besonderer Weise als belastend und können pathogen wirken. Hat jemand Suizid begangen, waren höchst wahrscheinlich die Hinterbliebenen bereits lange Zeit vorher besonderen Spannungen ausgesetzt und sind demnach auch von besonderen Schuldgefühlen überwältigt. Wohlverstanden: Ein plötzlicher und 32 Einer Untersuchung nach erleiden 76 % der in Deutschland und 92 % der in USA befragten Trauernden in dieser ersten Phase den Tiefpunkt ihrer Krise, d. h. die heftigsten und schlimmsten Trauerreaktionen (z. B. Empfindungen von Kälte, Leere, Verwirrung, Weinen, Schmerz, Verzweiflung, Schreien, Panik, Angst etc.). K. Lammer, Trauer verstehen, 33. 33 Vgl. G. L. Engel, Is Grief a Disease? 18. K. Lammer modifiziert jedoch vorsichtig: »Trauer kann krank machen. Diese These ist die Richtige. Trauer ist keine Krankheit, und Trauern ist nicht krankhaft – im Gegenteil.« K. Lammer, Trauer verstehen, 36 f. 34 Statischen Untersuchungen zufolge beträgt unter kompliziert Trauernden die Komorbidität mit Depression 80 % und mit generalisierter Angst 80 %, mit Panikstörungen 36 %. Vgl. H. J. Znoj/ A. Marrcker, Trauerarbeit und Therapie der komplizierten Trauer, 401. Einen Überblick über das Krankheitsbild bei traumatischer Trauer bieten A. Kersting u. a., Traumatische Trauer – ein eigenständiges Krankheitsbild?, 301 – 308.

Trauer in der aktuellen Forschung

29

unerwarteter gewalttätiger Tod kann zunächst in keiner Weise innerhalb des Glaubens- und Normensystems Platz finden. Die die Trauerprozesse erschwerenden Risikofaktoren fasst K. Lammer folgendermaßen zusammen:35 a) Unterdrückung, Verzögerung und Vermeidung der Trauer (auf die »Gefassten« muss man daher mehr achten als auf diejenigen, die starke Reaktionen zeigen). b) Besonders traumatisierende Todesumstände (plötzlicher, gewaltsamer, nahgeburtlicher, sozial stigmatisierter oder sozial nicht wahrgenommener Tod). c) Eine besonders intensive und komplizierte (z. B. hochambivalente) Beziehung zum verstorbenen Menschen. d) Lebensumstände, die die Trauer behindern (Gefährdung des eigenen Lebens, eigene Krankheit, wirtschaftliche Unterversorgung, usw.). e) Weitere, noch unbewältigte Verluste und Krisen. f) Ein fehlendes unterstützendes soziales Umfeld. g) Fehlende persönliche Ressourcen. h) Fehlender Zugang zu Hilfesystemen.

1.2.2 Komplizierte (Pathologische) Trauer Nach Ansicht mancher Forscher hängt die Art und Weise der Trauerarbeit sowohl von der Persönlichkeit des Trauernden als auch von den Umständen des Todes ab, z. B. wenn es sich um plötzliche, unerwartete oder grausame Todesfälle handelt, die in der Regel schwerer zu verarbeiten sind als normale Sterbefälle. Typische Reaktionen sind: Fassungslosigkeit, Betäubung, Benommenheit, Angstgefühl, Beunruhigung, Depression, Fragen nach dem Warum, das Bedürfnis, einen Schuldigen zu finden. Selbstmord ist einer von solchen grausamen Todesfällen, wobei Familienangehörige, Bekannte und Freunde viele zusätzliche Gefühle von Schuld und Reue bewältigen müssen. Der Schmerz dauert viel länger, als wenn der Tote an natürlichen Ursachen gestorben wäre. Trauer ist deshalb nicht nur eine Reaktion auf eine bedeutsame Verlusterfahrung, vielmehr eine massive narzisstische Kränkung, die besonders den modernen Menschen an seiner empfindlichsten Stelle trifft, d. h. an seiner Vorstellung von Grandiosität und Macht.36 Neuere psychologische Studien arbeiten den Unterschied von normalen (einfachen) und traumatischen Trauerreaktionen heraus. Hansjörg H. J. Znoj zieht folgenden schematischen Vergleich zwischen einer einfachen und einer komplizierten Trauerreaktion in den Kategorien Verlauf, Symptomatik, physische Gesundheit und soziale Folgen.37 35 K. Lammer, Trauer verstehen, 38. 36 H. Goldbrunner, Dialektik der Trauer, 42. 37 H. J. Znoj, Komplizierte Trauer, 12.

30

Verlauf

Symptomatik

Gesundheit Soziale Folge

Trauer und Trauerarbeit

Einfache Trauerreaktion Allmähliche Anpassung an die neue Realität, vergleichsweise abnehmende Intensität der gefühlten Trauer. Erfolgreiche Anpassung an die neue Wirklichkeit ohne die verstorbene Person.

Komplizierte Trauerreaktion Stark impulsive emotionale Reaktionen wie Wut, Schuldgefühle und Angst. Manchmal verzögerte Trauerreaktion. Keine kontinuierliche Abnahme der Trauerintensität. Oft wird die Trauer nicht als Traurigkeit erlebt. Anpassung an neue Wirklichkeit gelingt nicht. Trauerreaktion mit Rückzug und Selbstschädigendes Verhalten, Pahäufigem Weinen. Der Ausdruck nikattacken, depressive Reaktion, exzessive Reizbarkeit, anhaltende der Trauerreaktion ist stark von und häufige Intrusionen, Gefühl kulturellen Normen geprägt. innerlicher Leere und allgemeiner Sinnlosigkeit.38 Langfristig keine gesundSchlaf- und Essstörungen, erhöhte heitlichen Folgen. Anfälligkeit für Infektionserkrankungen. Vernachlässigung des sozialen Kurzfristig Rückzug aus dem Netzes, Einbußen im Bereich des gewohnten sozialen Umfeld, langfristig keine negativen Folgen. beruflichen Funktionierens, Vereinsamung.

Wenn das Trauma des Verlusts durch ein Übermaß an Stress in eine pathologische Entwicklung führt, spricht man auch von einer »posttraumatischen Belastungsstörung« (Posttraumatic Stress Disorder).39 Sie kann durch das belastende Ereignis eines schwierigen Todesfalls ausgelöst werden. Wenn Todesfälle unter besonderen traumatischen Umständen eintraten, können Trauer und traumatische Belastungsreaktionen gemeinsam auftreten. 38 Die Definition der komplizierten Trauer nach M. J. Horowitz lässt sich gegenüber anderen Diagnosen, besonders gegenüber der Depression abgrenzen. »Insbesondere werden Intrusionen, trauerspezifische Vermeidung und die Unfähigkeit, nach dem Verlustereignis wieder zum Alltag zurückzukehren, als differenzialdiagnostische Kriterien aufgeführt.« Vgl. A. a.O., 14.; J. Horowitz und andere untersuchen die Sensitivität und Spezifität der Trauernden, die die Intrusionen (z. B. unbidden memories, strong yearning, worse when reminded of deceased, emotional spells, feeling watched by deceased, usw.) wahrnehmen. M. J. Horowitz, u. a., Diagnostic criteria for complicated grief disorder, 904 – 910. 39 Die posttraumatischen Belastungsstörungen verkomplizieren den Trauerprozess, sie können die Trauernden quälen. B. Raphael und S. Wooding fassen die Erscheinungsformen zusammen. B. Raphael/ S. Wooding, Klinische Interventionen für Trauernde, 237. Oft werden die Erscheinungsformen des Trauerns mit jenen der Depression verwechselt. Die Unterscheidung beider ist wichtig für eine angemessene Behandlung der depressiven Erkrankung und zur Erleichterung des Trauerprozesses. Der Verlust durch Tod steht in einer komplexen Beziehung zur Entwicklung von Depressionen. Eine Zusammenfassung der Erscheinungsformen von Trauer und Depression findet sich a. a. O., 239. Vgl. auch K. Lammer, Trauer verstehen, 37: »Die psychischen Erkrankungen, vor allem Depressionen und Angstzustände, nehmen bei Trauernden um etwa 25 – 30 % zu.«

Trauer in der aktuellen Forschung

31

1.2.3 Der Prozess der Trauer Seit E. Lindemanns Forschungen sind zahlreiche weitere symptomatologische Studien an Trauernden durchgeführt worden. In den verschiedenen Untersuchungen werden die beobachteten Symptome in eine zeitliche Reihenfolge gebracht, allerdings werden sich die Fachleute über solche Phasenmodelle der Trauer nicht einig. Die vorgeschlagenen Trauerphasen sind zwar nicht empirisch nachweisbar. Kritiker der Phasenmodelle stellen in Frage, ob wirklich jeder Mensch einen solchen Prozess durchlaufen könne.40 Außerdem stehen die Trauerphasen in Beziehung mit verschiedenen Kontexten: Phasen der Auseinandersetzung mit dem bevorstehenden Tod bei Sterbenden (Kübler-Ross), Phasen der Bewältigung von Trennungen zwischen Mutter und Kind (Bowlby), so dass solche Entwürfe von Trauerprozessen nicht miteinander vergleichbar sein können. K. Lammer hebt die Schwächen und nachteiligen Auswirkungen der von Trauerbegleitern angewandten Phasenmodelle hervor.41 Die Phasenmodelle sind zu simplizistisch, schematisch/ normativ und diagnostisch. Außerdem ist die Schockphase am Anfang der Trauer ein Mythos, weil direkt nach der Todesmitteilung alle möglichen Trauerreaktionen beobachtbar sind. Als Alternative bietet sie das Aufgabenmodell an.42 Um die groben Ergebnisse der aktuellen Trauerforschung begreifen zu können, möchte ich im folgenden trotz dieser Problematik der Phasenmodelle der Trauer eine Übersicht über die Entwürfe der letzten Jahre zusammenzufassen:

40 C. B. Wortman/ R. C. Silver, The myths of coping with loss, 349 – 457. 41 K. Lammer, Trauer verstehen, 97 – 101. 42 Gemäß K. Lammer gibt es sechs Schritte, Trauer zu bewältigen. Dieser Trauerprozess gilt sowohl im Blick auf Trauernde als auch auf Begleiter. Sie betont im folgenden Aufgabenmodell, daß sechs Schritte des Bewätigungsprozesses beachtet werden müssen, wenn man Trauernde begleitet. Die erste Aufgabe Trauernder und die Voraussetzung für weitere Schritte ist die Realisation, d. h., der Tod muss erfasst werden. Der zweite Schritt ist die Initiation: Bei diesem Schritt geht es um Hilfen, die Trauer auszulösen. Es genügt oft schon, für Zeit, Ort und Gelegenheit des Trauerns zu sorgen, im konkreten und im übertragenen Sinne für einen Raum zu sorgen, in dem der oder die Trauernde ungestört das eigene bzw. ihre tun kann. Der nächste Schritt ist die Validation: Die Anerkennung des Verlusts wird geäußert. Der Trauernde verlangt nach Wahrnehmung und Anerkennung, umso stärker, je mehr eine allgemeine soziale Anerkennung fehlt. Viertens: Progression, das heißt Übergänge unterstützen. Dabei können seelsorgliche oder andere Formen helfenden Gesprächs an den Übergängen hilfreich wirken, desgleichen tätige Begleitung. Rekonstruktion: Zum Erinnern und Erzählen ist zu ermutigen angesichts der immer wiederkehrenden Erinnerungen Trauernder an ihre Toten. Evaluation: Das bedeutet meist, dass Risiken und Ressourcen richtig einzuschätzen sind. Die Auswertung der Risikofaktoren kann durchaus gegenüber dem Betroffenen offen angesprochen und gemeinsam bearbeitet werden.

32

Trauer und Trauerarbeit

Kübler-Ross 1969 Nicht-Wahrhabenwollen

Bowlby 1961 Protest

Spiegel 1973 Schock

Zorn Verhandeln

Desorganisation Reorganisation

Kontrolle Regression

Depression

Adaptation

Kast 1977 NichtWahrhabenWollen Aufbrechende Emotionen Suchen und SichTrennen Neuer Selbst- und Weltbezug

Zustimmung

Die berühmtesten Phasenmodelle sind die fünf Phasen nach Elisabeth KüblerRoss »Nichtwahrhabenwollen, Zorn, Verhandeln, Depression und Zustimmung«, die drei Phasen nach John Bowlby »Protest, Desorganisation und Reorganisation«43 und die vier Phasen nach Yorick Spiegel »Schock, Kontrolle, Regression und Adaptation.«44 J. Bowlby orientiert sich an der Handlungsabfolge, die er bei Kindern, die zeitweilig von ihren Müttern getrennt wurden, beobachtete. Seiner Theorie zufolge ist die Furcht im Säuglings- und Kleinkindalter die erste Reaktion auf eine Trennung von der Mutter, und in der zweiten Phase tritt Trauer auf. Beim Erwachsenen aber löst der Verlust des geliebten Menschen erst die Trauer aus. Die vier Phasen von Y. Spiegel lauten so: Die erste Phase ist der Schock. Die Phase des Schocks hält meist nur für wenige Stunden an und ist auch bei längerer Dauer üblicherweise nach ein bis zwei Tagen vorüber. Nach der relativ kurzen Phase des Schocks und der im nächsten Abschnitt auftretenden Kontrolle gegenüber der Familie und der Umwelt sowie professionellen Krisen kann bereits regressives Verhalten einsetzen. Die kontrollierte Phase dauert durchschnittlich drei bis sieben Tage. Um eine gesellschaftlich angemessene Bestattung durchführen zu können, ist für die Trauernden die charakteristische Selbst- bzw. Fremdkontrolle notwendig. Nach den zwei Phasen Schock und Kontrolle ist der Trauernde dagegen weitgehend sich selber überlassen. Die Phase der Regression fasst Y. Spiegel folgendermaßen zusammen: »Mit dem Verlust der Fülle der Beziehungen, die den Trauernden mit dem Verstorbenen verband, und mit der schrittweisen Erkenntnis dieses Verlustes lässt sich die bisherige psychische Organisation, die auf die Interaktion mit diesem Menschen eingespielt war, nicht mehr aufrechterhalten und bricht in sich zusammen,«45 In den ersten drei 43 J. Bowlby, Grief and Mourning in Infancy and Early Childhood, 9 – 52. 44 Vgl. E. Kübler-Ross, Interviews mit Sterbenden, Stuttgart 1971. Sowie Y. Spiegel, Der Prozess des Trauerns, München 1973. 45 Y. Spiegel, Der Prozess des Trauerns, 66.

Zusammenfassung

33

Phasen überwiegt regressives Verhalten, während in der vierten Phase schrittweise eine neue Anpassung an das gesellschaftlich Geforderte erreicht wird. Von der Schweizer Psychologin Verena Kast wurde ein anderes Model des Trauerprozesses entwickelt. Erste Phase: Nicht-Wahrhaben-Wollen. Die Nachricht vom Tod versetzt die Hinterbliebenen in einen Schockzustand und löst Unglauben aus. Da der Schock groß ist, kann man die Realität des Todes nicht wahrnehmen. Zweite Phase: Aufbrechende Emotionen. In dieser Phase findet sich nicht nur eine einzige Emotionslage, sondern ein Spektrum von Gefühlen; Leid, Schmerz, Wut, Zorn, Freude, Traurigkeit, Freude, Schuldgefühl, Angst usw. Die dritte Phase heißt: Suchen und Sich-Trennen. Trauernde reagieren auf den Verlust mit der Suche nach dem Verstorbenen. Viele Trauende suchen ihn im inneren Zwiegespräch. »Im inneren Zwiegespräch findet man den Partner nochmals und kann mit ihm sprechen. (…) Die Entwicklung dieser Zwiegespräche führt dann zur Trennung von dem Partner, wie er zu Lebzeiten war.«46 Die vierte Phase: Neuer Selbst- und Weltbezug. In dieser letzten Phase kann der Verlust des verstorbenen Menschen, sein Tod langsam akzeptiert werden.47

1.3

Zusammenfassung

Was ist Trauer? Wie ist sie zu bewerten? Gemäß S. Freud ist Trauer regelmäßig die Reaktion auf den Verlust einer geliebten Person. Trauer ist eine derjenigen lebensgeschichtlichen Umbrucherfahrungen, durch die sich die persönlichen und sozialen Lebensverhältnisse deutlich verändern. Für die Verlustverarbeitung verbrauchen Trauernde eine enorm große Menge psychischer Energien. Diesen Bewältigungsprozess nennt S. Freud »Trauerarbeit«. Da nach dem Verlust unvermeidlich eine hoch emotionale Belastung folgt, lässt die neue Trauerforschung, den Unterschied zwischen normaler und komplizierter (pathologischer) Trauer erkennen. Es gibt gute Gründe, die Beschreibung von Trauer als Krankheit ernst zu nehmen. Die Art und Weise der Trauer hängt von der Persönlichkeit des Trauernden und von den Umständen des Todes ab. Vor allem plötzliche, unerwartete oder grausame Todesfälle sind schwerer zu verarbeiten als normale Sterbefälle. Bei den Todesfällen unter besonders traumatischen Umständen können Trauer und traumatische Belastungsreaktionen gemeinsam auftreten. In solchen Fällen kann Trauer als Krankheit betracht werden. Bei einer komplizierten (pathologischen) Trauer kommt es zu folgenden typischen Reaktionen: Angst, Hilflosigkeit, qualvolle Schuldgefühle, u. a. Die oben dargelegte Trauerforschung möchte ich nun auf die Situation der 46 V. Kast, Trauern, 80 f. 47 A.a.O., 71 – 90.

34

Trauer und Trauerarbeit

Urgemeinde anwenden. Die Jünger Jesu konnten ihre Trauer zunächst nicht verarbeiten, obwohl sie das Auferstehungserlebnis hatten. Dieses gab den Anstoß sich mit ihrer Trauer zu beschäftigen und Trauerarbeit zu leisten. Meines Erachtens kann man davon ausgehen, dass die Jünger nach Jesu Tod in einen tiefen Schockzustand gefallen sind, der dem der komplizierten Trauer glich, denn Jesus ist unter plötzlichen, gewaltsamen Umständen ums Leben gekommen, die auf die Jünger traumatisierend gewirkt und Angst selbst um das eigene Leben ausgelöst haben dürften. Sodann sind alle Jünger Jesu kurz vor dessen Kreuzigung geflohen und haben ihn damit seinem Schicksal preisgegeben, was Schuldgefühle weckte. Die Jünger Jesu müssen damals aufgrund dieser erschwerenden Faktoren (gewaltsamer Tod; Angst, die zur Flucht führt; Schuldgefühle; scheinbares Scheitern der eigenen Lebensentwürfe, die auf den Anbruch des Basileia Gottes hin ausgerichtet waren) in einer schwierigen Trauersituation gestanden haben, in einer komplizierten Trauer. Im folgenden Kapitel wird die Frage gestellt, welche sicheren Hinweise auf Trauerarbeit aus den Quellen des Neuen Testaments zu entnehmen sind.

2 Wir sind schuld, dass Jesus starb Give sorrow words: The grief that does not speak whispers the o’er-fraught heart, and bids it break. W. Shakespeare

Der Trauernde ist ein Suchender, der wie ein Mensch ist, der allein im dunklen Wald einen verborgenen Schatz ausgraben will. Nach dem Tod der nahestehenden Person sucht er den Sinn in diesem Todesfall, dem Verlust und der Abwesenheit. Die Frage nach dem Sinn des Todes bewegt den Hinterbliebenen in besonderem Maße. Für ihn ist die wesentliche Fragestellung: Warum ist er/ sie gestorben? Zu diesen Fragen finden unterschiedliche Menschen sehr verschiedene Antworten. Der Trauernde will um die Bedeutung des Todes wissen. Somit handelt es sich bei der Trauer um die Zurechtlegung einer Erklärung, die eine Voraussetzung für den Trauernden ist, die Trauer zu überwinden. Daraus ergibt sich, dass die Bewältigungsaufgabe der Trauer darin besteht, eine Antwort darauf zu finden, aus welchen Gründen er/ sie ums Leben gekommen ist. Angelpunkt der Bewältigung der Trauer ist die Sinn-Findung. Der Fall der Jünger Jesu war kein Ausnahmefall. Sie suchten den Sinn des Todes Jesu. Meiner Ansicht nach spiegelt die Aussage in 1 Kor 15,3 – 8 die Spuren solcher Konstruktionen wieder. Dass 1 Kor 15,3ff eines der ältesten Glaubensbekenntnis darstellt, wird heute allgemein anerkannt, Streit besteht lediglich über den Entstehungsprozess und–hintergrund. Dabei sind verschiedene Meinungen vertreten worden. Meine These lautet: Obwohl dieses Glaubensbekenntnis seit langem vor allem theologisch als Deutung des Todes Jesu interpretiert wird, kann man dagegen befinden, dass hinter dieser Darstellung die klare Äußerung des Schmerzes und des Kummers der Jünger Jesu steht. In den paulinischen Briefen lassen einige Hinweise erkennen, wie man sich in der Urgemeinde über Tod und Auferstehung Jesu äußerte. Die Verse 1 Kor 15,3ff hat Paulus als das älteste Auferstehungszeugnis empfangen. Sie sind eine formelhaft geprägte Zusammenfassung der Verkündigung von Tod und Auferstehung Jesu. Folgende Fragen können an diese Verse gestellt werden: Wie ist die Formel aufgebaut? Wie sind Alter und Herkunft der Formel zu bestimmen? In welcher Sprache wurde die Formel ursprünglich verfasst?

36

Wir sind schuld, dass Jesus starb

Im folgenden Kapitel soll eine ausführliche literarische und inhaltliche Untersuchung von 1 Kor 15,3ff durchgeführt werden, damit beantwortet werden kann, welche Teile als vorpaulinische Überlieferung zu bezeichnen sind. In erster Linie beschäftige ich mich mit der traditionsgeschichtlichen Untersuchung dieser Überlieferung. Im Zuge dieser Textarbeit soll die Frage geklärt werden, welche Verse dieser Tradition der ursprünglichen Überlieferung zugeordnet werden können. Ist 1 Kor 15,3ff in früher Zeit als einheitliche Tradition entstanden? Am Schluss steht eine Untersuchung, die klären wird, vor welchem Hintergrund diese Überlieferung stand. Es ist das Anliegen meiner Untersuchung zu zeigen, dass die Jünger Jesu mit ihren Aussagen ihre schwerwiegende Schuld zur Sprache gebracht haben. Das Wort "laqt¸a ist vieldeutig. Nicht nur auf gängiges jüdisches Sündenverständnis (d. h. die Verletzung der Tora), nicht nur auf den Begriff des Sündenopfers weist es hin, vielmehr stellt es auch die konkrete Schuld der Jünger dar, Jesus am Kreuz im Stich gelassen zu haben. Diese These möchte ich unter Zuhilfenahme psychologischer Theorien untersuchen, besonders unter Zuhilfenahme der Theorie der Trauerarbeit.

2.1

Analyse von 1 Kor 15,3 – 8

1 Kor 15,3 – 8 3 Denn als erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist wegen unserer Schulden nach der Schrift; 4 und dass er begraben wurde; und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift; 5 und dass er Kephas erschienen ist, danach den Zwölfen. 6 Danach ist er mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal erschienen, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen. 7 Danach ist er Jakobus erschienen, danach allen Aposteln. 8 Zuletzt von allen ist er auch mir als einer unzeitigen Geburt erschienen.

2.1.1 Aufbau von 1 Kor 15,3 – 8

Über den Umfang der ursprünglichen Tradition herrscht unter den Exegeten keine Einigkeit. Aber die meisten Exegeten nehmen aufgrund des Aufbaus von 1 Kor 15,3 – 8 folgendes an: Das ursprüngliche Zitat umfasst nur die Verse 3 – 7 und schließt mit den Erscheinungen vor den Zwölf (eventuell vor allen Aposteln)

Analyse von 1 Kor 15,3 – 8

37

ab.48 Diese überwiegend vertretene These geht im Kern auf Adolf von Harnack zurück.49 Die Form von 3b – 5 zeigt einen sinnvollen, parallelen Aufbau. Klar ist erkennbar, dass aufgrund der Wortzahl und eines synthetischen Parallelismus membrorum die Formel von 3b – 5 einheitlich formuliert wurde.50 Demgegenüber sind mindestens die Verse 6b und 8 paulinische Ergänzung, die an die vorausgehende Überlieferung anknüpft. Die Überlieferung der Verse 3 – 5 besteht aus vier mit fti formulierten Gliedern, drei davon werden mit ja· eingeleitet. Die Verse sind wie folgt zu gliedern:51 3 fti Wqist¹r !p´hamem rp³q t_m "laqti_m Bl_m jat± t±r cqav±r 4 ja· fti 1t²vg ja· fti 1c¶ceqtai t0 Bl´qô t0 tq¸t, jat± t±r cqav±r 5 ja· fti ¥vhg Jgvø eWta to?r d¾deja 6a 5peita ¥vhg 1p²my pemtajos¸oir !dekvo?r 1v²pan 7 5peita ¥vhg (Iaj¾b\ eWta to?r !postºkoir p÷sim

2.1.2 Analyse Im Folgenden soll eine ausführliche literarische und inhaltliche Analyse durchgeführt werden, mit der ich die Frage beantworten werde, welche Teile meiner Meinung nach als ursprüngliche Tradition zu bewerten sind.

48 Die Meinung, der Vers 6 gehört nicht zur Tradition, wird gestützt durch die Beobachtung dass bis Vers 5a fti-Sätze vorliegen. Mit dem Vers 6 beginnt ein neuer Hauptsatz und damit eine neue Konstruktion. Demgemäß wäre die Erwähnung der Erscheinungen vor 500 Brüdern als Zusatz zu der ursprünglichen Tradition zu werten. Vgl. J. Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, 95; H. Grass, Ostergeschehen und Osterbericht, 94; H-W. Bartsch, Die Argumentation des Paulus in 1 Kor 15,3 – 11, 261; J. Kremer, Das älteste Zeugnis, 28. 49 A. v. Harnack, Die Verklärungsgeschichte Jesu, 89 – 117. 50 H. Conzelmann widerspricht in Zur Analyse der Bekenntnisformel, 5. 51 Vgl. U. Schnelle, Paulus, 237; J. Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, 96; E. Bammel, Herkunft und Funktion der Traditionselemente, 402; M. Reichardt, Psychologische Erklärung, 167; F. Mußner, Zur stilistischen und semantischen Struktur der Formel, 190 – 199.

38

Wir sind schuld, dass Jesus starb

2.1.2.1 Vers 3 In der Einleitung (15,3a) stellt Paulus fest, dass er diese Überlieferung selbst übernommen hat und sie nur weitergibt.52 Paulus behauptet, dass er diese empfangene Überlieferung unverändert weitergegeben hat.53 Die Redewendung »er ist gestorben und wurde begraben« ist im AT häufig zu finden (z. B., Deu 10,6; Ri 8,32; 1 Kön 2,10; 11, 43; auch Lk 16,22b).54 Die sprachliche Wendung »wegen der Schulden (rp³q t_m "laqti_m)« stammt nicht von Paulus. Die Aussage »Schuld(en)« im Plural ist in keiner Weise paulinisch. Denn er redet sonst nur von »Schuld (Sünde)« im Singular.55 Die Präposition »rp´q« mit Genetiv hat eine vielfältige Nuancierung: »Über – hinaus«, »zugunsten von«, »an Stelle von«, »um – willen« und »im Hinblick auf«, »wegen«.56 An dieser Stelle ist die Präposition »rp´q« »wegen« gebraucht. Die Wendung »sterben wegen unserer Schuld nach der Schrift« kann an Jes

52 1 Kor 15, 3 »paq´dyja« und »paq´kabom« entsprechen den rabbinischen Termini technici @mi lBeqi und l] rs'm;,, die einen objektiven Traditionsvorgang bezeichnen. Vgl. Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, 95. In gleicher Weise leitet Paulus die Einsetzungsworte des Abendmahls in 1 Kor 11, 23 ein. In 1 Kor 15,3 verdankt er die Formulierung des Auferstehungsberichts wie auch die Einsetzungsworte des Abendmahls der Tradition. 53 Hier stellt sich nicht nur die Frage nach der Ursprache, sondern zugleich auch, weshalb der Artikel vor dem »Christus« (Wqistºr) in den ältesten Handschriften fehlt. Es bleibt fraglich, ob Jesus als der Messias identifiziert wird. J. Jeremias untersucht zunächst die Verwendung des artikellosen »Wqistºr« in 1 Kor 15,3a. Warum ist das artikellose »Wqistºr« als Subjekt an den Anfang des Satzes gestellt? J. Jeremias belegt unter Berufung auf ausführliche Untersuchungen in der Literatur des palästinischen Judentums, dass das artikellose »Wqistºr« der artikellosen Wendung xyXm entspricht und demzufolge ursprünglich aus den semitischen Urtexten stammt. J. Jeremias, Artikelloses Wqistºr, 211 – 213. Vgl. H. L. Strack/ P. Billerbeck, Kommentar, 1. Band, 6. Andererseits hat W. Kramer hervorgehoben, dass vorpaulinische, griechisch sprechende Judenchristen die Aussage über den Sühnetod des Christus mit dem »Wqistºr« verbanden. W. Kramer, Christos, 34 – 39. E. Güttgemanns argumentiert außerdem mit umfassenden Belegen gegen die These von J. Jeremias. Dazu fordert er auf, das artikellose »Wqistºr« als Eigennamen zu verstehen. C. Wolff dagegen bestreitet, dass hier ein Eigenname zu lesen sei. Wqistºr bedeutet das heilsbringende Schicksal des Messias. C. Wolff, Korinther., 361. Die Überlieferungsträger stellten Jesus als mit Christus identisch dar, weshalb nicht in Frage kommt, dass die Bezeichnung »Wqistºr« den historischen Jesus widergibt. Vgl. Röm 5,6; 6,4.9; 8,17; 10,4.6; 14,9.15; Gal 3,13 usw. Dazu meint F. Hahn, Hoheitstitel, 209. 54 Vgl. K. H. Rengstorf, Auferstehung, 51 f; F. Hahn, Hoheitstitel, 204 Anm.1. Im Vergleich zum Bericht über die Ostergeschichte im Markusevangelium (Mk 16,6) bezeugt 1 Kor 15,4 nicht »gekreuzigt«, sondern »gestorben«. Das Wort »Gekreuzigter« im MkEv ist zeitlich später formuliert, als »Verkündigungswort«, so F. Hahn, Hoheitstitel, 200. Die (vor)mk. Gemeinde formuliert ein Bekenntnis zu Jesus dem Gekreuzigten. Möglicherweise wurzelt das Wort »Gekreuzigter« in Mk 16,6 auf der paulinischen theologia crucis. Z. B. Gal 3,1; 1 Kor 1,18. 23 f u. a. 55 Die Sünde in der Pluralform kann in Zitaten aus dem AT gefunden werden. 56 Einen Überblick bieten H. Riesenfeld, ThWNT VIII, 750 – 752.

Analyse von 1 Kor 15,3 – 8

39

53,4.5.8.12 denken lassen,57 der LXX-Text bietet indessen nicht »rp´q«, sondern »peq¸« und »d¸a«.58 Die Aussage »Christus ist wegen unserer Schuld gestorben« scheint mir nicht den LXX-Text wiederzugeben. Sie hängt ursprünglich keineswegs von der Aussage in LXX Jes 53 ab. Deshalb kann man schlussfolgern, dass die Tradition, die von Paulus übernommen wird, von Jes 53 interpretiert wird. Die Wendung »nach der Schrift (jat± t±r cqav²r)« ist ungewöhnlich, da sie sonst nicht bei Paulus zu finden ist.59 In Vers 4 wird sie nochmals wiederholt. 2.1.2.2 Vers 4 Am Anfang des Verses 4 ist eine Erwähnung der Grablegung Jesu zu finden. In den Paulusbriefen ist die Wendung »h²pty« singulär. Ulrich Wilckens bezeichnet die Grablegung Jesu als theologisches Argument.60 Die Erwähnung des Begräbnisses hebt die Besiegelung des Todes und das Geschehen der Bestattung hervor.61 Obgleich in Vers 4 die Grablegung Jesu dargestellt wird, liegt doch keine Erwähnung des leeren Grabes vor. Ob die Erwähnung des Begräbnisses das Wissen um das leere Grab voraussetzt, ist die Frage. Dies kann jedoch nicht nachgewiesen werden.62 Vermutlich wird das leere Grab vorausgesetzt.63 57 Der LXX-Text; Jes 53,4; 53,5; 53,12. Für die konkrete Untersuchung des Zusammenhangs zwischen 1 Kor 15,3 und Jes 53 argumentiert O. Hofius, Das vierte Gottesknechtslied, 414 – 437. V. a. 426 – 430. Vgl. J. Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, 97 Anm.1. 58 Deshalb argumentiert J. Jeremias dafür, dass 1 Kor 15, 3ff von Jes 53 in der LXX unabhängig sei. Vgl. J. Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, 97 Anm.1. H. Conzelmann geht in seinem Aufsatz mit Jeremias Ansatz hart ins Gericht. Er behauptet, dass die Wendung »rp³q t_m "laqti_m« sich auf Jes 53 bezieht und in den kerygmatischen Aussagen über das Heilswerk Christi im NT die Präpositionen »rp´q« und »peq¸« ausgetauscht werden können. H. Conzelmann, Zur Analyse der Bekenntnisformel, 5. J. S. Kloppenborg meint dazu: »And while it is true that the general tendency was to replace hyper with peri, the former was still very common in early Christian cultic and kerygmatic language, especially in pre-Pauline formulae«. J. Kloppenborg, An Analysis of the Pre-Pauline, 354. Vgl. F. Blass/ A. Debrunner/ F. Rehkopf, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, 231. Ferner argumentiert B. Klappert, dass 15,3 keine Anspielung auf Jesaja in der LXX, sondern Wiedergabe des »5,!« im Jes 53 – Targum (antyw[b) ist. Die Präposition »rp´q« in 1 Kor 15,3 sei die Wiedergabe des Jes 53 – Targums. Daher sei die Konzentration Conzelmanns auf den griechischen Text von Jes 53 nicht stringent. B. Klappert behauptet: »1 Kor 15,3 geht also mit hoher Wahrscheinlichkeit auf einen semitischen Urtext zurück.« B. Klappert, Zur Frage des semitischen oder griechischen Urtextes, 173. 59 In der Regel schreibt Paulus »jah½r c´cqaptai«. Vgl. Röm 1,17 u. ä. Er verwendet öfter »cqav¶«. Vgl, G. Schrenk, ThWNT I, 753. 60 U. Wirkens, Auferstehung, 22. 61 Vgl. H. Grass, Ostergeschehen und Osterbericht, 143 ff. Fortsetzung der Diskussion durch F. Hahn, Hoheitstitel, 203 f; H. Conzelmann, Zur Analyse der Bekenntnisformel, 7 Anm.43; K. Lehmann, Auferweckt, 78. 62 Das diesbezügliche konkrete Argument liefert K. Lehmann, Auferweckt, 78 – 86. 63 Vgl. U. Schnelle, Paulus, 483; J. Kremer, Das älteste Zeugnis, 38 f. Dagegen R. Bultmann,

40

Wir sind schuld, dass Jesus starb

Die Wendung »er wurde auferweckt« (1c¶ceqtai) erscheint im Perfekt und ist passivisch, während Paulus selbst sonst in Auferstehungsaussagen oft den Aorist vorzieht.64 Im Gegensatz zu den beiden Wendungen »!p´hamem« und »1t²vg«, die mithilfe der Aoristformen als ein abgeschlossenes und vergangenes Geschehen dargestellt werden, wird mit der Wendung »1c¶ceqtai« im Perfekt und passivisch die fortdauernde Wirkung des Geschehenen hervorgehoben. Nach Udo Schnelle zieht die Auferstehung der Gekreuzigten eine fortdauernde und bleibende Wirkung nach sich.65 Die zeitliche Bezeichnung »am dritten Tag« weist nicht nur (wenn überhaupt) auf eine historische Zeitbestimmung hin, vielmehr hebt sie eine theologische Bedeutung hervor. Auch das Markusevangelium verwendet sie in der Ostergeschichte (Mk 16,2). Die Deutung des dritten Tages basiert auf Hos 6,2 und Jona 2,1. Auf diese Texte weist die wiederholte Wendung »nach der Schrift«. 2.1.2.3 Vers 5 Bei Paulus ist das Verb »¥vhg« singulär. Dieses Wort hat eine Doppelbedeutung: »Er wurde gesehen« und »Er erschien«.66 Das Theologische Wörterbuch zum Neuen Testament erklärt folgendes:67 Parallelen zur Erscheinung der Auferstandenen zur Sprache bringenden Wendung »¥vhg« finden sich im NT in Lk 24, 34; Ag 13,31; 26,16 und in Bezug auf Angelophanien in Lk 1,11. Die Wendung »¥vhg« deutet daher Offenbarungsgegenwart an. Nicht das Sehen als Wahrnehmung steht mit dem »¥vhg« im Vordergrund, sondern die Erscheinungen eines Offenbarungsgeschehens.68 Die Eigenart des Deponens gewinnt theolo-

64 65 66

67 68

Theologie 48: »Legende sind die Geschichten vom leeren Grabe, von denen Paulus noch nichts weiß.« Vgl. Röm 4,24 f, 6,4.9; 7,4; 8,11.34; 10,9; 1 Kor 6,14; 2 Kor 4,14; 5,15; Gal 1,1. Aber die PerfektPassiv-Form »1c¶ceqtai« gibt es in 1 Kor 15,12 – 14.16 f.20. U. Schnelle, Paulus, 238. Für das »¥vhg« mit Dativ fasst M. Reichardt drei Verständnismöglichkeiten zusammen. 1) Ein rein passives Verständnis muss aufgrund der hierfür erforderlichen Konstruktion mit rpº ausgeschlossen werden. 2) Für ein Verständnis als passivum divinum kann auf das dem ¥vhg V. 5 parallele 1c¶ceqtai V. 4b verwiesen werden. 3) Da der in V. 3c genannte Wqistºr auch für V. 5 als handelndes Subjekt vorauszusetzen ist, liegt jedoch in erster Linie ein mediales Verständnis der Passivform nahe, wie es auch für die in der Septuaginta berichteten Gotteserscheinungen vorauszusetzen ist. M. Reichardt, Psychologische Erklärung, 170. Ein Überblick des Vorkommens von »¥vhg« mit Dativ im AT (in der LXX) bei H-W. Bartsch, Inhalt und Funktion des urchristlichen Osterglaubens, 180 – 196, v. a. 184 – 192. Vgl., W. Michaels, ThWNT, V, 359. Ebd. Bei »¥vhg« soll »als terminus technicus zur Beziehung der Erscheinungen des Auferstandenen nicht in erster Linie das Sehen als sinnliche oder geistige Wahrnehmung betont sein. Der übergreifende Gedanke ist der, daß die Erscheinungen Offenbarungsgeschehen sind, Begegnungen mit dem sich offenbarenden Auferstandenen.« Vgl. J. Kremer, Das älteste Zeugnis, 86: »Der in der Septuaginta häufig im Zusammenhang mit Theophanien und Angelophanien gebräuchliche Begriff ›erscheinen‹ (¥vhg), mit dem Paulus auch die Of-

Analyse von 1 Kor 15,3 – 8

41

gische Relevanz. Bei »¥vhg« mit Dativ liegt das Gewicht darauf, dass »der, der das Subjekt bildet, handelt, nämlich ›erscheint‹, ›sich zeigt‹, während auf dem gleichzeitigen oder dadurch hervorgerufenen Handeln der im Dativ beigefügten Person, daß sie nämlich »sieht«, »wahrnimmt«, kein besonderer Ton liegt.«69 Die Erscheinung des Auferstandenen in 1 Kor 15,3 wird nicht nur als visuelle und sichtbare Wahrnehmung geschildert, sondern auch als Offenbarungsgeschehen.70 Vers 5 nennt eine Erscheinung vor Petrus, der jedoch mit seinem aramäischen Namen Kepha (Jgvø) genannt wird.71 Wie Petrus Erfahrung mit der Auferstehung Jesu aussah, lässt sich unmöglich erweisen. Höchstwahrscheinlich hatte Petrus das erste Erscheinungserlebnis in Galiläa (Vgl., Mk 16, 7.Joh 21,1ff). Obgleich in der Erzählung in Mk 16,1ff eine Art Erwähnung der Frauen zu finden ist, erwähnt die Ostererscheinung in 1 Kor 15, 3 – 5 jedoch nur Männer. Daran ist zu erkennen, dass es in den urchristlichen Gemeinden verschiedene Erscheinungstraditionen gegeben hat.72 Die Wendung »die Zwölf (d¾deja)« benutzt Paulus nur hier und keineswegs wird sie von ihm hinzugefügt sein. In der Regel gebraucht Paulus »die Apostel« (vgl. Gal. 1,19; 2 Kor 11,5; 12,11). 2.1.2.4 Vers 6 Zwischen der Erwähnung der Erscheinung vor Petrus (Vers 5) und Jakobus (Vers 7) wird in Vers 6 von der Erscheinung vor den 500 berichtet. Wie oben

69 70

71 72

fenbarung auf dem Wege nach Damaskus beschreibt, bezeichnet im Zusammenhang des Textes nicht bloß eine ›Vision‹«. Anderseits gilt aber auch: »Verschiedene Indizien in den Septuagintaberichten von einem Erscheinen Gottes, des Herrn des Engels bzw. seiner Herrlichkeit machen die Leugnung eines visuellen Elementes für das ¥vhg unmöglich.« W. Michaels, ThWNT, V, 359. M. Reichchardt, Psychologische Erklärung, 173 Vgl. F. Hahn, Hoheitstitel, 207: »Unbeschadet des gelegentlichen Vorkommens auch noch einiger anderer Vokabeln zur Beschreibung der Auferstehungserscheinungen wird man daher aufgrund des vorherrschenden Gebrauchs von ¥vhg das Handeln des sich Offenbarenden, das reale Sichtbarwerden, aber auch die Wahrnehmungsmöglichkeit herausstellen dürfen.« Der aramäische Name Kepha ist bekannt in der Gemeinde in Korinth. Vgl. 1,12; 3,22, 9,5. In anderen Briefen des Paulus wird er ebenso gefunden. Vgl. Gal 1,18; 2,9.11.14. Die Frage, warum 1 Kor 15,3ff keine Frauen erwähnt, arbeitet M. Hengel heraus: »Diese vorpaulinische Tradition ist schon längst aus der juridisch-apologetischen Tendenz erklärt worden: Frau war im Judentum nicht zeugenfähig«. M. Hengel, Maria, 246. Außerdem vertritt er bezüglich des leeren Grabs: Der Bericht des leeren Grabes der Frauen in Mk 16,8 hatte keine zwingende Beweisfunktion. Daher konnte Paulus auf den Hinweis des leeren Grabes verzichten. M. Hengel/ A. M. Schwemer, Jesus und das Judentum, 644. Mir scheinen jedoch Frauen im Urchristentum durchaus zeugenfähig gewesen zu sein (vgl. Joh 20,1ff). Es lagen früher zwei Auferstehungszeugnisse vor: Das der Jünger und das der Frauen. Das Auferstehungzeugnis, das Paulus empfing, entsprach einem dieser beiden Zeugnisse. Vgl. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, Teil 4, 417.

42

Wir sind schuld, dass Jesus starb

dargelegt, folgt auf Vers 6a ein Hauptsatz, Vers 6b löst den sprachlichen und inhaltlichen Zusammenhang von Vers 6a und 7 auf. Vers 6b ist zweifellos paulinische Ergänzung.73 Welche Bedeutung hat die Nennung der 500 als Zeugen der Auferstehung? Satake Akira stellt die Erscheinung vor mehr als 500 als historische Tatsache dar, er nennt als den Ort der Erscheinung entweder Jerusalem oder Galiläa.74 Aber die Aussage »von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen« deutet auf die Auferstehungspolemik in 1 Kor 15, 11ff hin. So ist leicht vorstellbar, dass Vers 6b zur paulinischen Redaktion gehört.

2.1.2.5 Vers 7 Ob Vers 7 von Anfang an zur Tradition gehört hat, ist umstritten. Vers 7 stimmt in der Form mit Vers 5 überein. Die Erwähnung der Erscheinung vor Jakobus ist ohne Parallele.75 Die Frage, was die Erscheinung vor »allen Aposteln« bedeutet, kann ebenfalls nicht beantwortet werden. Im Hinblick auf den Parallelismus »¥vhg Jgvø eWta to?r d¾deja« und »¥vhg Yaj¾b\ eWta to?r !postºkoir p÷sim« kann angenommen werden, dass hier eine Konkurrenzüberlieferung erscheint. Nach manchen Exegesen ist »d¾deja« identisch mit »!postºkoir p÷sim«, Vers 5 und 7 sind dann rivalisierende Formeln, die aus der Konkurrenz zwischen Petrus und Jakobus stammen.76 Es muss ins Auge gefasst werden, »daß beide Gremien, der Zwölferkreis und die Apostelgruppe, nicht identisch sind, daß sie höchstwahrscheinlich im Laufe der ersten Jahre des Urchristentums einander ablösten.«77 Einerseits entstammt der Ausdruck »eWta« (1 Kor 15,5.7.24) der Tradition, »5peita« andererseits (1 Kor 15,6.7.23) ist paulinisch (Vgl. 1 Thes 4,17; Gal 1,18. 21; 2,1; 1 Kor 12,28; 15,6.7.23.46).78 U. Wilckens deutet Vers 7 als eine Art Legitimationsformel. »In der Nennung der Erscheinungen des Auferstandenen, die den namentlich genannten Christen der Anfangszeit widerfahren seien, sagte man die Autorität 73 Dagegen versucht E. Bammel zu entgegnen, dass Vers 6b nicht von Paulus stamme, vielmehr gehörte 6b zur Tradition. E. Bammel, Herkunft und Funktion der Traditionselemente, 402. Anm.5. Doch seine Hinweise sind wenig überzeugend. Dagegen argumentiert B. Spörlein, Die Leugnung der Auferstehung, 43. 74 A. Satake 1 Kor 15,3, 107. 75 Paulus erwähnt den Herrenbruder Jakobus in Gal 1.19; 2,9.12. 76 Dazu meint U. Wilckens: »Die traditionsgeschichtliche Analyse hat hinsichtlich 1. Kor. 15.5 und 7 einen Einblick in die Anfänge der Überlieferung über die Erscheinungen des Auferstandenen eröffnet. Hier wurden die Erscheinungen als Legitimation der Gemeindeführer angeführt. Dem entspricht die Formung der Überlieferung.« U. Wilckens, Der Ursprung der Überlieferung, 174 f. Vgl. J. Kremer, Das älteste Zeugnis, 82 f; A. Lindemann, Korintherbrief, 329. 77 G. Sellin, Der Streit, 239. 78 Vgl. G. Sellin, Der Streit, 241. »eWta« ist bei Paulus sonst nur in 1 Kor 15,24 zu finden.

Analyse von 1 Kor 15,3 – 8

43

aus, die diese durch die Begegnung mit dem Auferstandenen selbst empfangen hätten.«79 War Vers 7 ursprünglich von 3b – 5 abhängig? Meiner Meinung nach existierte Vers 7 als selbstständige Überlieferung unabhängig von 3b – 5, obgleich in Vers 7 das Subjekt fehlte. Voraussichtlich gab es Bruchstücke einer Tradition, die dann ein vorpaulinischer Überlieferungsträger mit den Versen 3b – 5 verband.80 Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass der Name des Jakobus, der nach dem Fortgehen des Gemeindeleiters Petrus die Gemeinde in Jerusalem leitete, zu seiner Legitimation an die Verse 3 – 6a hinzugefügt wurde.81 2.1.2.6 Vers 8 Dass die Erwähnung über die Offenbarung für Paulus in Vers 8 nicht mehr zur Tradition gehört und von Paulus selbst stammt, ist unbestritten. Die Wendung »¥vhg j!lo¸« nimmt das in Vers 5 – 7 vorangegangene »¥vhg« auf. Hier postuliert Paulus seine Legitimität und definiert das Wesen seines Apostolats. 2.1.2.7 Zusammenfassung Was ist in 1 Kor 15, 3 – 7 ursprünglich vorpaulinische Tradition? Aus der bisherigen Untersuchung ist erkennbar : Die Verse 3b – 6a.7 sind traditionell. Vers 7 erscheint als eine sekundäre Ergänzung durch vorpaulinische Traditionsträger zur ursprünglichen Tradition und wurde wahrscheinlich später ergänzt, um die kirchliche Konkurrenz zwischen Petrus und Jakob aufzulösen. Die Verse 6b und 8 entspringen paulinischen Ergänzungen. Zusammenfassend lässt sich somit folgendes sagen: 3b – 6a Ursprüngliche Überlieferung 7 Vorpaulinische Ergänzung 3a. 6b 8 Paulinische Ergänzungen Hier sollte man die Frage stellen, wann und wo diese vorpln. Überlieferung entstanden ist. Sie ist älter als die korinthische Gemeinde, die vermutlich um 49/ 50 gegründet wurde.82 Der Entstehungsort kann in Jerusalem oder Antiochien lokalisiert werden. Einige Forscher leiten sie aus der griechischen Gemeinde, andere aus der Urgemeinde Jerusalems her. Aufgrund semitischer sprachlicher Indizien versuchte J. Jeremias diese Überlieferung auf die Urgemeinde in Jeru79 80 81 82

U. Wilckens, Auferstehung, 26. Vgl. C. Wolff, Korinther, 356. C. Wolff führt diese Verbindung aber auf Paulus zurück. Vgl. A. Satake 1 Kor 15,3, 105. Vgl. U. Schnelle, Einleitung in das Neue Testament, 76; ders, Paulus, 202.

44

Wir sind schuld, dass Jesus starb

salem zurückzuführen. Nach ihm stammte die von Paulus überlieferte Tradition 1 Kor 15,3 – 7 aus der Gemeinde, in der man Aramäisch sprach, und war die Übersetzung eines semitischen Urtextes.83 Diese griechische Formulierung ist vermutlich im syrischen Raum, bzw. in Antiochien entstanden. Meines Erachtens ist aber die Urgestalt in Jerusalem zeitlich relativ früh entstanden,84 genauer gesagt kann sie m. E. auf die Jünger Jesu zurückgeführt werden.85 Die ursprüngliche Tradition scheint jedoch auf eine sehr frühe Zeit zurückzuweisen und dürfte einem Zeitraum zwischen Mitte der 30er Jahre und Anfang der 40er Jahre entstammen.86 Um die Entstehungszeit näher zu begründen, werde ich im nächsten Schritt versuchen, die Überlieferungsgeschichte von 1 Kor15,3ff zu klären. 83 J. Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, 96 ff. Ebenso H. Grass, Ostergeschehen und Osterbericht, 95; F. Hahn, Hoheitstitel, 199 f; H. F. von Campenhausen, Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab, 8 f; B. Klappert, Zur Frage des semitischen oder griechischen Urtextes, 168 – 173; R. Deichgräber, Gotteshymnus, 108; A. Satake, 1 Kor 15,3, 106 f. Als Grund weist A. Satake aber nicht auf semitische sprachliche Indizien, sondern auf Namenslisten hin. »Die Namen, die auf der Liste stehen, sind nun, soweit sie identifizierbar sind, alle mit der Jerusalemer Gemeinde eng verbunden.« Demgegenüber stellt H. Conzelmann in seiner These zur Debatte, dass die ursprüngliche Sprache der Formel von 1 Kor 15,3ff die griechische ist und dass der Entstehungsort Antiochien ist. H. Conzelmann, Zur Analyse der Bekenntnisformel, 1 – 11. 84 Vgl. K. Lehmann, Auferweckt, 112. Das Urteil von E. Lohse hinsichtlich dieser Kontroverse um die Urgestalt des Textes lautet so: »Ob ihre Formulierung ursprünglich in hebräischer bzw. aramäischer Sprache abgefaßt war oder aber die Paradosis von Anfang an griechisch konzipiert war, ist schwerlich mit letzter Sicherheit zu entscheiden. Die zahlreichen Semitismen, die sich in diesen Sätzen finden, könnten auch auf Einfluß des Septuaginta-Griechisch zurückgeführt werden, wenngleich diese Annahme keineswegs zwingend ist und ein hoher Grad von Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß die Paradosis ursprünglich in semitischer Sprachgestalt abgefaßt worden ist.« E. Lohse, Die alttestamentlichen Bezüge, 105. 85 Es ist schwer vorstellbar, dass Paulus sie von der Urgemeinde in Jerusalem direkt empfangen hat, eher ist es denkbar, dass Paulus sie in den dreißiger Jahren n. Chr. in einer hellenistischen Gemeinde entweder in Damaskus oder im syrischen Antiochia empfangen hat. Vgl. M. Dibelius, Formgeschichte, 18; F. Lang, Korinther, 209; C. Wolff, Korinther, 360; D. Häusser, Christusbekenntnis, 153. Nach D. Häusser soll damit nicht ausgeschlossen werden, dass die Tradition aus Jerusalem stammt, wenn Paulus die Tradition erst in Antiochien kennen gelernt hätte, »zumal die Gemeinde in Antiochien von Jerusalemer Christen gegründet wurde und eine intensive Verbindung zwischen Jerusalem und Antiochien bestand.« Dagegen meint A. Satake: Die Augenzeugenliste entstammt der Jerusalemer Gemeinde und wurde ebenso dort gepflegt. »Aber dann ist die Möglichkeit groß, dass sie Paulus bei einem seiner Besuche in Jerusalem überliefert wurde.« A. Satake 1 Kor 15,3, 107. J. Kremer fasst zusammen: »Also hat Paulus von der Gemeinde in Damaskus, zumindest aber wenig später bei seinem Besuch in Jerusalem (Gal 1,19) oder in Antiochien vor dem Antritt der Missionsreisen (Vgl. Apg 11,26) das hier den Korinthern in Erinnerung gerufene Evangelium übernommen – ob in aramäischer Sprache oder bereits in einer griechischen Übersetzung, sei dahingestellt.« J. Kremer, Das älteste Zeugnis, 30. 86 Nach P. Stuhlmacher die Überlieferung der Zeit zwischen 30 und 35 n. Chr. P. Stuhlmacher, Das Bekenntnis zur Auferweckung Jesu, 377. Vgl. K. Lehmann, Auferweckt, 153; M – L. Gubler, Die frühesten Deutungen des Todes Jesu, 219; G. Barth, Der Tod Jesu Christi, 43.

Überlieferungsgeschichte von 1 Kor 15,3ff

2.2

45

Überlieferungsgeschichte von 1 Kor 15,3ff

In 1 Kor 15,3ff sind vorpaulinische Traditionen enthalten. Sie beinhalten Aussagen über die Auferstehung sowie über den Tod Jesu, die andernorts unabhängig voneinander getätigt wurden.87 Denkbar ist, dass die beiden Aussagen ursprünglich nicht nebeneinander existierten.88 Da die Tradition der ersten Erscheinung vor Kephas eine Entsprechung in Lk 24,34 (und Mk 16,7) hat, konnte sie als selbstständige Tradition überliefert werden. Die Überlieferung in 1 Kor 15,3ff ist nicht ein einheitliches Element, sie ist eine sekundäre Komposition von verschiedenen selbstständigen Formeln. Diese zuerst von E. Bammel vertretene Hypothese scheint mir in der Forschung bisher zu wenig berücksichtigt.89 Ausgangpunkt ist für ihn folgende Feststellung: In 1 Kor 15,3 – 7 können drei Traditionsformeln verschiedener Art und Weise betrachtet werden, die sekundär zusammengefasst wurden. 1) Vers 3 bis Vers 5, bis ja· fti ¥vhg. 2) Vers 5 6a ; von Jgvø bis zu den Fünfhundert: Drei Erscheinungen vor Kephas, den Zwölfen und den Fünfhundert. 3) Vers 7: die Erscheinungen vor Jakobus und den Aposteln. Für E. Bammel ist die 1. Formel eine selbständige christologische Formel. Die Formeln 2 und 3 sind zwei Listen von Zeugen der Auferstehungserscheinung.90 Für Ulrich Wilckens wurde 1 Kor 15,3 – 7 ebenfalls sekundär aus verschiedenen Traditionen zusammengefügt.91 Seiner Meinung nach zeigt der wiederholte Anschluss mit ja· fti verschiedene ursprünglich selbstständige Formeln, die im Nachhinein zusammengefügt wurden. Der wiederholte Anschluss mit fti gehört zum Stil des Glaubensbekenntnisses, z. B. in 1 Thess 4,13 ff.92 Hier liegen drei ftiSätze (4,14, 15 und 16) zur Einführung von selbstständigen Traditionen vor. Nach U. Wilckens kann man diese drei Sätze folgendermaßen einteilen:93 1) Eine überlieferte Glaubensformel (4,14), 2) Ein Herrenwort (4,15), 3) Eine Erläuterung dieses Herrenwortes durch christlich-apokalyptische Motive (4,16). 87 Die Erwähnung des Todes Jesu: Röm 4,25; 5,8; 1 Thess 5,10. Die Erwähnung der Auferstehung: Röm 4,24; 10,9; 1 Thess 1,10. 88 Vgl. G. Lüdemann, Die Auferstehung Jesu, 48. 89 E. Bammel, Herkunft und Funktion der Traditionselemente, 402 – 408. 90 A.a.O., 408. 91 U. Wilckens, Die Missionsreden der Apostelgeschichte, 76 Anm.1; ders., Der Ursprung der Überlieferung, 174 f. Vgl. R. Deichgräber, Gotteshymnus, 111; W. Kramer, Christos, 15. 92 Das erwähnt E. Norden, Agnostos Theos, 271 Anm. 1. Anzumerken ist: »!m´stg« (Aor. Akk.) ist bei Paulus singulär. Daher scheint 1 Thess 4,14 ff. eine vorpaulinische Tradition zu sein. 93 U. Wilckens, Die Missionsreden der Apostelgeschichte, 76 Anm.1.

46

Wir sind schuld, dass Jesus starb

Entsprechend behauptet Ferdinand Hahn, es bestehe die Möglichkeit, »das fti als stilgemäß anzusehen und seine regelmäßige Wiederholung in den einzelnen Zeilen des Bekenntnisses von 1 Kor 15, 3b – 5 als nachdrückliche Betonung der verschiedenen Aussagen zu beurteilen.«94 Er schließt sich der Beobachtung von U. Wilckens an.95 Der vorpaulinische Traditionsträger stellt diese Formeln aus verschiedenen Bekenntnisüberlieferungen zu einer syntaktischen Verbindung zusammen. Es ist also festzuhalten, dass die Formel in 1 Kor 15,3ff nicht am Anfang der Traditionsbildung steht, sondern dass sie aus ursprünglich selbstständigen Formeln zusammengefügt wurde. Diese Hypothese muss näher präzisiert werden. Als weiteres Indiz soll folgendes untersucht werden: Die Auferstehungsaussagen mit 1ce¸qy kommen häufig im NT vor – in aktivischer Form,96 auch als Partizipialwendung97 und in passivischer Aussage über Jesus als den von Gott Auferweckten wie in 1 Kor 15,4.98 Demzufolge schlagen manche Exegeten folgendes vor: Die Auferstehungsaussagen, die Gott zum Subjekt haben (Röm 4,24; 8,11; 10,9; 1 Kor 6,14; 15,15; 2 Kor 4,14 u. ö.), seien im Wesentlichen älter als die Auferstehungsaussagen, die Jesus als Subjekt nennen (Röm 14,9; 1 Thess 4,14).99 In Röm 10,9 wird die Auferstehungsformel, die Gott zum Subjekt hat, als Indikativ Aorist formuliert: »Gott hat ihn (Jesus) von den Toten auferweckt.« Werner Kramer betont, dass die Formel, die Gott als das Subjekt darstellt, ursprünglicher sei als jene Formel, die Gott als logisches Subjekt eines Passivs verwendet.100 Die Aussage in Röm 10,9 sei also älter als diejenige von 1 Kor 15,4. In Röm 10,9 spielt Paulus auf die urchristliche Taufliturgie an.101 Diese Stelle kann als katechetische Formel in der urchristlichen Gemeinde angesehen werden; Röm 10,9b dürfen ein ursprüngliches Grundbekenntnis sein, die Urformel eines urchristlichen Bekenntnisses. Reinhard Deichgräber schreibt: »Diese Formel kann geradezu als eine Urformel christlicher Verkündigung gelten, sie ist gleichsam das Urkerygma der ersten Zeugen.«102 Dieses Bekenntnis war eine Urformel aller Bekenntnisse, »das sich in allen entwickelteren Bekenntnissen 94 F. Hahn, Hoheitstitel, 209 f. 95 F. Hahn teilt diese Ansicht: Es sei »zu erwägen, ob das Mehrfache nicht ein Anzeichen dafür ist, daß in vorpaulinischer Zeit verschiedene, ursprünglich selbstständige Bekenntnisformeln verschmolzen sind.« A.a.O., 210. 96 Röm 10.9; 1 Kor 6,14; 15,15; Apg 5,30; 10,40; 13,30. 97 Röm 4,24; 8,11; 2 Kor 4,14; Gal, 1.1; Eph 1,20; Kol 2,12; 1 Ptr 1,21. 98 Mt 16,21/ Lk 9,22; Mt 17,23; 20,19; 27,63; Mk 14,28 par.; 16,6 par.; Mt 28,7 ; Lk 24,34; Joh 2,22; 21,14; Röm 4,25; 6,4.9; 7,4; 8,34 usw. 99 E. Schrage, Das Verständnis des Todes Jesu Christi, 60 Anm 33. 100 W. Kramer, Christos, 16 f. Vgl. G. Theißen/ A. Merz, Jesus, 422: »Die Auferstehungsformel »Gott hat Jesus von den Toten erweckt« gilt als ältester Kern der Auferstehungsüberlieferung. 101 Vgl. U. Wilckens, Der Brief an die Römer., 227. 102 R. Deichgräber, Gotteshymnus, 112.

Überlieferungsgeschichte von 1 Kor 15,3ff

47

fortgepflanzt hat und dessen fundamentale ›Sitze‹ im Leben der Gemeinde der Taufunterricht und das gottesdienstliche Bekennen einschließlich des Taufbekenntnisses sind.«103 Aufgrund bisheriger Beobachtungen komme ich zu dem Ergebnis, dass 1 Kor 15,4b ursprünglich eine selbstständige Tradition war und eine Variation der ursprünglichen Auferstehungsformel von Röm 10,9. Im NT finden sich an einigen Stellen, die den Tod Jesu erwähnen, Analogien zu 1 Kor 15, 3b; Gal 1,4 (»rp³q t_m "laqti_m Bl_m«); Röm 5,8; 14,15; 1 Thess 5,10 (»rp³q Bl_m«).104 Die Frage, welche Bestimmungen in der Wendung »rp´q« traditionsgeschichtlich ursprünglicher sind, ist nicht leicht zu beantworten. Werner Kramer liefert folgende Möglichkeit: »gUp³q Bl_m ist gegenüber rp³q t_m "laqti_m Bl_m relativ ursprünglicher, stellt die zweite Wendung doch eine weitergehende Interpretation jenes Wortlautes dar.«105 Die Wendung »rp³q t_m "laqti_m« stellt entweder auf die Stellvertretung oder das Sühneopfer ab. Was mit dem Tod Jesu als Stellvertretung gemeint ist, zeigt sich in der sekundären Interpretation des Sterbens Jesu.106 Hinsichtlich der »rp´q« – Wendung legt Peter Lampe eine ausführliche Untersuchung vor, nach der »rp´q« drei Übersetzungsmöglichkeiten bietet: Die Wendung »rp´q« kann einerseits »Stellvertretung« aussagen, und ist dann mit »on behalf of« oder »in place of« zu übersetzen.107 Die zweite Übersetzungsmöglichkeit heißt »in the interest of«, »in favor of«, »for the benefit of«, »for the protection of« (»zugunsten« usw.), und die dritte Möglichkeit »because of« (»wegen«). In Bezug auf 1 Kor 15,3 ergibt sich für P. Lampe: »Besides the rp³q … (a person) !p´hamem formulations, Paul picks up the pre-Pauline formula !p´hamem rp³q t_m "laqti_m in I Cor 15:3. Similarly, he writes dºmtor 2aut¹m rp³q t_m "laqti_m in Gal 1:4. Does this imply a cultic, sacrificial idea? There is no evidence for this. A simple »because of« suffices: He died because of (»rp´q«) our sins.«108 P. Lampe gibt ein Beispiel dafür, dass die Präposition »rp´q« in Ps 103 W. Schmithals, Der Römerbrief, 377. 104 Einen Überblick über die Verwendung der Präposition »rp´q« gibt G. Barth, Der Tod Jesu Christi, 41. 105 W. Kramer, Christos, 22. 106 Eine Analyse von K. Lehmann ergibt jedoch das Gegenteil. Er sieht die Entwicklung ausgehend von den Heilshindernissen. Die Wendung »rp³q t_m "laqti_m Bl_m« wird in einem kausalen Sinn verstanden, die Wendung »rp³q Bl_m« dagegen final. K. Lehmann, Auferweckt, 128 Anm. 331. Einen Überblick über den Forschungsstand hinsichtlich der umstrittenen Präposition gibt C. Breytenbach, ›Christus starb für uns‹, 449 – 454. 107 P. Lampe, Human Sacrifice and Pauline Christology, 199 – 203. 108 A.a.O., 202. Ähnlich legt J. Gnilka die Verwendungen des Verbs !p´hamem mit der Präposition rp´q ohne Bezug auf den Opferbegriff aus: »In der mehrdeutigen Präposition klingen zwei Nuancen an, nämlich sowohl die Ursache (wird sind die Ursache seines Sterben) als auch die Stellvertretung (an Stelle von uns) und Zueignung (uns zugunsten).« J. Gnilka, Paulus von Tarusus, 23.

48

Wir sind schuld, dass Jesus starb

37,19 (LXX) kausale Bedeutung hat: Ich sorge mich wegen meiner Sünde (leqilm¶sy rp³q t/r "laqt¸ar lou).109 Sein Fazit zeigt, dass durch die dritte Bedeutung der kausale Sinn festgehalten wird. Welche der drei Bestimmungen ist älter? Gewiss leuchtet es ein, dass die Formel »rp³q t_m "laqti_m Bl_m« im Rahmen einer vorpaulinischen Formel steht. Ob Paulus die Wendung »rp³q Bl_m« schon vorher einmal gehört hat, und ob sie älter ist als die Formel »rp³q t_m "laqti_m Bl_m«, muss man auf sich beruhen lassen. Mir scheinen die beiden Wendungen gleichermaßen ursprünglich. Sie werden von Paulus als Lehrmeinung aus der vorpaulinischen Urgemeinde übernommen.110 Nach W. Kramer lag der Tradition von 1 Kor 15, 3b – 4 eine Kombination von Röm 5,8 und 10,9 zugrund.111 Dabei ist möglich, dass in der ursprünglichen Tradition entweder »rp³q Bl_m« oder »rp³q t_m "laqti_m Bl_m« vorgelegen haben könnte. Kurz gesagt: Die vorpln. Tradition wäre eine sekundäre Kombination der beiden verschiedenen selbstständigen Formeln von der Auferstehung und vom Tode Jesu.112 Die Kombination lautete: Wqist¹r (bzw. YgsoOr) rp³q Bl_m ( bzw. »rp³q t_m "laqti_m Bl_m«) !p´hamem (ja·) b he¹r aqt¹m Eceiqem 1j mejq_m. Christus (bzw. Jesus) ist wegen (oder für) uns (bzw. wegen unserer Schulden) gestorben. (Und) Gott hat ihn von den Toten auferweckt.

Die bisherige Diskussion zeigt folgendes Ergebnis: 1 Kor 15,3ff setzt sich aus ursprünglich zwei selbstständigen Traditionen zusammen, die von vorpaulinischen Traditionsträgern miteinander kombiniert wurden. Diese Kombination möchte ich hier »vorpln. Glaubensbekenntnis« nennen. Wann, wo und durch wen dieses Glaubensbekenntnis verfasst wurde, kann man nicht genau sagen. 109 P. Lampe, Human Sacrifice and Pauline Christology, 202. Der hebräische Text lautet in Ps 38,19 »yt(iaJ'x;m(e ga;Od.a,«. Die hebräische Präposition !mi hat hier kausale Bedeutung. Vgl, D. J. A. Clines (Hg.), The Dictionary of Classical Hebrew V, 342. Auch B. Janowsiki sieht eine !mikausal-Formulierung in Jes 53,5a. B. Janowski, Er trug unsere Sünden, 39. 110 Vgl., G. Friedrich, Die Verkündigung des Todes Jesu, 22. Ebenso gibt es in Röm 4,25 und Gal 1,4 die Formel des Sterbens Jesu »wegen unserer Übertretungen«: »dr paqedºhg di± t± paqapt¾lata Bl_m« und »toO dºmtor 2aut¹m rp³q t_m "laqti_m Bl_m«. Zweifellos hat Paulus beide Formeln aus der Tradition übernommen. Vgl. A.a.O., 23. 111 W. Kramer, Christos, 28. Vgl. W. Schneemelcher, Das Urchristentum, 119. 112 In diesem ursprünglichen Auferstehungszeugnis gäbe es keinen Christus-Titel, sondern lediglich den Eigennamen Jesus. Der Christus-Titel entstammte dann sekundär der theologischen Interpretation. Vgl. R. Deichgräber, Gotteshymnus, 111 Anm. 5. »Möglicherweise hat der wqist¹r –Titel ein ursprünglicheres YgsoOr ersetzt – aber das kann man nur vermuten.« In 1 Thess 4,14; Röm 8,11; 2 Kor 4,14 und auch in Röm 4,24 ist der Name Jesus innerhalb einer Auferstehungsaussage gebraucht. Nach W. Kramer ist der Name Jesus eine Variation von Christos. W. Kramer, Christos, 35.

Bedeutung der erweiterten vorpaulinischen Tradition

49

Jedenfalls wird man wohl annehmen dürfen, dass es auf eine sehr frühe Zeit zurückdatiert werden kann und wohl der Jerusalemer Gemeinde entstammt. Warum gibt es in der ursprünglichen Formel nicht die Wendung »jat± t±r cqav²r«? Um diese Frage zu klären, ist eine weitere Untersuchung notwendig.

Abbildung 1: Überlieferungsgeschichte von 1 Kor 15,3ff

2.3

Bedeutung der erweiterten vorpaulinischen Tradition

Die zentrale Bedeutung der vorpaulinischen Tradition ist umstritten. Nimmt man Bezug auf Jes 53 an, kann der Hintergrund der Deutung des Todes Jesu die Stellvertretung und das stellvertretende Sühnen sein. Der Tod Jesu überwindet die Sünde. Wie aber kam es dazu, dass Jes 53 auf Jesus appliziert und so die Vorstellung vom stellvertretenden Tod Jesu entstehen konnte? Weitverbreitet ist die Ansicht: Die Wendung vom Sterben Jesu »rp³q t_m "laqti_m Bl_m« oder »rp³q Bl_m« ist ein zentraler Gedanke der urchristlichen

50

Wir sind schuld, dass Jesus starb

Theologie.113 Aus diesem Grund ist das Verständnis dieser Wendung fundamental für die Frage, wie das Urchristentum den Tod Jesu gedeutet hat. Wie bedeutungsvoll diese Wendung ist, zeigt sich daran, dass diese in verschieden Ausprägungen im NT vorliegt.114 An dieser Stelle kann die Frage gestellt werden, ob man in diesen »rp´q Bl_m« Aussagen Hinweise auf den Opfertod Jesu sehen kann. Doch beim Opfer geht es um ein kultisches Geschehen, weshalb diese Stelle in keiner Weise auf einen Opfertod anspielt. Mit Recht brachte schon Gerhard Friedrich zum Ausdruck: »Die »Für uns« -Formeln im Neuen Testament haben mit der kultischen Darbringung eines Opfers nichts zu tun.«115 Klaus Wengst schlägt als These vor : Die Theologie des stellvertretenden Sterbens entwickelte sich nicht im palästinischen, sondern im hellenistischen Christentum. Den Gedanken des Sterbens für andere hat das hellenistische Judentum aus dem Hellenismus übernommen und es mit der alttestamentlichen Anschauung verbunden, dass der vor Gott schuldige Mensch für seine Sünden sühnen muss.116 Diese Verbindung kann z. B. in den Märtyrerberichten des Makkabäerbuches gefunden werden. Die Helden der Makkbäerzeit sterben »zugunsten (rp´q) des Bunds« (1 Makk 2,50) und »zugunsten (rp³q) der väterlichen Gesetze« (2 Makk 7,37). Mit diesen Darstellungen verbindet sich im jüdischen Gedankengut deutlich der Sühnegedanke. Weil der Tod der Heilen oder Gerechten zur Sühne für das ganze jüdische Volk dient, betont K. Wengst, dass »die Entstehung der Deutung des Todes Jesu als Sühnetod in dem Christentum anzunehmen ist, das aus dem hellenistischen Judentum hervorging, also dem hellenistischen Judenchristentum.«117 Immer mehr setzt sich die Annahme durch, dass diese Vorstellung ihren Ursprung im vorchristlichen hellenistischen Judentum hat und dort mit alttestamentlichen Vorstellungen (Jes 53) verbunden wurde. Also kann hinsichtlich des Verständnisses von dem Tod Jesu als stellvertretender Sühne auf Jes 53 zurückverwiesen werden. Jes 53 ist der einzige alttestamentliche Text, der von einem Tod für die Sünden der Menschen spricht. Eine inhaltliche Beziehung zu Jes 53 wird von den meisten Exegeten im Anschluss an J. Jeremias für 1 Kor 15,3ff

113 An andere Stelle im NT begegnet man im Zusammenhang mit dem Tod Jesu einen d¸a mit Akkusativ (Röm 3,25; 4,25; 1 Kor 8,11) und einem peq¸ mit Genitiv (1 Petr, 3,18). 114 Z. B. in den Abendmahlstexten: »toOtº 1stim t¹ aXl² lou t/r diah¶jgr t¹ 1jwummºlemom rp³q pokk_m (Mk 14, 24)« und »toOtº lo¼ 1stim t¹ s_la t¹ rp³q rl_m (1 Kor 11,24)«. Und im Liedgut: b do»r 2aut¹m !mt¸kutqom rp³q p²mtym (1 Tim 2,6); Wqist¹r 5pahem rp³q rl_m (1 Petr 2,21). 115 G. Friedrich, Die Verkündigung des Todes Jesu, 75. 116 K. Wengst, Formeln, 70. Vgl. G. Friedrich, Die Verkündigung des Todes Jesu, 37. 117 K. Wengst, Formeln, 70.

Bedeutung des ursprünglichen Glaubensbekenntnisses

51

angenommen.118 Daher leuchtet es ein, dass die Wendung »jat± t±r cqav±r« auf Jes 53 hindeutet. Die vorliegende Diskussion zeigt folgendes Ergebnis: Die vorpaulinischen Traditionsträger haben den Tod als Stellvertretung interpretiert.119

2.4

Bedeutung des ursprünglichen Glaubensbekenntnisses

Die Jünger haben die Hinrichtung Jesu am Kreuz als Katastrophe erlebt. Nachdem Jesus am Kreuz gestorben war, interpretierten die Jünger die Bedeutung seines Todes mit Hilfe ihrer Trauerarbeit. Sie versuchten, Jesu Tod einen Sinn zu geben. Ich bin der Meinung, dass die Jünger sich ihrer Schuld, des Verrats an Jesus, der Verleugnung durch Petrus sowie der eigenen Flucht, bewusst waren – sie verdeutlichten das in der Aussage: Jesus ist wegen uns (bzw. unserer Verfehlungen) gestorben; sie brachten diese Schuld in der oben untersuchten selbstständigen Tradition zum Ausdruck. Da die Jünger Jesus verraten und verlassen hatten, litten sie unter der Schuld; sie fühlten sich für seinen Tod mitverantwortlich. Die Wendung »rp´q« deutet einen kausalen Sinn an. Das Wort »Schulden« scheint hier auf das konkrete Schuldgefühl der Jünger zu weisen, Jesus ans Kreuz geliefert und im Stich gelassen zu haben sowie geflohen zu sein.120 Hinsichtlich des Schuldbegriffs handelt es sich um einen Verrat an der 118 J. Jeremias, Die Abendmahlswort Jesu, 97. 119 Was die Deutung des Todes Jesu als »Sterben für uns« angeht, behaupten vor allem die katholischen Exegeten, dass Jesus sich stellvertretend opfern wollte. Vgl. L. Oberlinner, Der Weg Jesu zum Leiden, 275 – 318. Dass Jesus seinen Tod bewusst als Opfertod gewollt hat, ist jedoch höchstwahrscheinlich nicht historisch nachvollziehbar. Er verstand seinen Tod laut Jes 53 nicht als Selbsthingabe für die Vielen (Mk 10,45). Die Vorstellung vom stellvertretenden Sühnetod Jesu wurde keineswegs vom historischen Jesus entwickelt, sondern von den Jüngern. Historisch gesehen wurden Propheten immer wieder verfolgt und getötet (vgl. Neh 9,26; Mt 5,12; Lk 13,44). Jesus wurde schon zu Lebzeiten als Prophet wahrgenommen und da sein Meister Johannes der Täufer auch ein solcher Prophet war, der ebenfalls ein gewaltsames Ende gefunden hatte, musste Jesus mit einer Verschärfung des Konflikts mit den politischen Führern bis hin zu seiner Hinrichtung rechnen. (Mk 6,14 – 29). Jesus deutete seinen Tod in Analogie zu einem solchen Prophetengeschick (Mk 12,1 – 12; Lk 13,31 – 33). Es ist deswegen leicht anzunehmen, dass Jesus, das gewaltsame Ende seines Meisters vor Augen, mit seinem tragischen Ende rechnen musste, da er auch selbst immer wieder in schwere Auseinandersetzungen mit den religiösen und politischen Führern geriet. Mit dem Wissen um den Tod Johannes des Täufers, sah Jesus seinen Tod als Möglichkeit kommen. Dennoch tat er nichts, um seinem Schicksal zu entgehen, weil er bis zum Ende hoffte und erwartete, dass das Gottesreich in naher Zukunft kommen würde (Mk 14,25). 120 Schuldgefühle gehören mit zu den schwierigsten Gefühlen, die Menschen erleben können. Sie können folgendermaßen definiert werden: Schuldgefühle sind »Emotionen, die uns veranlassen können, unser Verhalten zu ändern. (…) Schulgefühle treten auf, wenn wir internalisierte und als richtig erkannte Werte verletzen, soziale Verpflichtungen nicht

52

Wir sind schuld, dass Jesus starb

Vertrauensbeziehung zwischen Personen. Aus diesem Grund gehe ich davon aus, dass die Herkunft des Schuldgefühls ursprünglich in der Verletzung des Vertrauens besteht. Die Jünger Jesu müssen ein Schuldgefühl gehabt haben, denn sie verrieten die Vertrauensbeziehung zu Jesus. Sie müssen daran gelitten haben, ihr eigenes Gesicht verloren und es nicht vermocht zu haben, dem gekreuzigten Jesus noch offen ins Gesicht zu sehen; sie waren geflohen. Hier ereignete sich etwas, das sich in keiner Weise mehr wiedergutmachen ließ. Einem solchen Schuldgefühl mussten sie Ausdruck verleihen: »wegen uns (bzw. unserer Schuld).« Oft reagieren Hinterbliebenen im Trauerprozess mit Schuldgefühlen und Selbstbeschuldigungen auf den Tod des geliebten Menschen.121 Sie fühlen sich schuldig am Tod des Geliebten. Meistens liegt das Schuldgefühl in der Befürchtung, nicht alles für den Verstorbenen getan und etwas unterlassen zu haben. In einem traumatischen Trauerprozess spielt hartnäckiges Schuldgefühl bei den Überlebenden eine zentrale Rolle.122 Die empirische Forschung zeigt: Fast 80 Prozent der KlientInnen leiden unter Schuldgefühlen gegenüber verstorbenen Partnern. Vor allem in Situationen, in denen der Tod plötzlich und unerwartet kam und den Hinterbliebenen keine Gelegenheit ließ, tatsächliche oder erdachte Versäumnisse innerhalb der Partnerschaft nachzuholen oder sich mit der sterbenden Person zu verständigen, treten verstärkt Schuldgefühle auf.123 eingehen (etwas jemandem schuldig bleiben), unerlaubte Grenzen übersteigen.« T. Hülshoff, Emotionen, 212. Das Verhältnis von Schuld und Schuldgefühl kann so umrissen werden: Einerseits ist das Schuldgefühl rein subjektiv, anderseits ist die Schuld sowohl objektiv als auch subjektiv. In dieser Arbeit wird nicht ethisches, sondern nur psychologisches Schuldverständnis behandelt; die ethische Betrachtung des Schuldgefühls liegt auf einer anderen Ebene als das psychologische Schuldgefühl. Vgl. W. Lauer, Schuld das komplexe Phänomen, 21 ff. Im Hinblick auf das Alte Testament fasst M. Oeming vier unterschiedliche Anschauungen über das Wesen von Sünden zusammen. 1. Sünde ist wie Materie (wie ein Bazillus oder ein Virus, wie Schmutz oder Unrat), die sich an einen Menschen heftet und ihm seine Lebenskraft raubt. 2. Sünde ist eine personale Macht (der Satan, böse Geister oder Dämonen), die in einen Menschen eindringt und ihn besetzt. 3. Sünde ist eine (Zer)störung der Beziehung zwischen Mensch und Mitmenschen; diese Störung muss nicht gewollt sein, sie kann sich unbeabsichtigt oder sogar gegen die Absicht der handelnden Personen einstellen. 4. Sünde ist schließlich eine (Zer)störung der Beziehung zwischen Mensch und Gott, sie beleidigt und kränkt Gott und erregt seine Eifersucht bzw. seinen Zorn. M. Oeming zufolge gehört also zu dem Begriff der Sünde auch die Zerstörung der zwischen menschlichen Beziehung, die als Schuld bezeichnet werden kann. M. Oeming, »Fürwahr, er trug unsere Schuld«, 2. 121 Vgl. E. Kübler-Ross, Interviews mit Sterbenden, 138. »Schuldbewußtsein ist wohl der quälendste Begleiter des Todes.« 122 Vgl. H. J. Znoj/ A. Marrcker, Trauerarbeit, 402; V. Kast, Trauern, 108 ff. 123 R. Jerneizig/ A. Langemayr/ U. Schubert, Leitfaden zur Trauertherapie und Trauerberatung, 22. Vgl., C. M. Parkes, Bereavement, 136: »Ideas of guilt or self-blame in relation to the deceased were expressed by two-third (fourteen) of the bereaved psychiatric patients. Sometimes this consisted of mild self reproach as when a widow felt that she could have

Bedeutung des ursprünglichen Glaubensbekenntnisses

53

Wenn das Schuldgefühl von Trauernden so stark ist, dass diese es nicht bewältigen können, ist für sie fachkundige Beratung unbedingt notwendig.124 Für den Fall einer hochambivalenten Beziehung schreibt William Worden: »In der Regel resultiert aus einer hochambivalenten Beziehung kolossal viel Schuldgefühl, oft ausgedrückt in der Frage: Habe ich genug getan? und ein starker Zorn wegen des Alleingelassenseins.«125 Wenn man in eine psychologische Situation gerät, die dadurch bestimmt ist, dass etwas »unwiederbringlich verloren« bzw. »nicht mehr wieder gut zu machen« ist, verfällt man häufig in Melancholie.126 In einem solchen Fall kann sich Schuldgefühl einstellen.127

2.4.1 Trauer und traumatisches Schuldgefühl Das Buch »Gestorben ohne gelebt zu haben« von Andrea Morgenstern gibt mehrere Interviews mit Müttern, Vätern und Familien wieder, die ein Kind vor, während oder kurz nach der Geburt verloren haben. Nichts scheint schwerer, als den Tod eines Kindes, vor allem den plötzlichen Tod eines Kindes zu ertragen. Wenn der Tod plötzlich eintritt, so dass die Familienangehörigen in keiner Weise darauf vorbereitet sind, ist für sie eine lange Zeit zur Bewältigung des Schmerzes nötig. Der Verlust eines Kindes gehört zu den schlimmsten Erlebnissen, die Eltern treffen können.128 A. Morgensterns Arbeit beschäftigt sich vornehmlich mit der Schuld und dem Schamgefühl der Hinterbliebenen.129 Der Psychothe-

124 125 126 127

128

129

done more for her dying husband. Other patients were convinced that they were directly responsible for the death.« Vgl. E. Kübler-Ross, Was können wir noch tun? 94. J. W. Worden, Beratung und Therapie in Trauerfällen, 42. Vgl. B. Kimura, Zwischen Mensch und Mensch, 22. Vgl. S. Freud, Trauer und Melancholie, 174. Über dem Zusammenhang des Schuldgefühls und der Melancholie meint S. Freud: »Die Melancholie ist seelisch ausgezeichnet durch eine tief schmerzliche Verstimmung, eine Aufhebung des Interesses für die Außenwelt, durch den Verlust der Liebesfähigkeit, durch die Hemmung jeder Leistung und die Herabsetzung des Selbstgefühls, die sich in Selbstvorwürfen und Selbstbeschimpfung äußert und bis zur wahnhaften Erwartung von Strafe steigert.« Der Tod eines Kindes bedeutet für die Eltern den Verlust der Zukunft. Vgl. M. SpechtTomann/ D. Tropper, Zeit des Abschieds, 207. Obendrein kann der Tod des Kindes zu Problemen in der Partnerschaft führen. H. J. Znoj, Komplizierte Trauer, 29: »Schuldzuschreibungen können zu unerträglichen Spannungen in der Partnerschaft führen. Eltern kämpfen gegen diese Frage an, indem sie Antworten suchen, die sie davon befreien, etwas falsch gemacht zu haben.« A. Morgenstern, Gestorben ohne gelebt zu haben. Trauer zwischen Schuld und Scham, Stuttgart 2005. Ähnliche Untersuchungen bringen K. S. Satermus u. a., »Ich habe mein Kind getötet.« Erfahrungen mit schweren Depressionen bei Müttern nach plötzlichem Kindstod aus psychiatrischer und rechtsmedizinischer Sicht, 53 – 58. Auch M. Beutel u. a., Verarbeitung des plötzlichen Kindstods in Partnerschaft, Familie und Selbsthilfegruppe, 626 –

54

Wir sind schuld, dass Jesus starb

rapeuten Mathias Hirsch listet neben drei anderen (hier nicht relevanten) Kategorien des Schuldgefühls das traumatische Schuldgefühl auf: Schwere Gewaltund Verlusterfahrungen hinterlassen einen Fremdkörper im Selbst, ein Introjekt, das Schuldgefühle verursacht.130 Im Hinblick auf die Situation der Jünger lohnt es sich, das traumatische Schuldgefühl konkret zu betrachten. Das Schuldgefühl wird vom Opfer stellvertretend erlebt. Menschen mit traumatischem Schuldgefühl erleben, dass in ihnen etwas Böses steckt, für das sie sich schuldig fühlen. Das häufigste Beispiel dürften Frauen sein, die sich für den an ihnen verübten sexuellen Missbrauch schuldig fühlen. Die amerikanische Psychiaterin Judith Lewis Herman untersucht in ihrem Buch mit Hilfe von Interviews mit Opfern von sexueller und häuslicher Gewalt. Ihre Untersuchung integriert aber auch die Erfahrungen vieler anderer traumatisierten Patienten, vor allem Kriegsveteranen und Opfern politischen Terrors. Sie bringt zum Ausdruck: Ein Opfer entwickelt ein besonderes schweres Schuldgefühl, wenn es das Leiden oder Sterben anderer hilflos mit ansehen muss und selbst vergleichsweise glimpflich davonkommt. »Zu wissen, daß andere ein schlimmeres Schicksal erdulden mußten, von dem man selbst verschont blieb, belastet das Gewissen stark. Wer Krieg und Katastrophen überlebt hat, den verfolgen die Bilder der Toten, die er nicht retten konnte. Er fühlt sich schuldig, weil er nicht sein Leben für die Rettung anderer riskierte oder weil er die Bitten eines Sterbenden nicht erfüllen konnte.«131 Weiterhin erforscht Beverley Raphael den psychologischen Zustand von Opfern verschiedener Katastrophen. Katastrophen wie Erdbeben, Tsunamis, Zug- und Flugzeugunglücke führen die Opfer und ihre Angehörigen, aber auch die Einsatzkräfte an die Grenzen der psychischen Belastbarkeit. Die Studie Raphaels zeigt, wie die Betreffenden unter traumatischem Schuldgefühl leiden: »What does the experience of surviving the disaster bring with it? Who are the survivors? What are their characteristics? What is the impact? What are the consequences? Initially there is often elation and even ecstasy that one is alive. There are soon more hesitant, sad, and eventually guilty feelings that crowd in. For it seems wrong to feel joy for one’s own life in the face of so much death and loss. If one has lost one’s loved one’s, all of them or all that matter, there is no elation and there may be only the wish for death. The guilt of survival comes from many sources, among them the relief at not having died oneself; the sense that one’s own life may have been purchased at the cost of another’s; guilt for those one did not save; guilt over those who were influenced, 632 zeigt, dass der plötzliche Kindstod für die Eltern ein traumatischer und schmerzhafter Verlust ist. 130 M. Hirsch, Schuld und Schuldgefühl, 15. 131 J. L. Herman, Die Narben der Gewalt, 81.

Bedeutung des ursprünglichen Glaubensbekenntnisses

55

perhaps to their death, by one’s decisions; guilt over being, as one always knew, »undeserving« of having been saved.«132

2.4.2 Trauer und Überlebendenschuld Eine besondere Form des Schuldgefühls, die bei Trauernden Opfern der Konzentrationslager und des Atomangriffs in Hiroshima oft anzutreffen ist, heißt die Überlebendenschuld. Die Überlebenden von Konzentrationslagern und Hiroshima erfuhren einen grausamen Verlust von Familienangehörigen, Bekannten und Freunden. Sie mussten sich mit ihrer eigenen tragischen Vergangenheit beschäftigen und Geduld aufbringen, ihre posttraumatische Belastungsstörung zu bewältigen. Die Überlebenden sind depressiver und grübeln öfter über ihren Schuldgefühlen als normal Trauernde. Sie leiden angesichts des gewaltsamen Todes von Familienangehörigen an massiven Selbstvorwürfen. In solchen Fällen ist es schwierig, das Schuldgefühl zu überwinden.133 Auch Mathias Hirsch listet das Schuldgefühl der Überlebenden bei extremer Gewalterfahrung als ein Beispiel für seine Kategorie des »traumatischen Schuldgefühls« auf. Unter dem »Überlebenden-Syndrom« (Survivor-Syndrom) wird eine Form der posttraumatischen Belastungsstörung verstanden. In der ursprünglichen, engen Wortverwendung handelt es sich dabei um das Syndrom von Überlebenden der Konzentrationslager. Das Überlebendenschuldgefühl kann als Überlebenden-Syndrom angesehen werden, als eine Krankheit, die geprägt ist von Apathie, Depression, Selbstzweifeln und Selbstvorwürfen sowie vielfacher Somatisierung. Es befällt nicht nur die Überlebenden, sondern sogar deren Familien. 2.4.2.1 Überlebendenschuld im Konzentrationslager Der Begriff »Überlebenden-Syndrom« wurde durch den deutsch-amerikanischen Psychiater und Psychoanalytiker William Niederland geprägt.134 W. Niederland stellt die Überlebendenschuld (survivor guilt) zusammen mit der ungelösten und unbewältigten Trauer in den Mittelpunkt. Viele Überlebende werfen sich vor, die Familienangehörigen nicht gerettet zu haben, obgleich es gar 132 B. Raphael, When Disaster Strikes, 87. 133 Vgl., R. J. Lifton, Death in Life, 491: »It is precisely this kind of death guilt, rather than external events in themselves, which survivors of Nazi camps and Hiroshima refer to when they speak of their ›living hell.‹« 134 W. G. Niederland, Folgen der Verfolgung: Das Überlebenden-Syndrom Seelenmord, Frankfurt am Main 1980.

56

Wir sind schuld, dass Jesus starb

keine Möglichkeit gab, sie zu retten, und sie leiden darunter, den Ort nicht zu kennen, an dem sie begraben sind. Die Überlebenden haben das Gefühl, die Toten durch ihr Überleben verraten zu haben. »Warum habe ich das Unheil überlebt, während die anderen – die Eltern, Kinder, Geschwister, Freunde – daran zugrunde gingen? In dieser unbeantwortbaren Frage liegt wahrscheinlich die stärkste psychische Belastung des Überlebenden und zugleich die makabere Ironie, daß weniger die Täter und Vollstrecker der nazistischen Verbrechen als vielmehr deren Opfer an einer Überlebensschuld zu leiden scheinen.«135

Einer der Überlebenden im Konzentrationslager, Primo Levi, stellt in seinen autobiographischen Berichten erschütternd die Zeit in Auschwitz dar. In seinem letzten Buch findet sich das Schuldgefühl der Überlebenden. P. Levi beschreibt das Problem der Bekämpfung von Schuldgefühlen: »Warum habe gerade ich überlebt und nicht mein Freund?« Nach der Befreiung aus dem KZ hat P. Levi den Rest seines Lebens an diesen qualvollen Fragen gelitten. Und vermutlich könnte der Grund seines Freitods von 1995 durch dieses Problem erklärt werden.136 P. Levi beschreibt: »Realistischer ist die Selbstbezichtigung oder Vorwurf, unter dem Aspekt der menschlichen Solidarität gefehlt zu haben. Wenige Überlebende fühlen sich schuldig, einem Leidensgenossen absichtlich Schaden zugefügt, ihm etwas gestohlen oder ihn geschlagen zu haben: Wer es getan hat (wie die Kapos, aber nicht nur sie), verdrängt die Erinnerung daran; anderseits fühlen sich beinahe alle der unterlassenen Hilfeleistung schuldig. Daß neben dir ein schwächerer oder unerfahrenerer oder älterer oder viel zu junger Leidensgenosse steht, der mit seinen Bitten um Hilfe oder ganz einfach durch seine bloße Gegenwart, die schon an und für sich eine Bitte ist, auf die Nerven geht, ist eine Konstante im Lagerleben.«137

Elie Wiesel veröffentlichte auch einen erschütternden, grausamen autobiographischen Bericht über seine Erfahrung im Konzentrationslager. Er hat eine tiefe Scham empfunden. Warum? Weil er wegen eines Fliegeralarms seinen kranken Vater im KZ zurückgelassen hat.

135 A.a.O., 232. Vgl., Y. Danieli, Treating Survivors and Children of Survivors of the Nazi Holocaust, 288 f: »The distortion caused by insufficient understanding of the meaning and functions of the experience of survivor guilt is one of the most poignant instances of how extraordinary human experience challenges and exposes the limits of traditional psychological theories of ordinary life.« 136 P. Levi wurde im höheren Lebensalter von antidepressiven Medikamenten abhängig und beging Suizid. Der Überlebensschuld in seinen Schriften misst A. Stirn große Bedeutung bei: »Er beschreibt sein unablässiges Bemühen, seine Erinnerungen zu handhaben und reflektiert über die Mechanismen der Verdrängung und die Überlebensschuld.« A. Stirn, Überleben und Auseinandersetzung mit dem Holocaust-Trauma, 737. 137 P. Levi, Die Untergegangenen und die Geretteten, 78.

Bedeutung des ursprünglichen Glaubensbekenntnisses

57

»Ich machte mich auf die Suche nach ihm. Aber im selben Augenblick erwachte der Gedanke in mir : ›Wenn ich ihn nicht finde! Wenn ich dieses tote Gewicht loswürde, damit ich mit allen Kräften für mein eigenes Überleben kämpfen könnte und mich nur noch um mich zu kümmern brauchte!‹ Und schon empfand ich Scham, Scham für das Leben, Scham um meinetwillen.«138

Nach dem Tod seines Vaters spricht sich E. Wiesel aus: »Ich weinte nicht, und es tat mir weh, nicht weinen zu können. Aber ich hatte keine Tränen mehr. Hätte ich mein schwaches Gewissen bis ins Tiefste erforscht, vielleicht hätte ich dort etwas wie das Wörtchen, ›endlich frei!‹ entdeckt….«139

Schließlich bringt er zum Ausdruck: »Aus dem Spiegel blickte mich ein Leichnam an. Sein Blick verläßt mich nicht mehr.«140

Ist dieser Leichnam sein Vater oder sind es alle Opfer in den Konzentrationslagern? Die Antwort auf diese Frage ist nicht klar. Die Toten warfen ihm immer einen Blick zu. Ich bin der Ansicht, dass in dieser Wahrnehmung Wiesels dessen Überlebendenschuld zum Ausdruck kommt, da Wiesel sich für den Tod des Vaters schuldig befand.141 2.4.2.2 Überlebendenschuld in Hiroshima Der amerikanische Psychiater Robert Jay Lifton stellte fest: Die Überlebendenschuld haben alle gekannt, die Krieg, Naturkatastrophen, den Holocaust oder den Atomangriff überlebten. Seiner Untersuchung zufolge wird jemand, der miterleben muss, wie ein Familienangehöriger oder Bekannter bei einer Katastrophe ums Leben kommt, mit großer Wahrscheinlichkeit an einem hartnäckigen, dauerhaften traumatischen Schuldgefühl leiden. R. J. Lifton er138 139 140 141

E. Wiesel, Die Nacht, 145. A.a.O., 153. A.a.O., 157. Nicht nur P. Levi und E. Wiesel, auch viele andere Autoren, die Konzentrationslager überlebten, erwähnen zumeist die Überlebensschuld. Vgl. A. Stirn, Überleben und Auseinandersetzung mit dem Holocaust-Trauma, 757. Der jüdische Dichter P. Celan erwähnt sein Schuldgefühl, das darin begründet war, dass er seinerzeit aus dem Konzentrationslager geflüchtet war und dabei seine Eltern zurückgelassen hatte. Er war der Meinung, sie so verraten zu haben. P. Celan berichtet, dass, als seine Eltern vor der Deportation in das Konzentrationslager für kurze Zeit hinter Stacheldraht gefangen waren, er noch einmal zu ihnen habe gelangen können. Er habe seine Hand durch den Stacheldrahtzaun hindurchgestreckt und seines Vaters Hand ergriffen. Als P. Celan merkte, dass ein Wächter ihn beobachtete, biss er kräftig in die Hand seines Vaters. Später erzählt P. Celan: »Und ich ließ Papis Hand los – denk dir, ich ließ die Hand los und lief davon.« Wie P. Levi wird er mehrmals in psychiatrische Kliniken eingewiesen und begeht schließlich Selbstmord. Vgl. J. K. Lyon, Judentum, Antisemitismus, Verfolgungswahn: Celan »Krise« 1960 – 1962, 186.

58

Wir sind schuld, dass Jesus starb

forschte die psychologischen Zustände der Überlebenden des Atomangriffs in Hiroshima. In der Untersuchung über Hiroshima spricht er von der Schuld der Überlebenden, dem anderen das Leben gestohlen zu haben. Der Tote, so bilden sie sich ein, musste an ihrer Stelle sterben. Die Überlebenden von Hiroshima bezeichnen diese Schuldgefühle als »lebende Hölle«. »These feelings greatly affect any death encounter and help us to understand the profound guilt over death-timing which we observed in Hiroshima family members (as in the case of the elderly woman who described feeling ›very deep emotion‹ because her brother, after having searched for her in the bombed area, ›preceded me in death‹); and in relationship to the anonymous dead. The unconscious self-accusation ›I am responsible for his death‹ can easily become ›I killed him.‹ In the concentration camp experience, moreover, such self-accusations were sometimes almost for literally true.«142

Dieses Schuldgefühl ist ein allgemeines Phänomen, das nicht nur einzelne betrifft, sondern alle Überlebenden in Hiroshima. Der ungelösten Trauer liegt die Überlebendenschuld in Hiroshima zugrunde. Menschen, denen ein Familiengehöriger plötzlich und grausam verstirbt, zeigen der Studie zufolge ein ungünstigeres Trauerverhalten. Sie zeigen eine depressivere Stimmung und sind sozial isolierter. Vor allem plagen sich Selbstanklagen und Schuldgefühle. Darüber hinaus ist eine weitere Tatsache bedeutungsvoll: Die Überlebenden in Hiroshima sind durch eine so genannte »guilty community« verbunden. »A striking feature of the Hiroshima environment is the communal reinforcement of guilt – the creation of a ›guilty community‹ in which self-condemnation is ›in the air.‹ Indeed, this shared survivor guilt served as an organizing principle around which the hibakusha (auf jap. Überlebende des Atomangriffs) community originally took shape. In this sense the sharing of death guilt can provide a certain amount of emotional support for individual hibakusha.«143

Die Frage nach der Genese des Schuldgefühls von Überlebenden ist einfach zu beantworten. Nach R. J. Lifton entsteht es durch Identifikation mit dem toten Menschen.144 »In studying the Hiroshima experience, I have been impressed by the relationship of death guilt to the process of identification – to the survivor’s tendency to incorporate within himself an image of the dead, and then to think, feel, and act as he imagines they did or would. He feels impelled, in other words, to place himself in the position of the 142 R. J. Lifton, Death in Life, 490. 143 A.a.O., 494 f. 144 Die Definition der Identifikation lautet: »Das bewusste oder unbewusste Übernehmen von Haltungen und Verhaltensweise anderer Personen in das eigene Ich, sich mit dem anderen gleichsetzen (identisch=gleich), gleichfühlen.« U. Tewes/ K. Wildgrube (Hg.), Lexikon der medizinischen Psychologie, 173.

Bedeutung des ursprünglichen Glaubensbekenntnisses

59

person or persons maximally wronged – or else to castigate himself for falling short of such an identification. The same is true of concentration camp survivors. Recalling Wiesel’s phrase, ›In every stiffened corpse I saw myself,‹ we may say that each survivor simultaneously feels himself to be that ›stiffened corpse‹, condemns himself for not being it, and condemns himself even more for feeling relieved that it is the other person’s and not his own. It is this process of identification which creates guilt over what one has done to, or not done for, the dying while oneself surviving, and which leaves every survivor with his own intrapsychic version of ›a wound in the order of being.‹«145

Die Frage nach der Herkunft des Schuldgefühls hängt eng zusammen mit der Identifikation mit den toten Menschen. Wenn die Überlebenden sich mit dem Opfer identifizieren, leiden sie unter dem Gefühl: Die Opfer sind an unserer Stelle gestorben. »It is precisely this kind of death guilt, rather than external events in themselves, which survivors of Nazi camps and Hiroshima refer to when they speak of their ›living hell‹. And from these extreme experiences we come to realize that no one’s emotions about death and survival are ever experienced entirely as individual matters; that images of dying are bound up with inner questions about who and what will survive, and images of surviving with who (and what) has died in one’s place.«146

2.4.3 Schuldgefühl und Selbsthilfegruppen Wie ist nach alledem die Entstehung der Wendung »wegen uns (bzw. unserer Schuld)« zu erklären? Um es kurz zu sagen: Die Urgemeinde hegte in Gemeinschaft Schuldgefühle. So ist der Hintergrund der selbstständigen Tradition zu bestimmen. Um ihre Trauer zu bewältigen, war es für die Jünger Jesu nötig, ihre Schuld in Gemeinschaft zu äußern. Um den Abbau von Schuldgefühl zu erleichtern, spielt der Zusammenschluss von Menschen, die das gleiche Problem haben und selbst etwas dagegen unternehmen möchten, eine wichtige Rolle. Die Gruppe, in der sich Menschen bei der Lösung eines gemeinsamen Problems gegenseitig helfen, wird als Selbsthilfegruppe angesehen. Angesichts der Studie von Phyllis Rolfe Silverman kann die Selbsthilfegruppe als umfassend erfolgreich bei der Bewältigung eines Trauerfalls beschrieben werden.147 Das Problem

145 A.a.O., 495 f. 146 A.a.O., 491. 147 P. R. Silverman betont in seiner Studie die Bedeutung der Selbsthilfegruppe. Er behauptet, dass die beste Unterstützung für einen Trauernden ein Trauernder leisten kann. »The most effective caregiver that emerges from the study just completed is another widowed person who has recovered. There seems to be a sense of community and common cause between the widowed which results in a type of mutual assistance that apparently enables the

60

Wir sind schuld, dass Jesus starb

der Trauernden kann gelöst werden, wenn durch das Gespräch in der Gruppe das Problem konkret vor Augen steht. J. L. Hermann erkennt, wie bedeutend die Gruppe für den traumatisierten Menschen ist. Diese nimmt einen ganz besonderen Platz ein. »In solchen Gruppen finden die Patienten ein Maß an Unterstützung und Verständnis, wie es in der normalen sozialen Umgebung im Allgemeinen nicht zu erwarten ist. Im Verlaufe der Begegnung mit andern Menschen, die Ähnliches hinter sich haben, lösen sich die Gefühle der Isolation, der Scham und der Stigmatisierung allmählich auf.«148 Die Teilnehmer der Gruppe können Trost finden, wenn sie einfach nur mit anderen Menschen zusammen sind, die in der gleiche Lage sind. Das Gespräch fördert, Gruppenmitglieder einander helfen und das einzelne Mitglied all das Leid ausdrücken kann, das es allein völlig überwältigt hätte.149 Ein relevanter Schritt für die Betroffenen ist die verbale Kommunikation in der Selbsthilfegruppe, die an das präverbale Erleben und das spontane Verhalten anknüpft. Vor allen Dingen liegt auf der Hand, dass man seine Trauer mit anderen Menschen in Gemeinschaft teilen kann. Dazu sagt Herman: »Wieder ein Mensch wie viele andere zu sein bedeutet, daß man sich einer bestimmten Gesellschaft und der Menschheit im allgemeinen wieder zugehörig fühlt und damit auch eine öffentliche Rolle ausfüllt.«150 Aufgrund dieser Beobachtung kann die oben erwähnte »guilt community« in Hiroshima als eine Art Selbsthilfegruppe angesehen werden. Die Überlebenden in Hiroshima können mit den andern betroffen Menschen das Schuldgefühl teilen und dadurch möglicherweise die Schmerzen lindern. Ähnlich behandelt Yael Danieli die Gruppentherapie von Überlebenden des Konzentrationslagers. Er bestätigt, dass für Überlebende die Genesungschancen in einer Gruppentherapie wesentlich höher waren als in einer Einzeltherapie.151 Die Selbsthilfegruppe ist in der Lage, den Betreffenden zu helfen. Vor allem wird durch das Gespräch mit anderen das Schuldgefühl gemildert.152

148 149 150 151 152

bereaved to readjust and move toward recovery.« P. R. Silverman, Services to the Widowed, 44. J. L. Herman, Die Narben der Gewalt, 308. A.a.O., 328. A.a.O., 339. Y. Danieli, Treating Survivors and Children of Survivors of the Nazi Holocaust, 291: »Identifying and observing others’ victimizations-derived behaviors help group members recognize their own and enable them to use peer confrontations for change.« Das statistische Ergebnis zeigt M. Beutel u. a., Verarbeitung des plötzlichen Kindstods in Partnerschaft, Familie und Selbsthilfegruppe, 630. In gleichem Sinne unterstreicht B. Raphael die sinnvolle Rolle der Gruppentherapie: »A psychotherapeutic approach is indicated, particularly one that concentrates on exploring the sources of guilt, their relationship to the realities of the experience, and their association with earlier unresolved guilts or with aggressive fantasies. (…) It is especially valuable if group work can be done with other

Bedeutung des ursprünglichen Glaubensbekenntnisses

61

2.4.4 Schuldgefühl und Sühne Sehr oft trifft der Sühnegedanke die Trauernden. Es ist ein Bedürfnis der Trauernden, von den Schuldgefühlen gegenüber dem Verstorbenen freizukommen. Mit aller Kraft bemühen sie sich, von solchen Gefühlen sich zu befreien, indem sie Sühne tun. Dabei spielt das Sühnemittel eine wichtige Rolle. Der Zusammenhang von Schuldgefühl und der Sühne wird von Yorick Spiegel konkret untersucht. Er listet für die Trauer folgende Reihe von Sühnemitteln auf.153 1) Der Hinterbliebene erleidet selber den Tod; er begeht Selbstmord oder stirbt dem Toten nach. 2) Lange und intensive Pflege von Kranken kann von Schuldgefühlen entlassten. 3) Der Hinterbliebene gestaltet das Grab zu einem Ort, wo er Weisung von dem Toten erhält und zugleich durch hohe Opfer bei der Ausstattung der Beerdigung und des Begräbnisplatzes sowie durch die Mühen des regelmäßigen Besuches seine Schuld sühnt. 4) Der Trauernde kann sich mit dem Verstorbenen identifizieren, indem er sich selbst symbolisch tötet, indem er sich selbst verletzt und Teile seines Körpers opfert.154 5) Der Trauernde kann durch die Farbe seiner Kleidung anzeigen, dass er eigentlich zu den Toten gehört, und sich andere Mittel der Selbstbeschränkung und Selbstisolierung auferlegen. 6) Der Trauernde kann sich dem Toten unterwerfen, indem er bestimmte Charakterzüge, moralische Verhaltensweisen und Gestik übernimmt. 7) Er kann sich ihm so stark verpflichtet fühlen, dass er dessen berufliche oder sonstige Tätigkeiten übernimmt und weiterführt. Gemäß der Untersuchung von Y. Spiegel ist die Identifizierung mit dem Toten eine Voraussetzung für Trauernde, Trauer zu überwinden und sich von Schuld gegenüber dem Toten zu befreien. Nicht selten identifiziert der Trauernde sich körperlich mit dem Verstorbenen. Die Selbstverletzung und die Erkrankung von Trauernden liegen der symbolischen Identifikation mit dem Toten zu Grunde. Nach Spiegel ist der Selbstmord eines der Sühnemittel. Die Vermutung drängt survivors, as there is usually a greater capacity to relate to and trust others who have been through the same experience.« B. Raphael, When Disaster Strikes, 279 f. Vgl. H. S. Schiff, Living Through Mourning, 279 – 285. 153 Y. Spiegel, Der Prozeß des Trauerns, 245 – 256. 154 Im AT liegen für die Selbstverletzung von Trauernden viele Beispiele vor. Im alten Israel ist es ein Zeichen der Trauer, dass man das Kleid zerreißt und das Haupt mit Asche bestreut (Z. B. 1 Sam 4, 12; 2 Sam1, 2). Weitere Beispiele von Selbstverletzung aus der Sicht der Kulturanthropologie gibt H. Stubbe, Formen der Trauer, 29 f. 78 – 100.

62

Wir sind schuld, dass Jesus starb

Abbildung 2: Sühnemittel von Trauernden nach Y. Spiegel

sich daher auf, dass der Selbstmord des Judas als Identifikation mit dem Tod Jesu erklärt werden kann. In der Veränderung der Kleidung, die die Umwandlung der eigenen Identität symbolisiert, zeigt sich ebenso die Identifikation mit dem Toten.155 Sie findet in der Übernahme von moralischen Verhaltensweisen, Charakterzügen und Gestik des Toten ihren Niederschlag. Nach dem Tod des Vaters stellt z. B. der Sohn häufig eine Kopie von väterlichen Charakterzügen dar. Da die Trauernden sich mit den verstorbenen Personen eng verbinden wollen, übernehmen sie deren Verhaltensweisen. Ebenso verlangt die Identifikation des Hinterbliebenen, die Aufgaben des Toten zu übernehmen; sie zeigt sich zum Beispiel in der Übernahme des Berufs oder des Geschäfts des Verstorbenen. S. Freud meinte: »das schmerzhafte Leiden der Melancholie (ist) durch die Annahme aufzuklären, dass ein verlorenes Objekt im Ich wieder aufgerichtet, 155 Die diesbezügliche Untersuchung gibt H. Stubbe, Formen der Trauer, 30 – 51.

Bedeutung des ursprünglichen Glaubensbekenntnisses

63

also eine Objektbesetzung durch eine Identifizierung abgelöst wird.«156 Dazu behauptet Colin Murray Parkes: »(…) identification with the lost person is not just another way of postponing the realization of loss; it is the necessary condition without which grief cannot end and a new identity be developed.«157 Darum kann beobachtet werden, dass sich die Jünger durch ihren Trauerprozess mit Jesus identifiziert haben. Denn die Identifikation mit dem Toten kann sich dadurch vollziehen, »daß der Überlebende die Aufgabe übernimmt, denen sich der Tote widmete oder die er nicht vollenden konnte. Eine archaische Form solcher Identifikation ist die Blutrache, in der der Rächende stellvertretend für den Toten handelt und sich damit der Gefahr aussetzt, das gleiche Schicksal wie er zu erleiden.«158 Im Blick auf diese Identifizierung möchte ich die Situation der Jünger Jesu näher betrachten. Wahrscheinlich entstammt die Aussage der Kreuzesnachfolge (Mk 8,34) dieser Wiederherstellung der psychologischen Gesundheit, letztendlich haben die Jünger erst nach dem Tod Jesu richtig nachzufolgen verstanden, indem sie sich mit dem Tod Jesu identifizierten: »Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach (Mk 8,34)«.159 Dieses Wort Jesu bringt einen zentralen Gedanken im Urchristentum zum Ausdruck. Dieser Ruf ist keine Forderung an alle, sondern nur für die Jünger, die wirklich Jesus nachfolgen wollen.

2.4.5 Der Q-Kreis und Trauer160 Das Motiv der Übernahme der Aufgaben und Charakterzüge Jesu kann im Urchristentum, auch im Q-Kreis entdeckt werden.161 Dieser betont ausdrücklich die Wandermission, die vom historischen Jesus übernommen wird. Jesus selbst 156 157 158 159

S. Freud, Das Ich und das Es, 269. C. M. Parkes, Bereavement, 125 Y. Spiegel, Der Prozeß des Trauerns, 253. Vers 34 hat mit der Q-Parallele Lk 14,27/ Mt 10,38 (Lk 9.23 bzw. Mt 16,24 folgen Mk 8,34) die Stichworte stauqºr und ap¸sy lou geeinsam. Daraus ist zu schließen, dass sich der Ruf in die Kreuzesnachfolge in urchristlichen Gemeinden ausgebreitet hat. 160 Hier kann die umfangreiche vielfältige Forschungslage des Q-Kreises nicht eingehend behandelt werden. Vorliegende Skizze versucht, nur einzelne Schwerpunkte der Q-Überlieferung zu thematisieren. 161 Schon M. Sato hat dies in seiner Arbeit zum Q-Kreis nachdrücklich veranschaulicht: Die Anfänge des Q-Kreises können bis in die vorösterliche Zeit zurückdatiert werden, weil ein Teil von ihm den Jüngern Jesu angehörte. M. Sato, Q und Prophetie, 375: »Dieser Kreis ist wohl mit den Zwölf nicht identisch, sondern zahlenmäßig noch größer gewesen. Höchstwahrscheinlich stammen die späteren Hauptträger der Q-Sprüche von diesem engeren vorösterlichen Nachfolgerkreis.« »Für diese engeren Jünger galt Jesus zunächst als der Meisterprophet – wobei wahrscheinlich eine Analogie zum Propheten Elia eine wichtige Rolle spielte.«

64

Wir sind schuld, dass Jesus starb

ist der erste Wanderprediger gewesen.162Die Träger der Logienüberlieferung sind Wandermissionare, die sich durch die Fortführung des Lebens Jesu in seiner Nachfolge verstehen und ein Ethos der Heimat- und Besitzlosigkeit postulieren (Lk 9,57 – 62Q; 10,1 – 12.16Q; 12,22 – 31.33 fQ).163 Da der Q-Kreis vom Denken und Verhalten Jesu beeinflusst und bestimmt ist, liegt bei den Überlieferungen der Fokus auf seinem radikalen Ethos. In der Logienquelle tritt das Ethos der Heimat-, Familien-, Gewalt-, Besitz- und Schutzlosigkeit hervor. Die Mitglieder des Q-Kreises haben dieses Ethos als Wandercharismatiker übernommen, weil sie Jesus auch nach seinem Tod nachfolgen wollten. Warum vertrat der Q-Kreis das radikale Ethos Jesu? Aufgrund der prophetischen Tradition im Alten Testament schart der Prophet einen Kreis von Jüngern um sich, die Jesus als Meister die Treue halten, so dass eine geistliche Kontinuität zwischen Meister und Jünger hergestellt wird. Die Jünger eines Propheten übernehmen die Verhaltensweise des Meisters und erleiden sein Lebensschicksal.164 Obendrein kann beobachtet werden, dass die Symbolhandlungen der Wandercharismatiker aus den jüdisch prophetischen Traditionen stammen. Ihre Symbolhandlungen werden durch die Analogie zu den Propheten im Alten Testament bestimmt (z. B. demonstrierte Wehrlosigkeit in Jes 20,1 – 6 und Vertrauen in Gott durch Besitzlosigkeit in Jes 32,1ff).165 Die Herkunft dieser Motivation kann aus der Sicht der Trauerforschung erklärt werden. Die unmittelbare Imitation und Weiterführung des Lebensstils als Wandercharismatiker kann als Identifikation mit dem Toten als Teil der Trauerverarbeitung angesehen werden.166 Vor allem folgende zwei Punkte sind ins Auge zu fassen: Das radikale Ethos und das Lebensschicksal. Offenbar fordert der Q-Kreis, sich mit Jesus zu befassen und ihm nachzufolgen. Da die Worte und Praxis Jesu »der eigentliche Hauptpunkt der QTheologie«167 sind, ist leicht vorstellbar, dass die Q-Tradenten imitatio Christi wörtlich nahmen. Der Q-Kreis betont die ernsthafte Identifizierung mit Jesus. Während bei den alttestamentlichen Propheten das radikale Ethos einer Heimat-, Familien- und Besitzlosigkeit und ein radikaler Theozentrismus vorherrschte, liegt dem Q-Kreis das Ethos eines radikalen »Jesuszentrum« zugrunde.168 Der Q-Kreis schreibt sich die wahre Nachfolge Jesu auf die Fahne. Jesu 162 G. Theißen, Wanderradikalismus, 91: ders, Das Neuen Testament, 28. 163 G. Theißen, Wanderradikalismus, 79 – 105. G. Theißen hebt zugleich die Existenz der sesshaften Anhängergruppe hervor. 164 Vgl. M. Sato, Q und Prophetie, 371 f. 165 Vgl. G. Theißen, Die Jesusbewegung, 79; M. Sato, Q und Prophetie, 400 – 403. 166 Ein solcher Lebensstil stammt von Jesus selbst. Vgl. G. Theißen, Wanderradikalismus, 91. Y. Spiegel betrachtet solche Übernahmen der Aufgaben der Toten als »adaptive Phasen« der Trauernden. Y. Spiegel, Der Prozeß des Trauerns, 254. 167 M. Tiwald, Wanderradikalismus, 84. 168 Vgl. M. Sato, Q und Prophetie, 400. Ein solches Ethos kann auch bei Johannes dem Täufer

Bedeutung des ursprünglichen Glaubensbekenntnisses

65

Ethos ist zentral für die Identität dieses Kreises und wird z. B. in der Aussendungsrede dargestellt (Lk 9, 57 f und 10,3 fQ), die wahrscheinlich auf den historischen Jesus geht,169 und als »magna charta« wanderradikalen Denkens eingeschätzt werden kann.170 Lk 9,57 f Q:171 »Und einer sagte ihm: Ich will dir nachfolgen, wohin du auch gehst. Und Jesus sagte ihm: Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester, der Menschensohn aber hat nichts, wohin er seinen Kopf legen kann.«

Lk 10, 3 – 4 Q: 3 Geht! Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter Wölfe. 4 Tragt keinen Geldbeutel, keinen Proviantsack, keine Sandalen, auch keinen Stock, und grüßt niemanden unterwegs.

Eine solch extreme Lebensweise der Q-Missionare wurzelt in der nahen Erwartung des Reiches Gottes und ist »ein einprägsames Zeichen ihres Gottvertrauens«.172 Entscheidend für den Q-Kreis ist zugleich die Übernahme des Lebensschicksals des von leidengeprägten Meisters Jesu.

2.4.6 Schuldgefühl und Selbstmord Nicht selten treten bei Trauernden Selbstmord oder Selbstmordgedanken auf. Bei Trauernden besteht infolge des schweren Verlusts selbst ein erhöhtes Sterblichkeitsrisiko. Die Suizidalität hängt mit einer erhöhten depressiven Grundstimmung zusammen. Untersuchungen zufolge nehmen bei Trauernden Depressionen und Angstzustände um etwa 20 – 30 % zu. Darüber hinaus ist es besonders brisant, dass Trauernde im ersten Halbjahr nach dem Trauerfall erstaunlicherweise ein um durchschnittlich 300 % erhöhtes Sterblichkeitsrisiko aufweisen. Die Suizidquote steigt durchschnittlich um etwa 500 %.173 Bei vielen

169 170

171 172 173

beobachtet werden. Von daher könnte man vermuten, dass Jesus die Verhaltensweise Johannes des Täufers übernommen hat. Diesbezüglich kategorisiert H. Mödritzer dieses radikale Ethos Jesu als eine Form der Selbststigmatisierung, nämlich als »Asketische Selbststigmatisierung«. H. Mödritzer, Selbststigmatisierung, 95 ff. Vgl. G. Theißen, Die Entstehung des Neuen Testaments, 46. M. Tiwald, Wanderradikalismus, 98. M. Tiwald unterstreicht, dass wanderradikale Texte in der Praxis wurzeln: Wanderradikale Texte in der Bibel sind »keine literarische Fiktion zum innergemeindlichen Sozialausgleich, sondern Spuren einer konkreten Gruppierung, die das wanderradikale Ethos auch in all seiner Radikalität lebte.« A.a.O., 312. Die deutsche Übersetzung der Sprachquelle Q nehme ich von P. Hoffmann und C. Heil, Die Spruchquelle Q, 53 – 55, auf. M. Tiwald, Wanderradikalismus, 150. K. Lammer, Trauer verstehen, 37.

66

Wir sind schuld, dass Jesus starb

Abbildung 3: Q-Kreis und Trauer

Hinterbliebenen kommt es zu Suizidphantasien. Aber sie werden in den wenigsten Fällen realisiert.174 Der Gedanke an Selbstmord hängt deutlich mit dem Wunsche nach Sühne der Schuld zusammen. Die Hinterbliebenen erliegen dem Gedanken des ius talionis. Wer den Tod eines anderen meint mit verursacht zu haben, muss selbst sterben.175 Nach Y. Spiegel wird der Selbstmord als ein Sühnemitteln angesehen.176 In den Evangelien liegt die Geschichte vom Ende des Judas Iskariot vor, die im NT in zwei verschiedene Varianten berichtet wird (Mt 27,3 – 10 und Apg 1,18 – 19). Welche der beiden ist die ursprüngliche Geschichte? Es gibt keine befriedigenden Kriterien, um diese Frage zu beantworten. Zwar erläutern die Evangelien das Schicksal des Judas unterschiedlich, historisch ist jedoch lediglich erwiesen, dass er relativ bald nach dem Tod Jesu gestorben ist.177 Im Evangelium nach Matthäus wird erklärt: Judas ging fort und erhängte sich (Mt 27,5). Das Evangelium nach Matthäus 27,3 – 10 3 Als Judas, der ihn verraten hatte, sah, dass er zum Tode verurteilt war, reute es ihn, und er brachte die dreißig Silberlinge den Hohenpriestern und Ältesten zurück 4 und sprach: Ich habe Unrecht getan, dass ich unschuldiges Blut verraten habe. Sie aber sprachen: Was geht uns das an? Da sieh du zu! 174 Vgl. R. Jerneizig/ A. Langemayr/ U. Schubert, Leitfaden zur Trauertherapie und Trauerberatung, 112. Die Statistik besagt: »Das Suizidrisiko von Personen mit PTB (Posttraumatische Belastungsstörungen) ist 15-mal höher als bei nichttraumatisierten Personen der Allgemeinbevölkerung.« Vgl. A. Maercker, Posttraumatische Belastungesstörungen, Verhaltenstherapiemanual V, 2005, 512; H. G. Prigerson u. a., Influence of Traumatic Grief on Suicidal Ideation Among Young Adults, 1994 f; H. J. Znoj, Komplizierte Trauer, 21: »Das Risiko für Suizid ist bei Trauernden generell erhöht, besonders aber nach einem Partnerverlust oder nach dem Verlust eines Elternteils.« 175 Vgl. Y. Spiegel, Der Prozeß des Trauerns, 245. 176 Y. Spiegel, Der Prozeß des Trauerns, 246. 177 Vgl. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, Teil 4, 247.

Bedeutung des ursprünglichen Glaubensbekenntnisses

67

5 Und er warf die Silberlinge in den Tempel, ging fort und erhängte sich. 6 Aber die Hohenpriester nahmen die Silberlinge und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir sie in den Gotteskasten legen; denn es ist Blutgeld. 7 Sie beschlossen aber, den Töpferacker davon zu kaufen zum Begräbnis für Fremde. 8 Daher heißt dieser Acker Blutacker bis auf den heutigen Tag. 9 Da wurde erfüllt, was gesagt ist durch den Propheten Jeremia, der da spricht: »Sie haben die dreißig Silberlinge genommen, den Preis für den Verkauften, der geschätzt wurde bei den Israeliten, 10 und sie haben das Geld für den Töpferacker gegeben, wie mir der Herr befohlen hat.«

Dieser längste Sondergut-Abschnitt in der Passionsgeschichte scheint matthäische Redaktion zu sein, denn er enthält überwiegend typisch matthäische Sprache.178 Die Vermutung drängt sich auf, dass die mündliche Überlieferung über das Ende des Judas selbstständig entstanden ist. Mit künstlich zusammengefügten alttestamentlichen Zitaten (Sach 11,13; Ex 9,12; Jer 18,2, 32,7 – 9) integrierte Matthäus sie in seine Passionsgeschichte.179 Zur Begründung der Entstehungsgeschichte dieses Textes führt Ulrich Luz an: »Am Anfang stand eine Ortsätiologie. Der Feldname »Hakeldamach« bei Jerusalem wurde schon früh mit dem Verratsgeld und dem Tod des Judas in Verbindung gebracht. Da die Überlieferungen aber so verschieden sind, ist es völlig müßig zu fragen, welche die ältere oder gar historisch zutreffendere ist.«180 Die Erwähnung der Reue des Judas, »Ich habe Unrecht getan«, in 27,4a muss berücksichtig werden. Aufgrund vorliegender Trauerforschung ist erwiesen, dass der Selbstmord des Trauernden in der Regel von dessen Schuldgefühlen abhängt. Zur Überlieferung vom Tod des Judas und vom Blutacker gibt es eine Variante in Apg. 1,18 f. Beide Varianten stimmen darin überein, dass sie vom Tod des Judas und vom Kauf eines Ackers erzählen und diesen »Blutacker« nennen (Mt 27,6 und Apg 1,19). Die Apostelgeschichte 1, 15 – 20 15 Und in den Tagen trat Petrus auf unter den Brüdern – es war aber eine Menge beisammen von etwa hundertzwanzig – und sprach: 16 Ihr Männer und Brüder, es musste das Wort der Schrift erfüllt werden, das der Heilige Geist durch den Mund Davids vorausgesagt hat über Judas, der denen den Weg zeigte, die Jesus gefangen nahmen; 17 denn er gehörte zu uns und hatte dieses Amt mit uns empfangen. 18 Der hat einen Acker erworben mit dem Lohn für seine Ungerechtigkeit. Aber er ist vornüber gestürzt und mitten entzwei geborsten, sodass alle seine Eingeweide hervorquollen. 19 Und es ist allen bekannt geworden, die in Jerusalem wohnen, sodass dieser Acker in 178 A.a.O., 230. 179 Vgl. W. Grundmann, Das Evangelium nach Matthäus, 546; P. Benoit, Der Tod des Judas, 169. 180 U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, Teil 4, 232.

68

Wir sind schuld, dass Jesus starb

ihrer Sprache genannt wird: Hakeldamach, das heißt Blutacker. 20 Denn es steht geschrieben im Psalmbuch: »Seine Behausung soll verwüstet werden, und niemand wohne darin«, und: »Sein Amt empfange ein andrer. »

In Apg werden ebenfalls alttestamentliche Verse zitiert (Ps 69,26; 109,8). Merkwürdigerweise wird aber der Verlauf des Judastodes anders erzählt. Aus dem Mund des Petrus wird erklärt, dass er durch einen erschreckenden Unglücksfall endete (Apg 1,18). So wird man wohl annehmen dürfen, dass die Überlieferung über das Ende des Judas früher in verschiedenen Richtungen weiterentwickelt wurden.181 Als Todesursache wäre dann beides denkbar, Selbstmord oder ein Unglückfall.182 In der Apg wird über das Schicksal des Judas nicht ausführlicher berichtet. Lukas stellt nicht dar, wie Judas tödlich verunglückte. Ich stimme der Mehrheitsmeinung zu: Die lukanische Fassung bietet die historischere Tradition.183 Es bleibt also unklar, ob Judas durch Selbstmord umgekommen ist oder nicht.184 Judas ist kurz nach dem Tod Jesu gestorben. Das steht allerdings außer Zweifel.185

2.4.7 Verehrung Christi und Schuldgefühl 2.4.7.1 Verehrung Christi und Idealisierung In der selbständigen Tradition wird Jesus wahrscheinlich als »Christus« betitelt. Warum haben die Jünger Jesus als Christus bezeichnet und verehrt? Warum ist im Urchristentum Jesus so schnell vergöttert worden?186 Der Entstehungspro181 Vgl. J. Gnilka, Das Mathäusevangelium, II.Teil, 444. 182 Ein Bruchstück aus den um 140 n. Chr. entstandenen »Fünf Büchern Auslegung von Herrenworten« des Bischofs Papias von Hierapolis berichtet, dass Judas an einer Krankheit gestorben sei. 183 Vgl. M. Meister, Judas Iskariot, 108. Dagegen P. Benoit, Der Tod des Judas, 181. 184 Vg J. Gnilka, Das Mathäusevangelium, V. Teil, 449: »Der Selbstmord des Judas ist als Legende einzustufen.« 185 Vgl. U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, Teil 4, 232; M. Meister, Judas Iskariot, 99. 186 Das Problem des Verhältnisses von historischem Jesus und geglaubtem Christus hält die neutestamentliche Forschung in Atem. In der Leben-Jesus-Forschung seit dem 19. Jhd. ist immer wieder der Versuch unternommen worden, eine Biographie Jesu zu schreiben. Dabei war das Motiv wirksam, den dogmatischen Christus, wie er in der Lehre der christlichen Kirche verkündigt wurde, durch eine historische Gestalt zu ersetzen. Diese Forschung bemühte sich, den wahren Mensch Jesus hinter dem geglaubten Christus zu finden. Die Mehrheit der Forscher kam zu dem Ergebnis: Der Gedanke der Messianität Jesu stammt nicht von Jesus, sondern von der Urgemeinde. Die Hoheitstitel (Messias, Gottessohn usw.) sind für den historischen Jesus keineswegs belegbar, vielmehr spiegeln sie Versuche der nachösterlichen Urgemeinde, begrifflich zu fassen, wer Jesus war. Die diesbezügliche Debatte in der Forschungsgeschichte geben M. Hengel und A. M. Schwemer, Der messianische Anspruch Jesu und die Anfänge der Christologie, 17 – 34, wieder.

Bedeutung des ursprünglichen Glaubensbekenntnisses

69

Abbildung 4: Identifikation mit dem Toten

Abbildung 5: Identifikation mit dem Tod Jesu

zess der Verehrung Christi lässt sich im Einzelnen schwer bestimmen, angesichts der Trauerforschung kann indessen Folgendes festgehalten werden: Der Verlust nahestehender Personen fördert die Idealisierung verstorbener Menschen.

70

Wir sind schuld, dass Jesus starb

Wenn ein Mitglied der Familie oder eine andere geliebte Person gestorben ist, kommt es vor, dass diese im Vollzug der Trauer und des Leides verehrt und idealisiert, ggf. gar als »göttliches« Wesen geheiligt wird. Dazu meint C. M. Parkes: »More frequent than loss of memory of the deceased’s appearance was distortion of recollection of certain disturbing aspects on him. Memories of the negative aspects of the dead are easily lost and idealization is carried out by most bereaved people and encouraged by society.«187 Ebenso zitiert D. C. Allison Jr. ein Interview mit Hinterbliebenen: Bereaved husband: Looking back over the past – what a perfect woman she was. Interviewer : Flaws? Husband: No, as a matter of fact, we were married for thirty-five years and never had an argument… I’d get mad sometimes at something she might do, you know, or something she had done. And she’d always smooth my ruffled feathers and I’d be ashamed of myself. Interviewers: She didn’t have any faults? Husband: I never knew of any.

Er fasst folgendermaßen zusammen: »Although this humorous example is extreme, it well illustrates a very human tendency, and there is no need to doubt that, whatever our own estimation of Jesus, his tragic death and the remembrance that followed in its wake must have augmented the disciples’ idealization of their master.«188 Die Idealisierung der verstorbenen Person trägt positive und negative Seiten.189 Da die positiven Erinnerungen an den Toten den Trennungsschmerz mildern, können sie eine Art Schutzmechanismus darstellen. Wenn sie jedoch dauerhaft anhalten und keine andere Sicht zulassen, führt dies zu einer problematischen Entwicklung, denn »das kann auf eine Abwehrmaßnahme gegen Schuldgefühle und einen Versuch der Wiedergutmachung hindeuten.«190 Falls die Person einen gewaltsamen und unerwarteten Tod gestorben ist oder man sich für ihren Tod verantwortlich fühlt, kann es sein, dass man sie gesteigert idealisiert, zu einer Helden- oder Heiligenfigur stilisiert, oder auf einen Podest stellt.191 In diesem Zusammenhang ist die Frage danach zu betrachten, warum die Jünger Jesus die höchsten Titel zuschrieben. Aufgrund der bisherigen Überlegungen ist man geneigt anzunehmen, dass 187 188 189 190 191

C. M. Parkes, Bereavement, 91. D. C. Allison, Resurrecting Jesus, 369. S. Weiß, Die Trauer, 66. Ebd. Z. B. wurden auch die großen Leistungen, die M. L. King und M. Gandhi vollbrachten, nach deren Ermordung umso mehr gepriesen. Nach ihrem grausamen Tod hatten ihre Gefährten das Bedürfnis nach einer besonders starken Ehrerbietung. Aus dieser Sicht wären auch die Heiligenverehrungen in den verschiedenen Religionen erklärbar.

Bedeutung des ursprünglichen Glaubensbekenntnisses

71

die Verehrung Christi auf die postmortale Idealisierung zurückzuführen ist. Aber man muss vorsichtig sein. 2.4.7.2 Messianische Erwartung und Messiasbewusstsein Jesu Ich bin der Meinung, dass das Idealisierungsmotiv nur eines der wichtigen Motive für die christologische Verehrung ist. Auch die folgenden beiden Punkte sind in Betracht zu ziehen: 1. Vor Ostern brachten die Jünger dem historischen Jesus messianische Erwartungen entgegen (z. B. Mk 8,27ff). 2. Aufgrund dieser Erwartungen verhielt sich Jesus tatsächlich als messianische Figur (aber ohne messianischen Titelgebrauch).192 Wie hängt das Selbstverständnis des historischen Jesus mit der Entwicklung zur nachösterlichen Verehrung zusammen? Kontrovers ist, ob Jesus sich selbst als Messias verstand.193 Das Messiasbewusstsein Jesu ist eine prekäre Frage. Es historisch zu rekonstruieren, ist schwierig.194 Seit Beginn der historisch-kritischen Arbeit am Neuen Testament ist die Frage des messianischen Selbstbewusstseins Jesu immer wieder neu aufgegriffen worden, ohne dass eine allgemein anerkannte Antwort gefunden worden wäre. Höchstwahrscheinlich begründen jedoch die vorösterlichen messianischen Erwartungen und Hoffnungen der Jünger an den historischen Jesus die nachösterliche Christologie. Im zeitgenössischen Judentum liegt eine große Vielfalt messianischer Erwartungen und Hoffnungen vor.195 Gerade deswegen kann angenommen werden, dass der historische Jesus im Licht messianischer Erwartungen und Hoffnungen gesehen wurde. Ich gehe davon aus, dass es eine Kontinuität zwischen dem historischen Jesus und dem nachösterlich verehrten Christus gibt, da seine Verkündigung von »Gottes Reich (bzw. Herrschaft)« in Mk 1,15 messianische Erwartungen an den jüdischen Charismatiker weckte.196 Er verkündigte die Gottesherrschaft als Erfüllung der Gottesgnade

192 Vgl. G. Theißen, Die Jesusbewegung, 44: »Wahrscheinlich hatte Jesus ein messianisches Selbstverständnis – aber ohne Messiastitel.« 193 Ein Überblick der Forschungsgeschichte zu diesem Thema geben G. Theißen und A. Merz, Jesus, 449 – 455. 194 Vgl. H. Conzelmann/ A. Lindemann, Arbeitbuch, 495, meinen, dass es unmöglich ist, aus den Hoheitstiteln das Selbstbewusstsein Jesu zu rekonstruieren. Zudem heben sie hervor, Jesus habe »keinen der in den synoptischen Evangelien erwähnten christologischen Hoheitstitel in Bezug auf seine eigene Person gebraucht.« 195 Vgl. R. Bultmann, Jesus, 18. Das jüdische Volk zur Zeit Jesu war »aufs stärkste von den messianischen Hoffnungen bewegt. Diese Hoffnungen sind im einzelnen sehr verschieden gefärbt, je nachdem, wie weit das überlieferte Bild der alten Davids-Herlichkeit oder phantastische orientalische Kosmologie und Mythologie dabei eine Rolle spielten, je nachdem wie weit politische Ideale die Gedanken bestimmten oder ein rein religiöses Hoffen vorherrschte.« 196 Vgl. U. Luz/ A. Michaels, Jesus und Buddha, 141: »Es ist höchstens denkbar, daß Jesus, der

72

Wir sind schuld, dass Jesus starb

und eine Veränderung der Welt. Er trat als Wundertäter auf und vergab als Heiler wie Gott Sünden. Aus diesem Grund verehrten die Jünger ihn als Messias und wollten ihm nachfolgen.197 Ich gehe davon aus, dass die Verkündigung Jesu sich mit messianischer Erwartung und Hoffnung vereinbaren ließ. Die Messiasverständnisse zur Zeit Jesu waren zwar keineswegs einheitlich, es scheinen indessen bestimmte Grundeinsichten allgemein akzeptiert gewesen zu sein: »Messias ist in dieser Zeit die Bezeichnung für eine endzeitliche Heilsgestalt, der zum Teil als politischer Retter, zum Teil als religiöser Erlöser erwartet wurde.«198 Die Frage, ob Jesus sich selbst als politischen Messias verstanden hat, ist umstritten, jedenfalls könnte Jesu Einzug in Jerusalem auf einem Esel in Mk 11,1ff als eine Art poltisch-messianische Bewegung angesehen werden.199 Der historische Jesus wurde als politisch potentiell gefährlicher Aufrührer von den Römern am Kreuz hingerichtet. Das bedeutet, dass die Erwartungen der Jünger an Jesus enttäuscht wurden. Der Kreuzestod Jesu schien für die Jünger das Ende aller Hoffnungen zu sein. Messianische Erwartung und Hoffnung sind nicht in Erfüllung gegangen. »Der von vielen verehrte und von manchen doch wohl als Retter und Messias angesehene Prophet und Lehrer war gescheitert und lag im Grab. Die Jünger haben sich offenbar gleich zerstreut, zum Teil werden sie in der Menge der Festpilger untergetauscht sein, zum Teil haben sie sich in ihre Heimat Galiläa zurückbegeben.«200 Dennoch wird den Jüngern Anlass zur christologischen Reflektion gegeben: die Ostererfahrung. Die Jünger hatten an Ostern eine mystische Erfahrung, in der sie dem gestorbenen Jesu wieder begegneten, so dass sie sich die Frage stellen mussten, wer Jesus ist, der von Gott von den Toten auferweckt wurde. Die Ostererfahrung gab den Jüngern die Gewissheit: Der gestorbene Jesus lebt und er wird wieder kommen. Diese Gewissheit allein aber hätte nicht zur Entstehung der nachösterlichen Christologie geführt. Neben den Erfahrungen mit dem Auferstandenen trugen die Erwartungen an den historischen Jesus zur Entste-

197

198 199 200

so oft von der ›Königsherrschaft‹ sprach, messianische Hoffnungen weckte und mit solchen auch konfrontiert wurde.« An diesem Punkt soll eine hochinteressante These von G. Theißen erwähnt werden. Er stellt die These auf, dass messianische Vorstellungen von Jesus zwar aufgegriffen wurden, sich jedoch im Sinne eines »Gruppenmessianismus« verändert haben. G. Theißen, Gruppenmessianismus, 255 – 281. Nach seiner Theorie hat der historische Jesus den Zwölfkreis als »messianisches Kollektiv« verstanden (vgl. Mt 19,28 und Lk 22,28 – 30). Er hat ihm einen anderen Status und die Würde eines Messias gegeben. »Er prägte die auf eine Einzelperson gerichtete Messiaserwartung im Sinne eines ›Gruppenmessianismus‹ um, einfache Menschen aus dem Volk, Fischer und Bauern, sollten als Repräsentanten der zwölf Stämme herrschen.« G. Theißen/ A. Merz, Jesus, 469. W. Schneemelcher, Das Urchristentum, 118. Konkret werden die Merkmale der Messiaserwartung z. Z. Jesu betrachtet von G. Theißen/A. Merz, Jesus, 462 – 470. Vgl. T. Onuki, Jesus, 189. W. Schneemelcher, Das Urchristentum, 73.

Bedeutung des ursprünglichen Glaubensbekenntnisses

73

hung der Christologie bei. Gerd Theißen schreibt erhellend: »Niemand wird zum Messias, zum Sohn Gottes oder zum Kyrios, weil er von den Toten aufersteht. Die Entstehung der Christologie wird erst verständlich, wenn schon vorösterlich ein (impliziter, evozierter oder expliziter) Hoheitsanspruch zur Debatte stand, der in der Auferstehung durch Gott bestätigt wurde. Diese Bestätigung umfaßt die Erneuerung der ursprünglichen Erwartungen und deren Überbietung. Erneuert wurden sie, insofern die Hoffnung bestärkt wurde, Jesus werde bald sein Reich verwirklichen. Man erwartet seine ›Parusie‹ – nicht als seine Wiederkehr, sondern als seine (erstmalige) Ankunft als endzeitlicher Herrscher.«201 Zusammenfassend lässt sich feststellen: Die Entstehung der Verehrung Christi wird nicht im Rahmen der Idealisierung im Trauerprozess erklärbar. Die hohen Erwartungen und Hoffnungen an den historischen Jesus, sein eigenes Vollmachtsbewusstsein und die Auferstehungserfahrung der Jünger sind gleichermaßen als Beweggründe zu betrachten.

Abbildung 6: Verehrung Christi

2.4.8 Meaning Reconstruction Infolge der Erkenntnisse aktueller Trauerforschung geht es um die Frage, ob der Trauernde eine Bedeutung des Todes erkennen kann, um Trauer zu bewältigen. Im Trauerfall verliert man im Wesentlichen Sinn und Bedeutung des eigenen Lebens und der Welt. Wegen des Verlusts des geliebten Menschen scheint für den 201 G. Theißen/A. Merz, Jesus, 480 f. Vgl. U. Luz/A. Michaels, Jesus und Buddha, 146: »Vom Selbstverständnis Jesu über die Osterinterpretation seiner Jünger führt also ein gerader Weg zu Jesu Vergottung und zu seiner Verabsolutierung in der Christologie.«

74

Wir sind schuld, dass Jesus starb

Trauernden die ganze Welt zusammenzubrechen und die Bedeutung des Lebens verloren zu gehen. Dadurch fühlt er sich wertlos und ohnmächtig. Trauer ist eine lebensgeschichtlich grausame Umbrucherfahrung, durch die sich die persönlichen und sozialen Lebensverhältnisse bestimmend verändern, so dass die Deutungskategorien nicht mehr passen. Für die Bewältigung im Trauerfall spielt die Rekonstruktion von Bedeutungsstrukturen eine wichtige Rolle. Aus kognitionspsychologischer Sicht versteht Peter Marris die Trauerbewältigung als Paradigma für die Bewältigung von Verlusterfahrung aller Art.202 Seiner Ansicht nach verändert die Trauer die Bedeutungsstrukturen (structures of meaning). Wenn man eine lebensverändernde Erfahrung macht, muss man sie in eine einheitliche Lebensbedeutung einordnen. Da im Trauerfall Bedeutungsstrukturen nicht mehr funktionieren, die an den verstorbenen Mensch gebunden waren, ist für die Hinterbleibenden die Rekonstruktion von Bedeutungsstrukturen nötig. Darin herrscht in der Forschung weitgehend Übereinstimmung. Robert A. Neimeyer bringt zum Ausdruck, dass Rekonstruktion von Bedeutungsstrukturen im Bewältigungsprozess der Trauer das allerwichtigste Element ist: »(…) the attempt to reconstruct a world of meaning is the central process in the experience of grieving.«203 A. Neimeyer zeigt, dass die wesentliche Aufgabe für Trauer darin besteht, dem Verlust eine Bedeutung zu geben. »Meaning Reconstruction« ist daher unabdingbar, um Trauer in die neue Bedeutungsstrukturen integrieren zu können. Trauernde verbrauchen für die Verlustverarbeitung eine sehr große Menge an Energie, um die persönlichen und sozialen Lebensverhältnisse und Bedeutungsstrukturen zu rekonstruieren. Aufgrund der Überlebendenerfahrung in Konzentrationslagern denkt der Psychiater Victor Frank, dass das wesentliche Problem des Trauerprozesses darin besteht, einen Sinn in dem Todesfall zu finden und eine neue Sinnwelt zu rekonstruieren.204

2.4.9 Meaning Reconstruction und Bedeutung der vorpaulinischen Tradition Entscheidend für die Entstehung des Urchristentums war zwar die Trauer, jedoch sollte man sich stets vor Augen halten, dass es schlechthin unmöglich ist, sämtliche Sinngehalte der Urgemeinde lediglich durch die heutige psychologische Trauerforschung zu erklären. Das Schuldbekenntnis ist einer der eminenten frühchristlichen religiösen Begriffe, die vom damaligen religiösen, vornehmlich jüdischen Verständnis und dessen Erkenntnissen beeinflusst sind und darin 202 P. Marris, Loss and Change, 23 – 42. 203 R. A. Neimeyer, Lesson of Loss, 83. 204 V. E. Frankl, … trotzdem Ja zum Leben sagen, 124 – 127.

Bedeutung des ursprünglichen Glaubensbekenntnisses

75

integriert wurden. Im Neuen Testament hat selbstverständlich der Schuldbegriff einen alttestamentarischen Hintergrund. Der Schuldbegriff aus Sicht des Judentums bezeichnet eine Schuld, die darin liegt, dass man weiterlebt, obgleich man den Vertrag mit Gott gebrochen und seine Gebote übertreten hat. Die Schuldbegriffe im Judentum betreffen das Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen. Allerdings will ich hier die bisherige theologische Auslegungsgeschichte in Bezug auf das Schuldverständnis nicht vernachlässigen. Allerdings möchte ich nur versuchen, die vielfältigen Sinngehalte dieses Begriffs aus verschiedenen hermeneutischen Perspektiven zu betrachten. Der Begriff Schuld ist in der Bibel tatsächlich ein religiöser Begriff. Allein, man sollte die psychologische Ebene dieses Begriffs im Auge behalten. Es geht sowohl um eine traditionsgeschichtliche Untersuchung zum Schuldbegriff in 1 Kor 15,3, als auch um eine synchrone Untersuchung. Der Schuldbegriff in diesem Text bestand nicht ausschließlich in den damals gängigen religiösen Kategorien, anders formuliert, hier wurden nicht nur allgemeine Schulden innerhalb der jüdischen religiösen Kategorie formuliert, sondern man sollte ebenso die Tatsache betrachten, dass der Hintergrund dieser Schuldaussage die psychologische Reflektion der Jünger über den Tod Jesu darstellt. Zur Frage, wie nach alldem die Entstehung der Wendung »wegen uns (bzw. unserer Schuld)« zu erklären ist, ist kurz anzumerken: Die Urgemeinde hegte in der Gemeinschaft Schuldgefühle. Darin ist der psychologische Hintergrund der selbstständigen Tradition festzustellen. Um ihre Trauer zu bewältigen war es für die Jünger Jesu nötig, ihre Schuld in der Gemeinschaft zu äußern. Wenn die Aussage »wegen uns (bzw. unserer Schuld)« in der Urgemeinde formuliert wird, ist anzunehmen, dass dies nicht nur religiösen Motiven, sondern auch psychologischen Motiven Ausdruck gibt. Was den psychologischen Hintergrund dieser Schuldaussage in 1 Kor 15,3ff anbelangt, ist die Rekonstruktion der Sinnkategorie von Relevanz. Zwar stammt die Schuldaussage ursprünglich aus dem konkreten Schuldgefühl, jedoch interpretierten die Jünger Jesu sie unter den gängigen jüdischen Kategorien neu und fügten den theologischen Sinn hinzu. Dem Schuldgefühl wurde nämlich in damals gängigen Sinnkategorien Platz eingeräumt, sowie theologisch reflektiert und fundiert. Das heißt, einerseits, dass für die Relevanz dieser Aussage die Korrelation der psychologischen und religiösen Ebenen spricht, darüber hinaus soll aber der Anlass zur Formulierung des Schuldbekenntnisses in zweifacher Hinsicht (theologisch und psychologisch) betrachtet und beide Analysen miteinander verquickt werden. Man sollte sich zunächst entschließen, im Hintergrund dieser Aussage die Spur des hermeneutischen Geschehens zu suchen. Laut moderner Trauerstudien hilft die Rekonstruktion der Bedeutungsstruktur, den Sinn der Trauer zu ermitteln. Diese Ermittlung ermöglicht, Trauer zu bewältigen.

76

Wir sind schuld, dass Jesus starb

Folgender Punkt ist in Betracht zu ziehen, um die Entstehung des vorpaulinischen Bekenntnisses zu erklären. Der Entstehung von 1 Kor 15,3ff liegt nach Takashi Onuki »ein hermeneutisches Geschehen« angesichts des Rätsels vom Tod Jesu zugrunde.205 Nach dem Tod Jesu flohen die Jünger Jesu irgendwohin. Wo sie sich auch versteckt haben mögen, müssen sie sich mit dem dunklen Rätsel des Todes Jesu geplagt haben. »Sie müssen in dieser Finsternis um ihr Leben gekämpft haben, indem sie immer wieder nach dem Sinn des grausamen Todes Jesu fragten. Einen Leitfaden dafür konnten allein die heiligen Schriften des damaligen Judentums anbieten.«206 Dementsprechend ist anzunehmen, dass sich die wiederholte Wendung »jat± t±r cqav²r« darauf bezieht. Mit Hilfe des Alten Testaments wird die Hinrichtung Jesu, die bisher ein Rätsel war, als ein Ereignis umgedeutet, das im Heilsplan Gottes enthalten und hier sogar prophezeit worden war. »Jesus, der eines Rätseltodes starb, ›erschien‹ ihnen nun in einem anderen Licht. Zwar kann der erste Anlass dieses ganzen Geschehens ein persönliches Visionserlebnis des Petrus gewesen sein. Aber die Lösung dieses ›Rätsels‹ muss als völlige Neuinterpretation des Alten Testaments ein weithin hermeneutische Geschehen gewesen sein: das Geschehen einer inneren Sinnfindung.«207 Meiner Meinung nach trifft die These T. Onukis schon auf die vorpaulinische Tradition zu und nicht erst auf 1 Kor 15, 3ff zu. Die Entstehung der vorpaulinischen Tradition steht unter dem Einfluss des hermeneutischen Geschehens einer inneren Sinnfindung der Jünger. Wie ausgeführt, führte dabei das Schuldgefühl der überlebenden Jünger zum in der Tradition vorgegebenen Gedanken der Stellvertretung. Der genannten psychologischen Untersuchungen zufolge, haben Trauernde solche Gedanken nicht selten. Schuldgefühle spielen also eine Rolle, als die vorpaulinischen Traditionsträger sich der Tradition der Stellvertretung zuwandten. Die Überlebenden nahmen so wahr, dass der Tod des Opfers ein stellvertretendes Sterben war. Um den Tod Jesu als Stellvertretung zu interpretieren und um ihn mit Jes 53 zu verbinden, fügen sie die Wendung »jat± t±r cqav±r« hinzu. Damit wird ein schriftgemäßes Geschehen festgehalten, und zwar in dem Sinne, dass die Schriften es geweissagt haben. Zur Zeit Jesu wurde Jes 53 messianisch gedeutet. In einer ausführlichen Untersuchung der Wirkungsgesichte von Jes 53 setzte Martin Hengel eine messianische Deutung für den LXX-Text und den Text von Qumran voraus. 205 T. Onuki, Jesus, 217. 206 A.a.O., 214. 207 A.a.O., 217. Ich stimme zu, dass man die Interpretation des Todes Jesu als hermeneutisches Geschehen erklären kann, ich finde aber, dass die Auferstehungserfahrung keineswegs daneben marginalisiert werden kann. Sie ist eine übersinnliche Erfahrung. Dieses Auferstehunserlebnis gab den Jünger gewichtigen Anlass zur Interpretation Jesu.

Bedeutung des ursprünglichen Glaubensbekenntnisses

77

Bezüglich des Verhältnisses von Jes 53 zu 1 Kor 15,3 f hält M. Hengel, »die Vermutung für nicht völlig unbegründet, daß es schon in vorchristlicher Zeit Traditionen über leidende und sühnende eschatologisch-messianische Gestalten im palästinischen Judentum (und wohl auch in der Diaspora, beides kann man nicht streng trennen) gegeben hat und daß Jesus und die Urgemeinde u. U. solche Traditionen kennen und daran anknüpfen konnten. Dies würde erklären, daß wohl schon Jesus selbst und dann seine Jünger nach Ostern voraussetzen konnten, daß die Botschaft vom stellvertretenden Sühnetod des Messias (1 Kor 15,3 f) unter ihren jüdischen Volksgenossen verstanden würde.«208 In diesem Sinne ist gut vorstellbar : Wichtig für die Jünger war, den Tod Jesu im messianischen Kontext von Jes 53 auszulegen. Das psychologische Motiv für diese Auslegung lag in der Notwendigkeit der Rekonstruktion von Bedeutungsstrukturen beschlossen.

Abbildung 7: Meaning Reconstruction und Bedeutung der Aussage 1 Kor 15,3ff

208 M. Hengel, Zur Wirkungsgeschichte von Jes 53, 91.

78

Wir sind schuld, dass Jesus starb

Exkurs: Judas Galiliaos und Johannes der Täufer Hier sollen zwei charismatische Gestalten des 1. Jahrhunderts erwähnt werden, welche einen gewaltsamen Tod erleiden mussten: Judas Galiliaos und Johannes der Täufer. Es ist historisch nachweisbar, dass die von den beiden ins Leben gerufenen Bewegungen den gewaltsamen Tod ihrer Gründer überdauerten. Nach Angaben des Josephus stammte Judas Galiliaos aus Gamala in der Gaulanitis (Ant XVIII 4).209 Nach dem Tod Herodes des Großen organisierte er den Widerstand gegen Herodes Antipas (Ant XVIII,4 ff.). Er war ein religiöser Gelehrter, ein jüdischer Rebell gegen die römische Oberherrschaft und wurde getötet (Apg 5,37). In ihm, seinen Anhängern und seinen Familienmitgliedern (Bell 2, 433) sieht die zur Zeit des jüdischen Krieges (67 – 70 n. Chr.) gegen die Römer kämpfende Partei der Zeloten (Eiferer) ihren Ursprung. Josephus berichtet – sehr negativ – von ihm als Philosoph (Bell 2, 117 f. 433; Ant XVIII 9ff, 23 – 25) neben anderen jüdischen philosophischen Strömungen. Judas Galiliaos hatte eine sehr radikale religiöse Überzeugung: die Alleinherrschaft Gottes. Nur Gott allein wurde als Herr bezeichnet und andere politische Herrschaftsansprüche dieser Welt (der diesseitigen Welt), z. B. der römische Kaiser, wurden völlig ausgeschlossen.210 Die Einzigartigkeit Gottes bildet die Grundlage seiner Botschaft und seines politischen Widerstandes. Seine Überzeugung war in der eschatologischen Erwartung der Theokratie begründet. Seine theozentrische Grundperspektive prägt seine Worte und Taten. Insofern besitzt seine Botschaft eine Ähnlichkeit mit der Botschaft Jesu: »Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen.« (Mk 1,15)211 Trotz des Todes Judas Galiliaos folgten seine Anhänger seiner Botschaft und führten den Freiheitskampf gegen das römischen Reich weiter. Hinsichtlich dieser Übernahme der Aufgabe eines verstorbenen Meisters, die als typisches Trauermotiv der Hinterbliebenen anerkannt ist, kann man eine Ähnlichkeit zwischen Anhängern Judas Galiliaos und Jesu feststellen. Johannes der Täufer war ebenso ein Charismatiker, wie es der Meister Jesu war und taufte ihn im Jordan (Mk, 1,9ff). Beide wurden miteinander verglichen 209 Es ist umstritten, ob Judas Galilaios mit dem Anführer des Aufstands Judas, dem Sohn des Hezekias, wirklich identisch ist, oder beide nur namensgleich sind. Die Übereinstimmung beider Personen behauptet M. Hengel, Zeloten, 337 ff. Gegenargumente finden sich bei D. M. Rhoads, Israel in Revolution 6, 74. Meiner Meinung nach dürften beide Judasse identisch sein. Im Jahr 6 n. Chr. trat Judas nicht in »Galiläa«, sondern in »Judäa« auf, so dass er verständlicherweise als Galiläer charakterisiert wurde. Vgl. G. Theißen, Die Jesusbewegung, 104 Anm. 143. 210 M. Hengel, Die Zeloten, 93 – 114. 211 Jedoch verpflichtet das theozentorisches Gottesbild Jesu keineswegs zum gewaltsamen politischen Widerstand gegen die römischen Herrschaft. Mk 12,13 – 17. Vgl. G. Theißen/ A. Merz, Jesus, 140.

Bedeutung des ursprünglichen Glaubensbekenntnisses

79

(Mt 11,18; Mk 2,18; 6,14ff). Viele Verbindungen nicht nur zwischen ihnen, sondern auch mit ihren Jüngern werden im NTangedeutet (Mk 2,18; Lk 11,1; Joh 1,35 – 51; 4,1 – 3; 10,40 – 42; Apg 19,1 – 7). Johannes war ein stark prophetisch geprägter Charismatiker, so dass er als wiedergekommener Prophet Elija angesehen wurde (Mk 9,11), welcher dem Messias den Weg bereitet (Mk 1,2 – 3) und von Gott gesendet wird, bevor der Tag des Herrn kommt (Mal 3,23). Es ist unmöglich zu beweisen, dass Johannes der Täufer sich selbst als wiedergekommener Elija ansah, jedoch ist es möglich zu verstehen, dass er sich als einen der Propheten ansah. Das zeigt das wohl authentische Jesuswort (Mt 11,7b – 9 par): »Ihr habt sogar mehr gesehen als einen Propheten.« Sein Wort setzt ein im Volk vorhandenes entsprechendes Bild des Johannes voraus.212 Seine Taufe gilt als eine prophetische Symbolhandlung und seine Gerichtspredigt (Lk 3,9.16 – 17) ist typisch für die alttestamentarischen Propheten (Amo 5,18 – 20; Mal 3,19 usw.). Zu den alttestamentarischen Propheten gehören ihre Anhänger, bzw. Jünger (1. König 20,35; 2. König 2,1 – 18; 4,1 – 7. 38 – 44; 6,1 – 7; 9,1 – 10; Jes 8,16.18).213 Es ist daher leicht vorstellbar, dass auch Johannes der Täufer eine Jüngergemeinschaft hatte. Höchstwahrscheinlich überdauerte die Täuferbewegung seinen gewaltsamen Tod (Vgl. Mk 6,14 – 29). Die Jünger übernahmen von ihrem Meister den Ritus der Taufe. Bis weit in das erste Jahrhundert tauchten Nachfolger des Johannes auf, die in ihren Gemeinden charismatische Leitungsfunktionen wahrnahmen und in hohen Ehren standen. Es ist jedoch eine große Frage, wo und wie lange die Existenz seiner Jünger belegt werden kann.214 Wie weit 212 Flavius Josephus berichtet über Johannes nicht als Prophet, sondern bezeichnet ihn als einen weitereren jüdischen Philosophen, da er ihn angesichts der Leser in der griechischrömischen Welt Johannes in Analogie zu hellenistischen Philosophen darstellen und deswegen seinen eschatologischen Hintergrund verweigern wollte (Ant XVIII, 116 – 119). Vgl. S. Mason, Josephus and the New Testament, 153. 213 Vgl. M. Sato, Q und Prophetie, 314 ff. 214 Meines Erachtens war die Täuferbewegung räumlich und zeitlich begrenzt. Die Gründe dafür sind: 1. Johannes wirkte in der Wüste jenseits des Kulturlandes, um ein asketisches Leben zu führen. Die Würste war der Ort der Predigt und der Taufe des Johannes. Er ließ im Jordan taufen (Joh 1.28 »in Bethanien jenseits des Jordans«), denn der Jordan lag in der nähe des Tempels, an dem er Kritik üben wollte. Johannes bot Sündenvergebung anstelle des Opferkults des Tempels an. Der Jordan stellt darum eine symbolische Ortswahl dar. 2. Bei der Täuferbewegung handelt sich um die eschatologische Erwartung, dass das Weltende herankommt. Seine Predigt war die Proklamation der Nähe des Zornesgerichts. Er bat eine letzte Umkehrmöglichkeit an (Vgl. Mt 3,7 – 10). Aufgrund dieses Zeitverständnisses wollte Johannes keineswegs feste Organisationsformen gründen. »Die täuferischen Lebensformen tendieren nicht auf Gruppenbildung, sondern auf Sammlung zur Gemeinde der Endzeit.« J. Ernst, Johannes der Täufer. 351 f. Vgl. J. Becker, Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth, 39, 63. Nach dem Tod des Johannes überlebte die Täuferbewegung nicht lang. Vermutlich überlebte seine Gruppe am Ufer des Jordan in Palästina bis Ende des ersten Jahrhunderts. J. Becker, Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth, 64 f. Darüber hinaus

80

Wir sind schuld, dass Jesus starb

solche Gemeinschaften damals verbreitet waren, kann man nicht genauer bestimmen. Sowohl Judas Galiliaos als auch Johannes der Täufer haben Anhänger. Der Fall Jesu entspricht darum ihren Fällen: Grausamer Tod des Gründers und Jüngerkreises. Der Meister starb und seine Bewegung scheiterte. Der Tod und das Scheitern war für seine Jünger sicherlich eine große Krise und sie mussten sich mit diesem Problem auseinandersetzen. Es ist nicht evident, wie die Anhänger den Tod ihres Meisters bewältigten, ob sie ihn nach seinem jämmerlichen Tod wie Jesus als Messias bezeichneten und verehrten.215 Vielleicht beschäftigten sie sich mit Trauerarbeit, die der Jünger Jesu nicht unähnlich war. Trotz der Entsprechung zwischen Jesus und zwei zeitgenössischen Charismatikern gibt es einen Unterschied. Wenn man diesen Unterschied mit einem Satz erfassen will, so kann man sagen: Es gab kein Auferstehungserlebnis.216 Entscheidend für die Jünger Jesu bei der Trauerarbeit ist die Auferstehungserfahrung. Sie war eine wichtige Voraussetzung für die Jünger Jesu, um ihre Trauer bewältigen zu können. Die Entstehung der Verehrung Jesu als Wesen mit göttlichem Rang hängt ausdrücklich von der Auferstehungserfahrung ab. Angesichts des Einfluss als Prophet und seiner Botschaft gibt es zudem eine Kluft, die Jesus und die beiden Charismatiker trotz der Gemeinsamkeiten trennt. Jesus nahm keinesfalls am gewaltsamen Aufstand teil und predigte nicht nur das Zornesgericht Gottes. Das Gericht war für ihn nicht von Bedeutung, es ging ihm vielmehr um die Liebe und Gnade Gottes. Jesus war überzeugt davon, dass ein eschatologisches Geschehen bereits im Gange war : Die Gottesherrschaft sei gegenwärtig. Diese Heilsverkündigung Jesu wirkte positiv bei der Bewältigung der Trauer der Jünger. Ich nehme an, die von Jesus intendierte Botschaft zielte vornehmlich auf eine Heilung der Trauer ab.

bin ich skeptisch, ob, wie bei Lichtenberger angedeutet, Täufergruppen in Kleinasien, Ägypten und Rom existierten. Sehr problematisch bleibt dabei die Identifizierung und geographische und chronologische Einordnung dieser Gruppen. Vgl. H. Lichtenberger, Täufergemeinden und frühchristliche Täuferpolemik, 36 – 47; E. Stauffer, Jerusalem und Rom, 100 – 102. 215 Man kann zwar eine Spur nach der Idealisierung Johannes in christlichen Schriften (Joh 1 – 2, Ps. Clementinen, Rec. I, 54, 60, Hom. II 17, 23, 24) finden, jedoch hängen solche Argumenten von christlichen apologetischen Tendenzen ab. Sie sind historisch nur beendigt verwertbar. 216 Wie Mk 6,14 gezeigt, glauben die Leute, Johannes sei von den Toten auferstanden und er zeige sich übermächtig in den Wundern Jesu. Aber es ist fragwürdig, ob diese Volksmeinung authentisch ist. Hinter dieser Äußerung sollte eher entweder eine versteckte Polemik zwischen der Täufergruppe und Urgemeinde oder die Apologie der christlichen Tradente erkennbar sein.

Zusammenfassung

2.5

81

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich feststellen: 1 Kor 15,3ff geht ursprünglich auf zwei selbstständige Traditionen zurück (15,3b und 4b), die von Traditionsträgern zu einem vorpln. Glaubensbekenntnis miteinander kombiniert wurden. Entstehungsort und -datum dieses Glaubensbekenntnis kann nicht genau bestimmt werden. Allerdings kann es auf eine sehr frühe Zeit zurückdatiert und wohl der Jerusalemer Gemeinde zugerechnet werden. Dieses Glaubensbekenntnis wird als vorpaulinische Tradition weiter entwickelt und in alttestamentlichem Kontext (Jes 53) interpretiert. Paulus hat diese vorpaulinische Tradition empfangen. Was die psychologischen Ergebnisse zu Hinterbliebenen im Trauerfall betrifft, so ist festzuhalten: Meistens kann der Hinterbliebene sich von der Erinnerung an die verstorbene Person nicht befreien und das Schuldgefühl kann lebenslang weiter bestehen. Im Trauerprozess gewinnt das Schuldgefühl oft eine zentrale Bedeutung. Verdrängte Schuld spielt eine große Rolle. Sie kann zu Selbstvorwürfen führen, dass man am Tode schuldig sei. Manchmal werden Schuldgefühle für einige Menschen bedrohlich, weil sie sich für immer der Möglichkeit beraubt fühlen, sich von ihnen zu lösen. Mit großer Wahrscheinlichkeit sind die Jünger nach dem Tod Jesu in eine traumatische Trauer gefallen und haben unter schweren Schuldgefühlen gelitten. Die Betrachtung der vorpln. Tradition von 1 Kor 15,3ff unter Zuhilfenahme psychologischer Theorien führt zu folgenden Ergebnissen: 1. In der vorpln. Tradition von 1 Kor 15,3ff haben die Jünger Jesu ihre schwerwiegende Schuld zur Sprache gebracht. Die Wendung »rp´q« deutet einen kausalen Sinn an. Meines Erachtens stellt die Aussage »wegen uns« oder »wegen unserer Schuld« die konkrete Schuld der Jünger dar, die Jesus am Kreuz seinem Schicksal überlassen haben. Als Hauptzeuge des Schuldgefühls kann die vorpln. Tradition gelten. 2. Um den Abbau von Schuldgefühl zu erleichtern, spielt die Selbsthilfegruppe eine wichtige Rolle. Die Jünger Jesu konnten ihre Schuldgefühle bewältigen, indem sie diesen in der Gemeinschaft Raum gaben. In dieser Hinsicht könnte die Gemeinschaft der Urgemeinde eine Art von Selbsthilfegruppe gewesen sein. 3. Häufig trifft der Sühnegedanke die Trauernden und dabei spielt das Sühnemittel eine wichtige Rolle. Gemäß Y. Spiegel ist die Identifizierung mit dem Toten eine Voraussetzung für Trauernde, Trauer zu überwinden und sich von Schuld gegenüber dem Toten zu befreien. Oft identifiziert der Trauernde sich körperlich mit dem Verstorbenen. Der Selbstverletzung und der Erkrankung von Trauernden liegt beispielsweise häufig die symbolischen Identifikation mit dem Toten zu Grunde. Der Selbstmord ist ebenso ein mögliches Sühnemittel. Auch findet in der Übernahme von moralischen Verhaltensweisen,

82

Wir sind schuld, dass Jesus starb

Charakterzügen und Gestik des Toten der Sühnegedanken seinen Niederschlag und verlangt die Identifikation des Hinterbliebenen, die Aufgaben des Toten zu übernehmen. Unter Zuhilfenahme von Y. Spiegels Theorien können folgende Punkte erläutert werden: 3.1. Die Identifizierung mit dem Tod Jesu motiviert die Jünger zur Nachfolge Jesu. Das Motiv der Übernahme der Aufgaben und Charakterzüge Jesu (das radikale Ethos und Lebensschicksal Jesu) kann im Urchristentum, besonders im Q-Kreis entdeckt werden 3.2. Der vermutliche Selbstmord des Judas kann als Identifikation mit dem Tod Jesu unter Sühnengedanke erklärt werden. 4. In der selbständigen Tradition wurde Jesus als »Christus« betitelt. Bezüglich des Entstehungsprozesses der Verehrung Christi kann angesichts der Trauerforschung folgendes festgehalten werden: Der Verlust nahestehender Personen fördert die Idealisierung verstorbener Menschen. Die Entstehung der Verehrung Christi kann jedoch nicht nur durch Idealisierung im Trauerprozess erklärt werden. Der Zusammenhang zwischen den hohen Erwartungen und Hoffnungen an den historischen Jesus und der Auferstehungserfahrung muss beachtet werden. Die Auferstehungserfahrung gab den Jüngern die Gewissheit, dass der verstorbene Jesus lebt und wieder kommen wird. Diese Gewissheit allein jedoch hätte nicht zur Entstehung der nachösterlichen Christologie geführt. Das messianische Bewusstsein Jesu selbst ist ebenso in Betracht zu ziehen. 5. Die Rekonstruktion von Bedeutungsstrukturen spielt für die Bewältigung im Trauerfall eine wichtige Rolle. Die Entstehung der vorpaulinischen Tradition steht deshalb unter dem Einfluss des hermeneutischen Geschehens einer inneren Sinnfindung der Jünger. Dabei führte das Schuldgefühl der überlebenden Jünger zum in der Tradition vorgegebenen Gedanken der Stellvertretung. Schuldgefühle spielen also eine Rolle, als die vorpaulinischen Traditionsträger sich der Tradition der Stellvertretung zuwandten. Die Überlebenden nahmen so wahr, dass der Tod des Opfers ein stellvertretendes Sterben war. Die Jünger Jesu haben unter alttestamentlichen Einflüssen (Jes 53) ihre Schuldgefühle und ihre Idee von Stellvertretung neu interpretiert, um ihre Trauer zu bewältigen. Dies kann im Hinblick auf die aktuelle Trauerforschung als »Meaning Reconstruction« angesehen werden. Auch kann die Kombination der Auferstehungsaussage und alttestamentlicher Argumente (Hos 6,2 und Jona 2,1) als »Meaning Reconstruction« betrachtet werden.

3 Trauer und Abendmahl Es ist nicht mehr Schmerz, sondern Nachsinnen. K. Kollwitz

Ich will ihn/ sie ein letztes mal sehen! Dies wünscht sich vermutlich jeder Trauernde. Aber wie? Eine mögliche Antwort auf diese Frage bieten die eigenen Erinnerungen. Der Trauernde erinnert sich an die gemeinsamen Stunden mit dem verlorenen Weggefährten oder an die Zeit des Abschieds. Auf diese Weise schenkt er dem Toten in seinem Herzen neues Leben. Auch ein Gespräch mit anderen über den Verstorbenen oder gemeinschaftliches Erinnern hilft und tröstet den Trauernden. Hinterbliebene fürchten oft sehr, dass ihre Erinnerung an den Toten verblasst und langsam aus dem Gedächtnis verschwindet. Das völlige Vergessen bedeutet für sie den endgültigen Verlust des Wesens des Verstorbenen. Um solches Vergessen zu verhindern, spielt der Ritus eine wichtige Rolle. Durch regelmäßige Rituale kann man seine Erinnerung miteinander und untereinander festigen. Das Abendmahl ist eines der wichtigsten Riten im Christentum. Woher stammt der Brauch des Abendmahls? Welche Deutungen verbinden sich mit diesem Ritus in der Urgemeinde? Obschon diese Fragen, da das Abendmahl der bedeutsamste Ritus in der christlichen Kirche ist, die neutestamentliche Forschung in Atem halten, ist gleichwohl ein neuer Aspekt zu untersuchen: Der psychologische Aspekt. Meines Erachtens hat die Trauerarbeit starken Einfluss auf die Entstehung dieses Ritus. Das bedeutet, dass die Abendmahlsfeier eine große Bedeutung zur Erinnerung der ersten Christen an Jesus besaß. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass zum wesentlichen Inhalt des Abendmahls die Erinnerung an den Tod Jesu gehörte. Ein Teil der Trauerarbeit besteht in der Neigung, sich seinen Erinnerungen an den Verstorbenen hinzugeben. Von besonderer Wichtigkeit ist laut der Trauerforschung für die Hinterbliebenen die Erinnerung, die einen der bedeutsamsten Schritte darstellt, um Trauer zu bewältigen.217 Der Abendmahlsritus war jedoch in keiner Weise lediglich ein Erin217 Dies meint Y. Spiegel mit Recht: »mit jeder Erinnerung an einen Einzelzug des Verstorbenen oder an einen glücklichen Tag, den man gemeinsam verlebt hat, wird der Trauernde sich

84

Trauer und Abendmahl

nerungsfest, vielmehr ein religiöses Ritual, da er verschiedene theologische Motive beinhaltet. Die Einsetzungsworte im Abendmahl explizieren die hochtheologischen Reflektionen und Deutungen des Tods Jesu. In diesem Kapitel sollen sowohl die Wurzeln des Abendmahls traditionsgeschichtlich erwogen, als auch unter Berücksichtigung psychologischer Gesichtspunkte sein Enstehungshintergrund erörtert werden. Exegetische und psychologische Fragen sind hier miteinander verquickt.218

3.1

Die Abendmahlsüberlieferung

Die Abendmahlspraxis geht, wenn man dem biblischen Zeugnis folgt, auf einen Akt der Einsetzung durch Jesus in der Nacht vor seinem Tod zurück (1 Kor 11,23; Mk 14,22). Inwieweit spiegelt aber die überlieferte Abendmahlspraxis historische Wirklichkeit vor dem Osterereignis wieder? Woher stammt der Anstoß zur Abendmahlsüberlieferung? In der neutestamentlichen Forschung liegt keine einheitliche Antwort auf diese prekären Fragen vor.219 Viel Tinte ist zu dieser Frage schon geflossen. Sowohl die synoptische Tradition (Mt 26,26 – 28, Mk 14, 22 – 24 und Lk 219 – 20) als auch ein paulinischer Brief (1 Kor 11,23 – 26) enthalten die Abendmahlstradition.220 Jedoch lässt sich zu der Frage der ursprünglichen Abendmahlstradition aus der fragmentarischen Überlieferung nur wenig Sicheres erheben. Die Ergebnisse rezenter Forschungen zeigen, dass es ursprüngliche von neuem der Tatsache bewußt, daß dies für immer vergangen und nicht mit diesem geliebten Menschen wiederholbar ist.« Y. Spiegel, Der Prozeß des Trauerns, 277. 218 Was die Beziehung zwischen christlichen Ritualen und der Trauerarbeit betrifft, soll noch ein wichtiger Ritus erwähnt werden: nämlich die Taufe. Sie spielt im Urchristentum als Initiationsritus eine wichtige Rolle (vgl. Röm 6,4; Tit 3,5; Gal 3,27 usw.). Die Taufe gilt als Mitbegrabenwerden mit Christus (Röm 6,4; Col 2,12) und als geistliche Beschneidung (Kol 2,11). Für Paulus bedeutet besonders die Taufe nicht nur, Gemeinden zu gründen (1 Kor 12,13), sondern vielmehr sich mit dem Tod Jesu zu identifizieren (Rom 6,3). Bei Paulus vermittelt die Taufe die Partizipation am Tod Jesu und durch die Bekehrung und deren Ritualisierung in der Taufe wird der neue Mensch geschaffen. Die Taufe ist also ein Zeichen der Identifikation mit dem Tod Jesu. Dieser Identifikationsaspekt soll, wie oben gezeigt, als eines der eminenten Elemente der Trauerarbeit betrachtet werden. Hier kann der diesbezügliche Zusammenhang aber nicht eingehend behandelt werden. In dieser Arbeit möchte ich mich nur auf das Abendmahl konzentrieren. 219 Einblick in die exegetische Diskussion der letzten Jahrzehnte und den Stand der Kenntnisse in den wichtigsten das urchristliche Abendmahl betreffenden Fragen gibt B. Kollmann, Ursprung und Gestalten, 17 – 37. Ebenso wird die aktuelle Forschungsdiskussion bei J. Schröter (Hg.), Das Abendmahl, Stuttgart 2003 dargestellt. 220 Im Johannesevangelium findet sich die Abendmahlstradition nicht. Manche Ausleger betrachten indessen die lange Speisungsrede (Joh 6,1 – 71) als Eucharistierede. Vgl. O. Cullmann, Urchristentum und Gottesdienst, 89 – 99.

Die Abendmahlsüberlieferung

85

zwei Abendmahlsüberlieferungen gab, die im Markusevangelium und die im 1. Korintherbrief. Was die mk. Überlieferung betrifft, gehört die Passionsgeschichte (Mk 14,1 – 15,47) nicht ursprünglich zur Tradition des Abendmahls (Mk 14, 22 – 24). Da die Einsetzungsworte Jesu in 1 Kor 11,23 – 26 selbst tradiert wurden, kann man davon ausgehen, dass diese eine unabhängige ältere Tradition waren und sich formkritisch gesehen im Rahmen einer kultischen Feier entwickelten.221 Ausdrücklich liegt Mt 26,26 – 28 die Markusfassung zugrunde und ebenso liegt der lukanischen Fassung Lk 22,19 f der Wortlaut der Paulusfassung zugrunde, ausgefüllt mit Details aus der Markusvorlage. Während in der mk. Tradition eine Erzählung innerhalb der Passionsgeschichte vorliegt, handelt es sich in der pln. Tradition um Kultätiolgie.222 Wahrscheinlich stammen die zwei Überlieferungen aus einer älteren Tradition, da sie parallel die gleichen Worte beinhalten.223 Es bleibt jedoch schwierig, die ältere Abendmahlstradition, vor allem die Einsetzungsworte, zu rekonstruieren.224 Man kann folgenden tabellarischen Vergleich zwischen synoptischer und paulinischer Tradition ziehen:

221 Vgl. J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus, Teil 2, 240; G. Schneider, Passion, 14 f; H. Patsch, Abendmahl und historischer Jesus, 60 – 62. Die Jünger haben das Vermächtnis Jesu, seine Taten und Worte, gesammelt und somit eine Tradition geformt. Besonders haben sie sich auf den letzten Teil des Lebens Jesu konzentriert. Meines Erachtens ist die Kreuzigungsszene die älteste Tradition der Passionsgeschichte (Mk. 15, 20b – 40). Diese Tradition spezifiziert ausführlich, wie, wann und wo Jesus gestorben ist. Hierin liegt der Ansatz der Formulierung der älteren Passionsgeschichte. Die Entstehung der Passionsgeschichte in der Jerusalemer Urgemeinde dürfte unzweifelhaft sein. G. Theißen reflektiert über die Entstehungssituation der ursprünglichen Passionsgeschichte, vgl. G. Theißen, Lokalkolorit und Zeitgeschichte in den Evangelien, 201 ff. Er ist der Meinung, die Passionsgeschichte wurde in Jerusalem in der ersten Generation nach Jesu Tod ca. 30 – 60 n. Chr. formuliert. So kann man behaupten, dass die ursprüngliche Passionsgeschichte der Gattung einer Kultlegende zugeordnet werden kann. Die ursprüngliche Überlieferung von der Passion Jesu ist in der christlichen Urgemeinde eine wöchentliche, am Gedächtnistag der Passion Jesu stattfindende kultische Feier der Gemeinde. Sie dient dem Gedächtnis und der feierlichen Begegnung mit dem Gekreuzigten. So könnte man schließen, dass die Motivation zur Entstehung der Passionsgeschichte auch aus der Trauerarbeit stammt. Aber hier kann der Zusammenhang zwischen Trauerarbeit und Passionsgeschichte aufgrund der vielfältigen Forschungssituation der Passionsgeschichte nicht eingehend behandelt werden. 222 Vgl. R. Pesch, Markus, II.Teil, 371. 223 Es wäre denkbar, dass die beiden Traditionen von Markus und Paulus auf der gleichen aramäischen Urform fußen. Vgl. M. Dibelius, Formgeschichte, 207. 224 Vgl. G. Theißen/ A. Merz, Jesus, 366: »Tatsche ist, dass das Abendmahl im Urchristentum in vielfältiger Gestalt gefeiert und verschieden gedeutet wurde.«

86

Trauer und Abendmahl

Mt 26, 26 – 29 Mk 14, 22 – 25 (Eshiºmtym d³ aqt_m Ja· 1shiºmtym aqt_m

kab½m b YgsoOr %qtom ja· eqkoc¶sar 5jkasem ja· do»r to?r lahgta?r eWpem k²bete v²cete, toOtº 1stim t¹ s_l² lou.

kab½m %qtom eqkoc¶sar 5jkasem ja· 5dyjem aqto?r ja· eWpem K²bete,

Lk 22,19 – 20

1 Kor 11,23 – 26 (Ec½ c±q paq´kabom !p¹ toO juq¸ou, d ja· paq´dyja rl?m, fti b j¼qior YgsoOr 1m t0 mujt· Ø paqed¸deto ja· kab½m 5kabem %qtom %qtom ja· eqwaqist¶eqwaqist¶sar 5jka- sar 5jkasem ja· sem ja· 5dyjem aqto?r eWpem k´cym

toOtº 1stim t¹ s_l² toOtº 1stim t¹ s_l² lou. lou t¹ rp³q rl_m didºlemom toOto poie?te eQr tµm 1lµm !m²lmgsim. ja· t¹ jai` kab½m ja· kab½m pot¶qiom ja· eqwaqi- pot¶qiom eqwaqist¶- pot¶qiom ¢sa¼tyr st¶sar 5dyjem sar 5dyjem aqto?r, let± t¹ deipm/sai, aqto?r k´cym k´cym p¸ete 1n aqtoO p²m- ja· 5piom 1n aqtoO ter, p²mter.

toOto c²q 1stim t¹ aXl² lou t/r diah¶jgr t¹ peq· pokk_m 1jwummºlemom eQr %vesim "laqti_m.

k´cy de` rl?m, ou( lg` p¸y !p( %qti 1j to¼tou toO cem¶lator t/r !lp´kou 6yr t/r Bl´qar 1je¸mgr ftam aqt¹ p¸my leh( rl_m jaim¹m 1m t0 basike¸ô toO patqºr lou.

ja· eWpem aqto?r toOtº 1stim t¹ aXl² lou t/r diah¶jgr t¹ 1jwummºlemom rp³q pokk_m.

toOto t¹ pot¶qiom B jaimµ diah¶jg 1m t` aVlat¸ lou t¹ rp³q rl_m 1jwummºlemom.

toOtº lo¼ 1stim t¹ s_la t¹ rp³q rl_m toOto poie?te eQr tµm 1lµm !m²lmgsim. ¢sa¼tyr ja· t¹ pot¶qiom let± t¹ deipm/sai k´cym

toOto t¹ pot¶qiom B jaimµ diah¶jg 1st·m 1m t` 1l` aVlati

toOto poie?te, bs²jir 1±m p¸mgte, eQr tµm 1lµm !m²lmgsim. !lµm k´cy rl?m fti k´cy c±q rl?m, [fti] bs²jir c±q 1±m oqj´ti ou( lµ p¸y 1j oq lµ p¸y !p¹ toO 1sh¸gte t¹m %qtom mOm !p¹ toO toO cem¶lator t/r toOtom ja· t¹ !lp´kou 6yr t/r cem¶lator t/r pot¶qiom p¸mgte, t¹m Bl´qar 1je¸mgr ftam !lp´kou 6yr ox B h²matom toO juq¸ou aqt¹ p¸my jaim¹m 1m basike¸a toO heoO jatacc´kkete %wqi ox 5kh,. t0 basike¸ô toO heoO. 5kh,.

Die Abendmahlsüberlieferung

87

In der gegenwärtigen neutestamentlichen Forschung bleibt die Frage in der Schwebe, welche Abendmahlsüberlieferung älter ist, bzw. welche Überlieferung die älteste Form erhält. Nichtsdestoweniger neigen namhafte Exegeten dazu, dass die älteste unter den Abendmahlüberlieferungen der Abschnitt in 1 Kor 11,23 – 25 ist.225 Meines Erachtens gehört die Tradition in 1 Kor 11,23 ff der ältesten Form der Abendmahlsüberlieferung an, jedoch sprach der historische Jesus bei seinem letzten Mahl nur einen einzigen Satz, welches in Mk 14,25 tradiert wurde. Bevor dieses Thema ausführlich behandeln wird, sollen die zwei Traditionen im Folgenden eingehend untersucht werden.

3.1.1 Die zwei Überlieferungen des Abendmahls Um den Unterschied zwischen synoptischer und paulinischer Tradition bestimmen zu können, soll nun genau betrachtet werden, welche theologischen Motive und Deutungen den beiden Traditionen angehören. 3.1.1.1 Die pln. Überlieferung bei Paulus: 1 Kor 11,23 – 25 1 Kor 11,23: Von Anfang an behauptet Paulus ausdrücklich, diese Überlieferung vom Herrn übernommen zu haben. Der Aussage »(Ec½ c±q paq´kabom !p¹ toO juq¸ou« entspricht die Aussage in 1 Kor 15,3 (paq´dyja c±q rl?m 1m pq¾toir, d ja· paq´kabom). Es muss beachtet werden, dass den Aussagen des Paulus zufolge in 1 Kor 11,17ff die Feier des Herrenmahls in der korinthischen Gemeinde in Verbindung mit einer richtigen Mahlzeit stattgefunden hat.226 Paulus betont eingehend ein Problem in Bezug auf die Mahlgemeinschaft in der korinthischen Gemeinde. Im Vergleich zu den Texten in Mk/ Mt bleibt bei Paulus (und Lk) das Passafest unberücksichtigt.227 225 Vgl. E. Schweizer, Abendmahl I. Im NT, in: RGG3 I, 10 – 21; W. Grundmann, Das Evangelium nach Markus, 387; W. Marxsen, Der Ursprung des Abendmahls, 296. 302. Dagegen U, Wilckens, Theologie des Neuen Testaments, Band I, Teilband 2, 77. R. Pesch, Markus II. Teil, 376; ders., Das Abendmahl und Jesu Todesverständnis, 35 – 51; J. Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, 181. 226 P. Lampe betont, dass das korinthische Herrenmahl mit der hellenistisch-römischen Mahlpraxis tiefgehend zusammenhängt. P. Lampe, Das korinthische Herrenmahl, 183 – 213, v. a. 183 – 205; ders., The Eucharist, 36 – 49. v. a. 37 – 42. 227 Vgl. F. Hahn, Abendmahl I. Im NT, in: RGG4 I, 11. Laut Joachim Jeremias gehört das letzte Mahl in den Kontext der Passafeier (vgl. Ex 12,1ff), an der die Jünger Jesu teilnehmen. J. Jeremias legt eine Begründung seiner These dar in J. Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu 35 – 56. Seine Position, nur jüdischen Schriften eine höhere Priorität beizumessen, scheint nicht annehmbar zu sein. Kritik an seiner These ist demnach von vielen Auslegern zu hören. F. Hahn z. B. argumentiert dazu: »1 Kor. 5,7 und die johanneische Chronologie zeigen in

88

Trauer und Abendmahl

Vers 24: Das Einsetzungswort »Das ist mein Leib (toOtº lo¼ 1stim t¹ s_la)« stimmt mit dem mk. Text wörtlich überein. Allein, Peter Lampe stellt fest: Das erste toOtº im Brotwort von 1 Kor 11 bezieht sich entweder auf das Brot oder eher auf den Akt des Brotbrechens und Danksagens (11,24a).228 Dass sich das Wort toOto in der mk. Version (toOtº 1stim t¹ s_l² lou) auf das Brot bezieht, ist klar. Denn bei Markus fehlt der Ausspruch »dieses tut«. Nach Paulus dagegen vergegenwärtigen die sakramentalen Akte (das Essen des Brotes und das Trinken aus dem Kelch) den Kreuzestod Jesu.229 Weiterhin betont P. Lampe, dass das Herrenmahl in 1 Kor 11 für Paulus als ein Prozess der Identifikation mit Christus am Kreuz verstanden werden soll. Während des Herrenmahls identifiziert man sich durch die sakramentale Handlung mit Christus und nimmt wahr, dass man mit ihm am Kreuz stirbt.230 Vers 25: Der gravierendste Unterschied liegt in der Aussage »Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut« im pln. Text im Vergleich zu »Das ist mein Blut« im mk. Text vor. Bei beiden Texten dankt Jesus für das Brot. Die soteriologische Deutung »für euch« gibt es nur beim Brotwort. Bei Lk wird diese Aussage beim Kelchwort nochmals wiederholt. Während bei Mt/ Mk der Bundesschluss nach Ex 24,8 angedeutet wird, spielen Paulus/ Lk zusätzlich auf den neuen Bund aus Jer 31,31ff an. Es ist deutlich fassbar, dass beide Anspielungen auf das AT den Tod Jesu angesichts des AT neu interpretieren wollten.231 Im paulinischen Text wird der liturgische Spruch »Das tut (sooft ihr daraus trinkt) zu meinem Gedächtnis« wiederholt. In Mt/Mk kann man diese Aussage

228

229 230 231

anderer Weise das Interesse am Passamotiv, lassen sich aber gegen die synoptischen Rahmenstücke nicht ausspielen. Immerhin ist es aus historischen und traditionsgeschichtlichen Gründen m. E. wenig wahrscheinlich, daß Jesu Abschiedsmahl ein Passamahl war.« F. Hahn, Die alttestamentlichen Motive, 343. Vgl. ders., Hoheitstitel, 105. Die Frage nach der Tages-Datierung des letzten Abendmahls Jesu ist stark umstritten. Nach dem Evangelisten Johannes ist das Abendmahl mit dem Passamahl nicht identisch (s. Joh 18,28). Im Vergleich zu den synoptischen Evangelien zeigt Johannes, dass das Abendmahl einen Tag vor dem ersten Tag des Passafestes (13. Nisan) stattgefunden hat. T. Onuki vertritt die These, dass die Synoptiker das letzte Abendmahl als ein am selben Tag und zur gleichen Tageszeit wie das jüdischen Passamahl gehaltenes Mahl schildern, »weil sie damit aussagen wollen, dass dieses wichtige Fest des Judentums und dessen rituelles Mahl schon durch die christliche Abendmahlsfeier überwunden ist.« T. Onuki, Jesus, 195. P. Lampe, Das korinthische Herrenmahl, 206: »Durch diese Formulierung scheint das erste toOto als Akt qualifiziert: Der Akt des Danksagens und Brotbrechens wird gedeutet, nicht das Brot selber. Der Akt des Brotbrechens weist auf »den Leib (gebrochen) für euch«, mithin auf den Kreuzesleib und – tod Jesu.« P. Lampe schlägt vor, »1stim« ins Deutsche mit »bedeutet« oder »weist hin« zu übersetzen; ders., The Eucharist, 49. Anm. 24; ders., Die Wirklichkeit als Bild, 130. Anm.188. P. Lampe, Das korinthische Herrenmahl, 208. P. Lampe, The Eucharist, 36 – 49. v. a. 46 – 48. Vgl. J. Schröter, Das Abendmahl, 126.

Die Abendmahlsüberlieferung

89

nicht finden, denn der liturgische Charakter ist bei Paulus Lk stärker ausgeprägt als bei Mt/ MK.232 Für Paulus ist das Abendmahl die Verkündigung des Todes Jesu und die wahre Gemeinschaft mit dem lebendigen Herrn in Brot und Wein. Der gekreuzigte Jesus Christus wird im Abendmahl vergegenwärtigt und durch diese gemeinsam gefeierte Mahlzeit wird dessen Tod verkündigt (1 Kor 11,26). Die Einsetzungsworte betonen die durch den Tod Jesu gestiftete Gemeinschaft. Der Leib Jesu Christi wird »für euch« gegeben und der Kelch ist der neue Bund zwischen Gott und den Menschen (1 Kor 11, 24 f).233 Nach Paulus erinnert jedoch das Abendmahl nicht nur an die Mahlgemeinschaft mit Jesus. Es repräsentiert vielmehr ein lebendiges, kulturelles Gedächtnis (1 Kor 11,24 f) an einerseits den Kreuzestod und anderseits den Ursprung des eucharistischen Ritus in Jesu Mahlgemeinschaft. Die Teilnahme am Herrenmahl signalisiert die Mitgliedschaft in der christliche Gemeinschaft; die Feier hebt den Gemeinschaftscharakter durch das Zeichen der Verbundenheit hervor, z. B. das gemeinsam Teilen von Brot und Wein.234 Das Abendmahl schafft Gemeinschaft und ist Ausdruck von Gemeinschaft. Es unterscheidet sich insofern augenfällig von einem bloßen Gemeinschaftsmahl, als es in sein Zentrum die Christusanamnese stellt. Christus als Gastgeber lädt ein an seinen Tisch. Seine Gabe stiftet Gemeinschaft untereinander und vertieft die Verbindung derer, die 232 G. Bornkamm bemerkt, dass der liturgische Charakter ursprünglicher ist. G. Bornkamm, Studie zu Antike, 151. Demgegenüber behauptet J. Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, 185, nach: »am Anfang stand nicht die Liturgie, sondern der Geschichtsbericht.« Mit Recht hat Ferdinand Hahn festgestellt: »Bei Lk/ Paulus ist das Sühnemotiv an das Brotwort eingeschlossen, während das Bundesmotiv dem Kelchwort zugeordnet ist; bei Mk/ Mt sind das Sühne- und das Bundesmotiv in das Kelchwort aufgenommen.« F. Hahn, Abendmahl I. Im NT, in: RGG4 I, 12. 233 Vgl. O. Hofius, Herrenmahl und Herrenmahlsparadosis, 224. Die Stellvertretung ist bei beiden Texten (Paulus beim Brotwort und Markus/Matthäus beim Kelchwort) vorzufinden. Statt »für viele« bei Mk/ Mt wird bei Paulus/ Lk »für euch« verwendet. Die paulinische Version ist ursprünglicher, da sie den Gedanken der stellvertretenden Hingabe durch die Wendung »für euch« ausdrückt. Hingegen bezieht sich die Wendung »für viele« auf Jes 53,12, was eine sekundäre Interpretation ist. Vgl. G. Theißen/ A. Merz, Jesus, 371. Ein solches Sühnemotiv hatte höchstwahrscheinlich in der Abendmahlstradition schon früher einen wichtigen Platz. Schwer vorstellbar ist allerdings, dass dieses Motiv seinen Ursprung beim historischen Jesus hat. Vgl. F. Hahn, Die alttestamentlichen Motive, 358. Die Traditionsträger (bzw. Jünger Jesu) haben unter alttestamentlichen Einflüssen (Jes 53) den Tod Jesu als Stellvertretung neu interpretiert. Ausgeschlossen ist, dass der historische Jesus selbst diese Wendung gesprochen hat. Das Motiv der Stellvertretung gehört zur sekundären Tradition. 234 Der genaue Sinn dieser Gemeinschaft im liturgischen Sinn geht aus 1 Kor 10,16 – 18 hervor. In 1. Kor 10,16 wird Gemeinschaft (joimym¸a) mit Christus vorausgesetzt. Koinonia bedeutet die Gemeinschaft (mit jemandem) durch (gemeinsame) Teilhabe (an etwas), wobei auch hier sowohl Anteilnahme durch Anteilgabe als auch die dadurch entstehende Gemeinschaft im Blick sind. Vgl. W. Schrage, Der erste Brief an die Korinther, VII/4, 37. 63.

90

Trauer und Abendmahl

sich einladen und beschenken lassen. Es liegt nahe, dass das Abendmahl als symbolhaftes Gemeinschaftsmahl mit dem Gekreuzigten verstanden werden muss.235 Fazit: Zunächst wird das Abendmahl in paulinischer Tradition nicht in die Passsanacht datiert. Paulus selbst und wahrscheinlich auch vorpaulinische Traditionsträger betonen in diesem Text bei dem Brotwort die soteriologische Deutung (für euch), bei dem Kelchwort den Gedanken des neuen Bundes, der in Ex 24 mit blutigen Opfern verbunden ist, und bei der Aussage »Das tut zu meinem Gedächtnis« den liturgischen Charakter. Schließlich behauptet die Tradition mit eschatologischen Worten (1 Kor 11,26) die Parusie Jesu. Für Paulus war der Abendmahlsritus zuerst ein Identifikationsritual mit dem Gekreuzigten und zweitens eine gemeinsame Mahlfeier mit Christu sowie durch Christus mit andern.

3.1.1.2 Die mk. Überlieferung: Mk 14,22 – 25 Mk 14, 22 f: Im Markusevangelium findet sich ein anderer Abendmahlsbericht als bei Paulus. So wird beispielsweise das Abendmahl im MkEv als Passamahl dargestellt. Die Einsetzungsworte im MkEv und bei Paulus unterscheiden sich. Markus (und Matthäus) erwähnen Leib und Blut, Paulus dagegen Leib und Kelch, aber in beiden Fällen ist der Neue Bund gemeint. Vers 24: Die Aussage »Das ist mein Blut des Bundes« ist für Juden befremdlich. Das Trinken von Blut war für Juden undenkbar (vgl. Dtn 12,16; Lev 7,27 usw.),236 sodass die paulinische Version eher älter ist. Ferner ist unmöglich, dass die Wendung »t¹ aXl² lou t/r diah¶jgr » auf das Hebräisch oder das Aramäische zurückgeht.237 Das Motiv des »Bundes« kann dennoch auf ältere Tradition zurückgeführt werden (vgl. oben Paulus).238 Es ist ersichtlich, dass der Ausdruck vom Blutvergießen theologische Bedeutung hat. Einerseits deutet dieser Ausdruck die gewaltsame Tötung an (Gen 9,6; Lk 11,50 f; Apg 22,20), anderseits die kultischen Handlung (Ex 29.12).239 Es liegt in Mk/ Mt bezeichnenderweise ein bewusst durchgeführter sorgfältiger Parallelismus vor. Mithin wird man sicher damit rechnen können, dass 235 Vgl. P. Lampe, Die Wirklichkeit als Bild, 137: »Wer am eucharistischen Mahl teilnimmt, wird nicht nur in die Koinonia des im Abendmahl gastgebenden Kyrios gestellt, sondern auch in die Gemeinschaft des Gekreuzigten. Dadurch, dass der Gekreuzigte selbst gegenwärtig ist, wird sein Tod im Ritus präsent.« 236 Dies behandelt M. Sato eingehend, Ist Matthäus wirklich Judenchrist? 159 – 172. Alle Beobachtungen, auf die er sein Urteil gründete, sind stichhaltig. 237 Vgl. G. Bornkamm, Studie zu Antike, 153; G. Barth, Der Tod Jesu Christi, 47. 238 Vgl. W. Marxsen, Der Ursprung des Abendmahls, 298. 239 Vgl. U. Wilckens, Theologie des Neuen Testaments, Band I, Teilband 2, 74.

Die Abendmahlsüberlieferung

91

diese Überlieferung sekundär formuliert wurde.240 Die soteriologische Deutung »für viele« findet sich nur beim Kelchwort, bei Paulus nur beim Brotwort.241 Eindeutig betont Matthäus beim Kelchwort die Sündenvergebung. Einerseits wird bei Paulus (1 Kor 11,26) ein eschatologischer Ausblick auf die Parusie Jesu an das Kelchwort angeschlossen, andererseits wird im Mk 14,25 auf die künftige Gottesherrschaft hingewiesen. Markus betont die neue Gemeinschaft zwischen Gott und Mensch durch den Tod Jesu und stellt die beiden Elemente Brot und Wein in das Zentrum der Deutung. Fazit: Der Abendmahlstext in Markus ist sekundär im Vergleich zur Tradition des Paulus. Die Tradition wird in die Passionsgeschichte integriert und das Abendmahl als Passamahl dargestellt. Für Markus und wahrscheinlich auch für die vormarkinischen Traditionsträger spielt die soteriologische Deutung (für viele vergossen) eine wichtige Rolle. Aber im Vergleich zu Paulus betont Markus kein Bundmotiv bei dem Kelchwort. Zum Schluss gibt Jesus bei dem Abendmahl in Markus einen eschatologischen Ausblick auf das kommende Gottesreich. 3.1.1.3 Fünf Gemeinsamkeiten Es gibt durchweg sowohl bei den Evangelisten wie auch bei der paulinischen Tradition folgende fünf Gemeinsamkeiten: Das Brechen des Brots, die Aussage »Das ist mein Leib«, der Kelch, der Bund und schließlich der eschatologische (aber wörtlich nicht übereinstimmende) Ausblick. Die Reihenfolge der Verteilung (Brot ! Kelch) stimmt in beiden Texten ebenfalls überein.242 Wahrscheinlich gehören diese fünf Motive zur Urgestalt der Abendmahlsüberlieferung.243 Umstritten sind jedoch die Unterschiede, die sich zwischen den Texten aufzeigen lassen. Wie folgt, fasst Gerd Theißen wichtige Unterschiede schematisch zusammen.244

240 Vgl. J. Gnilka, Das Matthäusevangelium, II. Teil, 399; P. Lampe, Das korinthische Herrenmahl, 207: Der Asymmetrie zwischen Brot und Kelch in 1 Kor 11,25 »entspricht die zweifellos ältere liturgische Situation. daß Brot- und Kelchwort noch nicht zusammen rezitiert werden, sondern durch eine Mahlzeit getrennt sind.« 241 Matthäus schreibt rp³q pokk_m um in peq· pokk_m, damit erkennbar wird, dass der Opfertod Jesu mit Jes 53,4.12 ausdrücklich zusammenhängt. Vgl. W. Grundmann, Das Evangelium nach Matthäus, 536. 242 Die Frage, warum Paulus in 1 Kor 10,16 f zunächst den Kelch und danach das Brot anspricht, hat E. Käsemann überzeugend erläutert, Anliegen und Eigenart, 13. »Seine Argumentation vertrug nicht das Becherwort am Schluß von V. 16, weil V. 17 nur vom Brotwort her abzuleiten war.« 243 Vgl. W. Grundmann, Das Evangelium nach Markus, 387. 244 G. Theißen/ A. Merz, Jesus, 367.

92

Mt 26, 26-29

Trauer und Abendmahl

Mk 14,22-25

Lk 22,15-20

1 Kor 11.23-25

Eschatologischer Ausblick a) Passa b) (Passa-) Becher Das ist mein Leib

Das ist mein Leib

Das ist mein Leib

Das ist mein Leib

für euch

für euch

gegeben

Das ist mein Blut

Das ist mein Blut

des Bundes

des Bundes

Wiederholungs-

Wiederholungs-

befehl

Befehl

Dieser Kelch ist der

Dieser Kelch ist der

neue

Bund

in

meinem Blut für viele vergossen

für viele vergossen

neue

Bund

in

meinem Blut

Für euch vergossen

zur Vergebung der Sünden Widerholungsbefehl Eschatologischer

Eschatologischer

Eschatologischer

Ausblick

Ausblick

Ausblick

3.1.2 Die ältesten Abendmahlsworte Es stellt sich die Frage, ob die uns bekannten Einsetzungsworte auf den historischen Jesus zurückgeführt werden können. Wie oben erwähnt, kann deutlich beobachtet werden, dass die Einsetzungsworte, die sowohl in pln. als auch in mk. Überlieferung, wie oben erwähnt, verschiedenen hochtheologischen Deutungen tragen, den Tod Jesu explizieren und interpretieren: Die soteriologische Deutung, der Gedanke des neuen Bundes, der eschatologische Ausblick auf die Parusie Jesu und die künftige Gottesherrschaft. Es ist deshalb nur schwer, solche Worte mit seinem Tun und Verkündigen in Einklang zu bringen. Wie die Einsetzungsworte ursprünglich oder gar im Mund Jesu gelautet haben mögen, wurde zwar oft versucht zu rekonstruieren, keiner der Versuche konnte bisher jedoch überzeugen, weil die Einsetzungsworte vielfältige Motive der Urgemeinde widerspiegeln und von den Traditionsträgern auf verschiedene Weise verarbeitet worden sind.245 Man sollte diese Frage offen lassen.Aber man kann 245 Dieser Interpretation liegt, wie gesagt, vermutlich das psychologische Motiv der oben erwähnten Rekonstruktion von Bedeutungsstrukturen zugrunde. Da man z. B. das Bun-

Die Abendmahlsüberlieferung

93

davon ausgehen, dass alle andern Motive, außer dem Motiv des eschatologischen Ausblicks, die theologische Interpretation in Bezug auf den Tod Jesu in der nachösterlichen Gemeinde spiegeln. Gerade deshalb, weil der Kern der Verkündigung Jesu die Vergegenwärtigung des vollkommenen Reiches Gottes unter der eschatologischen Erwartung stand (vgl. Mk 1,15), gibt es nur ein Wort des historischen Jesus beim letzten Mahl, welches das Reich Gottes erwähnt: Mk 14, 25.246 »Wahrlich, ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis an den Tag, an dem ich aufs neue davon trinken werde im Reich Gottes.«

Ebenso meint dazu Takashi Onuki: Mk 14,22 – 24 ist »im Wesentlichen eine durch die nachösterliche Gemeinde gebildete Ätiologie der urchristlichen Eucharistiefeier. Die Überlieferung geht deshalb bis auf ganz wenige Einzelworte nicht auf den historischen Jesus zurück. Wie die Aussage ›das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das für viele vergossen wird‹ (V. 24) ganz klar zeigt, spiegelt sich hier ganz deutlich das christologische Interesse der Urgemeinde wider.«247 T. Onuki hält lediglich Mk 14,25 für einen Ausspruch, den der historische Jesu beim Abendmahl getätigt hat.248 Daraus hat man zu schließen: Die eschatologische Erwartung gehört zum »Urgestein« der Abendmahlsüberlieferung.249 Jesus scheint bei seinem letzten Mahl mit seinen Jüngern die Erwartung des vollkommenen Reiches Gottes gefeiert zu haben. Angesichts all dieser Beobachtungen könnte man das letzte Mahl nicht als Mahl des Abschieds und der Trauer betrachten, sondern den eschatologischen Freudencharakter des Abendmahls in den Vordergrund rücken.250 Warum wollte Jesus beim letzten Mahl die Naherwartung des Reiches Gottes als

246 247

248 249 250

desmotiv außer bei der Abendmahlstradition in der Jesusüberlieferung nirgends findet, ist es naheliegend anzunehmen, dass es nicht zur Tradition des historischen Jesu gehört. Vgl., J. Schröter, Das Abendmahl, 133. Vgl. R. Bultmann, Geschichte 286; E. Gräßer, Die Naherwartung, 114. Mit dem letzten Mahl hat Jesus Abschied gefeiert »in der Gewissheit, daß mit seinem Tode oder kurze Zeit danach das Reich Gottes hereinbrechen würde.« Zu demselben Ergebnis kommt J. Schröter, Das Abendmahl, 132 – 134: »Die Einsetzungsworte stammen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht von Jesu. Sie verdanken sich jedoch zwei Anstößen: Der eine – allgemeine – Anstoß ist das Wirken Jesu. Dieses wurde von der nachösterlichen Gemeinde als ein Leben und Sterben zugunsten anderer interpretiert und in den Einsetzungsworten zusammengefasst. Der zweite – spezielle – Anstoß ist die durch das ›Verzichtswort‹ erläuterte ungewöhnliche Handlung Jesu, mit der er beim letzten Mahl auf den Kelch verzichtete und seinen Jüngern die Anweisung gab, aus seinem Kelch zu trinken.« A.a.O., 133. Vgl. A. Standhartinger, Das Abendmahl im Neuen Testament: Eine Einführung, 28. T. Onuki, Jesus, 197. A. Vögtl, Der verkündende und verkündigte Jesus, 68. Vgl. T. Onuki, Jesus, 198. Vgl. E. Schweizer, Das Abendmahl, 81 – 101; A. B. du Toit, Der Aspekt der Freude, 101 f. Ob das letzte Mahl Jesu ein Freudenmahl ist, in dem die durch den Heilstod Jesu zugeeignete Gottes – und Messiasgemeinschaft vorweggenommen wurde, ist aber sehr fragwürdig.

94

Trauer und Abendmahl

einen kohärenten Bestandteil der Jesusverkündigung verkündigen?251 Wahrscheinlich hat der irdische Jesus die Wiederbegegnung mit seinen Jüngern im Reich Gottes wirklich bis zu seiner Todesstunde gewünscht und erhofft.

3.2

Grundmotiv des Abendmahls: Erinnerung der Mahlgemeinschaft Jesu

Bis zu seiner letzten Stunde erwartete Jesus das Reich Gottes und in der Mahlgemeinschaft sah Jesus die Realität dieses Reiches schon angebrochen. Oft berichten die Evangelien, dass Jesus als Teilnehmer an Gastmählern eingeladen wurde (z. B. Mk 2,15ff). Die Mahlgemeinschaft Jesu soll als »Ausdruck der grenzenlosen Liebe Gottes« verstanden werden.252 Insbesondere stiftet gemeinsames Essen mit Anderen Gemeinschaft und feste Beziehungen. Bei dem französischen Soziologen Êmile Durkheim steht im Vordergrund, dass in vielen Gesellschaften »die gemeinsamen Mahlzeiten unter jenen, die daran teilnehmen, eine künstliche Verwandtschaft erzeugen. Verwandte sind ja tatsächlich Wesen, die ihrer Natur nach aus demselben Fleisch und demselben Blut stammen. (…) Eine gemeinsame Mahlzeit kann also die gleiche Wirkung haben wie ein gemeinsamer Ursprung.«253 Die Mahlgemeinschaft in der Urgemeinde begründete somit keineswegs eine alltägliche, sondern vielmehr eine Mahlgemeinschaft mit einer eschatologischen Perspektive. Dieser eschatologische Ausblick angesichts des Reiches Gottes stammt vermutlich von Jesus selbst.254 Entscheidend für Jesus ist die Tatsache, dass die Mahlgemeinschaft sichtbares Zeichen für die gegenwärtig werdende Gottesherrschaft ist.255 So darf man annehmen: »An seinem Tisch wurden die Befreiten und Angenommenen zu einem Miteinander gesammelt, in dessen Bewährung sich bereits die neue endzeitliche Wirklichkeit konkretisierte.«256 Man kann deshalb davon ausgehen, dass das Grundmotiv des Abendmahlsritus die Erinnerung an die Mahlgemeinschaft war, die der historische Jesus Vgl. J. Schröter, Das Abendmahl, 160. M. Klinghardt, »Nehmt und esst, das ist mein Leib«, 40. E. Durkheim, Die elementaren Formen, 455. Dies hat U. Schnelle zum Ausdruck gebracht: »Jesus feiert das Mahl mit den Jüngern in der Erwartung des kommenden Reiches und seines Abschieds.« U. Schnelle, Theologie des Neuen Testaments, 79. 255 Vgl. T. Onuki, Jesus, 144: »Nach Jesus ist das Reich Gottes in erster Linie Essen und Trinken.«; U. Schnelle, Theologie des Neuen Testaments, 91: »Die offene Mahlpraxis Jesu mit ihrem Heilscharakter (Mk 2,19a) gehört in das Zentrum des Wirkens Jesu.« 256 J. Roloff, Neues Testament, 218. Die Mahlgemeinschaften Jesu sind eine Weise, »wie die Gottesherrschaft sich gegenwärtig zeigt und durchsetzt.« K-H- Bieritz, Liturgik, 280. 251 252 253 254

Grundmotiv des Abendmahls: Erinnerung der Mahlgemeinschaft Jesu

95

praktizierte.257 Womöglich hat der historische Jesus seinem letzten Mahl mit den Jüngern besondere Bedeutung beigemessen. Diese Vermutung drängt sich auf: In den letzten gemeinsamen Stunden offenbart sich das wahre Verhältnis zwischen Meister und Jüngern. Die Tradition vom letzten Mahl Jesu hängt mit der Erinnerung an die letzten gemeinsamen Mahlzeiten mit dem irdischen Jesus offensichtlich zusammen.258 Bei der Erinnerung an den Toten hilft dem Trauernden, die gemeinsame Zeit in sich integrieren zu können. Integration in sich selbst ist die unverzichtbare Aufgabe für den Trauernden, um die Trauer zu bewältigen. Die Erinnerung wirkt sich auf uns nicht nur dahingehend aus, vergangene Tage zu wiederholen, sondern sich auch in den kommenden Tagen neu zu orientieren. Das heißt, die Erinnerung bedeutet keineswegs, dass man in der Vergangenheit lebt. Vielmehr zeigt sie, wie wir weiter gehen sollen. Gemeinsames Essen ist notwendig für die Erinnerung an Jesus. Deshalb hat die ursprüngliche Abendmahlsüberlieferung ihren Sitz im Leben in den Mahlfeiern der Urgemeinde.259 Der Abendmahlritus weist die Rekonstruktion der gemeinsamen Zeit mit dem irdischen Jesus und die Übernahme seiner Aufgabe (Verkündigung Gottes Reichs) hin. Man könnte zwar eine Analogie zwischen Totenmahlzeiten oder Gedächtnismahl zur Erinnerung an den Toten sowohl im griechisch-römischen Raum als auch im Judentum und Abendmahl finden.260 Jer 16,7 beispielsweise zeigt den jüdischen Brauch, die Angehörigen eines Toten durch das Brechen des Brotes und das Trinken aus dem Kelch zu trösten. Aber die Wurzeln des Abendmahls liegen meines Erachtens nicht in einem feierlichen Totengedenken, bei dem die Hinterbliebenen zusammenkommen und sich erinnern. Weil im Abendmahl nicht nur der Vergangene betrauert, sondern auch die zukünftige Wiederkunft 257 Was die Herkunft der Abendmahlpraxis betrifft, postuliert H. Lietzmann zwei Wurzeln: Das eschatologische Freudenmahl der Urgemeinde in Jerusalem, die die Tischgemeinschaft Jesu fortgesetzt hat, und der paulinische Mahltyp, der am letzten Mahl Jesu anschließt und das Totengedächtnis einbringt. H. Lietzmann, Messe und Herrenmahl, 174 – 263. Demgegenüber hat F. Hahn drei Wurzeln des Abendmahls überzeugend nachgewiesen: Die Mahlgemeinschaften des historischen Jesus (Mk 2,15 f par ; Lk 15,2), sein Abschiedsmahl und das Erscheinungsmahl des Auferstandenen (Apg 10.40 f; Lk 24,30 f; Joh 21,12 f). F. Hahn, Theologie des Neuen Testaments, Band I, 157: »Dabei war das Abschiedsmahl der Kristallisationskern für die nachösterliche Feier, wie vor allem die Einsetzungsworte zeigen. Jesu Mahlgemeinschaften wirkten in der Offenheit und Aufnahmebereitschaft nach, die Erscheinungsmahle in der Gewißheit der lebendigen Gegenwart des Auferstandenen.« Vgl. ders., Die alttestamentlichen Motive, 338ff; G. Theißen/ A. Merz, Jesus. 373 – 376. 258 Vgl. G. Theißen, Die Religion der ersten Christen, 175: »Das Abendmahl entstand aus den Mahlgemeinschaften Jesu. Es wird in Erinnerung an das letzte Mahl auf den Tod Jesu bezogen!« 259 Mit großer Wahrscheinlichkeit feierte die Urgemeinde regelmäßig den Ritus des Abendmahls (Apg. 2,42.46; 20,7.11 u. a.) Vgl. J. Roloff, Neues Testament, 212. 260 H-J. Klauck, Herrenmahl und hellenistischer Kult, 76 – 88.

96

Trauer und Abendmahl

Jesu gefeiert wird. Als Unterpfand der Hoffnung, dass es ein Wiedersehen mit Jesus geben wird, ist dieser Ritus den Jünger gegeben. Der Abendmahlritus unterscheidet sich in diesem Sinne vom gängigen Totenmahl.

3.3

Motiv der Parusie Jesu

Obschon zur Urgestalt des Abendmahlsworts von Jesus selbst nur einzelne Worte (Mk 14,25) gehören, ist es dennoch für uns wichtig, dass in andern Einsetzungsworten noch ein wichtiges Motiv enthalten ist: Die Hoffnung und Erwartung der Parusie Jesu. Meines Erachtens ist das Motiv der Parusie Jesu älter als die andern Motive (die soteriologische Deutung, und der Gedanke des neuen Bundes).261 Der Abendmahlritus schließt mit der Parusie Jesu ab: »Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn bis er kommt (1 Kor 11,26).« Paulus und die Synoptiker haben diese Traditionen aufgenommen. Aber man kann beobachten, dass die Erwartung des Wiedersehens Jesu ein wichtiges Motiv auch für die Jünger ist. Zwar werden im Abendmahlsritual vorherrschende Trostmotive gefunden, aber es ist leicht erfassbar, dass dieses Mahl den Jüngern die Abwesenheit Jesu schmerzlich bewusst gemacht hat. Wie gesagt, dieser eschatologische Ausblick stammt nicht vom historischen Jesus, sondern höchstwahrscheinlich aus der Urgemeinde,262 denn durch die Abendmahlsliturgie in der Urgemeinde zieht sich eine eschatologische Grundstimmung, die nachdrücklich in der Erwartung der Wiederkunft Jesu gipfelt. Man bestätigt hier, dass Jesus in der Zukunft wiederkommen wird. Diese Erwähnung bezieht sich auf die Vorstellung der Parusie Jesu. Die Abendmahlstradition ist geprägt von dem Ausblick auf die unmittelbar bevorstehende Parusie Jesu, so dass sich hier eine dominierende eschatologische Ausrichtung findet. Im Glauben an den von den Toten auferstandenen Jesus Christus erwartete die Urgemeinde das Wiederkommen Jesu Christi. Am Ende des ersten Korintherbriefs liest man die eschatologische Aussage »Maranatha« (1 Kor 16,22). Diese Aussage begegnet einem auch in der Abendmahlsliturgie der Didache 10,6. Vermutlich integrierte Paulus damit eine Aussage, die von den Teilnehmern und Teilnehmerinnen zum Abschluss des Abendmahls verwendet 261 Die beiden Motive können als Interpretationen des Todes Jesu betrachtet werden, so dass sie sekundäre Motive sind. Außerdem können sie wahrscheinlich auch, wie oben erwähnt, in ihrer Art und Weise »Meaning Reconstruction« der Trauernden sein. 262 Vgl. F. Hahn, Hoheitstitel, 105: »das Abendmahl war eine Vorwegnahme des Mahles der Endzeit, und die eschatologische Freude bestimmte die Feier.« Vgl. B. Sandvik, Das Kommen des Herren beim Abendmahl, 36.

Motiv der Parusie Jesu

97

wurde.263 Höchstwahrscheinlich kann dem Glauben an die Wiederkunft Jesu eine entscheidende Funktion in der Urgemeinde zugeschrieben werden. Dieser Glaube verspricht den Jüngern Bewältigung der Trauer und eine neue Existenz. Mit dieser Erwartung erinnern sich die Jünger an die letzte Stunde Jesu. Mir scheint die Verkündigung des Abendmahls primär eine Verkündigung der Parusie Christi gewesen zu sein.264 Man kann nach allem davon ausgehen, dass die Wurzeln des Abendmahlsrituals im Bedürfnis und Wunsch der Jünger liegen, Jesus im Laufe des Abendmahls wiedersehen zu können. In dieser in der Urgemeinde regelmäßig stattfindenden Feier haben die Teilnehmer die Bedeutung des Todes Jesu verinnerlicht. Im Trauerfall verliert man wegen des Verlusts eines verstorbenen Menschen oft Sinn und Bedeutung für sein eigenes Leben. Daher ist für Trauernde die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit dem verstorbenen Menschen von großer Relevanz. Einerseits wird im Abendmahlsritual erfahren, dass Jesus gegenwärtig ist, anderseits, dass er wiederkommt.265 Ferner wurde das Abendmahl für die Jünger nach Jesus Tod als Vergegenwärtigung seines Sterbens neu gedeutet. Darauf weist das Wort Jesu hin: »solches tut zu meinem Gedächtnis« (1 Kor 11,24). Das Abendmahl fungierte als eine Zeremonie zum Gedenken an den verstorbenen Jesus. Mit dieser können die letzten gemeinsamen Stunden mit Jesus rekonstruiert und vergegenwärtigt werden. Der Ausspruch »eQr tµm 1lµm !m²lmgsim« sollte hierzu in Betracht gezogen werden.266 Das Wort »Erinnerung (!m²lmgsir)« bedeutet »primär Vollzug und Vergegenwärtigung einer repräsentativen Vergangenheit in Worten und Handlung und nicht eine geistige Rückschau und Rückerinnerung.«267 Aus alle diese Beobachtung hat man zu schließen: Einerseits fungiert das Gedächtnismahl als Wiederbegegnung mit dem Verstorbenen,268 anderseits

263 Vgl. W, Schrage, Der erste Briefe an die Korinther, VII/4, 473; H. Merklein, Studien zu Jesus und Paulus, 175; B. Sandvik, Das Kommen des Herren beim Abendmahl, 29; F. Hahn, Zum Stand, 556; O. Cullmann, Urchristentum und Gottesdienst, 16 – 23. 31 f. 264 Mit Recht konstatiert F. Hahn: »Die urchristlichen Mahlfeiern standen alle im Horizont eschatologischer Hoffnung.« F. Hahn, Zum Stand, 558. 265 Vgl. W. Schrage, Studie zur Theologie im 1. Korintherbrief, 175: »Die Feier des Herrenmahls ist also in einem in der Geschichte Jesu Christi verankerte Verheißung seiner Gegenwart und seiner Zukunft.« 266 H. Lietzmann zufolge hat diese Formel »zu meinem Gedächtnis« mit den antiken Totengedächtnismahlen und ihrer Stiftung zu tun. H. Lietzmann, Korinther I/II, 57 f; ders., Messe und Herrenmahl, 223, doch hat seine Auffassung vielfach Kritik erfahren. Z. B. J. Jeremias, Die Abendmahlsworte Jesu, 230 – 235; O. Hofius, Herrenmahl und Herrenmahlsparadosis, 230 – 237. O. Hofius zufolge vollzieht sich das Gedenken der »!m²lmgsir« in der Verkündigung des Todes Jesu. 267 Vgl. W. Schrage, Der erste Brief an die Korinther, VII/4, 41. 268 Vgl. H-J. Klauck, Präsenz im Herrenmahl, 324. »Im Hintergrund stand ursprünglich der

98

Trauer und Abendmahl

handelt es sich beim Abendmahl um die Vergegenwärtigung des gestorbenen Jesus. Laut Studien der letzten Jahrzehnte empfindet man bei den Festen oder Feiern oft die Gegenwärtigkeit der Toten.269 Was das Abendmahl in der Urgemeinde anbelangt, entsteht diese Empfindung in der Spannung zwischen der Erinnerung an den irdischen Jesus und die Erwartung auf wiederkommenden Jesu. Mit andern Worten: Der Abendmahlsritus beinhaltet die zwei Zeitformen, Vergangenheit (Erinnerung) und Zukunft (Parusie). Deshalb könnte es sein, dass die Jünger es so wahrnahmen, dass durch den Ritus der gestorbene Jesus wieder gegenwärtig wurde. Dies darf als eine zentrale Bedeutung des Abendmahls gelten.

Abbildung 8: Abendmahlsritual: Vergangenheit und Zukunft

3.4

Zusammenfassung

Die Keimzelle der Entstehung des Abendmahlfests wäre die Trauer der Jünger. Die bisherigen Untersuchungen haben zu dem Ergebnis geführt, dass zur Urgestalt des Abendmahlsworts von Jesus selbst folgende Worte gehören: Wahrlich, ich sage euch, dass ich nicht mehr trinken werde vom Gewächs des Weinstocks bis an den Tag, an dem ich aufs neue davon trinken werde im Reich Gottes. Zwar stammt der Brauch des Abendmahlritus vom letzten Mahl, das Jesus am Vorabend seines Todes mit seinen Jünger feierte, aber das hat sich in der in der Urgemeinde gefeierten Form erst nach dem Tod Jesu herausgebildet. Die Glaube an die persönliche Gegenwart des Verstorbenen und die Essensgemeinschaft mit ihm. Das Mahl zu seinem Gedächtnis schenkt ihm ein partielles Weiterleben.« 269 Das Fest, »an dem mit der alltäglichen Zeit auch die Todesgrenze aufgehoben ist: die Festeilnehmer werden zu Zeitgenossen der Toten.« R. Messner, Einführung in die Liturgiewissenschaft, 161.

Zusammenfassung

99

Abendmahlstradition steht in Verbindung mit den Mahlgemeinschaften des irdischen Jesus, welche die Jünger, Frauen und sogar Sünder einschlossen. Dem Hintergrund der Entstehung des Abendmahlsritus liegt deshalb ein wichtiges Motiv der Erinnerung der Mahlgemeinschaft zu Grunde. Wozu die Mahlgemeinschaft in der Urgemeinde begründet wurde, ist leicht zu beantworten: Um an Jesus zu erinnern. Die Abendmahlsüberlieferung verbindet auch ihren Ursprung mit der Mahlgemeinschaft, und vor allem dem letzten Mahl Jesu. In den Abendmahlstexten liegt der eschatologische Ausblick vor: Bei Paulus/ Lk die Parusie Jesu; in Mk 14,35 die Basileia Zur Mahlgemeinschaft gehört ebenso das Motiv der Erwartung, das Jesus wiederkommen wird, so dass der Abendmahlritus keineswegs bloß als Erinnerungsritus definiert werden soll, sondern eher als ein Ritus, der den Jüngern die Hoffnung gibt: Jesus kommt wieder. Diese Hoffnung ist ein grundlegender Aspekt für die Jünger, um die Trauer zu bewältigen. Gerade deshalb trägt der Abendmahlsritus zwei bedeutende Elemente: Die Erinnerung an Jesus und die Hoffnung auf das Wiederkommen Jesu. Allerdings ist es von Belang, dass die Jünger bei diesem Ritus die Tatsache wahrnehmen: Jesus ist da und gegenwärtig.

4 Trauer und Auferstehung Da bist du nun, wieder, da: P. Celan

Der aufrichtige Wunsch des Trauernden gilt einem Wiedersehen mit der verstorbenen Person. Allerdings ist diese innigste Sehnsucht nicht zu verwirklichen, da der Tod schließlich ewigen Abschied bedeutet. Seltsamerweise berichtet jedoch die Trauerforschung, dass Trauernde oftmals Visionen von Verstorbenen haben. Sind solche Visionen ein rein psychologisches Phänomen? Oder gar mehr als das? Nun muss der Zusammenhang zwischen der Trauerarbeit und der Auferstehungserfahrung der Jünger Jesu erwähnt werden. Sie scheinen im Gegensatz zueinander zu stehen. Der Grund, warum sich die Jünger nach dem Tod Jesu, bei dem sie geflohen waren, wieder versammeln konnten, geht auf das Resultat erfolgreich geleisteter Trauerarbeit zurück. Die Auferstehungserfahrung war eine wichtige Vorraussetzung, um die Trauer bewältigen zu können. Genauer gesagt: Ostern stellte einen Neuanfang dar. Die zerstreuten und traurigen Jünger Jesu konnten einen neuen Schritt gehen. Das bedeutet jedoch schlechterdings nicht, dass die Auferstehung die absolute Überwindung der Trauer der Jünger sein konnte. Meine Vermutung drängt sich auf: Obgleich die Jünger dem Auferstandenen begegneten, mussten sie sich ehrlich mit ihrer Trauer beschäftigen und Trauerarbeit leisten. Tatsächlich ist Ostern die Keimzelle der Trauerarbeit der Jünger geworden. Wahrscheinlich konnten sie durch die Ostererfahrung ihr Schuldgefühl trotzdem nicht bewältigen, und dies obwohl sie die Auferstehungserfahrung mit Jesus gemacht hatten, vielmehr muss wohl angenommen werden, dass die Jünger durch die Ostererfahrung ihre Schuldgefühle besser verstanden haben. Es geht darum, dass die Jünger die Auferstehung Jesu als Versöhnung wahrgenommen haben. Was bedeutet die Erscheinung des Auferstandenen für die Jünger? Wie hängt sie mit der Trauerarbeit zusammen? In welchem Milieu und in welcher Situation sind die Erscheinungserzählungen entstanden?

102

4.1

Trauer und Auferstehung

Formeltradition und Erzähltradition der Ostertexte

Wie oben eingehend untersucht, wird in der ältesten Überlieferung in 1 Kor 15, 3ff die Auferstehung Jesu berichtet. Die Wendung ¥vhg könnte die Offenbarungsgegenwart andeuten. Was erzählen die anderen Osterüberlieferungen im Neuen Testament sonst noch? Im Neuen Testament existieren zwei verschiedene Ostertextversionen; Die Formeltradition (1 Kor 15,3 – 8) und die Erzähltradition (Mk 15,42 – 16,8; Mt 27,57 – 28,20; Lk 23,50 – 24,53; Apg 1,1 – 11; Joh 19,38 – 21,25). Das alte Auferstehungszeugnis findet sich in der kerygmatischen Überlieferungsformel in 1 Kor 15,3 – 8. Nach Gerd Theißen stellt sich der Vergleich von Formel- und Erzähltradition folgendermaßen dar :270 Erzählüberlieferung Lk 24,34: Sie sagten: der Herr ist wirklich auferstanden und Simon erschienen. Vgl. Reflexe dieser Erscheinung; Mk 8,29 (Messiasbekenntnis); Lk 5,1 – 11/ Joh 21,1ff (Erscheinung beim Fischfang?); Lk 22,31 f. Konkurrierende Tradition: Ersterscheinung vor Maria Magdalena: Joh 20,11.18; Mt 28,1.9 f; Mk 16,9 – 11 15,5: danach den Zwölfen Auftragserscheinungen: Mt 28,16 – 20 (Galiläa): Mission Lk 24,36 – 49 (Jerusalem): Mission Joh 20,19 – 23 (Jerusalem): Kirchengründung 15,6: danach erschien er mehr als 500 Keine Entsprechung? Brüdern auf einmal Manche vermuten, die Pflingstgeschichte (Apg 2) sei eine Verarbeitung dieser Tradition 15,7: dann allen Aposteln- ohne »auf Keine Entsprechung, wenn nicht »alle einmal« also sukzessive? Apostel« mit »den Zwölfen« identisch sind und eine Dublette zu 15,5 vorliegt (was unwahrscheinlich ist). Oder Entsprechung in Lk 24,13ff; Joh 20,11ff (s. u.)? 15,8: als letztem aber von allen erschien er Apg 9,1 ff; 22,3ff; 26,9ff gleichsam als einer Fehlgeburt auch mir (=Paulus). Keine Entsprechung Das leere Grab (Mk 16,1 – 8 par.; Joh 20,1.15) Keine Entsprechung, es sei denn in 15,7 Erscheinungen (Lk 24,13ff; 20,11.18) 1 Kor 15,3 – 8 15,4 f: …dass Christus auferstanden ist und Kephas erschienen ist

Die Tatsache, dass es im NT divergierende Traditionen des Auferstehungszeugnisses gibt, macht es schwierig, die wesentliche Frage einzukreisen, was die Auferstehung im Grunde für das Urchristentum bedeutet hat. Wenn Paulus von 270 G. Theißen/ A. Merz, Jesus, 425.

Die Überlieferung des leeren Grabs

103

der Auferstehung Jesu als dem Handeln Gottes spricht (vgl. Röm 6,4; 10.9 usw.) und die Zeugnisse der Erscheinungen des Auferstandenen von Jüngern dargestellt werden (1 Kor 15,5 – 8), so unterscheidet sich dies von der Tradition im Markusevangelium, die die zukünftige Auferstehung Jesu dreimal zur Sprache bringt (Mk 8,21ff; 9,31ff; 10,34) und die Erscheinungen des Auferstandenen vor Frauen (Mk 16,7) überliefert. Das Johannesevangelium beschreibt erst eine Erscheinung vor Maria Magdalena (Jo 20,11 – 18), danach vor den Jüngern (Jo 20,19 – 23). Im Matthäusevangelium erscheint Jesus Maria Magdalena und anderen Frauen (Mt 28,9.10). Ferner spricht das Neue Testament von zweierlei Erscheinungsorten des Auferstandenen: Galiläa und Jerusalem. Im Markusevangelium liegt die Aussage vor, dass die Jünger und Jüngerinnen Jesus in Galiläa wieder gesehen haben (Mk 14,28; 16,7). Die Frage der Lokalisierung der ersten Erscheinungen ist sehr umstritten.271 In 1 Kor 15,3ff wird über Zeit und Ort nichts berichtet. In Mk 16,1ff gibt es keine Erscheinung Jesu, es wird nur von den Erlebnissen am leeren Grab berichtet. Dort findet sich nur der Hinweis des Engels (Mk 16,7). Im Matthäusevangelium sind sie Jesus auf dem Berg in Galiläa wieder begegnet (Mt 28,16 f). Die beiden Erzählungen würden also die historische Tatsache zeigen, dass die Jünger in ihrer Heimat den auferstandenen Jesus wieder gesehen haben. Allein das Lukas- und Johannesevangelium berichten darüber hinaus, dass die Jünger ihn in Jerusalem wieder gesehen haben (Lk 24,36ff; Joh 20,11ff).272 So konnte deutlich werden, dass die Auferstehungsüberlieferungen verschiedenen Zeiten und Situation entstammen. Im Hinblick auf diese verschiedenen Traditionen gibt es zwei Möglichkeiten für den Erscheinungsort.

4.2

Die Überlieferung des leeren Grabs

Die Überlieferung des leeren Grabs ist in allen vier Evangelien und sogar außerhalb des Kanons im Petrusevangelium enthalten. Kann der historische Wert sicher eingeschätzt werden? Die Untersuchung von Martin Dibelius hat zu dem Ergebnis geführt, dass die Geschichte vom leeren Grab als eine Legende bezeichnet werden kann, der geschichtliche Wahrheitsgehalt kann also in Abrede gestellt werden.273 Aber meiner Meinung nach ist der Umstand, dass das Grab Jesu leer historisch war. Der Grund liegt darin: Dem alttestamentlichen Verständnis von Mensch und Tod entsprechend wird im Tod die psychosomatische 271 Vgl. B. Steinseifer, Der Ort der Erscheinungen des Auferstandenen, 232 – 265. 272 Lukas zeigt eine theologische Vorliebe für Jerusalem (z. B. Lk 24,48; Apg 1,4). 273 M. Dibelius, Formgeschichte, 191. Massive Kritik an der Historizität des leeren Grabes Jesu ist von G. Lüdemann zu hören. G. Lüdemann, Auferstehung, 198.

104

Trauer und Auferstehung

Einheit des Menschen nicht gebrochen. Der Tote lebt in der Unterwelt in einer gewissermaßen verdünnten Leiblichkeit weiter, dann kehrt er mit dem Erstarken des Lebens wieder in vollem Leib zurück. Der Mensch lebt daraufhin als psychosomatische Einheit wieder auf.274 Auf dieser Grundlage konnten die Jünger Jesu kaum aussagen, dass Jesus wirklich auferweckt wurde, wenn der Leichnam Jesu in seinem Grab noch gelegen hätte.275 Allerdings ist es nicht möglich, historisch zu rekonstruieren, wo, wann und wie der Leichnam Jesu aus dem Grab entwichen ist. Sein Leichnam wurde möglicherweise von jemanden gestohlen, wie die Überlieferung über diesen Ablauf berichtet (Mt 28,11 – 16; Joh 20,2).276 Das Grab Jesu war leer.277 Diese Tatsache war ein weiterer schwerer Schock für die Jünger nach der grausamen Hinrichtung Jesu am Kreuz. Dass die Jünger, die den Tod Jesu beklagt haben, von dieser Tatsache abgrundtief getroffen wurden, ist leicht vorstellbar. Der Leichnam Jesu war fort, wodurch freilich dann das Auferstehungserlebnis der Jünger als einzigartiges Geschehen überhaupt erst

274 Vgl. P. Hoffmann, Art. Auferstehung, 444. 275 H. F. von Campenhausen untersucht den Ablauf der Historizität der Osterereignisse und die Bedeutung des leeren Grabes. Darin steht für ihn im Vordergrund: Ein historisch begründetes Urteil über die geschichtlichen Abläufe der Ostergeschehnisse ist möglich. H. F. von Campenhausen, Der Ablauf der Ostereignisse, 1958. Vgl. J. Adam, Das leere Grab als Unterpfand der Auferstehung Jesu Christi, 59 – 75. 276 Nach J. Klausner hat Joseph von Arimathia am Sabbat-Ausgang den Leichnam im Geheimen herausgeholt und ihn an einem anderen unbekannten Ort begraben, da er es für ungebührlich hielt, dass ein Gekreuzigter im Grabe seiner Väter ruhte. Die Vermutung Klausners ist zwar historisch nicht nachweisbar, doch erklärt sich so, dass der Leichnam Jesu verschwunden war. J. Klausner, Jesus von Nazareth, 496. 277 Die Erzähltradition der Auferstehung ist sowohl in der synoptischen Tradition (Mt 28, 1ff, Mk 16, 1ff, und Lk 24,1ff) als auch in der johanneischen Sondertradition (Joh 20,1ff) erhalten. Die Ausgestaltung der Erscheinungserzählungen ist unterschiedlich formuliert und diese Versionen sollen von daher sorgsam miteinander verglichen werden. Durchweg allen Evangelisten ist es wichtig zu zeigen: Am leeren Grab Jesu erscheint der Engel (oder die Engel). Bezeichnend sind viele Differenzen zwischen den verschiedenen Versionen. Der Abschluss der Perikope in Mt und Joh ist ganz anders ausgefallen als bei Mk. Markus berichtet lediglich die Botschaft des Engels, die indessen bei Johannes (ebenso Matthäus) die Erscheinung Jesu darstellt. Bei Johannes und Matthäus erscheint Jesus den Frauen (bei Johannes nur Maria von Magdala). Offensichtlich scheint annehmbar zu sein, dass vier Evangelisten allesamt fünf Motive erwähnen; Datum, Zeit, Maria von Magdala, Stein, Erscheinung des Engels. Die Frage, ob die ältere Erzähltradition diese Motive enthält, muss man ins Auge fassen. Womöglich gehört zu dieser Erzählung kein Datum- und Zeit-Motiv. Meine Vermutung ist: Als diese Erzählung mit der ursprünglichen Passionsgeschichte verknüpft wurde, wurden wahrscheinlich beide Motive dargestellt, damit beide Traditionen miteinander harmonisiert werden konnten. Demzufolge sind die Datums- und Zeitangaben Zusätze zur vorliegenden Passionsgeschichte. Wahrscheinlich sind die Frauennamen, das Stein-Motiv und die Erscheinung des Engels ursprünglich. Meiner Meinung nach gab es hinter Mk 16,1 – 8 (Mt 28,1 – 10; Lk 24,1 – 12) und Joh 20,1 – 18 diese ursprüngliche Tradition.

Auferstehungserlebnis als Trauer-Vision?

105

geglaubt werden konnte. Die Tatsache des leeren Grabes war eine unerlässliche Voraussetzung für das Auferstehungserlebnis der Jünger.

4.3

Auferstehungserlebnis als Trauer-Vision?

Fraglich erscheint allerdings, was eigentlich eine Visionerfahrung ist. Entscheidend ist, wo man bei diesem Problem einsteigt und was bei einer solchen Erfahrung wesentlich war. Hier scheint Psychologie mit ihren Kategorie hilfreich werden zu können. Die Erscheinungen und die sich hinter ihnen verbergende Wirklichkeit scheinen mir historisch und psychologisch erfassbar zu sein. Zunächst muss ich auf ein Problem hinweisen, das gerade in jüngster Zeit in besonderer Weise aktuell geworden ist: Kann das Auferstehungserlebnis als Trauervision definiert werden? Ist damit das Wesen der Geschehnisse der Auferstehung Jesu richtig erfasst? Gerd Lüdemann stellt in seinem Buch »Die Auferstehung Jesu. Historie. Erfahrung. Theologie« eine provokative These auf.278 Er versucht, die Deutung des Ostergeschehens als subjektive Realität darzustellen. Er bestreitet durch historische Überlegungen, dass das Grab Jesu leer war. Sodann stellt er in den Vordergrund, dass die Erscheinungsvision von Petrus aus seinem Trauerprozess zu erklären ist, in dem er seine Schuldgefühle gegenüber dem von ihm verratenen Jesus bewältigt. Seine These hat für Zündstoff in der aktuellen biblischen Forschung gesorgt. Sie erscheint sehr radikal, G. Lüdemanns Ansicht geht jedoch an einem Punkt nicht völlig fehl. De facto wird im Bereich der Trauerforschung häufig berichtet: Trauernde haben Visionen von Verstorbenen.279 Viele Trauernde suchen nach der verstorbenen Person. Öfter berichten sie, dass sie die Stimme der verstorbenen Person hören oder sie in einer Menschenmenge wieder zu sehen glauben.280 Wer die folgenden Beispiele laut liest, wird empfinden: Trauervisionen sind gar nicht selten. Dazu meint 278 G. Lüdemann, Die Auferstehung Jesu. Historie. Erfahrung. Theologie, Stuttgart 1994. 279 Laut Untersuchungen erleben mehr als 50 % der Personen, die bestimmten extremen Stresssituationen ausgesetzt sind, Halluzinationen. Belegt sind diese bei Katastrophen, Verlust nahe stehender Personen, Entführungen oder allgemeinen Stresszuständen. M. Reichardt, Psychologische Erklärung der paulinischen Damaskusvision?, 140 – 143. Konkrete Statistische Daten im Hinblick auf der Trauervisionen gibt W. D. Rees, The Hallucinations of Widowhood, 37 – 41. W. D. Lee findet heraus, dass viele Hinterbliebene die Anwesenheit von Toten fühlen und dies nicht mit Geschlecht, sozialer Schicht oder gesellschaftlicher Isolation korreliert ist. Mit aktuellen Ergebnissen verbindet auch D. C. Allison das Auferstehungserlebnis der Jünger und deute dieses als Trauervision von Hinterbliebenen. D. C. Allison, Resurrecting Jesus, 269 – 299. Vgl. J. A. Kent, The Psychological Origins of the Resurrection Myth, 21 – 48. 280 Zwar berichtet die Forschung oft über Visionserfahrungen Trauender, aber es gibt sowohl optische als auch akustische Halluzinationen. Oft hören Trauernde die Stimme des Toten oder sein Husten. C. M. Parkes, Bereavement, 68 f.

106

Trauer und Auferstehung

Colin Murray Parkes ganz konkret: »Confirmation of this evidence comes from Ree’s well conducted study of 227 Welsh widows and 66 widowers of all ages. He found that 39 per cent had a sense of the presence of the dead spouse and 14 per cent experienced hallucinations or illusions of his or her presence from time to time.«281 Weiterhin nennt er verschiedene konkrete Beispiele. »In the newly bereaved widow the perceptual element is very strong: ›He’ s with me all the time. I hear him and see him although I know it’s only imagination.‹ ›If I didn’t take a strong hold on myself. I’d get talking to him‹. Occasionally hypnologic (half-waking) hallucinations occur. One widow was resting in her chair on a Sunday afternoon when she saw her husband, quite clearly, digging in the garden with only his trousers on; another saw her husband coming in through the garden gate; a third saw her dead father standing by her bed at night.«282 Wichtig ist jedoch: Solche Visionen tragen keine negative Bedeutung für die Trauernden, sie helfen eher, die Trauer zu bewältigen,283da die große Mehrheit diese Wiederbegegnung als Trost empfindet. Wie die kritische Forschung von G. Lüdemann eindeutig herausgestellt hat, kann dieser Bericht mit der ältesten Überlieferung von der Auferstehung Jesu in 1 Kor 15, 5 f verglichen werden und aus diesem Grunde kann die Auferstehungserfahrung psychologisch als eine Halluzination begriffen werden. Die aktuelle Trauerforschung stützt diese Halluzinationshypothese. Die Jünger Jesu waren nach dem Tod Jesu am Kreuz in eine extreme Stresssituation geraten. In der Trauerforschung neigt man dazu, solche Erfahrung der Präsent der Verstorbenen als Illusionen zu betrachten. Dies bringt Dennis Klass zum Ausdruck: »Phänomene, die auf eine fortdauernde Bindung hinweisen, sind ein Gefühl der Anwesenheit, Halluzinationen, in verschiedenen Sinnesorganen, der Glaube daran, daß die Person weiterhin aktiven Einfluß auf Gedanken oder Ereignisse hat, oder eine bewußte Integration der Wesensmerkmale oder Tugenden des Toten in die eigene Person. Diese Phänomene werden auch in veränderten Bewußtseinszuständen erfahren.«284 Meiner Meinung nach sind solche Visionen freilich nicht nur Halluzinationen im Sinne eines psychologischen Produkts. Die Auferstehungserfahrung der Jünger war mehr als ein Echo der tiefen menschlichen Sehnsucht nach der Begegnung mit dem gestorbenen Jesus. Sie hat ihre Wurzel in einer Art tiefer 281 C. M. Parkes, Bereavement, 79.Vgl. P. Marris, Loss and Change, 25: »These senses of the dead person’s continuing presence, the dwelling on memories, dreams, illusions, talking with them in imagination, alternate with sharply painful reminders of loss. The prevailing mood is apathetic – a feeling of the aimless futility of life, which sometimes leads to thought of suicide.« 282 Ebd. 283 Von C.M. Parkes lautet eine These: »The commonest means of mitigating the pain of grieving comprises the maintenance of a feeling or impression that the bereaved person is nearby although he may not be seen or heard.« A.a.O., 77. 284 D. Klass, Ein neues Trauermodell aus dem englischen Sprachraum, 69.

Auferstehungserlebnis als Trauer-Vision?

107

mystischer Erfahrung.285 Solche Erfahrungen können zum Beispiel mit Erleuchtungserfahrungen in den verschiedenen mystischen Traditionen verglichen werden. Dank aktueller psychologischer Forschung kann ein Teil von solchen mystischen Erfahrungen wissenschaftlich erfasst werden. Der mystische Zustand könnte als außergewöhnlicher (bzw veränderter) Bewusstseinszustand (Altered state of consciousness) definiert sein.286 Wenn man sich in einem veränderten Bewusstseinzustand befindet, werden manchmal unfassbare Visionen in einer anderen Wirklichkeit gesehen.287 Gewiss ist es nicht leicht für einen normalen Menschen, sich in solche Erfahrungen einzufühlen. Diese Erfahrung ist jedoch in mystischen Berichten aus dem westlichen Kulturkreis wiedergelegt. Der US-amerikanische Psychologe und Philosoph William James berichtet von zahlreichen mystischen Erfahrungen in seinem Buch »Die Vielfalt religiöser Erfahrung«.288 Er ist der Meinung, dass der wesentliche Mechanismus der mystischen Erfahrung, in der man ein Einheitsgefühl empfindet (s. u.), erzeugt durch die Auflösung des Selbst. Die Jünger Jesu sind nach dem grausamen Tod Jesu am Kreuz in einen tiefen Schockzustand gefallen. In einem solch außergewöhnlichen Schockzustand haben sie mit einiger Wahrscheinlichkeit abnorme Erfahrungen gemacht. In einem veränderten Bewusstseinszustand kann eine undifferenzierte Einheit bzw. ein Einssein wahrgenommen werden. Eine solche Erfahrung ist so etwas wie der Sprung auf eine höhere Bewusstseinsebene; in dieser Erfahrung wird nämlich die Dualität von Leben und Tod überschritten.289 Meines Erachtens haben die Jünger Jesu die Überwindung der Dualität tiefgehend wahrgenommen. Die außergewöhnliche Erfahrung, in der die Grenze zwischen Leben und 285 Vgl. R. Otto, Das Auferstehungs-erlebnis als pneumatische Erfahrung, 159 – 178. 286 Kürzlich stellte John J. Pilch eine interessante These auf. Die Auferstehungserfahrung ist möglicherweise die Erfahrung eines veränderten Bewusstseinszustands. J. J. Pilch, Ereignisse eines veränderten Bewusstseinzustandes bei den Synoptikern, 33 – 42. Außergewöhnliche Bewusstseinszustände erwähnt auch S. Vollenweider im Blick auf die Ostervisionen der Jesusanhängerinnen und- anhänger. S. Vollenweider, Außergewöhnliche Bewusstseinszutände und die urchristliche Religion, 79. 287 J. J. Pilch eine vergleicht die Vision der Jünger mit veränderten Bewusstseinszuständen – Erlebnisse mit jüngst verstorbenen Personen in unserer heutigen Zeit. J. J. Pilch, Ereignisse eines veränderten Bewusstseinzustandes bei den Synoptikern, 41. »Die Tatsache, dass 90 Prozent der derzeitigen Bevölkerung auf diesem Planeten regelmäßig solche Erscheinungen haben, sogar ohne die Benutzung von Drogen oder anderen Stimulantien, besagt, dass die empirische Nachprüfung solcher Ereignisse in der Antike jedem Beobachter zugänglich war und auch heute noch ist.« 288 W. James, Die Vielfalt religiöser Erfahrung, Frankfurt am Main/ Leipzig 1997. 289 Solche Erfahrungen erklärt der amerikanische Psychiater R. J. Lifton. Er analysiert die verschieden Unsterblichkeitsgedanken und erwähnt dazu die Transzendenzerfahrung, die sich von anderen psychischen Zuständen unterscheidet. Diese Erfahrung umfasst verschiedene Formen der Ekstase und der mystischen Gefühle. R. J. Lifton, The Struggle for Cultural Rebirth, 88.

108

Trauer und Auferstehung

Tod überschritten worden ist, ist eingebunden in einen bestimmten geschichtlichen und kulturellen Rahmen. Für den antiken Mensch war vieles selbstverständlich, was der moderne Mensch anzweifelt. Der Gedanke der Auferstehung vom Tod, für viele moderne Menschen undenkbar ist, war für den antiken Menschen hingegen hinnehmbar. Ihre mystischen Erfahrungen haben die Jünger daher im Rahmen der von der gängigen jüdischen Religion vorgegebenen Kategorie der Auferstehung ausgedrückt: Jesus wurde auferweckt.

4.4

Veränderter Bewusstseinszustand

Die Plausibilität dieser Argumentation hängt natürlich von der Frage ab, wie man solche Bewusstseinszustände objektiv betrachten kann. Um diese Frage beantworten zu können, muss man genau bestimmen, was man unter Bewusstsein versteht. Von Seiten der aktuellen psychologischen Forschung werden Inhalte und Funktionen des Bewusstseins untersucht.290 Sie definiert auf drei Bewusstseinsebenen die Wahrnehmung der Gedankeninhalte: 1. Eine grundlegende Wahrnehmung der Welt. 2. Eine Widerspiegelung dessen, was uns bewusst ist. 3. Das Selbst-Bewusstsein. Sigmund Freud brachte das Unbewusste mit verdrängten Gedächtnisinhalten in Verbindung, doch in der neueren Forschung herrscht ein breiteres Konzept des Unbewussten vor, das viele Arten von Informationen und Prozessen umfasst. Die Inhalte des wachen Bewusstseins unterscheiden sich von nicht bewussten Prozessen, vorbewussten Gedächtnisinhalten, unbeachteter Information, dem Unbewussten und der bewussten Aufmerksamkeit. Der Mediziner Christian Scharfetter stellt die Bewusstseinszustände mit folgender einfacher schematischer Grafik dar.291 Seiner Studie zufolge kann das Wach-Bewusstsein unterteilt werden in ein Alltags-Bewusstsein und ein Außer-Alltags-Bewusstsein. Dieses unterteilt C. Scharfetter wiederum in Über-Bewusstsein und Unter-Bewusstsein. Das AlltagsBewusstsein vermittelt die Common-Sense-Realität, das Außer-Alltags-Bewusstsein die »andere Welt«, das Schlaf-Bewusstsein, die Traumwelt. Wenn das Über-Bewusstsein sich in eine bestimmte Richtung verändert, kann es vorkommen, dass man eine als übernatürlich wahrgenommene Erfahrung macht. Der Zustand des Über-Bewusstseins geht über das Ich hinaus in einen höheren Bewusstseinszustand. In dieser Erfahrung des höchsten Bewusstseins erfolgt eine radikale Veränderung des Ichs und der Sicht zur Welt. Das Ich macht den 290 R. Graf/ M. Nagler/ B. Ricker (Hg.), Psychologie, 203 – 239. 291 C. Scharfetter, Der spirituelle Weg und seine Gefahren, 21.

Veränderter Bewusstseinszustand

109

Abbildung 9: Bewusstseinzustand

Menschen zum Menschen und ist folglich notwendig für die menschliche Existenz. Aber der Zustand des Über-Bewusstseins geht über das Ich hinaus. In diesem Zusammenhang kann von Ich-Entgrenzung bzw. Ich-Relativierung gesprochen werden. Hier handelt es sich um die Auffassung von Ganzheit, die – in Bezug auf das eigene Wesen – das Eigentliche im Menschen meint. Dazu bringt C. Scharfetter zum Ausdruck: »In der Entfaltung des Überbewusstseinsbereiches wird der Mensch frei (Liberation, Salvation, Erlösung).«292 Durch die Erfahrung des höchsten Bewusstseins kann sich eine ganz andere Wahrnehmung der Umwelt einstellen. Der japanische Philosoph Toshihiko Izutsu erörtert die positive Seite des »Über-Bewusstseins« und seine kreativen Handlungen.293 Nach T. Izutsu hängt »Über-Bewusstsein« mit dem japanischen Begriff »Nicht-Geist« (jap. Mushin) zusammen. »Nicht-Geist« kann als »Geist, der kein Geist«, »Geist, der als nichtexistierender Geist existiert« oder »Geist, der sich in dem Zustand des Nichts befindet« übersetzt werden. Er soll nicht nur negativ verstanden werden, sondern als Geist in dem Zustand der Dämmerung und Trägheit oder purer Ekstase. Er ist ein psychologischer Zustand, in dem der menschliche Geist sich auf dem höchsten Punkt der Anspannung befindet, ein Zustand, in dem der Geist mit der größten Klarheit und Intensität arbeitet. T. Izutsu verwendet ZenSprache in Bezug auf diesen Zustand: »Das Bewußtsein beleuchtet sich selbst in dem vollen Schein seines eigenen Lichtes. In diesem Zustand kennt der Geist das

292 A.a.O., 37. 293 T. Izutsu, Philosophie des Zen-Buddhismus, 21 – 23.

110

Trauer und Auferstehung

Objekt so vollkommen, daß überhaupt kein Bewußtsein vom dem Objekt übrig bleibt: Der Geist ist sich des Kennens des Objekts nicht einmal bewußt.«294 In unserer Welt wollen viele Menschen mehr als nur die Veränderung ihres Wach-Bewusstseins erzielen. Bestimmte religiöse Praktiken und dergleichen stellen gemeinschaftliche Versuche dar, die normalen Grenzen des bewussten Erlebens zu überschreiten.295 Gemäß dem japanischen Psychologen Toshimasa Saito gibt es verschiedene Zustände und Bedingungen, unter denen veränderte Bewusstseinszustände erreicht werden können: 1. unter massiven Sinnesreizen (soziale Beschränkung, Wirrnisse in der Gruppe, Fasten und Schlafverzicht während fortdauernder religiöser Übungen). 2. durch chemische Reizung des Gehirns (durch chemische Halluzinogene oder LSD, Alkohol). 3. in Nah-Tod Erlebnissen und Koma. 4. in leichtem Schlaf, Schlummer, Tagtraum. 5. durch fortdauernde gleichförmige Reizung. 6. in entspannter Atmosphäre (schöne Musik oder schöne Landschaft). 7. in vollkommen neuen Situationen (Schockzustand oder Panikzustand). 8. in unnormalen körperlichen Zuständen.296 Jedoch ist es wichtig zu konstatieren, dass diese Bedingungen lediglich je notwendige, nicht hinreichende Bedingungen sind. Vielmehr tritt der Mensch mit seiner ganzen Individualität (Persönlichkeit, Geschichte, Eigenschaften, Fähigkeiten, usw.) in Wechselwirkung mit diesen Bedingungen, nur so kann eine tiefe Erfahrung geschehen. Nach Roger N. Walsh u. a. beinhalten die Erfahrungen veränderter Bewusstseinszustände folgende Elemente: 1. Die Erfahrung ist von solcher Kraft und so verschieden von der gewöhnlichen Erfahrung, dass sie unbeschreiblich erscheint. 2. Mit ihr ist ein Gefühl von größter Klarheit und gesteigerten Verständnisses verbunden. 3. Die Wahrnehmung von Raum und Zeit ist verändert. 4. Man erlebt das ganzheitliche, durchgängig integrierte Wesen des Universums und das eigene Einssein mit ihm. 5. Intensive positive Empfindungen begleiten die Erfahrung, darunter das Gefühl der Vollkommenheit des Universums.297 Zudem fügt T. Saito eine konkretere Definition dieser Erfahrung hinzu. Er postuliert zunächst, dass jemand, der sich in einem solchen Zustand befindet, einen Verlust bzw. eine Verminderung der Realität erfährt: 1. Der Verlust des 294 A.a.O., 21 f. 295 Es gibt einen Überblick über einige solcher Praktiken, bei denen veränderte Bewusstseinszustände auf unterschiedliche Weise erzielt werden. Vgl. R. Graf, M. Nagler und B. Ricker (Hg.), Psychologie, 225 – 239. 296 T. Saito, Altered States of Consciousness, 47. Einen Überblick über Zustände und Bedingungen von veränderten Bewusstseinzuständen bietet V. Dieter u. a., Psychobiology of Altered States of Consciousness, 98 – 127. 297 R. N. Walsh und F. Vaughan (Hg.), Psychologie in der Wende. Grundlagen, Methoden und Zeit der Transpersonalen Psychologie, 53.

Veränderter Bewusstseinszustand

111

räumlichen Gefühls (Räumliche Position und Richtung fehlen nicht). 2. Der Verlust des zeitlichen Gefühls. 3. Der Verlust der Auffassung von Subjekt und Objekt (Erfahrung des Einssein oder Zustand undifferenzierte Einheit). 4. Der Verlust der Sprache (man tritt in einen völlig sprachlosen Zustand ein). 5. Der Verlust der Auffassung des Selbst.298 Bem Verlust der Realität treten Bewusstseinszustände auf, die sich vom normalen Bewusstsein qualitativ unterscheiden. In einer Studie von T. Saito wird das unmittelbare Erleben der veränderten Bewusstseinszustände wie folgt charakterisiert: 1. Wahrnehmung von Ekstase. 2. Zustand kompletter Konzentration (obwohl man sich aktiv konzentrieren will, tritt ein Zustand passiver Konzentration ein). 3. Wahrnehmung des Universums (reine Wahrheit, Einsicht, Geistesblitz, Erleuchtung, Gipfel-Erfahrung). 4. Passivität (Wahrnehmung von mächtigem Sein, lockerer Körper).299 5. Vorübergehende Erfahrung (obwohl es ein reines, tiefes Erlebnis ist, kann es nicht fortbestehen).300 Sodann stellt T. Saito die Ähnlichkeit mit den veränderten Bewusstseinszuständen bei Erfahrungen im Zen-Buddhismus in den Vordergrund. Im ZenBuddhismus spielt der Verlust der Auffassung von Subjekt und Objekt und die Wahrnehmung des Universums eine wichtige Rolle. Es geht um eine Transzendenzerfahrung, eine Erleuchtung (jap. Satori).301 Im Zen-Buddhismus wird der Zustand dieser Erfahrung als »Reines Bewusstsein« bezeichnet.302 In der Transzendenzerfahrung geht es infolgedessen darum, die Einheit des eigenen Selbst mit allen anderen Dingen zu verwirklichen. Das Sitzen (jap. zazen) mit übergeschlagenen Beinen in der Meditation ist ein Weg, dem Subjekt die Möglichkeit zu geben, sein eigenes Inneres immer tiefer zu ergründen, so dass das entzweite 298 T. Saito, Altered States of Consciousness, 46 f . 299 Diese Passivität erinnert an Aussagen von H. M. Enomiya-Lassalle, Zen – Weg zur Erleuchtung, 22. Mystische Erfahrung ist: »Es ist nicht mehr nur Betätigung von Verstand und Wille, sondern eher ein passives Erfahren.« Und: »Die Erleuchtung ist eine Passivität, und zwar eine erworbene Passivität, nicht aber eine träge Passivität oder ein Sichtreibenlassen von Instinkten, das den Menschen unter diese Instinkte sinken läßt und seiner unwürdig wäre. – Sie ist vielmehr eine Passivität, die ihn über diese Instinkte erhebt und dazu einen heroischen Kampf gegen alles Niedrige zur Voraussetzung hat.« A.a.O., 56. 300 T. Saito, Altered States of Consciousness, 47 301 Mit der Transzendenzerfahrung meint T. Yasui die Auffassung, »daß der Mensch nicht von sich aus da ist, sondern sein Dasein der Bestimmung verdankt, daß er mit einer letzten, transzendenten Wirklichkeit eins ist.« T. Yasui, Christus und Buddha, 111. 302 H. M. Enomiya-Lassalle beschreibt den Zustand einer Erleuchtung: »Man darf aber diesen Zustand auch wieder nicht mit Trance verwechseln, wenigstens nicht in Sinne eines ekstatischen Zustandes. Es gibt gewiß viele Grade oder Arten von Trance, aber uns scheint doch die Bezeichnung die Sache nicht zu treffen. Sie erweckt den Eindruck, als ob man nicht ohne Ekstase das Satori erlangen könnte, was nicht richtig ist. Viel besser ist die Bezeichnung Bewußtseinsleere, nämlich in dem Sinne, daß das Bewußtesein vollkommen entleert wird. Manche nennen es auch reines Bewußstsein« H. M. Enomiya-Lassalle, Zen – Meditation für Christen, 15.

112

Trauer und Auferstehung

Selbst (Subjekt-Selbst und Objekt-Selbst) seine ursprüngliche Einheit wiedergewinnen kann. Durch solch mysteriöse Verschmelzung und Überwindung weltlicher Dualität wird das Lebensverständnis verändert. Solche mystische Erkenntnis wird nicht durch intellektuelle Bemühungen erlangt, sie ist Intuition. Ohne Intuition wird man nie zur Erkenntnis kommen.

4.5

Die Auschwitz-Erfahrung bei V. E. Frankl

Wie in einem Schockzustand außergewöhnliche Erfahrung erreicht werden kann, ist sehr schwer nachzuweisen. Ich möchte jedoch das Beispiel des Neurologen und Psychiaters Viktor Emi Frankl anführen. Im Herbst 1942 wurden Frankl, seine Frau und seine Eltern als Juden in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Sein Vater starb dort 1943, seine Mutter wurde in der Gaskammer von Auschwitz ermordet, seine Frau starb im KZ Bergen-Belsen. V. E. Frankl wurde 1944 von Auschwitz in das Konzentrationslager VI (Türkheim) des KZ-Kommandos Kaufering/Landsberg deportiert. Seine Erfahrungen in den Konzentrationslagern verarbeitete er in dem Buch »… trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager.«303 Dabei schreibt er von einer Erfahrung in Auschwitz, in der er seiner Frau »wieder« begegnet. Als er am frühen Morgen aus dem Lager zum Bauplatz hinausmarschierte, murmelt der neben ihm marschierende Kamerad plötzlich: »›Du – wenn unsere Frauen uns jetzt sähen…! Hoffentlich geht’s ihnen in ihren Lagern besser ; hoffentlich ahnen sie nichts davon, wie es uns geht.‹ Da steht das Bild meiner Frau vor mir! (…) Von Zeit zu Zeit schau ich zum Himmel hinauf, wo hinter einer düsteren Wolkenwand das Morgenrot beginnt. Aber mein Geist ist jetzt erfüllt von der Gestalt, die er in jener unheimlich regen Phantasie festhält, die ich früher, im normalen Leben, nie gekannt hatte. Ich führe Gespräche mit meiner Frau. Ich höre sie antworten, ich sehe sie lächeln, ich sehe ihren fordernden und ermutigenden Blick, und – leibhaftig oder nicht – ihr Blick leuchtet jetzt mehr als die Sonne, die soeben aufgeht. (…) In der denkbar tristesten äußeren Situation, in eine Lage hineingestellt, in der er sich nicht verwirklichen kann durch ein Leisten, in einer Situation, in der seine einzige Leistung in einem rechten Leiden – in einem aufrechten Leiden bestehen kann, in solcher Situation vermag der Mensch, im liebenden Schauen, in der Kontemplation des geistigen Bildes, das er vom geliebten Menschen in sich trägt, sich zu erfüllen.«304 »So wenig meint Liebe die körperliche Existenz eines Menschen, so sehr meint sie zutiefst das geistige Wesen des geliebten Menschen, sein (wie es die Philosophen nennen), daß sein , sein Hier-bei-mir-sein, ja seine körperliche 303 V. E. Frankl, … trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager, München 200525. 304 A.a.O., 64 – 66.

Die Frage nach der Lösung der Schuldgefühle durch die reale Präsenz

113

Existenz überhaupt, sein Am-Leben-sein, irgendwie gar nicht mehr zur Diskussion steht. Ob der geliebte Mensch noch lebt oder nicht: ich weiß es nicht, ich kann es nicht wissen (während der ganzen Lagerhaft gab es ja weder Briefschreiben noch Postempfang); aber in diesem Augenblick ist es irgendwie gegenstandslos geworden. Ob der geliebte Mensch lebt oder nicht – irgendwie brauche ich es jetzt gar nicht zu wissen: meiner Liebe, der liebenden Gestalt, kann das alles nichts mehr anhaben. Wenn ich damals gewußt hätte, meine Frau ist tot, ich glaube, ich hätte ungestört durch dieses Wissen innerlich genau so hingegeben sein können an diese liebende Schau, diese geistige Zwiesprache wäre genau so intensiv gewesen und genau so erfüllend.«305 »Nun hast du wieder durch Stunden den eisigen Boden aufgehackt, nun ist gerade wieder der Wachtposten vorübergekommen, um dich ein wenig zu höhnen, und nun fängst du wieder an, Zwiesprache zu halten mit dem geliebten Wesen. Immer mehr fühlst du, es sei anwesend, spürst du: sie ist da.«306

Plötzlich bemerkte er, dass seine Frau unheimlich präsent war. Im Konzentrationslager, einem der denkbar schrecklichsten Orte überhaupt, begegnet Frankl seiner realen Frau, obwohl sie gar nicht dort ist. Wenn man vernünftig urteilt, ist es schwierig, eine solche Erfahrung zu glauben. Die Vermutung drängt sich auf: Frankl erlebte das absolute Leben, das Leben und Tod aufhebt. Im absoluten Leben, das den Dualismus aufhebt, ist wie oben beschrieben weder Geburt noch Tod, sondern alles ist ein Leben.

4.6

Die Frage nach der Lösung der Schuldgefühle durch die reale Präsenz

Entscheidend für meine Arbeit ist die Frage, ob die Erfahrung der realen Präsenz das Schuldgefühl im Grunde mindern konnte. Obwohl Tote körperlich verschwunden sind, kann man trotzdem ihre Realität wahrnehmen. Es ist anzunehmen, dass die Jünger Jesu ein enormes Schuldgefühl hatten. Schuldgefühle sind wie ein Gift, das sich bei vielen Menschen immer wieder einschleicht. Die Jünger haben aber die Auferstehung Jesu als Versöhnung wahrgenommen. Der auferstandene Jesus begegnet ihnen nicht mit Ärger und Hass wegen ihres Verrats. Im Gegenteil erlebten die Jünger, Jesus hatte ihnen vergeben und begegnete ihnen versöhnt. Die prekäre Frage, warum die Jünger die Auferstehung Jesu so verstanden haben, konnte folgendermaßen beantwortet werden: Der irdische Jesus verkündet die wahrhaftige Liebe. Er formuliert das Gebot des Gewaltverzichts und der Feindesliebe (vgl. Mt 5,38 – 48/Lk 6,27 – 38). Diese hoch ethische Forderung ist gewiss auf den irdischen Jesus 305 A.a.O., 67. 306 A.a.O., 70.

114

Trauer und Auferstehung

zurückführbar. Zur Liebe Jesu gehört unbegrenzte Vergebung (vgl. Mt 18,21/Lk 15, 11 – 32). Nichtsdestoweniger haben die Jünger Jesus am Kreuz im Stich gelassen, doch sie haben aufgrund seines Gebots der Feindesliebe angenommen: Jesus vergibt uns. So kann man mit guten Gründen urteilen dürfen, dass die Auferstehnugserfahrung der Jünger gewissermaßen Bekehrungseerfahrung genannt werden kann. Die Aufstehungserfahrung fordert die Jünger zu ihrer Bekehrung auf und damit konnten sie neu anfangen. Durch die Versöhnung und Vergebung von dem auferstandenen Jesus haben sie das neue Leben wahrgenommen, dadurch konnten sie sich mit ihrer Trauerarbeit ernsthaft beschäftigen und ihre Trauer richtig bewältigen. Somit war die Auferstehungserfahrung eine wichtige Vorraussetzung, um die Trauer bewältigen zu können. Tatsächlich konnte die Auferstehungserfahrung der Jünger den erforderlichen Schritt der Schuldbewältigung leisten. Durch das Faktum, dass der auferstandene Jesus bei ihnen bleibt und er sich mit den Jünger versöhnt, konnten sie sich wieder erholen und Jesus nachfolgen.

Exkurs: Die Frage nach dem Charakter der Vision Die Jünger Jesu hatten Visionen in einem veränderten Bewusstseinszustand. Sind Visionen im veränderten Bewusstseinzustand bloße Halluzinationen? Dem kanadischen Philosophen Phillip H. Wiebe zufolge haben viele Menschen bis heute solch sehr lebendige Visionserfahrungen (ummittelbare visuelle Begegnungen mit Jesus Christus).307 Solche Erfahrungen einer Vision Christi können in der christlichen mystischen Literatur häufig gefunden werden.308 Sowohl der Schamanismus und der esoterische Buddhismus als auch die christlich-mystische Tradition sprechen solchen mystischen Visionen eine hohe Bedeutung zu; die Zen-Tradition steht diesen indessen völlig fern. Wenn sich ein unbeweglich Sitzender bis zu einem gewissen Grad in die Meditation vertieft, stören außergewöhnliche Visionen seine innere Ruhe nur.309 Klar und deutlich spricht der Zen-Buddhismus Visionen ihre Bedeutung ab. Zwar kann es vorkommen, wenn man mehrere Tage hintereinender sitzt, dass man befremdliche und erschreckende Visionen wahrnimmt, doch rechnet der Zen-Buddhismus sie alle zum so genannten Teufelsbereich (jap. makyo) und 307 P. H. Wiebe, Visions of Jesus. Direct Encounter form the New Testament to Today, New York 1997. 308 Vgl. C. Albrecht, Das mystische Erkennen, 90 – 93. 309 Vgl. T. Izutsu, Bewusstsein und Wesen, 195.

Zusammenfassung

115

empfiehlt, sie nicht richtig zu würdigen und zu beachten.310 Sodann bezeichnet der Zen-Buddhismus solche täuschenden Empfindungen und Erscheinungen als eine Art von »Zen-Krankheit« (jap. zenbyo).311 Ferner erkennt W. James Visionen als mystische Wesenheit nicht an. Solche Phänomene, »haben keine wesentliche mystische Bedeutung, denn wenn sie bei mystisch veranlagten Personen auftreten, wie es oft der Fall ist, treten sie ohne jegliches Erleuchtungsbewußtsein auf.«312 Deswegen ist nachdrücklich zu betonen, dass dem Verständnis des ZenBuddhismus zufolge die Visionen der Jünger Jesu nicht reine Erscheinungen genannt werden können, sondern eher als Halluzinationen bezeichnen werden müssen. Ich bin aber der Meinung, dass solche Erscheinungen keine bloßen Halluzinationen sind. Sie hängen vielmehr sie mit reiner tiefer Erfahrung zusammen, in der man die Überwindung des Todes wahrnimmt und, das absolute Leben empfängt, bzw. das absolute Da-Sein einer gestorbenen Person erfährt. Ich möchte kein Missverständnis aufkommen lassen und darüber hinaus wiederhole ich nochmals: Die Erscheinungen Jesu waren nicht lediglich Halluzinationen. Zur Verdeutlichung formuliere ich meine These noch einmal anders. Was das Auferstehungserlebnis der Jünger Jesu betrifft, geht es nicht darum, ob sie Visionen wahrgenommen haben oder nicht, vielmehr geht es darum, was durch solche Visionen wahrgenommen werden konnte. Und das war konkret die Überwindung von Leben und Tod und darin das absolute Da-Sein des verstorbenen Jesus. Obschon Jesus physisch nie mehr war, haben seine Jünger wahrgenommen, dass er ihnen in einer anderen Form der Präsenz nahe war. Diese Auferstehungserfahrung war außerdem für sie eine Bekehrungserfahrung.

4.7

Zusammenfassung

Nun möchte ich die Ergebnisse der bisherigen Untersuchung festhalten. Ich habe versucht, mit Hilfe von modernen wissenschaftlichen Ergebnissen zu klären, was die Auferstehungserfahrung war. Dadurch ist klar geworden, dass es relativ schwierig ist, die Auferstehungserfahrung als bloß innerliche Trauer-Vision zu beurteilen. Diese These soll im Weiteren aufgegeben werden. Die Auferstehungserfahrung der Jünger kann als eine Art mystische außergewöhnliche Erfahrung erklärt werden. Durch diese Erfahrung haben die Jünger tiefgehender 310 Vgl. H. M. Enomiya-Lassalle, Zen – Weg zur Erleuchtung, 22. »Wie soll man sich das Auftreten solcher Gestalten erklären? Der Mönch, der uns Anfänger einführte, erklärte: Da beim Zazen die normale Verstandestätigkeit allmählich zurücktrete, würde das Unterbewußtsein frei. Daraus stiegen die Gestalten auf.« 311 Konkret über »Zen-Krankheit« handelt B. Rhyner, Zen-Krankheit, 91 – 97. 312 W. James, Die Vielfalt, 556.

116

Trauer und Auferstehung

verstanden: Jesus ist kein Vergangener, kein Toter, er ist ein Gegenwärtiger, ein Lebendiger. Infolgedessen ist es bestimmt keine Übertreibung zu sagen: Die Auferstehungserfahrungen der Jünger waren nicht einzigartig und beispiellos.313 De facto haben viele Menschen auf diesem Planeten manchmal solche Erfahrungen, auch heute. Weshalb wurden die Auferstehungserfahrungen als außerordentlich angesehen, wenn man sie mit anderen Erfahrungen der Präsenz Verstorbener vergleichen kann, und haben deshalb zur Entstehung des Christentums beigetragen? Andere Visionere verehren ihren Verstorbenen schließlich nicht als Gotteskind. Meiner Meinung nach wird die Auferstehungserfahrung der Jünger aufgrund folgender historischer Zustände als eine ganz spezielle außergewöhnliche Erfahrung wahrgenommen: 1. Der historische Jesus war ein charismatischer Mensch, der Wunder getan und eschatologische Erwartungen und Hoffnungen auf das Königtum Gottes verkündete, was sowohl seine Jünger als auch viele andere Menschen faszinierte. Anhänger haben gewiss messianische Erwartungen und Hoffnungen an den historischen Jesus gerichtet. 2. Aufgrund der grausamen und traumatischen Hinrichtung Jesu sind seine Nachfolger in eine umstürzende Krise geraten. Nach dem Tod Jesu sind seine Jünger in einen tiefen Schockzustand gefallen, der dem der komplizierten Trauer glich. 3. Eine notwendige Voraussetzung war das merkwürdige Faktum, dass das Grab Jesu leer war. 4. Nach dem Tod Jesu machte eine Reihe Jünger und Jüngerinnen mystische Erfahrungen.314 Dadurch nahmen sie wahr, dass im ewigen und absoluten Leben der gestorbene Jesus immer noch lebt. Sie haben wahrscheinlich Visionen gehabt. 5. Seit dem Danielbuch hatte die Vorstellung einer allgemeinen Auferstehung in Israel an Popularität zugenommen und war zur Zeit Jesu weit verbreitet.315 Der Osterglaube, der einen apokalyptischen Hintergrund hat, ist im Judentum breit angelegt. Das frühe Christentum setzt diesen Glauben voraus.

313 Vgl. G. Theißen, Erleben und Verhalten, 154 f: »Visionen, wie sie die Jünger nach Jesu Tod hatten, sind nicht analogielos.« 314 Der Gedanke der Deutung der Auferstehung Jesu als mystische Erfahrung könnte eine Entsprechung im Auferstehungsverständnis Jesu im Johannesevangelium haben. In Jo 14, 20 wird betont, dass Tod und Auferstehung Jesu in seiner Verkündigung zu einer einheitlichen Formel verbunden werden. Dass Jesus in einen anderen Form präsent ist, obschon er physisch nicht mehr existiert, ist für das Johannesevangelium entscheidend. 315 Vgl. z. B., P. Seidensticker, Zeitgenössische Texte zur Osterbotschaft der Evangelien, Stuttgart 1967.

Zusammenfassung

117

Aufgrund der Auferstehungserfahrung konnten die Jünger Jesu genauer darüber reflektieren, wer Jesus war, und wurden mit der Frage konfrontiert, was Jesus für sie bedeutet. An dieser Stelle muss hervorgehoben werden: Die Auferstehungserfahrung war der wichtigste Grundstein, auf dem die Urgemeinde entstand. Beim Lesen meiner bisherigen Untersuchung zur Realität und Historizität der Auferstehungserfahrung kann man sich wahrscheinlich bisweilen des Eindrucks nicht erwehren, dass Tatsache und Vorstellung oft bunt ineinander verwoben sind. Gewiss ist es unmöglich, in aller Deutlichkeit zu sagen, was eigentlich Auferstehung war. Diesbezüglichen wissenschaftlichen Untersuchungen ist eine Grenze gesetzt. Allerdings ist es von großer Wichtigkeit, ins Auge zu fassen, nicht was, sondern dass die Auferstehung war.

Abbildung 10: Hintergrund der Auferstehung

5 Zusammenfassung When someone you love dies, you’ve got to kill yourself When someone you love dies, other than that, there’s nothing else to do. But nonetheless, if your sins are deep and if you go on living you should have a sense of service you should have a sense of service. C. Nakahara

Zur Beantwortung der Frage nach dem Anstoß zur Entstehung des Urchristentums kann die aktuelle Trauerforschung einen hilfreichen Beitrag leisten. Dabei, so meine These, spielte die Trauerarbeit der Jünger Jesu eine zentrale Rolle. Als Quintessenz der vorliegenden Arbeit kann gelten, dass durch die Trauerarbeit, die in der Psychologie Sigmund Freuds wurzelt, eine Reihe wichtiger Elemente des Urchristentums erhält werden können. Dank aktueller psychologischer Forschung kann man zwischen normaler und komplizierter (pathologischer) Trauer unterscheiden. Plötzliche, unerwartete oder grausame Todesfälle sind schwerer zu verarbeiten als normale Sterbefälle. In solchen Fällen kann Trauer als Krankheit betrachtet werden. Bei einer solchen komplizierten Trauer kommt es zu typischen Reaktionen wie z. B. Angst, Hilflosigkeit und qualvollen Schuldgefühlen. Nach Jesu Tod sind seine Jünger in einen tiefen Schockzustand gefallen, denn Jesus ist unter gewaltsamen Umständen ums Leben gekommen, die auf die Jünger traumatisierend gewirkt haben können. Ferner sind die Jünger Jesu kurz vor dessen Kreuzigung alle geflohen und haben ihn damit im Stich gelassen. Sie haben ihn damit seinem Schicksal überantwortet. Deshalb ist gut vorstellbar, dass sie in einer sehr schwierigen Trauersituation gestanden haben mögen, dass sie also in eine komplizierte Trauer geraten sind. Die Ergebnisse moderner psychologischer Forschung präsentieren sich nicht konträr zu diesen Überlegungen. In dem Trauerfall gilt das Schuldgefühl als der Schlüsselaffekt. Vermutlich wird die älteste Aussage in der Urgemeinde über die Trauer der Jünger in 1 Kor 15,3 – 8 getroffen. Der Herkunft der Formulierung »wegen uns« oder »wegen unsrer Schuld« hängt mit dem psychologischen Zustand der Jünger zusammen. 1 Kor 15,3ff geht auf zwei früher selbstständige Traditionen zurück, die von Traditionsträgern zu einem Glaubensbekenntnis kombiniert wurden. Der

120

Zusammenfassung

Trauerforschung zufolge kann der Hinterbliebene die Erinnerung an die verstorben Person nicht verarbeiten und das Schuldgefühl besteht unter Umständen lebenslang weiter. Trauer und Schulgefühl treten gemeinsam auf. In der Trauer gewinnt das Schuldgefühl eine wichtige Bedeutung. Die Jünger sind nach dem Tod Jesu einer traumatischen Trauer anheim gefallen und haben unter schweren Schuldgefühlen gelitten. In der vorpln. Tradition von 1 Kor 15,3 f ist die schwerwiegende Schuld der Jünger ins Spiel gekommen. Auf die konkrete Schuld, Jesus am Kreuz seinem Schicksal überlassen haben, weist die Aussage »"laqt¸a« hin. Ebenfalls gehört der Gedanke der Stellvertretung durch Jesu im Tod zu diesem Schuldgefühl. Anzumerken ist, dass die Jünger Jesu unter alttestamentlichen Einflüssen (Jes 53) ihre Schuldgefühle und ihre Idee von Stellvertretung neu interpretiert haben. Dies kann aktueller Trauerforschung zufolge als eine »Meaning Reconstruction« angesehen werden. Überdies ist die Entstehung der Verehrung Christi nicht nur als Idealisierung des gestorbenen Menschen zu erklären. Der Zusammenhang der hohen Erwartungen und Hoffnungen an den historischen Jesus und der Auferstehungserfahrung soll vorsichtig betrachtet werden. Ferner soll das messianische Bewusstsein Jesu in Betracht gezogen werden. Die Identifizierung mit dem Tod Jesu verlangt von den Jüngern die richtige Nachfolge Jesu. Vornehmlich kann das Motiv der Übernahme der Aufgaben Jesu im Urchristentum gesehen werden. Zugleich kann man die Entstehung des Abendmahlritus unter Zuhilfenahme der psychologischen Erkenntnisse der Trauerforschung betrachten. Genau so wie die Aussage 1 Kor 15,3 – 8 kann man in den Einsetzungsworten des Abendmahls Trauermotive finden. Aufgrund neuerer Interpretationen des Todes Jesu, in denen sich maßgebliche Einflüsse der Trauerarbeit (Erinnerung, Stellvertretungsidee, Identifikation mit dem Toten) finden, ist es wahrscheinlich, dass die Jünger diese Einsetzungsworte weiter entwickelt haben. Der ursprüngliche Abendmahlritus schließt zudem mit der Wiederkehr Jesu ab. Die Erwartung und Hoffnung der Widerbegegnung ist eines der wichtigsten Motive für Trauernde. Die Keimzelle der Entstehung des Abendmahlfests ist die Trauer der Jünger, weil in diesem Ritual vorherrschende Trostmotive gefunden werden. Was die Auferstehungserfahrung angeht, ist die der Jünger keine bloße Trauervision, vielmehr stellt sie eine tiefe mystische Einheitserfahrung dar. Solche Erfahrungen können mit Erleuchtungserfahrungen in verschiedenen mystischen Traditionen verglichen werden. Laut moderner psychologischer Forschungen kann ein Teil solcher mystischen Erfahrungen wissenschaftlich erfasst werden und dies als veränderte Bewusstseinszustände erklärt werden. Im Rückblick auf die vorliegende Arbeit hat sich erwiesen, dass die Auferstehungserfahrung der Jünger in keiner Weise einzigartig war. De facto haben

Zusammenfassung

121

viele Menschen in dieser Welt häufig solche Erfahrungen. Nach dem grausamen Tod Jesu am Kreuz sind seine Jünger in einen tiefen Schockzustand gefallen. In einem solch außergewöhnlichen Schockzustand konnten sie abnorme Erfahrungen leicht machen. In einem veränderten Bewusstseinszustand können undifferenzierte Einheitserfahrungen erlebt werden; die Dualität von Leben und Tod kann überschritten werden. Die Jünger Jesu haben dies tiefgehend wahrgenommen. Sie haben diese Erfahrung im von der jüdischen Religion vorgegebenen Sprachraum wie folgt ausgedrückt: Jesus wurde auferweckt. Entscheidend für die Jünger Jesu war jedoch das Faktum, dass sie die Auferstehung Jesu als die Versöhnung wahrgenommen haben. Die Aufstehungserfahrung fordert die Jünger außerdem zur Bekehrung auf. Durch die Versöhnung mit dem auferstandenen Jesus und der Vergebung durch ihn haben sie das Leben neu wahrgenommen. Dadurch konnten sie ihre Trauer richtig bewältigen. Somit war die Auferstehungserfahrung eine wichtige Vorraussetzung, um die Trauer bewältigen. Den Hintergrund der Entstehung der Urgemeinde anschaulich wiederzugeben ist schwer. Die ganze Landschaft zu beschreiben ist unmöglich. Wohl aber haben meine vorliegenden Untersuchungen gezeigt, dass die Trauer für die Entstehung der Urgemeinde einen hohen Stellenwert einnimmt. Selbstverständlich finden sich in der Frage nach der Entstehung der Urgemeinde vielfältige Aspekte, die sowohl eine äußere wie eine innere Seite haben. Aufgrund der empfundenen Reue hat sich König Ödipus seine Augen ausgestochen, um in der Unterwelt seinen von ihm ermordeten Vater und seine Mutter, welche sich das Leben genommen hatte, nicht ansehen zu müssen. Trauer leitet uns in extreme Situationen. Der deutsche Philosoph Karl Jaspers nennt eine solche Situation »Grenzsituation«. Die Lage der Jünger kann ebenfalls als »Grenzsituation« betrachtet werden. K. Jaspers zufolge ist die Grundsituation: »ich muß sterben, ich muß leiden, ich muß kämpfen, ich bin dem Zufall unterworfen, ich verstricke mich unausweichlich in Schuld. Diese Grundsituationen unseres Daseins nennen wir Grenzsituationen.« Weiter sagt er, dies seien Situationen, »über die wir nicht hinaus können, die wir nicht ändern können.«316 Sie sind »wie eine Wand, an die wir stoßen, an der wir scheitern.«317 Es ist jedoch entscheidend für Menschen, in solchen Situationen nicht zu verzweifeln, vielmehr handelt es sich um die Frage, wie man dieses Scheitern erfährt. Deutlich unterstreicht K. Jasper : »Wie er sein Scheitern er316 K. Jaspers, Einführung in die Philosophie, 18. Der Tod des Nächsten ist auch ein wichtiges Motiv von Grenzsituationen. »Der Tod des Nächsten, des geliebtesten Menschen, mit dem ich in Kommunikation stehe, ist im erscheinenden Leben der tiefste Schnitt.« »Radikal geschieden ist die absolute Einsamkeit in Kommunikationslosigkeit von der Einsamkeit durch den Tod des Nächsten.« K. Jaspers, Philosophie, 221. 317 K. Jaspers, Philosophie, 203.

122

Zusammenfassung

fährt, das begründet, wozu der Mensch wird.«318 In der Grenzsituation ergibt sich eine Chance, das eigene Dasein zu überdenken.319 Das heißt, extreme Situationen lassen grundsätzlich nachfragen, wer wir sind. Wenn bezüglich der Lage der Jünger Jesu eine Vermutung erlaubt sei, so haben die Jünger in ihrer Grenzsituation, d. h. in ihrer tiefen Trauer, Reue, ihrem Schmerz und Kummer, wohl über sich selbst nachgedacht. Diese Reflektion könnte ein Anlass zur Entstehung des Urchristentums gewesen sein. Außerdem muss man ernsthaft in Betracht ziehen, dass sie ihre Auferstehungserfahrungen inmitten dieser Grenzsituation hatten. Die Auferstehung Jesu war vermutlich nicht allein eine frohe Botschaft. Sie war wohl wie ein kleines Schiff der Hoffnung auf einem Meer von Tränen. Ich betone also erneut: Am Anfang stand die Trauer. In meiner Arbeit habe ich versucht, die Lage der Urgemeinde von einem anderen Blickwinkel aus zu betrachten. Mancher könnte durch die Ergebnisse meiner Arbeit irritiert sein, weil einige Erkenntnisse nur schwer mit dem traditionellen christlichen Verständnis in Einklang gebracht werden können. Diese Untersuchung scheint zudem zu manch neuem Ergebnis zu führen, das die überkommene Sinnkategorie der christlichen Theologie wesentlich infrage stellt. Doch hoffe ich in der Infragestellung althergebrachter Meinungen den Blick auf bisher Verborgenes zu lenken, das dem Leser zum Gewinn werden kann. Ich hoffe außerdem, dass mit meinem Ergebnis eine neue Sichtweise auf die Jünger Jesu gefunden werden kann. Ich glaube, dass für die Erfassung der Wirklichkeit des Urchristentums die historische Rückfrage nach der Psyche der Jünger Jesu unverzichtbar ist. Zukünftige Forschung zum Neuen Testament möchte diese Analyse mit anregen.

318 K. Jaspers, Einführung in die Philosophie 20. 319 Auf Grenzsituation »reagieren wir entweder durch Verschleierung oder, wenn wir sie wirklich erfassen, durch Verzweiflung und durch Wiederherstellung: wir werden wir selbst in einer Verwandlung unseres Seinsbewußtseins.« K. Jaspers, Einführung in die Philosophie 18.

Literaturverzeichnis

Quellen Aland, B. u. a. (Hg.): Novum Testamentum Craece post Eberhard et Erwin Nestle, Stuttgart 199327. Elliger, K./Rudolph, W. (Hg.): Biblia Hebraica Stuttgartensia, Stuttgart 19975. Rahlfs, A. (Hg.): Septuaginta. Id est Vetus Testamentum Graece iuxta LXX interpretes, Stuttgart 1979.

Hilfsmittel Aland, K. (Hg.): Vollständige Konkordanz zum griechischen Neuen Testament, unter Zugrundelegung aller modernen kritischern Textausgaben und des Textus Receptus, 3 Bde, Berlin/New York 1983. Balz, W./Schneider, G. (Hg.): Exegetisches Wörterbuch zu den Schriften zum Neuen Testament, 3 Bde, Stuttgart 1992. Bauer, W.: Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, Berlin/New York 19886. Blass, F./Debrunner, A./Rehkopf, F.: Grammatik des neutestamentlichen Griechisch, Göttingen 199017. Clines, D. J. A. (Hg.): The Dictionary of Classical Hebrew, Volume V, Cambridge 2001. Kittel, G./Friedrich, G. (Hg.): Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, 1 – 10 Bde, Stuttgart 1933 – 1979. Liddell, H. G./Scott, R./Jones, H.S.: A Greek-English Lexicon, New Edition Oxford 19409. Tewes, U./Wildgrube, K. (Hg.): Lexikon der medizinischen Psychologie, München 19772.

Kommentare, Monographien, Aufsätze, Artikel Adam, J.: Der Beitrag Hans von Campenhausens, in: H-J. Eckstein/M. Welker (Hg.), Die Wirklichkeit der Auferstehung, Neukirchen-Vluyn 2002.

124

Literaturverzeichnis

Albrecht, C.: Das Mystische Erkennen. Gnoseologie und Philosophische Relevanz der mystischen Relation, Bremen 1958. Allison Jr, D. C.: Resurrecting Jesus. The earliest Christian tradition and its interpreters, London 2005. Apfelbacher, K. P.: Selig die Trauernden. Kulturgeschichtliche Aspekte des Christentums, Regensburg 2002. Assmann, J.: Totenriten als Trauerriten im Alten Ägypten, in: ders. (Hg.), Der Abschied von den Toten. Trauerrituale im Kulturvergleich, Göttingen 2005, 307 – 325. Bammel, E.: Herkunft und Funktion der Traditionselemente in 1. Kor. 15,1 – 11, ThZ 11 (1955), 401 – 419. Barth, G.: Der Tod Jesu Christi im Verständnis des Neuen Testaments, NeuenkirchenVluyn 1992. Bartsch, H-W.: Die Argumentation des Paulus in 1 Cor 15,3 – 11, ZNW 55 (1964), 261 – 274. Bartsch, H-W.: Inhalt und Funktion des urchristlichen Osterglauben, NTS 26 (1980), 180 – 196. Becker, J.: Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth, Neukirchen-Vluyn 1972. Benoit, P.: Der Tod des Judas, in: ders., Exegese und Theologie. Gesammelte Aufsätze, Düsseldorf 1965, 167 – 181. Beutel, M./Arenz, S./Weiner, H.: Verarbeitung des Plötzlichen Kindstods in Partnerschaft, Familie und Selbsthilfegruppe, Monatsschrift Kinderheilkunde 145 (1997), 626 – 632. Bieritz, K-H.: Liturgik, Berlin/New York 2004. Bornkamm, G.: Jesus von Nazareth, Stuttgart 1956. Bornkamm, G.: Studien zu Antike und Urchristentum, München 1959. Bowlby, J.: Grief and Mourning in Infancy and Early Childhood, Psychoanalytic Study of the Child 15 (1960), 9 – 52. Breytenbach, C.: ›Christus starb uns‹. Zur Tradition und paulinischen Rezeption der sogennanten ›Sterbeformeln‹, NTS 49 (2003), 447 – 475. Bultmann, R.: Die Geschichte der synoptischen Tradition, Göttingen 199510. Bultmann, R.: Jesus, Tübingen 1983. Campenhausen, H.: Der Ablauf der Ostereignesse und das leere Grab, Heidelberg 19582. Conzelmann, H./Lindemann, A.: Arbeitsbuch zum Neuen Testament, Tübingen 200013. Conzelmann, H.: Der erste Brief an die Korinther (KEK 5), Göttingen 196911. Conzelmann, H.: Zur Analyse der Bekenntnisformel I. Kor.15,2 – 5, EvTh 25 (1965), 1 – 11. Cullmann, O.: Urchristentum und Gottesdienst, Zürich 1950. Danieli, Y.: Treating Survivors and Children of Survivors of the Nazi Holocaust, in: F. M. Ochberg, (Hg.), Post-Traumatic Therapy and Victims of Violence, New York 1988, 278 – 294. Deichgräber, R.: Gotteshymnus und Christushymnus in der frühen Christenheit. Untersuchungen zu Form, Sprache und Stil der frühchristlichen Hymunen, Göttingen 1967. Dibelius, M.: Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen 19716. Dieter, V. u. a.: Psychobiology of Altered States of Consciousness, Psychological Bulletin 131 (2005), 98 – 127. Du Toit, A. B.: Der Aspekt der Freude im urchristlichen Abendmahl, Winterthur 1965. Durkheim, E.: Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Frankfurt am Main 1981 (Paris 1968).

Kommentare, Monographien, Aufsätze, Artikel

125

Eliot, T. D.: The Bereaved Family, The Annals of the American Academy of Political and Social Sciences 160 (1932), 184 – 190. Endo, S.: A Life of Jesus, New York/Ramsey/Toronto 1978 (Tokio 1973). Engel, G. L.: Is Grief a Disease? A Challenge for Medical Research, Psychosomatic Medicine 23 (1961), 18 – 22. Enomiya-Lassalle, H. M.: Zen – Meditation für Christen, München/Bern 1973. Enomiya-Lassalle, H. M.: Zen – Weg zur Erleuchtung. Hilfe zum Verständnis Einführung in die Meditation, Wien 19734. Ernst, E.: Das Evangelium nach Markus (RNT), Regensburg 1981. Ernst, J.: Johannes der Täufer. Interpretation – Geschichte – Wirkungsgeschichte, Berlin/ New York 1989. Frankl, V. E.: … trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager, München 200525. Freud, S.: Das Ich und das Es, in: ders., Das Ich und das Es, Frankfurt am Main 200511. Freud, S.: Trauer und Melancholie, in: ders., Das Ich und das Es, Frankfurt am Main 200511. Friedrich, G.: Die Verkündigung des Todes Jesu im Neuen Testament, Neukirchen-Vluyn 1982. Führer, A.: Tod, Trauer und Trost in Ciceros tusculanischen Schriften – verdeutlicht an Malebranches Schrift Entretiens sur la mort Titelzusatz. Eine phänomenologische Untersuchung, Mainz, Univ., Diss. 1999. Gemünden, P. v.: Die Urchristliche Taufe und die Affekte, in: J. Assmann/G. Stroumasa (Hg.), Transformations of the Inner Self in Ancient Religions, Leiden 1999. Gemünden, P. v.: Methodische Überlegungen zur historischen Psychologie exemplifiziert am Themenkomplex der Trauer, EvTh 65, 2005, 85 – 102. Gnilka, J.: Das Evangelium nach Markus (EKK 2. 2), Neukirchen-Vluyn 1979. Gnilka, J.: Das Matthäusevangelium (HThK 1.2), Freiburg/Basel/Wien 1988. Gnilka, J.: Paulus von Tarsus. Apostel und Zeuge, Freiburg 1996. Goldbrunner, H.: Dialektik der Trauer. Ein Beitrag zur Standortbestimmung der Widersprüche bei Verlusterfahrungen, Berlin 2006. Graf, R./Nagler, M./Ricker, B. (Hg.): Psychologie, München 200416. Graß, H.: Ostergeschehen und Osterbericht, Göttingen 1956. Grundmann, W.: Das Evangelium nach Markus (ThHK 2), Berlin 19849. Grundmann, W.: Das Evangelium nach Matthäus (ThHK 1), Berlin 19866. Gubler, M – L.: Die frühesten Deutungen des Todes Jesu. Eine motivgeschichtliche Darstellung aufgrund der neuen exegetischen Forschung, Göttingen 1977. Güttgemanns. E.: Wqistºr im 1 Kor. 15.3b – Titel oder Eigenname? EvTh 29 (1986), 533 – 554. Hahn, F.: Art. Abendmahl I, in: H. D. Betz, u. a.(Hg.), RGG4 I, Tübingen 1998. Hahn, F.: Christologische Hoheitstitel, Göttingen 19955. Hahn, F.: Die alttestamentlichen Motive in der urchristlichen Abendmahlsüberlieferung, EvTh 27 (1967), 337 – 374. Hahn, F.: Theologie des Neuen Testaments. Band I. Die Vielfalt des Neuen Testaments. Theologiegeschichte des Urchristentums, Tübingen 2002. Hahn, F.: Zum Stand der Erforschung des urchristlichen Herrenmahls, EvTh 35 (1975) 553 – 563. Harnack, A. v.: Die Verklärungsgeschichte Jesu, der Bericht des Paulus (1. Kor. 15,3ff) und

126

Literaturverzeichnis

die beiden Christusvisionen des Petrus, in: P. Hoffmann (Hg.), Zur neutestamentlichen Überlieferung von der Auferstehung Jesu, Darmstadt 1988, 89 – 117. Häusser, D.: Christusbekenntnis und Jesusüberlieferung bei Paulus, Tübingen 2005. Hengel, M. : Maria Magdalena und die Frauen als Zeugen, in: O. Betz/M. Hengel/P. Schmidt (Hg.), Abraham unser Vater. Juden und Christen im Gespräch über die Bibel. FS O. Michel, Leiden 1963, 241 – 256. Hengel, M./Schwemer, A. M.: Der messianische Anspruch Jesu und die Anfänge der Christologie, Tübingen 2001. Hengel, M./Schwemer, A. M.: Jesus und das Judentum, Tübingen 2007. Hengel, M.: Mors turpissima crucis. Die Kreuzigung in der antiken Welt und die »Torheit« des »Wortes vom Kreuz«, in: J. Friedrich/W. Pöhlmann/P. Stuhlmacher (Hg.), Rechtfertigung. FS E. Käsemann, Tübingen/Göttingen 1976, 125 – 184. Hengel, M.: Die Zeloten. Untersuchungen zur jüdischen Freiheitsbewegung in der Zeit von Herodes I. bis 70 n. Chr. Leiden19762. Hengel, M.: Zur Wirkungsgeschichte von Jes 53 in vorchristlicher Zeit, in: B. Janowski/ H. Spieckermann (Hg.), Der leidende Gottesknecht. Jesaja 53 und seine Wirkungsgeschichte, Tübingen 1996, 49 – 91. Herman, J. L.: Die Narben der Gewalt. Traumatische Erfahrungen verstehen und überwinden, Paderborn 20062 (New York 1992). Hirsch, M.: Schuld und Schuldgefühl. Zur Psychoanalyse von Trauma und Introjekt, Göttingen 1997. Hoffmann, P./Heil, C. (Hg.): Die Spruchquelle Q. Studienausgabe. Griechisch und Deutsch, Darmstadt 2002. Hoffmann, P.: Art. Auferstehung I/2 in: G. Krause/ G. Müller (Hg.), TRE 4, Berlin/ New York 1979. Hoffmann, P.: Studien zur Theologie der Logienquelle, Münster 1972. Hofius, O.: Das vierte Gottesknechtslied in den Briefen des Neuen Testaments, NTS (1993) 414 – 437. Hofius, O.: Herrenmahl und Heerenmahlsparadosis. Erwägungen zu 1 Kor 11,23b – 25, in: ders., Paulusstudien, Tübingen 19942, 203 – 240. Horowitz, M. J. u. a.: Diagnostic criteria for complicated grief disorder, American Journal of Psychiatry 154 (1997), 904 – 910. Hülshoff, H.: Emotionen, München 20063. Izutsu, T.: Bewusstsein und Wesen, München 2006 (Tokio 1983). Izutsu, T.: Philosophie des Zen-Buddhismus, Hamburg 1979 (Tehran 1977). James, W.: Die Vielfalt religiöser Erfahrung, Frankfurt am Main/Leipzig 1997 (London 1902). Janowski, E.: Er trug unsere Sünden. Jes 53 und die Dramatik der Stellvertretung, in: B. Janowski/ H. Spieckermann (Hg.), Der leidende Gottesknecht. Jesaja 53 und seine Wirkungsgeschichte, Tübingen 1996, 27 – 48. Jaspers, K.: Einführung in die Philosophie, München 197617. Jaspers, K.: Philosophie II. Existenzerhellung, Berlin/Göttingen/Heidelberg 19563. Jeremias, J.: Artikelloses Wqistºr. Zur Ursprache von 1 Kor 15,3b – 5, ZNW 57 (1966), 211 – 215. Jeremias, J.: Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 19603 (19674).

Kommentare, Monographien, Aufsätze, Artikel

127

Jerneizig, R./Langemayr, A./Schubert, U.: Leitfaden zur Trauertherapie und Trauerberatung, Göttingen 1994. Käsemann, E.: Anliegen und Eigenart der paulinischen Abendmahlslehre, in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen, 1. Band, Göttingen 1960, 11 – 34. Käsemann, E.: Gäste des Gekreuzigten, in: G. Kluger (Hg.), Forum Abendmahl, Gütersloh 1979, 45 – 60. Kast, V.: Trauern. Phasen und Chancen des psychischen Prozesses, Stuttgart 1999. Katsumi, T.: Der Tod des Lehrers. Natsume So¯seki Roman »Kokoro« und das Evangelium, in: ders., Das Heil im Heute, Göttingen 1987, 128 – 180. Kearney, P.: He appeared to 500 Brothers (I Cor XV 6), NT 22 (1980), 264 – 288. Kent, J. A.: The Psychological Origins of the Resurrection Myth, London 1999. Kersting, A. u. a.: Traumatische Trauer – ein eigenständiges Krankheitsbild? Psychotherapeut 46 (2001), 301 – 308. Kertelge, K.: Grundthemen paulinischer Theologie, Freiburg 1991. Kimura, B.: Zwischen Mensch und Mensch. Strukturen japanischer Subjektivität, Darmstadt 1995 (Tokio 1972). Klappert, B.: Zur Frage des semitischen oder griechischen Urtextes von 1 Cor XV, 3 – 5, NTS 13 (1966), 168 – 173. Klass, D.: Ein neues Trauermodell aus dem englischen Sprachraum, in: E. Holzschuh (Hg.), Geschwistertrauer. Erfahrung und Hilfen aus verschiedenen Praxisfeldern, Regensburg 2000. Klauck, H-J.: Die Kreuzesstrafe in der Antike und Jesu Tod am Kreuz, in: ders., Vom Zauber des Anfangs. Biblische Besinnungen, Werl 1999, 17 – 33. Klauck, H.-J.: Herrenmahl und hellenistischer Kult. Eine religionsgeschichtliche Untersuchung zum ersten Korintherbrief, Münster 19862. Klauck, H-J.: Präsenz im Herrenmahl. 1 Kor 11,23 – 26 im Kontext hellenistischer Religionsgeschichte, in: ders., Gemeinde, Amt, Sakrament, Würzburg 1989, 313 – 330. Klausner, J.: Jesus von Nazareth. Seine Zeit, sein Leben und seine Lehre, Jerusalem 19523. Klinghardt, K.: »Nehmt und esst, das ist mein Leib« Mahl und Mahldeutung im frühen Christentum, in: P. Schmidt-Leukel (Hg.), Die Religionen und das Essen, München 2000, 37 – 69. Kloppenborg, J.: An Analysis of the Pre-Pauline Formula 1 Cor 15:3b – 5 in light of some Recent Literature, BQ 40 (1978), 351 – 367. Kollmann, B.: Ursprung und Gestalten der frühchristlichen Mahlfeier, Göttingen 1990. Kramer, W.: Christos Kyrios Gottessohn. Untersuchung zu Gebrauch und Bedeutung der christologischen Beziehungen bei Paulus und der vorpaulinischen Gemeinde, Zürich/ Stuttgart 1963. Kremer, J.: Das älteste Zeugnis von der Auferstehung Christi. Eine bibeltheologische Studie zur Aussage und Bedeutung von 1 Kor 15, 1 – 11, Stuttgart 1966. Kruger, P.: The Inverse World of Mourning in the Hebrew Bible, Biblische Notizen 124 (2005), 41 – 49. Kübler-Ross, E.: Interviews mit Sterbenden, Stuttgart 1971 (New York 1969). Kübler-Ross, E.: Was können wir noch tun? Antworten auf Fragen nach Sterben und Tod, Stuttgart 1984 (New York 1974). Kuhn, H-W.: Der Gekreuzigte von Givcat ha-Mivtar. Bilanz einer Entdeckung, in: C.

128

Literaturverzeichnis

Andresen/G. Klein (Hg.), Theologia Crucis-Signum Crucis. FS E. Dinkler, Tübingen 1979, 301 – 334. Lammer, K.: Den Tod begreifen. Neue Wege in der Trauerbegleitung, Neukirchen-Vluyn 2003. Lammer, K.: Trauer verstehen. Formen – Erklärungen- Hilfen, Neukirchen-Vluyn 2004. Lampe, P.: Das korinthische Herrenmahl im Schnittpunkt hellenistisch-römischer Mahlpraxis und paulinischer Theologia Crucis (1 Kor 11,17 – 34), ZNW 82 (1991), 183 – 213. Lampe, P.: Die Wirklichkeit als Bild. Das Neue Testament als ein Grunddokument abendländischer Kultur im Licht konstruktivistischer Epistemologie und Wissenssoziologie, Neukirchen-Vluyn 2006. Lampe, P.: Felsen im Fluss. Schriftworte in provokativer Auslegung zu Themen der Zeit. Neukirchen-Vluyn 2004. Lampe, P.: Human Sacrifice and Pauline Christology, in: K. Finsterbusch u. a. (Hg.), Human Sacrifice in Jewish and Christian Tradition, Leiden/Boston 2007, 191 – 209. Lampe, P.: The Eucharist: Identifying with Christ on the Cross, Interpretation 48 (1994), 36 – 49. Lang, F.: Die Briefe an die Korinther (NTD 7), Göttingen 1986. Lauer, W.: Schuld – das komplexe Phänomen. Ein Vergleich zwischen schicksals- und daseinsanalytischem Schuldverständnis im Lichte christlicher Ethik, Kevelaer 1972. Lehmann, K.: Auferweckt am dritten Tag nach der Schrift. Früheste Christologie, Bekenntnisbildung und Schriftauslegung im Lichte von 1 Kor. 15.3 – 5, Freiburg 1968. Leiner, M.: Dem Evangelium die Seele wiedergeben? Grundsätzliche Fragen einer Psychologie des Urchristentum, in: G. Theißen/P. v. Gemünden (Hg.), Erkennen und Erleben. Beiträge zur psychologischen Erforschung des frühen Christentums, 2007 Gütersloh, 29 – 54. Leiner, M.: Psychologie und Exegese. Grundfragen einer textpsychologischen Exegese des Neuen Testaments, Gütersloh 1995. Levi, P.: Die Untergegangenen und die Geretteten, München 1993 (1986 Torino). Lietzmann, H.: An die Korinther I,II (HNT 9), Tübingen 19313. Lietzmann, H.: Messe und Herrenmahl. Eine Studie zur Geschichte der Liturgie, Bonn 1926. Lifton, R. J.: Death in Life. Survivors of Hiroshima, New York 1967. Lifton, R. J.: The Struggle for Cultural Rebirth, Harper’s 246 (1973), 84 – 90. Lichtenberger, H.: Täufergemeinden und frühchristliche Täuferpolemik im letzten Drittel des 1. Jahrhunderts, ZThK 84 (1987), 36 – 57. Lindars, B.: The Composition of John XX, NTS 7(1960 – 61), 142 – 147. Lindemann, A.: Der Erste Korintherbrief (HBN 9,1), Tübingen 2000. Lindemann, E.: Symptomatology and Management of Acute Grief, American Journal of Psychiatry, 101 (1944) 141 – 148. Lohse, E.: Die alttestamentlichen Bezüge in neutestamentlichen Zeugnis vom Tode Jesu Christi, in : H, Conzelmann u. a., Zur Bedeutung des Todes Jesu, Gütersloh 1968, 7 – 112. Lüdemenn, G.: Die Auferstehung Jesu. Historie Erfahrung Theologie, Stuttgart 1994. Luz, U./Michaels, A.: Jesus und Buddha. Leben und Lehre im Vergleich, München 2002. Luz, U.: Das Evangelium nach Matthäus (EKK 1,4), Neukirchen-Vluyn 2002.

Kommentare, Monographien, Aufsätze, Artikel

129

Lyon, L. K.: Judentum, Antisemitismus, Verfolgungswahn: Celan »Krise« 1960 – 1962, in: Celan-Jahrbuch 3 (1989), Heidelberg 1990, 175 – 204. Maercker, A.: Posttraumatische Belastungsstörungen, Verhaltenstherapiemanual V (2005), 511 – 519. Mason, S.: Josephus and the New Testament, Mass. Peabody 19932 . Marris, P.: Loss and Change, London 19862. Meister, M.: Judas Iskariot. Einer von uns, Leipzig 2004. Merklein, H./Gielen, M.: Der erste Brief an die Korinther (ÖTNT 7,3) Gütersloh 2005. Merklein, H.: Studien zu Jesus und Paulus, Tübingen 1987. Messner, R.: Einführung in die Liturgiewissenschaft, Paderborn u. a. 2001. Mödritzer, H.: Selbststigmatisierung im Neuen Testament und seiner Umwelt. Eine Studie zur Wechselbeziehung von Stigma und Charisma als Beitrag zu einer Soziologie des Urchristentums als charismatischer Bewegung, Heidelberg, Univ., Diss., 1993. Morgenstern, A.: Gestorben ohne gelebt zu haben. Trauer zwischen Schuld und Scham, Stuttgart 2005. Mußner, F.: Zur stilistischen und semantischen Struktur der Formel von 1 Kor 15,3 – 5, in: M. Theobald (Hg.), Jesus von Nazareth im Umfeld Israels und der Urkirche, Tübingen 1998, 190 – 199. Natsume, N.: Kokoro, Zürich 19942 (Tokyo 1914). Neimeyer, R. A.: Lessons of Loss. A Guide to Coping, New York 2000. Niederland, W. G.: Folgen der Verfolgung. Das Überlebenden-Syndrom Seelenmord, Frankfurt am Main 1980. Norden, E.: Agnostos Theos. Untersuchung zur Formengeschichte religiöser Rede, Stuttgart/Leipzig/Teubner 19967. Oberlinner, L.: Der Weg Jesu zum Leiden, in L. Schenke (Hg.), Jesus von Nazaret – Spuren und Konturen -, Stuttgart 2004, 275 – 318. Oeming, M.: »Fürwahr, er trug unsere Schuld.« Die Bedeutung der alttestamentlichen Vorstellung von Sünde und Sündenvergebung für das Verständnis der neutestamentlichen Abendmahlstraditionen, in: A. Wagner (Hg.), Sühne – Opfer – Abendmahl. Vier Zugänge zum Verständnis des Abendmahls, Neukirchen-Vluyn 1999. Onuki, T.: Jesus. Geschichte und Gegenwart, Neukirchen-Vluyn 2006. Otto, R.: Das Auferstehungs-Erlebnis als pneumatische Erfahrung, in: ders., Aufsätze. Das Numinose betreffend, Stuttgart/Gotha 1923, 159 – 170. Parkes, C. M.: Bereavement. Studies of Grief in Adult Life, London 1975. Pedella, T: Súm-Fasten. Kollektive Trauer um den verborgenen Gott im Alten Testament, ˙ Neukirchen-Vluyn 1989. Pesch, R.: Das Abendmahl und Jesu Todesverständnis, Freiburg/Basel/Wien 1978. Pesch, R.: Das Markusevangelium, (HThK 2,2), Freiburg/Basel/Wien 1977. Pilch, J. J.: Ereignisse eines veränderten Bewusstseinzustandes bei den Synoptiken, in: W. Stegemann/B. J. Malina /G. Theißen, Jesus in neuen Kontexten, Stuttgart 2003. Prigerson, H. G. u. a.: Influence of Traumatic Grief on Suicidal Ideation Among Young Adults, The American Journal of Psychiatry 156 (1999), 1994 – 1995. Raphael, B./Wooding, S.: Klinische Interventionen für Trauernde, in: J. Wittkowski (Hg.), Sterben, Tod und Trauer. Grundlagen – Methoden – Anwendungsfelder, Stuttgart 2003. Raphael, B.: When Disaster Strikes. How Individuals and Communities Cope with Catastrophe, New York 1986.

130

Literaturverzeichnis

Rees, W. D.: The Hallucinations of Widowhood, British Medical Journal 4 (1971) 37 – 41. Reichardt, M.: Psychologische Erklärung der paulinischen Damaskusvision? Ein Beitrag zum interdisziplinären Gespräch zwischen Exegese und Psychologie seit dem 18. Jahrhundert, Stuttgart 1999. Rengstrorf, K. H.: Die Auferstehung Jesu. Form, Art und Sinn der urchristlichen Osterbotschaft, Witten 19604. Rhoads, D. M.: Israel in revolution, 6 – 74 C. E. A political history based on the writings of Josephus, Philadelphia 1976. Rhyner, B.: Zen-Krankheit, in: C. Scharfetter, Der spirituelle Weg seine Gefahren. Spiritualität, Begriff, Typen – Bewußtseinsbereiche, Induktoren und Inhalte – Meditation – spirituelle Krise – Sekten und totalitäre Kulte ; eine Übersicht für Berater und Therapeuten, Stuttgart 19922, 91 – 97. Roloff, J.: Die Kirche im Neuen Testament, Göttingen 1993. Roloff, J.: Neues Testament, Neuenkirchen-Vluyn 1977. Saito, T.: Altered States of Consciousness and Psychological Process of Zen Enlightenment Experience, Ritsumeikan Journal of Human Sciences 5 (2003), 45 – 53 (Japanisch). Sandvik, B.: Das Kommen des Herrn beim Abendmahl im Neuen Testament, Zürich 1970. Satake, A.: 1 Kr 15,3 und das Verhalten von Paulus den Jerusalemern gegenüber, AJBI 16 (1990), 100 – 111. Satermus, K. S. u. a.: »Ich habe mein Kind getötet.« Erfahrungen mit schweren Depressionen bei Müttern nach Plötzlichem Kindstod aus psychiatrischer und rechtsmedizinischer Sicht, Nervenarzt 69 (1998), 53 – 58. Sato, M.: Ist Matthäus wirklich Judenchrist? AJBJ (2001), 155 – 173. Sato, M.: Q und Prophetie. Studien zur Gattungs- und Traditionsgeschichte der Quelle Q, Tübingen 1988. Sato, M.: Tragödie und Evangelium, Tokio 2001 (Japanisch). Scharfetter, C.: Der spirituelle Weg und seine Gefahren. Spiritualität, Begriff, Typen – Bewußtseinsbereiche, Induktoren und Inhalte – Meditation – spirituelle Krise – Sekten und totalitäre Kulte ; eine Übersicht für Berater und Therapeuten, Stuttgart 19922. Schenke, L.: Auferstehungsverkündigung und leeres Grab, Stuttgart 1968. Schiff, H. S.: Living Through Mourning. Finding Comfort and Hope When a Loved One Has Died, Harrisonburg 1989. Schmithals, W.: Der Römerbrief. Ein Kommentar, Gütersloh 1988. Schneemelcher, W.: Das Urchristentum, Stuttgart 1981. Schneider, G.: Die Passion Jesu nach den drei älteren Evangelien, München 1977. Schnell, U.: Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 20024. Schnell, U.: Paulus. Leben und Denken, Berlin 2003. Schrage, W.: Das Verständnis des Todes Jesu Christi im Neuen Testamen, in: E. Bizer (Hg.), Das Kreuz Jesu Christi als Grund des Heils, Gütersloh 1968. Schrage, W.: Der erste Briefe an die Korinther, (EKK 7,4), Neukirchen-Vluyn 2001. Schrage, W.: Studie zur Theologie im 1. Korintherbrief, Neukirchnen-Vluyn 2007. Schroer, S.: Trauerriten und Totenklage im Alten Israel. Frauenmacht und Machtkonflikte, in: Berlejung A./Janowski. B.: Tod und Jenseits im alten Israel und in seiner Umwelt. Theologische, religionsgeschichtliche, archäologische und ikonographische Aspekte, Tübingen 2009, 299 – 321.

Kommentare, Monographien, Aufsätze, Artikel

131

Schröter, J.: Das Abendmahl. Frühchristliche Deutung und Impulse für die Gegenwart, Stuttgart 2006. Schweizer, E.: Art. Abendmahl I, in : K. Galling (Hg.), RGG3 I, Tübingen 1957. Schweizer, E.: Das Abendmahl eine Vergegenwärtigung des Todes Jesu oder ein eschatologisches Freudenmahl?, ThZ 2 (1946), 81 – 101. Schweizer, E:. Das Herrenmahl im Neuen Testament. Ein Forschungsbericht, ThLZ (1954), 573 – 592. Seidensticker, P.: Zeitgenössische Texte zur Osterbotschaft der Evangelien, Stuttgart 1967. Sellin, G.: Der Streit um die Auferstehung der Toten. Eine religionsgeschichtliche und exegetische Untersuchung von 1. Korinther 15, Göttingen 1986. Silverman, P. R.: Services to the Widowed: First steps in a program of preventive intervention, Community Mental Health Journal 3 (1967), 37 – 44. Specht-Tomann, M./Tropper, D.: Zeit des Abschieds. Sterbe- und Trauerbegleitung, Düsseldorf 1998. Spiegel, Y.: Der Prozess des Trauerns. Analyse und Beratung, München 1973. Spörlein, B.: Die Leugnung der Auferstehung. Eine historische Untersuchung zu I Kor 15, Regensburg 1971. Standhartinger, A.: Das Abendmahl im Neuen Testament: Eine Einführung, in: J. Hartenstein u. a. (Hg.) »Eine gewöhnliche und harmlose Speise«? Von den Entwicklungen frühchristlicher Abendmahlstraditionen, München 2008. Stegemann E. W./Stegemann W.: Urchristliche Sozialgeschichte. Die Anfänge im Judentum und die Christusgemeinden in der mediterranen Welt, Stuttgart 1995. Steinseifer, B.: Der Ort der Erscheinungen des Auferstandenen. Zur Frage alter galiläischer Ostertraditionen, ZNW 62 (1971), 232 – 265. Stirn, A.: Überleben und Auseinandersetzung mit dem Holocaust-Trauma in einer Auswahl literarischer Zeugnisse jüdischer Schriftsteller, Kölner Zeitschrift für Sozialpsychologie 52 (2000), 720 – 760. Strack, H. L/Billerbeck, P.: Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch I. Das Evangelium nach Matthäus, München 19262. Stubbe, H.: Formen der Trauer. Eine kulturanthropologische Untersuchung, Berlin 1985. Stuhlmacher, P.: Das Bekenntnis zur Auferweckung Jesu von den Toten und die Biblische Theologie, ZThk 70 (1973), 365 – 403. Syreeni, K.: Coping with the Death of Jesus: The Gospels and the Theory of Grief Work, in: J. H. Ellen/W. G. Rollins (Hg.), Psychology and the Bible. A New Way to Read the Scriptures, Vol. 3 From Gospel to Gnostics, Westport u. a. 2004, 63 – 86. Tart, T.: Altered state of consciousness, New York u. a. 1969. Theißen, G./Merz, A.: Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 1996. Theißen, G.: Das Neue Testament, München 2002. Theißen, G.: Die Jesusbewegung. Sozialgeschichte einer Revolution der Werte, Gütersloh 2004. Theißen, G.: Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, Gütersloh 2000. Theißen, G./Gemünden, P. v. (Hg.): Erkennen und Erleben. Beiträge zur psychologischen Erforschung des frühen Christentums, Gütersloh 2007. Theißen, G.: Erleben und Verhalten der ersten Christen. Eine Psychologie des Urchristentum, München 2007.

132

Literaturverzeichnis

Theißen, G.: Lokalkolorit und Zeitgeschichte in den Evangelien, Göttingen 19922. Theißen, G.: Psychologische Aspekte paulinischer Theologie, Göttingen 19932. Theißen, G.: Wanderradikalismus. Literatursoziologische Aspekte der Überlieferung von Worten Jesu im Urchristentum in: ders., Studien zur Soziologie des Urchristentums, Tübingen 19893. Theißen, G: Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem, Heidelberg 2007. Tiwald, M.: Wanderradikalismus. Jesu erste Jünger – ein Anfang und was davon bleibt, Frankfurt am Main 2002. Tilly, M: »Wenn ein Stein bewegt wird …«: Tod und Trauer im Judentum in der römischen Kaiserzeit, Antike Welt 34 (2003), 143 – 150. Van Gennep, A.: Übergangsriten (Les rites de passage) Frankfurt am Main 1986 (Paris 1981). Vögtle, A.: Biblischer Osterglaube. Hintergründe – Deutungen – Herausforderungen, Neuenkirchen-Vluyn 1999. Vögtle, A.: Der verkündende und verkündigte Jesus, »Christus«, in: J. Sauer (Hg.), Wer ist Jesus Christus?, Freiburg u. a., 1977, 27 – 91. Vollenweider, S.: Außergewöhnliche Bewusstseinszutände und die urchristliche Religion. Eine alternative Stimme zur psychologischen Exegese, in: G. Theißen/P. v. Gemünden (Hg.), Erkennen und Erleben. Beiträge zur psychologischen Erforschung des frühen Christentums, Gütersloh 2007, 73 – 90. Vollenweider, S.: Ostern – der denkwürdige Ausgang einer Krisenerfahrung, TZ 49, (1993), 34 – 53. Walsh, R. N./Vaughan, F. (Hg.): Psychologie in der Wende. Grundlagen, Methoden und Zeit der transpersonalen Psychologie – Eine Einführung in die Psychologie des Neuen Bewusstseins, Berlin/München/Wien 1985. Weiß, S.: Die Trauer von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen um den verstorbenen Vater, München, Univ., Diss. 2006. Wengst, K.: Christologische Formeln und Lieder des Urchristentums, Gütersloh 1972. Wiebe, P. H.: Visions of Jesus. Direct Encounter form the New Testament to Today, New York 1997. Wiesel, E.: Die Nacht. Erinnerung und Zeugnis, Freiburg 20078. Wilckens, U.: Auferstehung. Das biblische Auferstehungszeugnis historisch Untersucht und Erklärt, Stuttgart 19752. Wilckens, U.: Der Brief an die Römer (EKK 6,2), Neukirchen-Vluyn 1980. Wilckens, U.: Der Ursprung der Überlieferung der Erscheinungen des Auferstandenen. Zur traditionsgeschichtlichen Analyse von 1. Kor.15,1 – 11, in: P. Hoffmann (Hg.), Zur neutestamentlichen Überlieferung von der Auferstehung Jesu, Darmstatt 1988, 139 – 193. Wilckens, U.: Die Missionsreden der Apostelgeschichte. Form – und tradtionsgeschichtliche Untersuchungen, Neukirchen-Vluyn 19743. Wilckens, U.: Die Überlieferungsgechichte der Auferstehung Jesu, in: W. Marxsen (Hg.), Die Bedeutung der Auferstehungsbotschaft für den Glauben an Jesus Christus, Gütersloh 1966, 41 – 63. Wilckens, U.: Theologie des Neuen Testaments, Band I, Teilband 2, Neukirchen-Vluyn 2003.

Kommentare, Monographien, Aufsätze, Artikel

133

Wolff, C.: Der erste Brief des Paulus an die Korinther (ThNT 7), Leipzig 1996. Worden, J. W.: Beratung und Therapie in Trauerfällen. Ein Handbuch, Bern 1987. Wortman, C. B/ Silver, R.C.: The myths of coping with loss, Journal of Consulting and Clinical Psychology 57 (1989), 349 – 357. Znoj H. J./Marrcker, A.: Trauerarbeit und Therapie der komplizierten Trauer, Verhaltenstherapiemanual IV (2005), 401 – 406. Znoj, H. J.: Komplizierte Trauer, Göttingen 2004.

Abkürzungen

Abkürzungen richten sich nach dem Abkürzungsverzeichnis der TRE (Theologische Realenzyklopädie. Abkürzungsverzeichnis, zusammengestellt von S. Schwertner, Berlin/New York 1976).