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German Pages 234 [224] Year 2008
SCHRIFTENREIHE FINANZIERUNG UND BANKEN Herausgeber: Prof. Dr. Detlev Hummel
Michael Behrens
Turnaround Finance Eine Analyse der Kapitalzufuhr im Krisenfall des Mittelstandes
Verlag Wissenschaft & Praxis
Turnaround Finance – eine Analyse der Kapitalzufuhr im Krisenfall des Mittelstandes
SCHRIFTENREIHE FINANZIERUNG UND BANKEN Herausgegeben von Prof. Dr. Detlev Hummel
Band 13
Michael Behrens
Turnaround Finance Eine Analyse der Kapitalzufuhr im Krisenfall des Mittelstandes
Verlag Wissenschaft & Praxis
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN 978-3-89673-467-9 © Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH 2008 D-75447 Sternenfels, Nußbaumweg 6 Tel. 07045/930093 Fax 07045/930094
Alle Rechte vorbehalten Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany
Geleitwort Ich freue mich, hiermit eine sehr praxisorientierte Forschungsarbeit als neuesten Band der Schriftenreihe Finanzierung und Banken an der Universität Potsdam präsentieren zu dürfen. Ausgangspunkt der hier veröffentlichten Untersuchung1 war die Tatsache, dass kleine und mittlere Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten kaum Finanzierungsalternativen zur Hausbank nutzen. Bisherige Untersuchungen über Sanierungsansätze und geeignete Maßnahmen zur Krisenbewältigung schreiben der Finanzierung zudem eine eher untergeordnete Rolle zu. Die Identifikation und Analyse geeigneter Finanzierungsinstrumente und -partner in wirtschaftlichen Krisensituationen standen im deutschsprachigen Raum bisher kaum im Mittelpunkt der Forschung. Das traditionelle Universalbankensystem mit hohem Anteil öffentlich-rechtlicher sowie kreditgenossenschaftlicher Regionalbanken kannte bei der Mittelstandsfinanzierung bis vor kurzem nicht den Bedarf an innovativen und stärker strukturierten Lösungen. Dies änderte sich seit Ende der 90er Jahre, als zahlreiche Insolvenzen und damit verbundene Kreditausfälle ein Umdenken einleiteten. Neue aufsichtsrechtliche Rahmenbedingungen wirkten zusätzlich als Katalysator. Es stellt sich angesichts aktueller Entwicklungen stärker die Frage nach den Möglichkeiten und nach den Folgen von strukturierten Finanzierungen: Können Hausbank, Förderinstitute und private Kapitalgeber gemeinsam helfen, schneller und erfolgreicher eine Sanierung zu finanzieren? Welche unterschiedlichen Wirkungen haben in diesem Zusammenhang Fremdkapital auf der einen und Eigenkapital auf der anderen Seite? Zu diesen Fragestellungen für kleine und mittlere Unternehmungen fehlen bisher – insbesondere aufgrund der unzureichenden Datenbasis – nähere empirische Forschungen. Insofern ist der Untersuchungsgegenstand von Herrn Behrens ebenso herausragend wie reizvoll, denn einfache Lösungen dieses komplexen Gegenstandes sind nicht zu erwarten. Der Herausgeber 1 Der hier veröffentlichte Text wurde gekürzt und das empirische Datenmaterial im Anhang der ausführlichen Fassung der Dissertation an der Universität Potsdam ist im Verlag Wissenschaft & Praxis erhältlich.
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Vorwort An dieser Stelle bedanke ich mich besonders bei meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Detlev Hummel. Seine ständige Diskussionsbereitschaft und seine zahlreichen konstruktiven Anregungen und Verbesserungsvorschläge waren mir eine große Unterstützung bei dem Vorhaben der Promotion und haben mich auch in schwierigen Momenten immer wieder motiviert und aufgebaut. Außerdem bedanke ich mich sehr herzlich bei Herrn Prof. Dr. Christoph Rasche für die Übernahme des Zweitgutachtens. Die empirischen Untersuchungen sind durch die Kooperationen mit der Investitionsund Förderbank Niedersachsen – NBank, Hannover, sowie der business angel Fondsverwaltungs GmbH, Hannover, ermöglicht worden. Bei den verantwortlichen Mitabeitern aus diesen beiden Häusern bedanke ich mich ebenfalls sehr herzlich für die gewährte Förderung. Mein besonderer Dank gilt schließlich meiner lieben Frau Melanie. Mit ihrer Zuversicht und Liebe hat sie mich auch in den schwierigen Momenten unterstützt und es immer wieder geschafft, unsere beiden Kinder Emily und Christopher davon zu überzeugen, dass ihr Papa auch mal eine ruhige Zeit zum Arbeiten benötigte.
Michael Behrens Dollbergen, im März 2008
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Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis ......................................................................................... 11 Abbildungsverzeichnis .......................................................................................... 12 Einleitung ................................................................................................................ 15 Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit ........................................................ 15 Aufbau der Arbeit und Untersuchungsmethodik .................................................. 21 1. Theoretische Grundlagen zum Krisenfall ........................................................ 23 1.1. Definition der Begriffe „Unternehmenskrise“ und „Financial Distress“.......... 23 1.2. Theoretische Modelle zum Financial Distress .............................................. 25 1.2.1. Bankkredite im Financial Distress .................................................... 26 1.2.2. Modelle über die Liquidationsentscheidung ..................................... 27 1.3. Empirische Analysen zum Financial Distress ............................................... 30 1.4. Zusammenfassung der Ergebnisse .............................................................. 36 2. Aspekte der Finanzierung.................................................................................. 37 2.1. Finanzmanagement .................................................................................... 37 2.2. Neoinstitutionalistische Finanzierungstheorie............................................... 39 2.3. Eigenfinanzierung.......................................................................................... 48 2.4. Fremdfinanzierung ........................................................................................ 55 2.5. Zusammenfassung der Ergebnisse .............................................................. 63 3. Turnaround.......................................................................................................... 65 3.1. Phasen der Unternehmenskrise.................................................................... 65 3.2. Bewältigung von Unternehmenskrisen ......................................................... 70 3.2.1. Definitionen und Begriffsabgrenzungen .............................................. 70 3.2.2. Rahmenkonzept für die Unternehmenssanierung .............................. 75 3.2.2.1. Ablauf der Krisenbewältigung (methodisches Element)........ 75 3.2.2.2. Träger des Krisenmanagements (institutionelles Element)... 90 3.2.2.3. Maßnahmen zur Krisenbewältigung (inhaltliches Element) .. 99 3.3. Die Aufgaben des Finanzmanagements im Krisenfall im Zusammenspiel mit den Finanzierungspartnern.................................... 114 3.4. Zusammenfassung der Ergebnisse ............................................................ 117
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4. Empirische Untersuchung der Kapitalaufnahme bei kleinen und mittleren Krisenunternehmen ......................................................................... 119 4.1. Grundlagen der empirischen Untersuchung ............................................... 119 4.1.1. Ziele und Aufbau der Untersuchung ................................................. 119 4.1.2. Beschaffung und Auswahl des empirischen Datenmaterials............ 121 4.1.3. Aufbereitung des empirischen Datenmaterials ................................. 126 4.2. Einsatz der Bilanzanalyse für die empirische Untersuchung...................... 127 4.2.1. Grundsätze der Bilanzanalyse .......................................................... 127 4.2.2. Grenzen der Bilanzanalyse ............................................................... 132 4.3. Entwicklung des Kennzahlenkatalogs......................................................... 135 4.3.1. Grundsätze der Kennzahlenbildung und Kennzahlensysteme ......... 135 4.3.2. Erläuterung der bei der Untersuchung eingesetzten Kennzahlen .... 140 4.3.3. Ergebnisse der empirischen Untersuchung ...................................... 152 4.4. Zusammenfassung der Ergebnisse ............................................................ 189 5. Zusammenfassung und Fazit.......................................................................... 193 Literaturverzeichnis ............................................................................................. 204
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Abkürzungsverzeichnis BGB Bürgerliches Gesetzbuch EU
Europäische Union
GuV Gewinn- und Verlustrechnung InsO Insolvenzordnung Jg.
Jahrgang
KFW Kreditanstalt für Wiederaufbau KMU kleine und mittlere Unternehmen KWG Kreditwesengesetz MA
Mitarbeiter
ROI
Return on Investment
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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Interessengruppen bei einem Krisenunternehmen ............................. 20 Abbildung 2: Die neoinstitutionalistischen Ansätze.................................................. 40 Abbildung 3: Merkmale von Einzelkaufmann und Personengesellschaften ............ 50 Abbildung 4: Einteilung der Fremdfinanzierung ....................................................... 56 Abbildung 5: Krisenprozess...................................................................................... 69 Abbildung 6: Einordnung der Begriffe Sanierung, Turnaround und Restrukturierung....................................................... 73 Abbildung 7: Phasen des Sanierungsprozesses...................................................... 76 Abbildung 8: Sofortmaßnahmen auf der Einnahmen- oder Ausgabenseite zur Stabilisierung der finanziellen Lage ohne Aufnahme zusätzlicher Bankkredite .......................................... 80 Abbildung 9: Zusammenhang Sanierungsfähigkeit/-würdigkeit ............................... 87 Abbildung 10: Träger des Sanierungsmanagements............................................... 91 Abbildung 11: Sanierungsbeteiligte und ihre jeweiligen Interessen......................... 99 Abbildung 12: Autonome finanzielle Sanierungsmaßnahmen ............................... 102 Abbildung 13: Heteronome Interessensgruppen der Sanierung............................ 107 Abbildung 14: Aufbau der empirischen Untersuchung........................................... 121 Abbildung 15: Klassifizierung der Jahresabschlüsse nach Jahreszahlen ............. 122 Abbildung 16: KMU-Schwellenwerte der EU seit 01.01.2005 (Werte der bisherigen Definition von 1996 in Klammern)............... 123 Abbildung 17: Klassifizierung der untersuchten Unternehmen nach den KMU-Schwellenwerten der EU ....................................................... 124 Abbildung 18: Die sieben Schritte der Bilanzanalyse............................................. 130 Abbildung 19: Übersicht von Eigenkapitalquoten................................................... 143 Abbildung 20: Entwicklung der Eigenkapitalquote ................................................. 152 Abbildung 21: Vergleich der durchschnittlichen Eigenkapitalquote ....................... 154 Abbildung 22: Entwicklung der kurzfristigen Fremdkapitalquote ........................... 156 12
Abbildung 23: Vergleich der durchschnittlichen kurzfristigen Fremdkapitalquote.. 157 Abbildung 24: Entwicklung des statischen Verschuldungsgrades ......................... 159 Abbildung 25: Vergleich des durchschnittlichen statischen Verschuldungsgrads . 160 Abbildung 26: Entwicklung der Fremdkapitalquote ................................................ 162 Abbildung 27: Vergleich der durchschnittlichen Fremdkapitalquote ...................... 162 Abbildung 28: Entwicklung der Goldenen Bilanzregel ........................................... 164 Abbildung 29: Vergleich der durchschnittlichen Goldenen Bilanzregel ................. 164 Abbildung 30: Entwicklung der Liquidität 1. Grades............................................... 166 Abbildung 31: Vergleich der durchschnittlichen Liquidität 1. Grades..................... 167 Abbildung 32: Entwicklung des Working Capitals .................................................. 169 Abbildung 33: Vergleich des durchschnittlichen Working Capitals ........................ 169 Abbildung 34: Entwicklung des Cash Flows .......................................................... 171 Abbildung 35: Entwicklung des durchschnittlichen Cash Flows ............................ 172 Abbildung 36: Entwicklung der Umsatzrentabilität ................................................. 173 Abbildung 37: Vergleich der durchschnittlichen Umsatzrentabilität ....................... 174 Abbildung 38: Entwicklung der Eigenkapitalrentabilität.......................................... 176 Abbildung 39: Vergleich der durchschnittlichen Eigenkapitalrentabilität................ 177 Abbildung 40: Entwicklung des Return on Investment........................................... 178 Abbildung 41: Vergleich des durchschnittlichen Return on Investment................. 179 Abbildung 42: Entwicklung der Personalaufwandsquote ....................................... 181 Abbildung 43: Vergleich der durchschnittlichen Personalaufwandsquote ............. 182 Abbildung 44: Entwicklung der Produktivität der Belegschaft................................ 183 Abbildung 45: Vergleich der durchschnittlichen Produktivität der Belegschaft ...... 184 Abbildung 46: Entwicklung der Materialaufwandsquote ........................................ 185 Abbildung 47: Vergleich der durchschnittlichen Materialaufwandsquote............... 186 Abbildung 48: Entwicklung des Kundenziels.......................................................... 187 13
Abbildung 49: Vergleich des durchschnittlichen Kundenziels................................ 188 Abbildung 50: Die 5 wichtigsten Kennzahlen dieser Untersuchung....................... 191
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Einleitung Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit Die Unternehmensfinanzierung von kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland ist ein zentraler Schwerpunkt des deutschen Finanzmarktes. Rd. 70 % der Beschäftigten haben ihren Arbeitsplatz in kleinen und mittleren Unternehmen. Diese Unternehmen stellen rd. 99 % der gesamten Unternehmen in Deutschland dar.2 Die Bedingungen in Deutschland für die Finanzierung von kleinen und mittleren Krisenunternehmen haben sich dynamisch entwickelt und deutlich verändert. Der Wandel des deutschen Banken- und Finanzsystems schreitet weiter fort. Die Risikotragfähigkeit der Banken hat sich, bezogen auf die die deutsche Wirtschaft, erhöht. Insgesamt befinden sich die Geschäftsbanken in einer sehr guten und robusten Verfassung. Die Kreditqualität im Firmenkreditportfolio hat sich weiter verbessert.3 Der Risikovorsorgeaufwand konnte reduziert werden. Der Anteil an Not leidenden Krediten ist bei den Kreditinstituten ebenfalls rückläufig. Aufgrund des höheren Anteils an kleinen und mittelständischen Firmenkunden haben aber sowohl die Sparkassen als auch die Kreditgenossenschaften einen strukturell höheren Anteil an Not leidenden Krediten als die Kreditbanken und die Landesbanken.4 Bei kleinen und mittelständischen Firmenkunden treten häufiger Not leidende Kredite auf als bei Großunternehmen, die Firmenkunden bei den Privatbanken sind. Dies hat negative Auswirkungen auf die Bereitschaft der Sparkassen und Kreditgenossenschaften, kleine und mittelständische Unternehmen in Krisensituationen zu finanzieren. Die Kreditinstitute müssen sich dem sich verändernden Marktumfeld und dem steigenden Wettbewerb zwischen den Kreditinstituten anpassen. Es besteht für die Kreditinstitute die Notwendigkeit, ihre Aufwands-/Ertragsrelation zu verbessern, um sich im internationalen Wettbewerb behaupten zu können. Die Banken sind daher zum Teil zurückhaltend mit der Kreditvergabe in einem Umfeld, welches durch ein erhöhtes Ausfallrisiko geprägt ist.5 Dies gilt insbesondere für Unternehmen, die sich in einer Krisensituation befinden. Bei den Banken steigen daher sowohl das Risikobewusstsein als auch die Fähigkeiten, Risiken zu erfassen, zu bewerten und Kreditkon2
Vgl. KfW Bankengruppe (2005), S. 1 Vgl. Deutsche Bundesbank (2006), S. 9 4 Vgl. Deutsche Bundesbank (2006), S. 43 f. 5 Vgl. KfW Bankengruppe, S. 8 3
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ditionen werden stärker als bisher an der Bonität des Kreditnehmers und den Erfordernissen der Risikosteuerung ausgerichtet.6 Auch nach einer Umfrage der KfW im 1. Quartal 2006 unter deutschen Unternehmen ist der fortschreitende Umbruch des deutschen Finanzmarktes deutlich zu erkennen. Zwar ist nach Einschätzung der Unternehmer die Kreditaufnahme insgesamt etwas leichter geworden, dennoch beschrieb rd. ein Drittel der befragten Unternehmen die Kreditaufnahme als schwieriger.7 Die positive Entwicklung ist einerseits auf die allgemeine konjunkturelle Belebung der deutschen Wirtschaft ab dem 2. Halbjahr 2005 sowie andererseits durch die Lockerung der Kreditrichtlinien durch die Kreditinstitute begründet. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass insbesondere bei den kleinen Unternehmen die Schwierigkeiten bei der Kreditaufnahme zugenommen haben. Knapp ein Drittel bis die Hälfte (je nach Umsatzgröße) der Unternehmen mit einem Umsatzvolumen von bis zu € 10 Mio. p. a. haben bei der Unternehmensbefragung bestätigt, dass für sie die Kreditaufnahme schwieriger geworden ist. Größere Unternehmen mit einem Bonitätsnachteil können diesen durch einen Risikoaufschlag bei den Zinsen ausgleichen. Doch haben gerade kleinere Unternehmen, insbesondere bei schwacher Bonität, Schwierigkeiten, einen Kredit zu erhalten. Eine mengenmäßige Risikobegrenzung erreichen die Kreditinstitute bei den kleineren Unternehmen durch Kreditrationierung. Die häufigsten Gründe für die Ablehnung des Kreditantrags sind unzureichende Sicherheiten und eine zu niedrige Eigenkapitalquote.8 Um die praktische Bedeutung der Unternehmensfinanzierung von Krisenunternehmen zu verdeutlichen, kann die Anzahl der deutschen Unternehmen herangezogen werden, die von einer Krisensituation betroffen sind. Die Statistik der Unternehmensinsolvenzen weist auf die hohe Zahl an tatsächlichen und an potentiellen Krisenunternehmen hin. Die Anzahl der jährlichen Unternehmensinsolvenzen ist in Deutschland trotz einer leicht rückläufigen Entwicklung auf einem sehr hohen Niveau und beträgt für das Jahr 2006 rd. 31.000. Die Schäden für die Volkswirtschaft durch insolvente Unternehmen belaufen sich für 2006 auf rd. € 31 Mrd. Die Zahl der Gesamtarbeitsplatzverluste beträgt in Deutschland für das Jahr 2006 rd. 473.000.9 Die Zahl der potentiellen Krisenunternehmen wird statistisch nicht erfasst. Sie lässt sich 6
Vgl. KfW Bankengruppe (2004), S. 10 Vgl. KfW Bankengruppe (2006), S. 4 8 Vgl. ebenda, S. 5 ff. 9 Vgl. Creditreform (2007a), S. 2 ff. 7
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jedoch näherungsweise über die Statistikwerte der Eigenkapitalquote abschätzen. So verfügten in Deutschland im Jahr 2006 rd. 31,6 % der Unternehmen über eine Eigenkapitalquote von weniger als 10 %.10 Sie gelten damit als nicht ausreichend kapitalisiert. Die wichtigsten Finanzierungsformen der Unternehmen sind die Innenfinanzierung und der Bankkredit.11 Daneben versuchen viele Unternehmen alternative Finanzierungsinstrumente (z. B. Leasing, Mezzaninekapital, Beteiligungskapital) zu nutzen. Ein Grund ist auch der schwieriger werdende Kreditzugang für diese Unternehmen. Das Angebot an solchen alternativen Finanzierungsinstrumenten steigt (insbesondere Mezzaninekapital) und wird zunehmend auch mittleren und sogar kleineren Unternehmen zugänglich gemacht.12 Die Hausbankbeziehung hat unverändert eine hohe zentrale Bedeutung für die Kreditvergabe an kleine und mittlere Unternehmen. Große Banken geben im Vergleich zu kleinen und mittleren Banken deutlich weniger Kredite an kleine und mittlere Unternehmen.13 Außerdem können zyklische Schwankungen der Kreditvergabe durch Hausbankbeziehungen reduziert werden.14 In allen wichtigen Bereichen der Unternehmensfinanzierung (z. B. Kreditzugang, Rating, Investitionsfinanzierung, Eigenkapital) haben große Unternehmen Vorteile gegenüber den kleinen Unternehmen. Viele Unternehmen wären auch bereit, einen höheren Zins zu bezahlen. Dies wäre für sie immer noch besser, als gar keinen Kredit zu erhalten.15 Neben der Anpassung der Unternehmen an die Anforderungen, die sich aus dem Finanzmarktwandel ergeben, müssen sich auch die Banken besser auf diesen Kundenbereich der kleinen Unternehmen einstellen.16 Insbesondere könnten sie wie bei großen Unternehmen die Kreditrisiken in den Konditionen berücksichtigen, anstatt ausschließlich eine Risikobegrenzung durch Kreditrationierung zu erreichen. Vor dem Hintergrund der beschriebenen Veränderungen im deutschen Finanzmarktsystem, insbesondere beim Hausbank-Prinzip, wird deutlich, dass kleine und mittlere Unternehmen in Krisensituationen Schwierigkeiten haben, für die jeweilige Krisen10
Vgl. Creditreform (2007b) Vgl. Creditreform (2007a), S. 13 12 Vgl. KfW Bankengruppe (2006), S. 7 13 Vgl. Berger/Saunders/Scalise/Udell (1998), S. 187 ff. 14 Vgl. Allen/Gale (1997), S. 523 ff. 15 Vgl. KfW Bankengruppe (2004), S. 8 16 Vgl. KfW Bankengruppe (2006), S. 8 11
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bewältigung eine Finanzierung zu erhalten. Neben den bereits beschriebenen zurückhaltenden Hausbanken schließt die Mehrzahl der öffentlichen Förderprogramme Unternehmenssanierungen (also das Überwinden von Unternehmenskrisen) in ihren Antragsbedingungen explizit aus. Eigenkapitalgeber (z. B. Kapitalbeteiligungsgesellschaften), die in ihrem Investitions-Fokus auch kleine und mittlere Krisenunternehmen haben, gibt es in Deutschland nur sehr wenige (eher als Nischenanbieter). In der Literatur finden sich nur wenige empirische Untersuchungen zum Thema Bewältigung von Unternehmenskrisen durch eine Neustrukturierung der Unternehmensfinanzierung (Turnaround Finance). Einige Modelle untersuchen die Möglichkeiten der Liquidation von Krisenunternehmen unter Berücksichtigung der einzelnen Anspruchsgruppen.17 Andere Untersuchungen beschäftigen sich mit der Restrukturierung des Fremdkapitals in Krisensituationen. Die meisten Studien basieren auf Daten amerikanischer, börsennotierter Unternehmen. Diese Daten sind öffentlich gut zugänglich. In zwei Studien für den deutschen Finanzmarkt wurden die Beiträge der Banken zur Sanierung von Unternehmen untersucht.18 In mehreren Beiträgen wird dargelegt, wie ein Unternehmen eine Sanierung erreichen kann. Dabei werden insbesondere die Maßnahmen zur Krisenbewältigung erläutert.19 Der Bereich der Finanzierung spielt in der Regel eine eher untergeordnete Rolle. Häufig werden die Beiträge des Managements und des Vertriebs sowie Kostensenkungsmaßnahmen genannt. Die vorliegende Arbeit spricht aber der Finanzierung eines Unternehmens zur Überwindung einer Krisensituation eine sehr große Bedeutung zu. Viele der in der Literatur aufgezeigten Maßnahmen sind ohne eine entsprechende Finanzierung nicht darstellbar. Wenn es aber einem Unternehmen nicht gelingt, die notwendige Finanzierung einzuwerben, können auch die geplanten Maßnahmen zur Sanierung nicht umgesetzt werden. Die Sanierung lässt sich dann häufig gar nicht mehr umsetzen. Die Existenz des Krisenunternehmens ist gefährdet. Bisher gibt es jedoch kaum empirische Studien, die das Verhalten aller potentiellen beteiligten Finanzpartner bei einer Unternehmenskrise (Hausbank, Eigenkapitalgeber, Förderinstitute) berücksichtigen und untersuchen, welche Art der Finanzierung für ein Krisenunternehmen realisierbar ist, um erfolgreich die Krisensituation über17
Vgl. Kapitel 1.2. Vgl. Kapitel 1.3. 19 Vgl. Faulhaber/Landwehr (1996); Schwarzecker/Spandl (1996); Clasen (1992) u. a. 18
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winden zu können. Da insbesondere kleine und mittlere Krisenunternehmen Schwierigkeiten haben, eine Finanzierung zur Überwindung der Krisensituation zu erhalten, konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf diese Unternehmensgröße. Dabei soll nicht nur herausgefunden werden, welche Finanzierungsquellen nutzbar sind, sondern auch, welche Wirkungen unterschiedliche Alternativen bezüglich einer angestrebten Überwindung der Krise haben. In der vorliegenden Arbeit soll anhand der Auswertung von mehreren Jahresabschlüssen von insgesamt 63 Unternehmen untersucht werden, ob Aussagen über eine Abhängigkeit zwischen der Finanzierung zur Überwindung der Unternehmenskrise und der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens getroffen werden können. Dazu wurden verschiedene Kennziffern analysiert und untersucht, ob Aussagen über die wirtschaftliche Entwicklung der Unternehmen getroffen werden können. Die untersuchten Unternehmen befanden sich alle in einer Krisensituation. Die Mehrzahl von ihnen erhielt eine Fremdkapitalzufuhr, die durch ein öffentliches Förderinstitut z. T. verbürgt (und damit das Risiko der den Kredit ausreichenden Hausbank deutlich beschränkt) worden ist. Einige wenige Unternehmen erhielten ausschließlich eine Eigenkapitalzufuhr von einer Kapitalbeteiligungsgesellschaft. Die Unternehmen sind alles kleine und mittlere, nicht börsennotierte Unternehmen und haben ihren Sitz in Deutschland. Die möglichen beteiligten Finanzpartner zeigen in einer Unternehmenskrise jeweils ein unterschiedliches Verhalten, welches durch die jeweils eigenen Interessen geprägt ist. Die vorliegende Arbeit versucht Grundlagen für die Beantwortung folgender Fragen zu schaffen: -
Konnte eine Aufstockung der bisher vorhandenen Finanzmittel bei den Krisenunternehmen eine Sanierung ermöglichen?
-
Hat die Art der Kapitalzufuhr (z. B. Eigen- oder Fremdkapital) in einer Krisensituation Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens?
-
Wie können für die beteiligten Interessengruppen Anreize geschaffen werden, dass sie gemeinsam für die Überwindung der Unternehmenskrise tätig werden?
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Hausbank
Unternehmensführung
Krisenunternehmen
Förderinstitut
Eigenkapitalgeber
Abbildung 1: Interessengruppen bei einem Krisenunternehmen Quelle: Eigene Darstellung
Die Abbildung 1 zeigt die möglichen beteiligten Interessengruppen bei einem Unternehmen in einer Krisensituation. Diese Interessengruppen verfolgen in der Regel zunächst nur ihre eigenen Ziele. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf den Interessengruppen, die eine Finanzierung des Krisenunternehmens ermöglichen könnten: Hausbank, Eigenkapitalgeber und Förderinstitut. Die Hausbank verfügt häufig über ausreichende Sicherheiten ihrer bisher an das Krisenunternehmen ausgereichten Kredite. Ihre Risikoposition würde die Hausbank nur verschlechtern, wenn sie weitere Kredite an dieses Krisenunternehmen ohne weitere entsprechende Sicherheiten ausreichen würde. Ein Eigenkapitalgeber erhält für sein Engagement zur Überwindung der Krisensituation keine Sicherheiten, außer eventuellen Geschäftsanteilen am Unternehmen. Er geht damit ein großes Risiko ein. Das Förderinstitut hat häufig von den beteiligten Finanzpartnern die schwächste Informations- und Einflussbasis. Weiterhin sind verschiedene EU-Richtlinien zu beachten, die eine Subventionierung von Unternehmen verhindern sollen. Der Prüfungsaufwand und das Risiko sind für ein Förderinstitut bei einem Engagement bei einem Krisenunternehmen relativ hoch. Die Unternehmensführung muss versuchen, die Krisensituation zu überwinden. Dazu sind einerseits strukturelle Veränderungen im Unternehmen wichtig. Andererseits 20
muss die Unternehmensführung auch die Finanzierungsstruktur anpassen. Dabei will sie ihre eigene Position natürlich möglichst wenig schwächen. Als ein Ergebnis dieser Arbeit soll ein erster Entwurf eines Finanzierungsmodells für Krisenunternehmen unter Einbindung der drei potentiellen Finanzpartner im Kapitel 5 entwickelt werden.
Aufbau der Arbeit und Untersuchungsmethodik Im ersten Kapitel wird zunächst der Begriff „Unternehmenskrise“ definiert. Weiterhin werden mehrere theoretische Modelle zum Financial Distress erläutert. Dabei werden sowohl die Bankkredite als auch die Liquidationsentscheidungen im Financial Distress untersucht. Außerdem werden bisherige empirische Analysen zum Financial Distress dargestellt. Das Thema Unternehmensfinanzierung wird im zweiten Kapitel erläutert. Nach den theoretischen Grundlagen werden die Möglichkeiten der Finanzierungen und Eigenheiten verschiedener Finanzierungsformen vorgestellt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Unterscheidung zwischen Eigen- und Fremdfinanzierung. Dies soll die Anreize sowie die Kompetenz verschiedener Kapitalgeber zur Überwindung einer Unternehmenskrise verdeutlichen. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit den einzelnen Phasen einer Unternehmenskrise. Weiterhin werden Möglichkeiten und Maßnahmen zur Bewältigung von Unternehmenskrisen dargestellt. Damit wird deutlich gemacht, wie Krisenunternehmen stabilisiert werden können bzw. welche Beiträge die einzelnen Interessengruppen zur Überwindung der Unternehmenskrise leisten können. Außerdem werden die Aufgaben des Finanzmanagements und der Einsatz spezieller Instrumente im Krisenfall geklärt. Im vierten Kapitel werden eine eigene empirische Analyse sowie deren Ergebnisse dargestellt. Zunächst werden die Datenbasis und der Aufbau der Untersuchung erklärt. Anschließend erfolgen eine Bewertung der Bilanzanalyse als Analyseinstrument sowie die Entwicklung des eingesetzten Kennzahlenkatalogs. Danach werden die Ergebnisse der Kennzahlenuntersuchung zusammengefasst. Die Datenbasis wurde selbst erhoben und in einer solchen Struktur für die deutschen Wirtschaftsverhältnisse untersucht. Qualität und Vollständigkeit könnten durchaus kritisch gesehen werden, ermöglichen jedoch aus Sicht des Autors interessante empirische Befunde. 21
Der Datensatz umfasst insgesamt 227 Jahresabschlüsse (Gewinn- und Verlustrechnungen sowie Bilanzen) von 63 Unternehmen. Dabei liegen teilweise Jahresabschlüsse nur für die Jahre vor der Kapitalzufuhr, teilweise nur für die Jahre nach einer Kapitalzufuhr sowie für einige Unternehmen sowohl für die Jahre vor als auch nach der Kapitalzufuhr vor. Von insgesamt 11 Unternehmen liegen Jahresabschlüsse aus dem Jahr der Kapitalzufuhr sowie aus den drei darauf folgenden Jahren vor. Aufgrund der relativ geringen Datenmenge (nur für wenige Unternehmen liegen für einen längeren Zeitraum durchgehend Daten vor) und der damit geringen statistischrepräsentativen Stichprobe, sind statistisch eindeutig belegbare Aussagen nur eingeschränkt möglich. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich daher auf ein induktives Vorgehen. Bei der Induktion werden aus einzelnen Beobachtungen erste Vermutungen über bestimmte Zusammenhänge aufgestellt, die durch weitere systematische Beobachtungen möglichst bestätigt werden sollen. In der Betriebswirtschaft, als anwendungsorientierter Wissenschaft, ist die Induktion als hermeneutisch-dialektischer Ansatz überwiegend akzeptiert und sinnvoll.20 Die in der vorliegenden Arbeit vorgestellten Handlungsempfehlungen haben keinen allgemeingültigen, gesetzesartigen Charakter, sondern sind als generelle bzw. plausible Thesen zu verstehen.21 Sie wurden aus den Ergebnissen der empirischen Studie in Verbindung mit den Erfahrungen des Autors aus der Finanzierungspraxis von Krisenunternehmen abgeleitet. Das fünfte Kapitel schließt mit der Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse und dem Fazit dieser Arbeit, insbesondere mit dem Entwurf eines Finanzierungsmodells für Krisenunternehmen.
20 21
Vgl. Diekmann (2006), S. 150 ff. Vgl. Kubicek (1975), S. 39 f.
22
Kapitel 1 Theoretische Grundlagen zum Krisenfall In diesem Kapitel werden die wesentlichen Ergebnisse der Forschung zu den Begriffen Unternehmenskrise und Financial Distress erläutert. Im Kapitel 1.1. erfolgt zunächst die Definitionen der beiden Begriffe „Unternehmenskrise“ und „Financial Distress“ und das Verständnis für die Anwendung in der Praxis. Die in der Literatur beschriebenen Modelle zum Financial Distress werden im Kapitel 1.2. dargestellt. Im Kapitel 1.3. werden bisherige empirische Analysen zum Financial Distress bzw. zu dem Bereich Unternehmenskrisen erläutert, um die Abgrenzung der vorliegenden Arbeit von den beschriebenen Arbeiten zu verdeutlichen. Das Kapitel 1.4. fasst die wesentlichen Erkenntnisse dieses Kapitels zusammen.
1.1. Definition der Begriffe „Unternehmenskrise“ und „Financial Distress“ Der Begriff „Krise“ stammt aus dem Griechischen (krisis = Wendepunkt, Entscheidung).22 Damit wird ganz allgemein ein Bruch einer bis dahin kontinuierlichen Entwicklung beschrieben.23 Enger gefasst umschreibt der Begriff Krise eine entscheidende, schwierige Situation, die durch die Ambivalenz ihres Ausgangs charakterisiert wird.24 Bei einer weiteren Differenzierung stellt der Begriff „Unternehmenskrise“ in der Betriebswirtschaftslehre die Anwendung des Krisenbegriffes auf eine mikroökonomische Einheit dar, d. h. auf ein selbständig wirtschaftendes Unternehmen.25 In der Literatur wird der Begriff „Unternehmenskrise“ von vielen Autoren beschrieben.26 Sehr weit verbreitet ist u. a. die folgende Definition von Krystek27: „Unternehmenskrisen sind ungeplante und ungewollte Prozesse von begrenzter Dauer und Beeinflussbarkeit sowie mit ambivalentem Ausgang. Sie sind in der Lage, den Fortbestand der gesamten Unternehmung substanziell und nachhaltig zu gefährden oder sogar unmöglich zu machen. Dies geschieht durch die Beeinträchtigung 22
Vgl. Krummenacher (1981), S. 3 Vgl. Krystek (1987), S. 3 24 Vgl. Pümpin/Prange (1991), S. 204 25 Vgl. Clasen (1992), S. 68 26 Vgl. Krummenacher (1981), S. 3 ff.; Müller (1986), S. 33 ff.; Krystek (1987), S. 4 ff.; Raubach (1983), S. 33 ff.; Grenz (1987), S. 49 ff. u. a. 27 Vgl. Krystek (1987), S. 6 f. 23
23
bestimmter Ziele (dominanter Ziele), deren Gefährdung oder gar Nichterreichung gleichbedeutend ist mit einer nachhaltigen Existenzgefährdung oder Existenzvernichtung der Unternehmung als selbständig und aktiv am Wirtschaftsprozess teilnehmender Einheit mit ihren bis dahin gültigen Zweck- und Zielsetzungen.“ Eine Eingrenzung des Begriffs Unternehmenskrise durch den Tatbestand der Existenzgefährdung bei Beeinträchtigung der dominanten Ziele ist für die Anwendung in der Praxis sehr wichtig. Eine weitere Auslegung des Begriffes, und zwar dass jede Abweichung von den Unternehmenszielen oder jede Diskontinuität in der Unternehmensentwicklung als Krise gewertet wird, erscheint nicht praxisgerecht, weil sich dann die meisten Unternehmen in einer permanenten Krise befinden würden.28 Als dominante Ziele sind in diesem Zusammenhang die Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit, die Erreichung eines Mindestgewinns sowie die Fähigkeit des Aufbaus oder der Erhaltung minimaler Erfolgspotentiale (z. B. Vermeidung einer Überschuldung).29 Die Zahlungsunfähigkeit und die Überschuldung sind damit die Folgen von länger andauernden betriebswirtschaftlichen Unternehmenskrisen. Insolvente Unternehmen sind daher immer Krisenunternehmen. Dagegen müssen Krisenunternehmen nicht immer zwingend insolvent sein, sondern sie sind zunächst insolvenzgefährdet.30 Das Ende der Unternehmenskrise wird daher nicht automatisch durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erreicht.31 In den theoretischen Modellen in der Literatur wird Financial Distress unterschiedlich berücksichtigt. Grundsätzlich wird Financial Distress (bzw. Default) als eine Unternehmenssituation betrachtet, bei der über die Fortführung bzw. Liquidation des Unternehmens entschieden wird.32 Die Höhe des Fortführungs- bzw. Liquidationswertes des Unternehmens hängt dabei von mehreren Faktoren ab (Kapitalstruktur, Verhandlungsposition der Kapitalgeber untereinander, gegenüber dem Schuldner und gegenüber Dritten, Vertragsstrukturen, Insolvenzrecht u. a.).33
28
Vgl. Müller (1982), S. 20 Vgl. Krystek (1987), S. 7 30 Vgl. Jozefowsky (1985), S. 12; Buchalik (2004), S. 30 31 Vgl. Kudla (2005), S. 80 32 Vgl. Haugen/Senbet (1978), S. 383 ff. 33 Vgl. Gertner/Scharfstein (1991), S. 1189 ff. 29
24
Die vorliegende Arbeit untersucht Unternehmen, die sich entsprechend der oben angeführten Kriterien und Definitionen in einer Krise befanden. Eine Überwindung der eigenen Krisensituation konnte diesen Unternehmen nur durch eine Kapitalzufuhr von außen, die die jeweilige Hausbank nicht allein finanzieren wollte (bzw. konnte), ermöglicht werden (z. B. durch Bürgschaften abgesichertes Fremdkapital, Eigenkapital von Finanzinvestoren o. ä.). Der wirtschaftliche Erfolg war dabei bei den einzelnen Unternehmen sehr unterschiedlich.
1.2. Theoretische Modelle zum Financial Distress Ein Großteil der theoretischen Modelle zum Thema Financial Distress befasst sich mit dem Finanzmarkt in den USA, und dort insbesondere mit den Problemstellungen in Verbindung mit den öffentlich platzierten Fremdkapitaltiteln sowie mit Fragestellungen rund um den Chapter 11 Bankruptcy Code. Daraus lassen sich aber nur wenige Erkenntnisse auf den deutschen Markt übertragen.34 Einige wenige Beiträge untersuchen die Finanzierungsentscheidungen nachdem sich das Unternehmen bereits im Financial Distress befindet. Eine Neubewertung der Liquidations- und Fortführungswerte ist aus Sicht der unterschiedlichen Kapitalgeber erforderlich.35 Financial Distress wird als exogenes Ereignis betrachtet. Mehr Modelle gibt es aber in der Literatur, bei denen Financial Distress als endogener Bestandteil eines Optimierungsproblems gesehen wird. Die optimale Gestaltung der Finanzierungsverträge bzw. der Kapitalstruktur ex-ante werden beeinflusst durch die Möglichkeiten, die Financial Distress (ex-post) bietet.36 Handlungsentscheidungen über Liquidation bzw. Fortführung des Unternehmens können vorbereitet werden. Bei einem Financial Distress erfolgen die Handlungsentscheidungen dazu überwiegend automatisch. Aus diesen Modellen können Konstellationen der Kapitalstruktur ex-post als effizient bzw. ineffizient bestimmt werden. Somit können Tendenzaussagen über den Erfolg der Sanierung getroffen werden.37
34
Vgl. Gertner/Scharfstein (1991), S. 1189 ff., Diamond (1993), S. 341 ff. Vgl. Kahl (2002), S. 135 ff. 36 Vgl. Bolton/Scharfstein (1996), S. 1 ff. 37 Vgl. Kudla (2005), S. 56 35
25
1.2.1. Bankkredite im Financial Distress Bankkredite sind im Fall eines Financial Distress einfacher zu verhandeln als öffentlich platzierte Fremdkapitaltitel.38 Die Inhaber öffentlich platzierter Fremdkapitaltitel haben einen Informationsnachteil gegenüber den Banken, die sehr häufig über eine engere, meist auch langjährige, Kundenbeziehung und den damit verbundenen (häufig privaten) Informationen verfügen. Die Inhaber öffentlich platzierter Fremdkapitaltitel erhalten dagegen in der Regel nur öffentlich zugängliche Informationen und können vielfach Investitionsentscheidungen im Financial Distress abschließend nicht beurteilen.39 Eine Restrukturierung bei öffentlich platzierten Fremdkapitaltiteln ist häufig auch schwieriger zu koordinieren als bei Fremdkapital, welches durch Banken zur Verfügung gestellt wird. Insbesondere dann, wenn für wichtige Entscheidungen eine bestimmte Zustimmungsquote der Inhaber der öffentlich platzierten Fremdkapitaltitel notwendig ist. Gerade die Inhaber von wenigen Fremdkapitaltiteln versuchen dann, durch Verweigerung der Zustimmung zu für die Sanierung notwendigen Maßnahmen, sich ihre Anteile zu einem möglichst hohen Wert abkaufen zu lassen. Erst dann können die Maßnahmen umgesetzt werden (Free-Rider-Problematik).40 Die Bankkredite haben im Financial Distress einerseits Vorteile gegenüber anderen Finanzierungsarten. Die bereits dargelegte engere Kundenbeziehung wird verstärkt durch die in der Regel auch starke vertragliche Bindung des Schuldners an die Banken. Diese sorgen häufig in Krisensituationen für eine gewisse Stabilität der Beziehung, zumal diese sehr häufig eher langfristig angelegt ist.41 Andererseits sind die Bankkredite in der Regel gut besichert.42 Dies erhöht die Verhandlungsmacht der Banken im Financial Distress.43 Es kann auch dazu führen, dass die Banken aufgrund ihrer gut besicherten Situation weitere Beiträge für das Gelingen eines Turnaround verweigern. Dies ist für das Unternehmen im Financial Distress eher nachteilig. Eine weitere Begleitung durch die bisherige Bank wird von den übrigen Kreditgläubigern aber als positiv angesehen. Insgesamt wird deutlich, dass eine Beteiligung der bisherigen Hausbank für die Finanzierung eines Krisenunternehmens sehr wichtig ist, um eine erfolgreiche Sanie38
Vgl. Boot (2000), S. 7 ff. Vgl. Hoshi/Kashyap/Scharfstein (1990), S. 68 40 Vgl. ebenda, S. 68 f. 41 Vgl. Mayer (1988), S. 1167 ff. 42 Vgl. Welch (1997), S. 1203 ff. 43 Vgl. Boot (2000), S. 7 ff. 39
26
rung zu erreichen. Krisenunternehmen, die eine Aufstockung ihrer bisherigen Finanzmittel benötigen, um eine Sanierung zu erreichen, haben sehr große Schwierigkeiten, (externe) Finanzierungspartner zu finden, wenn die Hausbank eine weitere Begleitung verweigert. Sie müssen davon ausgehen, dass die Hausbank, die sich aufgrund ihrer häufig langjährigen Geschäftsbeziehung zum Unternehmen ein erhebliches Wissen und damit einen deutlichen Informationsvorsprung erarbeiten konnte, über Informationen verfügt, die sie selbst nicht an eine erfolgreiche Sanierung glauben lässt. Es müsste daher dem Krisenunternehmen ein Instrumentarium zur Verfügung stehen, mit dem es der Bank einen Anreiz geben kann, das Unternehmen weiterhin (mit zusätzlichem Fremdkapital) zu begleiten. Dies ist vor allem auch dann notwendig, wenn eine Bank aus geschäftspolitischen Gründen (und nicht aus Gründen, die das Krisenunternehmen zu verantworten hat) das Unternehmen eigentlich nicht mehr begleiten will. Unternehmen, die u. a. durch öffentlich platzierte Fremdkapitaltitel finanziert worden sind, sind aufgrund der Komplexität bei der Restrukturierung ihrer Finanzierungsstruktur benachteiligt gegenüber Unternehmen ohne öffentlich platzierte Fremdkapitaltitel. Die vorliegende Untersuchung in dieser Arbeit konzentriert sich auf Unternehmen, die keine öffentlich platzierten Fremdkapitaltitel bedienen müssen.
1.2.2. Modelle über die Liquidationsentscheidung Für die Entscheidung im Financial Distress, das Unternehmen zu liquidieren oder fortzuführen, sind auch die Beschaffenheit und Liquidität der Vermögensgegenstände des Unternehmens wichtig.44 Hohe Liquidationskosten sprechen dann eher für ein Fortführen des Unternehmens. Niedrige Liquidationskosten und ein hoher Liquidationserlös sprechen dann eher für eine Liquidation des Unternehmens. Nachfolgend werden dazu drei Modelle kurz erläutert: Bulow und Shoven (1970) untersuchen in ihrem Modell die Entscheidung über die Insolvenz bzw. Liquidation eines Unternehmens im Financial Distress, in dem die Kapitalinteressen der einzelnen Anspruchsgruppen besonders berücksichtigt werden.45 Im Financial Distress übersteigt der Marktwert der Verbindlichkeiten den
44 45
Vgl. Shleifer/Vishny (1992), S. 1343 ff. Vgl. Bulow/Shoven (1978), S. 437 ff.
27
Marktwert der Vermögensgegenstände und das Unternehmen kann nicht mehr seinen gesamten Zahlungsverpflichtungen nachkommen. Bulow/Shoven zeigen, dass jeder Kapitalgeber seine Anspruchsposition für sich gegenüber dem Unternehmen und gegebenenfalls den anderen Anspruchsberechtigten prüft und nicht primär den Gesamtwert des Unternehmens berücksichtigt. So können einzelne Kapitalgeber auch auf Ansprüche verzichten, damit das Unternehmen fortgeführt werden kann, wenn sie sich dadurch eine höhere Werterealisierung erhoffen.46 Weitere grundsätzliche Aussagen des Modells von Bulow/Shoven sind: Ein Unternehmen wird eher fortgeführt als liquidiert, wenn -
das Fremdkapital eine längere Laufzeit besitzt;
-
ein höherer Anteil der Vermögensgegenstände aus liquiden Mitteln besteht bzw. liquiditätsnah ist;
-
die zukünftigen Cash-Flows des Unternehmens unsicher sind.47
Eine dynamisch gesteuerte Liquidation steht im Mittelpunkt des Modells von Kahl (2002). Wichtig ist dabei die Unsicherheit über die zukünftige Entwicklungsfähigkeit des Unternehmens. Es kann bei einer Betrachtung über einen längeren Zeitraum effizient sein, die Entscheidung über die Liquidation eines Unternehmens zunächst aufzuschieben, um in einem dynamischen Prozess die Entwicklungsfähigkeit des Unternehmens besser einschätzen zu können.48 Die wesentlichen Kernaussagen von Kahl sind:49 -
die Liquidationsentscheidung von Kreditgläubigern und Investitionsmöglichkeiten von Unternehmen werden beeinflusst von der Unsicherheit über die zukünftige Entwicklungsfähigkeit dieser Unternehmen im Financial Distress;
-
positiv korreliert dabei die Unsicherheit mit dem Verschuldungsgrad nach der finanziellen Sanierung und der Zeit im Financial Distress;
-
die Unsicherheit hängt auch vom Verlauf der Unternehmenskrise und von der Höhe des Verschuldungsgrades vor der Krise ab;
46
Vgl. Bulow/Shoven (1978), S. 445 ff. Vgl. Bulow/Shoven (1978), S. 454 48 Vgl. Kahl (2002), S. 135 ff. 49 Vgl. Kahl (2002), S. 156 ff. 47
28
-
ein Debt-Equity-Swap wird eher unwahrscheinlicher, wenn der Verschuldungsgrad relativ hoch ist, weil die nachrangigen Fremdkapitalgeber bei einem unkooperativen Verhalten am meisten durch einen Vermögenstransfer profitieren;
-
die Einschätzung der zukünftigen Entwicklung der Fortführungs- bzw. Liquidationswerte beeinflusst die Entscheidung der Kreditgläubiger.
Die optimale Struktur des Fremdkapitals in einem Modell unvollständiger Verträge wird von Bolton und Scharfstein (1996) untersucht. Dabei konzentriert sich die Untersuchung auf die Anzahl der Kreditgläubiger, die Rangfolge bzw. die relative Besicherung der Kreditgläubiger und deren Stimmrechte bei notwendigen Änderungen der Zusammensetzung des Fremdkapitals. Von diesen drei Variablen hängen die Verhandlungspositionen der Anspruchsgruppen im Financial Distress ab. Sie beeinflussen die Fremdkapitalstruktur ex-ante. Bolton/Scharfstein unterstellen zwei Gründe bzw. Arten für das Auftreten des Financial Distress: die Illiquidität (Liquidity Default) und das Fehlverhalten des Managements (Strategic Default), welches liquide Mittel aus dem Unternehmen abzieht.50 Durch die Gestaltung der Fremdkapitalstruktur sollen die Strategic Defaults möglichst verhindert und bei Eintritt von Liquidity Defaults möglichst hohe Liquidationswerte erzielt werden. Diese beiden Ziele stehen jedoch z. T. im Konflikt miteinander. Die wesentlichen Aussagen des Modells von Bolton/Scharfstein sind:51 -
eine Maximierung des Liquidationswertes sollten Unternehmen mit einem niedrigen Rating dadurch erreichen, dass sie nur einen Fremdkapitalgeber haben, der abgesichert ist und relativ einfach eine finanzielle Sanierung einleiten kann;
-
bei einem guten Rating sollten die Unternehmen mehrere Fremdkapitalgeber aufnehmen, diese sollten gleich besichert sein;
-
Verkäufe von Vermögensgegenständen sollten durch Vetorechte-Regelungen erschwert werden;
-
Unternehmen mit einem schlechten Rating, in einer stabilen Branche und mit einem hohen immateriellen Mehrwert sollten eher Banken als Fremd-
50 51
Vgl. Bolton/Scharfstein (1996), S. 3 ff. Vgl. ebenda, S. 3 ff.
29
kapitalgeber aufnehmen; Unternehmen mit gegensätzlichen Merkmalen sollten eher öffentliches Fremdkapital aufnehmen. Die Ergebnisse der erläuterten Studien zeigen, dass Unternehmen bereits in wirtschaftlicher Stabilität auf eine ausgewogene Finanzierungsstruktur achten sollten. Nur so können sie die Voraussetzung schaffen, dass sie in wirtschaftlich schwierigen Situationen nicht Gefahr laufen, aufgrund des Drucks der Kapitalgeber liquidiert zu werden. Die einzelnen Finanzierungspartner haben im Falle der Entscheidung über die Liquidation unterschiedliche Interessen. Eigenkapitalgeber haben in der Regel das Interesse, einen möglichst hohen Verkaufserlös zu erzielen, damit sie für ihre Gesellschaftsanteile einen möglichst hohen Preis erzielen können. Eine Liquidierung eines Unternehmens über den Verkauf der einzelnen Vermögensgegenstände ist für sie daher nicht so attraktiv. Außerdem haben sie in der Regel die wenigsten Sicherheiten vereinbart, so dass zunächst von den Verkaufserlösen die anderen Finanzierungspartner bedient werden. Banken können einer Liquidierung häufig aufgrund ihrer guten Besicherung eher zustimmen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie Sicherheiten haben, die nicht primär von einzelnen Vermögensgegenständen des Unternehmens abhängig sind (z. B. Forderungsabtretung). Häufig verkaufen die Banken ihre notleidenden Kredite an Investoren, die sich auf die Verwertung von notleidenden Krediten spezialisiert haben. Wenn es die vertraglichen Regelungen mit dem Unternehmen zulassen, ist eine solche Übertragung sogar ohne Zustimmung des Unternehmens möglich. Unternehmen sollten daher eine enge und offene Kommunikation zu den Banken pflegen, damit diese jederzeit gut über das Unternehmen informiert ist und eine Vertrauensbasis sich bilden kann. Förderinstitute werden in der Regel bei einer Liquidation von den anderen Kapitalgebern in Anspruch genommen, weil diese dann häufig ihre Teilabsicherung durch die Förderinstitute in Anspruch nehmen.
1.3. Empirische Analysen zum Financial Distress Es gibt derzeit nur wenige empirische Analysen zum Financial Distress. Davon beziehen sich die meisten auf die USA. Für den deutschen Markt gibt es nur sehr wenige Untersuchungen. Zwei wesentliche Studien werden in diesem Kapitel zusammengefasst erläutert. Für den deutschen Markt gibt es nur sehr wenige öffentlich zugäng30
liche Daten, die analysiert werden können. Dies ist in den USA anders. Weiterhin unterscheiden sich auch die rechtlichen Rahmenbedingungen (z. B. Insolvenzrecht) in beiden Ländern. Bei den amerikanischen Studien werden überwiegend die Koordinationsprobleme bei der finanziellen Restrukturierung öffentlich platzierter Fremdkapitaltitel sowie die Vor- und Nachteile eines private workout mit einer Restrukturierung im Rahmen eines Chapter 11-Verfahrens untersucht. Die Rahmenbedingungen des Chapter 11-Verfahren wurden im September 2005 deutlich verändert. Nach Anwendung dieser Änderungen reduzierte sich die Anzahl der Unternehmensanmeldungen für eine Teilnahme am Chapter 11-Verfahren. Das Finanzsystem in den USA ist marktbasierend, während das deutsche Finanzsystem bankbasierend ist. Bei den deutschen Untersuchungen werden die Koordinationsprobleme mehrerer Kreditgläubiger durch einen Bankenpool sowie Aspekte des Relationship Lending untersucht. Insgesamt gesehen, befassen sich alle Studien mit der Restrukturierung des Fremdkapitals in Financial Distress, jedoch nicht mit den Möglichkeiten einer weiteren Eigenkapitalzufuhr. Nachfolgend werden zunächst, stellvertretend für die amerikanischen Studien, drei Untersuchungen und deren wichtigsten Erkenntnisse kurz dargestellt: In der Studie von Gilson/John/Lang (1990) wird die Restrukturierung des Fremdkapitals in Financial Distress untersucht. Es sollen die Erfolgsfaktoren einer außergerichtlichen Restrukturierung (private Workout) im Verhältnis zur Restrukturierung in einem Chapter 11-Verfahren abgeleitet werden.52 Insgesamt wurden 169 börsennotierte Unternehmen untersucht, die sich im Zeitraum von 1978 - 1987 in Financial Distress befanden. Im Rahmen eines Chapter 11-Verfahrens wurden davon 89 Unternehmen restrukturiert. 80 Unternehmen haben ihr Fremdkapital außergerichtlich restrukturieren können. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Studie sind, dass Unternehmen mit folgenden Eigenschaften eher ihr Fremdkapital außergerichtlich restrukturieren können:53 -
sie besitzen einen höheren immateriellen Firmenwert;
-
sie haben mehr Fremdkapital durch Bankkredite als durch öffentliche Anleihen aufgenommen;
52 53
sie haben eine geringe Anzahl von Fremdkapital-Gläubigern.
Vgl. Gilson/John/Lang (1990), S. 315 ff. Vgl. ebenda, S. 338 ff.
31
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass mit einer eher geringen Anzahl von Gläubigern eine außergerichtliche Restrukturierung aufgrund der notwendigen Zustimmungen einfacher zu erreichen ist als mit einer großen Anzahl. Die Banken können aufgrund ihrer häufig engen Kundenbeziehungen Informationsasymmetrien eher reduzieren und einer außergerichtlichen Restrukturierung zustimmen. Der Fortführungswert von Unternehmen mit überwiegend immateriellen Vermögenswerten wird höher bewertet als der entsprechende Wert von Unternehmen mit überwiegend materiellen Vermögenswerten. Dies bedeutet, dass die Liquidationskosten dann höher wären. Grundsätzlich stimmen die Gläubiger dem Verfahren zu, welches die geringsten Transaktionskosten verursacht.54 1997 hat Gilson diesen Punkt gesondert in einer weiteren Studie analysiert. Er untersuchte 108 börsennotierte Unternehmen, die sich im Zeitraum von 1980 - 1989 in Financial Distress befanden. 57 Unternehmen haben ihr Fremdkapital außergerichtlich und 51 Unternehmen im Rahmen eines Chapter 11-Verfahrens restrukturiert. Bei dieser Studie wurde der Einfluss der Transaktionskosten auf die Entscheidung, ob die Restrukturierung außergerichtlich oder im Chapter 11-Verfahren erfolgen soll, untersucht.55 Als zusammenfassendes Ergebnis hat Gilson ermittelt, dass die Transaktionskosten im Chapter 11-Verfahren weniger bedeutend sind. Die wichtigsten Gründe dafür sind:56 -
Im Chapter 11-Verfahren haben die Gläubiger weniger Rechte, eine Restrukturierung zu blockieren.
-
Forderungsverzichte werden eher von institutionellen Investoren ausgesprochen.
-
Steuerliche Vorteile können genutzt werden.
-
Informationsasymmetrien werden durch umfangreiche Informationspflichten und Möglichkeiten der Einsichtnahme reduziert.
-
Durch eine Reduzierung des Risikos der Käufer wird der Verkauf von Vermögensgegenständen erleichtert.
54
Vgl. Kudla (2005), S. 67 Vgl. Gilson (1997), S. 161 ff. 56 Vgl. ebenda, S. 163 55
32
Eine Kombination der Vorteile eines Chapter 11-Verfahrens und eines private Workouts bietet ein sogenanntes „prepackaged“ Chapter 11-Verfahren.57 Bei der Analyse von Gilson muss beachtet werden, dass lediglich die Transaktionskosten untersucht worden sind. Zusätzliche direkte oder indirekte Kosten einer Insolvenz bleiben unberücksichtigt. Weiterhin wird die Entwicklung des Unternehmenswertes, und damit die Schaffung oder Vernichtung von Shareholder Value, durch die Restrukturierung des Fremdkapitals nicht untersucht.58 Eine weitere Studie über die Restrukturierung des Fremdkapitals von Unternehmen in Financial Distress wurde 1995 von James veröffentlicht. Er untersuchte schwerpunktmäßig die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich Banken am Eigenkapital eines Unternehmens in Financial Distress beteiligen. Dabei untersuchte er 96 Unternehmen bzw. 102 Restrukturierungsversuche aus dem Zeitraum von 1981 bis 1990.59 Die Unternehmen waren alle börsennotiert und keines befand sich in einem Chapter 11-Verfahren. Die wesentlichen Ergebnisse der Studie sind u. a.: -
Wenn eine Bank Eigenkapital übernommen hat, dann wurden auch sämtliche öffentliche Finanzierungstitel gegen Eigenkapital getauscht. Es wurde also bei keinem Unternehmen ein Debt-Equity-Swap unilateral durchgeführt.
-
Es haben sich aber nur in 43 % der Fälle Banken an einem Debt-EquitySwap beteiligt, wenn öffentliche Finanzierungstitel gegen Eigenkapital getauscht wurden.
-
Die Unternehmen, an denen sich Banken beteiligt haben, haben einen höheren Anteil der Bankverbindlichkeiten im Verhältnis zu den Gesamtverbindlichkeiten als die Unternehmen, an denen sich die Banken nicht beteiligt haben.
Bei Unternehmen, die sowohl eine Fremdfinanzierung durch Banken als auch durch öffentliche Fremdkapitaltitel haben, kann die Problematik auftreten, dass die Banken bei der Restrukturierung des Fremdkapitals nicht zu unilateralen Zugeständnissen (z. B. Forderungsverzicht, Rangrücktritte, Debt-Equity-Swaps) bereit sind, wenn ein 57
Vgl. Betker (1995), S. 3 ff. Vgl. Kudla (2005), S. 69 59 Vgl. James (1995), S. 1220 58
33
Vermögenstransfer zugunsten der Inhaber öffentlicher Fremdkapitaltitel droht. Für diese Unternehmen ist es bei der Neuverhandlung von den öffentlich platzierten Fremdkapitaltiteln besonders schwierig, die Informations- und Holdout-Probleme zu reduzieren.60 In einer Studie von Elsas und Krahnen (2002) wurden für das deutsche Finanzsystem insbesondere die Gründe von Kreditgläubigern für eine Beteiligung an der Sanierung des Unternehmens untersucht. Dabei wurde auch die besondere Rolle der Hausbank sowie der Kreditsicherheiten analysiert.61 Untersucht wurden in dieser Studie Unternehmen mit einem Jahresumsatz von rd. € 25 bis € 250 Mio., die mindestens einen langfristigen Investitionskredit von einer Bank erhalten haben. Der Betrachtungszeitraum erstreckt sich von 1992 bis 1996. Dabei wurden insbesondere auch Unternehmen untersucht, die sich im Financial Distress befanden. Die Unternehmen waren in der Regel nicht börsennotiert und hatten kaum öffentlich platzierte Fremdkapitaltitel aufgenommen. Somit war die Finanzierung über Bankkredite die Hauptquelle der Außenfinanzierung, die sich häufig auf mehrere Banken verteilten. Dennoch gab es überwiegend eine klassische Hausbankbeziehung. Damit stehen sie stellvertretend für Marktteilnehmer eines bankbasierenden Finanzsystems, wie es in Deutschland vorherrscht.62 Elsas/Krahnen hielten fest, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Bank an der Sanierung eines Unternehmens beteiligt, signifikant höher ist, -
je höher der Besicherungsgrad der Bank ist und
-
wenn eine Hausbankbeziehung besteht.
Durch eine enge Hausbankbeziehung sollen die Unsicherheiten über die Qualität bzw. den Wert des Unternehmens in Financial Distress reduziert werden, weil die Hausbank neben den öffentlich zugänglichen Informationen in der Regel auch über private Informationen über das Unternehmen verfügt. Unternehmen sollten daher die Kreditgläubiger, die einen großen Anteil an der Gesamtfinanzierung eines Unternehmens haben, ex-ante mit einer hohen Priorität bzgl. der Kreditsicherheiten ausstatten, um so die Bereitschaft zur Beteiligung im Falle einer Sanierung zu erhöhen.
60
Vgl. James (1996), S. 713 ff. Vgl. Elsas/Krahnen (2002) 62 Vgl. Kudla (2005), S. 72 61
34
Bei dieser Studie ist zu berücksichtigen, dass sich insbesondere das deutsche Finanzsystem aufgrund des zunehmenden globalen Wettbewerbs in einem starken Umbruch befindet.63 Die bisherige traditionell verankerte Hausbankbeziehung wird zukünftig gelockert sein, weil die Unternehmen zu weiteren Finanzierungsalternativen (neben der klassischen Hausbank) gezwungen sein werden.64 In einer weiteren Studie von Brunner und Krahnen (2002) wurde der Einfluss des Bankenpools auf den Erfolg einer Sanierung im Rahmen einer finanziellen Strukturierung untersucht. Es sollte geprüft werden, ob und wie stark Bankenpools zur Koordination der Gläubiger beitragen.65 Dazu wurden 124 Unternehmen aus dem gleichen Datensatz der Studien von Elsas/Krahnen untersucht. Sie befanden sich alle in Financial Distress. Bei 58 Unternehmen war jeweils ein Bankenpool vorhanden. Wesentliche Ergebnisse der Studie sind:66 -
Die Wahrscheinlichkeit zur Bildung eines Bankenpools ist signifikant je höher, desto größer das Krisenausmaß und die Anzahl der Kreditgeber sowie je geringer die Heterogenität der Kreditforderungen sind.
-
Tendenziell sinkt die Erfolgswahrscheinlichkeit einer Sanierung bei einer größeren Anzahl von Banken im Bankenpool.
Bei mehr Teilnehmern im Pool wird mehr Zeit für eine Entscheidungsfindung benötigt, die Flexibilität sinkt. Dies ist vergleichbar mit den Schwierigkeiten bei öffentlich platzierten Fremdkapitaltiteln und einer entsprechend großen Anzahl von Bondholdern.67 In der Studie konnte weiterhin nachgewiesen werden, dass eine enge Hausbankbeziehung und die daraus unterstellten Informationsvorteile für die Hausbank nicht automatisch zu einer höheren Sanierungswahrscheinlichkeit des Unternehmens führen.68 Der aktuelle Stand der Forschung über empirische Studien über Unternehmen in Krisensituationen zeigt, dass insbesondere für den amerikanischen Finanzmarkt Studien über den Bereich Finanzierung von Krisenunternehmen vorliegen. Die Ergebnisse dieser Studien sind nicht uneingeschränkt auf den deutschen Finanzmarkt 63
Vgl. S. 8f. Vgl. S. 10 65 Vgl. Brunner/Krahnen (2004), S. 2 ff. 66 Vgl. Brunner/Krahnen (2004), S. 24 ff. 67 Vgl. James (1995), S. 1209 ff. 68 Vgl. Brunner/Krahnen (2004), S. 29 64
35
übertragbar. Während der amerikanische Finanzmarkt stark kapitalorientiert ist, ist der deutsche Finanzmarkt bisher immer noch sehr stark bankenorientiert. An dieser Aussage knüpfen zwar die beiden Studien für den deutschen Markt an. Diese berücksichtigen aber wiederum nicht den dynamischen Wandel, den z. Zt. insbesondere der deutsche Finanzmarkt erfährt. Die Ergebnisse der dargestellten Studien führen zu ersten Anregungen, um die Finanzierungsmöglichkeiten von deutschen Krisenunternehmen zu prüfen. Sie zeigen auch, dass die Finanzierung von Krisenunternehmen ein aktuelles Forschungsthema ist. Da sie jedoch nicht auf kleine und mittlere Krisenunternehmen sowie auf die aktuellen Anforderungen der Marktteilnehmer des deutschen Finanzmarktes eingehen, soll die vorliegende Arbeit einen Beitrag dazu leisten, diese Forschungslücke zu verringern.
1.4. Zusammenfassung der Ergebnisse Zunächst wurden in diesem Kapitel die Definitionen der Begriffe Unternehmenskrise und Financial Distress erläutert. Es wurde deutlich, dass beide Begriffe annähernd ähnlich verwendet werden und dass es mehrere Definitionen in der Literatur gibt. In dieser Arbeit wird eine Unternehmenskrise als eine schwierige Situation für ein Unternehmen mit ambivalentem Ausgang gesehen. Als Financial Distress wird eine Unternehmenssituation betrachtet, bei der über die Fortführung bzw. über die Liquidation des Unternehmens entschieden wird. Die in der Literatur vorherrschenden und in diesem Kapitel dargestellten theoretischen Modelle und empirischen Analysen zum Financial Distress beschäftigen sich überwiegend mit amerikanischen Unternehmen und dem amerikanischen Finanzsystem. Die beiden vorgestellten Studien für den deutschen Markt liefern interessante Ergebnisse. Es fehlen allerdings aktuelle Analysen, welche die Veränderungen im deutschen Finanzmarkt, die neuen aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen der Kreditinstitute sowie die hohe Anzahl der Unternehmensinsolvenzen und Kreditausfälle seit Ende der 90er Jahre ausreichend berücksichtigen. Zudem gibt es keine Untersuchung über die Unternehmensfinanzierung in Krisensituationen bei Kleinstunternehmen. Die vorliegende Arbeit berücksichtigt die Wandlung des deutschen Finanzsystems und die damit verbundenen Auswirkungen auf die Finanzierungsmöglichkeiten von kleinen und mittleren Krisenunternehmen sowie Kleinstunternehmen in Krisensituationen. 36
Kapitel 2 Aspekte der Finanzierung In diesem Kapitel werden wesentliche Erkenntnisse der Forschung zur Unternehmensfinanzierung dargestellt. Diese bilden die Basis für den weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit. Insbesondere werden die verschiedenen Möglichkeiten der Finanzierung und deren Besonderheiten dargestellt. In Kapitel 2.1 werden zunächst die Aufgaben und die Bedeutung des Finanzmanagements erläutert. In Kapitel 2.2 werden die wichtigsten Inhalte der neoinstitutionalistischen Unternehmenstheorie aufgezeigt. Die zwei verschiedenen Finanzierungsarten Eigen- und Fremdfinanzierung werden in den Kapiteln 2.3. und 2.4. beschrieben. Im Kapitel 2.5. werden die wesentlichen Ergebnisse zusammengefasst.
2.1. Finanzmanagement Unternehmenskrisen werden in der Regel von einer Störung des finanzwirtschaftlichen Gleichgewichts begleitet. Dies kann z. B. eine drohende Illiquidität oder eine Überschuldung sein. Ohne Gegenmaßnahmen könnte dies zum Ende der Unternehmenstätigkeit führen. Es ist ein effizientes Finanzmanagement (inkl. Finanzplanung) notwendig.69 Kernaufgabe des Finanzmanagements ist die Liquiditätserhaltung. Aus dieser Aufgabe lassen sich wiederum drei Teilaufgaben ableiten:70 1. situative Liquiditätssicherung (tägliche Abstimmung der Zahlungsströme sowie Bestimmung, Bildung und Auflösung der Liquiditätsreserve); 2. kurzfristige Finanzierung (stärkere Ausrichtung der finanziellen Führung an den betrieblichen Leistungsprozessen; Ermittlung des freien Innenfinanzierungsvolumens; darauf abgestimmte Einleitung der Zufuhr von Eigen- und Fremdkapital von außen);
69 70
Vgl. Steiner (1994), S. 226 Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 6 f.
37
3. strukturelle Finanzierung (ausgewogene Finanzierung der Investitionsvorgaben; Vermeidung von Engpässen durch ungleichgewichtige Finanzierungsmaßnahmen). Besonders hervorzuheben innerhalb der Unternehmensleitung ist der Finanzierungsbereich in der Krisensituation.71 Der Finanzbereich muss dann befugt sein, regelmäßig alle Planungsansätze in Frage zu stellen. Dies geschieht in Abstimmung mit den Verantwortlichen der Beschaffung, der Produktion und des Absatzes. Das Finanzmanagement muss je nach wirtschaftlicher Lage Einflussnahme sowohl auf den Umsatzprozess als auch auf die Disposition der Vermögensgegenstände haben.72 Für eine effiziente Arbeitsweise sowie zur Bestärkung der besonderen Bedeutung muss das Finanzmanagement im Verantwortungsbereich der Unternehmensführung liegen. Kompetenzstreitigkeiten und Motivationsprobleme müssen vermieden werden. Die finanzwirtschaftlichen Tätigkeiten auf allen Ebenen müssen umfassend zentral koordiniert werden.73 Die laufende Kontrolle der Finanzplanung soll frühzeitig sich aufdrängende Veränderungen im Finanzplan, welche in der Regel auch Auswirkungen auf die Planung in anderen Unternehmensbereichen haben, aufzeigen.74 Finanzwirtschaftliche Entscheidungen sind vor allem am Zielsystem des Unternehmens auszurichten.75 Als oberstes Unternehmensziel ist nach der traditionellen, wirtschaftstheoretischen Betriebswirtschaftslehre die langfristige Gewinnmaximierung anzusehen. Dieses Ziel stimmt überein mit dem Shareholder-Value-Konzept, bei dem die Interessenlage der Eigenkapitalgeber, die als sogenannte „Restbetragsbeteiligte“ das volle Verlustübernahmerisiko tragen, im Mittelpunkt steht. Neben diesen und weiteren ökonomischen Zielen der Eigenkapitalgeber gibt es noch weitere Ziele der Arbeitnehmer, Kunden, Lieferanten und Fremdkapitalgeber sowie ökologische Ziele der Öffentlichkeit.76
71
Vgl. Steiner (1994), S. 226 Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 7 73 Vgl. ebenda, S. 8 74 Vgl. Boemle (1995), S. 113 75 Vgl. Kudla (2005), S. 14 76 Vgl. Wöhe/Döring (2005), S. 88 ff. 72
38
2.2. Neoinstitutionalistische Finanzierungstheorie In der neoklassischen Finanzierungstheorie werden unter sehr strengen Annahmen im Wesentlichen die Bereiche Investition und Finanzierung untersucht. Durch diese sehr strengen Annahmen (z. B. vollkommener Markt) ist es möglich, Anlagemöglichkeiten durch die Beschränkung auf die Betrachtung der Größen Rendite und Risiko hinreichend zu charakterisieren.77 Dabei wird die Finanzierung beschränkt auf die Aufteilung der Investitionserträge. Sie ist eine reine Partenteilung und hat selbst keinen Einfluss auf das Investitionsergebnis.78 Die aus der modernen Theorie ableitbaren Ansätze für empirische Forschungen erfahren in der Praxis enge Grenzen, weil die gesetzten strengen Annahmen nur wenig Praxisbezug haben. Somit bleiben folgende zwei Punkte in der neoklassischen Finanzierungstheorie unbehandelt: 1. In der neoklassischen Finanztheorie sind keine Institutionen (wie z. B. Banken, Insolvenzordnung, komplexe Finanzierungsinstrumente) vorgesehen. Würden in diese Theorie doch Institutionen eingefügt werden, dann hätte das einen ad-hocCharakter und würde dem Grundansatz der marktorientierten neoklassischen Finanztheorie widersprechen. 79 2. Die Vielzahl von Finanzierungsinstrumenten, die es gibt, wird in der neoklassischen Finanztheorie nicht berücksichtigt. Wenn das Wertadditivitätstheorem gilt (und ist damit die Kapitalstruktur irrelevant für den Unternehmenswert), wäre die Vielzahl der Finanzierungsformen, die in der Realität existieren, nur ein Ergebnis von Willkür und Zufall.80 Die Berücksichtigung dieser beiden Punkte ist das Ziel der neoinstitutionalistischen Finanzierungstheorie. Bei der neoinstitutionalistischen Finanzierungstheorie gilt die Annahmekombination von unsicheren Erwartungen und eines unvollkommenen Kapitalmarktes.81 Bei der Ausgestaltung von Finanzierungstiteln wird nicht nur die Risikoaufteilung berücksichtigt, sondern auch die Anreizwirkungen auf das Verhalten des Kapitalnehmers. Während der Kapitalgeber an einer möglichst hohen Verzinsung 77
Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 538 Vgl. Schmidt/Terberger (1997), S. 186 ff. 79 Vgl. Schmidt (1981), S. 138 f. 80 Vgl. Hax/Hartmann-Wendels/von Hinten (1980), S. 705 81 Vgl. Schmidt/Terberger (1997), S. 189 78
39
seines eingesetzten Kapitals interessiert ist, bieten sich für den Kapitalnehmer nach Vertragsabschluss Möglichkeiten, seine eigene Position zu Lasten des Kapitalgebers zu verbessern.82 Die Austauschbeziehungen zwischen zwei oder mehreren Parteien sind Grundlage aller neoinstitutionalistischen Ansätze. Dabei können sich Einigungs- und Kooperationsprobleme daraus ergeben, dass jeder Partner zunächst an der Maximierung des Nutzens seines Anteils und damit nicht automatisch auch an der Maximierung des Wohls des oder der anderen interessiert ist.83 Die nachfolgende Abbildung 2 zeigt die beiden grundsätzlichen Ansätze der neoinstitutionalistischen Finanzierungstheorie: den Anreizzweig und den Transaktionskosten-Ansatz:84
Neoinstitutionalistische Ansätze
Anreizzweig
Agency-Theorie
.......
finanzielle Agency-Theorie
Transaktionskosten-Ansatz
Property Rights-Theorie
.......
Abbildung 2: Die neoinstitutionalistischen Ansätze Quelle: Perridon/Steiner (2004), S. 539
Die Kosten, die durch Austauschbeziehungen am Markt entstehen, werden im Transaktionskosten-Ansatz mit den Kosten verglichen, die infolge von Austauschbeziehungen innerhalb einer Institution (Unternehmung) anfallen.85 Dabei ist es abhängig von der Spezifität und Häufigkeit einer Transaktion, ob sie kostengünstiger über 82
Vgl. Hax//Hartmann-Wendels/von Hinten (1980), S. 705 Vgl. Schmidt/Terberger (1997), S. 387 84 Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 539 85 Vgl. Picot (1982), S. 267 ff. 83
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den Markt oder innerhalb eines Unternehmens abgewickelt werden kann. Transaktionskosten sind z. B. Anbahnungs-, Vereinbarungs- und Anpassungskosten.86 Ausgangspunkt beim Anreizzweig ist die Trennung von Eigentum und Entscheidungsmacht. Der Anreizzweig wird in die beiden Theorie-Bereiche untergliedert: Agency-Theorie und Property Rights-Theorie. Die Auswirkungen rechtlicher und institutioneller Regelungen auf das Verhalten der Wirtschaftssubjekte werden bei der Property-Rights-Theorie (Theorie der Eigentumsrechte) untersucht. Der Anreiz für Individuen, Ressourcen effizient einzusetzen, ist dann am größten, wenn eine vollständige Internalisierung der positiven und negativen Effekte, die im Zusammenhang mit der Nutzung dieser Ressourcen entstehen, gelingt. Es wird versucht, die Frage zu beantworten, wie eine Organisation beschaffen sein muss, um eine im wirtschaftlichen Sinne optimale Steuerung des sozialen Verhaltens der Menschen zu erreichen.87 Die Delegation von Verfügungsrechten im Rahmen von Auftragsbeziehungen wird bei der Agency-Theorie untersucht. Bei einer Auftragsbeziehung engagiert der Auftraggeber (Prinzipal) einen Auftragnehmer (Agent), der für ihn Leistungen erbringt (Prinzipal-Agent-Beziehung).88 Die Agency-Theorie geht davon aus, dass der Agent seinen eigenen Nutzen maximiert. Dieses muss nicht zwangsläufig im Sinne des Prinzipals sein. Die Agency-Theorie hat das Ziel, die Ausgestaltung von Verträgen und Finanzierungsbeziehungen so zu gestalten, dass eine weitestgehende Übereinstimmung der Interessen von Prinzipal und Agent erreicht wird. Die Finanzierungspolitik und damit sämtliche Kapitalstrukturmaßnahmen in Bezug auf Anreizbeziehungen zwischen Kapitalgeber und Kapitalnehmer werden im Rahmen der finanziellen Agency-Theorie untersucht. Problematisch können dabei sowohl die Kooperationen zwischen Eigenkapital- oder Fremdkapitalgeber auf der einen Seite und Managern auf der anderen Seite, als auch die Beziehung der verschiedenen Kapitalgeber untereinander sein.89 Bei Grundannahme der agency-theoretischen Modelle gibt es eine Verursachung von Kosten aufgrund einer asymmetrischen Informationsverteilung über Qualitätsmerkmale zwischen Agent und Prinzipal sowie aufgrund der Beschaffung von Infor86
Vgl. ebenda, S. 270 Vgl. Fischer (1994), S. 316 ff. 88 Vgl. Jensen/Meckling (1976), S. 305 ff. 89 Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 540 87
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mationen. Dabei werden, in Abhängigkeit davon, ob die Informationsasymmetrie vor oder nach Vertragsabschluss besteht, wiederum zwei unterschiedliche Ausprägungen der Informationsasymmetrie unterschieden: „Hidden Information“ und „Hidden Action“. Asymmetrische Informationsverteilung vor Vertragsabschluss: Beim „Hidden Information“ besitzt der Agent Informationen über Qualitätsmerkmale, die der Prinzipal nicht besitzt (z. B. bessere Marktkenntnisse, bessere Kenntnisse über das laufende Geschäft u. a.).90 Somit kann der Agent den wahren Unternehmenswert aufgrund der detailliertenoperativen Kenntnisse besser abschätzen. Der Agent kann zwar nicht die Ausprägung der Qualitätsmerkmale ändern. Sie können jedoch für die Beurteilung eines Unternehmens wichtig sein. Für den Prinzipal besteht grundsätzlich die Gefahr, dass der Agent die wahre Situation vor Vertragsunterzeichnung nicht offen darlegt, um so seinen eigenen Nutzen zu erhöhen. So läuft der Prinzipal Gefahr z. B. entweder einen zu hohen Preis für seine Anteile zu bezahlen oder aber eine zu geringe Rendite für ein übernommenes Risiko zu erhalten. Am Markt werden Güter, bei denen eine Unsicherheit bezüglich ihrer Qualität besteht und nicht beseitigt werden kann, zu Durchschnittspreisen angeboten, weil für alle Güter zunächst eine Durchschnittsqualität angenommen wird. Die Anbieter von höherwertigen Produkten werden dann ihre Produkte vom Markt nehmen, weil sie meinen, dass diese einen höheren Preis erzielen könnten (Adverse Selection).91 Dies wiederum bedeutet, dass nur die Produkte mit schlechter Qualität auf dem Markt verbleiben. Dies wiederum antizipieren die Nachfrager, die deshalb einen geringeren Preis bezahlen. Anschließend werden wieder einige Anbieter ihre Produkte vom Markt nehmen, weil sie der Meinung sind, ihre Produkte sind mehr wert. Das Marktgeschehen kann weitgehend zum Erliegen kommen (der Markt wird unvollständig).92 Dieser Grundgedanke kann auch auf den Bereich Kreditgeber- und SchuldnerVerhältnis übertragen werden.93 Die Unsicherheit der Kreditgeber über die Qualität der Schuldner kann dazu führen, dass Kredite rationiert werden. Wenn die Rationierung verhindert werden soll, würden die Kreditgeber aber bei voller Ausreichung der 90
Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 540 Vgl. Akerlof (1970), S. 488 ff. 92 Vgl. Schmidt/Terberger (1997), S. 68 93 Vgl. Stiglitz/Weiss (1981), S. 393 ff. 91
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Kredite einen Risikozuschlag beim Zinssatz verlangen. Dies würde aber wiederum die guten Schuldner von einer Kreditaufnahme abhalten, weil sie den Zinssatz als zu hoch bewerten würden. Besser wäre es daher, wenn die Kreditgeber einen geringeren Zinssatz verlangen, aber auch zusätzlich eine Rationierung der Kredite berücksichtigen würden (z. B. Vorgabe von Mindeststandards für Jahresabschlusskennzahlen). Das Problem der Adverse Selection kann durch unterschiedliche Maßnahmen gelöst werden:94 1. Screening (Überprüfung der Qualität eines Unternehmens durch einen Dritten oder den Prinzipal, z. B. aus Jahresabschlüssen, Pressemitteilungen u. a.). 2. Self Selection (der Prinzipal bietet dem Agenten mehrere Vertragsalternativen an, aus der dieser dann eine auswählt; so wird dem Prinzipal eine Qualitätsklassifizierung des Vertragsgegenstandes ermöglicht.) 3. Signalling (der Agent versucht, durch bestimmte Aktionen selbst die Qualität eines Gutes zu signalisieren; diese Aktionen verändern die Erwartungen der Marktteilnehmer). Bei den Signalling-Theorien wird untersucht, unter welchen Bedingungen Signale glaubwürdig sind und Signalisierungsinstrumente im Rahmen der Finanzpolitik von Unternehmen eingesetzt werden können.95 Als Grundannahme gilt dabei, dass es für erfolgreiche Unternehmer sehr viel billiger ist, einen hohen Erfolg zu signalisieren als für erfolglose Unternehmer. Für diese lohnt es sich nicht, hohe Kosten für ein irreführendes Signal zu verursachen.96 Eine erhöhte Dividende als Signal für Erfolg ist für ein erfolgreiches Unternehmen einfacher und kostengünstiger darzustellen als für ein erfolgloses.97 Asymmetrische Informationsverteilung nach Vertragsabschluss: Beim Hidden Action sind die Aktionen des Agenten vom Prinzipal nach Vertragsabschluss nicht oder nicht kostenlos ex post zu beobachten. Die vom Agenten erbrachten Leistungen werden durch ein exogenes Risiko und durch die Handlung des Agenten bestimmt. Der Prinzipal kann von der erbrachten Gegenleistung des Agen94
Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 541 Vgl. Padberg (1995), S. 119 ff. 96 Vgl. Spremann (1991), S. 649 f. 97 Vgl. Miller/Rock (1985), S. 1031 ff. 95
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ten nicht auf die Handlung des Agenten schließen, weil die Realisation des exogenen Risikos nicht beobachtbar ist. Dadurch entsteht für den Agenten ein Handlungsspielraum, den er zur Maximierung seines Nutzens ausschöpfen wird (unter der Annahme rationalen Handels).98 Die Entscheidungen des Agenten müssen nicht zwangsläufig immer zu einer Maximierung des Nutzens des Prinzipals führen. Es besteht für den Prinzipal das Risiko, dass ihm nach Vertragsabschluss Nachteile entstehen (Moral Hazard), die Kosten verursachen können.99 Dabei werden zwei Arten von Agency-Kosten unterschieden: 1. Agency-Kosten des Eigenkapitals (das Verhalten des Managements verringert den Marktwert des Eigenkapitals; z. B. wenn ein Management nur eine geringe Beteiligung am Unternehmen hat, könnte der Arbeitseinsatz verringert und der Faktoreinsatz erhöht werden).100 2. Agency-Kosten des Fremdkapitals (mit einem steigenden Verschuldungsgrad steigen die Ausfallwahrscheinlichkeiten sowie die potentiellen Insolvenzkosten; der Marktwert des Unternehmens sinkt). Es wird in der Regel nicht zwischen Management und Anteilseigner unterschieden, um Agency-Probleme des Eigenkapitals bei der Betrachtung der Agency-Kosten des Fremdkapitals auszuschließen.101 Empirische Untersuchungen über das Finanzierungsverhalten deutscher Aktiengesellschaften haben wenig Hinweise auf Agency-Konflikte gegeben. Es konnte jedoch eine grundsätzliche Präferenz der Innenfinanzierung gegenüber der Außenfinanzierung gezeigt werden.102 Insgesamt sucht der Agency-Kosten-Ansatz effiziente institutionelle Ausgestaltungen von Finanzierungsbeziehungen, die das Risiko des Moral Hazard und damit die Agency-Kosten senken. Der Agent muss einen Anreiz haben, dass die Erfüllung seines Ziels auch den Zielen des Prinzipals dient. Zusätzlich ist ein Überwachungssystem mit Ergebniskontrolle und Verhaltenskontrolle notwendig.103
98
Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 542 Vgl. Arrow (1963), S. 961 ff. 100 Vgl. Jensen/Meckling (1976), S. 308 ff. 101 Vgl. Swoboda (1987), S. 57 102 Vgl. Steiner/Schneider/Wolf (1998), S. 105 ff. 103 Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 543 99
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Die dabei entstehenden Kosten werden wie folgt unterschieden:104 1. Monitering Costs (Kosten des Prinzipals für die Überwachung des Agenten). 2. Bonding Costs (Begrenzungskosten des Agenten, ggf. dem Prinzipal für Garantien abzugeben, Verhalten, was sein Interesse schädigt, zu unterlassen). 3. Residual Loss (in Geld bewertete Nutzeneinbuße des Prinzipals, Residualverlust, der dadurch entsteht, dass der Agent Handlungen wählen kann, die für den Prinzipal nur eine „second best“-Lösung bedeuten). Eine Senkung der Agency-Kosten des Eigenkapitals kann durch eine Erhöhung des Verschuldungsgrades erreicht werden.105 Da das Fremdkapital dem Unternehmen nur befristet zur Verfügung steht und fixe Zahlungsverpflichtungen verursacht, ist der Agent gezwungen, diese Verpflichtungen zu erwirtschaften und zu bedienen. Sollte er dazu nicht in der Lage sein, muss er erneut an den Kapitalmarkt herantreten und sich einer Überprüfung durch die Kapitalgeber unterwerfen. Diese prüfen ihn auch bei einer Prolongation von Krediten. Sollte der Agent die Verpflichtungen nicht mehr erwirtschaften können und/oder kein weiteres Fremdkapital erhalten, so droht die Insolvenz. Damit droht dem Agenten auch der Verlust des Arbeitsplatzes und der Reputation. Eine höhere Verschuldung erhöht daher das Risiko des Agenten, welches er nur durch gute Unternehmensergebnisse begrenzen kann.106 Weiterhin unterliegt er der Kontrolle der Fremdkapitalgeber. Die Eigenkapitalgeber können dann die Kontrolle über den Agenten den Fremdkapitalgebern überlassen, wenn für sie selbst die Kosten dafür zu hoch sind. Insbesondere bei einer stark zersplitterten Eigenkapitalgeberstruktur mit vielen Kleinaktionären ist dies wichtig. Diese müssen sich, aufgrund der hohen Kosten für eine eigene Kontrolle, bei der Kontrolle des Agenten auf die Fremdkapitalgeber verlassen. Der Aufsichtsrat, als aktienrechtlich vorgesehene Kontrollinstitution, ist häufig solange kein wirksames Aufsichtsorgan des Unternehmens, wie es diesem nicht schlecht geht.107 Eine Senkung der Agency-Kosten des Fremdkapitals kann durch unterschiedliche Maßnahmen erreicht werden. Einerseits können die Kapitalgeber bei längerfristigen Krediten Sicherheiten vom Agenten verlangen. So müssten die Kapitalgeber dann nur noch die Werthaftigkeit und Werterhaltung dieser Sicherheit prüfen und überwa104
Vgl. Jensen/Meckling (1976), S. 308 ff. Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 544 106 Vgl. Grossmann/Hart (1982), S. 107 ff. 107 Vgl. Franke (1993), S. 391 105
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chen. Die Informations- und Kontrollkosten für die Kapitalgeber reduzieren sich dadurch erheblich.108 Sollten keine ausreichenden Sicherheiten vom Agenten gestellt werden können, so können die Kapitalgeber kürzer laufende Kredite sowie Kündigungsrechte mit dem Agenten vereinbaren.109 Der Kapitalgeber kann mit der Möglichkeit des Kapitalentzugs und bei entsprechend vereinbarten Informationsrechten Einfluss auf die Handlungen des Agenten nehmen. Weiterhin kann der Kapitalgeber zur Absicherung des Fremdkapitals Zusatzrechte mit dem Agenten vereinbaren. Dies könnten z. B. Options- oder Wandelrechte auf Eigenkapitaltitel der Gesellschaft sein.110 Der Kapitalgeber würde dann bei einer Realisation riskanterer Investitionsobjekte auch an der Steigerung des Marktwertes des Eigenkapitals partizipieren. Schließlich kann der Kapitalgeber das Fremdkapital auch dadurch absichern, dass er mit dem Agenten bestimmte Mindesteigenkapitalquoten und Kapitalstrukturkennzahlen vereinbart. Auch so kann er seine Agency-Kosten des Fremdkapitals senken.111 In der vorliegenden Arbeit soll auch die Möglichkeit untersucht werden, wie Unternehmen in wirtschaftlich schwierigen Situationen finanziert werden können. Die zuvor dargestellten Erläuterungen zu den Agency-Kosten des Eigenkapitals unterstützen die These, dass solche Unternehmen z. B. auch die Möglichkeit einer „kombinierten Finanzierung“ (Eigen- und Fremdkapital) erhalten sollten. Für die Eigenkapitalgeber würden durch die Aufnahme von zusätzlichem Fremdkapital (und damit durch eine Erhöhung der Verschuldung) die Agency-Kosten gesenkt werden können. Eine Senkung der Agency-Kosten für die Fremdkapitalgeber kann neben den bereits erwähnten Maßnahmen auch durch eine Zufuhr von Eigenkapital (und damit einer Erhöhung des haftenden Kapitals) gesenkt werden. Das Unternehmen könnte so seine Eigenkapitalquote erhöhen. Der Markt für Unternehmensübernahmen als Kontrollinstrument Eine Senkung der Agency-Kosten (sowohl Eigenkapital als auch Fremdkapital) kann auch durch den Markt für Unternehmensübernahmen (Market for Corporate Control) erreicht werden.112 108
Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 544 Vgl. Bester (1987), S. 225 ff. 110 Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 544 111 Vgl. Swoboda (1987), S. 58 f. 112 Vgl. Jensen (1988), S. 21 ff. 109
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Der Marktwert eines vom Agenten schlecht geführten Unternehmens kann durch die Gestaltung der Zinssätze und Sicherungskosten durch die Gläubiger gesenkt werden, wenn diese damit die erwarteten Nutzeneinbußen durch schädigendes Verhalten des Agenten berücksichtigen. Ein Austausch des Managements bzw. ein Verkauf oder Zerschlagung des Unternehmens durch den Übernehmer könnte zu einer Ergebnisverbesserung führen. Daher kann eine Unternehmensübernahme als potentielles Droh- und Kontrollinstrumentarium gegenüber dem Agenten genutzt werden, um diesen zu höheren Leistungen und Nutzenerbringungen für die Gläubiger zu motivieren. Die Agency-Kosten können gesenkt werden.113 Beteiligung der Manager am Unternehmenserfolg Durch eine Beteiligung der Manager am Unternehmenserfolg kann ebenfalls eine Reduzierung der Agency-Kosten erreicht werden. So könnten sie z. B. einen Teil ihrer Gehaltszahlungen in Form von Anteilen oder Aktienoptionen erhalten. Damit würden sie an der Steigerung des Unternehmenswertes teilhaben und so dazu motiviert werden können, unternehmerischen Erfolg zu haben.114 In den USA ist eine solche Form der Entlohnung sehr weit verbreitet („Stock Options“).115 Man könnte jedoch auch ergebnisabhängige Vergütungsregelungen mit den Managern vereinbaren. Insgesamt stellen wertorientierte Entlohnungssysteme aus Sicht der Eigentümer (Prinzipale) ein geeignetes Instrument dar, die Manager (Agenten) zu einem vertragsgemäßen Handeln zu bewegen. Investor Relations Um Informationsasymmetrien bei börsennotierten Unternehmen zwischen Managern und Anteilseignern zu verringern, ist eine direkte und indirekte Kommunikation des Unternehmens mit potentiellen und aktuellen Eigenkapitalgebern und Beratern notwendig.116 Dabei ist das vorrangige Ziel von Investor Relations eine Stabilisierung und Annäherung des Börsenkurses an dem fundamental gerechtfertigten Unternehmenswert. Dieser wird durch die erwarteten zukünftigen Zahlungsströme und das zugrundeliegende systematische Risiko festgelegt. Durch theoretische Modelle lässt sich grundsätzlich zeigen, dass Informationsasymmetrien durch erhöhte Investor Re113
Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 545 Perridon/Steiner, S. 545 ff. 115 Vgl. Oser/Vater (2001), S. 1261 ff. 116 Vgl. Allendorf (1996), S. 6 ff. 114
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lations-Aktivitäten abgebaut werden können. Dadurch können die Kapitalkosten gesenkt werden. Die zugrundeliegende Wirkungsweise ist in der Literatur umstritten.117
2.3. Eigenfinanzierung Eine Eigenfinanzierung in Form einer Einlagen- bzw. Beteiligungsfinanzierung erfolgt durch die Zufuhr von Eigenkapital von außen durch die Eigentümer (Einzelunternehmen), durch die Miteigentümer (Gesellschafter von Personengesellschaften) oder durch die Anteilseigner (z. B. Aktionäre, GmbH-Gesellschafter). Die Zufuhr kann sowohl aus dem privaten Bereich (Haushalt) als auch aus einem Betriebsvermögen (z. B. Beteiligung einer Kapitalgesellschaft an einem anderen Unternehmen) erfolgen.118 Die Wahl der Rechtsform eines Unternehmens hat auch Auswirkungen auf die Möglichkeiten der Eigenkapitalbeschaffung. Eine entscheidende Größe ist dabei die Haftung der Eigenkapitalgeber. Grundsätzlich sollte ein höheres Haftungsrisiko auch eine höhere Renditeerwartung sowie ein größeres Mitspracherecht bei Unternehmensentscheidungen mit sich bringen als ein geringes Haftungsrisiko.119 Eigenkapitalbeschaffung für Einzelunternehmen und Personengesellschaften Bei einem Einzelunternehmen wird ein Betrieb durch einen Kaufmann allein (ohne Gesellschafter; wenn doch, dann nur ein stiller Gesellschafter) geführt. Der Einzelunternehmer haftet für die Verbindlichkeiten seines Unternehmens mit seinem gesamten Privatvermögen. Die Haftung ist nicht beschränkt auf den Teil des Vermögens, der in das Unternehmen eingelegt wurde. Der Einzelunternehmer trägt somit das gesamte Risiko des Eigenkapitalverlustes. Aufgrund des hohen Risikos ist bei einem Einzelunternehmer nicht immer das Wachstum des Unternehmens primäres Ziel. Es wird eher versucht, den Gewinn aus einem begrenzten Kapitaleinsatz zu maximieren. So investiert ein Einzelunternehmen in der Regel nur einen Teil seines Vermögens in das Unternehmen.120
117
Vgl. Coles/Loewenstein/Suay (1995), S. 347 ff.; Clarkson/Guedes/Thompson (1996), S. 69 ff. Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 35 119 Vgl. Spremann (1991), S. 253 f. 120 Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 36 f. 118
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Eine Finanzierungsmöglichkeit über die eigenen Finanzierungsmittel hinaus stellt für den Einzelunternehmer die Aufnahme eines stillen Gesellschafters dar. Der stille Gesellschafter hat keine Leitungsbefugnisse. Er erhält eine laufende Vergütung auf seine Einlage und ist am Gewinn des Unternehmens beteiligt. Eine Verlustbeteiligung kann ausgeschlossen werden. Für ein Einzelunternehmen ist die Eigenkapitalbeschaffung sehr stark abhängig von seiner persönlichen wirtschaftlichen Lage und wird beschränkt durch die Höhe des Privatvermögens. Somit ist die Einzelunternehmung eher bei kleineren Unternehmen als Rechtsform vertreten.121 Die Eigenkapitalbeschaffung bei Personengesellschaften (Offene Handelsgesellschaft, Kommanditgesellschaft) erfolgt durch die Kapitaleinlagen der Gesellschafter.122 Da dieser Kreis erweitert werden kann, muss die Eigenkapitalbeschaffung nicht nur auf Privatvermögen der bisherigen Gesellschafter beschränkt werden. Bei einer Kommanditgesellschaft ist die Haftung auf die Einlagebeträge der Kommanditisten (Gesellschafter, Kapitalgeber) beschränkt. Dazu kommt dann noch ein Vollhafter (Komplementär), dessen Haftung sich auch auf das Privatvermögen erstreckt. In der Regel wird der Komplementär daher auch durch eine GmbH, bei der die Haftung auf die Stammeinlage begrenzt ist, dargestellt. Der Komplementär übernimmt die Geschäftsführung der Kommanditgesellschaft.123 Die Eigenkapitalbeschaffung bei einer Kommanditgesellschaft ist nicht so stark begrenzt wie bei einem Einzelunternehmen, da der Gesellschafterkreis erweitert werden kann. Als Einschränkung ist aber zu nennen, dass die Kommanditisten nicht die Geschäftsführung wahrnehmen.124 Zusätzlich kann eine Kommanditgesellschaft ebenfalls eine stille Gesellschaft aufnehmen. Bei einer Offenen Handelsgesellschaft haften die Gesellschafter neben ihrer Kapitaleinlage wie bei einem Einzelunternehmen auch mit ihrem Privatvermögen. Die Eigenkapitalbeschaffung erfolgt durch Kapitaleinlage der Gesellschafter und/oder durch die Aufnahme weiterer Gesellschafter. Die Gesellschafter arbeiten i. d. R. in der Führung der Gesellschaft mit. Zusätzliches Eigenkapital kann durch die Aufnah-
121
Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 366 ff. Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 38 123 Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 369 124 Vgl. Spremann (1991), S. 253 122
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me stiller Gesellschafter der Offenen Handelsgesellschaft zur Verfügung gestellt werden.125 Die nachfolgende Abbildung 3 zeigt die Merkmale von Einzelkaufmann/Einzelunternehmen und Personengesellschaften im Überblick:126 Rechtsform Merkmal
Einzelkaufmann
Personengesellschaften OHG
KG
Stille Gesellschaft
Bürgerliche Gesellschaft
Eigentümer
Kaufmann (Unternehmer)
Gesellschafter
a) Komplementär b) Kommanditisten
Geschäftsinhaber
Gesellschafter
Mindestanzahl der Gründer
1
2
a) 1 b) 1
2
2
Mindestkapital und -anteil
kein festes Kapital keine Mindesteinlage
kein festes Kapital keine Mindesteinlage vorgeschrieben
a) wie OHG b) feste Einlagen,Höhe beliebig
wie OHG-Einlage des stillen Gesellschafters nominell festgelegt
Beiträge nach Vereinbarung
Haftung
unbeschränkte persönliche Haftung
Gesamtschuldnerische Haftung. Jeder Gesellschafter haftet unmittelbar, unbeschränkt und solidarisch für die Schulden der Gesellschaft.
Vor Eintragung ins Handelsregister haften alle Gesellschafter unbeschränkt. Nach Eintragung haften Komplementäre unbeschränkt, die Kommanditisten nur bis zur Höhe der Einlage.
Der stille Gesellschafter nimmt am Verlust nur bis zur Höhe seiner Einlage teil. Haftung des Geschäftsinhabers richtet sich nach der Rechtsform der Gesellschaft.
Unbeschränkte Haftung für alle Gesellschafter
Organe
Kaufmann
Gesellschafter
Komplementäre
-
Gesellschafter
gesetzliche Vorschriften
HGB, insb. §§ 1-104, 238 ff.
HGB, insb. §§ 105-160, 238 ff.; BGB §§ 705-740
HGB, insb. §§ 105-160, 161177a, 238 ff.; BGB §§705-740
HGB §§ 230-236
BGB §§705-740
Abbildung 3: Merkmale von Einzelkaufmann und Personengesellschaften Quelle: Perridon/Steiner (2004), S. 367
Die Eigenkapitalbeschaffung bei den Rechtsformen Kommanditgesellschaft auf Aktien und Genossenschaft wird in der vorliegenden Arbeit nicht vertiefend dargestellt. Dazu wird auf die entsprechende Literatur verwiesen.127 Eigenkapitalbeschaffung für eine GmbH Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) wird als Rechtsform überwiegend für kleine und mittlere Unternehmen gewählt, bei denen die Gesellschafter ihr Kapitalrisiko auf die Kapitaleinlage beschränken wollen.128 Eine GmbH verfügt über ein in der Höhe fixiertes Nominalkapital. Dieses Stammkapital wird durch Ausgabe von Anteilen an Gesellschafter aufgebracht. Die Gesellschafter können zusätzlich 125
Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 38 ff. Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 367 127 Vgl. ebenda, S. 369 ff. 128 Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 40 126
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einen über das Stammkapital hinaus gehenden Eigenkapitalbetrag in Form eines Agios (Aufschlag auf die Stammeinlage) beim Erwerb von Anteilen in das Unternehmen einlegen. Die Haftung der Gesellschafter ist auf die Höhe ihrer Einlagen beschränkt, sofern keine Nachschusspflicht vereinbart worden ist. Für Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet nur das Gesellschaftsvermögen.129 Eine Eigenkapitalbeschaffung kann durch die Ausgabe von Gesellschaftsanteilen (am Stammkapital), die auch einen Aufschlag (Agio) beinhalten können, erfolgen. Die Attraktivität für neue Gesellschafter liegt in der beschränkten Haftung der Gesellschafter. Andererseits sind Anteile an einer GmbH nicht so fungibel wie z. B. Aktien einer Aktiengesellschaft. Es gibt keinen organisierten Markt für GmbH-Anteile. Die Übertragung bedarf außerdem der notariellen Form und in der Regel die Zustimmung der GmbH-Gesellschafter.130 Zur weiteren Eigenkapitalbeschaffung kann eine GmbH auch eine stille Gesellschaft aufnehmen. Für potentielle Anleger und damit Eigenkapitalgeber einer GmbH bestehen die Nachteile gegenüber börsennotierten Aktiengesellschaften insbesondere in der eingeschränkten Fungibilität der GmbH-Anteile und in der Schwierigkeit der individuellen Beurteilung des Risikos. Es fehlt ein organisierter Markt für den Handel mit GmbH-Anteilen und die damit einhergehende Transparenz über die Bewertung dieser Anteile durch Angebot- und Nachfragefunktionen. Die Eigenkapitalgeber erhalten außerdem keine Sicherheiten für ihre Einlage. Aus Sicht der bisherigen Eigentümer folgen durch die zusätzliche Aufnahme von Gesellschaftern bzw. Eigenkapital zusätzliche, zumeist unerwünschte, Mitspracherechte, der Zwang, einen höheren Gewinn zu erzielen sowie Schwierigkeiten bei der Aufteilung der stillen Reserven.131 Kapitalanlagen in nicht börsennotierten Unternehmen sind eher für Daueranleger geeignet. Bei der Veräußerung von Anteilen an den nicht börsennotierten Unternehmen muss das so genannte „Lemon“-Problem von Akerlof berücksichtigt werden.132 Mögliche Käufer von solchen Beteiligungen sind gegenüber den Verkäufen misstrauisch, weil diese das Unternehmen besser kennen. Die Käufer werden den Preis für die Beteiligungen reduzieren, weil sie annehmen müssen, dass zu erwartende Er129
Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 369 f. Vgl. §§ 15 und 17 GmbHG 131 Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 370 132 Vgl. Akerlof (1970), S. 488 ff. 130
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tragsverschlechterungen beim Unternehmen auch zu den Verkaufsmotiven der Verkäufer gehören, aber nicht kommuniziert werden. Der maximal bezahlbare Grenzpreis wird somit ebenso verringert wie der Einigungsspielraum.133 Eine Möglichkeit für nicht börsennotierte Unternehmen dennoch weiteres Eigenkapital aufzunehmen sind Kapitalbeteiligungsgesellschaften.134 Hauptzweck von solchen Beteiligungsgesellschaften ist das Eingehen bzw. das Halten unternehmerischer Beteiligungen. Dabei gibt es entsprechend der jeweiligen Unternehmensphilosophie unterschiedliche Ausrichtungen bei den Beteiligungsgesellschaften (z. B. HoldingGesellschaften, erwerbswirtschaftliche Beteiligungsgesellschaften, Beteiligungsgesellschaften als Instrument staatlicher Wirtschafts- und Strukturpolitik, VentureCapital-Gesellschaften).135 Beteiligungsgesellschaften finanzieren mit Eigenkapital wachstumsorientierte Unternehmen, indem sie Anteile erwerben und als Gesellschafter dem Unternehmen beitreten. Das Engagement ist in der Regel zeitlich befristet. Nach Ablauf der vereinbarten Zeit der Zusammenarbeit veräußern die Kapitalbeteiligungsgesellschaften ihre Anteile wieder. Erträge werden aus laufenden Ausschüttungen sowie aus dem Veräußerungsgewinn beim Verkauf der Anteile erzielt.136 Ein kleiner Teil der Unternehmen, die in der vorliegenden Arbeit untersucht werden, hat eine Finanzierung durch eine Beteiligungsgesellschaft erhalten. Dabei erfolgte die Finanzierung als eine Kombination einer „offenen“ Beteiligung (Erwerb von Gesellschaftsanteilen), die mit einer „stillen“ Beteiligung (kein Erwerb von Gesellschaftsanteilen, laufende Vergütung) gekoppelt worden ist. Daher wurden diese Unternehmen überwiegend eigenkapitalfinanziert. Eigenkapitalbeschaffung für eine Aktiengesellschaft Wenn zwischen dem Käufer und Verkäufer keine Informationsasymmetrien mehr vorhanden sind und ein gut funktionierender Sekundärmarkt vorhanden ist, auf dem die Unternehmensanteile ohne größere Transaktionskosten behandelt werden können, tritt das „Lemmon“-Problem nicht mehr auf. Diese Voraussetzungen bieten Wertpapierbörsen. Hier herrscht keine Informationssymmetrie (abgesehen von Insiderinformationen) zwischen Käufer und Verkäufer vor. Beide Gruppen haben Zugang zu den Informationen. Die Rechtsform einer Aktiengesellschaft ist geeignet, um 133
Vgl. Wagner (1982), S. 755 Vgl. Gerke (1972), S. 89 135 Vgl. Schramm (1980), S. 573 f. 136 Vgl. Vallenthin (1976), Sp. 1021 ff.; Schramm (1980), S. 573 f. 134
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größere Eigenkapitalbeträge aufzubringen.137 Mit dieser Eigenkapitalausstattung ist das Unternehmen in der Lage, weiteres Fremdkapital einzuwerben. Durch die Informationssymmetrie ist es aber für ein Krisenunternehmen sehr schwierig, Aktien zu platzieren. Mögliche Aktienkäufer können durch die wirtschaftlich schwierige Lage und das entsprechende Risiko eines Scheiterns des Unternehmens von einem Aktienkauf abgeschreckt werden. Eine Aktiengesellschaft verfügt über ein in der Höhe fixiertes Nominalkapital (Grundkapital). Dieses, auch „gezeichnetes Kapital“ genannt, bildet zusammen mit den Kapital- und Gewinnrücklagen das Eigenkapital einer Aktiengesellschaft. Das Grundkapital ist in einzelne Anteile (Aktien) aufgeteilt. Durch den Erwerb einer Aktie wird ein Käufer Anteilseigner an einer Aktiengesellschaft. Eine Aktiengesellschaft kann durch die Ausgabe von neuen Aktien zusätzliche Anteilseigner/Kapitalgeber, und damit zusätzliches Eigenkapital, einwerben. Auch mit relativ kleinen Anteilen kann eine größere Summe an Eigenkapital beschafft werden, wenn eine große Anzahl an Anteilseignern gewonnen werden kann. Die Aktienerwerber (Aktionäre) haben kein einseitiges Kündigungsrecht zum Ausstieg aus einer Aktiengesellschaft. Einen Ausstieg erreichen sie nur durch eine Veräußerung ihrer Aktien an andere Käufer.138 Für Unternehmen in Krisensituationen hat eine Veräußerung von Aktien zunächst keinen unmittelbaren Einfluss, weil die gesamte Aktienkaufabwicklung nur zwischen Aktienverkäufer und Aktienkäufer stattfindet. Dem Unternehmen selbst fließen dabei keine Mittel zu, sondern nur bei der Ausgabe von neuen Aktien. Hier hat aber die Aktienkaufabwicklung Einfluss. Unternehmen, deren Aktien aufgrund von erhöhten Verkaufsangeboten, aber nur geringen Aktiennachfragen nur zu einem niedrigen Preis verkauft werden können, haben auch Schwierigkeiten, neue Aktien zu platzieren und dadurch neues Eigenkapital einzunehmen. Insgesamt sind bei einer Aktiengesellschaft drei Eigenschaften am weitesten entwickelt:139 1. Grundidee: eine Vielzahl von Investoren (Aktionäre) bringen eine große Summe an Eigenkapital auf, die Haftung ist auf die Einlage beschränkt (keine Nachschusspflicht);
137
Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 373 f. Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 44 139 Vgl. Drukarcyk (1999), S. 216 138
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2. hohe Verkehrsfähigkeit der Anteile durch die Handelbarkeit an einer Börse und dadurch Vereinbarung der individuell bestimmten Halteperioden mit dem langfristigen Eigenkapitalbedarf der Aktiengesellschaft (Fristentransformation); 3. Trennung zwischen Eigentum und Verfügungsmacht (Geschäftsführung). Bei den Aktien werden zwei Arten unterschieden, die einen unterschiedlichen Umfang an Rechten haben: Stammaktie und Vorzugsaktie. Die Stammaktie ist die klassische Art der Aktie. Die Stammaktien bieten jeweils das gleiche Recht, eine Stimme in der Hauptversammlung abzugeben, einen Gewinnanteil sowie einen Anteil am Liquidationserlös zu erhalten.140 Weiterhin bieten sie das gesetzliche Bezugsrecht auf junge Aktien bei Kapitalerhöhungen oder auf Wandel- und Optionsanleihen. Neben den Stammaktien gibt es noch Vorzugsaktien.141 Diese statten den Aktionär mit gewissen Vorrechten aus und werden zwischen absoluten und relativen Vorzugsaktien unterschieden.142 Die absoluten Vorzugsaktien statten den Anteilseigner mit besonderen Rechten gegenüber den Stammaktien aus. Relative Vorzugsaktien sind dagegen auch mit Nachteilen verbunden. Die Vorzugsaktien in ihrer klassischen Form werden mit einer festen Dividende vergütet und vorrangig (vor den Stammaktien) bei einer Liquidation der Aktiengesellschaft bedient. Dafür gewähren sie in der Regel in der Hauptversammlung kein Stimmrecht.143 Vorzugsaktien werden häufig dazu verwendet, in besonderen Unternehmenssituationen potentiellen Käufern einen Anreiz zum Erwerb von Aktien zu bieten. Gerade bei Unternehmenssanierungen können Vorzugsaktien sehr flexibel mit unterschiedlichen Rechten bzw. Anreizen ausgestattet sein und so eine Eigenkapitalaufnahme des Unternehmens ermöglichen.144 Mit Vorzugsaktien, die einen höheren Dividendenanspruch haben als Stammaktien, können Aktienkäufern bei Unternehmen in Krisensituationen eine Rendite auch bei noch geringen Jahresüberschüssen ermöglichen, da sie an diesen überproportional gegenüber den Inhabern von Stammaktien partizipieren können.
140
Vgl. Busch (1980), S. 509 Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 46 f. 142 Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 375 f. 143 Vgl. Kudla (2005), S. 21 144 Vgl. Kraft (2001), S. 217 141
54
2.4. Fremdfinanzierung Wenn ein Unternehmen eine Kapitalzufuhr von Gläubigern erhält, die dadurch kein Eigentum am Unternehmen erwerben, sondern zeitlich befristet mit ihm schuldrechtlich verbunden sind, dann ist dies für das Unternehmen eine Fremdfinanzierung im Rahmen der Außenfinanzierung.145 Die Fremdkapitalgeber erhalten eine feste Vergütung für das von ihnen eingesetzte Kapital, unabhängig davon, ob das Unternehmen Gewinn oder Verlust erwirtschaftet. Seine fristgebundene Verzinsung und Rückzahlung sind vom Unternehmen zu garantieren. Fremdkapitalgeber erhalten nach Ablauf der vereinbarten Frist das von ihnen zur Verfügung gestellte Kapital zurück. Dies kann in Form einer Einmalzahlung oder auch als kontinuierliche Tilgung innerhalb der Laufzeit erfolgen. Diese ist unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens zu zahlen. Dadurch tragen die Eigenkapitalgeber das Verlustrisiko.146 Verluste können Fremdkapitalgeber jedoch bei einem Zusammenbruch des Unternehmens entstehen, wenn die noch vorhandenen Vermögenswerte und Sicherheiten für eine Abdeckung der Ansprüche nicht mehr ausreichen. Fremdkapitalgeber haben zwar grundsätzlich keine Befugnisse, das Unternehmen zu leiten, weil sie nicht am Unternehmen beteiligt sind. Je nach Umfang des zur Verfügung gestellten Fremdkapitals stehen ihnen aber doch bestimmte Rechte im Bereich der Mitsprache und Kontrolle zu.147 Eine Systematisierung der Arten des Fremdkapitals kann nach der Herkunft des Kapitals erfolgen. Ein Unternehmen kann Fremdkapital zum einen von über den Leistungsprozess verbundene Kapitalgeber oder zum anderen von Finanzkreditgebern erhalten. Bei der ersten Gruppe können dies sowohl Lieferanten (z. B. durch Kaufpreisstundung) als auch Kunden (z. B. Anzahlungen) sein. Als Finanzkreditgeber können der Bankensektor, der Nichtbankensektor oder auch die öffentliche Hand tätig sein. Die nachfolgende Abbildung 4 zeigt die einzelnen Arten des Fremdkapitals im zusammenfassenden Überblick:148
145
Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 179 Vgl. Sandig (1976), Sp. 646 147 Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 179 148 Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 179 146
55
Fremdkapitalgeber
Über den Leistungsprozess verbundene Kapitalgeber
Lieferanten
Kunden
Finanzkreditgeber
Bankensektor
Nichtbankensektor
Unternehmen
Lieferantenkredit (Kaufpreisstundung)
Kundenkredit (Anzahlung)
KK-Kredit Diskontkredit Akzeptkredit Avalkredit Lombardkredit Darlehen
Öffentliche Hand
Private
Darlehen Schuldscheindarlehen Obligationen
Kredite aus Förderprogrammen (z.B. ERP)
Abbildung 4: Einteilung der Fremdfinanzierung Quelle: Wöhe/Bilstein (2002), S. 179
Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf den Bereich Finanzkreditgeber. In der empirischen Analyse werden überwiegend Unternehmen untersucht, die über ihre Hausbank von der öffentlichen Hand verbürgtes Fremdkapital erhalten haben. Die Kreditwürdigkeitsprüfung Nach dem Kreditwesengesetz sind die Kreditinstitute verpflichtet, regelmäßig die wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer Kreditnehmer zu prüfen.149 Die Basis für die Finanzkreditgeber bei der Entscheidung, ob einem Unternehmen Fremdkapital zur Verfügung gestellt werden kann, ist die Kreditsicherung. Ein erster Schritt für die Einschätzung der Kreditsicherung ist die Kreditwürdigkeitsprüfung.150 Dabei werden die Kreditfähigkeit des Kreditnehmers und seine Kreditwürdigkeit unter persönlichen und sachlichen Aspekten untersucht. Wenn keine rechtlichen Gründe in der Person des Kreditnehmers gegen den Abschluss eines rechtswirksamen Kreditvertrages vorliegen, dann ist der Kreditnehmer kreditfähig.151 Zusätzlich wird bei der Kreditwürdigkeitsprüfung vom Kreditgeber untersucht, ob der Kreditnehmer in der Lage sein wird, die ihm überlassenen finanziellen Mittel fristgerecht zu tilgen und die Zinsen verein-
149
Vgl. § 18 KWG Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 181 151 Vgl. Geiger (1980), S. 231 150
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barungsgemäß zu zahlen.152 Die Höhe und die Konditionen des Kredits sind abhängig von der vermuteten Eintrittswahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit des Kreditnehmers und damit von der Höhe des Kreditrisikos. Zur Prüfung der Kreditwürdigkeit werden sowohl persönliche als auch sachliche Bestimmungsfaktoren der Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers analysiert. Die Zahlungsmoral, die Lebensgewohnheiten, die Lebensumstände u. a., die die Solidität des Kreditnehmers beweisen, werden überprüft.153 Bei natürlichen Personen beschränken sich die sachlichen Bestimmungsfaktoren im Wesentlichen auf die Höhe des regelmäßigen Einkommens und die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf die Untersuchung von Unternehmen, weshalb in den nachfolgenden Erläuterungen die natürlichen Personen nicht weiter berücksichtigt werden. Zu den sachlichen Bestimmungsfaktoren bei Gesellschaften und juristischen Personen zählt die Qualität der Unternehmensorganisation sowie die Vermögens-, Ertragsund Liquiditätslage des kreditsuchenden Unternehmens.154 Zur Beurteilung, ob der Kredit zukünftig planmäßig bedient werden kann, ist die Einschätzung der Entwicklung der zukünftigen Ertrags- und Liquiditätslage sehr wichtig.155 Aufgrund fehlender verwertbarer Plandaten erfolgt eine Prognose in der Regel auf der Basis von Vergangenheitswerten. Ein wichtiges Instrument ist dabei die Bilanzanalyse. Dabei bildet den Ausgangspunkt der Zeitvergleich, d. h. die Zusammenstellung wichtiger Zahlen aus den Bilanzen und Erfolgsrechnungen eines Unternehmens, wobei mindestens drei Geschäftsjahre abgedeckt sein sollten.156 Sollte doch ein Finanzplan mit den zukünftigen Einnahmen und Ausgaben vorliegen, wird dieser ebenfalls geprüft. Bei der Analyse der Vermögens- und Schuldenlage prüft der Kreditgeber, ob und wie viel Dritte gegen die Haftungsmasse des Unternehmens Ansprüche haben und über wie viel Spielraum das Unternehmen verfügt, weitere Sicherheiten zu stellen.157 Als Basis für die Prüfung der Vermögenslage dient in der Regel die Steuerbilanz des Unternehmens, die unter dem Gesichtspunkt der Kreditwürdigkeitsanalyse aufbereitet wird. Dazu gehört u. a. auch die Ergänzung der be152
Vgl. Hagenmüller (1976), Sp. 1224 Vgl. Geiger (1980), S. 231 f. 154 Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 182 155 Vgl. Hartmann-Wendels/Pfingsten/Weber (2000), S. 150 ff. 156 Vgl. Geiger (1980), S. 232 157 Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 182 f. 153
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trieblichen Vermögensgegenwerte um solche, die nicht in der Bilanz stehen, aber zur Haftungsbasis zählen (z. B. Privatvermögen bei persönlich haftenden Gesellschaftern). Dazu muss noch die Bewertungspolitik analysiert werden, um z. B. stille Rücklagen ermitteln zu können.158 Grundsätzlich soll eine Bilanzaufbereitung eine Prüfung folgender Kernfragen ermöglichen:159 -
Über welche finanziellen Reserven verfügt das Unternehmen unter der Annahme einer Fortführung des Unternehmens?
-
Welches Ergebnis kann bei einer Liquidation des Unternehmens erzielt werden?
-
Welche Auszahlungen ergeben sich aus der Struktur der Passiva?
-
Wie hoch ist das Haftungskapital belastet?
Der Bilanzaufbereitung folgt eine Gliederung der Bilanz, die eine Bildung betriebswirtschaftlicher Kennzahlen ermöglicht. Diese sind die Basis für die Analyse der wirtschaftlichen Verhältnisse.160 Bei der Gewährung von Lieferantenkrediten in Form von Zahlungszielen ist der Analyse- und Prüfungsaufwand deutlich geringer. Für Lieferanten ist diese Art der Kreditgewährung ein Mittel der Absatzförderung.161 Systematische Kreditwürdigkeitsprüfungen werden nur selten durchgeführt. In der Regel haben die Lieferanten auch nur einen geringen Einfluss, die Kunden zu bewegen, die eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse offen zu legen. So werden eher Auskünfte von Kreditinstituten und Auskunfteien eingeholt und die Geschäftsbeziehung und Zahlungsmoral des Kunden beobachtet.162 Externes Rating Neben der Kreditwürdigkeitsprüfung gibt es als weiteres Instrument, um die Kreditwürdigkeit eines Unternehmens einschätzen zu können, eine Einschätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit eines Unternehmens durch Rating-Agenturen (= externes Rating). Ein Rating wird jedoch eher bei größeren Unternehmen durchgeführt und ins158
Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 183 Vgl. Hagenmüller (1976), Sp. 1229 160 Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 183 161 Vgl. Wöhe/Döring (2005), S. 686 162 Vgl. Paal (1973), S. 17 159
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besondere bei solchen, die eine Form von Wertpapieren ausgeben. So sollen den möglichen Käufern dieser Wertpapiere Informationen zur Beurteilung der Anlagemöglichkeit gegeben werden. In der vorliegenden Arbeit wird auf diesen Bereich nicht näher eingegangen, da sich die empirische Analyse auf kleinere und mittlere Unternehmen konzentriert, bei denen ein externes Rating einen zu großen finanziellen Aufwand verursachen würde.163 Überblick über die Arten von Kreditsicherheiten Sollte ein Kreditgeber nach einer Kreditwürdigkeitsprüfung feststellen, dass das Kreditrisiko für einen Blankokredit zu hoch ist, wird er für die Bereitstellung seines Kapitals vom Kreditnehmer Sicherheiten verlangen. Kreditsicherheiten werden nach dem Kriterium rechtliche Grundlagen in schuldrechtliche und sachenrechtliche Sicherheiten eingeteilt.164 Kreditsicherheiten ermöglichen dem Kreditgeber, zusätzlich zu den vertraglichen Ansprüchen gegen den Kreditnehmer, Ansprüche auf die Verwertung von Sachen bzw. Rechten (Real- oder Sachsicherheit) oder gegen dritte Personen (Personensicherheit).165 Dabei hängt die Güte der Personalsicherheit von der Bonität der bürgenden Person, die der Sachsicherheit von ihrer Verwertbarkeit ab. Eine dritte Differenzierung unterteilt Kreditsicherheiten in Eigensicherheit (Sicherheit wird vom Kreditnehmer selbst gestellt) und Fremdsicherheit (Sicherheit wird vom Dritten gestellt).166 Kreditsicherheiten können auch eine abgeschlossene Versicherung gegen Forderungsausfälle oder Covenants sein. Dabei handelt es sich um zusätzliche vertragliche Vereinbarungen zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer, nach denen der Handlungsspielraum des Kreditnehmers eingeschränkt wird oder bestimmte Finanzkennzahlen als Mindestgröße vorgegeben werden.167 Die Personalsicherheiten Bei einer Personalsicherheit wird die Haftung des Kreditnehmers um die Haftung einer oder mehrerer Personen (Bürgen) ergänzt.168 Neben Personen können auch Unternehmen oder die öffentliche Hand als Bürgen auftreten. Dabei verbürgen sich 163
Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 184 ff. Vgl. ebenda, S. 187 165 Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 477 166 Vgl. Paal (1973), S. 23 167 Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 188 168 Vgl. ebenda, S. 188 f. 164
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Bund, Länder und andere öffentliche Körperschaften im Rahmen von wirtschaftspolitischen Zielsetzungen (z. B. Strukturpolitik, Investitionsförderung, Mittelstandsförderung u. a.) für solche Kreditnehmer, die aufgrund von mangelnden Sicherheiten eine weitere Fremdfinanzierung zu banküblichen Konditionen nicht erhalten würden. Dazu müssen aber strenge Auflagen erfüllt werden.169 Ein Großteil der Unternehmen, die in der vorliegenden Arbeit untersucht werden, haben eine Bürgschaft der öffentlichen Hand (Bundesländer) erhalten. So wurde ihnen dann durch ihre Hausbank Fremdkapital zur Verfügung gestellt, welches zum überwiegenden Teil von der öffentlichen Hand verbürgt wurde. Ein kleiner Teil der Unternehmen hat Eigenkapital von privatwirtschaftlichen Beteiligungsgesellschaften erhalten. Eine weitere Möglichkeiten für die Absicherung von Krediten besteht für die gewerbliche Wirtschaft durch die Nutzung der Tätigkeit von Kreditgemeinschaften. Dies sind privatwirtschaftlich geführte Selbsthilfeeinrichtungen einzelner Branchen, die aufgrund der Absicherung durch Rückbürgschaften der öffentlichen Hand Ausfallbürgschaften für langfristige Kredite übernehmen. Diese langfristigen Kredite können eingesetzt werden bei Existenzgründungen, Betriebsvergrößerungen, Rationalisierungen und Umsiedlungen kleiner und mittlerer Unternehmen.170 Neben der Bürgschaft zählen auch die Garantie, der Kreditauftrag und der Schuldbeitritt zu den Personalsicherheiten. Bei der Garantie verpflichtet sich der Garant, für einen in der Zukunft liegenden Erfolg einzustehen. Ebenso wie bei der Bürgschaft ist die Basis ein einseitig verpflichtender Schuldvertrag. Im Gegensatz zur Bürgschaft ist die Garantie aber nicht akzessorisch, d. h. sie ist nicht abhängig von der zugrundeliegenden Forderung (z. B. erlischt eine Bürgschaft, wenn die zugrundeliegende Forderung erloschen ist). Daher ist die Verpflichtung des Garanten größer als die des Bürgen. Garantien werden häufig beim Außenhandel sowie bei öffentlichen Ausschreibungen eingesetzt. Bei den Garantien werden die allgemeinen Grundsätze des Schuldrechts angewendet.171 Bei einem Kreditauftrag beauftragt ein Auftraggeber den Kreditgeber, mit einem Kreditnehmer einen Kreditvertrag abzuschließen und einen Kredit auszuzahlen. Der Kreditgeber hat nach Ausführung dieses Auftrags zwei Ansprüche erworben: Aus 169
Vgl. Conrad (1967), S. 33 ff. Vgl. Reinermann (1976), Sp. 1157 ff. 171 Vgl. Fikentscher (1985), S. 627 ff. 170
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dem Kreditvertrag haftet der Kreditnehmer, der Auftraggeber bürgt zusätzlich für den Kreditbetrag.172 Bei einem Schuldbeitritt verpflichtet sich eine weitere Person neben dem eigentlichen Kreditnehmer, gesamtschuldnerisch für den Kreditbetrag zu haften. Damit wird ebenfalls die Haftungsbasis vergrößert.173 Die Sachsicherheiten Bei Sachsicherheiten erwirbt der Kreditgeber Rechte an Vermögensgegenständen. Dies ist in unterschiedlichsten Formen möglich. Bei einem Eigentumsvorbehalt sichert sich ein Verkäufer die Rechte an seinen Produkten, die er an seinen Kunden geliefert hat. Trotz Lieferung der Ware findet die Übertragung des Eigentums unter der aufschiebenden Bedingung der vollständigen Bezahlung statt.174 Eine weitere Möglichkeit der Sachsicherheiten ist die Abtretung von Forderungen und Rechten (Zession).175 Dabei tritt der Kreditnehmer an den Kreditgeber Forderungen gegenüber seinen Kunden (auch zukünftige) in bestimmter Höhe ab. An die Stelle des bisherigen Gläubigers (Zedent) tritt nun der neue Gläubiger (Zessionar). Die Zustimmung des Drittschuldners ist nicht erforderlich. Bei der Zession gibt es mehrere Ausgestaltungsmöglichkeiten. Bei der offenen Zession wird der Drittschuldner über die Abtretung der Forderungen informiert, bei der stillen Zession nicht. Daneben gibt es noch die Einzelabtretung, die Mantel- und Globalzession. Bei einer Mantelzession verpflichtet sich der Kreditnehmer, laufend Forderungen in einer bestimmten Gesamthöhe abzutreten. Zur Wirksamkeit der Abtretung der Forderungen müssen diese vom Kreditnehmer den Kreditgeber mitgeteilt werden. Dieses ist bei einer Globalzession nicht notwendig. Es werden vom Kreditnehmer pauschal alle gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen an den Kreditgeber abgetreten. Dies kann auf einen bestimmten Kundenkreis (Selektion nach Anfangsbuchstaben, Regionen o. ä.) beschränkt sein.176 Die Unternehmen, die in der vorliegenden Arbeit untersucht werden, haben in der Regel ihre Forderungen vor der Aufnahme von weiterem Kapital abgetreten bzw. nicht mehr über ausreichend freie Forderungen zur Abtretung verfügt. Auch aus die172
Vgl. § 778 BGB Vgl. §§ 421 ff. BGB 174 Vgl. § 455 BGB 175 Vgl. §§ 398 ff. BGB 176 Vgl. Lwowski/Größmann (1987), S. 111 f. 173
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sem Grund haben die begleitenden Hausbanken einer weiteren Fremdkapitalzufuhr nur unter der Auflage, dass diese mit einer Ausfallbürgschaft der öffentlichen Hand unterlegt sind, zugestimmt. Das Pfandrecht ist ebenfalls eine Sachsicherheit. Das Pfandrecht ist ein dingliches Recht und entsteht durch die Einigung zwischen dem Kreditgeber und dem Kreditnehmer und die Übergabe des Pfands an den Kreditgeber. Das Pfandrecht ist wie die Bürgschaft eine akzessorische Sicherheit. Wenn der Kreditnehmer seine Verpflichtungen aus dem Kreditbetrag nicht erfüllen kann, hat der Kreditgeber das Recht, die Pfandgegenstände zu veräußern. Neben beweglichen Sachen und Wertpapieren können auch Forderungen verpfändet werden.177 Eine weitere Möglichkeit der Sachsicherheiten ist die Sicherungsübereignung. Dabei wird der Kreditgeber zwar Eigentümer des Sicherungsgutes, es bleibt aber im Besitz des Kreditnehmers. Eine Sicherungsübereignung wird vor allem dann vereinbart, wenn zur Absicherung eines Kreditbetrages nur Güter zur Verfügung stehen, die der Kreditnehmer aber für den laufenden Betrieb benötigt (z. B. Maschinen). Für weitere Einzelheiten zur Sicherungsübereignung wird hier auf die entsprechende Literatur verwiesen.178 Sollte der Kreditnehmer über Grundstücke und Gebäude verfügen, kann er dem Kreditgeber Sachsicherheiten in Form von Grundpfandrechten anbieten. Dies wird häufig bei langfristigen Fremdfinanzierungen durchgeführt. Bei einer Hypothek wird ein Grundstück in der Weise belastet, dass an den Kreditgeber „eine bestimmte Geldsumme zur Befriedigung wegen einer ihm zustehenden Forderung aus dem Grundstück zu zahlen ist“.179 Die Hypothek wird im Grundbuch eingetragen. Es gibt mehrere Arten der Hypothek (Verkehrs-, Buch-, Sicherungs- und Höchstbetragshypothek), für deren vertiefende Erläuterung auf die entsprechende Literatur verwiesen wird.180 Bei einer Grundschuld wird ein Grundstück in der Weise belastet, dass an den Kreditgeber „eine bestimmte Geldsumme aus dem Grundstück zu zahlen ist“.181 Im Gegensatz zur Hypothek fehlt der Bezug zur Forderung sowie die Akzessorität. Die Grundschuld kann auch auf den Namen des Grundstückeigentümers eingetragen werden, der dann den Grundschuldbrief an den Kreditgeber übergibt. Dadurch steht 177
Vgl. §§ 1204 ff., 1273 ff. BGB Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 195 f. 179 Vgl. § 1113 BGB 180 Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 197 ff. 181 Vgl. § 1191 BGB 178
62
nicht der Kreditgeber im Grundbuch. Sollte der Kreditnehmer seinen Verpflichtungen aus dem Kreditvertrag nicht nachkommen, so kann der Kreditgeber das Grundpfandrecht verwerten. Zu weiteren Einzelheiten wird auf die entsprechende Literatur verwiesen.182 Weitere Sachsicherheiten sind die Kreditversicherung183 sowie Covenants.184
2.5. Zusammenfassung der Ergebnisse Zunächst wurde in diesem zweiten Kapitel das Finanzmanagement erläutert, welches insbesondere bei Unternehmen in Krisensituationen eine sehr hohe Bedeutung hat. Kernaufgabe ist die Liquiditätserhaltung. Im Anschluss daran wurde die neoinstitutionalistische Finanzierungstheorie dargestellt. Sie versucht, die unbehandelten Aspekte der neoklassischen Finanzierungstheorien zu berücksichtigen. Die Austauschbeziehungen zwischen zwei oder mehreren Parteien (Kapitalgeber und Kapitalnehmer) sind Grundlage aller neoinstitutionalistischen Ansätze. Die Problematik der Informationsasymmetrien und Anreizmodelle zwischen beiden Parteien wurde dargestellt. Anschließend wurden die verschiedenen Möglichkeiten der Finanzierungen in Form einer Eigen- oder einer Fremdfinanzierung näher betrachtet. Die Anforderungen, die dabei jeweils an die Unternehmen gestellt werden, sind insbesondere für Unternehmen in Krisensituationen eine Herausforderung.
182
Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 198 ff. Vgl. Greulich (1975), S. 13 ff. 184 Vgl. Obst/Hintner (2000), S. 700 ff. 183
63
Kapitel 3 Turnaround Die wesentlichen Erkenntnisse der Forschung zu den Unternehmenskrisen sind in diesem Kapitel dargestellt. Insbesondere die Erläuterung der Maßnahmen zur Krisenbewältigung ist eine der Grundlagen für die Analysen der vorliegenden Arbeit. Im Kapitel 3.1. werden vertiefend die einzelnen Phasen der Unternehmenskrise beschrieben. Das Kapitel 3.2. umfasst die Bewältigung von Unternehmenskrisen und bildet den Schwerpunkt dieses Kapitels. Die Kompetenzen des Finanzmanagements im Krisenfall werden im Kapitel 3.3. erläutert. Eine Zusammenfassung des gesamten Kapitels stellt das Kapitel 3.4. dar.
3.1. Phasen der Unternehmenskrise In der Literatur gibt es verschiedene betriebswirtschaftliche Ansätze zur Darstellung der einzelnen Phasen von Unternehmenskrisen: -
Zwei-Phasen-Modell nach Röthig185
-
Drei-Phasen-Modell nach Britt186
-
Drei-Phasen-Modell nach Rödl187
-
Vier-Phasen-Modell nach von Löhneysen188
-
Sechs-Phasen-Modell nach Albach189
Eine Unternehmenskrise muss als ein Prozess und nicht als ein starrer Zustand angesehen werden.190 Für die Darstellung der Unternehmenskrise als Prozess ist in der Literatur der nach betriebswirtschaftlichen Kriterien ausgerichtete Ansatz von Müller sehr weit verbreitet.191 Müller unterteilt in seinem Modell den Krisenprozess in die einzelnen Krisenarten: -
strategische Krise,
185
Vgl. Röthig (1976), S. 13 f. Vgl. Britt (1973), S. 438 f. 187 Vgl. Rödl (1979), S. 46 ff. 188 Vgl. Löhneysen (1982), S. 101ff. 189 Vgl. Albach (1979), S. 17 f. 190 Vgl. Böckenförde (1996), S. 20 191 Vgl. Müller (1982), S. 25 ff. 186
65
-
Erfolgskrise,
-
Liquiditätskrise sowie als letzte Krisenart im Prozess die
-
Insolvenz.
Strategische Krise Die strategische Krise ist dadurch gekennzeichnet, dass der Aufbau oder die Verfügbarkeit der Unternehmung ernsthaft gefährdet ist. Somit entsteht für die Unternehmung eine strategische Lücke.192 Die strategische Krise tritt ein, wenn zwischen der Position eines Unternehmens, seiner Strategie und den vorhandenen und benötigten Ressourcen ein existenzbedrohendes Missverhältnis auftritt.193 Die langfristigen Erfolgspotentiale der Unternehmung sind gefährdet.194 Es gibt unterschiedliche Gründe für eine strategische Krise: z. B. Verpassen des Anschlusses an den technischen Standard, keine oder nicht ausreichende Reaktionen auf sich ändernde Marktanforderungen u. ä.195 Dies kann z. B. auch durch falsche Entscheidungen des Finanzmanagements über die strukturelle Finanzierung beeinflusst sein. In der strategischen Krise verbleibt der Unternehmung noch der größte Handlungsspielraum, um entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Häufig wird diese Art der Krise im Unternehmen nicht bemerkt. Um die strategische Krise identifizieren zu können, müssen Indikatoren zur Früherkennung sowie Analyseinstrumente zur Identifizierung von strategischen Lücken oder Risikopotentialen eingesetzt werden.196 Dann kann es dem Unternehmen in dieser Krisenphase z. B. gelingen, die bisherige Finanzierungsstruktur anzupassen bzw. zu optimieren. So kann z. B. anhand von Kennzahlen eine Zunahme der Forderungen aus Lieferungen und Leistungen und damit eine Verknappung der eigenen finanziellen Ressourcen erkannt werden. Weiterhin kann so auch ein schleichender Umsatzrückgang frühzeitig bemerkt werden. Erfolgskrise Wenn gravierende Gefahren für die Erreichung von Erfolgszielen (z. B. Gewinn-, Rentabilitäts- oder Umsatzziele der Unternehmung) bestehen oder diese Erfolgsziele
192
Vgl. Müller (1982), S. 25 ff. Vgl. Horst (2000), S. 13 194 Vgl. Kudla (2005), S. 81 195 Vgl. Böckenförde (1996), S. 13 196 Vgl. Klar/Zitzelsberger (1996), S. 1866 f. 193
66
bereits (zeitweilig) verfehlt worden sind, liegt eine Erfolgskrise vor.197 Die Erfolgskrise wird vielfach auch operative Krise genannt. In der Praxis erwirtschaftet die Unternehmung in dieser Phase Verluste, welche zur Reduzierung des Eigenkapitals führen.198 In der Literatur wird diese Art der Krise auch als Ergebniskrise bezeichnet, d. h. eine Unternehmung hat eine nicht ausreichende Ertragskraft oder Rendite für seine mittel-/langfristige Handlungs- und Überlebensfähigkeit.199 Zur Feststellung des Kriseneintritts wird eine Mindestrendite im Vergleich zu anderen Unternehmen, Kapitalmarkt, etc. verwendet. Wird z. B. eine Umsatzrendite erzielt, die wiederholt deutlich unter der Umsatzrendite wesentlicher Wettbewerber liegt, ist die Ertragskraft des Unternehmens im Vergleich zum Wettbewerb zu niedrig.200 Dadurch besteht die Gefahr, dass die Erfolgsziele nicht erreicht werden.201 Somit ist auf Dauer die Zukunft des Unternehmens gefährdet. Gründe für Ergebniskrisen sind zum einen fehlende Erfolgspotentiale und zum anderen Ineffizienzen im operativen Bereich bzw. im Management.202 Viele der in dieser Arbeit untersuchten Unternehmen haben über einen längeren Zeitraum Jahresfehlbeträge erzielt und haben damit die Erfolgskrise durchlaufen. Liquiditätskrise Wenn die ernsthafte Gefahr der Illiquidität und/oder Überschuldung des Unternehmens besteht, liegt eine Liquiditätskrise vor.203 Diese beiden Tatbestände frühzeitig zu erkennen ist notwendig, um die Liquiditätskrise bewältigen und Maßnahmen vor dem Eintreten der Insolvenz einleiten zu können.204 Gründe für die Illiquidität können länger andauernde Verluste, die die finanziellen Reserven des Unternehmens aufgebraucht haben, sein, ebenso wie fehlender finanzwirtschaftlicher Spielraum. Liquiditätskrisen sind oft die Folge nicht beherrschter strategischer und operativer Krisen.205 Sie stellen die kurzfristig bedrohlichste Art einer Unternehmenskrise dar.206 Insbesondere in der Liquiditätskrise ist es wichtig, dass das Finanzmanagement im Ver-
197
Vgl. Müller (1982), S. 26 Vgl. Böckenförde (1996), S. 19 Vgl. Horst (2000), S. 13 200 Vgl. ebenda, S. 13 201 Vgl. Müller (1986), S. 54 202 Vgl. Kudla (2005), S. 82 203 Vgl. Müller (1982), S. 26; Hess/Fechner (1991), S. 19 204 Vgl. Diez (1988), S. 63 ff. 205 Vgl. Kudla (2005), S. 82 206 Vgl. Horst (2000), S. 47 198 199
67
antwortungsbereich der Geschäftsleitung liegt. Aufgrund der starken Bedrohung des Unternehmens müssen Kompetenzstreitigkeiten und Motivationsprobleme vermieden werden. Die zentrale Koordination aller finanzwirtschaftlichen Tätigkeiten und insbesondere der Zahlungsströme ist die wichtige Aufgabe des Finanzmanagements, um eine Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden. Die in dieser Arbeit untersuchten Unternehmen befanden sich überwiegend in einer Liquiditätskrise. Aufgrund von, häufig auch über mehrere Jahre hinweg, erwirtschafteten Jahresfehlbeträgen, hatte sich der jeweilige finanzielle Spielraum der Unternehmen deutlich verringert. Sie waren dadurch zu einer weiteren Kapitalaufnahme gezwungen, um diese Krisenphase zu überstehen. Folgende Ziele werden bei der Bewältigung einer akuten Liquiditätskrise verfolgt:207 -
Gewährleistung der Zahlungsbereitschaft;
-
Sicherstellung der Kapitalbasis;
-
Bereinigung der Bilanzstruktur;
-
Reduktion des Finanzierungsaufwandes;
-
Wahrung der Handlungsfreiheit.
Insolvenz Die vierte und letzte Krisenart ist die Insolvenz. Das Unternehmen ist dann bereits überschuldet und/oder zahlungsunfähig.208 Wenn bei den oben aufgeführten drei anderen Krisenarten Gegenmaßnahmen ausbleiben oder unzureichend sind, so droht dem Unternehmen, welches sich in einer dieser Krisenarten befindet, als Folge die Insolvenz. Von den untersuchten Unternehmen befanden sich überwiegend die eigenkapitalfinanzierten Unternehmen zum Zeitpunkt der Kapitalzufuhr in einer Insolvenz. Die Mehrzahl der Krisen verläuft in einem mehrjährigen Prozess, bei dem zuerst das Erfolgspotential verfällt, dann Verluste und schließlich die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eintreten.209 Dabei nimmt der Handlungsspielraum zur Überwindung der Krise von der strategischen Krise, über die Erfolgskrise bis zur Liquiditätskrise 207
Vgl. Lüthy (1988), S. 152 f. Vgl. Müller (1986), S. 54 209 Vgl. ebenda, S. 56 208
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hin ab.210 Die Erkennungsfolge läuft der Entstehungsfolge entgegen. Dem Unternehmen wird meist erst in der Erfolgskrise oder in der Liquiditätskrise bewusst, dass es sich in einer wirtschaftlichen Krisenlage befindet und in welcher.211 Die nachfolgende Abbildung 5 zeigt den beschriebenen Krisenprozess mit den vier Krisenarten:212
Erkennungsfolge Entstehungsfolge Handlungsspielraum
Strategiekrise
Erfolgskrise
Liquiditätskrise
Insolvenz
t
Abbildung 5: Krisenprozess Quelle: Böckenförde (1996), S. 21, in Anlehnung an Müller (1982), S. 26
Die Abbildung 8 zeigt, dass mit zunehmender Dauer des Krisenprozesses der Handlungsspielraum immer kleiner wird. Während in einer Strategiekrise noch grundlegende Änderungen in einem Unternehmen umgesetzt werden können, um die Krise zu überwinden, ist der Handlungsspielraum bereits in der Erfolgskrise geringer und in der Liquiditätskrise nur noch sehr stark eingeschränkt. In der Liquiditätskrise liegt der Schwerpunkt in der Vermeidung der Zahlungsunfähigkeit. So werden z. B. Kosten reduziert, Aufwandszahlungen verschoben, ausstehende Forderungen schneller eingeworben u. a. Obwohl die Liquiditätskrise erst die dritte Stufe im Krisenprozess ist, verdeutlicht sie in der Praxis oft erst dem Unternehmen, dass eine Krisensituation besteht. In der Regel benötigen die Unternehmen in einer solchen Situation eine Kapitalzufuhr. Aufgrund des eingeschränkten Handlungsspielraums und der schwachen Verhandlungsposition gegenüber Kreditinstituten kann eine Kapitalzufuhr in Form 210
Vgl. Kudla (2005), S. 82 Vgl. Böckenförde (1996), S. 21 212 Vgl. Böckenförde (1996), S. 21, in Anlehnung an Müller (1982), S. 26 211
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von Fremdkapital, welches durch die „öffentliche Hand“ besichert wurde (z. B. Landesbürgschaft), oder durch Eigenkapital, welches unbesichert, aber gegen den Erwerb von Gesellschaftsanteilen zur Verfügung gestellt wird, erfolgen. Die vorliegende Arbeit untersucht überwiegend Unternehmen in solch einer Krisensituation. Der Großteil der Unternehmen hat eine Kapitalzufuhr in Form von Fremdkapital, ein geringer Teil in Form von Eigenkapital erhalten.
3.2. Bewältigung von Unternehmenskrisen Nachdem im vorherigen Abschnitt die Grundlagen der Entstehung und der Verlauf von Unternehmenskrisen beschrieben worden sind, wird im folgenden Abschnitt die Bewältigung von Unternehmenskrisen erläutert.
3.2.1. Definitionen und Begriffsabgrenzungen Der zentrale Begriff für die Bewältigung der beschriebenen Unternehmenskrisen ist das Krisenmanagement. Krisenmanagement wird als ein System unterschiedlicher Aktionsfelder von Krisenvermeidungs- und Krisenbewältigungsaufgaben, die miteinander in Beziehung stehen, verstanden.213 Es soll als besondere Form der Führung die Prozesse bewältigen, die eine existenzielle Bedrohung oder Gefährdung beseitigen können.214 Eine weitere Differenzierung des Begriffs Krisenmanagement erfolgt nach der Art und dem Stadium der Unternehmenskrise.215 So kann der Begriff weiter in Krisenbewältigung und Krisenvermeidung differenziert werden.216 Von einer Krisenbewältigung spricht man erst nach Eintritt einer akuten, existenzbedrohenden Krise. Daher wird diese Krisenbewältigung oft auch als reaktives Krisenmanagement bezeichnet.217 Clasen bezeichnet dieses Krisenmanagement, welches nach dem Erkennen der Unternehmenskrise beginnt, als situatives Management.218 Der Begriff Krisenvermeidung greift dagegen zeitlich vor Beginn einer Krise. Die Krisenvermeidung 213
Vgl. Krystek (1987), S. 91 Vgl. ebenda, S. 90 215 Vgl. Gless (1996), S. 43 216 Vgl. Kudla (2005), S. 91 217 Vgl. Linde (1994), S. 14 ff. 218 Vgl. Clasen (1992), S. 120 214
70
wird auch als Krisenprophylaxe bezeichnet, weil zu ihrem Inhalt auch die Früherkennung von Krisen zählt. Damit ist die Krisenvermeidung als ein antizipatives oder auch aktives Krisenmanagement zu bezeichnen.219 Neben der bereits dargestellten Differenzierung wird der Begriff Krisenmanagement auch aus funktionaler sowie aus institutioneller Perspektive betrachtet. Bei der funktionalen Perspektive wird zentral der Führungsprozess mit den Inhalten und Aufgaben der Planung, Realisierung und Kontrolle untersucht. Bei der institutionellen Perspektive hingegen werden die beteiligten Personen und Gruppen sowie die entsprechende Organisation betrachtet.220 Da sich in der vorliegenden Arbeit die untersuchten Unternehmen bereits in einer wirtschaftlich sehr angespannten Lage befanden, beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf das reaktive Krisenmanagement, welches sowohl aus der funktionalen als auch aus der institutionellen Perspektive betrachtet wird. An dieser Stelle sollen zunächst die drei Begriffe Turnaround, Restrukturierung und Sanierung voneinander abgegrenzt werden. In der Literatur werden dazu unterschiedliche Definitionen verwandt. Zum einen herrscht Uneinigkeit darüber, in welchem Krisenstadium bzw. Grad der Existenzbedrohung die einzelnen Begriffe zu verwenden sind.221 Zum anderen werden die Begriffe in der Unternehmenspraxis auch aus politischen und psychologischen Gründen (ohne Rücksichtnahme auf ihre genaue Bedeutung) eingesetzt. Die Begriffe Turnaround und Restrukturierung sind weniger negativ besetzt als der Begriff Sanierung.222 Der Begriff Sanierung stammt vom Lateinischen „sanare“ ab und bedeutet Heilen/Gesundmachen. Es werden in der Literatur zwei grundsätzliche Definitionen unterschieden: Sanierung im engeren Sinne umfasst ausschließlich finanzwirtschaftliche Maßnahmen. Sanierung im weiteren Sinne umfasst alle Maßnahmen, die zur Wiedergesundung eines sanierungsbedürftigen Unternehmens führen können.223 Zur Wiederherstellung der mittel- bis langfristigen Überlebensfähigkeit eines Unternehmens ist die Summe aller finanzwirtschaftlichen, leistungswirtschaftlichen und recht219
Vgl. Krummenacher (1981), S. 13 f. Vgl. Hess/Fechner, S. 6; Gless (1996), S. 60 ff.; Krystek (1987), S. 97 ff. 221 Vgl. Kraft (2001, S. 62 222 Vgl. Burtscher (1996), S. 66 223 Vgl. Swoboda (1983), S. 3 f. 220
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lich-organisatorischen Maßnahmen notwendig.224 Das Unternehmen ist dabei auf Fremdhilfe angewiesen.225 Wichtig ist der Wille zur Fortsetzung des Unternehmens als rechtlich selbständige Wirtschaftseinheit sowie zur Beseitigung der existenziellen Bedrohungspotentiale.226 Böckenförde definiert die Sanierung als „Summe aller, aus ganzheitlicher strategischer Perspektive entstammender, führungsorientierter, organisatorischer, finanz-, leistungs- und sozialwirtschaftlicher Maßnahmen, die einerseits die zur Beseitigung einer zeitraumbezogenen Illiquidität und der entstandenen Kapitalverluste ergriffen werden und andererseits die Wiederherstellung existenzerhaltender Rentabilität, Innovationskraft oder Produktivität zur Folge haben, so dass mittel- bis langfristig die Leistungsfähigkeit bzw. die Überlebensfähigkeit des Unternehmens gegeben ist“.227 Der Begriff Turnaround stammt aus dem Englischen und bedeutet Kehrtwendung oder Richtungswechsel. Betriebswirtschaftlich bedeutet dies wiederum eine drastische, positive Kursänderung eines Unternehmens.228 Der Turnaround wird als Reaktion auf eine festgestellte operative und strategische Unternehmenskrise umgesetzt.229 Die Abgrenzung zur Sanierung wird dadurch erreicht, dass die Sanierung definitionsgemäß erst in einer Liquiditätskrise genannt wird.230 Eine TurnaroundSituation beginnt dann, wenn der Geschäftserfolg unter einem minimal akzeptierbaren Niveau liegt.231 Der Turnaround ist also nicht zwingend an eine Existenzbedrohung geknüpft und setzt früher an als die Sanierung. Es besteht bei dem Unternehmen zwar Handlungsbedarf. Der Zeitdruck ist jedoch nicht so hoch und es ist noch Handlungsspielraum vorhanden.232 Der Begriff Restrukturierung umfasst alle Bestrebungen, die im Rahmen einer Krisenbewältigung die wirtschaftlichen Hauptaktivitäten des Unternehmens erhalten und so das Unternehmen profitabel gestalten sollen.233 In der Literatur wird er unter-
224
Vgl. Gless (1996), S. 44 Vgl. Pausenberger (1970), S. 664 Vgl. Böckenförde (1996), S. 7 227 Vgl. Böckenförde (1996), S. 7 228 Vgl. Kudla (2005), S. 92 229 Vgl. Schendel/Datton/Riggs (1976), S. 7 230 Vgl. Böckenförde (1996), S. 8 231 Vgl. ebenda, S. 8 232 Vgl. Kudla (2005), S. 93 233 Vgl. Lüthy (1988), S. 27 225 226
72
schiedlich eingeordnet. Böckenförde verwendet ihn als Synonym für Turnaround.234 Kraus/Gless setzen ihn mit der Sanierung im weiteren Sinne gleich.235 Andere Autoren sehen den Begriff etwas weiter, und zwar als die einfache Umorganisation im Bereich des gewöhnlichen Wandels eines Unternehmens bis zu schwerwiegenden finanziellen Restrukturierungen im Sinne einer Sanierung der Kapitalverhältnisse.236 Die nachfolgende Abbildung 6 zeigt eine Einordnung der einzelnen Begriffe:237 Maßnahmen
mittel- bis langfristig
Turnaround/ Restrukturierung
Sanierung im weiteren Sinne
kurzfristig (finanzielle)
Sanierung im engeren Sinne Strategische Krise
Erfolgskrise
Liquiditätskrise
Insolvenz
3 wöchige Anmeldefrist
t
Abbildung 6: Einordnung der Begriffe Sanierung, Turnaround und Restrukturierung Quelle: Böckenförde (1996), S. 8
Aufgrund der Definitionen und Beschreibungen wird deutlich, dass die Übergänge zwischen den Begriffen Sanierung, Turnaround und Restrukturierung fließend sind.238 Gerade für Förderinstitute sind diese Unterscheidungen wichtig. Grundsätzlich ist es ihnen untersagt, mit dem Einsatz von Fördermitteln Unternehmen zu sanieren, weil dies zu Benachteiligungen von Wettbewerbern führen kann, die keine Fördermittel erhalten. Um aber frühzeitig einen Turnaround bei ersten Planabweichungen zu erreichen, ist der Einsatz von Fördermitteln z. B. für Investitionen für effizientere Ablaufprozesse denkbar. Weiterhin ist der Einsatz von Fördermitteln für einen begrenzten Zeitraum unter bestimmten Bedingungen auch als „Katalysator“ für die Finanzierung von Krisenunternehmen denkbar, wenn dadurch ein anfängliches Marktversa234
Vgl. Böckenförde (1996), S. 9 Vgl. Kraus/Gless (2004), S. 119 236 Vgl. Burtscher (1996), S. 61; Hess (1990), S. 319 f. 237 Vgl. Böckenförde (1996), S. 8 238 Vgl. Kraft (2001), S. 65 235
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gen beseitigt werden kann. Wenn die Finanzierung von Krisenunternehmen aufgrund des Zusammenspiels von mehreren Finanzierungspartnern wieder als ein Markt funktioniert, können die Fördermittel sukzessive wieder zurückgefahren werden. Aber auch für Banken sind diese Begriffsabgrenzungen wichtig. Sie müssen abschätzen, ab welchem Zeitpunkt es sich für die Bank finanziell nicht mehr lohnt ein Unternehmen zu unterstützen, weil der Turnaround oder auch eine Sanierung nicht mehr erreicht werden können. Andererseits müssen sie prüfen, ob und wie sie bereits bestehende Kreditengagements bei Krisenunternehmen sichern können. Eigenkapitalinvestoren sind weniger an formelle Richtlinien, sondern eher an eine entsprechende Risikoabschätzung bei einem Investment in ein Krisenunternehmen gebunden. Bei dem in dieser Arbeit formulierten Finanzierungsmodell soll versucht werden, neben Eigenkapitalinvestoren auch Banken und Förderinstitute mit einzubinden. Dabei müssen die dargestellten individuellen Problematiken der einzelnen Investorengruppen berücksichtigt werden. In dieser Arbeit werden Unternehmen untersucht, die sich entweder bereits in einer oder kurz vor einer Liquiditätskrise befinden. Aufgrund der häufig schon über einen längeren Zeitraum erzielten schwachen bzw. negativen Ergebnissen, waren bei den fremdkapitalfinanzierten Unternehmen die bisher begleitenden Banken nicht mehr bereits, weiteres Fremdkapital zur Verfügung zu stellen, um die Liquiditätskrise zu überwinden. Es wurde daher mit dem Instrument der Bürgschaft gearbeitet, bei dem die Bank zwar Fremdkapital zur Verfügung stellt. Sie erhält dafür aber zumindest teilweise eine Ausfallbürgschaft von einem Förderinstitut. Sollte dieses Kreditengagement für die Bank ausfallen, erhält sie einen Teilbetrag von dem Förderinstitut erstattet. Die eigenkapitalfinanzierten Unternehmen kamen überwiegend aus einer Insolvenz heraus. Ihnen war es in der Liquiditätskrise nicht gelungen, weiteres Kapital (auch nicht mit einer Bürgschaft unterlegtes Fremdkapital) einzuwerben. Im Einzelfall sind bei den untersuchten Unternehmen aufgrund der Begriffsabgrenzungen auch Sanierungsfälle enthalten. Die Kapitalzufuhr in Krisenunternehmen aller Art wird in dieser Arbeit nachfolgend als Unternehmensfinanzierung in Krisensituationen deklariert.
74
3.2.2. Rahmenkonzept für die Unternehmenssanierung Das Rahmenkonzept für die Unternehmenssanierung besteht aus drei Grundelementen:239 -
das methodische Element (Darstellung der Vorgehensweise in einem Sanierungsprozess in methodischer Hinsicht);
-
das institutionelle Element (Personen oder Personengruppen, die die Sanierung durchführen);
-
das inhaltliche Element (grundsätzliche, finanzinhaltliche Lösungsmöglichkeiten werden aufgezeigt).
3.2.2.1. Ablauf der Krisenbewältigung (methodisches Element) In diesem Abschnitt soll der Ablauf der Krisenbewältigung als das methodische Element dargestellt werden. Als normative Handlungsvorgabe ist er besonders wichtig für die an der Bewältigung der Krise beteiligten Institutionen und Personen.240 Insbesondere aufgrund des hohen Zeitdrucks und des abnehmenden Handlungsspielraums ist ein krisenspezifisches Vorgehen erforderlich.241 Der komplette Sanierungsprozess erfordert eine möglichst strukturierte Vorgehensweise, um das angestrebte Ziel zu erreichen.242 Dazu wird er in einzelne Phasen bzw. Teilabschnitte zergliedert. Diese beinhalten wiederum Aufgabenkomplexe bzw. Handlungsanweisungen.243 Die einzelnen Phasen geben dabei die logische Ordnung zum planvollen Vorgehen im Rahmen der Krisenbewältigung vor. Sie sind nicht als streng zeitliche Abfolge zu interpretieren.244 Die einzelnen Teilabschnitte bilden insgesamt einen Problemlösungszyklus und können sich teilweise überschneiden sowie vor allem mehrmals durchlaufen werden.245 In der Literatur werden verschiedene Modelle des Sanierungsprozesses beschrieben.246 Bei vielen gibt es dabei sehr große Ähnlichkeiten.
239
Vgl. Böckenförde (1996), S. 49 ff. Vgl. Horst (2000), S. 34 Vgl. Gless (1996), S. 48 f. 242 Vgl. Kudla (2005), S. 94 243 Vgl. Böckenförde (1996), S. 50 244 Vgl. ebenda, S. 52 245 Vgl. Müller (1986), S. 319 246 Vgl. Böckenförde (1996), S. 52 ff.; Gless (1996), S. 130 f.; Gunzenhauser (1994), S. 22; Hess/Fechner (1991), S. 8 ff; Müller (1986), S. 317 ff. 240 241
75
Die nachfolgende Abbildung 7 zeigt die Phasen des Sanierungsprozesses:247
Prüfung der Sanierungsfähigkeit 1.
2.
Krisenerkennung und Initiierung der Krisenbewältigung
3.
Grobanalyse
Sofortmaßnahmen
4.
5.
6.
7.
8.
Detailanalyse
Entwicklung des Sanierungskonzepts
Detaillierung der Maßnahmen
Implementierung des Sanierungskonzepts
Controlling der Sanierung
Sanierungsbedürftigkeit
Vorläufige Sanierungsfähigkeit/würdigkeit
Bestätigung der Sanierungsfähigkeit/ Entscheidung über Sanierungswürdigkeit
Abbildung 7: Phasen des Sanierungsprozesses Quelle: Kudla (2005), S. 95
Die einzelnen Phasen des Sanierungsprozesses werden nachfolgend erläutert. Phase 1: Krisenerkennung und Initiierung der Krisenbewältigung Zu Beginn der Krisenbewältigung muss die Krise zunächst erkannt werden. Dazu sollten sich die handelnden Personen, insbesondere das Management, klar werden über ihr Krisenverständnis. Dies ist deshalb notwendig, weil es bewusst oder meist unbewusst sowohl die Analyse- als auch die Handlungsvorgänge im Krisenmanagement prägt.248 Grundsätzlich gibt es dabei zwei gegensätzliche Einstellungen: -
Erhaltungsorientiertes Krisenverständnis: Die Krise wird als Bedrohung und Störung empfunden. Die Wahrnehmung der Krise erfolgt im negativen Sinne. Die Krisenbewältigungsmaßnahmen werden bewusst oder unbewusst auf Wiederherstellung des bisherigen Zustands ausgerichtet.
-
Neuerungsorientiertes Krisenverständnis: Die Krise wird von den Beteiligten als Wegbegleiter für Neuerungen, Umschaltphase oder Fluktuation in einem evolutionären Prozess betrachtet. Die
247 248
76
Vgl. Kudla (2005), S. 95 Vgl. Krummenacher (1981), S. 101
Krise wird positiv wahrgenommen. Das Ausrichten der eigenen Struktur auf die durch die Krise geschaffenen neuen Verhältnisse steht im Vordergrund.249 In der Praxis kann häufig das erhaltungsorientierte Krisenverständnis beobachtet werden. Viele Unternehmen setzen sich mit dem Thema Krise nicht auseinander, sondern versuchen, durch kurzfristige Maßnahmen aus der Krise zu kommen. Dabei sehen sie diese Maßnahmen nur als temporäre Maßnahmen, weil sie den ursprünglichen Zustand wieder herstellen wollen. So werden z. B. nicht die Abläufe in der Produktion analysiert und gegebenenfalls Optimierungen eingeleitet (welches häufig mit strukturellen Veränderungen einhergeht), um die Produktivität zu erhöhen und damit die Liquidität zu entlasten. Es werden dann z. B. die Lieferantenzahlungen verzögert beglichen, um die Liquidität zu schonen. Die Krise wird damit aber häufig nur verzögert und nicht verhindert. Das rechtzeitige Erkennen einer Krise wird auch dadurch erschwert, dass die Krisensymptome und die Intensität der Signale eng mit der Krisenart zusammenhängen.250 Strategische Krisen sind daher in der Regel schwieriger zu erkennen als Erfolgs- und Liquiditätskrisen.251 Dazu kommt, dass eine Vielzahl von Krisensymptomen auch verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zulässt. Selbst als objektiv geltende Krisensymptome (z. B. rückläufige Ertragslage, Umsätze, Deckungsbeiträge u. a.) können im Anfangsstadium der Krise für das Management noch keinen Anlass für sofortiges Handeln geben.252 Es können verschiedene Verfahren (z. B. Kennzahlensysteme) eingesetzt werden, um erste Hinweise für das Vorhandensein einer Unternehmenskrise zu erhalten. Kleine und mittlere Unternehmen haben solche Verfahren und Methoden aber häufig nicht im Einsatz.253 In der Praxis werden Krisen daher häufig erst in einem relativ späten Stadium erkannt.254 Die Banken und Kontrollorgane eines Unternehmens leiten überwiegend die Krisenbewältigung ein.255 Mit Beendigung dieser Phase 1 ist die Sanierungsbedürftigkeit des Unternehmens begründet.256 249
Vgl. Krummenacher (1981), S. 101 Vgl. Kudla (2005), S. 96 Vgl. Kall (1999), S. 73 252 Vgl. Böckenförde (1996), S. 53 253 Vgl. Kayser (1983), S. 417; Schröder/Schiffer (2001), S. 971 254 Vgl. Müller (1986), S. 321 255 Vgl. ebenda, S. 323 256 Vgl. Kudla (2005), S. 96 250 251
77
Phase 2: Grobanalyse Das Ziel der Grobanalyse ist es, zu Beginn eines Sanierungsprozesses möglichst schnell einen Überblick bzw. ein übersichtliches Bild von dem sich in einer Krise befindlichen Unternehmen zu erhalten.257 Grundsätzlich steht dafür nur relativ wenig Zeit zur Verfügung. Die Grobanalyse verfolgt nicht das Ziel, die Krisenursachen genauer zu diagnostizieren, sondern sie ist notwendig für eine Analyse der Krisensituation als solche. Dabei sollen die bisher aufgetretenen Auswirkungen der Krise, weitere potentielle Auswirkungen der Krise (wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden), die Ursachen der Krise, die vorrangigen Ziele der Krisenbewältigung sowie praktikable und erfolgversprechende Lösungsalternativen untersucht und dargestellt werden.258 Im Rahmen der Grobanalyse werden zunächst die Sanierungsfähigkeit und die Sanierungswürdigkeit analysiert.259 Die Ergebnisse der Grobanalyse bilden die Grundlage für die Abschätzung der „vorläufigen“ Sanierungsfähigkeit und –würdigkeit.260 Sollte ein Unternehmen nach der Durchführung von Sanierungsmaßnahmen nachhaltig höhere Einnahmen erzielen als es Ausgaben hat, ist es grundsätzlich sanierungsfähig. Dazu findet in der Regel ein Vergleich zwischen Fortführungs- und Liquidationswert statt.261 Die Sanierungsfähigkeit wird aufgrund von betriebswirtschaftlichen Kriterien und aus Sicht des Unternehmens beurteilt.262 Die Sanierungswürdigkeit dagegen ist von den subjektiven Interessenlagen und Risikoneigung der von einer Sanierung betroffenen Personengruppen abhängig.263 Daher kann auch eine Sanierung bei einem sanierungsfähigen Unternehmen abgelehnt werden.264 Als Alternativen zur Sanierung gibt es dann nur noch die freiwillige oder zwangsweise Liquidation.265 Insbesondere die verschiedenen Kapitalgeber haben in der Regel unterschiedliche Interessen. So kann z. B. ein Fremdkapitalgeber sich für eine Liquidation entscheiden, weil er über die Sicherheiten, auf die er Zugriff hat, sein Kreditengagement zumindest zum Teil wieder realisieren kann. Eigenkapitalgeber hingegen haben in der Regel wenig Interesse an einer Liquidation, weil für sie nach
257
Vgl. Böckenförde (1996), S. 56 Vgl. Müller (1986), S. 343ff.; Baur (1978), S. 100 f. Vgl. Böckenförde (1996), S. 57 260 Vgl. Kudla (2005), S. 96 261 Vgl. Braun/Uhlenbruck (1997), S. 248 f. 262 Vgl. Kudla (2005), S. 96 263 Vgl. Wegmann (1987), S. 1901 ff. 264 Vgl. Jozefowsky (1985), S. 35 f. 265 Vgl. Böckenförde (1996), S. 57 258 259
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der Bedienung der vorrangig besicherten (Fremd-)Kapitalgeber häufig nur noch wenig Liquidationserlöse zur Verfügung stehen.
Phase 3: Sofortmaßnahmen Mit den Erkenntnissen aus der zunächst durchgeführten Grobanalyse muss nun in einem weiteren Schritt entschieden werden, ob und welche Maßnahmen zur Krisenbewältigung eingeleitet und umgesetzt werden müssen oder ob ein Abwarten auf eine detailliertere Problemdiagnose möglich ist. Sollte jedoch bereits eine akute Bedrohung der Liquidität vorliegen oder eine drastische Verschlechterung der Ertragslage unmittelbar drohen, müssen Sofortmaßnahmen eingeleitet und umgesetzt werden.266 Der Einsatz von kurzfristig wirkenden Maßnahmen zur Krisenbewältigung ist dann notwendig. Dieser Einsatz beschränkt sich dabei nicht nur auf die Phase unmittelbar nach der Grobanalyse, sondern angefangen von der Grobanalyse über die Detailanalyse bis hin zum fertigen Sanierungskonzept ist er im gesamten Verlauf des Sanierungsprozesses notwendig.267 Sofortmaßnahmen müssen ohne größeren Planungsaufwand eingeleitet werden können.268 Sie müssen immer dann eingeleitet werden, wenn ein unverzügliches Handeln erforderlich ist und daher eine detaillierte Analyse der IST-Situation zeitlich nicht mehr möglich ist.269 Mit diesen Sofortmaßnahmen soll der Niedergang des Unternehmens gestoppt sowie das kurzfristige Überleben gesichert werden.270 Häufig sind die Sofortmaßnahmen durch ihre undifferenzierte Wirkungsweise gekennzeichnet. Wirkungsvoll können sie daher nur für eine begrenzte Zeit eingesetzt werden: In der Regel solange, bis die Maßnahmen, denen eine detaillierte Analyse zugrunde liegt, eingeleitet worden sind und erste Erfolge zeigen.271 Das Unternehmen sollte dann stabilisiert worden sein. Die Sofortmaßnahmen sollen darüber hinaus innerhalb des Unternehmens sichtbare Zeichen für den Ernst der Lage setzen.272 Die kurzfristig wirkenden Sofortmaßnahmen stehen häufig im Widerspruch zu den mittel- und langfristigen Zielsetzungen.273 Dies ist eine Gefahr, denn der Reiz der unmittelbar 266
Vgl. Müller (1986), S. 351 Vgl. Böckenförde (1996), S. 67 Vgl. Müller (1986), S. 351 269 Vgl. Böckenförde (1996), S. 67 270 Vgl. Bibeault (1982), S. 99 271 Vgl. Krummenacher (1981), S. 103f. 272 Vgl. Müller (1986), S. 351 273 Vgl. Bechtler (1986), S. 9 267 268
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sichtbaren Sofortmaßnahmen kann zu Handlungen führen, die nach Vorliegen der Detailanalyse das Unternehmen in der weiteren Entwicklungsperspektive beeinträchtigen oder auch die Handlungsmöglichkeiten für das Unternehmen einschränken können. Daher sollten auch die Sofortmaßnahmen Teil einer durchdachten Konzeption sein.274 Es ist nicht sinnvoll, auf Basis der Erkenntnisse aus der Grobanalyse, ausschließlich ultimative Maßnahmen einzuleiten.275 Die folgende Abbildung 8 zeigt eine Checkliste von MÜLLER für Sofortmaßnahmen auf der Einnahmen- oder der Ausgabenseite zur Stabilisierung der finanziellen Lage ohne Aufnahme zusätzlicher Bankkredite:276 •
Absatzbereich
•
- Werbeaktionen - Sonderverkaufsaktionen - Sondermodelle
- Stopp von Risikoprojekten - Terminstraffung
• •
Personalbereich - Einstellungsstopp - Kurzarbeit - Beförderungsstopp - Kürzung freiwilliger Sozialleistungen - Reduzierung von Aus- und Fortbildungsmaßnahmen
•
Fertigungsbereich
FuE/ Konstruktion
Finanzbereich - Verkauf von Grundstücken, Finanzbeteiligungen usw. - Leasing statt Kauf - Fortfaitierung (Verkauf von Forderungen) - Beschleunigung der Rechnungserstellung - Straffung des Mahnwesens - Ausnutzung von Zahlungszielen - Durchsetzung von Kundenanzahlungen und Abschlagszahlungen
- Investitionsstopp - Aufschiebung von Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten - Lagerabbau
Abbildung 8: Sofortmaßnahmen auf der Einnahmen- oder Ausgabenseite zur Stabilisierung der finanziellen Lage ohne Aufnahme zusätzlicher Bankkredite Quelle: Müller (1986), S. 353
Insbesondere das Finanzmanagement hat eine wichtige Funktion bei der Umsetzung der Sofortmaßnahmen. Es muss sich einen Überblick verschaffen, welchen Effekt die einzelnen Maßnahmen insbesondere auf die Liquidität haben. Hier tritt die situative Liquiditätssicherung zunächst in den Vordergrund. Das Finanzmanagement muss zentral die Einnahmen- und Ausgabenbereiche koordinieren und entsprechende Handlungsanweisungen den einzelnen Abteilungen geben. 274
Vgl. Böckenförde (1996), S. 68 Vgl. Räss (1993), S. 89 276 Vgl. Müller (1986), S. 353 275
80
Böckenförde umschreibt folgende Sofortmaßnahmen:277 -
finanzwirtschaftliche;
-
leistungswirtschaftliche;
-
soziale (z. B. Motivation der Mitarbeiter);
-
organisatorische;
-
informatorische.
Die finanzwirtschaftlichen Sofortmaßnahmen haben dabei die zentrale Funktion, die nötige Liquidität im gesamten Sanierungsprozess sicherzustellen.278 Bei den Maßnahmen zur Kostenreduktion ist eine Vollkostenbetrachtung notwendig.279 Die einzelnen Sofortmaßnahmen in einem Krisenbewältigungsprozess sind notwendig,280 a) um die Handlungsfähigkeit des Sanierungsmanagements im Sanierungsprozess zu gewährleisten; b) um die Zahlungsfähigkeit aufrechtzuerhalten und weitere Verluste zu vermeiden; c) um die Einhaltung von Unternehmensprinzipien und -leitlinien zu sichern; d) um die strukturellen und kulturellen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Sanierungsprozess zu schaffen. In dieser Phase der Krisenbewältigung (aufbauend auf die Grobanalyse und der vorläufigen Absicherung des Unternehmens durch Sofortmaßnahmen) ist auch die Strukturierung des Prozesses zur Krisenbewältigung notwendig. Aufgrund des frühen Stadiums dieser Phase im gesamten Krisenbewältigungs-Prozess kann die Strukturierung zunächst nur grob skizziert werden.281 Eine Zentralisation der Entscheidungsbefugnis ist in dieser frühen Phase der Krisenbewältigung sehr wichtig. Mit wenig Zeitverlust und mit wenig Koordinationsaufwand können erste Maßnahmen eingeleitet werden.282 Ein Mindestmaß an Systematik und Planung muss auch in die-
277
Vgl. Böckenförde (1996), S. 74ff. Vgl. Lüthy (1988), S. 88 279 Vgl. Böckenförde (1996), S. 72 280 Vgl. ebenda, S. 68 281 Vgl. Müller (1986), S. 351f. 282 Vgl. Röthig (1976), S. 18 278
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ser Phase gewährleistet sein. Mit zunehmender Dauer der Krisenbewältigung wird sie detaillierter beschrieben werden können. Die Verantwortlichen des Krisenmanagements müssen sich daher auf folgende Maßnahmen beschränken:283 -
Vorgabe wichtiger Ziele, die bei der Entwicklung des Sanierungskonzeptes zu berücksichtigen sind;
-
Auswahl bzw. Einschaltung weiterer wichtiger Träger des Krisenmanagements;
-
Bildung bzw. Einsetzung von Teams, Arbeitsgruppen, Task Forces usw.
Phase 4: Detailanalyse Die Sofortmaßnahmen konnten auf Basis der Grobanalyse eingeleitet und umgesetzt werden. Für die Erarbeitung eines Sanierungskonzeptes ist aber eine detailliertere Analyse der Unternehmenssituation notwendig.284 Dabei muss eine verlässliche Informationsbasis für alle weiteren Problemlösungsschritte erarbeitet werden.285 Durch die hohe Dynamik in einer Unternehmenskrise wird eine zu gründliche und damit meist sehr zeitintensive Informationsbeschaffung häufig von der Aktualität der Ereignisse/Ergebnisse überholt.286 Dazu muss die Kosten-/Nutzen-Relation beachtet werden: “Eine mit hinreichender Informationsgenauigkeit durchgeführte Analyse der Kernprobleme besitzt Vorrang vor einer 100%igen Analyse sämtlicher Detailaspekte.“287 In der Regel bringen die noch letzten 10 - 20 % der Zusatzinformationen nur noch einen geringen Zusatznutzen, der in keinem Verhältnis zum Aufwand steht. Es gilt die Regel: „So detailliert wie nötig“ und nicht „wie möglich“.288 Hierbei gilt das Phänomen der abnehmenden Ertragskurve. Eine Detailanalyse sollte daher insgesamt auch nicht länger als drei Monate in Anspruch nehmen.289 Die zusammengetragenen Informationen müssen einem konkreten Zweck dienen, um anschließend auch verwendet werden zu können bzw. müssen. Bei einer zu großen Anzahl von Informationen droht die Gefahr, dass sie nicht ausreichend im Sanierungskonzept 283
Vgl. Müller (1986), S. 352 Vgl. Böckenförde (1996), S. 79 285 Vgl. Müller (1986), S. 356 286 Vgl. Lüthy (1988), S. 99 287 Vgl. Müller (1986), S. 356 288 Vgl. Wildmann (1986), S. 211 289 Vgl. Berger (1988), S. 800 284
82
berücksichtigt werden. Zur strukturierten Erfassung der Informationen können auch Checklisten eingesetzt werden.290 Insgesamt müssen in einer umfangreichen Unternehmens- und Umweltanalyse sowohl die Stärken und Schwächen als auch die Chancen und Risiken detailliert analysiert werden.291 Dabei dürfen aber nicht isolierte Abläufe oder Bereiche analysiert werden. Das gesamte Unternehmen muss ohne politische Rücksichtnahme untersucht werden. Es müssen sowohl die eigenen Schwächen, aber auch, und das ist viel wichtiger, die eigenen Stärken herausgearbeitet werden.292 Für die Durchführung der Analysen können verschiedene Verfahren verwendet werden (z. B. Stärken-Schwächen-Analyse, Zero-Base-Budgeting, Bilanzanalyse, Netzplantechnik u. a.).293 Insgesamt bieten sie zwar einen strukturierten Rahmen. Für eine hohe Qualität der Detailanalyse bzw. Problemdiagnose ist aber letztlich die Qualität des Trägers des Krisenmanagements verantwortlich.294 Bevor nach Vorliegen der Ergebnisse aus der Detailanalyse ein Sanierungskonzept erstellt werden kann, muss ein Szenario entwickelt werden, welches die Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten in der Zukunft abgrenzt. Denn das Sanierungskonzept ist in die Zukunft gerichtet.295 Dabei wird es von den einzelnen möglichen Finanzierungspartnern nach unterschiedlichen, jeweils individuellen Maßstäben bewertet. Jeder Finanzierungspartner möchte seine Interessen besonders stark berücksichtigt sehen. Eine der wesentlichen Aufgaben des Finanzmanagement im Krisenfall ist die Koordinierung und Abstimmung der einzelnen Finanzierungspartner und ihrer Interessen, um eine entsprechende Finanzierungsbeteiligung von möglichst vielen Finanzierungspartnern zu erreichen.296 Phase 5: Entwicklung des Sanierungskonzeptes Auf Basis der im Rahmen der Grobanalyse festgelegten Sanierungsziele sowie auf Basis der Erkenntnisse aus der Detailanalyse wird das Sanierungskonzept entwickelt. Dazu ist kein völlig neuer Suchprozess nach Lösungsmöglichkeiten notwendig. Aufgrund des Zeitdrucks in der Unternehmenskrise orientiert man sich bei der Ent290
Vgl. Müller (1986), S. 360 Vgl. Gless (1996), S. 131 f. Vgl. Müller (1986), S. 359 293 Vgl. Gross (1991), S. 1574; Homburg/Demmler (1994), S. 1591 ff.; Müller (1986), S. 363; Böckenförde (1996), S. 81f. 294 Vgl. Müller (1986), S. 363 295 Vgl. Turnheim (1988), S. 83 296 Vgl. Kapitel 3.3. 291 292
83
wicklung des Sanierungskonzepts an den Erkenntnissen sowohl aus der Grobanalyse als auch aus der Detailanalyse.297 Nur wenn die Detailanalyse zu signifikant anderen Ergebnissen kommt als die zeitlich vorgelagerte Grobanalyse, sollte noch vor der Entwicklung des Sanierungskonzeptes eine erneute Zielformulierung erfolgen.298 Ziel des Sanierungskonzeptes ist nicht nur eine kurzfristige Beseitigung des Verlustes, sondern insbesondere auch eine mittel- bis langfristige Zukunftssicherung des Unternehmens.299 Die Erzielung von nachhaltigen Erträgen soll ermöglicht werden.300 Das Sanierungskonzept muss sich an Leitbildern orientieren, die ausgehend von Struktur- und Verhaltensprofil erfolgreich arbeitender Unternehmen vergleichbaren Typs, zukunftsorientiert entwickelt werden müssen.301 Dazu werden die Tätigkeitsfelder, in denen das Unternehmen zukünftig agieren will, sowie die Leistungen, Kundengruppen, Technologie und Verfahren festgelegt.302 Wenn das Management das Unternehmen weiterhin unverändert, ohne grundsätzliche Verbesserungs- und Anpassungsmaßnahmen leitet, kann dieses Verhalten früher oder später zum erneuten Scheitern des Unternehmens führen. Daher muss auch geprüft werden, ob eine weitere erfolgreiche Teilnahme am bisherigen Markt möglich ist, oder ob das Unternehmen komplett zu einem anderen Markt wechseln sollte.303 Ein Ausstieg aus einem Markt ist im hohen Maße von den Austrittsbarrieren abhängig.304 In der Praxis verfügen die meisten Krisenunternehmen aber nicht über die Möglichkeit, erfolgreich in einen anderen Markt zu wechseln. Sie müssen schon versuchen, im angestammten Geschäft zu überleben oder zu scheitern.305 Die Erkenntnisse aus der Detailanalyse über die eigenen Stärken und Schwächen führen zu der Frage, ob es zukünftig sinnvoller ist, die eigenen Stärken weiter auszubauen oder die eigenen Schwächen zu beseitigen und aus ihnen so wieder Wettbewerbsvorteile zu erreichen. Eine pauschale Beantwortung dieser Frage ist jedoch nicht möglich. Dazu ist eine fundierte Analyse des Geschäftssystems notwendig.306 Im Sanierungskonzept müssen die strategischen Erfolgspotentiale (Fähigkeiten, mit
297
Vgl. Baur (1978), S. 104 Vgl. Müller (1986), S. 371 Vgl. Schimke (1985), S. 29 300 Vgl. Böckenförde (1996), S. 84 301 Vgl. Schimke (1985), S. 31 302 Vgl. Böckenförde (1996), S. 86 303 Vgl. Müller (1986), S. 371 304 Vgl. Schwarzecker/Spandl (1996), S. 220 305 Vgl. Müller (1986), S. 378 306 Vgl. ebenda, S. 373 298 299
84
denen im Vergleich zum Wettbewerb langfristig überdurchschnittliche Renditen erzielt werden können) ebenso wie die Ziele und Richtlinien für die Produkt-MarktBereiche schriftlich fixiert werden.307 Dazu erfolgt in der Regel eine Reduktion der bisherigen Angebotspalette von Produkten oder Dienstleistungen. Dies führt zu einer Konzentration auf die erfolgreichen Angebote oder Dienstleistungen.308 Im Sanierungskonzept muss eine integrierte Business-Planung mit Plan-Bilanz, PlanGuV und Plan-Cashflowrechnung enthalten sein. Die einzelnen Maßnahmen werden hierin finanzwirtschaftlich abgebildet. Die Planung bildet die Basis für das spätere Controlling des Sanierungskonzeptes.309 Im Sanierungskonzept muss weiterhin ein Zeitplan enthalten sein. Es muss sichergestellt sein, dass die vorgesehenen Maßnahmen in dem geplanten Zeitraum realisiert werden können. Weiterhin muss in diesem Zeitraum die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens sichergestellt sein.310 Bei der Entwicklung des Sanierungskonzeptes muss ebenfalls überprüft werden, ob die für die Umsetzung des Sanierungskonzeptes notwendigen operativen Ressourcen (insbesondere Management und Finanzmittel) vorhanden sind.311 Die Aufgabe des Finanzmanagements ist es, die kurzfristige und die strukturelle Finanzierung zu erarbeiten. Es hat zu prüfen, ob dies mit dem Sanierungskonzept vereinbar ist. Dazu müssen auch die unterschiedlichen Interessengruppen bei dem Krisenunternehmen berücksichtigt werden. Somit muss das Sanierungskonzept verschiedenste Abhängigkeiten und Restriktionen in einem schlüssigen und in sich konsistenten Rahmen vereinigen. Häufig können als erfolgreich bewertete Sanierungskonzepte aufgrund der fehlenden Akzeptanz und der fehlenden Ressourcen zur erfolgreichen Implementierung nicht umgesetzt werden. Das Sanierungskonzept sollte auch Maßnahmen umfassen, deren Hauptwirkungen eher im psychologischen Bereich liegen. Besonders in einer Situation mit angespannter Liquidität können so die Mitarbeiter von der Notwendigkeit der Maßnahmen aus dem Sanierungskonzept besser überzeugt werden. Dazu gehören vermeintlich wirkungslose Sparmaßnahmen wie z. B. Reduzie-
307
Vgl. Böckenförde (1996), S. 86 Vgl. Krystek (1987), S. 235 309 Vgl. Harenberg/Wlecke (2004), S. 348 310 Vgl. Schimke (1985), S. 29 311 Vgl. Böckenförde (1996), S. 87 308
85
rung der Telefongespräche, Anzahl der Kopien, Dienstwagenbestand, Büromaterial usw.312 Vertrauensbildende Maßnahmen sind ein weiterer unverzichtbarer Bestandteil des Sanierungskonzeptes und bedürfen einer systematischen Planung. Dies gilt sowohl nach innen (Mitarbeiter und Betriebsrat) als auch nach außen (Kunden, Lieferanten, Öffentlichkeit).313 Auf Basis des Sanierungskonzeptes wird erneut die Sanierungswürdigkeit und die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens überprüft.314 Die Phasen 2 bis 5 sind fester Bestandteil der Sanierungsfähigkeitsprüfung. Nach Beendigung der Phase 5 wird bei erfolgter Bestätigung der Sanierungsfähigkeit über die Sanierungswürdigkeit entschieden.315 Dabei müssen die Interessen der beteiligten Institutionen und Personen berücksichtigt werden.316 Bei den Kapitalgebern kann es z. B. unterschiedliche Einschätzungen über die Sanierungswürdigkeit eines Krisenunternehmens geben. Diese sind sehr stark abhängig von den Interessen der einzelnen Kapitalgeber. Gut abgesicherte Fremdkapitalgeber, die für eine Sanierung weiteres Fremdkapitel mit nicht ausreichenden Sicherheiten zur Verfügung stellen sollen, könnten einer Sanierungswürdigkeit eines Krisenunternehmens kritischer gegenüber stehen als Eigenkapitalgeber, die eine Sanierung begleiten wollen, um ihr bisheriges Kapitalengagement sichern zu können. Die nachfolgende Abbildung 9 zeigt eine 4-Felder-Matrix mit den möglichen Kombinationen der Ergebnisse über die Prüfung der Sanierungsfähigkeit und Sanierungswürdigkeit eines Unternehmen:317
312
Vgl. Müller (1986), S. 378 Vgl. Müller (1986), S. 378 314 Vgl. Böckenförde (1996), S. 88 f. 315 Vgl. Kudla (2005), S. 99 316 Vgl. Horst (2000), S. 37 317 Vgl. ebenda, S. 37 313
86
Sanierungsfähigkeit nicht vorhanden
Sanierungsfähigkeit vorhanden
Sanierungswürdigkeit nicht gegeben
Liquidation
Ggf. Liquidation
Sanierungswürdigkeit gegeben
Ggf. Sanierung
Sanierung
Abbildung 9: Zusammenhang Sanierungsfähigkeit/-würdigkeit Quelle: Horst (2000), S. 37
Unternehmen, denen keine Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit bescheinigt wurde, werden liquidiert. Unternehmen mit einer Sanierungswürdigkeit und -fähigkeit werden saniert. In der vorstehenden Abbildung zeigen sich aber auch zwei nicht eindeutige Fälle, die in der Praxis häufig auftreten. Diese Unternehmen schwanken je nach Beurteilung der gesamten Situation und der Prüfung auf Sanierungsfähigkeit und -würdigkeit zwischen Liquidation und Sanierung. Beispielhaft sei hier genannt, dass Unternehmen mit negativem Sanierungsfähigkeitsbescheid dennoch saniert werden, wenn z. B. übergeordnete Interessen (z. B. öffentliche Strukturpolitik mit Fördermitteln) eine Sanierungswürdigkeit begründen.318 Phase 6: Detaillierung der Maßnahmen Nachdem das Sanierungskonzept grundsätzlich verabschiedet worden ist, müssen nun detailliertere Aufgabenstellungen und Verantwortlichkeiten ausgearbeitet werden. Dazu müssen zunächst Zwischenziele formuliert werden, die kritische Abschnitte des Sanierungskonzeptes markieren („milestones“). Außerdem muss die Umsetzung des Sanierungskonzeptes in detailliertere Aktionsprogramme erfolgen.319 Damit wird die Zuordnung der Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Termine umgesetzt.320
318
Vgl. Horst (2000), S. 37 Vgl. Müller (1986), S. 396 320 Vgl. Böckenförde (1996), S. 90 ff. 319
87
Phase 7: Implementierung des Sanierungskonzeptes Nach Ausarbeitung der detaillierten Maßnahmen zur Bewältigung der Unternehmenskrise erfolgt nun die Implementierung des Sanierungskonzeptes. Dabei wird das Sanierungskonzept häufig stufenweise implementiert und beginnt mit einer Konsolidierungsphase.321 Die Implementierung des Sanierungskonzeptes ist eine komplexe Aufgabe. Dazu herrschen in der Regel begrenzte finanzielle Ressourcen vor. Die erfolgreiche Umsetzung dieses Sanierungskonzeptes hängt sehr stark von den beteiligten Personen oder Personengruppen ab.322 Dabei treten unterschiedliche Probleme auf. Dies können einerseits Fähigkeitsbarrieren (z. B. mangelnde Qualifikation) und organisatorisch-technische Barrieren (z. B. keine klaren Zuständigkeiten) sein.323 Diese Barrieren zu überwinden, ist ein betriebswirtschaftliches Problem. Andererseits können auch noch Motivationsbarrieren auftreten (Mitarbeiter tragen die Umsetzung des Sanierungskonzeptes nicht mit). Häufig treten auch Widerstände bei den Mitarbeitern auf.324 Somit hängt die Überwindung der Krise sowohl von der betriebswirtschaftlichen Qualität der geplanten Maßnahmen ab als auch von deren Durchsetzbarkeit und Akzeptanz bei den Unternehmensmitarbeitern.325 Der Erfolg benötigt daher auch die volle Unterstützung des Top-Managements .326 Es muss das Sanierungskonzept überzeugend vorleben.327 Durch eine offene Kommunikation und ein frühzeitiges Einbinden der Mitarbeiter in die Maßnahmen des Sanierungskonzeptes können Akzeptanz- und Durchsetzungsprobleme reduziert werden.328 Phase 8: Controlling der Sanierung Im Rahmen des reaktiven Krisenmanagements ist eine Fortschrittskontrolle sehr wichtig. Je nach Wirkung der eingeleiteten Maßnahmen zur Krisenbewältigung müssen einige noch verstärkt, andere vielleicht abgeschwächt werden.329 Grundsätzlich gilt eine Unternehmenskrise erst dann als überwunden, wenn sich die Gesamtlage des Unternehmens grundlegend gefestigt hat.330 Dazu müssen die Ursachen der Kri-
321
Vgl. Bibeault (1982), S. 251 Vgl. Krummenacher (1981), S. 60 Vgl. Grochla (1982), S. 54 f. 324 Vgl. Müller (1986), S. 405 325 Vgl. Zempelin (1979), S. 55 326 Vgl. Kudla (2005), S. 99 327 Vgl. Blatz/Mohr (2004), S. 535 328 Vgl. Müller (1986), S. 405 329 Vgl. Krummenacher (1981), S. 126 330 Vgl. Bibeault (1982), S. 107 ff. 322 323
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se nachhaltig beseitigt, die notwendige Ertragskraft wieder hergestellt sowie eine entsprechende Marktposition erreicht worden sein.331 Dieses dauert in der Regel rd. 3 5 Jahre.332 Daher muss der Fortschritt der Sanierung laufend überwacht werden, insbesondere die Höhe der verfügbaren Liquidität. Für dieses „Sanierungscontrolling“ gelten grundsätzlich die gleichen Prämissen wie beim regulären Controlling.333 Ein Sanierungskonzept lässt sich in der Regel nicht zu 100 % planmäßig realisieren. Dann sind Modifikationen bzw. Nachbesserungen des ursprünglichen Plans notwendig.334 Diese Nachbesserungen des ursprünglichen Plans stellen in sich geschlossene Problemlösungszyklen mit erneuten Analyse-, Entscheidungs- und Realisierungsaktivitäten dar.335 Das Sanierungscontrolling ist sehr wichtig, weil bei der Bewältigung einer Unternehmenskrise das Nichterkennen bzw. das Nichtagieren auf kleinste Veränderungen gravierende Auswirkungen haben kann, in der Regel für die in dieser Phase bereits angespannte Liquidität. Wobei aber nicht nur negative Abweichungen, sondern auch positive Abweichungen als Chancen für die Sanierung erkannt und genutzt werden müssen.336 Die Abweichungen werden in einer laufenden Soll-IstAnalyse leicht deutlich. Die in der Implementierungsphase festgelegten Zwischenziele müssen laufend überwacht werden. Dies kann monatlich, wöchentlich oder sogar tageweise (z. B. Stand der Liquidität) erfolgen. Für diese Überwachungsfunktion ist ein entsprechendes Informationssystem notwendig. Dabei darf das Krisenmanagement beim Bewerten der ermittelten Ergebnisse nicht den Grundsatz der repräsentativen Datenerfassung vernachlässigen. Sonst droht die Gefahr, dass tendenziell zu früh allfällige Korrekturmaßnahmen eingeleitet werden.337 Neben der kurzfristigen Perspektive muss auch die mittel- bis langfristige Sicht berücksichtigt werden. Festgestellte Zielabweichungen sind meist zurückzuführen auf:338 -
Mängel bei der Planung;
-
zwischenzeitlich veränderte Umweltbedingungen;
-
unvorhergesehene interne Widerstände.
331
Vgl. Müller (1986), S. 407 Vgl. Böckenförde (1996), S. 97 Vgl. Müller (1986), S. 407 334 Vgl. Böckenförde (1996), S. 97 335 Vgl. Müller (1986), S. 407 336 Vgl. Böckenförde (1996), S. 97 f. 337 Vgl. Krummenacher (1981), S. 127 338 Vgl. Müller (1986), S. 407 332 333
89
Eine Krise kann sich auch aufgrund unerwarteter zwischenzeitlicher Veränderungen quasi von selbst bereinigen (z. B. aufgrund allgemeiner Konjunkturbelebung, Marktaustritt von Wettbewerbern u. a.).339 Diese Art der Selbstheilung darf jedoch nicht dazu führen, den eigenen Krisenbewältigungsprozess abzubrechen. Es muss eine nachhaltige Sanierung erreicht werden. Diese Arbeit untersucht die Möglichkeiten der Kapitalzufuhr bei Krisenunternehmen. Es wird unterstellt, dass bei den Krisenunternehmen eine grundsätzliche Sanierungsfähigkeit gegeben ist. Die Analyse der unterschiedlichen Arten der Kapitalzufuhr berücksichtigt auch die unterschiedlichen Einschätzungen der Kapitalgeber bzw. Stakeholder über die Sanierungswürdigkeit. Die einzelnen Träger des Krisenmanagements sowie deren Interessen werden im folgenden Abschnitt dargestellt.
3.2.2.2. Träger des Krisenmanagements (institutionelles Element) Die Träger des Krisenmanagements sind die Personen oder Personengruppen, die an der Konzipierung und Durchführung der Maßnahmen zur Krisenbewältigung beteiligt werden sollen bzw. befugt sind.340 In der Praxis zeigen sich sehr unterschiedliche Konstellationen für ein Krisenmanagement. Es gibt die Bandbreite von nur einem Träger bis zur Kombination mehrerer Träger. Die nachfolgende Abbildung 10 zeigt die möglichen Träger des Krisenmanagements:341
339
Vgl. ebenda, S. 408 Vgl. Müller (1986), S. 424 341 in Anlehnung an Böckenförde (1996), S. 103 340
90
Träger Unternehmensinterne
TopManagement
Aufsichtsund Kontrollorgan
Mittleres und unteres Management
Unternehmensexterne
Banken
Berater
Krisenmanager
Insolvenzverwalter
Dritte/ Externe Investoren
Abbildung 10: Träger des Sanierungsmanagements Quelle: eigene Darstellung (in Anlehnung an Böckenförde (1996), S. 103)
Die in der vorstehenden Abbildung dargestellten Träger des Krisenmanagements werden nachfolgend erläutert. Top-Management Die einzelnen Gruppen leisten für die verschiedenen Phasen der Krisenbewältigung je nach ihrer Interessenlage unterschiedliche Beiträge. Zunächst muss daher der dominante Träger des Krisenmanagements bestimmt werden. Dieses sind die Personen oder Gruppen, die die treibende Kraft bei der Konzeptionierung und Durchsetzung der Maßnahmen zur Krisenbewältigung bilden. Diese treibende Kraft stellt somit die faktische Führung des Unternehmens für die Dauer der Krisenbewältigung.342 Werden die Maßnahmen zur Krisenbewältigung ursächlich von der Unternehmensführung eingeleitet und zeigen diese erste Erfolge, wird die Unternehmensführung als dominanter Träger von den unternehmensexternen Trägern anerkannt. Zeigt die Unternehmensführung jedoch keine Initiative, werden häufig die Hausbank oder das Aufsichts- und Kontrollorgan dominanter Träger.343 Sehr häufig wird aber die Unternehmensführung/das Top-Managementteam zum dominanten Träger. Es verfügt über eine hierarchisch legitimierte Machtposition und 342 343
Vgl. Müller (1986), S. 425 Vgl. ebenda, S. 425
91
somit über die oberste Entscheidungskompetenz im Unternehmen.344 Weiterhin verfügt das Top-Management über einen umfassenden Überblick über die einzelnen betrieblichen Teilbereiche und ihre Beziehungen zueinander. Außerdem hat es Kontakte zu allen betrieblichen Interessengruppen.345 In einem kleinen und mittleren Unternehmen ist der dominante Träger des Krisenmanagements in der Regel das TopManagement.346 Die Besetzung des Top-Managements ist ganz entscheidend und hat direkte Auswirkungen auf den Inhalt des Konzeptes zur Krisenbewältigung und seine schnelle, konsistente Umsetzung.347 Insbesondere muss auch das Finanzmanagement im Top-Management vertreten sein. Die weiteren Träger des Krisenmanagements unterstützen den dominanten Träger, der häufig nicht alle im Zuge der Krisenbewältigung anfallenden Entscheidungen allein treffen kann.348 Ob ein Wechsel im bisherigen Top-Management erforderlich ist, kann nicht allgemein gültig beantwortet werden. Wichtig für eine erfolgreiche Krisenbewältigung ist jedoch ein fähiges Krisenmanagement, welches durch entsprechende Maßnahmen das Unternehmen aus der Krise führen kann.349 Führungskräfte mit Potentialdefiziten sollten jedoch ausgewechselt werden, um die ohnehin schon risikobehaftete Sanierung nicht noch weiter zu gefährden.350 Aufsichts- und Kontrollorgane Aufsichtsorgane gibt es je nach Rechtsform des Unternehmens in der Form eines Aufsichtsrats oder eines Beirats. Als mögliche Träger des Krisenmanagements kommen sie aus der Unternehmensinwelt.351 Beide haben kein direktes Weisungsrecht gegenüber dem Top-Management. Neben der gesetzlichen oder satzungsmäßigen Kontrolle und Überwachung des Top-Managements nehmen sie häufig wichtige Funktionen der Unternehmensberatung wahr.352 Aufsichts- bzw. Beiräte können aber häufig aufgrund von Mängeln in ihrer personellen Zusammensetzung, in der
344
Vgl. Böckenförde (1996), S. 103 Vgl. Müller (1986), S. 431 Vgl. Clasen (1992), S. 125 347 Vgl. Horst (2000), S. 43; Krystek (1987), S. 277 f.; Gless (1996), S. 141 f. 348 Vgl. Müller (1986), S. 428 349 Vgl. Böckenförde (1996), S. 105 350 Vgl. ebenda, S. 106 351 Vgl. Clasen (1992), S. 125 352 Vgl. Böckenförde (1996), S. 106 345 346
92
Qualifikation ihrer Mitglieder sowie in ihrer Arbeitsweise nicht ihre Überwachungsund Beratungsfunktion im Krisenfall wirksam erfüllen.353 Mittleres und unteres Management Unter dem mittleren und unteren Management versteht man die Führungskräfte auf den mittleren und unteren Hierarchieebenen des Unternehmens. Sie sollten unbedingt in den Prozess der Krisenbewältigung einbezogen werden. Neben dem Nutzen des vorhandenen Wissenspotentials über die operativen Maßnahmen kann so auch die Akzeptanz gegenüber den einzelnen Maßnahmen zur Krisenbewältigung erhöht werden.354 Vor allem das Middle-Management und die Mitarbeiter mit direktem Kundenkontakt spüren Fehlentwicklungen sowie wachsende Wettbewerbsnachteile des Unternehmens in der Regel sehr viel früher als das Top-Management. Deshalb sind die eigenen Mitarbeiter, neben den Kunden, in der Regel für die Bewältigung einer Unternehmenskrise die ergiebigste Informationsquelle.355 Die typischen Eigenschaften dieser Gruppe von Trägern des Krisenmanagements sind:356 -
detaillierte Kenntnis der teilbereichs- und abteilungsspezifischen Probleme;
-
ausreichendes Maß an Autorität vorhanden;
-
Beherrschung von Methoden und Techniken zur Analyse von komplexen Problemstellungen, zur Generierung und Auswahl von Lösungsalternativen sowie zur Steuerung des Vorgehens bei der Einführung der ausgewählten Maßnahmen;
-
detaillierte Kenntnisse über die Problemstellungen auf Stellen- und Arbeitsplatzebene.
Jedoch muss berücksichtigt werden, dass vielfach eine Objektivität der betroffenen Personen nicht gegeben ist sowie nicht immer die strategischen und überbetrieblichen Zusammenhänge der Krisenbewältigung erkannt werden. Die Aufgabenbereiche des Middle- und Lower-Managements bei der Krisenbewältigung sind die Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen und Mitwirkung bei der Erarbeitung der genau-
353
Vgl. Müller (1986), S. 436 Vgl. Böckenförde (1996), S. 109 355 Vgl. Müller (1986), S. 471 356 Vgl. ebenda, S. 471 f. 354
93
en Problemdiagnose, Entwicklung und Detaillierung der Sanierungsmaßnahmen sowie die Kontrolle der Wirksamkeit der Maßnahmen.357 Banken Die Banken haben in ihrer Funktion als Kreditgeber entscheidenden Einfluss auf die Krisenbewältigung.358 Sie erhalten in Abhängigkeit ihres aktuellen und zukünftigen Engagements bzw. Risikos zusätzliche Informations- und Einwirkungsrechte.359 Dabei sind die Banken zunehmend bereit, aktiv und maßgeblich bei der Bewältigung der Unternehmenskrise mitzuwirken.360 Sie versuchen häufig, die entstandenen Verluste durch zukünftige Gewinne der Krisenunternehmen wieder auszugleichen, anstatt sie komplett abzuschreiben.361 Grundsätzlich besitzen die Hausbanken eine Schlüsselstellung bei der Krisenbewältigung.362 Dabei befinden sie sich grundsätzlich in einem Spannungsfeld von Haftungsfragen zwischen:363 -
der Gefahr, erst durch Kündigung ihrer Kredite den Zusammenbruch des Unternehmens herbeizuführen;
-
dem Problem, die Existenz von Unternehmen, die nicht mehr marktfähig sind, künstlich zu verlängern.
Bei Sanierungskrediten droht den Banken unter bestimmten Bedingungen auch die Gefahr, wider Willen zum Miteigentümer insolventer Unternehmen zu werden und somit gegenüber den anderen Gläubigern zu haften. Die Banken bedienen grundsätzlich drei Arten der Bereitstellung neuer Finanzmittel in einer Unternehmerkrise:364 -
Aufrechterhaltung der Zahlungsfähigkeit mittels entsprechender kurzfristiger Überbrückungskredite (bei Liquiditätskrisen);
-
die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit durch Gewährung neuer Kredite in Verbindung mit Stillhalteabkommen oder anderen Maßnahmen;
-
die Zuführung größerer Beträge zur Finanzierung von Maßnahmen zur Strukturbereinigung.
357
Vgl. Müller (1986), S. 472 Vgl. Räss (1993), S. 83 ff. Vgl. Steiner (1994), S. 237 360 Vgl. Müller (1986), S. 439 361 Vgl. Zimmerer (1984), S. 1 362 Vgl. Böckenförde (1996), S. 111 363 Vgl. Hopt (1984), S. 753 364 Vgl. Müller (1986), S. 442 358 359
94
Die Banken verfügen über ein hohes Fachwissen in allen zusammenhängenden Finanzierungsangelegenheiten. Durch ihre zahlreichen Industrieengagements verfügen sie in der Regel über gute Marktkenntnisse. Dazu kommt, dass viele Banken eigenständige Restrukturierungsabteilungen gegründet haben.365 Diese Spezialabteilungen verfügen über Know-how und praktische Erfahrungen bei den erfolgreichen Abwicklungen von Unternehmenssanierungen. Zum Teil sind die Führungskräfte von Banken als Berater tätig, wobei sie sich vor allem auf Unternehmen mit Erfolgs- und Liquiditätskrisen beschränken. Eine Bank sollte zwar unternehmerische Impulse geben, jedoch nicht direkt oder indirekt die Führung eines zu sanierenden Unternehmens übernehmen.366 Die konkrete Ausarbeitung eines Sanierungskonzeptes sowie dessen Durchführung sollte sie dann externen Beratern oder dem Top-Management überlassen.367 Aufgrund des hohen Risikos werden sich Banken bei Unternehmenskrisen in der Regel nur dann engagieren, wenn – Vertrauen in das Sanierungsmanagement gewonnen werden kann; – ein überzeugendes Sanierungskonzept vorliegt; – nach Möglichkeit noch ausreichende dringliche Sicherheiten vorhanden sind.368 Die vorliegende Arbeit untersucht schwerpunktmäßig Unternehmen, die aufgrund ihrer Krisensituation eine Fremdkapitalzufuhr durch ihre Hausbank erhalten haben. Die Fremdkapitalzufuhr war aber aufgrund des erhöhten Risikos für die Hausbank durch eine Ausfallbürgschaft (z. B. Landesbürgschaft) hinterlegt. Berater Der Großteil der Unternehmenskrisen ist auf Managementfehler zurückzuführen. Sollte bei einer Krisenbewältigung ein Defizit an qualifiziertem Managementwissen und an ausreichenden Managementkapazitäten auftreten, werden häufig professionelle Berater eingesetzt.369 Dabei werden die externen Berater unterschieden zwischen den klassischen Unternehmensberatern mit einem breiten Beratungsangebot 365
Vgl. Frehner/Schlatter (1990), S. 231 Vgl. Böckenförde (1996), S. 112 367 Vgl. Müller (1986), S. 447 368 Vgl. Schaaf/Schimke (1985), S. 41 369 Vgl. Simon (1980), S. 297 ff. 366
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und die Gruppe der Spezialberatung. Der externe Berater verfügt in der Regel über eine weitergehende Interessenunabhängigkeit und einer entsprechend hohen Objektivität.370 Die grundsätzlichen Aufgaben, die externe Berater im Rahmen einer Unternehmenskrise übernehmen bzw. bei deren Bewältigung sie mithelfen können, sind:371 -
Beschaffung von Informationen für den Klienten;
-
Erkennen der Probleme des Klienten;
-
Erstellen einer Diagnose, die eine Neudefinition des Problems erfordern kann;
-
auf der Diagnose basierende Empfehlungen;
-
wirkungsvolle Unterstützung der Ausführung einer empfohlenen Lösung;
-
Erarbeiten eines Konsens und Festlegung von Kurskorrekturen;
-
Förderung der Lernfähigkeit des Klienten;
-
Nachhaltige Verbesserung der Unternehmenseffizienz.
Dabei kann der Berater unterschiedlich umfangreich in die operative Führung des Krisenunternehmens eingebunden werden – bis dahin, dass er der dominante Träger des Krisenmanagements wird.372 Kritisch wird dem Einsatz eines externen Beraters entgegengehalten, dass dieser sich immer erst in die jeweiligen branchenspezifischen und betrieblichen Gegebenheiten einarbeiten muss.373 Weiterhin können auch psychologische Hemmnisse auftreten. Dies tritt besonders dann auf, wenn der Berater nicht von den entscheidenden Personen der Krisenbewältigung akzeptiert wird (z. B. kann dann das vom Berater erarbeitete Sanierungskonzept bei der Implementierung behindert werden).374 Die Mehrzahl der externen Berater konzentriert sich auf die Beratung von Unternehmen in Strategiekrisen und in Erfolgskrisen, weniger auf Unternehmen in Liquiditätskrisen. Dadurch bleibt den Beratern mehr Zeit für ihre Tätigkeit.375 Der Schwerpunkt ihrer Mitwirkung liegt bei der Erarbeitung des Sanierungskonzeptes. 376
370
Vgl. Böckenförde (1996), S 113 Vgl. Turner (1983), S. 41 372 Vgl. Böckenförde (1996), S. 114 373 Vgl. Höhn (1974), S. 67 374 Vgl. Müller (1986), S. 454 375 Vgl. Müller (1986), S. 454 376 Vgl. Gellert (1985), S. 143 371
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Krisenmanager Krisenmanager sind ehemalige Führungskräfte, die als selbständige Berater bereits mehrere Unternehmen aus Krisensituationen herausgeführt haben. Sie werden vor allem bei Erfolgs- und Liquiditätskrisen tätig und erhalten in der Regel die notwendigen umfassenden Vollmachten und Befugnisse, um Entscheidungen treffen zu können. Der Krisenmanager kann in der Regel recht neutral die Ist-Situation analysieren. Bei den Entscheidungsträgern, die ihn beauftragt haben, genießt er eine hohe Akzeptanz und einen Vertrauensvorsprung.377 Nach erfolgreicher Bewältigung der Unternehmenskrise verlässt der Krisenmanager das Unternehmen und wendet sich einem neuen Krisenfall zu.378 Eine Weiterführung des Unternehmens nach überstandener Unternehmenskrise ist meist schon aus psychologischen Gründen nicht zu empfehlen. Der Krisenmanager hat in der Regel viele unpopuläre Maßnahmen zur Beseitigung der Unternehmenskrise veranlasst.379 Das Verhältnis zu den betroffenen Personen ist daher häufig sehr angespannt. Zudem verfügen die Krisenmanager über sehr umfangreiche Rechte, was schließlich in der Regel nach einer gewissen Zeit auch zu Spannungen mit den Entscheidungsträgern, die ihn ursprünglich zur Krisenbewältigung beauftragt haben, führt.380 Für eine Vertiefung über diesen Träger der Krisenbewältigung wird auf die relevante Literatur verwiesen, da dieser Themenbereich kein Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit ist.381 Insolvenzverwalter Bei einer deutlichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage können bei einem Unternehmen die Voraussetzungen vorliegen, Insolvenzantrag zu stellen. Dabei kann dies vorausschauend durch die Geschäftsführung erfolgen (freiwillig). Liegt jedoch die Zahlungsunfähigkeit vor, ist die zwingende Insolvenzantragstellung gesetzlich geregelt.382 Nach Entgegennahme des Insolvenzantrages wird zunächst vom zuständigen Amtsgericht ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt. Im weiteren Verfahren wird dann ein ordentlicher Insolvenzverwalter ernannt. Der Insolvenzverwalter erhält das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über das gesamte zur Insolvenzmasse 377
Vgl. Kienbaum/Jochmann (1985), S. 107 Vgl. Becker (1978), S. 679 379 Vgl. Böckenförde (1996), S. 118 380 Vgl. Baur (1978), S. 76 f. 381 Vgl. Baur (1978), S. 91 – 124; Lüthy (1988), S. 124 ff.; Kienbaum/Jochmann (1985), S. 100 ff.; Müller (1986), S. 460 ff.; Böckenförde (1996), S. 117 ff. 382 Vgl. InsO, § 17 378
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gehörende Vermögen des insolventen Unternehmens. Er tritt automatisch an die Spitze der Unternehmensführung. Die Hauptaufgabe des Insolvenzverwalters besteht darin, den Gläubigern eine größtmögliche Insolvenzmasse zu erhalten bzw. zu erwirtschaften und diese an die Gläubiger zu verteilen. Dabei kann er das Unternehmen entweder sofort verwerten/verkaufen oder aber bei entsprechender positiver Prognose und vorliegenden Rahmenbedingungen das Unternehmen fortführen.383 Dies geschieht insbesondere dann, wenn durch die Fortführung eine Erhöhung der Insolvenzmasse ermöglicht werden kann. Der Einsatz eines Insolvenzverwalters stellt für das Unternehmen häufig die letzte Chance dar, den endgültigen Zusammenbruch zu verhindern und dadurch Arbeitsplätze zu erhalten. Der volkswirtschaftliche Schaden durch Insolvenzen soll dadurch möglichst gering gehalten werden.384 Auch bei diesem Themenbereich wird für eine Vertiefung auf die entsprechende Literatur verwiesen, da dieser Themenbereich kein Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit ist.385 Dritte/Externe Investoren Die Investoren, die die Krisenunternehmen überwiegend mit einer Zufuhr von Eigenkapital aus der Krise herauszuführen helfen, wurden bereits im Kapitel 2.2.2. erläutert. An dieser Stelle werden sie aber der Vollständigkeit halber zur Übersicht der Träger einer Krisenbewältigung genannt. Bei den externen Investoren werden zwei Gruppen unterschieden: strategische Investoren und Finanzinvestoren.386 Während die strategischen Investoren dem Krisenunternehmen aus strategischen Gründen (z. B. Zugang zu neuen Märkten/Technologien erhalten, Synergieeffekte haben, Erweiterung der Produktpalette u. a.) Kapital zur Überwindung der Unternehmenskrise zur Verfügung stellen, machen dies die Finanzinvestoren aus rein finanzieller Sicht.387 Sie werden in aktive und passive Finanzinvestoren unterschieden und stellen kurz- bis mittelfristig Risikokapital mit der Erwartung der entsprechenden Wertschöpfung zur Verfügung.388
383
Vgl. Müller (1986), S. 463 Vgl. ebenda, S. 462 385 Vgl. InsO § 56 ff.; Müller (1986), S. 462ff.; Böckenförde (1996), S. 119ff. 386 Vgl. Kudla (2005), S. 134; Kapitel 3.2.2.3. 387 Vgl. Kudla (2005), S. 101 388 Vgl. Kraft (2001), S. 79 f. 384
98
Die von den Kapitalgebern geforderten und dann bewilligten Rechte sind vor allem von dem finanziellen Engagement sowie vom einzugehenden Risiko abhängig.389 Die nachfolgende Abbildung 11 zeigt noch einmal als Zusammenfassung der bisherigen Ausführungen eine Übersicht der an einer Bewältigung einer Unternehmenskrise Beteiligten sowie ihre Interessen:390
Interessen Beteiligte Gesellschafter Unternehmensleitung
Finanzwirtschaftliche Interessen •Rettung von Eigenkapital •Anlage finanzieller Mittel u. Ausschüttungsaussichten •Erhalt der Einkommensquelle •Rettung von Eigenkapital, falls Beteiligung besteht
Strategische u. leistungswirtschaftliche Interessen •Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen •Einfluss auf den Sanierungsprozess •Erhalt der unternehmerischen Selbstbestimmung •Erhalt von Führungspositionen •Vermeidung von Prestigeverlust •Erhalt der unternehmerischen Selbstbestimmung •Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen •Vermeidung von Prestigeverlust/ Sekundärinsolv. •Einfluss auf den Sanierungsprozess
Kreditgläubiger
•Rettung von Forderungen •Erhalt der Absatzquelle
Lieferantengläubiger
•Rettung von Forderungen •Erhalt der Absatzquelle
•Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen •Wahrung von Synergiepotentialen
Arbeitnehmer
•Erhalt der Einkommensquelle
•Erhalt des Arbeitsplatzes/ der persönlichen Existenz
Kunden
•Erhalt der Bezugsquelle
•Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen •Wahrung von Synergiepotentialen
Staat
•Erhaltung als Steuersubjekt •Rettung von Steuerforderungen •Ersparnis von sozialen Aufwendungen
•Förderung von Beschäftigung regionaler Wirtschaftsstruktur und volkswirtschaftlicher Schlüsselproduktion
•Anlage finanzieller Mittel u. Ausschüttungsaussichten •Günstiger Erwerb/Rendite durch Wertsteigerung •Anlage finanz. Mittel u. Ausschüttungsaussichten •Günstiger Erwerb/ Rendite durch Veräußerung nach erfolgter Wertsteigerung
•Horizontale/vertikale Integration, Zugang zu neuen Märkten/ Abnehmern/ Technol., Synergien •Bekleidung von Führungspositionen/ Prestige
Externe Investoren Strategische Investoren Finanzinvestoren
•Einfluss auf den Sanierungsprozess
Abbildung 11: Sanierungsbeteiligte und ihre jeweiligen Interessen Quelle: Kudla (2005), S. 101
3.2.2.3. Maßnahmen zur Krisenbewältigung (inhaltliches Element) Bei den Maßnahmen zur Krisenbewältigung wird in der Literatur zwischen strategischen und operativen Maßnahmen unterschieden.391 Die strategischen Maßnahmen sollen die langfristigen Erfolgspotentiale wiederherstellen bzw. sichern. Die operativen Maßnahmen stellen dagegen mehr auf die kurz- und mittelfristigen Erfolgs- und Liquiditätsziele ab.392 389
Vgl. Gless (1996), S. 61 Vgl. Kudla (2005), S. 101 391 Vgl. Zwick (1992), S. 104 ff. 392 Vgl. Kudla (2005), S. 103 390
99
Strategische Maßnahmen Bei den strategischen Maßnahmen sind zwar grundsätzlich die Instrumente der strategischen Planung anzuwenden, jedoch unter Berücksichtigung der knappen, insbesondere finanziellen Ressourcen im Rahmen der Krisenbewältigung.393 In der strategischen Planung wird zwischen Unternehmensstrategien (zukünftige Produkte und Märkte) und Geschäftsfeldstrategien (Form der Marktbearbeitung und Verhalten gegenüber den Wettbewerbern) unterschieden.394 Maßnahmen im Bereich der Unternehmensstrategie sind z. B. die Liquidation oder Veräußerung von bestehenden Geschäftsfeldern, das Halten oder der Ausbau von bestehenden Geschäftsfeldern, der Aufbau oder Erwerb neuer Geschäftsfelder. Maßnahmen im Bereich der Geschäftsfeldstrategie sind produktbezogene Maßnahmen (z. B. Produktbereinigung), kundenbezogene Maßnahmen (z. B. Aufgabe von Kundengruppen) und regionenbezogene Maßnahmen (z. B. nationale Gebietskonzentration).
395
Insbesondere der Verkauf von einem verlustträchtigen Bereich kann
einen wichtigen Beitrag für eine Krisenbewältigung leisten. Häufig stehen dafür aber nicht genügend Zeit bzw. liquide Mittel zur Verfügung, um einen solchen Verkauf erfolgreich durchführen zu können. Den möglichen Käufern ist die angespannte Situation des Verkäufers eines Unternehmensbereiches häufig bekannt, so dass dieser dann nur wenig Erlöse erzielen kann bzw. vielleicht sogar dem Käufer noch finanzielle Mittel als Übernahmeanreiz für den verlustträchtigen Bereich geben muss. Der Verkauf von erfolgreichen Unternehmensbereichen ist für das Krisenunternehmen insbesondere für die zukünftige Ausrichtung problematisch. Zwar könnte es sehr wahrscheinlich für den Verkauf entsprechende Erlöse und damit Beiträge für eine Krisenbewältigung erzielen, jedoch fehlt für die zukünftige Ausrichtung dieser erfolgreiche Bereich. Um die langfristige Sicherung am Markt nicht zu gefährden, ist ein Verkauf von einem erfolgreichen Unternehmensbereich nur sinnvoll, wenn eine entsprechende (auch erfolgversprechende) strategische Neuausrichtung des Unternehmens vorliegt.
393
Vgl. Böckenförde (1996), S. 85 f. Vgl. Kudla (2005), S. 104 395 Vgl. ebenda, S. 105 394
100
Operative Maßnahmen Die operativen Maßnahmen werden in leistungs- und finanzwirtschaftliche Maßnahmen unterteilt.396 Die leistungswirtschaftlichen Maßnahmen müssen jedoch durch die Maßnahmen im finanzwirtschaftlichen Bereich abgesichert sein, um eine drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung im Prozess der Krisenbewältigung zu verhindern.397 Leistungswirtschaftliche Maßnahmen Die leistungswirtschaftlichen Maßnahmen haben als Ziel die Optimierung der Effektivität und Effizienz der Funktionsbereiche.398 Sie können sowohl funktionsbereichsspezifisch als auch funktionsübergreifend sein und sollen kurz- bis mittelfristig die Ertragskraft des Unternehmens wieder herstellen.399 In der Literatur werden verschiedene Maßnahmenkataloge für den leistungswirtschaftlichen Bereich dargestellt.400 Primäre Aktivitäten sind in den Bereichen Logistik, Produktion, Marketing/Absatz und Service z. B. Maßnahmen zur Senkung der Lagerbestände, Maßnahmen zur Kapazitätsanpassung, Maßnahmen zur Kundenbindung, Reduzierung des Garantie- und Kulanzaufwands. Unterstützende Maßnahmen sind in den Bereichen Beschaffung, Forschung & Entwicklung, Personalwesen und Infrastruktur z. B. Ausweitung der Kreditlinie bei Lieferanten, Konzentration der F & E-Projekte, Personalabbau, Umstrukturierung der allgemeinen Verwaltung.401 Finanzwirtschaftliche Maßnahmen Die finanzwirtschaftlichen Maßnahmen für eine Krisenbewältigung sollen kurzfristig die Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung verhindern sowie mittel- und langfristig das Unternehmen nachhaltig stabilisieren.402 Im Folgenden werden die finanzwirtschaftlichen Maßnahmen in autonome und heteronome Sanierungsmaßnahmen unterteilt. Die einzelnen finanziellen Maßnahmen wirken jedoch selten isoliert, sondern
396
Vgl. Kudla (2005), S. 103 Vgl. Gless (1996), S. 73 Vgl. Kudla (2005), S. 105 399 Vgl. Gless (1996), S. 73; Müller (1986), S. 205 400 Vgl. Jobsky (2004a), S. 147 ff.; Baur (1978), S. 125 ff.; Lüthy (1988), S. 101 ff.; Krystek (1987), S. 239 ff. 401 Vgl. Kudla (2005), S. 106 402 Vgl. Böckenförde (1996), S. 138 397 398
101
müssen voneinander abhängig in Summe als das Gesamtkonzept zur Krisenbewältigung betrachtet werden.403 Autonome finanzwirtschaftliche Maßnahmen Die autonomen Sanierungsmaßnahmen sind finanzielle, liquiditätsfördernde und bilanzreinigende Sanierungshandlungen, die von dem dominanten Träger der Krisenbewältigung beschlossen und umgesetzt werden. Dabei wird im Gegensatz zu den heteronomen Maßnahmen keine Zustimmung von externen Interessengruppen benötigt.404 Somit ist eine schnellere Umsetzung der Maßnahmen in einer Phase eines hohen Zeitdrucks möglich. Die nachfolgende Abbildung 12 zeigt die autonomen Maßnahmen im Überblick:405
Autonome
Liquiditätsfördernde Maßnahmen
Reduktion bzw. Stopp des CashAbflusses
Verflüssigung von Aktiva
Zuführung von Eigenkapital durch die Gesellschafter
Bilanzbereinigende Maßnahmen
Zuführung von Fremdkapital durch die Gesellschafter
Auflösung von Rücklagen
Kapitalherabsetzung
Abbildung 12: Autonome finanzielle Sanierungsmaßnahmen Quelle: eigene Darstellung (in Anlehnung an Böckenförde (1996), S. 139)
Die autonomen Maßnahmen werden nachfolgend erläutert. Die liquiditätsfördernden Maßnahmen lassen sich in vier Gruppen unterscheiden:406 -
Reduktion bzw. Stopp des Mittelabflusses;
-
Verflüssigung von Aktiva;
-
Zufuhr von Eigenkapital durch die Gesellschafter;
-
Zufuhr von Fremdkapital durch die Gesellschafter.
403
Vgl. Müller (1986), S. 57 Vgl. Böckenförde (1996), S. 139 405 Vgl. ebenda, S. 139 406 Vgl. Böckenförde (1996), S. 139 404
102
Im Folgenden werden die wesentlichsten Bestandteile der einzelnen Gruppen im kurzen Überblick dargestellt: a) Reduktion bzw. Stopp des Cash-Abflusses: 407 -
Genehmigung von Ausgaben ab einer bestimmten Höhe nur durch die Geschäftsleitung;
-
Investitionsstopp;
-
Restriktive Materialeinkäufe;
-
Restriktive Fertigungsplanung;
-
Einstellungsstopp, Stopp der Fremdvergabe von Lohnaufträgen, Stopp von Überstunden etc.;
-
Reduktion und/oder Verzicht aller freiwilligen und widerruflichen sozialen Leistungen;
-
Generelle aufwandssenkende Maßnahmen, die keine oder nur eine geringe Liquidität zu ihrer Realisierung benötigen;
-
Hereinnahme von Großaufträgen; Maßnahmen zur Beschleunigung der Zahlungseingänge (verbessertes Handling für die Kunden).
Insbesondere hier hat das Finanzmanagement die situative Liquiditätssicherung zu verantworten. b) Verflüssigung von Aktiva:408 -
Optimierung des Umlaufvermögens; - Auflösung von Liquiditätsreserven; - konsequente Beschleunigung der Zahlungseingänge (Intensivierung des Mahnwesens, Verkürzung der Zahlungsziele, Beschleunigung der Fakturierung); - Verkauf/Abbau von nicht betriebsnotwendigen Vorräten; - Verkauf von Forderungen; - Ausnutzung und Verlängerung der eigenen Zahlungsziele;
407
Vgl. Horst (2000), S. 49 ff.; Hess/Fechner (1991), S. 201 f.; Lüthy (1988), S. 163 Böckenförde (1996), S. 140 ff.; Horst (2000), S. 49 f.; Müller (1986), S. 218 ff.; Lüthy (1988), S. 162 ff.
408
103
-
sale-and-lease-back von beweglichen und unbeweglichen Vermögensgegenständen;
-
Verkauf von nicht betriebsnotwendigen Anlagevermögen;
-
Externes Inkasso;
-
Factoring;
-
Forfaitierung.
c) Zuführung von Eigenkapital durch die Gesellschafter:409 -
Ordentliche Kapitalerhöhung: sie ermöglicht eine Verbesserung der Kapitalstruktur und schafft somit eine Basis für weitere Maßnahmen zur Krisenbewältigung. Bei einer Kapitalerhöhung können auch neue potentielle Aktionäre für das Unternehmen gewonnen werden. Häufig findet zunächst eine Kapitalherabsetzung mit anschließender Kapitalerhöhung statt;
-
Zuzahlung durch die Gesellschafter;
-
Verzicht auf Kapitalerhöhungen.
d) Zuführung von Fremdkapital durch die Gesellschafter:410 -
Liquide Mittel können von den Gesellschaftern in Form von Gesellschafterdarlehen zur Verfügung gestellt werden.411 Nachteilig hierbei ist, dass sich die Bilanzrelation durch das zusätzliche Fremdkapital verschlechtert. Diese Maßnahmen sind eine Maßnahme von mehreren möglichen Maßnahmen, die die Gesellschafter zur Bewältigung der Unternehmenskrise umsetzen. Sie kann nicht isoliert betrachtet werden.412
Von den dargestellten Maßnahmen sind kurzfristig am wirksamsten: Reduktion des Cash-Abflusses, Optimierung des Umlaufvermögens und Zuführung von Kapital durch die Gesellschafter.413 Dadurch wird ein kurzfristiger Mittelzufluss ermöglicht bzw. Mittelabfluss verhindert. Dabei wird die zentrale Bedeutung des Finanzmanagements in einer Krisensituation deutlich. Es kann die Maßnahmen zur Reduktion des Cash-Abflusses sehr schnell umsetzen. Insbesondere Maßnahmen wie Investiti409
Vgl. Hess/Fechner (2001), S. 194 ff.; Lüthy (1988), S. 183 f.; Horst (2000), S. 50; Böckenförde (1996), S. 148 ff. 410 Vgl. Böckenförde (1996), S. 151; Horst (2000), S. 51; Hess/Fechner (2001), S. 196 411 Vgl. Horst (2000), S. 51 412 Vgl. Böckenförde (1996), S. 151 413 Vgl. Horst (2000), S. 51
104
onsstopp, Ausgabenbeschränkung oder auch verzögerte Lieferantenbezahlung können vom Finanzmanagement kurzfristig realisiert werden. Dabei ist aber die begleitende Kommunikation sehr wichtig. Bei plötzlich auftretenden Zahlungsverzögerungen könnten sonst die Lieferanten die nächsten Lieferungen, die aber vielleicht dringend für die Fertigung benötigt werden, selbst verzögern. Dies würde wiederum dem Krisenunternehmen mehr schaden, als die verzögerte Bezahlung der Lieferantenrechnungen als Beitrag erreichen könnte. Auch eine direkte Kommunikation mit den Mitarbeitern oder (je nach Unternehmensgröße) mit deren Vertretern ist sehr wichtig. Bei einer kommentarlosen Kürzung oder Streichung von freiwilligen Sozialleistungen kann in der Belegschaft sehr schnell Unruhe und schwindende Motivation entstehen. Auch dies könnte unter Umständen dem Krisenunternehmen mehr schaden als die (teilweise) nicht mehr gewährten Sozialleistungen einsparen könnten. Insgesamt gesehen sind die dargestellten Maßnahmen zwar kurzfristig wirksam. Jedoch muss bei der Umsetzung beachtet werden, dass das Krisenunternehmen durch die Umsetzung dieser Maßnahmen mittel- bis langfristig nicht mehr Nachteile als Vorteile hat. Mit den Maßnahmen zur Bilanzbereinigung soll die Beseitigung einer Unterbilanz erreicht werden. Dabei wird durch buchungstechnische Maßnahmen das Eigenkapital entsprechend reduziert. Frische Liquidität wird dem Unternehmen dadurch nicht zur Verfügung gestellt.414 Durch die Verbesserung der Bilanzstruktur wird eine Überschuldung vermieden und gleichzeitig die Voraussetzung für die Durchführung einiger heteronomer Maßnahmen geschaffen.415 Es wird die Differenz zwischen dem ausgewiesenen Eigenkapital und dem niedrigeren Reinvermögen ausgeglichen.416 Dabei werden zwei grundlegende Arten unterschieden: - Auflösung von Rücklagen: - Stille Reserven: Stille Reserven entstehen durch Unterbewertung von Vermögensgegenständen, Überbewertung von Passivposten, Nichtaktivierung aktivierungsfähiger Wirtschaftsgüter oder Unterlassen der Zuschreibung von Wertsteigerungen.417 Durch die Auflösung der Stillen Reserven können außerordentliche Erträge 414
Vgl. Böckenförde (1996), S. 151 Vgl. Horst (2000), S. 51 416 Vgl. Boemle (1995), S. 30 417 Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 357 415
105
ausgewiesen werden, die für die Deckung des Verlustes bzw. der Unterbilanz verwendet werden können.418 - Offene Rücklagen: Die Erträge aus der Auflösung offener Rücklagen kann auch zur Deckung bzw. Minderung des Verlustes genutzt werden. Dabei werden Gewinne nicht ausgeschüttet, sondern einbehalten: eine frische Liquidität fließt dem Unternehmen dadurch nicht zu.419 Dieser Vorgang wird in der Bilanz abgebildet. Er ist somit für externe Interessengruppen einsichtbar und wird in der Regel als ungünstig beurteilt. Unternehmen in Krisensituationen hatten bereits früher schon in ähnlicher Lage die Rücklagen aufgelöst. In der Praxis kann diese Maßnahme in der Regel einem Krisenunternehmen nicht helfen.420 - Kapitalherabsetzung: Durch eine Kapitalherabsetzung kann ein bestehender Bilanzverlust beseitigt werden.421 Die buchmäßige Herabsetzung des Grund- bzw. Stammkapitals erfolgt in der Regel durch Herabsetzung des Nennbetrages oder durch die Zusammenlegung von Aktien.422 Nach der Kapitalherabsetzung und dem dadurch ermöglichten Verlustausgleich erfolgt häufig eine Kapitalerhöhung.423 Bei einer Aktiengesellschaft gibt es drei Möglichkeiten der Kapitalherabsetzung: die ordentliche Kapitalherabsetzung, die vereinfachte Kapitalherabsetzung und die Kapitalherabsetzung durch Einziehung von Aktien.424 Die vereinfachte Kapitalherabsetzung ist die typische Form der Kapitalherabsetzung, um einen Beitrag zur Krisenbewältigung zu leisten. Sie schafft die Grundlage für weitere liquiditätswirksame Sanierungsmaßnahmen. Weitere Kapitalgeber lassen sich nach Bereinigung der Bilanz leichter finden als vor der Bereinigung der Bilanz.425
418
Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2004), S. 138 Vgl. Heinen (1976), Sp. 154 Vgl. Böckenförde (1996), S. 153 421 Vgl. Kudla (2005), S. 128 422 Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2004), S. 487 423 Vgl. Kudla (2005), S. 128 424 Vgl. Wöhe/Bilstein (2002), S. 109 425 Vgl. Kudla (2005), S. 128 419 420
106
Heteronome finanzwirtschaftliche Maßnahmen Heteronome Maßnahmen zur Krisenbewältigung sind gekennzeichnet durch die Zustimmung bzw. Mitwirkung extern Beteiligter.426 Die nachfolgende Abbildung 13 zeigt die wesentlichen externen Gruppen, die an der Bewältigung einer Unternehmenskrise beteiligt sind:427
Heteronome Interessengruppen
Gläubiger
Arbeitnehmer
Kunden
Staat
Dritte
Kreditgläubiger
Strategische Investoren
Lieferantengläubiger
Finanzinvestoren Aktive Finanzinvestoren Gruppe der Stakeholder
Passive Finanzinvestoren
Abbildung 16: Heteronome Interessengruppen der Sanierung Quelle: Kudla (2005), S. 134
Die heteronomen Interessengruppen werden nachfolgend erläutert. Welche Gruppe als Verhandlungspartner dem Unternehmen zur Verfügung steht, hängt von der Ausgangslage und dem Stadium der Unternehmenskrise ab.428 Die einzelnen Gruppen haben dabei folgende Möglichkeiten, dem Unternehmen bei der Bewältigung der Unternehmenskrise zu helfen: - Gläubiger: Grundsätzlich lassen sich die Gläubiger in zwei Gruppen unterteilen: Kreditinstitute und Lieferantengläubiger.429
426
Vgl. Hess/Fechner (2001), S. 243 Vgl. Kudla (2005), S. 134 428 Vgl. Lüthy (1988), S. 190 429 Vgl. Böckenförde (1996), S. 158 427
107
- Kreditinstitute: Sie spielen bei der Krisenbewältigung eine entscheidende Rolle.430 Je nach Umfang der Unternehmenskrise und des finanziellen Engagements des Kreditinstitutes bei dem Krisenunternehmen bündeln mehrere Kreditinstitute ihre Maßnahmemöglichkeiten in einem Bankenpool oder sie versuchen es allein. Die Kreditinstitute haben folgende Maßnahmemöglichkeiten:431 - Stundung von Forderungen; - Verzicht auf Forderungen (Zinsen und/oder Kapitalverzicht); - Umwandlung von Darlehen; - Ablösung bestehender Kredite und Umschuldung in neue Kredite; - Umwandlung von Fremdkapital in Risikokapital (Rangrücktritt, Wandelrechte und Umwandlung in Eigenkapital); - Rückzahlung alter Kredite (z. B. nach Verkauf von Aktiva). Bei diesen Maßnahmen bewirkt nur die Umschuldung in neue Kredite einen Liquiditätszufluss für das Krisenunternehmen. Die anderen Maßnahmen bewirken dagegen eine Entlastung von bestehenden Zahlungsverpflichtungen und Verbindlichkeiten.432 Eine Vergabe von Sanierungskrediten verbinden die Kreditinstitute in der Regel mit folgenden Voraussetzungen:433 - es sind ausreichende dingliche Sicherheiten vorhanden; - das Sanierungskonzept ist überzeugend; - das Sanierungsmanagement ist vertrauenswürdig. - Lieferantengläubiger: Die Maßnahmen der Lieferantengläubiger zur Bewältigung einer Unternehmenskrise ähneln denen der Kreditinstitute. Die wesentlichen Maßnahmen sind:434 - Aufschub von Zahlungen; - Zinsreduktion und Zinserlass; - Schuldumwandlung; 430
Vgl. Schwarzecker/Spandl (1996), S. 114 Vgl. Horst (2000), S. 52; Böckenförde (1996), S. 158 ff.; Schwarzecker/Spandl (1996), S. 115 432 Vgl. Böckenförde (1996), S. 162 433 Vgl. ebenda, S. 164 434 Vgl. Horst (2000), S. 53; Böckenförde (1996), S. 166 ff. 431
108
- Forderungsverzicht; - Beteiligung (z.B. Einbringung der Forderung als Sachlage im Rahmen einer Kapitalerhöhung bei einer Aktiengesellschaft). Eine weitere Maßnahmemöglichkeit für die Gläubiger ist der außergerichtliche Vergleich. Dies ist ein Vertrag des bürgerlichen Rechts, ohne spezielle gesetzliche Regelungen. Das Krisenunternehmen schließt mit jedem einzelnen Gläubiger einen Vertrag ab. Der außergerichtliche Vergleich wird dabei nur dann wirksam, wenn sämtliche Gläubiger dem Vergleichsvorschlag des Gläubigers zustimmen.435 Bei den Formen des außergerichtlichen Vergleichs unterscheidet man im wesentlichen zwischen Stundungs-, Raten-, Erlass-, Liquidations- und Beteiligungsvergleich.436 Beiträge der Lieferantengläubiger sind in der Regel nur bei einer positiven Zukunftsprognose für das Unternehmen durch den Lieferanten zu erwarten. Weiterhin muss der Kapitaleigentümer alle seine möglichen Mittel bereits in das Unternehmen investiert haben. Der Zahlungsaufschub ist in der Praxis am häufigsten bei den Maßnahmen der Lieferanten-Gläubiger zu finden. Danach folgen Zinsreduktionen und Zinserlass. Die kurzfristig wirkungsvollste Maßnahme ist der Forderungsverzicht, der beim Schuldner direkt zu einer Vermögensmehrung führt. Laut Böckenförde ist dieser in der Praxis nicht so häufig vertreten, da er im Rahmen eines außerordentlichen Vergleichs erfolgt. Dazu ist aber eine Einigung aller Gläubiger notwendig.437 Die Beteiligung als Maßnahme zur Krisenbewältigung wird in der Regel nur bei größeren Krisenunternehmen angewandt, deren Ausfall als Kunden für die Lieferantengläubiger größere Auswirkungen hat als bei kleinen Krisenunternehmen.438 - Arbeitnehmer: Den Mitarbeitern stehen mehrere Maßnahmen als Beiträge für eine Krisenbewältigung zur Verfügung. Dabei handelt es sich einerseits um leistungswirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen andererseits aber auch um finanzwirtschaftliche Sanierungsmaßnahmen (z.B. kurzfristige Liquiditätsverbesserung durch Lohnverzicht).439 Der größte Beitrag, der von den Arbeitnehmern erwartet wird, liegt aber primär außerhalb 435
Vgl. Jozefowsky (1985), S. 109 Vgl. Böckenförde (1996), S. 169 ff. 437 Vgl. ebenda, S. 169 438 Vgl. Gross (1988), S. 41 439 Vgl. Böckenförde (1996), S. 180 436
109
des finanzorientierten Bereichs. Die an der Sanierung beteiligten Interessengruppen erwarten von den Arbeitnehmern u. a. hohe Leistungsbereitschaft, Optimismus und den Willen, nicht aufzugeben, sondern es zu schaffen.440 - Kunden: Die Beiträge, die die Kunden als Maßnahmen zur Krisenbewältigung leisten können sind sehr eng begrenzt. Sie könnten z. B. zwar Forderungen des Unternehmens vorzeitig bezahlen oder Aufträge aus Rahmenverträgen vorzeitig erteilen. In der Praxis geschieht dies aber eher selten.441 Häufig hilft ein Kunde nur dann dem Unternehmen, wenn eine Abhängigkeit zu diesem Unternehmen besteht. Es wird dann versucht, das Scheitern des Krisenunternehmens zumindest möglichst lange hinauszuzögern, bis eine alternative Lösung eines Lieferantenersatzes gefunden worden oder aber das erfolgreiche Überwinden der Unternehmenskrise erkennbar ist. - Staat: Auch der Staat kann Maßnahmen zur Krisenbewältigung ergreifen und somit ein Unternehmen dabei unterstützen, die Unternehmenskrise zu überwinden. Diese Maßnahmen werden unterschieden in quantitative und qualitative Maßnahmen.442 Qualitative Maßnahmen werden vor allem umgesetzt, wenn mehrere Unternehmen einer Branche in einer Krise sind (Kooperation und Konzentration). Zu den quantitativen Maßnahmen zählen sowohl die beschäftigungspolitischen als auch die finanzpolitischen Maßnahmen.443 Da sich die vorliegende Arbeit auf die Finanzierungsmöglichkeiten von Krisenunternehmen beschränkt, konzentriert sich der nachfolgende Abschnitt auf die finanzpolitischen Maßnahmen. Diese sollen die Voraussetzungen für eine Vergrößerung der Kapitalbasis des sanierungsbedürftigen Unternehmens schaffen.444 Die finanzpolitischen Maßnahmen werden dabei differenziert in:445
440
Vgl. Gellert (1985), S. 145 f. Vgl. Böckenförde (1996), S. 181 442 Vgl. Jozefowsky (1985), S. 158 443 Vgl. Jozefowsky (1985), S. 158 f. 444 Vgl. Schäffer (1983), S. 120 445 Vgl. Horst (2000), S. 54 441
110
-
Minderung von Ausgaben (z. B. Stundung von Steuern und Abgaben, Beihilfen der Bundesagentur für Arbeit). Eine Stundung setzt voraus, dass die Einziehung des Anspruchs für den Steuerschuldner zum Fälligkeitspunkt eine besondere Härte bedeuten würde, und dass der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheinen darf.446 Weitere Maßnahmen sind der Erlass von Steuerforderungen sowie die abweichende Festsetzung von Steuern.447
-
Verbesserung der Eigenkapitalausstattung (Gewährung von Zuschüssen/Subventionen und Investitionszulagen sowie direkt durch eine Beteiligung des Staates oder öffentlich-rechtlicher Institutionen am Unternehmen). Zuschüsse müssen nicht zurückbezahlt werden. Sie werden aus öffentlichen Mitteln Unternehmen mit der Auflage gewährt, sie für Subventionszwecke zu nutzen.448
-
Vergabe von Fremdkapital Indirekter Beitrag des Staates durch Vergabe von Sicherheitsleistungen (Bürgschaften etc.) und Gewährung von Zins- und Tilgungsbeihilfen. Zusätzliches Fremdkapital kann auch durch die öffentliche Hand bereitgestellt werden.449 Mit der Vergabe von Fremdkapital durch den Staat soll die Kapitalbasis des Krisenunternehmens gestärkt werden. Dabei werden überwiegend Darlehen oder andere Kredite der öffentlichen Hand gegeben, die auch mit bestimmten Auflagen verbunden sind (z. B. Erhalt von Arbeitsplätzen).450 Bei einem Bürgschaftsantrag handelt es sich um einen Vertrag zwischen dem Staat und dem Gläubiger (z.B. Hausbank). Der Subventionsempfänger ist jedoch das Unternehmen. Der Subventionsempfänger hat mehrere Bedingungen für den Erhalt der von der Hausbank ausgereichten Mittel zu erbringen (z. B. kein oder nur begrenzter Abbau von Arbeitsplätzen).451 Insgesamt ist das Verfahren zur Übernahme einer Bürgschaft behördlich geregelt und unterliegt damit sehr vielen Formvorschriften (z. B. Vorlage eines Unternehmenskonzeptes, Finanzierungsplanes, Stellungnahme eines unabhängigen Sachverständigen
446
Vgl. Seer (2002), §21 (Rz. 314) Vgl. Böckenförde (1996), S. 177 448 Vgl. Schäffer (1983), S. 120 449 Vgl. Horst (2000), S. 54 450 Vgl. Hess/Fechner (2001), S. 305 f. 451 Vgl. Böckenförde (1996), S. 175 447
111
u. a.).452 Eine Möglichkeit der Zins- und Tilgungsbeihilfen ist das Eingreifen des Staates in einen bestehenden privaten Kreditvertrag. Dieser wird dann in einen staatlichen Kreditvertrag mit günstigeren Konditionen umgewandelt.453 Insbesondere bei der Krisenbewältigung von Großunternehmen nimmt der Staat eine wichtige Rolle ein.454 Für die kleinen und mittleren Unternehmen bedeutet es im Verhältnis zur Unternehmensgröße einen deutlich größeren bürokratischen Aufwand, um eine Unterstützung des Staates zu erhalten.455 Schwerpunkte von staatlichen Förderungen sind dagegen die Unterstützungen von jungen Unternehmen, die immer wieder Innovationen hervorbringen und in der Anfangsphase ihrer Geschäftstätigkeit auf staatliche Unterstützung aufgrund mangelnder anderweitiger Finanzierungen angewiesen sind. Um diese Impulsgeber für Wachstumsmöglichkeiten einer Volkswirtschaft zu unterstützen, ist diese Förderung eine dauerhafte Aufgabe des Staates, da es bei den jungen Unternehmen für die Finanzierung von jungen Unternehmen keinen funktionierenden Markt gibt. Grundsätzlich sollte sonst bei anderen Anlässen die staatliche Förderung immer nur von temporärer Dauer sein, um einen funktionierenden Markt entstehen zu lassen und die Gefahr von Mitnahmeeffekten bzw. Wettbewerbsverzerrungen zu reduzieren. - Dritte: Diese Gruppe kann in strategische Investoren und Finanzinvestoren unterteilt werden. Strategische Investoren erwerben in der Regel die Mehrheit der Eigenkapitalanteile und beteiligen sich langfristig an einem Krisenunternehmen. Dies können z.B. direkte oder indirekte Wettbewerber sowie Unternehmen von vor- bzw. nachgelagerten Wertschöpfungsstufen sein.456 Häufig ist es für das Krisenunternehmen schwierig aufgrund der ungünstigen Ausgangslage, einen strategischen Investor zu finden. Es bestehen hoher Zeitdruck und akuter Handlungsbedarf. Die Lage für einen Außenstehenden ist häufig intransparent.457 Bei der Bestimmung des Unternehmenswertes kommt es in der Praxis häufig zu Fehleinschätzungen seitens des Unternehmers. 452
Vgl. Hess/Fechner (2001), S. 306 Vgl. Schäffer, S. 122 454 Vgl. Horst (2000), S. 54 455 Vgl. Hamer (1984), S. 14 456 Vgl. Jobsky (2004b), S. 405 457 Vgl. Kudla (2005), S. 135 453
112
Dies erschwert in der Regel die Verhandlungen mit potentiellen strategischen Investoren. Der Kaufpreis ist in der Regel gering und liegt häufig unterhalb der Vorstellungen der bisherigen Eigentümer.458 Andererseits kann bei einem strategischen Investor aufgrund der zu erwartenden Synergieeffekte häufig ein höherer Preis erzielt werden als bei einem rein finanziell orientierten Investor. Beteiligungen können auch von Unternehmen mit Kooperationsabsichten eingegangen werden.459 Die Finanzinvestoren werden je nach ihrer Beteiligungsstrategie in aktive und passive Finanzinvestoren differenziert. Aktive Finanzinvestoren streben häufig eine Mehrheitsbeteiligung am Krisenunternehmen an und unterstützen das Top-Management aktiv. Passive Finanzinvestoren sind entsprechend zurückhaltender in der operativen Begleitung des Krisenunternehmens.460 Als Finanzinvestoren, die im Bereich der Finanzierung von Krisenunternehmen tätig sind, können sowohl Privatinvestoren, Investmentbanken als auch Hedge Fonds, Investmentfonds sowie Private-EquityGesellschaften unterschieden werden. Private-Equity-Gesellschaften stellen z. B. Risikokapital dem Krisenunternehmen mittel- bis langfristig zur Verfügung und übernehmen dafür Unternehmensanteile. Ein Teil dieses Konzepts besteht darin, dass die Private-Equity-Gesellschaften nach einer gewissen Zeit ihre Unternehmensanteile wieder verkaufen. Dies ist mit der Hoffnung verbunden, einen Kapitalgewinn realisieren zu können.461 Insbesondere im Private-Equity-Markt ist der Trend zu erkennen, ähnlich wie in den USA in den 80´er/90´er Jahren, dass er einen deutlichen Wachstumsschub erfährt.462 Eine pauschale Aussage über die Erfolgswahrscheinlichkeit dieser einzelnen heteronomen Maßnahmen lässt sich nicht machen. Die einzelnen Maßnahmen sind jeweils auf die unternehmensspezifische Situation abzustimmen. Die vorliegende Arbeit konzentriert sich bei der empirischen Analyse auf die Beseitigung einer Liquiditätskrise durch eine weitere Kapitalzufuhr. Sie untersucht die unterschiedlichen Möglichkeiten der Kapitalzufuhr sowie deren Erfolgsaussichten.
458
Vgl. Schaaf/Schimke (1985), S. 42 Vgl. Horst (2000), S. 54 460 Vgl. Kudla (2005), S. 135; Kraft (2001), S. 79 461 Vgl. Kraft (2001), S. 39 ff. 462 Vgl. Kraft (2001), S. 55 459
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3.3. Die Aufgaben des Finanzmanagements im Krisenfall im Zusammenspiel mit den Finanzierungspartnern Das Finanzmanagement als Teilbereich des Krisenmanagements hat eine zentrale Bedeutung und Funktion im Unternehmen bei der Bewältigung von einer Krisensituation. Einerseits hat das Finanzmanagement die Beseitigung eines dauerhaften oder kurzfristigen die Existenz des Unternehmens unmittelbar gefährdenden Ungleichgewichts zu erreichen.463 Andererseits ist das Finanzmanagement der zentrale Ansprechpartner für die Finanzierungspartner, die sich an der Finanzierung zur Erreichung der Unternehmenssanierung beteiligen wollen. Um ein dauerhaftes finanzielles Ungleichgewicht beseitigen zu können, ist eine grundlegende Neuordnung der Kapitalverhältnisse notwendig.464 Um in einer Krisensituation aber die Zahlungsunfähigkeit, und damit einen Erfüllungsgrund der Insolvenzanmeldung, zu vermeiden, ist die vordringliche Aufgabe des Finanzmanagements in einem Krisenfall die Liquiditätserhaltung. Zeitlich abgestuft gibt es drei Bereiche, die dabei das Finanzmanagement zu verantworten hat: a) Zunächst müssen die täglichen Zahlungsströme koordiniert werden.465 Dabei muss das Finanzmanagement die Kompetenz haben, zu entscheiden, welche Ausgaben wann getätigt werden (z. B. wann welcher Lieferant bezahlt wird), und es muss einen Überblick der Zahlungseingänge haben. Weiterhin muss es eine Einflussmöglichkeit auf den Umsatzprozess geben, um die Planung der Zahlungseingänge beeinflussen zu können. Dazu muss auch die Verantwortung des Mahnwesens übernommen werden, um hohe Außenstände bei den Kunden zu vermeiden bzw. zügig Kundenforderungen einzuholen. So kann z. B. auch das Zahlungsziel für die Kunden verkürzt werden. Die Einnahmen- und Ausgabenströme müssen kanalisiert und gesteuert werden, so dass eine Unterdeckung nicht eintritt.466 Im Zusammenspiel mit den Finanzierungspartnern zur Überwindung der Unternehmenskrise steht das Finanzmanagement in dieser Phase überwiegend zunächst mit der Hausbank in enger Abstimmung. Einerseits werden über die Hausbank die Zahlungsströ463
Vgl. Clasen (1992), S. 118 Vgl. Müller (1986), S. 221 465 Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 6 f. 466 Vgl. Faulhaber/Landwehr (1996), S. 53 464
114
me abgewickelt. Andererseits ist es auch die Aufgabe des Finanzmanagements, in Verhandlungen mit der Hausbank eine kurzfristige Entlastung bei den Zinszahlungen für Kredite der Hausbank bzw. zumindest eine geduldete Überziehung der bestehenden Kreditlinien zu erreichen. b) Der zweite Bereich, den das Finanzmanagement in einer Krisensituation zu verantworten hat, ist die kurzfristige Finanzierung. Das Finanzmanagement hat dabei zunächst das freie Innenfinanzierungsvolumen zu ermitteln, um daraus dann die Planung der dann noch notwendigen Kapitalzufuhr von außen aufzustellen. Dabei stellt sich für das Finanzmanagement die Frage, ob die Kapitalzufuhr von außen in Form von Eigenkapital oder Fremdkapital zu erfolgen hat. Die Möglichkeiten der Finanzierungen wurden bereits im Kapitel 2.2. erläutert. Das Finanzmanagement muss berücksichtigen, dass durch die Zufuhr von Fremdkapital die laufende Kostenbelastung durch die Zinsen erhöht wird. Bei einer Eigenkapitalzufuhr fallen in der Regel eher erfolgsabhängige Zahlungen (z. B. Ausschüttungen) an. Andererseits erhalten die Eigenkapitalgeber mehr Mitspracherechte als die Fremdkapitalgeber. Für die möglichen Kapitalgeber ist zunächst das Finanzmanagement der zentrale Ansprechpartner. Es muss die potentiellen Investoren davon überzeugen, dass eine Investition in das Unternehmen für den Investor lohnend ist und zur erfolgreichen Unternehmenssanierung beiträgt. c) Dazu hat das Finanzmanagement als dritten Bereich die strukturelle Liquiditätssicherung zu verantworten.467 Dabei soll es für das geplante Investitionsvorhaben die entsprechend (mindestens gleich-langfristige) Finanzierung sicherstellen. Um die potentiellen externen aber auch die bestehende Hausbank von einem Engagement zu überzeugen, muss aus der durch das Finanzmanagement aufgestellten, (mindestens) mittelfristigen Planung hervorgehen, dass das Unternehmen die Sanierung schaffen und die Erwartungen der möglichen Investoren erfüllen kann. Das eingeworbene Finanzierungsvolumen muss ausreichend groß sein, um die Unternehmenssanierung durchzufinanzieren. Ein weiteres Einwerben von Kapital inmitten einer bereits begonnenen Unternehmenssanierung ist nur dann möglich, wenn außergewöhnliche Gründe vorliegen, die eine erhebliche Abweichung von den vorgestell-
467
Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 6 f.
115
ten Planungen plausibel erläutern und dennoch eine Unternehmenssanierung ermöglichen. Gerade für die bisher schon engagierte Bank ist eine Überprüfung der Erfolgsaussichten einer Unternehmenssanierung sehr wichtig. Die Bank muss ausschließen, dass die Ausreichung weiterer Kredite bzw. die weitere Begleitung des Krisenunternehmens nur zu einer künstlichen Verlängerung der Existenz des Krisenunternehmens verwendet wird. Daher schaltet die Bank in der Regel Dritte für eine Überprüfung der Sanierungsplanungen des Finanzmanagements ein, um sich ein weiteres Meinungsbild über die Erfolgswahrscheinlichkeit der Unternehmenssanierung einzuholen.468 Nach außen hin muss das Finanzmanagement auch den Kontakt zu den Geschäftspartnern suchen und pflegen. Die wichtigsten Kunden und Lieferanten werden häufig gemeinsam mit der Unternehmensleitung und/oder dem Vertrieb aktiv über die geplanten Sanierungsmaßnahmen informiert. So soll ein „Abspringen“ dieser Geschäftspartner verhindert werden. Gerade für die zukünftigen Investoren sind geschäftliche Beziehungen zu Kunden und Lieferanten sehr wichtig, weil erst sie ein stabiles Fortführen der Gesellschaft ermöglichen. Sollten wichtige Kunden ihre Aufträge zurückziehen und somit erhebliche Umsatzeinbußen die Folge seien, ist ein Einwerben von externen Investoren bzw. auch der bereits engagierten Bank sehr schwierig. Es könnte dann ein Vertrauensverlust in das Erfolgspotential des Unternehmens entstehen. Das Finanzmanagement kann aber gezielt bestimmte Kundenund/oder Lieferantenbeziehungen beenden, wenn sich dadurch die finanzielle Situation des Unternehmens verbessert (z. B. Aufträge mit negativen Erträgen kündigen). Das Finanzmanagement hat insgesamt betrachtet im Krisenfall eine zentrale Bedeutung mit einem großen Aufgabengebiet, welches sich nicht nur auf den Finanzbereich beschränkt. Dabei gilt es, sowohl nach innen in das Krisenunternehmen als auch nach außen zu den bestehenden Kunden-/Lieferanten-Beziehungen sowie den potentiellen Finanzierungspartnern als kompetenter Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen. Das Finanzmanagement muss mit den entsprechenden Kompetenzen ausgestattet sein, um die notwendigen Maßnahmen jeweils kurzfristig umsetzen zu können.
468
Vgl. Übelhör/Warns (2003), S. 287
116
3.4. Zusammenfassung der Ergebnisse Nach der Erläuterung der Definition des Begriffs Unternehmenskrise wurden die einzelnen Phasen einer Unternehmenskrise beschrieben. Dabei wurde deutlich, dass mit zunehmender Dauer einer Unternehmenskrise der Handlungsspielraum des Unternehmens abnimmt. Viele Unternehmen erkennen erst in den späteren Phasen einer Unternehmenskrise ihre tatsächliche wirtschaftliche Situation. So bleiben ihnen dann häufig in der Liquiditätskrise nur noch wenig Zeit- und Handlungsspielraum, um die Krise überwinden zu können. Die Bewältigung von Unternehmenskrisen bildet den Schwerpunkt dieses Kapitels. Nachdem zunächst die einzelnen Begriffe abgegrenzt wurden, ist das Rahmenkonzept für eine Unternehmenssanierung vorgestellt worden. Bei der Darstellung der einzelnen Phasen eines Sanierungsprozesses wurde deutlich, wie wichtig die Sofortmaßnahmen als Phase 3 des Sanierungsprozesses sind. Auch hierbei zeigt sich wieder die zentrale Bedeutung des Finanzmanagements im Falle der Bewältigung einer Unternehmenskrise. Eine weitere wichtige, in die Zukunft gerichtete Phase ist die Entwicklung des Sanierungskonzeptes (Phase 5). Nach dieser Phase 5 wird nach einer erfolgten Bestätigung der Sanierungsfähigkeit über die Sanierungswürdigkeit entschieden. Nach den einzelnen Phasen des Sanierungsprozesses wurden die Träger des Krisenmanagements dargestellt. Dabei wurden insbesondere die Herausforderungen der Banken bei der Begleitung eines Sanierungsprozesses aufgezeigt. In der Regel engagieren sie sich nur weiter, wenn entsprechende dingliche Sicherheiten vorhanden sind. Diese sind bei Krisenunternehmen aber meist kaum noch frei von Rechten Dritter bzw. überhaupt vorhanden. Eine Alternative stellt das Fremdkapital der Banken dar, welches durch Dritte (z. B. öffentliche Hand: Bürgschaft) zumindest teilweise besichert worden ist. Die vorliegende Arbeit untersucht Unternehmen, die entweder eine solche Fremdkapitalzufuhr oder eine unbesicherte Eigenkapitalzufuhr erhalten haben. Nach den Trägern des Krisenmanagements wurden die operativen Maßnahmen zur Krisenbewältigung erläutert. Ausführlicher wurden dabei die finanzwirtschaftlichen Maßnahmen beschrieben. Im Anschluss daran wurden die heteronomen Interessengruppen und ihre möglichen Beiträge für eine Sanierung dargestellt. Dazu gehören auch strategische Investoren und Finanzinvestoren. 117
Im Kapitel 3.3. wurden die hohe Bedeutung des Finanzmanagements im Krisenfall unterstrichen, indem die Aufgaben des Finanzmanagements im Krisenfall im Zusammenspiel mit den möglichen Finanzierungspartnern erläutert wurden. Insbesondere die Zahlungsströme müssen vom Finanzmanagement zentral gesteuert werden. Bei der Entwicklung des Sanierungskonzeptes muss das Finanzmanagement sowohl die kurzfristige als auch die strukturelle Finanzierung erarbeiten und prüfen, ob sie mit dem Sanierungskonzept zu vereinbaren sind. Dieses Kapitel bildet die inhaltlichen Grundlagen für die empirische Analyse der vorliegenden Arbeit. Insbesondere die Rolle der Kreditinstitute, von Investoren sowie die möglichen Maßnahmen zur Krisenbewältigung wurden beschrieben.
118
Kapitel 4 Empirische Untersuchung der Kapitalaufnahme bei kleinen und mittleren Krisenunternehmen In diesem Kapitel wird die empirische Untersuchung der Kapitalaufnahme bei kleinen und mittleren Krisenunternehmen erläutert. Dabei soll versucht werden, Erkenntnisse über die wirtschaftliche Entwicklung der untersuchten Unternehmen zu gewinnen. Anhand der Ergebnisse dieser empirischen Untersuchung sollen Thesen für die Verhaltensmuster der beteiligten Finanzierungspartner bei einem Krisenunternehmen gestützt bzw. widerlegt werden. Im Kapitel 4.1. werden zunächst als Grundlagen der empirischen Untersuchung die Ziele und der Aufbau der Untersuchung erläutert. Weiterhin werden die Beschaffung, Auswahl und Aufbereitung des Datenmaterials beschrieben. Die Bilanzanalyse als Instrument zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage wird im Kapitel 4.2. untersucht. Dabei werden sowohl die Grundsätze als auch die Grenzen der Bilanzanalyse dargelegt. Im Kapitel 4.3. wird der eingesetzte Kennzahlenkatalog beschrieben. Neben allgemeinen Grundsätzen und der Erläuterung der verwendeten Kennzahlen liegt der Schwerpunkt in diesem Kapitel in der Auswertung der ausgewählten Kennzahlen. Das Kapitel 4.4 fasst die wesentlichen Erkenntnisse dieses Kapitels zusammen.
4. 1. Grundlagen der empirischen Untersuchung 4.1.1. Ziele und Aufbau der Untersuchung In der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, ob eine Kapitalzufuhr in ein Unternehmen, welches sich in einer wirtschaftlichen Krisensituation befindet, Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung dieses Unternehmens hat. Dazu werden die Jahresabschlüsse von insgesamt 63 Unternehmen anhand von ausgewählten Kennzahlen analysiert. Dabei liegen sowohl Jahresabschlüsse aus den Jahren vor der Kapitalzufuhr, im Jahr der Kapitalzufuhr und auch aus den Jahren nach der Kapitalzufuhr vor. Jedoch ist die Anzahl der vorliegenden Jahresabschlüssen von den einzelnen Unternehmen sehr unterschiedlich. Folgende Unterziele werden dabei angestrebt:
119
1. Differenzierung nach der Art der Kapitalzufuhr In der empirischen Analyse soll untersucht werden, ob in Abhängigkeit von der Art der Kapitalzufuhr (Eigen- oder Fremdkapital) unterschiedliche Ausprägungen bei den Unternehmen zu erkennen sind. Damit soll untersucht werden, ob eine Art der Kapitalzufuhr für ein Unternehmen Vorteile gegenüber einer anderen Art der Kapitalzufuhr ermöglichen kann. 2. Entwicklung eines Finanzierungsmodells für Unternehmen in wirtschaftlichen Krisensituationen Abschließend soll geprüft werden, ob aus den erarbeiteten Erkenntnissen Schlussfolgerungen für die Gestaltung eines Finanzierungsmodells für Unternehmen in wirtschaftlichen Krisensituationen, welches dem Unternehmen eine erfolgreiche wirtschaftliche Stabilisierung und auch Wachstum ermöglicht, gezogen werden können. Damit diese Ziele erreicht werden konnten, wurden die Jahresabschlüsse von 63 Unternehmen in wirtschaftlichen Krisensituationen, die eine Aufstockung der bereits vorhandenen Finanzmittel durch eine Kapitalzufuhr entweder in Form von Eigenkapital oder aber in Form von Fremdkapital erhalten haben, analysiert. Dabei erhielten die Unternehmen eine Fremdkapitalzufuhr durch ihre Hausbank, die zum großen Teil durch die Absicherung über eine Landesbürgschaft für die Hausbank nicht komplett risikobehaftet war. Ein kleiner Teil der untersuchten Unternehmen (4 Unternehmen) erhielt eine Eigenkapitalzufuhr durch eine private Beteiligungsgesellschaft, die dafür zwar Gesellschaftsanteile, aber ansonsten keine weiteren Sicherheiten erhielt. Zunächst wurde der Untersuchungszeitraum festgelegt. Dieser sollte nicht zu weit zurückliegen, um einen aktuellen zeitlichen Bezug sicherzustellen. Anschließend wurden die beschriebenen 63 Unternehmen ausgewählt, die die vorab definierten Kriterien erfüllten.469 In einem dritten Schritt wurde das empirische Datenmaterial für die Untersuchung aufbereitet. Dazu wurden die Daten aus den Jahresabschlüssen (Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz) erfasst.470 In einem weiteren Schritt ist der eingesetzte Kennzahlenkatalog definiert worden. Anhand dieses Kennzahlenkatalogs wurden anschließend die Untersuchungen und Auswertungen durchgeführt. Abschließend wurden die Ergebnisse der Kennzahlenuntersuchung festgehalten. 469 470
vgl. zu nähere Einzelheiten Kapitel 4.1.2. vgl. zu nähere Einzelheiten Kapitel 4.1.3.
120
Festlegung des Untersuchungszeitraumes
Auswahl des empirischen Datenmaterials
Aufbereitung des empirischen Datenmaterials
Erläuterung des eingesetzten Kennzahlenkatalogs
Ergebnisse der Kennzahlenuntersuchung
Abbildung 14: Aufbau der empirischen Untersuchung Quelle: eigene Darstellung
Abbildung 14 zeigt den Aufbau der empirischen Untersuchung in einem zusammenfassenden Überblick.
4.1.2. Beschaffung und Auswahl des empirischen Datenmaterials Das empirische Datenmaterial wurde zum großen Teil in anonymisierter Form von einer Bürgschaftsbank bzw. der zuständigen Bearbeitungseinheit von Landesbürgschaften sowie von einer privaten Beteiligungsgesellschaft zur Verfügung gestellt. Die Unternehmen stammen überwiegend aus dem Bundesland Niedersachsen. Aufgrund der Stichprobengröße von 63 Unternehmen kann eine Repräsentativität dieser Unternehmen für alle Unternehmen zumindest in Niedersachsen unterstellt werden. Die Grundgesamtheit aller Unternehmen in Niedersachsen dürfte sich wiederum von der Grundgesamtheit aller Unternehmen in Deutschland nicht wesentlich unterscheiden. Damit kann eine hohe allgemeine Repräsentativität der vorliegenden Unternehmen unterstellt werden. Der Untersuchungszeitraum beträgt je Unternehmen zwischen drei und sieben aufeinander folgenden Jahren (und damit auch Jahresabschlüssen). Der Großteil der vorliegenden Daten stammt aus den Jahren 2000 – 2005. Von einigen Unternehmen liegen aber auch Daten ab Anfang der 1990er Jahre vor. Damit ist ein aktueller zeitlicher Bezug sichergestellt.
121
Die nachfolgende Abbildung 15 zeigt die untersuchten Unternehmen, von denen die Jahresabschlüsse nach den Jahreszahlen klassifiziert worden sind:
60
49
50
47
38
40 Anzahl 30
19
20
10
7 1
2
4
8
8
10 6
11
6
4
0 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 Jahr
Abbildung 15: Klassifizierung der Jahresabschlüsse nach Jahreszahlen Quelle: eigene Darstellung
Insbesondere die Veränderungen des deutschen Finanzmarktsystems hat gerade in der jüngeren Vergangenheit eine sehr dynamische Entwicklung erfahren. Dies hat natürlich auch Auswirkungen auf die Finanzierungsmöglichkeiten von kleinen und mittleren Unternehmen, insbesondere, wenn sie sich in einer wirtschaftlichen Krisensituation befinden. Der überwiegende Teil der Unternehmen erwirtschaftet einen Umsatz von rd. € 0,5 - 40,0 Mio. pro Jahr. Bei den Definitionen für die Schwellenwerte der kleinen und mittleren Unternehmen (kurz: KMU) wurden in der vorliegenden Untersuchung die KMU-Schwellenwerte der EU seit 01.01.2005 berücksichtigt, die in der nachfolgenden Abbildung 16 zusammenfassend dargestellt sind:
122
Unternehmensgröße
Zahl der Beund schäftigten
Umsatz € / Jahr
oder
Bilanzsumme € / Jahr
kleinst
bis 9
bis 2 Millionen (1996: nicht definiert)
bis 2 Millionen (1996: nicht definiert)
klein
bis 49
bis 10 Millionen (1996: bis 7 Millionen)
bis 10 Millionen (1996: bis 5 Millionen)
mittel
bis 249
bis 50 Millionen (1996: bis 40 Millionen)
bis 43 Millionen (1996: bis 27 Millionen)
250 und mehr
50 Millionen und mehr (1996: 40 Millionen und mehr)
43 Millionen und mehr (1996: 27 Millionen und mehr)
groß
Abbildung 16: KMU-Schwellenwerte der EU seit 01.01.2005 (Werte der bisherigen Definition von 1996 in Klammern) Quelle: IFM (2007)
Danach gibt es vier unterschiedliche Unternehmensgrößen: kleinst, klein, mittel und groß. Die nachfolgende Abbildung 17 zeigt die Klassifizierung der Unternehmen nach den vorgenannten KMU-Schwellenwerten der EU. Ergänzend ist festzustellen, dass es auch fünf Unternehmen gibt, die einen Umsatz von € 0,25 bis € 0,5 Mio. pro Jahr haben. Drei Unternehmen haben einen Umsatz von mehr als € 40 Mio. pro Jahr.
123
30 26 25 21 20 Anzahl
15
13
10
5
3
0 mittel
klein
kleinst
groß
Klassifizierung
Abbildung 17: Klassifizierung der untersuchten Unternehmen nach den KMU-Schwellenwerten der EU Quelle: eigene Darstellung
Kleinstunternehmen, die deutlich unter der jährlichen Umsatzgröße von € 0,25 Mio. liegen, wurden von der vorliegenden Untersuchung ausgeschlossen. Die Leistungsfähigkeit und Widerstandskraft zur Überwindung einer wirtschaftlichen Krisensituation hängt bei diesen Unternehmen maßgeblich von der Persönlichkeit des Unternehmers ab. Rückschlüsse auf die Erfolgsbeiträge einzelner Arten einer Kapitalzufuhr sind bei solchen Unternehmen schwer zu ziehen. Weiterhin gibt es die Problematik der Abgrenzung zwischen Betriebs- und Privatvermögen in der Praxis. Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche (Kreditinstitute und Versicherungen) wurden ebenfalls nicht untersucht. Die Rechnungslegungsvorschriften sowie die Bilanzstruktur weichen bei den Kreditinstituten und Versicherungen von denen anderer
124
Unternehmen ab.471 Außerdem haben sie weiter reichende Möglichkeiten zur Bildung stiller Reserven als andere Unternehmen.472 Staats- sowie konzernabhängige Unternehmen wurden ebenfalls nicht in der vorliegenden Untersuchung berücksichtigt. Staatsabhängige Unternehmen unterliegen einem deutlich geringeren Kreditausfallrisiko und sind daher nicht mit anderen Unternehmen vergleichbar. Konzernabhängige Unternehmen haben in ihrem Einzelabschluss häufig Mängel bzw. Informationsdefizite, die in der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Konzernunternehmens begründet sind.473 Der konsolidierte Abschluss (Konzernabschluss) ist um diese Mängel bzw. Informationsdefizite bereinigt. Jahresabschlüsse von konzernabhängigen Unternehmen wurden daher in der vorliegenden Untersuchung nicht analysiert. Die Unternehmen stammen überwiegend aus dem produzierendem/verarbeitendem Gewerbe sowie aus dem Bereich von Dienstleistungen für gewerbliche Kunden. Von den Unternehmen lagen überwiegend aus den verschiedenen Jahren jeweils die Gewinn- und Verlustrechnungen sowie die Bilanzen vor. Alle Unternehmen der vorliegenden Untersuchung befanden sich in einer wirtschaftlichen Krisensituation, aus der sie sich mit Hilfe einer Aufstockung ihrer bisher vorhandenen Finanzmittel durch eine weitere Kapitalzufuhr befreien wollten. Eine weitere klassische Hausbank-(Fremd-)Finanzierung haben diese Unternehmen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Lage und fehlender Sicherheiten dafür nicht mehr erhalten. Eine Möglichkeit für Unternehmen in solch einer Situation besteht darin, über die Hausbank einen Antrag auf Übernahme einer Landesbürgschaft zu stellen. Dabei stellt zwar wieder die Hausbank dem Unternehmen Fremdkapital zur Verfügung. Der Großteil des finanziellen Risikos wird der Hausbank aber durch Ausreichung einer Landesbürgschaft abgenommen.474 Somit trägt die Hausbank ein deutlich kleineres Restrisiko. Damit hat die Hausbank einen Anreiz, dem Unternehmen trotz fehlender Sicherheiten Fremdkapital zur Verfügung zu stellen. Häufig sind mit der Landesbürgschaft einige Auflagen verbunden, die das Unternehmen zu erfüllen hat (z. B. Einhaltung von bestimmten Arbeitsplatz-Erhaltungsmaßnahmen). Unternehmen in z. B. besonders strukturschwachen Regionen oder mit besonderer Bedeutung für die lokale Wirtschaft oder mit einer besonders hohen Zahl von gefährdeten Arbeitsplätzen 471
Vgl. Angerer (1978), S. 20 ff. Vgl. Scharpf/Sohler (1992), S. 87 ff. 473 Vgl. Küting/Weber (1991), S. 47 474 Vgl. Förderdatenbank (2007) 472
125
zählen auch zur Zielgruppe dieser Programme, bei denen eine Landesbürgschaft eingesetzt wird. Insbesondere die Auflagen, die mit der Ausreichung der Landesbürgschaft aufgestellt werden, behindern häufig strukturelle Veränderungen im Unternehmen. Einige Unternehmen haben statt der Fremdkapitalzufuhr eine Eigenkapitalfinanzierung durch eine private Beteiligungsgesellschaft erhalten. Dabei stellen die Unternehmen keine Sicherheiten. Die Beteiligungsgesellschaft erhält als Gegenleistung für die Eigenkapitalzufuhr Unternehmensanteile. Diese will die Beteiligungsgesellschaft in der Regel nach einem Zeitrahmen von 5 - 7 Jahren wieder veräußern. Der dann (erwartete) erzielte Mehrerlös für die Unternehmensanteile stellt die Vergütung für die Beteiligungsgesellschaft dar. Durch die Eigenkapitalzufuhr verbessert sich die Eigenkapitalquote des krisenhaften Unternehmens. Häufig kann anschließend für dieses Unternehmen noch eine kleinere Hausbank-Finanzierung erreicht werden. Die privaten Beteiligungsgesellschaften haben weniger Struktur fördernde Auflagen für die Unternehmen (wie z. B. Arbeitsplatzerhalt). Vielmehr muss die Beteiligungsgesellschaft die Überwindung der Krisensituation und damit das Potential zur Wertsteigerung des Unternehmens erkennen können. Von der Unternehmensführung wird ein wirtschaftlicher Erfolg des Unternehmens in einem überschaubaren Zeitraum erwartet. Dies ist einerseits zur Überwindung der Krisensituation für das Unternehmen wichtig. Andererseits ist diese positive Entwicklung auch für die private Beteiligungsgesellschaft wichtig, damit die erwartete Wertsteigerung des Unternehmens auch erreicht werden kann. Denn eine Beteiligungsgesellschaft ist in der Regel für das Unternehmen nur ein Partner auf Zeit. Nach einer durchschnittlichen Laufzeit von rund 3 - 7 Jahren verkauft eine Beteiligungsgesellschaft ihre Anteile an dem Unternehmen wieder. Um für diesen Verkauf einen höheren Preis als für den Einkauf zu erzielen, ist eine Wertsteigerung bei dem Unternehmen notwendig.475
4.1.3. Aufbereitung des empirischen Datenmaterials Zunächst wurden die Daten aus den Jahresabschlüssen in ein einheitliches Erfassungsschema eingegeben. Damit wurde sichergestellt, dass die Jahresabschlüsse der einzelnen Unternehmen vergleichbar sind. Dieses einheitliche Erfassungsschema (Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz, daraus abgeleitete Cash-Flow-Rechnung, 475
Vgl. Hellwig (2007), S. 17 f.
126
Mitarbeiteranzahl) ist ein digitales Analyse-Tool und bildet die Basis für alle daraus folgenden Auswertungen. Die Daten aus dem digitalen Analyse-Tool wurden dazu in weitere Tabellen übertragen. Diese bilden die Basis für die Ermittlung der ausgewählten Kennzahlen. So konnten, nachdem alle Tabellen mit den ausgewählten Werten vorlagen, in einem weiteren Schritt die entsprechenden Kennzahlen durch eine Verknüpfung untereinander automatisiert errechnet werden. Auch diese Ergebnisse lagen in Tabellenform vor (d. h. je eine Tabelle mit allen Unternehmen und allen vorliegenden Jahresabschlüssen für eine Kennzahl).476 Ziel dieser vorbereitenden Maßnahmen war es, möglichst viele automatisiert generierte Berechnungen zu ermöglichen. Diese (Teil-)Automation war notwendig, um das Risiko manueller Übertragungsfehler bei den komplexen Berechnungsmodellen zu minimieren. In einem weiteren Schritt wurden verschiedene Auswertungen erarbeitet, um Aussagen zu dem Ziel der empirischen Untersuchung ermöglichen zu können. Anhand von ausgewählten Kennzahlen wurde anschließend für jedes Unternehmen in einer Zeitreihe die wirtschaftliche Entwicklung verdeutlicht. Bei der Erfassung der Daten aus den Jahresabschlüssen wurden nur diejenigen Jahrgänge eines Unternehmens berücksichtigt, bei denen die kompletten Daten dieses Jahrgangs vorlagen. Fehlten in einem Jahr Angaben bzw. Daten für die Auswertung, so wurde dieses Jahr in der Auswertung nicht berücksichtigt. Damit sollten mögliche Verzerrungen bzw. falsche Berechnungen aufgrund falscher Zuordnungen bei der Ermittlung von Kennzahlen verhindert werden. Eine Zuordnung nach Branchen bzw. detaillierte Angaben außerhalb der Gewinn- und Verlustrechnung und der Bilanz (z. B. Lagebericht) lagen überwiegend nicht vor und konnten daher in der empirischen Untersuchung nicht berücksichtigt werden.
4.2. Einsatz der Bilanzanalyse für die empirische Untersuchung 4.2.1. Grundsätze der Bilanzanalyse In der Literatur gibt es unterschiedliche Definitionen des Begriffs „Bilanzanalyse“. Sie wird als die methodische Untersuchung von Jahresabschluss und Lagebericht eines Unternehmens beschrieben. Dabei ist das Ziel, entscheidungsrelevante Informatio476
Vgl. Anhang I
127
nen sowohl über die gegenwärtige wirtschaftliche Lage, als aber auch über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung eines Unternehmens zu erhalten. Grundsätzlich sind entscheidungsrelevante Informationen über die wirtschaftliche Lage neben den Informationen aus dem Jahresabschluss auch auf Angaben des Lageberichts und des Anhangs angewiesen.477 In der vorliegenden empirischen Analyse liegen jedoch nur Daten aus den Gewinn- und Verlustrechnungen sowie aus den Bilanzen der einzelnen Unternehmen vor. Die Aufbereitung (Verdichtung) und die Auswertung erkenntnisorientierter Unternehmensinformationen mit Hilfe von Kennzahlen, Kennzahlensystemen und sonstigen Methoden werden auch als Bilanzanalyse bezeichnet.478 Daneben gibt es in der Literatur noch weitere Definitionen.479 Zusätzlich zu der Aufbereitung und Präsentation von Informationen aus dem handelsrechtlichen Jahresabschluss wird versucht, weitere Informationen zu gewinnen, die nicht einfach dem Jahresabschluss oder sonstigen Informationsquellen entnommen werden können. Dazu werden bestimmte Positionen der Gewinn- und Verlustrechnung und der Bilanz analysiert (z. T. allein, in Gruppen zusammengefasst, Relationen gebildet u. a.).480 Ein verbesserter Einblick in die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage eines Unternehmens soll durch diese Ergänzungsaufgabe der Bilanzanalyse erreicht werden, indem Zusatzinformationen mit den vorhandenen Informationen verknüpft werden.481 Konkret sind die wirtschaftlichen Entwicklungen und Ergebnisse zu zeigen bzw. bestimmte Sachverhalte zu beurteilen, wenn sich bestimmte Einflussfaktoren einstellen. Die entscheidende Phase im Rahmen der Bilanzanalyse ist die Interpretation der so gewonnenen Erkenntnisse als Abschluss des Auswertungsvorgangs. Mit dem Grundsatz der Wesentlichkeit, dass diejenigen Einzelkomponenten vernachlässigt werden können, die keinen oder nur einen geringen Einfluss auf die Untersuchungsergebnisse haben, soll eine Informationsüberlastung vermieden werden.482 Pragmatisch wird auf die letzte Genauigkeit bei der Bilanzanalyse verzichtet.483 Die Bilanzanalyse wird unterschieden in interne und externe Bilanzanalyse. Bei einer internen Bilanzanalyse (auch Betriebsanalyse genannt) stehen den Analysten unbeschränkt alle im Unternehmen anfallenden Informationen zur Verfü477
Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2004), S. 1 Vgl. Küting/Weber (2001), S. 3 479 Vgl. Ballwieser (1993), Sp. 211; Kerth/Wolf (1993), S. 24; Krumnow (1985), S. 783 480 Vgl. Peemöller/Hüttche (1992), S. 9 481 Vgl. Küting/Weber (2001), S. 4 482 Vgl. Siener (1991), S. 11 ff. 483 Vgl. Leffson/Bönkhoff (1982), S. 394 ff. 478
128
gung. Dabei sind auch Daten enthalten, die bei der externen Analyse vorenthalten werden. Interne Daten können daher aktueller, zutreffender und zukunftsorientierter sein als externe Daten.484 Informationen, die aufgrund gesetzlicher Vorschriften oder freiwilliger Maßnahmen von der Unternehmensführung zur Verfügung gestellt werden, dienen als Basis für die externe Bilanzanalyse. Zusätzlich werden noch die Daten ausgewertet, die Dritten erstellt und veröffentlicht bzw. allgemein zugänglich gemacht worden sind. Hierbei liegt aber für den Analysten die Schwierigkeit darin, die Daten auf Richtigkeit zu überprüfen.485 Für eine externe Bilanzanalyse ist der Jahresabschluss (sowie gegebenenfalls Zwischenabschlüsse) die wichtigste, häufig die einzige Informationsquelle.486 In der Analysepraxis werden in der Bilanzanalyse überwiegend die Informationen von fremden, weniger des eigenen, Unternehmens ausgewertet. Der Begriff „Bilanzanalyse“ wird daher meist auf die externe Analyse eingeengt.487 In der vorliegenden Arbeit werden aus den Jahresabschlüssen der Unternehmen die Gewinn- und Verlustrechnungen sowie die Bilanzen ausgewertet. Informationen über den Anhang oder Lagebericht liegen nicht vor. Die empirische Analyse basiert somit auf einer eingeschränkten externen Bilanzanalyse. Der Zweck einer Bilanzanalyse ist von den Informationen abhängig, die diejenigen benötigen, die den Jahresabschluss erhalten.488 Somit ist die Bilanzanalyse ein Auswertungssystem, welches adressaten- und zweckspezifisch ist.489 Die Zwecksetzung wird reduziert durch die Informationsinteressen der Bilanzadressaten.490 Das Ziel der Bilanzanalyse ist die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens. Dazu werden Vergleiche (Zeit-, Betriebs- und Normenvergleiche) eingesetzt.491 Insbesondere die gegenwärtige Ertragslage soll beurteilt werden, und zwar mit dem Ziel, die zukünftige Ertragskraft des Unternehmens zu prognostizieren. Weiterhin soll die finanzielle Stabilität beurteilt werden, um einschätzen zu können, ob das Unternehmen seine gegenwärtigen und zukünftigen Zahlungsverpflichtungen nachkom-
484
Vgl. Küting/Weber (2001), S. 6 Vgl. Buchner (1981), Sp. 194 Vgl. Döring (2000), S. 134 487 Vgl. Küting/Weber (2001), S. 7 488 Vgl. Leffson (1984), S. 25 489 Vgl. Pellens (1989), S. 155 490 Vgl. Buchner (1981), Sp. 196 491 Vgl. Küting/Weber (2001), S. 11 485 486
129
men sowie Wachstum und Anpassungsmaßnahmen an veränderte Markt- und Konjunkturbedingungen finanzieren kann.492 Die nachfolgende Abbildung 18 zeigt zusammenfassend die grundsätzliche Vorgehensweise bei der Bilanzanalyse:493 1. Schritt
Festlegung des Analyseziels
2. Schritt
Sammlung von allgemeinen Daten über die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen
3. Schritt
Erfassung der Daten aus dem Geschäftsbericht
4. Schritt
Bildung kreativer Kennzahlen und je einer Hypothese für jede Kennzahl
5. Schritt
Kennzahlenauswahl
6. Schritt
Kennzahleninterpretationen
7. Schritt
Bildung eines Gesamturteils
Abbildung 18: Die sieben Schritte der Bilanzanalyse Quelle: Baetge/Kirsch/Thiele (2004), S. 25
Die Festlegung des Analyseziels ist der 1. Schritt der Bilanzanalyse. Dieser ist von grundlegender Bedeutung für die weiteren Schritte bzw. Vorgehensweise bei der Bilanzanalyse, da diese auf die Erreichung des Analyseziels ausgerichtet sind. Während z. B. Eigenkapitalgeber (Erhöhung des Einkommensstroms) als wichtigstes Analyseziel die Analyse der Ertragslage definieren, ist für Fremdkapitalgeber (Sicherstellung der Bedienung von Krediten) die Finanzanalyse ein primäres Analyseziel. Ein Analyseziel muss nicht zwingend endgültig festgelegt sein, sondern kann auch vom Bilanzanalytiker nach Vorliegen neuer Erkenntnisse im Verlauf der Bilanzanalyse modifiziert werden.494 Das Analyseziel der empirischen Untersuchung in der vorliegenden Arbeit ist die Untersuchung der wirtschaftlichen Entwicklung der Unternehmen, insbesondere ab dem
492
Vgl. Gräfer (1990), Rn. 193 Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2004), S. 24 f. 494 Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2004), S. 27: Schult (1999), S. 38 493
130
Jahr t0. Damit soll überprüft werden, ob sich Unternehmen durch die jeweilige Kapitalzufuhr wirtschaftlich positiv entwickeln konnten. Die Sammlung von allgemeinen Daten über die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen als 2. Schritt der Bilanzanalyse fiel in der vorliegenden Arbeit sehr knapp aus. Es konnten lediglich die Jahreszahlen und die Anzahl der Beschäftigten ermittelt werden. Bei der Erfassung der Daten aus dem Geschäftsbericht als 3. Schritt der Bilanzanalyse konnte auf die vorliegenden Gewinn- und Verlustrechnungen sowie Bilanzen der Unternehmen zurückgegriffen werden. Diese Daten wurden in einem einheitlichen Schema erfasst. Im Kapitel 4.3. werden die Schritte 4 - 6 der Bilanzanalyse beschrieben: Die Bildung kreativer Kennzahlen und je einer Hypothese für jede Kennzahl, die Kennzahlenauswahl sowie die Kennzahleninterpretation. Dabei stehen insbesondere verschiedene Kennzahlenvergleiche im Mittelpunkt dieses Schrittes. Im Kapitel 5 erfolgt als abschließender 7. Schritt der Bilanzanalyse die Bildung des Gesamturteils. Ein zentrales Element zur Bildung eines Gesamturteils können Kennzahlensysteme sein. Insgesamt werden je nach Grad der Objektivität drei Kennzahlensysteme unterschieden:495 - traditionelle Kennzahlensysteme, die zu einem subjektivem Gesamturteil führen; - Scoring-Modelle, mit denen sich ein quasi-objektives Gesamturteil ermitteln lässt; - Kennzahlensysteme auf der Basis mathematisch-statistischer Verfahren, mit denen sich ein objektives Gesamturteil bilden lässt. Einzelne Kennzahlensysteme werden im Kapitel 4.3.1 erläutert. Neben der klassischen Bilanzanalyse, der Kennzahlenbildung und des Kennzahlenvergleichs gibt es weitere, neuere Ansätze der Bilanzanalyse: - Multivariate Diskriminanzanalyse: Im Mittelpunkt steht die Frage, ob es für ein Unternehmen Kennzahlen gibt, anhand derer durch mathematisch-statistische Verfahren die nachhaltige Ertragskraft sowie die Zukunftschancen prognostiziert werden können.496 - Künstliche Neuronale Netze: Mit Hilfe dieses Verfahrens soll die gleiche Fragestellung wie bei der multivariaten Diskriminanzanalyse beantwortet werden. Als ein 495 496
Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2004), S. 50 ff. Vgl. Grenz (1987), S. 15 ff.
131
Zweig der künstlichen Intelligenz können neuronale Netze als Verfahren der Mustererkennung zur Krisendiagnose bzw. Kreditwürdigkeitsentscheidung eingesetzt werden.497 - RSW-Verfahren: Unternehmen werden anhand von sechs Kennzahlen nach Rendite, Sicherheit und Wachstum (RSW) beurteilt. Diese Kennzahlen werden mit Hilfe statistischer Verfahren zu einem Gesamt-Score verdichtet und vergleichbar gemacht (Scoring- bzw. Punktbewertungsverfahren).498
4.2.2. Grenzen der Bilanzanalyse Die Aussagefähigkeit der Bilanzanalyse anhand von Kennzahlenbildung und -vergleich wird durch mehrere Faktoren eingeschränkt: 1. Veraltetes Zahlenmaterial Der Jahresabschluss ist durch einen ausgeprägten Vergangenheitsbezug charakterisiert.499 Dazu kommt noch die in der Regel längere Zeitspanne (rd. 3 - 6 Monate) zwischen dem Bilanzstichtag und dem Zeitpunkt der Veröffentlichung. Damit sind die zu verwendenden Kennzahlen zum Zeitpunkt der Analyse bereits veraltet.500 Insbesondere gilt dies für die stichtagsbezogenen Kennzahlen zur Vermögens- und Liquiditätslage. 2. Nicht alle erforderlichen Informationen sind verfügbar Die Kennzahlen, die aus dem Jahresabschluss abgeleitet und analysiert werden, sind quantifizierbare Größen. Weitergehende (auch qualifizierbare) Informationen (z. B. Qualität des Managements, technisches Know-how, Image) sowie weiterführende Informationen, die die Geschäftsvorfälle direkt betreffen (z. B. Abnahme- und Lieferkontraktverpflichtungen, Auftragsbestände, mengenmäßige Zusammensetzung der Vorräte, freie Kreditlinien u. a.) fehlen im Jahresabschluss.501
497
Vgl. Krause (1993), S. 33 ff. Vgl. Küting/Weber (2001), S. 18 499 Vgl. Moxter (1975), S. 328 500 Vgl. Staehle (1969), S. 67 501 Vgl. Küting/Weber (2001), S. 49 498
132
3. Fehlen eines objektiven Vergleichsmaßstabs Grundsätzlich fehlt eine allgemein anerkannte betriebswirtschaftliche Theorie zur Festlegung von Sollwerten für gesunde Unternehmen.502 Bisher basiert die Beurteilung einer Unternehmensentwicklung auf subjektiv festgelegten Sollwerten von Kennzahlen. 4. Zweckorientierte Bewertungspolitik Durch unterschiedliche Ausnutzung von Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechten sowie durch die Auslegung von Ermessensspielräumen können die Daten im Jahresabschluss in erheblichem Maße beeinflusst werden.503 5. Komplexe Sachverhalte werden stark komprimiert Komplizierte Sachverhalte und Zusammenhänge werden bei der Kennzahlenbildung auf eine Nenner- und Zählergröße reduziert. Wichtige Erkenntnisse, die sich auf Einzelposten in einem Jahresabschluss beziehen, können verloren gehen. Daher gewinnt der Einsatz von Kennzahlensystemen in der Praxis gegenüber der Verwendung von einzelnen Kennzahlen zunehmend an Bedeutung.504 6. Irreführende Postenbezeichnungen Bei einigen Bezeichnungen von Posten im Jahresabschluss kann es zu Fehldeutungen kommen (z. B. kann in der Position Eigenkapital, dadurch dass dieses auch den Bilanzgewinn und damit eine mögliche Ausschüttung an die Anteilseigner enthält, z. T. auch der Charakter einer kurzfristigen Verbindlichkeit enthalten sein).505 7. Zielorientierte Gestaltung der Stichtagsrechnung Als Stichtagsrechnung ist die Beständebilanz die Abbildung einer Momentaufnahme des Unternehmensgeschehens. Durch das Ausnutzen von vorhandenen Wahlrechten und Spielräumen (z. B. Wahl von Zahlungsterminen, Bildung stiller Reserven) kann diese Momentaufnahme des Unternehmens zielorientiert beeinflusst werden.506
502
Vgl. Baetge/Niehaus (1989), S. 145 ff. Vgl. Buchner (1981a), S. 109 504 Vgl. Küting/Weber (2001), S. 50 505 Vgl. ebenda, S. 50 f. 506 Vgl. Wöhe (1997), S. 834 f. 503
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Das kann sogar dazu führen, dass durch die Möglichkeiten zur Beeinflussung einer Kennzahl diese so verfälscht wird, dass negative Entwicklungen im Unternehmen mit Hilfe der traditionellen Bilanzanalyse durch einen Zeit- oder Betriebsvergleich meist erst zu spät erkannt werden können.507 8. Möglichkeiten von Fehlinterpretationen Bei der Auswertung von Kennzahlen besteht die Gefahr einer Fehlinterpretation dieser Kennzahlen (z. B. indem Fehldeutungen über die Zähler- und/oder Nennergrößen stattfinden).508 9. Mangelnde Aussagefähigkeit der Einzelabschlüsse von Konzernunternehmen Bei der Auswertung von Einzelabschlüssen von Konzernunternehmen muss beachtet werden, dass deren Aussagefähigkeit durch Verfälschungen sehr stark beeinträchtigt werden kann.509 So können z. B. Lieferungen oder Leistungen zwischen Konzernunternehmen mit marktunüblichen Konzernverrechnungspreisen bewertet oder aber liquide Mittel zwischen den Konzernunternehmen umgeschichtet werden.510 10. Wirtschaftlichkeits- und Wesentlichkeitsgrundsatz Auch bei der Bilanzanalyse ist der Wirtschaftlichkeits- und Wesentlichkeitsgrundsatz zu beachten. Die Kosten der Informationsgewinnung sollten den Informationsnutzen (den durch die betreffenden Informationen erzielten Ertrag) nicht übersteigen. Dies gilt zunächst für die Beschaffung und Aufbereitung des Grundlagenmaterials und liegt somit im Vorfeld der Kennzahlenbildung. Weiterhin sollen nur solche (wesentlichen) betrieblichen Sachverhalte analysiert werden, die zu einer Verbesserung des Einblickes in die derzeitige oder zukünftige Unternehmenslage beitragen bzw. von denen eine mögliche Beeinflussung der Urteilsfindung des Kennzahlenempfängers erwartet werden kann.511 Eine in der Analysepraxis zu beobachtende Inflation der Kennzahlen soll vermieden werden.
507
Vgl. Baetge (1980), S. 653 Vgl. Küting/Weber (2001), S. 52 f. 509 Vgl. auch Kapitel 4.1.2. 510 Vgl. Ballwieser (1987), S. 57 511 Vgl. Siener (1991), S. 18 508
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Dem Analytiker müssen zur Vermeidung von Fehlinterpretationen die Grenzen der Bilanzanalyse bewusst sein. Bei Nichtbeachtung dieser Grenzen sind folgenschwere Fehlentscheidungen, gerade im Rahmen der Betriebsanalyse, möglich.512 Die Bilanzanalyse als Kennzahlenrechnung besetzt trotz der berechtigten kritischen Einwände und möglichen Fehlurteile eine zentrale Schlüsselrolle bei der Interpretation komplexer Unternehmensinformationen.513 In der vorliegenden Untersuchung wird die Bilanzanalyse trotz der aufgezeigten Grenzen mit der Kennzahlenrechnung durchgeführt. Aufgrund des hohen Volumens der einzelnen Datensätze ist ein Vergleich der 63 Unternehmen bzw. 213 Jahresabschlüsse mit Kennzahlensystemen zu komplex.
4.3. Entwicklung des Kennzahlenkatalogs 4.3.1. Grundsätze der Kennzahlenbildung und Kennzahlensysteme Der Begriff Kennzahlen wird in der Literatur synonym oft mit anderen Begriffen eingesetzt (z. B. Kennziffern, Messgrößen, Indikatoren u. a.).514 In der vorliegenden Arbeit wird die Definition von Bürkler als Basis eingesetzt: „Kennzahlen sind betrieblich relevante, numerische Informationen“.515 Informationen werden in der Betriebswirtschaftslehre als zweckorientiertes Wissen verstanden.516 Der Akteur, der die Information verlangt bzw. erhält, bestimmt den Zweck. In der vorliegenden Arbeit ist der Akteur ein unternehmensexterner Analyst, der die wirtschaftliche Situation des Unternehmens beurteilen soll. Informationen, die als Bezugsobjekt das Unternehmen haben, sind betrieblich relevant.517 Dies können sowohl unternehmensinterne als auch -externe sein. Numerische Informationen liegen in Zahlenform vor. In der vorliegenden Arbeit werden die Kennzahlen analysiert, die von unternehmensexternen Nutzern/Adressaten zur Beurteilung der wirtschaftlichen Situation verwendet werden können. Die Auswahl von Kennzahlen zur Beurteilung bzw. Steuerung von Unternehmen muss zum großen Teil jeweils individuell an das Unternehmen angepasst erfolgen. 512
Vgl. Perridon (1969), S. 7 Vgl. Krehl (1985), S. 6 514 Vgl. Sandt (2004), S. 9 515 Vgl. Bürkler (1977), S. 6 516 Vgl. Staehle (1973), S. 223 517 Vgl. Kern (1971), S. 702 513
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Es müssen jedoch auch leistungsrelevante Kennzahlen, die die wirtschaftliche Situation des Unternehmens als Ganzes ausreichend beschreiben, eingesetzt werden.518 Dabei gibt es zwei Möglichkeiten, Kennzahlen zu verwenden: Einerseits können mehrere einzelne Kennzahlen untersucht werden, andererseits können aber auch Kennzahlensysteme zum Einsatz kommen. Neben der Verwendung von Kennzahlensystemen können aber auch einzelne Kennzahlen zur Bewertung und Steuerung eines Unternehmens verwendet werden. Die Schwierigkeit liegt, wie bereits erwähnt, in der Auswahl der wichtigsten Kennzahlen, weil es dafür keine objektiven Kriterien gibt.519 Kennzahlensysteme Um einen betrieblich relevanten Sachverhalt hinreichend beurteilen zu können, sind mehr als eine Kennzahl nötig. Eine einzelne Kennzahl, für sich allein betrachtet, hat nur eine begrenzte Aussagefähigkeit.520 Ein Kennzahlensystem wird in der Literatur definiert als „zwei oder mehr Kennzahlen, die in einer Beziehung zueinander stehen, einander ergänzen oder erklären“.521 Bei einem Kennzahlensystem werden mehrere Kennzahlen logisch und/oder rechnerisch miteinander verknüpft, die zueinander in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen. Kennzahlen und Kennzahlensysteme erhöhen die Transparenz in einem Unternehmen.522 Sie dienen auch als Mittel zur Abbildung von Unternehmenszielen.523 Ausgangspunkt ist dabei sehr häufig das oberste Unternehmensziel, das in mehrere Teilziele unterteilt wird.524 Ein Kennzahlensystem, das für jedes Unternehmen einen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit erheben könnte, gibt es nicht. So werden auf Basis von betriebsindividuellen Zielsystemen entsprechende betriebsindividuelle Kennzahlensysteme entwickelt. Wichtige Ziele können Gewinn, Soziale Verantwortung gegenüber der Belegschaft, Unabhängigkeit, Marktanteil, Sicherheit, Wachstum, Prestige oder Kundenpflege sein.525 Um aus den Unternehmenszielen Kennzahlen ableiten zu können, werden zunächst nur die quantifizierbaren und relativierbaren Unternehmensziele berücksichtigt: Gewinn, Marktanteil und Wachstum. Die Unabhängigkeit kann durch das 518
Vgl. Siegwart (2002), S. 23 Vgl. Eckardstein (1982), S. 424 Vgl. Reichmann/Lachnit (1976), S. 706 f. 521 Vgl. Siegwart (2002), S. 27 ff. 522 Vgl. Sandt (2004), S. 24 523 Vgl. Heinen (1966), S. 218 524 Vgl. Siegwart (2002), S. 27 525 Vgl. Hunziker (1975), S. 64 519 520
136
Verhältnis von Fremdkapital zu Eigenkapital und die Sicherheit durch einen Liquiditätsgrad ausgedrückt werden. Zur Erarbeitung einer branchenunabhängigen Kennzahlenordnung können die bisherigen Unternehmensziele zu folgenden drei unmittelbaren Betriebszielen verdichtet werden:526 - möglichst hohe Leistung - möglichst günstiges Aufwand-/Ertragsverhältnis bei der Erstellung dieser Leistung - angemessene Rendite der eingesetzten Mittel. Die primären Kennzahlen geben Auskunft über die Rentabilität, Wirtschaftlichkeit und Produktivität. Sie dienen zur Ermittlung, ob und inwieweit die drei unmittelbaren Betriebsziele erreicht werden konnten.527 Das älteste Kennzahlensystem ist das Du Pont-Kennzahlensystem, welches erstmals 1919 bei der E. I. Du Pont de Nemours and Company, USA, eingesetzt wurde. Die Spitzenkennzahl dieses Kennzahlensystems ist der „Return on Investment“ (kurz: ROI) = Kapitalrentabilität. Die zwei nächsten daraus abgeleiteten Kennzahlen sind die Umsatzrentabilität und der Kapitalumschlag.528 Zusätzlich werden im Du Pont-System nur noch absolute Größen zur Analyse des Ertrags, des Aufwands, des Vermögens und des Kapitals eingesetzt.529 Das Kennzahlensystem vom Zentralverband der Elektrotechnischen Industrie e. V. (kurz: ZVEI-System) wurde erstmalig 1970 präsentiert.530 Es ist branchenneutral und wird, teilweise leicht modifiziert, von Unternehmen in den unterschiedlichsten Wirtschaftszweigen eingesetzt. Die Eigenkapitalrentabilität ist die Spitzenkennzahl des ZVEI-Systems. Dies verwendet sowohl Verhältniszahlen als auch absolute Größen. Zusätzlich werden Angaben des handelsrechtlichen Jahresabschlusses ebenso wie Daten aus der Kosten- und Leistungsrechnung berücksichtigt. Gleichzeitig werden auch noch Wert- und Mengengrößen verwendet. Viele dieser Informationen sind nur dem internen Rechnungswesen zu entnehmen. Externe Analytiker können daher das ZVEI-System nicht vollständig nutzen. Das ZVEI-System ist sehr umfangreich und umfasst 140 einzelne Kennzahlen, die sich in 74 Haupt- und 66 Hilfskennzahlen unterteilen. 526
Vgl. ebenda, S. 65 Vgl. Hunziker (1975), S. 65 528 Vgl. Schott (1991), S. 290 ff. 529 Vgl. Küting (1983), S. 291 f. 530 Vgl. ebenda, S. 292 527
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Aufgrund der Größe und Komplexität wird das ZVEI-System in der Literatur auch kritisch bewertet.531 Das ZVEI-System umfasst einerseits eine Wachstumsanalyse (Beobachtung der Indikatoren Vertriebstätigkeit, Ergebnis, Kapitalbindung und Wertschöpfung/Beschäftigung) und andererseits die Strukturenanalyse, deren Spitzenkennzahl die bereits erwähnte Eigenkapitalrentabilität ist. Zu deren Ermittlung werden als weitere Kennzahlen dazu der Return on Investment sowie der Eigenkapitalanteil verwendet. Weitere wichtige Kennzahlen sind das Periodenergebnis, der Cash Flow, die Anlagendeckung und die Liquidität. Diese basieren wiederum auf weitere Kennzahlen. Als Instrument der Unternehmensanalyse wird das ZVEI-System verwendet, um zu überprüfen, ob die Verhältnisse im Unternehmen mit den vorgegebenen Unternehmenszielen übereinstimmen. Weiterhin wird es auch als Planungsinstrument eingesetzt. Ein weiteres Kennzahlensystem ist das Rentabilitäts-Liquiditäts-Kennzahlensystem (kurz: RL-System) von Reichmann/Lachnit.532 Es dient als unternehmensinternes Instrument, welches als zentrale Kenngrößen den Erfolg und die Liquidität betrachtet. Die Liquidität wurde bei den beiden zuvor genannten Kennzahlensystemen zugunsten der Rentabilität deutlich vernachlässigt. Insgesamt werden beim RL-System 39 Kennzahlen analysiert. Dieses sind sowohl Verhältniszahlen als auch absolute Zahlen und stammen aus dem internen und externen Rechnungswesen. Es besteht aus einem allgemeinen Teil und aus einem Sonderteil. Im allgemeinen Teil werden als Spitzenkennzahlen das ordentliche Ergebnis und die liquiden Mittel eingesetzt. Weitere verwendete und dem ordentlichen Ergebnis nachgeordnete Kennzahlen sind die Gesamtkapitalrentabilität, die Kapitalumschlagshäufigkeit und die Umsatzrentabilität. Der Spitzenkennzahl liquide Mittel nachgeordnete Kennzahlen sind der Cash Flow und das Working Capital. Im Sonderteil werden im RL-System unternehmensindividuelle Zahlenangaben gemacht, die z. B. abhängig von der Branche, der Unternehmensstruktur u. a. sind. Weitere hier angegebene Zahlen sind zur Ergänzung der Kennzahlen des allgemeinen Teils erforderlich.
531 532
Vgl. ebenda, S. 292 f. Vgl. Küting (1983), S. 294 ff.
138
Daneben gibt es auch noch weitere Kennzahlensysteme (z. B. das Ratios au tableau de bord, die Pyramid Structure of Ratios).533 Neben der im am weitesten verbreiteten DuPont-System verwendeten Zielgröße Kapitalrentabilität ist der Cash-Flow die zweite wichtige Zielgröße in einem Unternehmen, um die langfristige Erhaltung des Unternehmens sicherstellen zu können.534 Ein entsprechend integriertes Kennzahlensystem hat Siegwart aufgestellt.535 In dem Saarbrücker Modell zur Unternehmensbeurteilung erfolgt sowohl eine qualitative als auch eine quantitative Analyse der veröffentlichten Jahresabschlussdaten. Damit soll eine zutreffendere Beurteilung der untersuchten Unternehmen erreicht werden, als dies allein mit Kennzahlen möglich wäre.536 Grenzen von Kennzahlen und Kennzahlensystemen Grundsätzlich sind drei Arten von Grenzen bei der Anwendung der Kennzahlen und Kennzahlensysteme zu unterscheiden: mögliche qualitative Grenzen, anwendungsbezogene Grenzen und allgemeine Grenzen quantifizierter Informationen.537 Qualitative Grenzen können sich z. B. durch eine fehlerhafte Erhebung der Kennzahlen ergeben. Weiterhin können auch die Verknüpfungen von Kennzahlen eines Kennzahlensystems fehlerhaft sein. Der Nutzen einer Kennzahl und die Kosten der Ermittlung müssen außerdem in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen.538 In der Person der Anwender bzw. Nutzer liegen die anwendungsbezogenen Grenzen begründet. Kennzahlen und Kennzahlensysteme werden durch mangelndes Wissen der Nutzer über sie in ihrer Bedeutung deutlich eingeschränkt.539 Die Quantifizierung eines betrieblichen Sachverhalts in einer Kennzahl kann zu einer Verengung des abgebildeten Sachverhalts führen. Kennzahlen und Kennzahlensysteme geben daher die Realität nicht vollständig wieder.540 Dieser Informationsverlust liegt in der Natur numerischer, d. h. quantifizierter Informationen.541
533
Vgl. Schott (1991), S. 292 ff.; Staehle (1969), S. 76 Vgl. Siegwart (2002), S. 45 f. Vgl. ebenda, S. 48 536 Vgl. Küting/Weber (2001), S. 419 537 Vgl. Sandt (2004), S. 28 538 Vgl. ebenda, S. 28 539 Vgl. Staudt et al. (1985), S. 111 540 Vgl. Sandt (2004), S. 29 541 Vgl. Galler (1969), S. 273 534 535
139
4.3.2. Erläuterung der bei der Untersuchung eingesetzten Kennzahlen Die vorliegende Untersuchung beruht auf dem Vergleich von Jahresabschlusskennzahlen der einzelnen Unternehmen. Jahresabschlusskennzahlen sind Größen, die einen Sachverhalt verdichtet wiedergeben sollen.542 Von der Entscheidung, welche Kennzahlen für diese Untersuchung verwendet werden ist die Qualität der Untersuchungsergebnisse entscheidend abhängig. Kennzahlen werden unterschieden in absolute Zahlen und Verhältniszahlen.543 Verhältniszahlen weisen im Zähler und im Nenner Zahlen des Jahresabschlusses auf und ermöglichen einen Vergleich von Kennzahlenwerten von Unternehmen unterschiedlicher Größe. Dabei müssen sich Zähler und Nenner zeitlich, sachlich und hinsichtlich der Wertkategorie entsprechen.544 In der vorliegenden Untersuchung wurden insgesamt 13 Verhältniszahlen und zwei absolute Zahlen (Working Capital und Cash Flow) untersucht. Anhand der Untersuchung der beiden absoluten Zahlen sollte geprüft werden, ob die Unternehmen eine Trendentwicklung bei ihrer Ertragsstärke aufweisen. Dabei ist primär der Trend wichtig und weniger der absolute Betrag in EURO. In der Literatur wird die Meinung vertreten, dass für jede Kennzahl eine Arbeitshypothese aufgestellt werden sollte, mit deren Hilfe eine Überprüfung der wirtschaftlichen Entwicklung der einzelnen Unternehmen möglich ist. Diese Arbeitshypothesen könnten z. B. lauten, dass bestimmte Kennzahlenwerte von wirtschaftlich gesunden Unternehmen im Durchschnitt kleiner bzw. größer als die von wirtschaftlich angeschlagenen Unternehmen sind.545 So lautet eine Hypothese sehr häufig, dass die Eigenkapitalquote bei wirtschaftlich gesunden Unternehmen (G) größer ist als bei wirtschaftlich angeschlagenen (A) Unternehmen (G > A). Andererseits wird in der Literatur für den Test von Hypothesen eine Theorie der Bilanzanalyse gefordert, die die vorgefundenen Finanzierungsheuristiken entweder als Fehlinformationen zurückweist oder als Informationshilfe in einem bestimmten Rahmen von Anwendungsvoraussetzungen begründet. Kennzahlen und die entsprechenden Arbeitshypothesen können „nur“ als Informationshilfe für die Adressaten
542
Vgl. Staudt et al. (1985), S. 22 ff. Vgl. Hüls (1995), S. 70 544 Vgl. Knüppe (1984), S. 136 545 Vgl. Feidicker (1992), S. 56 ff. 543
140
(z. B. Analyst, Kreditprüfer o. a.) und nicht als Handlungsempfehlungen dienen. Die Annahmen, die für die Finanzierungshypothesen gelten, sind in der Regel sehr komplex. So wird z. B. aus der plausiblen Finanzierungsheuristik „höhere Eigenkapitalquote führt zu geringerem Insolvenzrisiko“ erst durch Berücksichtigung der relevanten Randbedingungen eine wissenschaftlich fundierte Finanzierungshypothese. Eine höhere Eigenkapitalquote für sich allein betrachtet ist kein Garant für ein geringeres Insolvenzrisiko, da sie die Unternehmensführung auch zu riskanteren Investitionen verleiten könnte.546 In der vorliegenden Untersuchung wurden zu den einzelnen Kennzahlen Arbeitshypothesen aufgestellt. Zusätzlich wurden aber auch weitere Informationen zu diesen Kennzahlen sowie teilweise Vergleichswerte aus der Literatur ergänzt. Die Bildung des vorliegenden Kennzahlenkatalogs erfolgte nach folgenden Kriterien:547 - Formale Grundsätze - Aussagefähigkeit der Kennzahlen - Können die Kennzahlen anhand der vorhandenen Daten gebildet werden? - Häufigkeit der Erwähnung der Kennzahlen in der Literatur zu Bilanzanalyse Ein Teil der Bilanzanalyse ist die Analyse der Vermögenslage. Dabei wird die Zusammensetzung der Aktivseite der Bilanz (die Vermögensstruktur) untersucht, um die Mittelverwendung zu überprüfen. Untersucht werden insbesondere welche Arten des Vermögens und in welcher Zusammensetzung das Vermögen finanziert wurden sowie die Dauer der Vermögensbindung.548 Die Flexibilität eines Unternehmens, sich an Beschäftigungs- und Strukturveränderungen anpassen zu können, hängt sehr stark von der Struktur des Vermögens ab (z. B. wie schnell kann ich bei Bedarf einzelne Vermögensgegenstände veräußern?).549 Da die (relativen) Kennzahlen zur Vermögenslage (z. B. Anlagenintensität = Anlagevermögen/Gesamtvermögen) mehr die Unternehmenssituation beschreiben und weniger zur Beurteilung der Vorteilhaftigkeit gegenüber einem Vergleichsunternehmen geeignet sind, ist die Analyse der Vermögenslage weniger bedeutend als die Analyse 546
Vgl. Hüls (1995), S. 72 Vgl. Gebhardt (1980), S. 133 ff. 548 Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2004), S. 191 549 Vgl. Gräfer (2005), S. 124 f. 547
141
der Finanz- und der Erfolgslage, die Aussagen über die finanzielle Stabilität und über die Liquidität ermöglichen.550 Außerdem ist empirisch bewiesen worden, dass die Kennzahlen der Finanzlage besser als die Kennzahlen der Vermögenslage geeignet sind, wirtschaftlich gesunde von wirtschaftlich angeschlagenen Unternehmen zu unterscheiden.551 In der vorliegenden Untersuchung wurde daher die Bilanzanalyse auf die Analyse der Finanzlage beschränkt sowie auf die Analyse der Erfolgslage. Charakterisiert wird die Finanzlage durch folgende drei Teilbereiche:552 - die Kapitalstruktur, - die horizontale Bilanzstruktur und - die Zahlungsströme. Bei der Analyse der Kapitalstruktur wird das Kapital, welches sich aus Eigenkapital und Fremdkapital zusammensetzt, analysiert.553 Die Analyse der Kapitalstruktur soll über Quellen und Zusammensetzung nach Art, Sicherheit und Fristigkeit des Kapitals zum Zwecke der Abschätzung der Finanzierungsrisiken Aufschluss geben.554 Schwerpunkt ist die Analyse des Verhältnisses von Eigen- zu Fremd- und Gesamtkapital. Untersucht wird außerdem die Struktur der einzelnen Eigen- sowie Fremdkapitalbestandteile.555 Nachfolgend sind die Kennzahlen aufgeführt, die in der vorliegenden Untersuchung für die Analyse der Kapitalstruktur verwendet worden sind: 1. Eigenkapitalquote = (Eigenkapital * 100) / Gesamtkapital Die Arbeitshypothese lautet: Die Eigenkapitalquote ist bei wirtschaftlich gesunden Unternehmen (G) tendenziell höher als bei wirtschaftlich angeschlagenen Unternehmen (A) = G>A. Das Eigenkapital als wichtigste Bezugsgröße steht dem Unternehmen unbefristet zur Verfügung.556 Die Höhe des Eigenkapitals ist ein Indiz dafür, bis zu welcher Höhe ein Unternehmen Verluste machen kann, ohne die Rückzahlung des Fremdkapitals zu gefährden bzw. die Dauer von Verlustperioden. Es übernimmt eine Verlustaus550
Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2004), S. 192 Vgl. ebenda, S. 192 552 Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2004), S. 225 553 Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2004), S. 225 554 Vgl. Siegwart (2002), S. 54 555 Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2004), S. 228 556 Vgl. Paul (1990), S. 1084 551
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gleichsfunktion gegenüber dem Fremdkapital.557 Dabei sind aber die Möglichkeiten zur Beeinflussung der Bilanzpositionen und -summe zu berücksichtigen. Hat z. B. ein Unternehmen einen sehr hohen Anteil an Leasing-Finanzierungen (statt z. B. Käufe), so relativiert dies die Bilanzsumme und die Summe des Anlagevermögens. Gleichwohl bestehen aber entsprechende Zahlungsverpflichtungen, die bei der Bewertung des Eigenkapitalanteils (und auch der Anlagendeckung) berücksichtigt werden müssen.558 Die Höhe der Eigenkapitalquote beeinflusst sehr stark die Bereitschaft der Banken, Kredite zu gewähren. Während für das Fremdkapital auch in wirtschaftlich schwierigen Situationen Zins- und Tilgungsleistungen erbracht werden müssen, können in solchen Situationen Ausschüttungen auf das Eigenkapital unterbleiben.559 Als Faustregel für Eigenkapitalquoten bei Unternehmen mit mittlerem Risiko gelten die Größenordnungen in der nachfolgenden Abbildung 19:560 Betriebstyp Industriebetrieb - genügend ab - gut ab Handelsbetrieb - genügend ab - gut ab
Schweiz
Deutschland/Österreich
40% 50%
25% 30%
25% 30%
15% 20%
Abbildung 19: Übersicht von Eigenkapitalquoten Quelle: Siegwart (2002), S. 55
Weitere empirische Untersuchungen weisen nach, dass Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes mit einer Eigenkapitalquote von 25 % als recht bestandsfest betrachtet werden können.561 2. Kurzfristige Fremdkapitalquote = (kurzfristiges Fremdkapital * 100) /Gesamtkapital Die Arbeitshypothese lautet: GA. Die grundsätzliche Zielgröße liegt bei 10 bis 30 %. Dabei sind Schwankungen möglich, welche im Zeitablauf zu betrachten sind.575 Diese Kennzahl gehört zu den Liquiditätsregeln, welche die kurz- und mittelfristigen Vermögensteile und Schulden zueinander ins Verhältnis setzen (kurzfristige Deckungsgrade). Unterstellt wird für das Unternehmen, dass die zukünftige Zahlungsfähigkeit dann als gesichert gilt, wenn Vermögensgegenstände mit entsprechender Fristigkeit den nach Fälligkeitsterminen geordneten finanziellen Verpflichtungen gegenüberstehen (d. h. wenn die Zahlungs571
Vgl. ebenda, S. 471 f. Vgl. Steiner (1982), S. 472 573 Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 566 574 Vgl. Schneider (1997); S. 220 f. 575 Vgl. Siegwart (2002), S. 63 572
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verpflichtungen durch einen entsprechend hohen Bestand an flüssigen Mitteln oder kurzfristig liquidierbaren Vermögensgegenständen gedeckt sind).576 Unter der Betrachtung der Rentabilität ist ein zu hoher Bestand an liquiden Mitteln als negativ zu beurteilen, da die freien Mittel längerfristig in der Regel rentabler angelegt werden könnten.577 Die Liquiditätsregeln erhalten einen ähnlich normativen Charakter wie die Finanzierungsregeln, da Kreditinstitute und auch andere Gläubiger Unternehmen regelmäßig auch anhand der Liquiditätsregeln beurteilen.578 Ähnlich wie bei den Finanzierungsregeln sind die Unternehmen bemüht, trotz der eingeschränkten Aussagekraft (z. B. kein Rückschluss auf die zukünftige Zahlungsfähigkeit, Beeinflussungsmöglichkeiten), die Liquiditätsregeln einzuhalten.579 7. Working Capital = kurzfristiges Vermögen ./. kurzfristige Verbindlichkeiten Die Arbeitshypothese lautet: G>A. Bei einem negativen Working Capital müssen langfristig gebundene Vermögensteile kurzfristig finanziert werden. Dies verstößt gegen die goldene Bilanzregel.580 Je höher das Working Capital eines Unternehmens ist, desto höher ist auch dessen Einstufung (Rating). Bei der Liquidierbarkeit des (kurzfristigen) Umlaufvermögens ist zu beachten, dass es auch Vorräte gibt, die nur schwer kurzfristig veräußerbar sind (z. B. Kohlehalden im Bergbau).581 Anhand dieser Kennzahl lässt sich die zukünftige kurzfristige Zahlungsfähigkeit eines Unternehmens beurteilen.582 Eine einfache Bilanzverlängerung als bilanzpolitische Maßnahme ist bei dieser Kennzahl im Gegensatz zu den Liquiditätskennzahlen nicht möglich.583 Sie kann lediglich durch andere bilanzpolititsche Maßnahmen, wie z. B. Liquiditätszufluss durch Sonderverkauf (d. h. nicht geschäftsübliche Verkaufsaktionen), beeinflusst werden.584 Als absolute Zahl ist sie dafür zum Vergleich verschieden großer Unternehmen nicht geeignet.585
576
Vgl. Gräfer (2005), S. 127 ff. Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 563 Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2004), S. 267 579 Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2004), S. 266 f. 580 Vgl. Steiner (1982), S. 473 581 Vgl. Paul (1990), S. 1084 582 Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2004), S. 270 583 Vgl. Perridon/Steiner (2004), S. 564 584 Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2004), S. 270 585 Vgl. ebenda, S. 271 577 578
147
Die nachfolgenden Kennzahlen wurde in der vorliegenden Untersuchung für die Analyse der Zahlungsströme verwendet: 8. Cash Flow = Jahresüberschuss + Abschreibungen + Pensionsrückstellungen + andere ähnlich langfristige Rückstellungen Die Arbeitshypothese lautet: G>A. Diese Kennzahl gehört zu den Umsatzüberschusskennziffern, mit denen der Innenfinanzierungsspielraum ermittelt wird. Durch den Cash-Flow wird das Liquiditätspotential bzw. der Innenfinanzierungsspielraum dargestellt. Dazu dürfen jedoch Einzahlungen und Erträge bzw. Auszahlungen und Aufwände nicht auseinanderfallen. Es könnte sonst zu einer Fehleinschätzung des Liquiditätspotentials kommen. Zusätzlich dient der Cash-Flow auch als Erfolgsindikator, wobei die Aussagekraft dadurch eingeschränkt wird, dass nicht alle bewertungsabhängigen Erfolgskomponenten (z. B. Vorratsbewertung) einbezogen sind.586 Mit Hilfe dieser Kennzahl können Aussagen über die Schuldentilgungsmöglichkeiten, die Investitionsmöglichkeiten sowie die möglichen Gewinnausschüttungen eines Unternehmens gemacht werden.587 Bei der Beurteilung des Cash Flows sind Branchenbesonderheiten zu beachten. So haben z. B. Handelsunternehmen mit einer geringeren Anlagenintensität (und damit auch geringeren Abschreibungen) tendenziell einen geringeren Cash Flow als vergleichbar große Industrieunternehmen. Weiterhin hat ein Unternehmen bereits in der laufenden Periode über zumindest Teile des Cash Flows verfügt. Der externe Analytiker kann anhand der Kennzahl aber nicht erkennen, in welchem Umfang und wofür der Cash Flow verwendet worden ist.588 In der Literatur werden noch weitere kritische Argumente gegen diese Kennzahl aufgeführt (z. B. der Cash Flow wird aus der Erfolgsrechnung abgeleitet und ermöglicht daher kaum einen Einblick in die Finanzströme, stille Reserven werden mit dieser Kennzahl nicht erfasst).589 Für die Berechnung des Cash Flow gibt es unterschiedliche Definitionen.590 In der vorliegenden Untersuchung wurde die einfache Definition des Cash Flow verwendet, bei der die vorliegenden Daten verwendet werden konnten. Trotz der aufgezeigten Einschränkungen wird die finanzwirtschaftliche Aussagefähigkeit des Cash Flow in der Literatur 586
Vgl. Steiner (1982), S. 475 Vgl. Küting/Weber (2001), S. 141 588 Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2004), S. 274 589 Vgl. Küting/Weber (2001), S. 142 590 Vgl. ebenda, S. 126 ff. 587
148
anerkannt.591 Der Cash Flow gilt als eine der wichtigsten Kennzahlen und als Indikator für die finanzielle Unabhängigkeit eines Unternehmens.592 Nachfolgend sind die Kennzahlen aufgeführt, die in der vorliegenden Untersuchung für die Analyse der Erfolgslage verwendet worden sind: 9. Umsatzrentabilität = Jahresüberschuss / Umsatzerlöse Die Arbeitshypothese lautet: G>A. Umsatzwachstum um jeden Preis reicht für eine nachhaltige Existenzsicherung eines Unternehmens nicht aus. Auch der Ergebnisbeitrag muss beachtet werden. Bei steigenden Fixkosten ist ein Umsatzwachstum zwingend notwendig. Dies bedeutet jedoch auch eine höhere Auffälligkeit gegenüber konjunkturellen Schwankungen. Die Betrachtung der Umsatzrendite ist daher von großer Bedeutung.593 Die Umsatzrentabilität kann auch auf Basis des ordentlichen Betriebserfolges ermittelt werden (sie wird auch als Gewinnspanne bezeichnet).594 Diese ist vor allem für einen Vergleich mit Wettbewerbern sowie mit Branchendurchschnitten geeignet. In der vorliegenden Untersuchung wird die Grundvariante verwendet. Diese ermöglicht einen branchenübergreifenden Vergleich sowie einen Vergleich mit den Statistik-Werten der Deutschen Bundesbank. 10. Eigenkapitalrentabilität = Jahresüberschuss / durchschnittliches Eigenkapital Die Arbeitshypothese lautet: G>A. Diese Kennzahl ist insbesondere für börsennotierte Unternehmen wichtig, die eine angemessene Verzinsung des von den Aktionären eingesetzten Kapitals gewährleisten wollen/müssen. Aber auch die Eigenkapitalgeber bei nichtbörsennotierten Unternehmen erwarten eine angemessene Verzinsung ihres eingesetzten Kapitals.595 Sie zeigt die Verzinsung des von den Anteilseignern investierten Kapitals (Unternehmerrentabilität).596 Kritisch muss bei dieser Kennzahl beachtet werden, dass eine positive Eigenkapitalrentabilität auch dann ausgewiesen wird, wenn ein Jahresfehlbetrag erwirtschaftet wird. Dazu muss ein negatives Eigenkapital vorhanden und aktivisch 591
Vgl. Lachnit (2004), S. 253 ff. Vgl. Küting/Weber (2001), S. 141; Schult (1999), S. 64 593 Vgl. Paul (1990), S. 1082 594 Vgl. Gräfer (2005), S. 96 595 Vgl. Paul (1990), S. 1083 596 Vgl. Küting/Weber (2001), S. 300 f. 592
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ausgewiesen sein. Weiterhin ist der Gestaltungsspielraum beim Jahresüberschuss durch bilanzpolitische Maßnahmen relativ hoch, so dass diese Kennzahl kritisch betrachtet werden muss. Dennoch ist diese Kennzahl für die Beurteilung der Unternehmen bezüglich ihrer Fähigkeit, Gewinne zu erzielen, zu investieren und Risiken zu tragen, von großer Bedeutung. 11. Return on Investment (ROI) = Jahresüberschuss / durchschnittliches Gesamtkapital Die Arbeitshypothese lautet: G>A. Diese Kennzahl ähnelt sehr der Kennzahl Gesamtkapitalrentabilität. Jedoch wird beim ROI der Zinsaufwand dem Jahresergebnis nicht wieder hinzugerechnet. Diese Kennzahl hängt somit von der Kapitalstruktur des zu analysierenden Unternehmens ab. Sie hat in der Analysepraxis eine sehr hohe Bedeutung, da sie als Zielkennzahl in mehreren Kennzahlensystemen zum Einsatz kommt. Differenziertere und umfassendere Aussagen sind bei einer Interpretation des ROI als Zielkennzahl eines Kennzahlensystems eher möglich, als wenn der ROI für sich betrachtet wird.597 12. Personalaufwandsquote = Personalaufwand / Umsatzerlöse Die Arbeitshypothese lautet: GA. 597
Vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2004), S. 372 f. Vgl. Peemöller (2003), S. 374 599 Vgl. Gräfer (2005), S. 80 598
150
Diese Kennzahl ermöglicht eine genauere Interpretation der Kennzahl Personalaufwandsquote. Sie verdeutlicht im Zusammenspiel mit der Kennzahl Personalaufwandsquote z. B., ob das gesamte Gehalts- und Lohnniveau im Unternehmen gestiegen ist. Eine Erhöhung dieser Kennzahl kann auch auf Rationalisierungsmaßnahmen zurückzuführen sein.600 Weiterhin kann dies bei Industrieunternehmen auch auf Verbesserungen im Maschinenpark hindeuten. 14. Materialaufwandsquote = Materialaufwand / Umsatzerlöse Die Arbeitshypothese lautet: G 5,0
gesamt
Abbildung 24: Entwicklung des statischen Verschuldungsgrads Quelle: eigene Darstellung623
Auffällig ist einerseits die hohe Anzahl an Unternehmen, die kein Eigenkapital mehr zur Verfügung haben, und andererseits die hohe Anzahl an Unternehmen, die einen statischen Verschuldungsgrad von mindestens 5,0 haben. Ihr Anteil an der Gesamtheit ist in allen drei Jahren sehr hoch (t1: 73 %, t2: 46 % und t3: 53 %). Die statistischen Durchschnittswerte für diese Kennzahl betragen bei den Statistiken der Deutschen Bundesbank 2,84 (1998) bzw. 2,58 (2003). Die in der Literatur angegebenen Werte schwanken zwischen 1 und 0,5.624
623 624
Vgl. Anhang III Vgl. Steiner (1982), S. 474
159
Vergleich durchschnittlicher stat. Verschuldungsgrad (sVg) von t-4 bis t+4 aller 63, 59 fremdfinanzierter und 4 eigenkapitalfinanzierter Unternehmen sVg 50 45 40 35 D_63
30 25
D_FK
20
D_EK
15 10 5 0 t-4
t-3
t-2
t-1
t0
t+1
t+2
t+3
t+4
Jahr
Abbildung 25: Vergleich des durchschnittlichen statischen Verschuldungsgrads Quelle: eigene Darstellung625
Die vorstehende Abbildung 25 zeigt die deutliche Differenzierung der Entwicklung dieser Kennzahl im Zeitablauf zwischen den eigenkapitalfinanzierten Unternehmen (D_EK) und den fremdkapitalfinanzierten Unternehmen (D_FK). Die Durchschnittswerte für diese Kennzahl liegen bei den eigenkapitalfinanzierten Unternehmen deutlich unter den Durchschnittswerten von den fremdkapitalfinanzierten Unternehmen. Dies kann zu einem wesentlichen Teil an dem Eigenkapitalbeitrag liegen, den die eigenkapitalfinanzierten Unternehmen erhalten haben. Der tendenziell sinkende Trend ist bei beiden Unternehmensgruppen (D-FK und D_EK) zu erkennen. Im Jahr t1 gibt es bei den fremdkapitalfinanzierten Unternehmen einen deutlichen Ausreißer nach oben. Zwei fremdkapitalfinanzierte Unternehmen haben im Jahr t1 extrem hohe Werte (d. h. sehr hohe Verbindlichkeiten und ein sehr geringes Eigenkapital), die für diesen Durchschnitts-Ausreißerwert verantwortlich sind. Die eigenkapitalfinanzierten Unternehmen nähern sich den Durchschnittswerten der Statistik von der Deutschen Bundesbank an. Die Analyse dieser Kennzahl kann bei einer angenommenen Repräsentativität der untersuchten Unternehmen zur Vermutung führen, dass die Ansätze der neoklassi625
Vgl. Anhang V
160
schen Finanzierungstheorie nicht verwendet werden können. Der hohe statische Verschuldungsgrad der fremdkapitalfinanzierten Unternehmen bis zum Jahr der weiteren Kapitalzufuhr kann dazu geführt haben, dass diese Unternehmen keine Eigenkapitalfinanzierung einwerben konnten. Der statische Verschuldungsgrad bei den eigenkapitalfinanzierten Unternehmen ist bis zu dem Jahr der weiteren Kapitalzufuhr deutlich niedriger. Damit liegt keine Irrelevanz der Verschuldung vor. Die sehr restriktiven Annahmen der neoklassischen Finanzierungstheorie können in der Finanzierungspraxis von Krisenunternehmen nicht alle erfüllt werden. Insbesondere ist eine hohe Informationseffizienz nicht gegeben. Die hohe Verschuldung von sehr vielen Unternehmen in der vorliegenden Untersuchung wird auch durch die Analyse der Kennzahl 4 (Fremdkapitalquote) deutlich. Die Unternehmen mit einer Fremdkapitalquote von mehr als 75 % stellen in nahezu jedem Untersuchungsjahr mehr als die Hälfte aller untersuchten Unternehmen.626 Die hohe Fremdkapitalquote ist ein Spiegelbild der geringen Eigenkapitalquote, welches die Analyse der Kennzahl 1 bereits zeigte. Wie die nachfolgende Abbildung 26 zeigt, beträgt der Anteil der Unternehmen mit einer Fremdkapitalquote von mehr als 75 % in den Jahren t1 bis t3 jeweils mehr als 80 % (t1: 49 von 60 = 82 %; t2: 81 %; t3: 29 von 36 = 81 %). Dieser Wert ist trotz der unterschiedlichen Anzahl von Unternehmen in den einzelnen Jahren sehr stabil. Die statistischen Durchschnittswerte für den Kennzahl Fremdkapitalquote beträgt in den Statistiken der Deutschen Bundesbank für das Jahr 1998 73,6 %627 und für das Jahr 2003 71,8 %.628
626
Vgl. Anhang II Vgl. Deutsche Bundesbank (2003), S. 14 628 Vgl. Deutsche Bundesbank (2005), S. 18 627
161
Entwicklung der Fremdkapitalquote 70
60
60
52
49
50
42
36
40
29
30 20
11
10
10
7
0 t1
t2 75,0 %
gesamt
Abbildung 26: Entwicklung der Fremdkapitalquote Quelle: eigene Darstellung629
Bei einer Differenzierung der Unternehmen nach der Art der Kapitalzufuhr wird der gleiche Trend erkennbar, wie er bereits zur Analyse der Kennzahl 1 beschrieben worden ist.630
Vergleich durchschnittliche Fremdkapitalquote (FKQ) von t-4 bis t+4 aller 63, 59 fremdfinanzierter und 4 eigenkapitalfinanzierter Unternehmen FKQ in % 100 90 80 70 D_63
60 50
D_FK
40
D_EK
30 20 10 0 t-4
t-3
t-2
t-1
t0
t+1
t+2
Jahr
Abbildung 27: Vergleich der durchschnittlichen Fremdkapitalquote Quelle: eigene Darstellung631 629
Vgl. Anhang III, S. 350 Vgl. Abbildung 24 631 Vgl. Anhang V, S. 378 630
162
t+3
t+4
Während bei den eigenkapitalfinanzierten Unternehmen (D_EK) ein deutlich positiver Trend erkennbar ist (d. h. eine sinkende durchschnittliche Fremdkapitalquote), stagniert der Wert bei den fremdkapitalfinanzierten Unternehmen (D_FK). Auch wenn bei der vorstehenden Abbildung 27 Durchschnittswerte dargestellt sind, ist erkennbar, dass die wirtschaftlichen Entwicklungen der fremdkapitalfinanzierten Unternehmen tendenziell nicht so positiv verlaufen wie bei den eigenkapitalfinanzierten Unternehmen. Um die Abhängigkeit von den Banken analysieren zu können, wäre ein stärkerer Detaillierungsgrad der Finanzschuldenstruktur notwendig. Dieser liegt bei den untersuchten Unternehmen jedoch nicht vor. Bei einer angenommenen Repräsentativität der untersuchten Unternehmen können mit den Ergebnissen der Analyse dieser Kennzahl im wesentlichen die Thesen, die bereits zur Kennzahl 1 aufgestellt worden sind, bestätigt werden, da sich die Fremdkapitalquote unmittelbar aus der Eigenkapitalquote ergibt. Die schwache finanzielle Ausstattung einiger der untersuchten Unternehmen verdeutlicht auch die Analyse der Kennzahl 5 (Goldene Bilanzregel). Wenn das wirtschaftliche Eigenkapital und das langfristige Fremdkapital zusammen mindestens genauso groß wie das Anlagevermögen sind, gilt ein Unternehmen bei diesem Kriterium als finanziell stabil. Die Ergebnisse der Analyse dieser Kennzahl zeigen, dass einige Unternehmen bei der Berechnung dieser Kennzahl ((wirtschaftliches Eigenkapital + langfristiges Fremdkapital) / Anlagevermögen >= 1) einen Wert von weniger als eins haben.632 Diese haben nicht die Fristenkongruenz erfüllt, nach der das langfristig gebundene Kapital mit langfristig verfügbaren Kapital finanziert werden sollte. Die nachfolgende Abbildung 28 konzentriert sich auf die Jahre nach der Kapitalzufuhr (t1 bis t3).
632
Vgl. Anhang II
163
Entwicklung der Goldenen Bilanzregel 70
60
60
52
50
41
40
36
34 27
30
19
20
18 9
10 0 t1
t2 = 1
t3 gesamt
Abbildung 28: Entwicklung der Goldenen Bilanzregel Quelle: eigene Darstellung633
Mindestens ein Viertel der untersuchten Unternehmen haben in den Jahren t1 bis t3 alle Unternehmen die Goldene Bilanzregel nicht erfüllt. Bei der Differenzierung nach der Art der Kapitalzufuhr (Eigenkapital oder Fremdkapital) wird deutlich, dass die eigenkapitalfinanzierten Unternehmen (D_EK) einen deutlich geringeren Wert im Durchschnitt haben, als die fremdkapitalfinanzierten Unternehmen (D_FK). Die nachfolgende Abbildung 29 verdeutlicht diese Aussage: Vergleich durchschnittliche "Goldene Bilanzregel" (gBr) von t-4 bis t+4 aller 63, 59 fremdfinanzierter und 4 eigenkapitalfinanzierter Unternehmen
gBr
50 45 40 35 30 25 20 15 10 5 0
D_63 D_FK D_EK
t-4
t-3
t-2
t-1
t0
t+1
t+2
t+3
t+4
Jahr
Abbildung 29: Vergleich der durchschnittlichen Goldenen Bilanzregel Quelle: eigene Darstellung634 633 634
Vgl. Anhang III Vgl. Anhang V
164
Ein Wert von mindestens eins deutet zwar auf ein finanziell stabiles Unternehmen hin. Wenn der Wert jedoch sehr groß ist, kann dies einerseits auch für sehr hohe langfristige Verbindlichkeiten und andererseits für ein geringes Anlagevermögen sprechen. Dies wiederum könnte auf einen Investitionsstau hinweisen. In einem solchen Fall kann ein Unternehmen die geplanten und notwendigen Investitionen ins Anlagevermögen nicht durchführen, weil es dafür keine Finanzierung mehr erhält. Der Ausreißerwert bei den fremdkapitalfinanzierten Unternehmen im Jahr t3 ist auf einen sehr hohen Einzelwert zurückzuführen. Die tendenziell schlechtere wirtschaftliche Lage der fremdkapitalfinanzierten Unternehmen wird auch durch diese Kennzahl erkennbar. Nahezu alle Unternehmen haben diesen von den Kreditinstituten und auch anderen Gläubigern geforderten Wert von mindestens eins erreicht, auch wenn die kritischen Hinweise bezüglich eines sehr hohen Wertes entsprechend berücksichtigt werden müssen. Die Kreditinstitute halten bisher an dieser Kennzahl bei der Beurteilung eines Unternehmens über die Kreditwürdigkeit trotz der dargelegten Einschränkungen zur Aussagekraft fest. Die Analyse dieser Kennzahl lässt bei einer unterstellten Repräsentativität der untersuchten Unternehmen vermuten, dass viele Unternehmen trotz ihrer wirtschaftlich angespannten Situation bemüht sind, einen Wert von mindestens eins zu erreichen. Dies kann aber auch auf ein Problem der Prinzipal-Agent-Beziehung hinweisen: Das Unternehmen (Agent) weiß, dass für die Bank (Prinzipal) ein Wert von mindestens eins sehr wichtig bei der Kreditentscheidung bzw. auch bei der anschließenden regelmäßigen Berichterstattung an die Bank nach der Kreditvergabe ist. Es wird daher versuchen, diesen Wert auf jeden Fall zu erreichen. Dies kann aber auch bedeuten, dass bei einem weniger wirtschaftlich erfolgreichen Unternehmen der Wert des Anlagevermögens reduziert wird, indem notwendige (Ersatz-) Investitionen zeitlich verzögert werden. Dadurch kann ein verringertes wirtschaftliches Eigenkapital bei der Berechnung dieser Kennzahl zumindest teilweise ausgeglichen werden. Da die Bank diese Handlungsalternative des Agenten berücksichtigen muss, ist sie gezwungen diese Kennzahl sehr differenziert zu hinterfragen. Daran wird deutlich, dass eine Bank als Fremdkapitalgeber einen Anreiz für eine Finanzierung eines Krisenunternehmens dadurch erhalten kann, dass eine Reduzierung der AgencyKosten ermöglicht wird. Dies kann, wie bereits erläutert, durch die gleichzeitige Aufnahme eines Eigenkapitalgebers erreicht werden.
165
Die tendenziell wirtschaftlich angespannte Lage der untersuchten Unternehmen wird auch durch die Analyse der Kennzahl 6 (Liquidität 1. Grades) erkennbar. Ein grundsätzlicher Richtwert für diese Kennzahl wird in der Literatur zwischen 0,1 und 0,3 (d. h. zwischen 10 und 30 %) angegeben.635 Ein Großteil der untersuchten Unternehmen hat einen deutlich geringeren Wert.636 Bei der Betrachtung der Jahre nach der Kapitalzufuhr (t1 bis t3) in der nachfolgenden Abbildung 30 wird der hohe Anteil an Unternehmen mit einem Wert von bis zu 0,02 (2 %) erkennbar.
Entwicklung der Liquidität 1. Grades 70
60
60
52
50 40 30
36 30
30
28
24 18
20
18
10 0 t1
t2 0,02
t3 gesamt
Abbildung 30: Entwicklung der Liquidität 1. Grades Quelle: eigene Darstellung637
U. a. mit Hilfe dieser Kennzahl soll auf die Zahlungsfähigkeit der zu analysierenden Unternehmen geschlossen werden können. Ein Unternehmen gilt eher als zahlungsfähig, wenn es einen Großteil der kurzfristig fällig werdenden Verbindlichkeiten auch kurzfristig begleichen kann. Der hohe Anteil an Unternehmen mit einem sehr geringen Wert bei dieser Kennzahl weist wie schon die bisher eingesetzten Kennzahlen auf die wirtschaftlich angespannte Lage bei einem großen Teil der untersuchten Unternehmen hin. Auch wenn für die Analysefähigkeit dieser Kennzahl einige Einschränkungen berücksichtigt werden müssen, ist doch der normative Charakter dieser Kennzahl hervorzuheben.638 Kreditinstitute und auch andere Gläubiger beachten diese Kennzahl bei der Bewertung eines Unternehmens. Ziel des Unternehmens 635
Vgl. Fußnote 574 Vgl. Anhang II 637 Vgl. Anhang III 638 Vgl. Kapitel 4.3.2. 636
166
muss daher sein, die Richtwerte von 10 bis 30 % zu erreichen oder plausible Argumente zu haben, warum sie nicht erreicht worden sind. Bei einem sehr geringen Wert für diese Kennzahl droht für ein Unternehmen die Gefahr, dass es nicht alle seine kurzfristigen Verbindlichkeiten auch fristgerecht bedienen kann. Damit wiederum droht die Zahlungsunfähigkeit. Insbesondere unter Berücksichtigung des Zeitverlaufs ist kein deutlich positiver Trend bei der Entwicklung dieser Kennzahl zu sehen. Bei Betrachtung der Durchschnittswerte, differenziert nach eigenkapitalfinanzierten Unternehmen (D_EK) und fremdkapitalfinanzierten Unternehmen (D_FK) ist kaum ein höherer Wert bei den eigenkapitalfinanzierten Unternehmen abzulesen. Die nachfolgende Abbildung 31 zeigt aber auch, dass beide Unternehmensgruppen bei den Durchschnittswerten die Richtwerte ab dem Jahr t0 erreichen: Vergleich durchschnittliche Liquidität 1. Grades (L1Gr) von t-4 bis t+4 aller 63, 59 fremdfinanzierter und 4 eigenkapitalfinanzierter Unternehmen
L1Gr 1,20 1,00 0,80
D_63 D_FK D_EK
0,60 0,40 0,20 0,00 t-4
t-3
t-2
t-1
t0
t+1
t+2
t+3
t+4
Jahr
Abbildung 31: Vergleich der durchschnittlichen Liquidität 1. Grades Quelle: eigene Darstellung639
Dies ist aber bei beiden Unternehmensgruppen durch einzelne, sehr hohe Werte bedingt, die den Durchschnittswert insgesamt anheben. Deutliche Unterschiede in dem Verlauf der Entwicklung dieser Kennzahl sind zwischen diesen beiden Unternehmensgruppen nicht erkennbar. Die Analyse dieser Kennzahl bestätigt die Analyse der Kennzahl 2 (kurzfristige Fremdkapitalquote). Ein sehr großer Anteil der untersuchten Unternehmen hat eine 639
Vgl. Anhang V
167
hohe kurzfristige Fremdkapitalquote. Da diese Unternehmen über wenige liquide Mittel verfügen, hat diese Kennzahl 6 bei vielen Unternehmen einen niedrigen Wert. Unter der Annahme, dass die untersuchten Unternehmen repräsentativ für Unternehmen in Deutschland sind, kann bei der Analyse dieser Kennzahl eine ähnliche Prinzipal-Agent-Problematik wie bei der Kennzahl 5 vermutet werden. Da die Unternehmen wissen, wie wichtig den Banken diese Kennzahl ist, werden sie versuchen, einen möglichst guten Wert zu erzielen, um die Erwartungen der Banken zu erfüllen. Die damit verbundenen möglichen Agency-Kosten für die Banken können, wie bei der Kennzahl 5 ausgeführt, reduziert werden. Die Analyse der Kennzahl 7 (Working Capital) bestätigt die Grundaussage der Analyse von der Kennzahl 5 (Goldene Bilanzregel), nach der nicht alle Unternehmen ihr Vermögen fristenkongruent finanziert haben. Die Analyse des Working Capitals zeigt, dass ein großer Anteil der untersuchten Unternehmen ein negatives Working Capital hat und damit langfristig gebundene Vermögensteile auch kurzfristig finanzieren muss.640 Anhand des Working Capitals soll die kurzfristige zukünftige Zahlungsfähigkeit eines Unternehmens beurteilt werden. Gemeinsam mit der Ergebnissen der Analyse der Kennzahl 6 (Liquidität 1. Grades) wird deutlich, dass einige der untersuchten Unternehmen Schwierigkeiten haben, die kurzfristige Zahlungsfähigkeit (d. h. das Bedienen der kurzfristigen Verbindlichkeiten) sicherzustellen. Die nachfolgende Abbildung 32 zeigt für die Beschränkung auf die Jahre nach der Kapitalzufuhr (t1 bis t3) den hohen Anteil der Unternehmen mit einem negativen Working Capital:
640
Vgl. Anhang II
168
Entwicklung des Working Capitals 70
60
60
52
50 40 30
36
34 26
26
26
23
20
13
10 0 t1
t2 < T€ 0
t3
>= T€ 0
gesamt
Abbildung 32: Entwicklung des Working Capitals Quelle: eigene Darstellung641
Die Differenzierung der Unternehmen nach der Art der weiteren Kapitalzufuhr (Eigenkapital: D_EK; Fremdkapital: D_FK) zeigt in der nachfolgenden Abbildung 33 bei den Durchschnittswerten bei beiden Unternehmensgruppen einen volatilen Verlauf, der ab dem Jahr der Kapitalzufuhr (t0) einen leicht negativen Trend aufweist.
Vergleich durchschnittliches Working Capital (WC) von t-4 bis t+4 aller 63, 59 fremdfinanzierter und 4 eigenkapitalfinanzierter Unternehmen
WC in T€ 4000,00 3000,00 2000,00 1000,00 0,00 -1000,00
t-4
t-3
t-2
t-1
t0
t+1
t+2
-2000,00
t+3
t+4
D_63 D_FK D_EK
-3000,00 -4000,00 -5000,00 Jahr Abbildung 33: Vergleich des durchschnittlichen Working Capitals Quelle: eigene Darstellung642 641 642
Vgl. Anhang III Vgl. Anhang V
169
Als absolute Zahl ist das Working Capital nur bedingt aussagekräftig. Dies gilt insbesondere für die Durchschnittswerte, die durch wenige Ausreißer nach oben oder nach untern stark beeinflusst werden können. Im Zusammenhang mit den Kennzahlen 5 (Goldene Bilanzregel) und 6 (Liquidität 1. Grades) kann jedoch die Grundaussage bestätigt werden, dass sich ein Teil der untersuchten Unternehmen in einer wirtschaftlich angespannten Situation befand, in der nicht immer die kurzfristige Zahlungsfähigkeit gewährleistet werden konnte. Da als Kennzahl das Working Capital als absolute Zahl betrachtet wurde, ist ein Bezug zu den Theorien der Finanzforschung nur wenig aussagekräftig. Als Ergänzung der anderen Kennzahlen kann sie jedoch für die Bestätigung bzw. Widerlegung von Trendaussagen verwendet werden. Der Cash Flow, als eine der wichtigsten Kennzahlen und als Indikator für die finanzielle Unabhängigkeit eines Unternehmens, wurde als Kennzahl 8 ausgewertet. Trotz der bereits im Kapitel 4.3.2. aufgezeigten kritischen Bemerkungen über die Aussagefähigkeit wird der Cash Flow in dieser Untersuchung ebenfalls untersucht, um die Ertragskraft der Unternehmen zu beurteilen. Als ein Ergebnis zeigt die Analyse dieser Kennzahl, dass in jedem Untersuchungsjahr mindestens 10 % der Unternehmen einen negativen Cash Flow erwirtschaftet hat.643 In der vorliegenden Untersuchung wurde der Cash Flow aus Vereinfachungsgründen in einer sehr kurzen Variante berechnet (Jahresüberschuss/-fehlbetrag zzgl. Abschreibungen). Die nachfolgende Abbildung 34 verdeutlicht, dass auch in den Jahren nach der Kapitalzufuhr (t1 bis t3) der Anteil der Unternehmen mit einem negativen Cash Flow jeweils rd. 10 % beträgt:
643
Vgl. Anhang II
170
Entwicklung des Cash Flows 70
60
60
52
47
50
52
40
32
36
30 20 10
8
5
4
0 t1
t2 < T€ 0
>= T€ 0
t3 gesamt
Abbildung 34: Entwicklung des Cash Flows Quelle: eigene Darstellung644
Unternehmen mit einem negativen Cash Flow haben nur sehr eingeschränkte Schuldentilgungsmöglichkeiten oder Investitionsmöglichkeiten. Weiterhin sind Gewinnausschüttungen nicht möglich. Daher ist ein negativer Cash Flow Ausdruck für die finanziell schwierige Lage eines Unternehmens. Aber auch bei einem positiven Cash Flow kann sich das Unternehmen noch in einer finanziell schwierigen Situation befinden. Sollte der Cash Flow nur aufgrund der Abschreibungen positiv sein, bedeutet dies, dass operativ ein Jahresverlust erwirtschaftet wurde. Damit wurde ein wichtiges Unternehmensziel verfehlt (Erzielung eines Jahresüberschusses). Als absolute Zahl ist der Cash Flow wie das Working Capital für Vergleiche zwischen Unternehmen mit unterschiedlicher Größe nicht geeignet. Jedoch kann die grundsätzliche Tendenz der Ertragskraft eines Unternehmens dargestellt werden. Eine Betrachtung der Differenzierung der Unternehmen nach der Art der Kapitalzufuhr (Eigenkapital: D_EK; Fremdkapital: D_FK) zeigt in der nachfolgenden Abbildung 35 einen deutlich positiveren Verlauf ab dem Jahr t1 bei den eigenkapitalfinanzierten Unternehmen. Während der Verlauf bei den fremdkapitalfinanzierten Unternehmen im Jahr t1 die Spitze in den Jahren ab t0 erreicht (ohne Berücksichtigung des Jahres t4, aufgrund des beschriebenen geringen Datenmaterials) und danach wieder sinkt, ist der Verlauf bei den eigenkapitalfinanzierten Unternehmen ab dem Jahr t1 durch-
644
Vgl. Anhang III
171
gehend positiv ansteigend. Dies kann auf eine stärkere Ertragskraft der eigenkapitalfinanzierten Unternehmen deuten. Vergleich durchschnittlicher Cash Flow (CF) von t-4 bis t+4 aller 63, 59 fremdfinanzierter und 4 eigenkapitalfinanzierter Unternehmen
CF in T€
2000 1500 1000 500 0 -500
t-4
t-3
t-2
t-1
t0
t+1
-1000
t+2
t+3
t+4
D_63 D_FK D_EK
-1500 -2000 -2500 Jahr
Abbildung 35: Vergleich des durchschnittlichen Cash Flows Quelle: eigene Darstellung645
Bei einer unterstellten Repräsentativität der untersuchten Unternehmen kann bei der Analyse dieser Kennzahl die unterschiedliche Bedeutung von zwei Forschungsschwerpunkten der klassischen Finanzierungslehre für die einzelnen Kapitalgeber vermutet werden. Während Banken als Fremdkapitalgeber eine hohe Bedeutung auf die Finanzanalyse legen und damit die vergangenheitsorientierten Daten aus dem Jahresabschluss auswerten, ist für Eigenkapitalgeber die Finanzplanung von größerer Bedeutung, um die zukünftige Entwicklung besser einschätzen zu können. Die Entwicklung des Cash Flows zeigt bei den eigenkapitalfinanzierten Unternehmen bis zum Zeitpunkt der Kapitalzufuhr im Jahr t0 eine negative Entwicklung. Mit einem Schwerpunkt auf diesen Daten hätten die Eigenkapitalgeber voraussichtlich diese Unternehmen negativ beurteilt und eine Kapitalzufuhr abgelehnt. Mit einer entsprechenden überzeugenden, positiven Planung ab dem Jahr der Kapitalzufuhr, die zeigt, dass der wirtschaftliche Umschwung erreicht werden kann, können Eigenkapitalgeber für einen Finanzierungsbeitrag gewonnen werden. Die untersuchten eigenkapitalfinanzierten Unternehmen zeigen ab dem Jahr t0 eine deutlich positive Entwicklung des Cash Flows. Bei den untersuchten fremdkapitalfinanzierten Unternehmen war 645
Vgl. Anhang V
172
die Entwicklung des Cash Flows bis zum Jahr t0 positiver als bei den eigenkapitalfinanzierten Unternehmen. Die weitere Entwicklung des Cash Flows ab dem Jahr t0 verläuft aber weniger positiv als bei den eigenkapitalfinanzierten Unternehmen. Dies kann verdeutlichen, dass eine Betrachtung der Vergangenheitsdaten nicht immer einen eindeutigen Rückschluss auf die zukünftige Entwicklung zu lässt. Weiterhin haben Eigenkapitalgeber aufgrund ihrer gesellschaftsvertraglichen Position häufig stärkere Einflussmöglichkeiten auf die wirtschaftliche Entwicklung als Fremdkapitalgeber, für die dadurch die Beurteilung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines Krisenunternehmens ab dem Zeitpunkt der weiteren Kapitalzufuhr eine sehr große Bedeutung hat. Die in der Analyse der Kennzahl 8 (Cash Flow) aufgezeigte Ertragsschwäche von vielen Unternehmen wird auch in der Analyse der Kennzahl 9 (Umsatzrendite) bestätigt. Rund ein Drittel der Unternehmen erzielen überhaupt keine positive Umsatzrendite. In den Jahren vor der Kapitalzufuhr (t0) ist dieser Anteil noch höher.646 Eine weitere hohe Anzahl an Unternehmen erzielt eine jährliche Umsatzrendite von maximal 2 % (0,02). Die nachfolgende Abbildung 36 zeigt die Auswertung für die Jahre nach der Kapitalzufuhr (t1 bis t3): Entwicklung der Umsatzrentabilität 70
60
60
52
50 36
40 30 20
21
20
19
15
20
17
11
10
15
10
0 t1
t2 0 und 0,02
gesamt
Abbildung 36: Entwicklung der Umsatzrentabilität Quelle: eigene Darstellung647
646 647
Vgl. Anhang II Vgl. Anhang III
173
Rund ein Drittel der Unternehmen in den Jahren nach der Kapitalzufuhr erzielen eine Umsatzrendite von mindestens 2 %. Die vergleichbaren Werte der Statistik der Deutschen Bundesbank betragen für das Jahr 1998 2,4 %648 und 2003 3,2 %.649 Bei der differenzierten Betrachtung, d. h. Unterscheidung der Unternehmen nach der Art der Kapitalzufuhr (Eigenkapital: D_EK; Fremdkapital: D_FK) werden die deutlich unterschiedlichen Entwicklungsverläufe zwischen den Durchschnittswerten der eigenkapitalfinanzierten Unternehmen und den Durchschnittswerten der fremdkapitalfinanzierten Unternehmen sichtbar. Die nachfolgende Abbildung 37 zeigt den unterschiedlichen Verlauf der durchschnittlichen Umsatzrentabilität zwischen beiden Unternehmensgruppen ab dem Jahr der Kapitalzufuhr (t0):
Vergleich durchschnittliche Umsatzrentabilität (UR) von t-4 bis t+4 aller 63, 59 fremdfinanzierter und 4 eigenkapitalfinanzierter Unternehmen
UR
10% 5% 0% -5%
t-4
t-3
t-2
t-1
t0
t+1
t+2
-10%
t+3
t+4
D_63 D_FK D_EK
-15% -20% Jahr
Abbildung 37: Vergleich der durchschnittlichen Umsatzrentabilität Quelle: eigene Darstellung650
Der Entwicklungsverlauf ist bis zum Jahr t0 bei den eigenkapitalfinanzierten Unternehmen klar negativ und dreht ab dem Jahr t1 ins Positive. Auch bei den fremdkapitalfinanzierten Unternehmen ist ein grundsätzlich positiver Trend ab dem Jahr t1 zu erkennen. Der entsprechende Graph liegt aber deutlich unter dem Graph der eigenkapitalfinanzierten Unternehmen. Grundsätzlich kann die These aufgestellt werden, 648
Vgl. Deutsche Bundesbank (2003), S. 14 Vgl. Deutsche Bundesbank (2005), S. 18 (für 2003 liegt nur das Jahresergebnis vor Gewinnsteuern vor!) 650 Vgl. Anhang V 649
174
dass die eigenkapitalfinanzierten Unternehmen eine tendenziell höhere Umsatzrendite erreichen als fremdkapitalfinanzierte Unternehmen. Bei der Annahme, dass die hier untersuchten Unternehmen repräsentativ für Unternehmen in Deutschland sind, kann die Analyse dieser Kennzahl verdeutlichen, dass viele Unternehmen eines der wesentlichen Unternehmensziele (nachhaltige Gewinnerzielung) nicht erreichen. Rund 30 % der Unternehmen erzielen auch nach der weiteren Kapitalzufuhr im Jahr t0 jeweils eine negative Umsatzrendite. Aufgabe des Finanzmanagements muss es sein, eine erneute Störung des finanzwirtschaftlichen Gleichgewichts zu vermeiden und eine Gewinnerzielung zu ermöglichen. Nur ein nachhaltige positive Entwicklung eines Unternehmens ermöglicht einerseits die Wahrung des finanzwirtschaftlichen Gleichgewichts und andererseits eines der Hauptziele der Eigenkapitalgeber: die Gewinnmaximierung und damit eine Maximierung der Gewinnausschüttungen. Die Entwicklung der Umsatzrendite der eigenkapitalfinanzierten Unternehmen zeigt einen deutlich positiveren Verlauf als die Umsatzrendite der fremdkapitalfinanzierten Unternehmen. Dies kann auf die hohe Bedeutung dieser Kennzahl für Eigenkapitalgeber hinweisen, und damit auch auf die Bemühungen der Unternehmen, einen entsprechend positiven Wert dieser Kennzahl zu erreichen. Die Prognose der Entwicklung dieser Kennzahl ist ein wichtiger Anreiz für Eigenkapitalgeber, sich an einem Krisenunternehmen zu beteiligen. Um die Attraktivität der Unternehmen für ihre Eigenkapitalgeber zu untersuchen, wurde als Kennzahl 10 die Eigenkapitalrentabilität analysiert. Diese Kennzahl misst die Verzinsung des eingesetzten Kapitals, wobei nicht der Ausschüttungsbetrag an die Eigenkapitalgeber, sondern der Jahresüberschuss als Basis dient. Bei den hier untersuchten Unternehmen gibt es sowohl eine große Anzahl an Unternehmen, die keine positive Eigenkapitalrentabilität erreichen, als auch Unternehmen, die eine Eigenkapitalrentabilität von mindestens 15 % erwirtschaftet haben.651 Bei der Beschränkung auf die Jahre t1 bis t3 werden diese beiden annähernd gleich großen Gruppen in der nachfolgenden Abbildung 38 deutlich:
651
Vgl. Anhang II
175
Entwicklung der Eigenkapitalrentabilität 70
60
60
52
50 40 30 20 10
36 29 22
21
21
16
10
9
15 5
0 t1
t2 0 und 0,15
gesamt
Abbildung 38: Entwicklung der Eigenkapitalrentabilität Quelle: eigene Darstellung652
Der hohe Anteil an Unternehmen, die eine Eigenkapitalrendite von mehr als 15 % erreichen, überrascht vor dem Hintergrund der anderen wirtschaftlichen Daten. Kritisch muss berücksichtigt werden, dass auch die Unternehmen mit einer relativ geringen Eigenkapitalausstattung (und eventuell einer entsprechend hohen Fremdkapitalquote) eine gute Eigenkapitalrentabilität erreichen können, auch wenn der Jahresüberschuss nur leicht positiv ist. Der hohe Anteil an Unternehmen, die keine positive Eigenkapitalrentabilität erreichen konnten, bestätigt das bisherige (tendenziell eher negative) Gesamtbild der Unternehmen, welches sich durch die bislang analysierten Kennzahlen ergibt. Eigenkapitalgeber, die Krisenunternehmen Eigenkapital ohne Absicherungsmöglichkeiten zur Verfügung stellen (Risikokapital), erwarten in der Regel eine höhere Rendite als 15 % auf das von ihnen eingesetzte Eigenkapital, weil sie bei ihren Investments auch mit erhöhten Ausfällen rechnen müssen. Bei der Betrachtung der beiden Unternehmensgruppen, die nach der Art der Kapitalzufuhr differenziert wurden, ist ein deutlicher Unterschied in der Entwicklung zwischen den eigenkapitalfinanzierten Unternehmen (D_EK) und den fremdfinanzierten Unternehmen erkennbar (D_FK). Wie die nachfolgende Abbildung 39 zeigt, ist der Verlauf der durchschnittlichen Eigenkapitalrentabilität bei beiden Unternehmensgruppen sehr volatil.
652
Vgl. Anhang III
176
Insgesamt sind die Werte bei den eigenkapitalfinanzierten Unternehmen aber höher als bei den fremdkapitalfinanzierten Unternehmen:
Vergleich durchschnittliche Eigenkapitalrentabilität (EKR) von t-4 bis t+4 aller 63, 59 fremdfinanzierter und 4 eigenkapitalfinanzierter Unternehmen
EKR
100% 50% 0% -50% -100% -150% -200% -250% -300% -350% -400%
t-4
t-3
t-2
t-1
t0
t+1
t+2
t+3
t+4 D_63 D_FK D_EK
Jahr
Abbildung 39: Vergleich der durchschnittlichen Eigenkapitalrentabilität
Quelle: eigene Darstellung653
Bei den eigenkapitalfinanzierten Unternehmen (D_EK) stabilisiert sich der Wert bereits ab dem Jahr t1 und ist seit diesem Jahr positiv. Die fremdkapitalfinanzierten Unternehmen zeigen erst ab dem Jahr t2 positive Werte. Die Jahre t-4 und t4 können aufgrund der sehr geringen Datenmenge, die für die Analyse aus diesen beiden Jahren zur Verfügung standen, durch Ausreißer-Werte stark beeinflusst werden und sollten entsprechend kritisch betrachtet werden. Nur Unternehmen, die nachhaltig eine attraktive Eigenkapitalrentabilität den Eigenkapitalgebern in Aussicht stellen, sind für Eigenkapitalgeber eine interessante Investment-Alternative. Die Analyse dieser Kennzahl zeigt, das jeweils mehr als ein Drittel der untersuchten Unternehmen ab dem Jahr der Kapitalzufuhr eine Eigenkapitalrentabilität von mindestens 15 % aufweist. Bei einer unterstellten Repräsentativität der untersuchten Unternehmen, kann vermutet werden, dass Krisenunternehmen einen Anreiz für Eigenkapitalgeber in Form einer attraktiven Eigenkapitalrentabilität bieten können. Dabei sind bei der Berechnung dieser Kennzahl die Aufwendungen für die Fremdkapitalgeber (z. B. Zinsen) bereits berücksichtigt, da der Jahresüberschuss die Rechen653
Vgl. Anhang V
177
basis ist. Gerade die eigenkapitalfinanzierten Unternehmen weisen im Durchschnitt eine höhere Eigenkapitalrentabilität auf als die fremdkapitalfinanzierten Unternehmen, obwohl sie in der Regel eine höhere Eigenkapitalausstattung und damit einen höheren Bezugswert für die Berechnung der Eigenkapitalrendite haben. Dies lässt vermuten, dass eine hohe Eigenkapitalrentabilität nicht ausschließlich durch einen hohen Fremdkapitalanteil und damit auch einen niedrigen Eigenkapitalanteil erreicht werden kann. Die Auswertung der Kennzahl 11 (Return on Investment) macht deutlich, dass bis zum Jahr t0 die Anzahl der Unternehmen mit einem Return on Investment von bis zu 5 % den größten Anteil aller Unternehmen darstellten.654 Ab dem Jahr t0 ist die Anzahl der Unternehmen mit einem Return on Investment von bis zu 5 % (0,05) ähnlich groß. Die Auswertung der Jahre t1 bis t3 zeigt in der nachfolgenden Abbildung 40 drei ungefähr gleich große Unternehmensgruppen, und zwar Unternehmen mit einem negativen Return on Investment (bzw. einen Return on Investment von Null), einen Return on Investment von bis zu 5 % sowie einen Return on Investment von mehr als 5 %.
Entwicklung des Return on Investment 70
60
60
52
50 36
40 30 20
21
20
19
15
20
17 11
13
12
10 0 t1
t2 0 und 0,05
gesamt
Abbildung 40: Entwicklung des Return on Investment
Quelle: eigene Darstellung655
654 655
Vgl. Anhang II Vgl. Anhang III
178
Bei einer Betrachtung des Verlaufs des durchschnittlichen Return on Investments, differenziert nach eigen- (D_EK) und fremdkapitalfinanzierten Unternehmen (D_FK) ist ein deutlicher Unterschied zu erkennen. Wie die nachfolgende Abbildung 41 zeigt, ist der Verlauf bei den eigenkapitalfinanzierten Unternehmen bis zum Jahr t0, in dem der Tiefstpunkt erreicht worden ist, fast linear negativ: Vergleich durchschnittlicher Return on Investment (ROI) von t-4 bis t+4 aller 63, 59 fremdfinanzierter und 4 eigenkapitalfinanzierter Unternehmen
ROI
15% 10% 5% 0% -5%
t-4
t-3
t-2
t-1
t0
t+1
t+2
t+3
t+4
D_63 D_FK D_EK
-10% -15% -20% Jahr
Abbildung 41: Vergleich des durchschnittlichen Return on Investment
Quelle: eigene Darstellung656
Bereits im Jahr t1 konnte wie auch in den Folgejahren ein positiver Return on Investment erreicht werden. Die fremdkapitalfinanzierten Unternehmen erreichten ihren Tiefstpunkt bereits im Jahr t-3 (das Jahr t4 ist wegen der „Ausreißer-Einflüsse“ nicht berücksichtigt worden). Anschließend zeigte sich ein positiver Trend, so dass bereits ab dem Jahr t0 ein positiver Wert erreicht werden konnte. Der weitere positive Trend ist nicht so stark steigend wie bei den eigenkapitalfinanzierten Unternehmen, jedoch nachhaltig und nicht so sprunghaft. Im Jahr t3 nähern sich beide Unternehmensgruppen einem ähnlichen Wert (rd. 5 %). Insgesamt deutet der relativ niedrige Return on Investment auch auf einen schwachen wirtschaftlichen Erfolg bei einigen Unternehmen hin. Obwohl diese Kennzahl in vielen Kennzahlensystemen eine zentrale Größe ist, zeigt die Analyse dieser Kennzahl bei den untersuchten Ergebnissen keine wesentlich
656
Vgl. Anhang V
179
neuen Erkenntnisse. Unter der Annahme, dass für die untersuchten Unternehmen eine Repräsentativität für Unternehmen in Deutschland unterstellt wird, lässt sich aus dieser Auswertung ableiten, dass diese Kennzahl zwar eine positive Entwicklung bei den Durchschnittswerten ab dem Jahr t0 zeigt. Als Anreiz für die Kapitalgeber bei Unternehmensfinanzierungen in Krisensituationen hat diese Kennzahl eine eher untergeordnete Bedeutung. Bei der Berechnung dieser Kennzahl wird das zur Verfügung gestellte Kapital zusammengefasst, obwohl die jeweiligen Gruppen der Kapitalgeber nicht die identischen Zielvorstellungen haben (z. B. erwarten Eigenkapitalgeber eine höhere Verzinsung als Fremdkapitalgeber). Ein Krisenunternehmen sollte daher die jeweiligen Erwartungen der einzelnen Kapitalgeber ermitteln und entsprechende differenzierte Anreize schaffen. Die Auswertung der Kennzahl 12 (Personalaufwandsquote) zeigt keine besonderen Auffälligkeiten bei den untersuchten Unternehmen. Der größte Teil der untersuchten Unternehmen hat eine Personalaufwandsquote zwischen 20 und 40 %.657 Diese Kennzahl ist von sehr vielen Faktoren abhängig (z. B. Branche, Unternehmensphase, technische Ausstattung u. a.), so dass eine Beurteilung eines Unternehmens anhand dieser Kennzahl zunächst schwierig ist. Die Auswertung der Jahre t1 bis t3 zeigt in der nachfolgenden Abbildung 42, dass auch ein großer Teil der Unternehmen eine Personalaufwandsquote von weniger als 20 % haben:
657
Vgl. Anhang II
180
Entwicklung der Personalaufwandsquote 70
60
60
52
50 36
40
28
30 20
15
17
22 15
15
11
15
10
10 0 t1 >= 0 und 0,2 und 0,4
gesamt
Abbildung 42 : Entwicklung der Personalaufwandsquote
Quelle: eigene Darstellung658
Die statistischen Werte der Deutschen Bundesbank betragen für das Jahr 1998 16,9 % und für das Jahr 2003 16,0 %. Bei diesen Durchschnittswerten ist zu berücksichtigen, dass je nach Branchenzugehörigkeiten des Unternehmens diese Kennzahl sehr stark variieren kann. Produzierende Unternehmen haben aufgrund Einsatzes von Maschinen eine geringere Personalaufwandsquote als Dienstleistungsunternehmen. Bedingt durch Restrukturierungsmaßnahmen (z. B. Abfindungen zahlen bei Personalfreisetzungen) kann die Personalaufwandsquote zunächst auch noch nach der Kapitalzufuhr steigen. Zur Beurteilung eines Unternehmens muss die Personalaufwandsquote zusammen mit weiteren Kennzahlen betrachtet werden (z. B. Produktivität der Belegschaft). Bei der Differenzierung der Unternehmen nach eigenkapitalfinanzierte (D_EK) und fremdkapitalfinanzierte Unternehmen (D_FK) wird in der nachfolgenden Abbildung 43 deutlich, dass es kaum Unterschiede in der Entwicklung der Durchschnittswerte zwischen beiden Unternehmensgruppen gibt:
658
Vgl. Anhang III
181
Vergleich durchschnittliche Personalaufwandsquote (PAQ) von t-4 bis t+4 aller 63, 59 fremdfinanzierter und 4 eigenkapitalfinanzierter Unternehmen PAQ
160% 140% 120% 100%
D_63 D_FK D_EK
80% 60% 40% 20% 0% t-4
t-3
t-2
t-1
t0
t+1
t+2
t+3
t+4
Jahr
Abbildung 43: Vergleich der durchschnittlichen Personalaufwandsquote
Quelle: eigene Darstellung659
Der Verlauf der Graphen von den beiden Unternehmensgruppen ist ab dem Jahr t-2 sehr ähnlich, bis auf das Jahr t1, in dem der Durchschnittswert der fremdkapitalfinanzierten Unternehmen durch einen Extremwert stark erhöht worden ist. Dies kann bedeuten, dass eigenkapitalfinanzierte Unternehmen nach der Kapitalzufuhr nicht zwangsläufig Personal freisetzen. Dies wird auch in einer Studie von A.T. Kearney bestätigt.660 Aufgrund der dargestellten Einschränkungen der Aussagekraft dieser Kennzahl ist sie eher von untergeordneter Bedeutung und dient dazu, Trendaussagen zu bestätigen bzw. zu widerlegen. Eine Berücksichtigung in einem Finanzierungsmodell für Krisenunternehmen als einen separaten Anreizwert ist aufgrund der vielen Besonderheiten, die bei der Ermittlung dieser Kennzahl berücksichtigt werden müssen, nicht sinnvoll. Vielmehr sollte sie unternehmensindividuell festgelegt und im Zeitverlauf überprüft werden. Grundsätzlich kann aber bei einer unterstellten Repräsentativität der untersuchten Unternehmen festgehalten werden, dass Krisenunternehmen nicht pauschal einen Personalabbau für Kapitalgeber als Anreiz bieten müssen.
659 660
Vgl. Anhang V Vgl. A. T. Kearney (2007)
182
Die Kennzahl 13 (Produktivität der Belegschaft) benötigt für ihre Interpretation auch die Kennzahl 12 (Personalaufwandsquote). Die Produktivität der Belegschaft wird in T€ pro MitarbeiterIn (T€/MA) angegeben. Bei der Analyse dieser Kennzahl wird erkennbar, dass im Zeitablauf der Wert steigt.661 Insbesondere die Unternehmen mit Werten ab T€ 100/MA haben ab dem Jahr t0 zunehmend größere Anteile. Im Zusammenhang mit der Personalaufwandsquote können Rückschlüsse auf Steigerungen des gesamten Lohn- bzw. Gehaltsniveaus gezogen werden (z. B. bei einem steigenden Personalaufwand und gleichbleibender Produktivität der Belegschaft). Die Auswertung der Jahre t1 bis t3 in der nachfolgenden Abbildung 44 zeigt einen steigenden Trend bei den Unternehmen mit Werten von über T€ 100/MA sowie einen rückläufigen Trend bei den Unternehmen mit Werten bis zu T€ 100/MA: Entwicklung der Produktivität der Belegschaft 56
60
49
50 40 30
33 22
23
20
20
17
12
11
15
12
6
10 0 t1 >= 0 und 100 und 200
gesamt
Abbildung 44: Entwicklung der Produktivität der Belegschaft
Darstellung: eigene Abbildung662
Bei der Betrachtung der Durchschnittswerte, differenziert nach der Art der Kapitalzufuhr, zeigen sich höhere Werte bei den Fremdkapitalfinanzierten Unternehmen (D_FK). Die nachfolgende Abbildung 45 verdeutlicht, dass die Werte der eigenkapitalfinanzierten Unternehmen (D_EK) ab dem Jahr t0 unter den Werten der fremdkapitalfinanzierten Unternehmen liegen:
661 662
Vgl. Anhang II Vgl. Anhang III
183
Vergleich durchschnittliche Produktivität der Belegschaft (Prod)von t-4 bis t+4 aller 63, 59 fremdfinanzierter und 4 eigenkapitalfinanzierter Unternehmen Prod (in T€)
300,00 250,00 200,00
D_63 D_FK D_EK
150,00 100,00 50,00 0,00 t-4
t-3
t-2
t-1
t0
t+1
t+2
t+3
t+4
Jahr
Abbildung 45: Vergleich der durchschnittlichen Produktivität der Belegschaft
Quelle: eigene Darstellung663
Das Ansteigen der durchschnittlichen Produktivität der Belegschaft kann im Zusammenhang mit der nur moderat steigenden Personalaufwandsquote insbesondere bei den fremdkapitalfinanzierten Unternehmen auf ein Umsatzwachstum hindeuten. Dieses mögliche Umsatzwachstum führte jedoch zu nur schwachen Erträgen, wie die Auswertungen der bisherigen Kennzahlen zeigt. Insgesamt könnte dies z. B. bedeuten, dass zwar durch die weitere Kapitalzufuhr mit Fremdkapital zur Aufstockung der bisher vorhandenen Finanzmittel zur Überwindung der Unternehmenskrise ein Umsatzwachstum generiert werden konnte. Leider war dies mit sehr schwachen Ergebnissen verbunden. Die eigenkapitalfinanzierten Unternehmen zeigen sowohl in der durchschnittlichen Personalaufwandsquote als auch in der durchschnittlichen Produktivität der Belegschaft nur sehr moderat steigende Werte, insbesondere ab dem Jahr t0. Dies deutet auch auf ein nur moderates Umsatzwachstum hin. Die Auswertung der bisherigen Kennzahlen zeigt aber, dass ein Ertragswachstum erreicht worden ist. Die Analyse dieser Kennzahl 13 zeigt, dass sie ähnlich wie die vorherige Kennzahl nur bedingt geeignet ist, um Thesen für einen Beitrag dieser Kennzahl zu einem Finanzierungsmodell für Krisenunternehmen aufzustellen. Auch diese Kennzahl muss unternehmensindividuell untersucht und ein entsprechender Zielwert für die zukünfti663
Vgl. Anhang V
184
ge Entwicklung des Unternehmens festgelegt werden. Pauschale Aussagen für einen Wert, der als Anreiz für Kapitalgeber in einer Krisensituation dienen kann, sind nicht möglich. Insbesondere bei vielen produzierenden Unternehmen ist die Materialaufwandsquote eine wichtig Größe, da sie eine der größten Aufwandspositionen verdeutlicht. Die Analyse der Kennzahl 14 (Materialaufwandsquote) zeigt, dass der größte Teil der untersuchten Unternehmen, eine Materialaufwandsquote von mindestens 40 % (0,4) hat.664 Die statistischen Werte der Deutschen Bundesbank betragen für das Jahr 1998 64,0 % und für das Jahr 2003 66,8 %. Die Materialaufwandsquote ist sehr stark von der Fertigungstiefe eines Unternehmens abhängig. Bei niedriger Fertigungstiefe und einem hohen Anteil an zugekauften Fertigteilen ist die Materialaufwandsquote niedriger als bei einer hohen Fertigungstiefe und umgekehrt. Einhergehend damit variiert sehr häufig auch die Personalaufwandsquote, die bei einer geringen Fertigungstiefe auch entsprechend geringer ist. Bei der Betrachtung der Jahre t1 bis t3 ist in der nachfolgenden Abbildung 46 erkennbar, dass der Anteil der Unternehmen mit einer Materialaufwandsquote von bis zu 40 % ungefähr so groß ist wie der Anteil an Unternehmen mit einer Materialaufwandsquote von 40 bis 60 %:
Entwicklung der Materialaufwandsquote 70
60
60
52
50 36
40 30
21
22
17
20
21
19
14
12
15 7
10 0 t1
t2 >= 0 und 0,4 und 0,6
gesamt
Abbildung 46: Entwicklung der Materialaufwandsquote
Quelle: eigene Darstellung665 664 665
Vgl. Anhang II Vgl. Anhang III
185
Die hohe Materialaufwandsquote könnte darauf hin deuten, dass ein Großteil der untersuchten Unternehmen aus dem produzierenden Gewerbe stammt. Eine Materialaufwandsquote von über 60 % könnte z. B. eher auf den Bereich des Einzelhandels hinweisen. Bei der Auswertung, differenziert nach der Art der Kapitalzufuhr, wird deutlich, dass die eigenkapitalfinanzierten Unternehmen (D_EK) im Durchschnitt einen deutlich geringeren Wert haben als die fremdkapitalfinanzierten Unternehmen (D_FK). Die nachfolgende Abbildung 47 zeigt, dass die Werte der eigenkapitalfinanzierten Unternehmen nicht über 30 % steigen und ab dem Jahr t0 sinken:
Vergleich durchschnittliche Materialaufwandsquote (MAQ) von t-4 bis t+4 aller 63, 59 fremdfinanzierter und 4 eigenkapitalfinanzierter Unternehmen MAQ
60% 50% 40%
D_63 D_FK D_EK
30% 20% 10% 0% t-4
t-3
t-2
t-1
t0
t+1
t+2
t+3
t+4
Jahr
Abbildung 47: Vergleich der durchschnittlichen Materialaufwandsquote
Quelle: eigene Darstellung666
Aber auch die Werte der fremdkapitalfinanzierten Unternehmen sinken ab dem Jahr t0. Obwohl diese Abbildung die Durchschnittswerte zeigt, bei denen Ausreißer-Werte die Durchschnittswerte stark beeinflussen können, könnte die tendenziell sinkende Materialaufwandsquote einen effizienteren Einsatz des benötigten Materials im Zeitablauf ab dem Jahr t0 bedeuten. Auch diese Kennzahl ist von ihrer Aussagekraft eher wie die beiden vorherigen Kennzahlen (Personalaufwandsquote, Produktivität der Belegschaft) einzuordnen.
666
Vgl. Anhang V
186
Bei einer unterstellten Repräsentativität der untersuchten Unternehmen können kaum pauschale Aussagen über diese Kennzahl getroffen werden. Sie muss unternehmensindividuell überprüft werden. Auch ein Zielwert muss unternehmensindividuell definiert werden. Dabei muss er in das Anreizsystem für potentielle Kapitalgeber eingebunden sein. Diese Kennzahl darf nicht außerhalb der Erwartungshaltung der Kapitalgeber liegen, die sich jedoch auch unternehmensindividuell bildet. Als abschließende Kennzahl 15 wurde das Kundenziel analysiert. Die Auswertung zeigt, dass der Anteil der untersuchten Unternehmen mit einem Kundenziel von bis zu 30 Tagen ab dem Jahr der Kapitalzufuhr (t0) deutlich zugenommen hat.667 Insbesondere ist dieser Anteil in den Jahren t1 bis t3 bis auf rd. 50 % gestiegen, wie die nachfolgende Abbildung 48 verdeutlicht:
Entwicklung des Kundenziels 70
60
60
52
50
30
36
35
40
26
25
26 19
20
17
10 0 t1
t2 30
t3 gesamt
Abbildung 48: Entwicklung des Kundenziels
Quelle: eigene Darstellung668
Die Unternehmen mit dem Kundenziel von bis zu 30 Tagen müssen weniger Mittel im Umlaufvermögen binden als die Unternehmen mit einem längeren Kundenziel. Tendenziell ist dadurch eine geringere Fremdkapitalaufnahme möglich. Die Reduzierung des Kundenziels ab dem Jahr der Kapitalzufuhr kann auf Auflagen hindeuten, die die Kapitalgeber den Unternehmen vorgaben (z. B. Verkürzung des Kundenziels, schnellere Mahnläufe), um die Liquiditätssituation zu stärken. Die Auswertung der Durch667 668
Vgl. Anhang II Vgl. Anhang III
187
schnittswerte, differenziert nach der Art der Kapitalzufuhr, zeigt sowohl bei den eigenkapitalfinanzierten (D_EK) als auch bei den fremdkapitalfinanzierten Unternehmen (D_FK) den positiven Trend eines reduzierten Kundenziels. Dabei konnten die eigenkapitalfinanzierten Unternehmen einen geringeren Durchschnittswert erreichen als die fremdkapitalfinanzierten Unternehmen, wie die nachfolgende Abbildung 49 verdeutlicht: Vergleich durchschnittliches Kundenziel (KdZ) von t-4 bis t+4 aller 63, 59 fremdfinanzierter und 4 eigenkapitalfinanzierter Unternehmen KdZ (in Tagen)
80 70 60 50
D_63 D_FK D_EK
40 30 20 10 0 t-4
t-3
t-2
t-1
t0
t+1
t+2
t+3
t+4
Jahr
Abbildung 49: Vergleich des durchschnittlichen Zahlungsziels
Quelle: eigene Darstellung669
Im Jahr t3 liegt der Durchschnittswert der eigenkapitalfinanzierten Unternehmen aber über dem Wert der fremdkapitalfinanzierten Unternehmen, da ein Ausreißer-Wert den Durchschnittswert sehr stark beeinflusst. Insgesamt gesehen deuten die ausgewerteten Kundenziele auf eine gute Zahlungsmoral der Kunden sowie auf ein effektives Mahnwesen hin. Die Analyse dieser Kennzahl zeigt, dass sie eher Trendaussagen ermöglicht. Die Unternehmen haben ihr Kundenziel im Zeitablauf reduzieren können. Dies ist ein wichtiges Signal für die Kapitalgeber, da bei einem hohen Kundenziel auch ein entsprechend hohes Umlaufvermögen gebunden ist. Konkrete Aussagen über einen Zielwert können pauschal über alle Unternehmen nicht getroffen werden. Dies muss unternehmensindividuell erfolgen. Bei einer Annahme der Repräsentativität der un669
Vgl. Anhang V
188
tersuchten Unternehmen kann aber vermutet werden, dass Unternehmen in Krisensituationen einen Anreiz für potentielle Kapitalgeber bieten können, indem sie ihr Kundenziel im Zeitverlauf reduzieren. Dies gilt sowohl für Eigen- als auch für Fremdkapitalgeber.
4.4. Zusammenfassung der Ergebnisse In diesem vierten Kapitel wurde die empirische Untersuchung beschrieben. Zunächst wurden die Ziele und der Aufbau der Untersuchung erläutert. Grundlegendes Ziel war die Untersuchung, ob eine Kapitalzufuhr bei den untersuchten Unternehmen in einer Krisensituation Auswirkungen auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung hatte. Weiterhin sollte untersucht werden, ob es Unterschiede bei der wirtschaftlichen Entwicklung der Unternehmen gibt, wenn diese nach der Art der Kapitalzufuhr differenziert werden. Die Entwicklung eines Finanzierungsmodells auf Basis der Erkenntnisse dieser empirischen Untersuchung ist ein weiteres Ziel, welches im nachfolgenden Kapitel 5 beschrieben wird. Für die Untersuchung wurden die Gewinn- und Verlustrechnungen von 227 Jahresabschlüssen von insgesamt 63 Unternehmen erfasst und ausgewertet. Diese Unternehmen befanden sich alle in einer Krisensituation und haben zusätzlich zu ihren bisherigen Finanzmitteln eine weitere Kapitalzufuhr erhalten, um diese Krisensituation beseitigen zu können. Die Kapitalzufuhr erfolgte überwiegend in Form von Fremdkapital und bei vier Unternehmen in Form von Eigenkapital. Die Daten gewährleisten einen aktuellen Zeitbezug. Weiterhin wurde für die untersuchten Unternehmen eine Repräsentativität für Unternehmen aus ganz Deutschland unterstellt. Der Großteil der Unternehmen erfüllt die Klassifizierungskriterien für kleine und mittlere Unternehmen. Diese Unternehmensgruppen sind im Mittelpunkt dieser vorliegenden Arbeit, weil gerade sie in Krisensituationen Schwierigkeiten haben, eine Finanzierung zu erhalten. Bestimmte Unternehmen wurden aus der Untersuchung ausgeschlossen (z. B. konzernabhängige Unternehmen, Kreditinstitute u. a.), um deren Sondereinflüsse in den Jahresabschlüssen nicht in die Untersuchung einfließen zu lassen. Bei der Erläuterung des Begriffes „Bilanzanalyse“ wurde herausgearbeitet, dass sie in der Literatur als Instrument anerkannt wird, um entscheidungsrelevante Informationen über die gegenwärtige und zukünftige wirtschaftliche Lage eines Unternehmens zu erhalten. Jedoch wurden auch die Grenzen der Bilanzanalyse aufgezeigt. In der 189
Untersuchung wurde trotz der kritischen Hinweise und Vorstellen von alternativen Analyse-Möglichkeiten die externe Bilanzanalyse eingesetzt. Nachdem allgemeine Informationen über die Kennzahlenbildung und die Kennzahlensysteme erläutert worden sind, wurden die eingesetzten Kennzahlen definiert und kurz beschrieben. Im Anschluss daran erfolgte die Auswertung der einzelnen Kennzahlen. Dabei wurden sowohl die Unternehmen insgesamt, als auch die Unternehmen, differenziert nach der Art der Kapitalzufuhr, untersucht. Die Ergebnisse wurden sowohl graphisch als auch mit Worten erläutert und für erste Schlussfolgerungen verwendet. Alle 15 Kennzahlen sind wichtig für eine Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung eines Unternehmens. Sie haben jedoch jeweils eine unterschiedlich starke Bedeutung bei der Berücksichtigung in einem Finanzierungsmodell für Krisenunternehmen. Die Anforderungen bzw. Erwartungshaltungen der Kapitalgeber wurden anhand der einzelnen Kennzahlen verdeutlicht. Dabei wurde auch auf eventuell vorhandene Prinzipal-Agent-Problematiken bzw. Anreiz-Möglichkeiten für die Kapitalgeber durch die Unternehmen eingegangen. Die nachfolgende Abbildung 50 zeigt zusammenfassend die fünf Kennzahlen, die den größten Einfluss auf eine Entscheidungsfindung der Kapitalgeber, sich an einer Finanzierung von einem Krisenunternehmen zu beteiligen, bzw. auch auf das Verhalten der Krisenunternehmen bei der Gewinnung von Kapitalgebern haben:
190
Nr.
Kennzahl
Bemerkungen
Eigenkapital1 quote
Anreiz für potentielle Eigenkapitalgeber (Stabilität und wirtschaftliche Stärke des Unternehmens und damit Werthaltigkeit bzw. Möglichkeit zur Gewinnausschüttung); Anreiz für bisherige und auch potentielle Fremdkapitalgeber (höheres Haftkapital/Sicherheiten und damit Reduzierung der Agency-Kosten)
kurzfristige Fremdkapital2 quote
Kann Problematik des "Hidden Information" verdeutlichen: Krisenunternehmen erhalten von Fremdkapitalgeberen zunächst eher ein kurzfristiges Fremdkapital, dadurch "Druck" der kurzfristigen Fälligkeit, hohe Zinsen belasten Unternehmensergebnis; diese Kennzahl kann verdeutlichen, dass bei einem kombinierten Finanzierungsmodell mit unterschiedlichen Kapitalgebern die unterschiedlichen Interessen besser berücksichtigt werden können
Zeigt die grundsätzliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Stabilität eines Unternehmens auf. Damit stellt er einen Anreizwert sowohl für die Eigen- als auch für die Fremdkapitalgeber dar. Dabei kann in der Regel eine größere Einflussmöglichkeit auf die Entwicklung dieses Wertes durch die Eigenkapitalgeber angenommen werden. Die Fremdkapitalgeber würden so von einem parallelem Engagement eines Eigenkapitalgebers profitieren können. 3 Cash Flow Verdeutlicht die unterschiedlichen Interessen und Verhaltensmuster der Unternehmen sowie der Kapitalgeber. Obwohl diese Kennzahl durch das Unternehmen stark beeinflussbar ist, wird sie zumindest von den Banken als sehr bedeutsam für die Beurteilung der Kreditwürdigkeit eines Unternehmens eingeschätzt. Das Unternehmen wird sich entsprechend bei dem Ermitteln dieser Kennzahl verhalten. Dieses Verhalten wiederum muss von den Banken antizipiert werden. Die Agency-Kosten der Banken könnten durch ein paralles Engagement von Eigenkapitalgebern und deren stärkeren Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung reduziert Goldene werden. 4 Bilanzregel Wichtiger Anreiz für Eigenkapitalgeber. Sie kann auf eine positive wirtschaftliche Entwicklung und den Potentialen der Gewinnauschüttung hinweisen. Weiterhin verkörpert sie eine wichtiges Unternehmensziel: Gewinnerzielung. Sie stellt auch einen Anreiz für Fremdkapitalgeber dar, da bei der Berechnung dieser Kennzahl die Bedienung der Fremdkapitalforderungen (z. B. Zinsen) 5 Umsatzrendite bereits berücksichtigt worden sind.
Abbildung 50: Die 5 wichtigsten Kennzahlen dieser Untersuchung
Quelle: eigene Darstellung
191
Kapitel 5 Zusammenfassung und Fazit Der deutsche Finanzmarkt befindet sich angesichts neuer Aufgaben auch für Sanierungen und Innovationen in einem fortschreitenden Wandel. Nach wie vor sind die wichtigsten Finanzierungsformen der Unternehmen die Innenfinanzierung und der Bankkredit. Daneben gewinnen aber auch traditionelle und innovative Finanzierungsalternativen zunehmend an Bedeutung. Im deutschen Bank- und Finanzsystem spielt zumeist eine regionale Hausbank eine zentrale Rolle für die Zukunftssicherung kleiner und mittlerer Unternehmen. Diese sind unverändert auf eine Vielfalt von Kreditfinanzierungen angewiesen. Die Kreditinstitute selbst jedoch befinden sich in einem sich verändernden Marktumfeld und müssen sich einem zunehmenden Wettbewerb zwischen den Kreditinstituten stellen. Aufwands-/Ertragsrelationen sind kritisch zu prüfen und hohe Kreditrisiken im Firmenkunden-Portfolio sind zu vermeiden bzw. entsprechend vergütet zu bekommen. Die Kreditkonditionen müssen stärker an den Bonitätsrisiken ausgerichtet werden. Daraus erwachsen zugleich Möglichkeiten für neuere Finanzinstrumente sowie strukturierte Finanzlösungen. Diese Entwicklung hat gerade für Unternehmen in Krisensituationen große Auswirkungen. Große Unternehmen können ihre schlechte Bonität in der Regel durch einen Zinsaufschlag bei den Kreditzinsen ausgleichen bzw. kompensieren und erhalten somit eine Finanzierung auch in einer Krisensituation. Dies ist bei kleinen und mittleren Unternehmen in Krisensituationen in der Regel nicht der Fall. Die Risikobeschränkung für die Kreditinstitute erfolgt dann durch Kreditrationierung, d. h. die Kreditinstitute verweigern die Kreditausreichung. Auch die klassischen Förderinstrumente versagen in diesem Falle oftmals. Die vorliegende Arbeit hat Grundlagen für die Beantwortung der Frage geschaffen, wie auch kleine und mittlere Unternehmen in einer Krisensituation eine Finanzierung zur Überwindung der Unternehmenskrise erhalten können. Ziel der vorliegenden Arbeit war es zu zeigen, welche Auswirkungen für die wirtschaftliche Entwicklung von kleinen und mittleren Unternehmen in einer Krisensituation eine weitere Kapitalzufuhr als zusätzliche Aufstockung der bereits vorhandenen Finanzmittel hat bzw. haben kann. Dazu erfolgte eine differenzierte Betrachtung nach der Art der Kapitalzufuhr 193
(Eigen- oder Fremdkapital). Ein erster Ansatz für ein Finanzierungsmodell für kleine und mittlere Unternehmen in Krisensituationen auf Basis der Erkenntnisse aus der empirischen Untersuchung wurde entwickelt. Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht deshalb die Rolle des Finanzmanagements und verschiedene Optionen der Strukturierung von Finanzierungsquellen im Prozess der Überwindung einer Krisensituation. Im ersten Kapitel wurde dargestellt, dass die Unternehmenskrise eine schwierige Situation für ein Unternehmen mit ambivalentem Ausgang ist. Eine Literaturstudie über theoretische Modelle zum Financial Distress zeigte, dass die Beiträge zu diesem Thema sich überwiegend mit dem Finanzmarkt USA befassen und deren Erkenntnisse nur begrenzt auf dem deutschen Markt übertragbar sind. In einigen Untersuchungen wurde herausgearbeitet, dass die Hausbank nach wie vor eine zentrale Rolle – zumindest für kleine und mittlere Unternehmen – bei der Überwindung von Unternehmenskrisen spielt. Sie sollte deshalb auch in Zukunft in dem Prozess zur Krisenüberwindung eingebunden werden. Andere Modelle zeigten, dass die einzelnen Kapitalgeber/Finanzierungspartner unterschiedliche Interessen bei der Finanzierung eines Krisenunternehmens haben und daraus ein unterschiedliches Verhalten resultiert. Die vorgestellten Studien machten deutlich, dass die Finanzierungspartner sich eher für die weitere Begleitung des Unternehmens entscheiden, wenn sie einen adäquaten Anreiz dafür erwarten können. Grundsätzlich geht es um eine marktgerechte, d. h. risikojustierte Verzinsung des bereitgestellten Kapitals. Die Verzinsung muss entweder das Risiko angemessen berücksichtigen. Es kann aber auch eine Risikoabsicherung oder -teilung erfolgen. Hier sind teilweise staatliche Hilfen notwendig, sofern dies den förderpolitischen Interessen entspricht. Mehr und mehr sind dabei private Risikokapitalgeber als Partner gefragt, da diese über eine besondere Risikotragfähigkeit und ein entsprechendes Know-how verfügen. Die Vorstellung der in der Literatur bisher zu findenden empirischen Analysen zum Financial Distress machte deutlich, dass es für den deutschen Markt nur sehr wenige Aussagen gibt. Zwei deutsche Studien untersuchten Unternehmen, die sich hauptsächlich durch Bankkredite finanzierten und überwiegend über eine klassische Hausbankbeziehung verfügten. Ein größeres Problem ist die Datenlage für empirische Analysen. Die jüngsten Auswertungen stammen aus dem Zeitraum 1992 bis 1996. Der Wandel des deutschen Finanzmarktsystems, der eine Lockerung der bis-
194
her sehr engen Hausbankbeziehungen der Unternehmen zur Folge hat und auch weiterhin haben wird, ist in der vorliegenden Untersuchung erstmalig berücksichtigt. Erste empirische Studien über Unternehmen in Krisensituationen unterstreichen den weiteren Forschungsbedarf, insbesondere für den deutschen Markt. Hier leistet die vorliegende Arbeit einen neuen Beitrag und unterstreicht die enorme Bedeutung alternativer und strukturierter Finanzierungsmöglichkeiten für eine erfolgreiche Unternehmenssanierung. Im zweiten Kapitel wurden Aspekte der Finanzierung dargestellt. Nach der Erläuterung der Aufgaben und Bedeutung des Finanzmanagements wurde die neoinstitutionalistische Finanzierungstheorie beschrieben. Ein Schwerpunkt lag dabei auf den Problematiken aus den Prinzipal-Agenten-Beziehungen, bei der unterschiedliche Ausprägungen von Informationsasymmetrien unterschieden werden. Vor Vertragsabschluss kann dies bei Unternehmensfinanzierungen in Krisensituationen z. B. dazu führen, dass Kreditgeber (Prinzipal) wegen der Unsicherheit durch den Informationsvorsprung des Unternehmens (Agent) Kredite verweigern. Der Prinzipal trägt bei der Krediterteilung das Risiko, dass ihm der Agent nicht alle Informationen über das Unternehmen dargestellt hat. So könnte der Agent wichtige Informationen, die vielleicht über die zukünftige Entwicklung des Unternehmens entscheiden können, verschweigen. Dieses Risiko, dass sich das Unternehmen anders entwickelt als bisher von der Unternehmensführung dargestellt, gehen die Banken nur bis zu einem gewissen Grad ein bzw. lassen sie sich durch eine entsprechende Verzinsung des zur Verfügung gestellten Kapitals vergüten. Aber auch nach Vertragsabschluss trägt der Prinzipal ein Risiko, weil er nach Vertragsabschluss die Aktionen des Agent nicht oder nicht kostenlos ex post beobachten kann. In der Arbeit wurde verdeutlicht, dass der Agent einen Anreiz haben muss, dafür Sorge zu tragen, dass die Erfüllung seines Ziels auch den Zielen des Prinzipals dient. Um ihre Agency-Kosten senken zu können, streben die Eigenkapitalgeber einen höheren Verschuldungsgrad des Unternehmens an. Wie in dieser Arbeit dargelegt, erhöht dies den Druck auf den Agenten, den Zahlungsverpflichtungen aus seinen Krediten nachzukommen. Um dies zu erreichen und die Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden, muss der Agent positive Ergebnisse erwirtschaften, welches wiederum das Ziel der Eigenkapitalgeber ist. Eine Senkung der Agency-Kosten für die Fremdkapitalgeber kann z. B. durch das Verlangen von ausreichenden Sicherheiten für das Fremdkapital erreicht werden. Die Fremdkapital195
geber müssten dann nur noch die Werthaltigkeit der Sicherheiten prüfen. Weitere Möglichkeiten sind die Einräumung von Sonderrechten (z. B. kürzere Laufzeiten, Vereinbarung von Mindest-Kenngrößen, die das Unternehmen erwirtschaften muss u. a.). Bei dieser Prinzipal-Agent-Beziehung setzt das Finanzierungsmodell dieser an, welches durch Schaffung von Anreizen alle Anspruchsgruppen für die Finanzierung bei einer Unternehmenssanierung gewinnen und zusammenführen will. Anschließend wurden die Möglichkeiten der Finanzierungen in Form von Eigen- oder Fremdfinanzierung dargestellt. Es wurde deutlich, dass Eigenkapitalfinanzierungen für Investoren insbesondere bei Kapitalgesellschaften interessant sind. Bei diesen sind sie in der Haftung beschränkt und erhalten je nach Ausgestaltung und Umfang der Finanzierung entsprechende Rechte (z. B. als Mit-Gesellschafter, wenn sie für das zur Verfügung gestellte Eigenkapital Gesellschaftsanteile erhalten). Kapitalanlagen in nicht börsenotierte Unternehmen sind besser für längerfristig orientierte Investoren geeignet. So fehlen in der Regel ein Markt und ein organisierter Handel, so dass die Anteile an diesen nicht börsennotierten Unternehmen nicht fungibel sind. Als Besonderheit der Problematik wurde herausgearbeitet, dass das „LemmonProblem“ von Akerlof bei der Veräußerung von Anteilen an nicht börsennotierten Unternehmen berücksichtigt werden muss. Eigenkapitalinvestitionen auch in nicht börsennotierte Unternehmen sind daher im Wesentlichen für professionelle (häufig auch institutionelle) Kapitalbeteiligungsgesellschaften interessant. Diese sind darauf spezialisiert, Anteile an Unternehmen zu erwerben, um so ein Wachstum zu ermöglichen. Insgesamt vier Unternehmen der vorliegenden Untersuchung haben eine Eigenkapitalfinanzierung durch eine Beteiligungsgesellschaft erhalten. In dieser Arbeit wurde dargestellt, dass gerade größere Eigenkapitalbeträge bei Aktiengesellschaften durch die Kapitalaufnahme an einer Börse mobilisiert werden können. Für die Finanzierung von Unternehmenssanierungen ist diese Art der Finanzierung weniger gut geeignet. Um einen gewissen Einfluss auf die Gesellschaft zu haben, muss eine bestimmte Anzahl an Anteilen (Aktien) erworben werden. Bei großen Gesellschaften bedeutet dies eine größere Eigenkapitalinvestition. Dazu müssen die potentiellen Anleger vom Sanierungserfolg überzeugt werden. Dies bedeutet einen großen Koordinierungsaufwand bei einer entsprechend großen Anzahl von Investoren. Gerade für kleine und mittlere Unternehmen steht sehr häufig der Aufwand der mit einer Kapitalaufnahme über die Börse verbunden ist, in einem ungünstigen Verhältnis zu der Menge an Eigenkapital, die eingeworben werden kann. 196
Bei der Darstellung der Fremdfinanzierung wurden auch die Grundlagen der Kreditsicherung erläutert. Die Sicherheiten sind das zentrale Instrument zur Beurteilung, ob ein Unternehmen weiteres Fremdkapital erhalten soll. Eine weitere Begleitung einer Unternehmenssanierung ohne Sicherheiten oder äquivalente Instrumente ist für eine Bank kaum denkbar. In dieser Arbeit wurde das Instrument der Bürgschaft näher erläutert. Insbesondere für Unternehmen in Krisensituationen ist dies eine Möglichkeit, von einer Bank einen Kredit zu erhalten, auch wenn für die Bank zunächst nicht ausreichend Sicherheiten zur Verfügung stehen. Durch die Bürgschaft z. B. einer öffentlichen Institution wird für die Bank zumindest ein Teil des Risikos übernommen. Im Kapitel 3 wurde der Bereich der Unternehmenskrisen erläutert. Neben wichtigen Definitionen wurde das Rahmenkonzept für die Unternehmenssanierung mit den drei Grundlagen methodisches Element, institutionelles Element und inhaltliches Element abgeleitet. Dabei wurde deutlich, dass eine zentrale Aufgabe des Finanzmanagements die situative Liquiditätssicherstellung ist. Damit werden die Zahlungsfähigkeit gewährleistet und die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Sanierungsprozess geschaffen. Das Controlling ist hier ebenfalls eine wichtige Aufgabe des Finanzmanagements. So erhalten auch die Kapitalgeber laufende Informationen über die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens. Dabei ist die Informationsdichte bei den Eigenkapitalgebern in der Regel dichter als bei den Fremdkapitalgebern, da die Eigenkapitalgeber sicherstellen wollen bzw. müssen, dass nicht erneut eine kritische Situation eintritt und gegebenenfalls ihr unbesichertes Kapital gefährdet ist. Bei der Darstellung der Träger des Krisenmanagements wurde erläutert, wie sich die Banken als externe Träger in einem Spannungsfeld von Haftungsfragen zwischen der Gefahr, erst durch die Kündigung ihrer Kredite den Zusammenbruch des Unternehmens herbeizuführen, und dem Problem, nicht marktfähigen Unternehmen künstlich die Existenz zu verlängern, befinden. Weiterhin wurde beschrieben, dass Banken sich bei einer Unternehmenssanierung in der Regel nur dann engagieren, wenn Vertrauen in das Sanierungsmanagement gewonnen werden kann, wenn ein überzeugendes Sanierungskonzept vorliegt und wenn nach Möglichkeiten noch ausreichende dingliche Sicherheiten vorhanden sind. Wenn keine ausreichenden dinglichen Sicherheiten mehr zur Verfügung stehen, müssen auch Banken einen besonderen Anreiz erhalten, die Unternehmenssanierung zu begleiten.
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Die Analyse notwendiger Maßnahmen zur Krisenbewältigung fand als bisher unzureichend entwickelte Schwerpunkte insbesondere differenzierte finanzwirtschaftliche Entscheidungen heraus. Es wurde dargelegt, welche Möglichkeiten und Beiträge ein Unternehmen hat, um kurzfristig eine Verbesserung der finanziellen Situation zu erreichen. Neben dem Stopp des Cash-Abflusses und der eventuellen Verflüssigung von Aktiva sind insbesondere die erweiterte Zuführung von Eigenkapital und/oder Fremdkapital geeignete Maßnahmen, um eine Unternehmenssanierung zu ermöglichen. Die hohe Bedeutung des Finanzmanagements im Krisenfall wurde damit verdeutlicht und im Anschluss näher erklärt. Neben den betriebswirtschaftlichen Aufgaben nach innen in das Unternehmen hat das Finanzmanagement auch nach außen hin sehr viele Aufgaben wahrzunehmen. Insbesondere die Funktion als zentraler Ansprechpartner für die möglichen Finanzierungspartner des Krisenunternehmens ist von hoher Bedeutung. Denn in der Regel ermöglicht nur die Kapitalzufuhr von diesen möglichen Finanzierungspartnern eine Restrukturierung und damit eine erfolgreiche Unternehmenssanierung. Die Aufgabe des Finanzmanagements besteht darin, die möglichen Finanzierungspartner von einem Engagement bei dem Krisenunternehmen zu überzeugen und dessen Erwartungen angemessen zu berücksichtigen. Im vierten Kapitel umfasst die empirische Untersuchung der Kapitalaufnahme bei kleinen und mittleren Turnaround Unternehmen mittels einer speziellen Datenbasis. Der Schwerpunkt lag bei der Auswertung von kleinen und mittleren Krisenunternehmen, weil gerade diese Schwierigkeiten haben, eine Finanzierung zur Überwindung der Krisensituation zu erhalten. Die Aufbereitung des Datenmaterials zeigte, dass das Stichprobenvolumen nicht gleichwertig auf alle Jahre verteilt ist, um in jeder Hinsicht statistisch belegbare Aussagen zu treffen. Diese Arbeit konzentrierte sich auf ein induktives Vorgehen, bei dem aus einzelnen Beobachtungen erste Vermutungen über bestimmte Zusammenhänge aufgestellt wurden. Diese sollten im weiteren Verlauf der Untersuchung durch zusätzliche Beobachtungen bestätigt bzw. widerlegt werden. Anhand der Analysen der einzelnen Kennzahlen wurden plausible Thesen abgeleitet, die die Basis für das Entwickeln eines Modellansatzes zur Finanzierung für kleine und mittlere Krisenunternehmen bildeten. Bei der kritischen Diskussion zur Bilanzanalyse wurde dargelegt, dass sie in der vorliegenden Arbeit trotz der beschriebenen Einschränkungen als Auswertungsinstrument eingesetzt werden konnte. Es sind im Zweifel auch mit einer unzureichenden 198
Datenbasis gewisse Untersuchungen quantitativer Art sinnvoll, da diese die qualitativen Aussagen und Modelle stützen. Auch wenn die Daten nur suboptimal auf den Untersuchungszeitraum verteilt waren, ermöglichten deren Analyseergebnisse dennoch plausible Trendaussagen. Nach den Grundsätzen über die Kennzahlenbildung und Kennzahlensysteme wurden die in der Untersuchung eingesetzten Kennzahlen vorgestellt und erläutert. Dabei wurde deutlich, dass mit Hilfe dieser Kennzahlen die wirtschaftliche Entwicklung der Unternehmen (trotz der Einschränkungen durch das vorhandene Datenmaterial) im Zeitablauf beschrieben werden kann. Im Anschluss daran wurden die Ergebnisse der empirischen Untersuchung dargestellt. Insgesamt wurde die schwierige wirtschaftliche Lage der Unternehmen deutlich. Viele konnten ihre Situation auch nach der Kapitalzufuhr nicht signifikant verbessern. Den Turnaround als nachhaltige Stabilisierung der wirtschaftlichen Situation hat ein Großteil der Unternehmen noch nicht erreicht. Untersucht wurde dabei der Zeitraum von vier Jahren vor der Kapitalzufuhr bis vier Jahre nach der Kapitalzufuhr. Dabei lagen aber, wie bereits mehrfach erwähnt, nicht für alle Jahre gleichmäßig viele Daten vor. Unterschiede in der wirtschaftlichen Entwicklung wurden jedoch bei der Betrachtung, differenziert nach der Art der Kapitalzufuhr, erkennbar: Tendenziell haben sich im Durchschnitt die eigenkapitalfinanzierten Unternehmen besser entwickelt als die fremdkapitalfinanzierten Unternehmen. Dies kann einerseits auf die „besseren Startbedingungen“ zurückzuführen sein. Durch die Eigenkapitalfinanzierung hat sich die Bilanzstruktur des Unternehmens deutlich verbessert. Die Eigenkapitalquote stieg. Dadurch konnten eventuell auch die Konditionen beim Fremdkapital verbessert werden (aufgrund des verbesserten Ratings durch die gestiegene Eigenkapitalquote). Die Belastung des hohen Fremdkapitals wurde auch bei der Auswertung des statischen Verschuldungsgrades bzw. bei der Fremdkapitalquote deutlich. Die schwache Liquiditätsausstattung auch nach der Kapitalzufuhr zeigte sich dagegen bei Unternehmen von beiden Finanzierungsarten: Sowohl die eigenkapitalfinanzierten als auch die fremdkapitalfinanzierten Unternehmen zeigen eine relativ hohe kurzfristige Fremdkapitalquote. Dies kann darauf hin weisen, dass die Kapitalzufuhr zu gering war für ein Liquiditätspolster bzw. dass es den Unternehmen aufgrund ihrer Krisensituation nicht gelungen ist, mehr langfristiges Fremdkapital einzuwerben. Die Auswertungen zeigen auch, dass die eigenkapitalfinanzierten Unternehmen im Durchschnitt einen höheren Ertrag erwirtschaften nach der Kapitalzufuhr. Wobei je199
doch zu berücksichtigen ist, dass sich auch einzelne fremdkapitalfinanzierte Unternehmen erfolgreich entwickelt haben. Interessant ist auch die Auswertung der Personalkostenquote, die zeigt, dass es keine gravierenden Unterschiede zwischen den beiden Finanzierungsarten gibt. Die Unternehmen aus beiden Bereichen haben eine ähnlich hohe Personalaufwandsquote im Durchschnitt. Dies kann bedeuten, dass die eigenkapitalfinanzierten Unternehmen nicht überwiegend aufgrund von Personalfreisetzungen Ergebnisverbesserungen erreichen. Zusammenfassend wurden die fünf wichtigsten Kennzahlen dieser Untersuchung mit deren Aussagekraft in einer Tabelle erläutert. In der fachwissenschaftlichen Literatur sind der Bereich der Unternehmenskrisen sowie die Maßnahmen zur Bewältigung in der Literatur umfassend beschrieben. In dieser Arbeit wurde festgestellt, dass aber insbesondere der Bereich der Finanzierung bei einer Unternehmenssanierung eine zentrale Bedeutung hat. Gerade für kleine und mittlere Krisenunternehmen ist es sehr schwierig, eine Finanzierung für eine Unternehmenssanierung zu erhalten. Die Unternehmen, die eine solche Finanzierung erhalten haben und in dieser Arbeit empirisch untersucht worden sind, zeigen nach der Kapitalzufuhr keine signifikant positive Entwicklung bzw. zeigen nicht, dass sie den nachhaltigen Turnaround geschafft haben. Auf Basis dieser bisherigen Erkenntnisse soll der Entwurf eines Finanzierungsmodells für kleine und mittlere Unternehmen in Krisensituationen dargestellt werden und als Ausgangspunkt für weiteren Forschungsbedarf in diesem Bereich dienen. Für ein Krisenunternehmen stehen drei Arten von potentiellen Finanzierungsmöglichkeiten bzw. Kapitalgeber zur Verfügung: 1. Bank (Fremdkapital) 2. Eigenkapitalgeber 3. Förderinstitut (Absicherung des Fremd- und/oder Eigenkapitals, z. B. durch eine Bürgschaft) Es müssen Anreize geschaffen werden, um alle diese drei Finanzierungspartner für die Begleitung und Finanzierung von kleinen und mittleren Krisenunternehmen zu gewinnen. Um die Interessen bzw. die wirtschaftlichen Zielvorstellungen der Eigenund Fremdkapitalgeber gleichermaßen berücksichtigen zu können, ist ein Finanzierungsmodell zu empfehlen, welches eine Kombination von einer Fremdfinanzierung (z. B. auch durch eine Bürgschaft unterlegt) und einer Eigenfinanzierung darstellt. 200
Dabei profitiert die Fremdfinanzierung von den strukturellen Veränderungen, die in der Regel von der Eigenfinanzierung gefordert und auch umgesetzt wird. Die Eigenfinanzierung profitiert von dem größeren Finanzierungshebel, den die Fremdfinanzierung ermöglicht. So könnte z. B. das Förderinstitut sowohl einen Teil des Fremdkapitals absichern, welches durch die Bank zur Verfügung gestellt wird. Diese würde dadurch für einen Teil ihres Kapitals Sicherheiten erhalten. Dadurch kann die für die Risikobegrenzung notwendige Kreditrationierung gemindert werden, ohne dass die Kreditrisiken komplett auf die Konditionen umgelegt werden müssen. Das Risiko für das noch unbesicherte Fremdkapital könnte sie einerseits durch einen Zinsaufschlag versuchen zu kompensieren und andererseits noch verfügbare Sicherheiten des Unternehmens nutzen. Dennoch sollte auch die Bank einen Teil des Risikos tragen. Dies wird auch von dem dritten Finanzierungspartner erwartet: dem Eigenkapitalgeber. Dieser erhält für sein Eigenkapital in der Regel Gesellschaftsanteile und partizipiert damit an der Werteentwicklung des Unternehmens. Dennoch sollte auch für ihn ein Teil des Risikos durch das Förderinstitut übernommen werden. Der Eigenkapitalgeber hätte somit einen Anreiz, in Krisenunternehmen zu investieren, weil einerseits die Unternehmensbewertung in der Regel niedriger ist als bei gesunden Unternehmen und andererseits ein Teil des Risikos übernommen wird. Der Eigenkapitalanteil sollte dabei größer sein als der Fremdkapitalanteil bzw. als der durch Fördermittel gestützte Fremdkapitalanteil. Die Unternehmen hätten dann aufgrund der höheren Eigenkapitalquote gegenüber überwiegend fremdkapitalfinanzierten Unternehmen eine stabilere Finanzierungsbasis. Das Eigenkapital erhöht die Haftungsbasis und damit die Bonität des Unternehmens. Dadurch kann es bessere Kreditkonditionen bzw. Bedingungen bei den Lieferanten erreichen. In der Regel muss das Eigenkapital zumindest in der Startphase direkt nach der Finanzierung nicht in der gleichen Höhe verzinst werden wie das Fremdkapital. Durch den höheren Eigenkapitalanteil haben die Eigenkapitalgeber einen größeren Anreiz, das Unternehmen aktiv zu begleiten, damit es wirtschaftlich erfolgreich wird. Dies wiederum stellt einen Anreiz für die Fremdkapitalgeber und auch Förderinstitute dar, weil sie so ihre Agency-Kosten reduzieren könnten. Bei den Fremdkapitalgebern sollte wiederum der Anteil des durch Fördermittel gestützten Fremdkapitals geringer sein als der Anteil der klassischen Fremdkapitalge201
ber. Aufgrund der beschriebenen Problematik bei dem Einsatz von Fördermitteln sollten diese nur in der „Startphase“ dieses Finanzierungsmodells als „Katalysator“ eingesetzt werden, bis sich für die Unternehmensfinanzierung in Krisensituationen ein funktionierender Markt gebildet hat. Die klassischen Fremdkapitalgeber sollten daher gleich zu Beginn das Signal erhalten, dass die Fördermittel nur unterstützend und keineswegs für eine komplette Risikoübernahme zur Verfügung gestellt werden. Dieses Finanzierungsmodell würde sowohl für die drei Finanzierungspartner als auch für kleine und mittlere Krisenunternehmen Vorteile ermöglichen: Die Eigenkapitalgeber setzen aufgrund ihrer rechtlichen Stellung am ehesten strukturelle Veränderungen im Unternehmen durch, die notwendig sind, um eine erfolgreiche Unternehmenssanierung in kurzer Zeit zu erreichen. Die Bank wiederum hat das meiste Wissen über das Unternehmen aufgrund ihrer häufig langjährigen Geschäftsbeziehung zum Unternehmen. Das Förderinstitut hat durch das Engagement der beiden anderen Finanzierungspartner die Gewissheit, dass das Krisenunternehmen eng begleitet wird. Es selbst hat aufgrund seiner fehlenden Nähe und engen Begleitung des Unternehmens den geringsten Einfluss auf und das geringste Wissen über das Krisenunternehmen. Als „Katalysator“ zum Einwerben der beiden anderen Finanzierungspartner zur Finanzierung von Unternehmen, die ansonsten kaum eine Finanzierung erhalten würden, ist es aber sehr wichtig. Bei einer Übertragung des vorgestellten Finanzierungsansatzes auf ein ausgewähltes Unternehmen aus dieser Untersuchung können erste Thesen abgeleitet werden, welche Auswirkungen die Anwendung des vorgestellten Finanzierungsansatzes bei diesem Unternehmen in einer Krisensituation hätte haben können. Dieses Unternehmen hatte eine Eigenkapitalfinanzierung in Kombination mit einer deutlich kleineren Fremdkapitalfinanzierung erhalten. Es war jedoch nicht gelungen, weiteres (durch Fördermittel gestütztes) Fremdkapital einzuwerben, so dass das benötigte Finanzierungsvolumen nicht komplett zur Verfügung stand. Die bereits beschriebenen „Startbedingungen“ des Unternehmens (Kreditkonditionen, Einstufung bei den Lieferanten u. a.) trugen aufgrund der sehr guten Eigenkapitalausstattung zum wirtschaftlichen Aufschwung bei. Aufgrund der fehlenden Finanzierungsmittel musste das Unternehmen jedoch sehr viele Investitionen aus dem eigenen Cash-Flow finanzieren und war so im Wachstum gehemmt. Die Liquidität war in der Anfangsphase der Sanierung häufig sehr angespannt. Hätten dem Unternehmen in der Krisensitua202
tion Fördermittel zur Verfügung gestanden, dann hätte es voraussichtlich einen höheren Fremdkapitalbeitrag und somit ein größeres Wachstum sowie in kürzerer Zeit eine wirtschaftliche Stabilität erreichen können. Dieses können jedoch nur erste Thesen anhand eines ausgewählten Beispiels sein. Die Entwicklung dieses Finanzierungsansatzes für kleine und mittlere Krisenunternehmen sollte eng überwacht und ausgewertet werden. Ziel muss es sein, dass sich nach einer gewissen Anlaufphase das Förderinstitut stufenweise aus diesem Finanzierungsbereich zurückzieht, wenn sich der Markt für diese Krisenfinanzierung entwickelt hat und auch selbständig funktioniert. Forschungsbedarf sieht der Autor dieser Arbeit einerseits in der weiteren Auswertung von bereits finanzierten Krisenunternehmen, um die Auswirkungen der Finanzierungen zu beurteilen. Die vorliegende Stichprobe bzw. die Qualität des vorliegenden Datenmaterials kann nur erste Annahmen für repräsentative Schlussfolgerungen treffen. Ein weiterer Forschungsbedarf besteht in der wissenschaftlichen Begleitung und Auswertung eines solchen Finanzierungsmodells sowie in der Überprüfung des vorgestellten Modells an einer größeren Stichprobe.
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Turner (1983) Turner, Arthur N.: Ein guter Berater liefert mehr als Berichte, in: Harvard Business Review – Manager Magazin, 1983, S. 40-47 Turnheim (1988) Turnheim, Georg: Sanierungsstrategien, Wien, 1988 Übelhör/Warns (2003) Übelhör, Matthias/Warns, Christian: Grundlagen der Finanzierung, 2. Auflage, Heidenau, 2003 Vallenthin (1976) Vallenthin, Wilhelm: Kapitalbeteiligungsgesellschaften, in: Büschgen, Hans E. (Hrsg.): Handwörterbuch der Finanzwirtschaft, Stuttgart; 1976, Sp. 1021-1028 Vornbaum (1995) Vornbaum, Herbert: Finanzierung der Betriebe, 9. Auflage, Wiesbaden, 1995 Wagner (1982) Wagner, Franz W.: Zur Informations- und Ausschüttungsbemessungsfunktion des Jahresabschlusses auf einem organisierten Kapitalmarkt, in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, 34. Jg., 1982, S. 749-771 Wegmann (1987) Wegmann, Jürgen: Die Sanierungsprüfung (Reorganisationsprüfung) – Möglichkeiten der formellen und materiellen Konkretisierung, in: Der Betrieb, 40. Jg., Heft 38, 1987, S. 1901-1908 Welch (1997) Welch, Ivo: Why Is Bank Debt Senior? A Theory of Asymmetry and Claim Priority Based on Influence Costs, in: The Review of Financial Studies, Vol. 10, No. 4, 1997, S. 1203-1236 Wildmann (1986) Wildmann, Paul: Informationsbeschaffungstechniken, in: Daenzer, Walter (Hrsg.): Systems Engineering, 5. Auflage, Zürich, 1986, S. 209-212 Wöhe (1997) Wöhe, Günter: Bilanzierung und Bilanzpolitik: betriebswirtschaftlich, handelsrechtlich, steuerrechtlich, 9. Auflage, München, 1997 Wöhe/Bilstein (2002) Wöhe, Günter/Bilstein, Jürgen: Grundzüge der Unternehmensfinanzierung, 9. Auflage, München, 2002 Wöhe/Döring (2005) Wöhe, Günter/Döring, Ulrich: Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 22. Auflage, München, 2005
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Zempelin (1979) Zempelin, Hans Günther: Anpassungsmaßnahmen im Fall von Überkapazitäten, in: Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung-Kontaktstudium 31, 1979, S. 51-60 Zimmerer (1984) Zimmerer: Sanierung, in: Blick durch die Wirtschaft, Jg. 27, Heft 31, 1984, S. 1 Zwick (1992) Zwick, Ansgar: Turnaround-Management in Ostdeutschland, Bamberg, 1992
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Schriftenreihe Finanzierung und Banken Herausgeber: Prof. Dr. Detlev Hummel Band
1:
Roland Hübner: Terminbörsliche Immobilienderivate für Deutschland; 2002.
Band
2:
Philip Steden: Marktorientierte Bankenregulierung. Eine ökonomische Analyse unter besonderer Berücksichtigung der Einlagensicherung, 2002.
Band
3:
Marc Brüning: Corporate Finance als europäische Option im mittelstandsorientierten Bankgeschäft, 2002.
Band
4:
Peter Claudy: Projektfinanzierungen in Emerging Markets. Eine institutionenökonomische Analyse, 2002.
Band
5:
Sven Deglow: Vertriebs-Controlling in Bausparkassen. Aufgaben und Instrumente einer Controlling-Konzeption zur Koordination der Vertriebswege, 2003.
Band
6:
David Mbonimana: Internationalisierungsstrategien von Banken – Kooperation versus Akquisition. Eine historische und vergleichende Analyse am Beispiel deutscher Großbanken, 2005.
Band
7:
Julia Plakitkina: Bankenstrukturen und Systemrisiken – eine ökonomische Analyse Russlands im internationalen Vergleich, 2005.
Band
8:
Florian Bolte: Auswirkungen des Schuldenmanagements auf Renditedifferenzen zwischen Anleihen öffentlicher Emittenten des Euro-Währungsgebietes, 2005.
Band
9:
Annett Ullrich: Finanzplatz Berlin. Entstehung und Entwicklung – Eine theoriengeleitete historisch-empirische Analyse, 2005.
Band 10:
Holger Blisse: Stärkung der Kreditgenossenschaften durch verbundbezogenes Eigenkapital der Mitglieder, 2006.
Band 11:
Tobias Hofmann: Asset Management mit Immobilienaktien, 2006.
Band 12:
Bert Helwing: Qualitative Bewertung von Kapitalbeteiligungsgesellschaften. Eine empirische Analyse ausgewählter Bewertungskriterien und ihr Einfluss auf die Rendite und das Beteiligungsvolumen, 2008.
Band 13:
Michael Behrens: Turnaround Finance. Eine Analyse der Kapitalzufuhr im Krisenfall des Mittelstandes, 2008.