Medien im Systemvergleich: Eine ordnungsökonomische Analyse des deutschen und amerikanischen Fernsehmarktes 9783110504941, 9783828202207


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German Pages 268 [288] Year 2002

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis:
1. Ordnungsprobleme elektronischer Medien in systemvergleichender Perspektive
2. Methodologische Grundfragen der Rundfunk- und Medienökonomik
3. Konzeptionelle Fragen der Ordnung elektronischer Medien
4. Die duale Rundfunkordnung in Deutschland
5. Die marktwirtschaftliche Rundfunkordnung der Vereinigten Staaten
6. Vergleich der deutschen und amerikanischen Rundfunkordnung: Die Ergebnisse
Literatur
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Medien im Systemvergleich: Eine ordnungsökonomische Analyse des deutschen und amerikanischen Fernsehmarktes
 9783110504941, 9783828202207

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Dirk Wentzel

Medien im Systemvergleich: Eine ordnungsökonomische Analyse des deutschen und amerikanischen Fernsehmarktes

Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft

Herausgegeben von Prof. Dr. Gernot Gutmann, Köln Dr. Hannelore Hamel, Marburg Prof. Dr. Helmut Leipold, Marburg Prof. Dr. Alfred Schüller, Marburg Prof. Dr. H. Jörg Thieme, Düsseldorf

Unter Mitwirkung von Prof. Dr. Dieter Cassel, Duisburg Prof. Dr. Karl-Hans Hartwig, Münster Prof. Dr. Hans-Günter Krüsselberg, Marburg Prof. Dr. Ulrich Wagner, Pforzheim

Redaktion: Dr. Hannelore Hamel Band Nr. 69: Medien im Systemvergleich: Eine ordnungsökonomische Analyse des deutschen und amerikanischen Femsehmarktes

©

Lucius & Lucius · Stuttgart · 2002

Medien im Systemvergleich Eine ordnungsökonomische Analyse des deutschen und amerikanischen Fernsehmarktes von

Dirk Wentzel

®

Lucius & Lucius • Stuttgart · 2002

Anschrift des Autors: Privatdozent Dr. Dirk Wentzel Philipps-Universität Marburg Fachbereich Wirtschaftswissenschaften Barfußertor 2 35032 Marburg

Die Deutsche Bibliothek - CEP-Einheitsaufnahme Wentzel, Dirk Medien im Systemvergleich: eine ordnungsökonomische Analyse des deutschen und amerikanischen Femsehmarktes / von Dirk Wentzel. - Stuttgart: Lucius und Lucius, 2002 (Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft; Bd. 69) Zugl.: Marburg, Univ., Habil.-Schr., 2001 ISBN 3-8282-0220-9 0292 deutsche bibliothek

© Lucius & Lucius Verlags-GmbH · Stuttgart · 2002 Gerokstraße 51 · D-70184 Stuttgart Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Einband: ROSCH-BUCH Druckerei GmbH, 96110 Scheßlitz Printed in Germany

ISBN 3-8282-0220-9 ISSN 1432-9220

Vorwort „Wenn wir Amerika studieren, dann schauen wir in unsere eigene Zukunft". In diesem Satz von Alexis de Tocqueville (1835) liegt nach wie vor ein hohes Maß an Wahrheit und Aktualität. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind durch eine außergewöhnliche individuelle Freiheit, Innovationskraft und Experimentierfreude in einem marktwirtschaftlichen Umfeld gekennzeichnet. Viele Neuerungen in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik werden in den USA entwickelt, „ausprobiert", akzeptiert oder verworfen. Diese Innovationsfreude wird besonders auch im Medienbereich deutlich. Die Presse und die elektronischen Medien haben in den Vereinigten Staaten einen herausragenden Stellenwert für die gesellschaftliche Willensbildung und die wirtschaftliche Entwicklung. In der vorliegenden Arbeit wird der amerikanische und deutsche Fernsehmarkt einer vergleichenden ordnungsökonomischen Analyse unterzogen. Es zeigt sich, daß neben formalen Ordnungsbedingungen auch zahlreiche informale Institutionen und kulturelle Faktoren die Medienlandschaft und insbesondere das Leitmedium Fernsehen prägen. Im Prozeß der Verschmelzung von Individual- und Massenkommunikation, der sog. „Konvergenz der Medien", wird das Fernsehen über die neuen digitalen Kommunikationskanäle zunehmend auch in andere Medienbereiche vordringen, wie die bisherige Entwicklung des Internet zeigt. Eine ordnungsökonomische Theorie der Medien muß dem Rechnung tragen. Das Hauptanliegen dieser Untersuchung ist daher der Versuch, verschiedene medienrelevante ökonomische Ansätze aufzugreifen und zu einer ordnungsökonomischen Theorie der Medien zu verbinden. Durch die theoriegeleitete Gegenüberstellung der Ordnungskonzeptionen Deutschlands und der Vereinigten Staaten ist es möglich, Aufschlüsse über allgemeine Wirkungszusammenhänge in den Medien als Teil der wirtschaftlichen Gesamtordnung zu gewinnen. „Medien im Systemvergleich" wird dabei als ein dynamisches Forschungsprogramm verstanden, das auch fur die Zukunft vielversprechend erscheint. Denn offensichtlich besteht bei Ordnungsfragen der Medien ein beachtlicher Forschungsbedarf, wie die Diskussionen um die ordnenden Potenzen im Internet deutlich belegen. Die Dynamik international offener Medienmärkte ist so groß, daß deskriptive Momentaufnahmen allein nur einen geringen Beitrag zur Erklärung ordnungspolitischer Fragestellungen liefern können. Viele Medienhandbücher sind schon zum Zeitpunkt ihrer Drucklegung in Teilen veraltet. Neue technische Entwicklungen, Veränderungen der Eigentümerstruktur und internationaler Wettbewerb führen zu einem Ordnungsgefüge, das permanent in Bewegung ist. Notwendig ist es deshalb, Erkenntnisse über allgemeine Wirkungszusammenhänge zu gewinnen, um mittel- bis langfristige Entwicklungen einschätzen und Handlungspotentiale aufzeigen zu können. Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, grundsätzliche Ordnungsfragen der Medien zu diskutieren, die auch in Zukunft von Interesse sein werden. Die vorliegende Arbeit entstand als Habilitationsschrift am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Philipps-Universität Marburg. Die Drucklegung ist ein willkommener Anlaß, mich für vielfaltige Hilfe und Unterstützung zu bedanken.

VI

Mein Dank gilt zuerst meinem geschätzten akademischen Lehrer und Doktorvater, Professor Dr. Alfred Schüller. Während des gesamten Projektes stand er stets als harter und hartnäckiger Diskussionspartner zur Verfugung mit zahllosen guten Anregungen, Fragen, Vorschlägen und Kritikpunkten. Alfred Schüller hat mich in jeder Hinsicht tatkräftig und vorbildlich unterstützt und mir die Freude am wissenschaftlichen Arbeiten vorgelebt und weitervermittelt. Ein Dank gilt auch Professor Dr. Ulrich Fehl, der von der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät als weiterer Gutachter bestellt wurde. Insbesondere fur die Drucklegung der Arbeit verdanke ich ihm hilfreiche Anregungen. Ein weiterer Dank gilt meinen amerikanischen Freunden Professor Dr. Francis G. Gentry, Direktor des Max Kade-Instituts fur Deutsch-amerikanische Forschung an der Pennsylvania State University, und Professor Dr. Dennis K. Davis, Vorsitzender der Sektion Media Studies am College of Communication in Penn State. Frank Gentry hat mir mit seiner bemerkenswerten Kenntnis amerikanischer Politik und Zeitgeschichte besondere Dienste erwiesen. Dennis Davis hat mir ebenfalls zahlreiche wichtige inhaltliche Anregungen vermittelt. Sein großes Wissen über die amerikanischen Medien der Massenkommunikation waren und sind sehr wertvoll für mich. Herzlich danken möchte ich auch der Alexander von Humboldt-Stiftung, die mir im Juli 2000 ein Feodor Zywen-Stipendium gewährt hat, das mir einen zweijährigen Forschungsaufenthalt in den Vereinigten Staaten ermöglichte. Während dieser Zeit konnte ich die erste Fassung der Habilitationsschrift gründlich überarbeiten und zugleich ein anschließendes Forschungsprojekt über „Institutionen der Selbstregulierung in den elektronischen Medien" durchführen, dessen Drucklegung im kommenden Jahr erfolgen wird. Die Freundschaft, Solidarität und der „Spirit" der „Humboldt-Familie" ist für mich Motivation und Verpflichtung zugleich, weiterhin internationale Wissenschaftskontakte zu pflegen. Die Pennsylvania State University war 1999 für zwei Monate mein Gastgeber ebenso wie von September 2000 bis Juni 2002. Während dieser Zeit habe ich große fachliche und organisatorische Unterstützung erfahren, sowohl in der eigenen Fakultät als auch im „International Office". Auch die inspirierenden Diskussionen mit den Studierenden meiner Kurse „Media Economics and International Broadcasting" haben mir wichtige Ideen vermittelt, für die ich sehr dankbar bin. Ein weiterer Dank gilt der New York University, an der ich im Mai 1999 als Visiting Scholar tätig war. Die Zeit in New York war in mancher Hinsicht prägend für mich, weil mir in dieser außergewöhnlichen Stadt aus praktischer Anschauung und Erfahrung besonders klar wurde, was unter „unbeschränkter Medienvielfalt", „elektronischem Kiosk" und „Freedom of Speech" zu verstehen ist. Die Forschungsstelle zum Vergleich wirtschaftlicher Lenkungssysteme an der Philipps-Universität Marburg war und ist seit 1990 meine wissenschaftliche Heimat. Mein Dank gilt meinen langjährigen Kollegen und Freunden Dr. Hannelore Hamel, Professor Dr. Helmut Leipold und Dr. Reinhard Peterhoff fur vielfaltige Hilfe in Verbindung mit meiner Forschung. Frau Dr. Hamel hat das Manuskript der vorliegenden Arbeit mit großer Mühe und Genauigkeit Korrektur gelesen und sprachlich verbessert. Diplom-

VII

Volkswirt Gerrit Fey sei ebenfalls herzlich gedankt für die inhaltliche und technische Unterstützung. Eine Habilitation benötigt vor allem zwei Dinge: Motivation und Geduld. Für beide Faktoren war meine liebe Ehefrau Dr. Bettina Wentzel die wichtigste Quelle. Tini hat mich immer wieder mit ihrer Energie ermuntert, motiviert und unterstützt. Die fachlichen Diskussionen mit ihr über theoretische und methodologische Details meiner Arbeit waren ertragreich und haben zudem viel Freude bereitet. Auch die Aufenthalte in den Vereinigten Staaten hat sie mit großer Tatkraft und bewundernswertem Optimismus mitorganisiert. Während der Zeit meiner Habilitation wurden unsere Kinder Anna-Regina, Peter und Michael geboren. Ich möchte die vorliegende Arbeit meiner Frau und meinen Kindern widmen.

Pennsylvania State University und Philipps-Universität Marburg, im Mai 2002

Privatdozent Dr. Dirk Wentzel

IX

Inhalt Abkürzungsverzeichnis 1. Ordnungsprobleme elektronischer Medien in systemvergleichender Perspektive

XIV 1

1.1. Zur Bedeutung des Mediums Fernsehen

1

1.2. Ordnungsfragen des Fernsehens 1.2.1. Erstes Ordnungsproblem: Arbeits- und Wissensteilung

3 3

1.2.2. Zweites Ordnungsproblem: Die Suggestivkraft des Fernsehens

5

1.2.3. Drittes Ordnungsproblem: Die Interdependenz von wirtschaftlichem und publizistischem Wettbewerb

6

1.2.4. Viertes Ordnungsproblem: Inhaltliche und qualitative Präferenzen

7

1.2.5. Fünftes Ordnungsproblem: Steuerungs- und Wirkungspotentiale modemer Ordnungspolitik 1.3. Fragestellungen und Gang der Untersuchung 2. Methodologische Grundfragen der Rundfunk- und Medienökonomik

11 12 15

2.1. Das Spannungsverhältnis zwischen dem ökonomischen Ansatz und der Rundfunk- und Medienökonomik

15

2.2. Normativität, Wertfreiheitspostulat und Rundfunkökonomik

21

2.3. Zur Interdependenz von Medienordnung und Wirtschaftsordnung

25

2.3.1. Die Begriffe Ordnung und Gemeinwohl in Rundfunk und Wirtschaft 2.3.2. Interdependenzen zwischen Medien, Wirtschaft und Politik

25 29

2.4. Wirtschaftlicher Vergleich der Rundfunkordnungen

33

2.5. Eine Morphologie möglicher Rundfunkordnungen

39

2.6. Pfadabhängigkeiten als Erklärungsmuster für den Wandel und das Beharren von Ordnungen

43

2.6.1. Das Konzept der Pfadabhängigkeit als Gegenstand ordnungsökonomischer Forschung

43

2.6.2. Möglichkeiten zur Operationalisierung des Konzepts der Pfadabhängigkeit

45

3. Konzeptionelle Fragen der Ordnung elektronischer Medien 3.1. Zur Marktversagensthese im Rundfunk

49 49

3.1.1. Rundfunk als öffentliches Gut

51

3.1.2. Rundfunk als meritorisches Gut

55

3.1.3. Die These von der Zwangsläufigkeit der Anbieterkonzentration im Rundfunk 3.1.3.1. Der Wettbewerb als wirtschaftliches Koordinationsinstrument 3.1.3.2. Der Wettbewerb auf den Rundfunkmärkten

60 61 67

χ

3.1.3.3. Ordnungspolitische Einschätzung der Konzentrationen im Rundfunk: Ein Zwischenergebnis 3.1.4. Der Erklärungsbeitrag der „Program Choice-Modelle" 3.1.4.1. Entwicklungsmuster und Strukturen von Programmen 3.1.4.2. „Program Choice" und Marktform: Die Steinerschen Überlegungen 3.1.4.3. „Program Choice" und Werbefinanzierung: Das Modell von Beebe 3.1.4.4. „Programm Choice" und Entgeltfinanzierung: Das Modell von Spence und Owen 3.1.4.5. „Program Choice" und marktunabhängige Programmfinanzierung: Das Modell von Noam 3.1.5. Zur Hypothese des Marktversagens im Rundfunk: Ein Zwischenergebnis 3.2. Zur These vom Politikversagen in Ordnungsfragen des Rundfunks 3.2.1. Der Erklärungsbeitrag der Public Choice-Theorie 3.2.2. Der Erklärungsbeitrag der Ökonomischen Theorie der Bürokratie 3.2.3. Zur Hypothese des Politikversagens im Rundfunk: Ein Zwischenergebnis 3.3. Zur These von der abnehmenden politischen Gestaltungsmacht in internationalen Medienmärkten 3.3.1. Allgemeine Ordnungsfragen der Globalisierung 3.3.2. Verschiedene Ebenen der Ordnung 3.3.3. Das Konzept der Kontextsteuerung 3.3.3.1. Grundzüge der Kontextsteuerung 3.3.3.2. Kontextsteuerung und Medienökonomik 3.3.3.3. Das Drei-Ebenen-Modell von Jarren und Dönges 3.3.3.4. Kritik und offene Fragen des Konzepts der Kontextsteuerung 3.3.4. Medien als selbstreferentielles System: Wettbewerb und Selbstbeschränkung als nicht-autoritäre Systeme sozialer Kontrolle.... 3.3.5. Zur Frage der staatlichen Steuerungsohnmacht: Ein Zwischenergebnis 4. Die duale Rundfunkordnung in Deutschland 4.1. Historischer Hintergrund 4.1.1. Die Anfänge des Rundfunks in Deutschland 4.1.2. Rundfunk in der Zeit des Nationalsozialismus 4.1.3. Die Entstehung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks 4.1.4. Die Entstehung des dualen Systems 4.1.5. Pfadabhängigkeiten in der deutschen Rundfunkentwicklung: Ein Zwischenergebnis 4.2. Rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen

72 75 75 78 82 89 94 98 100 102 106 109 110 111 112 114 115 122 123 125 127 129 132 136 136 139 140 144 148 151

XI

4.2.1. Das Deutsche Grundgesetz und der Rundfunk

152

4.2.1.1. Die institutionelle Ausgestaltung der Meinungs- und Rundfunkfreiheit

152

4.2.1.2. Grundgesetz und Rundfunkurteile

152

4.2.2. Zur Ordnungsökonomik der Rundfunkstaatsverträge

156

4.2.3. Die Bedeutung der Rechtsprechung der Europäischen Union

160

4.3. Binnenpluralistische öffentlich-rechtliche Anstalten 4.3.1. Zum Verhältnis von Institutionen und Personen

162 162

4.3.2. Die Zusammensetzung der Rundfunkräte

164

4.3.3. Finanzierung

165

4.4. Außenpluralistische private Anbieter

168

4.4.1. Lizenzierungsverfahren und unternehmerische Zielsetzung

168

4.4.2. Inhalts- und Konzentrationskontrolle

170

4.4.2.1. Die Notwendigkeit einer inhaltlichen und wettbewerbspolitischen Rahmensetzung

170

4.4.2.2. Die Organisationen zur Inhalts- und Konzentrationskontrolle

171

4.4.2.3. Verflechtungserscheinungen im deutschen Fernsehmarkt 4.5. Marktteilnehmer und inhaltliche Angebotsvielfalt 4.5.1. Marktverhalten der öffentlich-rechtlichen Programmanbieter

172 173 173

4.5.1.1. Das Programmangebot

173

4.5.1.2. Die Vollprogramme und die Marginalisierungshypothese

175

4.5.1.3. Die Spartenprogramme 4.5.2. Marktverhalten der privaten Programmanbieter

177 178

4.5.2.1. Die Marktteilnehmer und das Programmangebot

178

4.5.2.2. Die Hypothese von der Qualitätsverschlechterung privater Fernsehprogramme

179

4.6. Elemente der dauerhaften Qualitätssicherung

181

4.6.1. Steuerungswirkungen freiwilliger und organisierter Selbstkontrolle.... 182 4.6.2. Organisatorische Regelung: Das Beispiel der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) 5. Die marktwirtschaftliche Rundfunkordnung der Vereinigten Staaten 5.1. Strukturen des amerikanischen Fernsehmarktes: Ein Überblick

185 188 188

5.1.1. Die Philosophie des Free Trade in Ideas

188

5.1.2. Marktstrukturen und Lokalprinzip

191

5.2. Historischer Hintergrund 5.2.1. Die Entstehung des Hörfunks in den Vereinigten Staaten

193 194

5.2.1.1. Der Gründungsboom

194

5.2.1.2. Erste Ansätze zur Selbstregulierung

197

5.2.2. Das Aufkommen des Fernsehens in den Vereinigten Staaten

198

XII

5.2.2.1. Die Nachkriegsphase

199

5.2.2.2. Der Gründungsstopp (Freeze)

200

5.2.2.3. Der „Sixth Report and Order"

203

5.2.2.4. Bemühungen um Qualitätsstandards und Selbstregulierung

203

5.2.3. Die endgültige Etablierung des Fernsehens

205

5.2.4. Historische Pfadabhängigkeiten: Ein Zwischenergebnis

205

5.3. Rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen

206

5.3.1. Medienordnung als Teil der Rechtsordnung

206

5.3.2. Die Federal Communications Commission

208

5.3.2.1. Die Organisationsstruktur der FCC

208

5.3.2.2. Die Aufgaben der FCC

210

5.3.2.3. Zugang zum Fernsehmarkt: Der Telecommunications Act 1996 5.3.2.4. Lizenzierung und Qualitätskontrolle 5.3.2.5. Die FCC-Regeln zur politischen Berichterstattung 5.3.2.5.1. Die Regel der gleichen Sendezeit 5.3.2.5.2. Die Fairneß-Doktrin 5.3.2.6. Die ordnungspolitische Wirkung der FCC: Ein Zwischenergebnis 5.4. Private Fernsehsender und Networks

213 215 217 217 217 219 220

5.4.1. Private lokale Fernsehsender als Übertragungsmedium

220

5.4.2. Networks als Programmlieferanten

221

5.4.3. Konkurrierende Programmlieferanten

223

5.5. Kabelsender

224

5.5.1. Der Markterfolg des Kabelfernsehens

224

5.5.2. Die Struktur des Kabelfernsehens

225

5.6. Public Broadcasting in den Vereinigten Staaten

227

5.6.1. Tradition und Wertschätzung von Public Broadcasting

227

5.6.2. Die Organisationsstruktur von Public Broadcasting

228

5.6.3. Der Umfang des Public Broadcasting

229

5.6.4. Ziele und Aufgaben von Public Broadcasting

230

5.7. Institutionen der freiwilligen Selbstkontrolle: Die Rolle der National Association of Broadcasters (NAB) 5.8. Inhaltliche Vielfalt des amerikanischen Rundfunkmarktes

234 236

5.8.1. Kiosk-Modell und lokale Bezüge

236

5.8.2. Das Problem von Gewalt im Fernsehen

237

5.8.3. Begrenzung der Werbezeiten

238

5.8.4. Ausdifferenzierung des Programmangebots

239

XIII

6. Vergleich der deutschen und amerikanischen Rundfunkordnung: Die Ergebnisse 6.1. Die Ergebnisse der theoretischen Analyse des Rundfunks 6.2. Die Ergebnisse der empirischen Analyse des Rundfunks Literatur

241 241 248 254

xrv Abkürzungsverzeichnis: ABC

American Broadcasting Company

AER

American Economic Review

Afp

Archiv für Presserecht

AG

Aktiengesellschaft

AGF

Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung

ALM

Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten

AM Radio

Amplitude modulation

ANGA

Verband privater Kabelnetzbetreiber

AOL

American Online (Internet)

ARD

Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland

ASC AP

American Society of Composers, Authors, and Publishers

BBC

British Broadcasting Company

BfP

Büro für Publizistik

BLM

Bayerische Landeszentrale für neue Medien

BR

Bayerischer Rundfunk

BskyB

British Sky Broadcasting Group pic.

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

CARU

Children Advertising Review Unit

CATV

Community Antenna Television

CBS

Columbia Broadcasting System

CDU

Christlich Demokratische Union

CFR

Code of Federal Regulations

CLT-UFA

Compagnie Luxembougoise de Télédiffusion Universum Film AG

CNN

Cable News Network

CPB

Corporation for Public Broadcasting

CSU

Christlich Soziale Union

DBS

Direct Broadcast Satellite

DDR

Deutsche Demokratische Republik

DF 1

Digitales Fernsehen 1

DFB

Deutscher Fußball Bund

DFF

Deutscher Fernsehfunk

DLM

Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten

DM

Deutsche Mark

DSF

Deutsches Sportfernsehen

DVB-T

Terrestrisches Digital Video Broadcasting

XV

DW

Deutsche Welle

EBS

Emergency Broadcasting Station

EBU

European Broadcasting Union

EEO

Equal Employment Opportunity

EG

Europäische Gemeinschaft

EGV

Vertrag über die Europäische Gemeinschaft

EPG

Electronic Program Guide

EU

Europäische Union

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

EWR

Europäischer Wirtschaftsrat

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

FCC

Federal Communications Commission

FDP

Freie Demokratische Partei

FM Radio

frequency

modulation

FRC

Federal Radio Commission

FSK

Freiwillige Selbstkontrolle

FUEG

Fernsehsignalübertragungsgesetz

FSF

Freiwillige Selbskontrolle Femsehen

FTC

Federal Trade Commission

GATS

General Agreement on Trade in Services

GATT

General Agreement on Tariffs and Trade

GEZ

Gebühreneinzugszentrale der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik Deutschland

GfK

Gesellschaft für Konsumforschung

GG

Grundgesetz

GWB

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

HBO

Home Box Office

HDTV

High Definition Television

HR

Hessischer Rundfunk

ICC

Interstate Commerce Commission

IuKDG

Informations- und Kommunikationsdienste-Gesetz

ITU

International Telecommunications Union

IW

Institut der deutschen Wirtschaft

IWD

Info-Dienst des Instituts der deutschen Wirtschaft (Medienspiegel)

KDLM

Konferenz der Direktoren der Landesmedienanstalten

KEF

Kommission

zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-

rechtlichen Rundfunkanstalten KEK

Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich

XVI

KiKa

Kinderkanal der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten

KW

Kurzwelle

LfR

Landesanstalt für Rundfunk

LPR Hessen

Hessische Landesanstalt für privaten Rundfunk

LW

Langwelle

MDR

Mitteldeutscher Rundfunk

MDStV

Mediendienste-Staatsvertrag

MHz

Megahertz

MMBG

Multimedia-Betriebsgesellschaft

MSG

Media Service GmbH

MSO

Multiple Systems Operators

MTV

Musik T V

MW

Mittelwelle

n-tv

Nachrichten T V (deutsche CNN-Tochter)

NBC

National Broadcastion Company

NDR

Norddeutscher Rundfunk

NGO

Non Government Organization

NPR

National Public Radio

NTIA

National Telecommunications and Information Administration

NWDR

Nordwestdeutscher Rundfunk

NZZ

Neue Zürcher Zeitung

OET

Office for Engeneering and Technology der F C C

ORF

Österreichischer Rundfunk

PBS

Public Broadcasting System

PC

Personal Computer

PPV

Pay Per View (Bezahlfernsehen mit Einzelsendungsabrechnung)

PTV

Pay-TV (Bezahlfernsehen allgemein)

RIAS

Rundfunk im amerikanischen Sektor (von Berlin)

RB

Radio Bremen

RCA

Radio Corporation of America

RStV

Rundfunkstaatsvertrag

RTL

Radio Television Luxembourg

SDR

Süddeutscher Rundfunk

SES

Société Europeéne des Satellites

SMS

Subscriber Management Service

SPD

Sozialdemokratische Partei Deutschlands

STV

Subscription T V

SWF

Südwestfunk

XVII

SWR

Südwest Rundfunk (Zusammenschluß von SDR und SWF)

TBS

Turner Broadcasting System

TCI

Tele-Communications Incorporation

TONI

Tele-Online-Navigations-Instrument

TNT

Turner Network Television

TV

Television

UHF

Ultra High Frequency

UKW

Ultrakurzwelle

UNO

United Nations Organization

UPN

United Paramount Pictures

USA

United States of America

UWG

Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb

VHF

Very High Frequency

VPRT

Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation

WARC

World Administrative Radio Council

WBN

Warner Brothers Pictures

WDR

Westdeutscher Rundfunk

WIPO

World Intellectual Property Organization

WRC

World Radiocommunications Conference

WTO

World Trade Organization

ZDF

Zweites Deutsches Fernsehen

ZUM

Zeitschrift fiir Urheber- und Medienrecht

1

1.

Ordnungsprobleme elektronischer Medien in systemvergleichender Perspektive „Es gibt keine objektiven Kriterien, verschiedenartige Werteordnungen zu vergleichen. Die Wertgrundlagen einer Rundfunkordnung bzw. die allgemeinen Ziele, denen sie dienen soll, können deshalb auch nicht einer Wissenschaft entnommen werden, die sich als Erfahrungswissenschaft versteht, sondern sind ihr vorgegeben." Erich Hoppmann (1988, S. 164)

1.1. Zur Bedeutung des Mediums Fernsehen Das Fernsehen ist in den Augen der meisten Deutschen die wichtigste Erfindung des zwanzigsten Jahrhunderts (IWD-Medienspiegel, Nr. 13, 17.03.2000, S. 4). In einer repräsentativen Umfrage der Forsa-Mediengruppe nannten 25,5 Prozent aller Befragten das Femsehen an erster Stelle, und zwar mit großem Abstand vor anderen technischen Innovationen, etwa dem Computer oder dem Telefon, aber auch deutlich vor der Erfindung von Elektrizität und Strom oder dem Fortschritt in den medizinischen Behandlungsmethoden. Die besondere Wertschätzung des Fernsehens durch die Bevölkerung wird auch an den Fernsehnutzungszeiten ersichtlich. Im Durchschnitt verbrachten die Deutschen 1999 ca. drei Stunden täglich vor dem Fernsehapparat. In den Vereinigten Staaten oder in Japan liegt diese Zeit sogar noch wesentlich höher. Für einen Großteil der Bevölkerung ist das Fernsehen als wichtigstes Kommunikationsmedium in der Tat „das Fenster zur Welt". Das Fernsehen ist auch quantitativ ein Wirtschaftsfaktor von besonderer Bedeutung. Der größte Medienkonzern der Welt, das amerikanische Unternehmen Time Warner, hatte 1999 einen Jahresumsatz von etwa 50 Mrd. DM und beschäftigte ca. 96.900 Menschen in den verschiedenen Wertschöpfungsstufen, die dem Fernsehen vor- oder nachgelagert sind. Der größte deutsche Medienkonzern, die Bertelsmann AG, brachte es 1999 auf ca. 29 Mrd. DM Umsatz bei etwa 65.000 Beschäftigten.' In der jüngeren Vergangenheit, aber auch aktuell hat es zudem zahlreiche internationale Großfusionen zwischen Medienunternehmen gegeben, die wegen ihres Ausmaßes die wettbewerbspolitische Aufmerksamkeit der Kartellbehörden hervorgerufen haben - so etwa jüngst die Fusion zwischen Time Warner und dem weltweit größten Internet-Anbieter AOL. Die Börsennotierungen und Kursgewinne der international operierenden Medienkonzeme haben in den vergangenen Jahren jeden anderen Wirtschaftsbereich klar in den Schatten gestellt. Aus diesen Daten und Fakten wird bereits unschwer ersichtlich, warum das Fernsehen und die angrenzenden Medien als Wirtschaftsfaktor zum Gegenstand eines ordnungspolitischen Interesses werden.

Einen gründlichen aktuellen Überblick über die größten Medienkonzerne der Welt bieten Hochmeister und Rager (2000). Angesichts der ständig neuen Fusionen und Unternehmensneuordnungen in diesem Sektor können solche empirischen Übersichten aber immer nur eine Momentaufnahme sein.

2

Das Femsehen ist ein Teil, vielleicht sogar das Kernstück einer zunehmend ausdifferenzierten Medienordnung. Diese scheint in besonderer Weise Einfluß auf die wirtschaftliche Entwicklung und die politische Stabilität und Kultur eines Landes zu haben. In den Medien wird - neben der Legislative, der Judikative und der Exekutive - eine „vierte Gewalt" gesehen, die als eine eigenständige Ordnungskraft wirkt. Über die Medien2 werden die Kommunikation und die Verständigung sowohl zwischen den Teilnehmern am Produkt- und Faktormarktgeschehen als auch zwischen den Bürgern im politischen Prozeß demokratischer Willensbildung prinzipiell ermöglicht. Vor allem von den Massenmedien 3 können politische, kulturelle, gesellschaftliche und ökonomische Anstöße, aber auch Denk- und Handlungsblockaden ausgehen (ausfuhrlich Baran und Davis 2000); die Marktteilnehmer, die politischen Entscheidungsträger und die Bevölkerung beziehen einen Großteil ihrer Informationen und Kenntnisse zu allen denkbaren Themen aus diesen Quellen und bereiten damit ihre Entscheidungen vor. Dabei ist grundsätzlich hervorzuheben, daß die Medien einerseits „Medium", also Träger der Informations- und Wissensübermittlung sind, andererseits aber auch ein Faktor der öffentlichen Meinungsbildung (hierzu Noelle-Neumann 1996); über die Medien werden „Stimmungen" und „kollektive Gefühle" vermittelt, Erklärungsmuster fur bestimmte Entwicklungen angeboten und letztlich auch Erwartungen prädisponiert. Diese Dualität der Medienwirkung spiegelt sich in der bekannten „Medium-FaktorHypothese" wider, die in der Kommunikationsforschung, aber auch in der Rechtsprechung des Deutschen Bundesverfassungsgerichts in den acht sog. „Fernsehurteilen" eine Rolle spielt. Dabei ist mit dem Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 12, 205, 260) hervorzuheben, daß öffentliche Meinungsbildung keineswegs ausschließlich nur in den Nachrichtensendungen und den politischen Magazinen und Dokumentationen vermittelt wird. Auch in Unterhaltungssendungen, populären Serien oder Spielfilmen wird nachweislich Einfluß auf die öffentliche Meinung ausgeübt. Die Ordnung der Massenmedien hat somit Auswirkungen auf zwei verschiedene Dimensionen: Einerseits geht es um eine „informative Dienstleistung" für die Bürger, die über die Medien transportiert wird. Andererseits geht es aber auch um den Prozeß der demokratischen Willensbildung im politischen Geschehen und die Vermittlung von wirtschafis- und gesellschaftspolitischen Leitbildern.

2

3

Der Medienbegriff ist vielschichtig. Es können einerseits Medien der Individual- und der Massenkommunikation, andererseits Medien der synchronen (zeitgleichen) und der asynchronen (zeitlich versetzten) Kommunikation unterschieden werden. Nach dem Medienträger können Druck- und Funkeinrichtungen unterschieden werden. Für eine ausführliche Darstellung der Vielfalt des Medienbegriffs sei auf Altmeppen (1996) und Heinrich (1994 und 1999) verwiesen. Unter Massenmedien werden die Einrichtungen verstanden, die sich zu verschiedenen Inhalten an ein anonymes, größeres Publikum wenden. Hörfunk und Fernsehen, aber auch die Printmedien wirken massenmedial. Hiervon abzugrenzen sind die Medien der Individualkommunikation wie die Telefonie.

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1.2. Ordnungsfragen des Fernsehens 1.2.1. Erstes Ordnungsproblem: Arbeits- und Wissensteilung „Die Mittel der Kommunikation und die Formen des Zusammenlebens haben etwas miteinander zu tun. Gesellschaft war also immer schon Kommunikationsgesellschaft. Gesellschaften durch die jeweils vorherrschende Kommunikationstechnik zu charakterisieren ist deshalb ebenso plausibel wie der Versuch, die Verwandschafts- oder Besitzverhältnisse als Unterscheidungskriterium zu nutzen". Michael Zöller (2000, S. 301) Gemäß der sog. „Widerspiegelungsthese" ist jede Medienordnung indirekt ein Abbild der jeweiligen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung mit allen dazugehörigen Teilordnungen. In den Medien spiegeln sich die Wertvorstellungen, historische und kulturelle Besonderheiten sowie die politischen Bedingtheiten einer Gesellschaft wider. Die bekannte These von Walter Eucken (1952/90, S. 304 ff.) über die Zusammengehörigkeit, die „Interdependenz der Ordnungen" findet ihre institutionelle Ausgestaltung gleichsam in den Massenmedien, die als Bindeglied zwischen den einzelnen Teilordnungen die Kommunikation und Wissensteilung überhaupt erst ermöglichen. Die Medien dienen den verschiedenen Subsystemen in modernen, funktional ausdifferenzierten Gesellschaften im Luhmannschen Verständnis (1996) als Mittel der Selbstreflexion sowie der Verständigung mit anderen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Teilordnungen. Vor diesem Hintergrund kann die These vertreten werden, daß auch die Erklärung wirtschaftlicher Prozesse in modernen arbeits- und wissensteiligen Gesellschaften notwendig an ein Verständnis der Wirkungen der Massenmedien gebunden ist.4 Die Bedeutung der Medien fur die Arbeits- und Wissensteilung in einer Wirtschaftsordnung stellt also ein erstes Ordnungsproblem dar. Erkenntnistheoretisch wäre es wünschenswert, präzise Hypothesen zu formulieren über die Wirkungen von Medien auf das wirtschaftliche Ordnungsgefüge. Die Wirkungskette zwischen den Medien, der Bevölkerung und den verschiedenen Faktoren der Meinungsbildung und „ordnenden Potenzen" (Eucken) ist allerdings nur schwer in einen eindeutig überprüfbaren Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zu stellen (hierzu Wentzel 1998a). Vor allem die empirische Medienwirkungsforschung und die Demoskopie sind bemüht, die allgemein plausible Hypothese, daß „Medien wirken" (media matters), genauer zu prüfen (vgl. Baran und Davis 2000). Zwar ist aus einem ordnungsökonomischen Blickwinkel grundsätzlich zu vermuten, daß eine möglichst freie und wettbewerbliche Fernsehordnung schon allein dadurch positiv wirkt, daß der Bestand an verfügbaren Alternativen vergrößert wird: Meinungsfreiheit und Medienwettbewerb lassen sich nach Hoppmann (1988, S. 176) auch gar nicht voneinander trennen. 4

Zu einer soziologischen Sichtweise dieser Hypothese siehe Luhmann (1996) und Marcinkowski (1993); einen demoskopischen Blickwinkel präsentiert Noelle-Neumann (1996). Eine ökonomische Interpretation dieser These liefert Müller (1998) oder Gundlach (1998). Es sei auch auf die medienökonomischen Lehrbücher von Altmeppen (1996) und Heinrich (1994) verwiesen.

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Es bleibt aber nach wie vor klärungsbedürftig, wie die Nachrichten und Informationen, die in den Medien verbreitet werden, von den Nachfragern aufgenommen werden und damit zu einer intensiveren und produktiveren Arbeits- und Wissensteilung beitragen. Die Wirkungen der Massenmedien auf die Arbeits- und Wissensteilung sind mit ihrer Verbreitungsform verbunden. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, daß bei der Massenkommunikation die Informationen indirekt, einseitig und öffentlich vermittelt werden (vgl. Noelle-Neumann 1996). Dies bedeutet, daß der Empfangerkreis der Informationen im Gegensatz zur Individualkommunikation nicht genau bestimmt ist. Der Sender und die Empfanger sind räumlich voneinander getrennt, und die Informationen gehen immer von der gleichen Seite aus - wenngleich die Digitalisierung der Übertragungswege mit der Möglichkeit eines Rückkanals (sog. „interaktives Fernsehen") diese Charakterisierung zu verändern beginnt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die Massenkommunikation der natürlichen menschlichen Kommunikation „von Angesicht zu Angesicht" in mancher Hinsicht widerspricht. Der Fernsehzuschauer kann „nur" abschalten, er kann aber in der Regel - zumindst beim traditionellen analogen Fernsehen - nicht direkt widersprechen und einen Sachverhalt „richtigstellen". Dies ist einerseits eine relevante verfassungs- und staatsrechtliche Fragestellung, denn es gilt bei der Ordnung des Rundfunks s , die Meinungs- und Pressefreiheit des Art. 5 GG zu sichern und die Bürger vor der einseitigen und unausgewogenen Übermittlung von Informationen und Propaganda zu schützen. Dies ist andererseits aber auch eine relevante ökonomische Fragestellung, denn es ist zu vermuten, daß eine einseitige und verkürzte Berichterstattung auch den Prozeß der Wissensverbreitung empfindlich stören würde. Die Bedeutung der Medien und vor allem des Femsehens für die Verbreitung von Informationen und Wissen könnte in dem Maße zunehmen, wie die „ordnenden Potenzen" im Euckenschen Verständnis sich schwer tun, auf herkömmlichen Wegen beachtet zu werden. Hierin liegt die besondere Brisanz dieses ersten Ordnungsproblems. Empirisch läßt sich nachweisen, daß alle gesellschaftlichen Gruppierungen, die als „klassische Diskussionsforen" und Ideenbörsen galten, also etwa politische Parteien und Bürgerinitiativen, Gewerkschaften, aber auch die großen Kirchen, unter Mitgliederschwund leiden. Hierdurch wird deren Einfluß im wirtschaftlichen Geschehen und bei der Formulierung öffentlicher Meinung zunächst einmal reduziert.6 In mancherlei Hinsicht tritt das Fernsehen nun in zunehmendem Maße an die Stelle der traditionellen gesellschaftlichen Diskussionsforen. Die Konzentration der werbetreibenden Industrie und der politischen Parteien auf den Fernsehzuschauer als Adressat für Produktwerbung und politische Botschaften ist demzufolge leicht nachvollziehbar und offensichtlich. Hierin liegt quasi die dynamische Dimension des ersten Ordnungsproblems, daß nämlich die Bedeutung der Medien für die Arbeits- und Wissensteilung im Zeitablauf tendenziell weiter zunehmen wird.

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Rundfunk ist der Oberbegriff für Hörfunk (Radio) und Fernsehen. Dies ist auch die vielbeachtete These von Robert Putnam (2000), der eine rückläufige Bereitschaft zum öffentlichen Engagement in den USA feststellt und hierfür ursächlich die Medien für verantwortlich hält.

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1.2.2. Zweites Ordnungsproblem: Die Suggestivkraft des Fernsehens Aus dem ersten Ordnungsproblem leitet sich das zweite Ordnungsproblem ab, welches in dem besonderen manipulativen Potential des Fernsehens zu sehen ist. Die hervorgehobene Bedeutung der Medien für den Wissenstransfer innerhalb einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung birgt die Gefahr in sich der mißbräuchlichen Nutzung durch einzelne (politische) Parteien oder durch Unternehmen mit einer marktbeherrschenden Stellung. Bei den Massenmedien ist zwischen den Printmedien und dem Rundfunk (Hörfunk und Fernsehen) zu differenzieren. Es bestehen zahlreiche Unterschiede zwischen den Medien, etwa in bezug auf die Verbreitungsformen, die Zielgruppenansprache, die Konsumgewohnheiten der Nachfrager oder auch die Finanzierungsmöglichkeiten der Anbieter. Bei den Printmedien existiert in den meisten Ländern ein rein privatwirtschaftliches sog. „Kioskmodell". Über die wettbewerblichen Marktkräfte und die Nachfragepräferenzen ergibt sich eine mehr oder minder ausgewogene Mischung zwischen journalistischen Qualitätserzeugnissen und weniger anspruchsvollen Boulevardblättern. Der deutsche Pressemarkt gilt jedenfalls im internationalen Vergleich als qualitativ besonders hochwertig. Zwar besteht auch auf dem Pressemarkt die Gefahr, daß wirtschaftliche Konzentrationstendenzen zu einer Monopolisierung von Meinungsmacht führen können, weshalb auch bei der Presse eine effektive Fusionskontrolle notwendig bleibt. Gleichwohl ist das manipulative Potential der Presse insgesamt geringer als im Massenmedium Fernsehen. Insofern ist der Pressemarkt wettbewerbspolitisch auch nur bedingt mit dem Fernsehmarkt vergleichbar. Die freie Presse nimmt Einfluß auf das Wissen und Handeln in der Gesellschaft. Regional· oder Lokalzeitungen informieren über das weltpolitische Geschehen ebenso wie über nationale Politik. Sie informieren gleichzeitig über Entscheidungen lokaler Parlamente, kirchlicher Gemeinderäte, über nationale und lokale Sportereignisse, Statusänderungen im persönlichen Bereich (Geburten, Hochzeiten) und vieles mehr. Zwar können lokale Rundfunkunternehmen mit einem ähnlichen Informationsportfolio konkurrieren wie dies beispielsweise in den Vereinigten Staaten zu beobachten ist. Jedoch ist aufgrund der großen Unterschiede bei der Darbietung der Informationen sowie der damit einhergehenden unterschiedlichen Nutzungs- und Verwendungsmöglichkeiten nicht mit einer vollständigen Verdrängung des einen durch das andere Medium zu rechnen (ausführlich Pfeifer 1997). Der Rundfunk und die Presse sind keine vollkommenen Substitute, sie stehen vielmehr in einem komplementären Verhältnis zueinander (siehe auch Turow 1999). Das Fernsehen spricht immer mehrere Sinne des Menschen gleichzeitig an. Durch die Kombination von Audio und Video werden besonders nachhaltige Eindrücke vermittelt; dies bestätigen zahlreiche empirische Untersuchungen aus der Medienwirkungsforschung (vgl. Baran und Davis 2000, auch Turow 1999). Die Authentizität von Fernsehbildern kann durch ästhetische Hilfsmittel - etwa musikalische Untermalung - sowie durch erläuternde Kommentare zusätzlich gesteigert werden und ein besonders hohes Ausmaß an Emotionalisierung und Erregung beim Zuschauer hervorrufen. Hierin liegt zweifelsohne ein wesentlich höheres manipulatives Potential als auf dem Markt für Printerzeugnisse. Die in verhaltenswissenschaftlichen Untersuchungen empirisch viel-

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fach nachgewiesene Suggestivkraft des Femsehens erfordert deshalb weitergehende Vorsichtsmaßnahmen, um das Medium vor dem Mißbrauch zu schützen und die Meinungsfreiheit als eines der höchsten Verfassungsgüter zu sichern. Vor dem Hintergrund des zweiten Ordnungsproblems ist verständlich, warum die Gesetzgeber in Deutschland, in den Vereinigten Staaten und in anderen Ländern für den Rundfunk als „Leitmedium" andere, zumeist schärfere Maßstäbe anlegen als fur die Presse. Auch der Oberste Gerichtshof (Supreme Court) der USA hat diese differenzierte Behandlung in mehreren Verlautbarungen und Gerichtsentscheidungen gerechtfertigt: „Each new medium requires its own First Amendment analysis" (siehe Barnett 1988, S. 83). 1.2.3. Drittes Ordnungsproblem: Die Interdependenz von wirtschaftlichem und publizistischem Wettbewerb Die Ordnung des Rundfunks umfaßt ganz allgemein eine technologische sowie eine inhaltliche Komponente. Die erste Dimension ergibt sich fur den Gesetzgeber aus der Notwendigkeit, die Infrastruktur der Datenübertragung zu gestalten. Hier sind die technische Erschließung und die wirtschaftlichen Handlungs- und Verfugungsrechte an den verschiedenen Telekommunikationsnetzen zu klären. Bekanntlich kann Rundfunk über terrestrische Frequenzen (Funkwellen), über Breitbandkabelnetze oder über Satelliten übertragen werden. Die öffentliche oder private Bereitstellung dieser Infrastruktur sowie die finanziellen und inhaltlichen Restriktionen beim Zugang zu diesen Netzen sind Sachverhalte, die unmittelbare Auswirkungen auf die wettbewerbliche Struktur des Rundfunkmarktes sowie auf die qualitative Ausgestaltung verschiedener Programme der dort handelnden Marktteilnehmer haben. Eine „offene Rundfunkordnung" als ordnungspolitisches Leitbild (Mestmäcker 1988) muß sozusagen in einem ersten Schritt den freien Zugang fur alle Interessierten zu den technischen Übertragungsmöglichkeiten gewährleisten. Die inhaltliche Dimension der Massenkommunikation setzt an der Vielfalt unterschiedlicher Meinungen an, die dort Verbreitung finden sollen: Schutzobjekt innerhalb einer Rundfunkordnung ist die Meinungs- und Rundfunkfreiheit. Rechtsgrundlage hierfür ist in Deutschland das Grundgesetz, Art. 5 Abs. 1 Satz 2, in den Vereinigten Staaten der erste Zusatz (First Amendment) der Verfassung.7 In seiner verfassungsrechtlichen Ausprägung dürfte dieser Grundsatz allgemein auf breiten Konsens stoßen; in Deutschland und in den Vereinigten Staaten ist hierzu prinzipielle Übereinstimmung festzustellen. Gleichwohl sind in beiden Ländern unterschiedliche Vorstellungen anzutreffen, wie dem konsensfahigen Verfassungsideal der Meinungsfreiheit in der Realität Geltung verschafft werden könnte. Neben den unterschiedlichen juristischen und gesellschaftlichen Vorverständnissen über den Tatbestand der Rundfunkfreiheit ist die reale Ausgestaltung eines Ordnungs-

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Es sei darauf hingewiesen, daß sich das deutsche Grundgesetz und die amerikanische Verfassung trotz großer inhaltlicher Überschneidungen in ihrer Struktur stark unterscheiden. Das deutsche Grundgesetz beginnt mit einer Absicherung der Grundrechte (Art 1-19, sog. Staatsfundamentalnormen); diese Individualrechte finden sich in der amerikanischen Verfassung in den Zusätzen (Amendments).

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rahmens fur den Rundfunksektor, der eben jene „Meinungsvielfalt als Entdeckungsverfahren" {Hoppmann 1988) ermöglichen soll, in der Wissenschaft und erst recht im politischen Prozeß heftig umstritten. Die verschiedenen Auffassungen über eine vielfaltsichemde Organisation des Rundfunks durchziehen die rundfunkpolitische Diskussion in Deutschland seit dessen Wiederbegründung nach dem Zweiten Weltkrieg und sind auch jüngst wieder Gegenstand heftiger Kontroversen (siehe Wissenschaftlicher Beirat 1999; Holznagel 1999). Soll sich, so lautet die grundlegende Fragestellung, Meinungsvielfalt und Pluralität in jedem einzelnen Sender und vielleicht sogar in jedem einzelnen Programm wiederfinden {binnenpluralistische Perspektive), oder kann der gewinnorientierte Wettbewerb verschiedener Sendeanstalten um die Gunst der Fernsehzuschauer ein möglichst breites Angebot verschiedener, unabhängig nebeneinander stehender Sichtweisen hervorbringen (außenpluralistische Perspektive)? Kann Pluralismus ex ante vor Sendebeginn durch ein wie auch immer zusammengesetztes Gremium zentral organisiert werden, oder ist Pluralismus das ex post-Resultat eines evolutionären wettbewerblichen Suchprozesses auf einem „Markt der Meinungen"? Und welcher Zusammenhang existiert zwischen der realisierten Marktform im Rundfunk (Ebene des ökonomischen Wettbewerbs) und dem inhaltlichen Wettbewerb der Meinungen (Ebene des publizistischen Wettbewerbs)? Ein wirksamer ökonomischer Wettbewerb mit vielen verschiedenen, voneinander unabhängigen Anbietern garantiert jedenfalls noch keinen publizistischen Pluralismus, ebenso wie das Fehlen von Wettbewerb keinesfalls gleichbedeutend ist mit dem Fehlen von Meinungspluralismus (siehe Kantzenbach 1988; Kruse 1996a). Auf diesen Punkt wird bei der Diskussion der Programmwahlmodelle (Kapitel 3.1.4.) noch intensiver einzugehen sein. Das Vorverständnis der politischen Entscheidungsträger zu diesem dritten Ordnungsproblem prädeterminiert die Auswahl des realisierten Rundfunkmodells, wie sich in Deutschland und in den Vereinigten Staaten in der Realität zeigt. Während in den Vereinigten Staaten der „free trade in ideas-Doktrin" und dem freien unternehmerischen Wettbewerb geradezu verfassungsstiftender Charakter zuerkannt wird, erfahren die binnenpluralistische Konzeption im Rundfunk und die Idee der öffentlichen Wirtschaft in Deutschland nach wie vor eine sehr hohe Wertschätzung in der Bevölkerung und bei den Vertretern der politischen Parteien. Dem Wettbewerb hingegen wird eher mit Skepsis und einem gewissen Mißtrauen begegnet. 1.2.4. Viertes Ordnungsproblem: Inhaltliche und qualitative Präferenzen Rundfunkangebote beanspruchen vielfach, qualitative Vorstellungen über gesellschaftlich wünschenswerte und förderungswürdige Inhalte zu vermitteln (hierzu Stolte 1977; Holznagel 1999). Qualitativ hochwertige Programme sollen „ausgewogen und vielfältig informieren, die pluralistische Gesellschaft abbilden, gesellschaftliche Partizipation durch Bildungs- und Kulturangebote befördern und zur kulturellen Innovation der Gesellschaft beitragen" {Hamm 1998a, Vorwort S. 8). Es geht also um die Wahrhaftigkeit und Genauigkeit der Berichterstattung ebenso wie um das Bemühen, breiten Teilen der Bevölkerung Bildungschancen und Teilhabe am kulturellen Geschehen zu eröffnen. In der medienökonomischen Diskussion werden Programme, die diese Funk-

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tionen wahrnehmen, als „Public Interest Programming" bezeichnet, als Programmangebote „im Dienste eines öffentlichen Interesses". Freilich kann nicht übersehen werden, daß die Beschreibung dessen, was "Public Interest Programming" genannt wird, ein Stück weit willkürlich und nebulös bleibt und dem Betrachter ein hohes Maß an Ermessensspielräumen ermöglicht (grundlegend McQuail 1992). Ebenfalls ist mit dieser Charakterisierung weder theoretisch noch praktisch eine konkrete Aussage zu verbinden, ob die Programmbeiträge von privaten oder von öffentlich-rechtlichen Anbietern bereitgestellt werden können oder sollen, denn auch zahlreiche Programmangebote privater Rundfunkanstalten können die vorgegebenen Kriterien erfüllen (siehe Firestone und Korzick Gartner 1998). Noam (1998, S. 205) schlägt deshalb vor, „Public Television" sorgfaltig von „Public Interest Television" zu unterscheiden. Die Qualität des Femsehangebots spiegelt sich grundsätzlich in zwei Sachverhalten wider. Erstens geht es um die Bandbreite und das Mischungsverhältnis verschiedener Programmsparten (strukturelle Vielfalt) und zweitens um die Qualität innerhalb eines Programmsegments - etwa bei der Produktion von Informationssendungen. Bei der Bandbreite verschiedener Programmformen ist beispielsweise zu unterscheiden zwischen Informationssendungen, Musikdarbietungen, nonfiktionaler Unterhaltung, fiktionaler Unterhaltung, Kinder- und Jungendsendungen, Sportübertragungen, sonstigen Formaten und - gerade im privaten Fernsehen wichtig - den Werbesendungen oder Sponsoring. Innerhalb der einzelnen Programmsparten kann weiter nach verschiedenen Gesichtspunkten differenziert werden. Bei der Unterhaltung etwa, die mit ca. der Hälfte der täglichen Sendezeit den größten Anteil unter den verschiedenen Programmen einnimmt (vgl. Hamm 1995, S. 86-103), können beispielsweise Fernsehserien, Fernsehspiele, Spielfilme (Movies), Bühnenstücke, Spiele und Shows sowie Talkshows unterschieden werden, die wiederum inhaltlich stark variieren können. Sportübertragungen können sich auf einzelne Sportarten oder auf den Zeitpunkt der Übertragung (liveBerichterstattung versus Aufzeichnung) beziehen. Ein erstes Kriterium zur Einschätzung der Qualität einer Fernsehordnung setzt somit an der Vielfalt der unterschiedlichen Programmformate an, die insgesamt für den Zuschauer verfügbar sind (vgl. Browne 1999). Hier geht es aus einer übergeordneten Perspektive um das Gesamtangebot verschiedener Sendungen. Aus ordnungsökonomischem Blickwinkel ist dabei zu vermuten, daß vom Zuschauer grundsätzlich eine größere Auswahl begrüßt wird. Dabei ist hervorzuheben, daß Vielfalt keinesfalls nur an einen bestimmten Sender gebunden sein muß. Ein breites Angebot verschiedener Spartenprogramme (ausfuhrlich Poll 1999) könnte grundsätzlich auch dem genannten Qualitätskriterium der strukturellen Vielfalt entsprechen. Das zweite Kriterium betrifft die Qualität innerhalb eines einzelnen Programms. Hier geht es um die Innenansicht einer einzelnen, spezifischen Sendung. Diese Dimension ist offenkundig mit zahlreichen ästhetischen und publizistischen Werturteilen verbunden. Über die Qualität einer künstlerischen Darbietung kann man bekanntlich trefflich streiten - und gerade im Fernsehen wird dieser Streit ja nicht selten bewußt inszeniert. Ob eine Fernsehsendung ex post bestimmten Qualitätskriterien entsprach, darüber sind sich auch die Experten in den publizierten Fernsehkritiken selten einig gemäß der alten

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Weisheit: „De gustibus non est disputandum". Gleichwohl sind in der Diskussion zumindest allgemeine Kriterien der Qualitätseinschätzung zu benennen, und zwar in Form eines Negativkatalogs. Dies entspricht auch dem liberalen Verständnis von einem offenen wettbewerblichen Suchprozeß, bei dem zunächst einmal alles erlaubt ist, was nicht ausdrücklich aus guten Gründen verboten ist. Regeln beruhen demnach nicht auf dem Gebots-, sondern auf dem Verbotsprinzip. Da auch der Prozeß der Programmgestaltung letztlich ein Suchprozeß unter Unsicherheit ist (kann der Fernsehunternehmer seine Nachfrage erreichen?), wären konkrete Inhaltsvorgaben als Ergebnis eines Suchprozesses letztlich weder zweckmäßig noch in irgend einer Weise praktikabel. Vielmehr erscheint es zielführend, bestimmte Grenzen für die Programmanbieter einzuziehen und auf diesem Wege den wettbewerblichen Prozeß beim Werben um die Gunst der Zuschauer in geeignete Bahnen zu lenken. Ein solcher Negativkatalog mit qualitativen (Mindest-)Standards ermöglicht somit eine hilfreiche Orientierung bei der Diskussion von Programmqualitäten und vermeidet die letztlich normative Vorgabe bestimmter Inhalte. Eine Unterhaltungssendung oder ein Spielfilm kann beispielsweise als qualitativ minderwertig angesehen werden, wenn in einem Ausmaß Sex und Gewaltdarstellungen präsentiert werden, die weit über normale Lebenserfahrungen hinausgehen oder wenn solche Darstellungen gar Gewalt verherrlichen oder verharmlosen. Ob ein spezifischer Programminhalt verboten werden soll (etwa wegen extremistischer politischer Propaganda oder systematischer Friedensfeindlichkeit) oder aber durch geeignete institutionelle Regeln wie beispielsweise Dekodierung oder sehr späte Sendezeiten nur der Zugang für bestimmte Zuschauergruppen etwa Jugendliche - beschränkt wird (beispielsweise bei Actionfilmen oder bei Erotiksendungen), ist eine nachgelagerte Frage, die häufig nur in Verbindung mit der Kenntnis des relevanten Marktes beantwortet werden kann. Ebenfalls zu kritisieren sind Programme und Sendungen, in denen stereotype und unzulässig vereinfachende (diskriminierende) Verhaltensmuster für einzelne Geschlechter oder Bevölkerungsgruppen dargestellt oder aber rassistische Vorurteile geweckt oder bestärkt werden (siehe McQuail 1992, auch Hamm 1995, S. 98 ff.). Auch bei den Nachrichten- und Informationssendungen stellt sich die Frage nach geeigneten Qualitätsmaßstäben. Da es sich bei Nachrichten zumeist um überprüfbare, objektive Sachverhalte handelt, kann der Negativkatalog als Ausgangsbasis durchaus auch um einzelne konkrete positive Sachverhalte ergänzt werden. Hier sind mit Schatz und Schulz (1992) die Aspekte der Vielfalt der dargebotenen Themen, der Relevanz dieser Themen, der journalistischen Professionalität sowie der Rechtmäßigkeit (etwa in bezug auf rechtliche Vorgaben, Jugendschutz u.ä.) zu nennen. Zwar sind die einzelnen Vorgaben nicht immer eindeutig quantifizierbar in dem Sinne, daß objektive Kennziffern oder Maßzahlen festgestellt werden können; gleichwohl sind sie als Hilfsmittel zur Einschätzung unterschiedlicher Qualitäten durchaus hilfreich. So ist etwa die Intensität der Recherche (Zeitaufwand, Anzahl der Kontaktpersonen, wissenschaftliche Fundierung etc.) ein guter Anhaltspunkt für die Bewertung von Qualität ebenso wie die Art der Präsentation. Werden beispielsweise Nachrichten und Fakten sauber von Kommentaren und Meinungen getrennt? Werden medienethische Standards - etwa bei der Präsentation von Bildmaterial aus Krisengebieten - eingehalten? Werden komplexe Sachverhalte diffe-

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renziert dargestellt oder aber auf 15-Sekunden-Meldungen komprimiert, die einer „ritualisierten Politikdarstellung"8 Vorschub leisten könnten (hierzu Wentzel 1998a)? Wie sachkundig sind die Journalisten, wenn es um die Präsentation von Hintergrundinformationen geht? Das vierte Ordnungsproblem bezieht sich also auf den Sachverhalt, wie gleichzeitig Vielfalt im Rahmen des gesamten Fernsehangebots und Qualität innerhalb eines Programms sichergestellt werden können. Die Schwierigkeit, geeignete Rahmenbedingungen zu entwerfen und durchzusetzen, die diesen Programmzielen bestmöglich dienen, ist offenkundig. Dies liegt nicht zuletzt in dem Faktum begründet, daß es keine zweifelsfreie und objektive Bewertung von Programmqualitäten geben kann; hierin wird immer ein subjektives Element enthalten sein. Die Wertgeladenheit der Diskussion in Politik und Wissenschaft über die Qualität des Fernsehens dürfte vor allem in diesem Ordnungsproblem verwurzelt liegen. Freilich ist erstens mit Hoppmann (1988) daran zu erinnern, daß Wertfragen immer auch Gegenstand politischer Ökonomik waren - gerade auch im Rundfunk. Die Wertgeladenheit an sich sollte noch keinen Ökonomen von der Behandlung des Themas abhalten. Zweitens ist im Sinne einer liberalen Rechtstradition zu betonen, daß ein wettbewerblicher Suchprozeß immer ergebnisoffen ist. Hierin liegt gerade die besondere Bedeutung des Wettbewerbs als Entdeckungsverfahren im Hayekschen Verständnis, daß ständig neue Problemlösungen entdeckt, getestet und je nach Leistungsfähigkeit angenommen oder wieder verworfen werden. Bezogen auf die ordnungsökonomische Fragestellung bedeutet dies konkret, daß neue Programmformate entwickelt und getestet werden, die sich im Einzelfall durchsetzen werden oder nicht. Eine ex anie-Bestimmung konkreter Ergebnisse widerspricht der Offenheit dieses Entdeckungsverfahrens; sie würde vermutlich sehr schnell in die Gefahr einer Zensur gelangen. Aus dem vierten Ordnungsproblem leitet sich also die Fragestellung ab, welche ordnungspolitischen Rahmenbedingungen geeignet erscheinen, um einen konsensfahigen Negativkatalog - gesellschaftliche, publizistische und ethische Standards9 - zu beschließen und zu erhalten und gleichzeitig die Offenheit des gesellschaftlichen Suchprozesses zu befördern und möglichst innovative Programme hervorzubringen. Hiermit ist offensichtlich auch die Frage des politisches Prozesses angesprochen, denn es sind letztlich die politischen Entscheidungsträger, die die Spielregeln beschließen. Die Diskussion um „wünschenswerte" Fernsehinhalte steht daher immer auch in der Gefahr, für bestimmte parteipolitische Ziele und Partikularinteressen vereinnahmt zu werden.

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Mit dem Sachverhalt der „ritualisierten Politikdarstellung" ist die Erscheinung gemeint, daß für Politiker in kurzen Nachrichtensendungen zumeist keine Möglichkeit zu einer differenzierten und ausführlichen Darlegung eines Sachverhalts besteht. Stattdessen werden einzelne Symbole oder Rituale vollzogen, die dann auch fernsehwirksam präsentiert werden können.

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Auch bei der Diskussion der ethischen Standards darf jedoch nicht übersehen werden, daß diese einem Wandel unterliegen. Fernsehbilder, die noch in den fünfziger Jahren als „kritisch" eingestuft wurden, weil etwa junge Damen im Badeanzug zu sehen waren, werden heute selbst in Kindersendungen gezeigt. Dabei ist jedoch, wie Zöller (1989 oder 1997b) mehrfach betont hat, nicht nur ein Werteverfall zu konzedieren; zugleich entstehen auch neue Werte, die gesellschaftliche Relevanz erlangen.

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1.2.5. Fünftes Ordnungsproblem: Steuerungs- und Wirkungspotentiale moderner Ordnungspolitik Eine systemvergleichende Betrachtung des Rundfunks in verschiedenen Ländern offenbart zunächst eine beachtliche und überraschende Vielfalt verschiedener Rundfunkordnungen (vgl. etwa Noam 1991; Mattern und Künstner 1998). Diese Problemstellung wird in jüngster Zeit vor allem in den wirtschaftshistorisch angelegten Arbeiten von Douglas C. North (1992) thematisiert im Hinblick auf die Frage, welche Faktoren Einfluß auf die Entstehung und den Wandel von Ordnungen haben können. Die Verschiedenartigkeit der Ordnungsentwürfe bedarf der Erklärung, denn daß der Differenzierungsprozeß in der Medienordnung den gleichzeitig entgegenwirkenden Nivellierungsprozeß so stark dominiert, ist nicht selbstverständlich. Was, so lautet die Frage, ist das Ergebnis von Ordnungspolitik im Rundfunk und in den elektronischen Medien, und was ist das Ergebnis von spontanen Prozessen, die vielfaltigen anderen Motiven unterliegen können? Die Unterschiedlichkeit der realen Rundfunkordnungen in den verschiedenen Ländern fuhrt zu der Hypothese, daß diese kaum allein nach rationalen marktökonomischen Kriterien konstruiert worden sind, sondern daß sie vielmehr das Resultat einer spontanen kulturellen Evolution sind, bei der neben ökonomischen auch historische, gesellschaftliche und politische und kulturelle Einflußfaktoren maßgeblich waren und bis heute geblieben sind. Die medienökonomischen Standardmodelle, auf die noch ausführlich einzugehen sein wird, sind jedenfalls allein nicht in der Lage, die großen Differenzierungen zu erklären. Nach den vorwiegend neoklassisch ausgerichteten Modellen zur Erklärung des Rundfunks wäre jedenfalls eine wesentlich größere Ähnlichkeit der Rundfunkordnungen weltweit zu erwarten, weil Auswahl und Gestaltung einer solchen Ordnung in diesem Verständnis vorwiegend aus rationalen und ökonomischen Motiven vollzogen würden. Aus diesem Sachverhalt resultiert ein fünftes Ordnungsproblem, bei dem es um die Wirkungspotentiale von Ordnungspolitik in modernen Gesellschaften im allgemeinen und im Bereich der elektronischen Medien im besonderen geht. Das fünfte Ordnungsproblem bezieht sich auf zwei unterschiedliche Dimensionen, nämlich erstens auf das Erkenntnisproblem und zweitens auf das Umsetzungsproblem. Mit dem Erkenntnisproblem ist die grundsätzliche Schwierigkeit von Theoriebildung in der ordnungsökonomischen Forschung angedeutet. Wie ist der Gehalt medienökonomischer Standardmodelle zur Erklärung realer Rundfunkordnungen einzuschätzen? Wie weit sind die bestehenden Theorien um außerökonomische Faktoren zu ergänzen? Wenn etwa Weltanschauungen, Ideologien, Menschenbilder und Staatsverständnisse, Traditionen oder auch religiöse Prägungen eine „ordnende Potenz" (Eucken 1952/90) sind und prägende Bedeutung für die Entwicklung einer Wirtschaftsordnung haben, dann sind diese in einer systemvergleichenden Analyse herauszuarbeiten. Bei diesem erweiterten Erklärungsversuch besteht jedoch die Gefahr, daß die kulturellen Einflußfaktoren als Elemente des „Datenkranzes", wie Eucken sie bezeichnet, als ad hoc-Erklärungen verwendet werden. Um dies zu vermeiden, ist eine systematische und nachvollziehbare ordnungsökonomische Vorgehensweise zu entwickeln. Es geht also um die Erkenntnis der entscheidenden

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Faktoren für die Entstehung und den Wandel von Ordnungen, und zwar ganz speziell mit Bezug auf die Rundfunkordnung. Die zweite Dimension des Ordnungsproblems ist die politökonomische Umsetzung. Welche ordnungspolitischen Handlungspotentiale existieren in einer offenen Medienordnung, die zunehmend international verflochten ist, und zwar sowohl auf der Anbieterseite als auch bezüglich des Nachfrageverhaltens der Rezipienten? Offensichtlich besteht beim Umsetzungsproblem eine unmittelbare Anknüpfung an das Erkenntnisproblem, denn immerhin ist eine ordnungspolitische Handlungsempfehlung und Reformoption für bestehende Rundfunkordnungen zwingend an eine theoretische und ordnungspolitische Orientierung geknüpft, also an eine Erkenntnis der Anreiz- und Kontrollmechanismen alternativer Rahmenbedingungen. In dem Maße, wie außerökonomische Einflußfaktoren Relevanz besitzen oder an Geltung gewinnen, müssen sie bei einer ordnungspolitischen Handlungsempfehlung an die politischen Entscheidungsträger berücksichtigt werden. Zudem ist festzustellen, daß sich die normativen Grundlagen der Medienpolitik, wie Jarren (1999, S. 51) betont, vollständig gewandelt haben. Medienpolitik war vormals aufs engste mit kultur- und integrationspolitischen Zielen eines Landes verknüpft und unmittelbar Gegenstand nationalstaatlicher Handlungskompetenz. Durch die fortschreitende Internationalisierung des Handels und der Dienstleistungen, den gleichzeitigen Abbau von Zoll- und Handelsschranken im Rahmen der WTO-Verhandlungen sowie durch technische Entwicklungen haben sich diese Zuordnungen jedoch nachhaltig verändert. Medienordnungspolitik verlagert sich in zunehmender Weise in übernationale Entscheidungszirkel und entzieht sich einzelstaatlicher Regelungskompetenz. Selbst autoritären Staaten gelingt es immer weniger, die Reichweite elektronischer Medien (Fernsehen, Hörfunk, Internet) einzugrenzen: Rundfunk ist aus diesem Blickwinkel entgrenzte Kommunikation. Direkte Steuerung ist kaum durchführbar. In kaum einem anderen wirtschaftlichen Ordnungsbereich ist es für die Anbieter und Nachfrager so leicht, staatlich gesetzten Rahmenbedingungen zu entgehen. Damit stellt sich für eine an konkreten Handlungsempfehlungen orientierte Ordnungspolitik die Frage, auf welchem Wege effektive Rahmenbedingungen einer offenen Rundfunkordnung (überhaupt noch) gesetzt werden können oder ob der Staat lediglich nur noch Zuschauer einer spontanen Ordnungsentstehung ist. 1.3. Fragestellungen und Gang der Untersuchung Vor dem Hintergrund der voranstehenden Ordnungsprobleme ist die vorliegende Untersuchung der Frage nach geeigneten Lösungen gewidmet: Erstens ist zu prüfen, inwieweit eine Öffnung der Medien- und Rundfunkordnung zu einer Verbesserung der internationalen Arbeits- und Wissensteilung beitragen kann. Zweitens ist zu diskutieren, durch welche institutionellen Arrangements die Suggestivkraft des Fernsehens in individuelle, gesellschaftliche und unternehmerische Verantwortung eingebunden werden kann. Drittens ist zu fragen, welche Ordnung des Fernsehmarktes geeignet ist, um einen fairen wirtschaftlichen und publizistischen Wettbewerb zu ermöglichen. Viertens ist zu untersuchen, wie ein breites Maß an Meinungsvielfalt im Rundfunk gewährleistet und zugleich hohe qualitative Standards im Programmangebot dauerhaft sichergestellt wer-

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den können. Und schließlich ist fünftens zu analysieren, welche Möglichkeiten für Ordnungspolitik im Bereich der elektronischen Medien angesichts der prinzipiellen Offenheit dieser Märkte und der weiteren Konvergenz der Medien zukünftig bestehen. Zur Klärung dieser Fragen wird eine systemvergleichende ökonomische Perspektive und Methodik gewählt. Hierbei dienen die Ordnungskonzeptionen der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland als Untersuchungsgegenstand sowie als theoretischer und empirischer Bezugspunkt. Nach der Einführung in die Thematik (Kapitel 1) folgt im zweiten Kapitel eine methodologische Betrachtung 10 der vorgenannten Grundfragen der Medien- und Rundfunkordnung. Zunächst wird dabei das offenkundige Spannungsfeld zwischen dem neoklassisch orientierten ökonomischen Ansatz mit seinen zentralen Annahmen des Eigeninteresses und der Rationalität und den weiterreichenden Fragestellungen der Medienökonomik thematisiert. Anschließend werden anhand eines einfachen Modells die Wechselwirkungen zwischen den Medien, der Wirtschaft und dem politischen Sektor aufgezeigt. Daran schließt sich eine Skizze an, wie ordnungsökonomischer Systemvergleich in den Medien durchgeführt werden kann, bei dem die formalen wie auch die informalen Institutionen Beachtung finden. Es folgt der Versuch, die Vielfalt der möglichen Rundfunkordnungen im Sinne der Methodik Euckens in einer „Morphologie", einer Lehre von den verschiedenen Ordnungsformen also, abzubilden. Den Abschluß findet das zweite Kapitel in einer Analyse des Konzepts der Pfadabhängigkeit zur Erklärung institutionellen Wandels, konkret angewandt auf den Rundfunk und die Frage der prinzipiellen Reformfähigkeit moderner Rundfunksysteme. Im dritten Kapitel folgt eine spezifische Betrachtung von einzelnen Aspekten des Rundfunks anhand verschiedener Partial-Modelle und Theorien. Nach einer kurzen Diskussion der gängigen Marktversagensargumente (These von den öffentlichen und meritorischen Gütern) wird die Frage der Zwangsläufigkeit der Konzentration im Rundfunk diskutiert. Im Anschluß wird auf die auch in der ökonomischen Literatur vielbeachteten Modelle zur Programmwahl und -finanzierung sowie zum Programmniveau eingegangen. Es ist erstens zu prüfen, ob mit Hilfe der Programmwahlmodelle ein besseres Verständnis für die hier interessierenden Ordnungsfragen im Rundfunk gewonnen werden kann. Zweitens geht es um Argumente, die bei der empirischen Betrachtung der deutschen und der amerikanischen Rundfunkordnung sowie bei der Entwicklung von Handlungsempfehlungen für die Medienordnungspolitik als Beurteilungs- und Referenzmaßstab dienen können. Im dritten Kapitel wird ferner die Frage des Staats- und Politikversagens im Rundfunk aufgeworfen. Sowohl die Public Choice-Theorie als auch die Ökonomische Theorie der Bürokratie bieten Argumente, die bei der Analyse bestehender Rundfunkordnungen zu bedenken sind. Ebenfalls wird, direkt bezugnehmend auf das fünfte Ordnungsproblem, der Frage nachgegangen, welche ordnungspolitischen Steuerungspotentiale in modernen Rundfunkordnungen existieren und welche normativen Handlungs-

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In der Wissenschaftstheorie wird der Weg des wissenschaftlichen Vorgehens als Methode bezeichnet. Die übergeordnete Untersuchung der Gesamtheit der verwendeten und möglichen Methoden wird demgegenüber als Methodologie bezeichnet.

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empfehlungen hergeleitet werden können. Anhand des systemtheoretischen Konzepts der Kontextsteuerung wird diskutiert, inwieweit „funktional ausdifferenzierte Systeme" {Luhmann 1994) wie der Rundfunk, die sich über nationale Grenzen entfalten, überhaupt noch einer direkten ordnungspolitischen Steuerung „von oben" durch einen einzelnen Nationalstaat zugänglich sind. Zugespitzt lautet die Frage: Inwieweit erhalten Rundfunkordnungen selbstreferentiellen Charakter und entwickeln aus sich heraus ihre eigenen Regeln und Maßnahmen zu deren Befolgung? Die Kapitel vier und fünf sind den empirischen Aspekten der Untersuchung gewidmet, und zwar anhand der amerikanischen und der deutschen Rundfunkordnung. Zur besseren Vergleichbarkeit wird versucht, die gleichen Sachverhalte in den jeweiligen Unterkapiteln - soweit sachgerecht möglich - symmetrisch aufzugreifen. Angesichts der raschen und gravierenden Veränderungen in den Fernseh- und Medienordnungen beider Länder erscheint es zweckmäßig, den Schwerpunkt der Analyse auf die grundlegenden Strukturen11 zu legen. Ein kurzer historischer Abriß der Rundfunkentwicklung dient jeweils als Einstieg in das Kapitel, um gleichsam das Ausmaß bestehender Pfadabhängigkeiten besser einschätzen zu können. Darauf folgen im Hinblick auf das zweite und dritte Ordnungsproblem eine Betrachtung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Rundfunkanbieter, der Marktteilnehmer und Marktzutrittsschranken sowie eine Einschätzung der realisierten Vielfalt und Qualität im Programmangebot auf der Basis der theoretischen Analyse und der empirischen Fakten. Ebenfalls wird der Frage nachgegangen, inwieweit Institutionen der Selbstkontrolle Einfluß auf den Ordnungsrahmen ausüben können. Im sechsten Kapitel wird abschließend versucht, allgemeine Handlungsempfehlungen zu entwickeln und Potentiale aufzuzeigen, mit denen die bestehenden Rundfunkordnungen in beiden Ländern bezüglich der oben aufgeworfenen Ordnungsfragen verbessert werden können. Ebenfalls wird der Frage nachgegangen, inwieweit die Rundfunkordnung angesichts der zunehmenden Verschmelzung und Konvergenz der Medien und der intensivierten internationalen Arbeits- und Wissensteilung - gerade im Bereich der elektronischen Medien - unter einen allgemeinen wettbewerblichen Ordnungsrahmen zu integrieren ist, die den Funktionsanforderungen an eine qualitativ anspruchsvolle und zugleich entwicklungsoffene Medienordnung gerecht wird. Hier verbinden sich das erste und das fünfte Ordnungsproblem.

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Zu den aktuellsten Entwicklungen sei auf das Internationale Handbuch „Hörfunk und Fernsehen" sowie auf die einschlägigen Fachzeitschriften (siehe Anhang) verwiesen.

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2.

Methodologische Grundfragen der Rundfunk- und Medienökonomik „When my colleagues at The New York Times use the word „academic", they intend no compliment; they mean irrelevant. And when my former colleagues in the academy describe someone's work as 'journalistic', they invariably mean shallow." Michael Weinstein (1992, S. 73)

2.1. Das Spannungsverhältnis zwischen dem ökonomischen Ansatz und der Rundfunk- und Medienökonomik Die ökonomische Forschung hat sich in jüngerer Zeit auf Gebiete vorgewagt, die traditionell eher anderen sozialwissenschaftlichen Disziplinen zugeordnet wurden - etwa der Soziologie, der Geschichte, der Politik, der Psychologie oder dem Recht. Damit handelten sich die Wirtschaftswissenschaftler häufig den Vorwurf des „ökonomischen Imperialismus" ein. Der Vorstoß auf fremdes sozialwissenschaftliches Terrain sei - so die Kritiker - auch als Versuch zu deuten, von den offensichtlichen Erklärungsdefiziten im eigenen Fachgebiet abzulenken. Wenn jedoch die ökonomischen Analysen von Fragestellungen angrenzender Forschungsgebiete - etwa die „ökonomische Theorie der Demokratie" und der Bürokratie von Anthony Downs (1968) oder der „allgemeine ökonomische Ansatz zur Erklärung menschlichen Verhaltens" im Sinne von Gary S. Becker (1982) - als Maßstab herangezogen und einem empirischen Test im Sinne des kritischen Rationalismus Karl Poppers unterzogen werden, so muß die Leistungsfähigkeit des ökonomischen Ansatzes 12 als vergleichsweise hoch angesehen werden (vgl. Meyer 1979). Vor diesem Hintergrund verwundert es umso mehr, daß bis in die jüngste Zeit nur vergleichsweise wenige Versuche offenkundig geworden sind, die Ordnung der Medien und die Wirkung der Medien auf die Wirtschaftsordnung einer grundlegenden ökonomischen Analyse zu unterziehen: „It is therefore somewhat surprising to note how little interest academic economists have taken in the study of the medium, and particularly in the more theoretical aspects of program diversity" (Noam 1987, S. 163). Oder wie Schröder (1997) es treffend formuliert: „Der geringe Umfang an medienökonomischer Literatur im Vergleich zu den Mengen, die andere gesellschaftswissenschaftliche Forschungsrichtungen zusammengetragen haben, spricht hier eine deutliche Sprache", und zwar für die seit langem „stiefmütterliche Behandlung" der Medien durch die ökonomische Forschung. In mancher Hinsicht scheint es nicht nur ein akademisches Desinteresse, sondern sogar, wie Weinstein (1992) feststellt, ein geradezu gespanntes Verhältnis zwischen der 12

Es ist sicher methodologisch stark vereinfachend, wenn von dem ökonomischen Ansatz gesprochen wird. Dies könnte den (falschen) Anschein eines einheitlichen ökonomischen Ansatzes erwecken. Für die meisten Ökonomen dürften jedoch die Annahmen der allgemeinen Güterknappheit, des methodologischen Individualismus sowie (zumindest begrenzt) rationaler Wahlhandlungen allgemein akzeptiert sein. In diesem Sinne wird in der vorliegenden Untersuchung auch der Begriff „ökonomischer Ansatz" verwendet.

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ökonomischen Wissenschaft und den Medien zu geben. Dies ist in mancher Hinsicht verwunderlich, da spätestens seit dem vielbeachteten Aufsatz von Friedrich August von Hayek über „Die Verwertung des Wissens in der Gesellschaft" (The Use of Knowledge in Society) aus dem Jahre 1945 auch unter Ökonomen weitgehende Übereinstimmung darüber besteht, daß die Gewinnung, Sammlung, Weiterverbreitung und Verwertung von Informationen13 und Wissen Kernstück einer jeden arbeitsteiligen Wirtschaft sind (erstes Ordnungsproblem). Informationen werden dabei zweckmäßig als ein singulärer Baustein, ein kleinstes Element interpretiert, während Wissen (und wissenschaftliche Erkenntnis) eine systematische theoretische Verknüpfung zwischen verschiedenen Informationen erfordert, in diesem Sinne also ein weiterführender Begriff ist. Eine einzelne Information kann aus einer einfachen Beobachtung resultieren. Ohne eine Verbindung zu anderen Informationen, Theorieelementen und Deutungsmustern kann sie jedoch vollkommen wertlos sein (vgl. Shapiro und Varian 1999). Wenn davon ausgegangen wird, daß die meisten Informationen, die das Verhalten und die Entscheidungen der Menschen im täglichen Wirtschaftsverkehr beeinflussen, über die Presse und die elektronischen Medien transportiert werden, dann liegt es nahe, sich um einen brauchbaren Grundriß für ein Forschungsprogramm zu bemühen, welches das bestehende theoretische Erklärungsdefizit beseitigen könnte. Die distanzierte Haltung der Wirtschaftswissenschaft zur Analyse des Mediensektors dürfte in erster Linie methodische Gründe haben. Das wichtigste Kennzeichen des ökonomischen Ansatzes im Vergleich zu den Ansätzen anderer Sozialwissenschaften ist bekanntlich weniger in seinem ursprünglichen Forschungsgebiet angesiedelt, sondern vielmehr in seiner Methode zur Analyse sozialwissenschaftlicher Probleme zu sehen. So hat beispielsweise Becker (1982) seine teilweise sehr kontrovers diskutierten Untersuchungen - etwa über Diskriminierung, Partnerwahl, Kriminalität oder Drogenkonsum konsistent mit dem gleichen Modellaufbau durchgeführt. Der ökonomische Ansatz in dieser neoklassisch orientierten Lesart unterstellt einen eigeninteressierten Homo oeconomicus14, der nutzenmaximierend und vollkommen rational seine Ziele verfolgt und dabei lediglich durch harte Budgetbedingungen eingeschränkt ist. Vereinfacht ausgedrückt: menschliches Verhalten ist in dieser Sichtweise in erster Linie Entscheidungslogik und Optimierungsverhalten unter gegebenen Restriktionen. Vermeintlich nichtökonomische Einflußfaktoren (etwa moralische Dispositionen, Liebe und Emotionen, familiäre Bindungen, religiöse Überzeugungen, Traditionen, Erziehung, Gruppenverhalten, der Einfluß der Medien und vieles mehr) werden bewußt ausgeblendet. Mit dieser reduktionistischen Vorgehensweise können zwar durchaus interessante Hypothesen formuliert werden. Allerdings kann die bewußte Ausblendung von nicht-ökonomischen Einflußfaktoren bei vielen Fragestellungen auch deutlich unterkomplexe Deutungsmuster hervorbringen, die in einzelnen Fällen sogar völlig falsch sein können.15

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Zu einer ökonomischen Analyse der Eigenschaften und Bedeutung von Informationen siehe grundlegend Shapiro und Varian 1999. Zur Kritik an dieser Art von Modellbildung siehe grundlegend Ockenfels (1999) sowie Wentzel (2002). Ohne Zweifel wird jeder Familienforscher mühelos erklären und empirisch belegen können, daß bei der Partnerwahl auch noch andere Faktoren (Gefühl, Liebe) neben schlichten Ko-

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Becker und Stigler (1977) erwähnen in ihrem viel beachteten Artikel zur Methodik ökonomischer Theoriebildung noch einen weiteren zentralen Punkt. Sie betonen, daß die Präferenzen und Neigungen der Individuen als gegeben und unveränderlich angesehen werden nach dem Prinzip: „de gustibus non est disputandum". Menschliches Verhalten wird demnach nicht durch Präferenzenwandel, sondern durch geänderte Budgetrestriktionen bestimmt. Eine solche Vorgehensweise mag fur viele sozialwissenschaftliche und vor allem wirtschaftliche Fragestellungen durchaus angemessen und leistungsfähig sein. Unabhängig davon, wie die Beckerschen Thesen und methodischen Prinzipien im einzelnen Fall bewertet werden, kann festgehalten werden, daß mit einer solchen Vorgehensweise in einigen Anwendungsgebieten „kühne Vermutungen" (Popper) und zugleich prüfbare Hypothesen formuliert werden, die ihre relative Leistungsfähigkeit auch im Wettstreit mit anderen sozialwissenschaftlichen Theorieentwürfen beweisen können. Bei der Analyse der Medienordnung als komplexe gesellschaftliche Teilordnung ist der Nutzen der ökonomischen Methode im Beckerschen Verständnis jedoch fraglich. Es ist, wie weiter oben mit der sog. „Medium-Faktor-Hypothese" bereits angedeutet, geradezu das zentrale Kennzeichen des Forschungsgebietes, daß Medien Einfluß auf die Menschen ausüben und deren Präferenzen ändern. So steht bei der Diskussion um Programminhalte, die möglicherweise negative Externalitäten verursachen könnten (viertes Ordnungsproblem), aber auch bei der Frage nach Selbstregulierung oder der Forderung staatlicher Ordnungseingriffe stets die These im Vordergrund, daß die Zuschauer durch die Art, wie bestimmte Sachverhalte im Hörfunk und im Fernsehen präsentiert werden, in ihrem Denken und Handeln beeinflußt werden: Der Wandel der Präferenzen im Zeitablauf ist der Kernpunkt der gesamten Medienwirkungsforschung. Zwar gibt es in der wissenschaftlichen Debatte durchaus unterschiedliche Auffassungen über die tatsächliche Wirkungsmächtigkeit der Medien, die sich in der Kontroverse zwischen der Theorie der machtvollen Medien („Mass Society") und der sog. „Limited Effect Theory" manifestiert. In der neueren Literatur zu diesem Thema werden moderate Medieneffekte hervorgehoben („Moderate Effect Theory") (siehe Baran und Davis 2000, S. 1 ΙΟΙ 48). Gleichwohl bleibt festzuhalten, daß es zwar Kontroversen darüber gibt, wie und wie stark die Medien wirken, keineswegs aber darüber, ob die Medien wirken. Für die medienökonomische Diskussion ist auch die in der neoklassisch geprägten ökonomischen Theorie häufig angenommene vollständige Information kaum sinnvoll zu verwenden. Ein stets vollständig informierter Mensch hat selbstverständlich keinen Bedarf an zusätzlichen Informationen. Seine Nachfrage ist vollständig saturiert. Er wird auch nicht durch die Medien beeinflußt, denn er hat ja bereits sein optimales Portfolio an Informationen und Wissen erworben. Er braucht keine Medien mehr, es sei denn, um sich zu unterhalten - was durchaus auch eine Form von Informationsaufnahme sein kann. Da aber die Annahme perfekter Information - vielleicht mit der Ausnahme einfa-

sten-Nutzen-Erwägungen eine Rolle spielen. Und ebenso problemlos können Kriminologen belegen, daß eine drastische Strafandrohung (im Extremfall die Todesstrafe) nicht zu einem vollständigen Rückgang von Kriminalität führt. Offenkundig sind außerökonomische Entscheidungsfaktoren höchst relevant, um individuelles Entscheidungsverhalten erklären zu können.

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cher mikroökonomischer Modelle, die zu didaktischen Zwecken verwendet werden schon seit geraumer Zeit fast nirgendwo mehr als hinreichend realitätsnah angesehen wird, verwundert es um so mehr, daß der Weg der Informations- und Wissensübermittlung und dessen institutionelle Kanalisierung durch die Massenmedien in der neoklassisch orientierten Theoriebildung bisher kaum berücksichtigt werden. Prinzipiell ist es für sehr einfache, überschaubare Entscheidungssituationen möglich, Mediensignale als Einflußgrößen für menschliches Verhalten bei der Bildung von Modellen zu berücksichtigen: Ein solcher Versuch der systematischen mikroökonomischen Modellierung von Mediensignalen („Signalling") stammt beispielsweise von JenöffyLochau (1997). Eine logische Anwendung der Beckerschen Methode auf die Problemstellung würde aber erfordern, daß die Medienwirkungen nicht über eine Präferenzänderung modelliert werden, sondern anhand der Veränderung der Budgetrestriktion. Die Signale würden also bei einem solchen Theorieentwurf nicht die Präferenzen der Individuen verändern, sondern die erwarteten Kosten der entsprechenden Handlungsalternativen der Rezipienten ebenso wie der Programmanbieter. Diese Modellierung dürfte jedoch zur Beantwortung der wesentlich komplexeren medienökonomischen Fragestellungen wenig hilfreich sein und sich zudem der empirischen Prüfung in der Realität entziehen. In einem isolierten Laborversuch könnte zwar durchaus geprüft werden, wie einzelne Mediensignale auf verschiedene Individuen oder Versuchsgruppen wirken.16 Allerdings unterliegen die Massenmedien wesentlich komplexeren Wirkungsmechanismen (siehe Baran und Davis 2000). Viele Erscheinungen der Massenmedien sind nicht-linear, d.h. ab einer kritischen Masse kann es zu Ansteckungseffekten, Trendverstärkungen und/oder Massenhysterien kommen, die mit sehr einfachen Modellstrukturen nicht befriedigend erklärt werden können.17 Offensichtlich würde die Formulierung von formalen Budgetrestriktionen in der Medienökonomik bereits voraussetzen, daß die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge dieser Massenphänomene zumindest in den Grundzügen erkannt worden sind, um überhaupt den Kostenbegriff sinnvoll formulieren und anwenden zu können. Die Komplexität der Mediensignale und Medienwirkungen läßt sich jedoch kaum in einer so vereinfachten formalen Abstraktion erfassen. Die Frage nach der Ordnung der Medien und der Lösung der eingangs skizzierten Ordnungsprobleme ist vielschichtig und prinzipiell auf eine interdisziplinäre Arbeitsweise angelegt. Hier erscheint die ordnungsökonomische Methode wesentlich besser geeignet, um Erkenntnisse aus angrenzenden Forschungsgebieten zu integrieren. Die schematische Übertragung von ökonomischen Analysetechniken auf andere sozialwissenschaftliche Teilgebiete reicht keinesfalls aus. Neben den klassischen ökonomischen Sachverhalten - wie sie grundsätzlich im Angebot oder der Nachfrage von Medieninhalten zu sehen sind - sind es vor allem Fragen des öffentlichen und des Privatrechts, die zum Verständnis der Ordnungsbedingungen und ihrer Wirkungen grundlegend sind. Soziologische Erwägungen (vgl. Luhmann 1996; Marcinkowski 1993) spielen fur die Medienordnung ebenso eine Rolle wie demoskopische Einflußfaktoren (hierzu Noelle16

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Zu den Stärken der sog. experimentellen Wirtschaftsforschung siehe ausführlich Ockenfels (1999) und die dort angegebene Literatur. Zu einer sehr aufschlußreichen Analyse solcher nicht-linearer Phänomene siehe Gladwell (2000) und die dort erwähnten Beispiele.

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Neumann 1996) sowie historische Determinanten und daraus resultierende Pfadabhängigkeiten. Die Politiker, vor allem politische Unternehmer setzen Rahmenbedingungen, die das Verhalten der Anbieter von Mediendienstleistungen und der Nachfrager in bestimmte Bahnen lenken. Wie sich die Ordnungsbedingungen dabei konkret auswirken, ist eine Frage, auf die an späterer Stelle unter Verwendung systemtheoretischer Argumente und anhand von empirischen Beispielen noch eingegangen werden wird. Die Reaktion der Marktteilnehmer auf bestimmte ordnungspolitische Rahmenbedingungen ist letztlich immer auch ein empirischer Sachverhalt, der von der Medienwissenschaft und allgemeiner von der Verhaltensforschung untersucht wird. Damit wird ein Umstand deutlich, den von Hayek (1972, S. 17 f.) in seiner „Theorie komplexer Phänomene" bereits grundlegend behandelt hat: „Der Fortschritt der Wissenschaft wird sich so in zwei verschiedene Richtungen entwickeln müssen: Während es einerseits gewiß wünschenswert ist, unsere Theorien so falsifizierbar wie möglich zu machen, müssen wir andererseits in Gebiete Verstössen, in denen, wenn wir vordringen, der Grad der Falsifizierbarkeit notwendigerweise abnimmt (Hervorhebung D.W.). Das ist der Preis, den wir für ein Vordringen in das Gebiet der komplexen Phänomene zu zahlen haben." Offenkundig sind der Erkenntnisgegenstand „Medien" und dessen Auswirkungen auf den ökonomischen Prozeß in höchstem Maße komplex und vielschichtig (vgl. Wentzel 1998a). Es geht um die Erklärung, in welcher Weise Medien als Institutionen und meinungsbildende Faktoren im ökonomischen Prozeß und in der demokratischen Gesellschaft verhaltensbestimmend oder beeinflussend wirken. Dabei ist es, Hayek (1972) folgend, nur möglich, „Mustervorhersagen" zu gewinnen, mit denen die wirtschaftlichen Entwicklungen auch auf die Wirkung der Medien zurückgeführt werden können. Exakte, genau quantifizierbare Ergebnisse sind hingegen bei dem vorliegenden Forschungsgegenstand nur sehr begrenzt zu gewinnen - etwa durch die Auswertung von Sendezeiten und Programminhalten (siehe Kapitel 4 und 5). In der Komplexität der Fragestellungen und Ordnungsprobleme liegt zugleich auch die größte Schwierigkeit, mit der ein solches Forschungsprogramm konfrontiert ist. Schon der Problemaufriß erfordert das Bemühen, alle relevanten Faktoren als solche zu identifizieren, systematisch zu erfassen und zueinander in Beziehung zu setzen: Hierin liegt ein besonderer Reiz des Forschungsgegenstandes „Medien". Die Ordnung der Medien unterscheidet sich demnach grundlegend von den „einfachen Phänomenen" im Hayekschen Verständnis. Gleichwohl gibt es auch bei der Ordnung der Medien einzelne isolierte Fragestellungen, die mit neoklassisch orientierten formalen Modellen unter Verwendung der ceteris paribus-Annahme zweckmäßig bearbeitet werden können und zu prüfbaren Hypothesen fuhren. So sind erstens die sog. Programmwahlmodelle (Steiner 1952/1961; Beebe 1977; Noam 1987) aufschlußreich, um die Wirkung von Ordnungsbedingungen auf die Vielfalt der angebotenen Programme analysieren zu können. Allerdings liefern die Ergebnisse dieser modelltheoretischen Überlegungen ebenfalls „nur" Musteraussagen. Ob die Modelle auch leistungsfähig sind, um ganz konkret bestimmte Ordnungsformen, Programm- und Anbieterstrukturen in einem Land zu erklären und zu prognostizieren, wird noch zu prüfen sein (siehe Kapitel 4 und 5). Die Tendenzaussagen, die sich aus diesen Modellen ableiten lassen, sind dann an der Realität zu messen.

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Zweitens können anhand von wohlfahrtstheoretischen Modellen Überlegungen vorgenommen werden, wie sich ein Mehr oder Weniger an Programmangeboten auf den Gesamtnutzen der Bevölkerung auswirken würde (hierzu Spence und Owen 1977). Der Wert solcher Modelle liegt vor allem in ihrem heuristischen Potential. Gleichwohl ist zur wohlfahrtstheoretischen Methode kritisch zu vermerken, daß die qualitativen Ergebnisse solcher Modelle kaum zu wirklich prüfbaren Hypothesen im Popperschen Verständnis fuhren. So ist es beispielsweise nicht möglich, die Relevanz oder den Nutzen zu messen, den die Bevölkerung durch die Ausstrahlung einer einzelnen Fernsehsendung erfahrt (vgl. Schatz und Schulz 1992). Ganz besondere Vorsicht ist zudem angezeigt, wenn aus abstrakten neoklassischen Modellen mit sehr unrealistischen Annahmen konkrete wirtschaftspolitische Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. In den wohlfahrtstheoretischen Modellen wird ganz gezielt mit der ceteris paribus- Annahme gearbeitet, es wird also versucht, die isolierte Wirkung einzelner Faktoren bei Konstanz aller anderen Faktoren zu ermitteln. Eine wirtschaftspolitische Handlungsempfehlung, die solchen modelltheoretischen Überlegungen folgt, steht unmittelbar in der Gefahr, unterkomplex zu sein, also bewußt in Kauf zu nehmen, daß wichtige Einflußfaktoren vernachlässigt werden. Damit wäre eine solche Handlungsempfehlung letztlich wenig hilfreich. Gleichwohl darf diese Einschränkung nicht dahingehend mißverstanden werden, daß diese Modelle methodisch wertlos seien und grundsätzlich keinen Erkenntnisgewinn brächten. Wirtschaftstheoretische Modelle zeichnen sich nicht durch „Wahrheitsgehalt" aus (ausführlich B. Wentzel 1999), sondern sind daran zu messen, ob sie die Komplexität der Realität reduzieren können und einen leistungsfähigen Beitrag zur Klärung einer theoretischen Fragestellung liefern können. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß die voranstehenden Ordnungsprobleme am besten mit Hilfe einer breiter angelegten ordnungsökonomischen Methode analysiert werden können, die auch sehr gut geeignet ist, Erkenntnisse aus Nachbardisziplinen zu berücksichtigen. Es geht im Grundsatz um die Frage: Welche Ordnungsbedingungen sind geeignet, eine möglichst große Vielfalt verschiedener Meinungen und kultureller Erscheinungen und zugleich einen hohen qualitativen Standard der Rundfunkdarbietungen dauerhaft zu gewährleisten? Hoppmann (1995) hat grundsätzlich vorgeschlagen, Staat der herkömmlichen Unterscheidung von Ordnungstheorie und Ordnungspolitik von OrAmmgsökonomik zu sprechen. Dieser Vorschlag erscheint auch für die vorliegende Untersuchung zweckmäßig, weil mit einer (positiven) ordnungstheoretischen Analyse von formalen und informalen Institutionen immer auch die (normative) ordnungspolitische Handlungsempfehlung verbunden ist, wie eine als vorteilhaft eingeschätzte Institution in der Praxis umgesetzt werden kann. Theoretische Analyse und wirtschaftspolitische Anwendung und Beratung lassen sich jedenfalls nicht eindeutig trennen, so daß die Hoppmannsche Notation auch in der vorliegenden Arbeit zugrundegelegt wird. Neoklassische Argumente und Theoriebausteine werden dann berücksichtigt, wenn sie für die zugrundeliegende Fragestellung tragfahige Erklärungsbeitrage liefern können - etwa bei den Programmwahlmodellen. Der Systemzusammenhang und die Interdependenzen zwischen den einzelnen ordnenden Potenzen können jedoch insgesamt mit der ordnungsökonomischen Methode besser analysiert werden.

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2.2. Normativität, Wertfreiheitspostulat und Rundfunkökonomik Wirtschaftspolitische und medienökonomische Fragestellungen haben stets einen normativen Bezug. Wissenschaft soll aber nach Max Weber werturteilsfrei sein. Zwar kann an dieser Stelle nicht ausführlich diskutiert werden, ob das Webersche Postulat der Werturteilsfreiheit nur eine prinzipielle Orientierung für den Wissenschaftler darstellt gleichsam wie ein Ehrenkodex in der sozialwissenschaftlichen Forschung - oder aber als praktischer Leitfaden für Wissenschaft verwendet werden kann. Es genügt in diesem Zusammenhang, darauf hinzuweisen, daß es eine in jeder Hinsicht wertfreie Wissenschaft nicht gibt und auch nicht geben kann. Allein schon die Auswahl und Selektion einer Fragestellung durch einen Wissenschaftler erfordert eine subjektive Entscheidung, in der sich persönliche Vorlieben, Neigungen, Fähigkeiten und eben auch Werturteile widerspiegeln. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die Antwort auf die Frage, welche Medienordnung denn nun wünschenswert sei - eine vorwiegend öffentlichrechtliche nach deutschem Vorbild oder aber eine primär privatwirtschaftlich organisierte nach amerikanischem Muster - letztlich immer auch ein Werturteil enthält, welches nicht eindeutig und abschließend wissenschaftlich begründet werden kann. Die kulturellen und publizistischen Vorprägungen und Einstellungen des jeweiligen Landes tragen maßgeblich zu der letztendlich realisierten Ordnungsform bei. Der offenkundige Einfluß persönlicher und kollektiver Vorlieben und Werturteile kann und soll aber eine wissenschaftliche Analyse des Sachverhalts keineswegs ausschließen. Wissenschaft kann auch bei der vorliegenden Fragestellungen einen sinnvollen Beitrag zu „Aufklärung und Steuerung" {Albert 1976) leisten. Für eine ordnungsökonomische Analyse der elektronischen Medien und einen zweckmäßigen Umgang mit dem Webersciicn Werturteilspostulat erscheint es in diesem Zusammenhang zweckmäßig, die beispielsweise von Vanberg (1997) in Anlehnung an Hans Albert vorgeschlagene Konstruktion hypothetischer Imperative zu verwenden. Diese liegen in der Form vor: „ Wenn X wünschenswert ist, dann ist Y der richtige Weg, um X zu erreichen." Auf die vorliegende Fragestellung bezogen, könnte dies umformuliert werden: Wenn X (eine gewünschte Rundfunkordnung, die zu bestimmten qualitativen Ergebnissen bei der Versorgung mit bestimmten Programmformaten und Inhalten führt) wünschenswert ist, dann ist Y (bestimmte ökonomische und rechtliche Ordnungsdingungen) der richtige Weg, um X zu erreichen. Mit Y sind dann bestimmte Nutzen verbunden, denen jedoch gleichzeitig nachweisbare Kosten gegenüberstehen. Eine solche Vorgehensweise ermöglicht eine Interpretation der medienökonomischen Fragestellung im Sinne einer angewandten Ordnungsökonomik. Sie kann damit die gerade im Zusammenhang mit dem Rundfunk häufig stark emotionalen und von persönlichen Präferenzen bestimmten Diskussionen über die Qualität von Programmen (beispielhaft siehe von Sternburg 1995) vermeiden. Eine ordnungsökonomische Analyse des Rundfunks geht dann - wie bereits angedeutet - über die Formulierung von Werturteilen hinaus, weil sie im Popperschen Verständnis Tatsachenbehauptungen liefert, die zumindest grundsätzlich empirisch prüfbar sind. Mit Hilfe des oben beschriebenen hypothetischen Imperativs kann der werturteilgeladene „Wenn-Teil" (X) einer Analyse von der „Dann-Aussage" (Y) getrennt werden. Eine solche systematische Zerlegung in

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einen Wenn-Teil und einen Dann-Teil ermöglicht es etwa, die verschiedenen Hypothesen über die Leistungsfähigkeit verschiedener Rundfunkordnungen auf ihre theoretische und empirische Relevanz hin zu prüfen, ohne daß man sogleich in die stark politisierte Diskussion um die Leistungsfähigkeit verschiedener Rundfunkmodelle einsteigen müßte. Freilich stellt sich bei der empirischen Überprüfung der Hypothesen die Frage des objektiven Vergleichsmaßstabs. Ein Verweis auf ein hypothetisches Idealmodell bleibt theoretisch unbefriedigend, denn es ist ja gerade das Charakteristikum eines wettbewerblichen Suchprozesses, wie dies die Veranstaltung von Rundfunk zweifelsohne darstellt, daß die Ergebnisse ex ante unbekannt sind. Aus diesem Grund spricht manches dafür, daß eine vergleichende Perspektive, in der zwei Länder systematisch gebenübergestellt werden, vermutlich besser zur Überprüfung der Hypothesen geeignet ist. Ein wichtiges Kriterium, um die Qualität einer Ordnung prüfen zu können, ist in der Frage verankert, ob die in dieser Ordnung lebenden Menschen diesem Regelwerk denn auch zustimmen würden. Das Prinzip der Regelgerechtigkeit wird also mit dem Zustimmungstest verknüpft. Vanberg (1997) hat hierzu den methodisch interessanten Versuch unternommen, das auf Buchanans konstitutionelle Ökonomik zurückgehende Prinzip der freiwilligen Zustimmung mit dem klassischen Forschungsprogramm der Ordnungstheorie Euckenscher Prägung zu verbinden. Eine positive Analyse einer wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Teilordnung und die Erkenntnis der Wirklichkeit lassen sich Vanberg zufolge kombinieren mit der Frage der Gestaltung einer wünschenswerten Ordnung. Normatives Kriterium wäre hierbei der freiwillige Tausch: In dieser Sichtweise ist das wünschenswert, was auf freiwilligem Tausch beruht und aus freiwilliger Zustimmung der Beteiligten entstanden ist. Der Vanbergsche Ansatz ist somit ein „konsensorientierter Ansatz konstitutioneller Ökonomik". Für die postkonstitutionelle Ebene sind in diesem Zusammenhang Verfahren und Regeln zu entwickeln, um Konflikte des täglichen Miteinanders lösen zu können. Eine solche Vorgehensweise erlaubt es, verschiedene Elemente einer Medienordnung in einer Weise zu diskutieren, die die Frage „Wäre eine solche Ordnung fur alle Beteiligten prinzipiell zustimmungsfahig?" in den Vordergrund stellt und damit unabhängig von den jeweiligen Präferenzen über spezifische Programminhalte ist. Zumindest theoretisch lassen sich damit konsensfahige konstitutionelle Interessen herausarbeiten, deren konkrete materielle und publizistische Resultate jedoch hinter dem Rawlsschen „Schleier des Nichtwissens" (1999) verborgen liegen. Die konstitutionellen Rahmenbedingungen, also die allgemeinen Regeln des Rundfunks werden dem Zustimmungstest unterzogen, nicht jedoch die tatsächlichen Programme, über deren Qualität sich dann wieder trefflich streiten ließe. Für die medienökonomische Problemstellung wäre hier erstens auf den bereits diskutierten Negativkatalog von unverwünschten Verhaltensweisen der Rundfunkanbieter sowie auf die Einhaltung von ethischen und beruflichen Qualitätsstandards zu verweisen. Zweitens wäre auf die Verwendung des Wettbewerbs als Entdeckungs- und Entmachtungsverfahren hinzuweisen, der im grundsätzlichen konstitutionellen Interesse aller Rundfunkteilnehmer liegen dürfte. Gegen den Buchananschen Zustimmungstest ist kritisch einzuwenden, daß es keineswegs sicher ist, daß die Beteiligten auch tatsächlich eine einheitliche Lösung finden,

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die für alle von Vorteil wäre und die den Einstimmigkeitstest auch bestehen könnte. Es ist durchaus denkbar, daß verschiedene Lösungsoptionen als gleichrangig eingeschätzt werden. Und ebenso ist festzuhalten, daß der Einstimmigkeitstest eine theoretische Fiktion ist ebenso wie der Rawlssche „Schleier des Nichtwissens", der über den Entscheidungen liegt: Keinesfalls eignet sich eine solche Regel als praktisches institutionelles Arrangement, wie historische Erfahrungen eindeutig belegen. Die Problematik, daß keine einstimmigen Lösungen Zustandekommen, kann auf der postkonstitutionellen Ebene ebenso auftreten wie auf der präkonstitutionellen. Die Entstehung eines komplexen Regelwerks unterliegt bekanntlich dem Problem des Gefangenendilemmas (hierzu Leipold 1997a; Wentzel 2000b). Einzelne „Spielteilnehmer" können kurzfristige Sondervorteile erlangen, wenn sie die Kooperationsregeln verletzen, während sich gleichzeitig alle anderen Spielteilnehmer regeltreu verhalten. In der Sprache der Spieltheorie spricht man von einem „defektiven AfasA-Gleichgewicht", also einem Spielergebnis, in dem es gleichzeitig zur individuellen und zur kollektiven Schädigung aller Beteiligten kommt, und zwar in einer Situation, in der es offenkundig eine für alle vorteilhaftere Pareto-superiore Kooperationslösung gäbe. Der Buchanansche Optimismus, daß sich gemeinsame konstitutionelle Interessen finden lassen, die einstimmig zustimmungsfahig wären, wird hierdurch relativiert. Das Gefangenendilemma, das neuerdings häufig in der Ordnungsökonomik diskutiert wird, verdeutlicht, daß eine funktionsfähige Ordnung häufig auf eine glaubwürdige und durchsetzungsfahige Sanktionsgewalt angewiesen ist, die dem Rechtsstaat Geltung verschaffen kann (siehe schon Hensel 1977, S. 47 ff.). Die präventive Wirkung einer Sanktionsandrohung steht und fällt mit deren Glaubwürdigkeit und Durchsetzbarkeit. Gerade die empirische Betrachtung der amerikanischen Rundfunkordnung und die Rolle der Federal Communications Commission (FCC) werden noch verdeutlichen, wie grundlegend dieser Sachverhalt auch für medienökonomische Fragestellungen ist. Schneider (1997, S. 82) formuliert diesen Sachverhalt eindeutig: „Eine Ordnung ohne Hüter ist nichts wert." Wer Ordnung haben will - welche, ist dann eine zweite Frage - , braucht Instanzen, die sie kontrollieren und durchsetzen können. Im Zusammenhang mit der Sanktionsfähigkeit von Institutionen erscheint es zweckmäßig, die von Leipold (1997b) eingeführte Unterscheidung zwischen selbstbindenden und bindungsbedürftigen Institutionen zu beachten und für die vorliegende Fragestellung nutzbar zu machen. Selbstbindende Institutionen werden bekanntlich in der Spieltheorie durch sog. „Koordinationsspiele" gekennzeichnet. Ein Beispiel hierfür wäre etwa die Abstimmung der Bürger für Links- oder Rechtsverkehr. Die starke Vorliebe der Menschen für eine einheitliche - weil gefahrenreduzierende - Lösung dominiert die nachgelagerten schwächeren Präferenzen für Links- oder Rechtsverkehr. Es ist davon auszugehen, daß sich die Individuen im wohlverstandenen Eigeninteresse freiwillig auf eine gemeinsame Lösung einigen werden, die dann auch den Buchananschen Abstimmungstest bestehen könnte. Bestimmte Interessenkonstellationen sind also durch eine Art von „natürlicher Harmonie" gekennzeichnet, so daß sich die Spieler ohne Anleitung von außen - konkret ohne die Androhung von staatlichem Zwang - auf ein gutes Ergebnis einigen und freiwillig binden. Selbstbindende Institutionen entsprechen damit der idealen Vorstellung, wie sie beispielsweise in dem „Theorem der unsichtbaren

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Hand" von Adam Smith zum Ausdruck kommt. Bezogen auf den Rundfunkmarkt, dürften solche Interessenharmonien noch am ehesten im Bereich der nicht-rivalisierenden technischen Standards anzutreffen sein, weil alle Programmanbieter gemeinsam das Interesse haben, ein möglichst großes Publikum auf der Basis einer technisch störungsfreien Plattform erreichen zu können. Allerdings wäre es zu optimistisch und wenig realitätsnah, eine solche Interessenharmonie für sämtliche Marktkonstellationen zu unterstellen; dies wird durch die sog. überwachungsbedürftigen Institutionen deutlich. Diese werden in der Spieltheorie - wie bereits erwähnt - in erster Linie durch das Gefangenendilemmaspiel abgebildet (hierzu Wentzel 2000b). Bei einmaligem Spiel kommt es grundsätzlich nicht zu einer kooperativen Lösung; die defektive Lösung ist ein stabiles .MasA-Gleichgewicht. Bei mehrmaligem wiederholten Spiel - wie etwa in der bekannten Computersimulation von Axelrod (1984) empirisch getestet - ist die Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit prinzipiell möglich, gleichwohl an bestimmte Voraussetzungen geknüpft und ebenfalls keinesfalls selbstverständlich. Bindungsbedürftige Interessenkonstellationen sind also durch ein unauflösbares Konfliktpotential charakterisiert, daß zumindest teilweise zur gegenseitigen Blockade der Spielteilnehmer führen kann. In dieser Situation mag es von Vorteil sein, auf eine neutrale durchsetzungsfahige Regelungsinstanz als Schiedsrichter zurückgreifen zu können, der die Spielteilnehmer entweder vor einem Dilemma bewahrt oder aus einem Dilemma befreit und zu kooperativem Verhalten im Verständnis einer gegenseitigen Regelbefolgung anhält. Eine bindungsbedürftige Institution ist typischerweise der Wettbewerb, der immer in der Gefahr steht, durch Monopolisierungstendenzen besonders starker Marktteilnehmer und Kartellabsprachen ausgeschaltet zu werden: Wettbewerb setzt Marktfreiheit voraus. Marktfreiheit jedoch ist ein öffentliches Gut, bei dem die Gefahr besteht, daß die Marktteilnehmer nur eine begrenzte Bereitschaft zu dessen Erstellung und Sicherung aufbringen werden. Die Nachfrage nach Marktfreiheit von selten der Verbraucher, die in besonderer Weise von den Vorteilen einer wettbewerblichen Ordnung profitieren, ist strukturell größer als das Freiheitsangebot durch die Anbieter, die den Wettbewerb ganz konkret in der Person des Konkurrenten - nicht selten als Bedrohung und als Einschränkung der eigenen Aktionsparameter empfinden. Diese Tendenz zur Wettbewerbsbeschränkung gilt gerade auch für die Medienordnung, die aufgrund verschiedener Marktspezifika in besonderer Weise zur Konzentration neigt. Dies wird an späterer Stelle noch ausführlich diskutiert werden. Der Wettbewerb ist im ordnungsökonomischen Verständnis eine staatliche Veranstaltung: Wie Euchen (1952/90 S. 43) dies anschaulich formuliert: „Laissez-faire und Wettbewerb sind nicht im mindesten identisch." Gerade auch in der Medienordnung kann die Gefahr bestehen, daß einzelne Marktteilnehmer sich Vorteile gegenüber den Mitspielern verschaffen, indem sie wettbewerbssichernde Regeln blockieren oder verletzen. Wenn sich beispielsweise die Marktteilnehmer freiwillig darauf einigen, bestimmte qualitativ minderwertige Sendeformate im Sinne des diskutierten Negativkatalogs einzustellen, in denen in bedenklicher Weise gegen journalistischen Anstand und Professionalitätsstandards verstoßen wird (viertes Ordnungsproblem), so wäre ein Vorteil fur alle Beteiligten erreicht, weil sich insgesamt die Akzeptanz der Medienordnung

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- quasi als eine spezifische Art von Vertrauensgut - sowohl beim Rezipienten als auch bei den Nachfragern nach Werbezeiten erhöht. Es besteht dann jedoch für einen einzelnen regeluntreuen Rundfunkanbieter der Anreiz, durch gezielte Regelverletzung zumindest kurzfristig einen sehr hohen Marktanteil zu erzielen. Diesen Gefahren möglichst frühzeitig entgegenzutreten ist Aufgabe der Medienordnungspolitik, die durch eindeutige Regelsetzung und eine durchsetzungsfahige Sanktionsgewalt eine glaubwürdige Ordnung für die Marktteilnehmer bereitstellt. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß auch fiir Ökonomen ein methodischer Zugang zur Analyse der Medienordnung und für den Umgang mit Normativität und Werturteilen besteht. Statt eines verengten neoklassischen Ansatzes wird hier eine weiter angelegte ordnungsökonomische Forschungsstrategie verfolgt. Ferner erscheint die Verwendung von hypothetischen Imperativen durchaus als zweckmäßige Vorgehensweise, um die Werturteilsproblematik im Weberschen Verständnis einzudämmen. Auch der Buchanansche Ansatz konstitutioneller Ökonomik wird als hilfreich angesehen, um verschiedene Ordnungsentwürfe sachbezogen zu diskutieren. Wegen der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes werden auch Erkenntnisse aus anderen sozial-, rechtsund medienwissenschaftlichen Disziplinen berücksichtigt. Das Ziel auch der medienökonomischen Forschung ist in Anwendung und Übertragung der Sichtweise von Hans Albert (1976) „Aufklärung und Steuerung". Die ordnungsökonomische Analyse des Rundfunks und die daraus abgeleiteten Handlungsorientierungen werden daran zu messen sein, ob erstens prüfbare Hypothesen und Theorien mit hohem Erklärungsgehalt entwickelt und zweitens Ordnungsentwürfe vorgelegt werden, die sich als leistungsfähig erweisen. 2.3. Zur Interdependenz von Medienordnung und Wirtschaftsordnung „The Thesis ... is that the press always takes on the form and coloration of the social and political structures within it operates". Siebert, Peterson, Schramm (1976, S. 1) 2.3.1. Die Begriffe Ordnung und Gemeinwohl in Rundfunk und Wirtschaft Der Begriff der Ordnung im Verständnis von Walter Eucken (1952/90, S. 372 f.) umfaßt zwei Aspekte. Bei der Wirtschaftsordnung geht es erstens um die „Gesamtheit der realisierten Formen, in denen in concreto jeweils der alltägliche Wirtschaftsprozeß abläuft". Die Untersuchung dieses Ordnungsaspektes liefert empirische Tatsachen und ist die Voraussetzung für Ordnungspolitik. Die Beobachtung muß dabei jedoch - wie Eucken (1954) in dem methodologischen Kapitel seiner kapitaltheoretischen Untersuchungen zu Recht betont - theoriegeleitet und anhand systematisch nachvollziehbarer Kriterien vorgehen, damit die methodischen Schwächen der historischen Schule, die in einer theorielosen Anhäufung von Fakten gesehen werden, vermieden werden können. Neben dieser empirischen Auslegung umfaßt der Begriff der Ordnung jedoch auch noch einen zweiten Aspekt, nämlich den des ORDO. In diesem Verständnis ist Ordnung der Bezugsrahmen für menschliches Zusammenleben, das „dem Wesen des Menschen und der Sache entspricht" und in dem „Maß und Gleichgewicht" (Eucken) bestehen.

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ORDO bedeutet in diesem Verständnis die „sinnvolle Zusammenfügung des Mannigfaltigen zu einem Ganzen". Mit diesem Sachverhalt ist - zunächst noch sehr abstrakt der Gedanke der Interdependenz der Teilordnungen angesprochen, bei dem es also darum geht, Mannigfaltiges zu einer funktionsfähigen politischen und wirtschaftlichen Gesamtordnung zusammenzufügen. Diese Ausgangsfragestellung einer jeden ordnungsökonomischen Untersuchung kann unmittelbar auf die Ordnung der Medien angewendet werden. Funktional ausdifferenzierte Medien- und Rundfunkordnungen stehen nicht außerhalb der Gesellschaft, sondern sind mit dieser aufs engste verknüpft und integraler Bestandteil. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Teilordnungen sind im Euckenschen Verständnis durch ein dichtes Geflecht wechselseitiger Beziehungen charakterisiert (sog. Interdependenzthese). Dabei ist festzuhalten, daß die Ordnungsfrage im Verständnis des ORDO zwar fìir jede einzelne Teilordnung einzeln beantwortet werden muß, jedoch immer auch im Hinblick auf die gesamtwirtschaftlichen Ordnungsbezüge. Die Entscheidung fur eine marktwirtschaftliche Ordnung erfordert im Grundsatz eine ordnungspolitische Gesamtentscheidung - mit weitreichenden Konsequenzen auch für den Rundfunk und die neuen Medien. Es ist bemerkenswert, wie sehr sich Auffassungen in der Wissenschaft und in der Politik über die Leistungsfähigkeit verschiedener gesellschaftlicher Koordinationsmechanismen auch in den Debatten über die Ordnung des Rundfunks und der Presse widerspiegeln.18 Wer eine marktliche Wirtschaftsordnung will, befürwortet in der Regel einen freien, auf privater unternehmerischer Initiative beruhenden Wettbewerb auch im Mediensektor. Der anreizkompatiblen Steuerung der Verbraucher und Anbieter über Märkte und Preise wird eine hohe Leistungsfähigkeit attestiert. So sehen Mestmäcker (1986), Hoppmann (1988), Möschel (1991) oder Bremer (1995) in einem großen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zunächst einen Fremdkörper im Rahmen einer freiheitlichen Marktwirtschaft, der der spezifischen Begründung bedarf. In der Literatur wird diese Auffassung als „liberale Fremdkörperthese" diskutiert (vgl. etwa Gundlach 1998, S. 116 f.). Wissenschaftler anderer Disziplinen, besonders aber Vertreter der Politik und der Interessensverbände, mißtrauen dem Wettbewerb als dem entscheidenden Ordnungsprinzip auf Märkten - und erst recht im „gesellschaftlich sensiblen" Rundfunk, der kein reines Wirtschaftsgut sei, sondern in erster Linie ein „schützenswertes Kulturgut" besonderer Art. Die Vertreter dieser Auffassung sehen in der öffentlichen Wirtschaft grundsätzlich eine notwendige Ergänzung und Verbesserung einer marktwirtschaftlichen Ordnung. Ebenso wie es beispielsweise öffentlich-rechtliche Kreditinstitute gäbe (etwa die Sparkassen), die neben ihrer ökonomischen Tätigkeit auch spezifische Aufgaben für das Gemeinwohl19 und außerhalb einer engen betriebswirtschaftlichen Kalkulation wahr18

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Zur Wertgeladenheit der medienökonomischen Debatte siehe beispielsweise den von von Sternburg (1995) herausgegebenen Sammelband, die Protokolle der för^er-Stiftung (1996) oder aber die verschiedenen Beiträge in dem von Mast (1996) herausgegebenen Buch. Eine ausführliche Diskussion des Begriffs des Gemeinwohl und der Schwierigkeiten, diesen Begriff für eine ordnungsökonomische und wirtschaftsethische Diskussion operationalisierbar zu machen, findet sich bei Wentzel und Wentzel (1998, S. 53-69).

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nähmen, müsse der öffentlich-rechtliche Rundfunk ein Gegengewicht gegen privaten „kommerziellen" Rundfunk bilden und damit dem Gemeinwohl dienen (vgl. Stolte 1994). Trotz der Unscharfe des Begriffs und der offensichtlichen Gefahr der parteipolitischen Instrumentalisierung bleibt festzuhalten, daß eine Gemeinwohlorientierung sowohl für die allgemeine ordnungsökonomische Diskussion als auch bei medienökonomischen Fragen von großer Bedeutung ist. Selbst im marktwirtschaftlichen Prototyp des Rundfunks, in den Vereinigten Staaten, ist der Anspruch einer Gemeinwohlorientierung („Public Convenience and Necessity") Ausgangspunkt der gesamten medienrelevanten Rechtsprechung. Der Begriff des Gemeinwohls hat Ähnlichkeit mit einigen unbestimmten Rechtsnormen in der Rechtswissenschaft (siehe Wentzel und Wentzel 1998, S. 54 f.). Auch diese sind im spezifischen Kontext durch die Menschen und durch die Rechtsprechung zu interpretieren. Die schützenswerte „Würde des Menschen" (Art. 1, GG) oder die „guten Sitten" im Wettbewerbsrecht (Generalklausel UWG, §1) sind ebenfalls nicht eindeutig bestimmbar, gleichwohl als Orientierung für Individuen sowie für Judikative und Legislative unverzichtbar. Die Verwendung einer situationsunabhängigen und präzisen Terminologie wäre dort, wo diese unbestimmten Begriffe benutzt werden, zumeist auch gar nicht möglich. Ähnliches gilt für den Gemeinwohlbegriff. Als eine zentrale Orientierung ist er für die Medienordnungspolitik trotz seiner inhaltlichen Unscharfe wichtig, wenngleich er auch Gefahren in sich birgt. Denn die Unmöglichkeit einer exakten Begriffsdeutung kann dazu führen, daß im politischen Prozeß eine persönliche Interpretation und Neigung mit dem Mantel der wissenschaftlichen Objektivität umhüllt wird. Gleichwohl ist es bei der Verwendung des Gemeinwohlbegriffs zweckmäßig und angeraten, auf kollektivistische Gemeinwohlvorstellungen und Patemalismus zu verzichten. Dies hat mehrere Gründe (siehe Wentzel und Wentzel 1998, S. 55-61). Erstens ist darauf hinzuweisen, daß es rein logisch nicht möglich ist, eine exakte Deutung des Gemeinwohls vorzunehmen und hieraus eine soziale Wohlfahrtsfunktion zu entwickeln, die dann durch die Regierung gleichsam als ausführendes Organ maximiert werden könnte. Vor allem die Ausführungen und Diskussionen im Zusammenhang mit dem sog. „Unmöglichkeitstheorem" (Arrow-Paindoxon) zeigen, daß eine solche Wohlfahrtsfunktion nicht existiert. Zweitens ist daran zu erinnern, daß kollektivistische Gemeinwohlvorstellungen immer mit dem Konstrukt des „wohlmeinenden Diktators" arbeiten müssen. Dieser wohlmeinende Diktator handelt uneigennützig und kann die übergeordneten Interessen aller Bürger problemlos durchsetzen. Eine solche Vorstellung negiert aber vollständig die Schwierigkeiten der realen Umsetzung solcher Reformen im politischen Prozeß ebenso wie die Eigeninteressen des wohlmeinenden Diktators. Brennan und Buchanan (1993, S. 48 f.) kritisieren eine solche Vorgehensweise als völlig untauglich für eine theoretische Sozialwissenschaft, und sie bezweifeln nachdrücklich den Nutzen von Politikempfehlungen, die mittels dieser Methode hergeleitet worden sind. Drittens ist gegen eine kollektivistische Deutung des Gemeinwohls kritisch einzuwenden, daß gerade Interessengruppen und Verbände diesen Begriff immer wieder verwenden, um im politischen Prozeß spezifische Partikularinteressen zu Lasten schlechter organisierbarer Gruppen durchzusetzen (Prozeß des sog. „rent seeking"). Der Begriff des Gemeinwohls steht dann in der Gefahr, ausgenutzt und instrumentalisiert zu werden

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und damit zu einem „Wiesel-Wort" (von Hayek) zu degenerieren, daß letztlich vollkommen inhaltsleer ist. Gerade auch im Rundfunk sind kollektivistische Deutungen des Gemeinwohls in Deutschland und in allen europäischen Staaten anzutreffen (vgl. Noam 1991). Dies ist erstens der Fall, wenn der öffentlich-rechtliche Rundfunk a priori zum alleinigen Hüter des Gemeinwohls ernannt wird und hieraus weitreichende personelle Beschäftigungsgarantien und institutionelle Finanzierungszusagen abgeleitet werden. Mit einer solchen Gemeinwohldeutung verbunden sind regelmäßig Marktzutrittsschranken fur private Wettbewerber oder für ausländische Anbieter. Dies ist zweitens der Fall, wenn bestimmte Inhalte a priori als normativ wünschenswerte Programme definiert werden und der Wettbewerb als Such- und Entdeckungsverfahren eingeschränkt wird. Eine solche Gemeinwohldeutung über bestimmte Programminhalte kann leicht in die Nähe der Zensur gelangen. Um diese Konsequenzen auszuschließen, wird einem individualistischen Gemeinwohlverständnis der Vorzug gegeben. Bei dieser Vorgehensweise, die in der Tradition von Adam Smith (1776/1990) steht, geht es darum, von individuellen Freiheitsrechten und unternehmerischen Gestaltungsspielräumen auszugehen. Das übergeordnete Gemeinwohl leitet sich in dieser Sichtweise letztlich aus individuellen Handlungen einzelner Menschen ab. Staatliche Ordnungspolitik dient vor allem der Sicherung der Rahmenbedingungen und dem Schutz vor solchen Verhaltensweisen, die der Funktionsfähigkeit der Gesamtordnung Schaden zufügen könnten. Damit kommt wiederum der bereits angesprochene konsensfähige Negativkatalog unerlaubter Handlungen ins Spiel, der die Handlungspotentiale der Menschen begrenzt. Eine konkrete inhaltliche Beschreibung von zukünftig wünschenswerten Inhalten ist mit einem individualistischen Gemeinwohl Verständnis darüber hinaus jedoch nur sehr schwer zu vereinbaren. Auch in der Diskussion über die Marktstruktur und Wettbewerbsdimensionen spielen der Gemeinwohlbegriff und das Verständnis der Wirkungsweise der Gemeinwirtschaft eine zentrale Rolle. Gundlach (1998) geht beispielsweise in seiner Arbeit von der Annahme aus: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wirkt schon durch seine bloße Existenz für die gesamte Rundfunkordnung qualitätsverbessernd, weil er im publizistischen Wettbewerb Maßstäbe setzt und damit die „Tendenz zur permanenten Qualitätsverschlechterung" {Kiefer 1996) begrenzt, die durch den ökonomischen Wettbewerb unausweichlich besteht. Dies entspricht im Kern der bekannten „Gegengiftthese", wie sie von Befürwortern öffentlicher („gemeinwirtschaftlicher") Unternehmen vorgetragen wird. Ob eine solche Hypothese dauerhaft tragfahig ist, wird empirisch daran zu prüfen sein, inwieweit der öffentlich-rechtliche Rundfunk zur Lösung der eingangs skizzierten Ordnungsprobleme beitragen und den Qualitätsstandards des Negativkatalogs entsprechen kann und ob er darüber hinaus als „kreativer Rundfunkanbieter" zu neuen und innovativen Programmangeboten fähig sein wird. Grundsätzlich bleibt festzuhalten: Es besteht auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Beweislast, ob er die Stabilität der Gesamtordnung insgesamt erhöht.

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2.3.2. Interdependenzen zwischen Medien, Wirtschaft und Politik Um die Interdependenz von Medien- und Wirtschaftsordnung systematisch zu erfassen, bedarf es zunächst eines theoretischen Bezugsrahmens. Es erscheint zweckmäßig, hierbei zunächst die Informations- und Kommunikationsbeziehungen zwischen den einzelnen Teilordnungen und Sektoren in den Vordergrund zu stellen. Die elektronischen Medien liefern zahlreiche „Übersetzungsleistungen" zwischen Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur (vgl. Wentzel 1998a) und ermöglichen Kommunikation zwischen den gesellschaftlichen Subsystemen. In einem Dreisektoren-Modell können grundsätzliche Wirkungsrichtungen des Mediensektors und Interdependenzen zu angrenzenden Ordnungsbereichen festgestellt werden. Der Vorteil einer solchen Darstellung liegt nach Jenöffy-Lochau (1997, S. 27 f.) darin, daß die beiden Fragestellungen, wie Medieninhalte entstehen und wie diese auf die Menschen wirken, voneinander getrennt werden können. Hierdurch wird die Untersuchung sachbezogener; die ordnungsökonomische Analyse kann unabhängig davon durchgeführt werden, ob der Mediensektor und die darin produzierten Inhalte insgesamt positiv oder negativ eingeschätzt werden.

Abbildung 1: Mediensektor in einem Drei-Sektoren-Modell

Quelle: Jenöffy-Lochau 1997, S. 27.

Der erste Pfeil (I) stellt die Einwirkungsmöglichkeit des Staates auf die volkswirtschaftliche Entwicklung dar. Hier wäre zunächst die allgemeine Ordnungspolitik im Verständnis einer „Wirtschaftsverfassung des Wettbewerbs" (Eucken) zu nennen, die durch ein ganzes Bündel von institutionellen Rahmenbedingungen Anreize vermittelt, die bestimmte wirtschaftliche Aktivitäten der Menschen hervorrufen. Ebenfalls ist die aktive Wirtschaftsprozeßpolitik hervorzuheben, etwa mit den Bereichen Geld-, Fiskal-, Konjunktur- und Wachstumspolitik, die zur Beeinflussung des wirtschaftlichen Geschehens im Hinblick auf bestimmte makroökonomische Ziele eingesetzt werden - etwa bezüglich der Stabilisierung des Geldwertes oder der Erhöhung der Beschäftigung. Gemäß Zusammenhang II beeinflußt die wirtschaftliche Entwicklung das Ansehen der Politiker und damit die Wahlentscheidungen der Bevölkerung (vgl. grundsätzlich Downs 1968; Noelle-Neumann 1996). Amerikanische Wahlkampfstrategen, die sog.

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„spin masters" oder auch „spin doctors", haben die besondere Bedeutung der wirtschaftlichen Entwicklung für die Wahlentscheidung herausgestellt und hierfür die markante Formulierung geprägt: „You can't beat the boom." Es ist in der Realität kaum möglich, einen Präsidenten, der einen Wirtschaftsaufschwung herbeigeführt hat oder der vielleicht auch nur zufallig das Glück hatte, während eines konjunkturellen Aufschwungs im Amt zu sein, zu besiegen. 20 Ebenso kann ein Präsident mit einem „guten" Programm im Wahlkampf hoffnungslos verlieren, wenn er zufällig und ohne eigenes Verschulden in eine weltwirtschaftliche Rezession gerät oder wenn wirtschaftliche Fragen durch politische oder militärische Herausforderungen (vorübergehend) nachrangig eingeschätzt werden. Diese beiden Wechselwirkungen zwischen Wirtschaft und Politik sind in der Ordnungstheorie und in der Public Choice-Theorie in vielfältiger Weise dokumentiert und empirisch überprüft. Die weiteren Effekte beziehen nun den Mediensektor als Signalgeber und -Verstärker mit in die Analyse ein (vgl. Jenöffy-Lochau 1997, S. 28). Effekt III betont den Medieneinfluß auf das politische System in zweierlei Hinsicht: Erstens werden die Politiker Signale der Medien wahrnehmen und diese bei ihren eigenen Entscheidungen berücksichtigen. Bestimmte Themen werden durch eine Sequenz von Beiträgen und häufige Wiederholung ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gebracht; sie werden dadurch verhandlungsfahig gemacht (vgl. Noelle-Neumann 1996, S. 219 ff.). Journalisten haben das wichtige Privileg, neuen Themen Öffentlichkeit zu verleihen - oder andere Themen gezielt zu verschweigen: Durch die sog. "Gate-keeper-Funktion" der Journalisten entwickeln sich die Medien nicht selten zum politischen „agenda setter" 21 , bestimmen also die Tagesordnung der politischen Gremien. Zweitens werden über die Medien im politischen Raum Personalentscheidungen vorgeprägt. Es ist ein Charakteristikum moderner (Medien-)Demokratien, daß das äußere Erscheinungsbild von Bewerbern um ein politisches Amt und deren Medienwirksamkeit maßgeblichen Einfluß hat auf die Erfolgsaussichten bei der Wahl. Die Personalisierung der Politik - etwa im deutschen Bundestagswahlkampf von 1998 reduziert auf die Alternative Kohl (CDU) versus Schröder (SPD) - ist letztlich eine Reaktion auf den zunehmenden Einfluß der Medien auf das politische Geschehen; in diesem Zusammenhang wird in der Literatur von der „Mediatisierung der Politik" oder auch von der „Fernsehdemokratie" gesprochen. In den Vereinigten Staaten wird den sog. „Femsehduellen" der Präsidentschaftskandidaten schon seit langem wahlentscheidende Bedeutung beigemessen. Die Debatten im Wahlkampf 2000 zwischen Al Gore und George W. Bush etwa hatten Einschaltquoten, die sonst nur bei spektakulären Sportereignissen erreichbar sind. Diese Entwicklung zur Fernsehdemokratie kann aber, wie es im „Bericht 20

An dieser Stelle sei beispielsweise auf die Clinton-Lewinski-Affäre hingewiesen. Nach allen Meinungsumfragen in den Vereinigten Staaten hat vor allem die hervorragende Wirtschaftslage Bill Clinton die Rückendeckung in der Bevölkerung gegeben, die notwendig war, um das Amtsenthebungsverfahren zu überstehen. Im Gegensatz dazu ist der nach dem Golfkrieg (1990/91) zunächst außerordentlich populäre Präsident George Bush bei seinem Bemühen um eine zweite Amtszeit vor allem deshalb gescheitert, weil die Bevölkerung zunehmend Kritik an der Entwicklung der Wirtschaft übte.

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Aus der Public Choice-Theorie ist bekannt, daß der agenda setter entscheidenden Einfluß auf das Abstimmungsergebnis ausübt.

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zur Lage des Fernsehens" (Hamm 1995, S. 80) heißt, auch zu „ritualisierter Politikdarstellung" und zur Reduktion von Politik auf reine Symbole fuhren (hierzu auch Wentzel 1998a). Der nächste Sachverhalt (IV) deutet vom Mediensektor auf das Wirtschaftssystem hin. Das Fernsehen kann das Konsumklima nachhaltig beeinflussen. Durch bestimmte negative Nachrichten können kurzfristig Hamsterkäufe oder Panikreaktionen vielfaltiger Art ausgelöst werden; durch positive Nachrichten hingegen können euphorische Stimmungen ausgelöst werden. An den internationalen Finanzmärkten und Börsen reicht oftmals schon ein kleines Gerücht aus, um einen „Herdentrieb" (sog. „herding") auszulösen (vgl. Thaler 1991) und Überreaktionen herbeizuführen, die nicht durch die wirtschaftlichen Gegebenheiten gerechtfertigt sind. Dieser Effekt ist zwar nicht grundsätzlich neu: In allen Zeiten hat es Gerüchte gegeben, die sich dann irgendwie verbreitet haben. Mit den elektronischen Medien und der fortschreitenden internationalen Vernetzung hat sich dieser Effekt jedoch um ein Vielfaches verstärkt (ausführlich siehe Gladwell 2000). Auch das Investitionsklima wird durch die Medien mitgeprägt. Die Berichterstattung in den Medien kann dabei, ausgehend von einzelnen Fakten und Informationen, zu „Verstärkungseffekten" führen (vgl. Wentzel 1998a). Diese sind vor allem dort zu erwarten, wo die Produkte auf international offenen Märkten gehandelt werden. Dies gilt aber auch für die internationale Bewertung nationaler Wirtschaftspolitik: Wenn ein Land sich für Investoren als vielversprechend darstellt und über dieses Land sehr positiv in den internationalen Medien berichtet wird, dann werden potentielle Investoren vergleichsweise früher oder schneller kommen. Aber auch ein andersgerichteter Verstärkungseffekt ist denkbar: Gerät eine international tätige Firma oder ein Land in eine anhaltend negative Berichterstattung, wie etwa in jüngster Zeit die ostasiatischen Länder oder Argentinien, dann können unabsehbare Kettenreaktionen entstehen. Durch die Medien können nationale Fragen zu großen internationalen Themen werden. Gleichwohl ist festzuhalten, daß die Medien in diesem Zusammenhang meist nur ein Verstärker, seltener aber ein alleiniger Auslöser eines Trends sind. Dauerhaft ist es jedenfalls nicht möglich, „Rauch ohne Feuer" zu erzeugen 22 . Der fünfte Pfeil (V) kennzeichnet die Einflüsse der Politik auf den Mediensektor. Ausgangspunkt aller Überlegungen ist die Ordnungsfrage: In welchem Mischungsverhältnis sollen staatliche, öffentlich-rechtliche und private Medienanbieter zueinander stehen? Wer soll welche Aufgaben übernehmen? Was sind die Regulierungskompetenzen der Politik? Welche Eigeninteressen verfolgen die Politiker bei der Gestaltung des Ordnungsrahmens? Diese Fragen stehen im Zentrum des ordnungsökonomischen Interesses, da die Globalisierung des Mediensektors die Reichweite nationaler Regulierungskompetenz beeinflußt und damit völlig neue Fragestellungen aufwirft (ausführlich 22

Es ist davon auszugehen, daß in den meisten Fällen zumindest ein wahrer Kern in der Medienberichterstattung liegt. Es ist schwer möglich, dauerhaft gegen objektive Fakten und Fundamentaldaten zu berichten. Gleichwohl gibt es bemerkenswerte, teilweise ausgesprochen kuriose Beispiele für eine völlig falsche oder verzerrende Berichterstattung in den Medien. Kalt und Hanfeld (1995) greifen in ihrem Buch: „Schlecht informiert. Wie Medien die Wirklichkeit verzerren" zahlreiche Fälle auf.

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Wentzel 1999b). Vor allem die grenzüberschreitenden neuen Medien - hier ist insbesondere das Internet hervorzuheben - entziehen sich in zunehmendem Maße einer staatlichen Regulierung (fünftes Ordnungsproblem). Wenn die grundsätzliche Entscheidung über die Wahl einer Rundfunkordnung getroffen und das Mischungsverhältnis öffentlich-rechtlicher und privater Anbieter auf der konstitutionellen Ebene bestimmt sind, stellen sich medien-spezifische Prozeßfragen. Wie wird der Zugang zu den Medienmärkten geregelt? Wie werden die Handlungs- und Verfugungsrechte zugeteilt? Wer übt die Kontrolle über die Regeleinhaltung aus? Müssen bestimmte Ordnungsfunktionen tatsächlich immer von staatlichen Stellen wahrgenommen werden, oder können private Selbstregulierung und Selbstkontrolle als ausreichend oder gar besser geeignet angesehen werden? In diesem Zusammenhang geht es zum einen um die Bereitstellung von Inhalten und die Sicherung von Qualitätsstandards (viertes Ordnungsproblem), zum anderen darum, finanzielle Rahmenbedingungen für die einzelnen Anbieter zu setzen. In einem öffentlich-rechtlichen Rundfunksystem wie in Deutschland ist zu erwarten, daß die politischen Parteien die Personalentscheidungen beeinflussen wollen, um die Medien als Sprachrohr für eigene parteipolitische Positionen zu nutzen. Diese Politisierung des Rundfunks kann die Legitimationsbasis fur öffentlich-rechtlichen Rundfunk schwächen, die unmittelbar an die Bedingung der Staatsferne geknüpft ist (siehe Kapitel 4). Im Zusammenhang damit ist daran zu erinnern, daß wirtschaftspolitische Maßnahmen der Regierung im Interesse der Zustimmung der Bevölkerung einer gründlichen Erläuterung bedürfen. Selbst wirtschaftspolitische Zwangsmaßnahmen einer autoritären Regierung, etwa in Kriegs- und Krisenzeiten, sind darauf zumindest in der mittleren Frist angewiesen. Ist dies nicht der Fall, kommt es zu zahlreichen Ausweichreaktionen der Menschen, vor allem in die Schattenwirtschaft. Noelle-Neumann (1996, S. 274 ff.) stellt fest: „Wer die öffentliche Meinung verliert, ist kein König mehr." Das Fernsehen hat sich in diesem Bereich zum Leitmedium für eine politische Kommunikation in der Demokratie entwickelt, mit der breite Bevölkerungs- und Wählerschichten erreicht werden können. Die weitere Bedeutungszunahme des Femsehens ist insbesondere dann zu erwarten, wenn sich die Individualisierungtendenzen in der Gesellschaft zunehmend verstärken (vgl. Putnam 2000; Wentzel 1998a). Es ist zu beobachten, daß die „klassischen Diskussionsforen" der Demokratie, also etwa die politischen Parteien, die Wirtschaftsverbände und die Kirchen, unter Mitgliederschwund leiden. Hierdurch wird - wie bereits erwähnt - deren Wirkung als „ordnende Potenz" in der Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik sowie als „Träger von Sozialkapital" (Putnam 2000) gemindert. Putnam sieht in diesem Zusammenhang sogar die Gefahr, daß das Sozialkapital einer Gesellschaft hierdurch dauerhaft Schaden nehmen kann. 23 U m diesen Effekt zu kompensieren, dürften sich die politischen Parteien in besonderer Weise um den Fernsehzuschauer bemühen - und das

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Die Studie von Putnam (2000) ist in diesem Zusammenhang besonders zu beachten, weil er als Ursache fiir die zunehmende Individualisierung und das abnehmende gesellschaftliche Engagement, das er empirisch in den Vereinigten Staaten feststellt, vor allem den hohen Fernsehkonsum verantwortlich macht.

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nicht nur zu Zeiten des Wahlkampfes. In der medienwissenschaftlichen Diskussion wird vom „télécteur" gesprochen, einem Mittelding zwischen Télévision und élécteur (Wähler). Danach werden politische Entscheidungen in allererster Linie vor dem Fernseher getroffen. Der letzte Zusammenhang (VI) schließlich deutet die Einflüsse der Wirtschaft auf den Mediensektor an. Die Attraktivität eines Medienerzeugnisses übt unmittelbaren Einfluß auf die wirtschaftliche Verwertbarkeit aus: Eine Sendung mit hoher Zuschauerresonanz, etwa eine Sportübertragung, stellt einen attraktiven Werberahmen dar und ist deshalb für die werbetreibende Wirtschaft geeignet, hohe Einkünfte zu erzielen. Andererseits kann eine enge Verzahnung zwischen Rundfunksender und privater Wirtschaft dazu führen, daß eine kritische Berichterstattung über Produkte des Werbekunden unterdrückt wird. Die wirtschaftlichen Interessen und Notwendigkeiten könnten deshalb dazu führen, daß der Mediensektor unter starken Druck gerät. Hier ist vor allem die staatliche Ordnungspolitik gefordert, denjenigen Entwicklungen entgegenzutreten, die eine Beeinträchtigung oder Ausschaltung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (vgl. Mestmäcker 1986). 2.4. Wirtschaftlicher Vergleich der Rundfunkordnungen Eine Wirtschaftsordnung entsteht aus dem Zusammenspiel einer Vielzahl von gewachsenen, spontan entstandenen Regeln einerseits und gesetzten, bewußt geschaffenen Regeln andererseits. Ordnung ist in diesem Verständnis ein Regelwerk, innerhalb dessen sich menschliches Verhalten entfaltet. Hayek (1969b) klassifiziert diese verschiedenen Arten der Ordnung als „kosmos" und „taxis". Neben den Regeln, die bestimmte Verhaltensweisen vorschreiben, sind es vor allem die evolutionär entstandenen Traditionen und Konventionen, die Überzeugungen und Sitten, die das Verhalten der Menschen auch in wirtschaftlichen Entscheidungssituationen ermöglichen und begrenzen. Die Interaktion dieser Einflußfaktoren fuhrt zur Ausprägung wirtschaftlicher Ordnungen. Ordnung ist dabei auch als Ergebnis unbeabsichtigter Aktionen zu interpretieren, als „Ergebnis menschlichen Handelns, aber nicht menschlichen Entwurfs". Die wirtschaftlichen Teilordnungen sind untereinander und mit den politischen und gesellschaftlichen Ordnungsgegebenheiten verbunden. Nach North (1992) bestimmen aber nicht alleine eigeninteressierte Wahlhandlungen nutzenmaximierender Individuen die Struktur und die Leistungsfähigkeit einer Wirtschaftsordnung, wie dies in den wohlfahrtstheoretisehen Betrachtungen vereinfacht angenommen wird, sondern vor allem politische und ökonomische Institutionen, aber auch „Weltanschauungen" („mental models of the world" nach North), Traditionen und „Ideologien". Zudem haben individuelle und gesellschaftliche Lernprozesse24 zentrale Bedeutung flir die Ansammlung von 24

Die Formulierung „gesellschaftliche Lernprozesse" klingt zunächst etwas mißverständlich, wenn, wie in der vorliegenden Untersuchung, vom methodologischen Individualismus ausgegangen wird. Offenkundig gibt es jedoch bestimmte historische Ereignisse, die sich im Gedächtnis der Menschen festsetzen und die Wahl von und den Umgang mit Institutionen beeinflussen. Der Stabilitätswille der Deutschen Bundesbank und deren großer Rückhalt in der Bevölkerung sind sicherlich zu einem großen Teil auch auf die deutschen Erfahrungen mit zwei Hyperinflationen innerhalb von dreißig Jahren zurückzuführen. Auch in der Dis-

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entscheidungsrelevantem Wissen und damit für die wirtschaftliche Entwicklung. Im Verlauf der zeitlichen Entwicklung gewöhnen sich die Menschen an bestehende Institutionen. Sie verbessern ihre Verhaltensweisen und Strategien und passen diese immer wieder an neue institutionelle Entwicklungen an. Umwälzungen und Neubestimmungen der verfassungsrechtlichen Grundlagen sind selten - Buchanan spricht dann von „konstitutionellen Momenten". Wesentlich häufiger sind kleine „Stückwerksänderungen" {Popper), die zum langsamen Wandel von Institutionen beitragen. Dabei ist in demokratisch verfaßten Gesellschaften die Entwicklung prinzipiell ergebnisoffen und nicht durch „historizistische Gesetzmäßigkeiten" ( P o p p e r 1965/87) determiniert. Für die vorliegende systemvergleichende Analyse des Rundfunks in der Bundesrepublik Deutschland und in den Vereinigten Staaten wird das Hayeks che Ordnungsverständnis und der Institutionenbegriff nach North zugrundegelegt. Denn ginge man allein von rein ökonomischen Gesichtspunkten aus, so wäre zu vermuten, daß sämtliche Rundfunkordnungen sehr ähnlich aussehen müßten. De facto sind jedoch die realen Wirtschafts- und auch die Medienordnungen in dieser Welt in höchstem Maße heterogen25, so daß zweifelsohne eine Vielzahl von weiteren nicht-ökonomischen Einflußfaktoren die Entstehung und den Ordnungswandel beeinflussen. Wenn verschiedene Wirtschaftsordnungen oder deren Teilelemente vergleichend analysiert werden sollen, so sind zunächst einmal die Kriterien zu benennen, die für die weitere Vorgehensweise erkenntnisleitend sein sollen. Gutmann (1983, S. 276) zeigt in einem grundlegenden Beitrag zur Methode des Systemvergleichs drei unterschiedliche Forschungsbereiche auf, die sich bezüglich des konkreten Untersuchungsgegenstandes unterscheiden lassen: Zuerst kann Systemvergleich durch die konkrete „Gegenüberstellung unterschiedlicher Ausprägungen der einzelnen Elemente der Wirtschaftsordnung" erfolgen. So können etwa die unterschiedlichen Entscheidungs-, Informations- und Motivationsstrukturen herausgearbeitet werden. Zu den „vergleichswerten ökonomischen Informationen" zählen nach Gutmann (1983) unter anderem die Eigentumsordnung, die Planungs- und Lenkungsordnung, die Betriebsverfassungen, die Organisation der Arbeitsmärkte sowie der Grad an Wettbewerb, der in den einzelnen Teilordnungen vorherrscht. Eine solche systemvergleichende Analyse setzt somit an den ordnungspolitischen Rahmenbedingungen eines Landes an und ist unmittelbar auf die medienökonomische Fragestellung anwendbar. Zweitens kann Systemvergleich „Aussagen über unterschiedliche Verhaltensweisen der Akteure und Funktionsabläufe des Wirtschaftens zulassen" (Gutmann 1983, S. 276).

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kussion über die Ordnung des Rundfunks in Deutschland wirkt die Erfahrung mit dem Rundfunk in der NS-Diktatur nach, weil es das gemeinsame Interesse aller Beteiligten ist, eine ähnliche Vereinnahmung für alle Zeit zu verhindern (siehe Kapitel 4). Zur Heterogenität der Rundfunkordnungen sei auf das vom Hans-Bredow-Institut herausgegebene Internationale Handbuch Hörfunk und Fernsehen (1996) verwiesen. Einschlägig ist auch die Untersuchung von Mattern und Künstner (1998) über Fernsehsysteme im internationalen Vergleich. Eine ausgezeichnete Analyse mit interessanten Beispielen liefert Browne (1999).

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Eine solche Analyse erfordert bestimmte mikroökonomische Verhaltenshypothesen sowie Kenntnisse über die Anreiz- und Kontrollwirkungen verschiedener ordnungspolitischer Rahmenbedingungen. Eine solche prozeßorientierte Untersuchung offenbart beispielsweise, wie stabil eine Ordnung ist, welches Maß an Flexibilität existiert und ob die Wirtschaftsordnung und die in ihr handelnden Wirtschaftssubjekte prinzipiell innovationsfähig sind. Vor allem in der Anpassung an neue Bedürfnisse der Verbraucher sowie an technische Neuerungen liegt eine Funktionsanforderung an leistungsfähige Wirtschaftsordnungen. Dieser Punkt ist in höchstem Maße anschlußfahig an die medienökonomischen Fragestellungen, denn die bereits erwähnten „konstitutionellen Momente" (Buchanan) treten regelmäßig nur dann auf, wenn technische Innovationen - etwa die Digitalisierung des Fernsehens - den bestehenden Ordnungsrahmen in Frage stellen und institutionelle Reformen erzwingen. Drittens kann Systemvergleich anhand von konkreten quantitativen Ergebniskriterien vollzogen werden. Wenn die statistischen Methoden zur Datenerhebung valide sind und eine methodisch saubere Vergleichbarkeit ermöglichen, ist diese quantitative Herangehensweise an den Systemvergleich vergleichsweise objektiv. 26 Gerade die volkswirtschaftlichen Eckdaten wie beispielsweise die Wachstumsraten, Inflationsraten, Beschäftigungsquoten, Staatsverschuldung und Nettokreditaufnahme, Firmenneugründungen und Insolvenzen ermöglichen im konkreten Vergleich zweier Länder Aussagen über die relative wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Allerdings besteht bei einem ausschließlich quantitativ orientierten Systemvergleich die Gefahr, daß im „Zahlendickicht" das Gespür und die Sensibilität für ordnungspolitische Fehlentwicklungen verloren geht und daß Prognosen über weitere wirtschaftliche Entwicklungen nur in einer Fortschreibung der bisherigen Zahlen bestehen. Dies entspräche quasi statischen oder im günstigsten Falle noch adaptiven Erwartungen. Eine rationale Erwartungsbildung hingegen muß neben der quantitativen Basis immer auch eine qualitative Dimension umfassen, die in einer fundierten ordnungspolitischen Analyse verankert ist. Auch die quantitative Dimension des Systemvergleichs ist durchaus auf die medienpolitische Fragestellung anzuwenden. Die Anzahl der konkurrierenden privaten Fernsehstationen, der Umfang der öffentlich-rechtlichen Sender, die Zahl der Beschäftigten, die verschiedenen Programmformate, die Gewinn- und Umsatzzahlen sowie das Gesamtbudget eines Senders oder auch die Aktienentwicklung sind vergleichsweise „objektive" Daten, die sich auch systematisch statistisch erfassen lassen (vgl. Internationales Handbuch Hörfunk und Fernsehen 2000-2001; ARD-Jahrbuch 1999 etc.). Gleichwohl kann eine isolierte Betrachtung des reinen Zahlenmaterials Fehlorientierungen auslösen, wenn sie ohne eine begleitende Würdigung der gesamten Ordnung durchgeführt wird.

26

Bis zum Zusammenbruch der sozialistischen Wirtschaftsordnungen 1989/90 wurde Systemvergleich als wissenschaftliche Methode in erster Linie auf den Vergleich der marktwirtschaftlichen mit den zentralverwaltungswirtschaftlichen Ordnungen angewandt - so etwa auch im Beitrag von Gutmann (1983). Bei diesem Teilgebiet des Systemvergleichs erwies sich jedoch die quantitative Vorgehensweise als ausgesprochen schwierig, da das von den sozialistischen Regierungen vorgelegte Zahlenmaterial häufig lückenhaft, teilweise sogar vorsätzlich gefälscht worden war (vgl. Wentzel 1998b).

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Neben den Kriterien des Systemvergleichs sind ferner die konkreten Untersuchungsebenen zu benennen, auf die sich die Analyse bezieht. Es gilt der Grundsatz, daß nur Vergleichbares auch miteinander verglichen werden kann. Leipold (1991, S. 15 f.) zufolge ist zwischen konzeptionellem und realem Systemvergleich auf der einen Seite und immanentem Systemvergleich auf der anderen Seite zu differenzieren. Beim konzeptionellen Vergleich werden Idealsysteme zueinander in Relation gesetzt; beispielsweise wird das wirtschaftspolitische Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft der Ordnungsidee der sozialistischen Gesellschaft gegenübergestellt. Beim realen Systemvergleich hingegen werden real existierende Wirtschaftsordnungen anhand geeigneter quantitativer und qualitativer Kriterien verglichen, so etwa bei der Gegenüberstellung der Wirtschaftsordnungen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. In diesem Zusammenhang ist mit Leipold (1991) daraufhinzuweisen, daß Überkreuzvergleiche, bei denen eine reale Wirtschaftsordnung des Typs A mit einer idealen Wirtschaftsordnung des Typs Β verglichen werden, unzulässig sind: Keines der denkbaren Vergleichskriterien im Gutmannschen Verständnis ließe sich hier sinnvoll anwenden. Wenn reale Wirtschaftsordnungen mit idealen Entwürfen konfrontiert werden sollen, so ist vielmehr ein immanenter Vergleich angeraten, bei dem ein ideales Modell eines Typs A neben die realiter existente Ordnung des Typs A gestellt werden kann.

Abbildung 2: Ebenen des allgemeinen Systemvergleichs

Idealsystem in Form wirtschafte- und sozialpolitischer Konzeptionen, z.B. Leitbild der sozialen Marktwirtschaft

t I manenter ¡mvergleich ι

i

Reale, konkrete Wirtschaftssysteme, z.B. Bundesrepublik Deutschland

Quelle: Leipold (1991, S. 15).

Realer

Idealsystem in Form gesellschaftspolitischer Entwürfe, z.B. Ordnungsidee der sozialistischen oder kommunistischen Gesellschaft

1

Systemvergleich

V

^

Unzulässiger Überkreuzvergleich von Ideal- und Realsystemen

^


18). Erst bei einer Anbieterzahl von fünf ergäbe sich für einen neuen Anbieter ein Anreiz, die Zuschauerpräferenz Β anzubieten, und erst bei der außerordentlich großen Anbieterzahl von 48 Stationen würde das Minderheitenprogramm Typ C überhaupt eine Chance erhalten. Damit entsteht eine Art von Mikro-Makro-Paradoxon: „While each of the duplicating programme producers can claim that ,we give people what they want', this is not so in the aggregate" {Steiner 1961, S. 115). Die Vielfalt der Programmtypen wird beschränkt, und es kommt in diesem Modell in der Tat zu einer Duplizierung erfolgreicher Programme und zu einer Beschränkung von Minderheitenprogrammen. Diese Tendenz wird in einer dritten Überlegung noch verstärkt, wenn angenommen wird, daß die Zuschauer nicht nur ein einziges exklusives Programm erster Wahl haben und andernfalls abschalten, sondern daß sie nach der ersten Präferenz noch eine zweite Programmpräferenz akzeptieren, ehe sie den Apparat abschalten würden. Das interessante Ergebnis der Steinerscbsn Überlegungen besteht also darin, daß unter den gegebenen Modellannahmen die Existenz mehrerer konkurrierender Anbieter insgesamt zu einer Verengung der Angebotsvielfalt führen kann: „Monopoly, even pri-

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vate monopoly, is motivated to avoid duplication; competitors are not" (1961, S. 116). Steiner kommt deshalb zu der Schlußfolgerung, daß ein reines wettbewerbliches Rundfunksystem Nachteile haben könnte. Ein ideales 2-Kanal-System müßte in seiner Vorstellung gleichsam die Vorteile von beiden Organisationsformen nutzen und öffentliche und private Anbieter nebeneinander stellen. Das Interesse der privaten Anbieter im Sinne der betrieblichen Ergebnisrechnung wäre es, ihren Zuschauermarktawto'/ zu maximieren, während die öffentlichen Sender gleichsam kompensierend und ergänzend den Gesa/wizuschaueranteil erhöhen sollten. Damit wären die Steinerschen Überlegungen gar nicht so weit entfernt von der Idee einer dualen Rundfunkordnung, wie sie in der Rechtsprechung des Deutschen Bundesverfassungsgerichts eingefordert wird. Ob allerdings die öffentlich-rechtlichen Anstalten in Deutschland tatsächlich eher ergänzend wirken oder aber ebenfalls eine Strategie der Zuschauermarktanteilsmaximierung verfolgen - und hiermit ebenfalls zur Duplizierung erfolgreicher Programme beitragen - , wird an späterer Stelle noch zu diskutieren sein. Es ist das Verdienst von Steiner, die Debatte um die Ordnung des Rundfunks entscheidend strukturiert und auch erstmals Wettbewerbsfragen modelltheoretisch aufgegriffen zu haben. Die Systematisierung anhand der verschiedenen Beurteilungskriterien ist hilfreich und führt zu Fragestellungen, wie sie auch in der vorliegenden Untersuchung im Zusammenhang mit dem dritten und vierten Ordnungsproblem angesprochen sind. Bezüglich der ersten drei Kriterien kommt Steiner zu einer positiven Bewertung der Wirkungen des Wettbewerbs. Lediglich für das vierte Kriterium (realisierte Angebotsvielfalt) kann ein ergänzendes Angebot durch einen Sender, der nicht unter Konkurrenzdruck steht, zweckmäßig sein. Freilich beruhen die Steinerschen Überlegungen auf sehr abstrakten Annahmen, die von den Kosten und realen Wettbewerbsbedingungen abstrahieren. In der vorliegenden Modellierung besteht kein echter Wettbewerb, sondern eher eine Form von Kartellabsprache, gezielter Marktaufteilung und abgestimmter Verhaltensweise. Die Annahme der begrenzten Kanalzahl präjudiziert zudem das Modellergebnis entscheidend. 3.1.4.3. „Program Choice" und Werbefinanzierung: Das Modell von Beebe „In short, for advertiser-supported broadcasting the model's predictions support the expansion of channels as a necessary condition for viewers' attainment of preferred choices." Jack H. Beebe (1977, S. 35) Das in der medienökonomischen Literatur meistdiskutierte Modell zur Programmwahl unter der Annahme einer ausschließlichen Finanzierung durch Werbung wurde 1977 von Jack H. Beebe vorgelegt. Beebe s Überlegungen sind eine wesentliche Erweiterung und Verfeinerung des Modells von Steiner, der 1952 eine ausfuhrliche Untersuchung über das Programmangebot im Hörfunk vorgelegt hatte und dabei zu dem Ergebnis gelangt war, daß ein monopolistisches Angebot unter sehr spezifischen Annahmen zu einer größeren Programmvielfalt führen kann - ein ähnliches Resultat, wie es in seinen späteren Überlegungen (Steiner 1961) nochmals zum Ausdruck kam. Beebe setzt sich damit kritisch auseinander. Er sieht im Steinerschen Monopolfall eine unrealisti-

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sehe Konstruktion eines Rundfunkmarktes. Die Realitätsferne bezüglich der Anzahl verfugbarer Kanäle und bezüglich der Konsumentenpräferenzen springt angesichts der zwischenzeitlichen technischen Entwicklung und der vergrößerten Angebotsvielfalt im Fernsehen besonders kritisch ins Auge. Beebe stützt seine Überlegungen auf ein spieltheoretisches „Simulationsmodell". Angenommen werden eine bestimmte Marktstruktur und spezifische Verhaltensweisen der Marktteilnehmer. Zu klären ist, welche Programmuster sich bei reiner Werbefinanzierung ergeben. Das Modell beruht auf einem nicht-kooperativen NichtNullsummenspiel, an dem η Personen teilnehmen (Beebe 1977, S. 22 ff.). Die Anzahl der Spielteilnehmer η wird so begrenzt, daß die Entscheidungen eines Spielers die Profite der anderen Spieler spürbar beeinflussen. 59 Weitere Parameter, mit deren Hilfe versucht wird, das Rundfunkgeschehen auf wesentliche Einflußgrößen zu beschränken, sind: die Verteilung der Zuschauerpräferenzen, die Präferenzmuster der Nachfrager, die Anzahl verfügbarer Kanäle, die Marktform der Anbieter sowie die Kosten der Programmerstellung. Diese Größen lassen sich im Modell jeweils variieren. Insgesamt sind 82 verschiedene Parameterkonstellationen darstellbar; gleichwohl ist das Beebe-Modell immer noch stark vereinfachend, gemessen an der Komplexität des Geschehens im elektronischen Medienmarkt. Die Modell-Struktur ist auf der Anbieterseite durch die folgenden Annahmen charakterisiert (siehe Beebe 1977, S. 18 ff.): 1. Anzahl der technischen Übertragungskanäle als Infrastruktur des Rundfunks. Die Kanäle sind entweder auf drei begrenzt (Variante 1) oder unbegrenzt (Variante 2). 2. Die Rundfunkunternehmen bieten entweder als Monopolist oder als Oligopolist an. (Der „Ste/werfall" eines monopolistischen Angebots ist hier als ein möglicher Unterfall mit enthalten). 3. Alle Programme werden durch Werbung finanziert. Alternative Einnahmequellen (Gebühren, Spenden oder Entgelte) stehen den Anbietern nicht zur Verfugung. Implizit steckt darin die Annahme eines so großen Budgets der werbetreibenden Industrie, daß alle Anbieter existieren können. Substitutionskonkurrenz zwischen den verschiedenen Werbeträgern im Rundfunk und in der Presse besteht also nicht.60 4. Die Werbeeinnahmen der Rundfunkanbieter berechnen sich nach den Pro-KopfErlösen pro Rezipient. Sie können im Modell entweder für alle Programmformen gleich sein (Variante 1) oder aber entsprechend der Attraktivität des Programminhalts und der potentiellen Zahlungsbereitschaft der Zielgruppe variiert werden (Variante 2). Bei einheitlichem Werbepreis maximiert ein Anbieter seinen Gewinn durch

59

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Auf die Darstellung der konkreten spieltheoretischen Details sei hier verzichtet. Siehe ausführlich Beebe (1977). Grundsätzlich zum Ordnungsbezug der Spieltheorie siehe Wentzel (2000b). Eine solche Substitutionskonkurrenz ist jedoch realiter in Deutschland zu beobachten. Hier zieht der Fernsehmarkt zunehmend Werbemittel aus den anderen Medien, inbesondere aus dem Zeitungsmarkt, ab. Insgesamt hat diese Konkurrenz durchaus positive Wirkungen für den Wettbewerb (siehe Monopolkommission 2000).

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die Maximierung der Zuschauerzahl, also der insgesamt möglichen Einschaltquote. Diese Annahme ist realitätsnah, da in der Praxis die Werbezeiten immer direkt von der Zuschauerreichweite abhängen (sog. „Tausendkontaktpreis"). 5. Die Kosten der Programmerstellung sind im Modell exogen gegeben. Sie werden ausgedrückt durch ein sog. „Schwellenpublikum", das der Werbetreibende mindestens erreichen muß, um die Kosten zu decken. Je höher die Programmkosten sind, desto größer muß das erreichte Publikum werden. Bei niedrigen Programmkosten ist schon eine vergleichsweise geringe Einschaltquote ausreichend, um in die Gewinnzone zu gelangen. Für die Nachfrageseite geht Beebe von folgenden Annahmen aus: 1. Es existieren 25 verschiedene Programmtypen und 25 verschiedene Rezipientengruppen. 2. Die Präferenzen der Rezipienten können sich annahmegemäß in drei verschiedenen Verhaltensmustern äußern: — Rezipient A wählt nur ein Programm erster Wahl oder er schaltet ab. Dies ist der Fall einer sog. „exklusiven Präferenz". — Rezipient Β wählt entweder ein Programm erster oder zweiter Wahl oder er schaltet ab. — Rezipient C wählt ein Programm erster oder zweiter Wahl. In jedem Fall zieht er aber ein „Jedermann-Programm", einen sog. „Common Denominator", dem Abschalten vor. Dies bedeutet also, daß der Zuschauer auch dann zugeschaltet bleibt, wenn seine erste oder zweite Präferenz nicht bedient wird. 3. Die Rezipientenverteilung auf Zuschauerklassen erfolgt stark entweder schiefsymmetrisch, schwach schiefsymmetrisch oder gleichverteilt. 4. Die Präferenzen der Verbraucher sind ordinal skaliert, d.h. es werden „bessere" oder „schlechtere" Programme unterschieden. Eine exakte Nutzenmessung einzelner Programme ist nicht möglich. 5. Die Popularität eines Programms äußert sich in der Anzahl der ersten Wahlen durch die Zuschauer. Anhand von Zahlenbeispielen, die einen fiktiven Markt beschreiben, lassen sich nunmehr auf spieltheoretischer Basis Simulationen durchführen, die zu interessanten Hypothesen über Programmstrukturen unter unterschiedlichen Ordnungsbedingungen fuhren. Beebe unterscheidet dabei verschiedene Fälle mit jeweils differierenden Parameterkonstellationen.61 Angesichts der großen Zahl verschiedener Kombinationsmöglichkeiten der genannten Parameter sollen hier nur einige besonders aussagekräftige Fälle exemplarisch dargestellt werden (ausführlich Beebe 1977, S. 24 ff.).

61

Eine gründliche tabellarische Übersicht der verschiedenen Varianten des 5eeie-Modells liefert Monica Müller (1998, S. 111 ff.).

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In einem ersten Fall wird von einer stark schiefsymmetrischen Präferenzverteilung ausgegangen. Die Zuschauer haben „exklusive Präferenzen" für einen ganz bestimmten Programmtyp. Die Übertragungsmöglichkeiten sind mit drei Kanälen limitiert. Unter diesen Bedingungen fuhrt die spieltheoretische Simulation zu dem Ergebnis, daß der Monopolist die absolute Zuschauerzahl maximiert mit zwei verschiedenen Programmtypen. Die oligopolistischen Wettbewerber bemühen sich um die Maximierung der relativen Zuschauerzahl mit dem beliebtesten Programmtyp. Es kommt zur Duplizierung erfolgreicher Programme. Dieses Ergebnis entspricht im Kern auch der Äe;«erschen Deduktion. In einem zweiten Fall wird ebenfalls von einer stark schiefsymmetrischen Präferenzverteilung und einem exklusiven Präferenzmuster ausgegangen. Allerdings sind die Übertragungsmöglichkeiten erweitert; es stehen also ausreichend Kanalplätze zur Verfugung. Bei diesen Annahmen fuhrt die spieltheoretische Simulation zu dem Ergebnis, daß der monopolistische Anbieter das gleiche Angebot unterbreitet wie im ersten Fall. Die oligopolistischen Wettbewerber hingegen duplizieren anfänglich ebenfalls wieder das erfolgreichste Programm. Nach der fünften Programmduplikation durch Wettbewerber setzt jedoch bereits ein Prozeß der Pmgrammdifferenzierung ein, auch die nachgelagerten Zuschauerpräferenzen werden bedient. Im Endergebnis erreichen beide Anbieterformen die gleiche Befriedigung der Zuschauerwünsche. In einem dritten Fall wird von gleichverteilten Präferenzen und einem „exklusiven Präferenzmuster" der Nachfrager ausgegangen. Die Übertragungskapazitäten sind, wie in Fall 1, wieder auf drei Kanäle limitiert. Unter diesen Voraussetzungen ergibt die Simulation ein überraschendes Ergebnis: Monopolist und Oligopolist verhalten sich identisch. Sie maximieren die gleiche Zuschauerzahl mit exakt dem gleichen Programmangebot. Bereits in diesem dritten Fall wird deutlich, wie sensibel das Simulationsmodell auf veränderte Annahmen reagiert. Im vierten Fall wird wieder von einer schwach schiefsymetrischen Präferenzverteilung ausgegangen. Die Zuschauer präferieren ein Programm zweiter Wahl gegenüber dem Abschalten. Die Übertragungskapazitäten sind wiederum auf drei Kanäle limitiert. Unter diesen Bedingungen wird der Monopolist die Programmtypen 1 und 3 anbieten, der Oligopolist dupliziert Programm 1 und bietet ergänzend Programm 2 an. Eine präzise Aussage über die Effizienz der Marktform und das Ausmaß an Konsumentenbefriedigung ist jedoch nicht möglich. Die Präferenzintensität - die weder im Modell noch in der Realität tatsächlich gemessen werden kann - wäre für die Bewertung entscheidend. In einem fünften Fall wird von einer gleichverteilten Präferenzverteilung ausgegangen. Wiederum präferieren die Zuschauer ein Programm zweiter Wahl gegenüber dem Abschalten; die Übertragungskapazitäten sind mit drei Kanälen begrenzt. Unter diesen Bedingungen besetzt der Oligopolist immer die Nischen neu, die ein Konkurrent bei seiner Neuorientierung hinterläßt. Das Angebotsverhalten der Oligopolisten ist also im Gegensatz zum Monopolisten tendenziell instabil. Langfristig dürfte daraus eine Mischstrategie aller Marktteilnehmer resultieren. In einer tabellarischen Zusammenfassung stellt Beebe (1977, S. 29) dann die Simulationsergebnisse für alle Fälle nebeneinander. Es wird vorgestellt, inwieweit die An-

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bieter unter verschiedenen Rahmenbedingungen die erste Wahl der Verbraucher („first choice") erfüllen, wer die größere Zuschauermenge erreicht („total viewers"), wer einen größeren Beitrag zur Konsumentenwohlfahrt erbringt („consumer surplus") und wer insgesamt den größeren Wohlfahrtsüberschuß verspricht. Dabei wird deutlich, daß der Monopolist bezüglich der Konsumentenbefriedigung und der inhaltlichen Vielfalt nur bei begrenzter Kanalkapazität Vorteile gegenüber einer wettbewerblichen Situation erzielen kann. Bei unbegrenzter Kanalzahl und normalverteilten Präferenzen hingegen führt ein wettbewerbliches Programmangebot praktisch immer zu einer besseren Bedienung erster Zuschauerpräferenzen und zur Erzielung eines höheren Zuschaueranteils. Die Ergebnisse des Simulationsmodells unterstreichen jedoch auch, daß oligopolistischer Wettbewerb bei alleiniger Werbefinanzierung und bei einer eng limitierten Anzahl von Übertragungskanälen zu einer Vervielfachung bestehender erfolgreicher Programmformen führt: Dies entspricht dem häufig von Kritikern des Privatfernsehens geäußerten Vorwurf des „more of the same" und damit dem Fall, den Steiner bereits diskutiert hat. Das Gesamtangebot würde in zunehmendem Maße homogenisiert und auf Massenattraktivität zugeschnitten. Bei monopolistischem (privatem) Angebot und begrenzten Frequenzen hingegen wäre, wie im Steiner-Modell, zumindest eine größere Vielfalt des Programmangebots zu erwarten, da der Monopolist versuchen würde, alle Zuschauerpräferenzen abzudecken, um auf diesem Weg seine Werbeeinnahmen zu maximieren. Das Ausmaß der Duplikation ist dabei eine Funktion der Popularität der einzelnen Programmtypen. Ob sich ein öffentlich-rechtlicher Monopolist angesichts der staatlichen Finanzierungsgarantie und der damit einhergehenden Konkursunfahigkeit auch tatsächlich darum bemühen würde, für alle Zuschauer ein attraktives Programmangebot bereitzustellen, muß als eine sehr unrealistische Annahme in Zweifel gezogen werden. Auch dies schränkt die Aussagekraft und den Erklärungsgehalt dieses Spezialfalls deutlich ein. Die Ergebnisse von Beebe sind entscheidend durch die getroffenen Annahmen vorgeprägt; schon geringfügige Variationen einzelner Modellparameter können das Ergebnis gravierend verändern: Dies ist die besondere Stärke des Simulationsmodells. Der „Monopolfall" kann beispielsweise nur unter den Annahmen konstanter einheitlicher Werbepreise und begrenzter Übertragungskanäle positiv auf die inhaltliche Vielfalt wirken. Wenn z.B. die Werbezeiten in „Qualitätssendungen" höhere Preise erzielen als in massenattraktiven Programmen - etwa weil ein besonders gebildetes und in der Regel zahlungskräftigeres Publikum angesprochen wird - , dann sinkt die Tendenz zur Duplizierung von Programmen mit hoher Massenattraktion. Das Modell ist ebenfalls sensibel bezüglich der Annahmen über die Zahl der Übertragungskanäle. Mit steigender Anzahl von Sendeplätzen erhöht sich die Menge unterschiedlicher Programmformen, wobei auch zunehmend Minderheitenprogramme Nachfrage und Verbreitung finden. Auch die Popularitätsgrade der unterschiedlichen Programmformen und deren Veränderung beeinflussen die Programmuster nachdrücklich. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß das fieeòe-Modell verschiedene Programmstrukturen auch in unterschiedlichen Ländern je nach gewählter Kombination der einzelnen Parameter zu erklären vermag. Zudem wird deutlich, daß der Vorwurf des „more of the same", also der Duplizierung erfolgreicher Sendeformate, nur unter der

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Annahme des begrenzten Kanalzugangs zutrifft. Dies ist auch die entscheidende inhaltliche Kritik von Beebe an Steiner, der grundsätzlich zuzustimmen ist. Aus Steiners Modell könnte der Fehlschluß gezogen werden, den Spezialfall als allgemeingültig zu betrachten. Angesichts der mit der Digitalisierung der Übertragungswege einhergehenden Vervielfachung der Kapazitäten ist die Annahme begrenzter Sendeplätze heute aber nicht mehr realitätsnah. Minderheitenprogramme und hochwertige kulturelle Sendungen werden nur dann verdrängt, wenn die Anzahl der Kanäle limitiert ist. In den Vereinigten Staaten, deren realisiertes Rundfunksystem dem Modell des werbefinanzierten Rundfunks von Beebe am nächsten kommt, hat sich die Vermutung der Duplizierung erfolgreicher massenattraktiver Programme auch empirisch nicht bestätigt {Noam 1991, S. 34 ff.; 1995, S. 25). Bei uneingeschränktem Zugang zu den Übertragungswegen und Sendefrequenzen ist damit zu rechnen und auch empirisch feststellbar, daß jedes Programm, das ein gewinnträchtiges „Schwellenpublikum" erreichen und erhalten kann, auch produziert und gesendet wird. Kritisch ist zu vermerken, daß das 5eeie-Modell nicht hinreichend geeignet ist, verschiedene Aspekte eines dynamischen Wettbewerbs auf Rundfunkmärkten abzubilden. So wäre es beispielsweise zweckmäßig, die jeweilige Entwicklungsphase des Marktes mitzuberücksichtigen, denn offensichtlich werden von den Rundfunkanbietern in verschiedenen Marktphasen unterschiedliche Programme angeboten. Ebenfalls wäre es zweckmäßig, zwischen Vollprogrammen und Spartenprogrammen zu differenzieren. Im Beebe-Modell wird nämlich implizit nur von Vollprogrammen ausgegangen; in diesen sind Minderheitspräferenzen zwangsläufig unterrepräsentiert. Spartenprogramme hingegen sind geradezu auf der Suche nach Präferenzen von Minderheiten, um diese exklusiv zu bedienen. Ebenfalls könnte das Beebe-Modell an Aussagekraft gewinnen, wenn unterschiedliche Wettbewerbsstrategien mitberücksichtigt werden. Zwar geht Beebe schon deutlich über Steiner hinaus, der Wettbewerb dem Grundsatz nach als abgestimmte Verhaltensweise modelliert. Gleichwohl würde auch das 5ee£>e-Modell weiter gewinnen, wenn der Wettbewerb auch als Rivalität zwischen Anbietern und nicht lediglich als (gleichmäßige) Aufteilung eines vorhandenen Zuschauerpools analysiert würde. Ebenfalls werden im 5eeòe-Modell die Auswirkungen der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen vernachlässigt. Es ist nicht befriedigend, die Frage der Marktstruktur anhand der dualen Begrifflichkeit Monopol versus Wettbewerb zu diskutieren, ohne dabei beispielsweise zu berücksichtigen, wie sich das Monopol finanziert und gegen potentielle Konkurrenz sichert. Die ordnungspolitische Empfehlung für eine größere inhaltliche Vielfalt im Rundfunk, die sich aus dem ¿teeóe-Modell ableiten läßt, zielt direkt auf eine Erweiterung der technischen Übertragungskapazitäten. Minderheitenprogramme haben dann die größte Chance, sich neben massenattraktiven und häufig nicht immer qualitativ anspruchsvollen Sendungen dauerhaft zu piazieren (viertes Ordnungsproblem). Bei hinreichend großer Kanalzahl ist auch bei reiner Werbefinanzierung mit einer großen inhaltlichen Vielfalt zu rechnen. Ebenfalls dürfte die Suggestivkraft eines Senders mit steigender Anzahl von Konkurrenten abnehmen, wodurch die politischen Mißbrauchs- und Einflußmöglichkeiten eingeschränkt werden {zweites Ordnungsproblem). Unter der realistischen Vermutung, daß bei steigender Vielfalt auch höhere Qualitäten systematisch mitgeför-

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dert werden, liegt in der Erschließung neuer Sendeplätze ein ordnungspolitisches Instrument zur Verbesserung der Programmstruktur. Diese Hypothese ist allerdings insoweit abzuschwächen, als mit der Aussage über gesteigerte Vielfalt letztlich keine eindeutige Aussage verbunden werden kann, welche „Wohlfahrtswirkungen" unterschiedliche Programmstrukturen letztlich erzielen können. Generelles Marktversagen oder eine zwangsläufige qualitative Abwärtsspirale im Sinne der These von Kiefer (1996) läßt sich mit dem Modell von Beebe nicht nachweisen, so daß eine unmittelbare Notwendigkeit fur ein staatliches oder öffentliches Fernsehen zumindest aus diesen Überlegungen heraus nicht zwingend ist - solange nur ausreichend Sendeplätze vorhanden sind. Allerdings weist Müller (1998, S. 117 ff.) zu Recht darauf hin, daß auch eine Wechselwirkung besteht zwischen der Zahlungsbereitschaft der Werbewirtschaft und dem gesendeten Rundfunkprogramm in seiner Funktion als Werbeträger. So vertritt Hoffmann-Riem (1981) die These, daß in den Vereinigten Staaten politisch brisante Themen, die politischen und ökonomischen Interessen der Werbewirtschaft widersprechen, häufig unterdrückt werden oder nur zu unattraktiven Zeiten gesendet werden. Hierdurch könnte in der Tat der Meinungspluralismus als wichtiges Rechtsgut beeinträchtigt und gefolgert werden, zumindest ein Nachrichtenprogramm als „Qualitätsstandard" marktunabhängig bereitzustellen. Allerdings zeigen neuere Untersuchungen (etwa Noam 1998), daß diese theoretisch durchaus gegebene Gefahr in der Praxis des Vielkanalfemsehens empirisch nicht nachweisbar ist. Die Vielzahl der vorhandenen Sendeplätze und das wettbewerbliche Umfeld bieten auch kritischen Stimmen einen Sendeplatz. Beispielsweise konnten selbst einflußreiche und finanzkräftige Werbekunden in den Vereinigten Staaten - etwa die Tabakindustrie - nicht verhindern, daß in allen Medien kritisch über die gesundheitlichen Spätfolgen des Rauchens berichtet wurde. Grundsätzlich ist zwar festzuhalten, daß es in einem gewinnorientierten und unter Wettbewerbsdruck stehenden Rundfunkunternehmen Zielkonflikte zwischen Werbefinanzierung und Programminhalten geben kann (drittes und viertes Ordnungsproblem). Ein Unternehmen muß versuchen, seine Marktstrategie so zu wählen, daß es beiden interdependenten Zielen bestmöglich gerecht werden kann. Eine alleinige Ausrichtung an der Zielsetzung, die verkauften Werbezeiten „um jeden Preis" zu maximieren, wie dies in der These von Hoffmann-Riem (1981) für die Vereinigten Staaten vermutet wird, dürfte jedoch allenfalls kurzfristig erfolgversprechend sein. Mittelfristig ist eine Abkehr der Zuschauer wahrscheinlich. Auch dies würde bei der Gestaltung der Programminhalte einer Qualitätsspirale nach unten entgegenwirken.

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3.1.4.4.

„Programm Choice" und Entgeltfìnanzierung: Das Modell von Spence und Owen „Even under pay TV, (...), there are potential problems with program selection. These result from the fact that revenues are only a fraction of the benefits generated by a program." Michael Spence und Bruce Owen (1977, S. 105)

Ausgehend von der Rundfunkmorphologie, ist privater Rundfunk prinzipiell über Werbung oder über direkte Entgelte finanzierbar. Entgeltfinanzierte Programme, also „Bezahlfernsehen" (Pay-TV, Pay per View, Pay per Channel), haben aus einem allgemeinen ökonomischem Blickwinkel heraus zunächst den Vorteil, so wird jedenfalls angenommen, daß sie die Präferenzen der Fernsehzuschauer genauer als andere Finanzierungsalternativen reflektieren und mit den knappen Mitteln sorgfältiger (unter Abwägung der Opportunitätskosten) umgehen. Der Rezipient sucht, genau wie beim täglichen Zeitungskauf am Kiosk, ein konkretes Produkt seiner Wahl aus und bezahlt dafür einen marktüblichen Preis. Die individuelle Wertschätzung für ein Produkt manifestiert sich in der tatsächlichen Zahlungsbereitschaft. Nutzung und Gegenleistung entsprechen somit dem Äquivalenzprinzip. In den Vereinigten Staaten hat diese Art von direkt finanzierter Programmbereitstellung im Rundfunk auch bereits einen beachtlichen Marktanteil erlangt, während in Deutschland und in vielen Teilen Europas nach wie vor große Widerstände in der Bevölkerung und in der Politik gegen das Bezahlfernsehen existieren (siehe Kapitel 4). Ausgangspunkt der wirtschaftstheoretischen Debatte um entgeltfinanzierten Rundfunk ist das Modell von Spence und Owen.62 Erkenntnisziel ist es, die wohlfahrtsökonomische Effizienz verschiedener Finanzierungsformen in unterschiedlichen Marktformen einzuschätzen. Spence und Owen (1977, S. 104 ff.) unterscheiden hierzu vier Fälle: „There are four pure cases of interest: advertiser support, or direct payment (pay TV), with either limited or unlimited channels." Anhand eines abstrakten Modells prüfen die Autoren zunächst die Wohlfahrtseffekte der Entgeltfìnanzierung im Rundfunk. Dann leiten sie vergleichend Programmstruktureffekte für den Wettbewerbs- und den Monopolfall ab, einerseits unter Bedingungen der Werbe-, andererseits der Entgeltfinanzierung. Da die Wirkungen von Werbefinanzierung auf die Programmstruktur bereits im fieeèe-Modell ausführlich diskutiert worden sind, sollen hier vor allen Dingen die Ausführungen über das entgeltfinanzierte Fernsehen im Vordergrund stehen. Das Modell von Spence und Owen beruht auf folgenden Annahmen: 1. Die Programme werden als heterogene Güter betrachtet. 2. Die Präferenzen der Zuschauer für die einzelnen Programme werden durch deren Zahlungsbereitschaft ausgedrückt. Hierdurch läßt sich typischerweise eine abwärts geneigte Nachfragekurve ableiten (Spence und Owen 1977, S. 108). 62

Zu einer ausführlichen Darstellung des Modells von Spence und Owen siehe M. Müller (1998). Einschlägig ist auch die Untersuchung von Schmitz (1990), der den Versuch unternimmt, das Modell weiterzuentwickeln.

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3. Die Zuschauer haben - ganz in neoklassischer Tradition - vollkommene Information über die möglichen Programmalternativen und treffen eine rationale Wahl, die ihren Präferenzen bestmöglich entspricht. 4. Zwischen den einzelnen Programmen besteht Konkurrenz, die in einem Substitutionskoeffizienten ausgedrückt werden kann. Dieser steigt, je bessere Substitute die Programme sind.63 5. Zwei Marktformen werden unterschieden: erstens der Monopolfall, in dem alle Programme durch einen Anbieter bereitgestellt werden, zweitens der Oligopolfall (Wettbewerbsfall), bei dem jeder Anbieter über ein Programm verfugt. Im Wettbewerbsfall gilt die bekannte Cour«oi-Annahme, daß das Konkurrenzverhalten der anderen Marktteilnehmer (etwa bezüglich der verfolgten Programmstrategie) bei den eigenen strategischen Entscheidungen mitberücksichtigt wird. 6. Die Programmkosten sind im Modell exogen vorgegeben; sie sind unabhängig von der Menge der erreichten Zuschauer (Spence und Owen 1977, S. 110). Zunächst prüfen die Autoren die Wohlfahrtswirkungen, die ein monopolistischer Anbieter bei Anwendung des Ausschlußprinzips, also einer positiven Preisstellung, erzielen kann. Diese Überlegungen lassen sich anhand folgender einfacher Abbildung darstellen: Abbildung 12: Wohlfahrtwirkungen beim Ausschlußprinzip

Rezipienten

Quelle: Müller (1998, S. 125). Abbildung 12 zeigt eine Preis-Absatz-Funktion (PAF) fur ein spezielles Fernsehprogramm. Die zugehörige Grenzerlös-Funktion PAF' schneidet die Abzisse im Punkt x0. Annahmegemäß hat der Programmanbieter einen Preissetzungsspielraum. Im Punkt xo 63

Im Prinzip besagt dieser Koeffizient das gleiche wie der sog. 7nj7in-Koeffizient, der die Märkte nach dem Ausmaß der Interdependenz zwischen den Anbietern (oder den Nachfragern) klassifiziert.

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realisiert sich die gewinnmaximierende Zahl der Rezipienten bei Bereitstellungsgrenzkosten eines Fernsehprogramms von Null. Gemäß dem monopolistischen Preiskalkül wählt der Anbieter den zu x 0 zugehörigen positiven Preis po, der sich aus der Spiegelung an der Preis-Absatz-Funktion ergibt. Die Forderung eines positiven Preises schließt jedoch einen Teil der prinzipiell nutzungswilligen Zuschauer bei Bereitstellungsgrenzkosten von Null aus, so daß ein Verlust an Konsumentenwohlfahrt („dead weight loss") resultiert, der durch das Dreieck xoAB dargestellt wird. Einige weitere Effekte werden von Spence und Owen (1977, S. 112 ff.) aus dieser einfachen wohlfahrtstheoretischen Überlegung gefolgert. Erstens würde die gesamte Fläche unter der Kurve PAF nur dann abgedeckt werden, wenn verschiedene Preise gefordert werden könnten, also wenn perfekte Preisdifferenzierung vorläge. Ist dies nicht der Fall, wovon in der Realität auszugehen ist, dann wird entgeltfinanziertes Femsehen den gesamtwirtschaftlichen Konsumentennutzen nicht optimal realisieren können. Zweitens wird aus den einfachen wohlfahrtstheoretischen Überlegungen deutlich, daß der Gesamterlös des Anbieters (poxo, also die markierte Fläche unter der PAF) durch den Verlauf und die Neigung der Preis-Absatz-Funktion determiniert ist. Bei sehr steilem oder sehr flachem Verlauf der Preis-Absatz-Funktion kann der Gesamterlös stark sinken und nicht mehr zur Deckung der im Modell exogen vorgegebenen Produktionskosten ausreichen. Dann könnte der Fall eintreten, daß dieses - möglicherweise künstlerisch besonders wertvolle - Programm privatwirtschaftlich nicht mehr angeboten wird: „... the general bias is against programs that have demands such that revenues capture a small fraction of the gross benefits. This comes as no surprise. When the entry condition is profitability, revenues are the signal of benefits" (Spence und Owen 1977, S. 112). Die publizistische Vielfalt würde also durch ein einfaches Kostenkalkül der Anbieter reduziert. Damit ergibt sich, wie Schmitz (1990, S. 263 f.) darlegt, ein wichtiger neuer Gesichtspunkt aus der ^ence-Owen-Argumentation, daß nämlich auch ein „gewisser überzogener Optimismus hinsichtlich der optimalen Konsumentenbefriedigung durch Pay-TV" zu relativieren ist.64 Das Modell von Spence und Owen ist auch noch in einem weiteren Punkt für die ordnungsökonomische Fragestellung relevant, wenn die Bedingungen für Vielfalt und qualitative Standards in den elektronischen Medien preistheoretisch analysiert werden. Auch bei Entgeltfinanzierung kann es nämlich - analog zum werbefinanzierten Fernsehen - zu einer Benachteiligung von Minderheitenprogrammen kommen. Abbildung 13 mag diesen Zusammenhang veranschaulichen:

64

Allerdings ist der Argumentation von Schmitz (1990) kritisch zu entgegnen, daß die offenbarte Zahlungsbereitschaft auch aus wohlfahrtstheoretischem, erst recht aber aus ordnungsökonomischem Blickwinkel immer noch der vergleichsweise beste Indikator für Zuschauerpräferenzen ist.

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Abbildung 13: Entgeltfinanzierung und Minderheitenprogramme

Rezipienten

Quelle: Müller (1998, S. 129). Es seien zwei unterschiedliche Preis-Absatz-Funktionen PAF 1 und 2 für zwei unterschiedliche Programme gegeben. Es wird ferner angenommen, daß der kumulierte Nutzen der Fernsehzuschauer, also die Fläche unter der Kurve, in beiden Fällen identisch ist (vgl. Müller 1998, S 129). Das erste Programm bedient Zielgruppen mit etwas ausgefalleneren Präferenzen, was zur vergleichsweise stärkeren Wölbung von PAF 1 führt. Bei gegebenen Gesamtkosten K, die über den Preis und die Summe der erreichten Rezipienten mindestens aufgebracht werden müssen, wird das Programm 2 vom Anbieter gegenüber dem Programm 1 vorgezogen. „Therefore, the bias is against programs with steep inverse demand functions. These are precisely programs with small groups of high-value viewers after which reservation prices fall of rapidly" (Spence und Owen 1977, S. 112). Konkret auf die inhaltliche Ebene bezogen, bedeutet dies, daß Programme für Minderheiten oder spezifische Gruppen auch bei Entgeltfinanzierung gegenüber massenattraktiven Programmen benachteiligt sein können. Aus der gleichen Überlegung heraus wird ersichtlich, daß Programme mit hohen Produktionskosten systematisch gegenüber preiswerteren Programmen benachteiligt werden. Dies hängt zwar letztendlich von der tatsächlichen Zahlungsbereitschaft der Zuschauer ab. Gleichwohl könnte ein systematischer Bias gegen höhere Programmqualitäten bestehen. Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß das Modell von Spence und Owen einen interessanten Hinweis darauf gibt, daß entgeltfinanzierter Rundfunk zwar eine enge Korrelation zwischen den Zuschauerpräferenzen und dem Programmangebot sicherstellt (viertes Ordnungsproblem), gleichwohl aber bei dieser Finanzierungsform ein optimales Programmangebot nicht zu jedem Zeitpunkt sichergestellt ist. Damit ist das Stichtwort für die Kritik gefallen: Das Modell ist bezüglich der Annahmen und der Methode wesentlich realitätsferner als beispielsweise das Beebe-Modell. Die neoklassischen Annahmen vollständiger Information und unendlicher Anpassungsgeschwindigkeit sind ausgesprochen unzweckmäßig, um einen ausdifferenzierten Medienmarkt zu analysie-

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ren. Außerdem werden Wettbewerbsprozesse zwischen verschiedenen Rundfunkanbietern völlig vernachlässigt; diese sind durch die neoklassischen Annahmen quasi von Beginn an ausgeschlossen. Auch unternehmerische Strategien werden in diesem Modell nicht berücksichtigt. Es ist aufgrund der großen Realitätsferne deshalb auch nicht möglich, aus dem Modell Empfehlungen für reale Politikberatung abzuleiten. Die Grundaussage des Spence-Owen-Modells ist letztlich trivial und wenig überraschend: Sie besagt, daß anbieterseitig ein systematischer Bias zugunsten kostengünstiger Programme besteht oder zu Programmen, die ein möglichst großes Publikum erreichen können. Diese Aussage wäre prinzipiell auch ohne die wohlfahrtstheoretische Methode abzuleiten gewesen. In der medienökonomischen Literatur ist das Modell aber deshalb so weit verbreitet, weil in ihm erstmalig Zweifel an der grundsätzlichen ökonomischen Überlegenheit der Entgeltfinanzierung angedeutet werden. Auch entgeltfinanzierter Rundfunk muß nicht immer optimal bezüglich sämtlicher ökonomischer und publizistischer Kriterien sein, wenngleich auch Spence und Owen die positive Wirkung des Markt-Preis-Mechanismus grundsätzlich befürworten. Aber, so die Aussage der Autoren, auch unter den Bedingungen reiner Entgeltfinanzierung kann es durchaus sinnvoll sein, daß das private Programmangebot ergänzt wird durch ein Angebot, welches, wie in der Rundfunkmorphologie angedeutet, nicht ausschließlich durch ökonomische Überlegungen bestimmt wird. Dies könnte als ein Argument fìir öffentlichrechtlichen Rundfunk als Ergänzung zu einem marktlichen Angebot sein, und zwar wenn es konkret um die Bereitstellung von spezifischen Sendeformaten geht (Kinderprogramme, spezielle Minderheitenprogramme, Programme zur Erwachsenenbildung, künstlerische Darstellungen). Allerdings ist das Modell von Spence und Owen keinesfalls geeignet, konkrete quantitative Aussagen über wünschenswerte Programminhalte zu liefern (siehe auch Schmitz 1990, S. 263). Dies liegt - wie bereits angedeutet - einerseits an der ohnehin begrenzten Aussagekraft von wohlfahrtstheoretischen Analysen, andererseits an der besonderen Schwierigkeit, die tatsächlichen Wohlfahrtswirkungen verschiedener Programme einzuschätzen. Zudem bestätigt das Spence-Owen-Modell, daß massenattraktive Programminhalte durchaus marktfähig sind. Dies ist die andere Seite des Arguments, die stets mit zu bedenken ist. Es wäre ein Argument gegen einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der auch in marktfähigen Bereichen massiv als Anbieter auftritt. Die Kritik, daß bestimmte Minderheitenprogramme nicht marktfähig sind, beinhaltet gleichsam logisch den Sachverhalt, daß Mehrheitenprogramme effizient vom Markt angeboten werden können. Dies können sowohl werbefinanzierte als auch entgeltfinanzierte Programme sein. Diese Programmformen bedürfen nicht notwendig einer öffentlich-rechtlichen Ergänzung. Öffentlich-rechtliche Sender wären demzufolge gehalten, ihren Programmauftrag genau zu spezifizieren (siehe auch Monopolkommission 2000).

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3.1.4.5.

„Program Choice" und marktunabhängige Programmfinanzierung: Das Modell von Noam „Es mag sein, daß man eine große Anzahl von zusätzlichen privaten Rundfunkstationen braucht, um einen zusätzlichen Niveaupunkt zu erreichen. Man kann daher einen öffentlichen Fernsehsender benutzen, um ein außenliegendes Programmniveau zu erreichen." EliM. Noam (1988, S. 212)

In der neueren medienökonomischen Literatur zur Ordnung des Fernsehens wird der Aspekt des dynamischen Wettbewerbs stärker betont, als dies in den älteren Programmwahlmodellen von Steiner, Beebe sowie von Spence und Owen der Fall war. In der neueren Diskussion wird dabei zumeist die Auffassung vertreten, daß ein wettbewerblicher Markt in hohem Maße inhaltliche Vielfalt produziert. Diese Auffassung wird auch gestützt durch das Programmwahlmodell von Noam (1987; 1991; 1995; 1998), auf das in der Literatur zumeist verwiesen wird, wenn die Programmstruktureffekte verschiedener Finanzierungsformen und ordnungsökonomischer Zielsetzungen diskutiert werden. Es ist mit diesem Modell auch möglich, genauere Aussagen über den Aufgabenbereich des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zu entwickeln. Das Programmwahlmodell von Noam ist ebenfalls geeignet, die verschiedenen Entwicklungsstufen des Fernsehens - vom begrenzten Fernsehen über das Vielkanalfernsehen bis hin zum interaktiven digitalen Fernsehen - und die hiermit verbundene Zunahme an inhaltlicher Vielfalt abzubilden (ausfuhrlich Noam 1995). Damit ist das Noam-Modell im Gegensatz zu den anderen vorgestellten Programmwahlmodellen das einzige dynamische Modell, das unterschiedliche Marktphasen abbilden kann. Ausgangspunkt bei Noam ist die Idee, die älteren preistheoretischen ProgrammwahlModelle von Steiner und Beebe um Public Choice-Überlegungen und Erklärungsmuster der ökonomischen Theorie der Demokratie im Anschluß an Anthony Downs (1968) zu erweitem. Dem Modell von Noam (1987, S. 165; 1991, S. 45-57) liegt die Annahme zugrunde, daß es eine ordinale Skala der verschiedenen Programmniveaus gibt; es gibt anspruchsvolle und weniger anspruchsvolle Programme. Durch diese einfache, aber plausible Annahme wird die Schwierigkeit einer exakten (kardinalen) Messung von Programmqualitäten vermieden. Die Niveau-Präferenzen der Gesamtheit der Fernsehzuschauer werden femer als statistisch normalverteilt angenommen, wobei um ein gewünschtes optimales persönliches Programmniveau (p*) herum ein Intervall (ρ* - B; p* + B) existiert, innerhalb dessen die Zuschauer bereit sind, auch andere Fernsehprogramme anzuschauen. 65 Die Größe des Präferenz-Intervalls wird als endlich und konstant angenommen. Wenn das optimale Programmniveau (p*) nicht realisiert werden kann, so akzeptieren die Zuschauer auch Programme mit höherem oder niedrigerem Niveau. Diese „Unschärferelation" erhöht fur die Anbieter die Wahrscheinlichkeit, die

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Prinzipiell könnten auch linksschiefe oder rechtsschiefe Verteilungen untersucht werden. Dabei kompliziert sich gegenüber der Normalverteilung lediglich die mathematische Berechnung der Maxima. Entscheidend für ein eindeutiges Modellergebnis ist, daß die Verteilungen eingipfelig sind.

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Präferenzen der Nachfrager gut zu bedienen. Die Annahme eines solchen Toleranzintervalls ist einerseits eine sinnvolle Weiterentwicklung der Steinerschen Methodik, andererseits durchaus realitätsnah und entspricht auch den Ergebnissen der Medienwirkungsforschung. Die ersten Überlegungen von Noam (1987) lassen sich wie folgt grafisch veranschaulichen. Abbildung 14: Einfaches TVoam-Modell

Ausgangspunkt der Analyse bei Noam ist zunächst die Annahme eines einzigen privaten Programmanbieters, der seinen größtmöglichen Gewinn bei gegebenen Produktionskosten des Programms und normalverteilten Zuschauerpräferenzen durch die Maximierung der Zuschaueranzahl realisiert (erster Fall). In Abbildung 14 wird die Zuschauermaximierung erreicht, wenn die Fläche des Dreiecks unter der Normalverteilung maximal wird. Das Programmniveau p* entspricht den Präferenzen des Medians, es ist also im wahrsten Sinne des Wortes „mittelmäßig". Dieses Resultat deckt sich mit den demokratietheoretischen Überlegungen von Downs (1968) über die Formulierung von Parteiprogrammen im politischen Prozeß, auf die sich Noam (1987) in seinem Aufsatz auch direkt bezieht. Auch politische Wahlen werden in der Mitte gewonnen: Zu einer Ausdifferenzierung politischer Themen und zu der Besetzung von extremen Positionen kommt es erst mit einer quantitativen Zunahme der Parteienlandschaft. In diesem einfachen Modell eines einzelnen privaten Anbieters werden keine besonders hochwertigen qualitativen Programme angeboten; sie liegen außerhalb des Toleranz-Intervalls um die Median-Präferenzen und der potentiellen Kaufkraft der werberelevanten Zielgruppe (vgl. Noam 1991). Extreme Qualitätsverschlechterungen nach unten, wie in der These der permanenten Qualitätsverschlechterung postuliert, werden jedoch auch nicht eintreten, da sich ein gewinnmaximierender Anbieter bei normalverteilten Zuschauerpräferenzen dann selbst von seinen Optimalitätsbedingungen entfernen würde. Mit einer solchen Qualitätsverschlechterung wäre nur dann zu rechnen, wenn die Annahme der normalverteilten Zuschauerpräferenz durch eine (extrem) linksschiefe Verteilung ersetzt würde. Anhand von einfachen Modellvariationen können nunmehr Strukturwirkungen verschiedener Konkurrenzsituationen am Fernsehmarkt im Zeitablauf dargestellt werden

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(siehe Noam 1991, S. 51 ff.). Tritt beispielsweise in einer Folgeperiode ein zweiter privater Mitbewerber auf den Markt, so wird die für beide geltende Gewinnmaximierungsannahme dazu führen, daß sich beide Konkurrenten um das Median-Niveau herum möglichst überschneidungsfrei mit unterschiedlichen Niveaus positionieren werden (Abbildung 15). Dabei ist davon auszugehen, daß stillschweigend oder auch spontan eine Absprache über die unterschiedlichen Programmangebote stattfinden wird, denn es ist für beide Wettbewerber von Interesse, sich nicht gegenseitig Zuschauer abzuwerben. Ein Anbieter wird bei normalverteilten Präferenzen also eher die höheren, der andere eher die niedrigeren Programmpräferenzen abdecken.66 Abbildung 15: A^oa/w-Modell mit zwei Anbietern

Abbildung 16: Afoam-Modell eines ausdifferenzierten Angebots

Damit beginnt im Zeitablauf ein Prozeß der Ausdifferenzierung der Qualitäten nach oben und nach unten, wie aus Abbildung 16 ersichtlich wird. Dies ist vor allem auch durch das ergänzende Angebot von Spartenprogrammen zu erwarten. Je mehr Mitbe66

Diese Überlegung würde sich bei schiefen Präferenzverteilungen verkomplizieren, da dann die Zielgruppengröße nicht mehr identisch wäre.

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werber auf den Markt treten, um so dichter wird das „Netz" der angebotenen Programmqualitäten, bis im Extremfall des unbeschränkten Marktzugangs sämtliche Qualitätsniveaus nach unten, aber auch nach oben abgedeckt werden. Bei einer zunehmenden dynamischen Ausdifferenzierung des Fernsehmarktes im Zeitablauf und ausreichend verfugbaren Senderfrequenzen ist davon auszugehen, daß in zunehmendem Maße auch hohe Programmniveaus rechts von E2, aber auch niedrige Niveaus links von El angeboten werden. Es resultiert eine Art von „elektronischem Kiosk" mit einer großen Anzahl verschiedener Angebote. Dies stärkt de facto auch die Wirkung der Konsumentensouveränität. Allerdings ist mit neuen Programmformen nur dann zu rechnen, wenn über die erreichte Zuschauerzahl und die hieraus resultierenden Werbeeinnahmen die Produktionskosten des Programms gedeckt werden können. Dies ist aber keineswegs zwangsläufig der Fall, insbesondere dann nicht, wenn die Annahme der Normalverteilung der Zuschauerpräferenzen aufgegeben wird und eine eher linksschiefe Verteilung unterstellt wird. Wenn die weitergehende Annahme zugelassen wird, daß qualitativ besonders hochwertige Programme rechts von E2 zumeist auch mit sehr hohen Produktionskosten verbunden sein können, dann wäre eventuell die Gefahr gegeben, daß der wettbewerbliche Ausdifferenzierungsprozeß in die hohen Programmqualitäten ab einem bestimmten Punkt von den Unternehmen aus Kostenerwägungen abgebrochen würde. In dieser speziellen Situation ließe sich aus kulturpolitischen oder publizistischen Überlegungen die Berechtigung für öffentlich-rechtliches Fernsehen ableiten (vgl. Noam 1991, S. 56 f.). Die Bereitstellung von hohen Programmniveaus als kulturelle Qualitätsstandards ist aber rein logisch nur dann möglich, wenn die Zielsetzung des Programmanbieters nicht die Zuschauermaximierung ist. Da öffentlich-rechtliches Fernsehen durch nichtmarktliche Zahlungen (Steuern oder Gebühren) finanziert wird, ist eine solche qualitative Orientierung oberhalb der Median-Präferenzen auch durchaus realisierbar und sachlich gerechtfertigt. In diesem Verständnis ist in Deutschland also der „Grundversorgungsauftrag" der öffentlich-rechtlichen Sender auf gehobene Programmsegmente jenseits der Massenattraktivität zu spezifizieren. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß Noam mit seinen theoretischen Überlegungen und mit seinen empirischen Untersuchungen einen wichtigen Beitrag zur Neuorientierung und Weiterentwicklung der medienpolitischen Diskussion aus ordnungsökonomischer Perspektive geleistet hat. Das besondere Verdienst seines Modells ist darin zu sehen, daß hierin dynamische Aspekte des Marktgeschehens abgebildet und erklärt werden können. So ist es in einer frühen Marktphase - wie etwa in Abbildung 15 abgebildet - kein Problem, wenn nur wenige Anbieter am Markt existieren (eine isolierte Anwendung des CN-Indexes käme hier zu einer ganz anderen Interpretation). Ebenfalls ermöglicht das Noa/n-Modell - im Gegensatz zu den älteren Programmwahlmodellen - Aussagen über die Aufgaben eines ergänzenden, nicht-marktlichen Angebots. Ein solches Rundfunkangebot hat in diesen Überlegungen erstens deshalb seine Berechtigung, weil es auch schon in frühen Marktphasen zur Bereitstellung von hohen Programmqualitäten führt und diese nicht erst das Ergebnis eines längeren Prozesses der Marktausdifferenzierung sind. Zweitens erfahrt ein marktunabhängiges Rundfunkangebot eine Berechtigung, weil es qualitativ hochwertige Programme von der Restriktion

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befreit, immer ein kostendeckendes Publikum finden zu müssen. Dies heißt allerdings keineswegs, daß hochwertige Programminhalte a priori nicht marktfähig wären. Aus dem Modell läßt sich also durchaus der ordnungsökonomische Bedingungsrahmen folgern, der für die Entstehung, Entfaltung und Sicherung hoher Programmqualitäten Vorausetzung ist. 3.1.5. Zur Hypothese des Marktversagens im Rundfunk: Ein Zwischenergebnis Die verschiedenen Überlegungen über geeignete Ordnungsbedingungen des Rundfunks und die Marktversagenshypothese verdeutlichen zunächst einmal einen zentralen Sachverhalt: Auch aus ordnungsökonomischem Blickwinkel sind die Programme der elektronischen Medien Dienstleistungen, die zu einem großen Teil ökonomisch effizient sowie quantitativ und qualitativ angemessen in einer Wettbewerbsordnung von privaten Unternehmen angeboten werden können. Es besteht keinerlei Hinweis auf ein generelles Marktversagen in der Ordnung der elektronischen Medien. Die meisten Programmformate sind marktfähig; dies bestätigen die theoretischen Überlegungen ebenso wie die empirischen Erfahrungen in verschiedenen Ländern, vor allem in den Vereinigten Staaten (siehe Kapitel 5). Ökonomischer Wettbewerb und publizistische Qualitäten stehen zwar in einem gewissen Spannungsverhältnis (drittes Ordnungsproblem), stehen einander jedoch keinesfalls unvereinbar gegenüber. Gleichwohl lassen sich einzelne Programmformate (Informationssendungen, Dokumentationen, Kinder- und Minderheitenprogramme, Übertragung hochwertiger Kulturereignisse) benennen, in denen die marktlichen Ergebnisse nicht immer und nicht zu jedem Zeitpunkt befriedigend sein können und deshalb einer nicht-marktlichen Ergänzung bedürfen. Der Rundfunk ist aufgrund des Fortschritts in der Verschlüsselungstechnik hinsichtlich der Ausschließbarkeit kein öffentliches Gut mehr, wie er es in seiner frühen Entstehungszeit gewesen sein mag; prinzipiell ist heute das Äquivalenzprinzip anwendbar. Allerdings bleibt ein Rest des Arguments des öffentlichen Gutes durch die NichtRivalität im Konsum erhalten. Dies gilt auch fur die problematische Verwendung des Meritorik-Arguments, das zwar über keine befriedigende theoretische Basis verfugt, jedoch ebenfalls nicht gänzlich beiseite geschoben werden kann, wenn die Integrationsund Forumsfunktionen der elektronischen Medien in Betracht gezogen werden. Ferner ist unter bestimmten Bedingungen nicht auszuschließen, daß private Gewinninteressen, die Rundfunkdarbietungen zunächst einmal als geeigneten Rahmen für die eigenen Werbebotschaften interpretieren, unter Umständen Einfluß nehmen können auf die Präsentation von Informationen und Nachrichten und damit die Unabhängigkeit des publizistischen Wettbewerbs gefährden (drittes Ordnungsproblem). Aus diesen ordnungsökonomischen Überlegungen läßt sich zusammenfassend folgern, daß öffentlichrechtlicher Rundfunk (in Deutschland) oder Public Broadcasting (in den Vereinigten Staaten) mit einem spezifischen Funktionsauftrag durchaus eine zweckmäßige Ergänzung zu einem privatwirtschaftlichen und gewinnorientierten Rundfunkangebot sein können.

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Die Modelle zur Programmwahl liefern ebenfalls einen Beitrag zur Klärung der erkenntnisleitenden Fragestellung, wie nämlich Vielfalt und qualitative Standards im Rundfunk entstehen und dauerhaft sichergestellt werden können (viertes Ordnungsproblem). Ein generelles Marktversagen kann aus diesen Modellen aber auch nicht gefolgert werden. Allerdings muß bezüglich der Erklärungskraft einschränkend auf die zum Teil sehr restriktiven neoklassischen Annahmen dieser Modelle hingewiesen werden. So gehen etwa die Modelle von Steiner und Beebe von vollständiger Informationen der Rundfunkanbieter bezüglich der Präferenzen der Verbraucher aus. Diese Annahme ist aber keinesfalls vereinbar mit dem bereits mehrfach angesprochenen besonderen Erfolgsrisiko von Programmsoftware und der häufig nur sehr unzureichend kalkulierbaren Erfolgswahrscheinlichkeit von neuen Filmen und Sendeformaten. Auch die wohlfahrtstheoretische Analyse von Spence und Owen ist sehr abstrakt und kaum geeignet, eindeutige Bewertungen von Programmstrukturen vorzunehmen und Politikempfehlungen zu geben. Die Programmwahl-Modelle verdeutlichen jedoch, daß werbefinanzierte Vollprogramme sich tendenziell an den Präferenzen der kaufkräftigen Mittelschicht orientieren. Es kann in einer Art von Mikro-Makro-Paradoxon zu einer Unterversorgung mit qualitativ hochwertigen Programmen kommen, die aus gesellschaftlichen, kulturellen und pädagogischen Erwägungen als sinnvoll zu erachten wären. Bei entgeltfinanziertem Angebot hingegen besteht zwar eine direkte Kopplung von Zahlungsbereitschaft und Zuschauerpräferenzen gemäß dem Äquivalenzprinzip, jedoch kann es auch hier bei hohen Produktionskosten bestimmter Programminhalte - etwa Opernaufführungen, Konzerte oder ähnliche Darbietungen - zu einem Angebot kommen, das aus kulturpolitischen Erwägungen reichhaltiger gewünscht wird. Diese politische Bedarfsanforderung schließt aber nicht aus, daß sie privatwirtschaftlich effizient erfüllt werden kann. Aus dem iVoa/n-Modell schließlich wird deutlich, daß öffentlich-rechtlicher Rundfunk oder Public Broadcasting prinzipiell in der Lage ist, Programminhalte von deren kommerzieller Marktfahigkeit zu entkoppeln, wenn die Zielsetzung der Zuschauermaximierung aufgegeben wird. Hier bietet sich die Möglichkeit, die inhaltliche Angebotsvielfalt durch weitere Minderheitenprogramme zu erhöhen und hohe Qualitäten jenseits der Präferenzen des Medians bereitzustellen. Gleichwohl darf dieses Argument nicht überinterpretiert werden und öffentlich-rechtlichen Sendern eine Art von „Freibrief' ausgestellt werden, der jede Programmproduktion unabhängig von den damit verbundenen Kosten rechtfertigt. Ebenfalls läßt sich aus diesen Modellen keine ökonomische Legitimierung von zuschauermaximierenden öffentlich-rechtlichen Vollprogrammen ableiten, die als Konkurrenz zu privaten Anstalten in den marktfähigen Bereichen der Unterhaltung und des Sports auftreten. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk hat seine Existenzberechtigung als komplementäres Angebot im Bereich hochwertiger Informationssendungen und Programmqualitäten. Die voranstehenden Modelle sind in mancher Hinsicht kritisierbar und ergänzungsbedürftig, in erster Linie bezüglich ihrer restriktiven Annahmen. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf. Doch bleibt festzuhalten, daß mit diesen Modellen zumindest ein erster Bezugspunkt geboten wird, um reale Rundfunkordnungen analysieren und vergleichen zu können: Vor allem das Noa/n-Modell erscheint hier hilfreich. Allerdings

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bedarf es weitergehender ordnungsökonomischer Argumente, um tiefergehende Ordnungsstrukturen und Veränderungspotentiale analysieren zu können. Dies wird in den folgenden Kapiteln deutlich, wenn die Rundfunkordnungen der Bundesrepublik Deutschland und der Vereinigten Staaten vorgestellt werden. Die theoretischen Kriterien und Modelle werden bei diesem Vergleich systematisch aufgegriffen; sie dienen damit der Versachlichung der wissenschaftlichen Diskussion und ermöglichen eine Distanzierung von den politisch wertgeladenen (Vor-)Urteilen, wie sie in der deutschen Öffentlichkeit, aber auch in den Vereinigten Staaten anzutreffen sind. 3.2. Zur These vom Politikversagen in Ordnungsfragen des Rundfunks „In practice, however, the German institutions are heavily politicised along party lines. This problem is the cancer that has weakened the system's independence and legitimacy." EliM. Noam (1991, S. 73). Kritiker des privaten Rundfunks und Gegner der vermeintlichen „Amerikanisierung" der Medien berufen sich - wie bereits ausfuhrlich diskutiert - zumeist auf Marktversagenshypothesen. Unausgesprochen geht allerdings die Präferenz fur nicht-marktliche Lösungen auf die Erkenntnis und Überzeugung zurück, daß es damit leichter ist, politische Ziele zu verfolgen, so wie vielfach öffentliche Unternehmen befürwortet werden, weil dem Wettbewerb im allgemeinen und dem Gewinnprinzip im besonderen mißtraut wird. Markt und Staat sind zwei unterschiedliche Systeme der Ressourcenallokation. Dabei ist Marktversagen ebenso wenig auszuschließen wie Staats-, Politik- oder auch Bürokratieversagen. Damit ist eine wichtige ordnungsökonomische Fragestellung angesprochen, die im Bereich der Medienordnung auftritt ebenso wie in anderen Anwendungsfeldern der Wirtschaftspolitik: Wie können durch staatliche Aktivitäten bessere Marktergebnisse entstehen? Lassen sich die Effekte von Marktversagen und von Staatsversagen hinreichend genau abgrenzen und vergleichend beurteilen? Wie verhalten sich die Akteure im Marktgeschehen und im politischen Prozeß? Was kann der Staat in der Wirtschaftspolitik mit Aussicht auf Erfolg tun, was bei der Ordnung der Medien? Inwieweit kann auch der Staat die Meinungsfreiheit gefährden (zweites Ordnungsproblemfi Wo liegen die Möglichkeiten des Staates und der politischen Parteien, durch eine direkte oder indirekte Einflußnahme auf die ausgestrahlten Sendungen den eigenen Interessen zu dienen (viertes Ordnungsproblem)? Walter Eucken (1952/90) hebt in seinen „staatspolitischen Grundsätzen" hervor, der Staat solle sich auf die Gewährleistung einer „Wirtschaftsverfassung des Wettbewerbs" konzentrieren, ohne selbst als Akteur im Marktprozeß tätig zu werden. Die Aufgabe des Staates wäre also die eines Schiedsrichters, nicht aber eines eigenständigen Spielteilnehmers. Zudem sieht Eucken staatlichen Handlungsbedarf bei der Sicherung der regulierenden Prinzipien einer Wettbewerbsordnung. Für die vorliegende ordnungsökonomische Fragestellung nach der Ordnung der Medien wären hierbei sicherlich die Prinzipien der Monopolkontrolle und der Vermeidung und Korrektur von negativen Externalitäten hervorzuheben. Als konstituierende Prinzipien wären erstens das Privateigentum

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im Sinne spezifischer medienpolitischer Handlungs- und Verfìigungsrechte zu sichern. Zweitens wäre die Vertragsfreiheit sowie, daran anknüpfend, die Haftung zu garantieren. Und drittens wären national und international offene Märkte zu gewährleisten. Eine solche Schiedsrichterfunktion fair, gerecht, dauerhaft und glaubwürdig zu erfüllen, stellt an den Staat oder an die Akteure einer staatlichen Regulierungsbehörde hohe Anforderungen. In diesem Verständnis ist Euckens Plädoyer fur einen Staat zu interpretieren, der sich nicht in den Dienst von Partikularinteressen stellen läßt, sondern möglichst unabhängig und neutral, freilich nachdrücklich durchgreifend, seine Aufgabe als Wettbewerbshüter erfüllt. Zudem ist - wie Max Weber (1947) bereits festgestellt hat - ein hohes Maß an fachlicher Kompetenz notwendig, um der Komplexität der Regelungsaufgabe gerecht zu werden. Die neutrale Schiedsrichterposition wird für jede staatliche Behörde erschwert, wenn sie selbst an den Märkten als Anbieter auftritt und in Wettbewerb zu privaten Unternehmen tritt. Besonders schwierig wird diese Wettbewerbssituation, wenn private Anbieter bei Schlechtleistung vom Konkurs bedroht sind, das öffentliche Unternehmen aber trotz mangelhafter Leistung durch weitreichende Finanzierungsgarantien geschützt ist. Der Staat kann dann - im wahrsten Sinne des Wortes - nicht mehr unparteiisch sein: Er wird selbst zur Partei mit eigenen Interessen und unternehmerischen Strategien. Personelle und institutionelle Verknüpfungen zwischen dem Personal in den öffentlichrechtlichen Anstalten, in den Landesmedienanstalten, in der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) sowie in den politischen Parteien zeigen dies in Deutschland an. Sie erschweren eben die Schiedsrichteraufgabe und die Spielstrategie der Marktteilnehmer systematisch zu trennen. Für eine ordnungsökonomische Analyse entsteht deshalb das Problem von „Markt und Macht im Rundfunk" ( Wiechers 1992).67 Die Vermutung, daß die Politik in Ordnungsfragen des Rundfunks versagt, äußert sich in verschiedenen Aspekten. Erstens wird dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine überteuerte Programmproduktion, also mangelndes Kostenbewußtsein vorgehalten. Dies zeige sich etwa an überzogenen Prestigeprojekten und unnötig aufwendigen Verwaltungsbauten. Zweitens wird eine zu geringe inhaltliche Innovationsbereitschaft und Flexibilität kritisiert; Anzeichen hierfür werden im Paternalismus der Programmgestaltung und in der Bevormundung der Zuschauer gesehen (vgl. Hartwig und Schröder 1999). Drittens wird vor allem den ARD-Anstalten eine zu große Parteiennähe vorgeworfen, und zwar sowohl in personellen als auch in redaktionellen Fragen. Vor allem das Konzept des sog. „Binnenpluralismus" öffne dem Parteienproporz alle Türen und gefährde im Kern die Unabhängigkeit des Rundfunks. Viertens wird den öffentlichrechtlichen Anstalten wettbewerbsverzerrendes Verhalten gegenüber privaten Konkurrenten („Kanalverstopfung") und unzulässiges Quersubventionieren vorgeworfen (siehe Monopolkommission 2000). Der Einfluß der politischen Parteien in den öffentlich67

Aspekte des Politikversagens im Rundfunk mit spezifischem Bezug zur Situation in Deutschland wurden beispielsweise vorgetragen von Gröner (1988), Wiechers (1992), Bremer (1995), Müller (1998), Hamm (1998a), Hartwig und Schröder (1998 und 1999). Auch in der amerikanischen Literatur werden mögliche nachteilige Konsequenzen von Public Broadcasting fur private Programmanbieter diskutiert, etwa unter dem Gesichtspunkt der sog. „Kannibalisierungsthese" (Berry und Waldfogel 1996b).

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rechtlichen Sendern und gleichzeitig in den Landesmedienanstalten, die mit den Lizenzierungsfragen befaßt sind, führe zu Verdrängungsstrategien gegenüber privaten Anbietern. Fünftens wird kritisiert, daß die Kontrolleinrichtungen des öffentlichrechtlichen Rundfunks aufgrund der zahlreichen personellen Verflechtungen ineffizient seien. Die Aufsichtsbehörden würden zunehmend die Interessen der Sender vertreten, anstatt sie effektiv zu kontrollieren - ein Anwendungsbeispiel für die sog. „CaptureTheorie". Sechstens seien die Rundfunkanstalten und noch viel mehr die Landesmedienanstalten ein Beispiel für Parkinsons Gesetz, das besagt, daß Bürokratien zunehmend um eine Ausweitung des eigenen Einflußbereichs bemüht sind und daß sie auch dann noch weiterleben, wenn der eigentliche Grund für deren Existenz längst schon beseitigt ist. Ob und in welchem Ausmaß diese Vorwürfe zutreffend sind, wird im einzelnen noch zu diskutieren sein. In jedem Falle bilden sie aber ein wichtiges Gegengewicht in der Diskussion um die Marktversagenshypothese, denn offenkundig besteht auch der begründete Anlaß zu einer Politikversagensvermutung. Die Annahme eines benevolenten Rundfunkanbieters, der in seiner Programmgestaltung an nichts anderes denkt als an die Verwirklichung „des Gemeinwohls", ist ebenso eine Fiktion wie die unrealistische Annahme der vollkommenen Konkurrenz in einfachen Wettbewerbsmodellen. Ob dem Markt oder der staatlichen Regelungskompetenz in der Ordnung der elektronischen Medien mehr vertraut werden kann, ist eine Frage, die im folgenden zu untersuchen ist. Um die Vorwürfe gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und die Hypothese des Politikversagens theoriegeleitet diskutieren zu können, werden im folgenden die wichtigsten Elemente der Public Choice-Theorie sowie der Ökonomischen Theorie der Bürokratie kurz vorgestellt. Dabei wird auf eine umfassende inhaltliche Darstellung dieser Konzeptionen verzichtet.68 Vielmehr geht es darum, die zentralen Argumente hervorzuheben, die auch für die medienökonomische Diskussion nutzbar gemacht werden können. 3.2.1. Der Erklärungsbeitrag der Public Choice-Theorie „Public Choice can be defined as the economic study of nonmarket decision making, or simply the application of economics to political science." Dennis Mueller (1989, S. 1) Die Public Choice-Theorie hat sich als eigenständiges Forschungsgebiet seit 1948 systematisch entwickelt (Mueller 1989, S. 2). In der Public Choice-Lehre (Ökonomische Theorie der Politik) wird mit Hilfe eines mikroökonomischen Instrumentariums versucht, politische und bürokratische Entscheidungsprozesse und Wahlhandlungen zu erklären. Das entscheidende methodische Prinzip ist dabei, die politischen Akteure als nutzenmaximierende Individuen zu modellieren, die Eigeninteressen, etwa die Wiederwahl, verfolgen. Eine solche Vorgehensweise vereinheitlicht somit die Annahmen, die an die Akteure einerseits im Marktgeschehen, andererseits im politischen Geschehen 68

Einen umfassenden Überblick über die Public Choice-Theorie findet sich im Lehrbuch von Mueller (1989).

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gestellt werden. Die verschiedenen Gesellschaftsbereiche sollen, so Fehl (1991a, S. 118), „auf der Grundlage einer einheitlichen Axiomatik" durchleuchtet werden. Die Public Choice-Theorie ist, wie Mueller (1989, S. 2-6) ausfuhrt, auch eine Reaktion auf die Ausbreitung wohlfahrtstheoretischen Denkens und die daran anknüpfenden Politikempfehlungen. In der Wohlfahrtstheorie Bergson-Samuelsonscher Prägung maximiert der Staat eine soziale Wohlfahrtsfunktion zum Wohle aller Mitbürger. Angenommen wird: Der Staat weiß, welche Präferenzen die einzelnen Individuen haben und wie er diese zu einer sozialen Wohlfahrtsfunktion aggregieren kann. Er weiß auch, wie und mit welchen Maßnahmen er diesem Ziel bestmöglich dienen kann, zumal er keine anderen Interessen hat, als das Wohl aller zu maximieren. In dieser Sicht wird also vielfach dem Staat eine überlegene Problemlösungskompetenz und Steuerungsfahigkeit zugeschrieben, wenn Marktversagen unterstellt wird. Dies deckt sich auch weitestgehend mit den keynesianischen Konzepten einer makroökonomischen Steuerung und Stabilisierungspolitik (vgl. Mueller 1989, S. 5). Die wohlfahrtstheoretische Konzeption ist in der Wirtschaftswissenschaft zunehmend umstritten. Bereits in seinem ersten Aufsatz aus dem Jahre 1949 hat James M. Buchanan, der als einer der Gründer der Public Choice-Schule und der Ökonomischen Theorie der Verfassung gilt, Kritik an dieser idealisierten („organischen") Sichtweise des Staates geübt. Die hohen Erwartungen in das Vermögen der Politiker und Staatsbediensteten stehen in krassem Widerspruch zur Realität. Die wohlfahrtstheoretische Konzeption mag durchaus heuristischen Erklärungsgehalt in einfachen Modellstrukturen haben; als Leitbild fur tatsächliche Politikbeurteilung und Politikberatung scheint sie jedoch in hohem Maße ungeeignet, ja geradezu naiv zu sein. Die Vertreter der Public Choice-Lehre sind deshalb bemüht, so Fehl (1991a, S. 119), den normativen Ansatz der Wohlfahrtsökonomik durch eine „positive, d.h. erfahrungswissenschaftliche, Analyse der tatsächlichen Staatstätigkeit zu ergänzen" und damit zu einer realistischeren Sichtweise staatlichen Handelns zu gelangen. Wie Anthony Downs (1968) in seiner „ökonomischen Theorie der Demokratie" feststellt, formulieren Politiker Parteiprogramme nicht etwa, um dem Gemeinwohl zu dienen, sondern vor allem zur Erhöhung der eigenen Popularität - was grundsätzlich übrigens kein Widerspruch sein muß. Der methodologische Individualismus ist deshalb eine tragende Säule dieses Forschungsprogramms. Hierdurch können politische Entscheidungen auf die Interessen der Akteure zurückgeführt werden. Dies schließt nicht aus, daß die Repräsentanten der Öffentlichkeit das Wohl der Allgemeinheit zur eigenen Sache machen und damit auch als individuelle Akteure ihren Nutzen maximieren. Der Rückgriff auf den methodologischen Individualismus dient gleichsam der „VorabPrüfung" von Theorien auf ihren empirisch überprüfbaren Kern. Der Staat ist in dieser Sichtweise kein monolithischer Block, sondern setzt sich aus einer Vielzahl von handelnden Menschen mit teilweise sehr unterschiedlichen Interessen zusammen. In der Public Choice-Lehre wird ein positiver und ein normativer Zweig unterschieden. In der positiven Perspektive geht es primär um die Wahl- und Abstimmungsmechanismen in einer direkten oder in einer repräsentativen Demokratie. Eine zentrale Erkenntnis für Abstimmungen im ersten Fall ist dabei zunächst, daß die Entscheidung über einen politischen Sachverhalt - völlig unabhängig vom tatsächlichen Inhalt - maß-

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geblich vom gewählten AbstimmungswecAanwwus beeinflußt wird. Je nachdem, ob es sich um eine einfache Mehrheitsabstimmung oder um differenziertere und komplexere Mechanismen handelt (etwa das Rangsummen- oder das Punktwahlverfahren)69, werden andere Abstimmungsergebnisse erwartet. Die Ergebnisse müssen dabei jedoch keinesfalls eindeutig und stabil sein, wie vor allem das „Co«