Reform durch Deregulierung im Kapitalgesellschaftsrecht: Eine Analyse der Reformmöglichkeiten unter besonderer Berücksichtigung des Gläubiger- und Anlegerschutzes 3161474368, 9783161579011, 9783161474361

Die fortschreitende Globalisierung und Internationalisierung der Märkte zwingt das deutsche Kapitalgesellschaftsrecht zu

122 92 30MB

German Pages 388 [391] Year 2000

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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Kapitel Grundlagen und Ziele der Reform durch Deregulierung
A. Der Reformbedarf aus kapitalgesellschaftsrechtlicher Sicht
I. Der dogmatische Reformansatz
II. Der rechtspolitische Reformansatz
1. Kapitalsammelfunktion und Haftungsbegrenzung
2. Die Steuerungsfunktion des Haftkapitals
3. Die Managementkontrolle
4. Fazit
III. Zusammenfassung
B. Der Reformbedarf aus kapitalmarktrechtlicher Sicht
I. Bestandsaufnahme des Kapitalmarktes
1. Die Aktiengesellschaften
2. Die Verteilung der Aktien
II. Gründe für die Strukturschwäche des Kapitalmarktes
1. Die Anlegerseite
a. Renditeerwartungen bei Aktien
b. Weitere Gründe für das mangelnde Anlegerinteresse
2. Die Eigenkapitalgewinnung über den Kapitalmarkt
3. Allgemeine Strukturprobleme
a. Insider-Regeln
b. Take-over
c. Wechselseitige Beteiligungen und Ringverflechtungen
III. Der Reformbedarf
C. Die in die Reform einzubeziehenden Nebengebiete
I. Das Steuerrecht
1. Die Körperschaftsteuer
2. Die Vermögensteuer
3. Weitere Steuern
4. Beispiele für die gesellschaftsrechtlichen Auswirkungen des Steuerrechts und der sich daraus ergebende Reformbedarf
a. Die GmbH & CoKG
b. Die Verlustzuweisungsgesellschaften
c. Die Organschaft
d. Die Finanzierung über Genußrechte
e. Die kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen
5. Der Reformbedarf
II. Das Arbeits- und Mitbestimmungsrecht
III. Das Bilanzrecht
1. Kapitalgesellschaftsrecht und Bilanzrecht
2. Kapitalmarkt und Bilanzrecht
3. Fazit
D. Die Reformziele
2. Kapitel Der Gläubiger- und Anlegerschutz im Kapitalgesellschaftsrecht
A. Gläubigerschutz, Anlegerschutz und Deregulierung – ein historisches Prolegomenon
I. Die geschichtliche Entwicklung
1. Die Entstehung der Aktiengesellschaft
2. Der Code Commerce
3. Die Entwicklung in Deutschland ab 1807 bis zum ADHGB
4. Das ADHGB
5. Die Aktienrechtsnovelle von 1870
6. Die Aktienrechtsnovelle von 1884
7. Die Entwicklung bis 1918
8. Die Nachkriegszeit
a. Die Inflation
b. Das Einströmen ausländischen Kapitals
c. Die Wirtschaftskrise
9. Die Entwicklung in der Zeit des Nationalsozialismus
10. Die Zeit ab dem Ende des Zweiten Weltkrieges
a. Die unmittelbare Nachkriegszeit
b. Die Zeit des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders
c. Die Zeit der Vollbeschäftigung
d. Die Zeit ab der ersten Rezession und die Zeit des begrenzten Wachstums
11. Die Entwicklung der Aktiengesellschaft im Vergleich zu der GmbH
12. Fazit
II. Die Disposivität der gegenwärtigen Rechtslage aus historischer Sicht
B. Gläubigerschutz als Hinderungsgrund der Deregulierung
I. Der Gläubigerschutz nach dem Aktien- und GmbH-Recht
II. Neuere Entwicklungen beim Gläubigerschutz
1. Der Sicherungsbedarf
2. Die Sicherungsmöglichkeiten
a. Die Sicherungen
b. Risikoprämien und Risikodiversifikation
c. Die Publizität
d. Versicherungen
e. Pensionssicherungsverein und Einlagensicherung
f. Konkursausfallgeld
3. Ergebnis
III. Evaluierung der Systeme
1. Der kapitalgesellschaftsrechtliche Ansatz
a. Die Sicherung des Garantiekapitals
b. Der Schutz gegen betrügerisches Vorgehen
c. Das Verbot der Unterkapitalisierung
d. Zwischenergebnis
2. Die Publizität
3. Die Stärkung der Eigeninitiative der Gläubiger
a. Rechtliche und rechtspolitische Voraussetzungen
b. Ökonomische Analyse
4. Zusammenfassung
IV. Zwischenergebnis
C. Die Deliktsgläubiger als Problemgruppe
I. Der Durchgriff
1. Historische Entwicklung der Durchgriffslehre
2. Gegenwärtiger Diskussionsstand
3. Stellungnahme
a. Ordnungspolitische und wirtschaftspolitische Ziele der Haftungsbeschränkung
b. Umfang und Grenzen des Durchgriffs
aa. Die zivilrechtliche Risikoverteilung
bb. Die Übertragbarkeit auf den Durchgriff
cc. Die Kriterien des Durchgriffs
(1) Die Vorhersehbarkeit
(2) Die Vermeidbarkeit
dd. Zusammenfassung
c. Theoretische Grundlagen des Durchgriffs
4. Beispiel und Tatbestand
II. Die Haftung der Geschäftsleitung
1. Unmittelbare Übernahme der Reduktion der haftungsbeschränkenden Norm auf die Geschäftsleitung
2. Gesellschaftsrechtliche Haftungsansätze
a. Treuepflicht
b. Spezialgesetzliche Normen
3. Geschäftsleiterhaftung aus Delikt
a. Schutz der Deliktsgläubiger im Hinblick auf die Gesellschaft
b. Die unmittelbare deliktsrechtliche Haftung des Geschäftsleiters
4. Ergebnis
III. Die „class-Suit“
IV. Fazit
D. Der Schutz der am Gesellschaftskapital Beteiligten – ein Hinderungsgrund der Deregulierung?
I. Der Schutzbedarf – die gegenwärtige Diskussion
1. Die Globalisierung der Märkte
a. Die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes
b. Die Umsetzung der Regelungsziele
aa. Selbstregulierung
bb. Der Ansatz Schwarks
cc. Individualsschutz und Funktionenschutz
dd. Schlußfolgerungen
2. Die Diversifikation der Fondslandschaft
3. Rating-Agenturen als Intermediäre
a. Die Funktion des Rating
b. Die Regulierung des Rating
c. Zusammenfassung
4. Der Shareholder Value-Ansatz
5. Fazit: Anlegerschutz contra Anteilseignerschutz
II. Die Umsetzung des Schutzbedarfes in Rechtsregelungen
1. Definition Anlegerschutz/Anteilseignerschutz
2. Der Schutz am Markt
a. Die Regelungsmechanismen
b. Die Deregulierungsmöglichkeiten
3. Der Schutz innerhalb der Gesellschaft
a. Der Anlegerschutz
aa. Schutzbedürftigkeit der Anleger
bb. Regelungsmechanismen
(1) Die Entwicklung der Treuepflicht in der AG
(2) Die Entwicklung der Treuepflicht in der GmbH
(3) Folgerungen für die Treuepflicht als Anlegerschutzinstrument
(4) Herleitung der Treuepflicht
(5) Anspruchsbereich der Treuepflicht
(6) Rechtsfolgen der Treuepflichtverletzung
(a) Treuepflichtsverstoß bei Geschäftsführungsmaßnahmen
(b) Treuepflichten bei Verstößen gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften und sonstige gesellschaftsrechtliche Verbots- oder Gebotsnormen
(c) Treuepflichtsverstöße im Liquidationsverfahren und ähnlichen Konstellationen
(d) Doppelverstöße
(e) Verdeckte Einlagenrückgewähr
(f) Probleme der Umsetzung
cc. Zusammenfassung
b. Der Anteilseignerschutz
aa. Schutzbedürftigkeit der Anteilseigner
bb. Regelungsmechanismen
III. Schutzbedarf und Deregulierung
3. Kapitel Die Deregulierungsmöglichkeiten anhand ausgewählter Themenschwerpunkte
A. Das Mindestgarantiekapital und die daran anschließenden Regelungskomplexe
I. Mindestgarantiekapital und Gesellschaftsform – Ein Merkposten der Reform
II. Das Mindestgarantiekapital
1. Die Warnfunktion des Grundkapitals
2. Die Ausschüttungssperrfunktion des Grundkapitals
III. Kapitalaufbringung und -erhaltung
IV. Die Gründung
V. Die Alternative
1. Das Eigenkapital
a. Das Basiskapital
b. Die Rücklagen
aa. Die sonstigen Rücklagen
bb. Die Wertsteigerungsrücklage
c. Das freie Kapital
2. Die anderen Bilanzposten
3. Das EG-Recht
4. Börsengängige und öffentlich gehandelte Gesellschaften
B. Die nennwertlose Aktie
C. Das Bezugsrecht
I. Die gegenwärtige Rechtslage
II. Die rechtspolitischen Argumente
1. Der Stimmanteil
2. Der Wertverlust
3. Sonstige Probleme
4. Die Vorteile des Bezugsrechtsausschlusses
III. Reformvorschlag
D. Der Erwerb eigener Aktien
I. Die alte Rechtslage
II. Das KonTraG
1. Die Formen des Rückkaufs
a. Der Erwerb über die Börse
b. Tender Offers
c. Transferable Put Rights
d. Pakethandel
2. Fazit
III. Die ökonomisch sinnvolle Lösung
1. Ökonomische Hintergründe des Erwerbs eigener Aktien
a. Der Abbau von Unterbewertungen
b. Der Aktionärskreis
c. Die Kurspflege
d. Die Unternehmensfinanzierung
2. Übertragbarkeit auf die deutsche Situation
3. Der gebotene Reformumfang
4. Die rechtstechnische Umsetzung
5. Vorratskapital und Kapitalrichtlinie
IV. Fazit
E. Die Gesellschaftsformen
I. Die Übertragbarkeit der einzelnen Reformvorschläge auf die GmbH
1. Das Eigenkapital
2. Das Bezugsrecht
3. Der Erwerb eigener Anteile
II. Die sinnvolle Gestaltung der Gesellschaftsformen
1. Die Anzahl der Gesellschafter
2. Die Art des Handels der Anteile
F. Ausblick: Das Konzernrecht
I. Der Vertragskonzern
II. Der faktische Konzern
1. Die ökonomische Analyse von Debus
2. Die beteiligten Schutzgruppen
a. Die Vertragsgläubiger
b. Die Deliktsgläubiger
aa. Der Durchgriff zur Mutter
bb. Der laterale Durchgriff
c. Die Minderheitsgesellschafter
aa. Der Eintritt in den faktischen Konzern
bb. Das Bestehen des faktischen Konzerns
(1) Das Recht zum Austritt
(2) Der Schadensersatzanspruch
3. Der GmbH-Konzern
III. Fazit
4. Kapitel Zusammenfassung der Ergebnisse
Zeittafel
Literaturverzeichnis
Register
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Reform durch Deregulierung im Kapitalgesellschaftsrecht: Eine Analyse der Reformmöglichkeiten unter besonderer Berücksichtigung des Gläubiger- und Anlegerschutzes
 3161474368, 9783161579011, 9783161474361

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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 49

Christina Escher-Weingart

Reform durch Deregulierung im Kapitalgesellschaftsrecht Eine Analyse der Reformmöglichkeiten unter besonderer Berücksichtigung des Gläubiger- und Anlegerschutzes

Mohr Siebeck

Christina Escher-Weingart, geboren 1962; 1982-87 Studium der Rechtswissenschaften in F r a n k f u r t am Main; 1987-90 Referendariat in F r a n k f u r t am Main, Speyer und San Francisco; 1990-98 Wiss. Mitarbeiterin in F r a n k f u r t am Main; 1993 Promotion; seit 1998 wiss. Assistentin am Institut f ü r Arbeits-, Wirtschafts- u n d Zivilrecht an der Universität Frankf u r t am Main; 1999 Habilitation.

Als Habilitationsschrift auf E m p f e h l u n g des Fachbereichs Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität F r a n k f u r t gedruckt mit U n t e r s t ü t z u n g der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Die Deutsche Bibliothek Escher-Weingart,

-

CIP-Einheitsaufnahme

Christina:

Reform durch Deregulierung im Kapitalgesellschaftsrecht: eine Analyse der Reformmöglichkeiten unter besonderer Berücksichtigung des Gläubiger- und Anlegerschutzes / Christina Escher-Weingart. - Tübingen : M o h r Siebeck, 2001 (Jus p r i v a t u m ; 49) ISBN 3-16-147436-8

978-3-16-157901-1 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019

© 2001 J.C.B. M o h r (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere f ü r Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch w u r d e von C o m p u t e r s a t z Staiger in Pfäffingen aus der G a r a m o n d - A n t i q u a gesetzt, von G u i d e - D r u c k in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0940-9610

Vorwort Die nachfolgende Arbeit lag dem Fachbereich Rechtswissenschaften der J o hann Wolf gang Goethe-Universität im Sommersemester 1999 als Habilitationsschrift vor. Sie entstand während meiner Tätigkeit als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Herr Prof. Friedrich Kübler sowie in meiner Zeit als Hochschulassistentin an der Johann Wolfgang Goethe-Universität. Sowohl Herrn Prof. Kübler schulde ich Dank, der mir die Zeit für meine eigenständigen Forschungen einräumte und mich in vielerlei Hinsicht mit seinem Rat unterstützte, als auch der Fakultät und dem Dekanat, die es ermöglichten, daß das Habilitationsverfahren innerhalb eines halben Jahres abgeschlossen werden konnte. Danksagen möchte ich auch all jenen, die mir diese Arbeit überhaupt erst ermöglicht haben oder die mir über die verschiedenen großen und kleinen Hindernisse hinweggeholfen haben. Dies sind insbesondere mein Mann und meine Eltern, aber auch meine Töchter R o w e n a und Fiona, die des öfteren Geduld mit ihrer Mutter haben mußten. Zu nennen sind an dieser Stelle auch Frau Dr. Lydia Klose-Mokroß und Frau Amend-Kaskhousi. Die Arbeit erhielt den Baker & McKenzie Preis und w u r d e von der DFG mit einer Druckkostenbeihilfe gefördert. Auch diesen gilt mein Dank. Frankfurt am Main, den 20.10.2000

Christina Escher-Weingart

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

V

Einleitung

1

1. Kapitel

Grundlagen und Ziele der Reform durch Deregulierung 3

A. D e r Reformbedarf aus kapitalgesellschaftsrechtlicher Sicht I. Der dogmatische Reformansatz II. Der rechtspolitische Reformansatz

6 6 12

1. Kapitalsammelfunktion und Haftungsbegrenzung

13

2. Die Steuerungsfunktion des Haftkapitals

16

3. Die Managementkontrolle

19

4. Fazit

20

III. Zusammenfassung B. D e r Reformbedarf aus kapitalmarktrechtlicher Sicht I. Bestandsaufnahme des Kapitalmarktes

21 22 23

1. Die Aktiengesellschaften

23

2. Die Verteilung der Aktien

24

II. Gründe für die Strukturschwäche des Kapitalmarktes 1. Die Anlegerseite

25 25

a. Renditeerwartungen bei Aktien

25

b. Weitere Gründe für das mangelnde Anlegerinteresse

27

2. Die Eigenkapitalgewinnung über den Kapitalmarkt

31

3. Allgemeine Strukturprobleme

33

a. Insider-Regeln

33

VIII

Inhaltsverzeichnis b. Take-over

36

c. Wechselseitige Beteiligungen und Ringverflechtungen

38

III. Der Reformbedarf

40

C . D i e in die R e f o r m einzubeziehenden Nebengebiete I. Das Steuerrecht

42 42

1. Die Körperschaftsteuer

43

2. Die Vermögensteuer

45

3. Weitere Steuern 4. Beispiele für die gesellschaftsrechtlichen Auswirkungen

46

des Steuerrechts und der sich daraus ergebende Reformbedarf

46

a. Die G m b H & C o K G

46

b. Die Verlustzuweisungsgesellschaften

48

c. Die Organschaft

49

d. Die Finanzierung über Genußrechte

52

e. Die kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen

54

5. Der Reformbedarf

55

II. Das Arbeits- und Mitbestimmungsrecht III. Das Bilanzrecht

56 56

1. Kapitalgesellschaftsrecht und Bilanzrecht

57

2. Kapitalmarkt und Bilanzrecht

59

3. Fazit

61

D . D i e Reformziele

64

2. Kapitel

Der Gläubiger- und Anlegerschutz im Kapitalgesellschaftsrecht 67 A. Gläubigerschutz, Anlegerschutz und Deregulierung ein historisches Prolegomenon I. Die geschichtliche Entwicklung

69 69

1. Die Entstehung der Aktiengesellschaft

69

2. Der Code Commerce

71

3. Die Entwicklung in Deutschland ab 1807 bis zum A D H G B

72

4. Das A D H G B

74

Inhaltsverzeichnis 5. Die Aktienrechtsnovelle von 1870

IX 75

6. Die Aktienrechtsnovelle von 1884

77

7. Die Entwicklung bis 1918

81

8. Die Nachkriegszeit

83

a. Die Inflation

83

b. Das Einströmen ausländischen Kapitals

85

c. Die Wirtschaftskrise 9. Die Entwicklung in der Zeit des Nationalsozialismus 10. Die Zeit ab dem Ende des Zweiten Weltkrieges a. Die unmittelbare Nachkriegszeit

87 88 91 91

b. Die Zeit des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders

92

c. Die Zeit der Vollbeschäftigung d. Die Zeit ab der ersten Rezession und die Zeit

94

des begrenzten Wachstums

98

11. Die Entwicklung der Aktiengesellschaft im Vergleich zu der G m b H 12. Fazit

100 103

II. Die Disposivität der gegenwärtigen Rechtslage aus historischer Sicht B. Gläubigerschutz als Hinderungsgrund der Deregulierung I. Der Gläubigerschutz nach dem Aktien- und G m b H - R e c h t . . . . II. Neuere Entwicklungen beim Gläubigerschutz

105 107 107 110

1. Der Sicherungsbedarf

110

2. Die Sicherungsmöglichkeiten

111

a. Die Sicherungen

112

b. Risikoprämien und Risikodiversifikation

113

c. Die Publizität

113

d. Versicherungen

115

e. Pensionssicherungsverein und Einlagensicherung

116

f. Konkursausfallgeld

117

3. Ergebnis

III. Evaluierung der Systeme 1. Der kapitalgesellschaftsrechtliche Ansatz

117

119 119

a. Die Sicherung des Garantiekapitals

120

b. Der Schutz gegen betrügerisches Vorgehen

122

c. Das Verbot der Unterkapitalisierung

124

d. Zwischenergebnis 2. Die Publizität

127 128

X

Inhaltsverzeichnis 3. Die Stärkung der Eigeninitiative der Gläubiger

130

a. Rechtliche und rechtspolitische Voraussetzungen

130

b. Ökonomische Analyse

131

4. Zusammenfassung

136

IV. Zwischenergebnis

136

C . D i e Deliktsgläubiger als Problemgruppe I. Der Durchgriff

138 138

1. Historische Entwicklung der Durchgriffslehre

138

2. Gegenwärtiger Diskussionsstand

141

3. Stellungnahme

142

a. Ordnungspolitische und wirtschaftspolitische Ziele der Haftungsbeschränkung b. Umfang und Grenzen des Durchgriffs aa. Die zivilrechtliche Risikoverteilung

143 144 145

bb. Die Übertragbarkeit auf den Durchgriff

148

cc. Die Kriterien des Durchgriffs

151

(1) Die Vorhersehbarkeit

152

(2) Die Vermeidbarkeit

153

dd. Zusammenfassung c. Theoretische Grundlagen des Durchgriffs 4. Beispiel und Tatbestand

II. Die Haftung der Geschäftsleitung

155 156 158

159

1. Unmittelbare Übernahme der Reduktion der haftungsbeschränkenden Norm auf die Geschäftsleitung 2. Gesellschaftsrechtliche Haftungsansätze

160 160

a. Treuepflicht

160

b. Spezialgesetzliche Normen

162

3. Geschäftsleiterhaftung aus Delikt

163

a. Schutz der Deliktsgläubiger im Hinblick auf die Gesellschaft

164

b. Die unmittelbare deliktsrechtliche Haftung des Geschäftsleiters. . . .

164

4. Ergebnis

170

III. Die „class-Suit"

171

IV. Fazit

172

Inhaltsverzeichnis

XI

D . D e r Schutz der am Gesellschaftskapital Beteiligten ein Hinderungsgrund der Deregulierung? I. Der Schutzbedarf - die gegenwärtige Diskussion 1. D i e Globalisierung der Märkte

174 175 175

a. Die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes

175

b. Die Umsetzung der Regelungsziele

177

aa. Selbstregulierung

178

bb. D e r Ansatz Schwarks

179

cc. Individuaisschutz und Funktionenschutz

180

dd. Schlußfolgerungen

186

2. Die Diversifikation der Fondslandschaft

187

3. Rating-Agenturen als Intermediäre

190

a. Die Funktion des Rating

191

b. Die Regulierung des Rating

192

c. Zusammenfassung

194

4. Der Shareholder Value-Ansatz

194

5. Fazit: Anlegerschutz contra Anteilseignerschutz

199

II. Die Umsetzung des Schutzbedarfes in Rechtsregelungen

200

1. Definition Anlegerschutz/Anteilseignerschutz

200

2. Der Schutz am Markt

202

a. Die Regelungsmechanismen

203

b. Die Deregulierungsmöglichkeiten

204

3. Der Schutz innerhalb der Gesellschaft a. Der Anlegerschutz

204 204

aa. Schutzbedürftigkeit der Anleger

205

bb. Regelungsmechanismen

206

(1) Die Entwicklung der Treuepflicht in der A G

206

(2) Die Entwicklung der Treuepflicht in der G m b H

208

(3) Folgerungen für die Treuepflicht als Anlegerschutzinstrument (4) Herleitung der Treuepflicht

209 209

(5) Anspruchsbereich der Treuepflicht

215

(6) Rechtsfolgen der Treuepflichtverletzung

218

(a) Treuepflichtsverstoß bei Geschäftsführungsmaßnahmen

220

(b) Treuepflichten bei Verstößen gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften und sonstige gesellschaftsrechtliche Verbotsoder Gebotsnormen

220

(c) Treuepflichtsverstöße im Liquidationsverfahren und ähnlichen Konstellationen (d) Doppelverstöße

222 223

XII

Inhaltsverzeichnis (e) Verdeckte E i n l a g e n r ü c k g e w ä h r

224

(f) P r o b l e m e der U m s e t z u n g

224

cc. Z u s a m m e n f a s s u n g

226

b. Der Anteilseignerschutz

227

aa. S c h u t z b e d ü r f t i g k e i t der Anteilseigner

227

bb. R e g e l u n g s m e c h a n i s m e n

227

III. Schutzbedarf und Deregulierung

3.

230

Kapitel

Die Deregulierungsmöglichkeiten anhand ausgewählter Themenschwerpunkte 233 A . Das Mindestgarantiekapital und die daran anschließenden Regelungskomplexe I. Mindestgarantiekapital und Gesellschaftsform Ein Merkposten der Reform II. Das Mindestgarantiekapital

235 235 236

1. Die W a r n f u n k t i o n des G r u n d k a p i t a l s

238

2. Die A u s s c h ü t t u n g s s p e r r f u n k t i o n des G r u n d k a p i t a l s

239

III. Kapitalaufbringung und -erhaltung

240

IV. Die Gründung

243

V. Die Alternative 1. Das Eigenkapital

245 248

a. Das Basiskapital

248

b. D i e R ü c k l a g e n

250

aa. Die sonstigen R ü c k l a g e n

250

bb. Die Wertsteigerungsrücklage

251

c. Das freie Kapital

252

2. Die anderen Bilanzposten

253

3. Das E G - R e c h t

253

4. Börsengängige u n d öffentlich gehandelte Gesellschaften

254

B. Die nennwertlose Aktie

255

C. Das Bezugsrecht

260

I. Die gegenwärtige Rechtslage II. Die rechtspolitischen Argumente

260 262

Inhaltsverzeichnis

XIII

1. Der Stimmanteil

263

2. Der Wertverlust

264

3. Sonstige Probleme

266

4. Die Vorteile des Bezugsrechtsausschlusses

266

III. Reformvorschlag

268

D . D e r E r w e r b eigener A k t i e n

270

I. Die alte Rechtslage

270

II. Das KonTraG 1. Die Formen des Rückkaufs

273 274

a. Der Erwerb über die Börse

274

b. Tender Offers

275

c. Transferable Put Rights

275

d. Pakethandel

276

2. Fazit

III. Die ökonomisch sinnvolle Lösung 1. Ö k o n o m i s c h e Hintergründe des Erwerbs eigener Aktien

276

276 276

a. Der Abbau von Unterbewertungen

277

b. Der Aktionärskreis

279

c. Die Kurspflege

279

d. Die Unternehmensfinanzierung

279

2. Übertragbarkeit auf die deutsche Situation

282

3. Der gebotene Reformumfang

284

4. Die rechtstechnische Umsetzung

285

5. Vorratskapital und Kapitalrichtlinie

287

IV. Fazit E . D i e Gesellschaftsformen

289 291

I. Die Ubertragbarkeit der einzelnen Reformvorschläge auf die G m b H

292

1. Das Eigenkapital

292

2. Das Bezugsrecht

294

3. D e r Erwerb eigener Anteile

295

II. Die sinnvolle Gestaltung der Gesellschaftsformen

295

1. Die Anzahl der Gesellschafter

297

2. Die Art des Handels der Anteile

298

F. Ausblick: D a s K o n z e r n r e c h t

301

XIV

Inhaltsverzeichnis

I. Der Vertragskonzern

302

II. Der faktische Konzern

304

1. Die ökonomische Analyse von Debus

305

2. Die beteiligten Schutzgruppen

308

a. Die Vertragsgläubiger

308

b. Die Deliktsgläubiger

309

aa. Der Durchgriff zur Mutter

309

bb. Der laterale Durchgriff

309

c. Die Minderheitsgesellschafter

311

aa. Der Eintritt in den faktischen Konzern bb. Das Bestehen des faktischen Konzerns

311 313

(1) Das Recht zum Austritt

313

(2) Der Schadensersatzanspruch

314

3. Der G m b H - K o n z e r n

316

III. Fazit

317

4. Kapitel

Zusammenfassung der Ergebnisse 319

Zeittafel

324

Literaturverzeichnis

325

Register

369

Einleitung

Das deutsche Kapitalgesellschaftsrecht ist r e f o r m b e d ü r f t i g . Läßt sich über diese Feststellung noch Einigkeit erzielen, enden die Gemeinsamkeiten damit auch schon. A l s R e f o r m z i e l w i r d s o w o h l eine weitere Verschärfung 1 als auch eine Deregulierung 2 des Kapitalgesellschaftsrechts angestrebt. V o r allem mit den Möglichkeiten der zweiten Variante w i r d sich die A r b e i t befassen. Die fortschreitende Globalisierung und Internationalisierung der M ä r k t e zwingt den deutschen Kapitalmarkt 3 und damit auch das deutsche Kapitalgesellschaftrecht z u r Anpassung, soll Deutschland auf längere Sicht wettbewerbsfähig bleiben 4 . D e r Zeitpunkt f ü r eine Anpassung ist günstig, da wegen der europäischen W ä h r u n g s u n i o n und der damit verbundenen E i n f ü h r u n g des Euro Gesetzesänderungen unumgänglich sind 5 , so daß das Tor f ü r R e f o r men offensteht. Soweit diese Gesetzesänderungen in der Zwischenzeit auf der Ebene des kleinsten Nenners bereits erfolgt sind, so bleibt der R e f o r m d r u c k dennoch bestehen 6 . D e n n durch die einheitliche W ä h r u n g entfällt das W ä h -

1 Z.B. in Bezug auf die verdeckte Sacheinlage: Ihrig, Die endgültige freie Verfügung über die Einlage von Kapitalgesellschaften, 1990, und Frey, Einlagen in Kapitalgesellschaften, 1990; für eine Anhebung des Mindestnennbetrags ist Brändel, Großkommentar AktG, § 7 R n . 11. 2 Z.B. Kühler, Aktie, Unternehmensfinanzierung und Kapitalmarkt, 1989; Spindler, AG 1998, 53 ff.; Seibert, W M 1997, 1; zur Reformdiskussion: Kraft in KölnKom Band I § 6 Rn. 11 ff.; vor allem die Praxis drängt seit langem auf Deregulierungsmaßnahmen: Waller, Financial Times vom 14.7.1997; Börsen-Zeitung vom 18.8.1994 »Die Börse muß internationaler werden«; Rexroth, Journal, 19 f. 3 Dick, Opportunities, S. 2; Kühler/Mendelson/Mundheim, AG 1990, 463; Böhlhoff in FS Heinsius, S. 49; Butz, DAJV-NL 1998, 29; Bühner/Weinherger, BFuP 1991, 206; Bühner/Tuschke, BFuP 1997, 501; insbesondere da damit der Vorteil der DM als »starker« Heimatwährung entfällt; Sonderbericht S. 51 und 54. 4 Kersting, AG 1997, 222; Kühler, Aktie, S. 15; Ebenroth/Daum, W M 1992, Sonderbeilage 5, S. 4; Everling, Der langfristige Kredit 1991, 272; Eberstadt, W M 1996, 1809; Seibert, WM 1997, 1; Erstes Deutsches Eigenkapitalforum, FAZ vom 20.9.1996, S. 19; Die Bank 1998, 8 ff.; Irwin, FAZ vom 22.4.1997; Gaddum auf dem Deutschen Aktienforum der Telekom, FAZ vom 18.9.1996, S. 28. 5 Eine Zusammenfassung findet sich bei Steffen/Schmidt, DB 1998, 559 ff.; zum Aktiennennwert: Schröer, ZIP 1997, 221 sowie ZIP 1998, 306 ff. 6 Zum Beispiel durch das Euro-Einführungsgesetz vom 9.6.1998, BGBl. I 1242.

2

Einleitung

rungsrisiko, das früher mit dem Kauf von Aktien eines anderen Staates verbunden war. Damit steigt der Wettbewerbsdruck für deutsche Aktien, der seinerseits eine effiziente Rechtsordnung erzwingt. Zu der anstehenden Reformdebatte soll ein Beitrag geleistet werden, indem de lege ferenda Möglichkeiten zur Flexibilisierung des Kapitalgesellschaftsrechts aufgezeigt werden. Dabei soll die Ausarbeitung der inhaltlichen Schwerpunkte des aktuellen Reformbedarfs vorangestellt werden, gefolgt von der Feststellung, welche weiteren Rechtsgebiete einbezogen werden müssen, damit die R e f o r m erfolgreich sein kann. Auf der Grundlage der Entstehungsgeschichte der einzelnen Vorschriften wird sodann der tatsächliche Schutzbedarf von Gläubigern und Anlegern herausgearbeitet, der auf Seiten der Gläubiger bis auf die Sondergruppe der Deliktsgläubiger im Kapitalgesellschaftsrecht als gering zu veranschlagen ist. Auf Seiten der Anleger werden stärkere Differenzierungen als bisher nötig, die zu einer Aufteilung in die unternehmerischen und rein kapitalmäßig beteiligten Anleger führen. Zudem ist zu unterscheiden zwischen dem Anlegerschutz am Markt und innerhalb der Gesellschaft. I m Zuge einer diese Erkenntisse umsetzenden Deregulierung kann das ohnedies mittlerweile seinen Regelungszweck nicht mehr hinreichend erfüllende Mindestnennkapital zugunsten eines gegen bestimmte F o r m e n des E n t zugs aus der Gesellschaft geschützten freien Kapitals aufgegeben werden. Verbunden damit ist eine Deregulierung und Flexibilisierung des gesamten Gründungsvorgangs und des Erwerbs eigener Aktien sowie eine Abschaffung des zwingenden Bezugsrechts. Als Korrelat ist auf die fiduziarischen Pflichten zwischen den Gesellschaftern untereinander und gegenüber dem Management zurückzugreifen sowie das Kapitalmarktrecht auszubauen. D i e Deregulierungsmaßnahmen ermöglichen es weiterhin, von der überholten Teilung in G m b H und A G Abstand zu nehmen und eine einheitliche Gesellschaftsform zu finden, deren zwingende N o r m v o r g a b e n mit der Zahl der Anleger variieren.

1. Kapitel

Grundlagen und Ziele der Reform durch Deregulierung So alt wie das A k t i e n r e c h t als G r u n d s t e i n des Kapitalgesellschaftsrechts ist auch die D i s k u s s i o n u m seine R e f o r m b e d ü r f t i g k e i t 1 . E s gibt k a u m ein R e c h t s gebiet n e b e n d e m Kapitalgesellschaftsrecht, das sich in ähnlicher Weise den ständigen F r a g e n nach einer N e u s t r u k t u r i e r u n g ausgesetzt sah und sieht, gleichzeitig aber v o m G e s e t z g e b e r seiner S u b s t a n z nach im Verhältnis dazu lange Zeit n u r geringen Ä n d e r u n g e n u n t e r w o r f e n w u r d e 2 . Wesentlich hat h i n gegen die R e c h t s p r e c h u n g zur F o r t e n t w i c k l u n g des

Kapitalgesellschafts-

rechts beigetragen, sei es indem sie in der Praxis bereits b e w ä h r t e L ö s u n g e n rezipierte, sei es i n d e m sie neue M a ß s t ä b e setzte 3 , sei es aber auch, indem sie v o m G e s e t z g e b e r geschaffene R e f o r m e n als u n z u r e i c h e n d ablehnte und entsprechend i h r e m Verständnis judizierte 4 . D i e s hat z w a r erheblich zur Stabilität des Kapitalgesellschaftsrechts beigetragen, hat aber auch zu teilweise verw i r r e n d e n Rechtsverhältnissen geführt 5 . A n dieser Situation hat sich erst in letzter Zeit etwas geändert. D i e R e f o r m debatte strebt einem neuen H ö h e p u n k t zu, da sich m e h r und m e h r a b z e i c h n e t ,

Siehe dazu unten den historischen Abschnitt im zweiten Kapitel A. Ballerstedt, S. 1. 3 Z.B. indem sie das mißbräuchliche Ausnutzen vom Registersperren durch klagende Aktionäre durch das Institut der offensichtlich unbegründeten Anfechtungsklage beschränkte, BGHZ 107,296, 308 ff.; dazu: Guntz, S. 269 ff.; das RWS Forum Band 4 über das mißbräuchliche Aktionärsverhalten mit Beiträgen von Timm, Windbicbler, Lehmann, Martens, Baums und Keil', oder durch die Ausdifferenzierung des KG-Rechts im Zusammenhang mit den Abschreibungsgesellschaften. 4 Paradebeispiel dazu ist die Novelle über eigenkapitalersetzende Darlehen im GmbHRecht, die der Rechtsprechung nicht weit genug ging, woraufhin sie die Fortgeltung der alten Regeln neben der neuen Gesetzeslage postulierte; BGHZ 90, 370, 376 ff.; zu dem Nebeneinander von Rechtsprechungsgrundsätzen und Gesetz Lutter/Hommelboff, GmbHG, §32 a/b, Rn. 10 ff. 5 Dies kommt am augenfälligsten bei der Analogiebildung zum Tragen, über deren Konzept mittlerweile kein Uberblick mehr zu gewinnen ist. Hierbei wiederum am auffälligsten sind die Analogien zum Konzernrecht, die sich nur noch rudimentär an Normen orientieren, in Wirklichkeit aber Rechtsschöpfungen darstellen; dazu sogleich unten unter A.I. 1

2

4

1. Kapitel: Grundlagen und Ziele der Reform durch

Deregulierung

daß der ohnedies schwache deutsche Kapitalmarkt 6 den capital management Anforderungen der internationalen Märkte nicht standhalten können wird 7 . Dem deutschen Kapitalgesellschaftsrecht fehlen bisher, obwohl es seit dem zweiten Weltkrieg Ziel jeder Reform des Aktienrechts war, auch die Situation am Kapitalmarkt zu verbessern 8 , die Möglichkeiten zur effizienten Kapitalstrukturierung. Der Gesetzgeber hat auf den Druck der Weltmärkte überraschend schnell - wenn auch nicht weitreichend genug - reagiert und hat mit den Finanzmarktförderungsgesetzen 9 und dem KonTraG 1 0 Erleichterungen geschaffen, wie die Zulassung des Erwerbs eigener Aktien oder die Zurückdrängung des zwingenden Bezugsrechts. Umfassende Reformen werden jedoch nach wie vor durch die Festschreibung vieler der als nachteilig empfundenen Prinzipen - wie zum Beispiel dem des fixen Mindestnennkapitals - in der Kapitalrichtlinie der E G vom 13.12. 1976 behindert 11 . Auch hier hat sich die Situation durch den Vertrag von Maastricht verändert. Durch die Einführung des Euro ergibt sich zwangsweise die Notwendigkeit, die Kapitalrichtlinie zu überarbeiten, insbesondere im Hinblick auf die Festsetzung des Nennkapitals und des Nennwerts der einzelnen Anteile, da sich die entsprechenden Werte nicht einfach auf glatte Zahlen umstellen lassen 12 , ungerade Werte als Mindestkapitalanforderungen indessen ungeeignet erscheinen 13 . Der deutsche Gesetzgeber hat deswegen bereits im StückAG 1 4 im Rahmen der Euro-Umstellung 1 5 die unechte nennwertlose Aktie zugelassen. Ausführlich dazu unten unter B. Kühler, Aktie, S. 15; Butz, DAJV-NL 1998, 41; Eherstadt, WM 1996, 1809; Seibert, WM 1997, 1; Erstes Deutsches Eigenkapitalforum, FAZ vom 20.9.1996, S. 19; Irwin, FAZ vom 22.4.1997; Gaddum auf dem Deutschen Aktienforum der Telekom, FAZ vom 18.9. 1996, S. 28. 8 RegE Kropff, S. 14; Schäffer B B 1958, 1253; Dippel, DRiZ 1965, 356; Gessler, AG 1965, 344; Wilhelmi, A G 1965, 153; Stammherger in Aktienrechtsreform, S. 15 f.; Hengeler/Kreifeis, Beiträge S. 12; Reinicke, Beiträge S. 117; Strauss, Grundlagen, S. 4 sowie S. 9 ff. mit interessantem weiteren Material. 9 Zweites Finanzmarktförderungsgesetz, BGBl. 1994 I, 1749; der Entwurf zum Dritten Finanzmarktförderungsgesetz ist abgedruckt in: Z B B 1997, 286 ff. 10 BGBl. 1998 I, 786 ff.; der Regierungsentwurf ist abgedruckt in ZIP 1997, 2059 ff. 11 Abi. E G Nr. L 26 vom 31.1.1977 S. 1 ff.; Durchführungsgesetz vom 13.12.1978, BGBl. I 1595 ff. 12 Ausführlich dazu: Schneider, D B 1996, 817 ff.; Steffen/Schmidt, DB 1998, 562 ff.; Heider, AG 1998,4; Schröer, ZIP 1997,221 ff. 13 Ausführlich dazu Schneider, D B 1996, 817 ff.; Schröer, ZIP 1997, 222 ff. 14 BGBl I 1998, 590 ff.; der Entwurf eines Gesetzes über die Einführung von Stückaktien ist abgedruckt in ZRP 1998, 75 f. 15 Im wesentlichen im EuroGuG geregelt, B G B l I 1998, 1242; der Referentenentwurf ist abgedruckt in ZIP 1997, 1259. 6

7

1. Kapitel: Grundlagen

und Ziele der Reform durch

Deregulierung

5

Als Grundlage des Reformvorschlages dienen die Abschnitte dieses Kapitels, die die bisherige Debatte aus kapitalgesellschaftsrechtlicher Sicht erläutern (A.), die kapitalmarktrechtliche Situation darstellen (B.), die die Reform notwendiger Weise begleitenden Nebengebiete beleuchten (C.) und mit der Formulierung der wesentlichen ökonomisch wünschenswerten Reformziele enden (D.), deren Umsetzung die weiteren Kapitel gewidmet sind.

A. Der Reformbedarf aus kapitalgesellschaftsrechtlicher Sicht D e r g r ö ß t e Teil der kapitalgesellschaftsrechtlichen R e f o r m d i s k u s s i o n kreist u m E i n z e l f r a g e n , deren L ö s u n g in segmentierten B e r e i c h e n gesucht wird, o h n e daß ein G e s a m t k o n z e p t im H i n t e r g r u n d steht. N u r wenige A u t o r e n prangern das S y s t e m insgesamt als ü b e r h o l t an und streben nach r e c h t s p o l i tisch motivierten Veränderungen 1 . D a ß der zweite A n s a t z der richtige ist, soll im F o l g e n d e n dargelegt w e r d e n .

I. Der dogmatische

Reformansatz

D i e A n p a s s u n g v o n nicht geregelten Einzelfragen an das bestehende R e c h t s s y s t e m ist n o t w e n d i g und prinzipiell auch sinnvoll. Zeigt sich j e d o c h , daß der A n p a s s u n g s b e d a r f in R e l a t i o n zur v o r h a n d e n e n N o r m i e r u n g unverhältnismäßig g r o ß ist o d e r daß die A n p a s s u n g zu zweifelhaften E r g e b n i s s e n führt, so sollte nicht m e h r ü b e r V o r g e h e n s w e i s e n de lege lata, sondern ü b e r R e f o r m e n de lege ferenda nachgedacht w e r d e n . D a ß das Kapitalgesellschaftsrecht an diesem P u n k t a n g e k o m m e n ist, wird n u n m e h r k u r z anhand einiger Beispiele belegt. D i e A n z a h l der als A n a l o g i e n b e z e i c h n e t e n A n g l e i c h u n g e n ist mittlerweile nahezu u n ü b e r s c h a u b a r g e w o r d e n . N e b e n der h o h e n Zahl entsprechender L ö s u n g s a n s ä t z e schlägt w e i t e r h i n negativ zu B u c h e , daß eine d o g m a t i s c h h i n reichende U b e r p r ü f u n g der einzelnen A n a l o g i e n oder R e c h t s g e d a n k e n nicht m e h r erfolgt, sondern m e h r o d e r m i n d e r willkürlich eine N o r m h e r a n g e z o g e n wird, die die g e w ü n s c h t e n F o l g e n ausspricht 2 . O b dabei w i r k l i c h die Voraus-

1 So z.B. Kühler in seinem Buch Aktie, Unternehmensfinanzierung und Kapitalmarkt; Spindler, A G 1998,56. 2 Interessant in diesem Zusammenhang ist die Arbeit von Friedrich, die eine Systematisierung der Rechtsprechung des B G H zur G m b H anstrebt.

A. Der Reformbedarf

aus kapitalgesellschaftsrechtlicher

Sicht

7

Setzungen einer Analogie vorliegen 3 oder ob die herangezogenen N o r m e n ihrem Telos nach einschlägig sind, bleibt unerwähnt 4 . Relativ unbedenklich sind dabei noch diejenigen »Analogien«, die aus Praktikabilitätsgründen geschaffen worden sind. Dabei geht es meist um die Übernahme von Verfahrensnormen auf eine nicht geregelte Fallkonstellation, wie zum Beispiel die analoge Anwendung von § 250 Abs. 1 A k t G auf die Wahl der Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer 5 oder die Übertragung der für die Hauptversammlung geltenden N o r m e n auf Aufsichtsratsbeschlüsse 6 oder die Übernahme des die Aufhebungen von Unternehmensverträgen regelnden §296 A k t G auf deren Kündigung 7 und von §284 A k t G auf deren Frist 8 oder die Ausgestaltung von in §292 A k t G nicht aufgeführten Gesellschaftsvertragsarten nach dieser Norm 9 . Problematischer sind die Übernahmen von Regelungen, deren Übertragung sinnvoll sein mag, aber nicht zwingend ist. Dazu gehören 10 : 3

Sei es nach der Definition von Larenz, AT § 4 II Rn. 28 ff., oder der kritischen Einschätzung von Esser, Methoden, S. 8 f. sowie Grundsatz, S. 231 ff. 4 So passen z.B. bei der Analogie in Bezug auf die fehlerhaften Aufsichtsratsbeschlüsse ( O L G H a m b u r g , A G 1992, 197, 198 ff.) bereits die Rechtsfolgen der analog anzuwendenden N o r m nicht, weil keine U b e r p r ü f u n g in einem gerichtlichen Verfahren angestrebt wird. A m deutlichsten zeigt es sich bei der Rechtsfortbildung zum Konzernrecht, zu der sogleich Stellung genommen wird. 5 Raiser, MitbestG, § 22 Rn. 20. 6 Bei fehlerhaften Aufsichtsratsbeschlüssen wird die A n w e n d u n g der §§241 ff. A k t G analog vertreten von: O L G H a m b u r g , A G 1992, 197, 198 ff.; Axhausen, S. 159 ff.; Baums, Z G R 1983, 305 ff.; Radtke, BB 1960, 1046 ff.; die Entwicklung neuer, an den Sachzusammenhang mit §§241 ff. A k t G angelehnter Regelungen vertritt: Raiser, Kapitalgesellschaften, § 15 Rn. 66; so wohl auch: B G H Z 106, 54, 66 f.; Gessler in Gessler/Hefermehl, A k t G § 108 Rn. 67 ff.; Mertens in K ö l n K o m , § 108 Rn. 72 ff.; Schneider in Scholz, § 52 Rn. 309 ff.; Lutter/Krieger, Rn. 251 ff.; die Nichtigkeit der Beschlüsse nimmt an: Hoffmann-Becking, M ü n c h H d b . A G § 31 Rn. 99 ff.; B G H Z 12, 327, 330 ff.; 47, 341, 345 f.; 83, 144, 146; 85, 293, 295; Baumhach/Hueck, A k t G , § 108 Rn. 3; Godin/Wilhelmi, A k t G , § 108 A n m . 6; MeyerLandrut in G r o ß k o m m e n t a r , §108 A n m . 6; Meilicke, Aufsichtsratsbeschlüsse, S. 78; Scheuffler, S. 8. 7 Koppensteiner in K ö l n K o m , §297, Rn. 3; Windbichler, Unternehmensverträge, S. 74 f.; a.A. Werner, A G 1967, 124. 8 Emmerich/Sonnenschein, § 15 III. S. 233. 9 Z.B. Betriebsführungsverträge; Krieger in M ü n c h H d b . A G , § 72 Rn. 4; Martens, Wirtschaftsabhängigkeit, S. 26 f., insb. Fn. 33; anders f ü r isolierte Verlustübernahmeverträge Schmidt K. in FS Werner, S. 788 f. 10 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Diskussion um die Möglichkeit der Ü b e r n a h m e des US-amerikanischen Proxy-Stimmrechts (ausführlich z u m US-amerikanischen System: Clark, S. 366 ff.) Für eine Ü b e r n a h m e in das deutsche Recht sind: L G Stuttgart, A G 1974, 260 f.; Schilling in FS M ö h r i n g (75), S. 262 f.; Wiethölter, Aktiengesellschaft, S. 334 ff. Die Gegner bilden wegen ihrer negativen Einschätzung dieses Institutes eine Analogie zu § 136 Abs. 2 A k t G : Großfeld, Aktiengesellschaft, S. 206 f. Differenzierend sehen das Problem: der Bericht der Unternehmensrechtskommission, Rn. 607 ff.; Mest-

8

1. Kapitel: Grundlagen

und Ziele der Reform durch

Deregulierung

- die F o r d e r u n g nach Einstimmigkeit bei Ä n d e r u n g des Unernehmensziels 1 1 - die Übertragung von § 255 Abs. 2 A k t G (Anfechtung einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen unter Ausschluß des Bezugsrechts) auf die Anfechtung der Kapitalerhöhung gegen Sacheinlage 12 und mittels genehmigten Kapitals 13 - die A n w e n d u n g von § 304 A k t G auf andere Parteien mit Gewinnbeteiligung wie G e n u ß scheininhaber oder Tantiemenberechtigte 1 4 - die Ü b e r n a h m e von § 361 A k t G auf eine G m b H , die ihr gesamtes Vermögen übertragen will, 15 - das Bezugsrecht der GmbH-Gesellschafter nach § 186 A k t G 1 6 - die A u s d e h n u n g von § 4 7 Abs. 4 G m b H G entsprechend der Regelung in § 136 Abs. 1 A k t G auf Beschlüsse im Vorfeld eines Prozesses 1 7 - die F o r d e r u n g nach einer satzungsändernden Mehrheit bei Ausschluß eines Gesellschafters nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 G m b H G 1 8 - die Übertragung der aktienrechtlichen Regelungen der §§ 241 ff. A k t G auf die Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Gesellschafterbeschlüssen der G m b H 1 9 - die Auferlegung der Beweislast gemäß § 93 Abs. 2 A k t G analog auf den Geschäftsführer einer G m b H dafür, daß infolge seines eine Pflichtwidrigkeit nahelegenden Verhaltens kein Schaden entstanden ist 20

mäcker, Verwaltung, S. 61 ff. Für eine Berücksichtigung als Alternative zum D e p o t s t i m m recht der Banken: der Bericht der Kommission »Grundsatzfragen der Kreditwirtschaft«, Rn. 927; Zöllner in K ö l n K o m , § 134 Rn. 79 sowie ausführlicher in FS Westermann, S. 610; Möbring in FS Gessler, S. 133 ff. Auch hier wäre es sinnvoller, über das Gesamtsystem nachzudenken. 11 Mit der h.M. Zöllner in K ö l n K o m , § 179 Rn. 113; Hüffer, A k t G , § 179 Rn. 33; Semler in M ü n c h H d b . A G , § 39 Rn. 53; die m.M. will einen Mehrheitsbeschluß mit einer Sicherung der Aktionäre nach §§304, 305 analog: Timm, Aktiengesellschaft, S. 31 ff.; Wiedemann, GesR I, S. 156 f. sowie J Z 1978, 613. 12 B G H Z 71, 40, 50 ff.; Hüffer, A k t G , §255 Rn. 7; Zöllner in K ö l n K o m , §255 Rn. 7; a.A. Schilling in G r o ß k o m m e n t a r , § 255 A n m . 3. 13 B G H Z 83, 319, 320 ff.; Schilling in G r o ß k o m m e n t a r , § 255 A n m . 5; Zöllner in KölnKom, § 255 Rn. 8. 14 Konzen, R d A 1984, 80 f. 15 Ulmer in Hachenburg, § 53 Rn. 38; Priester in Scholz, § 53 Rn. 177. 16 Lutter, A c P 180, 122 f.; Priester, D B 1980, 1927. 17 Raiser, Kapitalgesellschaften, § 33 Rn. 46; Lindacher, Z G R 1987, 123 ff.; Schmidt K, N J W 1986, 2019; im Ergebnis so auch B G H Z 97, 28, 30 ff. 18 B G H Z 9, 157, 177; zustimmend Ulmer in Hachenburg, Anh. §34 Rn. 25; Lutter/ Hommelhoff, G m b H G § 34 Rn. 27; Immenga, Kapitalgesellschaft, S. 308; ablehnend Hueck in B a u m b a c h / H u e c k , G m b H G , Anh. § 34 Rn. 9; Balz, S. 40. 19 Allerdings lediglich falls die Besonderheiten der G m b H dem nicht entgegen stehen: B G H Z 111,224,225; ausführlich dazu Immenga, G m b H R 1973, 5 ff.; so ist z.B. ein Gesellschaftsbeschluß über eine Leistung, der dem Verbot von § 30 Abs. 1 G m b H G entgegensteht, nach § 241 Abs. 3 A k t G nichtig, Raiser, Kapitalgesellschaften, S. 441. Ein Urteil über einen Beschluß wirkt f ü r und gegen alle Gesellschafter, § 248 analog, Lindacher, Z G R 1987, 123. 20 B G H W M 1980, 1190 f.; W M 1985, 1293 f.; W M 1991, 283 ff.; Zöllner in Baumbach/ H u e c k , G m b H G , § 43 Rn. 24; differenzierend von Gerkan, Z H R 154, 42 f., 61 ff.

A. Der Reformbedarf

aus kapitalgesellschaftsrechtlicher

Sicht

9

- die Herabsetzung der Bezüge eines Geschäftsführers einer GmbH gemäß § 87 Abs. 2 AktG analog 21 - die Einsetzung besonderer Vertreter zur Durchsetzung von Ansprüchen der GmbH nach § 147 Abs. 3 S. 2 AktG analog durch das Registergericht 22 - die Haftung der Bank nach § 37 Abs. 1 S. 4 AktG analog, wenn die Bank einer GmbH eine schriftliche Bestätigung darüber ausstellt, daß das eingezahlte Kapital zur freien Verfügung des Vorstands steht23. Die meisten Analogien beziehen sich auf das Konzernrecht: - hat eine Eingliederung stattgefunden, so haftet der Vorstand der eingegliederten Gesellschaft beim Vorliegen einer Weisung durch die herrschende Gesellschaft nach §310 AktG analog 24 - erfolgt die Konzernierung von unten nach oben wird entweder § 309 AktG analog auf das Verhältnis Mutter-Enkel 25 oder die Rechte aus § 304 AktG analog gegen die Mutter 26 oder eine Nichtigkeit des Vertrages bei fehlender Ausgleichsregelung nach §307 AktG analog 27 vertreten - im Verhältnis Mutter-Tochter-Enkel wird bei einer Konzernierung von oben nach unten gemäß § 305 Abs. 2 Nr. 2 AktG analog als Bezugspunkt des Ausgleichs die Mutter eingesetzt 28 - erfolgt der Vertragsschluß unmittelbar zwischen Mutter und Enkel werden die §§ 304 ff. analog angewendet 29 - im GmbH-Konzern soll § 293 Abs. 2 AktG unabhängig von der Rechtsform der Obergesellschaft Anwendung finden 30 - streitig ist dabei, ob die Formvorschriften der §§ 293 Abs. 2 AktG und 294 AktG zu beachten sind31 - streitig ist ebenfalls das Quorum, mit dem die Gesellschafter der Obergesellschaft den Unternehmensvertrag billigen müssen32

21 Raiser, Kapitalgesellschaften, § 32 Rn. 41; der BGH hat einer Erhöhung der Bezüge aus dem Gesichtspunkt der Treuepflicht heraus zugestimmt, BGH GmbHR, 1978, 12 f. 22 Eickhoff S. 74 ff. 23 BGHZ 119,177, 180 f. 24 Raiser, Kapitalgesellschaften, § 55 Rn. 6. 25 Rehbinder, ZHR 1977, 606. 26 Bachelin, S. 74 f. 27 Hüchtig, S. 132 f. 28 Rehbinder, ZHR 1977, 604 f. 29 Bayer in FS Ballerstedt, S. 169 ff. 30 BGHZ 105, 324, 333; Emmerich/Sonnenschein, § 25 II. 5. S. 413; a.A. für den Fall einer AG als herrschendes Unternehmen Vetter, BB 1989, 2125 ff. 31 Verneinend: BGHZ 105, 324, 337; bejahend: Heckschen, DB 1989, 30; Weigel in FS Quack, S. 516 f. 32 Schneider in Schneider, S. 15 f.; für eine 3/4 Mehrheit: BGHZ 105, 325, 336; Priester, DB 1989, 1016 ff.; Timm, GmbHR 1989, 15. Bezüglich des Quorums in der beherrschten Gesellschaft: Krieger, G., in Schneider, S. 102ff.; für Einstimmigkeit ist z.B. Hönle, DB 1979, 487; für eine 3/4 Mehrheit Timm, GmbHR 1987, 11 f.; genauer dazu m.w.N. Emmerich in Scholz, Anhang Konzernrecht, Rn. 252 ff.

10

1. Kapitel: Grundlagen

und Ziele der Reform durch

Deregulierung

- die §§ 302, 303 AktG sollen entsprechend bei Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen im GmbH-Konzern anwendbar sein33 - für die Änderung und Beendigung sollen die §§ 295 - 299 AktG analog anwendbar sein34 - erfolgt eine effektive Kapitalerhöhung, so dürfen die Anteile nicht von einem abhängigen Unternehmen der die Kapitalerhöhung durchführenden Gesellschaft übernommen werden, § 56 Abs. 2 AktG analog 35 und dabei auf den lediglich rudimentär geregelten faktischen Konzern. - bei Weisungserteilung der herrschenden Gesellschaft im Vertragskonzern kann Nachteilsausgleich nach § 311 AktG analog gefordert werden 36 - die Haftung des herrschenden Unternehmens für nachteilige Weisungen erfolgt nach § 309 Abs. 3 - 5 AktG entsprechend 37 - wird ein dementsprechender Ersatzanspruch pflichtwidrig nicht geltend gemacht, so sind die §§317 Abs. 4 und 309 Abs. 4 AktG entsprechend anzuwenden 38 - ist eine faktische Konzernierung vorgenommen worden, ohne daß zuvor ein entsprechender Gesellschafterbeschluß gefaßt worden ist, so sollen die §§304, 305 AktG entsprechende Anwendung finden 39 - haben die Gesellschafter zugestimmt, so soll sich das Weisungsrecht seinem Umfang nach an § 308 Abs. 1 S. 2 AktG orientieren 40 In diesem Bereich kommt es zu den gravierendsten Friktionen. A m deutlichsten zeigen sich die entprechenden Schwierigkeiten bei der von der Rechtsprechung vorgenommen Fortbildung des GmbH-Konzernrechts 4 1 . G r u n d lage der Analogiebildung im Recht des faktischen G m b H - K o n z e r n s ist die Autokran-Entscheidung 4 2 des B G H . In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt hielt im wesentlichen der beklagte Gesellschafter die A n teile von sieben G m b H , deren Betriebsmittel er ohne Rücksicht auf die Belange der einzelnen G m b H zwischen diesen verschob 4 3 . A l s alle sieben G m b H schließlich in K o n k u r s gingen, wollte der Eigentümer der an die verschiedenen G m b H geleasten Autokrane auf den hinter den G m b H stehenden Gesellschafter durchgreifen. Der B G H lehnte einen Durchgriff ab 44 , kreierte aber eine konzernrechtliche Haftung nach den f ü r den Vertragskonzern geltenden BGHZ 103, 1, 4 ff.; 105, 324, 336; Kort, Abschluß, S. 144 ff.; Wirth, DB 1990, 2105. Emmerich in Scholz, Anhang Konzernrecht, Rn. 316 ff.; Wirth, DB 1990, 2105 ff. 35 Ulmer in Hachenburg, § 55 Rn. 40; Priester in Scholz, § 55 Rn. 109 f.; Lutter, Kapital, S. 196 ff. 36 Emmerich in Hommelhoff, S. 75; Wilhelm, S. 142. 37 Dies wird z.B. von Mertens in FS Fleck ohne Begründung vorausgesetzt, S. 209, 218. 38 Koppensteiner in KölnKom, § 302 Rn. 22; für die GmbH: Stützle in Schneider, S. 91 f. 39 Flume, AT, S. 130; Rehbinder, AG 1986, 91; Schmidt K, ZGR 1981,473. 40 Emmerich/Sonnenschein, § 18 IV. S. 317 f.; a.A. Sina, AG 1991, 1. 41 Mülbert, Aktie, S. 477ff.; Stodolkowitz, ZIP 1992, 1517ff.; Schmidt, K., ZIP 1994, 838 ff.; ausführlich dazu: Gätsch, S. 27 ff. 42 BGHZ 95, 330, 331 ff. 43 BGHZ 95, 330, 341. 44 BGHZ 95, 330, 333 f. 33 34

A. Der Reformbedarf

aus kapitalgesellschaftsrechtlicher

Sicht

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§§ 303, 322 AktG analog, obwohl es sich - wenn überhaupt - um einen faktischen Konzern handelte 45 . In der Folgezeit stellten sich die bei dieser Art der Konstruktion zu erwartenden Schwierigkeiten heraus, die den B G H in der Tiefbau- 46 , Video- 47 , und TBB-Entscheidung 4 8 zur Änderung und Nachbesserung zwangen. In der Tiefbau-Entscheidung erweitert der B G H die Analogie um die Heranziehung der Verlustausgleichspflicht nach § 302 AktG. Er revidiert dabei die Autokran-Entscheidung dahingehend, daß Verluste, die nicht mit der Leitungsmacht zusammenhängen, nicht zu einer Haftung führen, weil sonst eine unkontrollierbare und ungerechtfertigte Haftungserweiterung eintreten würde 49 . Die Video-Entscheidung stellt sodann klar, daß die nunmehr begründete Haftung keine Haftung wegen eines schuldhaften, pflichtwidrigen Verhaltens ist, sondern eine Riskoübernahme wegen der Aufnahme der Gesellschaft in den Konzernverbund bezweckt 50 . In der TBB-Entscheidung 5 1 schließlich beschränkt der B G H die Haftung der herrschenden Gesellschaft auf die Fälle, in denen die Behandlung der abhängigen Gesellschaft einen objektiven Mißbrauch der Stellung des beherrschenden Gesellschafters darstellt 52 . Ziel der Klarstellung ist es, eine Haftung der herrschenden Gesellschaft auszuschließen, falls diese ausschließlich im Interesse der beherrschten Gesellschaft gehandelt hat 53 . Bereits diese kurze Darstellung läßt die Probleme erahnen, die sich im Hinblick auf das Recht des faktischen Konzerns bei dem Versuch ergeben, Analogien von Normen zu bilden, die weder den Voraussetzungen noch den Rechtsfolgen nach auf die fragliche Sachverhaltskonstellation passen 54 . Als besonders schwerwiegend drängen sich dabei die Fragen nach der richtigen Haftungsmasse - Privatvermögen oder Vermögen aller Gesellschaften - sowie dem Rechtsgrund und daraus folgend der Art und dem Umfang der Haftung auf, die bei dieser Art der Rechtsfortbildung erst gar nicht zur Diskussion gestellt werden 55 .

Emmerich, G m b H R 1987, 215. B G H Z 107,7,16 ff. 47 B G H Z 115,187,193 ff. 48 B G H Z 122,123,124 ff. 49 B G H Z 107,7, 18 f. 50 B G H Z 115,187,194. 51 B G H Z 122,123,124 ff. 52 B G H Z 122,123,130. 53 B G H Z 122,123,131. 54 In diesem Zusammenhang formuliert Mülbert, Aktie, S. 481: »Gesucht wird der zur gewollten Rechtsfolge passende Tatbestand.«. 55 Zu den damit verbundenen Schwierigkeiten ausführlich: Die Heidelberger Konzern45

46

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1. Kapitel: Grundlagen

und Ziele der Reform durch

Deregulierung

Ein solches Vorgehen durch die Rechtsprechung kann auf Dauer nicht fortgeführt werden, zum einen weil es zu nicht mehr überschaubaren Ergebnissen führt, zum anderen - und dies fällt schwerer ins Gewicht - weil es den bestehenden Konsens über die verfassungsmäßigen Möglichkeiten angemessener Rechtsfortbildung aushöhlt 56 . Zu alle dem stellt sich noch die Frage, ob die vom B G H gefundene Lösung der 12. Richtlinie 57 entspricht 58 . Nicht viel besser als bei der Rechtsanpassung durch Analogiebildung wird die Diskussion der sonstigen Streitfragen gehandhabt. So wird in seitenstarken Arbeiten detailliert untersucht, wann ein Betrag zur freien Verfügung steht oder eine verdeckte Sacheinlage begründet ist 59 . Dabei werden dogmatisch schwierige Konstruktionen erstellt und heiß umstritten, um die Haftung der Gesellschafter zu begründen 60 , ohne daß hinterfragt wird, ob eine solche Haftung noch sinnvoll ist oder ob das dadurch geschütze Garantiekapital nicht ein obsoletes Institut ist. Bereits anhand dieser Beispiele ist offensichtlich, daß sich die dogmatischen Ansätze für eine Reform des Kapitalgesellschaftsrechts überlebt haben. Es ist gegenwärtig nicht mehr an der Zeit, über eine Ausdifferenzierung des bestehenden Systems nachzudenken, sondern diejenigen Reformansätze zu verfolgen, die eine Neustrukturierung des Kapitalgesellschaftsrechts anstreben.

II. Der rechtspolitische Reformansatz Die rechtspolitisch relevante Frage ist die nach der Tauglichkeit des gegenwärtigen Systems in einem Umfeld, das sich zusehends globalisiert und internationalisiert und so bisher nicht gekannte Anforderungen an das Kapi-

rechtstage, Kleindiek, GmbHR 1992, 574 ff.; Michalski/Zeidler, N J W 1996, 224 ff.; Schulze-Osterloh, ZIP 1993, 1838 ff.; Mülhert, Aktie, S. 48 ff.; Schmidt,K, ZIP 1994, 1742 ff. 56 Zu den Formen und Möglichkeiten der Analogie: Larenz/Canaris, S. 202 ff.; Larenz, Methodenlehre, S.381 ff.; Fikentscher, Methoden, S.284f.; Stodolkowitz, ZIP 1992, 1525; zur Kritik an der Analogiebildung schlechthin: Esser in Enzyklopädie, S. 9 f. sowie in Grundsatz, S. 231 ff. 57 Die Richtlinie betreffend Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter vom 21.12.1989, Abi. C 287/1 vom 14.1.1986. 58 Dazu: Kindler, Z H R 157, 4 ff., insb. 10 ff. 59 Genannt seien z.B. die Arbeiten von Ihrig, Die endgültige freie Verfügung über die Einlage von Kapitalgesellschaften, und Frey, Einlagen in Kapitalgesellschaften; Mast, Die Heilung der verdeckten Sacheinlage bei der GmbH; Mülhert, Z H R 154, 145 ff.; dazu auch: Assmann/Sethe, Z H R 158, 646 ff. 60 Zusammengefaßt bei Klose-Mokroß, S. 11 ff.

A. Der Reformbedarf

aus kapitalgesellschaftsrechtlicher

Sicht

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talgesellschaftsrecht stellt 61 . Bedingt durch die US-amerikanischen Erfahrungen ist Ansatzpunkt eine weitgehende Flexibilisierung, die lediglich durch eine tiefgreifende Deregulierung des Kapitalgesellschaftsrechts zu erreichen ist. Dabei steht insbesondere die Frage nach dem angemessenen Gläubigerschutz und Anlegerschutz im Vordergrund, da viele der gegenwärtig im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht vorherrschenden Regelungen vor allem mit gläubigerschützenden Erwägungen begründet werden, obwohl dies so nicht ihrer Genese entspricht. Sollte sich bei der Durchleuchtung der Gläubigerschutz- und Anlegerschutzaspekte in historischer, empirischer und teleologischer Hinsicht ergeben, daß die starke Akzentuierung des Gläubigerschutzes nicht gerechtfertigt ist, so wird das zu weitreichenden Umstrukturierungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten führen, in deren Mittelpunkt das Garantiekapital und seine unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen stehen 62 . Der rechtspolitische Reformansatz kann sich nur teilweise auf Querverbindungen zu bestehenden Regelungen beziehen, da eine Neuschaffung von großen Teilen des Rechtssystems angestrebt wird. Er ist deshalb darauf angewiesen, aus den Grundlagen des Kapitalgesellschaftsrechts in Abwägung der relevanten Prinzipien ein neues mit dem übrigen Rechtssystem harmonierendes Gerüst zu erstellen, das verständlicher Weise zunächst nur die Ansätze der Reform aufzeigen kann, um dann in der Folgezeit durch die Rechtsprechung und Literatur mit den entsprechenden Details ausgefüllt zu werden. Bei den in Hinblick auf die Neustrukturierung relevanten Prinzipen handelt es sich weitgehend um die auch bisher das Kapitalgesellschaftsrecht bestimmenden Grundprinzipien, deren Beachtung aber über der dogmatischen Erörterung von Einzelfällen aus den Augen verloren worden ist. Sie sollen daher im Folgenden kurz wieder in Erinnerung gerufen werden. 1. Kapitalsammeifunktion und Haftungsbegrenzung Die Aktiengesellschaften sind entstanden 63 , als sich abzeichnete, daß die durch die fortschreitende Industrialisierung bedingten Wirtschaftsinvestitionen nicht mehr in ausreichendem Umfang durch die Mittel Einzelner finan61 So wird verstärkt eine Umstrukturierung der Unternehmensfinanzierung gefordert, um auf dem Weltmarkt mithalten zu können: Erstes Deutsches Eigenkapitalforum, FAZ vom 20.9.1996, S. 19; Schwark, WM 1997, 293 ff., weist in diesem Zusammenhang auch auf die durch die elektronischen Handelssysteme eröffneten Möglichkeiten hin. 62 Kühler, Aktie, § 12. 63 Ausführlich zur geschichtlichen Entwicklung der Aktiengesellschaft siehe unten 2. Kapitel A.

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1. Kapitel: Grundlagen und Ziele der Reform durch

Deregulierung

ziert w e r d e n k o n n t e n . D a m i t w u r d e es n o t w e n d i g , auch die M i t t e l der »kleinen Sparer« zu integrieren, u m die b e n ö t i g t e n K a p i t a l v o l u m i n a zu erreichen. B e k a n n t e s t e s Beispiel dafür ist der E i s e n b a h n b a u 6 4 . D e r A n f a n g der Kapitalgesellschaften ist s o m i t aufs E n g s t e mit der N o t wendigkeit der K a p i t a l b e s c h a f f u n g b e i m breiten P u b l i k u m verbunden. E n t sprechend stand bei der G e n e s e der S c h u t z der A n l e g e r im Vordergrund, da diese bereit sein m u ß t e n , ihr Kapital zu investieren 6 5 . O b w o h l die H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g bei der E n t s t e h u n g der juristischen P e r s o n e n kein z w i n g e n d e r Bestandteil war, gewann sie m e h r u n d m e h r an G e w i c h t 6 6 . D e n n für den einzelnen Kleinanleger, der in ein für ihn u n ü b e r schaubares P r o j e k t investierte, war es v o n e m i n e n t e r W i c h t i g k e i t , sein h ö c h s t mögliches R i s i k o abschätzen zu k ö n n e n , das in dem für den Anteil geforderten B e t r a g lag. E i n e darüberhinausgehende H a f t u n g mit ihrem privaten Verm ö g e n wären die meisten A n l e g e r nicht bereit gewesen zu tragen 6 7 . D i e s e Verknüpfung

von

Haftungsbegrenzung

und

Investitionsbereitschaft

ist

in

D e u t s c h l a n d besonders eng, da den h i s t o r i s c h e n E r k e n n t n i s s e nach die D e u t schen seit j e h e r den g r ö ß e r e n A n l a g e s c h w e r p u n k t auf die sicheren, nicht spekulativen A n l a g e n gelegt haben, wie z u m Beispiel die R e n t e n 6 8 . B e d i n g t durch die politischen und wirtschaftlichen F o l g e n zweier v e r l o r e ner Kriege w a r der W i e d e r a u f b a u nach 1945 m o n e t ä r nicht ü b e r den Kapitalm a r k t d e n k b a r und möglich. D i e Industrie verschaffte sich die z u m W i r t schaften nötigen M i t t e l weitgehend im Wege der F r e m d - und E i g e n f i n a n z i e rung 6 9 . E n t s p r e c h e n d v e r s c h o b sich ab diesem Z e i t p u n k t der S c h w e r p u n k t v o m Anleger- auf den G l ä u b i g e r s c h u t z 7 0 . M i t der f o r t s c h r e i t e n d e n

wirt-

schaftlichen E n t w i c k l u n g D e u t s c h l a n d s w u r d e aber i m m e r deutlicher, daß ein dauerhafter V e r z i c h t auf die im breiten P u b l i k u m gebundenen Kapitalmittel nicht m ö g l i c h war. D a s hat sich i n s b e s o n d e r e an der wegen des im Verhältnis h o h e n Teils der F r e m d f i n a n z i e r u n g als zu niedrig angesehenen E i g e n k a p i t a l q u o t e in D e u t s c h l a n d gezeigt 7 1 .

64 Bösselmann, S. 30; Hopt in Wissenschaft und Kodifikation, S. 149; Assmann, Prospekthaftung, S. 53. 65 Zum Zusammenhang von Aktionärsschutz und Funktionenschutz in der Aktiengesellschaft: Mülbert, Aktie, 56. 66 Siehe dazu unten 2. Kapitel A.1.1. 67 Roth, ZGR 1986, 372 f. 68 Vergleiche z.B. für das Ende des 19. Jhd. Tilly, ViSoWi 60, 155 f. sowie unten A.I.3. 69 Die Eigenfinanzierung wurde später zusätzlich in einigen Zeitabschnitten auch noch steuerlich begünstigt: Schäfer, DB 1989, 1686. 70 Siehe dazu unten A.1.10. 71 Erstes Deutsches Eigenkapitalforum, FAZ vom 20.9.1996, S. 19; Loos, S. 127; Heintzeler, S. 7; Wens, Vision & Money 1997, 28.

A. Der Reformbedarf

aus kapitalgesellschaftsrechtlicher

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Die im Verhältnis zu den anderen Wettbewerbern auf dem Weltmarkt geringere Eigenkapitalquote 72 ließe sich wegen der Strukturunterschiede eventuell noch kompensieren. Viel schwerer fällt ins Gewicht, daß die Aufnahme von risikobehaftetem Innovativkapital in Deutschland bis vor kurzem fast überhaupt nicht stattgefunden hat 73 . Denn der Weg über den Kapitalmarkt ist durch die vor allem im Aktienrecht starren und teilweise zu weitreichenden Schutzvorschriften versperrt. Die Aufnahme echten Risikokapitals mittels Fremdfinanzierung, also Darlehen, ist in den seltensten Fällen möglich, da eben wegen des Charakters als Risikokapital - eine hinreichende Absicherung schlecht möglich ist. Soll die deutsche Wirtschaft auf dem Weltmarkt bestehen, braucht sie aber vor allem dieses Innovativkapital, da bedingt durch die mit dem Standort Deutschland verbundenen hohen Kosten die herkömmliche Produktion im Wettbewerb nicht rentabel ist. Denkt man über eine Reform nach, so muß man die eben gezeigten Wechselwirkungen, von Kapitalsammeifunktion, Anleger-/Gläubigerschutz und Haftungsbegrenzung in besonderem Maße berücksichtigen, weil - eventuell aus anderen Gründen verursachte - Verschiebungen in der Gewichtung zu überraschenden und ungewollten Ergebnissen führen können. So ist zum Beispiel die Verbindung von Haftung und Konzentration zu beachten. Je höher das Risiko der persönlichen Haftung ist, desto mehr steigt der Wunsch nach Konzentration zur Risikominimierung 7 4 . Das ist zwar wegen der mit der Konzentration verbundenen Synergieeffekte nicht immer nachteilig 75 . Ubermäßige Konzentration muß aber wegen der damit verbundenen Wettbewerbsbeschränkung unterbunden werden. Vor allem aber wird eine Aufweichung der Haftungsbegrenzung zum Zweck des Gläubigerschutzes eine ungewollte Herabsetzung des verfügbaren Anlagekapitals und damit eine Einschränkung der Kapitalallokation nach sich ziehen, da weniger Anleger bei erhöhtem Risiko zur Investition bereit sein werden. Anders gewendet heißt das auch, daß ein erhöhter Anlegerschutz zu mehr Eigenkapital führt, ein erhöhter Gläubigerschutz zu mehr Fremdkapi72 Ende der 80er Jahre hatte Deutschland eine Eigenkapitalquote von durchschnittlich 19,1 %, Frankreich von 30, 1 %, Großbritannien von 49, 5 %, USA von 56,9 %, Angaben nach Döser in FG Kübler, S. 403 Fn. 50. 73 FAZ vom 5.3.1996, S. 25, »Advent sieht in Deutschland gutes Umfeld für Beteiligungen; Priester, BB 1996, 333; Kersting, AG 1997,222; Wens in Vision & Money, S. 22; so weist auch Francioni auf dem ersten Deutschen Eigenkapitalforum auf den Mangel an Innovativkapital hin, FAZ vom 20.9.1996, S. 19; dies ist durch den Neuen Markt besser geworden, Vision & Money, Deutsche Börse AG, 1/1998, 34 f.; die Notwendigkeit von Risikokapital betont auch: Claussen, AG 1996, 482. 74 Bauer, S. 99 f. 75 Kühler/Schmidt, S. 23 ff.

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1. Kapitel: Grundlagen

und Ziele der Reform durch

Deregulierung

tal. Beachtet man diesen Zusammenhang, muß man sich die Frage stellen, ob für die Gläubiger tatsächlich die Erhöhung des Gläubigerschutzes von Nutzen ist, oder ob die Kettenreaktion »Verstärkung des Anlegerschutzes - Steigerung der Kapitalmenge (Kapitalsammlung) - Verbesserung der Kapitalallokation - Erhöhung der Eigenkapitalquote« nicht sogar zu besseren Ergebnissen auch für die Gläubiger führt 76 . 2. Die Steuerungsfunktion des Haftkapitals Mit der Festsetzung eines Haftkapitals als Garantiekapital werden verschiedene Zwecke verfolgt. Offensichtlich ist der immer wieder genannte Grund, daß durch ein festgesetztes Mindestkapital zumindest eine Grundabsicherung des mit der Kapitalgesellschaft in Geschäftsverkehr tretenden Personenkreises erfolgen soll. Die Solidität und Bonität der Gesellschaft soll auf diese Weise begründet werden 77 . Ob sich diese Herleitung heute noch halten läßt, ist fragwürdig. Denn das Garantiekapital ist nur zum Zeitpunkt der Gesellschaftsgründung seiner Höhe nach abgesichert. Ist es durch Verluste im laufenden Geschäftsbetrieb aufgezehrt, so bietet es keinen Schutz mehr 78 . Diese Aufzehrung des Garantiekapitals wird immer häufiger, da für viele Gesellschaften die festgesetzte Summe von Beginn an für den Betrieb der satzungsmäßigen Geschäfte nicht ausreichend ist 79 . Hier ließe sich in zweierlei Weise Abhilfe schaffen; zum einen könnte eine höhere Mindestkapitalsumme festgelegt werden, zum anderen könnte eine angemessene Kapitalausstattung für den jeweiligen Geschäftsbetrieb verlangt werden. Beide Wege wären prinzipiell tauglich, werfen aber in anderen Bereichen Probleme auf, die sie in Frage stellen. Erhöht man das Garantiekapital, steigert man sicherlich die Solidität und Bonität einiger Gesellschaften. Jedoch wird durch das höhere Kapital eine nicht unbeträchtliche Zahl kleinerer Gesellschaften komplett vom Markt verdrängt, obwohl für sie das bisherige Mindestkapital ausreichend ist. Dies wären typischer Weise kleine Dienstleister ohne hohen Investitionsbedarf. Es beträfe aber auch innovative Jungunternehmer, die ihren Einstieg suchen und noch keine größeren Summen aufbringen können. Zudem ist ein höheres Garantiekapital weder für alle Gesellschaften angemessen noch ist es vor Aufzehrung geschützt, so daß im Endeffekt lediglich eine Verschiebung, aber keine Behebung der Probleme erreicht würde. 76 77 78 79

Klose-Mokroß, S. 64. Statt vieler: Kropf, Dokumente, § 7. S. 22; H ü f f e r , (2. Aufl.) § 7 Rn. 71. Kühler, Aktie, S. 30; Klose-Mokroß, S. 62. Klose-Mokroß, S. 65 ff.

A. Der Reformbedarf

aus kapitalgesellschaftsrechtlicher

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Die zweite Lösung über ein dem Geschäftsbetrieb angemessenes Haftkapital ist weitaus brisanter als die reine Erhöhung der Garantiekapitalsumme. Neben dem Problem der Bestimmung des angemessenen Mindestkapitals 80 zeigt sich hier die Interdependenz der verschiedenen Prinzipien. Soll eine angemessene Kapitalausstattung festgesetzt und mit dem wachsenden Geschäftsbetrieb erhalten werden, so kann dies nur unter zumindest partieller Aufgabe der Haftungsbeschränkung geschehen. Dies hätte wiederum nachteilige Auswirkungen auf die Investitionsbereitschaft der Anleger, denen eine Nachschußpflicht auferlegt werden müßte, und würde so die Kapitalaufbringung nachhaltig beeinträchtigen. Diese Fragen bedürfen aber eventuell keiner Klärung. Denn geht es beim Garantiekapital um die Solidität und die Bonität der Gesellschaft, geht es vor allem um den Gläubigerschutz. Stellt sich heraus, daß dieser nicht oder nur in geringerem Umfang nötig ist, so kann das Garantiekapital eventuell ganz entfallen. Allerdings ist die Sicherung der Bonität und Solidität nicht die einzige Funktion des Garantiekapitals, wenn auch die meist besprochene. In Hinblick auf mögliche Reformen und der damit verbundenen Abwägung aller involvierten Prinzipien von ebenso großem Interesse ist die verhaltenssteuernde Funktion des Garantiekapitals. Während im Personengesellschaftsrecht die Einheit von Herrschaft und Haftung postuliert wird, ist dieses Prinzip im Kapitalgesellschaftsrecht mit der Zulassung der Fremdorganschaft aufgehoben worden 8 1 . Dies wirft in Bezug auf die Verhaltenssteuerung durch die Verdoppelung und Entzerrung der Funktionen Schwierigkeiten auf, die unter dem Stichwort »moral hazard« diskutiert werden 82 . Die Einheit von Herrschaft und Haftung im Personengesellschaftsrecht führt dazu, daß der Handelnde die Konsequenzen seiner Geschäftspolitik unmittelbar selbst durch seine persönliche Haftung trägt. Er wird daher in seinem Verhalten durch diese Haftung beeinflußt 83 und zwar risikoadvers und gesellschaftserhaltend, damit im Endeffekt gläubigerschützend. Wird durch die Fremdorganschaft die Einheit von Herrschaft und Haftung durchbrochen, so führt dies dazu, daß diese Verhaltenssteuerung des Handelnden entfällt 84 . Sie bleibt beim Gesellschafter in gewissem Umfang erhal80 Roth, GmbHG, Einl. 3.2.2.b); Kühler, GesR § 17 IV.4.a); Schmidt, K, GesR, S. 205; Schneider, D B 1986, 2293, 2297 ff.; Weitbrecht, S. 20 ff. 81 Kühler, GesR, § 15 III. 1. 82 Klose-Mokroß, S. 180; Roth, Z G R 1986,378 f.; ausführlich zu dem zu Grunde liegenden principal agent-Konflikt: Jensen/Meckling, Journal of Financial Economics 1976, 305 ff.; auch Bearle/Means, S. 7 ff. und 121 ff., die aber den Begriff noch nicht verwenden. 83 Wiedemann, GesR I, S. 536 f. 84 Bauer, S. 95; Bearle/Means, S. 69 ff.

1. Kapitel: Grundlagen und Ziele der Reform durch

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Deregulierung

ten, der das eingezahlte Kapital verlieren kann. B e i i h m w i r k t sich aber die d u r c h die Teilung der F u n k t i o n e n bedingte verminderte E i n f l u ß m ö g l i c h k e i t aus, die die E n t k o p p e l u n g v o n Verlustrisiko und Verhaltenssteuerung mit sich bringt. Z u d e m b e w i r k t die H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g , daß der Verlust als nicht in dem M a ß e relevant erscheint, wie dies bei einer p e r s ö n l i c h e n H a f t u n g der Fall ist. D e r G e s e l l s c h a f t e r einer b e s c h r ä n k t haftenden Gesellschaft und der F r e m d o r g a n s c h a f t e r w e r d e n sich m i t h i n w e g e n der Externalisierung des R i s i k o s risikofreudiger und gläubigergefährdender verhalten als der p e r s ö n l i c h Haftende85. D i e Verhaltenssteuerung ü b e r das Haftkapital ist bei der juristischen Person also o h n e h i n in m e h r f a c h e r H i n s i c h t a b g e s c h w ä c h t . B e d e n k t m a n dazu, daß auf Seiten des H a n d e l n d e n eine eigenständige Verhaltenssteuerung eingef ü h r t w e r d e n k ö n n t e , z u m Beispiel ü b e r eine z w i n g e n d e G e w i n n b e t e i l i g u n g statt eines h o h e n Festgehaltes 8 6 , so erscheint diese F u n k t i o n des G a r a n tiekapitals ebenfalls nicht als unabdingbar. B e z i e h t m a n schließlich in die Ü b e r l e g u n g ein, daß die Verhaltenssteuerung im hier b e s p r o c h e n e n Sinne dem G l ä u b i g e r s c h u t z und nicht dem A n l e g e r s c h u t z dienen soll, so ist man wiederu m bei der F r a g e angelangt, o b ein U b e r d e n k e n des G l ä u b i g e r s c h u t z e s nicht zu einer A b s c h a f f u n g des festen Garantiekapitals f ü h r e n kann. E s m u ß s o m i t ein wesentlicher Teil der R e f o r m ü b e r l e g u n g e n sein, wie sich neue E r k e n n t n i s s e auf den G l ä u b i g e r s c h u t z auswirken. D a b e i m u ß B e r ü c k sichtigung finden, daß die E i n f ü h r u n g eines festen Mindestkapitals mittlerweile eine A r t » F r e i k a u f m e n t a l i t ä t « ausgelöst hat. D a s gegenwärtige R e c h t s s y s t e m k o n z e n t r i e r t sich darauf, o b dieses Kapital einmal eingezahlt wurde. Was danach passiert, wird bis auf grobe V e r s t ö ß e ignoriert. D a s zeigt sich b e sonders gut an d e m A u f w a n d , der b e z ü g l i c h der E i n z a h l u n g des Kapitals b e trieben wird ( S t i c h w o r t e seien nur die D i s k u s s i o n u m die freie Verfügung ü b e r die Einlage und u m die verdeckte Sacheinlage 8 7 ) im Verhältnis zu dem A u f w a n d im H i n b l i c k auf die A h n d u n g v o n Fehlverhalten in F o r m v o n Schadensersatzklagen gegen H a n d e l n d e 8 8 .

Klose-Mokroß, S. 180. Siehe dazu sogleich unten 3.; die Verhaltenssteuerung über den Gewinn selbst ist durch die Trennung von Kapitalgeber und Manager ausgeschlossen: Bearle/Means, S. 9. 87 dazu oben A.I. 88 Anderes mag zum Teil für das Konzernrecht gelten, in dem die Rechtsprechung den Ausgleich für Fehlverhalten über die Schaffung so nicht vorgesehener konzernrechtlicher Haftungstatbestände in den Griff zu bekommen versucht. Der Rechtsprechung ist zwar darin zuzustimmen, daß das Garantiekapital nicht als Preis angesehen werden kann, mit dem man sich vom Durchgriff loskauft, dennoch überzeugen die von der Rechtsprechung gefundenen Lösungen oftmals nicht: dazu oben A.I. 85

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Sicht

19

3. Die Managementkontrolle Die mit der Managementkontrolle verbundenen Fragen sind oben bei den Funktionen des Garantiekapitals angerissen worden. Gegenwärtig ist die Managementkontrolle von untergeordneter Bedeutung. Es gibt Haftungsnormen im Gesetz für Fehlverhalten, wie § 93 A k t G oder § 43 G m b H G . Diese werden jedoch kaum angewendet. Damit ist ihre präventive Funktion minimal. Entscheidend für eine Steigerung der Effizienz der verhaltensbeeinflußenden Anreizsysteme ist die Verbesserung von präventiv einzusetzenden Steuerungselementen. Solche können in einem höheren Haftungsrisiko bei Fehlverhalten, aber auch in Verboten von Verhaltensweisen und strafrechtlichen Sanktionen bestehen, wie es dem in Deutschland historisch gewachsenen Regulativverständnis entspricht 89 . Wegen der zunehmenden Globalisierung sowie der starken Position der USA auf dem Weltmarkt und dem damit verbundenen Anpassungsbedarf wird es sich aber als unvermeidlich erweisen, vor allem flexible Anreizsysteme zu schaffen 90 . Normierte Vorgaben haben sich in dem Zusammenhang als zu starr für die schnellebigen wirtschaftlichen Veränderungen erwiesen und schränken die Möglichkeiten des einzelnen vor allem im Bereich der Innovation über Gebühr ein. Straf- und Verbotsnormen müssen also die Ausnahmeregelung bei der Verhaltenssteuerung sein. Ziel ist damit eine weitgehende Umstrukturierung des vorhandenen Systems, das sich bisher weitgehend noch auf starre Maßnahmen wie Verbote oder Registersperren beschränkt, zugunsten von nachträglicher Kontrolle durch Schadensersatzansprüche und - in Ausnahmefällen - strafrechtliche Maßnahmen. Mindestens ebenso wirksam wie die durch nachträgliche »Sanktionen« im weitesten Sinne bedingte Prävention ist eine unmittelbare Verhaltenssteuerung über das zu erzielende Einkommen 9 1 . Wird die Höhe des Gehaltes in welcher Art auch immer vom erzielten Firmenergebnis abhängig gemacht, ist dies ein wesentlicher Anreiz zu gewinnorientiertem positivem Handeln 9 2 und Bauer, S. 91 f. DAI Umfrage S.3; Hüffer, Z H R 161, 215; das meint wohl auch Aha, B B 1997, 2225, wenn er ausführt, daß am internationalen Kapitalmarkt agierende Unternehmen an der Form der Vergütung mittels Anreizsystemen wie z.B. stock options nicht mehr vorbeikommen; ausgefallene Vorschläge für Anreizsysteme finden sich bei: Wenger, Jahrbuch 1987, 217 ff. 91 Baums in FS Claussen, S. 5; Kohler, Z H R 161, 254; Eischen, BFuP 1991, 314; Hüffer, Z H R 161,216; Feddersen, Z H R 161, 270 sowie für die kleine Gesellschaft 296 ff.; ausführlich Bleicher in seinem Buch: Strategische Anreizsysteme und flexible Vergütungssysteme für Führungskräfte. 92 Baums in FS Claussen, S. 3; kritisch: Bernhardt/Witt, ZfB 1997, 85 ff.; Hüffer, Z H R 161,216 f. 89

90

20

1. Kapitel:

Grundlagen

und Ziele der Reform

durch

Deregulierung

damit zur Verringerung der a g e n c y - K o s t e n 9 3 . Diese in den U S A bereits seit langem umgesetzte 9 4 und auch in Deutschland in den G r u n d z ü g e n nicht neue Erkenntnis 9 5 hat z u m A u f s c h w u n g der s t o c k - o p t i o n Pläne geführt 9 6 , die bei sorgfältiger Ausgestaltung - keine reine kurzfristige G e w i n n o r i e n t i e r u n g , sondern eine A u s r i c h t u n g auf die langfristigen Firmeninteressen - ein geeignetes Instrumentarium f ü r diesen Z w e c k darstellen 9 7 . Sie sind aber gegenwärtig wegen der strengen Kapitalerhaltungsvorschriften n o c h mit erheblichen Problemen behaftet 9 8 . Hier ist durch das K o n T r a G teilweise A b h i l f e geschaffen w o r d e n 9 9 . Ein H a u p t k r i t i k p u n k t an den s t o c k - o p t i o n Plänen ist, daß sie in erster Linie anlegerorientiertes Verhalten f ö r d e r n 1 0 0 . Dabei w i r d übersehen, daß ein florierendes U n t e r n e h m e n in der Regel auch seinen Verpflichtungen nachk o m m e n kann. Somit zeigt sich w i e d e r u m die Relevanz der U b e r p r ü f u n g der Stellung des Gläubigerschutzes im Kapitalgesellschaftsrecht.

4. F a z i t A u s den bei einer R e f o r m zu berücksichtigenden Prinzipien ergibt sich mithin, daß es f ü r die G r u n d z ü g e einer v o r z u n e h m e n d e n Umgestaltung v o n w e sentlicher Bedeutung ist, welchen Standpunkt das Recht gegenüber den mit den Kapitalgesellschaften befaßten Gläubigern und A n l e g e r n einnimmt. In 93 Zum principal/agent Konflikt im Zusammenhang mit Anreizsystemen: Eischen, BFuP 1991, 309 ff.; mit stock option Plänen: Menicetti, DB 1996, 1688 ff. 94 Schneider, ZIP 1996, 1769; Claussen, W M 1997,1825; Kohler, ZHR 161, 249; Baums in FS Claussen, S. 20 ff.; mit Zahlenmaterial DAI Optionen, S. 2; das Beispiel von General Electric analysiert: Becker, management forum 1986, 165 ff. 95 Nämlich der Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen: Claussen, WM 1997, 1825 und 1828; Schätzle, Die Personalführung 1996, 680 ff.; Feddersen, ZHR 161, 270. 96 Claussen, W M 1997, 1826 f.; DAI Optionen S. 1; Wirtschaftswoche vom 2.7. 1997, 5. 76; Baums in FS Claussen, S. 3 und Fn. 3 beinhaltet die verschiedenen Pläne; ausführliches Zahlenmaterial findet sich bei DAI Umfrage, S. 5 ff.; weitere Vorteile, wie die Verhinderung eines bilanziellen Aufwandes, zählt auf: der Plan der Henkel Gruppe, S. 11; Kohler ZHR 161,256. 97 Baums in FS Claussen, S. 14; Aha, BB 1997, 2226 ff.; DAI Optionen S. 5 ff.; Kohler, ZHR 161, 258 ff.; Menichetti, DB 1986, 1690 ff.; Blair, S. 88 ff.; zu den Detailfragen, die in solchen Plänen geregelt werden müssen, siehe als Beispiel den Stock Incentive Plan der Henkel Gruppe, S. 3 ff. 98 Baums in FS Claussen, S. 33 ff.; Schneider, ZIP 1996, 1772 ff.; H ü f f e r , ZHR 161, 216 ff.; Bernhardt/Witt, ZfB 1997, 85 ff. 99 Claussen in WM 1997, 1828 ff.; Bernhardt, ZfB 1997, 811 f.; Aha, BB 1997, 2225; die ersten Urteile zum neuen Recht sind bereits ergangen. So lag der stock option-Plan der Daimler Benz AG dem OLG Stuttgart vor, DB 1998, 1757 ff. 100 Baums in FS Claussen, S. 26 mit Nachweisen aus der Tagespresse.

A. Der Reformbedarf

aus kapitalgesellschaftsrechtlicher

Sicht

21

der Untersuchung dieses Bereichs muß daher ein Schwerpunkt der Arbeit liegen entsprechend dessen Ergebnis die einzelnen Deregulierungsmaßnahmen ausgestaltet werden müssen.

III.

Zusammenfassung

Soll das Kapitalgesellschaftsrecht mit der fortschreitenden Globalisierung Schritt halten, ist eine Reform des starren Systems dringend geboten. Diese kann aber nicht wie bisher in der Verfeinerung der bestehenden Dogmatik gesucht werden, sondern muß neue Wege beschreiten, deren Schwerpunkte in einer Deregulierung liegen. Grundlage dafür ist eine Untersuchung der N o t wendigkeit und Strukturierung von Gläubiger- und Anlegerschutz. Bei der Herausarbeitung der erforderlichen Maßnahmen müssen die dem Kapitalgesellschaftsrecht innewohnenden Grundstrukturen - Kapitalsammelfunktion, Haftungsbeschränkung, Steuerungsfunktion des Haftkapitals, moral hazardProbleme und Mangementkontrolle - auf ihre jeweilige Relevanz überprüft und sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Insbesondere müssen Auswirkungen von Verschiebungen zwischen diesen Elementen besser prognostiziert und beachtet werden als bisher.

B. Der Reformbedarf aus kapitalmarktrechtlicher Sicht Neben dem kapitalgesellschaftsrechtlichen Ansatz ergibt sich der aktienrechtliche Reformbedarf aus der Strukturschwäche des deutschen Kapitalmarktes 1 , die sich zum einen in seinem geringen Volumen äußert 2 (dazu unter I) und zum anderen bis vor kurzem durch ein weitgehendes Desinteresse am Aktienmarkt geprägt war 3 (zu den Gründen dieses mangelnden Interesses unter II). Ein funktionierender und ausgereifter Kapitalmarkt ist aber unter dem Gesichtspunkt der Internationalisierung der Märkte für den Standort Deutschland unverzichtbar 4 , weil der Kapitalbedarf der großen Industrieunternehmen sonst nicht hinreichend zu decken ist 5 . Auch unter gesamtwirtschaftlichen Erwägungen ist eine Förderung des Kapitalmarktes angebracht, da durch einen im Verhältnis zur wirtschaftlichen Potenz ausgewogenen Kapitalmarkt die Allokationseffizienz der freien Mittel besser gewährleistet 6 , eine übermäßige Volatilität vermieden wird 7 , die Emissionskosten sinken 8 und eine bessere Finanzierung auch kleinerer Gesellschaften oder von Innovativkapital zu erreichen ist 9 .

1 Walz in F G Kübler, S. 561; auf den engen Zusammenhang zwischen Aktienrechtsref o r m und Kapitalmarkt weist auch Schneider, D B 1996, 819 hin. 2 Deutschland hat einen Börsenkapitalisierungskoeffizient von 27, die U S A von 122, Großbritannien von 154 und Japan von 63, Sonderbericht, S. 54. 3 Waller, Financial Times vom 14.7.1994; hier ist in der letzten Zeit nicht zuletzt durch die gesetzgeberischen Vorstöße mit den Finanzmarktförderungsgesetzen eine Verbesserung eingetreten. 4 Z u r EG-rechtlich bedingten Harmonisierung des Kapitalmarktrechts: Assmann, Bankenrechtstag, S. 66 ff., insb. 85 f. 5 Kübler, Börsenzeitung v o m 30.12.1995, S. 6. 6 Kübler, WM. 1990,1858. 7 Kübler, Aktie, S. 7. 8 Kübler, Aktie, S. 55. 9 Kübler, Börsenzeitung v o m 30.12.1995, S. 6.

B. Der Reformbedarf

aus kapitalmarktrechtlicher

I. Bestandsaufnahme

des

Sicht

23

Kapitalmarktes

Das für die vorliegende Arbeit interessante Segment des Kapitalmarktes ist der Handel mit Aktien. Im Folgenden soll daher kurz die gegenwärtige Situation der Aktie an H a n d des Zahlenmaterials dargestellt werden. 1. D i e Aktiengesellschaften Während bis Ende der achtziger Jahre die Anzahl der Aktiengesellschaften langsam aber stetig zurückging, zeigt sich in letzter Zeit wieder ein leichter Anstieg dieser Rechtsform. So ist die Zahl der Aktiengesellschaften von 2260 im Jahre 1973 auf 2140 im Jahre 1982 und 2141 im Jahre 1985 gesunken. Seitdem zeigt sich ein Aufwärtstrend, der zu 2806 Gesellschaften im Jahre 1991 führte 1 0 . Ähnlich verhält es sich mit der Zahl der börsennotierten Aktiengesellschaften. Gab es 1955 noch 682,1965 noch 618 und 1983 nur noch 442 dieser Gesellschaften, so nimmt die Zahl seitdem langsam aber kontinuierlich zu: von 449 im Jahre 1984 über 465 im Jahre 1988 und 519 im Jahre 199111 bis 558 im Jahre 199412 bis zu 650 13 im Jahre 1996. Auffällig ist dabei, daß die Aktiengesellschaften, obwohl zahlenmäßig gering, hohe absolute Grundkapitalzahlen aufweisen können. Dieser Trend verschärft sich weiter zu Gunsten der börsenzugelassenen Aktiengesellschaften, die ihrerseits den Löwenanteil des Grundkapitals der Aktiengesellschaften insgesamt stellen 14 . Die Marktkapitalisierung, also der Gesamtbetrag der Kurswerte der börsennotierten Aktiengesellschaften, belief sich Ende 1992 in Deutschland auf 520 Mrd. D M . Dem steht eine Marktkapitalisierung von 1.300 Mrd. D M in Großbritannien und über 4.000 Mrd. D M in den USA und Japan gegenüber 15 .

10

und der sich in der Folgezeit noch verstärken dürfte, dazu: Moritz, Börsenzeitung vom 14./15.4.1995, S. 4, der 1995 als »Going-Public-Jahr« bezeichnet; weiteres Zahlenmaterial bei: Kübler, GesR, § 14 II 2.b); Guthoff, Going Publics, S. 15 ff.; beachtenswert in diesem Zusammenhang ist auch der Börsengang der Deutschen Telekom von 5 Mrd. D M , Schutzke, Börsenzeitung vom 24.6.1995, S. 15. 11 Kübler, GesR, § 1 4 II 2.d); zu den Neuemissionen: Schäfer, D B 1989, 1684; Vergleichszahlen anderer Länder finden sich bei: Kübler, A G 1981, S. 5 f. 12 Kopp, S. 139. 13 Feddersen/Hommelhoff/Schneider in C o r p o r a t e Governance, S. 2; Bedingt durch den N e u e n Markt gehen Schätzungen sogar von 800 Gesellschaften in 1999 aus: Karsch, Die Bank 2000, 56. 14 D a z u das Zahlenmaterial bei: Assmann, G r o ß k o m m e n t a r , Einl. Rn. 326; Kübler, § 14 112. c). 15 Thomas, Kapitalmärkte, S. 92.

24

1. Kapitel: Grundlagen

und Ziele der Reform durch

Deregulierung

2. Die Verteilung der A k t i e n Das deutsche Aktienvermögen gehört zu: -

mehr als einem Viertel Ausländern 1 6 ,

-

einem Viertel institutionellen Eigentümern einem Viertel den deutschen Großunternehmen zu 17 % den deutschen Bürgern 1 7 .

Diese 17 % verteilen sich auf ungefähr 5 % der Bevölkerung und damit auf 4,2 Millionen Privataktionäre. Von diesen sind wiederum 1,55 Millionen Belegschaftsaktionäre, also Aktionäre, die ihre Aktien mit besonderen Vorteilen vom Arbeitgeber erworben haben 18 . In anderen Ländern ist die Zahl der Privataktionäre wesentlich höher. In Schweden sind dies 35 %, in Kanada 25 %, in den USA 20 % 1 9 und in Großbritannien 21 % der Bürger 20 . Lediglich 6 % des privaten Geldvermögens sind in Aktien angelegt, 18 % hingegen in Anleihen 21 . Auffällig ist auch, daß sich die institutionellen Anleger, insbesondere die Versicherungen, bei der Anlage in Aktien stark zurückhalten. Sie nutzen den ihnen durch das Bundesaufsichtsamt zugebilligten Spielraum bei weitem nicht aus 22 . Insgesamt zeigt sich damit, daß der deutsche Kapitalmarkt im Verhältnis zu den Märkten der wirtschaftlichen Konkurrenz in allen Bereichen unterdurchschnittlich ist.

16 Wobei davon ausgegangen wird, daß die ausländischen Investoren noch Zurückhaltung üben: Irwin, F A Z vom 22.4.1997; Buddenbrock, Börsen-Zeitung vom 10.9.1994. 17 Claussen, A G 1995, 163; leicht abweichende Zahlen mit einem höheren Anteil bei den U n t e r n e h m e n finden sich bei: Kollar, Aktienmärkte, S. 210, Abb. 7; ein Schaubild mit wiederum leicht abweichenden Zahlen für Deutschland und die USA im Vergleich ist abgedruckt in der F A Z vom 15.3.1998, S. 33. 18 Paul, Marketing, S. 53, Abb. 14; Claussen, A G 1995, 163 sowie D B W 1991, 185; Kollar, Aktienmärkte, S. 206 Abb. 3; Thomas, Kapitalmärkte, S. 93, der E n d e 1990 von 5 1/2 % Aktionären ausgeht. 19 Dabei ist zu beachten, daß die U S A bedingt durch ein anders gelagertes Sozialsystem einen hohen Anteil an-Investment- und Pensionsfonds haben, die bei Claussen A G 1995, 163 nicht extra ausgewiesen sind; in der FAZ vom 17.3.1998 wird der Anteil der privaten Aktionäre sogar mit 32 % angegeben. 20 Claussen, A G 1995,163; etwas andere aber im Verhältnis ähnliche Zahlen finden sich bei: Paul, Marketing, S. 53; Kollar, Aktienmärkte, S. 206 Abb. 3; "Waller, Financial Times vom 14.7.1994. 21 Harenbergs Lexikon, S. 120 »Börse«. 22 Thomas, Kapitalmärkte, S. 93; Eine tabellarische Aufstellung über die Anlagen von Versicherungsunternehmen findet sich bei Schwebler, Strukturwandel, S. 25.

B. Der Reformbedarf

aus kapitalmarktrechtlicher

25

Sicht

II. Gründe für die Strukturschwäche des Kapitalmarktes D i e relativ schlechte Verfassung des deutschen K a p i t a l m a r k t s b e r u h t im w e sentlichen auf der anhaltenden Vernachlässigung der für eine

effiziente

A l l o k a t i o n des k n a p p e n G u t e s R i s i k o k a p i t a l m a ß g e b l i c h e n W e t t b e w e r b s b e dingungen 2 3 . D i e G r ü n d e für diesen Z u s t a n d sind vielschichtig u n d nicht z u letzt historisch bedingt 2 4 .

1. D i e A n l e g e r s e i t e

a. Renditeerwartung

bei Aktien

E i n e n S c h w e r p u n k t bei der A n l a g e e n t s c h e i d u n g stellt die R e n d i t e dar. Fällt diese zu gering aus, wird einer anderen A n l a g e f o r m der V o r z u g gegeben 2 5 . Bei der R e n d i t e aus A k t i e n m u ß man zweierlei unterscheiden, z u m einen die laufende R e n d i t e in Gestalt der D i v i d e n d e n und z u m anderen den - unter U m s t ä n d e n steuerfreien - K u r s g e w i n n , bei V e r k a u f nach A b l a u f der Spekulationsfrist oder der Zuteilung v o n B e z u g s r e c h t e n . D i e laufende R e n d i t e aus A k t i e n ist heute im Verhältnis zu deren K u r s w e r t im G e g e n s a t z zur Zeit v o r dem ersten W e l t k r i e g 2 6 und im Vergleich zu anderen A n l a g e f o r m e n - insbesondere R e n t e n - gering 2 7 . Sie wird z u d e m durch die K o s t e n des A k t i e n e r w e r b s - P r o v i s i o n , M a k l e r c o u r t a g e - belastet 2 8 . D a s liegt 23 Assmann in Großkommentar Rn. 345; ähnlich: Schlesinger, Kapitalmarkt, S. 27; Christians, Institutionen, S. 34; zu den Voraussetzungen einer funktionsfähigen Allokationseffizienz: Kübler, Transparenzprobleme, S. 19. 24 Kley, Finanzplatz, S. 52; Kübler in Öffentliches Recht, S. 228 f.; zur Nachkriegsentwicklung des Kapitalmarkts: Häuser, Deutscher Kapitalmarkt, S. 9 ff.; Irmler, 30 Jahre Kapitalmarkt, S. 16 ff. 25 Niederste-Ostholt, Eigenkapital, S. 17; Krahnen, Eigenkapital, S. 47;Jakobi, Eigenkapital, S. 62; Esser, DAI, 13; Christians, Institutionen, S. 74; Schlesinger, Kapitalmarkt, S. 29; in Bezug auf den internationalen Vergleich so auch Viermetz, Europa, S. 11, der in diesem Kontext Rendite, Steuerbelastung und Währungsstabilität als entscheidend ansieht. Auf nationaler Ebene entfällt die Frage nach der Währungsstabilität, so daß die zwei in der vorliegenden Arbeit als wesentlich angesehenen Punkte verbleiben. Die niedrige laufende Rendite dürfte auch der Grund der geringen Investitionen von Versicherungen in Aktien sein: Thomas, Kapitalmärkte, S. 93; zu dem Verhältnis von Rendite und Geldentwertung: Häuser, Geldwertverschlechterung, S. 12 ff.; zur geringen Rendite der deutschen Industrie in den 70er Jahren: Semler, Wertpapierarten, S. 158 f. 26 Häuser, Aktienrendite, S. 62; Hauck, Rendite, S. 158. 27 Assmann in Großkommentar, Einl. Rn. 313; Häuser, Aktienrendite, S. 63 Tabelle 7; Niederste-Ostholt, Eigenkapital, S. 17; Götz, Anlageverhalten, Abb. 5, S. 109; im internationalen Vergleich liegt Deutschland auf dem vorletzten Platz, Zahlenmaterial dazu bei: Paul, Marketing, S. 49 Abb. 10. 28 Thomas, Kapitalmärkte, S. 94.

26

1. Kapitel: Grundlagen und Ziele der Reform durch

Deregulierung

v o r allem daran, daß viele U n t e r n e h m e n die Selbstfinanzierung gegenüber einer » S c h ü t t - A u s - H o l - Z u r ü c k « P o l i t i k v o r z i e h e n 2 9 . D e n n z u m einen ist das Kapital bei dem » S c h ü t t - A u s - H o l - Z u r ü c k « Verfahren steuerlich stärker belas t e t 3 0 und k a n n dadurch unverhältnismäßig teuer sein. Z u m anderen ist es bei einem relativ engen K a p i t a l m a r k t wie d e m deutschen zweifelhaft, o b das ausgeschüttete Kapital in absehbarer Zeit in das U n t e r n e h m e n z u r ü c k f l i e ß t 3 1 . A u c h die durch das rigide A k t i e n r e c h t n u r sehr eingeschränkten capital m a n a gement F u n k t i o n e n m a c h e n sich negativ bemerkbar. D i e Gesellschaften sind w e g e n der limitierten M ö g l i c h k e i t e n zur R ü c k f ü h r u n g von

Eigenkapital

durch S o n d e r a u s s c h ü t t u n g e n wie tender offers 3 2 an der W a h r n a h m e v o n leverage E f f e k t e n gehindert 3 3 . E i n e Geldanlage in A k t i e n m a c h t unter R e n d i t e a s p e k t e n lediglich dann Sinn, w e n n der G e w i n n aus m ö g l i c h e n Kursanstiegen realisiert w i r d 3 4 . D i e s e F o r m der G e w i n n r e a l i s i e r u n g verlangt aber ein stetes B e o b a c h t e n des M a r k tes, zu dem vielen Kleinanlegern die M ö g l i c h k e i t fehlt. D e m Kleinanleger bleibt der R ü c k g r i f f auf einen A k t i e n f o n d s , der aber seinerseits einen K u r s p r o Anteil hat und daher mit einem eigenen K u r s r i s i k o behaftet ist. A u s dieser K o n s t e l l a t i o n erklärt sich, w a r u m viele Kleinanleger schuldrechtliche Titel den A k t i e n als A n l a g e f o r m v o r z i e h e n 3 5 .

2 9 Zur Kapitalstruktur deutscher Großunternehmen im internationalen Vergleich: Kley, Finanzplatz, S. 49 f.; in letzter Zeit hat die Daimler Benz AG einen Versuch mit dem »Schütt-Aus-Hol-Zurück« Verfahren unternommen, der jetzt zu steuerlichen Problemen durch die Daimler-Chrysler Fusion führt. Zu der Durchführung des »Schütt-Aus-HolZurück« Verfahrens: Pape, BB 1998, 1783. 30 Dazu unten C.I. 31 Häuser, Geldwertverschlechterung, S. 15 f. 32 Zu den verschiedenen Möglichkeiten des Erwerbs eigener Aktien und ihren Folgen: Brealy/Myers, S. 333; Cary/Eisenberg, S. 1385 sowie unten 3. Kapitel D. IV. 33 Posner, AG 1994, 314 sowie unten 3. Kapitel D. 34 Paul, Marketing, S. 49; Esser, DAI, 15. 35 Häuser, Aktienrendite, S. 64 f.; »Der deutsche Wirtschaftsbürger hat sein Vermögen überwiegend in schuldrechtlichen Titeln angelegt«: Claussen, A G 1995, 163; Zahlen zu den Anlagearten finden sich bei Assmann, Großkommentar, Einl. Rn. 315; zu beachten ist bei der Renditebetrachtung auch, daß normaler Weise höheres Risiko mit höherem Zins einhergeht: Somogyi, S. 32; nicht ganz geklärt ist, warum die Aktien bis zu den 70er Jahren noch in größerem Maße nachgefragt waren (4,7 % der jährlichen Geldvermögensbildung) und dann ein Einbruch (1 % der jährlichen Geldvermögensbildung) stattfand. Dies wird zum Teil auf die Einsicht der Anleger in das mit Aktien verbundene Risiko, zum anderen auf die Körperschaftsteuerreform zurückgeführt: Eintelmann, Vermögenssicherung, S. 66 ff.

B. Der Reformbedarf

aus kapitalmarktrechtlicher

b. Weitere Gründe für das mangelnde

Sicht

27

Anlegerinteresse

Ein weiterer für das Anlageverhalten wesentlicher Umstand liegt in dem Drang nach den eigenen vier Wänden. Es ist das Hauptziel eines Großteils der Bevölkerung, ein eigenes Heim zu kaufen 36 . Dies mag in anderen Ländern ähnlich sein, jedoch sind dort die mit dem Eigenheimerwerb verbundenen Kosten ungleich niedriger. In Deutschland zieht sich die Abzahlung des Eigenheims für die meisten Investoren bis nahe an die Pensionsgrenze heran. Die freien Mittel fließen daher vor allem in Bausparverträge und anschließend in die Tilgung der entsprechenden Hypothekenkredite. Dadurch bleibt für andere Anlageformen wenig bis kein verfügbares Vermögen 37 , das dann zur Absicherung der laufenden Risiken und zur Altersabsicherung in Form einer Lebensversicherung verwendet wird 38 . Ist darüberhinaus noch Geld verfügbar, so ist die risikolose Kapitalanlage erwünscht 39 . Aktien mit ihrem spekulativen Nimbus und der historischen Angst der Börsenzusammenbrüche behaftet 40 , bleiben dabei hinter festverzinslichen Schuldverschreibungen weit zurück. Weiterhin ist das freie Kapital in Deutschland geringer als zum Beispiel in den Vereinigten Staaten. Das ist bedingt durch das über die Lohnnebenkosten finanzierte soziale Netz. Dazu gehören die Rentenversicherung, die Arbeitslosenversicherung und die Krankenversicherung, die unmittelbar vom Lohn 36 Ähnlich Häuser, Geldwertverschlechterung, S. 17; in Bezug auf das Sparverhalten gibt Niederste-Ostholt, Eigenkapital, S. 16 f. an, daß an erster Stelle das Nominalwertsparen steht, gefolgt vom Versicherungs- und Eigenheimsparen (in F o r m von Bausparverträgen), während die Anlage in Produktivvermögen nur eine geringe Rolle spielt; dazu auch die Tabelle 1 bei: Götz, Anlageverhalten, S. 31; interessant in diesem Zusammenhang auch die von Langer, Geldwertverschlechterung, S. 61 ff., hergestellten Parallelen von Geldwertverschlechterung und Wohnungsbaufinanzierung. 37 Vergl. dazu die Zahlenangaben in Fischer, Almanach, S. 207 »Geldvermögen der privaten Haushalte« von den aufgenommenen Krediten sind 74,8 % Baukredite (= 970 Mrd. DM); von dem vorhandenen Geldvermögen in H ö h e von 237,4 Mrd. sind 150,4 Mrd. bei Banken, 6,6 Mrd. bei Bausparkassen und 68,6 Mrd. bei Versicherungen angelegt sowie die Tabelle 1 und die Abb. 2 bei: Götz, Anlageverhalten, S. 31 und 46, die den hohen Stellenwert des Versicherungssparens (Tab. 1) und den großen Anteil an H y p o t h e k e n k r e d i t e n (Abb. 2) deutlich machen. 38 Ähnlich Koch, Z R P 1984, 233, der darauf hinweist, daß das Kapital vorhanden ist, es aber fast ausschließlich in Spar- und Termineinlagen, festverzinsliche Wertpapiere, Lebensversicherungen und Bausparverträge fließt oder aus steuerlichen G r ü n d e n in Abschreibungsgesellschaften. 39 Ähnlich Häuser, Geldwertverschlechterung, S. 17. 40 Kley, Finanzplatz, S. 52; interessant in diesem Zusammenhang ist die Studie des Wickertinstituts von 1996, daß 28 % der Deutschen an U f o s glauben, aber n u r 13 % , daß Aktien ein gutes und sicheres Instrument der Altersvorsorge sind; abgedruckt in: Finanzplatz Deutschland, S. 19.

1. Kapitel: Grundlagen und Ziele der Reform durch

28

Deregulierung

des einzelnen a b g e z o g e n werden. E s besteht damit keine W a h l m ö g l i c h k e i t , das G e l d e n t w e d e r in die staatlichen V o r s o r g e s y s t e m e oder alternativ ü b e r den K a p i t a l m a r k t z u m Beispiel in P e n s i o n s f o n d s zu investieren wie in den U S A , w o die A l t e r s a b s i c h e r u n g nicht ü b e r eine der deutschen vergleichbare R e n t e n v e r s i c h e r u n g erfolgt. Z u d e m ist in D e u t s c h l a n d die A l t e r s a b s i c h e r u n g ü b e r zusätzliche F i r m e n r e n t e n verbreitet, die ihrerseits v o n den F i r m e n als Sozialleistung bereitgestellt werden, o h n e daß die A u s z a h l u n g der entsprec h e n d e n B e t r ä g e zur E i g e n f ü r s o r g e eine Alternative bildet. D a m i t fließt w e i teres Anlagekapital am M a r k t v o r b e i , weil die entsprechenden M i t t e l innerhalb der U n t e r n e h m e n steuerbegünstigt als R ü c k s t e l l u n g e n vorgehalten werden 4 1 . Alles in allem bleibt daher bereits ein wesentlich kleinerer Kapitalanteil zur Anlage in r e n d i t e b e z o g e n e n W e r t e n übrig als in den meisten Vergleichsstaaten. E n t s p r e c h e n d gering ist auch das für den K a p i t a l m a r k t bereitstehende Potential. B e t r a c h t e t man n u n m e h r diesen z u r freien Investition verbleibenden R e s t , so ist zu fragen, nach w e l c h e n Kriterien sich die A n l a g e e n t s c h e i d u n g richtet. H i e r k o m m e n v o r allem drei A s p e k t e z u m Tragen, die gegen eine Anlage in A k t i e n sprechen. -

Z u m einen ist der A k t i e n m a r k t bedingt durch die geringe A n g e b o t s b r e i -

te sehr b e s c h r ä n k t 4 2 . -

Z u m anderen ist die laufende R e n d i t e aus A k t i e n gegenüber s c h u l d r e c h t -

lichen A n l a g e f o r m e n wie o b e n erläutert niedrig. -

Schließlich k o m m t w i e d e r die F r a g e nach der angemessenen B e s t e u e -

rung z u m Tragen, die bereits m e h r f a c h a n g e s p r o c h e n w o r d e n ist. Sie spielte lange Zeit bei der A n l a g e e n t s c h e i d u n g eine R o l l e , da eine D o p p e l b e s t e u e r u n g des Anlegers in v e r m ö g e n s t e u e r r e c h t l i c h e r H i n s i c h t bestand 4 3 . D i e s e B e n a c h teiligung w a r z w a r durch die S e n k u n g des Vermögensteuersatzes bei natürlichen P e r s o n e n für A k t i e n auf 0,5 % etwas vermindert w o r d e n . D a A k t i e n aber nach wie v o r mit i h r e m M a r k t w e r t b e i m A n l e g e r besteuert w u r d e n und der den A k t i e n i n n e w o h n e n d e Wert bereits bei der Gesellschaft der V e r m ö -

41 Kühler, Aktienrechtsreform, S. 116 sowie Institutional Investors, S. 569 f.; Weitkemper, Transparenzprobleme, S. 91; ausführlich dazu: Odenthal, IKF 47, 3 ff.; in diesem Zusammenhang interessant sind die Angaben von Kley, Finanzplatz, S. 49 f. über die Kapitalstruktur deutscher Großunternehmen im internationalen Vergleich. 42 Niederste-Ostholt, Eigenkapital, S. 24 f. 43 Dies ist z.B. der Hauptgrund, warum die Ravensburger AG kein Kapital über die Börse aufnimmt, obwohl ihr dies möglich wäre: Maier, FAZ vom 12.6.1995, S. 14; auch Claussen D B W 1991, 185 weist auf diesen Nachteil für die Kapitalaufnahme durch die Börse hin.

B. Der Reformbedarf

aus kapitalmarktrechtlicher

Sicht

29

gensteuer unterworfen war, war diese Verbesserung nicht hinreichend. Das Problem hat sich zwar vordergründig durch die Abschaffung der Vermögensteuer zum 1.1.1997 erledigt. Jedoch ist die Wiedereinführung der Steuer für diejenigen mit größerem Vermögen und damit die potentiellen Anleger auf dem Aktienmarkt bereits wieder im Gespräch. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß die Deutschen zu einer »Generation von Erben« 4 4 werden. Damit steigt der Bedarf nach Kapitalanlageformen, die nicht mehr unbedingt nur die kurzfristige Rendite, sondern auch die Möglichkeit der Werterhaltung des investierten Kapitals berücksichtigen 45 . Weiterhin reicht die gesetzliche Altersversicherung bei höheren Einkommen nicht mehr zur Komplettabsicherung aus, so daß in diesem Bereich eine Lücke entsteht, die durch individuelle Vorsorgeleistungen geschlossen werden muß 4 6 . Auf diesen Umständen beruht die Ausdehnung und Diversifizierung der deutschen Fondslandschaft in den letzten zehn Jahren 4 7 . Fonds übernehmen die Aufgabe der Kapitalsammelstellen, die die Aktiengesellschaft auf Grund der oben geschilderten Umstände - geringe Rendite, Notwendigkeit der professionellen Verwaltung - nicht mehr wahrnehmen konnte 4 8 . Je mehr Gelder durch Erbschaft oder Beschneidung der steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten freiwerden, desto stärker werden die Fonds in Zukunft florieren und so den deutschen Aktienmarkt beleben 49 , wenn dessen Rechtsstrukturen entsprechend gestaltet werden. Kurz erwähnt seien in diesem Zusammenhang noch die Unternehmensbeteiligungsgesellschaften, die nicht börsennotierten Gesellschaften den Zugang zum Kapitalmarkt und damit zu einem breiten Publikum ermöglichen sol-

44 Steuer, WM 1995, 281 \Kley, Finanzplatz, S. 52; Mathes, Finanzplatz, S. 29; Kersting, AG 1997, 222; Handelsblatt vom 21.9.1994 »Wertpapierservice für Großanleger«. 45 Süchting, Strukturwandel, S. 157 f. 46 Wertschulte, Aktienmärkte, S. 159; Kübler in Öffentliches Recht, S. 238; Götz, Anlageverhalten, S. 15; Handelsblatt vom 21.9.1994 »Wertpapierservice für Großanleger«; zumal von sinkenden Rentenzahlungen ausgegangen werden muß: von Rosen, WM 1996, 620; deshalb schafft das B F M F G auch die Altersvorsorge-Sondervermögen, dazu: Mixner, N J W 1996, 1897. 47 Karsch, Die Bank 2000, 57; zur historischen Entwicklung der Kapitalsammelstellen: Bracker, Kapitalsammelstellen, S. 28 ff.; Mathes, Finanzplatz, S. 27 ff. mit Zahlenmaterial: so gibt er an, daß sich die Zahl der Publikumsfonds von 1979 bis 1990 verdoppelt hat, S. 28.; neueres Material findet sich bei: Baums/Fraune, AG 1995, 97 ff. 4 8 Eine Alternative dazu wird von dem M B B Mittelstandsmarkt Bremen angeboten. Hierbei sollen mittelständische Unternehmen dem Freiverkehr zugeführt werden. Ausführlich dazu Schultz, Börsenzeitung vom 24.6.1995, S. 22. 4 9 FAZ vom 19.8.1997 »Mercury Asset Management wächst auch in Deutschland kräftig«.

30

1. Kapitel: Grundlagen und Ziele der Reform durch

Deregulierung

len 5 0 . D i e s e A n l a g e f o r m ist in ihrem Z u s c h n i t t so speziell, daß der d u r c h schnittliche A n l e g e r durch sie nicht a n g e s p r o c h e n w i r d 5 1 . D i e E i n f ü h r u n g des neuen M a r k t e s für Einsteiger an der B ö r s e hat d e m g e genüber durch die anfänglichen e x t r e m e n K u r s g e w i n n e einen »run« auf dieses M a r k t s e g m e n t ausgelöst 5 2 , der den b e g i n n e n d e n W a n d e l in der Einstellung der A n l e g e r deutlich w e r d e n läßt 5 3 . Insgesamt läßt sich daher für die Anlegerseite feststellen, daß das mangelnde Interesse am A k t i e n m a r k t - bedingt durch die S o z i a l s y s t e m e - in der Vergangenheit v o r allem durch die K n a p p h e i t der G e l d r e s s o u r c e n verursacht war. D i e s z u s a m m e n mit d e m schlechten R u f der A k t i e als A n l a g e f o r m und der geringen R e n d i t e a u s s i c h t m a c h t e n die A k t i e uninteressant. D i e Situation wird sich in Z u k u n f t z u m einen auf der gesellschaftlichen Seite durch die gravierenden Veränderungen der S o z i a l s t r u k t u r umgestalten 5 4 , da hier z u m einen ein M e h r an Kapital zur Verfügung stehen wird, z u m anderen die sozialen S i c h e rungen stärker ü b e r die Eigeninitiative erfolgen w e r d e n müssen. D a s alles wird sich aber lediglich dann dauerhaft zugunsten der A k t i e als A n l a g e i n s t r u m e n t auswirken, w e n n auch die gesellschaftsrechtlichen und steuerrechtlic h e n U m f e l d b e d i n g u n g e n dem angepasst w e r d e n 5 5 . D a z u gehört v o r allem eine Flexibilisierung auch des F i n a n z m a n a g e m e n t s der Gesellschaft v e r b u n den mit einer Steigerung der mit A k t i e n zu erreichenden R e n d i t e und eine Verstärkung des A n l e g e r s c h u t z e s .

50 Otto in Handbuch des KapitalanlageR, § 27 Rn. 60; ausführlich dazu Reuter, ZRP 1985, 248 ff.; Fanselow, ZfK 1998, 208 ff. 51 Ausführlich dazu: Koch, ZRP 1984, 233 ff.; Otto in Handbuch des KapitalanlageR, § 27 Rn. 60 ff., der darauf hinweist, daß die steuerlichen Anreize zur Wahl dieser Anlageform nicht hinreichend sind, Rn. 92 ff. 52 Ausführlich dazu: Escher-Weingart, AG 2000, 164 ff. 53 Zahlen dazu finden sich in: Vision & Money 2000, 34; Börsenzeitung von 10.3.2000, Sonderbeilage going public, Bl. 54 Kühler in Öffentliches Recht, S. 238; von Rosen, WM 1996, 620; zu den Problemen der Renten ausführlich das 6. Speyerer sozialrechtliche Gespräch, insb. Kretschmer S. 9 ff.; Handelsblatt vom 12.11.1997 »Koalition sinnt auf Pensionsfonds nach angelsächsischem Muster« (auf deren Einbau in den Gesetzentwurf allerdings mittlerweile verzichtet wurde: Handelsblatt vom 24/25.1.1998 »Bundestagsberatungen bisher im Plan«); auch Heinzeier, S. 8, weist auf die Schwierigkeiten des Mittelstandes bei der Kapitalbeschaffung hin. 55 Finanzplatz Deutschland, Gedanken der Auslandsbanken in: Mitteilungen der Auslandsbanken vom 11.12.1996, S. 2; von Rosen, WM 1996, 620 verweist auf das steuerlich begünstigte PAS-Modell (Privat-Aktien-Sparplan). 56 Hommelhoff, ZGR Sonderheft, 12, S. 66; das Bundeskartellamt vertritt in seiner Stel-

B. Der Reformbedarf

aus kapitalmarktrechtlicher

Sicht

31

2. Die Eigenkapitalgewinnung über den Kapitalmarkt Die Zurückhaltung bei der Eigenkapitalgewinnung über den Kapitalmarkt liegt in der Scheu vor allem mittelständischer Unternehmen vor der Rechtsform der Aktiengesellschaft begründet 56 . Ihnen ist dadurch der Weg zum Kapitalmarkt versperrt 57 . Die Umwandlung in die Form der Aktiengesellschaft wird vor allem aus gesellschaftsrechtlichen Gründen gemieden. Die starren rechtlichen Regeln komplizieren und verteuern den Geschäftsablauf. Die weitgehende Einflußmöglichkeit der Gesellschafter entfällt 58 . Als größter Hemmschuh wird die obligatorische Mitbestimmung empfunden 59 . Die Reform zur »Kleinen Aktiengesellschaft« hat Erleichterungen geschaffen 60 . Inwieweit sie Erfolg haben wird, muß sich zeigen. Die Neuregelungen betreffen weitgehend lediglich nicht börsenzugelassene Gesellschaften, denen dann die Inkorporation als A G für die Kapitalbeschaffung nur geringen Nutzen bringt. Für kleinere Unternehmen bietet es sich daher eher an, in der angestammten Rechtsform zu bleiben und sich die nötige Finanzausstattung durch Genußkapital am Markt zu verschaffen 61 . Das Interesse der bestehenden Aktiengesellschaften an der Schaffung von Eigenkapital in der Form der Neuemission von Aktien ist aus verschiedenen Gründen gering 62 . - Die Neuemission von Aktien ist schwerfällig, so daß das benötigte Kapital nicht zum günstigsten Zeitpunkt erlangt werden kann. - Die Mobilisierung hinreichender Anlegerzahlen für eine größere Emission fällt schwer. Die Telekom-Emission war erfolgreich 63 , hat aber immense Werbemittel verschlungen 64 . Kleinere Gesellschaften können sich ein solches Vorgehen nicht leisten. Sind zu wenige interessierte Anleger vorhanden, belungnahme zum Thema »Macht von Banken und Versicherungen«, S. 9, die These, daß die Doppelfunktion der Banken als Kreditgeber und Emissionsbank zur Zurückhaltung bei der Inanspruchnahme des Kapitalmarktes führt, da die Banken ihre Kreditkunden nicht verlieren wollen. 57 Hommelhoff, Z G R Sonderheft, 12, S. 66; so auch Gaddum auf dem Deutschen Aktienforum der Telekom, FAZ vom 28.9.1996, S. 28. 58 Hommelhoff, Z G R Sonderheft, 12, S. 66; dazu interessant die Untersuchung in Bezug auf Kapitalbeteiligungsgesellschaften, da auch in diesem Zusammenhang die Angst vor dem Kontrollverlust ein entscheidender Hemmschuh für die Aufnahme von Eigenkapital ist: Reuter, ZRP 1985, 249. 5 9 So z.B. Claussen, D B W 1991,185. 60 Hommelhoff, Z G R Sonderheft, 12, S. 67. 61 Priester, B B 1996, 337. 6 2 Zum Sinken der Eigenkapitalquote finden sich Zahlen bei Kühler, AG 1981, S. 6 ff. 6 3 Zu den positiven Auswirkungen der Telekom-Emission auf die Privatanleger: Benner-Heinacher, Vision & Money, S. 40.

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1. Kapitel: Grundlagen

und Ziele der Reform durch

Deregulierung

steht das Risiko, die Neuemission nicht am Markt unterbringen zu können. Das führt zu einer Verteuerung der Eigenkapitalkosten, weil sich die Konsortialbanken das Plazierungsrisiko ausgleichen lassen. Dies ändert sich allerdings gegenwärtig erheblich durch den Erfolg des Neuen Marktes, der anfangs hohe Gewinnmitnahmen ermöglichte 65 . - Der Hauptgrund der hohen Fremdfinanzierungsquote ist aber darin zu sehen, daß das Fremdkapital für die Gesellschaft günstiger ist als Eigenkapital 66 . Dies liegt vor allem an der steuerlichen Ausgestaltung von Eigen- und Fremdkapital 67 mit der Absetzbarkeit der Zinsen; dazu wird im nächsten Abschnitt mehr zu sagen sein. Die entsprechenden möglichen Gewinne fließen als Zinsen an die Fremdkapitalgeber 68 . Da der Zinssatz (weit) über den Dividendensätzen liegt, ist hier erhebliches Potential zur Verbesserung der Ertragslage der Aktiengesellschaften und damit der Eigenkapitalstruktur vorhanden, das bei entsprechender Anpassung der Umfeldbedingungen genutzt werden könnte 69 . - Wieder zu erwähnen sind die starren Rechtsregeln, die ein angemessenes capital management verhindern. Ausgeschlossen ist dadurch nicht nur die Ausnutzung von leverage-Effekten. Es gibt auch keine flexible Möglichkeit, die Inkorporierung rückgängig zu machen, z.B. durch den Aufkauf eigner Aktien das »going private« vorzubereiten 70 . - Als letztes können historische Gründe angeführt werden. Der deutsche Kapitalmarkt ist mit der Inflationszeit zwischen den Weltkriegen zum Erliegen gekommen 71 . Nach dem zweiten Weltkrieg war dann weder das Interesse der - die Börsencrashs der Weimarer Zeit in Erinnerung habenden - Bevölke-

64 Rhein, Opportunities, S. 19; Schutzke, Börsenzeitung vom 26.6.1995, S. 15; Herdt, Börsenzeitung vom 18.11.1996, Leitartikel; zur Notwendigkeit von Werbung auch: Vision & Money, Deutsche Börse AG, 1/1998, 10. 65 Dazu: Wirtschaftsminister Klemm in Vision & Money, 1998, S. 24. 66 Reuter, ZRP 1985, S. 249; Esser, DAI, 16 f.; Niederste-Ostholt, Eigenkapital, S. 14 ff.; Jakobi, Eigenkapital, S. 65 ff.; Assmann in Hdb. des KapitalanlageR, § 1 Rn. 9; im Vergleich ist die Eigenkapitalbeschaffung in Deutschland am teuersten, Zahlenmaterial dazu bei: Paul, Marketing, S. 46 Abb. 8. 67 Häuser, Aktienrendite, S. 74; Esser, DAI 16 f.; Semler, Wertpapierarten, S. 160 ff.; Wiesheu, Börsenzeitung vom 10.6.1995, S. 21. 68 Die Banken verlieren allerdings in letzter Zeit das Interesse an der Fremdkapitalfinanzierung: Stauhli, Finanzspektrum 2000, S. 14. 69 Ausführlich dazu Häuser, Aktienrendite, S. 67 ff.; es kommt also nicht nur auf eine Änderung der Ausschüttungsregeln an, dazu: Assmann, Großkommentar, Einl. Rn. 461 ff. sowie Häuser, Aktienrenditen, S. 95. 70 Ausführung dazu unten 3. Kapitel D.IV.; ausführlich zum Delisting: Schwark/Geisner, ZHR 161, 739 ff. 71 Kühler in Öffentliches Recht, S. 228 f. sowie ausführlich dazu unten 2. Kapitel A.I.8.

B. Der Reformbedarf

aus kapitalmarktrechtlicher

Sicht

33

rung noch das Kapital vorhanden, u m den Wiederaufbau über aktienbezogenes Eigenkapital zu finanzieren 7 2 . Die Fremdfinanzierung u n d die Selbstfinanzierung standen daher notgedrungen im Vordergrund 7 3 . Die Umstellung von dieser Finanzierungsform auf die Eigenkapitalfinanzierung ist bisher weder von den Marktteilnehmern, insbesondere den Banken, noch v o m Gesetzgeber bewältigt worden 7 4 . Erste Schritte dazu k ö n n e n in den F i n a n z m a r k t f ö r derungsgesetzen u n d dem K o n T r a G gesehen werden. Diese sind aber noch nicht ausreichend f ü r eine tiefgreifende Verbesserung der U m f e l d b e d i n g u n gen 75 . Eine deutliche Verbesserung hat sich hingegen durch die E i n f ü h r u n g des Börsensegmentes » N e u e r Markt« ergeben 7 6 .

3. A l l g e m e i n e S t r u k t u r p r o b l e m e Weitere die F u n k t i o n des Kapitalmarktes betreffende Rechtsfelder sind die Insider-Regeln, die Frage nach den Take-over u n d die Ringverflechtungen, da diese Regelungskomplexe die Attraktivität des Aktienmarktes beeinflussen. a.

Insider-Regeln

Die Frage nach dem U m g a n g mit Insiderhandeln 7 7 berührt verschiedene Aspekte des Kapitalmarktes 7 8 . Unbestritten dient das Verbot des Insiderhandels über das M e d i u m des Individualschutzes in F o r m des Anlegerschutzes dem F u n k t i o n s s c h u t z des Ka-

72

Häuser, Deutscher Kapitalmarkt, S. 9 ff. sowie Tabelle 1 des Anhangs;

Hasselmann,

S. 41. 73 Jakohi, Eigenkapital, S. 61; Kühler, A G 1981, S. 7; zur Kapitalstruktur der G r o ß u n ternehmen im Vergleich mit ihren ausländischen Konkurrenten: Kley, Finanzplatz, S. 49 f.; zur Transformationsfunktion der Banken in der Nachkriegszeit: Baums, Kapitalsammelstellen, S. 9 ff. 74 Landgraf, Handelsblatt vom 10.8.1994; auch Gaddum weist auf dem A k t i e n f o r u m der Deutschen Telekom daraufhin, daß die Banken hier ihre Geschäftspolitik umstellen sollten, F A Z vom 28.9.1996, S. 28. 75 Dementsprechend fällt den deutschen U n t e r n e h m e n die A u f n a h m e hinreichender Kapitalmengen am inländischen Markt schwer: Kübler, Börsen-Zeitung vom 30.12.1995, S. 6; deswegen bemühen sich die großen deutschen Gesellschaften um ein Listing an ausländischen Börsen, wie z.B. die Daimler Benz A G an der N e w York Stock Exchange. 76 Dazu: Francioni, Vision & Money, 1998, 26. 77 Ausführlich zu den neuen Insidervorschriften: Weber, BB 1995, 157; Arbeitskreis, W M 1994, 2038 ff.; Assmann (II), A G 1994, 237 ff. sowie A G 1997, 50 ff.; zur historischen Genese: Assmann (I), A G 1995,197 ff.; Hopt, Z G R 1991,18 ff. 78 Zu dem Verhältnis zu Optionsplänen: Feddersen, Z H R 161, 287 ff.; D A I Umfrage, S. 9; D A I O p t i o n e n , S. 12 f.; Assmann, A G 1997, 58; Schreiben des B A f W vom 1.10.1997.

34

1. Kapitel: Grundlagen

und Ziele der Reform

durch

Deregulierung

pitalmarktes 79 . Denn durch Insidergeschäfte erschüttertes Vertrauen der Anleger in die Fairness und Ordnungsmäßigkeit des Finanzmarktes wird zu einer Beeinträchtigung des Kapitalmarktes führen 80 . Ein Finanzplatz, der Insidergeschäfte nicht wirkungsvoll unterbinden kann, wird daher an Standing verlieren, unbeeinflußt davon, inwieweit sich Insidergeschäfte zugetragen oder ob sie zu nachweisbaren Schäden geführt haben 81 . Unter diesem Gesichtspunkt ist die Neuordnung des Insiderrechts durch das zweite Finanzmarktförderungsgesetz für den Finanzplatz Deutschland von Nutzen. Wesentlich schwieriger einzukreisen ist die Frage, ob Insiderhandeln unter originär funktionalen Aspekten tatsächlich von Nachteil ist 82 . Hierbei geht es vor allem um die mögliche Kursbeeinflussung durch den Insiderhandel und deren Folgen für den Kapitalmarkt. Dabei wird befürchtet, daß die Nichtinsider auf Grund der Annahme von Insiderhandel ihre Kauf-/Verkaufsstrategie festlegen und so Grenzpreiskorrekturen zustande kommen, die zu einer Änderung des Einheitskurses und des Börsenumsatzes führen. Dabei kann es dann zu Adverse-selection-Prozessen kommen, die zu einem Rückzug der Nichtinsider und damit zu einer Erhöhung des Marktanteils der Insider führen. Dadurch würde dann die Kapitalsammelfunktion des Kapitalmarktes beeinträchtigt 83 . Ein Rückzug der Nicht-Insider-Anleger aus dem entsprechenden Wert wegen der Befürchtung von Insiderhandeln wird vor allem kleine Unternehmen am Kapitalmarkt treffen, da bei diesen das Risiko von Kursausschlägen besonders groß ist. In Deutschland werden kleine Firmen noch bevorzugt in der Form der G m b H geführt, bei der ohnedies kein flexibler Handel möglich ist. Aber im Zusammenhang mit der Einführung des Neuen Marktes könnten die Chancen solcher Firmen auf eine Heranführung an die Börse durch ein Insiderhandelsverbot steigen 84 .

Dazu unten D.I.l.b. Schneider, D B 1993, 1429; Möllers, Z G R 1997, 347; von Rosen, Die Bank 1995, 11; Siehold, Insiderrecht, S. 32 ff.; a.A. Ott/Schäfer, Z B B 1991, 229, die davon ausgehen, daß sich der raffinierte Kapitalanleger über die Dividende schadlos hält und durch diese Gruppe ein Marktpreis entstehen wird, der die Realitäten des Insiderhandels berücksichtigt. 81 Von Rosen, Die Bank 1995,11; Assmann (I), A G 1994, 201; z.B. werden stock option Pläne aus Angst vor Insiderkonflikten nicht aufgelegt, D A I Umfrage, S. 9. 8 2 Ausführlich zu diesem Problemkreis Siebold, Insiderrecht, S. 38 ff.; Cahn, Z H R 162, 4 ff.; Hopt, Z G R 1991, 22 ff. 83 Pellens/Fürbier, D B 94,1381; Schneider, D B 1993,1430. 84 Ott/Schäfer, Z B B 1991, 230 f.; das Insiderhandelsverbot kann aber auch genau den gegenteiligen Effekt haben. So scheut die Ravensburger A G den Gang an die Börse unter anderem wegen der mit der Stellung eines Familienmitglieds als Vorstand verbundenen Insiderfragen: Maier, FAZ vom 12.6.1995, S. 14. 79 80

B. Der Reformbedarf

aus kapitalmarktrechtlicher

Sicht

35

Weiterhin wird u m die Frage der I n f o r m a t i o n s e f f i z i e n z der neuen R e g e lung gerungen. D i e B e f ü r w o r t e r des M o d e l l s der halbstrengen

Informa-

t i o n s e f f i z i e n z 8 5 und der daran a n k n ü p f e n d e n A d - h o c - P u b l i z i t ä t gehen davon aus, daß d u r c h die Publizität die I n f o r m a t i o n d e m breiten A n l a g e p u b l i k u m zugänglich wird, das sie rezipiert und sein Verhalten darauf einstellt, so daß die I n f o r m a t i o n allen B e t r o f f e n e n gleichmäßig zu G u t e k o m m t 8 6 . K e i n A n l e ger m ü ß t e daher mit einer ü b e r o b l i g a t e n Belastung durch Kursverluste/-gew i n n e auf G r u n d einer publizitätspflichtigen Tatsache rechnen. D e m wird entgegengehalten, daß dies nicht der W i r k l i c h k e i t entspricht. D e n n im E n d e f fekt k ö n n t e n die I n f o r m a t i o n e n nicht von allen A n l e g e r n effektiv genutzt werden, da die meisten Kleinanleger w e d e r die Zeit n o c h das n ö t i g e Verständnis dafür aufbringen. D a s E r g e b n i s des M o d e l l s der halbstrengen I n f o r m a t i o n s e f f i z i e n z sei die B e v o r z u g u n g der Marktinsider, also der G r u p p e der b e rufsmäßig mit dem K a p i t a l m a r k t befaßten A n l e g e r 8 7 . D u r c h die D u r c h s e t zung strenger Insiderregelung w ü r d e daher lediglich eine Verlagerung des b e günstigten P e r s o n e n k r e i s e s v o n den Insidern im Sinne des Insidergesetzes zu den M a r k t i n s i d e r n erfolgen. E i n e prinzipielle Verbesserung für die E f f i z i e n z des K a p i t a l m a r k t e s ergäbe sich nicht, im G e g e n t e i l sei auch hierbei w i e d e r ein A d v e r s e - s e l e c t i o n - P r o z e ß zu b e f ü r c h t e n . 8 8 Statistisch eindeutig läßt sich keine der beiden A u f f a s s u n g e n belegen 8 9 . Plausibler erscheint auf den ersten B l i c k die A n n a h m e , daß die Kleinanleger v o n d e m strengen Insiderrecht nicht ausreichend profitieren. D i e s z u s a m m e n mit der langsameren K u r s e n t w i c k l u n g bei der Zulassung v o n Insiderhandel 9 0 , die im E n d e f f e k t zu einer geringeren B e n a c h t e i l i g u n g der Kleinanleger führen k ö n n t e , k ö n n t e gegen die durch das zweite K a p i t a l m a r k t f ö r d e r u n g s g e s e t z getroffene R e g e l u n g sprechen. D e m steht entgegen, daß die meisten K l e i n a n l e ger sich nicht u n m i t t e l b a r am K a p i t a l m a r k t beteiligen. Sie e r w e r b e n F o n d s a n teile 9 1 und erhalten so Zugang zu einem Marktinsider, der v o n der a d - h o c Publizität profitiert.

85 Halbstrenge Informationseffizienz bedeutet, daß alles öffentlich zugängliche Wissen sich in den Börsenkursen widerspiegelt: Schneider, DB 1993, 1429; Hasselmann, S. 38. 86 Schneider, DB 1993, 1429 f. 87 Schneider, DB 1993, 1430; dies wird wiederum verstärkt durch die zulässige Beschränkung der Information auf die Bereichsöffentlichkeit; dazu Thielemann, Börsenzeitung vom 27.4.1994, 21. 88 Schneider, DB 1993, 1430. 89 Vergl. Fenn/'McGuire/Prentice in Hopt/Wymeersch, S. 18. 90 Pellens/Fürbier, DB 1994, 1381 f.; Schneider, DB 1993, 1432. 91 Entsprechend ist die Zahl der in Fonds investierten Mittel von 2.2335 Mio. 1992 auf 24.616 Mio. 1997 gestiegen: Bracker, bank und markt 1998, 52; dazu unten D. 1.2.

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1. Kapitel: Grundlagen

und Ziele der Reform durch

Deregulierung

Für ein Insiderhandelsverbot sprechen die oben in Bezug auf den Anlegerschutz geschilderten Vorteile eines Verbotes - das die Relevanz von Reformen für die Belebung des Kapitalmarktes hier exemplarisch deutlich werden läßt und die mögliche Nutzbarmachung des Kapitalmarktes auch für kleinere Gesellschaften. Zudem ist von einem Insiderhandelsverbot eine Steigerung des Vertrauens in den Markt zu erwarten 92 . Insgesamt muß dies zunächst zu einer positiven Bewertung der neuen Regeln führen. Abzuwarten bleibt, wie sie sich in der Praxis bewähren und ob sie zu einer Belebung des Kapitalmarktes beitragen. b.

Take-over

Eine auffällige Schnittstelle zwischen dem Gesellschaftsrecht und den einzelnen Feldern des Kapitalmarktrechts - und insofern für mögliche Reformen von Interesse - sind die Take-over, insbesondere die feindlichen Übernahmeangebote 93 . Take-over in Deutschland sind rar 94 . Dies liegt neben dem geringen Streubesitz 95 und den Problemen der Ringverflechtung vor allem an den gesellschaftsrechtlichen Vorgaben, die ein entsprechendes Vorgehen erschweren. Dazu gehört neben dem - nunmehr durch das KonTraG etwas gelockerten Verbot des Erwerbs eigener Aktien 96 , dem Bezugsrecht 97 , der Rolle der Banken und der Mitbestimmung 9 8 die Stellung des Vorstandes. Er kann lediglich vom Aufsichtsrat abberufen werden und selbst wenn diese Abberufung gelingt, erlischt sein Arbeitsvertrag dadurch nicht, § 84 Abs. 3 AktG. Dadurch 92 Selbst wenn der Markt durch ein Insiderhandelsverbot nicht positiv beeinflußt wird, so kann alleine durch das Bestehen eines gesetzlichen Verbotes Vertrauen begründet werden, insbesondere als in vielen anderen Staaten - insbesondere in den U S A - ein Insiderhandelsverbot besteht: Hopt, Z G R 1991, 25 ff.; Waller, Financial Times vom 14.7.1994; Handelsblatt v o m 20.9.1995 »Grauer Kapitalmarkt soll trockengelegt werden«; ähnlich Blair, S. 54; siehe dazu unten D.I.l.b. die A u s f ü h r u n g e n z u m Funktionenschutz als kapitalmarktrechtlicher Regulativansatz. 93

Z u m U b e r n a h m e k o d e x der Börsensachverständigenkommission: Kallmeyer, Z H R 161,435 ff.; zu den Vorschlägen der Expertenkomission: FAZ voml9.5.2000, S. 13 »Komission verabschiedet Regeln f ü r Unternehmensübernahmen«. 94 Einer der wenigen Fälle war der von Pirelli/Continental; dazu Maier-Reimer in Takeover, S. 243 f.; in neuster Zeit f ü r Schlagzeilen sorgte der Take-over von Vodafone-Airtouch bei Mannesmann, der in einer freundlichen Fusion aufging; dazu: Terliesner, Börsenzeitung vom 4.2.1999, S. 10. Zahlenmaterial findet sich bei: Hopt, Z H R 161, 369 ff. 95 Bundeskartellamt Stellungnahme, S. 15 f, die f ü r E n d e der 80er Jahre nur 40 A G e n mit Streubesitz über 75 % ausweist. 96 D a z u unten 3. Kapitel D. 97 D a z u unten 3. Kapitel C. 98 Stellungnahme des BKA, S. 15 f.

B. Der Reformbedarf

aus kapitalmarktrechtlicher

Sicht

37

wird die Kontrollübernahme unter Umständen erheblich verteuert. Eine unmittelbare Einflußnahme des neuen Inhabers auf die Geschäftspolitik ist wegen der eigenverantwortlichen Stellung des Vorstandes nach § 76 Abs. 1 A k t G nicht möglich". Finden Take-over aus gesellschaftsrechtlichen Gründen nicht statt, fehlt dieses Segment der Managementkontrolle auch am Kapitalmarkt 1 0 0 . Dies hat die verschiedensten Folgen. Die augenscheinlichste davon ist der entsprechend geringere Umsatz von Aktien. Aber auch in Bezug auf die eben erörterten Insiderfragen ist es von Bedeutung. Denn der Finanzplatz Deutschland ist bisher von Insiderskandalen wenig betroffen worden. Dies kann zum einen an der oft beklagten Mangelhaftigkeit des alten, auf freiwilliger Verpflichtung beruhenden Systems der Vermeidung des Insiderhandels liegen 101 , hat aber sicherlich auch damit zu tun, daß durch die Enge des Kapitalmarkts und die fehlenden Ubernahmen die Gelegenheiten zur Ausnutzung von Insiderwissen fehlten 102 . Auch in Bezug auf die Take-over könnte eine Deregulierung des Aktienrechts, z.B. durch die vollständige Aufhebung des Verbots des Erwerbs eigener Aktien oder die Abschaffung des Bezugsrechts, zu einer Belebung des Kapitalmarktes beitragen 103 . Weitergehende Änderungen können im Rahmen dieser Arbeit nicht besprochen werden 1 0 4 . Sollte es zu einer Neuregelung kommen, ist zu beachten, daß die Take-over sich in einem gesamtwirtschaftlich sinnvollen Rahmen bewegen 105 . Die kritischen Stimmen zum volkswirtschaftlichen N u t z e n von Take-over in den USA mehren sich 106 , da drohende Take-over durch den wirtschaftlichen Druck auf das Management der Zielgesellschaft für falsche Management-Strategien verantwortlich gemacht werden. Dazu gehört vor allem die Förderung einer Geschäftspolitik mit kurz-

99 Maier-Reimer in Takeover, S. 242; Adams, A G 1990, 251 ff.; ausführlich mit weiteren G r ü n d e n Mertens, A G 1990, 254 ff. 100 Mertens, KG 1990,254. 101 Z.B. Hauschka/Harm, BB 1988,1190; Mertens, Z H R 138,269. 102 Assmann (I), A G 1994, 198; Ott/Schäfer, ZBB 1991, 227; Davies in H o p t / Wyraeersch, S. 243; Wymeersch in H o p t / W y m e e r s c h , S. 80. 103 Hopt in F G Kübler, S. 453. 104 Zu dem Verhältnis Take-overs und Minderheitenschutz Hecker/Wenger, ZBB 1995, 323. 105 Die Gesetzgebungsarbeit wird dabei wahrscheinlich durch die Vorgaben der in Vorbereitung befindlichen 13. gesellschaftsrechtlichen Richtlinie beschränkt. Zu dem aktuellen Stand dieser Richtlinie Kraus, A G 1996, 209 ff.; Hopt in F G Kübler, S. 453. 106 Z u m Problem der »raider«: Butz, D A J V - N L 1998, 29; vergl. auch F A Z vom 14.5.2000, S. 37 »Fusionen oft nicht erfolgreich«.

38

1. Kapitel: Grundlagen und Ziele der Reform durch

Deregulierung

fristigem Erfolgsziel, die z.B. zum weitgehenden Verzicht auf Forschung zwingt 107 . Prinzipiell ist dabei zunächst davon auszugehen, daß die Flexibilisierung des Gesetzes verbunden mit einer selbstverwalteten Regulierung hinreichend ist und nicht neue legislative Vorgaben geschaffen werden müssen 108 . Eine solche Vorgehensweise erlaubt eine flexible Reaktion auf die in Deutschland noch neuen Erfahrungen, so daß sich ein marktorientiertes System mit praxisnahen Entscheidungen 1 0 9 herausbilden kann.

c. Wechselseitige Beteiligungen und

Ringverflechtungen

Eng mit der Frage nach den Take-overs verbunden ist die wechselseitige Beteiligung und die Ringverflechtung in der deutschen Wirtschaft. Eine wechselseitige Beteiligung liegt vor, wenn zwei Unternehmen gegenseitig Anteile des jeweils anderen halten (§§ 19, 235 A k t G ) , eine Ringverflechtung, wenn mindestens drei Unternehmen gegenseitige größerer Beteiligung halten 1 1 0 . Diese Gestaltungen haben zum einen den Zweck, die Abstimmung der Geschäftspolitik untereinander mit einem gewissen Maß an Kontinuität zu gewährleisten, ohne den Konzernrechtsregeln zu unterfallen, sollen aber vor allem auch Ubernahmen verhindern 1 1 1 . Kapitalmarktrechtlich sind diese Ringverflechtungen neben der Markteinengung durch fehlende Ubernahmen 1 1 2 bedenklich, weil in Deutschland keine hinreichende Transparenz gewährleistet ist und dadurch eventuelle Interessenkonflikte nicht nachvoll-

Merkt, Rn. 1185. Krause, A G 1996, 216 f.; in diesem Sinne ist der Ubernahmekodex der Börsensachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen. 109 Krause, A G 1996, 209 befürwortet in dieser Hinsicht das englische System mit einem Take-over Panel. 110 Adams, AG 1994, 149; Als »Meister der Verflechtung« haben sich die Allianz und die Münchener Rück erwiesen: Die Allianz und die Münchener Rück besitzen jeweils 25 % des anderen, beide zusammen kontrollieren direkt oder indirekt 40 % der Dresdner Bank, die Dresdner Bank wiederum besitzt 10 % an der Allianz und der Münchener Rück. Die Allianz ist mit 10 % an der Deutschen Bank (anders Baums, A G 1995, 98, der die Deutsche Bank als mit 100 % in Streubesitz angibt) und mit 25 % an der Bayerischen Hypothekenund Wechsel-Bank beteiligt, die ihrerseits 8 % bzw. 5 % an der Allianz und 8 % bzw. 4 % an der Münchener Rück besitzt und so weiter. Eine Ubersicht der Ringverflechtungen ist abgedruckt bei Adams, AG Sonderheft 1997, 19. Ausführliche Zahlen über die Ringverflechtungen im einzelnen finden sich im: 10. Hauptgutachten der Monopolkommission, Bundestagsdrucksache 12/3031, Tabelle 22; in Bezug auf die Landesbanken in der Stellungnahme des Bundeskartellamtes, S. 19. 107

108

111 112

Adams, KG 1994,149. Hopt in F G Kübler, S. 454.

B. Der Reformbedarf

aus kapitalmarktrechtlicher

Sicht

39

ziehbar sind 1 1 3 . O b sich dies in hinreichender Weise durch die Offenlegungspflichten der § § 2 1 ff. W p H G geändert hat, bleibt abzuwarten. Aber auch wenn sich die Transparenz erhöht, bleiben die mit den Interessenkonflikten verbundenen Risiken als negatives Moment bestehen. Weiterhin wird durch wechselseitige Beteiligungen und Ringverflechtungen die Allokationseffizienz des Kapitalmarkts beeinträchtigt. Denn der Aufkauf der entsprechenden Beteiligung erfolgt - außer bei Versicherungen 114 mit Mitteln, die ansonsten zur Ausschüttung gelangen könnten 1 1 5 . Es stünde dann den Aktionären frei, die Mittel in die im Verhältnis zum Risiko renditeträchtigsten Anlagen zu geben. Durch die Ringverflechtungen hingegen bindet das Management das Kapital in der Gesellschaft und verhindert so die effiziente Verteilung aber auch eine Bewertung des Unternehmens am Markt über die Börsenkurse. Die Interdependenz durch Ringverflechtungen, also die Höhe des gegenseitigen Besitzes gemessen an der Summe der mit den entsprechenden Kapitalanteilen gewichteten Wertschöpfungsbeträge der Beteiligungsunternehmen an der Gesamtwertschöpfung der erfassten Unternehmen, erhöht sich gegenwärtig 116 . Reformanstrengungen sind daher im Hinblick auf den Kapitalmarkt aber auch auf eine Verbesserung der Stellung der Anleger dringend geboten. In Bezug auf die Anleger ergibt sich der Reformbedarf dadurch, daß der Anleger durch die Ringbeteiligung von seinen Rechten weitgehend ausgeschlossen wird. Ihm wird durch den mit der Verflechtung verbundenen Entzug der Aktien vom Markt die Chance genommen, den realen Marktwert unterbewerteter Aktien im Rahmen eines Take-over zu erlösen. Er erhält weiterhin keine dem Aktienwert angemessene Rendite, da das entsprechende Kapital für den Aufbau der Beteiligungen aufgebraucht wird. Er kann gleichzeitig von dem ihm als Eigentümer zustehenden Kontrollrecht durch die Massierung des Anteilbesitzes und die Absprachen innerhalb des Ringes faktisch ausgeschlossen werden 1 1 7 . Sollten entsprechende Absprachen erfolgen, führt dies auch zu einer Verletzung der im Aktienrecht angelegten Gewaltenteilung, da das Management sich dann mit Hilfe der über die Verflechtungen ausgeübten Stimmrechte 1 1 8 selbst kontrolliert. 113 Adams, AG 1994, 148 f.; Bundeskartellamt, Stellungnahme, S. 16; zu den Mitteilungspflichten nach AktG und Wertpapierhandelsgesetz: Neye, ZIP 1996, 1853 ff. 114 pü r Versicherungen stellt sich die Situation anders dar, da diese ihre Beiträge anlegen müssen, um die nach den Versicherungsverträgen vereinbarten Zahlungen leisten zu können: Lambsdorff, Debatte des Deutschen Bundestages, 374. 115 Adams, AG 1994, 151. 116 10. Hauptgutachten der Monopolkommission, Bt-Drs. 12/3031, S.211 f. 117 Adams in öffentliche Anhörung, S. 67/49. 118 Ein Beispiel dazu bildet das Bundeskartellamt, Stellungnahme, S. 18.

1. Kapitel: Grundlagen und Ziele der Reform durch

40

Deregulierung

III. Der Reformbedarf Aus Sicht des Kapitalmarktes besteht ein erheblicher Reformbedarf des Aktienrechts, damit die Attraktivität der Aktie als Anlageinstrument steigt. Dazu gehört vor allem eine Steigerung der Rendite, eine höhere Flexibilität des Aktienrechts im Hinblick auf die Anforderungen des Kapitalmarktes und ein ausreichender Anlegerschutz. - Eine erhöhte Ausschüttung ist unter dem Gesichtspunkt einer Stärkung der Allokationseffizienz des Kapitalmarktes wünschenswert, weil das Kapital dann nicht zwangsweise in der Gesellschaft gehalten wird, sondern zu der attraktivsten Anlageform fließen kann 1 1 9 . - Der Flexiblisierung bedarf es zur Verbesserung des capital managements. Voraussetzung dafür ist ein Uberdenken des starren Garantiekapitalsystems. - Ein funktionaler Anlegerschutz muß im Interesse der Kapitalsammelfunktion geschaffen werden. Die bisher unternommenen Versuche zur Popularisierung der Aktie waren immer halbherzig, da sie zwar Hemmnisse abbauten, aber die Attraktivität nicht wirklich förderten 1 2 0 . Ein entscheidender Schritt auf diesem Weg ist der Abbau der historisch durch die Börsenzusammenbrüche und die Umstände nach dem zweiten Weltkrieg bedingte Neigung zu Fremdkapital. Dies läßt sich nicht durch Randkorrekturen in segmentierten Bereichen einzelner Rechtsgebiete aufheben. Notwendig ist vielmehr die rechtliche Gleichstellung von Fremd- und Eigenkapital und die damit verbundene Umstellung des Bewußtseins der betroffenen Kreise. Eventuell sollte für die Übergangszeit sogar eine Bevorzugung des Eigenkapitals angestrebt werden. Das Rechtsgebiet, das hierbei neben dem Gesellschaftsrecht am meisten bewirken kann, ist das Steuerrecht 121 . Dort ist die Eigenkapitalfinanzierung bisher übermäßig benachteiligt, so daß eine Gleichstellung in diesem Bereich auf der Ebene der Unternehmen viel bewirken könnte 1 2 2 . Auch die Anlegerseite ist durch Steuervergünstigungen überdurchschnittlich stark zu beeinflussen, wie sich

Kühler, WM 1990,1858. Assmann in Großkommentar, Einl. Rn. 513; Seibert/Köster, S. 21. 121 Häuser, Aktienrendite, S. 96; Flämig, JuS 1977, S. 86; ähnlich: Assmann in Großkommentar, Einl. Rn. 511 ff.; Niederste-Ostholt, Eigenkapital, S. 27; Viermetz, Europa, S. 11 sieht als entscheidende Faktoren an: Rendite, Steuerbelastung und Währungsstabilität. 122 So auch: Handelsblatt vom 6.6.1997 »Für Pensionssondervermögen«; Gaddum, Aktienforum der Deutschen Telekom, FAZ vom 28.9.1996, S. 28 und die Kritik von Kado, Strukturwandel, S. 118 f., an der Unternehmensbesteuerung; ähnlich Assmann, Großkommentar, Einl. Rn. 411, der sich zur Verbesserung der Eigenkapitalquote für eine Änderung auf Seiten der Kostenkomponenten ausspricht. 119 120

B. Der Reformbedarf

aus kapitalmarktrechtlicher

Sicht

41

an den Abschreibungsgesellschaften zeigt. Hätte es für das Aktiensparen den Abschreibungsgesellschaften adäquate Steuervorteile gegeben, wären Milliardenbeträge in die Anlageinstrumente des Kapitalmarktes geflossen 123 .

123 So auch Assmann in Großkommentar, Einl. Rn. 313; das Postulat einer zumindest neutralen Besteuerung des organisierten Kapitalmarkts stellt bereits Schneider, Besteuerung, S. 7, in seinem 1977 gehaltenen Vortrag auf.

C. Die in die Reform einzubeziehenden Nebengebiete Wie sich aus dem bisher Erläuterten gezeigt hat, ist eine Reform des Aktienrechts alleine für eine tiefgreifende Änderung des Systems nicht hinreichend. Vielmehr müssen die auf das Aktienrecht einwirkenden Rechtsgebiete im gleichen Zuge der neuen Lage angepasst werden 1 . Auf sie soll deshalb an dieser Stelle kurz eingegangen werden.

I. Das Steuerrecht Bei der Besprechung gesellschaftsrechtlicher Problemstrukturen wird das Steuerrecht meist außen vor gelassen. Dies ist wegen der Komplexität der einzelnen Rechtsgebiete und des Umfangs, den eine umgreifende Ausarbeitung unweigerlich annehmen würde, verständlich, dennoch ist es bedauerlich. In neuester Zeit werden die zwischen Steuer- und Gesellschaftsrecht bestehenden Interdependenzen mehr und mehr erkannt 2 . So formuliert KnobbeKeuk: Das Steuerrecht - eine unerwünschte Rechtsquelle des Gesellschaftsrechts? 3 . Da sich aus dem bisher in Bezug auf die Reformbedürftigkeit des Aktienrechts Gesagten bereits an verschiedenen Stellen wesentliche Verbindungen mit dem Steuerrecht ergeben haben, soll im Folgenden kurz die steuerrechtliche Seite erläutert werden, damit die bei einer Aktienrechtsreform zu 1 Zu der engen Verbindung von Gesellschaftsrecht und den auf es einwirkenden Rechtsgebieten, insb. auch des Steuerrechts: Ballerstedt, S. 2 ff. 2 Westermann in FS Goerdeler, S. 699; Döser in F G Kübler, S. 391, Gaddum auf dem Aktienforum der Deutschen Telekom, FAZ vom 26.9.1996, S. 28; Assmann in Großkommentar, Einleitung, Rn. 250; Walz Z H R 157, 283; Flämig, ZRP 1980, 239; dazu auch: Walz, das Gutachten zum 53. Deutschen Juristentag »Empfiehlt sich eine rechtsformunabhängige Besteuerung der Unternehmen?«; zum Wechselspiel zwischen Privatrecht und Steuerrecht Osterloh, JuS 1994, 993 ff.; Walz, Z H R 147, 281 ff.; Kübler, GesR, Teil III (Einleitung); Eberstadt, WM 1996, 1810; allerdings nahm Ballerstedt bereits 1949 zu den Einwirkungen des Steuerrechts auf das Gesellschaftsrecht Stellung, S. 15 ff. 3 Knobbe-Keuk betitelt ihre 1986 in der Schriftenreihe Rechtsordnung und Steuerwesen erschienene Monographie entsprechend.

C. Die in die Reform einzubeziehenden

Nebengebiete

43

berücksichtigenden Querverbindungen deutlich werden und einbezogen werden können 4 . 1. Die Körperschaftsteuer 5 Die der Körperschaftsteuer unterliegenden Gesellschaften, also vor allem die Aktiengesellschaft und die G m b H , sind entsprechend ihrem Status als juristische Person auch selbst Steuersubjekt. Ihr nach den §§ 7 ff. KStG zu ermittelndes zu versteuerndes Einkommen wird gemäß dem Tarif in § 23 Abs. 1 KStG einer Steuer in Höhe von 45 % - bis 1989 waren es 56 % 6 -unterworfen. Abstufungen ähnlich der Progression des Einkommensteuerrechts nach der Höhe des insgesamt erzielten Einkommens gibt es dabei nicht. Erfolgt eine Ausschüttung des Gewinns, so wird für die Ausschüttungsbeträge der Steuertarif auf 30 % herabgestuft, § 2 7 Abs. 1 KStG. Diese bei der Gesellschaft entstehende Steuerbelastung in Höhe von 30 % kann der dividendenberechtigte Aktionär auf seine persönliche Einkommensteuer anrechnen. Ist seine persönliche Steuerschuld niedriger als der entsprechende Betrag, erhält er eine Erstattung, § 3 6 Abs. 2 EStG. Das Anrechnungssystem führt also dazu, daß der Empfänger der Ausschüttungen diese mit seinem individuellen Einkommensteuertarif besteuern muß. Dieses System der Vollanrechnung wurde erst 1977 7 eingeführt. Bis dahin unterlagen die ausgeschütteten Gewinne einer Doppelbelastung 8 . Sie wurden zunächst bei der Gesellschaft besteuert und dann erneut vom Gesellschafter im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung. Diese Doppelbelastung wurde mit dem Status der Körperschaften als eigenständige Rechtssubjekte gerechtfertigt 9 . Die Doppelbesteuerung hatte zwei für den vorliegenden Themenkomplex relevante Auswirkungen. Zum einen führte sie zu Kontroversen innerhalb der Gesellschaft um die Höhe der Gewinnausschüttungen. Die Ak-

4 Die Beachtung des Steuerrechts bei der Reform des Gesellschaftsrechts ist ein in der Praxis oft vorgebrachter Wunsch: Waller, Financial Times vom 14.7.1994; Börsen-Zeitung vom 12.12.1997 »Handlungsbedarf am Finanzplatz«. 5 Es bestanden Pläne zur Einführung einer einheitlichen Unternehmenssteuer, FAZ vom 7.1.1999, S. 13, die jetzt durch ein Optionsmodell ersetzt werden sollten, dazu: Mentel/ DStR 2000,709 ff.; Kußmaul/Schäfer, BB Schulz, DStR 2000,489 ff.; Scheipers/Bergemann, 2000, 901 ff. 6 Crezelius, SteuerR § 13 Rn. 6 ff.; Schäfer, D B 1989, 1685. 7 Für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.1978 endeten. 8 Ausführlich dazu: Tipke/Lang, §11; Knobbe-Keuk, Steuerrecht, S. 558 ff.; Crezelius, SteuerR § 13 Rn. 1 ff.; Flämig, JuS 1977, 83 ff.; Hönig-Schreiner, B B 1980, 830; Schmidt, L., NJW 1976,2235. 9 Tipke/Lang, § 11 Rn. 1; Flämig, JuS 1977, 84.

44

1. Kapitel: Grundlagen und Ziele der Reform durch

Deregulierung

tionäre mit gesichertem Einkommen und hohem Einkommensteuertarif waren an der Thesaurierung der Gewinne interessiert, um den Wert der Aktien zu erhöhen und eine doppelte Besteuerung zu vermeiden 10 . Eventuell vorhandene »Kleinaktionäre« hingegen wollten die Renditen ihrer Anlage ausbezahlt haben. Zum anderen machte die Doppelbesteuerung die Aktie für den Durchschnittsanleger wegen der damit verbundenen geringeren Rendite uninteressant 11 . Die Reform von 1977 mit der Einführung des Vollanrechnungsverfahrens hatte dann auch im wesentlichen die Stärkung der Eigenfinanzierung 12 und damit die Belebung des Kapitalmarktes zum Ziel 13 , die durch die Aktienrechtsreformen 1959 und 1965 nicht erreicht worden war. Heute noch sind Aktionäre mit einem persönlich niedrigeren Einkommensteuertarif durch die Thesaurierung von Gewinnen benachteiligt. Die Steuergerechtigkeit würde daher gegenwärtig möglichst hohe Ausschüttungen erfordern - die bedauerlicher Weise aus anderen Gründen 1 4 nicht erfolgen - , da so die Besteuerung mit dem individuellen Steuersatz des Aktionärs sichergestellt würde. Nachteilig ist das Körperschaftsteuersystem insbesondere für ausländische Anleger, da sie von der Anrechnung der 30 %igen Körperschaftsteuer ausgeschlossen sind, § 51 KStG. Soll eine höhere Beteiligung ausländischer Investoren erreicht werden, so ist hier nachzubessern 15 . Gegenwärtig sind Reformen des Körperschaftsteuersystems im Gange. Nach dem von der SPD und den Grünen verabschiedeten Gesetzentwurf soll das Habeinkünfteverfahren eingeführt werden. Alle Gewinne werden zunächst einer KSt von 25 % unterworfen. Werden die Gewinne thesauriert, bleibt es bei dieser Steuerbelastung. Werden sie ausgeschüttet, wird die verbleibende Diividende zur Hälfte (= 37,5 % ) steuerfrei gestellt. Die restlichen 37,5 % versteuert der Anteilseigner erneut mit seinem individuellen Steuersatz. Das führt zu einer Besserstellung derjenigen Anleger gegenüber dem bisherigen System, die einen individuellen Steuersatz von über 40 % haben. Die

10 Dies mag heute teilweise auch wieder so sein, da der Steuersatz für thesaurierte Gewinne unter dem Spitzensteuersatz der Einkommensteuer liegt, Wertsteigerungen der Aktien selbst aber steuerfrei realisiert werden können, falls der Verkauf außerhalb der Spekulationsfrist erfolgt. 11 Flämig, ]uS 1977,85. 12 Schmidt, L., N J W 1976, 2235; Schäfer, D B 1989,1684; Eigenfinanzierung als Gegenteil der Fremdfinanzierung bedeutet eine Finanzierung über die Eigentümer, die der Schaffung von Eigenkapital dient: Gabler, Wirtschaftslexikon, »Eigenfinanzierung«. 13 Tipke/Lang, § 11 Rn. 5; Walz, Gutachten, F 26; Langenfeld/Gail, II Rn. 91. 14 Siehe dazu den Abschnitt oben B. über den Kapitalmarkt. 15 Weil sie diese Benachteiligung vermeidet, wird die Möglichkeit des Rückkaufs eigner Aktien von der BASF begrüßt, FAZ vom 13.3.1998, S. 21.

C. Die in die Reform einbeziehenden

Nebengebiete

45

typischen Kleinanleger mit einem individuellen Steuersatz von unter 40 % verschlechtern sich hingegen nicht unerheblich 16 . Zudem wird der oben erwähnte vor der Einführung des Anrechungsverfahrens bestehende Konflikt zwischen Großanlegern und Kleinaktionär bezüglich der Ausschüttungspolitik der Gesellschaft wieder massiv aufleben. Die Begünstigung thesaurierter Gewinne durch die Besteuerung mit einer Quote von lediglich 25 % wird dazu führen, daß die Großaktionäre eine restriktive Ausschüttungspolitik betreiben wollen, die sich nachteilig auf die Kapitalallokation auswirken wird. Nach dem bereits Ausgeführten, sind die durch die Steuerreform vermittelten Anreize also als kontraproduktiv anzusehen. 2. Die Vermögensteuer In vermögensteuerlicher Hinsicht war die Kapitalgesellschaft gegenüber den anderen Gesellschaftsformen bis 1997 schlechtergestellt. Denn hier bestand eine echte Doppelbesteuerung 17 . Zum einen mußte die Gesellschaft Vermögensteuer in Höhe von 0,6 % , § 1 0 Nr. 2 VStG, auf ihr Betriebsvermögen entrichten. Dabei wirkte sich insbesondere nachteilig aus, daß die Vermögensteuer keine Betriebsausgabe war. Das führte dazu, daß der Betrag der Vermögensteuer mit 45 % Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer je nach Hebesatz belastet war. Die steuerliche Gesamtbelastung lag daher über 200 % (d.h. für 1 D M Vermögensteuer mußte die Gesellschaft über 2 D M Gewinn aufwenden) 18 . Zum anderen unterlag der Gesellschafter im Hinblick auf seine Anteile an der Gesellschaft erneut der Vermögensteuer in Höhe von 0,5 % , § § 1 0 Nr. 1 VStG, 110 Abs. 1 Nr. 3 BewG. Dabei war Berechnungsgrundlage für die Vermögensteuer nicht mehr das Betriebsvermögen mit seinen teilweise geringen Einheitswerten, sondern der Kurswert oder der gemeine Wert der Anteile. Es handelte sich also nicht nur um eine Doppelbesteuerung der Kapitalgesellschaften, sondern durch die unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen erhöhte sich die auf die Anteile der Kapitalgesellschaften abzuführenden Vermögensteuer zusätzlich 19 .

Zur Steuerreform: Günkel/Fenne, DStR 2000, 445 ff. Tipke/Lang, (15. Aufl.) §12, Rn.75; Grob, B B 1984, 305; Schäfer, D B 1989, 1685; Walz, Gutachten, F 15; ausführlich dazu Krüger, Rn. 47; daher scheut z.B. die Ravensburger A G den Börsengang: Maier, FAZ vom 12.6.1995, S. 14. 18 Krüger, Rn. 47. 19 Tipke/Lang, (2. Aufl.) § 16 Rn. 10; Flämig, ZRP 1980,239. 16 17

46

1. Kapitel: Grundlagen

und Ziele der Reform durch

Deregulierung

Gegenwärtig haben sich diese Schwierigkeiten durch die Aufhebung der Vermögensteuer zum 1.1.1997 erledigt. Es bestehen jedoch Überlegungen zu ihrer erneuten Einführung, bei denen diese Probleme berücksichtigt werden müßten. So gibt es bereits Stimmen, die vor den Folgen eines solchen Vorgehens für das Börsensegment des Neuen Marktes warnen 20 , dessen Aufschwung zeitlich mit der Abschaffung der Vermögensteuer zusammenfällt 21 . 3. Weitere Steuern Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, daß es bis zum 1.1.1992 die sogenannten Kapitalverkehrsteuern gab 22 . Diese waren insbesondere die Gesellschaftsteuer und die Börsenumsatzsteuer. Die Gesellschaftsteuer besteuerte die Zuführung von Eigenkapital und verteuerte es damit zusätzlich. Die Börsenumsatzsteuer betraf den späteren rechtsgeschäftlichen Erwerb von Anteilen an Kapitalgesellschaften und machte so die in Deutschland im Verhältnis zur Rendite ohnehin teueren Aktien noch unattraktiver. In diesem Sektor sind die notwendigen Reformen durch die ersatzlose Abschaffung der entsprechenden Steuern bereits erfolgt. 4. Beispiele für die gesellschaftsrechtlichen Auswirkungen des Steuerrechts und der sich daraus ergebende Reformbedarf

a. Die GmbH & CoKG Populärstes Beispiel der Auswirkungen des Steuerrechts auf das Gesellschaftsrecht dürfte die G m b H Sc C o K G sein 23 , die durch ihre Ausgestaltung die dem Aktienrecht zugewiesene Kapitalsammelfunktion übernimmt 24 und so zu einer Verarmung des eigentlichen Kapitalmarkts beiträgt. Strukturell von besonderem Interesse ist dabei, daß sich die Entwicklung der Publikumspersonengesellschaften in Bezug auf den Anlegerschutz paral20 Bürkin, FAZ vom 20.10.1998, S.22 »Die Steuerpläne der Regierung gefährden den Neuen Markt«, der vor allem darauf abstellt, daß die Jungunternehmer ihre Anteile veräußern müßten, um die Steuer zu bezahlen. 21 Zahlen dazu finden sich in: Vision & Money 2000, 34; Börsenzeitung vom 10.3.2000, Sonderbeilage Going Public, B 1. 22 Kühler, GesR § 19 IV 2. 23 Flämig, ZRP 1980, 241; Wiethölter, GmbH & CoKG, S. 11 ff.; Knobhe-Keuk, Rechtsquelle, S. 3; Walz, Gutachten, F 9; Groh, BB 1984, 305 mit einer Kurzzusammenfassung der Entstehung. 24 Krieger, A. in FS Stimpel, S. 324; Stützel, ZfgKW 1976, 1063; Schneider, Z H R 142, 229 f., der das in Publikumspersonengesellschaften investierte Kapital 1978 auf 30 Milliarden DM schätzt.

C. Die in die Reform einzubeziehenden

Nebengebiete

47

lel zu der frühen Entwicklung des Aktienrechts vollzieht 25 . Bedingt durch den Boom bei den entsprechenden Gesellschaftsformen kam es auch zu einer Häufung von unseriösen Angeboten. Dies führte in erster Linie zur Verstärkung des Anlegerschutzes 26 und nicht etwa wegen der damit verbundenen Ausfälle der Lieferanten zu gläubigerschützenden Maßnahmen 27 . Hier existiert ein aktuelles Beispiel in der Rechtsentwicklung, das den Zusammenhang zwischen Anlegerschutz und einer hinreichenden Kapitalsammelfunktion illustriert. Die G m b H & C o K G entstand, da durch die vor 1977 herrschende Doppelbesteuerung der Körperschaften aus körperschaft-/einkommensteuerlicher und vermögensteuerlicher Sicht die Personengesellschaft ungemein interessant war, zugleich aber auf die Haftungsbeschränkung nicht verzichtet werden sollte. Deshalb wurden die Vorteile beider Rechtsformen gekoppelt in einer Personengesellschaft, deren Alleinhafter eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung war 28 . Diese von der Kautelarjurisprudenz entwickelte »hybride« Form 2 9 war meistens so konstruiert, daß die Gesellschafter der K G zugleich die Anteilsinhaber der geschäftsführenden G m b H waren, so daß sie die Herrschaft über die Gesamtgesellschaft in der Hand behielten, ohne mehr als die Haftsumme der G m b H und ihre der Höhe nach beliebigen Kommanditanteile zu riskieren. Die Gewinne der Gesellschaft fielen jedoch vorwiegend in der K G an, so daß die günstige Besteuerung erhalten blieb. Diese gesellschaftsrechtliche Mischform hat sowohl die Zivil- 30 wie auch die Steuerge-

Zum Anlegerschutz bei Abschreibungsgesellschaften: Kellerer, ZfgKW 1976,1058 ff. So z.B. Kündigungsrecht des Kommanditisten, B G H Z 63, 338, 344; 69, 160 ff.; Inhaltskontrolle nach § 242, B G H Z 64,238,241 ff.; 84, 11, 13; Haftung des Geschäftsführers der GmbH auch gegenüber der KG, B G H Z 75, 321; Haftung eines Aufsichtsratsmitglieds, B G H Z 69,207,208 ff.; Haftung des Treuhandkommanditisten, B G H Z 84,141,142; Verjährung der Haftungsansprüche, B G H Z 87, 84, 86; Kündigungsmöglichkeit für Darlehen, B G H Z 70, 61, 62 ff.; Pflichtverletzung des Treuhänders als Lösungsgrund, B G H Z 73, 294, 296; Vertragsändernde Mehrheitsbeschlüsse, B G H Z 71, 53, 54 ff.; 85, 350, 353; Prospekthaftung aus cic, B G H Z 71, 284, 286 ff.; 79, 337, 339; 72, 382, 383 ff.; Prospekthaftung Mitbeteiligter, B G H Z 72, 382, 383; Prospekthaftung Sachkundiger, B G H Z 77,172,174 ff.; Verjährung der Prospekthaftung, B G H Z 83, 222, 223; ausführlich: Schwark in FS Stimpel, S. 1088 ff.; mit Kurzzusammenfassung der Entscheidungen: Krieger, A., in FS Stimpel, S. 312 ff. 25

26

27 Dazu Kraft in FS Fischer, S. 322 ff., 334 ff.; Stimpel in FS Fischer, S. 771 ff.; Krieger, A., in FS Stimpel, S. 310 f.; Schneider, U., Z H R 142, 231. 28 Hennerkes/Binz, S. § 24 Rn. 3 ff.; Kühler, GesR, § 21 I.2.; zur steuerlichen Seite Flämig, JuS 1979, 167 ff.; Stützel, ZfgKW 1976, 1063. 29 Knobbe-Keuk, Rechtsquelle, S. 1. 30 Die erstmalige Anerkennung der GmbH & Co K G erfolgte durch R G Z 105, 101, 102 ff.; firmenrechtliche Gleichstellung der GmbH Sc Co K G mit Kapitalgesellschaften durch B G H Z 62, 216, 225 ff.; analoge Anwendung des § 43 Abs. 2 G m b H G zugunsten der

48

1. Kapitel: Grundlagen

und Ziele der Reform durch

Deregulierung

richte 31 bis zur Abklärung ihrer rechtlichen Grenzen mehrfach beschäftigt und war bis vor Kurzem aus EG-rechtlicher Sicht in Bezug auf die Bilanzierung Gegenstand der Diskussion 3 2 . Nunmehr unterliegt sie weitgehend derselben Publizität wie eine Kapitalgesellschaft 33 . Durch die bilanzielle Möglichkeit, über Verluste Steuerspareffekte zu realisieren, ist die G m b H & C o K G im Gegensatz zur Anlage in Aktien lukrativ 3 4 . Hier besteht dringender Reformbedarf, will man die Stellung der Aktie stärken. b. Die

Verlustzuweisungsgesellschaften

Bei Verlustzuweisungsgesellschaften handelt es sich um Personengesellschaften - meist in der Form der G m b H & Co K G 3 5 - deren Zweck darin besteht, möglichst hohe Verluste für den jeweiligen Gesellschafter zu erzielen, die dieser dann mit anderen Einkünften verrechnen kann 36 . Dies wird durch die Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen, erhöhten Absetzungen und anderen bilanziellen Möglichkeiten erreicht. Bis 1980 war diese Praxis von den Finanzämtern anerkannt, blieb aber Gegenstand kontroverser Diskussionen 37 und führte zu einer ausdifferenzierten gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung 38 . Die Argumente gegen die Verlustzuweisungsgesellschaften ginKG, B G H Z 75, 321, 322 ff.; 76, 326, 337 ff.; Ausdehnung der Anwendung der § § 3 0 ff. auf die GmbH & Co K G durch B G H Z 60, 324, 328 ff.; 69,274, 278 ff. 31 So muß z.B. die Gewinnbeteiligung der haftenden GmbH angemessen sein, B F H BStBl. II, 1968, 741; durch die Geprägerechtsprechung wird die K G gewerbesteuerpflichtig, B F H BStBl. II, 1972, 799; sogar das BVerfG mußte sich mit dem Status der GmbH & Co K G bei der Frage des KVStG beschäftigen und kam zu dem Schluß, daß sie der Kapitalgesellschaft stark angenähert ist und damit der KVSt unterfällt, BVerGE 24, 174, 181 ff.; Zurechnung der Vergütung des GmbH-Geschäftsführers zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb, B F H BStBl. II, 1968, 579; Angemessenheit der Gewinnverteilung bei der GmbH & Co KG, BFH, BStBl. II 1968, 152, 175; Zurechnung des Geschäftsführergehalts zum gewerbesteuerlichen Gewinn, B F H BStBl. 1968 II, 369. 32 Dazu: Hennerkes/Binz, S. § 24 Rn. 9; Kühler, GesR § 35 II l.d); Groh, B B 1984, 309 zur Prüfungs- und Publizitätspflicht. 33 Die Umsetzung der entsprechenden EG-Richtlinie erfolgte im Kapital & Co Richtlinien Gesetz. 34 Kraft in FS Fischer, S. 322 f. 35 Krieger, A., in FS Stimpel, S.309; Groh, B B 1984, 305; Assmann in Handbuch des KapitalanlageR, § 1 Rn. 11; Kühler, Transparenzprobleme, S. 9. 36 Knohhe-Keuk, Steuerrecht, S. 482 sowie N J W 1980, 2557; zu den verschiedenen Möglichkeiten der Organisation von Publikumspersonengesellschaften Schneider, Z H R 142, 243 ff.; zur Kritik Knohhe-Keuk, Rechtsquelle, S. 8 ff. 37 Knohhe-Keuk, N J W 1980,2557; Wiethölter, G m b H & C o K G , S. 20 ff. 3 8 Ausführlich dazu mit den entsprechenden Rechtsprechungsfundstellen: Schlarmann, B B 1979,192 ff. sowie Kraft in FS Fischer, S. 321•,Krieger, A., in FS Stimpel, S. 312 ff.

C. Die in die Reform einzubeziehenden

Nebengebiete

49

gen in zweierlei Richtung. Zum einen wurde der mangelnde Anlegerschutz beklagt, da viele der entsprechenden Gesellschaften unseriös waren 39 . Zum anderen löste Kritik aus, daß über die Verlustzuweisungsgesellschaften die Bezieher hoher Einkommen auf diese Weise zu Lasten der Steuereinnahmen des Staates auf wirtschaftspolitisch bedenkliche Weise Vermögen bilden konnten 4 0 . Als Reaktion darauf wurde 1980 § 15 a in das Einkommensteuergesetz eingefügt, der eine Verrechnung von Verlusten eines Kommanditisten bei Bestehen oder Entstehen eines negativen Kapitalkontos auf Einkünfte aus der Gesellschaft beschränkt 41 . Auf Grund des dadurch eintretenden Attraktivitätsverlustes entsprechender Kommanditgesellschaften ging ihre Zahl in der Folgezeit stark zurück 4 2 . Damit ebbte auch die rechtliche Diskussion um die entsprechenden gesellschaftsrechtlichen Fragenkreise ab 43 . Anhand der Verlustzuweisungsgesellschaften zeigt sich, wie durch die Möglichkeit der Gewinnmaximierung das Anlegerverhalten gesteuert wird. Wird die Aktienanlage durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen attraktiver, so wird das Kapital dorthin fließen. Im Rahmen einer Reform ist daher darauf zu achten, daß steuerliche Verzerrungen abgebaut werden und so die Allokationseffizienz des Kapitalmarktes wiederhergestellt wird. c. Die

Organschaft

Eines der bedeutendsten Beispiele für die prägende Wirkung des Steuerrechts auf das Gesellschaftsrecht ist die Organschaft 4 4 . Dieses Institut wurde vom R F H entwickelt 45 . Es beinhaltete die Anerkennung der wirtschaftlichen Einheit zwischen Organträger und Organ. Daher war Voraussetzung der Organschaft die wirtschaftliche, finanzielle und organisatorische - nicht jedoch die rechtliche - Eingliederung der Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers 46 . Waren diese Vorgaben erfüllt, so konnten Gewinne und Verluste der Organgesellschaft vom Organträger übernommen werden. Das hatte den Vorteil, daß bis zur Einführung des Anrechnungsverfahrens die DoppelKraft in FS Fischer, S. 322 f.; Kühler, Transparenzprobleme, S. 9. Knobbe-Keuk, Steuerrecht, S. 482. 4 1 Ausführlich dazu Knobbe-Keuk, N J W 1980, 2557 ff. sowie StuW 1981, 97 ff. 42 Grob, B B 1984, 305. 4 3 Zu den in der Gesetzgebungsphase befindlichen Plänen, die dann aber nicht zur Ausführung kamen: Krieger, A., in FS Stimpel, S. 310 f.; Kobl/Kübler/Walz, Z H R 138, 1 ff. 44 Harms, Konzern, S. 19. 4 5 Ausführlich dazu das Gutachten in R F H E 31, 297, 298 ff.; zur historischen Genese: Beusch in FS Flume, S. 23 ff. 4 6 R F H E 31, 297, 299. 39 40

50

1. Kapitel: Grundlagen und Ziele der Reform durch

Deregulierung

besteuerung im Hinblick auf die Körperschaftsteuer vermieden wurde 47 . Weiterhin konnten Verluste der einen Gesellschaft mit den Gewinnen der anderen verrechnet werden 48 . Schließlich wurde die Kaskadenumsatzbesteuerung gedämpft 49 . Im Zuge der Reform des Aktienrechtes 1965 wurde die Organschaft durch die Einfügung des § 7 a KStG gesetzlich verankert. Im Rahmen der Körperschaftsteuerreform 1969 wurde § 7 a durch die § § 1 4 - 1 9 KStG ersetzt, die die Voraussetzungen der Organschaft jetzt detailliert regeln 50 . Danach bedarf es für die wirksame Begründung einer Organschaft eines Gewinnabführungsvertrages im Sinne von §291 Abs. 1 AktG, § 1 4 Abs. 1 KStG. Weiterhin muß die finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung gewährleistet sein. Die finanzielle Eingliederung liegt vor, wenn der Organträger an der Organgesellschaft vom Beginn ihres Wirtschaftsjahres an ununterbrochen und unmittelbar in einem solchen Maße beteiligt ist, daß ihm die Mehrheit der Stimmrechte aus den Anteilen an der Organgesellschaft zusteht, § 14 Abs. 1 Nr. 1 KStG. Die organisatorische Eingliederung bestimmt sich nach dem tatsächlichen Gesamtbild der Verhältnisse, § 14 Abs. 1 Nr. 2 KStG. Sie liegt stets vor bei Bestehen eines Beherrschungsvertrages oder einer Eingliederung. Die wirtschaftliche Eingliederung soll sicherstellen, daß die Organgesellschaft ungeachtet ihrer rechtlichen Selbständigkeit wie eine unselbständige Geschäftsabteilung oder Filiale des Organträgers geführt wird 51 . Bereits der historische Uberblick über die Entstehungsgeschichte der Organschaft macht deutlich, in welchem Umfang unser heutiges Konzernrecht durch dieses Institut geprägt wurde 5 2 . Die steuerliche Anerkennung der wirtschaftlichen Einheit bei Fortbestehen der rechtlichen Selbständigkeit ermöglichte es den zu Beginn des Jahrhunderts in großem Umfang existierenden Konzernen und Trusts 53 , ohne pekuniäre Nachteile durch die in den 20er Jahren entstandene Doppelbesteuerung der Gewinne 5 4 in den bestehenden 47 Knobbe-Keuk, Steuerrecht, S. 696; Emmerich/Sonnenschein, § 1 IV. 1. b) S. 19 ff.; Knipper, B B 1982,2062. 48 Knobbe-Keuk, Steuerrecht, S. 696; Emmerich/Sonnenschein, § 1 IV. 1. b) S. 19 ff.; Knepper, B B 1982, 2062. 49 Döser in F G Kübler, S. 392. 50 Emmerich/Sonnenschein, § 1 IV. 1. b) S. 20 ff. 51 Emmerich/Sonnenschein, (5. Aufl.) S. 32 f. 52 Assmann in Großkommentar, Einl.. Rn.250; Grob, B B 1984, 309; Nörr, Z H R 150, 170. 53 Dazu unten 2. Kapitel A.I.l.a.ff. und gg.; Zahlenmaterial bei: Pohl in Wissenschaft und Kodifikation, S. 209 ff. 54 Die Doppelbesteuerung wurde durch das Körperschaftsteuergesetz von 1920 eingeführt: Tipke/Lang, § 11 Rn. 1; Spindler, S. 10.

C. Die in die Reform einzubeziehenden

Nebengebiete

51

Rechtsstrukturen fortzuexistieren. Aber die Schaffung der Organschaft geht in ihrer Wirkung darüber hinaus. Während die Zivilgerichte Ende des neunzehnten, Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in die sich entwickelnde Konzernstruktur unter Anerkennung der faktischen Gegebenheiten lediglich durch Regelung von Mißständen eingriffen 55 , sonst aber weder positiv noch negativ Stellung nahmen 5 6 , wurde das Konzernrecht durch die Organschaft als institutionelles Rechtsgebiet anerkannt und in seiner Form geprägt 57 . Es entwickelte sich daher auch auf der Basis der steuerrechtlichen Vorgaben und der Kautelarjurisprudenz, nicht aber aufgrund rechtspolitischer oder gesellschaftsrechtlicher Gesichtspunkte fort 5 8 . Im Ergebnis wurde mit der Aktienrechtsreform von 1965 das durch das Steuerrecht geformte, faktisch vorhandene Konzernrecht mit gewissen Änderungen - insbesondere im Hinblick auf den Minderheiten- und den Gläubigerschutz sowie die Konzernpublizität - kodifiziert 5 9 . Auch heute noch ist die steuerliche Organschaft im Konzernrecht von maßgeblicher Bedeutung 6 0 . So findet sich hier die einzige Norm, die eine gesetzliche Regelung zur G m b H als abhängiger Konzerngesellschaft enthält 61 . Der Vorteil der so entstandenen Lösung mit der Erhaltung der rechtlichen Selbständigkeit der einzelnen Konzerngesellschaften vor allem aus haftungsrechtlichen Aspekten liegt auf der Hand 6 2 . Die Möglichkeit, die rechtliche Selbständigkeit mit internen Weisungsmöglichkeiten zu verknüpfen, um auf diese Weise bei voller Beherrschung der Vorgänge das Risiko zu diversifizieren und zu kollektivieren, mußte im Interesse der herrschenden Gesellschaften liegen, was sich im Gesetzgebungsverfahren zu Gunsten der Aufrechter5 5 Als Beispiel diene nur der Fall R G Z 38, 155 ff., in dem das Reichsgericht auf den geschlossenen Vertrag verweist und die Zulässigkeit solcher Verträge mit dem Preisdruck rechtfertigt. Zu der inhaltlichen Ausgestaltung hingegen wird nicht Stellung genommen; mit weiteren Beispielen: Möschel, Rn. 24. 56 Nörr, Z H R 150, 170; Möschel, Rn. 21 f. 57 Emmerich/Sonnenschein (5. Aufl.) S. 6 f., der darauf verweist, daß für die Praxis die Frage der Gültigkeit von Unternehmensverträgen wegen ihrer Anerkennung durch den R F H ungeachtet der rechtlichen Diskussion entschieden war. 58 Nörr, Z H R 150, 170; zu den steuerlichen Vergünstigung für Konzerne auch Assmann, Großkommentar, Einl. Rn. 135. 59 Emmerich/Sonnenschein, § 1 III. 5. S. 6 f.; Kühler, GesR § 1 9 V. 3. sowie § 2 9 I.; Beusch in FS Flume, S. 21; Knobbe-Keuk, Rechtsquelle, S. 3 f.; Döser in F G Kübler, S. 393. 60 Raiser, Kapitalgesellschaften, § 54 Rn. 7; Knepper, B B 1982,2061. 61 Emmerich/Sonnenschein, (5. Aufl.) S. 32 f.; daher auch der Versuch, zu den verschiedensten Rechtsfragen etwas aus dem Steuerrecht herzuleiten, siehe dazu: Timm, B B 1981, 1492; Esch, B B 1986,272 ff.; Rottnauer, D B 1991,27 ff.; Ebenroth/Müller, B B 1991, 358 ff. 6 2 Zu den anderen möglichen Gründen wie Beibehaltung des Firmennamens, Identifikation der Belegschaft mit »ihrer« Firma, Spartendiversifizierung usw. siehe Knepper, B B 1982,2061.

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1. Kapitel: Grundlagen

und Ziele der Reform durch

Deregulierung

haltung des Status quo auswirkte 63 . O b dies gesellschaftsrechtlich oder wegen der mit der Konzernierung verbundenen Synergieeffekte ökonomisch sinnvoll ist, ist Zumindestens zweifelhaft 64 . Bei einer Reform des Konzernrechts müssen diese Zusammenhänge Beachtung finden. Auch würde es in Bezug auf das Konzernrecht, wie bei den dogmatischen Fragen schon angedeutet, naheliegen, über einen neuen rechtlichen Ansatz statt über die Fortentwicklung des aus steuerlichen Gründen heraus entstandenen alten Systems nachzudenken. d. Die Finanzierung

über

Genußrechte

Ein weiteres gutes Beispiel für die vielschichtige Verzahnung der verschiedensten Rechtsgebiete und deren ökonomische Auswirkungen bieten die Genußrechte 65 . Waren sie zu Anfang des Jahrhunderts noch ein beliebtes Finanzierungsmittel 66 , verschwanden sie dann in der Versenkung. Erst Ende der 60er Jahre kamen Genußrechte erneut ins Gespräch, um dann ständig an Boden zu gewinnen bis zum »Boom« der Genußrechte Anfang der 80er Jahre 6 7 . Wie bei jedem Boom folgten auch bei den Genußrechten Rückschläge, die in Bezug auf die weitere Entwicklung erst einmal zum Abwarten zwangen 68 . Die Wiederentdeckung der Genußrechte beruhte auf der vergleichsweise niedrigen Ausstattung deutscher Unternehmen mit Eigenkapital 69 . Die niedrige Eigenkapitalquote ist zumindest auch auf die mit der Eigenkapitalfinanzierung verbundenen, im Vergleich zum Fremdkapital, hohen Kosten zurückzuführen 70 . Das Genußrecht schien ein guter Kompromiß zwischen der Annäherung an Eigenkapital und der Vermeidung der meisten Kostenfaktoren zu sein 71 . Zu beachten ist dabei aber, daß die Vor- und Nachteile der Genuß6 3 Zu den Widerständen, die im Gesetzgebungsverfahren auftraten: Emmerich/Sonnenschein, ( 5. Aufl.) S. 8 f.; Assmann in Großkommentar, Einl. Rn. 193 ff. 6 4 Eine ökonomische Analyse findet sich bei: Debus, S. 179 ff. 6 5 Zusammenfassend Claussen in FS Werner, S. 81 ff. 66 Claussen, Z B B 1989,26. 67 Claussen, Z B B 1989, 25; Schäfer, F., WM 1991, 1941; Habersack, ZHR 155, 379; Gehimg, WM 1992, 1098; Hirte, ZIP 1991, 1461; Genußscheine Commerzbank, S. 3. 6 8 Zur Diskussion um die Genußrechte: Claussen, AG 85, 77 ff. sowie Z B B 1989, 26; Börsennotierte Genußscheine haben unter anderem ausgegeben: ABB, Bertelsmann, Drägerwerk, Edeka, Philips, Sixt, dazu: Schweitzer/Volpert, B B 1994, 821; in der Börsenzeitung vom 5.4.1995 sind alleine ca 90 Emittenten von Genußscheinen aufgeführt. 69 Knobbe-Keuk, Steuerrecht, S. 590; zur Eigenkapitalausstattung deutscher Unternehmen Bieg, FS Wöhe, S. 26 ff.; zu der ebenfalls diskutierten Frage der Genüsse als Mittel der Arbeitnehmerbeteiligung Reuter in FS Fischer, S. 605 ff. sowie Reuter, N J W 1984, 1851 ff. 70 Knobbe-Keuk, Steuerrecht, S. 591 sowie Rechtsquelle, S. 3; Adams, Eigentum, S. 71; siehe oben B. 71 Sontheimer, B B 1984, Beil. 19, S. 8; Claussen, AG 1985, 78; Habersack, Z H R 155,

C. Die in die Reform einzubeziehenden

Nebengebiete

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rechte von deren Ausgestaltung im einzelnen abhängen 72 . Aus steuerlicher Sicht waren solche vermeidbaren Kosten vor allem bis zur KSt-Reform von 1977 die einkommensbezogene Doppelbesteuerung 7 3 , bis einschließlich 1996 noch die Doppelbesteuerung in Hinblick auf die Vermögensteuer 74 . Für Unternehmen mit Auslandsbezug hatten die Genußrechte den Vorzug, daß sie - ähnlich den Darlehenszinsen - lediglich der Versteuerung im Ausland unterlagen und nicht wie die Ausschüttungen auf Eigenkapital mit 30 % KSt belastet waren 75 , die ausländische Anteilseigner nicht anrechnen können. Die Versagung der Anrechnung wird zumindest derzeit vom EG-Vertrag toleriert 76 . Desweiteren kann die Gewerbesteuerlast gesenkt werden 7 7 . Einen weiteren Vorteil bieten die Genußrechte insbesondere der G m b H , der so der Börsenzutritt ermöglicht wird 7 8 . Unterstützt wurde die Tendenz zur Ausgabe von Genußrechten durch eine Reihe gesetzgeberischer Maßnahmen auf den unterschiedlichsten Rechtsgebieten 79 . Insbesondere fiel dabei ins Gewicht die Anerkennung bestimmter Formen von Genußrechten als Eigenkapital durch § 10 Abs. 5 Nr. 1 K W G von 1985, die die Genußrechte für Aktienbanken interessant machten 8 0 . Der am schwersten wiegende Rückschlag für die Genußrechte dürfte der Ausfall der Genußberechtigten bei den Klöckner-Werken gewesen sein, der deutlich das mit den Genüssen verbundene Risiko für die Anleger aufzeigte 81 . Weiterhin nachteilig wird sich die Einführung von § 8 a KStG auswirken, der die Ausschüttungen auf die Genußrechte wesentlich Beteiligter und solchen gleichgestellten unter bestimmten Bedingungen als verdeckte Gewinnausschüttungen ansieht und damit die steuerliche Bevorzugung von Genußrech380; Hirte, Z I P 1991, 1462; Schweitzer/Volpert, BB 1994, 821; zur Qualität von Genußkapital als Eigenkapital Knobbe-Keuk, Steuerrecht, S. 105, 110 f. 72 So sind Ausschüttungen auf Genüsse nach § 8 Abs. 3 KStG nicht einkommensmindernd, wenn die Genußrechte ein Recht auf Beteiligung am Gewinn oder Liquidationserlös enthalten; zur Vielseitigkeit von Genußrechten: Sontheimer, BB 1984 Beil. 19; Lutter in FS Döllerer, S. 385 ff.; Gehling, W M 1992, 1094 ff.; zum Eigenkapitalcharakter, Wirtschaftsprüfer-Akademie, S. 73 ff. 73 Sontheimer, BB 1984, Beil. 19, S. 3 ff. 74 Sontheimer, BB 1984, Beil. 19, S. 6 f.; Genußscheine C o m m e r z b a n k , S. 3 f. mit der A u f z ä h l u n g weiterer Steuervorteile. 75 Sontheimer, BB 1984, Beil. 19, S. 3. 76 Herzig/Dötsch, D B 1998, 17. 77 Reuter in FS Fischer, S. 616; zu den steuerlichen Fragen auch Claussen, ZBB 1989,29. 78 Claussen, ZBB 1989, 26; Lutter in FS Döllerer, S. 384; Vollmer, G m b H R 1984, 331 ff. 79 Z.B. § 2 VermBG; dazu: Reuter N J W 1984,1849 ff.; Habersack, Z H R 155, 379 f. 80 Claussen, ZBB 1989, 26 sowie in FS Werner, S. 84 ff.; daher auch eine höchstrichterliche Entscheidung zu Genußrechten bei Banken, »Bremer Bankverein« B G H N J W 1993, 400 ff.; zu dieser Entscheidung Gehling, W M 1992, 1093 ff. 81 B G H Z 119,305, 309.

54

1. Kapitel: Grundlagen und Ziele der Reform durch

Deregulierung

ten in gewissem Umfang aufhebt 82 . Mit der Einführung des § 8 a KStG hat der Steuergesetzgeber ein gesellschafts- und steuerrechtlich zulässiges Schlupfloch der Verbilligung von »Eigenkapital« weitgehend geschlossen 83 . Alleine daß dieser Schritt nötig wurde, zeigt, in welchem Umfang von der entsprechenden Möglichkeit Gebrauch gemacht worden ist 84 und wie wichtig es wäre, sich aus steuerrechtlicher Sicht einer Reform der Unternehmensfinanzierung zuzuwenden, allerdings verbunden mit einer Reform des Gesellschaftsrechts und nicht losgelöst davon, wie der SPD-Entwurf das vorsieht. e. Die kapitalersetzenden

Gesellschafterdarlehen

Hört man als gesellschaftsrechtlich orientierter Jurist das Stichwort der »kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen«, so denkt man an die Möglichkeit der Mittelzuführung bei Geringhaltung des Haftungsrisikos 85 . Daß dies aber nur ein, und eventuell oftmals gar nicht der entscheidende Gesichtspunkt für die Finanzierung über Gesellschafterdarlehen ist, wird übersehen 86 . Das Risiko, mit dem Darlehenskapital selbst auf Grund der §§ 32 a/b GmbH G und wegen der Rechtsprechung zu den §§ 30 ff. G m b H G im Konkursfalle zu haften, ist nicht gering 87 . Bei der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken an Kapitalgesellschaften dürfen diese Grundstücke im Konkurs der Gesellschaft zwar nicht verwertet werden, aber die Nutzungsmöglichkeit selbst wird als kapitalersetzend gewertet 88 . Trotzdem werden weiter

8 2 Ausführlich dazu: Bellstedt, D B 1995, 8 ff.; Wirtschaftsprüfer-Akademie, S. 62 ff.; Hey, RIW 1995,307 ff. 83 Bellstedt, D B 1995, 10. 84 Zahlenmaterial über die Entwicklung der Emissionen bei Genußscheinen findet sich in: Genußscheine Commerzbank, S. 5. 85 So insbesondere bei der Überlassung von Wirtschaftsgütern, vor allem nachdem der B G H jetzt die lange bestehende Unsicherheit bezüglich der Haftung dieser Wirtschaftsgüter im Konkurs ausgeräumt und judiziert hat, daß lediglich deren Nutzwert verwertet werden darf, nicht aber das Eigentum selbst, B G H Z 127,1, 8 ff.; noch zweifelnd dazu Groh, B B 1984, 309. 86 Tipke/Lang, § 11 Rn. 168; beachtenswert dazu die steuerrechtliche Diskussion um das »verdeckte Stammkapital«: Knobbe-Keuk, Steuerrecht, S. 584 ff.; dies ist besonders relevant bei ausländischen Kapitalgebern, da diesen das körperschaftsteuerliche Anrechnungsverfahren nicht offen steht. Ein Fall der ebenfalls über den neuen § 8 a KStG geregelt wird, Knobbe-Keuk, Steuerrecht, S. 612 ff. sowie Wirtschaftsprüfer-Akademie, S. 62 ff.; zu den verschiedenen Möglichkeiten den Ausschluß vom Anrechnungsverfahren zu umgehen Görlich, R I W 1978, 730 ff. 87 Dazu Schmidt in Scholz, G m b H G , §§ 32 a/32 b Rn. 1 ff. sowie das Zahlenmaterial zu den Konkursen bei GmbH, der Rechtsform mit der absolut gesehen höchsten Zahl von Konkursen, 1992 = 5898/1993 = 7825, Statistisches Jahrbuch 1994, S 150. 8 8 B G H Z 127,1,8 ff.

C. Die in die Reform einzubeziehenden

Nebengebiete

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mit dem Risiko der Qualifizierung als kapitalersetzend behaftete Darlehen in nicht unerheblichem Umfang gewährt; eine Tatsache, die eigentlich überraschen müßte, ließe man die steuerrechtliche Seite außer Acht. Steuerrechtlich ist die Finanzierung über Darlehen statt über Eigenkapital immer noch sinnvoll 89 , obwohl durch die Abschaffung der VST ab 1.1.1997 und der Gewerbekapitalsteuer ab 1.1.1998 insoweit die Benachteiligung des Eigenkapitals entfallen ist 90 . Ebenfalls abgeschafft wurde die die Eigenfinanzierung benachteiligende Gesellschaftssteuer, die auf die Einlage von haftendem Eigenkapital erhoben wurde 9 1 . Ertragsteuerlich gehören Fremdkapitalzinsen, unter Beachtung der Beschränkungen durch § 8 a KStG, die jedoch nur wesentlich beteiligte und gleichgestellte Anteilseigner treffen, zu den abziehbaren Betriebsausgaben der Kapitalgesellschaft, während die Gewinne der Kapitalgesellschaft bei ihr der Ertragsbesteuerung unterliegen. Nicht mehr von Relevanz ist seit der KSt-Reform von 1977 die Doppelbesteuerung der Gewinne, soweit die Ausschüttung einem anrechnungsberechtigten Anteilseigner zufließt. Ist jedoch der Anteilseigner nicht anrechnungsberechtigt - in der Mehrzahl der Fälle werden das ausländischen Anteilseigner sein - kann es nach wie vor zu einer Doppelbesteuerung der Gewinne kommen, wenn der ausländische Staat die an den in seinem Gebiet ansässigen Anteilseigner ausgeschütteten Gewinne besteuert. Diese Versagung der KSt-Anrechung verstößt - wie bereits erwähnt 92 - nicht gegen den EG-Vertrag. Obwohl die steuerliche Benachteiligung der Eigenkapitalfinanzierung nach dieser Entwicklung der Gesetzgebung nunmehr an Bedeutung verloren hat, hat sie das Bewußtsein in Bezug auf die Frage der Eigen- oder Fremdfinanzierung über Jahre nachhaltig geprägt, so daß ihre Auswirkungen heute noch zu spüren sind. 5. Der Reformbedarf Dieser kurze Uberblick zeigt, wie sehr alltägliche gesellschaftsrechtliche Institute vom Steuerrecht geprägt sind 93 . Manche Entwicklungen - wie zum Beispiel der Boom der Genußrechte - werden meist - im Gegensatz zur GmbH & CoKG - gar nicht als steuerrechtlich indiziert erkannt. Die steuer89

Flämig, ZRP 1980,239. Dazu Bellstedt, DB 1995, 8 ff. 91 Tipke/Lang, § 8 Rn. 46. 92 Herzig/Dötsch, DB 1998, 17. 93 Weitere Beispiele als die eben aufgezählten finden sich bei Döser in FG Kübler, S. 393 ff. 90

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1. Kapitel: Grundlagen und Ziele der Reform durch

Deregulierung

rechtliche Beeinflussung des Gesellschaftsrechts ist aber nicht nur im H i n b l i c k auf dieses R e c h t s g e b i e t selbst v o n Interesse, s o n d e r n sie hat darüber hinaus weitreichende F o l g e n f ü r den K a p i t a l m a r k t und das K a p i t a l m a r k t r e c h t . S o fällt diesbezüglich v o r allem die bis heute f o r t b e s t e h e n d e steuerliche B e nachteiligung des Eigenkapitals bei Kapitalgesellschaften ins A u g e 9 4 . J e d o c h m u ß sich die A r b e i t im F o l g e n d e n auf Vorschläge zur A k t i e n r e c h t s r e f o r m b e schränken. D u r c h das eben G e s a g t e ist aber deutlich g e w o r d e n , daß die R e f o r m v o r s c h l ä g e alle unter E i n b e z i e h u n g einer steuerrechtlich adäquaten A u s gestaltung zu verstehen sind.

II. Das Arbeits- und D i e wesentlichen W e c h s e l w i r k u n g e n

Mitbestimmungsrecht z w i s c h e n A r b e i t s - und

Mitbestim-

m u n g s r e c h t sowie dem G e s e l l s c h a f t s r e c h t sind b e k a n n t und sollen daher hier nicht weiter vertieft w e r d e n . Als A n h a l t s p u n k t soll lediglich auf die M i t b e s t i m m u n g in den A u f s i c h t s r ä t e n und d e m damit v e r b u n d e n e n Z w a n g z u m F e s t h a l t e n des zweigliedrigen Systems, auf die präventive F u n k t i o n der M i t b e s t i m m u n g im H i n b l i c k auf T a k e - o v e r , auf die V e r b i n d u n g v o n betrieblicher M i t b e s t i m m u n g und u n t e r n e h m e r i s c h e r E n t s c h e i d u n g s f r e i h e i t 9 5 , v o r allem aber auf die A b s c h r e c k u n g s w i r k u n g der M i t b e s t i m m u n g in B e z u g auf die I n k o r p o r a t i o n in der F o r m der A G 9 6 hingewiesen w e r d e n . A r b e i t s r e c h t l i c h e A u s w i r k u n g e n auf das Gesellschaftsrecht zeigen sich z . B . in den V e r s u c h e n , die B e t r i e b s g r ö ß e n so anzulegen, daß sie unterhalb des K ü n d i g u n g s c h u t z g e setzes oder des Betriebsverfassungsgesetzes bleiben. F ü r die R e f o r m des Kapitalgesellschaftsrechts v o n b e s o n d e r e r R e l e v a n z sind die durch die starren R e g e l n der M i t b e s t i m m u n g hervorgerufenen R e g l e m e n t i e r u n g e n des A k t i e n r e c h t s . Ihre R e f o r m ist aber kein originär gesellschaftsrechtliches P r o b l e m mehr. Sie gehen daher in diese A r b e i t nicht ein.

III. Das Bilanzrecht O b w o h l sich in der rechtlichen Z u o r d n u n g das B i l a n z r e c h t m e h r und m e h r v o m Gesellschaftsrecht verselbständigt, dürfen die z w i s c h e n diesen beiden R e c h t s g e b i e t e n i m m a n e n t e n F u n k t i o n s z u s a m m e n h ä n g e nicht aus den A u g e n

94 95

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Koch, ZRP 1984, 236; Loos, S. 131; Esser, DAI, 17. Dazu z.B. Weingart, Mitbestimmung; Beuthin, ZfA 1988,1 ff. Claussen, D B W 1991, 185.

C. Die in die Reform einzubeziehenden

Nebengebiete

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verloren werden 97 . Im Folgenden soll daher eine kurze Skizze der Problempotentiale zwischen Bilanz- und Gesellschaftsrecht sowie dem Kapitalmarkt erfolgen, damit der für eine etwa vorzunehmende Reform des Kapitalgesellschaftsrechts entstehende Anpassungsbedarf sichtbar wird. Der Schnittpunkt zwischen Kapitalgesellschaftsrecht und Bilanzrecht liegt in der Sicherung des Kapitals für den Zugriff der mit der Gesellschaft verbundenen Gruppen (dazu unter l.) 98 , derjenige zwischen Bilanzrecht und dem Kapitalmarkt in der Informationsdichte der Bilanz (dazu unter 2.). 1. Kapitalgesellschaftsrecht und Bilanzrecht Der Adressatenkreis der Rechnungslegung ist breit. Sie betrifft die Gesellschafter, die Arbeitnehmer, den Fiskus, die Öffentlichkeit 99 , die Geschäftsführung 1 0 0 und die Geschäftspartner (insbesondere die Gläubiger, die derzeit im Vordergrund der Betrachtung stehen) 101 . Das Kapitalgesellschaftsrecht fußt auf dem Trennungsprinzip. Die Anteilseigner haften lediglich mit der Einlage, die sie der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen haben 102 . Die Gesellschaft ist eigenständiges Rechtssubjekt und damit ausschließlicher Schuldner für die mit ihr begründeten Verbindlichkeiten. Diese auf das Gesellschaftsvermögen beschränkte Haftung hat im deutschen Gesellschaftsrecht zu einer Reihe von Regelungen geführt, die dem Schutz der Gesellschaftsgläubiger dienen sollen 103 . Im Bilanzrecht sind damit vor allem die Bilanzprinzipien des Vorsichts- (§ 252 Abs. 2 Nr 4) 104 , des Imparitäts- und des Realisationsprinzips verbunden 105 . Sie bewirken grob gesprochen, daß die Gesellschaft alle Risiken so hoch wie möglich bewerten muß und Chancen oder Wertverbesserungen erst mit ihrer Realisierung in die Bilanz aufnehmen darf. Dadurch entstehen die als »stille Reserven« bezeichneten Polster, die den

97

Kübler in FS Budde, S. 361 sowie in FS Zöllner, S. 330; Eberstadt, W M 1996, 1810; Walz in FG Kübler, S. 557; Westermann in FS Goerdeler, S. 699; in letzter Zeit ist hier durch die Diskussion um den Shareholder Value eine Tendenzwende in Sicht: vergl. Kühnberger, R I W 1998, 301 ff. 98 Zu dem Konflikt des Bilanz- mit dem Verfassungsrecht: Budde in FS Moxter, S. 35 ff. 99 Clemm in FS Goerdeler, S. 96 ff. 100 Reuter in FS Goerdeler, S. 431 ff. ,0 > Walz in FG Kübler, S. 558; Wiemann, S. 157. 102 Eisenhardt, GesR, Rn. 476 ff. 103 Walz in FG Kübler, 558; Röhler, S. 137. 104 Dazu Kübler, GesR, § 18 II. 2.a); Kühnberger, R I W 1998, 306. 105 Kübler in FS Budde, S . 5 6 2 f . ; Moxter, Bd. II, S . 3 7 f f . ; Knobbe-Keuk, Steuerrecht, S. 47 f.; Walz in FG Kübler, S. 558; Röhler, S. 138 f.

58

1. Kapitel: Grundlagen

und Ziele der Reform durch

Deregulierung

Gläubigerschutz verstärken 106 und so das gesellschaftsrechtlich vorgeschriebene Garantiekapital zusätzlich erhöhen sollen 107 . Die stillen Reserven sind in der letzten Zeit verstärkt in die Diskussion geraten, weil sich anhand einiger spektakulärer Firmenzusammenbrüche gezeigt hat, daß durch die in der Bilanz »versteckten« Mittel schwer zu erkennende Manipulationen ermöglicht werden, die die schlechte Wirtschaftslage des Unternehmens so lange verschleiern, bis eine wirksame Kurskorrektur nicht mehr möglich ist 108 . Eine mögliche Technik ist dabei, die nach dem Niederstwertprinzip aufgenommenen Vermögensgegenstände zu dem weit über dem Bilanzansatz liegenden Verkehrswert zu veräußern. Der so erzielte außerordentliche Ertrag wird zum Ausgleich des operativen Verlustes eingesetzt, so daß die Gewinn- und Verlustrechnung ausgeglichen ist oder sogar einen Reingewinn ausweist. Gleichzeitig wird ein neues Gut der entprechenden Art zum Betrag des Bilanzansatzes des verkauften Gutes erworben und mit dem Einkaufswert bilanziert. Dadurch bleibt das Anlagevermögen der Bilanz summenmäßig unberührt. Die Vermögenslage der Gesellschaft hingegen hat sich durch den Wegfall der realisierten stillen Reserven effektiv verschlechtert. Könnte diese Vorgehensweise über die Bilanz und die Ergebnisrechnung nicht nachvollzogen werden, so wäre der strikten Ablehnung der Bildung stiller Reserven zuzustimmen. Jedoch verlangt das Gesetz in §277 Abs. 4 HGB, daß die Entstehung außerordentlicher Erträge außerhalb der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit gezeigt wird. Dadurch ist die Verschlechterung der Vermögenslage bei der Auswertung des Abschlusses erkennbar und in der Bewertung der Gesellschaft zu berücksichtigen. Schwierigkeiten ergeben sich dann, wenn die Bilanzierungsregeln nicht ordnungsgemäß befolgt werden, indem die Vorgänge gezielt verdunkelt werden. Die Möglichkeit zur »Bilanzverfälschung« ist aber kein dem deutschen Bilanzrecht innewohnendes spezifisches Problem, sondern ist nach jedem Bilanzrecht möglich 109 . Ist Medium dafür nicht die Auflösung stiller Reserven, so kann man über zu hohe Wertansätze der Anlagegüter oder zu geringe Abschreibungen auf Forderungen Ahnliches erreichen. Dies zu erkennen ist eine der wesentlichen und schwierigsten Aufgaben der Bilanzprüfung.

106 Knobbe-Keuk, Steuerrecht, S. 347 f.; Baumbach/Hopt, HGB § 253 Rn. 27; Busse von Cölbe in: US-amerikanische Rechnungslegung, S. 226. 107 Kubier, ZHR 159, 551. 108 Knobbe-Keuk, Steuerrecht, S. 48; Kühler in FS Budde, S. 370; Baumbach/Hopt, HGB § 253 Rn. 28; Möllers, ZGR 1997, 341; Süchting, IKF, S. 55; Kühnberger, RIW 1998, 305, der zugleich darauf hinweist, daß stille Reserven dann wohl kaum als gläubigerschützend angesehen werden können. 109 Zu den Schwierigkeiten des US-amerikanischen Bilanzrechts: Blair, S. 84 ff.

C. Die in die Reform einzubeziekenden

Nebengebiete

59

D i e B i l d u n g stiller R e s e r v e n k ö n n t e sich j e d o c h aus einem anderen G e sichtspunkt als o b s o l e t erweisen. K o m m t man zu dem E r g e b n i s , daß das Garantiekapital keinen hinreichenden G l ä u b i g e r s c h u t z vermittelt, so ist auch seine Verlängerung ü b e r das Institut der stillen R e s e r v e n sinnlos, so daß bei einer R e f o r m des Garantiekapitals auch eine R e f o r m des B i l a n z r e c h t s angebracht i s t 1 1 0 . Ziel des B i l a n z r e c h t s aus gesellschaftsrechtlicher Sicht m u ß es dann lediglich sein, die i h m j e t z t bereits als G r u n d s a t z in B e z u g auf Teile des Eigenkapitals i n n e w o h n e n d e A u s s c h ü t t u n g s s p e r r e zu erhalten 1 1 1 . D . h. das B i l a n z r e c h t m u ß sicherstellen, daß das v o n der Gesellschaft a u f g e n o m m e n e F r e m d k a p i t a l nicht durch ü b e r h ö h t e Wertansätze zur A u s s c h ü t t u n g v e r w e n det w i r d 1 1 2 . W o h l aber k a n n u n t e r U m s t ä n d e n der in den stillen Reserven »versteckte« E r t r a g zur A u s c h ü t t u n g k o m m e n , u m die R e n d i t e n zu steigern und so die A k t i e n a n l a g e interessanter und die K a p i t a l a l l o k a t i o n effizienter zu machen113. F ü r das Verhältnis v o n Kapitalgesellschaftsrecht u n d B i l a n z r e c h t weiterhin v o n R e l e v a n z ist, daß die Kapitalaufbringung und -erhaltung n a c h v o l l z i e h b a r bleibt. D i e s ist aber nicht im Interesse der Gläubiger, s o n d e r n im Interesse der A n l e g e r sicherzustellen,

da sonst entgegen

dem

gesellschaftsrechtlichen

G l e i c h b e h a n d l u n g s p r i n z i p einigen Anlegern zu L a s t e n der übrigen die E i n l a ge z u r ü c k g e w ä h r t w e r d e n k ö n n t e 1 1 4 . D i e Schaffung v o n U m s c h i c h t u n g s m ö g lichkeiten durch das B i l a n z r e c h t w ü r d e zu U n s i c h e r h e i t auf Seiten der v o r allem kleineren A n l e g e r in H i n b l i c k auf die Seriosität der Anlage in A k t i e n f ü h ren, die einen R ü c k z u g aus dieser A n l a g e f o r m z u r F o l g e haben k ö n n t e . D a s w ü r d e w i e d e r u m den K a p i t a l m a r k t s c h w ä c h e n und die d o r t dringend b e n ö tigten M i t t e l abziehen.

2. Kapitalmarkt und Bilanzrecht N e b e n der eben dargestellten V e r k n ü p f u n g v o n G l ä u b i g e r s c h u t z , B i l a n z r e c h t und K a p i t a l m a r k t gibt es weitere u n m i t t e l b a r e V e r b i n d u n g e n dieser R e c h t s k o m p l e x e , die v o r allem darauf b e r u h e n , daß der A n l e g e r mittels des B i l a n z 110 Kühler in FS Budde, S. 366, insb. 370; so der US-amerikanische Ansatz, der insbesondere auf das Vorhandensein einer hinreichenden Liquidität abzielt, dazu: Bauer, S. 324 ff. mit Erläuterung der entsprechenden »Bilanztests« wie dem »Equity insolvency test«, dem »Quantity solvency test« und dem »Liquidity test« sowie Henn/Alexander, S. 1157. 111 Kühler, ZHR 159, 552. 112 Kühler in FS Budde, S. 552. 113 Baumhach/Hopt, H G B § 253 Rn. 28. 1 , 4 Dieses Problem wird vertieft im Zusammenhang mit dem Erwerb eigener Aktien diskutiert. Dazu unten 3. Kapitel D.

1. Kapitel: Grundlagen und Ziele der Reform durch

60

Deregulierung

rechts die nötigen I n f o r m a t i o n e n erhalten sollte, u m seine A n l a g e e n t s c h e i dung auf d e m K a p i t a l m a r k t zu t r e f f e n 1 1 5 . D a b e i k ö n n e n durch die Standardisierung der V o r g a b e n auf Seiten der A n l e g e r T r a n s a k t i o n s k o s t e n gespart werden, die anfielen, w e n n sich jeder A n l e g e r individuell u m die A n g a b e n z u m Unternehmenswert bemühen müßte116. B e l e u c h t e t man das deutsche B i l a n z r e c h t v o n dieser Perspektive aus, zeigen sich im H i n b l i c k auf die I n f o r m a t i o n s d i c h t e Schwachstellen. Z w a r gibt es ü b e r die B i l a n z hinausreichende P u b l i z i t ä t s m ö g l i c h k e i t e n wie den G e s c h ä f t s b e r i c h t 1 1 7 o d e r die B i l a n z p r e s s e k o n f e r e n z 1 1 8 , die die fehlenden E l e m e n t e der K a p i t a l f l u ß r e c h n u n g o d e r der D a r s t e l l u n g der E n t w i c k l u n g des E i g e n k a p i tals 1 1 9 a u f n e h m e n k ö n n e n . D u r c h die Freiwilligkeit dieser I n f o r m a t i o n e n ist allerdings keine Vergleichbarkeit der U n t e r n e h m e n gewährleistet. D e r größte N a c h t e i l des deutschen B i l a n z r e c h t s liegt aber darin, daß der B i l a n z wegen der bedingt durch das N i e d e r s t w e r t p r i n z i p i m m a n e n t e n B i l d u n g stiller R e s e r v e n der aktuelle U n t e r n e h m e n s w e r t nicht e n t n o m m e n w e r d e n k a n n 1 2 0 . D i e deutsche B i l a n z kann dem A n l e g e r daher n u r einen Ü b e r b l i c k ü b e r die Ertragslage v e r s c h a f f e n 1 2 1 . F ü r eine A n l a g e e n t s c h e i d u n g ist diese Basis j e d o c h nicht ausreichend. Weiterhin führen die eingeschränkten M ö g l i c h k e i t e n bezüglich der I n f o r m a t i o n ü b e r den U n t e r n e h m e n s w e r t dazu, daß die A k t i e selbst eventuell u n t e r b e w e r t e t wird. D a s w i e d e r u m k ö n n t e sie attraktiv m a c h e n für Insidergeschäfte o d e r als geeignetes O b j e k t

für T a k e - o v e r k e n n z e i c h n e n ,

die in

D e u t s c h l a n d allerdings aus anderen G r ü n d e n selten s i n d 1 2 2 . W ä h r e n d diese beiden A s p e k t e für eine A b s c h a f f u n g des N i e d e r s t w e r t prinzips sprechen, ist dadurch in B e z u g auf den G e w i n n - und Verlustausweis im E r g e b n i s durch seine A b s c h a f f u n g u n t e r

Informationsgesichtspunkten

kein n e n n e n s w e r t e r Vorteil zu erreichen. N a c h der gegenwärtigen R e c h t s l a g e 115 Walz in FG Kübler, S. 557; Röhler, S. 138 f.; Siegel/Barreis/Rückle/Schneider/Siegloch/Strein/Wagner, ZIP 1999,2078; dieses Argument rückt in der Praxis mehr und mehr in den Vordergrund: Brackert/Prahl, Börsenzeitung vom 25.10.1994; Ekkenga, Anlegerschutz, S. 3, differenziert hierbei zwischen dem Geschäftsrisiko, dem die dynamischen Erfolgziffern dienen, und dem Kapitalstrukturrisiko, das durch die statischen Vermögensund Kapitaldaten beleuchtet wird. 116 Kühler, GesR, § 18 Il.l.a). 117 Zu den gravierenden Anforderungsabweichungen des Geschäftsberichts: Wiemann, S. 136 ff. 118 Reuter in FS Goerdeler, S. 432. 119 Röhler, S. 139. 120 Moxter, Bd I, S. 157; Süchüng, IKF; S. 55. 121 Baumbach/Hopt, H G B §253 Rn. 28 bemängeln das unter dem Gesichtpunkt der Selbstinformation des Kaufmanns, dem hier das Management entspräche. 122 Siehe dazu oben II.3.b. den Abschnitt über Take-over.

C. Die in die Reform einzubeziehenden

Nebengebiete

61

können über die A u f l ö s u n g stiller Reserven in der Bilanz Gewinne ausgewiesen werden, die nicht auf dem eigentlichen operativen Geschäft beruhen. Auf den ersten Blick wird so zwar der Eindruck einer besseren Lage des Unternehmens hervorgerufen, dies wird aber dadurch relativiert, daß die entsprechenden außerordentlichen Erträge nach §277 Abs. 4 H G B in der Gewinnund Verlustrechnung gesondert ausgewiesen und im Anhang erläutert werden müssen. Sie sind so als Sonderposten erkennbar. Bewertet man hingegen zeitnah, begegnet man dem gleichen Problem mit umgekehrten Vorzeichen 1 2 3 . Sinkt der Preis, ergibt sich bei Bilanzansätzen z u m Marktwert ein enormer Wertberichtigungsbedarf, der die Gesellschaft Verluste ausweisen läßt, obwohl das eigentliche operative Geschäft in Takt ist und einen angemessenen Gewinn hervorbringt. Bilanzrechtlich sinnvoll im Hinblick auf die Bewertung des operativen Geschäfts ist daher weder das eine noch das andere System, sondern lediglich ein Ansatz, der einen relativ unverfälschten Zugang zur Gewinn- und Verlustsituation ermöglicht 1 2 4 .

3. F a z i t Wie man sich zum gegenwärtigen deutschen Bilanzrecht stellt, hängt daher maßgebend von der Frage ab, welchen Zweck man der Bilanz zuweist. Ist vornehmlicher Sinn der Gläubigerschutz, muß das gegenwärtige System beibehalten werden. Ist Zweck hingegen vordringlich wie im amerikanischen Recht die Marktinformation 1 2 5 , müssen die Bilanzansätze zeitnäher erfolgen. Zeigt sich in der Reformanalyse, daß der Gläubigerschutz - wie er heute verstanden wird - im Kapitalgesellschaftsrecht nicht die ihm gegenwärtig noch zugewiesene Bedeutung hat, entfällt die rechtspolitische Grundlage dieses Bilanzzwecks und damit der Bildung stiller Reserven 1 2 6 . D a n n muß im Interesse des Anlegerschutzes und der Integration des deutschen Kapitalmarktes in die weltweiten Märkte eine Anpassung an die internationalen und besonders an die amerikanischen Gepflogenheiten im Sinne einer Verstärkung

123

Ballwieser in US-amerikanische Rechnungslegung, S. 267. Zur Vergleichbarkeit der Systeme: Kühnberger, RIW 1998, 301 ff., der auf S. 310 ebenfalls feststellt, daß das US-amerikanische System nicht notwendiger Weise vorzugswürdig ist. 125 Kübler in FS Budde, S. 361; Kühnherger, RIW 1998, 306; Wiemann, S. 159; Röhler, S. 137; zu den unterschiedlichen Regelungen in Deutschland und den U S A : Ballwieser in US-amerikanische Rechnungslegung, S. 267 ff. 126 Interessant in diesem Zusammenhang ist die Entwicklung des amerikanischen Rechts weg von hier noch geltenden Prinzipien: Kübler, Z H R 159, 559 ff.; zur Verfassungsmäßigkeit des Wegfalls der stillen Reserven: Budde in FS Moxter, S. 52 ff. 124

62

1. Kapitel: Grundlagen

und Ziele der Reform durch

Deregulierung

der Marktinformation erfolgen 127 , ohne jedoch zu einer unreflektierten Übernahme des US-amerikanischen Systems zu führen 1 2 8 . Ein solches Vorgehen ist insbesondere für die großen deutschen Publikumsgesellschaften von Relevanz, da viele US-amerikanische Anleger den deutschen Markt wegen der für sie als Vergleichsmaßstab der Unternehmensbewertung nicht aussagekräftigen Bilanzen scheuen 129 und dadurch den deutschen Unternehmen ohne Erstellung einer zweiten, den US-amerikanischen Regeln entsprechenden Bilanz der Weg zu den US-amerikanischen Finanzmärkten versperrt ist 1 3 0 . O b eine Änderung des deutschen Bilanzrechts die an der New York stock exchange gelisteten Unternehmen von der Erstellung einer Bilanz nach US-Gapp befreien würde, muß allerdings bezweifelt werden. Auch unter dem Gesichtspunkt der Allokationseffizienz des Kapitalmarktes ist eine zeitnähere Bewertung der Gesellschaften wünschenswert 131 . Weisen die Bilanzen den Unternehmenswert wirklichkeitsnäher aus, so vereinfacht sich die Möglichkeit der Anleger, die effizienteste Anlage zu wählen. Im Gegensatz zur Vergangenheit werden die Anleger von dem Angebot der Bilanz als Informationsquelle Gebrauch machen, da deren Verfügbarkeit durch die Veröffentlichung in den neuen Medien - insbesondere dem Internet sprunghaft gestiegen ist 1 3 2 . Zudem werden durch den realitätsgerechteren Ansatz Transaktionskosten bei der Bewertung durch Dritte 1 3 3 aber auch durch die Anleger selbst gespart. Denn die so erleichterte notwendige Auswertung

127 Kubier in FS Budde, S. 367; Walz in F G Kübler, S. 558 f.; Haller in US-amerikanische Rechnungslegung, S. 9 ff. Süchting, IKF, S. 55; Claussen, AG 1996, 493; eine Ubersicht über die Strukturierungskriterien eines möglichen Bilanzrechts nach beteiligten Interessen findet sich bei Ballwieser, zfbf 34, S. 789. 128 Kritisch zum US-amerikanischen Bilanzrecht: Blair, S. 84; Kleber, BFuP 45, 386 ff. 129 Haller in US-amerikanische Rechnungslegung, S. 4 ff.; Busse von Cölbe in US-amerikanische Rechnungslegung, 223; Kleber, BFuP 45, 381; Gedanken der Auslandsbanken in Finanzplatz Deutschland, Mitteilungen des Verbandes der Auslandsbanken vom 11.12. 1996, S. 2; die Wesentlichkeit des Bilanzrechts für das Zusammenwachsen der Märkte läßt sich empirisch über die Entwicklung in den USA und Europa belegen. Die Regelung des Bilanzrechts wurde vordringlich auf der Bundes- bzw. Unionsebene vereinheitlicht, während die Kompetenz für das Gesellschaftsrecht in den USA bei den Einzelstaaten verblieb; Kübler, ZHR 159, 557. 130 Walz in F G Kübler, S. 559; Kleber, BFuP 45, 382; eine Analyse der Bilanz von Daimler Benz nach H G B und US-GAAP findet sich bei: Ballwieser in US-amerikanische Rechnungslegung, S. 277 ff. 131 Wagner, zfbf 34, 763 führt die Kapitalsammelfunktion der Aktie und die damit verbundene Notwendigkeit zu hinreichender Information im Interesse der Gesamtwirtschaft ebenfalls als Grund für das Bestehen einer Rechnungslegung an. 132 Viele Firmen geben im Rahmen ihrer Kurzportraits bereits eine Internetadresse an. Beispiel finden sich in Vision & Money, Deutsche Börse AG, 74 ff. 133 Kübler in FS Budde, S. 372.

C. Die in die Reform einzubeziehenden

Nebengebiete

63

der B i l a n z i n f o r m a t i o n durch einzelne A n l e g e r führt dem K a p i t a l m a r k t die n o t w e n d i g e n I m p u l s e zu, u m die K u r s e dem w a h r e n U n t e r n e h m e n s w e r t anzupassen 1 3 4 . D a d u r c h steigt die K a p i t a l m a r k t e f f i z i e n z an, die w i e d e r u m im Sinne der E f f i z i e n z t h e s e den I n f o r m a t i o n s b e d a r f des einzelnen Anlegers reduziert 1 3 5 . D r u c k in R i c h t u n g einer auf den U n t e r n e h m e n s w e r t b e z o g e n e n B i l a n z ergibt sich auch aus den internationalen H a r m o n i s i e r u n g s b e s t r e b u n g e n

im

R a h m e n der I O S C O ( I n t e r n a t i o n a l O r g a n i z a t i o n o f Securities C o m m i s s i o n s ) und der I A S C (International A c c o u n t i n g Standards C o m m i t t e e ) 1 3 6 . Sollte eine R e f o r m des B i l a n z r e c h t s im Z u g e einer R e f o r m des Kapitalgesellschaftsrechts erfolgen, die zu einer zeitnäheren B e w e r t u n g f ü h r t 1 3 7 , so ist wesentlich, daß das B i l a n z r e c h t weiter die Kapitalaufbringung u n d -erhaltung d o k u m e n t i e r t und die F u n k t i o n der A u s s c h ü t t u n g s s p e r r e erfüllt 1 3 8 . D i e A r t der B i l a n z i e r u n g m u ß also nach wie v o r sicherstellen, daß lediglich der r i s i k o los ausschüttbare G e w i n n zur Verteilung k o m m t 1 3 9 . E r g e b e n sich also E r h ö hungen der B i l a n z a n s ä t z e durch M a r k t v e r ä n d e r u n g e n o h n e Realisierungsgeschäfte der Gesellschaft, darf daraus keine u n m i t t e l b a r e G e w i n n a u s s c h ü t t u n g entstehen.

Wagner, zfbf 34, 759 im Hinblick auf empirische Untersuchungen. Schmidt, R., zfbf 34, 740f. 136 Walz in F G Kübler, S. 559; Claussen, AG 1996, 493; Kleber, BFuP 45, 383; das noch im Gesetzgebungsverfahren befindliche Kapitalaufnahmegesetz strebt an, für eine Beobachtungsphase von 4 Jahren Konzernbilanzen international tätiger börsenzugelassener Unternehmen nach IAS oder US GATT zuzulassen: Börsen-Zeitung vom 31.1.1998 »IAS oder US GATT für 4 Jahre auf Probe«; Henkel hat das für den Konzernabschluß 1997 vorgesehen: FAZ vom 23.3.1998; kritisch: Hommelhoff in Münsteraner Gesprächskreis, Thesen, S. 1. 137 Das würde allerdings auch die Abkoppelung der Handelsbilanz von der Steuerbilanz (Maßgeblichkeitsprinzip) bedingen: Walz in F G Kübler, S. 577; Westermann in FS Goerdler, S. 718; zum Maßgeblichkeitsprinzip: Crezelius, BilanzR, S. 7; Ballwieser/Kuhner, S. 64; Söffing in FS Budde, S. 635; Wiemann, S. 160 ff.; mit Beispielen der Auswirkung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes: Kleber, BFuP 45, 385 ff.; dieser Grundsatz ist der US-amerikanischen Bilanz grundsätzlich fremd: Ballwieser in US-amerikanische Rechnungslegung, S. 269. 138 Kübler, ZHR 159, 552. 139 Kübler in FS Budde, S. 364, Moxter, Bd I, S. 157 f. 134 135

D. Die Reformziele Der Überblick über den Reformbedarf des Kapitalgesellschaftsrechts aus den verschiedenen Perspektiven - der gesellschaftsrechtlichen, der kapitalmarktrechtlichen und aus der Sicht der angrenzenden Rechtsgebiete - hat einen eindeutigen Befund ergeben: Das Kapitalgesellschaftsrecht muß dereguliert werden. Entscheidend für seine Neugestaltung ist die Stellung des Gläubiger- und des Anlegerschutzes. Der gläubigerschützende Schwerpunkt ergibt sich aus rechtlicher Sicht aus der Stellung des Grundkapitals im gegenwärtigen System. Ohne Veränderung seiner Struktur ist eine Deregulierung und Flexibilisierung des Kapitalgesellschaftsrechts nicht möglich. In welcher Hinsicht Änderungen wünschenswert und sinnvoll sind, muß in ökonomischer Hinsicht aus dem Verhältnis von zukünftigem Gläubiger- und Anlegerschutz bestimmt werden. Dabei spielt eine entscheidende Rolle, ob man dem Grundkapital noch eine Garantiewirkung für die Bonität und Seriosität der Gesellschaft zumißt oder ob diese durch die Möglichkeit des Verlustes im laufenden Geschäftsbetrieb ohnedies obsolet ist, weiterhin ob dem Grundkapital durch die Auflösung des Prinzips von Herrschaft und Haftung bei den Kapitalgesellschaften noch eine nennenswerte verhaltenssteuernde Funktion zukommt und vor allem, wie sich die Interdependenz zwischen erhöhtem Anlegerschutz und Kapitalallokation auswirkt. Denn je ausgeprägter der Anlegerschutz ist, desto mehr wird die Neigung zur Investition in diesem Sektor zunehmen. Dadurch ist mehr Kapital vorhanden, was zu einer verbesserten Eigenkapitalstruktur führt und so - allerdings nur mittelbar - den Gläubigern dient. Der Reformbedarf aus kapitalmarktrechtlicher Sicht berührt den Gläubigerschutz insoweit, als für die Belebung des Kapitalmarktes das Aufbrechen der verkrusteten aktienrechtlichen Strukturen dringend geboten ist. Es handelt sich dabei insbesondere wiederum um mit dem Grundkapital verbundene Problembereiche wie das Bezugsrecht, der Erwerb eigener Aktien und die Flexibilisierung des Finanzmanagements, die ohne Tangierung des Gläubigerschutzes kaum wandelbar sind. Selbst in den angrenzenden Nebengebieten kristallisiert sich immer wieder der Gläubigerschutz als Regelungsproblem heraus, so zum Beispiel im Hin-

D. Die

Reformziele

65

blick auf die Bilanzzwecke, die zwischen den Polen »Bildung stiller Reserven als Polster« oder »zeitnahe Information der Anleger über den Wert der G e sellschaft« schwanken. D i e Frage nach dem angemessenen Anlegerschutz ergibt sich weniger aus rechtlichen Erwägungen als aus kapitalmarktbezogenen Gründen und zwar insbesondere aus dem eben bereits erwähnten Verhältnis von Anlegerschutz zu Kapitalallokation. Das zeigt sich bei den Reformvorschlägen für die verschiedenen rechtlichen Regelungskomplexe wie zum Beispiel beim Insiderschutz, der das Vertrauen der Anleger steigern soll, bei der Ringverflechtung, die ebenfalls im Interesse der Anleger beschränkt werden soll, sowie bei den Publizitätsanforderungen z.B. durch das Wertpapierhandelsgesetz, die in erster Linie nicht die Gläubiger sondern die Anleger informieren sollen. D i e Kohärenz zwischen Anlegerschutz und Kapitalallokation spiegelt sich auch in den in die R e f o r m einzubeziehenden Nebengebieten wider. Verbessert sich die Bilanzpublizität, wird auch die Anlageentscheidung für die betreffenden Werte leichter fallen 1 . Allerdings wird eine Hinwendung der Anleger zum Kapitalmarkt lediglich dann erfolgen, wenn sonstige mit dieser Anlageform verbundenen Nachteile beseitigt werden. Dafür ist insbesondere eine R e f o r m des Steuerrechts notwendig, da hier gegenwärtig noch massive Verzerrungen auftreten, zum Beispiel in der F o r m von steuerbegünstigten A b schreibungsgesellschaften. Vordringlich für die Frage einer R e f o r m des Kapitalgesellschaftsrechts muß es somit sein, sich zunächst mit der Stellung der Gläubiger und der Anleger in diesem Rechtsgebiet auseinander zu setzen. D e m soll das nächste Kapitel (2. Kapitel) gewidmet sein. Erst danach kann man über die Reformfragen im einzelnen nachdenken. Dabei steht nach dem bisher Gesagten fest, daß bei einer Verschiebung der Akzente v o m Gläubiger- auf den Anlegerschutz weite Teile des Kapitalgesellschaftsrechts neu gestaltet werden könnten und - setzt man sich als Ziel der R e f o r m eine weitgehende Flexibilisierung des Rechts zum Z w e c k der besseren Wettbewerbsfähigkeit - auch müßten. Vorschläge dazu werden im 3. Kapitel an H a n d einiger wesentlicher Beispiele erläutert. Die dabei aufgeworfenen Fragen nach dem Zusammenhang von Flexibilisierung, Deregulierung und alternativen Schutzvorkehrungen sollen aber als Anregung zur Übertragung auf andere Regelungskomplexe verstanden werden.

1 D i e deutsche Bilanz mit ihrer Neigung zu stillen Reserven, die eine zeitnahe Bewertung der Gesellschaft erschweren, läßt ausländische Investoren oft von einer Anlage in deutschen Titeln Abstand nehmen.

66

1. Kapitel: Grundlagen

und Ziele der Reform durch

Deregulierung

Das 4. Kapitel schließlich beinhaltet eine Zusammenfassung der Ergebnisse. Nach dem Ausgeführten muß es Ziel der Reformen sein, die Gewichtung von Gläubiger- und Anlegerschutz neu zu bestimmen und daraus den Rahmen der für die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts auf den internationalen Kapitalmärkten dringend notwendigen Deregulierungsmaßnahmen abzuleiten.

2. Kapitel

Der Gläubiger- und Anlegerschutz im Kapitalgesellschaftsrecht Als H a u p t e i n w a n d gegen eine R e f o r m durch D e r e g u l i e r u n g hat sich im letzten Kapitel herauskristallisiert, daß bei einer entsprechenden R e f o r m der das deutsche Kapitalgesellschaftsrecht in weiten R e g e l u n g s b e r e i c h e n b e s t i m m e n de G l ä u b i g e r s c h u t z 1 aufgegeben o d e r z u m i n d e s t stark reduziert w e r d e n m ü ß te 2 . U n b e s t r i t t e n ist, daß sich der G l ä u b i g e r s c h u t z v o r allem seit der N a c h kriegszeit eine i m m e r bedeutendere R o l l e im G e s e l l s c h a f t s r e c h t e r o b e r t hat; z u m einen dadurch, daß neue auf die Interessen der G l ä u b i g e r ausgerichtete N o r m i e r u n g e n geschaffen wurden, z u m anderen dadurch, daß ursprünglich als v o r allem anlegerschützend geschaffene R e g u l i e r u n g e n n u n m e h r als vorwiegend gläubigerschützend aufgefasst w e r d e n . H a u p t b e i s p i e l dafür sind das starre Garantiekapital mit den K a p i t a l a u f b r i n g u n g s - und -erhaltungsregelungen. I h r Z w e c k lag bei ihrer Schaffung darin, sicherzustellen, daß sich nicht einige Anleger, i n s b e s o n d e r e die G r ü n d e r , zu Lasten der restlichen A n l e g e r ungerechtfertigte Vorteile verschaffen, indem sie z . B . durch die damals m ö g l i che A k t i e n l i b e r i e r u n g sicherstellten, daß ihre Kapitalanteile - selbst im K o n kurs - nicht voll eingezahlt w e r d e n m u ß t e n , sie aber in voller H ö h e am G e winn teilnehmen k o n n t e n , oder indem sie sich ihre Kapitalanteile im L a u f e der Zeit u n s a n k t i o n i e r t wieder auszahlen ließen. Mittlerweile wird diesen R e geln im wesentlichen gläubigerschützende F u n k t i o n zugebilligt 3 . Seit der den G l ä u b i g e r s c h u t z in den V o r d e r g r u n d drängenden U m s t ä n d e in der W e i m a r e r R e p u b l i k u n d i n s b e s o n d e r e in der u n m i t t e l b a r e n N a c h k r i e g s zeit haben sich die wirtschaftlichen G e g e b e n h e i t e n nicht zuletzt durch die f o r t s c h r e i t e n d e Technisierung, die früher nicht realisierbare Ü b e r w a c h u n g s m ö g l i c h k e i t e n eröffnet, aber auch durch die Internationalisierung der M ä r k t e , in einem A u s m a ß verändert, das es angezeigt sein läßt, den G l ä u b i g e r s c h u t z

1 Bauer, S. 91 f., der den Gläubigerschutz aber geschichtlich früher und anders ansiedelt als dies im Folgenden geschehen wird; dazu unten sogleich. 2 Vergleiche z.B. die Diskussion um die Herabsetzungen der Anforderungen an die verdeckte Sacheinlage Klose-Mokroß, S. 68. 3 Dazu sogleich unten mehr.

68

2. Kapitel: Der Gläubiger-

und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

auf die Fortgeltung seiner kapitalgesellschaftsrechtlichen Relevanz hin zu überprüfen 4 (dazu im Teil B) und entsprechend dem Ergebnis zur Deregulierung Stellung zu nehmen. Eng mit dem Gläubigerschutz verbunden ist der Anlegerschutz, vor allem dann, wenn man der These folgt, daß ein erhöhter Anlegerschutz zu einer Erhöhung des Eigenkapitals beiträgt, somit die Gesellschaft weniger anfällig gegen Marktschwankungen macht 5 und daher die Gläubiger besser schützt als jeder unmittelbare Gläubigerschutz 6 . Aber auch unabhängig davon kann eine Deregulierung nur sinnvoll sein, wenn ein hinreichender Anlegerschutz gewährleistet ist, da ansonsten der Kapitalfluß stoppen würde und damit die Kapitalsammelfunktion des Aktienrechts nicht mehr erfüllt werden könnte 7 . Der Sicherstellung eines ausreichenden Anlegerschutzes im Falle einer Deregulierung ist deshalb der Teil D. gewidmet. Bevor diesen beiden Themenkreisen nachgegangen wird, soll aber anhand der Entwicklung des Aktienrechts aufgezeigt werden, daß der Gläubigerschutz kein zwingendes kapitalgesellschaftliches Regelungsprinzip ist, sondern daß die Entstehungsgeschichte im Zeichen des Anlegerschutzes stand, dessen Reflex der Gläubigerschutz war 8 . In diesem Zusammenhang zeigt sich auch, daß die Verrechtlichung der wegen ihrer Kapitalsammelfunktion für das Wirtschaftsleben unverzichtbaren Kapitalgesellschaften stets aus einer Reaktion auf die ökonomischen Umfeldbedingungen resultierte. Dabei waren Regulierung und Deregulierung notwendige und sich gegenseitig bedingende Faktoren, die gleich einem Pendel je nach der wirtschaftlichen Lage zum Einsatz kamen. Mißbrauch zog Regulierung nach sich. Anderten sich dann die Umfeldbedingungen tiefgreifend, so mußte die Regulierung angepaßt werden, sollte das System nicht erstarren und damit unbrauchbar werden. Der beste Weg der Anpassung war im Sinne einer evolutionären Entwicklung des Rechts die Deregulierung, da nur durch die angemessene Freigabe der verhaltenssteuernden Mechanismen die Marktentwicklung wieder in Kraft gesetzt werden konnte. Zeigten sich dann neue Formen des Mißbrauchs, so ist über eine erneute Regulierung nachgedacht worden. Dieser Weg zur Fortentwicklung des Rechts aus Regulierung und Deregulierung zur Synthese beansprucht auch heute noch Gültigkeit. 4 Ahnlich Bauer, S. 90, der ebenfalls die Überprüfung des Rechts angesichts der veränderten wirtschaftlichen Umstände für geboten hält. 5 Bauer, Gläubigerschutz, S. 113 ff. 6 Klose-Mokroß, S. 81 f. 7 Zur Kapitalsammelfunktion: Raisch, S. 240. 8 Die Vorschriften lassen sich also nicht lediglich anlegerschützend »deuten«, wie Möllers, Z G R 1997, 336 formuliert, auch wenn der Schwerpunkt unzweifelhaft auf dem Anlegerschutz lag.

A. Gäubigerschutz, Anlegerschutz und Deregulierung ein historisches Prolegomenon Voraussetzung für das Verständnis der eben beschriebenen Zusammenhänge ist die Kenntnis des wirtschaftsgeschichtlichen Hintergrunds im Vergleich zur aktienrechtlichen Entwicklung, der die folgende Darstellung gilt 1 . Dabei soll das besondere Augenmerk zum einen auf das eben beschriebene Verhältnis von Umfeld zu Regulierung gelegt werden 2 ; zum anderen soll die These belegt werden, daß die meisten heute ohne weiteres als gläubigerschützend bezeichneten Regelungen ihrer Entstehung nach hauptsächlich anlegerschützend waren.

I. Die geschichtliche

Entwicklung

1. Die Entstehung der Aktiengesellschaft 3 Seinen Anfang nahm das moderne Aktienrecht mit der Herausbildung der Handelskompagnien zu Beginn des 17. Jahrhunderts 4 . Bei diesen Gesellschaftsformen handelte es sich um rechtsfähige Korporationen, die auf einem hoheitlichen Gründungs- oder Annerkennungsakt beruhten 5 . Obwohl sich für die Anteile am gemeinschaftlichen Vermögen dieser Gesellschaftsform all-

1 Auf die Wichtigkeit der Geschichte und der Wirtschaftsbedingungen für die Entwicklung des Rechts weisen auch hin: Roe, Preface, VII; Pellens, S. 6. 2 Im Hinblick auf die Reform von 1884 hebt Hommelhoff in Schubert/Hommelhoff, 100 Jahre, S. 55 diesen Zusammenhang von Umfeld und Regulierung ebenfalls hervor. 3 Zeittafel Aktienrecht siehe Seite 324. 4 Zöllner in KölnKom, Einl. Rn. 56; Baums, preußische Staaten, S. 12; Raiser, Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 1; Fischer, AcP 154, 87; Dippel, DRiZ 1965,315; Bösselmann, S. 49 ff., der sich mit der St. Georgsbank als erster AG kritisch auseinandersetzt; Lehmann, Entwicklung, S. 4 ff., beginnt die Aufarbeitung mit den Gesellschaften im antiken Griechenland und Rom und hält die St. Georgsbank für die erste AG, I S. 51; ausführlich auch: Renaud, S. 1 ff.; Schmoller, X I I I , S. 608 ff. mit dem Versuch einer soziologisch-psychologischen Begründung Schmoller XII, S. 569 ff. 5 Kühler, GesR, § 2 11 d.

70

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz im

Kapitalgesellschaftsrecht

mählich der N a m e » A k t i e « herausbildete 6 , k o n n t e n sie n o c h nicht als A k t i e n gesellschaften im heutigen Sinne des W o r t e s b e z e i c h n e t w e r d e n 7 . D e n n ihre Organisationsverfassung w a r n o c h m a ß g e b l i c h v o n dem Ziel geprägt, dem W o h l s t a n d des entsprechenden Staates zu dienen und nicht eine dauerhafte R e g e l u n g der B e z i e h u n g e n z w i s c h e n den Anteilseignern h e r b e i z u f ü h r e n 8 . E r s t die Weiterbildung der H a n d e l s k o m p a g n i e n gegen E n d e des 17. J a h r hunderts

vor

allem

im

französischen

Rechtskreis

führte

zu

korpora-

tionsrechtlich geprägten K o n s t r u k t i o n s p r i n z i p i e n , die diese der A k t i e n g e s e l l schaft im heutigen Sinne annäherten 9 . D e n A n s t o ß dazu gab, daß die A n l e g e r nicht m e h r willens waren, mit lediglich m i n i m a l e n M i t s p r a c h e r e c h t e n , ihr K a pital zur Verfügung zu stellen. E n t s p r e c h e n d den Bedürfnissen der für die K a p i t a l s a m m l u n g unerläßlichen und so das R e c h t s s y s t e m prägenden A n l e g e r gehörte zu den e n t s p r e c h e n d e n N e u e r u n g e n i n s b e s o n d e r e die A u s p r ä g u n g der G e n e r a l v e r s a m m l u n g als O r g a n der Partizipanten 1 0 , die dann in der F o l gezeit Teile der vormals o b r i g k e i t s - s t a a t l i c h e n F u n k t i o n e n an sich zu ziehen vermochte11. B e i der f o r t s c h r e i t e n d e n E n t w i c k l u n g des k o r p o r a t i o n s - r e c h t l i c h e n Status dieser G e s e l l s c h a f t s f o r m ging die A n e r k e n n u n g des B e s t e h e n s einer juristischen P e r s o n n o c h nicht n o t w e n d i g e r Weise mit der H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g H a n d in H a n d , o b w o h l die B e s c h r ä n k u n g der H a f t u n g s c h o n damals für den reinen Geldanleger v o n g r o ß e m Interesse war. I n E n g l a n d wurde deshalb versucht, bei der G r ü n d u n g nicht privilegierter G e s e l l s c h a f t e n die m ö g l i c h e H a f tung der A k t i o n ä r e durch die A u s g a b e v o n I n h a b e r a k t i e n zu u m g e h e n 1 2 . D a durch w u r d e S c h w i n d e l g r ü n d u n g e n die B a h n geebnet, die zu spektakulären Z u s a m m e n b r ü c h e n führten. D i e R e a k t i o n darauf w a r 1 7 2 0 der B u b b l e A c t , der das strafbewehrte V e r b o t solcher G r ü n d u n g e n beinhaltete 1 3 . H i e r zeigt sich bereits frühzeitig in der G e s c h i c h t e des A k t i e n r e c h t s , wie der M i ß b r a u c h einer rechtlichen G e s t a l t u n g s m ö g l i c h k e i t gesetzgeberische M a ß n a h m e n erzwingt.

Bösselmann, S. 53. Ausführlich dazu Schmoller, XIII, S. 628 ff. 8 Assmann in Großkommentar, Einl. Rn. 16; ausführlich zur Entwicklung: Fischer in Ehrenbergs Handbuch, S. 16 ff.; genauer zur Verfassung: Lehmann, I S. 59 ff. 9 Bösselmann, S. 57 f. 10 Fischer in Ehrenbergs Handbuch, S. 19 f.; zur Entwicklung der Aktionärsinteressen innerhalb der Generalversammlung, Wedeil, S. 13 ff. 11 Wiethölter, Aktiengesellschaft, S. 61 f. 12 Zöllner in KölnKom, Einl. Rn. 57; Wiethölter, Aktiengesellschaft, S. 64 f. 13 Kühler, GesR, § 2 11 d; ausführlicher dazu: Schmoller, XIII, S. 647 ff.; Handbuch der Wirtschaftsgeschichte, S. 125 ff.; Renaud, S. 24. 6 7

A. Gäuhigerschutz,

Anlegerschutz

und

Deregulierung

71

2. D e r C o d e C o m m e r c e Mit dem Code Commerce 1807 tritt das Recht der Aktiengesellschaft in ein neues Stadium 14 . In diesem Gesetz wird erstmals die Aktiengesellschaft als geordnetes Rechtsinstitut fest umrissen. Hierbei folgt auch der Ubergang der G r ü n d u n g durch O k t r o i - also durch Einzelgesetzen ähnlichen Verleihung von Privilegien - zum Konzessionssystem 1 5 . Weiterhin wird die Haftungsbeschränkung eingeführt (Art. 33), das Kapital wird in Aktien mit gleichem Wert aufgeteilt (Art. 34), die Inhaberaktie wird zugelassen (Art. 35) und die Verwaltung der Gesellschaft durch Bevollmächtigte mit befristetem Auftrag ermöglicht (Art. 31). Dabei darf der Code Commerce aber nicht als »der Erfinder der Aktiengesellschaft« mißverstanden werden. Durch ihn wird vielmehr aufgenommen und festgesetzt, was sich zuvor schrittweise entwickelt hatte 16 . Die Schaffung der »Aktiengesellschaft« durch den Code Commerce ist ein Beispiel dafür, in welchem Maße das kodifizierte Gesellschaftsrecht die wirtschaftlichen Vorgaben aufnimmt und umsetzt. Im Gegensatz zur Aktiengesellschaft wurde die KG auf Aktien dem Konzessionserfordernis entzogen. Die Freistellung der KGaA war ein Kompromiß der damals widerstreitenden Meinungen. Denn durch die Proklamation der Gewerbefreiheit 1791 war das Festhalten am Konzessionserfordernis auch für die A G umstritten. Einheitlich wurde die Konzessionsbedürftigkeit lediglich für die großen Aktiengesellschaften befürwortet 1 7 . Die Freistellung der K G a A führte zu einem beträchtlichen Aufschwung dieser Rechtsform, die - unter Einsatz von Strohmännern als Komplementäre - als nicht-konzessionspflichtiges Surrogat der Aktiengesellschaft verwendet wurde 1 8 . Daran zeigt sich, daß durch gesetzgeberische Fehlentscheidungen wie der Beibehaltung der Konzessionspflicht die vom wirtschaftlichen Fortschritt inspirierte Praxis so nicht intendierte Wege der Umgehung findet 1 9 , die zwar zu demselben Ziel führen aber unter Allokationsgesichtspunkten verfehlt sind. Denn die K G a A ist ihrer inneren Struktur nach auf einen anderen Gesellschafterkreis zugeschnitten als die Publikumsgesellschaft. Die Verlagerung der PublikumsAG in die K G a A mußte daher notweniger Weise zu Friktionen innerhalb der Gesellschaft führen. Sie schadete zugleich den außenste14

Baums, preußische Staaten, S. 23 ff. Bösselmann, S. 60 f.; Hopt in Wissenschaft und Kodifikation, S. 135. 16 Bösselmann, S. 62; Lehmann, Entwicklung, S. 88. 17 Assmann, G r o ß k o m m e n t a r , Einl. Rn. 32. 18 Fischer in Ehrenbergs H a n d b u c h , S. 27 f.; Reisch, S. 242. 19 Ahnliches spielt sich momentan im Bereich der Genußscheine ab, die es ermöglichen, zu steuerlich günstigen Konditionen ansonsten weitgehend dem Eigenkapital angenäherte Mittel über den Kapitalmarkt aufzunehmen; siehe dazu oben 1. Kapitel C.I.4.C. 15

72

2. Kapitel: Der Gläubiger-

und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

henden potentiellen Anlegern und Gläubigern, da durch die Vorspiegelung eines persönlich haftenden Komplementärs falsche Vorstellungen über die Bonität der Gesellschaft erzeugt wurden, die wiederum zu einem Vertrauensverlust in das Aktienrecht führen konnten. Damit wurde zum einen die Kapitalsammeifunktion der Aktiengesellschaft beeinträchtigt, zum anderen fielen erhöhte Transaktionskosten in Form von Informationskosten an, um die tatächliche Struktur der jeweiligen Gesellschaft aufzudecken. Dementsprechend wurde eine Korrektur dieser negativen Entwicklung notwendig, die der Gesetzgeber sinnvollerweise nicht durch eine weitere Regulierung, sondern durch die Fortsetzung der Deregulierung 1870 mit der Abschaffung des Konzessionserfordernisses vollzog. Dadurch wurde der Aktiengesellschaft die Einnahme der ihr entsprechenden Marktposition innerhalb der verschiedenen Gesellschaftsformen wieder ermöglicht 20 . In diesem Fall hat sich die Deregulierung im Rahmen der fortschreitenden wirtschaftlichen Entwicklung, die die Aufrechterhaltung der Gründung vermittels Konzession wegen der gestiegenen Anzahl von Gesellschaftsgründungen als nicht mehr entsprechend den alten Vorgaben durchführbar erkennen ließ, als die richtige Form der Weiterentwicklung des Aktienrechts erwiesen.

3. Die Entwicklung in Deutschland ab 1807 bis zum A D H G B In Deutschland tat sich die Aktiengesellschaft zunächst schwer, in größerem Umfang Fuß zu fassen 21 . Dies lag weniger an den mit der Konzessionierungspraxis verbundenen Unsicherheiten 22 als vielmehr an den für Deutschland spezifischen Umfeldbedingungen und ist somit ein Beispiel dafür, daß die Zurverfügungstellung eines Rechtsinstituts ohne hinreichenden wirtschaftlichen Rückhalt nicht zum erwünschten Erfolg führt. In Bezug auf diese für die Entwicklung der Aktiengesellschaft negativen Umfeldbedingungen kam in Deutschland vor allem der enge, durch das Standesdenken geprägte Bezug der A G zu ihren Kapitalgebern zum Tragen, der eine Flexibilisierung 20 Entsprechend würde der Boom der Genußrechte beendet, wenn das Eigenkapital leichter zu erhalten wäre. 21 Lehmann, Entwicklung, S. 76; so wurden von 1800 - 1820 lediglich 10 Gesellschaften und von 1820 - 1835 weitere 18 Gesellschaften gegründet. Erst ab 1835 nahm die Zahl der Gründungen spürbar zu; von 1835 - 1940 waren es 23 und von 1840 - 1845 42 Gesellschaften; Bösselmann, S. 199/200; weiteres statistisches Material bis 1922 findet sich bei Passow, S. 14 ff.; zu den Voraussetzungen der Industrialisierung Handbuch der Wirtschaftsgeschichte S. 149 ff. mit Zahlenmaterial. 22 Die Konzessionspflicht erfuhr erst eine zudem nur bereichsspezifische Regelung durch das Preußische Eisenbahngesetz vom 3.11.1838 und das Preußische Aktiengesetz von 1843.

A. Gäuhigerschutz,

Anlegerschutz

und

Deregulierung

73

des Instituts erschwerte 23 . Weiterhin bot Deutschland durch die Kleinstaaterei keinen homogenen auf größeren Kapitalbedarf zugeschnitten Absatzmarkt und litt bedingt durch die reaktionäre auf ihre ökonomischen Interessen bedachte Politik der agrarischen Führungselite unter einem Industrialisierungsrückstand 24 . Zwar war Kapital in ausreichender Menge vorhanden. Durch die Agrarrevolution hatte sich der Anteil, den die preußischen Gutsbesitzer am Ackerland hatten, nahezu verdoppelt und die Erträge aus dem vermehrten Nutzboden waren um das Vielfache gestiegen, so daß eine Kapitalakkumulation stattfand. Jedoch floß dieses Kapital zunächst weitgehend zurück in die Landwirtschaft 25 . Kam das in den Privatvermögen vermehrte Kapital auf den Kapitalmarkt 26 - will man von einem solchen sprechen - , so konzentrierten sich die im Bankwesen dominierenden Privatbanken stärker auf das staatliche Anleihe- und Börsengeschäft als auf die Industriefinanzierung 27 . Die damit verbundene Akzentuierung der wohlhabenderen Kreise auf den sichereren Rentenmarkt gegenüber der »unsichereren« Industriefinanzierung mag bis heute bei der Wahl der Anlageform fortwirken. Der Gründung von Aktienbanken stand zudem die Abneigung des Staates und der Privatbanken im Wege 28 . Dieser Rückstand der deutschen Aktiengesellschaften gegenüber der Entwicklung in anderen europäischen Ländern wie England oder Frankreich minderte sich erst durch die Gründung des Zollvereins 183 4 29 und den Aufschwung des Eisenbahnbaus 30 . Der Zwang zur Vereinigung immenser Kapitalmengen in der Hand einer Gesellschaft führte zur Auflösung der ständischen - mit entsprechenden Schutzmechanismen ausgestatteten - Bindungen und zum Erfordernis der Vereinheitlichung der rechtlichen Regelungen. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Banken 31 . Als Mitte des 19. Jahrhunderts deutlich wurde, daß die Banken die ihnen zugedachte Transformationsfunktion - die Umwandlung kurzfristiger Einlagen in langfristige Darlehen - nicht erfüllen konnten 32 , wechselten diese über zum Prinzip der Mobilisation. Ihr Bösselmann, S. 14; Schumacher, S. 10. Wehler, S. 14 f.; Borchardt, S. 41 ff.; zum Zahlenmaterial auch Stolper, S. 25 ff. 25 Wehler, S. 21 f. 26 Zahlenmaterial findet sich bei Tilly, ViSoWi 60, 152 ff. 27 Bösselmann, S. 27 f.; Hopt in Wissenschaft und Kodifikation, S. 131; Assmann in Handbuch des KapitalanlageR § 1 Rn. 6. 28 Pohl, Bankengeschichte, S. 18 sowie in Europäische Bankengeschichte, S. 263 ff. 29 Borchardt, S. 43 f. 30 Bösselmann, S. 30; Hopt in Wissenschaft und Kodifikation, S. 149; Assmann, Prospekthaftung, S. 53; Tilly, ViSoWi 60,154; Borchardt, S. 40; Reisch, S. 247; Schumacher, S. 3. 31 Und zwar vor allem die neugegründeten Aktienbanken, dazu Pohl in Europäische Bankgeschichte, S. 223. 32 Zur Rolle der Banken auch Bösselmann, S. 78 ff. 23

24

74

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

Ziel war nunmehr, als Mittler die Bindung des vorhandenen Kapitals bei entsprechend qualifizierten Aktiengesellschaften zu erreichen 33 . Der auf Breitenwirkung angelegten und nicht nur auf einige vermögenden Anleger beschränkten Kapitalsammelfunktion des Aktienrechts war damit auch in Deutschland zum Durchbruch verholfen. Durch die Kulmination der Geldmittel in den großen Aktiengesellschaften um 184 5 34 wurde das Geld f ü r die übrige Wirtschaft knapp. Dadurch entstanden enorme Spannungen im Wirtschaftsgefüge, die zum Ruf nach dem Verbot der Aktiengesellschaft führten 3 5 . Das Mißtrauen gegenüber der Aktiengesellschaft wurde vorwiegend damit begründet, daß die Aktiengesellschaften durch die Gefährdung des Wettbewerbs und die Monopolbildung die Erwerbsgrundlagen der übrigen Gewerbetreibenden gefährdeten 36 . Zudem wurden die unproduktiven Spekulationen zum Schaden des Publikums hervorgehoben. Der Gedanke des Schutzes des nicht mehr auf einzelne vermögende Anleger beschränkten Publikums vor Verlusten tritt bei der Aktiengesellschaft endgültig in den Vordergrund. War bis dahin - mangels größerer Anlegergruppen - auch der Gläubigerschutz ein Diskussionsthema, ging es nunmehr endgültig vor allem darum, daß nicht die Unerfahrenheit Dritter bei der Anlage ihres Vermögens mißbraucht wird 3 7 . Mit der Ausformung der Kapitalsammelfunktion des Aktienrechts wird somit aus historischer Sicht der Anlegerschutz - nicht der Gläubigerschutz - zum wichtigsten Regulierungszweck. 4. Das A D H G B In Deutschland erfuhr die Aktiengesellschaft mit dem A D H G B 1861 ihre erste einheitliche Regelung 38 . Dem Erlaß dieses Gesetzes waren mannigfaltige Diskussionen über die Struktur der Aktiengesellschaft vorausgegangen. So war insbesondere - vor allem bedingt durch das Vordringen des liberalen Gedankengutes 3 9 - das Konzessionserfordernis umstritten 4 0 . Gegen die sich für 33

Bösselmann, S. 35 f.; Borchardt, S. 48; Stolper, S. 31, der darauf hinweist, daß das Ziel der Banken die Industriefinanzierung war, während das Geld der Kleinanleger bei den Sparkassen lag. 34 Genauere Angaben finden sich bei Assmann in G r o ß k o m m e n t a r , Einl. Rn. 48. 35 Bösselmann, S. 10. 36 Hopt in Wissenschaft u n d Kodifikation, S. 147; Großfeld in Wissenschaft und Kodifikation, Beurteilung, S. 239; Schubert, Z G R 1981, 287. 37 Hopt in Wissenschaft u n d Kodifikation, S. 147 f. 38 Zu den Einzelregelungen im A L R : Baums, preußische Staaten, S. 15 ff. 39 Assmann, Prospekthaftung, S. 53. 40 Ausführlicher zu dieser Diskussion Großfeld in Wissenschaft und Kodifikation, Beurteilung, S. 242 ff.

A. Gäubigerschutz,

Anlegerschutz

und

Deregulierung

75

das Konzessionierungsverfahren als Kontrollverfahren einsetzende Position wurde eingewandt, durch die Konzessionierung werde in der Öffentlichkeit der Eindruck einer sicheren Kapitalanlage erweckt, obwohl die Konzession darüber in Wirklichkeit keine Aussage treffen könnte 4 1 . Dies gehe zu Lasten der eigenen Sicherheitsvorkehrungen der Anleger. Für vorzugswürdig wurden demgegenüber Publizitäts- und Selbstschutzmaßnahmen gehalten 42 . Als Kompromißformel wurde der Konzessionszwang beibehalten, es aber in die Länderkompetenz gestellt, entsprechende andere Regelungen zu treffen 43 . Nicht einsichtig war, warum trotz der Beibehaltung des Konzessionserfordernisses gleichzeitig die strengen Gründungsvorschriften in das Gesetz Aufnahme fanden, die eigentlich als Korrelat zur Abschaffung der Konzession gedacht waren 44 (auch sie dienten damit vor allem dem Anlegerschutz und nicht dem Gläubigerschutz). Weiterhin wird der Aufsichtsrat als Kontrollorgan eingeführt 45 . 5. Die Aktienrechtsnovelle von 1870 Endgültig entfällt die Konzessionierungspflicht zugunsten des Systems der Normativbestimmungen mit der 1. Aktienrechtsnovelle 1870 4 6 . Neben dem Übergang zum System der Normativbestimmungen war mit dieser Aktienrechtsnovelle die weitreichende Neugestaltung der inneren Struktur der Aktiengesellschaft verbunden, der die Diskussion nach dem Umfang des Anlegerschutzes als Ersatz des Konzessionserfordernisses vorausging. Einige Länder wollten strenge Regulierungen zur »Sicherung gegen Leichtsinn und Gewinnsucht«, während andere ein Höchstmaß an Beweglichkeit im Interesse der Wirtschaft forderten 47 . Es handelte sich also bereits damals um eine Deregulierungsdebatte geleitet von marktwirtschaftlichen Interessen. Gefunden wurde dann zu Gunsten der Anleger folgender Kompromiss: Neben der Einführung des Aufsichtsrates als obligatorisches Kontrollorgan 4 8 wurden die Aufgaben der Hauptversammlung neu bestimmt. Weiterhin wurden neue 41 Großfeld in Wissenschaft und Kodifikation, Beurteilung, S. 242 f.; in Handbuch des KapitalanlageR, § 1 Rn. 6. 42 Assmann, Prospekthaftung, S. 54; Schubert, Z G R 1981, 287. 43 Passow, S. 65. 44 Assmann in Großkommentar, Einl. Rn. 73. 4 5 Genauer zu den unklaren Hintergründen: Wiethölter, Aktiengesellschaft, S. 280 ff. 46 Zöllner in KölnKom, Einl. Rn. 61; Raiser, Kapitalgesellschaften, § 2 Rn. 3; Wiedemann, GesR I, S. 26; Flechtheim in Verhandlungen, S. 5; ausführlich zu den Gesetzgebungsmotiven Passow, S. 67 ff. 47 Schubert, Z G R 1981, 299 f. 48 Schubert, Z G R 1981, 305 f.

76

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz im

Kapitalgesellschaftsrecht

G r ü n d u n g s - , Kapitalaufbringungs- u n d Kapitalerhaltungsvorschriften

ge-

schaffen. U n t e r diesen sind i n s b e s o n d e r e zu n e n n e n die F e s t s e t z u n g eines M i n d e s t n e n n b e t r a g e s für A k t i e n 4 9 , die R e g e l u n g ü b e r Sacheinlagen 5 0 , das V e r b o t der Ä n d e r u n g des N o m i n a l b e t r a g e s 5 1 und des E r w e r b s eigener A k t i en 5 2 . D a b e i w u r d e im H i n b l i c k auf den U b e r g a n g z u m S y s t e m der N o r m a t i v b e s t i m m u n g e n erneut h e r v o r g e h o b e n , daß es Sache der Anleger, v o r allem aber auch der G l ä u b i g e r sein müsse, selbst V o r s o r g e gegen eventuelle Verluste zu treffen 5 3 . I n B e z u g auf die G l ä u b i g e r w u r d e damit klargestellt, daß das A k t i e n r e c h t seiner h i s t o r i s c h e n I n t e n t i o n nach keine umfassenden G a r a n t i e n zur Verfügung stellen sollte, s o n d e r n der G l ä u b i g e r eigenständig für einen h i n r e i c h e n den S c h u t z Sorge tragen m u ß t e , zumal damals die Vorkasse n o c h ein übliches Institut w a r und der einzelne G l ä u b i g e r damit hinreichende A b s i c h e r u n g erhielt 5 4 . I n der F o l g e der eben b e s c h r i e b e n e n G e s e t z e s ä n d e r u n g gab es einen drastischen A n s t i e g des A k t i e n s c h w i n d e l s 5 5 . D i e s lag aber n u r z u m Teil an dem Wegfall des K o n z e s s i o n s e r f o r d e r n i s s e s o h n e gleichzeitige hinreichende A u s gestaltung der G r ü n d u n g s v o r s c h r i f t e n 5 6 , die aus damaliger Sicht durch das stete Wechselspiel von S c h w i n d e l g r ü n d u n g e n und Verschärfung der G r ü n dungsvorschriften der g e b o t e n e Regulierungsansatz für den A n l e g e r s c h u t z w a r e n . D i e zu der K r i s e beitragenden U m f e l d b e d i n g u n g e n sind in dem B o o m 5 7 der zweiten G r ü n d e r j a h r e sowie in d e m F e h l e n

marktordnender

I n s t i t u t i o n e n zu sehen. D e s Weiteren w u r d e n dem n u n m e h r auf S e l b s t s c h u t z angewiesenen, damit aber n o c h nicht vertrauten P u b l i k u m keine h i n r e i c h e n den M i t t e l zur V e r w i r k l i c h u n g dieses Selbstschutzes an die H a n d gegeben 5 8 . A u f Gläubigerseite stand n o c h nicht das B G B mit seinen ländergrenzenüber-

Schubert, ZGR 1981, 302. Schubert, ZGR 1981, 304. 51 Schubert, ZGR 1981, 303. 52 Schubert, ZGR 1981, 308. 53 Schubert, ZGR 1981, 287 f.; Passow, S. 71. 54 Pohl, Bankengeschichte, S. 35. 55 Hommelhoff in Schubert/Hommelhoff, 100 Jahre, S. 55 f.; Beispiele für das mögliche Vorgehen bei Schwindelgründungen Reisch, S. 268 f. 56 Fischer in Ehrenbergs Handbuch, S. 29. 57 Statistisches Material bei Passow, S. 18 ff.; zur Entwicklung der Banken Pohl in Europäische Bankengeschichte, S.265; Obst/Hinter, S. 189, der auf die Gründung von 186 (!) Aktienbanken in den Jahren 1870-72 verweist. 58 Assmann, Prospekthaftung, S. 45 f., 54 ff.; Brüggemeier I, S. 101 f.; Hommelhoff in Schubert/Hommelhoff, 100. Jahre, S. 63 f.; zur Publizität auch Hopt in Wissenschaft und Kodifikation, S. 155. 49

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greifenden ausgewogenen Schutzmechanismen zur Verfügung. Auf Anlegerseite fehlte es an den eben erwähnten marktordnenden Intitutionen, denen der Anleger zur Überprüfung und Sicherstellung der Bonität seiner Anlage bedurfte. Denn der Anleger kann sich im Gegensatz zum Gläubiger nicht über eines der Sicherungsinstitute des B G B schützen, da er das risikobehaftete Eigenkapital zur Verfügung stellt, mit dem zwangsläufig die nachrangige Befriedigung in der Krise verbunden ist. Mit dem Gründungscrash, der seinen Höhepunkt 18 7 3 59 erreichte, wurde der Ruf nach einer erneuten Reformierung des Aktienrechts laut 60 . Die Reformbewegung fand jedoch erst in der 2. Aktienrechtsnovelle 1884 ihren Abschluß. Die verhältnismäßig lange Zeitspanne zwischen dem Crash und der Reform erklärt sich aus dem veränderten Umfeld 6 1 . Bedingt durch die Rezession kam es nur noch zu wenigen Neugründungen von Aktiengesellschaften 62 , so daß auf Anlegerseite kaum noch Verluste zu beklagen waren; die Verschiebung der Reform, die bedingt war durch die relative Ruhe auf Seiten der Anleger, ist wiederum ein Beispiel dafür, daß deren Situation die Aktienrechtsentwicklung maßgeblich bestimmt. Die zum gleichen Zeitpunkt erfolgende Verstaatlichung der Eisenbahn führt zu einer Verlagerung der Kapitalanleger zurück auf die Staatspapiere 63 . Dadurch gewannen diese gegenüber der Aktie wieder an Gewicht und prägten so das Bewußtsein der Bevölkerung als gegenüber der Aktie zuverlässigere Anlageform weiter. 6. Die Aktienrechtsnovelle von 1884 Die 2. Aktienrechtsnovelle von 1884 erklärt sich im wesentlichen aus einer Analyse der Vorgänge der vorangegangenen Jahre. Da die Aktiengesellschaft als Institution für unentbehrlich gehalten wurde, kam eine Abschaffung, wie vereinzelt gefordert 64 , nicht in Betracht 65 . Auch wurde das System der Normativbestimmungen beibehalten. Tiefgreifende Änderungen erfuhren aber ensprechend den negativen Erfahrungen der Anleger mit der neustrukturier-

59 Wehler, S. 41 f.; Noll von der Nahmer, S. 354; interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Studie von Müller über den Rentenmarkt, bei der er auch auf die gesamtwirtschaftliche Lage und das Verhältnis zum Aktienmarkt eingeht, so z.B. auf S. 128 ff. 60 Schubert in Schubert/Hommelhoff, 100 Jahre, S. 3. 61 Zur politischen insb. verfassungspolitischen Entwicklung Gusy, J Z 1994, 753. 62 Zahlenangaben dazu finden sich in Assmann, Prospekthaftung, S. 55; Passow, S. 18 ff. 63 Tilly, ViSoWi 60,155 f. 64 Jhering, Zweck I, S. 222 ff. 65 Hommelhoff in Schubert/Hommelhoff, 100 Jahre, S. 57 f.

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2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz

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Kapitalgesellschaftsrecht

ten Gesellschaft - der Gründungsvorgang 6 6 und die Organisation der Gesellschafterbeziehungen, weil in diesen Bereichen der wesentliche Grund f ü r die eingetretenen Mißbräuche gesehen wurde 6 7 . Dabei war dem Gesetzgeber klar, daß nur die eigene Sorgfalt der Beteiligten sie gegen Täuschung und Irrtum, Illusion und Leichtsinn sichern kann 68 . Zudem war nach Ansicht der Reformatoren Abhilfe nicht so sehr über das Aktienrecht, sondern über das Kapitalmarktrecht zu schaffen, da dieses den Problemen nähersteht als das Aktienrecht 69 . Eine weitere damals schon erkannte aber bis heute ungelöste Schwierigkeit lag in der Person des Aktionärs begründet. Dieser läßt sich im Regelfall weniger vom langfristigen Interesse an der sachlichen Förderung des Unternehmens als vielmehr vom kurzfristigen Interesse an Dividende und Kurs leiten 70 . Die Diskussion um die Novelle von 1884 nimmt also in großen Teilen die Argumente der heute geführten Diskussion um die Aktienrechtsreform vorweg. 1884 wird daraufhin der Weg der Verschärfung des Aktienrechts eingeschlagen, obwohl klar war, daß dies nur rudimentäre Besserung schaffen konnte. Dennoch wurde dieser Weg kontinuierlich fortgesetzt und mündet in den heutigen Problemen, die sich vor allem in der mangelhaften Flexibilität des Aktienrechts zeigen. Zu diesem Zeitpunkt beginnt somit die das deutsche Recht vom amerikanischen Recht unterscheidende Weichenstellung; in Deutschland hin zu einer fortschreitenden Verschärfung, in den USA von einem rudimentären Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsschutz zu einer Deregulierung 71 . In Bezug auf die Gründung wurde 1884 insbesondere eine höhere Transparenz und Publizität 7 2 der Gründungsvorgänge und eine stärkere Sicherung der Kapitalaufbringung angestrebt. Zur Verwirklichung dieser Ziele diente vor allem der Zwang zur Zeichnung aller Aktien vor Errichtung der Gesellschaft, die Anordnung einer separaten Prüfung, wenn Gründungsvorstand oder Gründungsaufsichtsrat Gründer angehören, die Minimaleinzahlung von

66 Fischer, AcP 154, 89; zu den Gründungsmängeln, die zu Schwindelgründungen führten, Hommelhoff'm S c h u b e r t / H o m m e l h o f f , 100 Jahre, S. 64 ff. 67 Hommelhoff in S c h u b e r t / H o m m e l h o f f , 100 Jahre, S. 64 ff. und 85 ff. 68 Gesetz betreffend die K G a A u n d die A G von 1884, Allgemeine Begründung § 3; abgedruckt bei S c h u b e r t / H o m m e l h o f f , 100 Jahre, S. 416, dies widerspricht der These Bauers, S. 91, daß von Anfang an der Gläubigerschutz im deutschen Aktienrecht bedingt durch die paternalistische Grundeinstellung des Gesetzgebers im Vordergrund stand. 69 Rüssel, Verhandlungen der Aktienrechtskommission, 7. Sitzung in S c h u b e r t / H o m melhoff, 100 Jahre, S. 329; so auch Russel/Wagner, Verhandlungen der Aktienrechtskommission, 14. Sitzung in S c h u b e r t / H o m m e l h o f f , 100 Jahre, S. 383 f. 70 Hommelhoff in S c h u b e r t / H o m m e l h o f f , 100 Jahre, S. 56 m.w.N. 71 Zur abweichenden US-amerikanischen Entwicklung Bauer, S. 91 ff. 72 Hommelhoff in S c h u b e r t / H o m m e l h o f f , 100 Jahre, S. 65.

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25 % des Nominalwertes 7 3 , die Möglichkeit der Satzungsänderung nur mit Zustimmung aller Aktionäre, die Pflicht zur Information über die wesentlichen Umstände der Gesellschaftsgründung im Zeichnungsschein, §§209 210 a, und vor allem das Verbot der Aktienliberierung. Bis zur Reform von 1884 war es nämlich möglich, eine Gesellschaft mit einem auf dem Papier hohen Garantiekapital zu gründen, bei der die Gründer-/Gesellschafter durch die Satzung aber von der Zahlung ihrer Einlage bis zu 75 % zum Nachteil der Kleinanleger und Gläubiger befreit (liberiert) werden konnten 74 . In organisatorischer Hinsicht wurde neben der Kompetenzverstärkung der Generalversammlung und des Aufsichtsrates die Einführung verstärkter Minderheitenrechte angestrebt. Hintergrund der Kompetenzverstärkung der Generalversammlung war dabei der Gedanke, daß die Aktiengesellschaft die organisierte Gesamtheit der Aktionäre ist. Folglich mußte auch die Generalversammlung als Organ der Aktionäre für »Wesensfragen« der Gesellschaft ausschließlich zuständig sein. Eine Übertragung solcher Fragen auf das Management wurde als unzulässig angesehen 75 . Bei den Minderheitenrechten sind insbesondere zu erwähnen: Art. 222, Anfechtung von Generalversammlungsbeschlüssen durch Aktionäre; Art. 222 a, die gerichtliche Einsetzung von Revisoren und Art. 223, die Erzwingung von Ersatzansprüchen. Zweck dieser Regelungen war es, den Aktionären Mittel an die Hand zu geben, um gegen Gesellschafter oder Manager vorzugehen, die zum Schaden der Gesellschaft in die eigene Tasche wirtschafteten 76 . Der Schwerpunkt der Reform von 1884 lag damit wiederum eindeutig auf dem Anleger- und nicht auf dem Gläubigerschutz, der aber dennoch nicht unberücksichtigt blieb, sondern eher reflexartig zum Zuge kam 77 . Ein gutes Beispiel für das Verhältnis von Anleger- und Gläubigerschutz bietet die Reform der Aufsichtsratshaftung. Prinzipiell war der Aufsichtsrat zum Schutz der Aktionäre geschaffen worden und zur Sicherstellung der Kompetenz der einzelnen Mitglieder des Aufsichtsrats im Interesse der »Gesellschaft und des Publikums« wurde deren Haftung verschärft 78 . Der daneben bestehende eigenständige Klageanspruch der Gläubi73 Damit einhergehend wurde die Aktienliberierung, die satzungsmäßige Freistellung von Aktionären von der Einzahlungspflicht über 40 % hinaus, eingeschränkt, dazu J4SSmann in Großkommentar, Einl. Rn. 96; Bösselmann, S. 118 f.; Hommelboff in Schubert/ Hommelhoff, 100 Jahre, S. 79 f. 74 Denkschrift in Schubert/Hommelhoff, S. 133; Gutachten des Reichs-Oberhandelsgericht in Schubert/Hommelhoff, S. 166. 75 Hommelhoff in Schubert/Hommelhoff, 100 Jahre, S. 89. 76 Hommelhoff in Schubert/Hommelhoff, 100 Jahre, S. 90. 77 Die Gesetzesbegründung, abgedruckt in Schubert/Hommelhoff, S. 463, spricht von mittelbarem Schutz. 78 Gesetzesbegründung, abgedruckt in Schubert/Hommelhoff, S. 462; Schubert in Schubert/Hommelhoff, S. 86.

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2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz im

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ger nach § 2 0 4 A D H G B erklärt sich nicht daraus, daß der G e s e t z g e b e r die Gläubiger in gleicher Weise wie Anleger und P u b l i k u m schützen wollte. Vielm e h r wird in einem eigenen den Gläubigern gewidmeten A b s c h n i t t der G e s e t zesbegründung dargelegt, daß dem Aufsichtsrat die Verantwortung für die gesetzmäßige Verwaltung des als Korrelat für die Haftungsbeschränkung zur Verfügung gestellten Grundkapitals obliegt. K o m m t er dieser Pflicht nicht nach, dann - und nur dann - hält der damalige Gesetzgeber einen eigenen A n s p r u c h der Gläubiger für gerechtfertigt 7 9 . I m E n d e f f e k t handelt es sich damit lediglich um eine spezialgesetzliche Ausprägung der üblichen H a f t u n g für Sorgfaltspflichtverstöße, deren ausdrückliche N o r m i e r u n g durch die Zwischenschaltung der Juristischen Person nötig wird, nicht jedoch u m ein speziell zu G l ä u b i gerschutzzwecken geschaffenes gesellschaftsrechtliches Institut. N i c h t durch die N o v e l l e erfaßt w u r d e hingegen das P r o b l e m der M o n o p o le 8 0 . D i e s e waren vor allem u n t e r dem G e s i c h t s p u n k t des kollektiven Selbstschutzes gegen die R i s i k e n der D e p r e s s i o n entstanden 8 1 . H i e r ü b e r s a h der G e s e t z g e b e r , daß durch die wirtschaftliche E n t w i c k l u n g eines der F u n d a m e n te des A k t i e n r e c h t e s , die Selbständigkeit der einzelnen Gesellschaft, aufgeb r o c h e n wurde. D e m e n t s p r e c h e n d k o n n t e auch das h i n t e r dem A k t i e n r e c h t stehende w e t t b e w e r b s p o l i t i s c h e K o n z e p t nicht aufgehen 8 2 , nach d e m die freie K o n k u r r e n z am M a r k t für den entsprechenden wirtschaftlichen A u f s c h w u n g sorgen sollte 8 3 . D i e s führte in der F o l g e z e i t z u tiefgreifenden negativen A u s w i r k u n g e n w i r t s c h a f t l i c h e r und rechtlicher A r t . D a s ging soweit, daß der G e danke der B ä n d i g u n g der durch Aktiengesellschaften gebündelten

Wirt-

s c h a f t s m a c h t und der V e r h i n d e r u n g der M o n o p o l b i l d u n g die F r a g e n nach dem G l ä u b i g e r - und dem A k t i o n ä r s s c h u t z v o r ü b e r g e h e n d in den H i n t e r grund drängte 8 4 . Ebenfalls o h n e A u s w i r k u n g e n auf die N o v e l l e blieb das Verhältnis der A G z u m K a p i t a l m a r k t , o b w o h l diese I n t e r d e p e n d e n z in den 70er J a h r e n des 19. J a h r h u n d e r t s bereits augenfällig g e w o r d e n w a r 8 5 . H i e r beginnt eine S t r u k t u r s c h w ä c h e des A k t i e n r e c h t s , die sich bis heute f o r t s e t z t . Gesetzesbegründung, abgedruckt in Schubert/Hommelhoff, S. 463. Zum Einfluß der Banken auf die Monopolbildung Stolper, S. 33 f.; Beispiele für die Trustbildung finden sich bei Zimmermann, BASF, S. 32 sowie S. 52 ff., der die Entstehung der BASF nachzeichnet. 81 Großfeld in Wissenschaft und Kodifikation, Kartell, S. 259 f.; Pohl in Wissenschaft und Kodifikation, S. 213; interessant dazu die Geschichte der BASF, Wolf, BASF, S. 43. 82 Großfeld in Wissenschaft und Kodifikation, Beurteilung, S. 248 ff. 83 Hopt in Wissenschaft und Kodifikation, S. 168; Großfeld in Wissenschaft und Kodifikation, Beurteilung, S. 249. 84 Großfeld in Wissenschaft und Kodifikation, Beurteilung, S. 236 f. 85 Assmann in Großkommentar, Einl. Rn. 113; eine interessante Studie zum Renten79 80

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7. Die Entwicklung bis 1918 In den Folgejahren kehrte zunächst Ruhe in die aktienrechtliche Entwicklung ein. Dies lag vor allem an der aufblühenden Wirtschaft 8 6 , die es nur selten zu Zusammenbrüchen kommen ließ. Einige kleinere Änderungen wurden im Zusammenhang mit der Einführung des B G B und der damit einhergehenden Überarbeitung des A D H G B vorgenommen, so die Einführung des Bezugsrechts, §§ 282,283 des neuen H G B 8 7 , wiederum mit anlegerschützendem Hintergrund. In der Praxis zeigte sich, daß die Reformbemühungen bezüglich der Stärkung der Generalversammlung und des Aufsichtsrates nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatten, sondern daß nach wie vor die Herrschaft von der Verwaltung ausgeübt wurde 88 . Viel schwerwiegender war jedoch, daß die zum Selbstschutz gedachte Monopolisierung und Konzernierung sich ungehindert zum Instrument der Marktbeherrschung fortbildete 89 . Wegen der Anerkennung der Kartelle durch die Rechtsprechung 9 0 wurde die Frage nach einer Einschränkung der Konzernierungsmöglichkeiten nicht weiterverfolgt. Damit verlor auch die Ansicht, die die Selbständigkeit der einzelnen Aktiengesellschaft verteidigte, an Boden 9 1 . Die Kriegsjahre 1914 - 1918 brachten zwar auf den Kriegszustand zugeschnittene aktienrechtliche Regelungen hervor, die über diesen Zeitraum hinaus jedoch kaum Bestand hatten 92 . Gleiches galt für die staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft, die mit Ende des Krieges wieder weitgehend abgebaut wurden 93 . Für die Entwicklung entscheidend waren aber die ökonomischen Aus-

markt dieser Zeit hat]. Müller verfaßt. Sie zeigt auf, daß der Rentenertrag dieser Jahre relativ konstant war und vor allem die Bonität und Verkäuflichkeit für die Anlageentscheidung von Interesse waren (zusammengefaßt vom Herausgeber, S. 5 ff.). 86 Wehler, S. 5\;Nöll von der Nahmer, S. 353. 87 Flechtheim in Verhandlungen, S. 5. 88 Wiethölter, Aktiengesellschaft, S. 287 ff.; interessant in diesem Zusammenhang sind v. Gierkes Ausführungen zur Geschichte des Mehrheitsprinzips, Schmollers Jahrbuch, 39. Jahrg. Heft 2, S. 7 ff. 89 Wehler, S. 49 ff.; zur Kartellrechtsdiskussion: Großfeld in Wissenschaft und Kodifikation, Kartell, S. 255 ff.; Zahlenmaterial findet sich bei Pohl in Wissenschaft und Kodifikation, S. 209 ff.; zur Kartellierung der späteren I.G. Farben Ter Meer, S. 12 f. 9 0 Die Anerkennung durch die Rechtsprechung erfolgte spätestens durch R G Z 38, 155, 156 ff. 91 Großfeld in Wissenschaft und Kodifikation, Beurteilung, S. 252 ff. 9 2 Lediglich die Bundesratsverordnung vom 8.8.1914 (RGBl 365) zur Konkursantragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit und die Bekanntmachung vom 24.5.1917 (RGBl I 431) zur Erleichterung der Einzahlung auf Aktien bleiben von Bedeutung. 93 Wiethölter, Aktiengesellschaft, S. 37 f.; Noll von der Nahmer, S. 358 f.

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Wirkungen des Krieges 94 . So wurde vor allem die bereits vorhandene konzentrative Neigung durch die Kriegswirtschaft verstärkt 95 . Zeitlich gesehen fällt in die Kriegsjahre auch die 1917 erschienene Veröffentlichung Rathenaus »Vom Aktienwesen: eine geschäftliche Betrachtung« aus der dann später Haussmann in seiner Schrift »Vom Aktienwesen und Aktienrecht« (1928) 9 6 das Schlagwort »vom Unternehmen an sich« herleitete 97 . Rathenaus Werk als reine Verarbeitung der Kriegsereignisse anzusehen, ist falsch 98 . Rathenau erarbeitet vielmehr den bereits vor dem Krieg angelegten Konflikt zwischen dem Anspruch der Rechtsordnung und der Rechtspraxis 99 und sucht darzustellen, daß die Aktiengesellschaft neben ihrer gesellschaftsrechtlich vermittelten Funktion noch eine gesellschaftspolitisch vermittelte Funktion innehat 100 . Dies wurde von Haussmann mißverstanden, als er daraus das vom Aktionär losgelöste Unternehmen schuf 1 0 1 . Die Auffassung von Rathenau war vor allem deshalb zukunftsweisend, weil sie aufzeigte, wie sich die Aktiengesellschaft als Teil eines Systems mit diesem System änderte 102 . Obwohl eine Verselbständigung der Aktiengesellschaft eintrat, blieben jedoch die Aktionäre 1 0 3 und die Verwaltung 104 als Entscheidungsträger bestehen. Ein von den Aktionären losgelöstes Unternehmen gab und gibt es

94 Ausführlich dazu Henning, S. 32 ff., insb. 41 ff.; zur Entwicklung des Börsenrechts: Bremer, S. 33 ff.; zu den verfassungspolitischen Auswirkungen des Krieges: Gusy, J Z 1994, S. 754 ff. 95 Brüggemeier I, S. 84 f.; Kühler in öffentliches Recht, S. 227; Wiethölter, Aktiengesellschaft, S. 37; ausführlich zur wirtschaftlichen Entwicklung Henning S. 32 ff.; deutlich zeigt sich dies am Beispiel der späteren I.G. Farben, bei der sich der 1904 geschlossene »Dreierbund« und der lose Zusammenschluß um die Firma Hoechst erst durch die kriegsbedingten Wirtschaftsengpässe 1916 zu dem »Interessenverband der deutschen Teerfabrikanten« zusammenfanden, Ter Meer, S. 16 f. 9 6 Kritisch dazu Flechtheim in Verhandlungen, S. 10 ff. 9 7 Dazu: Fischer, AcP 154, 103 f.; Zöllner, Schranken, S. 68 ff.; ausführlich dazu: Riechers, Das Unternehmen an sich. 98 Assmann in Großkommentar, Einl. Rn. 128. 99 Rathenau, S. 13 ff. 100 Rathenau, S. 41 ff. 101 Netter in FS Pinner, S. 546 ff.; Zöllner, Schranken, S. 68; Wiethölter, Aktiengesellschaft, S. 39; a.A. Nörr, ZHR 50, 158. 102 Rathenau, S. 8 ff., S. 41, der dort sogar bis zur Möglichkeit der Verstaatlichung geht, aber gleichzeitig betont, daß die Gesellschaft nur durch legislatorische Änderungen in ihrem Bestand angetastet werden darf. 103 Rathenau, S. 23 ff., S. 41. Rathenau will aber die Beherrschung der Gesellschaft durch eine Gruppe von Minderheitsaktionären vermeiden. 104 Rathenau, S. 13 ff.

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nicht 105 , auch wenn in der Folgezeit die gesellschaftspolitische Verantwortlichkeit der einzelnen Gesellschaft in den Vordergrund tritt 106 . 8. Die Nachkriegszeit Die Nachkriegszeit kann grob in drei zeitliche Abschnitte eingeteilt werden: 1918-1923 die Inflation, 1923 - 1929 das Einströmen von ausländischem Kapital, 1929 - 1932 die Wirtschaftskrise 107 . a. Die

Inflation

Die Inflationszeit 108 führte im Aktienrecht zu den mit den Schlagworten der »äußeren« und »inneren Überfremdung« 1 0 9 charakterisierten Phänomene. Durch die Inflationspreise in Deutschland wurden die hiesigen Aktien für die ausländischen Anleger interessant und daher vermehrt gekauft (äußere Uberfremdung) 110 . Dies brachte jedoch keine neue Kapitalzufuhr mit sich, derer die Unternehmen jedoch dringend bedurft hätten 111 . Ein Teil der späteren wirtschaftlichen Schwierigkeiten resultierte aus dieser durch die Kriegswirtschaft eingeleiteten und jetzt weiter geförderten Kapitalarmut 112 . Als innere Überfremdung wurde die Umschichtung der Eigentums- und Mehrheitsverhältnisse innerhalb der Gesellschaft bezeichnet, die zudem auf 105 Zu den H i n t e r g r ü n d e n der entsprechenden Theorien aufschlußreich Fischer, AcP 154, 106 ff.; Zöllner, Schranken, S. 72. 106 Insbesondere S. 60 f., dabei spricht Rathenau auf S. 61 davon, daß es nicht die alleinige Entschlußfassung durch die Aktionäre sein darf, die die Geschicke des U n t e r n e h m e n s bestimmt. Dies vor allem, weil das Interesse einiger Minderheitsaktionäre lediglich auf kurzfristige und nicht auf langfristige Ziele ausgerichtet ist. Damit w ü r d e zwar der Spekulationsgewinn ermöglicht, insgesamt aber die Gesellschaft und damit die Summe der Aktionäre geschädigt. 107 Einteilung nach Henning, S. 11 f., der noch weitere Charakteristika anführt; so auch Nörr, Z H R 150, 160; H ä u s e r in Europäische Bankengeschichte, S. 394. 108 Z u r Entwicklung der Inflation durch die Kriegsfinanzierung und die daraus resultierende versteckte Inflation der Kriegszeit: Pohl in Europäische Bankengeschichte, S. 233; Häuser in Europäischen Bankengeschichte, S. 396 f.; Noll von der Nahmer, S. 362 f. 109 Z u r Terminologie Fischer, AcP 154, 101; Assmann, G r o ß k o m m e n t a r , Einl. Rn. 131. 110 Müller-Erzbach, Entartung, S. 10; Nörr Z H R 150, 162. 111 Hachenburg in Verhandlungen, S. 45 f. 112 D e n n das satzungsmäßig festgelegte Kapital war bedingt durch den inflationären Wertverlust nicht mehr zur F ü h r u n g der Geschäfte ausreichend, Müller-Erzbach, Entartung, S. 9; z u d e m war durch die Reform der W ä h r u n g mit Hilfe der Rentenmark (die über Grundschulden gedeckt wurde) und deren spätere U b e r f ü h r u n g in die Reichsmark die durch die kriegsbedingte Vermögensvernichtung und Verarmung der Bevölkerung sowie die dadurch minimale Sparquote hervorgerufene - Kapitalarmut weiter verstärkt worden, Häuser in Europäische Bankengeschichte, S. 400 f.

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der inflationsbedingten Umschichtung der bisherigen Einkommensverhältnisse beruhte 1 1 3 . Die aktienrechtliche Reaktion auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten bestand in einer Absicherung der bisherigen Mehrheitsverhältnisse ohne Rücksicht auf die tatsächlich gegebenen Mehrheiten. Dies wurde unter anderem durch die Einführung von Mehrstimmaktien 1 1 4 , der Möglichkeit der Schaffung von Vorratsaktien 115 und des im Wege der Legitimationsübertragung entwickelten Depotstimmrechtes erreicht 116 . Im Gegenzug wurde der Schutz der Minderheit von zunehmender Wichtigkeit 1 1 7 . Hierbei kam die Frage nach der Treuepflicht des Aktionärs im Verhältnis zur Gesellschaft zur Sprache 118 , die später vom Reichsgericht mit dem Gemeinschaftsgedanken der NS-Ideologie verknüpft wurde 119 . Außerdem wurde die bereits eingeleitete Tendenz zur Verlagerung der Willensbildung weg von den Aktionären und hin zur Verwaltung 120 sowie die Verstärkung des Bankeneinflusses weiter potenziert 1 2 1 . Einige dieser Felder wurden bereits wegen der Änderung der zugrundeliegenden Verhältnisse dereguliert 122 , andere - wie der Minderheitenschutz - befinden sich gegenwärtig in der Diskussion, bei der man die Besonderheiten der Schaffung dieser Regelung nicht vergessen sollte. Weiterhin wurde die bereits vor dem Krieg und im Krieg geförderte Tendenz zur Konzernierung noch verstärkt 123 . Die Zusammenballung wirtschaftlicher Macht bei einzelnen Gesellschaften führte zum Ruf nach Reformen. Dabei spielte eine entscheidende Rolle, daß einzelne Aktiengesellschaften durch die in ihnen verkörperte gesellschaftspolitische und gesamtwirt-

Assmann, Großkommentar, Einl. Rn. 131; Noll von der Nahmer, S. 365. Müller-Erzbach, Entartung, S. 10. 115 Nörr, Z H R 150,162; Müller-Erzbach, Entartung, S. 13 f., der auch zu den damit verbundenen negativen Auswirkungen des Ausschlusses des Bezugsrechtes hinweist, der dazu führt, daß sich einige Aktionäre auf Grund des durch Inflation irrelevant gewordenen Nennwertes als Ausgabepreis auf Kosten der anderen Gesellschafter bereichern. Dieses Problem war umso dringender, als zu Zeiten der galoppierenden Inflation Aktien eine der wenigen noch halbwegs sicheren Anlagen waren. 116 R G Z 118, 330, 331; Nörr, Z H R 150, 164. 117 Nörr, Z H R 150,159. 118 In diesem Kontext beginnt auch die Entwicklungsgeschichte des heutigen §117 AktG; Nörr, Z H R 150,165 und Fn. 40. 1 1 9 R G Z 146, 71, 76. 120 Wiethölter, Aktiengesellschaft, S. 38. 121 Müller-Erzbach, Entartung, S. 7 f. 122 Die Mehrstimmrechte wurden in der Reform von 1937 bereits wieder abgeschafft, da die Überfremdung zu diesem Zeitpunkt schon keine Rolle mehr spielte. 123 Noll von der Nahmer, S. 366 ff.; aus ökonomischer Sicht dazu Petzina/Abelshauser in Industrielles System, S. 63. 113 114

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Deregulierung

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schaftliche Stellung den Bereich des Privatrechts zu sprengen drohten 1 2 4 . Die Entfremdung zwischen den Aktionären als privatrechtlichen Eigentümern und der Verwaltung als Leitung einer gesellschaftspolitischen Organisation wurde dadurch noch größer 1 2 5 . b. Das Einströmen ausländischen Kapitals Als im Jahre 1923 die Reparationszahlungen Deutschlands auf Grund der durch die hohe Inflation bedingten rückläufigen Leistungsfähigkeit und zusätzlich durch die Besetzung des Ruhrgebietes endgültig nicht mehr vollständig erbracht werden konnten 1 2 6 , wurde der Dawes-Plan in Kraft gesetzt 127 . Ziel des Dawes-Plans war es, die Leistungsfähigkeit Deutschlands wiederherzustellen und den dazu nötigen ausländischen Kapitalzufluß zu ordnen 1 2 8 . Voraussetzung dafür war die Sanierung der Staatsfinanzen und der Währung in Deutschland, sowie die Neuordnung der Reparationszahlungen 129 . Dies geschah wesentlich durch die Gründung der deutschen Rentenbank im Oktober 1923 und deren Umwandlung in die Reichsbank durch das Bankgesetz vom August 1924 1 3 0 und das damit verbundene Verbot des Reiches, weiterhin unbeschränkt Schatzanweisungen bei der Reichsbank diskontieren zu lassen 131 . Durch die damit verbundene Eindämmung der Inflation, mit bis zum Teil deflatorischen Tendenzen 1 3 2 , wandelte sich die Zuführung ausländischen Kapitals vom Aufkauf deutscher Werte zu einer echten Kredit- und damit Kapitalzufuhr 133 . Die Stabilisierung der Mark brachte jedoch zunächst eine Krise der Wirtschaft hervor, da das harte aber teuer gewordene Geld zum Teil zu Liquiditätsengpässen führte. Dies brachte eine Reihe von Zusammenbrüchen mit sich und zwang einige der übermäßig aufgeblähten Konzerne zur Verschlan124 Nörr, ZHR 150,156 ff.; dazu aufschlußreich Geiler, Beiträge, S. 598 ff., der im Wege der Anwendung der wirtschaftsrechtlichen Methode Eingriffe des Staates in die Gesellschaften zu legitimieren sucht; illustrativ ist die Beschreibung Ter Meers, S. 21 f., der chemischen Industrie, bei der er hervorhebt, wie relevant die Rücksichtnahme auf das »Gesamtinteresse« war. 125 Nörr, ZHR 150, 157; Müller-Erzbach, Entartung, S. 4, sieht in der Möglichkeit des Handels mit Aktien einen Umstand, der die Gesellschaft »seelenlos« werden läßt. 126 Ausführlich zu den politischen Implikationen, Schulz, Deutschland, S. 76 ff. 127 Henning, S. 83 ff. 128 Henning, S. 84. 129 Ausführlich dazu Henning, S. 83 ff. 130 Ausführlicher zur Entwicklung, Pohl, Bankengeschichte, S. 107 ff. 131 Henning, S. 79; ausführlich Häuser in Europäische Bankengeschichte, S. 401 ff. 132 Schulz, Deutschland, S. 80. 133 Henning, S. 90.

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2. Kapitel: Der Gläubiger-

und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

kung 1 3 4 . Andererseits wurden durch die Zufuhr neuen Kapitals und verstärkte Rationalisierung im Bereich der innovativen Industrie neue kapitalstarke Konzerngiganten geschaffen 135 , deren Aufbau steuerrechtlich und kartellrechtlich durch den Staat unterstützt wurde 1 3 6 . Die Relikte dieser Förderung bestehen heute noch fort. Aktienrechtlich bringen diese Jahre wenig Veränderungen. Lediglich ein Mindestnennbetrag wird durch die Goldbilanzverordnung von 1923 eingeführt 1 3 7 . Die stets weitergeführte Reformdebatte hat zu dieser Zeit vor allem das Auseinanderklaffen von Recht und Wirklichkeit zum Gegenstand 138 . Wegen der Suche nach US-amerikanischen und englischen Kapitalgebern wurde eine Angleichung des deutschen Rechts an diesen Rechtskreis verstärkt diskutiert 1 3 9 . Bereits damals zeigt sich mithin die Abhängigkeit der Rechtsentwicklung von den Umfeldbedingungen, die eine Anpassung des Rechtssystems an die Kapitalgeber fordert. Dennoch beginnt nunmehr der Anleger als schutzbedürftige Institution im Bewußtsein der beteiligten Kreise in den Hintergrund zu treten. Denn die meist ausländischen Anleger wurden zwar dringend gebraucht, wurden vom deutschen Gesetzgeber aber wohl auch wegen ihrer übergroßen Marktmacht nicht als schützenswert angesehen. Schutz verdienten vor allem die deutschen Beteiligten und damit nur noch ein geringer und ohnedies vermögender Anlegerkreis. Dies wird deutlich in der Regulierungstätigkeit des Gesetzgebers in Bezug auf die verschiedenen Anlegergruppen. Prägnantestes Beispiel ist die Einführung der Mehrstimmrechte zum Schutz vor Überfremdung.

134 Schulz, Deutschland, S. 80, der auch als Beispiel den »Konzern der 3.000 Unternehmen«, den Stinnes Konzern, anführt. Dieser umfaßte 2888 Gesellschaften! Er löste sich nach der Währungsreform innerhalb von 2 Jahren auf. 135 So entstanden in dieser Zeit die I.G. Farben, Ter Meer, S. 22 ff., und die Vereinigten Stahlwerke, Schulz, Deutschland, S. 82 f.; weitere Beispiele bei Spindler, S. 96 ff.; 1927 entfielen 61,5 % des Nominalkapitals aller Aktiengesellschaften auf organisierte Gesellschaften: Dascher in Industrielles System, S. 128. 136 Assmann in Großkommentar, Einl. Rn. 135; ausführlicher dazu Flechtheim in Verhandlungen, S. 10 ff. 137 Hommelhoff in Schubert/Hommelhoff, 100 Jahre, S. 82; zur geschichtlichen Entwicklung des Mindestnennkapitals RegE, Kropff, Dokumente, S. 22. 138 Assmann in Großkommentar, Einl. Rn. 129; informativ zu den diesbezüglichen Detailfragen: Flechtheim in Verhandlungen, S. 6 ff. sowie Geiler in Verhandlungen, S. 52 und Buchwald in Verhandlungen, S. 89 ff. 139 Nörr, Z H R 150,165.

A. Gäubigerscbutz, c. Die

Anlegerschutz und

Deregulierung

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Wirtschaftskrise

D i e W i r t s c h a f t s k r i s e läßt sich in D e u t s c h l a n d v o r allem auf folgende U r s a chen z u r ü c k f ü h r e n : D e r V e r b r a u c h der B e v ö l k e r u n g ging ab 1 9 2 8 z u r ü c k , die Industriekapazitäten w u r d e n hingegen weiter ausgebaut, was zu erheblichen U b e r k a p a z i t ä t e n f ü h r t e 1 4 0 . D i e Verringerung der N e t t o i n v e s t i t i o n e n in Verb i n d u n g mit der unbefriedigenden K a p i t a l a u s n u t z u n g b r a c h t e n eine R e d u z i e rung der E i n k o m m e n mit sich, die ihrerseits die N a c h f r a g e weiter sinken l i e ß 1 4 1 . Verstärkt w u r d e die E n t w i c k l u n g dieser sich abwärts b e w e g e n d e n Spirale v o r allem durch zwei F a k t o r e n : Z u m einen d u r c h die mit d e m S c h l a g w o r t des » S c h w a r z e n F r e i t a g « v e r b u n d e n e W e l t w i r t s c h a f t s k r i s e 1 4 2 , die es u n m ö g lich m a c h t e , die im Inland stagnierende N a c h f r a g e durch den E x p o r t auszugleichen; und z u m anderen durch den, nicht nur zufällig mit dem Wahlsieg der N a t i o n a l s o z i a l i s t e n zusammenfallenden, A b z u g der ausländischen K r e d i t e 1 4 3 . E i n e n nicht u n e r h e b l i c h e n A n t e i l an der W i r t s c h a f t s k r i s e hatte auch die durch die Instabilität der B a n k e n verursachte B a n k e n k r i s e 1 4 4 . D e m mit der Schließ u n g der B ö r s e n einhergehenden Vertrauensverlust in die

Aktiengesell-

s c h a f t 1 4 5 - und damit einer weiteren negativen B e l a s t u n g der A k t i e als A n l a g e f o r m im B e w u ß t s e i n der B e v ö l k e r u n g - versuchte der G e s e t z g e b e r mit einer R e f o r m des A k t i e n r e c h t s entgegenzutreten. D a sich diese R e f o r m bedingt durch die politischen G e g e b e n h e i t e n nicht im o r d e n t l i c h e n G e s e t z g e b u n g s verfahren realisieren ließ, erfolgt sie 1931 im W e g e der N o t v e r o r d n u n g . D i e ses Verfahren und die angespannte wirtschaftliche Lage der Aktiengesellschaften b r a c h t e es mit sich, daß sich die Ä n d e r u n g e n auf die u n u m g ä n g l i c h e n Schwachstellen b e s c h r ä n k t e n 1 4 6 . V o r allem w u r d e die Pflichtrevision des Jahresabschlusses der A k t i e n g e sellschaft eingeführt, § § 2 6 2 a ff. A k t G , und die Publizität erweitert, damit Beispielhaft dafür Ter Meer, S. 77 f., für die I.G. Farben. Ausführlich dazu Henning, S. 102 ff.; Noll von der Nahmer, S. 384 f. 142 Dazu aus US-amerikanischer Sicht Galbraith, The Great Crash 1929; zur Wirtschaftsverflechtung Deutschlands bereits vor dem Krieg Noll von der Nahmer, S. 354 f. 143 Assmann in Großkommentar, Einl. Rn. 136; Häuser in Europäische Bankengeschichte, S. 406, der aber auch darauf hinweist, daß der Abzug der Kredite ebenfalls damit verbunden war, daß das Geld bedingt durch die Wirtschaftskrise in den jeweiligen Herkunftsländern gebraucht wurde, S. 405, sowie Noll von der Nahmer, S. 374 ff.; mit weiterem Zahlenmaterial dazu auch Fischer in Industrielles System, S. 26 ff. insb. S. 46. 144 Henning, S. 97 ff.; Pohl, Bankengeschichte, S. 91 ff.; Borchardt, S. 65; Obst/Hintner, S. 190 f.; Noll von der Nahmer, S. 378 ff.; zu den ökonomischen Hintergründen Petzina/ Abelhauser in Industrielles System, S. 62. 145 Nörr, ZHR 150, 166. 146 Assmann in Großkommentar, Einl. Rn. 137 ff.; Wiedemann, GesR I, S. 30 f.; Wiethölter, Aktiengesellschaft, S. 44 f.; Nörr, ZHR 150, 166; zum Wirken Hachenburgs bei dieser Reform: Schilling in Schubert/Hommelhoff, Aktienrechtsreform, S. 3 ff. 140 141

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2. Kapitel: Der Gläubiger-

und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

eine bessere Information der betroffenen Kreise über die Lage der Gesellschaft möglich wurde, §§ 260 ff. AktG 1 4 7 . Weiterhin wurde Folgendes revidiert: Der Erwerb eigener Aktien war nur noch zulässig zur Abwendung eines schweren Schadens von der Gesellschaft, § 226 AktG, als Voraussetzung der Einziehung eigener Aktien, § 2 2 7 AktG, und bei Verstößen gegen die Ersatzpflicht, § 2 2 7 a AktG. Das Auskunftsrecht des Aufsichtsrates wurde erweitert, z.B. auf Konzernbeziehungen, § 2 4 6 Abs. 1 S. 3 AktG, und durch eine Unterrichtspflicht ergänzt, § 2 3 9 a AktG; jedes Aufsichtsratsmitglied durfte nunmehr dessen Einberufung verlangen, §244 a AktG. Die Entscheidungskompetenz der Generalversammlung wurde auf die Gewinn- und Verlustrechnung erstreckt, § 260 AktG. Das Kreditgeschäft der Gesellschaft mit Mitgliedern eines Organs wurde geregelt, § 240 a AktG, und es wurden ergänzende Vorschriften zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Organmitglieder geschaffen, §§ 268, 269 AktG. Ziel der Reform war also nach wie vor nicht der Gläubiger, sondern - trotz der Überfremdung - der Anleger, dessen Vertrauensverlust durch die Weltwirtschaftskrise entgegengewirkt werden sollte. Dies war notwendig, weil sein nicht durch die BGB-Institute (Bürgschaft, Pfandrecht usw.) sicherbares Eigenkapital für das Fortbestehen der Aktiengesellschaft als wirtschaftlich notwendige Kapitalsammelstelle unverzichtbar war. Durch eine weitere Notverordnung vom 6.10.1931 wurde die Kapitalherabsetzung in erleichterter Form gestattet. 9. Die Entwicklung in der Zeit des Nationalsozialismus Die Entwicklung unter der nationalsozialistischen Ägide ist in die Zeit vor (1933 - 1938) und nach Kriegsausbruch (1939-1945) zu unterteilen 148 . Die Wirtschaftspolitik des Nationalsozialismus bis Kriegsbeginn ist einer einheitlichen Beurteilung nicht zugänglich 149 . Insgesamt erscheint sie als Konglomerat improvisierter Antworten auf vorgefundene Situationen. Diese im deutlichen Gegensatz zu dem sonst vorherrschenden Anspruch auf eine straff organisierte, hierarchische Ordnung stehende Vorgehensweise auf einem der entscheidensten Sektoren der Politik mag auf den ersten Blick verwundern, ist aber die unweigerliche Folge antagonistischer Zielvorgaben 150 .

147 Wiedemann, GesR I, S. 31; ausführlich zu den Hintergründen der erweiterten Publizität Nörr, Z H R 150,166 ff. 148 Häuser in Europäische Bankengeschichte, S. 394. 149 Gleiches gilt für die Börsenpolitik Bremer, S. 39 ff. 150 Henning, S. 144 ff.

A. Gäubigerschutz,

Anlegerschutz

und

Deregulierung

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Einerseits sollte das Führerprinzip auch in der Wirtschaft verwirklicht werden 1 5 1 . Zu diesem Zweck wurde unter anderem die Organisation der verschiedenen Wirtschaftszweige in Verbänden angestrebt, deren Führer nicht demokratisch gewählt, sondern vom Reichswirtschaftsminister bestellt wurden 152 . Weiterhin sollte sozialer Friede geschaffen werden und zwar vor allem über die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung. Die Erreichung dieser Ziele war nicht ohne dirigistische Eingriffe in die Wirtschaftsordnung möglich 153 . Andererseits sollte die Industrie weitgehend von Vorgaben freigehalten werden, weil nur so deren finanzielle Hilfe und die Absicherung der Aufrüstung zu erwarten war 154 . Dazu kommt, daß das eigentliche Ziel Hitlers nicht die Erschaffung eines neuen Wirtschafts- und Sozialsystems war, sondern die Ausdehnung der Macht, so daß es unter ideologischen Gesichtspunkten auf ein in sich geschlossenes Gesamtsystem nicht in diesem Maße ankam 155 . Die mangelnde Konsequenz in der Wirtschaftspolitik wirkt sich auch in der Rechtspolitik aus. N u r so ist zu erklären, daß an sich gewünschte Änderungen des Rechtssystems - zum Beispiel die N e u o r d n u n g des deutschen Gesellschaftsrechts mit der Eingliederung aller Gesellschaftsformen in eine einzige 156 - aus Praktikabilitätsgründen unterblieben und politische Vorgaben durch Einzelverträge mit der Industrie erreicht werden sollten 157 . Im Hinblick auf das Aktienrecht ist diese Entwicklung insbesondere f ü r die Reform von 1937 ausschlaggebend 158 . Während vom nationalsozialistischen Leitbild her eine Reform im Sinne der Ideologie zunächst gefordert und wegen der mangelnden Erfolge der eingesetzten Kommissionen dann die Gesamtreform in Frage gestellt wurde, setzte sich im Endeffekt doch - nicht zuletzt im Interesse der dringend gebrauchten Industrie - eine noch weitgehend auf den Ideen der Weimarer Republik basierende, praxisnahe Lösung durch 1 5 9 . Der Wendepunkt war die Rede des damaligen Reichsbankpräsidenten Schacht vor der Vollversammlung der Akademie des Deutschen

151

Zu den prinzipiellen Vorstellungen über die nationalsozialistische Wirtschaft: Böhm, O r d n u n g der Wirtschaft, S. 75 ff. 152 Henning, S. 145. 153 Henning, S. 147. 154 Henning, S. 142. 155 Henning, S. 148; ähnlich Häuser in Europäische Bankengeschichte, S. 410. 156 Fischer, AcP 154, 108. 157 So w u r d e durch Preis- und Abnahmegarantien das Recht zur U b e r p r ü f u n g der u n ternehmensinternen Kalkulationen erkauft. Dies f ü h r t e zu einer de facto-Unterstellung der Industrie unter den Staat, Schulz, Deutschland, S. 160; dazu auch Borchardt, S. 68. 158 D a z u Raisch, Unternehmensrecht, S. 33 ff. 159 Wiedemann, GesR I, S. 31; Dippel, D R i Z 1965, 353 f.; Wilhelmi, A G 1965, 153.

90

2. Kapitel: Der Gläubiger-

und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

Rechts 1 6 0 , in der dieser im Interesse der für jede Wirtschaft erforderlichen Kapitalaufbringung verlangte, daß das Aktienrecht Gründung und Leben der Aktiengesellschaft nicht unnötig erschwerte 1 6 1 . So votierte er insbesondere gegen die von den Nationalsozialisten als wünschenswert angesehene weitere Ausdehnung des Führerprinzips 1 6 2 und die ebenfalls von diesen angestrebte Abschaffung der Anonymität der Aktie 1 6 3 . Letztendlich bestimmte so die für die Wirtschaftsentwicklung notwendige Kapitalsammelfunktion des Aktienrechts den Reformumfang. Damit steht auch hier wiederum der Anlegerschutz und nicht der Gläubigerschutz im Mittelpunkt der Diskussion. Insgesamt kam es zu folgenden Änderungen durch die Reform von 1937 1 6 4 : Die Stellung des Vorstandes wurde verstärkt. Er leitete die Gesellschaft nunmehr »in eigener Verantwortung ... so ..., wie dies das Wohl des Betriebes und seiner Gefolgschaft und der gemeine Nutzen von Volk und Reich fordern«, § 70 Abs. 1 AktG. Abgesehen von der Terminologie stimmte die Ausdehnung der Macht des Vorstandes dabei allerdings weitgehend mit der schon vor der Reform praktizierten Vorgehensweise überein 1 6 5 . Entsprechend dazu wurde die Stellung von Hauptversammlung (früher Generalversammlung), §§ 102 ff. AktG, und Aufsichtsrat, §§ 86 ff. AktG, geschwächt. Ihr Recht auf Erteilung von Einzelweisungen bezüglich der Geschäftsführung entfiel 166 . Der Aufsichtsrat ist nunmehr endgültig lediglich Kontrollorgan geworden. Eigenständige Aufgabenzuweisungen an ihn waren nicht mehr möglich 1 6 7 . Als Korrelat dazu wurde die Verantwortlichkeit des Vorstandes und des Aufsichtsrates verschärft, §§ 84, 99 AktG. Neu ins Gesetz aufgenommen wurde die Schadensersatzpflicht Dritter bei unrechtmäßiger Einflußnahme, §101 AktG 1 6 8 . Die Mehrstimmaktien wurden abgeschafft, § 12 Abs. 2 AktG. Ausführlich geregelt wurden die Rechnungslegung, §§ 125 ff. A k t G und die Fragen der Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen, §§ 195 ff AktG. Eine Regelung des Konzernrechts unterblieb. 160 Die Rede wurde unter dem Titel: Schacht, Die deutsche Aktienrechtsreform, veröffentlicht. 161 Schacht, Aktienrechtsreform, S. 9. 162 Schacht, Aktienrechtsreform, S. 13 ff.; das »Führerprinzip« im Sinne der Stärkung der Verwaltung war ohnedies schon stark ausgeprägt im Aktienrecht Fischer, AcP 154, 206. 163 Schacht, Aktienrechtsreform, S. 19 ff. 164 Formal ist zu beachten, daß die Vorschriften über die Aktiengesellschaften aus dem H G B gelöst wurden und in einem eigenständigen Aktiengesetz zusammengefaßt wurden. 165 Zöllner in KölnKom, Einl. Rn. 68; Raiser, Kapitalgesellschaften, §2 Rn. 5; Wiedemann, GesR I, S. 30; Fischer, AcP 154, 106 f.; Gessler, AG 1965, 344 f. 166 Eckardt, N J W 1959, 9; Schmidt, Beiträge, S. 42 f. 167 Siehe insbesondere § 95. 168 Der Text des Aktiengesetzes von 1937 ist abgedruckt bei Kropff, Dokumente, S. 581 ff.

A. Gäubigerschutz,

Anlegerschutz

und

Deregulierung

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Die Kriegswirtschaft zeichnete sich vor allem durch die Förderung der Rüstungsindustrie aus. Dabei konnte Deutschland bis 1941 durch die vor Kriegsbeginn getroffenen Vorkehrungen mit einer nur geringen Beeinträchtigung der Verbrauchsgüterindustrie auskommen. Erst ab 1941 waren die Verluste so groß, daß die Rüstungsgüter auf Kosten des zivilen Bedarfs produziert werden mußten 169 . Aktienrechtlich bedeutende Änderungen ergaben sich in diesen Jahren nicht. Es wurden zwar eine Vielzahl von Verordnungen erlassen, die auch Einfluß auf das Aktienrecht hatten 170 . Sie dienten aber weitgehend dem Zweck, die Wirtschaft bedingt durch die Konzentration auf die Rüstung einer Planwirtschaft anzunähern und verloren mit Kriegsende ihre Bedeutung 171 . 10. Die Zeit ab dem Ende des Zweiten Weltkrieges Die Zeit ab dem durch die Kapitulation Deutschlands am 8. Mai 1945172 bestimmten Ende des zweiten Weltkrieges läßt sich in 5 Phasen aufteilen: die unmittelbare Nachkriegszeit von 1945 -1949; die Zeit des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders 1949 - 1960; die Zeit der Vollbeschäftigung 1961 — 1967; die Zeit ab der ersten Rezession verbunden mit der Instabilität des internationalen Währungssystems 1968 - 1973 und die Zeit des begrenzten Wachstums seit 1973173. a. Die unmittelbare

Nachkriegszeit

Die unmittelbare Nachkriegszeit brachte schwerwiegende faktische Eingriffe in die deutsche Industrie mit sich. Neben der Aufteilung Deutschlands in verschiedene Besatzungszonen, die die großen Konzerne zumindest ihre in der späteren D D R liegenden Industrieanlagen auf damals unabsehbare Dauer verlieren ließ, kam es in den drei westlichen Zonen zur Demontage zum Zwecke der Reparationszahlungen, deren Wert bis zu ihrem Ende 1951 bei 5 Mrd. D M lag174. Zudem waren die Produktionskapazitäten durch Kriegszerstörungen

169

Henning, S. 178. So ergaben sich vor allem schwerwiegende Eingriffe in die Börsen u n d die Ausschüttungsmöglichkeiten bestimmter G r u p p e n von Aktiengesellschaften Bremer, S. 42 ff. 171 Henning, S. 147; Assmann in G r o ß k o m m e n t a r , Einl. Rn. 171. 172 Weiß, Geschichte, S. 429; die verschiedenen Phasen der Kapitulation sind dargestellt bei: Schulz, Deutschland, S. 224 f. 173 Einteilung nach Henning, S. 190 f.; ausführlich unter Heranziehung der Zahlen des Sozialprodukts: Ambrosius, Geschichte, S. 11 ff. 174 Henning,S. 188 f. 170

92

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

gemindert 175 . Die vorhanden Kapazitäten konnten nur zum Teil ausgeschöpft werden, da die Versorgung mit Rohstoffen und Halbfertigprodukten aus dem Ausland stockte und noch Arbeitskräftemangel herrschte 176 . Dazu kam die Entnazifizierung 1 7 7 . Weiterhin ordneten die Alliierten Einschränkungen bezüglich der verschiedenen Industrien an. So wurden ganze Industriezweige verboten wie zum Beispiel die Werftindustrie; für andere wurden Produktionsbeschränkungen verfügt 1 7 8 . In rechtlicher Hinsicht war für diesen Zeitraum vor allem die Dekartellierungs- und Entflechtungspolitik maßgebend 1 7 9 . Diese wurde durch den alliierten Kontrollrat durchgeführt, der formell vom 30.8.1945 bis zum 20.3.1948 Inhaber der Regierungsgewalt in Deutschland war. Seine Kontrollratsgesetze stellten den Kern der Rechtsordnung dar 180 . b. Die Zeit des Wiederaufbaus

und des

Wirtschaftswunders

Die Zeit des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders von 1949 - 1960 ist gekennzeichnet von einem wirtschaftlichen Aufschwung unvorhergesehener Stärke (deshalb Wirtschaftswunder) 1 8 1 . Dieser wurde möglich zum einen durch die N e u o r d n u n g der Währung und zum anderen durch die Kapitalzufuhr aus dem Ausland im Rahmen des Marshall-Planes 182 . Zur Absicherung und Erhaltung des durch die Dekartellierung vorbereiteten freien Wettbewerbs erging im Juli 1957 das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in seiner ersten Fassung. In diesen Zeitraum fällt auch der Beginn der Europäischen Gemeinschaft durch die Unterzeichnung des Vertrags über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft am 23.3.1957 183 . 175

Zahlenmaterial bei Erdmann, S. 164 ff. Henning, S. 192; zu den N ü r n b e r g e r Prozessen gegen Industrielle: Erdmann, S. 106 ff. 177 Dazu Erdmann, S. 112 mit Zahlenangaben. 178 Erdmann, S. 166. 179 Erdmann, S. 168; so w u r d e n z.B. die drei G r o ß b a n k e n - Deutsche Bank, Dresdner Bank, C o m m e r z b a n k - aufgelöst u n d in Teilinstitute ohne Rechtsform gespalten. U b e r die G r ü n d u n g von Regionalbanken 1952 w u r d e der Weg geebnet zur Wiedervereinigung der Nachfolgeinstitute, die erst 1957 erfolgte, Obst/Hintner, S. 191 f.; ausführliches Material zur Entflechtung der I.G. Farben findet sich bei Gross, Material zur Aufteilung der I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft; D o k u m e n t e zur Entflechtung in Bezug auf die H o e c h s t - A G bei Trouet, Teil I und II. 180 Henning S. 188; Erdmann, S. 36 ff.; Weiß, Geschichte, S. 429; ausführlicher zur Gesetzgebungsstruktur und den faktischen Möglichkeiten des alliierten Kontrollrats: Benz, Geschichte, S. 23 ff. sowie Hege, Geschichte, S. 182 ff. 181 Zahlen dazu bei Henning, S. 193 ff. 182 Henning, S. 198. 183 Ausführlich dazu Bleckmann, Rn. 2 ff. 176

A. Gäubigerschutz,

Anlegerschutz

und

Deregulierung

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Aktienrechtlich zeigt sich erneut das Auseinanderdriften von Recht und Wirklichkeit, insbesondere im Hinblick auf die Konzerne 1 8 4 und die A u f sichtsräte 1 8 5 . Das ist aber vernachlässigbar im Verhältnis zu dem entscheidenden Einschnitt, der sich nun vollzieht: Die soziale Marktwirtschaft entwickelt sich und wird durch die unterschiedlichsten Gesetze untermauert 1 8 6 , zu denen u.a. das MontanmitbestGesetz und das BetriebsverfassungsGesetz von 1952 gehören. Die bereits mit dem Ständewesen angelegte und mit der Sozialgesetzgebung des Kaiserreichs fortgeführte paternalistische Fürsorgementalität 1 8 7 des Staates wird weiterentwickelt zu einer Versorgungsfunktion, die einer »unternehmerisch-privatkapitalistischen« Selbstbestimmung der Bürger und damit auch einer eigenständischen Vorsorge der Gläubiger, kritisch gegenübersteht 1 8 8 . Dazu tritt die Kapitalarmut in der Bevölkerung, die eine Eigenfinanzierung der Unternehmen durch breit gestreute Kapitalsammlung unmöglich werden läßt 1 8 9 . In diese Finanzierungslücke treten die Universalbanken ein und z w a r vor allem als Darlehensgeber und somit Gläubiger 1 9 0 . Rechtspolitisch ist zu diesem Zeitpunkt mithin sowohl durch die allgemeine Entwicklung z u m Versorgerstaat als auch durch die wirtschaftliche Bedeutungslosigkeit der Anleger endgültig der Wendepunkt erreicht. Im Fordergrund der gesellschaftsrechtlichen Fragestellung stehen ab jetzt für die nächsten Jahrzehnte fast ausschließlich die Gläubiger 1 9 1 . Es entsteht ein »Gläubigerschutzmythos«, der bis in die heutige Zeit wirtschaftlich-rationale A r g u mente vielfach unterdrückt 1 9 2 . N u r so ist zu erklären, daß ursprüngliche vorwiegend anlegerschützend gedachte N o r m k o m p l e x e wie die mit dem M i n destnennkapital verbundene Kapitalerhaltung und -aufbringung heute als Eckpfeiler des Gläubigerschutzes betrachtet werden, obwohl dies ökonomisch noch nicht einmal sinnvoll ist.

M i t S t e l l u n g n a h m e n des 39. D e u t s c h e n J u r i s t e n t a g e s d a z u Köhler, J Z 1956, 135 ff. Assmann in G r o ß k o m m e n t a r , Einl. R n . 175. 186 Brüggemeier II, 294 ff.; i m e i n z e l n e n Henning, S. 201 ff.; Hege, G e s c h i c h t e , S. 185 ff. 187 Wiethölter, G m b H - R e f o r m , S. 16. 1 8 8 A h n l i c h Bauer, S. 92 f., d e r a l l e r d i n g s k e i n e z e i t l i c h e n Z u o r d n u n g e n seit d e m B e g i n n der S o z i a l g e s e t z g e b u n g m a c h t . W i e sich a u s d e m ab 6. A u s g e f ü h r t e n e r g i b t , w a r H a u p t z i e l bis d a h i n d e r A n l e g e r s c h u t z . Erst d i e neu h i n z u t r e t e n d e K a p i t a l a r m u t z u s a m m e n m i t d e m immer stärker ausgeprägten Schutzgedanken führt den »Kippeffekt« herbei. 189 Schmitz, C o p o r a t e G o v e r n a n c e , S. 234. 190 Schmitz, C o p o r a t e G o v e r n a n c e , S. 234; Landgraf, H a n d e l s b l a t t v o m 10.8.1994 i m Gespräch mit Wolfgang Schröter von Salomon Brothers International. 191 E n t s p r e c h e n d tritt die K a p i t a l s a m m e i f u n k t i o n in d e n H i n t e r g r u n d : Walz in FS Kübler, S. 562. 192 Bauer, S. 92 f. 184 185

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2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

Diese Entwicklung zeigt einmal mehr, daß nur bei einer Überprüfung der Gewichtung von Gläubiger- und Anlegerschutz eine sinnvolle Reform des Kapitalgesellschaftsrechts erfolgen kann. c. Die Zeit der

Vollbeschäftigung

Die Zeit der Vollbeschäftigung 1961 - 1967 ist politisch durch den Bau der Berliner Mauer 1961 geprägt, die den Zustrom von Arbeitskräften aus den ostdeutschen Gebieten abschnitt und zur verstärkten Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften führte 1 9 3 . Die Vollbeschäftigung und das wirtschaftliche Wachstum sorgten für eine Steigerung des Einkommens und damit auch des Wohlstandes der breiten Massen 194 . Die aktienrechtliche Konsequenz, vor allem aus der Steigerung des verfügbaren Einkommens, war der Wunsch nach einer Wiederbelebung des Kapitalmarktes 195 , der durch den zweiten Weltkrieg und die Konzentration des Wiederaufbaus auf das Mittel der Selbstfinanzierung weitgehend zum Erliegen gekommen war 196 . Dem diente die kleine Aktienrechtsreform von 1959, die aus dem Reformentwurf von 195 8 die als besonders dringlich erachteten Punkte herausgriff 197 . So wurde insbesondere die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln für zulässig erklärt 198 mit dem Ziel, das Angebot an Aktien zu erhöhen, die überhöhten Aktienkurse zu drücken und die Festsetzung von sachgerechten Dividenden zu ermöglichen 199 . Während die Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln in der Folgezeit von den Unternehmen in größerem Umfang genutzt wurde, wurde die H o f f n u n g auf eine Belebung des Kapitalmarktes enttäuscht, da die Großunternehmen mit im Streubesitz stehenden Aktien die durch die Gesetzesänderung gebotenen Möglichkeiten nicht wahrnahmen 2 0 0 . Die Reform zielte diesmal somit nicht auf eine Verbesserung des Anlegerschutzes, wie in früheren Zeiten, sondern versuchte den nicht mehr vorhandenen Aktienmarkt durch flankierende Maßnahmen wieder interessant zu ma193 Henning, S. 196 f.; Esser, Geschichte, S. 329 ff.; Zahlenmaterial bei Erdmann, S. 366 ff. 194 Henning,S. 197. 195 Fischer in G r o ß k o m m e n t a r (2. Aufl.), 2. Band, Anh. I A n m . 2; Bericht D B 1958, 1180 f. 196 Wilhelmi, A G 1965, 153; Hasselmann, S. 41; ausführlich zu den Folgen der dirigistischen Politik des 3. Reiches auf diesem Sektor Häuser in Europäische Bankengeschichte, S. 412 f. 197 Mayer-Landrut in G r o ß k o m m e n t a r (3. Aufl.), Einleitung I 2 f). 198 Z u r historischen Entwicklung dieser F o r m der Kapitalerhöhung Wilhelmi/Friedrich in Godin/Wilhelmi, Nachtrag, § 1 A n m . 1. 199 Fischer in G r o ß k o m m e n t a r (2. Aufl.), 2. Band, Anh. I A n m . 2. 200 Fischer in G r o ß k o m m e n t a r (2. Aufl.), 2. Band, Anh. I A n m . 3.

A. Gäubigerschutz,

Anlegerschutz

und

Deregulierung

95

chen. Es zeigt sich mithin, daß der zweite Weltkrieg mit seinen wirtschaftlichen Folgen, der eigentliche Einschnitt im Bewußtsein bezüglich der Aktie als Anlageinstrument war. Das - wenn auch nur kurzzeitige - Zurücktreten der Kapitalsammelfunktion verbunden mit der staatlichen Vollfürsorge und den alten Ressentiments gegen Aktien als Anlageobjekt hat den vorher zwar mit Mißbräuchen lebenden, aber insgesamt funktionsfähigen Aktienmarkt zum Erliegen gebracht. Seine Belebung und nicht mehr die Mißbrauchsvorsorge zu Gunsten der spärlichen Anleger ist seitdem Reformziel. 1965 erfolgte dann die eigentliche Aktienrechtsreform. Der späte Zeitpunkt der Reform zeigt, daß das Aktiengesetz von 1937 sich in den großen Zügen bewährt hatte 201 . Entsprechend konzentrierten sich die Reformfragen auf das in diesem Gesetz nicht geregelte Verhältnis der verbundenen Unternehmen zueinander sowie auf die bessere Einfügung des Aktienrechts in die nunmehr bestehende soziale Marktwirtschaft 2 0 2 . Dazu gehörte auch die Fortführung der mit der Novelle von 1959 nicht gelungenen stärkeren Heranführung der Aktiengesellschaften an den Kapitalmarkt, um dadurch die Popularisierung der Aktie zu erreichen 203 . An eine völlige Neustrukturierung des Aktienrechts wurde aber nicht gedacht 204 . Im Einzelnen kam es zu folgenden Änderungen: Die Stellung des Aktionärs wurde der sozialen Marktwirtschaft angepaßt 2 0 5 . Das bedeutete, daß das wirtschaftliche Eigentum des Aktionärs vom Gesetz respektiert werden mußte 2 0 6 . Daraus folgte, daß seine Mitspracheund Kontrollrechte nur so weit eingeschränkt werden durften, wie es die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft verlangte 207 , wobei der Gesetzgeber bei

Mayer-Landrut in Großkommentar, (3. Aufl.), Einl. I 2 d); Dippel, D R i Z 1965, 353; Wilhelmi, A G 1965, 153; Hengeler/Kreifels, Beiträge, S. 11, sind sogar gegen eine Reform zum damaligen Zeitpunkt. 2 0 2 RegE, Kropff, Dokumente, S. 14; Schäffer (damaliger Justizminister), B B 1958,1253; Mayer-Landrut in Großkommentar, (3. Aufl.), Einl. II; Strauss, Grundlagen, S. 4. 2 0 3 RegE, Kropff, Dokumente, S. 14; Schäffer (damaliger Justizminister), B B 1958,1253; Dippel, D R i Z 1965, 356; Gessler, A G 1965, 344; Wilhelmi, A G 1965, 153; Stammberger in Aktienrechtsreform, S. 15 f., 22; Hengeler/Kreifels, Beiträge, S. 12; Reinicke, Beiträge, S. 117; mit interessantem Material dazu Strauss, Grundlagen, S. 9 ff.; zu der Diskrepanz zwischen gewähltem Regelungsansatz und dem Regelungsziel: Mülbert, Aktie, S. 62 ff. 204 Friedrich-Ebert-Stiftung, Aktuelle Beiträge, S. 9 f.; zu den vereinzelten Verfechtern einer solchen These siehe die Hinweise bei Dippel, D R i Z 1965, 353. 2 0 5 Begründung RegE, Kropff, Dokumente, S. 14; dazu: Mülbert, Aktie, S. 62 f. 2 0 6 Differenzierend dazu Flume, Aktienrechtsreform, S. 9 f.; kritisch die FriedrichEbert-Stiftung, Aktuelle Beiträge, S. 14; zu den Problemen, die das im Hinblick auf die Mitbestimmung hervorruft: der Bericht von Köhler zum 39. Deutschen Juristentag, J Z 1956, 138; Rasch, Wege, S. 7. 2 0 7 RegE, Kropff, Dokumente, S. 14; zum Referentenentwurf: Reinicke, Beiträge, 201

96

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz im

Kapitalgesellschaftsrecht

dieser A b w ä g u n g wie auch sonst v o n dem Leitbild der g r o ß e n P u b l i k u m s g e sellschaft ausging 2 0 8 . D e s g l e i c h e n w u r d e die V e r w e n d u n g des B i l a n z g e w i n n s und die B i l d u n g v o n offenen und v e r d e c k t e n R ü c k l a g e n neu geregelt 2 0 9 . W e i terhin w u r d e zur Verbesserung der K o n t r o l l e durch die A k t i o n ä r e die B e richterstattungspflicht des Vorstandes gegenüber dem Aufsichtsrat erweitert u n d die A n f o r d e r u n g e n an das einzelne Aufsichtsratsmitglied ü b e r a r b e i t e t 2 1 0 . D i e Pflicht zur R e c h e n s c h a f t s l e g u n g der Gesellschaft gegenüber den A k tionären w u r d e durch neue Publizitätsvorschriften sowie ein erweitertes A u s k u n f t s r e c h t in der H a u p t v e r s a m m l u n g v e r s t ä r k t 2 1 1 . Gleichfalls d e m S c h u t z der E i g e n t ü m e r s t e l l u n g der A k t i o n ä r e diente die Verbesserung des M i n d e r h e i t e n s c h u t z e s 2 1 2 . S o w u r d e n insbesondere die A n f e c h t u n g s m ö g l i c h k e i t e n verbessert. D a s mit der A n f e c h t u n g v e r b u n d e n e P r o z e ß r i s i k o sollte durch die F e s t s e t z u n g eines relativ niedrigen Streitwertes für den A k t i o n ä r tragbar gestaltet w e r d e n 2 1 3 . D i e M ö g l i c h k e i t zur G e l t e n d m a c h u n g v o n Schadensersatzansprüchen gegen G r ü n d e r , Vorstand u n d A u f sichtsrat w u r d e ü b e r a r b e i t e t 2 1 4 . D a s D e p o t s t i m m r e c h t der B a n k e n w u r d e umgestaltet. D i e durch dieses I n stitut vermittelte M a c h t s t e l l u n g der B a n k e n sollte d u r c h die O f f e n l e g u n g der Stellvertretung z u m einen und den Z w a n g z u r Weisungseinholung z u m anderen b e s c h n i t t e n w e r d e n 2 1 5 .

S. 117 ff.; Schaff er, BB 1958,1256 f.; Eckhardt, NJW 1959,12 f.; Flame, Referentenentwurf, S. 1. 208 Flume, Referentenentwurf, S. 1; Schmidt, Beiträge, S. 43. 2 0 9 R e g E , K r o p f f , Dokumente, S. 15; Assmann in Großkommentar, Einl. Rn. 201; Rasch, Wege, S. 5 sowie ausführlich S. 14 ff.; mit Einzelangaben zu den Änderungen Mayer-Landrut in Großkommentar (3. Aufl.), Einl. II. 3. a) bb); zum Referentenentwurf Hengeler/ Kreifels, Beiträge, S.21 ff.; Barz, Beiträge, S.61 ff.; Eckardt, NJW 1959, 9 ff.; Schäfer, BB 1958, 1253 ff. 2 1 0 RegE, Kropff, Dokumente, S. 15; zum Referentenentwurf Flume, Referentenentwurf, S. 8 ff. 211 RegE, Kropff, Dokumente, S. 15; Rasch, Wege, S. 23 ff.; kritisch Flume, Aktienrechtsreform, S. 14 ff.; zum Referentenentwurf Flume, Referentenentwurf, S. 13 ff. 2 1 2 RegE, Kropff, Dokumente, S. 15. 213 RegE, Kropff, Dokumente, S. 16; zum Referentenentwurf Oppenhoff, Beiträge, S. 147 ff. 2 1 4 RegE, Kropff, Dokumente, § 147, S. 213 ff., der von einer Verbesserung der Stellung der Aktionäre ausgeht; a.A. Mayer-Landrut in Großkommentar (3. Aufl), Einl. II. 3. a) bb); kritisch Flume, Aktienrechtsreform, S. 17 ff., der die jetzt gefundene Lösung für unpraktikabel hält. 2 1 5 RegE, Kropff, Dokumente, S. 15 f.; zweifelnd zu den Motiven der Kritiker der bisherigen Lösung, Flume, Aktienrechtsreform, S 24 ff.; zum Referentenentwurf Möhring in Beiträge, S. 86 ff.; Schäfer, BB 1958, 1257.

A. Gäubigerscbutz,

Anlegerschutz

und

Deregulierung

97

Das Feld mit der größten Diskrepanz zwischen der tatsächlichen und der rechtlichen Lage war das Konzernrecht 216 . Hier war es Ziel der Reform, die faktischen Eingriffe des bisher noch nicht geregelten Konzernrechts mit dem auf die Einzelgesellschaft abstellenden Gesellschaftsrechts zu harmonisieren 217 . Zu diesem Zweck wurden der bereits vorhandene Definitionskatalog überarbeitet und dem Aktiengesetz ein drittes Buch mit speziellen Regelungen zu den Konzernrechtsverhältnissen angefügt 218 . Von besonderer Problematik war dabei die Stellung des faktischen Konzerns. Während §284 des Referentenentwurfs noch die Unzulässigkeit dieser Konzernform voraussetzte 219 und deshalb ein Schadensersatzanspruch bei Ausübung der Beherrschung festgeschrieben wurde 220 , kam dieses Konzept auf Grund der vorgetragenen Kritik 221 insbesondere von Flume 222 im Regierungsentwurf nicht mehr in dieser Schärfe zum Tragen 223 . Wie sich diese Kritik allerdings im Einzelnen auf den Regierungsentwurf ausgewirkt hat, ist nicht mehr aufklärbar, und damit ist auch das Telos der geltenden Vorschriften über den faktischen Konzern schwer ermittelbar 224 . Diese Reform zeigt im Vergleich zu den früheren wiederum deutlich den Bewußtseinswandel. Im Vordergrund steht zum einen die Belebung des Kapi-

216 Gessler in FS Schmidt, S. 248 sowie in Beiträge, S. 5; Fischer, AcP 154, 119 f.; Rasch, Wege, S. 42 ff.; insbesondere auch im Hinblick auf das Steuerrecht Mestmäcker, Verwaltung, S. 287 ff.; mit interessanten Zahlenbeispielen die Rede Huecks vor der Berliner J u ristischen Gesellschaft (= Hueck, Gedanken). 217 K r o p f f , N J W 1959,173; Schmidt, W., AG 1960, 32 warf die Frage auf, ob es für eine Reform überhaupt schon an der Zeit sei; in diesem Sinne äußert sich auch die Gemeinsame Denkschrift, S. 76 f., der Spitzenverbände der Wirtschaft. 218 Dazu: Boesebeck, BB 1959, 15 ff.; Rasch, BB 1959, 165 ff.; Würdinger, DB 1958, 1447 ff.; ders. in FS Schmidt, S. 282 ff. 219 D. h. die Verbindung zwischen den Unternehmen wurde als zulässig angesehen, aber eine Einflußnahme sollte unterbleiben, Gessler in FS Würdinger, S. 251; Schäffer (damals Justizminister) BB 1958, 1258 f.; Rasch, Wege, S. 41. 220 Begründung zu RefE §284, S.408; Assmann in Großkommentar, Einl. Rn. 194; Würdinger in FS Schmidt, S. 281; der Anstoß zu dieser Konstruktion geht wohl von dem Beitrag Schillings beim 42. Deutschen Juristentag aus, Verhandlungen S. F 39 f. 221 K r o p f f , N J W 1959, 177 f.; Gessler in FS Schmidt, S. 250 ff.; Hengeler/Kreifels, Beiträge, S. 39 f.; Rasch BB 1959,168 ff.; Rautmann in Beiträge, S. 192 ff.; Würdinger, DB 1958, 1447; ders. in FS Schmidt, S. 280 ff.; Gemeinsame Denkschrift, S. 78 f.; zusammenfassend Mayer-Landrut in Großkommentar (3. Aufl.). Einl. II.2.b) bb) sowie Schmidt W., AG 1960, 30 ff. 222 Flume, Referentenentwurf, S. 22 ff.; Flume DB 1959, S. 191 ff; weitere Zitate aus dem Handelsblatt von 1958 finden sich wörtlich abgedruckt bei Rasch BB 1959, 168. 223 RegE zu § 317, K r o p f f , Dokumente, S. 418 f.; Flume stimmt dem Regierungsentwurf dann weitgehend zu: Grundfragen, S. 43 sowie in Aktienrechtsreform, S. 74 f. 224 Assmann in Großkommentar, Einl. Rn. 194; Bälz in FS Raiser (70), S. 300 ff.; zu den Änderungen Flume in Aktienrechtsreform, S. 68 f.

98

2. Kapitel:

Der Gläubiger-

und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

talmarkts, zum anderen geht es vor allem im Konzernrecht neben dem Schutz der außenstehenden Aktionäre um die Absicherung der außenstehenden Gläubiger 2 2 5 . Anlegerschutz im Sinne des Mißbrauchs der Rechtsform steht überhaupt nicht mehr zu Debatte, sondern der Anlegerschutz w i r d lediglich im Sinne des Fürsorgegedankens als Sicherung gegen alle möglichen Eventualitäten verstanden. Folglich w i r d die Stellung des Anlegers innerhalb der Aktiengesellschaft ausgebaut und gesetzlich abgesichert. Die Fürsorgefunktion im Bewußtsein des Gesetzgebers führt bei der Reform somit zu einer möglichst ausdifferenzierten Regulierung der inneren Verhältnisse der Aktiengesellschaft, statt diese im Sinne der Eigenständigkeit und Mündigkeit der A k tionäre der Satzung zu überlassen. Es findet somit eine fortschreitende Regulierung statt, die das System sicher und zugleich unflexibel macht. d. Die Zeit ab der ersten Rezession und die Zeit des begrenzten

"Wachstums

Die Zeit ab der ersten Rezession verbunden mit der Instabilität des internationalen Währungssystems 1968 - 1973 sowie die Zeit des begrenzten Wachstums ab 1973 sind in wirtschaftlicher Hinsicht vor allem durch die mit der Rezession verbundenen Kurskorrekturen gekennzeichnet. So mußte vor allem die Geldentwertung gestoppt werden, die zu einer realen Gefahr des wirtschaftlichen Wachstums wurde 2 2 6 . Dies gelang erst durch die von Kanzler Helmut Schmidt 1982 erreichte Begrenzung der Staatsverschuldung 2 2 7 . Die für die 70er Jahre kennzeichnenden Ölkrisen beeinflußten hingegen die über einen längeren Zeitraum betrachtete gesamtwirtschaftliche Entwicklung weitaus weniger als gemeinhin angenommen. So wurden vor allem die konjunkturellen Entwicklungszyklen durch sie nicht geändert 2 2 8 . In gesellschaftsrechtlicher Hinsicht haben einschneidende Veränderungen durch die Entwicklung auf der Ebene der EG stattgefunden. Von dieser Zeit an beruhen mit wenigen Ausnahmen wie den Erlaß des Mitbestimmungs Gesetzes von 1976 die Anstöße zum Tätigwerden des Gesetzgebers auf dem Zwang zum Transponieren der Richtlinien 2 2 9 in das deutsche Recht. Rechts-

RegE K r o p f f , Dokumente, S. 373 f. Henning, S. 229. 227 Henning, S. 234. 228 Henning, S. 195; Ambrosius, Geschichte, S. 16; zu den einzelnen Zyklen: Brüggemeier II, S.291 ff. 229 Das Gesetz zur Durchführung der ersten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Publizitätsrichtlinie vom 9.3.1968) vom 15.8.1969, BGBl. 1,1146 ff. Das Gesetz zur Durchführung der zweiten Richtlinie des Rates der Europäischen Ge225 226

A. Gäubigerschutz,

Anlegerschutz

und

Deregulierung

99

politisch lassen sich daher wegen der Vielfältigkeit der einfließenden Interessen bei diesen Gesetzgebungsverfahren keine so eindeutigen Beziehungen zwischen deutscher Wirtschafts- und Rechtsentwicklung mehr aufzeigen. Erst in den letzten Jahren ist auch auf inländischer Ebene wieder Bewegung in das Aktienrecht gekommen. Während das zweite Finanzmarktförderungsgesetz vom 26.7.1994 2 3 0 sich vor allem mit dem Aktienhandel beschäftigt - insofern setzt es noch vordringlich EG-rechtliche Vorgaben um - und nur am Rande Vorschriften über die aktienrechtlichen Strukturen selbst beinhaltet, dient das Gesetz für kleine Aktiengesellschaften und zur Deregulierung des Aktienrechts 2 3 1 originär aktienrechtlichen Bedürfnissen der Binnenebene 2 3 2 . Hierbei steht wieder wie bei den vorherigen Novellierungen eine Belebung der Rechtsform der Aktiengesellschaft auch unter kapitalmarktrechtlichen Aspekten im Vordergrund. Gleiches gilt für das KonTraG 2 3 3 . Das 3. Finanzmarktförderungs Gesetz und das StückAG 2 3 4 beruhen zwar auf EG-rechtlichen Vorgaben, sind aber zugleich Teil der Gesamtstrategie des Gesetzgebers zur Anpassung des Aktienrechts an die Internationalisierung der Kapitalmärkte 2 3 5 .

meinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Kapitalrichtlinie vom 13.12. 1976) vom 13.12.1978, B G B l . I, 1959 ff. Das Gesetz zur Durchführung der dritten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts (Verschmelzungsrichtlinie vom 9.10.1978) vom 25.10.1982, B G B l . 1,1425 ff. Das Gesetz zur Durchführung der Vierten (Bilanz-Richtlinie vom 25.7.1978), Siebten (Konzernbilanzrichtlinie vom 13.6.1983) und Achten Richtlinie (Abschlußprüferrichtlinie vom 10.4.1984) des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts [Bilanzrichtlinien-Gesetz, B i R i L i G ] vom 19.12.1985, B G B l . I, 2355 ff. Das Gesetz zur Durchführung der 12. Richtlinie (die Einpersonen GmbH-Richtlinie) B G B l . I, 1991,2206. 2 3 0 B G B l . 1 1994, 1749 ff. 2 3 1 B G B l . 1,1994, 1961. 2 3 2 Weitere Gesetze sind in Vorbereitung: Der Regierungsentwurf des 3. Finanzmarktförderungsgesetzes ist abgedruckt in Z B B 1997, 286 ff.; der Referentenentwurf zum KonTraG in W M 1997, 490 ff.; der zum E u r o G U G in ZIP 1997, 1259. 2 3 3 B G B l . I, 1998, 786. 234 BGBl. 1998,1,590. 235 ßrebeck/Herrmann, W P G 1997, 381; Böcking/Orth, D B 1998, 1241; Claussen, D B 1998, 177.

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2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

11. Die Entwicklung der Aktiengesellschaft im Vergleich zu der G m b H Im Gegensatz zur Aktiengesellschaft ist die GmbH keine historisch gewachsene Rechtsform, sondern ein relativ neues Kunstprodukt 236 . Sie wurde als Folge der Aktienrechtsreform von 1884 geschaffen 237 , da durch diese Reform die Aktiengesellschaft endgültig zur Rechtsform der großen Publikumsgesellschaft geworden war. Die Aktiengesellschaft war damit zu teuer und zu schwerfällig für kleinere Unternehmen geworden. Andererseits fand sich schon damals oft keine natürliche Person, die bereit war, das Risiko der unbeschränkten Haftung zu übernehmen. Deshalb schuf der Gesetzgeber mit dem GmbH-Gesetz von 1892 eine Rechtsform für kleinere Unternehmen 238 , deren Anteile zur Abgrenzung von der für die Kapitalsammelfunktion beim Publikum gedachten Aktiengesellschaft nicht ohne weiteres umlauffähig waren 239 . Aus dieser Entstehungsgeschichte der GmbH erklärt sich ihr innerer Aufbau 240 . Da sie vor allem für kleinere Unternehmen - insbesondere im Hinblick auf die beteiligte Personenzahl - gedacht ist, muß ihre Ordnung nicht so formalistisch wie die der Aktiengesellschaft sein. Dem entspricht es, daß die internen Rechte und Pflichten in großem Umfang zur Disposition der Gesellschafter stehen. Uber diese weitgehende Satzungsautonomie kann die GmbH den verschiedensten Zwecken individuell angepaßt werden. So reicht ihr Spektrum von der stark personalistisch geprägten bis zur kapitalistisch-neutralen Rechtsform 241 . Weiterhin ist ihre Struktur einfach gehalten. Sie hat soweit sie nicht der später eingeführten Mitbestimmung unterliegt 242 - lediglich zwei zwingende Organe, die Gesellschafterversammlung und die Geschäftsführung, deren Verhältnis hierarchisch ist 243 . Durch diese Vorherrschaft der Gesellschafterversammlung mit ihrem Recht zur Einzelweisung ist die GmbH weit mehr dem Einfluß ihrer wirtschaftlichen Eigentümer unterworfen als dies bei der Aktiengesellschaft der Fall ist.

236 Hueck in Baumbach/Hueck, G m b H G , Einleitung, Rn. 1; Feine in Ehrenbergs Handbuch, S. 1; Haußmann in Verhandlungen, S. 130. 237 Feine in Ehrenbergs Handbuch, III, S.2; Ritter/Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Koppensteiner, G m b H G , Einl. Rn. 2. 238 Feine in Ehrenbergs Handbuch, III, S. 1; Ritter/Schmidt-Leithoff in Furmann, G m b H G , Einl. Rn. 2; Kober, G m b H R 92, 403. 239 Feine in Ehrenbergs Handbuch, III, S. 9; Haußmann in Verhandlungen, S. 132; Schilling in Hachenburg, Einl. 1. 2 4 0 Ausführlich dazu unter Auswertung des historischen Materials, Feine in Ehrenbergs Handbuch, III,S. 3 ff. 241 Lutter/Hommelhoff, G m b H , Einleitung, Rn. 4. 242 Dazu Gessler in Pro G m b H , S. 110 ff. 243 Lutter/Hommelhoff, G m b H , Einleitung, Rn. 5.

A. Gäubigerschutz,

Anlegerschutz

und Deregulierung

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Die neue Gesellschaftsform hat sich schnell in der Praxis durchgesetzt 2 4 4 und ist bis heute eine der elementaren Gesellschaftsstrukturen geblieben und zwar sowohl in der vom Gesetzgeber vorhergesehenen Variante als auch in zahlreichen Mischformen, von denen die wichtigste die G m b H & C o K G ist 245 . Die vom Gesetzgeber konstruierte Rechtsform der G m b H hat sich so gut bewährt, daß das G m b H - G e s e t z seit seiner Entstehung keiner grundlegenden Umstrukturierung unterworfen war 246 . Zwar gab es vereinzelt kleine Änderungen, aber weder durch sie noch durch die umfangreichere G m b H - N o v e l l e von 1980 wurden die wesentlichen Grundzüge dieser Rechtsform verändert 247 . Einfluß genommen hat vor allem die Rechtsprechung, indem sie das Recht den praktischen Gegebenheiten anpaßte. Hierhin gehört insbesondere die Rechtsprechung zu den kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen und die Entwicklung einer Treuepflicht unter den Gesellschaftern 248 . Wesentlicher Unterschied zwischen der G m b H und der A G ist die Kapitalsammeifunktion, die bei der Aktiengesellschaft von ausschlaggebener Wichtigkeit ist, bei der G m b H hingegen von der Konzeption her keine Rolle spielt 249 . Die G m b H dient vielmehr dazu, dem Wirtschaftsverkehr eine Rechtsform zur Verfügung zu stellen, die die fruchtbare Verbindung von Kapital und geistiger Tüchtigkeit in einer flexiblen Rechtsform ermöglicht 250 . Notwendig dafür ist zum einen die Haftungsbeschränkung, da bei der Verpflichtung zur Übernahme des vollen persönlichen Risikos das wirtschaftliche Engagement unterbleiben würde 2 5 1 . Zum anderen bedarf es gerade für die 244

Gessler in P r o G m b H , S. 91; Zahlenmaterial: Stand 1898 bei Schubert in Schubert/ H o m m e l h o f f , 100 Jahre, S. 34; zur Entwicklung bis 1927 bei Feine in Ehrenbergs H a n d buch, S. 13; er hebt hervor, daß schon vor dem 1. Weltkrieg die Zahl der G m b H kontinuierlich stieg, während die Zahl der A G abnahm, S. 14. 245 Lutter/Hommelhoff, G m b H , Einleitung, Rn. 1 ff.; Immenga, Kapitalgesellschaft, S. 19; Kober, G m b H R 92, 403. 246 Haußmann in Verhandlungen, S. 130; zu den Novellierungstendenzen im Dritten Reich Gessler in Pro G m b H , S. 94 ff.; Schubert in Einleitung, S. VII ff. sowie die Protokolle der Akademie f ü r deutsches Recht. 247 LutterlHommelhoff, G m b H , Einleitung, Rn. 6; Westermann in Pro G m b H , S. 26; ausführlich zu der Novelle Gessler in P r o G m b H , S. 99 ff. sowie BB 1980,1385 ff.; Kreuzer, Z I P 1980, 597 ff. 248 z.B. B G H Z 103, 184, 193 ff. (Linotype); 90, 381, 384 ff. (BuM/WestLB); 105, 168, 174 ff. ( H a m b u r g e r Stahlwerke); ausführlich dazu Fischer (Präsident des B G H a.D.) in P r o G m b H , S. 137 ff. 249 Feine in Ehrenbergs H a n d b u c h , III, S. 11; Ballerstedt, G m b H R 1967, 70, der zu Recht auf den Systembruch bei der Familien A G hinweist. 250 Feine in Ehrenbergs H a n d b u c h III, S. 7; Schubert in 100 Jahre G m b H , S. 16. 251 Schubert in 100 Jahre G m b H , S. 14 f. mit dem Verweis auf die H a m m a c h e r Mittheilungen, S. 19 und den weiteren Angaben auf S. 19.

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2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz im

Kapitalgesellschaftsrecht

kleineren U n t e r n e h m e n , die das Z i e l o b j e k t des damaligen G e s e t z e s v o r h a b e n s waren, einer flexiblen G e s t a l t u n g , die o h n e z u g r o ß e f o r m a l e A n f o r d e r u n g e n auskommt. Wegen der B e h e r z i g u n g dieser V o r g a b e n w a r dem G m b H - G e s e t z ein so g r o ß e r E r f o l g b e s c h i e d e n 2 5 2 . D e n n es n o r m i e r t b i n d e n d lediglich, was als K o r relat für die H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g u n u m g ä n g l i c h scheint. A n s o n s t e n läßt es der S t r u k t u r i e r u n g durch die G e s e l l s c h a f t e r einen weiten Spielraum. D e r im Verhältnis z u m A k t i e n r e c h t w e i t g e h e n d e n D e r e g u l i e r u n g wird die individualistische B i n d u n g der A n t e i l e gegenübergestellt 2 5 3 . D a m i t wird deutlich, daß die V ä t e r der G m b H keinen S c h w e r p u n k t auf der Sicherung der A n l e g e r sahen, bei denen es sich der K o n z e p t i o n der nicht f u n giblen A n t e i l e 2 5 4 und der ursprünglich h o h e n M i n d e s t k a p i t a l s u m m e nach u m einen ü b e r s c h a u b a r e n P e r s o n e n k r e i s handeln m u ß , der sich im H i n b l i c k auf die G r ö ß e der G m b H selbst ein B i l d v o n der Solidität seiner Anlage m a c h e n k a n n 2 5 5 . D a s G e s e t z g e b u n g s v e r f a h r e n zur Schaffung der G m b H kreiste d e m entsprechend v o r allem u m die F r a g e n der inneren O r g a n i s a t i o n und die A u s gestaltung der H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g . F ü r die O r g a n i s a t i o n des Verhältnisses der G e s e l l s c h a f t e r untereinander w u r d e auf die A b g r e n z u n g vermittels der aus dem A k t i e n r e c h t b e k a n n t e n Anteile am Garantiekapital z u r ü c k g e g r i f f e n 2 5 6 , das aus G r ü n d e n des A n l e g e r s c h u t z e s - wie eben ausgeführt - recht h o c h war, u m die M ö g l i c h k e i t z u r Beteiligung an einer solchen Gesellschaft auf einen b e s t i m m t e n P e r s o n e n k r e i s e i n z u s c h r ä n k e n . D i e s e s Garantiekapital sollte »im ü b r i g e n « 2 5 7 auch die G l ä u b i g e r s c h ü t z e n 2 5 8 , zu deren L a s t e n der M i ß b r a u c h der neuen G e s e l l s c h a f t s f o r m v o r allem d e n k b a r war, da mangels K a p i t a l s a m m e l f u n k t i o n und g r o ß e m Anlegerkreis der im A k t i e n r e c h t d o m i nierende M i ß b r a u c h zu L a s t e n der A n l e g e r nicht m ö g l i c h w a r 2 5 9 . D i e G l ä u b i gersicherung bei der G m b H sollte somit wie bei der Aktiengesellschaft - w o sie sich aber aus dem A n l e g e r s c h u t z e n t w i c k e l t h a t t e 2 6 0 - bei dem N e n n k a p i t a l Ballerstedt, GmbHR 1967, 67. Schilling in Hachenburg, Ein]. Rn. 1; Ballerstedt, GmbHR 1967, 67; vergl. auch die Entstehungsgeschichte der GmbH bei Schubert, 100 Jahre GmbH, S. 8f. und 12. 254 Schubert, 100 Jahre GmbH, S. 12. 255 Schubert, 100 Jahre GmbH, S. 19. 256 Schubert, 100 Jahre GmbH, S. 14 f. 257 Schubert, 100 Jahre GmbH, S.20. 258 Aber auch das war noch umstritten. So gab es Meinungen, die auf eine institutionelle Gläubigersicherung vollends verzichten wollten, weil bei der in Aussicht genommenen Gesellschaftsform das persönliche Moment und die Kreditprüfung der Gesellschafter durch den Gläubiger ohnehin den Ausschlag geben würden; dazu: Schubert, 100 Jahre GmbH, S. 19. 259 Koberg, S. 194. 260 Koberg, S. 129 sowie so eben oben ab 1. 252 253

A. Gäubigerschutz,

Anlegerschutz und Deregulierung

103

angesiedelt w e r d e n . D a j e d o c h für die G m b H die starren G r ü n d u n g s v o r schriften und die O r g a n i s a t i o n erleichtert w e r d e n sollten, m u ß t e ein zusätzlicher S c h u t z geschaffen w e r d e n . D i e s e r wurde in der D e c k u n g s p f l i c h t sämtlicher G e s e l l s c h a f t e r f ü r nicht in G e l d erbrachte o d e r zu U n r e c h t ausgeschüttete S t a m m k a p i t a l b e t r ä g e gesehen 2 6 1 . D a b e i w a r allerdings den V ä t e r n der G m b H klar, daß die R e c h t s f o r m als solche keinen umfassenden S c h u t z garantieren kann und soll, da die G l ä u b i ger ü b e r h i n r e i c h e n d e andere S i c h e r u n g s m ö g l i c h k e i t e n verfügen 2 6 2 . A u c h bei der Schaffung der G m b H war s o m i t der gesellschaftsrechtliche G l ä u b i g e r s c h u t z nicht als K o m p l e t t a b s i c h e r u n g gedacht. D a ß der G e s e t z g e b e r den V e r z i c h t bei der G m b H auf die strengen K a p i t a l aufbringungs- und -erhaltungsregeln o h n e B e n a c h t e i l i g u n g der G l ä u b i g e r für m ö g l i c h hielt 2 6 3 , verdeutlicht erneut, daß diese v o r allem d e m A n l e g e r s c h u t z dienen. K a n n man - was im F o l g e n d e n zu erörtern sein wird - auf den G l ä u b i gerschutz n o c h w e i t g e h e n d e r v e r z i c h t e n als die V ä t e r der G m b H das annahmen, sind für das Kapitalgesellschaftsrecht bei W a h r u n g eines angemessenen A n l e g e r s c h u t z e s weitgehende D e r e g u l i e r u n g s m ö g l i c h k e i t e n denkbar.

12. F a z i t D i e F u n k t i o n des A k t i e n r e c h t s ist wesentlich unter dem B l i c k w i n k e l zu sehen, d e m G e b o t der gesellschaftspolitisch verträglichen A l l o k a t i o n g r o ß e r K a p i t a l m e n g e n in der H a n d weniger G e s e l l s c h a f t e n gerecht zu w e r d e n 2 6 4 . U n t e r diesem A s p e k t der K a p i t a l s a m m e l f u n k t i o n erschließt sich seine gesamte E n t w i c k l u n g , auch w e n n gegenwärtig der K a p i t a l m a r k t diesem A n s p r u c h in keiner Weise gerecht wird. D e r S c h w e r p u n k t der legislatorischen B e m ü h u n g e n lag z u m i n d e s t bis z u m zweiten Weltkrieg darauf, der aus dem B e d ü r f n i s nach der A n s a m m l u n g g r o ß e r K a p i t a l m e n g e n entstandenen R e c h t s f o r m das zur Investition n o t w e n d i g e Vertrauen zu sichern. I m V o r d e r g r u n d stand dabei nicht - wie man nach der heutigen G e w i c h t u n g schließen k ö n n t e - der G l ä u b i g e r s c h u t z , sondern elementares B e d ü r f n i s der R e f o r m e n w a r der A n l e g e r s c h u t z 2 6 5 . D e n n lediglich

Feine in Ehrenbergs Handbuch, S. 10 f. Koberg, S. 195. 263 Feine, Ehrenbergs Handbuch III, S. 10; Schubert, der in 100 Jahre GmbH, S. 24, das Werk »Die Erweiterung des Handelsrechts durch die Einführung neuer Gesellschaftsformen« mit »lästigen und für die Sicherung der Gläubiger unnötigen« in Bezug auf die in Text genannten Regeln zitiert. 264 Reisch, S.240. 265 Koberg, S. 129; Dippel, DRiZ 1965, 316; siehe auch oben 1.6. 261 262

104

2. Kapitel: Der Gläubiger-

und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

bei hinreichender Gewährung der Sicherheit der Anleger konnte das ökonomisch unerläßliche Ziel der Kapitalsammlung in ausreichendem Maße erreicht werden. Diese anlegerschützende Zielrichtung des Aktienrechts läßt sich außer an den historischen Fakten - wie eben erläutert - auch gut an den Vorgaben bei der Schaffung der G m b H ablesen. Bei der G m b H kam es nicht in gleicher Weise auf den Anlegerschutz an, daher konnten viele bei der Aktiengesellschaft zwingend vorgeschriebene Normkomplexe substituiert werden oder entfallen 266 . Erst mit dem Höhepunkt der Entwicklung 2 6 7 weg von der Kapitalsammelfunktion des Aktienrechts nach dem zweiten Weltkrieg - zum einen weil kein Kapital in der Bevölkerung vorhanden war, zum anderen weil die durch das Grundgesetz noch stärker hervortretenden Fürsorgegedanken andere Maßstäbe setzten - nahm der Gläubigerschutz einen immensen Aufschwung. Seitdem ist Reformziel nicht mehr die Sicherung der Anleger, sondern die Wiederbelebung des Kapitalmarktes durch die Attraktivitätssteigerung eines überregulierten, unflexibelen und in der Bevölkerung mit einem negativen Nimbus behafteten Systems 2 6 8 . Dabei hat die dem Aktienrecht inhärente Kapitalsammelfunktion stark gelitten, so daß bedingt durch die Umfeldbedingungen Marktverzerrungen in erheblichem Umfang eingetreten sind. Hier sind insbesondere die Abschreibungsgesellschaften zu nennen, die durch ihre steuerliche Bevorzugung große Teile des noch freien Kapitals an sich gezogen haben. Diese Gesellschaften sind zugleich ein Beleg für die enge Verknüpfung von Kapitalsammelfunktion und Anlegerschutz. Der Fluß großer Kapitalsummen in diese Gesellschaftsformen hat dem Mißbrauch dort Tür und Tor geöffnet, was auch dort zum Ausbau des Anlegerschutzes - nicht des Gläubigerschutzes - durch die Rechtsprechung beigetragen hat 2 6 9 . Mit der aus historischer Sicht durch das Aktienrecht angestrebten Kapitalsammelfunktion, also der zur Verfügung-Stellung einer Rechtsform, die zur Allokation immenser Kapitalmengen geeignet ist, ist die Ausgestaltung der Aktiengesellschaft aufs Engste verbunden. Denn historisches Ziel des Aktienrechts ist nicht die Ausgestaltung einer »Durchschnittsgesellschaft mit beschränkter Haftung« - wie man wegen der heute verhältnismäßig geringen Als Beispiel seien nur die Gründungsvorschriften genannt. Die Entwicklung beginnt mit der Zeit nach dem ersten Weltkrieg, kulminiert im »schwarzen Freitag«, in dem viele Kleinanleger ihr Geld verlieren. Danach kommt die Zäsur des 2. Weltkrieges, der den Aufbau eines neuen Aktienmarktes nicht zuläßt, und erreicht wegen der Kapitalarmut der Bevölkerung nach dem zweiten Weltkrieg den oben genannten Höhepunkt. 2 6 8 Oben A.I.l.a.jj. 269 Assmann in FS Kubier, S. 322; dazu B G H WuB II. H. § 230 H G B 2.95 mit Anmerkung Escher- Weingart. 266 267

A. Gäubigerschutz,

Anlegerschutz

und Deregulierung

105

Mindestkapitalvorgabe von D M 100.000,— annehmen könnte - , sondern die einer großen Publikumsgesellschaft. Aus diesem eingeschränkten Blickwinkel des Gesetzgebers lassen sich viele noch heute bemängelte Nachteile des Aktienrechts erklären 270 . Im Interesse eines funktionierenden Kapitalmarktes ist daher eine Deregulierung insbesondere im Hinblick auf kleinere Gesellschaften dringend geboten. Inwieweit dies bereits durch die Reform zur kleinen Aktiengesellschaft realisiert worden ist, ist umstritten 271 . Weiterhin zeigt sich an der geschichtlichen Bestandsaufnahme, daß die Diskussion um den Selbstschutz der Betroffenen - insbesondere der Gläubiger - nicht neu ist, sondern vielmehr schon in den frühen Reformen des Aktienrechts eine erhebliche Rolle gespielt hat 272 . Es ist nicht Sache des Gesetzgebers, für alle möglichen Widrigkeiten Vorsorge zu treffen, sondern in erster Linie muß sich der Betroffene selbst um eine entsprechende Absicherung bemühen. Sollte sich der Gesetzgeber dennoch zu Schutzmaßnahmen entschließen, müssen diese nicht unbedingt auf dem Gebiet des Aktienrechts liegen, sondern können z.B. im Kapitalmarktrecht situiert sein 273 .

II. Die Disposivität der gegenwärtigen aus historischer

Rechtslage

Sicht

Im historischen Uberblick hat sich gezeigt, daß die starren Regelungen der Aktiengesellschaft Endpunkt einer Entwicklung des - durch die Kapitalsammeifunktion des Aktienrechts im Vordergrund stehenden - Anlegerschutzes in der Publikumsaktiengesellschaft sind. Der damit ebenfalls verbundene Gläubigerschutz ist seiner Genese nach nicht Ziel, sondern Reflex der Regelung 274 . Daraus ergeben sich mehrere Konsequenzen. Erstens: Aus historischer Sicht bestehen keine Hinderungsgründe, die starren Regeln des Aktienrechts unter Gläubigerschutzgesichtspunkten zu deregulieren, da diese Regeln nicht primär den Gläubigern, sondern vor allem den Anlegern dienen sollten. Zweitens: Schon in der Entwicklung des Aktienrechts wurde immer wieder hervorgehoben, daß es Sache der Gläubiger ist, für ihren Schutz zu sorgen. 270

Z.B. die zu teuere und zu starre Struktur der Aktiengesellschaft. Zumindest w e n n man als Reformziel die Belebung des Kapitalmarktes sieht, weil f ü r börsennotierte Aktiengesellschaften die Erleichterungen gerade nicht greifen; dazu: Schmidt/Müller-Eismg/Gayk, Z I P 1993, 1830; Seibert/Köster/Riem, S. 24. 272 Hommelhoff in S c h u b e r t / H o m m e l h o f f , 100 Jahre, S. 80 sowie oben A.I.l.a.ff. 273 O b e n A.I.l.a.ff. 274 Koberg, S. 129. 271

106

2. Kapitel: Der Gläubiger-

und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

Insbesondere in Verbindung mit der Diskussion um die Abschaffung des Konzessionierungszwangs wurde deutlich, daß es für die Gläubiger unsinnig ist, ihnen eine Scheinsicherheit vorzuspiegeln wie dies damals durch die Konzession und heute durch das Nennkapital erfolgt. Drittens: Je ausgeprägter die Kapitalsammeifunktion des Aktienrechts ist, desto ausgeprägter muß der Anlegerschutz sein. Mit der Verkümmerung der Kapitalsammeifunktion insbesondere durch den zweiten Weltkrieg ist auch der Anlegerschutz in den Hintergrund getreten. Seit wieder Kapital in der Bevölkerung vorhanden ist, ist die Wiederbelebung der Kapitalsammelfunktion Reformziel. Dafür muß folglich ein hinreichender Anlegerschutz gewährleistet werden. Viertens: Soll eine Deregulierung der starren Regelungen der Aktiengesellschaft erfolgen, so muß als Kompensation nicht etwa der Gläubigerschutz, sondern der Anlegerschutz auf anderen Ebenen ausgebaut werden. Fünftens: Historisch gesehen hat der Gesetzgeber den Weg der Regulierung in Kenntnis seiner Unzulänglichkeit gewählt. Gegenwärtig zeigt sich, daß sich dieser Weg nicht bewährt. Es ist daher an der Zeit, eine Deregulierung einzuleiten, um den Wettbewerb zwischen den Gesellschaftsformen wieder zu beleben. Anhaltspunkte dafür können aus der US-amerikanischen Entwicklung gewonnen werden, die sich frühzeitig für eine Deregulierung entschieden hat und heute über eine große Zahl von Aktiengesellschaften in einem funktionierenden Kapitalmarkt verfügt.

B. Gläubigerschutz als Hinderungsgrund der Deregulierung

A u c h w e n n der G l ä u b i g e r s c h u t z aus der historischen Perspektive nicht u n t r e n n b a r mit den aktienrechtlichen M e c h a n i s m e n wie d e m fixierten G a r a n tiekapital v e r b u n d e n ist, so stellt sich d e n n o c h die Frage, o b der G l ä u b i g e r s c h u t z d u r c h die E n t w i c k l u n g nach dem ersten Weltkrieg v e r b u n d e n mit der steigenden Zahl der I n s o l v e n z e n 1 zu einem tragenden, der D e r e g u l i e r u n g nicht zugänglichen P r i n z i p des Kapitalgesellschaftsrechts erstarkt ist. E i n solches E r g e b n i s kann lediglich dann a n g e n o m m e n werden, w e n n den G l ä u b i gern keine außerhalb des Kapitalgesellschaftsrechts angesiedelten adäquaten M ö g l i c h k e i t e n zu ihrem S c h u t z zur Verfügung stehen. I m F o l g e n d e n ist daher die R e l e v a n z der kapitalgesellschaftlichen G l ä u b i g e r s c h u t z m e c h a n i s m e n im Verhältnis zu den sonstigen S i c h e r u n g s m ö g l i c h keiten zu u n t e r s u c h e n und sodann z u m G l ä u b i g e r s c h u t z als H i n d e r u n g s grund der D e r e g u l i e r u n g Stellung zu n e h m e n .

I. Der Gläubigerschutz nach dem Aktien- und

GmbH-Recht

D i e Geläufigkeit des T e r m i n u s » G l ä u b i g e r s c h u t z « verleitet dazu, »die G l ä u biger« als h o m o g e n e G r u p p e aufzufassen. D a s entspricht j e d o c h nicht der Realität. V i e l m e h r handelt es sich bei den G l ä u b i g e r n um ein heterogenes Z u fallsprodukt der verschiedenen mit der entsprechenden Gesellschaft aus den unterschiedlichsten

G r ü n d e n in V e r b i n d u n g

tretenden

Bezugspersonen2.

D i e s e V e r b i n d u n g k a n n freiwillig o d e r unfreiwillig erfolgen. D i e meisten G l ä u b i g e r w e r d e n auf G r u n d einer vertraglichen V e r b i n d u n g mit der G e s e l l 1 Roth, GmbHG, Einl. Anm. 3.2; Schmidt, K., AG 1986, 106; Gessner/Rhode, S. 1; Kipp, Leitartikel Börsenzeitung vom 9.8.1996; Zahlenmaterial zu den Konkursen der GmbH in der Anfangszeit der GmbH bei Schubert, Die GmbH, S. 30 f. und 43. Damals lag die Insolvenzquote der GmbH unter der der AG. Ab 1971 finden sich Angaben bei Wiedemann, GesR I, S. 523. 2 Eine Aufstellung einzelner Gläubigergruppen und ihr Sicherungverhalten findet sich bei Klose-Mokroß, S. 79 ff.

108

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz im

Kapitalgesellschaftsrecht

schaft in K o n t a k t stehen. E s gibt aber auch die sogenannten »deliktischen G l ä u b i g e r « , die lediglich durch einen E i n g r i f f der G e s e l l s c h a f t in ihre R e c h t s sphäre den Gläubigerstatus erlangt haben 3 . I h r S c h u t z stellt sich am s c h w i e rigsten dar, weil diese G l ä u b i g e r nicht in der L a g e sind, individuelle V o r k e h rungen zu treffen 4 . D e n gegenwärtigen A n s a t z zur V e r w i r k l i c h u n g des G l ä u b i g e r s c h u t z e s im Kapitalgesellschaftsrecht 5 k a n n man in zwei K o m p l e x e zerlegen: den übergreifenden p u b l i z i t ä t s b e z o g e n e n A n s a t z 6 u n d den eigentlichen kapitalgesellschaftsrechtlichen A n s a t z in F o r m des G r u n d k a p i t a l s mit den K a p i t a l a u f b r i n gungs- und -erhaltungsregeln 7 , der für die D e r e g u l i e r u n g v o n R e l e v a n z ist u n d der daher im F o l g e n d e n k u r z dargestellt werden soll. A u s h i s t o r i s c h e r Sicht galten die Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsregeln in b e s o n d e r e m M a ß e d e m A n l e g e r s c h u t z 8 . Ihre Schaffung und Verbesserung sollte v o r allem dazu dienen, G r ü n d e r und M e h r h e i t s a k t i o n ä r e zu G u n sten der Kleinanleger in die S c h r a n k e n zu weisen und ihnen die N i c h t e i n z a h lung des gezeichneten Kapitals oder den A b z u g dieses Kapitals zu L a s t e n der Kleinanleger u n m ö g l i c h zu m a c h e n 9 . D a n e b e n waren auch die gläubigers c h ü t z e n d e n A s p e k t e e r w ü n s c h t , die dann im Laufe der Zeit m e h r und m e h r an G e w i c h t g e w o n n e n haben. D i e Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsregeln beruhen auf der K o n s t r u k t i o n eines fixen Garantiekapitals 1 0 , dessen gläubigerschützende F u n k t i o n in z w e i f a c h e r H i n s i c h t a n g e n o m m e n wird: Z u m einen wird verhindert, daß das in der Satzung ausgewiesene Kapital offen o d e r verdeckt wieder an die G e s e l l s c h a f t e r z u r ü c k f l i e ß t und z u m anderen ist ein P u f f e r für eventuell eintretende Verluste geschaffen 1 1 .

Kühler, GesR, § 2 II 3. c). Klose-Mokroß, S. 86; Drukarczyk, S. 1240. 5 Leffson FS Böhm, S. 299, weist zu Recht darauf hin, daß die Schwerpunkte des Gläubigerschutzes im Schuld- und Konkursrecht, sowie im Recht der Sicherheiten liegen. 6 Eine gute Kurzzusammenfassung des Gläubigerschutzes durch Kapitalerhaltung und Publizität bei der GmbH findet sich bei Roth, GmbHG, Einl. Anm. 3. 7 Roth, GmbHG, Einl. Anm. 3.2; Zöllner, Schranken, S. 39. 8 Dazu oben A.I. 9 Siehe dazu A. I.; vor allem solange noch die Aktienliberierung möglich war, wurden Gesellschaften mit einem auf dem Papier hohen Stammkapital gegründet, das aber lediglich von den Kleinanlegern eingezahlt wurde. Kam es dann durch die mangelhafte Ausstattung mit liquiden Mitteln zum Zusammenbruch, verloren insbesondere diese ihr Geld. Um dieser Art von betrügerischen Gründungen einen Riegel vorzuschieben, wurden alle Aktionäre gleichmäßig zur Einzahlung und zur Belassung der Mittel in der Aktiengesellschaft verpflichtet. 10 Wiedemann, GesR I, S. 516 f.; Kühler, GesR, § 14 I 2. c). 11 Wiedemann, GesR I, S. 557; Klose-Mokroß, S. 62. 3

4

B. Gläubigerschutz

als Hinderungsgrund

der

Deregulierung

109

Unter Kapitalerhaltungs- und Kapitalaufbringungsregeln versteht man im Einzelnen das Folgende 12 : - Die Pflicht zur Zahlung der Einlagen 13 : Dazu gehören das Verbot der Unterpariemission, § 9 Abs. 1 AktG; das Verbot des Erlasses oder der Stundung der Einlagenforderung, § 66 Abs. 1 A k t G , § 19 Abs. 2 S. 1 G m b H G ; das Verbot der Aufrechnung mit einer Einlageforderung durch den Gesellschafter, § 66 Abs. 1 S. 2 AktG, § 19 Abs. 2 S. 2 G m b H G ; die Regelung bezüglich der Erbringung von Sacheinlagen wie die Beschränkung auf verwertbare Vermögensgüter, §§ 34 Abs. 1 Nr. 2, 38 Abs. 2 AktG; das Verbot der Einbringung von Sacheinlagen oder die Erbringung von Sachübernahmen zu einem überhöhten Preis, § 27 AktG, § 5 Abs. 4 G m b H G ; die Regeln über die verdeckte Sacheinlage 14 ; sowie das Verfahren der Kaduzierung bei Nichtzahlung der Einlageschuld, §§ 64 ff. AktG, §§ 21 ff. G m b H G . - Das Verbot der Einlagenrückgewähr: Dazu gehören - bei Aktiengesellschaft und G m b H unterschiedlich gestaltet - die Vorschriften über den Erhalt des Garantievermögens. Dies bezieht sich bei der Aktiengesellschaft auf das gesamte Vermögen. Daher ist dort prinzipiell lediglich eine Ausschüttung des Bilanzgewinns zulässig, § 58 Abs. 4 i.V.m. § 57 A k t G , bei fehlerhafter Auszahlung greift § 62 Abs. 1 A k t G ein; bei der G m b H geht es hingegen um das Stammkapital. Hier ist die Ausschüttung nach § 30 G m b H G verboten, wenn dadurch das Nettovermögen unter den Betrag des Stammkapitals sinken würde, § 30 G m b H G . Weiterhin unterfallen diesem Punkt: Das Verbot der Verzinsung der Einlage, § 57 Abs. 2 A k t G , § 30 G m b H G ; das Verbot verdeckter Gewinnausschüttungen; das Verbot des Ankaufs eigener Gesellschaftsanteile, § 71 AktG, § 33 G m b H G und die Bewertungs- und Gewinnverwendungsvorschriften 1 5 .

12

Eine gute Zusammenfassung mit Kritik findet sich bei Roth, G m b H G Einl. A n m .

3.2. 13

Ausführlich zur Barkapitalaufbringung Schmidt, K., A G 1986, 106 ff. Die Regeln in Bezug auf die verdeckte Sacheinlage sind durch einige neuere Urteile des B G H wieder in die Diskussion geraten und damit auch der gläubigerschützende Effekt eines fixen Stammkapitals; B G H Z 125,141,142 ff.; 119,177,179 ff.; 118, 83, 86 ff.; 113, 335, 339 ff.; 110, 47, 51 ff. Dazu: Klose-Mokroß, Gläubigerschutz im Kapitalgesellschaftsrecht am Beispiel der Lehre von der verdeckten Sacheinlage; Grunewald in FS Rowedder, S. 111 ff.; Ebenroth/Kräutter, D B 1990, 2153 ff.; Priester, BB 1987, 208 ff. 15 Zusammenstellung nach Wiedemann GesR I, S. 521. 14

110

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz im

II. Neuere Entwicklungen

beim

Kapitalgesellschaftsrecht

Gläubigerschutz

1. D e r S i c h e r u n g s b e d a r f D i e neueren E n t w i c k l u n g e n b e i m G l ä u b i g e r s c h u t z sind eng mit der F r a g e der neuen, mittlerweile in K r a f t getretenen I n s o l v e n z r e c h t s o r d n u n g v e r b u n d e n . D e r Versuch der N e u o r d n u n g des K o n k u r s - und Vergleichsrechts setzte u m fangreiche V o r a r b e i t e n in B e z u g auf die tatsächlichen G e g e b e n h e i t e n 1 6 voraus und führte z u m U b e r d e n k e n verschiedener als p r o b l e m a t i s c h e m p f u n d e n e r Institute. D a b e i spielte n e b e n den F r a g e n der K o n k u r s v e r m e i d u n g und - a b w i c k l u n g i n s b e s o n d e r e das Verhältnis z w i s c h e n gesicherten und ungesicherten G l ä u b i g e r n eine entscheidende R o l l e 1 7 . Aus den in diesem K o n t e x t verfaßten Studien ergeben sich viele interessante H i n w e i s e auf die Situation und das Verhalten der einzelnen G l ä u b i g e r gruppen. Auffällig ist dabei, daß die aus den K o n k u r s t e i l n e h m e r n »Sozialversicherung, A r b e i t s a m t , H a n d w e r k e r und andere« gebildete G r u p p e ein etwa gleich h o h e s Ausfallpotential hat wie die B a n k e n , j e d o c h ü b e r minimale Sicherungen verfügt 1 8 . I n B e z u g auf diese G r u p p e dürfte daher der stärkste D i s k u s s i o n s bedarf bestehen. Insgesamt zeigt sich, daß die G l ä u b i g e r ihre M ö g l i c h k e i t e n nicht voll ausschöpfen. O b w o h l ausreichende Sicherungsmittel v o r h a n d e n sind, wird die Vergabe ungesicherter K r e d i t e akzeptiert und z w a r nicht n u r von den im H i n b l i c k auf K r e d i t s i c h e r h e i t e n benachteiligten D i e n s t l e i s t u n g s - und

Hand-

w e r k s u n t e r n e h m e n 1 9 . S o gibt es in ca 56 % der S c h u l d n e r u n t e r n e h m e n ungesicherte B a n k k r e d i t e und in ca 4 9 % ungesicherte Lieferantenkredite. D a b e i haben i m m e r h i n 11 % ausschließlich ungesicherte B a n k k r e d i t e und ausschließlich ungesicherte

16%

Lieferantenkredite20.

D i e Frage nach der E i n b e z i e h u n g einer R i s i k o p r ä m i e für einen eventuellen Ausfall in den Preis verneinten 82,9 % der G l ä u b i g e r u n t e r n e h m e n mit dem H i n w e i s darauf, daß die Ausfälle vernachlässigbar klein sind 2 1 . F ü r das Z u 16 So z.B. die rechtssoziologische Untersuchung zur Praxis der Konkursabwicklung in der Bundesrepublik Deutschland von Gessner, Rhode, Strate und Ziegert oder die Rechtstatsachenforschung in Bezug auf die Mobiliarsicherheiten von Drukarczyk, Duttle und Krieger. 17 Drukarczyk/Duttle, S. 24. 18 Gessner/Rhode, S. 40. 19 Drukarczyk/Duttle, S. 84. 20 Drukarczyk/Duttle, S. 60 f. 21 Drukarczyk/Duttle, S. 82; dieses Ergebnis wird durch die Studie von Gessner/ Rhode, S. 434, unterstützt, nach der 50 % der angemeldeten Konkursforderungen unter DM 3.500,- und 70 % unter DM 10.000,- liegen.

B. Gläubigerschutz

als Hinderungsgrund

der Deregulierung

111

S t a n d e k o m m e n dieser Aussage dürfte es eine R o l l e spielen, daß die K o n k u r s b e r ü h r u n g mit der G r ö ß e des U n t e r n e h m e n s steigt 2 2 . D a g r ö ß e r e U n t e r n e h m e n die k o n k u r s b e d i n g t e n Ausfälle meist besser abfangen und tragen k ö n n e n als K l e i n b e t r i e b e , ergibt sich in B e z u g auf eine pauschale A b s i c h e r u n g des R i sikos - wie z u m Beispiel durch eine allgemeine, an den Preis g e k o p p e l t e R i s i k o p r ä m i e - eine in h o h e m M a ß e indifferente H a l t u n g . D a r a u s kann der S c h l u ß gezogen werden, daß für ein D u r c h s c h n i t t s u n t e r n e h m e n der Ausfall im K o n k u r s eines G e s c h ä f t s p a r t n e r s eine geringe G r ö ß e ist, die keiner übermäßigen B e a c h t u n g bedarf. W i r d das R i s i k o bereits v o n den B e t r o f f e n e n selbst als so u n w e s e n t l i c h eingeschätzt, daß zusätzliche S i c h e r u n g s m a ß n a h m e n u n t e r b l e i b e n k ö n n e n , bedarf es prinzipiell auch keiner V o r s o r g e des Staates zur E r h ö h u n g des Sicherungsstandards per G e s e t z . D i e s mag anders sein, w e n n der G l ä u b i g e r ü b e r kein diversifiziertes A b n e h m e r p o t e n t i a l verfügt. D e n n dann k a n n ihn der Ausfall eines H a u p t s c h u l d ners wirtschaftlich in einem s o l c h e n M a ß e belasten, daß er selbst in eine Schieflage gerät. F ü r diese G r u p p e fragt es sich, o b für sie hinreichende Sicher u n g s m ö g l i c h k e i t e n bestehen o d e r o b hier eine N a c h b e s s e r u n g durch den G e s e t z g e b e r n o t w e n d i g erscheint oder o b die mangelnde D i v e r s i f i k a t i o n ein M a n a g e m e n t f e h l e r des Gläubigers selbst ist und er daher keines b e s o n d e r e n Schutzes bedarf.

2. D i e Sicherungsmöglichkeiten Voraussetzung für die B e a n t w o r t u n g dieser schlaglichtartig a u f g e w o r f e n e n F r a g e n ist die K e n n t n i s der »Vorsorgemöglichkeiten« der Gläubiger. B e i den G l ä u b i g e r s i c h e r u n g e n ist zu unterscheiden z w i s c h e n den klassischen S i c h e r u n g s r e c h t e n und den atypischen Sicherungsmitteln. E i n e B e s c h r ä n k u n g auf die gesetzlich geregelten F o r m e n ist dabei längst nicht m e h r m ö g l i c h , weil die K a u t e l a r j u r i s p r u d e n z eine U n z a h l neuer o d e r Variationen alter Sicherungen erfunden hat. I m F o l g e n d e n soll k u r z eine A u s w a h l v o n Sicherungen aufgezeigt w e r d e n , u m die M ö g l i c h k e i t e n des Gläubigers z u m S e l b s t s c h u t z zu illustrieren 2 3 . D a n a c h sollen mit der Publizität, mit den Versicherungen und dem Konkursausfallgeld weitere M ö g l i c h k e i t e n dargestellt werden, die dem S c h u t z des Gläubigers dienen.

11 Gessner/Rhode, S. 430 f.; zu beachten ist dabei ebenfalls, daß die Banken absolut gesehen - trotz der hohen Befriedigungsquote von 79 % - die höchsten Verluste pro Konkurs haben, im Schnitt DM 100.000,-, Gessner/Rhode, S. 529. 23 Eine ausführliche Darstellung dieses Komplexes findet sich auch bei Klose-Mokroß, S. 84 ff.

112

a. Die

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

Sicherungen

Eine Aufstellung möglicher Sicherungsmittel enthält § 232 BGB. Er zählt auf: die Hinterlegung von Geld und Wertpapieren, die Verpfändung beweglicher Sachen, die Bestellung von Hypotheken, die Verpfändung von Forderungen, die mit einer Hypothek oder Grundschuld besichert sind, sowie die Bürgschaft. Weiter ergeben sich aus dem BGB die Zurückbehaltungs- und Leistungsverweigerungsrechte, §§ 273, 222, 320, der Schuldbeitritt, § 305 bzw. §§ 419, 556 Abs.2, 2382, das Vertragsstrafeversprechen, § 339, die Eintragung einer Vormerkung, § 883 f., die Grundschuld, § 1191, die Bauhandwerkersicherungshypothek, § 648, die Möglichkeit zur Sicherheitsleistung durch den Besteller, § 648 a, und der Eigentumsvorbehalt, § 455. Von der Kautelarjurisprudenz wurden das Sicherungseigentum, die (harte) Patronatserklärung, die Garantie und die Sicherungsabtretung entwickelt 24 . Das effektivste Mittel, sich gegen einen Ausfall zu sichern, ist die Vorkasse 25 . Ein Kompromiß zwischen Vorkasse und nachträglicher Zahlung ist ein Vorgehen mit Hilfe von Abschlagszahlungen. So kann sichergestellt werden, daß ein eventuell eintretender Ausfall sich in für den Gläubiger erträglichen Grenzen hält. Ein weiteres, nicht dem Terminus »Sicherung« a priori unterfallendes Mittel ist die Festsetzung von Zahlungsfristen. Ist die Zahlungsfrist so bemessen, daß die gelieferte Ware innerhalb der Zahlungsfrist nach dem gewöhnlichen Geschäftsgang noch nicht umgeschlagen ist, kann durch die Kombination von Zahlungsfrist und Eigentumsvorbehalt eine nahezu vollständige Absicherung geschaffen werden 26 . Schon aus dieser kurzen Auflistung der möglichen Sicherheiten läßt sich erahnen, daß in den meisten Fällen die Möglichkeit einer ausreichenden Vorsorge besteht. Jedoch gab und gibt es bedingt durch die gesetzliche und privatautonome Ausgestaltung einiger Vertragsverhältnisse Ausnahmen. Dies betraf vor allem die Bauhandwerker 2 7 . Zum einen sind sie durch die Regelung des § 946 BGB 24 Zu dem Verhältnis der Sicherungen und der neuen Konkursordnung: Newinger, Die Sparkasse 1994, 535 ff. 25 Dies w i r d auch von den Unternehmen so gesehen, die bei erhöhtem Ausfallrisiko auf Vorkasse bestehen, Drukarczyk/Duttle, S. 97; in diesem Bereich ist im Moment Bewegung, so w i r d zwar nicht vermehrt zur Vorkasse übergegangen, aber der Druck auf die Kunden, Lieferantenkredite schnell zurückzuführen, steigt durch die Tendenz, schneller höhere Verzugszinsen zu berechnen, FAZ vom 4.11.1995, S. 13; entsprechend ermöglicht dies das B G B nunmehr unter bestimmten Umständen auch ohne Mahnung. 26 Drukarczyk/Duttle, S. 68 ff. 2 7 Sie sind heute noch der Wirtschaftsbereich mit der höchsten Insolvenzrate, FAZ »1996 droht ein neuer Insolvenzrekord« vom 29.11.1995, S. 17.

B. Gläubigerschutz

als Hinderungsgrund

benachteiligt, da ihnen dadurch die ü b l i c h e n

der Deregulierung

113

Eigentumsvorbehaltsklauseln

abgeschnitten sind. V o r allem aber sind sie - wie alle auf G r u n d eines W e r k vertrags L e i s t e n d e n - nach (dem dispositiven) § 641 vorleistungspflichtig. Ihre M ö g l i c h k e i t zur F o r d e r u n g v o n A b s c h l a g s z a h l u n g e n ist durch die V O B , Teil B § 16, nicht ausreichend gewährleistet. D e r z u m S c h u t z der B a u h a n d w e r k e r eingefügte § 6 4 8 hat seinen Z w e c k verfehlt, weil die B e s t e l l u n g der Sic h e r u n g s h y p o t h e k erst zu einem Z e i t p u n k t erfolgen kann, bei d e m im R e g e l fall keine zur Sicherung h i n r e i c h e n d e Rangstelle m e h r zu erhalten ist. H i e r hat der G e s e t z g e b e r punktuell eingegriffen und mit § 6 4 8 a B G B die Pflicht zur Sicherheitsleistung durch den Besteller eingeführt 2 8 .

b. Risikoprämien

und

Risikodiversifikation

W ä h l t der G l ä u b i g e r n i c h t den W e g ü b e r eine Sicherung, k a n n er sein R i s i k o auch auf andere Weise m i n i m i e r e n . Z u m einen k a n n er eine R i s i k o p r ä m i e in den Preis einkalkulieren und so die k o n k u r s b e d i n g t e n Verluste decken. I n der Praxis wird v o n dieser L ö s u n g - wie o b e n gerade gezeigt - so gut wie kein G e b r a u c h gemacht. Z u m anderen k a n n er sein R i s i k o diversifizieren 2 9 . J e kleiner die B e t r ä g e sind, die auf den einzelnen S c h u l d n e r entfallen, desto weniger m a c h t sich dessen K o n k u r s bemerkbar. D i e R i s i k o d i v e r s i f i k a t i o n ist z w a r prinzipiell ein sinnvoller A n s a t z . G e r a d e den m i t t e l g r o ß e n U n t e r n e h m e n fehlt dazu aber oft das ö k o n o m i s c h e P o t e n tial. Sie sind auf einen b e g r e n z t e n K r e i s v o n A b n e h m e r n festgelegt 3 0 . D i e s e U n t e r n e h m e n haben aber im Regelfall weniger k o n k u r s b e d i n g t e S c h w i e r i g keiten, s o n d e r n sie leiden v o r allem u n t e r der k o n s t a n t e n D r o h u n g der A b nehmer, den L i e f e r a n t e n zu wechseln. F ü r die vorliegende P r o b l e m a t i k k ö n nen sie daher außer B e t r a c h t bleiben.

c. Die

Publizität

E i n e weitere M ö g l i c h k e i t z u m Selbstschutz bietet den Gläubigern die I n f o r m a tionsverschaffung auf G r u n d der i m m e r stärker akzentuierten Publizitätsvorschriften 3 1 . J e wirklichkeitsnäher das v o m Schuldner vermittelte Bild über dessen Vermögenslage ist, desto eher kann die N o t w e n d i g k e i t des » O b « und »Wie« von Sicherungsmaßnahmen im weitesten Sinne eingeschätzt werden. Bundestagsdrucksache 12/1836, S. 5 ff. Drukarczyk/Duttle, S. 82. 3 0 Ein gutes Beispiel dafür bieten die Zulieferer der Automobilindustrie. 31 Zur Einordnung der Publizität als Gläubigerschutzinstrument: Klose-Mokroß, S. 162 ff.; zur historischen Entwicklung: Kronstein/Claussen, S. 12 ff. 28

29

114

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

Gerade in dem Bereich der Publizität ist die Genese in den letzten Jahren fortgeschritten. Nur kurz erwähnt seien die Prospekthaftung und die ad hocPublizität 32 . Jedoch wird von den durch die Publizität vermittelten Möglichkeiten von den Gläubigern nur in geringem Maße Gebrauch gemacht. So holen 42,6 % der befragten Gläubiger lediglich vereinzelt, 13,4 % nie und nur 21,1 % generell sowie 22,9 % häufig Informationen über ihre Geschäftspartner ein 33 . Die Informationsbeschaffung erfolgt dabei vor allem über Bankauskünfte und die Inanspruchnahme von Kreditauskunfteien. Die auf der gesetzlichen Publizität beruhenden Informationen werden dagegen äußerst selten gebraucht. So spielt vor allem die Auswertung der Jahresabschlüsse oder der Einblick ins Grundbuch eine vollkommen untergeordnete Rolle 34 . Dies liegt zum einen an den relativ hohen Transaktionskosten, die mit der Wissensverschaffung durch Publizität verbunden sind. Zum anderen sehen die Unternehmen, die über ausreichende Sicherungen verfügen, keinen Sinn darin, noch zusätzlich Informationen einzuholen 35 . Die übrigen Unternehmen ziehen schnellere und billigere Wege vor, selbst wenn diese unpräzise sein sollten 36 . Eine wichtige Rolle spielen dabei die nicht über Publizitätsvorschriften geregelten Möglichkeiten der Informationsgewinnung durch mehr oder minder allgemein bekannte oder erkennbare Tatsachen. So stellt sich heraus, daß eine Konkursgefährdung des Schuldners je eher erkannt wird, je länger die Zusammenarbeit andauert, weil dann abweichendes Geschäftsverhalten bemerkt wird 3 7 . Mag dieser Zusammenhang zwischen drohendem Konkurs des Schuldners und Erkenntnisfähigkeit des Gläubigers noch naheliegen, überrascht folgende Feststellung: Diejenige Gläubigergruppe, die ihre Information über eine Auskunftei einzog, die ihrerseits im Zweifel die über die Publizitätsvorschriften zugänglichen Unterlagen ausgewertet hat, schnitt deutlich schlechter ab, als die Gläubigergruppe, die sich an Hand persönlicher Auskünfte anderer Lieferanten informierte 38 . Dies könnte den Schluß nahelegen, daß die Beobachtung des allgemeinen GeGenauer dazu oben II.1. Drukarczyk/Duttle, S. 79 Tabelle U - 4 3 . 34 Drukarczyk/Duttle, S. 79 und Tabelle U-44; Bavelaar, S. 9; anders die Banken, die Bilanzen an H a n d von Kennziffern auf die Konkursgefährdung hin analysieren, dazu: Hüls, S. 1 ff. 35 Drukarczyk/Duttle, S. 80 sowie Tabelle U-45; dies dürfte vor allem darin liegen, daß die Bestellung einer ausreichenden Sicherheit mit geringeren Kosten als die Ü b e r w a c h u n g des Schuldnerunternehmens verbunden ist, Drukarczyk/Duttle, S. S. 30. 36 Drukarczyk/Duttle, S. 80. 37 Gessner/Rhode, S. 439. 38 Gessner/Rhode, S.431. 32 33

Deregulierung

115

schäftsgebarens aussagekräftiger ist als die A u s w e r t u n g der -

zugegebener

B. Gläubigerschutz als Hinderungsgrund

der

Weise z u m Z e i t p u n k t der Erstellung der Studie n o c h geringeren - durch P u b lizität greifbaren I n f o r m a t i o n e n . D i e s mag nicht zuletzt an der Ausgestaltung dieser I n f o r m a t i o n s p f l i c h t e n liegen, die gegenwärtig n o c h v o r allem auf das G r u n d k a p i t a l abzielen, nicht j e d o c h auf die Liquidität und den cash f l o w des U n t e r n e h m e n s 3 9 , o b w o h l diese P a r a m e t e r f ü r die B e u r t e i l u n g der Solidität v o n g r o ß e r R e l e v a n z sind 4 0 . E s zeigt sich somit, daß die durch den G e s e t z g e b e r - aus unterschiedlichen G r ü n d e n - vermittelte Publizität für den G l ä u b i g e r s c h u t z in der Praxis lediglich v o n u n t e r g e o r d n e t e r B e d e u t u n g ist. I n diesem B e r e i c h besteht daher v o n der U n t e r n e h m e n s s e i t e her n o c h ein beachtliches P o t e n t i a l zur A b s i c h e r u n g gegen Ausfälle 4 1 als auch v o n Seiten des G e s e t z g e b e r s die M ö g l i c h k e i t , durch bessere allgemeine Publizitätsregeln den G l ä u b i g e r s c h u t z zu effektivieren. Z u d e m w i r d in Z u k u n f t das m e h r und m e h r im Vordringen begriffene R a t i n g eine nicht vernachlässigbare R o l l e spielen 4 2 .

d.

Versicherungen

Von nicht u n e r h e b l i c h e r B e d e u t u n g für die F r a g e des B e s t e h e n s eines ausreichenden G l ä u b i g e r s c h u t z e s ist die M ö g l i c h k e i t bzw. der Z w a n g z u m A b schluß v o n Versicherungen 4 3 . D i e s k a n n z u m einen auf der Seite des Gläubigers geschehen und z w a r entw e d e r freiwillig o d e r durch eine gesetzliche A n o r d n u n g . A u f diese Weise kann durch die Z a h l u n g eines laufenden Betrages eine ü b e r m ä ß i g e Belastung im Falle eines K o n k u r s e s abgewendet w e r d e n . D i e freiwilligen Versicherungen w e r d e n in den meisten Fällen Kreditversic h e r u n g e n sein und z w a r oft in der F o r m der W a r e n k r e d i t v e r s i c h e r u n g 4 4 . D i e s e Alternative zu den reinen Sicherungen bringt einen zusätzlichen E f f e k t mit sich. D e r V e r s i c h e r u n g s n e h m e r m u ß , u m der Versicherung die für die E i n schätzung des R i s i k o s n o t w e n d i g e n I n f o r m a t i o n e n geben zu k ö n n e n , diese herbeischaffen. H i e r ist dann eine bessere V e r w e r t u n g der zu publizierenden F a k t e n zu erwarten 4 5 .

39 40 41 42 43 44 45

Siehe auch oben 1. Kapitel C.3.zur Bilanz. Bauer, S. 304 ff. So auch Drukarczyk/Duttle, S. 96. Dazu unten D. I. 3. Walz in FS Kübler, S. 560; Klose-Mokroß, S. 87. Zu den Warenkreditgläubigern ausführlich: Klose-Mokroß, Dazu auch Gessner/Rhode, S. 464 ff.

S. 124 ff.

116

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

Z u den gesetzlich angeordneten Versicherungen gehört v o r allem die A r beitslosenversicherung. D i e s e betrifft allerdings die A r b e i t n e h m e r nicht in ihrer Stellung als G l ä u b i g e r des K o n k u r s u n t e r n e h m e n s , da die A r b e i t s l o s e n v e r sicherung erst nach der B e e n d i g u n g des Arbeitsverhältnisses eingreift u n d daher nicht den v o m U n t e r n e h m e n geschuldeten L o h n substituiert. A b e r auch Versicherungen des Schuldners k ö n n e n z u r A b s i c h e r u n g der G l ä u b i g e r dienen. S o wird z u m Beispiel durch den - allerding lediglich in A u s n a h m e f ä l l e n b e s t e h e n d e n 4 6 - gesetzlichen Z w a n g z u m A b s c h l u ß einer H a f t p f l i c h t v e r s i c h e r u n g einem eventuell G e s c h ä d i g t e n neben d e m Schuldner als Schädiger ein weiterer p o t e n t e r S c h u l d n e r zur Seite gestellt. N e b e n diesen Pflichtversicherungen k a n n sich der S c h u l d n e r auch n o c h freiwillig versichern, z . B . in B e z u g auf eine eventuell eintretende P r o d u k t h a f t p f l i c h t 4 7 . D i e durch solche Versicherungen geschaffene A u s d e h n u n g des Z u g r i f f s v e r m ö g e n s der G l ä u b i g e r ist so e m i n e n t 4 8 , daß sie der A u s d e h n u n g des Mindestkapitals z u m Teil gleichgesetz w i r d 4 9 .

e. Pensionssicherungsverein

und

Einlagensicherung

E i n e n Sonderstatus bei der Sicherung der G l ä u b i g e r n e h m e n der P e n s i o n s sicherungsverein und die E i n l a g e n s i c h e r u n g der B a n k e n ein. Der

Pensionssicherungsverein

(PSV)

ist eine

Insolvenzsicherung

auf

G r u n d ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e r Verpflichtung ( § 1 0 B e t r A V G ) , in die die beteiligten A r b e i t g e b e r im R a h m e n eines U m l a g e v e r f a h r e n s einzahlen. Sichergestellt wird damit, daß die G l ä u b i g e r einer betrieblichen Alterszusage auch im K o n k u r s des U n t e r n e h m e n s ihren A n s p r u c h nicht verlieren. D i e Einlagensicherung der B a n k e n garantiert den G l ä u b i g e r n in F o r m der E i n l e g e r z u m i n d e s t einen Teil ihrer Einlagen in der I n s o l v e n z der B a n k . D i e

4 6 Das bekannteste Beispiel ist die KFZ-Haftpflichtversicherung, § 1 PflVG; weitere Beispiele sind die Berufshaftpflichtversicherungen. 4 7 Siehe dazu die besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Produkthaftpflichtversicherung von Industrie- und Handelsbetrieben als Zusatz zur Betriebshaftpflichtversicherung; abgedruckt bei Prölss/Martin, Haftpflichtversicherungen (V). 4 8 Zu beachten ist dabei allerdings, daß der Gläubiger im Regelfall keinen eigenständigen Anspruch gegen die Versicherung hat, §§ 149 ff W G . Jedoch kann er den Anspruch des Versicherten pfänden und sich überweisen lassen. Rechtspolitisch könnte man in diesem Zusammenhang über eine Ausdehnung der in § 3 PflVG getroffenen Regel über den Direktanspruch nachdenken. 49 Adams, Ökonomische Probleme, 203; Brüggemeier weist allgemein darauf hin, daß die Tendenzen im Versicherungsrecht weg von Schutzinstrument des Versicherten gegen eventuell ruinöse Schadensersatzansprüche hin zum Geschädigtenschutz geht, AcP 182, 412 ff.

B. Gläubigerschutz

als Hinderungsgrund

der

Deregulierung

117

Einlagensicherung beruht nicht auf einer gesetzlichen Regelung, sondern wird von den Spitzenverbänden der deutschen Kreditwirtschaft getragen. f.

Konkursausfallgeld

Da die durch § 614 B G B und den Konkursvorrang nach § 61 K O im Hinblick auf den rückständigen Lohn gewährten Privilegien durch die verstärkte individualvertragliche Absicherung der sonstigen Gläubiger mehr und mehr ausgehöhlt wurden, hat der Gesetzgeber durch die Schaffung des Konkursausfallgeldes nach § 141 ff. A F G eingegriffen. Dieses zusammen mit dem Konkursvorrecht sowie den meist erstellten Sozialplänen sichert den Arbeitnehmern als Gläubigern eine relativ gute Stellung, auch wenn sie zur Gruppe der unbesicherten Gläubiger gehören 50 . Insofern ist bei der Auswertung von entsprechenden Statistiken zu beachten, daß die Arbeitnehmer zwar immer bei den Gläubigergruppen mit den höchsten Verlustquoten auftauchen 51 . Da diese Quote aber rein auf die Zahlungen durch den Schuldner - das Unternehmen - bezogen ist, berücksichtigt sie nicht die Auffangfunktion des Konkursausfallgeldes. 3. Ergebnis Durch die Forschungen bezüglich der Insolvenzrechtsreform hat sich somit gezeigt, daß den Gläubigern ein großes Potential zur individuellen Sicherung ihrer Forderungen offensteht. Dieses wird aber nur teilweise ausgenutzt. Hier könnte durch die Eigeninitiative der Gläubiger noch einiges verbessert werden. Dies scheitert auch nicht an einer eventuell bereits bestehenden zu hohen Besicherung des vorhandenen Firmenvermögens, da bei solventen Unternehmen mehr als 50 % von Sicherheiten frei sind 52 . Sollte es dennoch für das eine oder andere Unternehmen durch das Verlangen nach mehr Sicherheiten früher zu Schwierigkeiten kommen, so ist dies nicht unbedingt nachteilig. Denn 33 % der in der Studie befragten Praktiker sahen in der verzögerten Antragstellung einen Hauptgrund für die Massearmut der Konkurse 5 3 . Waren oder sind in Ausnahmefällen die vorhandenen Sicherheiten nicht ausreichend, so hat sich der Gesetzgeber wie bei der Bauhandwerkersicherungshypothek um eine Lösung des Problems im Rahmen des entsprechenden Normenkomplexes bemüht. 50 51

52 53

Gessner/Rhode, S.40. Z.B. bei Gessner/Rhode, S. 45, unter der Quote von 86 % Verlust. Drukarczyk/Duttle, S. 62. Gessner/Rhode, S. 113.

118

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz im

Kapitalgesellschaftsrecht

B e z ü g l i c h der einzelnen G l ä u b i g e r g r u p p e n zeigt sich, daß für die meisten der K o n k u r s des einen o d e r anderen Schuldners ein nicht v o n ü b e r m ä ß i g e r B e d e u t u n g geprägtes Geschäftsereignis ist. M e i s t wird der Ausfall o h n e w e i teres v e r s c h m e r z t . I n B e z u g auf die vertraglich bedingten G e s c h ä f t s b e z i e h u n g e n der verschiedenen U n t e r n e h m e n untereinander besteht eine hinreichende Sicherungsm ö g l i c h k e i t durch die v o m bürgerlichen R e c h t bereitgestellten S i c h e r u n g e n 5 4 , die allerdings ein gewisses M a ß an Eigeninitiative des Gläubigers v o r a u s setzen. D i e A r b e i t n e h m e r sind durch die A r b e i t s l o s e n v e r s i c h e r u n g , das K o n k u r s ausfallgeld und den Pensionssicherungsverein v o r den F o l g e n des K o n k u r s e s bis zu einem gewissen G r a d geschützt. V o r dem K o n k u r s des A r b e i t g e b e r s v e r b u n d e n mit d e m Verlust des Arbeitsplatzes selbst hingegen gibt und kann es keinen S c h u t z geben. I n B e z u g auf die drei übrigen H a u p t g l ä u b i g e r im K o n k u r s v e r f a h r e n , das F i n a n z a m t , die Sozialversicherung und das A r b e i t s a m t , hat es der G e s e t z g e ber in der H a n d , o b er für ausreichende Sicherungen sorgt, oder die Ausfälle anderweitig einkalkuliert. A u s der dann n o c h verbleibenden kleinen R e s t g r u p p e stellen v o r allem die D e l i k t s g l ä u b i g e r ein P r o b l e m dar. E s gibt einerseits Deliktsgläubiger, die zugleich in V e r t r a g s b e z i e h u n g e n z u m S c h u l d n e r stehen. Sie k ö n n e n sich vertraglich auch gegen die M ö g l i c h k e i t des deliktischen Schadens sichern oder gehen das entsprechende R i s i k o - z u m Beispiel bei zweideutigen Spekulationsgeschäften - b e w u ß t ein und sind daher nicht n o c h besonders s c h ü t z e n s wert. Andererseits gibt es die reinen Deliktsgläubiger, die bedingt d u r c h die A r t ihrer A n s p r u c h s e n t s t e h u n g keine M ö g l i c h k e i t zur vertraglichen A b s i c h e rung ihres A n s p r u c h s h a b e n 5 5 . D i e reinen D e l i k t s g l ä u b i g e r müssen danach unterteilt werden, o b n e b e n dem in K o n k u r s fallenden U n t e r n e h m e n n o c h ein weiterer Schuldner v o r h a n den ist. Wegen der weiten Verbreitung der H a f t p f l i c h t v e r s i c h e r u n g 5 6 und des bei deliktischer Schädigung d u r c h eine juristische P e r s o n

zwangsläufigen

Vorhandenseins eines w e i t e r e n natürlichen M i t h a f t e n d e n wird das w e i t g e -

Kühler in Öffentliches Recht, S 237. Adams, Ökonomische Probleme, S. 202; nach Weitbrecht, S. 19 und 71 sind diese nicht schützenswert. 56 Allerdings vermittelt die Haftpflichtversicherung im Regelfall keinen Direktanspruch des Geschädigten, §§ 149 ff. W G , Ausnahme: § 3 PflVersG; Adams, Ökonomische Probleme, 203, weist darauf hin, daß die Haftpflichtversicherung insofern eine Mindestkapitalregelung für beschränkt Haftende darstellt. 54 55

B. Gläubigerschutz

als Hinderungsgrund

der

Deregulierung

119

hend zu b e j a h e n sein 5 7 . D i e dann n o c h verbleibenden Fälle sind zahlenmäßig so gering, daß es zu ihrer Erfassung nicht einer E r h ö h u n g des kapitalgesellschaftsrechtlichen G l ä u b i g e r s c h u t z e s insgesamt bedarf. Z u r A b f e d e r u n g v o n b e s o n d e r e n H ä r t e n sollte hier eher ü b e r eine F o n d s l ö s u n g nachgedacht werden, wie dies teilweise für die Kleingläubiger vertreten wird 5 8 . E r g i b t sich die deliktische Schädigung j e d o c h aus einem fehlerhaften Verhalten der G e s e l l schaft vermittelt durch die G e s e l l s c h a f t e r wird bereits die A b s i c h e r u n g ü b e r einen D u r c h g r i f f diskutiert. E i n e Stellungnahme zu diesem P r o b l e m ist lediglich dann n o t w e n d i g , w e n n sich bei einer Evaluierung der S y s t e m e herausstellt, daß im H i n b l i c k auf die D e r e g u l i e r u n g v e r b u n d e n mit der A b s c h a f f u n g des festen Garantiekapitals ein entsprechender B e d a r f besteht.

III. Evaluierung der Systeme I m F o l g e n d e n geht es darum, die verschiedenen gläubigerschützenden A n s ä t ze gegenüberzustellen und ihre Vor- und N a c h t e i l e aufzuzeigen, um dann eine W ü r d i g u n g im R a h m e n des bestehenden G e s a m t s y s t e m s v o r n e h m e n zu k ö n nen. E s sind dies der kapitalgesellschaftsrechtliche A n s a t z (1), die Publizität (2) und damit v e r b u n d e n die Stärkung der Eigeninitiative der G l ä u b i g e r (3).

1. D e r k a p i t a l g e s e l l s c h a f t s r e c h t l i c h e A n s a t z D i e M e h r h e i t der mit dem K o n k u r s r e c h t befaßten P r a k t i k e r hält die h o h e L i beralität des Gesellschaftsrechts für ausschlaggebend in B e z u g auf die h o h e n Q u o t e n masseloser K o n k u r s e 5 9 . Von dieser Seite wird also für eine Verstärkung des gesellschaftsrechtlichen A n s a t z e s im H i n b l i c k auf den Gläubigerschutz plädiert. J e d o c h kann das Gesellschaftsrecht E n t s p r e c h e n d e s - j e d e n falls u n t e r Zugrundelegung der derzeitigen S t r u k t u r e n - nicht leisten. D i e gegenwärtige R e c h t s l a g e schützt die G l ä u b i g e r v o r der N i c h t e i n z a h lung bzw. der R ü c k e r s t a t t u n g des Garantiekapitals. Sie bietet keinen S c h u t z gegen den Verlust im R a h m e n der Geschäftstätigkeit 6 0 . Sieht man v o n b e t r ü gerischen K o n s t r u k t i o n e n ab 6 1 , ist dies aber der H a u p t g r u n d für einen K o n -

57 Weitbrecht, S. 71, der zu Recht betont, daß es kein Recht auf einen »ordentlichen Schuldner« gibt. 58 Gessner/Rbode, S. 460. 59 Gessner/Rbode, S. 112 f. 60 Raiser, GesR, §37; Kubier, Aktie, S.30; Klose-Mokroß, S. 62; Fabncms, GmbHR 1970, 140. 61 Beispiele für solche finden sich bei Kohl/Kübler/Walz/Wüstrich, ZHR 138, 8 ff.

120

2. Kapitel:

Der Gläubiger-

und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

kurs, vor allem unter Berücksichtigung dessen, daß das deutsche Recht die faktische Unterkapitalisierung zuläßt 62 . Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht stellen sich also folgende Fragen: Erstens sollte - und vor allem kann - die Sicherung des Garantiekapitals verändert werden; zweitens wo muß der Schutz gegen betrügerisches Vorgehen angesiedelt werden und drittens soll das Verbot der Unterkapitalisierung eingeführt werden. a. Die Sicherung

des

Garantiekapitals

Die Sicherung des Garantiekapitals erfolgt über die oben angeführten Regeln zur Kapitalaufbringung und -erhaltung. Diese Regeln haben sich entsprechend ihrer Zielrichtung in der Praxis bewährt 63 und sind weiterentwickelt und verfeinert worden 64 , haben aber gleichzeitig zu einer Erstarrung des Systems geführt. Die in der Literatur in diesem Zusammenhang am häufigsten aufgeworfene Frage ist daher auch nicht die nach der Verschärfung dieser Regeln, sondern die nach einer Neustrukturierung unter Abschaffung des Garantiekapitals selbst 65 . Im Hinblick auf den Gläubigerschutz problematisch ist die Auszehrung des Garantiekapitals durch laufende Verluste 66 . Eine Absicherung dieses Risikos über Kapitalerhaltungsvorschriften ist nicht möglich, da das Garantiekapital das Arbeitskapital der Gesellschaft ist. Mit ihm muß gewirtschaftet werden. Sein Einsatz ist mithin nicht oder kaum - außer im Rahmen von Mißbrauchsvorschriften 67 - limitierbar 68 . Eine Absicherung in Bezug auf die Verwendung des Garantiekapitals läßt sich daher lediglich in der Form praktizieren, daß eine Überprüfung in bestimmten zeitlichen Abschnitten stattfindet. Das Ergebnis dieser Überprüfung muß die weiteren Schritte bestimmen.

62 Klose-Mokroß, S. 66; daher auch die hohe Konkursanfälligkeit in den ersten fünf Jahren, die bei 45 % liegt, Gessner/Rhode, S. 518 Tab. XII 3. 63 Dazu: H ü f f e r , Aktiengesetz, § 1 Rn. 10 ff.; Burgenroth in Gessler/Hefermehl, §57, Rn. 1 ff.; Lutter in KölnKom, § 57 Rn. 1 ff. 64 Z.B. durch die Grundsätze zur verdeckten Sacheinlage. 65 Kühler, Aktie, S. 30 ff.; Klose-Mokroß, S. 70, die darauf hinweist, daß die starren Regeln der Eigenkapitalaufnahme diese erschweren und dadurch weniger Eigenkapital aufgenommen wird. Durch die niedrigere Eigenkapitalquote wird den Gläubigern geschadet. Daraus zieht sie den Umkehrschluß, daß eine Flexiblilisierung der Eigenkapitalregeln den Gläubigern über die so zu erreichende hohe Eigenkapitalquote nützt. 66 Roth, GmbHG, Einl. 3.2.1; Weitbrecht, S. 13; Drukarczyk, S. 1238; Zöllner, Schranken, S. 41. 67 Dazu gehören auch Maßnahmen gegen betrügerisches Vorgehen. 68 Im Ansatz ähnlich Lutter in KölnKom, § 57, Rn. 2.

B. Gläubigerschutz

als Hinderungsgrund

der Deregulierung

121

Ist das Garantiekapital in voller Höhe vorhanden, sind weitere Schritte nicht nötig. Ist es hingegen ganz oder teilweise verbraucht, ergeben sich zwei mögliche Wege. 1. Es kann eine Nachschußpflicht bis zur Wiederherstellung des vollen Garantiekapitals statuiert werden 69 . 2. Ist das Garantiekapital einmal vollständig erbracht, kann es sanktionslos - Mißbrauch ausgenommen - bis zur Konkursreife aufgezehrt werden. Der erste Weg ist zwar theoretisch denkbar, widerspricht aber dem Prinzip der beschränkten Haftung (und den damit verbundenen Vorteilen bezüglich der Kapitalsammelfunktion 70 ), da er laufende Nachschüsse erfordern würde. Er bleibt daher Ausnahmefällen vorbehalten, wie zum Beispiel bei der Differenzhaftung nach § 9 GmbHG oder in Fällen des Mißbrauchs. Hält man das Prinzip der beschränkten Haftung aufrecht, kann es auch keine Zwischenlösungen geben, sondern die Aufzehrung des Garantiekapitals durch Verluste muß der gegenwärtigen Rechtslage entsprechend sanktionslos bleiben 71 . Damit stellt sich die Frage, wie die Gläubigersicherung bei Aufzehrung des Garantiekapitals aussehen soll 72 . Sind Sanktionen auf der Ebene der Gesellschaft ausgeschlossen, kann die Gläubigersicherung nur über die Verhaltenssteuerung bei den Gläubigern selbst erfolgen. Dies ist aber unweigerlich mit einer erhöhten Eigeninitiative der Gläubiger verbunden 73 . Zur Absicherung des Gläubigers stehen prinzipiell zwei Wege zur Verfügung: Der Gläubiger kann sich vorab Sicherheiten in Höhe der fraglichen Forderung bestellen lassen. In diesem Fall ist für den Gläubiger der weitere wirtschaftliche Verlauf beim Schuldner im Hinblick auf seine Forderung nur noch von untergeordnetem Interesse 74 . Hat der Gläubiger diesen Weg nicht oder 6 9 Etwas anders gelagert ist die Frage nach der Unterkapitalisierung der Gesellschaft. Bei dieser kommt es nicht auf das Vorhandensein des festgesetzten Haftkapitals, sondern auf die angemessene Kapitalausstattung der Gesellschaft an; siehe dazu unten 3. 70 Siehe dazu oben A. II.; ohne Beschränkung der Haftung ist eine massive Behinderung des Wirtschaftsverkehrs zu befürchten. 71 Die Pflicht zur Einberufung der Hauptversammlung nach § 92 Abs. 2 AktG bei Verlust der Hälfte des Grundkapitals kann dabei nicht als Sanktion angesehen werden. 72 Sinnvoll sind sicherlich zusätzliche Anreizsysteme, die eine solide Geschäftsführung fördern. Dazu ist bereits oben 1. Kapitel A.II.3. Stellung genommen worden. 73 Roth, Ökonomische Probleme, S. 226, weist in diesem Zusammenhang auf die Komplexität und das daraus folgende Bedürfnis nach Reduktion sowie die begrenzte A u f m e r k samkeitskapazität der Gläubiger hin. Diese Hindernisse bestehen zwar, lassen sich aber nicht durch rechtliche Zwangsregeln auffangen, ohne die Haftungsdurchbrechung zu propagieren. Alle sonstigen Lösungsansätze w ü r d e n nur zu einer graduellen Verschiebung führen. 74 So geben dies 15 % der Gläubiger in Hinblick darauf an, w a r u m sie keine Risikoprämie verlangen, Drukarczyk/Duttle, S. 82; das Interesse am weiteren wirtschaftlichen Ver-

122

2. Kapitel:

Der Gläubiger-

und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

nur teilweise beschritten, muß er sich über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners fortlaufend informieren, um eventuell nötige Schritte frühzeitig unternehmen zu können. Dies gelingt ihm unter anderem mit der vom Gesetzgeber angeordneten Publizität und verlangt wiederum Eigeninitiative des Gläubigers. Beiden Wegen ist gemeinsam, daß sie unabhängig von dem Fortbestand des Garantiekapitals sind. b. Der Schutz gegen betrügerisches

Vorgehen

Betrügerisches Vorgehen Einzelner kann selbst bei noch so sorgfältiger Konzeption des entsprechenden Regelwerkes nicht vermieden werden 7 5 ; d.h. mit der Möglichkeit zum Betrug und deren Ausnutzung muß die Rechtsordnung rechnen. Die Frage ist daher erstens, welche präventiven Maßnahmen rechtspolitisch und ökonomisch sinnvoller Weise zu treffen sind, und wie sich dies auf die Ahndung solcher Verstöße auswirkt. Je umfangreicher und detaillierter die gesetzlichen Regeln sind, desto einfacher ist eine Umgehung oder ein Verstoß durch einfache Subsumtion zu belegen, aber desto unflexibler wird das Gesamtsystem. Ein gutes Beispiel für eine solche Entwicklung ist das deutsche Aktienrecht. Durch die diversen Versuche zu Lasten der Anleger das Aktienrecht auszunutzen, hat sich ein immer differenzierteres Regelungswerk herausgebildet 7 6 , das heute wegen seines Formalismus und seiner Starrheit von allen Seiten angegriffen wird 7 7 . Die Rechtsform der Aktiengesellschaft eignet sich vor allem für große Publikumsgesellschaften, die den mit dem Formalismus verbundenen Kostenaufwand in Kauf nehmen müssen, um über die Börse Kapital in größerem Umfang zu beziehen 7 8 . Einen anderen Weg gehen die meisten Staaten der USA. Dort ist das Gesamtsystem wesentlich flexibler und es wird an Hand des Einzelfalls durch die Rechtsprechung entschieden, inwieweit das Vorgehen der Beteiligten als gesellschafts-, gläubiger- oder anlegerschädigend angesehen werden muß 7 9 . Dieses System hat mit dem Nachteil einer im Vorfeld weitgehend unklaren Rechtslage zu kämpfen, die zu einer übermäßigen Inanspruchnahme der Gerichte zur Klärung der Zweifelsfragen führt. Ob dieser Ansatz ökonomisch lauf beim Schuldner mag sich anders darstellen, wenn es um die weitere gemeinsame Geschäftstätigkeit geht. Die geschuldete Forderung selbst hingegen bringt der Gläubiger entweder über die normale Erfüllung oder - etwas umständlicher - über die Verwertung der Sicherheiten ein. 75 Zur Effizienz der Strafverfolgung Kohl/Kübler/Walz/Wüstrich, ZHR 138, S. 19 ff. 76 Dazu 2. Kapitel A.I. 77 Z.B. Claussen, DBW 1991, 185 f. 78 Seibert/Köster, S. 22.

B. Gläubigerschutz als Hinderungsgrund

der

123

Deregulierung

sinnvoll ist, ist - auch im Z u s a m m e n h a n g mit dem amerikanischen S y s t e m der Anwaltshonorare - umstritten80. E i n weiterer entscheidender U n t e r s c h i e d z w i s c h e n dem deutschen und dem amerikanischen S y s t e m liegt in der verschiedenen A u f t e i l u n g der G e s e t z g e b u n g s k o m p e t e n z e n . In den U S A spielt das K a p i t a l m a r k t r e c h t als - in seinen wichtigsten A u s p r ä g u n g e n - B u n d e s r e c h t eine weitaus

bedeutendere

R o l l e als in D e u t s c h l a n d . D i e s ist in den U S A das R e c h t s g e b i e t , in dem die entscheidenden Auflagen für Gesellschaften gemacht werden, die den Z u t r i t t z u m K a p i t a l m a r k t erlangen w o l l e n 8 1 . D i e s mag in D e u t s c h l a n d bedingt durch die R e f o r m b e s t r e b u n g e n auf der E b e n e der E G - insbesondere zu erwähnen sind in diesem Z u s a m m e n h a n g die B ö r s e n z u l a s s u n g s p r o s p e k t r i c h t l i n i e 8 2 , die Transparenzrichtlinie 8 3 , die Insiderrichtlinie 8 4 u n d die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie 8 5 - auf lange Sicht auch ein m ö g l i c h e r A n s a t z sein. B i s h e r allerdings reguliert die E G auch weite B e r e i c h e des Gesellschaftsrechts 8 6 , so daß keine Vergleichbarkeit der R e c h t s e n t w i c k l u n g vorliegt. W ä h r e n d sich im H i n b l i c k auf die präventive W i r k u n g des G e s e t z e s w e d e r die deutsche n o c h die amerikanische Vorgehensweise als vollends ü b e r z e u gend erweisen, hat die A b s p a l t u n g v o n N o r m k o m p l e x e n , die alleine für die K a p i t a l m a r k t t e i l n e h m e r gelten, große Vorteile. D e n n hierdurch wird die erh ö h t e Regelungsdichte in ö k o n o m i s c h sinnvoller Weise ausschließlich den Gesellschaften abgefordert, die durch ihren exponierten Status ein erhöhtes M a ß an Sicherheit gewähren sollen. E i n e entsprechende Ausgliederung dieser Normkomplexe

aus

dem

Gesellschaftsrecht

ins

Kapitalmarktrecht

in

D e u t s c h l a n d k ö n n t e die D e r e g u l i e r u n g des A k t i e n r e c h t s unterstützen und k ö n n t e so zu einer Renaissance dieser R e c h t s f o r m führen. E i n erster Schritt in diese R i c h t u n g ist mit der R e f o r m zur kleinen A k t i e n gesellschaft erfolgt, die E r l e i c h t e r u n g e n für n i c h t börsenzugelassene G e s e l l schaften schafft. O b man das G e s e t z zur »kleinen Aktiengesellschaft« als ge-

79 Vergleiche dazu die Ausführungen von Merkt, S. 248 ff., zum modernen nennwertlosen System in den USA. 80 Ausführlich dazu Clark, Chapter 15, S. 639 ff.; Romano, J L E Q , V7 N1, 55 ff.; Coffee, Law and Contemporary Problems, V48 N3, 5 ff.; sowie aus Sicht der ökonomischen Analyse Coffee, Columbia Law Review V 89, 1618 ff. 81 Dazu Merkt, S. 262 ff.; ein historischer Abriß über die Entstehung der Securities Regulation findet sich bei Loss, S. 1 ff. 82 80/390/EWG, Abi E G Nr. L 48 S. 26 ff. vom 20.2.1982. 83 88/627/EWG, Abi. EG Nr. L 348, S. 62 vom 12.12.1988. 84 89/592/EWG, Abi. EG Nr. L 334 S. 30 ff. vom 18.11.1989. 85 93/22/EWG, Abi. EG Nr. L 141, S. 569 ff. vom 10.5.1993. 86 Die entsprechenden Richtlinien sind abgedruckt bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, S. 101 ff.; zu erwähnen ist insbesondere die Kapitalrichtlinie.

124

2. Kapitel: Der Gläubiger-

und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

lungen ansieht, hängt wesentlich davon ab, welchen Zweck man in der Schaffung dieses Institutes sieht. Geht man davon aus, daß die »kleine A k tiengesellschaft« mit ihren erleichterten Formen die »Aufwärmphase für den Gang an die Börse« 8 7 darstellt, sind die geschaffenen Regeln ausreichend 8 8 . Sollte Ziel der Reform hingegen die Belebung des Kapitalmarktes sein, ist dessen Erreichung fraglich, weil an die Börsenzulassung kleiner Gesellschaften nach wie vor alle Anforderungen der großen Publikumsgesellschaften gestellt werden 8 9 . Gewisse Änderungen auf Kapitalmarktebene sind hier mit der Einführung neuer Börsensegmente (Neuer Markt, Smax) eingetreten. Zusammenfassend ist somit in Bezug auf das präventive Vorgehen zu sagen, daß sich ein gewisses Maß an Regulierung insbesondere unter dem Blickwinkel der Rechtssicherheit positiv auswirkt. Jedoch darf es nicht zu einer Überregulierung kommen, die die entsprechende Rechtsform zu unflexibel macht. Eine angemessene Regulierungsdichte läßt sich besser erreichen und kontrollieren, wenn man die entsprechenden Normkomplexe dem einschlägigen Rechtsgebiet zuordnet, statt alles im Gesellschaftsrecht zu bündeln. Mit der Ausgliederung der Regeln für die Publikumsgesellschaften in das Kapitalmarktrecht können im Gesellschaftsrecht dann die fiduziarischen Bindungen gegenüber den starren Regulierungen mehr Gewicht erhalten. c. Das Verbot der

Unterkapitalisierung

Die Einführung eines Verbotes der materiellen Unterkapitalisierung ist seit langem in der Diskussion 9 0 , ohne daß ein konkretes Ergebnis gefunden worden ist. Dies hängt unter anderem damit zusammen, daß die angemessene Kapitalausstattung eines Unternehmens nicht abstrakt definiert werden kann, da sie von einer Unzahl von Einzelumständen abhängt 9 1 . Die Mehrheit folgt daher der Definition von Ulmer, nach der eine Gesellschaft unterkapitalisiert ist, »wenn das Eigenkapital nicht ausreicht, um den nach Art und Umfang der angestrebten oder tatsächlichen Geschäftstätigkeit unter Berücksichtigung

87

Schmidt/Müller-Eising/Gayk, Z I P 1993, 1830. So Siebert/Köster, S. 24. 8 9 Z u r K r i t i k a u c h : Claussen, A G 1995, 170 ff. 9 0 F ü r die R e c h t s p r e c h u n g : B G H Z 68, 312, 314 ff.; Weitbrecht, S. 59 ff.; f ü r die L i t e r a tur: Rehbinder in d e m 1970 e r s c h i e n e n W e r k : P r o b l e m e der G m b H - R e f o r m , S. 2 2 7 ff.; Schmidt, K, G e s R , S. 2 0 5 ff.; Raiser, Z G R 1 9 9 5 , 1 6 2 ; Weitbrecht, S. 1 ff.; Z a h l e n m a t e r i a l f i n det sich bei Gessner/Rhode, S. 117. 91 Roth, G m b H G , Einl. 3.2.2.b); Kühler, G e s R § 17 IV. 4. a); Schmidt, K, G e s R , S. 205; Schneider, D., D B 1986, 2293, 2 2 9 7 ff.; Weitbrecht, S. 20 ff.; Bauer, S. 119 ff.; Fabricius, G m b H R 1970, 140. 88

B. Gläubigerschutz

als Hinderungsgrund

der Deregulierung

125

der Finanzierungsmethoden bestehenden, nicht durch Kredite Dritter zu dekkenden, mittel- oder langfristigen Finanzbedarf zu befriedigen« 92 . Sind die Merkmale dieser Definition erfüllt, soll eine Ausfallhaftung der Gesellschafter eintreten 93 . Diese erstreckt sich aber nur auf diejenigen Fälle, in denen eine eindeutig unzureichende Eigenkapitalausstattung der Gesellschaft vorliegt 94 . Ihre dogmatische Grundlage findet sie in der Normzwecklehre, da sich aus dem Zusammenhang von Kapitalsicherung und dem Ausschluß der Gesellschafterhaftung eine institutionelle Schranke ergibt, die die Privatautonomie der Gesellschafter begrenzt 95 . Schon bei der Darlegung der Lehre zur Unterkapitalisierung zeigt sich ihre Schwachstelle. Sie greift nur bei offensichtlicher Unterkapitalisierung ein 96 . Ist die Unterkapitalisierung aber so offensichtlich wie für die Haftung verlangt, dann ist es auch den Gläubigern mit Hilfe der ihnen zur Verfügung stehenden Publizität möglich, diese zu erkennen. In der faktisch schwierigen Grauzone, in der die Gläubiger den mangelhaften Finanzstatus noch nicht erfassen können, greift die Ausfallhaftung wegen Unterkapitalisierung jedoch nicht ein. Die praktischen Auswirkungen dieser Lehre beschränken sich also auf die die Publizität nicht nutzenden und daher ohnehin nicht schützenswerten Gläubiger und die Deliktsgläubiger. Deliktsgläubiger, die nicht zugleich Vertragsgläubiger sind, sind selten 97 . Dies kann in Fällen der Produkthaftung anders sein. Dann aber ist meist auch das über die Ausfallhaftung zuzuführende Privatvermögen - auch wegen der höhenmäßigen Beschränkung der Ausfallhaftung - zur Befriedigung der Geschädigten nicht ausreichend, so daß sich für diese Fälle eine versicherungsrechtliche Lösung 98 oder eine Durchgriffshaftung anbietet. Für die ansonsten von Ulmer aufgeführte Masse der kleinen Waren- und Dienstleistungsgläubiger 99 hat sich der Konkurs eines einzelnen Geschäftspartners als nicht von übermäßiger Relevanz herausgestellt, wie oben ausgeführt wurde 100 . Rechtspolitisch besteht somit kein drin92

Ulmer in Hachenburg, Anh. § 30 Rn. 16. Zu deren unterschiedlicher Konstruktion siehe Schmidt, K., GesR, S. 208. 94 Ulmer in Hachenburg, Anh. § 30 Rn. 18; Weitbrecht, S. 29. 95 Ulmer in Hachenburg, Anh. § 3 0 Rn. 52; Kühler, GesR, § 17 IV.4.b); Weitbrecht, S. 41 ff. 96 Kühler, GesR, § 17 IV. 4. c) aa); Lutter, Probleme, S. 78; Raiser, ZGR 1995, 166; Ulmer in Hachenburg, Anh. § 30 Rn. 55. 9 7 Dazu ausführlich unten C. 98 Diese Lösung existiert bereits, wenn auch nur auf freiwilliger Basis, siehe dazu die besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für die Produkthaftpflichtversicherung von Industrie- und Handelsbetrieben als Zusatz zur Betriebshaftpflichtversicherung; abgedruckt bei Prölss/Martin, Haftpflichtversicherungen (V). 99 Ulmer in Hachenburg, Anh. § 30 Rn. 54. 100 Siehe oben B.II. 93

126

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

gender Bedarf zur Einführung einer Ausfallhaftung bei Unterkapitalisierung, insbesondere da dadurch den Gläubigern einmal mehr eine Sicherheit vorgespiegelt würde, die durch die Beschränkung der Anspruchsvoraussetzungen in der Realität in dieser F o r m nicht existiert. Dogmatisch ist die Lehre von der Unterkapitalisierung ebenfalls nicht unproblematisch 1 0 1 . Z u m einen zeigt sich an den Sondervorschriften des K W G , K A G G und des V A G , daß es sich bei der Anordnung eines fixen Stammkapitals u m eine abschließende Regelung handelt, die von einer bestimmten Summe und nicht von einer angemessenen Kapitalausstattung ausgeht 1 0 2 . Z u m anderen ist der Rückschluß aus dem Zusammenspiel von Kapitalsicherung und Gesellschafterhaftung im Sinne der Ausfallhaftung bei Unterkapitalisierung nicht zwingend 1 0 3 . Denn der Anleger stellt das im K o n k u r s zuerst verlorene Kapital und verzichtet bei schlechtem Verlauf der Geschäfte auf die Rendite aus diesem Kapital. Der Gläubigeranspruch hingegen bleibt bis z u m Konkurs bestehen, wandelt sich dann allerdings ökonomisch ebenfalls in zumindest teilweise verlorenes Kapital um 1 0 4 . Z u m Ausgleich dafür stellt das Recht den Gläubigern eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Verfügung, u m sich gegen den Verzehr ihres Kapitals und den damit verbundenen Ausfall der Forderung zu schützen. Zudem gehen Teile der Kontrollrechte, die mit dem Kapital als H a f t u n g s m a s s e verbunden sind, konsequenter Weise auf die jetzt mithaftenden Gläubiger über 1 0 5 . N ü t z e n die Gläubiger diese Möglichkeiten nicht, so sollte dies nicht zur Verwässerung der Haftungsbeschränkung führen, da sonst innovative Gründungen mit dem entsprechenden Risiko des Verlustes am Standort Deutschland nicht mehr realisierbar wären 1 0 6 . Aber auch die Haftungsbeschränkung bei normalen Geschäftsverlusten würde aus den Angeln gehoben, da bei hohen Verlusten immer irgendwann eine offensichtliche Unterkapitalisierung eintritt und dann in der Zeitspanne bis zur Konkurseröffnung aus der Lehre der Unterkapitalisierung - je nach Definition 1 0 7 - eine unbeschränkte Nachschußpflicht entstehen könnte 1 0 8 . Dies würde zu negativen Folgen in B e z u g auf die Kapitalsammelfunktion führen und so die Allokation auf dem Kapitalmarkt schwächen, was wiederum negative AusSo auch mit noch weitergehender Argumentation Weitbrecht, S. 66 ff. Ulmer in Hachenburg, Anh. § 30 Rn. 50; Weitbrecht, S. 67. 103 A.A. Ulmer in Hachenburg, Anh. § 30 Rn. 52. 104 Blair, S. 20 ff. 105 Blair, S. 27. 106 In Bezug auf Abschreibungsgesellschaften zu dem gleichen Schluß kommen Kohl/ Kübler/Walz/Wüstrich, Z H R 138, 21. 107 Solches könnte man z.B. aus den Ausführungen von Ulmer in Hachenburg, Anh. § 30 Rn. 56 schließen. Offensichtlich a. A. Priester in FS 100 Jahre G m b H , S. 187. 108 So z.B. nach Ulmer in Hachenburg, Anh. § 30 Rn. 62. 101

102

B. Gläubigerschutz

als Hinderungsgrund

der Deregulierung

127

Wirkungen auch für die G l ä u b i g e r hätte, da notwendiges Eigenkapital dann nicht zu beschaffen ist. Insgesamt ist daher die L e h r e v o n der Unterkapitalisierung a b z u l e h n e n 1 0 9 .

d.

Zwischenergebnis

M i t der Feststellung der I n t e r d e p e n d e n z v o n H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g , P u b l i zität und K a p i t a l a l l o k a t i o n schließt sich der K r e i s z w i s c h e n den verschiedenen A n s ä t z e n des G l ä u b i g e r s c h u t z e s . I n B e z u g auf den kapitalgesellschaftsrechtlichen A n s a t z läßt sich daher folgendes sagen: D i e R e g e l n zur E r b r i n g u n g und E r h a l t u n g des Haftkapitals sichern den G l ä u b i g e r lediglich dahingehend, daß dieses Kapital der Gesellschaft einmal zugeführt w o r d e n ist. F ü r die A b s i c h e r u n g der laufenden R i s i k e n sind diese R e g e l n eher marginal. D e r G l ä u b i g e r ist also auch nach dem geltenden R e c h t auf ein erhöhtes M a ß an Eigeninitiative angewiesen, will er seine A u ß e n s t ä n d e sichern. B e w e r t e t man die Frage nach der N o t w e n d i g k e i t v o n Haftkapital in B e z u g auf die Sicherung der Gläubiger, bewegt m a n sich daher lediglich auf der Skala der zur Sicherung b e n ö t i g t e n Eigeninitiative auf und ab. E i n e S i c h e rung alleine durch die Kapitalerhaltungs- und -aufbringungsregeln

oder

durch die E i n f ü h r u n g einer Ausfallhaftung bei U n t e r k a p i t a l i s i e r u n g ist aber keinesfalls m ö g l i c h , soll das P r i n z i p der H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g nicht aufgegeben w e r d e n . D a r a u s läßt sich die S c h l u ß f o l g e r u n g ziehen, daß H a f t k a p i t a l und E i g e n i n itiative des Gläubigers austauschbare G r ö ß e n bilden. H a t der G l ä u b i g e r genügend Sicherungsmittel an der H a n d , kann er selbst bei vollständigem Verzicht auf das H a f t k a p i t a l eine ausreichende A b s i c h e r u n g erlangen. W i r d i h m hingegen d u r c h die Kapitalerhaltungs- und -aufbringungsregeln eine in W i r k lichkeit nicht bestehende Sicherheit vorgespiegelt, kann das z u m U n t e r l a s s e n der zur Sicherung n o t w e n d i g e n Schritte führen und dadurch faktisch eine h ö here G l ä u b i g e r g e f ä h r d u n g mit sich bringen 1 1 0 . D e r kapitalgesellschaftsrechtliche A n s a t z mit d e m Garantiekapital ist daher zur G l ä u b i g e r s i c h e r u n g nur b e s c h r ä n k t geeignet. B e d e n k t man z u d e m , daß das d u r c h das Kapitalgesellschaftsrecht n o c h a b z u d e c k e n d e R i s i k o der G l ä u b i g e r wie o b e n ausgeführt nicht allzu h o c h ist, k a n n das Garantiekapital u n t e r G l ä u b i g e r s c h u t z g e s i c h t s p u n k t e n im R a h m e n einer R e f o r m dereguliert werden.

109 110

So auch Weitbrecht, S. 66. Klose-Mokroß, S. 64.

128

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz im

Kapitalgesellschaftsrecht

2. D i e Publizität D i e Publizität als I n s t r u m e n t zur U n t e r r i c h t u n g der Ö f f e n t l i c h k e i t ü b e r wichtige U m s t ä n d e und Vorgänge innerhalb eines U n t e r n e h m e n s 1 1 1 hat oft gläubigerschützenden C h a r a k t e r 1 1 2 . D e r G l ä u b i g e r soll mittels der Publizität die M ö g l i c h k e i t erhalten, sich v o r o d e r w ä h r e n d des Vertragsverhältnisses ein umfassendes B i l d ü b e r den Zustand seines Schuldners zu m a c h e n . D i e s e r für den G l ä u b i g e r wichtigen I n f o r m a t i o n s q u e l l e steht auf Seiten des Schuldners der N a c h t e i l der T r a n s a k t i o n s k o s t e n gegenüber 1 1 3 . D e n n die dem S c h u l d n e r auferlegten Publizitätspflichten müssen v o n diesem und nicht v o m eigentlich davon profitierenden G l ä u b i g e r bezahlt werden. D i e Festlegung des U m f a n g s der Publizitätspflichten m u ß folglich nicht nur nach dem N u t zen für den Gläubiger, sondern auch dananch beurteilt werden, o b die durch die Publizität h e r v o r g e r u f e n e n K o s t e n zu deren N u t z e n n o c h in einem angemessenen Verhältnis stehen. D i e s gilt u m s o m e h r , als gesetzliche P u b l i z i t ä t s pflichten allen gleichermaßen auferlegt w e r d e n , selbst w e n n im k o n k r e t e n Fall die R e l e v a n z der I n f o r m a t i o n s p f l i c h t e n nicht ersichtlich ist 1 1 4 . Soll eine B e w e r t u n g der P u b l i z i t ä t s v o r s c h r i f t e n stattfinden, ist es unerläßlich, deren praktische R e l e v a n z zu ü b e r p r ü f e n , insbesondere die A d a p t i o n des Gläubigerverhaltens an die entsprechenden R e g e l n . H i e r z u findet sich M a t e rial in der o b e n bereits zitierten Studie v o n D r u k a r c z y k / D u t t l e , die sich in Teil I V mit folgenden F r a g e n befaßt: -

W e l c h e I n f o r m a t i o n s a k t i v i t ä t ergreifen U n t e r n e h m e n , b e v o r sie ge-

schäftliche B e z i e h u n g zu potentiellen A b n e h m e r n aufnehmen, die regelmäßig mit K r e d i t g e w ä h r u n g v e r b u n d e n sind? -

In w e l c h e r F o r m findet die K r e d i t ü b e r w a c h u n g statt?

-

W i e sieht das A n t i z i p a t i o n s v e r h a l t e n aus 1 1 5 ?

D a b e i ist als wesentlicher P a r a m e t e r zu beachten, daß U n t e r n e h m e n mit K r e d i t s i c h e r h e i t e n an I n f o r m a t i o n e n ü b e r die Situation des Schuldners nur n o c h ein marginales Interesse haben, da sie ihren S c h u t z durch die K r e d i t sicherheit gewährleistet sehen 1 1 6 . I n B e z u g auf die I n f o r m a t i o n s v e r s c h a f f u n g zeigt sich - wie o b e n bereits ausgeführt - folgendes Bild: V o r der K r e d i t g e w ä h r u n g holen lediglich ca. 111 Gabler, Banklexikon, »Publizität«; ausführlich dazu: Weitbrecht, S. 11 ff.; Wiedemann, GesR, S. 575 ff. 112 Roth, GmbHG Kommentar, Einl. 3.3. 113 In Bezug auf die Bilanzierung Kubier, GesR, § 18 II. 1 a). 114 Zur Kostenproblematik Pellens/Fürbier, DB 1994, 1381; zu den entsprechenden Erfahrungen in den USA Kubier, AG 1977, 90. 115 Drukarczyk/Duttle, S. 40. 116 Drukarczyk/Duttle, S. 80.

B. Gläubigerschutz als Hinderungsgrund

der Deregulierung

129

42 % häufig bis generell I n f o r m a t i o n e n ein, w ä h r e n d 42,6 % lediglich vereinzelt und 13,4 % nie weitere E r k u n d i g u n g e n anstellen 1 1 7 . D i e eingeholten I n f o r m a t i o n e n s t a m m e n in erster L i n i e aus B a n k a u s k ü n f t e n und der I n a n s p r u c h n a h m e v o n K r e d i t a u s k u n f t e i e n 1 1 8 . M i t w e i t e m A b s t a n d folgt dann die A u s k u n f t aus dem Schuldnerverzeichnis der I H K und die B e f r a g u n g v o n L i e feranten, w ä h r e n d die A u s w e r t u n g der J a h r e s a b s c h l ü s s e oder die E i n s i c h t ins G r u n d b u c h so gut wie keine R o l l e spielt 1 1 9 . D i e s e Verhältnisse entsprechen ungefähr denen bei der K r e d i t ü b e r w a chung mit dem U n t e r s c h i e d , daß hier der zusätzlichen K o n t r o l l e des Z a h lungseingangs die überragende P o s i t i o n z u k o m m t 1 2 0 . F ü r diese relativ niedrige Ausnutzung von Informationsmöglichkeiten werden neben der oben bereits angeführten H e r e i n n a h m e ausreichender Sicherheiten die mit der I n f o r m a t i o n verbundenen K o s t e n als G r u n d angegeben 1 2 1 . A n diesem Zahlenmaterial zeigt sich, daß die I n f o r m a t i o n für die meisten G l ä u b i g e r z w a r ein unerläßliches M i t t e l zur E i n s c h ä t z u n g des jeweiligen Schuldners ist, daß j e d o c h meist S e k u n d ä r i n f o r m a t i o n e n den P r i m ä r i n f o r m a tionen v o r g e z o g e n w e r d e n , selbst w e n n diese mit d e m R i s i k o der U n g e n a u i g keit behaftet sind 1 2 2 . D i e s e s E r g e b n i s sollte aber nicht dazu verleiten, die A b schaffung oder E i n s c h r ä n k u n g der Publizität zu f o r d e r n . D e n n z u m einen müssen die die I n f o r m a t i o n e n W e i t e r g e b e n d e n auf P r i m ä r q u e l l e n zugreifen k ö n n e n u n d z u m anderen ist das Verhalten nicht bei allen G l ä u b i g e r n gleichf ö r m i g . So greifen die B a n k e n - und w a h r s c h e i n l i c h auch die g r ö ß e r e n U n t e r n e h m e n - u n m i t t e l b a r auf die durch die Publizität bereitgestellten I n f o r m a tionen z u 1 2 3 . B e i der Ausgestaltung der Publizitätspflichten sollte daher bedacht werden, daß sie in der Praxis im wesentlichen der I n f o r m a t i o n der G r o ß g l ä u b i g e r oder Spezialisten wie R a t i n g a n g e n t u r e n oder A u s k u n f t e i e n dienen und daher die A n f o r d e r u n g e n an den U m f a n g und die Verständlichkeit im Interesse der M i n i m i e r u n g der T r a n s a k t i o n s k o s t e n nicht ü b e r s p a n n t werden sollten.

Drukarczyk/Duttle, S. 79, U-43. Dies wird auch durch die Studie von Gessner/Rhode, S. 431 bestätigt, die aber auf den interessanten Unterschied hinweist, daß diejenigen Gläubiger, die sich in zweiter Linie auf die Warenlieferanten statt auf allgemeine Auskunfteien verließen, eine deutlich geringere Konkursbetroffenheit aufweisen. 119 Drukarczyk/Duttle, S. 79 und U-44; anders sieht dies bei der Bonitätsprüfung durch die Kreditinstitute aus, die sich aber die Unterlagen auch ohne Publizitätspflicht vom Kreditnehmer beschaffen können, Gessner/Rhode, S. 246 f. 120 Drukarczyk/Duttle, S. 80, U-46. 121 Drukarczyk/Duttle, S. 80, U-45. 122 Drukarczyk/Duttle, S. 80. 123 Gessner/Rhode, S. 246 f. 117

118

130

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

3. Die Stärkung der Eigeninitiative der Gläubiger Nach dem Ausgeführten ist es eine zentrale Frage des Gläubigerschutzes, inwieweit ein starrer Schutz durch gesellschaftsrechtlich vorgegebene Regeln erfolgen sollte. Die Alternative dazu ist die Stärkung der Eigeninitiative der Gläubiger zur Ausnützung der bereits außerhalb des Gesellschaftsrechts existierenden Sicherungen und die eventuell notwendige Lückenfüllung in Bezug auf diese Sicherungen durch den Gesetzgeber. Die Antwort auf diese Frage kann nicht schematisch oder einseitig erfolgen, sondern muß die verschiedensten Facetten des Gläubigerschutzes berücksichtigen. Dazu gehören zum einen rechtliche und rechtspolitische Argumente, zum anderen Gesichtspunkte der ökonomischen Analyse 124 . a. Rechtliche und rechtspolitische

Voraussetzungen

Aus rechtlicher Sicht ist anzumerken, daß den Gläubigern wie oben ausgeführt ausreichende Sicherungen zur Verfügung stehen. Das Gesellschaftsrecht ist sogar eher mit Sicherungen überfrachtet, die ihren Platz in spezifischeren Rechtsgebieten, wie zum Beispiel dem Kapitalmarktrecht, haben sollten. Einzig problematisch bleiben nach wie vor die reinen Deliktsgläubiger. Diese sind aber auch durch ein erhöhtes Stammkapital nicht wirkungsvoll zu schützen. Hier muß nach einer anderen Lösung gesucht werden, die sich entweder als echte Versicherung oder im Rahmen einer Fondslösung ähnlich dem Konkursausfallgeld, oder aber auch in einem Durchgriff finden läßt 125 . Unter rechtspolitischen Erwägungen ist eine N e u o r d n u n g des Gläubigerschutzes ohnedies, wie sich oben bereits gezeigt hat, wünschenswert. Die immer stärker voranschreitende Uberfrachtung des Gesellschaftsrechts mit diesen ursprünglich nicht primären Problemkreisen führt entgegen der internationalen und vor allem der US-amerikanischen Entwicklung zu dessen allmählichem Erstarren. Für die N e u o r d n u n g in der Europäischen Gemeinschaft ist das Gegenteil von Nöten. N u r eine Rechtsordnung mit hinreichender Flexibilität wird auf Dauer dem Konkurrenzdruck der verschiedenen Wirtschafts-, Rechts- und Gesellschaftsordnungen entsprechen. Insofern ist es zu bedauern, daß durch die gesellschaftsrechtlichen Richtlinien 126 in so 124 Z u r Berechtigung der ökonomischen Analyse im Gesellschaftsrecht Kühler in FS Steindorff, S. 687 ff., der z u d e m darauf hinweist, daß die ökonomische Analyse nicht alleinentscheidend ist, sondern lediglich zusätzlich zu den gewohnten Mechanismen die Rechtsgestaltung steuern soll (S. 689).; so auch Behrens, Rechtstheorie, S. 473. 125 Dazu unten B.II. 126 Insbesondere hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die zweite gesellschaftsrechtliche Richtlinie, die sog. »Kapitalrichtlinie« (77/91/EWG).

B. Gläubigerschutz

als Hinderungsgrund

der Deregulierung

131

großem Umfang Festschreibungen erfolgt sind, statt das Gesellschaftsrecht als Innenrecht - im Gegensatz zum Kapitalmarktrecht als nach außen gerichtetes Rechtsgebiet - als nationales Recht dem Wettbewerb auszusetzen. Hier wäre ein »race to the top« 1 2 7 ähnlich dem amerikanischen System mit hinreichendem Schutz in den für die Egalisierung des Wettbewerbs notwendigen Bereichen wie dem Börsenrecht eine sicherlich interessante Alternativlösung gewesen, die sich aber eventuell in Zukunft noch realisieren läßt. b. Ökonomische

Analyse

Es bleibt die Frage zu beantworten, ob unter dem Blickwinkel der ökonomischen Analyse das Effizienzkriterium bezüglich der Transaktionskosten das geltende System stützt 1 2 8 . Dabei ist nicht nur danach zu unterscheiden, bei welcher Konstellation die geringsten Transaktionskosten anfallen 129 , sondern vor allem danach, ob die anfallenden Kosten produktiv und daher gesamtwirtschaftlich sinnvoll oder unproduktiv und damit verlorene Kosten sind 130 . U m diese Frage unter dem Blickwinkel der ökonomischen Analyse zu behandeln, muß man sie zunächst abwandeln. Während im vorliegenden eine konkrete Einzelproblematik erörtert werden soll, geht das Raster der ökonomischen Analyse von einem gesamtgesellschaftlichen Ansatz aus 131 , aus dem dann die einzelnen Fallgruppen herausgelöst und unter dem Gesichtspunkt der Pareto-Effizienz 1 3 2 evaluiert werden. Die Zuordnung zu einer bestimmten Fallgruppe ist dabei nicht augenscheinlich. Auf den ersten Blick könnte man dazu tendieren, das Verhältnis von Gläubiger und Schuldner wegen der zu Grunde liegenden Vertragsbeziehung auch den die Vertragsbeziehung untersuchenden Fallgruppen der öko-

127 Ursprünglich wurde die Diskussion in den USA unter dem Stichwort »race to the bottom« geführt. Im Laufe der Rechtsentwicklung hat sich dann aber herausgestellt, daß das Gegenteil der Fall ist. So sind in Delaware die kompetentesten Richter und Anwälte versammelt und das Gesellschaftsrecht hat einen ausnehmend hohen Standard; Merkt, Rn. 167 ff.; Blair, S. 23; Kühler in Öffentliches Recht, S. 232 f. 128 Kühler in FS Steindorff, S. 678. 129 Kühler in FS Steindorff, S. 695 ff., weist darauf hin, daß exaktes statistisches Material in den seltensten Fällen an der Hand ist. Dies macht die ökonomische Analyse jedoch nicht hinfällig. Vielmehr kann an Hand von allgemeinen Theorien und Modellen der juristischen Dogmatik entsprechend eine Lösung erarbeitet werden. 130 Die drei ausschlaggebenden Kriterien für die regulativen Ziele sind Effizienz, optimale Verteilung und Gerechtigkeit, Behrens, Rechtstheorie, S. 476. 131 Ott/Schäfer, Lehrbuch, S. 1 ff.; grundlegend zur ökonomischen Analyse: Behrens, Rechtstheorie, S. 474 ff. 132 Dazu Ott/Schäfer, Lehrbuch, S. 24 ff.

132

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz im

Kapitalgesellschaftsrecht

n o m i s c h e n A n a l y s e 1 3 3 z u z u o r d n e n . D i e s trifft aber nicht den K e r n des P r o blems, da es hier nicht u m die Frage der Aufteilung der Leistungspflichten geht, s o n d e r n um die R i s i k o t r a g u n g im Falle des K o n k u r s e s o d e r der Z a h lungsunfähigkeit. E s handelt sich s o m i t genau wie bei der Frage nach der Tragung des Schadensrisikos um eine aus der Vertragsbeziehung selbst herauszulösende u n d zu verselbständigende Frage, die auf die A l l o k a t i o n s e f f i z i e n z der sich nicht aus d e m vertraglichen Austauschverhältnis selbst, s o n d e r n aus den gesamtgesellschaftlichen S o z i a l b e z i e h u n g e n ergebenden K o s t e n zielt. D a b e i m u ß unter B e r ü c k s i c h t i g u n g der ö k o n o m i s c h e n A s p e k t e ausgeleuchtet werden, wie I n f o r m a t i o n s a u f w a n d , R i s i k o a b s i c h e r u n g s k o s t e n und Ausfallrisiko z w i s c h e n den Beteiligten am gesamtwirtschaftlich sinnvollsten zu verteilen sind. E s handelt sich dabei v o n der S t r u k t u r her u m eine ähnliche A b w ä g u n g wie die b e z ü g l i c h der ö k o n o m i s c h angemessenen Schadenstragungs- bzw. Versicherungspflicht 1 3 4 , j e d o c h sind hier die Voraussetzungen andere. W ä h r e n d es b e i m S c h a d e n s r e c h t u m die Verteilung der K o s t e n v o n durch den Schadensfall n e u e n t s t a n d e n e n prinzipiell so nicht v o r h e r s e h b a r e n negativen Ereignissen geht 1 3 5 , dreht sich die vorliegende F r a g e um die Verteilung des S c h u l d n e r v e r m ö g e n s z w i s c h e n allen mit dem Schuldner v e r b u n d e n e n G l ä u b i g e r n und z w a r für den v o r h e r b e s t i m m t e n E i n t r i t t einer festgelegten Sachverhaltskonstellation, der Zahlungsunfähigkeit oder der U b e r s c h u l d u n g des Schuldners. I m R a h m e n der ö k o n o m i s c h e n A n a l y s e m u ß dieser P r o b l e m kreis, so ü b e r r a s c h e n d das scheinen mag, den F r a g e n des Vertrauensschutzes zugeordnet werden136. Ziel der ö k o n o m i s c h motivierten R e g e l n ü b e r den V e r t r a u e n s s c h u t z im R e c h t des G ü t e r - und Leistungsaustausches 1 3 7 ist es, die I n f o r m a t i o n s k o s t e n möglichst gering zu halten, indem jeweils derjenige die I n f o r m a t i o n e n b e schafft, für den dies mit d e m geringsten A u f w a n d m ö g l i c h ist 1 3 8 . D e m jeweiligen Partner, für den die I n f o r m a t i o n s k o s t e n h ö h e r sind, wird also der Ver-

133 Siehe zu diesen Ott/Schäfer, Lehrbuch, S. 321 ff.; auch Schanze, Jahrbuch Bd. 2, S. 161 f., er geht vor allem von den durch den Grundvertrag bestimmten Kontrapunkten aus. 134 Zu den Voraussetzungen der Schadenstragungs- und Versicherungspflicht Ott/ Schäfer, Lehrbuch, S. 95 ff.; zur Schadensstreuung durch das Versicherungsrecht Brüggemeier AcP 182, 402 ff. 135 Brüggemeier, AcP 182, 386. 136 Ott/Schäfer, Lehrbuch, S. 405, weist darauf hin, daß Kontrolle den Aufwand von Informationskosten, Vertrauen deren Einsparung zur Folge hat. 137 Zur Bedeutung von Informationen im wirtschaftlichen Entscheidungsprozeß: Schäfer, Ökonomische Probleme, S. 119 ff. 138 Ott/Schäfer, Lehrbuch, S. 423 f.; vergl. auch die Beispiele bei Behrens, Rechtstheorie, S. 486 ff.

B. Gläubigerschutz als Hinderungsgrund

der Deregulierung

133

trauensschutz eingeräumt und so die P r o d u k t i v k r a f t durch die A u s n u t z u n g der A l l o k a t i o n s e f f i z i e n z insgesamt e r h ö h t 1 3 9 . D e r mit dem I n f o r m a t i o n s a u f wand Belastete erhält den A n r e i z zur B e s c h a f f u n g der I n f o r m a t i o n durch die k o r r e l i e r e n d e H a f t u n g aus enttäuschtem Vertrauen. E r wird die K o s t e n der I n f o r m a t i o n s b e s c h a f f u n g dann aufwenden, w e n n sie geringer sind als die F o l gekosten aus seiner H a f t u n g 1 4 0 . V e r t r a u e n s s c h u t z in diesem weiten Sinne dient somit der G e w ä h r l e i s t u n g der Sicherheit und L e i c h t i g k e i t des rechtlichen Verkehrs, i n s b e s o n d e r e des G ü t e r - u n d Leistungsaustausches 1 4 1 . E x a k t darum geht es bei der Frage nach der A b s i c h e r u n g der verschiedenen G l ä u b i g e r g r u p p e n . D u r c h eine sinnvolle Aufteilung der I n f o r m a t i o n s k o s t e n soll eine effiziente L ö s u n g im H i n b l i c k auf die B e s i c h e r u n g der einzelnen F o r d e r u n g e n geschaffen w e r d e n 1 4 2 . D a b e i ist das Szenario in diesem Fall besonders k o m p l e x , weil es nicht lediglich u m das Vertrauen im H i n b l i c k auf den K a u f eines einzelnen G e g e n s t a n d e s geht, sondern die im Z u s a m m e n h a n g damit anfallenden S i c h e r u n g s k o s t e n sollen ihrer E n t s t e h u n g und A u f b r i n g u n g nach z u g e o r d n e t werden. E s geht s o m i t u m ein nachrangiges P r o b l e m der zweiten E b e n e , das mit u m g e k e h r t e n Vorzeichen belastet ist. D e n n es ist im Tatsächlichen sinnlos, F e h l i n f o r m a t i o n e n ü b e r die N o t w e n d i g k e i t der B e s i c h e r u n g mit der Vertrauenshaftung zu b e strafen, da die B e s i c h e r u n g das K o n k u r s r i s i k o ausschalten soll. E i n e Vertrauenshaftung des insolventen Schuldners für F e h l i n f o r m a t i o n e n bezüglich der N o t w e n d i g k e i t der B e s i c h e r u n g ist daher unter allen A s p e k t e n k o n t r a p r o duktiv. D a r a u s folgt: Soll in B e z u g auf die V o r n a h m e einer Sicherung ein vollständiger V e r t r a u e n s s c h u t z

erfolgen, kann dies nur durch eine

jederzeitige

Leistungsgarantie des Schuldners erreicht w e r d e n . E i n e solche ist faktisch in einer freien M a r k t w i r t s c h a f t nicht möglich. E s kann daher keine ö k o n o m i s c h sinnvolle Variante sein, auf die B e s i c h e r u n g der F o r d e r u n g durch den G l ä u b i ger zu verzichten. A u s Sicht der ö k o n o m i s c h e n A n a l y s e m u ß es also darum gehen, wie die T r a n s a k t i o n s k o s t e n der B e s i c h e r u n g z w i s c h e n den Parteien am sinnvollsten verteilt w e r d e n .

Ott/Schäfer, Lehrbuch, S. 318 (1. Aufl.). Ott/Schäfer, Lehrbuch, S. 423 f.; auch Behrens, Rechtstheorie, S. 475 weist darauf hin, daß das Individuum, die für sich günstigste Lösung finden wird. 141 Ott/Schäfer, Lehrbuch, S. 423. 142 Eine ökonomische Analyse in Bezug auf die einzelnen Sicherungsrechte selbst hat Adams, Ökonomische Analyse der Sicherungsrechte, verfaßt. Diese ist aber durch einen anderen Ansatz gekennzeichnet, nämlich durch die Frage, wie eine sinnvolle Aufteilung mittels Sicherungsrechten im Konkurs aussehen soll und nicht, wer für die Besicherung von Forderungen zuständig ist. 139 140

134

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz im

Kapitalgesellschaftsrecht

U m dieser F r a g e nachgehen zu k ö n n e n , müssen z u n ä c h s t die einzelnen K o s t e n b l ö c k e b e s t i m m t w e r d e n . H i e r b e i handelt es sich v o r allem z u m einen u m die K o s t e n der B e s i c h e r u n g selbst und z u m anderen um die I n f o r m a t i o n s k o s t e n ü b e r die N o t w e n d i g k e i t einer B e s i c h e r u n g . W i e sich aus den o b e n ausgewerteten Statistiken ergibt, stehen diese beiden K o s t e n b l ö c k e teilweise im Verhältnis der Alternativität zueinander 1 4 3 . E n t scheidet sich der G l ä u b i g e r u n m i t t e l b a r für eine vollumfängliche B e s i c h e rung, wird er im Regelfall keine I n f o r m a t i o n s k o s t e n m e h r aufwenden. J e geringer seine Sicherung ausfällt, desto m e h r I n f o r m a t i o n s k o s t e n m u ß er aufw e n d e n , u m die H ö h e der Sicherheit zu B e g i n n und im weiteren Verlauf des Vertragsverhältnisses zu b e s t i m m e n . B e a c h t e t m a n die o b e n genannte Prämisse, daß eine Leistungsgarantie d u r c h den S c h u l d n e r faktisch u n m ö g l i c h ist, kann u n t e r dem G e s i c h t s p u n k t der A l l o k a t i o n s e f f i z i e n z die K o s t e n b e l a s t u n g für die Sicherung der F o r d e rung lediglich dem G l ä u b i g e r z u g e o r d n e t w e r d e n , da n u r dieser entscheiden kann, o b das Ausfallrisiko h ö h e r zu b e w e r t e n ist, als die mit der Sicherung verbundenen Transaktionskosten144. F r a g l i c h ist, o b die gleiche A r g u m e n t a t i o n auch in B e z u g auf die I n f o r m a t i o n s k o s t e n zutrifft. Z w a r steht auch hier der G l ä u b i g e r der A b s c h ä t z u n g des effizienten

Kostenaufwandes

näher als der Schuldner. J e d o c h

kann

der

Schuldner die I n f o r m a t i o n e n mit einem weitaus geringeren A u f w a n d als die G l ä u b i g e r bereitstellen, da sie seine Sphäre b e t r e f f e n 1 4 5 . A b e r auch diese B e reitstellung der I n f o r m a t i o n e n durch den Schulder ist nicht kostenneutral und kann daher nicht beliebig erweitert w e r d e n 1 4 6 . U n t e r v o l k s w i r t s c h a f t l i c h e n A s p e k t e n m u ß daher bei der Verteilung der I n f o r m a t i o n s k o s t e n folgendes b e dacht w e r d e n : D a wie o b e n aufgeführt Sicherung und I n f o r m a t i o n s b e s c h a f fung z u m Teil alternativ sind 1 4 7 , ist eine ü b e r m ä ß i g e zur Verfügungstellung v o n I n f o r m a t i o n sinnlos. E s ist daher eine Publizitätspflicht der U n t e r n e h -

Drukarczyk/Duttle, S. 80 sowie Tabelle U-45. Dies kommt gut in den Beispielen Schäfers, Ökonomische Probleme, S. 120 ff., zur Informationsbeschaffung ex post und ex ante zum Ausdruck. 145 Im Gegensatz zu den sonst üblichen Beispielen, z.B. bei Schäfer, Ökonomische Probleme, S. 133, kann die Informationsweitergabe nicht allein auf das Interesse des Schuldners an der Publizierung einer positiven Information gestützt werden, weil die Besicherung nicht das für die Kaufentscheidung maßgebliche Produkt selbst betrifft, sondern lediglich auf der zweiten Ebene einen zusätzlichen Anreiz vermitteln kann. 146 In anderem Zusammenhang weist Schmitz-Herscheidt, Jahrbuch Bd. 2 S. 209, darauf hin, daß die Gesamtkosten kollektiver Entscheidungen mit zunehmender Gruppengröße überproportional ansteigen. Dies kann wegen der Disparität der Sicherungsnehmer auf die gewünschten Informationskosten übertragen werden. 147 Drukarczyk/Duttle, S. 80 sowie Tabelle U-45. 143

144

B. Gläubigerschutz

als Hinderungsgrund

der Deregulierung

135

men trotz deren besseren Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung aus Gründen der Allokationseffizienz nur bis zu einem gewissen Grade gerechtfertigt 148 . Weiterhin ist zu beachten, daß die Unternehmen die Kosten für die Informationsbereitstellung über die Produkte an die von dem Informationsverhältnis nicht betroffenen Verbraucher weiterleiten und dadurch eine Kostenumverteilung bewirken 149 , die gesamtwirtschaftlich nur dann sinnvoll sein kann, wenn die durch das Unternehmen aufzuwendenden Kosten deutlich unter dem Mittel der sonst von den Gläubigern aufzuwendenden Kosten liegen 150 . Zusammenfassend ist daher festzustellen, daß ein vollständiger Verzicht auf eine eigenständige Sicherung durch die Gläubiger nicht möglich ist. Die Sicherungskosten müssen vom Gläubiger getragen werden, da lediglich dieser bestimmen kann, bis zu welcher Höhe die Kosten effizient sind. Jede pauschale Lösung würde hier zu gesamtwirtschaftlich höheren Kosten führen. In Bezug auf die Informationskosten ist zu berücksichtigen, daß der Schuldner die Informationen einfacher erlangt. Solange diese Vereinfachung nicht durch die Pflicht zur Publizierung eines Ubermaßes von Informationen konterkariert wird, sind die Informationskosten dem Schuldner aufzuerlegen. Will der Gläubiger weitere Informationen, so ergibt sich das Bedürfnis dazu aus seiner besonderen Situation, innerhalb welcher der Gläubiger die Effizienzabwägung vornehmen und die entsprechenden Kosten tragen muß. Insgesamt ist daher die vorgegebene Verteilung in fixierte Publikationspflichten durch die Unternehmen und freie Eigenfürsorge der Gläubiger aus Sicht der ökonomischen Analyse der richtige Ansatz in Bezug auf den Gläubigerschutz. Bei der Ausgestaltung der Rechte und Pflichten im Detail ist dann der Zusammenhang von Schutzmechanismen und Kapitalkosten zu beachten: Überwiegen die zwingenden Regelungen des Gläubigerschutzes, sinken die Kreditkosten und der Anteil der Fremdfinanzierung steigt; überwiegt der zwingende Anlegerschutz, sinken die Kapitalkosten und der Anreiz zur Aufnahme von Eigenkapital erhöht sich 151 .

148 Zur gegenwärtigen Ausnutzung der Publizität durch die Gläubiger siehe oben III. 1. b. 149 Dazu auch Ott/Schäfer, Lehrbuch, S. 320 (1. Aufl.). 150 Schanze, Jahrbuch Bd. 2, S. 164 f. weist darauf hin, daß bei einem möglichst freien Spiel der Kräfte die überwiegend marktförmig strukturierte Einschätzung der Unternehmer zu einem ausdifferenzierten System von Märkten für die verschiedenen In- und Outputs zur Durchführung des Unternehmenszwecks führen wird. Dies kann auf das Recht der Sicherungen übertragen werden, da auch hier durch qualifizierte Beteiligte eine Regelungsvorgabe optimiert werden soll. 151 Klose-Mokroß,S. 169 ff.

136

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

4. Z u s a m m e n f a s s u n g Zusammenfassend ist daher festzustellen, daß der Gläubigerschutz durch Regulierung im Gesellschaftsrecht nicht notwendig ist. Der Gläubiger muß verstärkt an seine aktive Rolle herangeführt werden. Die dafür nötigen Rechtsinstrumente sollen und werden ihm in den entsprechenden Rechtsgebieten - vor allem dem Zivilrecht - zur Verfügung gestellt. Eine weitere Verrechtlichung des Gesellschaftsrechts muß daher sowohl aus der rechtspolitischen Perspektive als auch unter dem Gesichtspunkt der Allokationseffizienz unterbleiben. Die Publizität ist ein wichtiger Baustein der Gläubigersicherung. Sie muß beibehalten und im Hinblick auf die bessere Verständlichkeit der Informationen ausgebaut werden. Sie m u ß aber ihrem Umfang nach auf das nach einer Kosten-Nutzen-Analyse sinnvolle Maß beschränkt bleiben. Daneben können ausserhalb des Gesellschaftsrechts auf bestimmte Gesellschaftstypen oder Gläubigergruppen zugeschnittene Regelungen geschaffen werden, die wegen ihrer Spezialisierung den Vorteil haben, gezielt eingreifen zu können, ohne das Gesamtsystem unnötig zu belasten. Dazu gehören zum Beispiel börsengesetzliche Regelungen für Publikumsaktiengesellschaften oder Konkursvorrecht für bestimmte Gläubigergruppen wie den im Notfall zu Hilfe gerufenen Klempner 1 5 2 .

IV. Zwischenergebnis Die Untersuchung des Gläubigerschutzes aus den verschiedenen Blickwinkeln heraus hat Folgendes ergeben: 1. Den Gläubigern steht über die Institute des Bürgerlichen Rechts und der angrenzenden Rechtsgebiete eine Fülle von Möglichkeiten zur Verfügung, eine Absicherung ihrer Forderungen gegenüber den Schuldnern zu erreichen. Dieser erhöhte Schutz ist nicht nur in der Theorie möglich, sondern die Schuldnerunternehmen verfügen über hinreichende freie - also nicht bereits zu Sicherungszwecken verbrauchte - Mittel, um einen weitergehenden Zugriff der Gläubiger zu gewährleisten. Sollte dennoch im Einzelfall durch den erhöhten Wunsch nach Garantien ein Unternehmen in Schwierigkeiten kommen, so ist dies nicht negativ, sondern führt im Gegenteil zur Stellung des Konkursantrages zu einem Zeitpunkt, zu dem noch ausreichende Mittel zur Befriedigung vorhanden sind.

152

Kühler, FS Budde, S. 371.

B. Gläubigerschutz

als Hinderungsgrund

der Deregulierung

137

2. Das Garantiekapital ist für den Gläubigerschutz unnötig. Es garantiert lediglich die Volleinzahlung des Kapitals zum Zeitpunkt der Firmengründung. Danach verhindert es nur einen unrechtmäßigen Abfluß zugunsten Einzelner, nicht aber das Fortbestehen einer soliden Kapitaldecke. Bei einer genaueren Untersuchung des Garantiekapitals hat sich gezeigt, daß es trotz der gegenwärtigen Beschwörung seines Nutzens für die Gläubiger heute nur noch - wenn überhaupt - dem Anlegerschutz dient. 3. Bei einer Beleuchtung der Systeme aus ökonomischer Sicht hat sich ergeben, daß es am sinnvollsten ist, die Gläubiger bei zur Verfügungstellung hinreichender Rechtsinstitute zur Sicherung auf die Eigeninitiative zu verweisen. Dies führt dazu, daß sich die Gläubiger nicht in einer über das Garantiekapital vermittelten falschen Sicherheit bezüglich der vorhandenen Mittel wiegen. 4. Die Kosten für die Absicherung müssen die Gläubiger tragen, da sie alleine in der Lage sind, die ökonomisch sinnvolle Entscheidung zwischen Kosten der Besicherung und dem Konkursrisiko zu treffen. Dabei muß den Gläubigern ein gewisses Maß an Informationen von den schuldenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, da die Unternehmen bezüglich ihrer eigenen Interna die Informationen kostengünstiger bereitstellen können. Jedoch muß die Bereitstellungspflicht durch das Unternehmen im Verhältnis zur Relevanz der entsprechenden Information für die verschiedenen Gläubigergruppen stehen und darf nicht über Gebühr ausgedehnt werden.

C. Die Deliktsgläubiger als Problemgruppe Hat sich nunmehr erwiesen, daß das Nennkapital und die damit verbundenen Kapitalerhaltungs- und -aufbringungsregeln für einen ausreichenden Gläubigerschutz der Vertragsgläubiger nicht in dem bisher angestrebten Umfang notwendig sind, verbleiben wie bereits mehrfach angedeutet die reinen Deliktsgläubiger als Problemgruppe. In Bezug auf diese Gläubigergruppe besteht zwar, wie sich oben gezeigt hat, kein fortwährender und dringender Schutzbedarf. Jedoch kann es gerade bei reinen Deliktsgläubigern zu Fallkonstellationen kommen, in denen der einzelne Gläubiger einer existenzbedrohenden Situation ausgesetzt wird, ohne an deren Entstehung in irgendeiner Form mitgewirkt zu haben. Als Beispiele seien nur die Katastrophe der Exxon Valdez, des Chemiewerkes in Bophal oder des Reaktorunfalls in Tschernobyl genannt. Für den einzelnen Gläubiger ist es dann irrelevant, ob er statistisch eine unerhebliche Risikogruppe darstellt. Für diese besonderen Fälle ist daher über eine eigenständige Absicherung der Deliktsgläubiger nachzudenken. Geht man, wie oben bereits dargelegt, davon aus, daß der Schutz der Deliktsgläubiger nicht über den Zwang zu einer hinreichenden Kapitalausstattung des Unternehmens zu jedem Zeitpunkt der Geschäftstätigkeit erfolgen kann, so bleibt als kapitalgesellschaftsrechtlicher Ansatz lediglich der Durchgriff 1 , zu dem im Folgenden Stellung genommen werden soll.

/. Der

Durchgriff

1. Historische Entwicklung der Durchgriffslehre Die Ursprünge der Durchgriffslehre liegen Anfang der 20er Jahre in Entscheidungen des Reichsgerichts zur Einmanngesellschaft. Die Entscheidungen zeichneten sich dadurch aus, daß sie das zwischen juristischer Person und Gesellschafter geltende Trennungsprinzip 2 nicht mit Hilfe festgelegter dog1 Klose-Mokroß, S. 89; Kühler in Öffentliches Recht, S. 238 sowie in FS Zöllner, S. 328; Drukarczyk, S. 1240. 2 Das Trennungsprinzip ist das »in § 13 Abs. 1 und 2 verankerte Prinzip der zuord-

C. Die Deliktsgläubiger

als

Problemgruppe

139

matischer Konstruktionen durchbrachen, sondern mit Treu und Glauben und der Natur der Sache argumentierten. Dies kulminierte in dem Satz: »Der Richter habe vor der juristischen Konstruktion die Wirklichkeit des Lebens und die Macht der Tatsachen zu berücksichtigen« 3 . Parallel dazu wurde die Haftung der Gesellschafter aber auch über die bürgerlich-rechtlichen Institute wie § 826 B G B begründet 4 , ohne daß eine Stellungnahme zu der dadurch auftretenden Diskrepanz erfolgte. In der Literatur wurde die Diskussion zunächst von Müller-Erzbach 5 aufgegriffen, der die Aufhebung des Trennungsprinzips aus der Interessenidentität zwischen Einmanngesellschaft und Gesellschafter ableitete, gefolgt von Siebert 6 , der aus dem Wesen der juristischen Person die Grenzen der Rechtspersönlichkeit dahingehend bestimmte, daß die zwischen Gesellschafter und Gesellschaft bestehende Zweckspaltung nicht inhaltswidrig ausgenutzt werden darf. Die Zeit der modernen Durchgriffstheorien begann 1955 mit der Arbeit von Serick über Rechtsform und Realität juristischer Personen 7 . Serick begründete mit dieser Arbeit die Mißbrauchstheorie, nach der der Durchgriff als seltener Ausnahmefall zulässig ist, wenn ein absichtlicher Mißbrauch der Rechtsfigur der juristischen Person zu anderen als von der Rechtsordnung vorgesehenen Zwecken erfolgt. Für Serick war es selbstverständlich, daß der Durchgriff eine Ableitung aus dem Systembegriff darstellen mußte. Die Möglichkeit »durchgriffsähnliche« Ziele durch die Anwendung der zivilrechtlichen Normen zu erreichen, stand für ihn überhaupt nicht zur Diskussion 8 , so daß auch keine Auseinandersetzung mit diesem abweichenden Ansatz erfolgte. Der stärker am subjektiven Rechtsmißbrauch orientierten Lösung Sericks sind Autoren wie Drobnig 9 , Stauder 10 und Bauscke 1 1 gefolgt.

nungsrechtlichen Selbständigkeit der juristischen Person im Verhältnis zu ihren Gesellschaftern«; Mertens in Hachenburg Anh. § 13, Rn. 1; Eisenhardt, GesR, Rn. 476 ff. 3 R G Z 99, 232, 234; 103, 64, 66; 104, 128, 130; 129, 50, 53 f.; 130, 340, 343 f.; 143, 429, 431; 156,271,277. 4 Z.B.: R G J W 1938, 862; als Mischform zwischen beiden Lösungen R G J W 1939, 355, 356; R G Z 166, 51,57. 5 R G Festschrift II (1929), S. 161 ff. 6 DJZ 1935, 713, 721 f. 7 Serick, Rechtsform und Realität juristischer Personen, 1955 mit zweiter unveränderter Auflage 1980. 8 Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 90. 9 Haftungsdurchgriff bei Kapitalgesellschaften, 1959, insbesondere S. 20, 24 und 94 ff. 10 Stauder, GmbHR 1968, 74. 11 Bauschke, BB 1975, 1324.

140

2. Kapitel: Der Gläubiger-

und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

Daneben entwickelte sich eine mehr objektiv-institutionelle Betrachtungsweise, die vor allem von Immenga 12 , Ott 1 3 , Siebert 14 und Kuhn 1 5 vertreten wurde. Letztere wendete sich gegen die subjektive Mißbrauchstheorie vor allem wegen des damit verbundenen Nachweises der Mißbrauchsabsicht, der schwer zu führen ist und damit die Unpraktikabilität bedingt. Die Spaltung in natürliche und juristische Person kann nach Ansicht dieser Autoren nicht die Verschiebung des Risikos auf die Gläubiger rechtfertigen, zu dem es beim Anlegen von subjektiven Kriterien wegen der Beweisschwierigkeiten unweigerlich kommt 1 6 . Im Jahre 1957 entwickelte Müller-Freienfels in Abgrenzung zu Serick und den institutionellen Mißbrauchstheorien 17 die Normzwecktheorie, deren Bezugspunkt die Frage ist, »ob und inwieweit eine bestimmte Norm in einem konkreten Fall auf diese oder jene juristische Person ihrem Sinn und Zweck nach im Zuge richtiger Gestaltung der sozialen Ordnung anwendbar ist« 18 . Müller-Freienfels ordnete die juristische Person als reinen Zweckbegriff ein und löste die anstehenden Probleme folgerichtig nicht aus dem Wesen der juristischen Person heraus, das es bei einem »Zweckbegriff« nicht geben kann, sondern legte die mit den Außenbeziehungen der juristischen Person in Berührung kommenden Normen anhand des Regelungszweckes des anzuwendenen Rechtssatzes danach aus, ob die entsprechende Rechtsfolge die Gesellschaft oder den Gesellschafter treffen soll 19 . Seine Ansicht wird am konsequentesten von Schanze verfolgt 20 , der dann zu dem zwangläufigen Ergebnis kommt, daß es einen Durchgriff im Sinne des Trennungsprinzips nicht geben kann, sondern daß es sich ausschließlich um Zurechnungsfragen im Rahmen der »bürgerlich-rechtlichen« 21 Konzeption handelt 22 . Rehbinder vertritt demgegenüber einen vermittelnden Ansatz. Er will in den Fällen, in denen es um die Anwendung von Sonderrecht der juristischen

Immenga, Personalistische Kapitalgesellschaft, S. 405 ff. Ott, Recht und Realität, S. 49. 14 Siebert, B B 1954,417. 15 Kuhn, O., Strohmanngründungen bei Kapitalgesellschaften; Kuhn, G., in FS Fischer S. 354. 16 Kuhn, G., in FS Fischer, S. 354. 17 Zur Zusammenfassung der Mißbrauchstheorien unter diesem Begriff: Schramm, Konzernverantwortung, S. 12. 18 Müller-Freienfels, AcP 156, S. 536. 19 Müller-Freienfels, AcP 156, S. 537 f., insb 543, auf der er sein so gefundenes Konzept als »Normanwendung« bezeichnet. 20 Schanze, Einmanngesellschaft, S. 102 ff. 21 Schanze, Einmanngesellschaft, S. 105. 22 Schanze, Einmanngesellschaft, S. 113 ff. 12

13

C. Die Deliktsgläubiger

als

141

Problemgruppe

P e r s o n e n geht, w e i t e r nach der D u r c h g r i f f s l e h r e verfahren. D i e A n w e n d u n g und F o r t b i l d u n g der ü b e r die juristische P e r s o n hinaus

generalisierbaren

N o r m e n will er hingegen e n t p r e c h e n d der b ü r g e r l i c h - r e c h t l i c h e n K o n z e p t i o n behandeln 2 3 . Als A n t i p o d e zu den Vertretern des b ü r g e r l i c h - r e c h t l i c h e n Ansatzes vertritt W i l h e l m eine strikte T r e n n u n g s t h e o r i e und lehnt sogar den D u r c h g r i f f als bereits im A n s a t z verfehlt ab. E r löst die entstehenden K o n f l i k t e ü b e r eine organschaftliche Sorgfaltspflicht der G e s e l l s c h a f t e r nach § 43 G m b H G

ana-

log 24 -

2. Gegenwärtiger Diskussionsstand Von den eben aufgeführten L i t e r a t u r m e i n u n g e n w e r d e n alle neueren heute n o c h vertreten. Zu finden sind also im S c h r i f t t u m die M i ß b r a u c h s t h e o r i e , die N o r m a n w e n d u n g s t h e o r i e und die T r e n n u n g s t h e o r i e . E i n e D i f f e r e n z i e r u n g hat sich aber insofern eingestellt, als zwischen d e m Z u r e c h n u n g s d u r c h g r i f f und dem H a f t u n g s d u r c h g r i f f unterschieden wird. U n t e r dem S t i c h w o r t des Z u r e c h n u n g s d u r c h g r i f f s w e r d e n die F r a g e n danach zusammengefasst, o b und unter w e l c h e n Voraussetzungen E i g e n s c h a f t e n , K e n n t n i s s e , E r k l ä r u n g e n und Verhaltensweisen des Gesellschafters der Gesellschaft z u g e r e c h n e t werden k ö n n e n sowie vice versa. D e r sogenannte H a f t u n g s d u r c h g r i f f b e z e i c h n e t die D o m ä n e des früher lediglich mit » D u r c h g r i f f « betitulierten P r o b l e m k o m p l e xes, nämlich die A u f h e b u n g der H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g auf Seiten der G e s e l l schafter mit der F o l g e ihrer p e r s ö n l i c h e n H a f t u n g für V e r b i n d l i c h k e i t e n der Gesellschaft in voller oder b e g r e n z t e r H ö h e 2 5 . D i e R e c h t s p r e c h u n g des B G H fußt weiter auf den v o m R e i c h s g e r i c h t aufgestellten F o r m e l n . S o heißt es in B e z u g auf die G m b H , die juristische P e r s o n und ihre G e s e l l s c h a f t e r m ü ß t e n »dann als eine E i n h e i t behandelt w e r d e n , w e n n die W i r k l i c h k e i t e n des L e b e n s , die wirtschaftlichen B e d ü r f n i s s e und die M a c h t der Tatsachen es dem R i c h t e r gebieten, die p e r s o n e n - und v e r m ö g e n s rechtliche Selbständigkeit der G m b H und ihres alleinigen Gesellschafters h i n t a n z u s e t z e n 2 6 . « D i e s e n und ähnlichen W e n d u n g e n 2 7 zur B e g r ü n d u n g des Rehbinder in FS Fischer, S. 582 f. Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 285 ff.; ders. DB 1986, 2113; kritisch dazu: Schanze, AG 1982,42. 25 Wiedemann, GesR I, § 4 II 3 sowie § 4 III; Raiser, Kapitalgesellschaften, §29 Rn. 1; Kubier, GesR, § 23 II; Mertens in Hachenburg, Anh. § 13, Rn. 32. 26 RGZ 99, 232, 234; 129, 50, 53 f.; B G H Z 22, 226, 230; 29, 385, 392; 54, 222, 224. 27 So heißt es auch, daß die Rechtsfigur der juristischen Person »in dem Umfang keine Beachtung finden dürfe, in dem ihre Verwendung dem Zweck der Rechtsordnung widerspricht«; B G H Z 20, 4,14; 22, 226, 231; 68, 312, 315. 23 24

142

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz im

Kapitalgesellscbaftsrecht

D u r c h g r i f f s setzt der B G H dann quasi als K o r r e k t i v entgegen, daß » ü b e r die R e c h t s f i g u r der juristischen P e r s o n nicht leichtfertig und schrankenlos hinweggegangen w e r d e n dürfe« 2 8 . D a s sind offensichtlich keine klaren Leitlinien, die die R e c h t s p r e c h u n g v o r h e r s e h b a r und einsichtig gestalten. D i e U n s i cherheit ü b e r die Voraussetzungen des D u r c h g r i f f s setzen sich auch auf d o g matischer E b e n e fort. D e r B G H stützt seine A r g u m e n t a t i o n je nach Fall auf den Z w e c k der juristischen P e r s o n , auf treuwidriges Verhalten sowie den allgemeinen V e r s t o ß gegen Treu und G l a u b e n und auf R e c h t s m i ß b r a u c h 2 9 . E i n e A n n ä h e r u n g der verschiedenen T h e o r i e n hat nicht stattgefunden. N a c h wie v o r hat sich f ü r die L ö s u n g der D u r c h g r i f f s p r o b l e m a t i k n o c h keine einheitliche L i n i e gebildet, s o n d e r n es regiert ein K o n g l o m e r a t v o n »den L e h ren v o n der juristischen P e r s o n , Billigkeitsargumenten und rechtspolitischen Vorstellungen ü b e r den f u n k t i o n s g e r e c h t e n G e b r a u c h der H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g in der M a r k t w i r t s c h a f t « 3 0 . A n s t e h e n d e P r o b l e m e w e r d e n j e nach B e d a r f im k o n k r e t e n Fall durch E i n z e l e n t s c h e i d u n g gelöst.

3. S t e l l u n g n a h m e D e m D u r c h g r i f f ist gegenwärtig lediglich eine » S t i c h w o r t f u n k t i o n « 3 1 z u z u billigen, so viele und unterschiedliche Fälle w e r d e n unter seinem M a n t e l abgehandelt 3 2 . D i e s wird sich auch in Z u k u n f t nicht vermeiden lassen, da eine B e grenzung des T e r m i n u s » D u r c h g r i f f « auf einzelne Fallgestaltungen angesichts der bereits

erreichten

Gebräuchlichkeit

nicht m e h r d u r c h z u s e t z e n

sein

w i r d 3 3 . D a s sollte j e d o c h kein H i n d e r u n g s g r u n d sein, die verschiedenen F a l l gestaltungen zu analysieren und in B e z u g auf die z u m G l ä u b i g e r s c h u t z gew o n n e n e n E r k e n n t n i s s e dazu Stellung zu n e h m e n , w o b e i in E r i n n e r u n g bleiben sollte, daß sich in diesem Z u s a m m e n h a n g lediglich das P r o b l e m der A b s i cherung der reinen D e l i k t s g l ä u b i g e r stellt. B G H Z 20, 4, 11; 26, 31, 37; 54, 222, 224. Beispiele dafür sind: Rein am Zweck der juristischen Person wird der Durchgriff von B G H Z 20, 4, 14, konstruiert, der zugleich der subjektiven Theorie Sericks auf S. 13 eine Absage erteilt; eine Herleitung über Treu und Glauben nimmt der BGH im Siedlungsgesellschaftsfall, B G H Z 54, 222, 224 vor; eine Zusammenfassung der bisherigen Rechtsprechung des B G H findet sich im Typenhausfall, B G H Z 68,312,314 ff, der aber keine Stellung zu den verschiedenen Ansätzen abgibt; eine Zusammenstellung der einzelnen Entscheidungen mit kurzer Inhaltsangabe findet sich bei: Schanze, Einmanngesellschaft, S. 72 ff. 30 Raiser, Kapitalgesellschaften, § 29 Rn. 4. 31 Mertens in Hachenburg, Anh. § 13 Rn. 36; Kühler spricht in Anlehnung an Rehbinder von einer »generalklauselartigen Leerformel«, GesR, § 23 I. 32 Müller, Durchgriff, S. 6; Schmidt, K, ZIP 1994, 383. 33 So auch Mertens in Hachenburg, Anh. § 13 Rn. 33 im Hinblick auf die Vorschläge Stimpels. 28 29

C. Die Deliktsgläubiger

als

143

Problemgruppe

D i e F r a g e nach Statthaftigkeit und F o r m des D u r c h g r i f f s läßt sich nicht o h n e A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit dem Institut der juristischen P e r s o n b e a n t w o r ten. D a b e i geht es j e d o c h weniger u m eine Stellungnahme zu den T h e o r i e n der Verselbständigung der juristischen P e r s o n v o n den hinter ihr stehenden natürlichen P e r s o n e n , wie dies die F i k t i o n s t h e o r i e Savignys 3 4 , die

Genossen-

schaftstheorie G i e r k e s 3 5 sowie die G e n i e ß e r t h e o r i e und die Z w e c k v e r m ö genstheorie taten 3 6 . D i e s e r Streit spielt heute k a u m n o c h eine R o l l e 3 7 und k o m m t h ö c h s t e n s bei der verfassungsrechtlichen Frage b e z ü g l i c h der ihrem Wesen nach a n z u w e n d e n d e n G r u n d r e c h t e z u m Tragen 3 8 . E n t s c h e i d e n d ist vielmehr die M o t i v a t i o n , die zur Schaffung des Institutes der juristischen Person führte. D e n n nur w e n n man sich deutlich m a c h t , w e l c h e m Ziel die H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g zu dienen b e s t i m m t ist, k ö n n e n sinnvolle K r i t e r i e n für ihre D u r c h b r e c h u n g erarbeitet w e r d e n . D r e h - und A n g e l p u n k t des D u r c h g r i f f s m u ß daher das im ersten Kapitel bereits dargestellte Verhältnis v o n K a p i t a l s a m m e l f u n k t i o n , Schaffung v o n I n novativkapital - v e r b u n d e n mit der K a p i t a l a l l o k a t i o n - Sicherheit und L e i c h tigkeit des W i r t s c h a f t s v e r k e h r s s o w i e der b e s c h r ä n k t e n H a f t u n g sein.

a. Ordnungspolitische und wirtschaftspolitische der Haftungsbeschränkung

Ziele

D i e H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g w a r nicht v o n jeher, wie man dies heute vermuten k ö n n t e , ein integraler Bestandteil der juristischen P e r s o n 3 9 . Sie ist selbst heute n o c h nicht deren Voraussetzung wie die R e c h t s f o r m e n der G e n o s s e n s c h a f t und der K G a A belegen. J e d o c h zeigte sich frühzeitig das wirtschaftliche B e dürfnis danach. S o w u r d e bereits 1720 in E n g l a n d der sog. B u b b l e A c t erlassen, der die v o m G e s e t z nicht vorgesehene aber in der Praxis geschaffene H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g vermittels der A u s g a b e v o n I n h a b e r a k t i e n u n m ö g l i c h m a c h t e 4 0 . Virulent w u r d e das Verhältnis v o n H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g

und

K a p i t a l s a m m e l f u n k t i o n mit dem F o r t s c h r e i t e n der Industrialisierung, die zur Aufnahme

immer

größerer

Kapitalmengen

in U n t e r n e h m u n g e n

zwang,

gleichzeitig aber die K o n t r o l l e durch den einzelnen A n l e g e r wegen der m i t t von Savigny, S. 236 ff. von Gierke, Privatrecht, S. 469 ff.; in Bezug auf das Mehrheitsrecht ders. in Schmollers Jahrb., 39 Jhg. Heft 2, S. 7 insb. S. 21 ff. 36 Insgesamt zu den verschiedenen Theorien: Reuter in MünchKom, Vor. § 21, Rn. 1 ff. 37 Der Streit zwischen den Auffassungen Savignys und Gierkes spielt noch eine Rolle für die Stellung der Organe. Hier hat sich mittlerweile die Organtheorie Gierkes durchgesetzt: Beuthin/Gätsch, ZHR 156,467 f. 38 Kübler, GesR, § 4 IV 3 c. 39 Ausführlich zur Geschichte siehe oben A.I. 34 35

144

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz im

Kapitalgesellschaftsrecht

lerweile erreichten h o h e n Zahlen v o n Beteiligten n u r n o c h schematisch und rudimentär e r m ö g l i c h t e . Sollten die z u m Beispiel für den E i s e n b a h n b a u b e n ö tigten i m m e n s e n K a p i t a l m e n g e n erreicht w e r d e n 4 1 , so m u ß t e dem E i n l e g e r zugleich die G a r a n t i e gegeben werden, daß sein Verlust auf das eingelegte K a pital b e s c h r ä n k t blieb. A n d e r s hätte sich nicht die für P r o j e k t e dieser G r ö ß e n o r d n u n g n o t w e n d i g e Partizipation der Kleinanleger erreichen lassen. D i e geschichtliche E n t w i c k l u n g der Aktiengesellschaft ist also der deutlichste Beleg für die enge V e r k n ü p f u n g der K a p i t a l s a m m e i f u n k t i o n mit der H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g . Solange der Anlegerkreis n o c h klein war, war es m ö g l i c h auf die H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g zu verzichten. J e m e h r die M o b i l i s a tion g r o ß e r K a p i t a l m e n g e n nötig w u r d e , desto u n u m g ä n g l i c h e r w u r d e die Haftungsbeschränkung.

Kapitalmobilisation

und

Haftungsbeschränkung

verhalten sich also r e z i p r o k p r o p o r t i o n a l . J e stärker das R i s i k o der p e r s ö n l i chen H a f t u n g wird, desto geringer wird die Investitionsbereitschaft in G r o ß p r o j e k t e 4 2 . Soll diese erhalten bleiben, m u ß man b e i m D u r c h g r i f f innerhalb der g r o ß e n Publikumsgesellschaften klar strukturierte und nachvollziehbare R e g e l n aufstellen. A n s o n s t e n wird der o h n e h i n s c h w a c h e K a p i t a l m a r k t weiterhin geschädigt werden. D e m e n t s p r e c h e n d ist das Verhältnis v o n K a p i t a l s a m m l u n g und H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g nicht v o n gleicher R e l e v a n z , w e n n es sich um Gesellschaften mit einem kleineren A n l e g e r k r e i s handelt, deren Paradebeispiel die G m b H ist, die aber auch in der R e c h t s f o r m der Aktiengesellschaft v o r k o m m e n k ö n nen, man denke nur an die Familienaktiengesellschaften. Liegt der rechtspolitische G r u n d für die Z u e r k e n n u n g der b e s c h r ä n k t e n H a f t u n g bei diesen G e sellschaften nicht in der N o t w e n d i g k e i t der K a p i t a l s a m m e l f u n k t i o n , fragt es sich, o b die H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g dann beliebig zur D i s p o s i t i o n gestellt werden kann, o d e r o b es andere R e c h t f e r t i g u n g e n für die B e i b e h a l t u n g der H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g bei der E i n f ü h r u n g der R e c h t s f o r m der G m b H als t y pisches Beispiel der Gesellschaft mit kleinem Gesellschafterkreis gab 4 3 . B e r ü c k s i c h t i g t man die Materialien, ist evident, daß die H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g kein störendes B e i w e r k der neu zu schaffenden R e c h t s f o r m , sondern deren integraler Bestandteil sein sollte 4 4 . D i e Schwierigkeiten einer R e c h t s f o r m mit b e s c h r ä n k t e r H a f t u n g in B e z u g auf die Vertragsgläubiger w u r d e z w a r erkannt aber nicht für ausschlaggebend gehalten, da es ihnen freistand, Ausführlich dazu Schmoller XIII, S. 647 ff. Bösselmann, S. 30. 42 Auf die mit der Haftungsbeschränkung verbundenen Synergieeffekte weist hin: Lehmann, ZGR 1986, 354 ff. 43 Zur Entstehungsgeschichte der GmbH siehe oben A.II. 44 Ausführlich nachzulesen bei Koberg, insbesondere S. 129. 40 41

C. Die Deliktsgläubiger

als

Problemgruppe

145

sich mit dem entsprechenden Vertragspartner einzulassen 4 5 . D a r ü b e r h i n a u s war die B e s c h r ä n k u n g der H a f t u n g auf b e s t i m m t e einzelne V e r m ö g e n s g e g e n stände individuell vereinbar, so daß die H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g innerhalb der Gesellschaft lediglich eine V e r e i n f a c h u n g des Verfahrens darstellte und es wie eben ausgeführt - dem Vertragspartner freistand, mit einem anderen zu k o n t r a h i e r e n 4 6 . D i e D e l i k t s g l ä u b i g e r w u r d e n nicht als gesonderte P r o b l e m gruppe erfasst. W e n n t r o t z der b e k a n n t e n Schwierigkeiten der b e s c h r ä n k t e n H a f t u n g mit dem G l ä u b i g e r s c h u t z eigens eine neue R e c h t s f o r m als Alternative z u r A k t i e n gesellschaft geschaffen wurde, so m u ß t e es s c h o n zu j e n e r Zeit einen B e d a r f dafür gegeben haben. D i e s e r B e d a r f w a r damals wie heute mit wirtschaftlichen N o t w e n d i g k e i t e n begründet. E s hatte sich gezeigt, daß v o r allem im überregionalen G e s c h ä f t s v e r k e h r das R i s i k o der p e r s ö n l i c h e n H a f t u n g als so schwerwiegend e m p f u n d e n wurde, daß o h n e die

Haftungsbeschränkung

nicht im hinreichenden M a ß e R i s i k o k a p i t a l für diesbezügliche B e t ä t i g u n g e n gefunden w e r d e n k o n n t e . Andererseits w a r die Aktiengesellschaft durch die durch die R e f o r m v o n 1884 bedingte H i n w e n d u n g zur reinen P u b l i k u m s g e sellschaft zu unflexibel geworden. Sollte eine E n t a r t u n g des A k t i e n r e c h t s , wie dies in E n g l a n d geschah, vermieden w e r d e n , sah sich der G e s e t z g e b e r z u r Schaffung einer neuen R e c h t s f o r m g e z w u n g e n 4 7 . D a b e i w u r d e bereits in j e n e n Tagen e r k a n n t , daß ein flexibles R e c h t im internationalen Vergleich ein i m menser W e t t b e w e r b s v o r s p r u n g sein k o n n t e . » D a s j e n i g e L a n d , welches die sichersten, einfachsten und mannigfachsten R e c h t s f o r m e n für die Vereinigung v o n Kapital und P e r s o n e n « zur Verfügung stellt, m u ß »vor anderen N a t i o n e n , die darin z u r ü c k b l e i b e n , einen wirtschaftlichen V o r s p r u n g g e w i n n e n . « 4 8 H i s t o r i s c h gesehen war Z w e c k der Haftungsbeschränkung bei der G m b H also z u m einen, Risikokapital zu schaffen, um einen wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen, z u m anderen durch das Anbieten einer fixierten R e c h t s f o r m die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu fördern und es den Parteien so zu ersparen, die Haftungsbeschränkung jeweils individuell aushandeln zu müssen. A n der M o t i v a t i o n der Gesellschafter zur G r ü n d u n g einer G m b H hat sich bis heute nichts geändert. D i e G m b H stellt nach wie v o r eine auf einen kleinen Gesellschafterkreis z u g e s c h n i t t e n e R e c h t s f o r m dar, die bedingt durch die H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g innovative und risikoreichere T ä t i g k e i t e n erlaubt als die O H G . 45 Äußerung des Reichsjustizrats Wiener als Koreferent zu Professor Wagner auf der Tagung des Vereins für Socialpolitik 1873, nachzulesen bei Koberg, S. 36 f. 46 Koberg, S. 50. 47 Schubert in 100 Jahre GmbH, S. 1 ff., insbesondere S. 5. 48 Oechelhausens. 221.

146

2. Kapitel: Der Gläubiger-

und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

Rechtsökonomisch erhält der Gesellschafter die Haftungsbeschränkung als »Gegenleistung« für die Einordnung seines Kapitals als letztes in die Befriedigungskette und dem Verzicht auf die Verzinsung dieses Kapitals in wirtschaftlich schwierigen Zeiten 49 . Dem Gläubiger werden für den Fall, daß er seinen Anspruch auf Zahlung seines Kapitals durch die ökonomische Situation faktisch verliert, Ausgleichsmöglichkeiten in Form von Sicherungsmitteln eingeräumt. Zudem findet im Konkurs ein Ubergang der Kontrollrechte auf die Gläubiger statt, der durch den Wandel ihres Kapitals zu Risikokapital gerechtfertigt ist 50 . Daran zeigt sich, daß eine gewisse Sozialisierung des Verlustrisikos bei den juristischen Personen mit beschränkter Haftung systemimmanent 5 1 , ja sogar gewollt ist 52 . Wollte man diese in der Rechtsform beinhaltete Sozialisierung durch die Einführung zu gläubigerfreundlicher Durchgriffsregeln neutralisieren, unterliefe man nicht nur die Kapitalsammeifunktion, sondern auch die Schaffung von Risikokapital, die beide gesamtwirtschaftlich notwendig sind 53 . Die relevante Fragestellung kann folglich nicht heißen: Durchgriff, ja oder nein. Sie muß vielmehr die Grenzen des Durchgriffs innerhalb der gesellschafts- und wirtschaftsrechtlichen Pole ausloten, wobei sich dies unter der hier gegebenen Fragestellung auf die reinen Deliktsgläubiger beschränkt. b. Umfang und Grenzen des

Durchgriffs

Der entscheidende Punkt der Abwägung muß also in dem Umfang der zulässigen Risikosozialisierung liegen 54 . U m die gesellschaftsrechtliche Stellungnahme zu erleichtern, sollte zunächst die zivilrechtliche Risikoverteilung beleuchtet werden, da der dem Durchgriff zugrunde liegende Anspruch zumeist zivilrechtlicher Natur sein wird.

Blair, S. 20 ff. Blair, S. 27 ff. 51 Lehmann, Z G R 1986, 350, spricht von negativen Externalitäten. 52 Posner, S. 245; Romano, Limited Liability, S. 63; Easterbrook/Fischel, Limited Liability, S. 65; Drukarczyk, S. 1237, formuliert für das deutsche Recht: »Aus den Konstruktionsdetails läßt sich nicht entnehmen, daß die Gläubiger risikolos sein sollten.«. 5 3 Zur Notwendigkeit von Risikokapital: D A I Optionen, S. 1; die Praxis zeigt den Wunsch nach Risikokapital durch den Aufschwung des Neuen Marktes, FAZ vom 10.3. 1998, S. 30. 5 4 Ähnlich: Lehmann, Z G R 1986, 359 ff. 49

50

C. Die Deliktsgläubiger

aa. Die zivilrechtliche

als

Problemgruppe

147

Risikoverteilung

I m Zivilrecht herrscht das Prinzip der Totalreparation. Ist eine z u r e c h e n b a r e Schädigung eingetreten, so m u ß der gesamte daraus resultierende Schaden dem G e s c h ä d i g t e n ersetzt w e r d e n . E s verbleibt außer in den Fällen des M i t verschuldens kein Anteil, den der G e s c h ä d i g t e selbst zu tragen hätte 5 5 . D i e s e r A n s a t z k ö n n t e darauf hindeuten, daß auch im G e s e l l s c h a f t s r e c h t eine R i s i k o verteilung so w e i t g e h e n d wie m ö g l i c h ausgeschlossen w e r d e n m u ß . D a s ist verfehlt. D e n n auf diese Weise w ü r d e die G e g e n ü b e r s t e l l u n g der Prinzipien auf i n k o m p a t i b l e n E b e n e n angesiedelt. D i e F r a g e nach der Totalreparation ist die nach d e m U m f a n g und der H ö h e des E r s a t z e s 5 6 , steht die E r s a t z f ä h i g k e i t erst einmal fest. A u c h auf dieser E b e n e kann man z w a r R i s i k e n zuweisen, aber die eigentliche Risikoverteilung liegt in der Frage, w a n n ü b e r h a u p t ein E r s a t z anspruch zugebilligt wird und hier ist das B G B eindeutig anders s t r u k t u riert 5 7 . N i c h t jeder irgendwie n a c h w e i s b a r e Schaden führt auch zu einem E r satzanspruch, sondern es bleibt ein e r h e b l i c h e r Teil v o n Schäden im weitesten Sinne dem allgemeinen L e b e n s r i s i k o zugerechnet 5 8 . Z u d e m kann auch das Zivilrecht die G e f a h r nicht ausräumen, daß zwar ein V e r a n t w o r t l i c h e r ermittelt werden kann, dieser aber vermögenslos ist, so daß der vorhandene A n s p r u c h nicht durchsetzbar ist. D a s Zivilrecht sieht für solche Fälle keinen E n t s c h ä d i gungsfonds vor, sondern dies ist das persönliche R i s i k o des Geschädigten. D a s heißt, hat der Geschädigte keine E i g e n f ü r s o r g e betrieben, z u m Beispiel durch den A b s c h l u ß einer Versicherung, verbleibt die Schadenstragung bei ihm. Sieht m a n einmal v o n den durch Beweisregeln geprägten Verteilungskriterien ab, so ergibt sich die Risikoverteilung im Zivilrecht v o r allem durch die Z u r e c h n u n g eines b e s t i m m t e n Schadens zu einem b e s t i m m t e n Schädiger 5 9 . E i n e s der besten Beispiele für die Z u r e c h n u n g v o n Schäden ist die E r m i t t l u n g der Verursachung anhand der A d ä q u a n z m a ß s t ä b e . D a n a c h ist ein Schaden nur dann z u z u r e c h n e n , w e n n die Schadensursache im allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, u n w a h r s c h e i n l i c h e n und nach dem gew ö h n l i c h e n Verlauf der D i n g e außer B e t r a c h t zu lassenden U m s t ä n d e n geeignet war, einen E r f o l g dieser A r t h e r b e i z u f ü h r e n 6 0 ; das heißt, u n g e w ö h n l i c h e V e r k e t t u n g e n v o n U m s t ä n d e n tragen zur E n t l a s t u n g des Schädigers bei. E i n Statt vieler Heinrichs in Palandt, Vorbem § 249, Rn. 6. Grunsky in MünchKom, § 249 Rn. 113. 57 Grunsky in MünchKom Vor §229, Rn. 44 ff.; Escher-Weingart, Nutzungsausfall, S. 30 ff. 58 Larenz, SchuldR AT, § 20 I. 59 Palandt, Vorbem §249, Rn. 6; Grunsky in MünchKom, Vor §249, Rn. 1; Larenz, SchuldR AT, § 20 I. 60 B G H 7,198,204. 55 56

148

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz im

Kapitalgesellschaftsrecht

solcher Schaden ist dann t r o t z kausaler Verursachung durch den Schädiger v o m G e s c h ä d i g t e n alleine zu tragen 6 1 . Prägnant für die R i s i k o v e r t e i l u n g sind i n s b e s o n d e r e die R e g e l n der F a h r lässigkeit. H i e r ist der B e z u g zur gesellschaftsrechtlichen

Risikoverteilung

n o c h stärker, weil es auch hier faktisch u m die Z u w e i s u n g v o n Schadenstragungspflichten im Verhältnis zu Verhaltenspflichten geht 6 2 und die L ö s u n g n e b e n den ethischen F r a g e n z u m Ziel hat, den einzelnen nicht in einem solchen M a ß e mit Sorgfaltsanforderungen zu belasten, das eine geordnete Teiln a h m e am allgemeinen L e b e n nicht m e h r m ö g l i c h ist 6 3 . Fahrlässig handelt nach § 2 7 6 B G B , w e r die im V e r k e h r erforderliche Sorgfalt außer A c h t läßt. D e r B e g r i f f der Fahrlässigkeit setzt seiner D e f i n i t i o n nach Voraussehbarkeit und V e r m e i d b a r k e i t des mißbilligenden E r f o l g s bei A n w e n d u n g der g e b o t e nen Sorgfalt voraus 6 4 .

bb. Die Ubertragbarkeit

auf den

Durchgriff

Zeigt sich anhand dieser w e n i g e n Beispiele s c h o n , daß es im Zivilrecht d u r c h aus beachtliche B e r e i c h e gibt, in denen der G l ä u b i g e r keinen E r s a t z erhält, außer er hat E i g e n f ü r s o r g e betrieben, gibt es keine Veranlassung, das nicht auch ins G e s e l l s c h a f t s r e c h t zu übertragen. S o m i t ist dem Gesellschaftsgläubiger nur dann ü b e r h a u p t ein A n s p r u c h zu zubilligen, w e n n die R i s i k o v e r t e i lung auf der E b e n e des B e s t e h e n s einer A n s p r u c h s g r u n d l a g e einen solchen zuspricht. E i n e n S c h u t z gegen die V e r m ö g e n s l o s i g k e i t der Gesellschaft hat der G l ä u b i g e r prizipiell genausowenig wie gegenüber einer natürlichen Person. K a n n mithin ein D e l i k t s g l ä u b i g e r v o n der G e s e l l s c h a f t keine B e f r i e d i gung erlangen, ist dies prinzipiell z w a r bedauerlich, aber hinnehmbar. E i n e solche K o n s t e l l a t i o n ist z u n ä c h s t dem allgemeinen L e b e n s r i s i k o des G e s c h ä digten z u z u r e c h n e n . Steht damit fest, daß zulasten der D e l i k t s g l ä u b i g e r eine R i s i k o s o z i a l i s i e rung mit einem erheblichen R e s t r i s i k o für diese G l ä u b i g e r zulässig ist 6 5 , ist n u n m e h r nach deren G r e n z e n zu f o r s c h e n . D a b e i ist zu b e d e n k e n , daß z w a r s o w o h l die V e r m ö g e n s l o s i g k e i t einer natürlichen P e r s o n , als auch die einer juristischen P e r s o n zur R i s i k o s o z i a l i s i e r u n g führt. D i e juristische P e r s o n ver-

/ W W i , Vorbemv§249Rn.58ff. Larenz, SchuldR AT, § 2 I. 63 Larenz, SchuldR AT , § 2 III. 64 Larenz, AT § 2 II c. 65 Posner, S. 245; Romano, Limited Liability, S. 63; Easterbrook/Fischel, Liability, S. 65. 61 62

Limited

C. Die Deliktsgläubiger

als

Problemgruppe

149

fügt aber im G e g e n s a t z zur natürlichen P e r s o n n o c h ü b e r hinter ihr stehende - eventuell - liquide H a f t u n g s s u b j e k t e , die durch Auslagerung v o n V e r m ö gensteilen in die juristische P e r s o n bezüglich des Verlusteintritts aus deren G e s c h ä f t e die Sozialisierungsschwelle gesenkt h a b e n . D i e H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g und damit die M ö g l i c h k e i t zur Sozialisierung des mit der vollen H a f t u n g v e r b u n d e n e n R i s i k o s hat wie dargelegt den Z w e c k , die K a p i t a l s a m m e l f u n k t i o n s o w i e die Schaffung v o n Innovativkapital zu begünstigen und die Sicherheit und L e i c h t i g k e i t des R e c h t s v e r k e h r s zu f ö r d e r n . D i e s e Ziele k o n n t e n und sollten aber nicht k o s t e n n e u t r a l erreicht w e r d e n . W i e das W o r t » H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g « bereits aussagt, m u ß die H a f t u n g auf eine b e s t i m m t e S u m m e b e s c h r ä n k t w e r d e n . D a s setzt n o t w e n d i ger Weise voraus, daß zunächst eine H a f t u n g s m a s s e geschaffen wird, die d e m mit der H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g v e r b u n d e n e n Ziel angemessen ist. G e g e n w ä r t i g hat der G e s e t z g e b e r das P r o b l e m der angemessenen H a f tungsmassen durch feste Kapitalbeträge, die als M i n d e s t k a p i t a l eingezahlt werden, gelöst. A n diesem A n s a t z ist seit langem K r i t i k geübt w o r d e n , weil er unflexibel ist und den U m f a n g und den G e l d b e d a r f des zu b e t r e i b e n d e n U n t e r n e h m e n s in keiner Weise b e r ü c k s i c h t i g t 6 6 . Andererseits ist es wie bereits festgestellt nicht m ö g l i c h , im Sinne einer Generalklausel eine d e m U n t e r n e h men angemessene Kapitalausstattung zu f o r d e r n , weil diese z u m einen nicht in hinreichend sicherem M a ß e betriebswirtschaftlich feststellbar ist 6 7 , z u m anderen bei Ä n d e r u n g des U m f a n g s der T ä t i g k e i t N a c h s c h ü s s e nötig w ü r d e n , was dem P r i n z i p der H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g w i d e r s p r ä c h e 6 8 . W i e o b e n anhand des durch die I n s o l v e n z r e c h t s k o m m i s s i o n gefundenen Zahlenmaterials bereits belegt, spielt diese F r a g e für die Vertragsgläubiger n u r eine u n t e r g e o r d n e t e R o l l e , da sie ü b e r hinreichend andere Sicherungsmittel verfügen und diese auch einsetzen k ö n n e n 6 9 . B l e i b t als P r o b l e m g r u p p e n u r n o c h die der reinen D e l i k t s g l ä u b i g e r übrig, drängt sich die F r a g e auf, o b das Haftkapital tatsächlich den geeigneten Weg zur P r o b l e m l ö s u n g darstellt. D e n n aus r e c h t s s y s t e m a t i s c h e r Sicht, kann es den G r ü n d e r n einer Kapitalgesellschaft nicht verweigert w e r d e n , diese mit dem gesetzlichen Mindeststandard ins L e b e n zu rufen. Verlangt der G e s e t z geber keine angemessene Kapitalisierung, s o n d e r n lediglich einen M i n d e s t betrag, k a n n in der G r ü n d u n g mit dem M i n d e s t b e t r a g kein M i ß b r a u c h der j u -

Kübler, Aktie, S. 30 ff. Roth, GmbHG, Einl. 3.2.2.b); Kübler, GesR § 17 IV.4.a); K. Schmidt, GesR, S. 205; Schneider, DB 1986, 2293, 2297 ff.; Weitbrecht, S. 20. 68 Siehe dazu ausführlich oben B.III. I.e. 69 Siehe dazu ausführlich oben B.II. 66 67

150 ristischen

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz im

Kapitalgesellschaftsrecht

P e r s o n liegen 7 0 , selbst w e n n er für den G e s c h ä f t s b e t r i e b nicht aus-

reichend sein kann und die G l ä u b i g e r dadurch erheblich gefährdet w e r d e n . R e c h t s t a t s ä c h l i c h w e r d e n , wie aus vielen anderen L e b e n s b e r e i c h e n

be-

kannt, deliktische R i s i k e n meist nicht ü b e r vorgehaltenes Kapital, s o n d e r n ü b e r Versicherungen a b g e d e c k t . D a s gängigste Beispiel ist die K r a f t f a h r z e u g haftpflichtversicherung, die als Pflichtversicherung ausgestaltet ist. Prägnanter für das vorliegende P r o b l e m als die K F Z - H a f t p f l i c h t ist die P r o d u k t h a f t pflichtversicherung 7 1 . Sie ist freiwillig und erspart es, für eventuelle Schadensfälle Eigenkapital in g r ö ß e r e m U m f a n g bereit zu halten. D e r Z u s a m m e n h a n g z w i s c h e n Versicherung und Eigenkapital ist so eng, daß sogar v o n einzelnen S t i m m e n darauf hingewiesen wird, daß die Versicherung eine A r t M i n d e s t k a pitalregelung f ü r b e s c h r ä n k t H a f t e n d e darstellt 7 2 . E n t s c h e i d e n d für den D u r c h g r i f f k a n n es somit nicht sein, o b ursprünglich Haftkapital in ausreichendem M a ß e in dem U n t e r n e h m e n v o r h a n d e n war, sondern o b die D e l i k t s g l ä u b i g e r im Verhältnis zur G e f ä h r l i c h k e i t des P r o duktbereichs bzw. der ausgeübten T ä t i g k e i t hinreichend abgesichert sind. Ü b e r Eigenkapital m u ß diese A b s i c h e r u n g nur dann erfolgen, w e n n keine andere angemessene L ö s u n g v o n der G e s e l l s c h a f t gefunden wurde, sei es ü b e r eine Versicherung 7 3 oder ü b e r einen gemeinsamen P o o l mit entsprechend gefährdeten U n t e r n e h m e n , wie er z . B . in B e z u g auf Tankerunfälle in F o r m des I n t e r n a t i o n a l e n F o n d s für E n t s c h ä d i g u n g e n bei Ö l v e r s c h m u t z u n g e n 1971 ins L e b e n gerufen w u r d e 7 4 . D i e s e r F o n d s zielt allerdings v o r allem darauf ab, die K o s t e n der Beseitigung der V e r s c h m u t z u n g schnell und u n b ü r o k r a t i s c h , v o r allem unbelastet v o n Streitigkeiten ü b e r den a n z u w e n d e n d e n G e r i c h t s s t a n d , auszugleichen. A u f individuelle Schäden ist er weniger zugeschnitten 7 5 . In B e z u g auf die D e l i k t s g l ä u b i g e r k o m m t ein D u r c h g r i f f also lediglich dann in B e t r a c h t , w e n n im Verhältnis zu d e m mit der ausgeübten T ä t i g k e i t v e r b u n d e n e n R i s i k o keine angemessene A b s i c h e r u n g dieses R i s i k o s stattgefunden hat, sei es ü b e r Eigenkapital o d e r sei es ü b e r Versicherungen oder Fondslösungen. Stimpel in FS Goerdeler, S. 605. Die Produkthaftpflichtversicherung ist abgedruckt als Anhang zur Betriebshaftpflichtversicherung bei Prölss/Martin, Haftpflichtversicherung (V). 72 Adams, Ökonomische Probleme, S. 203. 73 Eventuell mit einem Direktanspruch des Geschädigten gegen die Versicherung ähnlich der KFZ-Haftpflichtversicherung. 74 Grundlage dieses Fonds ist das Internationale Ubereinkommen über die zivilrechtliche Haftung für Olverschmutzungsschäden vom 29.11.1969 mit Zustimmungsgesetz vom 18.3.1975, BGBl. 11,301. 75 Ausführlich dazu: Stutz, VersR 1981, S. 897 ff., zum Haftungsumfang insb. S. 901; auf den Zusammenhang zwischen Deliktsgläubigern und Durchgriff weist auch Drukarczyk hin, S. 1240. 70 71

C. Die Deliktsgläubiger

cc. Die Kriterien des

als

Problemgruppe

151

Durchgriffs

B e i der Auslegung der Frage, was eine angemessene A b s i c h e r u n g des R i s i k o s im Verhältnis zur T ä t i g k e i t ist, sind die bereits im B G B angelegten G r u n d s ä t ze mit h e r a n z u z i e h e n . E i n e vollständige Ü b e r n a h m e des allgemeinen L e b e n s risikos aller potentiellen G l ä u b i g e r ist der Gesellschaft daher e b e n s o w e n i g z u z u m u t e n wie dem p e r s ö n l i c h haftenden Schuldner, dessen Ausgleichsverp f l i c h t u n g e n sich nach eben diesen G r u n d s ä t z e n des bürgerlichen R e c h t e s richten. E i n e A b d e c k u n g v o n Schäden aus dem mit der T ä t i g k e i t v e r b u n d e n e n deliktischen R i s i k o k a n n also n u r dann erwartet w e r d e n , w e n n die V e r w i r k l i chung eben dieses R i s i k o s e r k e n n b a r und nicht absolut u n w a h r s c h e i n l i c h w a r oder w e n n die V e r w i r k l i c h u n g des R i s i k o s z w a r im h ö c h s t e n M a ß e u n w a h r scheinlich war, aber die aus der R i s i k o v e r w i r k l i c h u n g zu erwartenden Schäden i m m e n s sind. D i e weitere E i n g r e n z u n g der E i n d e c k u n g s p f l i c h t für R i s i k e n wird sich anhand der in der Praxis auftretenden Fälle f o r t e n t w i c k e l n . D a b e i ist zu b e a c h ten, daß ein D u r c h g r i f f auf die G e s e l l s c h a f t e r lediglich dann in B e t r a c h t k o m m t , w e n n v o r h e r eine deliktische H a f t u n g der Gesellschaft festgestellt w o r d e n ist. I n A n b e t r a c h t der mittlerweile ausgefeilten H a f t u n g s r e g e l n des B G B , die ihrerseits das B e s t e h e n eines H a f t u n g s t a t b e s t a n d e s und dessen E r füllung vorausetzen, ist davon auszugehen, daß durch diesen mit verschiedenen o b j e k t i v e n und subjektiven K r i t e r i e n ausgestatteten F i l t e r bereits eine Vorentscheidung ü b e r die Voraussehbarkeit des R i s k o s und dessen G r ö ß e getroffen w o r d e n ist. I n den meisten ü b e r die ü b l i c h e Geschäftstätigkeit hinausgehenden Fällen 7 6 , in denen der H a f t u n g s t a t b e s t a n d auf Seiten der G e s e l l schaft erfüllt ist, wird daher bei u n z u r e i c h e n d e r A b s i c h e r u n g des R i s i k o s durch die Gesellschaft auch die M ö g l i c h k e i t z u m D u r c h g r i f f auf o b j e k t i v e r E b e n e zu bejahen sein. B e r ü c k s i c h t i g t man das für das Kapitalgesellschaftsrecht w i c h t i g e Verhältnis v o n H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g und K a p i t a l s a m m e l f u n k t i o n kann eine B e s t i m m u n g der D u r c h g r i f f s v o r a u s s e t z u n g e n allein aus dem B l i c k w i n k e l der Gesellschaft heraus nicht hinreichend sein, s o n d e r n die Seite des Anlegers m u ß ebenfalls B e r ü c k s i c h t i g u n g finden. D e n n w e r d e n g r o ß e K a p i t a l m e n g e n benötigt, so kann der einzelne A n l e g e r sich kein vollständiges und ausgewogenes B i l d v o n den G e s c h ä f t e n seiner G e s e l l s c h a f t m e h r m a c h e n . I m G e g e n teil w e r d e n viele G e s e l l s c h a f t e r in Publikumsgesellschaften vertreten sein, die die Beteiligung als reine A n l a g e auffassen und an der F ü h r u n g der G e s c h ä f t e durch die Gesellschaft kein Interesse haben. W ü r d e man hier eine o b j e k t i v 76 Die der üblichen Geschäftstätigkeit zuzuordnenden Fälle sind durch die gesetzlichen Regeln zur Haftungsbeschränkung als abgedeckt anzusehen.

152

2. Kapitel: Der Gläubiger-

und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

unzureichende Risikoabsicherung durch die Gesellschaft für den Durchgriff als ausreichend ansehen, so könnte jeder dieser rein kapitalmäßig Beteiligten auch jederzeit als Haftender herangezogen werden. Eine solche potentielle Haftung würde die Anlagebereitschaft stark beeinträchtigen. Selbst eine umfangmäßige Beschränkung der Haftung würde hier wenig ändern. Denn egal wie man die zu zahlende Summe eingrenzt, faktisch läuft es auf einen Nachschuß hinaus, den die Einleger im Regelfall zu erbingen nicht bereit sind. Investieren würden unter solchen Bedingungen nur noch diejenigen Anleger, die die Zeit aufwenden können, sich laufend ein Bild über die gesellschaftlichen Tätigkeiten und die damit verbundenen Risiken zu machen. In der unfallträchtigen chemischen Industrie zum Beispiel, deren Aktien sich weitgehend in Streubesitz befinden 77 , dürfte es dann schwerfallen, hinreichende Anlegerzahlen zu erreichen. Soll die Kapitalsammelfunktion aufrechterhalten werden, ist eine Eingrenzung des Durchgriffstatbestandes auf Seiten der Gesellschafter daher unumgänglich. Diese anlegerbezogene Komponente muß zum einen diesen hinreichend schützen, soll aber andererseits keinen Freibrief darstellen, der den Durchgriff in der Praxis als nicht mehr durchführbar erscheinen läßt. Eine dieserart vermittelnde Wertung zwischen Belastbarkeit des - wenn auch nur mittelbar Handelnden und Zuweisung des allgemeinen Lebensrisikos an den Geschädigten findet sich im zivilrechtlichen Fahrlässigkeitsbegriff. Danach findet eine Zurechnung statt, wenn nach objektiv-abstraktem Maßstab der rechtlich mißbilligte Erfolg vorhersehbar und vermeidbar war. (1) Die Vorhersehbarkeit. Will man die Regeln der Fahrlässigkeit auf den Durchgriff übertragen, heißt das für die Vorhersehbarkeit, daß der normale Anleger in der Lage sein muß, ohne eigene Nachforschungen das Risiko erkennen und die unzureichende Risikoabdeckung hinterfragen zu können 7 8 . Diese Erkennbarkeit von Risiken wird sich mit der Größe der Gesellschaft verändern. Von dem Aktionär einer großen Publikumsgesellschaft wird dies so gut wie nie zu erwarten sein können. Hier könnte es lediglich dann eine Ausnahme geben, wenn die Risikoverlagerung ohne Absicherung Gegenstand eines eigenständigen Hauptversammlungsbeschlusses ist. Dann aber könnte auch unschwer von dem Aktionär verlangt werden, gegen eine solche Risikoverlagerung zulasten der Allgemeinheit zu votieren. Zu einer entsprechenden Situation kann es z.B. kommen, wenn der Vorstand zu seiner eigenen Absicherung eine besondere Maßnahme, z.B. den Transport von Giftmüll auf einem billigeren aber gefährlicheren Wege, durch 77 78

Zur Aktionärsverteilung bei Hoechst AG siehe den Geschäftsbericht 1996, S. 27. Im Ergebnis genauso für den Verein: Grunewald, GesR, 2.A. Rn. 62.

C. Die Deliktsgläubiger

als

Problemgruppe

153

die H a u p t v e r s a m m l u n g nach § 119 A b s . 2 A k t G sanktionieren läßt. D a n n ist die G e f ä h r d u n g der A l l g e m e i n h e i t ersichtlich, so daß die Frage nach der ausreichenden A b s i c h e r u n g dieses R i s i k o s im R a u m steht. Stellt sie der A n l e g e r dann nicht, nach dem M o t t o , w e n n es gut geht, e r h ö h t es meinen G e w i n n , so kann i h m seine U n w i s s e n h e i t bezüglich der R i s i k o a b d e c k u n g nicht zur E n t l a stung gereichen. Stellt er sie hingegen, so m u ß er auf die A n w o r t des Vorstandes vertrauen k ö n n e n , w e n n diese nicht offensichtlich falsch ist. D e s g l e i c h e n wird es im gegenwärtigen R e c h t s s y s t e m z u m S c h u t z der A n l e g e r nötig sein, daß er sich mit dem S t i m m v o r s c h l a g seiner D e p o t b a n k zufrieden geben darf. J e kleiner die G e s e l l s c h a f t ist und je m e h r der einzelne Gesellschafter an der G e s c h ä f t s f ü h r u n g m i t w i r k t , wie dies z . B . oft bei der G m b H der Fall ist, desto eher wird er entsprechende R i s i k e n erkennen und hinterfragen k ö n n e n . D i e V o r h e r s e h b a r k e i t s k r i t e r i e n der Fahrlässigkeit lassen sich somit gut auf den D u r c h g r i f f übertragen. Sie eignen sich v o r allem deshalb, weil sie eine flexible A n w e n d u n g j e nach G r ö ß e der Gesellschaft e r m ö g l i c h e n , so daß bei den Publikumsgesellschaften mit dem B e d a r f an K a p i t a l s a m m l u n g der D u r c h g r i f f nicht zu einer H e m m s c h w e l l e f ü r die A n l e g e r wird, bei kleinen G e s e l l s c h a f t e n aber die H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g nicht zu einer z w e c k w i d r i g e n Risikoverlagerung auf die D e l i k t s g l ä u b i g e r ausgenutzt werden k a n n 7 9 . (2) Die

Vermeidbarkeit.

Schwieriger als die Frage nach der V o r h e r s e h b a r -

keit gestaltet sich die Frage nach der V e r m e i d b a r k e i t der R i s i k o v e r w i r k l i chung. D e n n gerade in den Fallgestaltungen, in denen ein H a u p t v e r s a m m lungsbeschluß die G r u n d l a g e ist, wird sich der einzelne A n l e g e r darauf b e r u fen, daß er mit seinen wenigen S t i m m e n o h n e h i n die B e s c h l u ß f a s s u n g nicht vermeiden k o n n t e . H i e r sollte eine M o d i f i z i e r u n g des M e r k m a l s v o r g e n o m men w e r d e n , damit sich nicht jeder G e s e l l s c h a f t e r »hinter den anderen verstecken k a n n « . I m G e g e n s a t z z u m Fahrlässigkeitsbegriff, der v o n einer k o n kreten H a n d l u n g d u r c h einen E i n z e l n e n ausgeht, geht es hier um das A b s t i m mungsverhalten einer großen i n h o m o g e n e n Masse. E s sollte also nicht darauf a n k o m m e n , daß es für den einzelnen vermeidbar war. E n t s c h e i d e n d sollte vielmehr sein, daß er alles für ihn Z u m u t b a r e z u r V e r m e i d u n g getan hat. F ü r den A n l e g e r der Publikumsgesellschaft heißt das lediglich, er m u ß bei der B e s c h l u ß f a s s u n g mit »nein« gestimmt haben. K o m m t der B e s c h l u ß dann gegen seine S t i m m e zustande, ist er z u m i n d e s t v o n der D u r c h g r i f f s h a f t u n g befreit. G l e i c h e s gilt für alle N i c h t - P u b l i k u m s g e s e l l s c h a f t e n auch. D i e R e l a t i -

79 Die hier gefundene Lösung entspricht damit der allenthalb geforderten Differenzierung (statt vieler, Drobnig, S. 90) nach der Rechtsform, unterliegt dabei aber nicht dem sonst auftretenden Problem, daß die Familienaktiengesellschaft wegen ihrer Gesellschaftsform nicht den engeren Regeln der GmbH unterfällt.

154

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

vierung nach der Gesellschaftsgröße erfolgt automatisch; denn je kleiner die Gesellschaft ist, desto gewichtiger sind die einzelnen Stimmen. In dem reinen Abstimmungsverhalten kann sich die Pflicht des Gesellschafters aber gerade bei kleineren Aktiengesellschaften nicht erschöpfen. D e n n sonst könnte der Durchgriff dadurch umgangen werden, daß die entsprechende Frage schlicht nicht zur Beschlußfassung gestellt wird. Pflicht des Gesellschafters muß es also sein, so ihm dies möglich ist, die Beschlußfassung über die Risikoverlagerung herbeizuführen, sobald er diese erkennen kann. A u c h hier erfolgt die Abstufung der Pflichten der Gesellschafter je nach G e sellschaftsgröße wieder automatisch, da die Möglichkeiten entsprechende Tagungsordnungspunkte vorzubringen, je nach Gesellschaftsgröße,

Gesell-

schaftsform und Beteiligung variieren. D e r Kleinaktionär einer Publikumsaktiengesellschaft hat gemäß § 122 Abs. 2 A k t G ohnedies keine Chance, einen Gegenstand zur Beschlußfassung auf die Tagesordnung zu setzen, da dies entweder den zwanzigsten Teil des Grundkapitals oder den Nennbetrag von 1 Million D M voraussetzt. D e r Großaktionär, der sich im Regelfall auch intensiver mit den Vorgängen innerhalb der Gesellschaft befaßt und so potentielle Durchgriffstatbestände erkennen kann, hingegen kann und muß sie auf die Tagesordnung setzen und mit »nein« stimmen, will er der Haftung entgehen. Allerdings ist ihm das lediglich dann möglich, wenn es sich bei der geplanten Maßnahme nicht um eine reine Geschäftsführungsmaßnahme handelt, weil für diese das Initiativrecht ausschließlich dem Vorstand zusteht 8 0 . In Betracht kämen also vor allem Fallgestaltungen, die auf eine Ausgliederung risikobehafteter Betriebsteile zielen. G a n z anders ist das Bild bei der G m b H . Hier stehen den Gesellschaftern nach § 46 Nr. 6 G m b H G Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der G e schäftsführung als eigene K o m p e t e n z zu. A b e r auch bei der G m b H kann die Beschlußfassung bzw. die Einberufung einer

Gesellschafterversammlung

nicht von jedem Gesellschafter verlangt werden, sondern nur von denjenigen, deren Geschäftsanteile zusammen mindestens dem zehnten Teil des Stammkapitals entsprechen, § 50 Abs. 1 und 2 G m b H G . Auch hier folgt die Staffelung der Pflichten automatisch der durch den Anteil vermittelten Möglichkeit zur Einflußnahme. D e r Kleinanleger muß lediglich mit »nein« stimmen, wenn eine erkennbare Risikoverlagerung auf der Tagesordnung steht. D e r mit über 10 % Beteiligte muß es auf die Tagesordnung setzen lassen, sobald er es erkennt. Inwieweit Gesellschafter mit einer geringeren Beteiligung als 10 % gehalten sind, Verbündete zu suchen, mit denen zusammen sie die notwendigen

80

Werner, Großkommentar A k t G , § 122, R n . 27.

C. Die Deliktsgläubiger

als

Problemgruppe

155

10 % erreichen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und kann hier nicht entschieden werden. Zur Vermeidbarkeit ist also zusammenfassend festzustellen: Der einzelne Gesellschafter muß die Risikoverlagerung nicht vermeiden. Er muß aber alles ihm Zumutbare tun, um die Vermeidung zu erreichen. Ist die Frage Gegenstand eines Beschlusses, muß er mit »nein« stimmen. Ist sie es nicht, muß der Gesellschafter, wenn er dazu in der Lage ist, einen entsprechenden Beschluß herbeiführen. dd.

Zusammenfassung

Die Entlastung des Gesellschafters von den Folgen des Durchgriffs, wenn die Risikoverlagerung für ihn nicht vorhersehbar war oder er alles Zumutbare zu deren Vermeidung getan hat, ist das geeignete Mittel, um einerseits die Kapitalsammlung bzw. die Schaffung von Innovativkapital nicht übermäßig zu beschränken, andererseits das allgemeine Lebensrisiko für die Deliktsgläubiger nicht über Gebühr auszudehnen. Beachtet man den Zusammenhang von Kapitalsammeifunktion, Findung von Innovativkapital, Sicherheit und Leichtigkeit des Rechtsverkehrs, Sozialisierung des Risikos und Haftungsbeschränkung, so ergibt sich, daß der Durchgriff in bestimmten Fallkonstellationen angemessen ist, um eine zweckwidrig Risikosozialisierung zu Lasten der Deliktsgläubier abzuwenden, die in dieser Form auch nicht mit der Einführung der Haftungsbeschränkung bezweckt war 81 . Jedoch ist Voraussetzung des Durchgriffs nicht, daß ein entsprechendes Haftkapital nicht zur Verfügung stand, sondern daß das erhöhte Risiko nicht angemessen abgedeckt wurde. Die Abdekkung muß dabei aber nicht über Gesellschaftsmittel geschehen, sondern kann auch durch Versicherungen oder Pools erfolgen. Auf Seiten der vom Durchgriff betroffenen Gesellschafter muß - soll die Kapitalfindung nicht übermäßig beeinträchtigt werden - aber verlangt werden, daß der Gesellschafter die Risikoverlagerung erkennen konnte und nicht alles Zumutbare zu deren Vermeidung getan hat. Der Höhe nach sollte der Durchgriff auf die für den entsprechenden Fall als angemessen erachtete Rückstellung bzw. Versicherungssumme beschränkt sein.

81

In diese Richtung - jedoch viel allgemeiner - zielt auch Lehmann,

ZGR 1986, 362 ff.

156

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz im

c. Theoretische Grundlagen

des

Kapitalgesellschaftsrecht

Durchgriffs

Vergleicht man diese aus den G r u n d z u s a m m e n h ä n g e n der juristischen P e r s o n gefundene L ö s u n g mit den T h e o r i e n , so zeigt sich, daß die M i ß b r a u c h s t h e o r i e für die D e l i k t s g l ä u b i g e r zu einengend ist. E i n D u r c h g r i f f m u ß auch dann m ö g l i c h sein, w e n n die G e s e l l s c h a f t e r rechtlich zulässige Spielräume ü b e r G e b ü h r ausnutzen. D i e juristische P e r s o n ist z w a r v o m G e s e t z g e b e r als eigenständiges R e c h t s s u b j e k t k o n s t r u i e r t . D a s heißt aber nicht, daß diese K o n s t r u k t i o n im Sinne einer Institutionalisierung u n u m s t ö ß l i c h ist und unter allen U m s t ä n d e n eingehalten w e r d e n m u ß . I h r e r historischen E n t s t e h u n g nach ist die juristische P e r s o n vielmehr ein z w e c k g e b u n d e n e s N o r m e n k o n g l o m e rat 8 2 , das dem Z w e c k der K a p i t a l s a m m l u n g zu dienen b e s t i m m t ist. E s ist daher nicht n u r zulässig, s o n d e r n sogar geboten, die entsprechenden N o r m e n diesem Z w e c k nach auszulegen und anzupassen. D i e M i ß b r a u c h s t h e o r i e verbaut sich diesen W e g durch die v o n ihr v o r g e n o m m e n e Institutionalisierung der R e c h t s p e r s ö n l i c h k e i t ü b e r m ä ß i g . Sie ist dadurch gezwungen, den D u r c h griff an ausgeprägte p e r s ö n l i c h e S c h r a n k e n zu binden, die sie mit e r h ö h t e n subjektiven A n f o r d e r u n g e n an die G e s e l l s c h a f t e r k o n f r o n t i e r t . S o l c h e Voraussetzungen lassen sich s c h w e r verifizieren und h ö h l e n den D u r c h g i f f bereits auf der praktischen E b e n e aus. A l s t h e o r e t i s c h e G r u n d l a g e für einen generellen D u r c h g r i f f ist die M i ß b r a u c h s t h e o r i e daher nicht geeignet 8 3 . D i e s soll j e d o c h nicht ausschließen, daß im Einzelfall - a b w e i c h e n d v o n den Ideen Sericks - der R e c h t s m i ß b r a u c h v o n Gesellschaftern nach den dafür vorgesehenen R e c h t s r e g e l n geahndet wird, allerdings dann auch o h n e spezifische gesellschaftsrechtliche A b s c h w ä c h u n g e n des subjektiven Tatbestandes. I n B e t r a c h t k o m m t hier v o r allem in B e z u g auf die deliktischen G l ä u b i g e r § 8 2 6 B G B 8 4 . B e t r a c h t e t man das hier gefundene E r g e b n i s unter dem B l i c k w i n k e l der N o r m a n w e n d u n g s t h e o r i e , so sollte man sich an der mittlerweile als Standard herauskristallisierten T r e n n u n g von Z u r e c h n u n g s - und H a f t u n g s d u r c h g r i f f 8 5 orientieren. I m B e r e i c h des Z u r e c h n u n g s d u r c h g r i f f s besteht E i n i g k e i t ü b e r die Tauglichkeit der N o r m a n w e n d u n g s t h e o r i e 8 6 . B e i m Z u r e c h n u n g s d u r c h g r i f f geht es um die Frage, o b und u n t e r w e l c h e n U m s t ä n d e n b e s t i m m t e Eigenschaften,

Der Begriff stammt von Schramm, Konzernverantwortung, S. 12. Schramm, Konzernverantwortung, S. 16. 84 Für das Nebeneinander von Durchgriff und zivilrechtlicher Haftung spricht sich auch Rehbinder aus, Konzernaußenrecht, S. 109. 85 Kühler, GesR, § 23 II.; Raiser, Kapitalgesellschaften, § 29 Rn. 1; Stimpel in FS Goerdeler, S. 604. 86 Kühler, GesR, § 23 II. mit Beispielen. 82 83

C. Die Deliktsgläubiger

als Problemgruppe

157

Kenntnisse, Erklärungen oder Verhaltensweisen des Gesellschafters der Gesellschaft zugerechnet werden müssen bzw. können 87 . Hierbei ist es ausgesprochen sinnvoll und im Hinblick auf den Zweck der juristischen Person auch geboten, die in Frage stehenden Normen danach auszulegen, inwieweit sie ihrem Sinngehalt und dem Sinngehalt des Trennungsprinzips nach die hinter der juristischen Person stehenden Gesellschafter erfassen. Komplizierter und nicht mehr ganz so eindeutig ist das zu Grunde Legen der Normanwendungstheorie beim Haftungsdurchgriff 8 8 . Hier muß entgegen der üblichen Praxis zunächst weiter differenziert werden und zwar in den Haftungsdurchgriff in Bezug auf die Kapitalisierung und den deliktischen Haftungsdurchgriff. Der Haftungsdurchgriff in Bezug auf die Kapitalisierung ist kein spezifisches Problem der reinen Deliktsgläubiger, sondern betrifft alle Gläubiger einer Kapitalgesellschaft gleichermaßen. Der den Durchgriff ermöglichende Ansatzpunkt liegt bei dieser Gruppe nicht in einer Risikoverlagerung zu Lasten einer Gläubigergruppe, sondern in einer Form der Umgehung von die Kapitalisierung betreffenden Grundsätzen oder Sondervorschriften der juristischen Person. Rechtsfolge ist nicht der unbeschränkte Durchgriff auf das Privatvermögen des Gesellschafters, sondern die Anpassung einer vorher vom Gesellschafter vorgenommenen - formal korrekten aber inhaltlich unzulässigen - Rechtshandlung an die tatsächlichen Gegebenheiten. Dies soll im Zusammenhang mit den Deliktsgläubigern nicht weiter vertieft werden. Dennoch soll kurz festgestellt werden, daß es sich auch hierbei, nicht anders als bei der Zurechnung, um Fragen der Normanwendung und -auslegung handelt. Auch hier werden die zur Umgehung genutzten bürgerlich-rechtlichen oder unmittelbar kapitalgesellschaftsrechtlichen Normen entsprechend der Abwägung mit den der juristischen Person innewohnenden Regelungszielen angepasst, z.B. indem einer Darlehenskonstruktion die nach der Trennungstheorie theoretisch mögliche Eigenständigkeit gegenüber dem Rechtssubjekt juristische Person versagt wird. Auch der deliktische Haftungsdurchgriff ist eine Form der Normanwendung. Hier wird allerdings im Gegensatz zu dem ursprünglichen Ansatz der Normanwendungstheorie nicht eine gesellschaftsrechtsfremde Norm ihrem Sinngehalt nach ausgelegt, obwohl ihr eine gesellschaftsrechtliche Norm entgegensteht 89 . Von der Anpassung betroffen ist vielmehr die gesellschaftsrecht87

Raiser, Kapitalgesellschaften, § 29 Rn. 1. Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 119 ff., neigt bei diesen Fällen eher der M i ß brauchslehre zu. 89 So ist die Normanwendungstheorie gut zusammengefasst bei Schramm, Konzernverantwortung, S. 13. 88

158

2. Kapitel: Der Gläubiger-

und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

liehe Norm unmittelbar; nämlich diejenige Norm, die das Trennungsprinzip konstatiert. Sie wird inhaltlich auf das für die in der juristischen Person vereinigten Prinzipien Notwendige reduziert 90 . Der einzige dogmatische Unterschied zum Zurechnungsdurchgriff liegt also darin, daß hierbei eine kapitalgesellschaftsrechtliche Norm aus ihren Grundsätzen heraus angepasst wird, während es sich bei dem Zurechnungsdurchgriff weitgehend um Normen anderer Rechtsgebiete handelt 91 . Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die Normanwendungstheorie zu sinnvollen Ergebnissen in allen Fallgestaltungen führt. Sie ist in der Lage, demjenigen, der die Entscheidung über ein anstehendes Problem treffen muß, Kriterien an die Hand zu geben, die innerhalb des zunehmend zwingenden Charakters des modernen Privatrechts die Berücksichtigung der ordnungspolitischen und wirtschaftlichen Ziele der entsprechenden Normen in ausreichendem Maße gewährleisten können 9 2 . Bezüglich der Deliktsgläubiger kann bei einem Vorgehen mit Hilfe der Normanwendungstheorie durch Reduktion der das Trennungsprinzip begründenden Norm eine dem Sinn und Zweck der Haftungsbegrenzung enstprechende, angemessene Verteilung der deliktischen Risiken ermöglicht werden, ohne daß dadurch die Kapitalsammelfunktion ausgehöhlt wird. 4. Beispiel und Tatbestand Abschließend soll kurz ein Beispiel zur Illustration der Normanwendungstheorie im Hinblick auf die Deliktsgläubiger gegeben und dann der Tatbestand des Durchgriffs für die Subsumtion zusammengefasst werden. Beispiel: Eine kleine chemische Fabrik wird in der Rechtsform einer G m b H betrieben. Die Gesellschafter fassen, um Geld zu sparen, den Beschluß, einen wesentlichen Betriebsteil, der mit einer besonders gefährlichen Produktion chemischer Stoffe befasst ist, als Betriebsstätte direkt jenseits der Grenze in ein östliches Nachbarland auszusiedeln, weil die dortigen Sicherheitsvorschriften ungleich geringere Standards vorschreiben als die entsprechenden deutschen. Eine Rückstellung für Unfälle, eine Versicherung des höheren Risikos oder eine sonstige Vorsorge wird nicht getroffen. Nach einigen Jah-

Für § 13 Abs. 2 G m b H G so auch Stimpel, FS Goerdeler, S. 613. Für die Aufhebung der Trennung der Normanwendungstheorie danach, ob eine kapitalgesellschaftsrechtliche oder eine sonstige Norm interpretiert wird, plädiert auch Kühler, GesR, § 23 I. 9 2 So auch Kühler, GesR, § 23 I 2. 90 91

C. Die Deliktsgläubiger

als

Problemgruppe

159

ren reibungsloser Produktion kommt es auf Grund der mangelnden Sicherheitsvorkehrungen zu einem Chemieunfall. Durch den zum Unglückszeitpunkt bestehenden starken Ostwind, werden hochgiftige Dämpfe über die Grenze nach Deutschland getragen und führen dort zu schweren Schäden. Die Gesellschaft verfügt nicht über ausreichende Mittel zum Ausgleich dieser Schäden. Sollte in diesem Fall eine deliktische Haftung der Gesellschaft nach deutschem Recht bejaht werden, so ist dies ein typisches Beispiel für den Durchgriff auf die Gesellschafter. Denn diese haben durch die Verlagerung des Betriebsteils bezweckt, die Sicherheitsstandards zu reduzieren, und haben so das Risiko für die Deliktsgläubiger über das in Deutschland von der Rechtsordnung befürwortete allgemeine Lebensrisiko hinaus erhöht, ohne gleichzeitig Vorsorge für einen Ausgleich eventueller Schäden zu treffen. Als Tatbestand des Durchgriffs ist zu prüfen: 1. Verlagerungstatbestand = Erhöhung des Risikos für die Deliktsgläubiger über das sonst von der Rechtsordnung tolerierte Maß hinaus. Im Fall oben ist das die Reduzierung der Sicherheitsstandards unter die deutschen Normen. 2. Schützenswerter Deliktsgläubiger = reine Deliktsgläubiger, das sind Gläubiger, die keinen auf demselben Lebenssachverhalt beruhenden vertraglichen Ansprüche gegen den Schuldner haben. 3. Keine angemessenen Mittel zur Befriedigung bei der Gesellschaft = keine für das Risiko hinreichende Rückstellung oder keine Versicherung oder keine mit anderen getroffene Poollösung. 4. Erkennbarkeit der Verlagerung für den Gesellschafter 5. Keine Gegenmaßnahme durch den Gesellschafter = »nein«-Stimme bei der Beschlußfassung und/oder Herbeiführung eines entsprechenden Beschlusses, so dies dem Gesellschafter möglich war.

II. Die Haftung der Geschäftsleitung Die Anerkennung der Durchgriffshaftung zugunsten der Deliktsgläubiger, die sich als einzige Gläubigergruppe nicht durch Eigenfürsorge absichern können, verbessert deren Schutz entscheidend. Jedoch ist der Schutz über den Durchgriff zu den Gesellschaftern unvollständig. Vor allem bei den Aktiengesellschaften kann es zu erheblichen Schutzlücken kommen, da es gerade bei Publikumsgesellschaften wahrscheinlich ist, daß die Mehrzahl, wenn nicht alle Aktionäre nicht haften, da sie die wegen der Kapitalsammeifunktion unerläßlichen personengebundenen Kriterien für die Haftung nicht erfüllen. Eine Durchgriffshaftung ohne das Korrelat der persönlichen Haftung der Ge-

160

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz im

Kapitalgesellschaftsrecht

schäftsleitung ist daher n o t w e n d i g e r Weise ein T o r s o 9 3 . D i e persönliche H a f tung der Geschäftsleitung ist z u d e m ein wesentlicher A n r e i z zur angemessenen A b s i c h e r u n g der D e l i k t s g l ä u b i g e r durch die Gesellschaft vermittels der O r g a n e , die als G e g e n p o l zur R i s i k o s o z i a l i s i e r u n g d u r c h die H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g geboten ist 9 4 . Will man eine entsprechende H a f t u n g begründen, k o m m e n m e h r e r e A n sätze in B e t r a c h t , denen im F o l g e n d e n nachgegangen w e r d e n soll 9 5 .

1. U n m i t t e l b a r e Ü b e r n a h m e d e r R e d u k t i o n d e r h a f t u n g s b e s c h r ä n k e n d e n N o r m a u f die G e s c h ä f t s l e i t u n g A u f den ersten B l i c k scheint die eleganteste L ö s u n g , die unmittelbare Ü b e r n a h m e der eben entwickelten Kriterien auf die Geschäftsleitung zu sein. D i e s ist j e d o c h nicht möglich. D i e R e d u k t i o n der die H a f t u n g b e g r e n z e n d e n N o r m kann lediglich zu einem D u r c h g r i f f auf die hinter der Gesellschaft stehenden Anteilseigner führen, weil n u r diese im Sinne der k ö r p e r s c h a f t l i c h e n D e f i n i tion die verselbständigte Gesellschaft tragen 9 6 . D e r G e s c h ä f t s f ü h r e r ist d e m gegenüber eine eigenständige natürliche P e r s o n , die v o n der gesellschaftsrechtlichen H a f t u n g s b e s c h r ä n k u n g ü b e r h a u p t nicht b e t r o f f e n ist 9 7 .

2. G e s e l l s c h a f t s r e c h t l i c h e H a f t u n g s a n s ä t z e

a.

Treuepflicht

I m Z u g e der i m m e r stärker w e r d e n d e n A u s d e h n u n g der Treuepflichten im R e c h t s s y s t e m k ö n n t e man an die Z u e r k e n n u n g eines A n s p r u c h s der G l ä u b i ger aus einer Treuepflichtverletzung der Geschäftsleitung d e n k e n 9 8 . D i e s wäre aber lediglich dann m ö g l i c h , w e n n man davon ausgeht, daß die Treuepflicht auch außerhalb jeder - sei es auch nur einer indirekten - vertraglichen V e r b i n d u n g allein aufgrund der M a c h t s t e l l u n g eines H a n d e l n d e n einen Schadensersatzanspruch begründen kann. D i e s e r G e d a n k e ist z w a r auf den 93 Noll, S. 176; zur Entwicklung der Geschäftsführerhaftung bei der GmbH: Hucke, DB 1996,2267. 94 Prinzipiell so auch für die Organhaftung: Brüggemeier, AcP 191, 67 ff.; Noll, S. 176 ff. 95 Für eine Haftung der Geschäftsleitung zur Vermeidung von Schutzlücken spricht sich auch aus: Brüggemeier, AcP 191, 65. 96 Raiser, Kapitalgesellschaften, § 3 Rn. 2. 97 Besteht Personenidentität zwischen dem Geschäftsführer und einem Gesellschafter, so kann der Gesellschafter natürlich in dieser Eigenschaft der Durchgriffshaftung unterliegen. 98 Zu der Ansicht, die manager seien »trustees« der »owner«: Bearle/Means, S. 354 f.

C. Die Deliktsgläubiger

als

Problemgruppe

161

ersten B l i c k b e s t e c h e n d , läßt sich aber weder d o g m a t i s c h n o c h rechtspolitisch halten. D i e Treuepflicht leitet sich aus § 2 4 2 B G B her. D a n a c h wird für alle R e c h t s gemeinschaften ein gewisses M a ß an L o y a l i t ä t f e s t g e s c h r i e b e n " . Verdichtet sich diese Loyalitätspflicht innerhalb der G e m e i n s c h a f t zu k o n k r e t e n Interess e n w a h r u n g s - und F ö r d e r u n g s p f l i c h t e n , so k a n n man v o n Treuepflichten s p r e c h e n 1 0 0 . D i e Treuepflicht ist daher m e h r als der allgemeine G r u n d s a t z des angemessenen Miteinanders. D u r c h die A n e r k e n n u n g der Treuepflicht in ein e m b e s t i m m t e n Verhältnis wird die H a n d l u n g s f r e i h e i t des v o n einer T r e u e pflicht B e t r o f f e n e n enger, d.h. v o n m e h r e r e n Handlungsalternativen steht dem v o n einer Treuepflicht G e b u n d e n e n ein kleinerer Teil offen. Sein Spielraum wird also im Verhältnis zu einem N i c h t - G e b u n d e n e n begrenzt. S c h o n an diesen k u r z e n A u s f ü h r u n g e n zur Treuepflicht zeigt sich, daß der A n w e n d u n g v o n Treuepflichtgedanken stets ein bestehendes R e c h t s v e r h ä l t nis i m m a n e n t ist 1 0 1 , innerhalb dessen der allgemeine Pflichtenkreis durch die Treuepflicht k o n k r e t i s i e r t wird. G e n a u an einem solchen Rechtsverhältnis fehlt es aber z w i s c h e n der G e s c h ä f t s l e i t u n g einer Gesellschaft und p o t e n t i e l len reinen Deliktsgläubigern. D e n n die v o m H a f t u n g s d u r c h g r i f f erfassten D e l i k t s g l ä u b i g e r z e i c h n e n sich ja gerade dadurch aus, daß sie v o r d e m mit der schädigenden Gesellschaft in k e i n e m Rechtsverhältnis standen. E i n e A u s d e h n u n g der Treuepflicht ü b e r bestehende

Rechtsverhältnisse

hinaus ist nicht vertretbar, weil auf diese Weise der gesamte L e b e n s r a u m durch die R e c h t s p r e c h u n g faktisch n o r m i e r t w e r d e n k ö n n t e .

Gesetzliche

H a f t u n g s r e g e l n wären o b s o l e t und der Spielraum des E i n z e l n e n w ü r d e d e m moralischen K o d e x des jeweiligen R i c h t e r s u n t e r w o r f e n . N e b e n der verfassungsmäßigen B e d e n k l i c h k e i t 1 0 2 einer solchen Vorgehensweise ist eine dergestalte E i n e n g u n g der H a n d l u n g s f r e i h e i t des E i n z e l n e n auch rechtspolitisch unter der gegenwärtigen, ohnedies zur U b e r r e g u l i e r u n g neigenden G e s a m t s i tuation nicht w ü n s c h e n s w e r t .

99 Roth in MünchKom; § 242 Rn. 3 ff.; Lutter, JZ 1976,226; Heinrichs in Palandt, § 242 Rn. 4; Teichmann in Soergel, § 242 Rn. 4. 100 Timm, WM 1991, 482; Worch, S. 2; der rechtsfunktionelle Anknüpfungspunkt der Treuepflicht ist umstritten, dazu Schmidt, K., GesR, S.481; zu den dogmatischen Herleitungversuchen der Treuepflicht bei Kapitalgesellschaften: Winter, S. 46 ff. und 68 ff. 101 Heinrichs in Palandt, §242 Rn. 6; Teichmann in Soergel, §242 Rn. 6; Roth in MünchKom, § 242 Rn.2. 102 So käme es zu einer Verletzung des Rechtsstaatsprinzips nach Art. 20 Abs. 2 (nach herrschender Meinung wird das Rechtsstaatsprinzip Art. 20 G G entnommen: von Münch, Art. 20 Rn. 21).

162

2. Kapitel: Der Gläubiger-

b. Spezialgesetzliche

und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

Normen

Ein Zugriff der Gläubiger auf das Privatvermögen des Vorstandes ist im Aktienrecht in § 93 Abs. 5 AktG geregelt. Danach können die Gesellschaftsgläubiger einen Anspruch der Gesellschaft gegen den Vorstand geltend machen, wenn sie von der Gesellschaft keinen Ersatz erlangen können. Voraussetzung ist also zunächst, daß ein Anspruch der Gesellschaft gegen den Vorstand besteht. In den für den Haftungsdurchgriff in Betracht kommenden Fällen ist dies nicht unproblematisch. Denn die Risikoverlagerung dient dem Zweck der Erhöhung des Gewinnpotentials der Gesellschaft. Es werden Geschäftschancen der Gesellschaft zu Lasten der Gläubiger eröffnet. In diesem Vorgehen kann - geschieht es legal - von Seiten der Gesellschaft zunächst kein Sorgfaltspflichtsverstoß gesehen werden. Da es aber nicht im Sinne eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns sein kann, neu geschaffene Risiken nicht angemessen abzusichern und so die Gesellschaft bei einem eventuellen Schadensfall in den Konkurs zu treiben 103 , wird in diesen Fällen ein Anspruch der Gesellschafter gegen die Geschäftsführung doch anzunehmen sein. Auch die zweite Voraussetzung, daß von der Gesellschaft kein Ersatz zu erlangen ist, ist in den Durchgriffsfällen erfüllt. Denn der Durchgriff kommt seinen Voraussetzungen nach lediglich dann zum Tragen, wenn keine angemessene Absicherung der Gesellschaft erfolgt ist, sie somit die bestehenden Ansprüche nicht befriedigen kann. Der Schaden der Gesellschaft liegt in dem Anspruch der Deliktsgläubiger gegen die Gesellschaft, der notwendiger Weise bestehen muß, da es sonst keine Deliktsgläubiger gäbe. Prinzipiell wird man also in den Durchgriffsfällen zu einer persönlichen Haftung des Vorstandes kommen, die aber mit einigen Imponderabilien behaftet ist, von denen die schwerwiegendste ist, daß es sich im Grunde nicht um einen Anspruch der Gläubiger selbst, sondern um einen Anspruch der Gesellschaft handelt, der geltend gemacht wird und sich daher die Wertung der Anspruchsvoraussetzungen nicht an den Gläubigerinteressen orientiert. Daran ändert sich auch nichts, wenn man den Meinungsstreit um die dogmatische Herleitung des § 93 Abs. 5 AktG aufgreift. Hier gehen die Erklärungen von einer Prozeßstandschaft der Gläubiger 104 über eine Uberweisung zur

103 Dabei wird auch das für die Haftung nach § 93 AktG notwendige Verschulden prinzipiell gegeben sein. 104 Wohl vorherrschende Meinung: Hefermehl in Geßler/Hefermehl, § 93 Rn. 68; Wiesner in MünchHdb AG, § 26 Rn. 26; Habscheid in FS Weber, S. 195 ff.

C. Die Deliktsgläubiger

als

Problemgruppe

163

E i n z i e h u n g 1 0 5 bis z u r Anspruchsvervielfältigung 1 0 6 , w o b e i f ü r den letzten A n s a t z am meisten spricht 1 0 7 . D e n n es läßt sich im R a h m e n der P r o z e s s t a n d schaft k a u m erklären, w i e s o die A n s p r u c h s v o r a u s s e t z u n g e n für die Gesellschaft und die G l ä u b i g e r divergieren, z u m Beispiel indem die Gesellschaft durch einen H a u p t v e r s a m m l u n g s b e s c h l u ß an der G e l t e n d m a c h u n g gehindert ist, der G l ä u b i g e r hingegen nicht. A b e r selbst w e n n man der für die G l ä u b i g e r günstigsten Variante folgt, nach der sie einen eigenständigen und nicht nur einen abgeleiteten A n s p r u c h gegen den V o r s t a n d haben, bleibt es dabei, daß M a ß s t a b der Sorgfaltspflichtverletzung das Interesse der G e s e l l s c h a f t und nicht das der G l ä u b i g e r ist. D i e parallele V o r s c h r i f t des G m b H - R e c h t s findet sich in § 43 G m b H G , die v o n v o r n h e r e i n keine M ö g l i c h k e i t der D e l i k t s g l ä u b i g e r auf u n m i t t e l b a r e n Zugriff auf die Geschäftsleitung v o r s i e h t 1 0 8 . E i n solcher Z u g r i f f m ü ß t e im G m b H - R e c h t also in irgendeiner F o r m geschaffen w e r d e n , z . B . durch eine A n a l o g i e b i l d u n g mit der aktienrechtlichen Vorschrift. E i n solches V o r g e h e n ist allerdings lediglich dann nötig, w e n n sich kein spezifischer A n s a t z finden läßt, z . B . im D e l i k t s r e c h t , dem R e c h t s g e b i e t , das eigentlich für die F r a g e n der reinen D e l i k t s g l ä u b i g e r m a ß g e b e n d sein m ü ß t e . Als Z w i s c h e n e r g e b n i s ist somit festzuhalten, daß es eine gesellschaftsrechtliche M ö g l i c h k e i t des Zugriffs der D e l i k t s g l ä u b i g e r auf den V o r s t a n d der A G gibt, die aber mit gewissen Schwierigkeiten v e r b u n d e n ist. D a m i t ist zunächst die g r ö ß t e S c h u t z l ü c k e abgedeckt, nämlich die des mangelnden H a f t u n g s durchgriffs in der Publikumsaktiengesellschaft, bei der der D u r c h g r i f f oft an den p e r s ö n l i c h e n Voraussetzungen der G e s e l l s c h a f t e r und nicht an der H a f tungslage selbst scheitern wird. E i n Z u g r i f f auf die G m b H - G e s c h ä f t s f ü h r e r besteht nicht, ist bei dieser aber auch nicht in dem M a ß e erforderlich wie bei der Aktiengesellschaft, weil es bei der G m b H meist zu einer H a f t u n g der G e sellschafter k o m m e n wird.

3. G e s c h ä f t s l e i t e r h a f t u n g aus D e l i k t Steht die A b s i c h e r u n g der reinen D e l i k t s g l ä u b i g e r in R e d e , so ist die nächstliegendste L ö s u n g eine u n m i t t e l b a r deliktsrechtliche. E h e man sich mit der H a f t u n g des G e s c h ä f t s f ü h r e r s aus D e l i k t s r e c h t befaßt, sollte m a n sich j e d o c h klar m a c h e n , wie der die D e l i k t s g l ä u b i g e r s c h ü t z e n d e M e c h a n i s m u s im H i n blick auf die Gesellschaft f u n k t i o n i e r t . 105 106 107 108

Hüffer, AktG, § 93, Rn. 32. Mertens in KölnKom, § 93 Rn. 142. Mertens in KölnKom, § 93 Rn. 142; Hüffer, AktG, § 93, Rn. 32. Haß, GmbHR 1994, 668.

164

2. Kapitel:

Der Gläubiger-

und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

a. Schutz der Deliktsgläubiger im Hinblick auf die Gesellschaft Voraussetzung des Durchgriffs ist, daß es zunächst zu einem deliktischen Anspruch Dritter, bisher Unbeteiligter gegen die Gesellschaft kommt. Dieser Anspruch kann aus verschiedenen Konstellationen heraus begründet sein, die nunmehr kurz dargestellt werden sollen, um im Folgenden die Probleme der Geschäftsleiterhaftung aus Delikt deutlich werden zu lassen. Die Gesellschaft selbst als juristische Person kann nicht handeln. Sie bedarf daher zum Tätigwerden nach außen natürlicher Personen 109 . Der Deliktstatbestand wird daher in seiner klassischen Form nicht von der juristischen Person, sondern von einer für sie handelnden, natürlichen Person erfüllt werden. Erst dann erfolgt die Zurechnung zu der juristischen Person. Da somit zunächst die natürliche Person in sich alle Tatbestandsvoraussetzungen der deliktischen Haftung vereinigt, ist sie auch primäres Haftungsobjekt des Deliktsgläubigers. Die juristische Person tritt dann als weiteres Haftungsobjekt durch die Zurechnung in den Kreis der Schuldner. In Bezug auf eine deliktische Schädigung sind diese Zurechnungsnormen vor allem §§ 831 und 31 BGB. Dabei ist § 31 BGB für den Gläubiger günstiger als § 831, weil kein Entlastungsbeweis zugelassen ist. Jedoch ist Voraussetzung der Haftung aus § 31 BGB, daß es sich bei dem Handelnden um einen verfassungsmäßigen Vertreter der Gesellschaft gehandelt hat. Damit bot es sich an, die strengere Haftung des § 31 BGB auf Seiten der Gesellschaft zu umgehen, indem für bestimmte Bereiche kein verfassungsmäßiger Vertreter bestellt wurde. Diese Schutzlücke schloß die Rechtsprechung durch die Anerkennung des Organisationsverschuldens 110 . Bestellt eine Gesellschaft keinen verfassungsmäßigen Vertreter für eine Aufgabe, die einem solchen zugeordnet werden müßte, so haftet sie unmittelbar nach § 823 I BGB für dieses Organisationsverschulden 1 11. b. Die unmittelbare deliktsrechtliche Haftung des Geschäftsleiters Die unmittelbare deliktsrechtliche Haftung der Geschäftsleitung 112 , sei es ein Vorstand oder ein Geschäftsführer, kommt unstreitig zum Zuge, wenn der Geschäftsleiter in seiner Person den Deliktstatbestand verwirklicht 113 . Das H ü f f e r , AktG, § 1 Rn. 4. BGHZ49,19,21. 111 Kühler, GesR § 10 Ill.b. 112 Ausführlich dazu: Nolle, Die Eigenhaftung des GmbH-Geschäftsführers. 113 Mertens/Mertens, JZ 1990, 488; Lutter, ZHR 157, 468; Haß GmbHR 1994, 666; Brüggemeier, AcP 191, 37. 109

110

C. Die Deliktsgläubiger

als

Problemgruppe

165

wird t y p i s c h e r Weise b e i m v o m G e s c h ä f t s l e i t e r selbst verursachten V e r k e h r s unfall, aber auch bei W e t t b e w e r b s v e r s t ö ß e n o d e r der Verletzung g e w e r b l i c h e r S c h u t z r e c h t e der Fall sein, bei denen er selbst S t ö r e r ist 1 1 4 . D i e hier p r o b l e m a t i s c h e n Fälle der D u r c h g r i f f s h a f t u n g wegen z w e c k w i d r i ger Risikoverlagerung sind aber n o r m a l e r Weise k e i n e Fallgestaltungen mit einer u n m i t t e l b a r e n deliktischen T ä t i g k e i t des Geschäftsleiters nach außen. V i e l m e h r sind es K o n s t e l l a t i o n e n der H a f t u n g der G e s e l l s c h a f t für das F e h l verhalten eines Angestellten oder für mangelnde

Sicherheitsvorkehrungen

o d e r A h n l i c h e s 1 1 5 . A u c h die unter » O r g a n i s a t i o n s v e r s c h u l d e n « z u s a m m e n g e fassten G r u n d s ä t z e lassen sich nicht heranziehen, weil es bei diesen darum geht, eine u n m i t t e l b a r e H a f t u n g der G e s e l l s c h a f t für eine fehlerhafte O r g a nisation innerhalb derselben zu b e g r ü n d e n 1 1 6 . H i e r soll aber der G e s c h ä f t s l e i ter p e r s ö n l i c h belangt w e r d e n für einen der G e s e l l s c h a f t bereits z u g e r e c h n e ten deliktischen A n s p r u c h . Indessen sind in der R e c h t s p r e c h u n g und L i t e r a t u r Fallgestaltungen anerkannt, bei denen eine solche H a f t u n g a n g e n o m m e n wurde. In B G H Z 109, 297, 2 9 9 b e j a h t der B G H eine unmittelbare H a f t u n g des G e s c h ä f t s f ü h r e r s einer G m b H aus § 823 A b s . 1 B G B , weil es dieser verabsäumt hatte, die K o l l i s i o n z w i s c h e n verlängertem E i g e n t u m s v o r b e h a l t des L i e f e r a n t e n der G m b H und einem A b t r e t u n g s v e r b o t ihrer A u f t r a g g e b e r zu vermeiden. E r k o m m t zu der E i g e n h a f t u n g des G e s c h ä f t s f ü h r e r s , weil dieser eine G a r a n t e n s t e l l u n g z u m S c h u t z f r e m d e r S c h u t z g ü t e r innehatte, die entstanden ist, weil die Träger der S c h u t z g ü t e r diese der E i n f l u ß s p h ä r e der G e sellschaft anvertraut h a t t e n 1 1 7 . D i e s e r A n s a t z ist - unabhängig davon, o b m a n ihn für richtig hält - für das vorliegende P r o b l e m j e d o c h nicht tauglich. D e n n bei einer Schädigung der reinen D e l i k t s g l ä u b i g e r kann es nicht dazu g e k o m men sein, daß diese z u v o r der Gesellschaft ihre R e c h t s g ü t e r anvertraut hatten. D a m i t entfällt die Voraussetzung der v o m B G H geschaffenen G a r a n t e n s t e l lung. D u r c h die eben geschilderte E n t s c h e i d u n g hervorgerufen wird n u n m e h r aber auch die p e r s ö n l i c h e H a f t u n g des G e s c h ä f t s f ü h r e r s v o n der d o r t z u g r u n de liegenden vertraglichen K o n s t e l l a t i o n abgelöst diskutiert. A l s d o g m a t i s c h e

Haß GmbHR 1994,666. Dasselbe Problem stellte sich im strafrechtlichen Kontext in Bezug auf die Lederspray-Entscheidung, BGHSt 37,106 ff, oder in Bezug auf den Betrieb chemischer Anlagen; dazu Weimar, GmbHR 1994, 82 ff. 116 O L G München, GmbHR 1984, 182, 184 (Berichtigung S. 205); Bieberstein, VersR 1976,413. 117 B G H Z 109, 297, 303 »Baustoff«. 114

115

166

2. Kapitel: Der Gläubiger-

und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

Ansätze kommen dafür in Betracht eine Garantenstellung des Organs 1 1 8 , die Übernehmerhaftung 1 1 9 sowie Verkehrsicherungspflichten 120 . Bevor man sich der dogmatischen Frage der Zuordnung einer persönlichen Haftung der Geschäftsführer zuwendet, sollte man sich vergegenwärtigen, daß es sich bei allen diesen Konstruktionen um Hilfsbegründungen handelt, die den Zweck haben, eine so vom Gesetzgeber ursprünglich nicht vorgesehene Haftung zu statuieren. Entwickelt wurden sie zunächst im Wettbewerbsrecht, weil dort vor allem im Hinblick auf Unterlassungsverfügungen gegen die Gesellschaft im Falle einer Nichthaftung der Geschäftsführer erhebliche Schutzlücken auftraten. Grundlage der Ausdehnung der Geschäftsführerhaftung war also eine der Durchgriffshaftung vergleichbare Situation. Rechtspolitische Basis der unmittelbaren Geschäftsführerhaftung ist somit die Schaffung eines rundum abgesicherten Schutzmechanismus für die als schützenswert anerkannte jeweilige Gläubigergruppe. Dies rechtfertigt es, dem Geschägtsführer eigenständige Pflichten aufzuerlegen 121 . Andererseits darf die persönliche Inanspruchnahme des Geschäftsleiters - gerade wenn es sich nicht mehr um reine Unterlassungs-, sondern um Haftungsansprüche handelt - nicht soweit gehen, daß die Übernahme einer entsprechenden Position mit so hohen Risiken behaftet ist, daß kein qualifizierter Manager mehr zur Übernahme bereit ist 1 2 2 . Zieht man zusätzlich in Betracht, daß ein gewisses Maß an Risiko, das im Zivilrecht mit dem Terminus »allgemeines Lebensrisiko« bezeichnet wird, durchaus beim Gläubiger verbleiben kann 1 2 3 , so ergibt sich, daß eine verschuldensunabhängige Geschäftsführerhaftung nicht gerechtfertigt sein kann 1 2 4 . Weiterhin ergibt sich aus der Berücksichtigung der Tatsache, daß der Geschäftsleitung nach dem gesellschaftsrechtlichen System, insbesondere dem Aktienrecht, ein erheblicher eigener Entscheidungsspielraum verbleiben muß. Diesen Spielraum dürfen die objektiven Kriterien der persönlichen Haftung nicht über Gebühr einschränken, sollen sie nicht das Gesamtsystem konterkarieren 125 .

Lutter, Z H R 157, 469. Lutter, Z H R 157, 474. 120 Kleindiek, Deliktshaftung, S. 473 ff. 121 Brüggemeier, AcP 191, 39 ff. 122 Einen Hinweis auf die entsprechenden Schwierigkeiten im US.-amerikanischen Rechtskreis gibt: Lutter, Z H R 157, 472 f. 123 Siehe oben I. 124 So im Ergebnis auch Kleindiek, Deliktshaftung, S. 486. 125 Kleindiek, Deliktshaftung, S. 486, weist darauf hin, daß eine persönliche Haftung des Organs lediglich dann in Betracht kommt, wenn es die Sachlage beherrschen kann. 118

119

C. Die Deliktsgläubiger

als

Problemgruppe

167

F o l g t man diesen V o r g a b e n , dann ist es prinzipiell nicht m e h r v o n elementarer B e d e u t u n g , o b m a n in der E r ö f f n u n g eines ü b e r m ä ß i g e n R i s i k o s für die D e l i k t s g l ä u b i g e r o h n e entsprechende A b s i c h e r u n g die Verletzung einer der Geschäftsleitung p e r s ö n l i c h gegenüber den D e l i k t s g l ä u b i g e r n

obliegende

O r g a n i s a t i o n s v e r p f l i c h t u n g oder eine V e r k e h r s s i c h e r u n g p f l i c h t sieht oder o b man davon ausgeht, daß die z w e c k w i d r i g e R i s i k o v e r l a g e r u n g zu einer G a r a n tenpflicht der G e s c h ä f t s l e i t u n g gegenüber den D e l i k t s g l ä u b i g e r n führt, die dann durch das U n t e r l a s s e n einer entsprechenden A b s i c h e r u n g des so geschaffenen R i s i k o s die p e r s ö n l i c h e H a f t u n g der G e s c h ä f t s l e i t u n g bedingt. E s ist j e d o c h fraglich, o b alle A n s ä t z e eine H a f t u n g g e m ä ß den eben erläuterten V o r g a b e n gewährleisten. Verkehrssicherungspflichten sind e n t w i c k e l t w o r d e n aus den spezialgesetzlichen Z u s t a n d s v e r a n t w o r t l i c h k e i t e n heraus 1 2 6 . Sie b e z w e c k e n die S i c h e rung der V e r k e h r s t e i l n e h m e r v o r G e f a h r e n , die v o n einem b e s t i m m t e n v o r h e r definierten B e r e i c h ausgehen, für den dann die angemessenen S i c h e r u n g s m a ß n a h m e n unterlassen w o r d e n sind 1 2 7 . D i e V e r k e h r s s i c h e r u n g s p f l i c h t m u ß sich also ihrer D e f i n i t i o n nach auf die r i s i k o e r h ö h e n d e Anlage b e z i e h e n und nicht auf die G e s c h ä f t s l e i t u n g s m a ß n a h m e , die zur E r ö f f n u n g der A n l a g e führt 1 2 8 . D a m i t ist Träger der V e r k e h r s i c h e r u n g s p f l i c h t aber eindeutig die G e s e l l s c h a f t selbst und n i c h t die G e s c h ä f t s l e i t u n g . Will man d e n n o c h eine p e r s ö n l i c h e H a f t u n g der Geschäftsleitung begründen, k o m m t man zu der v o n L u t t e r b e schriebenen U b e r n e h m e r h a f t u n g , nach der die G e s c h ä f t s l e i t u n g die Pflichten der G m b H als eigene ü b e r n i m m t 1 2 9 . D i e p e r s ö n l i c h e H a f t u n g der G e s c h ä f t s l e i t u n g im vorliegenden Z u s a m m e n h a n g soll aber n i c h t dazu führen, daß dem deliktisch G e s c h ä d i g t e n in j e dem Fall n e b e n der Gesellschaft ein weiteres H a f t u n g s o b j e k t zur Verfügung gestellt w i r d 1 3 0 . D i e p e r s ö n l i c h e H a f t u n g soll vielmehr, wie sich aus dem o b e n E r l ä u t e r t e n ergibt, n u r dann z u m Tragen k o m m e n , w e n n ü b e r das n o r m a l e R i s i k o hinaus eine Verlagerung o h n e zusätzliche A b s i c h e r u n g zu G u n s t e n der G e s e l l s c h a f t und zu Lasten der D e l i k t s g l ä u b i g e r stattgefunden hat. D e m kann ein A n s a t z , der j e d w e d e Verkehrspflicht der G e s e l l s c h a f t der G e s c h ä f t l e i t u n g als p e r s ö n l i c h e Pflicht z u r e c h n e t , nicht gerecht w e r d e n 1 3 1 . D i e sogenannte

Insbesondere §§ 836 ff. BGB. Maier, WRP 1986, 74. 128 Teichmann in Jauernig, BGB Kommentar, § 823 B. 4. 129 Lutter, ZHR 157, 474. 130 Mertens/Mertens, JZ 1990, 488; Lutter, ZHR 157, 470; um diese Frage kreisen die Ausführungen von Kleindiek, Deliktshaftung, S. 369, die deshalb hier nicht einschlägig sind. 131 Ahnlich Mertens in MünchKom, § 831 Rn. 39 im Hinblick auf das Personalrisiko. 126 127

168

2. Kapitel: Der Gläubiger-

und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

Übernehmerhaftung ist wegen ihrer zu großen Reichweite daher abzulehnen 1 3 2 . Gleichermaßen zu weitgehend ist damit auch der Ansatz von Grunewald, nach der die Verkehrsicherungspflichten der Gesellschaft immer dann überlagert werden sollen, wenn es ihrem Kern nach Pflichten sind, die der Allgemeinheit zu Gute kommen 1 3 3 . Denn die mit dem Betrieb von Anlagen verbundenen Verkehrsicherungspflichten werden fast immer der Allgemeinheit zugute kommen, so daß im Ergebnis kein Unterschied zur Übernehmerhaftung zu sehen ist. Spezifischer sind dagegen die persönlichen Organisationspflichten wie sie im Wettbewerbsrecht für die Haftung der Geschäftsleitung entwickelt worden sind 134 . Kern dieser Haftung ist, daß der Geschäftsleiter die Organisationsmacht der Gesellschaft innehat und daher verpflichtet ist, alle gesetzeswidrigen Handlungen der Gesellschaft zu verhindern 135 . Handelt er nicht entsprechend, haftet er persönlich. Dieser Ansatz ist im Hinblick auf die Absicherung des Durchgriffs mit zwei Problemen behaftet: Zum einen ist die Haftung zu eng. Denn die dem Zweck der Haftungsbeschränkung widersprechende Risikoverlagerung zu Lasten der Deliktsgläubiger muß nicht gesetzeswidrig sein. Zum anderen ist sie - genau wie die Übernehmerhaftung - zu weit, da nicht jeder Gesetzesverstoß zu einer persönlichen Haftung der Geschäftsleitung führen soll. Für die im Rahmen der Durchgriffshaftung gesteckten Ziele bezüglich einer persönlichen Haftung der Geschäftsleitung ist am geeignetsten eine Haftung aus Delikt wegen Unterlassung einer angemessenen Absicherung des eröffneten Risikos 1 3 6 . Die dafür notwendige Garantenpflicht ergibt sich aus Ingerenz, also aus vorausgegangenem Tun 1 3 7 . Hält man es aus den oben ausge132 So weist auch Maier, W R P 1986, 73, darauf hin, daß es keine allgemeine Pflicht gibt, andere vor Schaden zu bewahren; ausführlich zur Übernehmerhaftung: Kleindiek, Deliktshaftung, S. 393 ff. 133 Grunewald, ZHK 157, 456 f. 134 Haß, G m b H R 1994, 666 ff.; Emmerich, U W G , S. 331. 135 Haß, G m b H R 1994, 667. 136 O b man darin eine Verkehrspflicht im Sinne Brüggemeiers, AcP 191, 42 ff., sieht, kann dahingestellt bleiben. 137 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Lutter, ZHR 157, 478 f., wenn er als Beispiel für eine deliktische Haftung aus Unterlassen den Bahnvorstand anführt, der nach einem Unfall die entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen nicht überprüfen läßt. Dies ist zugleich ein gutes Beispiel für eine zweckwidrige Risikoverlagerung auf die Gläubiger, selbst wenn die Bahnstrecke auch im gegebenen Zustand den gesetzlichen Anforderungen entspricht; die Ingerenz als zivilrechtliche Begründung der Garantenstellung findet sich wiederum vor allem im Wettbewerbsrecht: vergl. O L G München, GmbHR 1984,182,183 (Berichtigung S. 205); Maier, W R P 1986, 73 f.

C. Die Deliktsgläubiger

als

Problemgruppe

169

führten Gründen nicht für rechtlich angemessen, bestimmte Risiken ohne zusätzliche Absicherung auf die Deliktsgläubiger zu verlagern, so erwächst daraus zugleich eine Pflicht ähnlich der im Wettbewerbsrecht anerkannten Organisationspflicht der Geschäftsführung, entsprechende Vorgänge in der Gesellschaft nicht durchzuführen 138 . Diese Pflicht obliegt dabei den Geschäftsführern selbst gegenüber den potentiell Geschädigten und nicht etwa der Gesellschaft 139 . Dies zeigt sich daran, daß die als übermäßig erkannte Risikoverlagerung durchaus rechtlich zulässig und im Interesse der Gesellschaft liegen kann 140 ; bei einem Fehlschlag, der zum Entstehen von deliktischen Ansprüchen führt, die Gesellschaft aber ohnedies haftet. Die Begründung einer weiteren Pflicht zu Lasten der Gesellschaft ist somit unsinnig und kann keinerlei verhaltenssteuernde Funktion entfalten. Der Geschäftsführer hingegen muß die Einsichtsfähigkeit besitzen und hat aus seiner Stellung als verantwortlich Handelnder die Möglichkeit, einen billigen Ausgleich zwischen den Interessen der Gesellschaft und denen der potentiell Geschädigten durch die angemessene Absicherung des eröffneten Risikos zu schaffen. Eine entsprechende Pflicht in Bezug auf seine Person ist daher gesamtwirtschaftlich sinnvoll und wegen der mit der deliktsrechtlichen Inanspruchnahme verbundenen Verschuldensprüfung für ihn nicht unangemessen. Das Verschulden ist dann auch der geeignete Ansatzpunkt, um unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Geschäftsführung zwischen Gesellschaftern und Geschäftsführern auszugleichen, die vor allem in der GmbH wegen des dort vorhandenen Weisungsrechts der Gesellschafter zu Schwierigkeiten führen können. Wird der Geschäftsführer über einen Beschluß der Gesellschafter gehalten, bestimmte risikoverlagernde Maßnahmen ohne Absicherung durchzuführen, so kann ihm kein Verschulden daran mehr zur Last gelegt werden. Schutzlücken entstehen dadurch nicht, da in diesem Fall der Durchgriff auf die Gesellschafter möglich ist. Zusammenfassend ist damit zu sagen: Eine unmittelbare deliktsrechtliche Haftung der Geschäftsführer im Hinblick auf eine zweckwidrige Risikoverlagerung ohne entsprechende Absicherung ist rechtspolitisch wünschenswert und bei entsprechender enger Fassung auch nicht übermäßig belastend für die Geschäftsführer. Ihre dogmatische Grundlage findet sie in einer Garantenstel138 Beispiele für weitere zum Teil auf die Verkehrsanschauung, zum Teil auf normative Vorgaben gestützte eigenständige Pflichten der Geschäftsführer finden sich bei Mertens/ Mertens, JZ 1990, 489 f. 139 Auf eine Pflicht gegenüber den Geschädigten selbst legt auch Mertens!'Mertens, JZ 1990, 489 wert; Haß, G m b H R 1994, 671 sieht eine solche Pflicht aus der Organisationsherrschaft des Geschäftsführers resultieren. 140 Daran scheitert auch die Lösung über eine Mittäterschaft der Geschäftsführung an dem entsprechenden Delikt; dazu Lutter, ZHR 157,468 f.

170

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

lung der Geschäftsleitung wegen vorangegangenem Tun. Die dafür notwendige Handlung liegt in den Maßnahmen zur Risikoverlagerung. Zur Haftung kommt es aber erst dann, wenn zusätzlich die angemessene Absicherung des entsprechenden Risikos unterlassen wird. Das bei deliktischen Ansprüchen prinzipiell zu prüfende Verschulden ist der Filter, um unangemessene Belastungen der Geschäftsführung zu verhindern, wie sie zum Beispiel entstehen können, wenn ihr Verhalten auf einem Gesellschafterbeschluß beruht. Mit dieser Lösung ist ein höchstmöglicher Gleichlauf zwischen der Durchgriffshaftung auf die Gesellschafter und der persönlichen Haftung der Geschäftsführer gewährleistet, weil zum einen die Voraussetzungen, unter denen die Haftung eintritt, die gleichen sind und zum anderen Konflikte zwischen Geschäftleitung und Gesellschaftern ausgeglichen werden können, ohne daß es zu Haftungslücken kommt. 4. Ergebnis Den Deliktsgläubigern kann ein hinreichender Schutz über den Durchgriff auf die Gesellschafter in Verbindung mit einer persönlichen Haftung der Geschäftsleitung gewährt werden. Der Durchgriff auf die Gesellschafter muß dabei den verschiedenen Regelungszielen des Kapitalgesellschaftsrechts gerecht werden. Dabei steht auf der einen Seite ein möglichst großer Schutz der Deliktsgläubiger, auf der anderen Seite die Funktion der Kapitalgesellschaft als Kapitalsammelstelle, die für den einzelnen Anleger attraktiv bleiben muß, soll die Kapitalallokation funktionstüchtig bleiben. Aus diesem Spannungsbogen ergeben sich die Anforderungen an den Durchgriff: Er dient dazu, eine dem Zweck der Haftungsbeschränkung widersprechende Risikoverlagerung auf die Deliktsgläubiger zu verhindern, kann und soll aber nicht zu einer Totalabsicherung führen. Denn die zivilrechtliche Zuordnung des allgemeinen Lebensrisikos soll auch im Gesellschaftsrecht nicht verändert werden. Die zweckwidrige Verlagerung des Risikos auf den Deliktsgläubiger führt allerdings nur dann zu einer Haftung der Gesellschafter, wenn keine angemessene Absicherung des entsprechenden Risikos stattgefunden hat, sei es, daß die Gesellschaft über keinem dem Risiko angemessenen Kapitalstock verfügt, sei es daß keine Versicherung abgeschlossen wurde. Auf Seiten der Anleger erfolgt die Absicherung durch das Merkmal der Erkennbarkeit der Risikoverlagerung. Lediglich wenn der Anleger sie erkennen konnte, mußte er alles ihm Zumutbare unternehmen, um sie zu verhindern. Dazu kann es ausreichend sein, auf der entsprechenden Gesellschafterversammlung mit »nein« gestimmt zu haben. Prinzipiell gilt: je größer die Zahl

C. Die Deliktsgläubiger als Problemgruppe

171

der Anteilseigner und je kleiner die Beteiligung des einzelnen Anlegers, desto geringer sind die Anforderungen an sein Verhalten. Damit ist eine Haftung für die Publikumsaktionäre im Regelfall ausgeschlossen. Die Geschäftsleitung haftet zum einen bei der Aktiengesellschaft nach § 93 Abs. 5 A k t G . Dieser Anspruch ist jedoch mit der Schwierigkeit behaftet, daß Maßstab der Sorgfaltspflichtsverletzung die Gesellschaft ist. Deren Interessen sind aber meist nicht deckungsgleich mit denen der Deliktsgläubiger. Zum anderen haften alle Geschäftsleiter unmittelbar aus Deliktsrecht nach § 823 Abs. 1 BGB. In der zweckwidrigen Verlagerung des Risikos auf die Deliktsgläubiger ist eine Handlung der Geschäftsleitung zu sehen, die den Deliktsgläubigern gegenüber eine Garantenstellung bewirkt mit dem Ziel, das entsprechende Risiko angemessen abzusichern. Erfolgt diese Absicherung nicht, so liegt darin ein haftungsbegründendes Unterlassen, daß beim Eintritt eines Schadensereignisses zur persönlichen H a f t u n g der Geschäftsleitung führt.

III. Die »class-suit« Schließt man sich der oben gefundenen Ansicht bezüglich des Haftungsdurchgriffes an, kann es bei der Durchsetzung der entsprechenden Ansprüche zu Problemen kommen. Denn beruht der Anspruch zum Beispiel auf Rechtsgutverletzungen, die aus einer Umweltschädigung resultieren, wird es eine Vielzahl von Geschädigten geben. Unser deutsches Verfahrensrecht kennt aber keine Möglichkeit, diese Ansprüche für den Prozess in einer Weise aufzubereiten, daß ähnlich dem US.-amerikanischen »class-suit« einer stellvertretend f ü r alle klagt 141 . Einigen sich die Betroffenen nicht auf freiwillige Lösungen wie einen Fonds zur Entschädigung, so muß jeder einzelne Geschädigte eine Klage mit den entsprechenden Risiken in Bezug auf die Kosten und die Beweisbarkeit des Anspruches erheben, die zu einer erheblichen Belastung der Gerichte führt. Es gibt zwar Möglichkeiten zur Erleichterung wie zum Beispiel das Führen eines Musterprozesses 1 4 2 bei gleichzeitigem Ruhen der anderen Verfahren 143 . Sie sind aber lediglich Notlösungen, die zu keinem konsistenten Ergebnis führen. Hier ist - schließt man sich der oben gefundenen Haftungsdurchgriffslösung an - noch Klärungsbedarf, der aber nicht gesellschaftsrechtlicher, 141 142 143

Zum »class-suit« Merkt, Rn. 831; Lenebach, WM 1999, 1 ff. Vergl. Zöller, ZPO, § 325 Rn. 43 b. § 251 ZPO, siehe dazu die Kommentierung in Zöller.

172

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

sondern zivilprozessrechtlicher Natur ist, und daher hier nicht weiter vertieft werden soll.

IV. Fazit Die Deliktsgläubiger bedürfen einer gesellschaftsrechtlichen Absicherung, um eine zweckwidrige Risikoverlagerung zu ihren Lasten zu verhindern. Diese Absicherung erfolgt den Gesellschaftern gegenüber vermittels des Haftungsdurchgriffs, dem Management gegenüber mit Hilfe eines Anspruchs aus § 823 I wegen vorangegangenem gefährlichen Tun (Ingerenz). Die Eckpunkte des Haftungsdurchgriffs ergeben sich zum einen aus dem Schutzbedürfnis der Deliktsgläubiger, bei denen es sich zwar statistisch um eine geringe Größe handelt, deren Betroffenheit vor allem in Zusammenhang mit umweltbedingten Schäden aber erheblich sein kann. Zum anderen müssen die tragenden Prinzipien der juristischen Person beachtet werden. Die Haftungsbeschränkung ist zwar historisch betrachtet kein integraler Bestandteil dieser Rechtsform, es zeigte sich aber bereits frühzeitig, daß die Kapitalsammlung in den gewünschten Größenordnungen lediglich bei gleichzeitiger Beschränkung der Haftung möglich war. Will man diesen elementaren Grundsatz der juristischen Person verbunden mit der dadurch möglichen Kapitalallokation auf den Märkten nicht in Frage stellen, so müssen die Anleger gegen unvorhersehbare Haftungsdurchgriffsrisiken gesichert werden. Daraus folgt, daß der Haftungsdurchgriff nicht dazu dienen kann, das allgemeine Lebensrisiko, das auch im Zivilrecht beim Geschädigten verbleibt, auf die Anleger zu verlagern. Er kann und soll lediglich eine vom Sozialisierungsgedanken der Haftungsbeschränkung nicht erfasste Ausdehnung dieses Instituts zu Lasten der Geschädigten verhindern. Der Durchgriff kommt daher schon auf der Tatbestandsebene nur dann in Betracht, wenn ein erkennbar über das von der Rechtsordnung ansonsten tolerierte Maß hinausgehendes Risiko für die Deliktsgläubiger eingegangen wird, ohne daß zugleich für die Verwirklichung des Risikos Vorsorge getroffen wird. Auf Seiten der Anleger ist als zusätzliches Schutzmoment zu fordern, daß sie diese Risikoverlagerung erkennen konnten und nicht alles ihnen zumutbare dagegen getan haben. Mehr, zum Beispiel die Verhinderung der entsprechenden Handlung, kann nicht verlangt werden, weil sonst die dazu nicht mächtigen Kleinanleger, auf die der Kapitalmarkt angewiesen ist, in eine Haftung gedrängt würden, der sie nichts außer dem Rückzug des Kapitals vom Markt entgegen halten könnten.

C. Die Deliktsgläubiger

als

Problemgruppe

173

Dogmatisch beruht der Durchgriff auf einer weiten Fassung der Normanwendungstheorie. Beschränkt man den Schutz der Deliktsgläubiger auf Seiten der Kapitalanleger im Interesse des Marktes, so bleibt der Schutz dieser Gruppe notwendiger Weise ein Torso, wenn nicht zugleich eine Haftung des Managements eingreift. Eine solche Haftung führt nicht zu unüberwindbaren Schwierigkeiten in der Praxis, da ihre Voraussetzungen klar umrissen sind. Der einzelne Geschäftsleiter darf die Gewinnchancen der Gesellschaft nicht um jeden Preis optimieren, sondern er muß dem Zweck der Haftungsbeschränkung widersprechende Risiken für die Deliktsgläubiger, die nicht entsprechend abgesichert werden 1 4 4 , vermeiden. Wird er zu entsprechenden Geschäftsführungsmaßnahmen, wie das in der G m b H ohne weiteres möglich ist, durch einen entsprechenden Gesellschafterbeschluß veranlaßt, so ist er von der Haftung frei, dafür greift die Durchgriffshaftung der Gesellschafter ein, so daß keine Schutzlücke entsteht. Dogmatisch folgt die Geschäftsleiterhaftung aus § 823 Abs. 1 B G B . Die Verlagerung des Geschäftsrisikos über das von der Rechtsordnung tolerierte Maß hinaus auf die Deliktsgläubiger ist als gefährliches Tun einzustufen. Nimmt der Geschäftsleiter entsprechende Maßnahmen vor, ohne zugleich für eine Absicherung des Risikos zu sorgen, so ist in dem Unterlassen der Absicherung die Tathandlung zu sehen, zu der der Geschäftsleiter mittels einer Garantenstellung aus Ingerenz verpflichtet gewesen wäre. Nicht geklärt und im Rahmen dieser Arbeit nicht klärbar ist die prozessuale Durchsetzbarkeit der Ansprüche der Deliktsgläubiger. Es böte sich an, darüber nachzudenken, ob eine Klageform ähnlich der US.-amerikanischen »class-suit« nicht die Kulminierung von Einzelklagen verhindern könnte und das System insgesamt gangbarer machen würde.

144 Als Absicherung kommt entweder ein entsprechend hohes Haftkapital, der Abschluß einer Versicherung oder die Bildung eines Pools in Betracht.

D. Der Schutz der am Gesellschaftskapital Beteiligten ein Hinderungsgrund der Deregulierung? In der historischen Betrachtung zu Beginn der Arbeit hat sich gezeigt, daß viele der heute diskutierten Problembereiche - man denke an die Gründungsvorschriften oder die Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsregelungen - in erster Linie nicht dem Gläubigerschutz, sondern dem Anlegerschutz zu dienen bestimmt waren 1 . Es stellt sich damit die Frage, ob einer Deregulierung dieser Rechtsgebiete aus Sicht der am Kapital der Gesellschaft Beteiligten Hinderungsgründe entgegenstehen. Eine Antwort darauf gestaltet sich schwierig, nicht zuletzt, weil im letzten Jahrzehnt der Schwerpunkt der Betrachtung gewechselt hat. Mit dem Vorrücken der kapitalmarktrechtlichen Aspekte der Beteiligungen hat sich das Bild des Anlegerschutzes gewandelt. Von Bedeutung ist es daher nicht nur, die Relevanz einzelner Regulierungen zu untersuchen. Nötig ist vielmehr, sich zunächst ein Bild davon zu verschaffen, auf welchen Ebenen Schutzmechanismen eingreifen und welchen Zweck diese verfolgen 2 . Dabei kann sich durchaus herausstellen, daß eine Deregulierung des Kapitalgesellschaftsrechts eine fortschreitende Regulierung des Kapitalmarktrechts bedingt. Es soll daher zunächst auf die aktuellen Diskussionsschwerpunkte eingegangen werden, ehe eine Systematisierung erfolgt. Erst danach kann dann der Frage nachgegangen werden, inwieweit durch den Schutzbedarf der am Gesellschaftskapital Beteiligten eine Deregulierung des Kapitalgesellschaftsrechts verhindert wird.

1 2

Siehe oben A.I. Zum Anlegerschutz aus verfassungsrechtlicher Sicht: Budde

in FS Moxter, S. 35 ff.

D. Der Schutz der am Gesellschaftskapital

Beteiligten

I. Der Schutzbedarf - die gegenwärtige

175

Diskussion

1. Die Globalisierung der Märkte Wie bereits mehrfach festgestellt, befinden sich die internationalen Kapitalmärkte nicht zuletzt hervorgerufen durch die Entwicklung der modernen Kommunikationstechniken 3 und innerhalb Europas zusätzlich durch die Einführung des Euro in einem Prozess der stetigen Annäherung. Durch diese Globalisierung und Internationalisierung wird der nationale deutsche Kapitalmarkt unter einen starken Wettbewerbsdruck gestellt, der ihn zu Anpassungen an die konkurrierenden Systeme zwingt und ihn so einem permanenten Reformdruck aussetzt 4 . Vorbildfunktion hatten dabei die Strukturvorgaben der U S A bedingt vor allem durch deren Marktmacht 5 . Dort besteht, angelegt in den verschiedenen Gesetzgebungskompetenzen 6 , schon lange eine Zweiteilung im wesentlichen danach, ob der am Gesellschaftskapital Beteiligte in seiner Rolle als Gesellschafter oder in Bezug auf den Kauf und Verkauf der Anteile betroffen wird 7 . a. Die Funktionsfäbigkeit

des Kapitalmarktes

Eine ausführliche Analyse der Schwierigkeiten des deutschen Kapitalmarktes ist bereits im ersten Kapitel erfolgt 8 . An dieser Stelle sollen daher lediglich noch einmal kurz die wesentlichen Ergebnisse zusammengefasst werden, um daraus die für Deutschland relevanten Regelungsziele zu extrahieren. Die Zahl der börsenzugelassenen Kapitalgesellschaften ist in Deutschland niedrig. Ihre im Jahr 1991 mit 519 festgestellte Zahl 9 hat sich mittlerweile durch einige spektakuläre Börsengänge, wie den der Telekom leicht erhöht, ist aber immer noch im Verhältnis zur Wirtschaftsstärke gering. Dies ändert sich langsam durch den Neuen Markt 1 0 . Das bisher vorherrschende mangelnde In3 Kurth, ZfK 1998, 554; Schwark, WM 1997, 293 ff., weist in diesem Zusammenhang auf die elektronischen Handelssysteme hin, die die Ortsbindung der Börsen aufheben, während das Börsenrecht von 1896 noch auf die physische Anwesenheit abstellt. 4 Siehe oben Einleitung. 5 Merkt, S. 5. 6 Für das Gesellschaftsrecht der einzelnen Länder, Merkt, Rn. 13 ff.; für den interstate commerce des Staatenbundes, Merkt, Rn. 27. 7 Eine Ausnahme bilden z.B. der R I C O , der sich auf betrügerische Handlungen des Managements bezieht, Merkt, Rn. 29 und die Proxy-Fights, Merkt, Rn. 658 ff., da die Vollmachtsurkunden mit der Post verschickt werden, Merkt, Rn. 634. 8 Siehe oben den Abschnitt B. 9 Kühler, GesR, § 14 II 2.d. 10 Dazu oben 1. Kapitel, B. 1.1.

176

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz im

Kapitalgesellschaftsrecht

teresse an der B ö r s e n z u l a s s u n g liegt in v o m A n s a t z her v o l l k o m m e n unterschiedlichen F a k t o r e n begründet. E i n e s der K a r d i n a l p r o b l e m e ist, daß es in D e u t s c h l a n d n o c h sehr wenige an einer A k t i e n a n l a g e interessierte I n v e s t o r e n gibt. D a s hängt in erster Linie damit z u s a m m e n , daß das für die I n v e s t i t i o n ü b e r den K a p i t a l m a r k t b e n ö t i g t e Kapital anderweitig festgelegt ist. S o ist die Altersversorgung meist ü b e r die staatliche R e n t e n v e r s i c h e r u n g , sowie ü b e r B e t r i e b s r e n t e n gewährleistet. D i e darin g e b u n d e n e n M i t t e l sind daher nicht für die freie A l l o k a t i o n verfügbar. Weiterhin sind die G r u n d s t ü c k s p r e i s e in D e u t s c h l a n d im Verhältnis zu den N a c h b a r s t a a t e n h o c h . D a d u r c h wird der T r a u m v o m eigenen H e i m zu einer lebenslänglichen oder d o c h z u m i n d e s t bis z u m E r r e i c h e n des R e n t e n a l t e r s dauernden Investition, die alle sonst freien M i t t e l aufbraucht. Z u d e m ist historisch bedingt der W u n s c h nach einer »sicheren« A n l a g e für die übrig bleib e n d e n Kapitalbeträge in der M e h r h e i t der B e v ö l k e r u n g verwurzelt. E i n e solche stellt aber - entgegen der statistischen Werte - für den D u r c h s c h n i t t s a n l e ger typischer Weise nicht die mit einem spekulativen N i m b u s behaftete A k t i e , s o n d e r n die A n l a g e in B u n d e s - o d e r L ä n d e r o b l i g a t i o n e n sowie sonstigen R e n t e n dar. D e r negative E i n d r u c k wird - bedingt durch die geringe A n g e b o t s b r e i t e an A k t i e n und den im Verhältnis g r ö ß e r e n A n t e i l ausländischer I n vestoren 1 1 - durch die h ö h e r e Volatilität des deutschen Kapitalmarktes verstärkt. Weiterhin w e r d e n die aus den A k t i e n fließenden R e n d i t e n im Verhältnis z u m Kapitaleinsatz oftmals als zu gering eingeschätzt. Schließlich darf die lange Zeit w ä h r e n d e steuerliche Benachteiligung der A k t i e nicht a u ß e r A c h t gelassen w e r d e n 1 2 . A u f Seiten der Gesellschaften erfreut sich die K a p i t a l g e w i n n u n g ü b e r den K a p i t a l m a r k t ebenfalls aus verschiedenen G r ü n d e n keiner angemessenen B e liebtheit, als da sind das relativ starre R e c h t der Aktiengesellschaft, die obligat o r i s c h e M i t b e s t i m m u n g 1 3 und die B e v o r z u g u n g der

Fremdfinanzierung

durch das Steuerrecht 1 4 . Weiterhin waren und sind die R a n d b e d i n g u n g e n

des

Kapitalmarktes

dysfunktional. D a z u zählt, daß es lange keine tragfähigen Insiderregeln gab 1 5 , daß T a k e - o v e r s wenig oder nicht m ö g l i c h w a r e n 1 6 und daß durch Ringverflechtungen eine mangelnde Fungibiliät größerer A k t i e n p a k e t e besteht 1 7 . Kühler, Brooklyn Law Review Vol 57, 101. Zu dem ganzen Komplex oben 2. Kapitel B. Il.l.b. 13 Zu dem Problem der Mitbestimmung aus US-amerikanischer Sicht: Lemhinske, Mitteilungen 1997, 722. 14 Dazu oben 1. Kapitel C.I. 15 Dazu oben 1.Kapitel B.II.3.a. 16 Kühler, Brooklyn Law Review 1991, 102 sowie oben 1. Kapitel B.II.3.b. 17 Dazu oben 1. Kapitel B.II.3.C. 11 12

WSI

D. Der Schutz der am Gesellschaftskapital

Beteiligten

177

B e t r a c h t e t man k u r z zusammengefasst die P r o b l e m e des K a p i t a l m a r k t s , so zeigt sich, daß lediglich ein Teil davon durch eine gesellschaftsrechtlich vermittelte G e s e t z g e b u n g b e h o b e n w e r d e n kann. D i e s e r Teil ist aber n i c h t unterz u b e w e r t e n , weil sich einige der anderen P r o b l e m f e l d e r durch die gegenwärtig stattfindende soziale U m v e r l a g e r u n g ändern w e r d e n . S o ist i n s b e s o n d e r e damit zu rechnen, daß das staatliche R e n t e n s y s t e m auf die D a u e r nicht m e h r in der L a g e sein wird, eine K o m p l e t t a b s i c h e r u n g zu bieten, so daß der einzelne ü b e r die L e b e n s v e r s i c h e r u n g hinaus V o r s o r g e treffen m u ß 1 8 . D e s g l e i c h e n hat sich bei vielen F i r m e n die E r k e n n t n i s durchgesetzt, daß die steuerlich z w a r günstige B e t r i e b s r e n t e in wirtschaftlich schwierigen Z e i t e n zu einem viel zu h o h e n A n t e i l fester A u s g a b e n führt, so daß auch hier eine gegenläufige T e n d e n z eingesetzt hat. D e r H a u s k a u f , für die N a c h k r i e g s g e n e r a t i o n n o c h L e b e n s z i e l , wird für die n u n m e h r h e r a n w a c h s e n d e G e n e r a t i o n der E r b e n durch die auf diesem W e g zugeführte I m m o b i l i e ebenfalls v o n geringerer B e deutung w e r d e n . Insgesamt w e r d e n daher die für den K a p i t a l m a r k t zur Verfügung stehenden M i t t e l z u n e h m e n . D a m i t bleiben zur Beseitigung der M ä n g e l - n e b e n der steuerlichen B e nachteiligung, die dringend z u s a m m e n mit einer R e f o r m des Gesellschaftsrechts in A n g r i f f g e n o m m e n w e r d e n sollte 1 9 - v o r allem die folgenden P u n k t e übrig: -

E r h ö h u n g des Vertrauens in die A n l a g e f o r m A k t i e

-

Verbesserung der R e n d i t e n s t r u k t u r

-

Flexibilisierung der für den B ö r s e n g a n g zulässigen R e c h t s f o r m

b. Die Umsetzung der

Regelungsziele

B e t r a c h t e t m a n die verbleibenden Regelungsziele - E r h ö h u n g des Vertrauens, Verbesserung der R e n d i t e s t r u k t u r und Flexibilisierung - zeigt sich, daß die letzten beiden auf den ersten B l i c k dem S c h u t z des am Kapital Beteiligten eher entgegenlaufen. H i s t o r i s c h betrachtet sind die starren R e g e l u n g e n der P u b l i kumsgesellschaft aus A n l e g e r s c h u t z e r w ä g u n g e n heraus entstanden 2 0 .

Ihre

Verwässerung k ö n n t e daher »anlegerfeindlich« sein. D a ß dies bedingt durch die ü b e r den Zeitablauf veränderten S t r u k t u r e n nicht so ist, wird im Laufe dieses und des nächsten Kapitels festgestellt w e r d e n .

18 So geht auch das DWS-Fondsjournal, S. 13, von einer steigenden Bedeutung der Fonds für die Altersversorgung aus. 19 So schon Hopt, DJT G 44. 20 Siehe oben A.I.

178

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

Als erstes ist zu zeigen wie in Anbetracht des Bedarfes an einem größeren Anlegerkreis zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit auf den internationalen Märkten das Vertrauen der Anleger in die Aktie gesteigert werden kann. Elementar für das Vertrauen in einen Markt ist der Glaube an dessen manipulationsfreies Funktionieren. Entsprechend muß man, will man das Vertrauen der Anleger gewinnen, dafür sorgen, daß sich der Kapitalmarkt als solide, funktionsfähig und frei von Mißbrauch darstellt 21 . Bis hierhin herrscht weitgehend Einigkeit 22 . Streitig war demgegenüber lange, wie dieses Ziel regulatorisch erreicht werden soll. Zur Wahl stand dabei ein Vorgehen über freiwillige Regelungen, über die Zuweisung zivilrechtlicher Individualschutzrechte oder über einen staatlich kontrollierten Funktionenschutz mit lediglich reflexartigem Individualschutz. aa.

Selbstregulierung

Ein Beispiel für die Effizienz von Selbstregulierung liegt in Form des Insiderhandelsverbots vor, das über einen weiten Zeitraum hin auf freiwilliger Basis geregelt war und erst durch das 2. Finanzförderungsgesetz einer gesetzlichen Gestaltung zugeführt wurde. Geht man davon aus, daß es unter marktökonomischen Aspekten sinnvoll ist, Insiderhandel zu verbieten 23 , so kann die damit bezweckte Vertrauensstärkung lediglich dann eintreten, wenn der Schutz vor der unberechtigten Ausnutzung von Wissensvorsprüngen umfassend ist. Hier liegt das größte Problem der Selbstregulierung. Unterwerfen sich nicht alle Betroffenen, wozu sie bei einer Selbstregulierung meist nicht gezwungen werden können, dem Verbot, läßt sich dessen Lückenhaftigkeit nicht verhindern 2 4 . So hat zum Beispiel der Deutsche Gewerkschaftsbund seinen Mitgliedern geraten, die Verpflichtungserklärung aus Protest gegen die Art der Regelung nicht zu unterschreiben 2 5 . Dies führte in der Folgezeit dazu, daß Verstöße von Gewerkschaftlern gegen das Insiderhandelsverbot nicht geahndet werden konnten 2 6 .

21

Wymeersch, in H o p t / W y m e e r s c h , S. 66; Cahn, Z H R 162, 2; Leistner, Z R P 1973, 201. Einige Autoren stehen jedoch auf dem Standpunkt, daß Insiderhandel sinnvoll ist und daher nicht u n t e r b u n d e n werden sollte, siehe dazu oben 2. Kapitel II. 3.a. sowie Schneider, D., D B 1993, 1429 ff. 23 Dazu oben 2. Kapitel B.II.3.a. 24 Leistner, Z R P 1973, 203. 25 Leistner, Z R P 1973, 203. 26 Bekanntestes Beispiel in diesem Zusammenhang ist der Fall von H e r r n Steinkühler, dazu Wirtschaftswoche v o m 14.10.1994, S. 1 ff. 22

D. Der Schutz der am Gesellschaftskapital

179

Beteiligten

E r h e b l i c h e r K r i t i k unterlag aber auch das sonstige R e g e l u n g s w e r k , insbesondere die mangelhaften S a n k t i o n s m ö g l i c h k e i t e n , die sich zwangsläufig aus der zivilrechtlichen S t r u k t u r ergaben, die eine strafrechtliche

Verfolgung

nicht m ö g l i c h m a c h t e 2 7 . Als K o n s e q u e n z daraus galt das deutsche Insiderrecht w e d e r im Inland n o c h bei den N a c h b a r s t a a t e n als besonders vertrauenswürdig, w o d u r c h das A n s e h e n des deutschen K a p i t a l m a r k t e s

beeinträchtigt

w u r d e . E i n e E r h ö h u n g der A n l e g e r q u o t e k o n n t e durch eine derartige R e g e lung folglich nicht erreicht w e r d e n . A n H a n d dieses Vorgehens zeigte sich, daß die Zweifel an der ausreichenden W i r k s a m k e i t v o n freiwilligen R e g e l u n gen in B e z u g auf die Schaffung v o n Vertrauen in das F u n k t i o n i e r e n v o n M ä r k ten berechtigt sind 2 8 . E i n solches V o r g e h e n ist daher im N o r m a l f a l l als nicht geeignet anzusehen.

bb. Der Ansatz

Schwarks

D a m i t bleiben als Alternativen lediglich die Z u w e i s u n g v o n zivilrechtlichen Individualschutzrechten oder ein staatlich k o n t r o l l i e r t e r F u n k t i o n e n s c h u t z . U m diese Frage ist E n d e der siebziger J a h r e heftig gerungen w o r d e n . G r u n d legend dafür sind v o r allem die W e r k e v o n S c h w a r k und H o p t 2 9 . W ä h r e n d H o p t s c h o n den T e r m i n u s des » F u n k t i o n e n s c h u t z e s « gebraucht 3 0 , geht es S c h w a r k n o c h vor allem u m die B e g r ü n d u n g der N o t w e n d i g k e i t , sich v o n ein e m rein zivilrechtlichen A n s p r u c h s s y s t e m s zu lösen. S c h w a r k arbeitet dabei allerdings mit dem T e r m i n u s W i r t s c h a f t s r e c h t als G e g e n s t ü c k z u m Zivilrecht 3 1 . D e r A n s a t z ist mit Schwierigkeiten v e r b u n d e n . Z u m einen läßt es sich schwer begründen, w a r u m W i r t s c h a f t s r e c h t ein n e b e n dem Zivil- und Ö f f e n t lichen R e c h t stehendes eigenständiges R e c h t g e b i e t sein soll, z u m anderen lassen sich gerade wegen der engen V e r k n ü p f u n g mit dem Zivilrecht die G r e n z e n nicht in hinreichender F o r m fixieren. Schließlich verwechselt der R e g e l u n g s ansatz ü b e r ein eigenständiges R e c h t s g e b i e t den Z w e c k mit der F o r m seiner D u r c h s e t z u n g . S o spricht S c h w a r k davon, daß das W i r t s c h a f t s r e c h t D a t e n setzt, die den W i r t s c h a f t s p r o z e s s eines Staates beeinflussen 3 2 . D a s ist absolut Leistner, ZRP 1973, 204 ff.; Hopt, Z G R 1991, 55 ff. Wymeersch in Hopt/Wymeersch, S. 66; das ist nicht zu verwechseln mit der britischen Form des Insiderhandelsverbot, das zwar vermittels einer Selbstverwaltung überwacht wird, aber auf gesetzlichen Regelungen beruht. 29 Schwark, Anlegerschutz durch Wirtschaftsrecht, 1979; Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975. 30 Z.B. Hopt, Banken, S. 51. 31 Schwark, S. 39 ff., auf der das Kapitel »Zum Begriff und Gehalt des Wirtschaftsrechts« beginnt. 32 Schwark, Anlegerschutz, S. 63. 27 28

180

2. Kapitel: Der Gläubiger-

und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

richtig, jedoch ist es nicht so, daß zuerst das Gesetz da ist und man dann sieht, wie das Wirtschaftsleben davon geprägt wird, sondern vor dem Erlaß des Gesetzes stehen, oder sollten zumindest stehen, rechtspolitische Überlegungen, welche ökonomischen und verhaltenssteuernden Auswirkungen die entsprechende Normierung haben wird. Zweck ist also nicht die Schaffung eines neuen Rechtsgebietes mit planwirtschaftlichen Ansätzen, das allgemeine Gültigkeit beanspruchen soll 33 . Vielmehr geht es darum, bestimmte rechtspolitische Ziele, wie den Anlegerschutz, mit Einzelmaßnahmen unter Beibehaltung der prinzipiellen zivilrechtlichen Struktur durchzusetzen34. Dies kann unter Umständen lediglich durch eine Mischung von zivilrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Instituten geschehen, die dann aber auf den einzelnen Anwendungsfall beschränkt bleiben müssen wie dies auch bisher im Hinblick auf die einzelnen Anlageformen stets geschehen ist 35 . Dabei hindert die Beschränkung auf die einzelnen Schutzformen selbstredend nicht, daß die Gesamtheit der anlegerschützenden Normen im Auge behalten wird36. Dadurch entsteht aber keineswegs automatisch ein neues Rechtsgebiet im Sinne Schwarks. cc. Individualschutz

und

Funktionenschutz

Heute hat sich die Ansicht durchgesetzt, daß für einen den wirtschaftspolitischen Vorgaben entsprechenden Kapitalmarkt der Funktionenschutz und nicht der Individualschutz der richtige Weg ist. Entwickelt hat sich der Funktionenschutz im Rahmen des Kapitalmarktrechts erst verstärkt im 20. Jahrhundert in den USA 37 . Sein Aufschwung war in dem Zerbrechen der Großfamilie und dem dadurch bedingten Bedürfnis nach der Schaffung alternativer Vorsorgemöglichkeiten durch den Kapitalmarkt

3 3 Dazu scheint Schwark aber zu tendieren, wenn er ausführt: » . . . , sondern den eigentlichen rechtlichen Gehalt des Wirtschaftsrechts herauszuarbeiten. Dieser liegt nach Meinung des Verf. nicht, wie es die neoliberale Schule vertritt, in der privatautonomen Ordnung der Marktwirtschaft und allein in der Sicherung dieser Ordnung, sondern in der Hinwendung des modernen Staates zu einer regulierenden Stelle der gesamten Volkswirtschaft, die erforderlichenfalls auch auf wirtschaftliche Prozesse und unternehmerische Einzelentscheidungen Einfluß nimmt.« Schwark, S. 68. 34 Mertens, D J T S. P 14 spricht sich ebenfalls gegen ein allgemeines »Anlegerschutzgesetz« aus. 35 Hopt, DJT, G 13, in Bezug auf das Sparkonto, das prämienbegünstigte Sparkonto, die Lebensversicherung, den Bausparvertrag und den Haus- und Grundbesitz. 36 Hopt, D J T G 21. 37 Zu den USA: Kühler, SZW 1995, 224; zur Entwicklung der Unternehmenspublizität in Deutschland: Schwark, S. 174 ff.; zur Entwicklung des Kapitalmarktrechts: Assmann in Assmann/Schneider, WpHG, Einl. Rn. 2 ff.

D. Der Schutz der am Gesellschaftskapital

Beteiligten

181

insbesondere für die Altersabsicherung begründet 38 . Dafür war es notwendig, einen funktionstüchtigen Kapitalmarkt zu schaffen, weil die Anleger auf einen solchen angewiesen waren, da ihnen selbst die Möglichkeit zur Informationssammlung und die Marktmacht zur Durchsetzung eigener Forderungen fehlte 39 . Der Anlegerschutz beinhaltet damit eine ausgeprägte soziale Komponente 4 0 . Hierdurch und durch die im Verhältnis zu Deutschland eingeschränkten Möglichkeiten zur bundeseinheitlichen Gesetzgebung hat sich der regulative Ansatz in den U S A weg von dem in der Kompetenz der Einzelstaaten liegenden Gesellschaftsrecht 41 hin zum Kapitalmarktrecht verschoben. Dem Anlegerschutz kommt dabei ein hoher Stellenwert zu. Da zugleich keine vollständige Uberprüfung aller Marktdaten durch staatliche Stellen möglich und ökonomisch sinnvoll ist, liegt der Schwerpunkt der normativen Eingriffe auf der Herstellung einer möglichst umfassenden Publizität, deren Richtigkeitsgewähr durch zum Teil drakonische Strafen sichergestellt wird 42 . Die Evaluation der so gewonnenen Daten wird aber dem einzelnen Marktteilnehmer überlassen. Die Umsetzung der durch Publizität gewonnenen Daten auf dem Kapitalmarkt wird an Hand des Informationseffizenzniveaus beurteilt. Dieses und damit die Allokationseffizienz des Kapitalmarktsystems - also die Frage danach, ob es der Markt vermag, ein Optimum an verfügbarem Kapital zu mobilisieren und an die Stellen höchster Effektivität in Bezug zum eingegangenen Risiko zu transferieren 43 - , hängt von der Vollständigkeit ab, mit der die Wertpapierpreise sämtliche für die Kapitalmarktteilnehmer relevanten Informationen widerspiegeln 44 . Dazu werden drei Stufen gebildet. Die schwache Form der Informationseffizienzhypothese, nach der die aktuellen Marktpreise sämtliche Informationen über das Marktgeschehen in der Vergangenheit reflektieren; die halbstrenge Form der Informationseffizienzhypothese, nach der alle öffentlich zugänglichen Informationen wie Jahresabschlüsse oder Presseberichte in den aktuellen Marktpreisen enthalten sind und die strenge Form der Informationseffizenzhypothese, nach der alle relevanten Informationen reflektiert werden, also auch das Insiderwissen 45 . Für Kühler, SZW 1995,224. Schwark, S. 11. 40 Schwark, S. 12. 4 1 Ausführlich zu der Aufteilung der Kompetenzen: Herrn/Alexander, S. 36 ff. 4 2 In Erinnerung gerufen seien nur die Bußgelder in Millionenhöhe und die Haftstrafen für den Insiderhandel von Dennis Levine und Ivan Boesky; ausführlich Blair, S. 53. 4 3 Die Definition findet sich bei Kopp, S. 99. 44 Kopp, S. 100. 4 5 Definitionen nach Kopp, S. 101 ff. 38

39

182

2. Kapitel: Der Gläubiger- und Anlegerschutz

im

Kapitalgesellschaftsrecht

den US-amerikanischen M a r k t d o k u m e n t i e r e n die empirischen U n t e r s u chungen, daß er der halbstrengen I n f o r m a t i o n s e f f i z i e n z h y p o t h e s e entspricht, w ä h r e n d der deutsche Kapitalmarkt als schwach informationseffizent einzustufen ist 46 . Dieser Unterschied ist bei den R e g u l i e r u n g s b e m ü h u n gen in Deutschland zu beachten. Gerade in Deutschland ist wegen der Unterschiedlichkeit der M ä r k t e deshalb ein über den Individualschutz in F o r m rein zivilrechtlicher A n s p r ü c h e hinausgehender F u n k t i o n e n s c h u t z notwendig. D e n n baut man ein Kontrollsystem lediglich über die Zuteilung von zivilrechtlichen A n s p r ü c h e n auf, die entsprechend ihrem bürgerlich-rechtlichen Charakter der D u r c h s e t z u n g durch den einzelnen Geschädigten bedürfen, so kann dieses System nur funktionieren, w e n n der Geschädigte die Benachteiligung ü b e r h a u p t w a h r n i m m t u n d sodann gegen sie vorgeht. Zwar w u r d e die Publizität in Deutschland ausgebaut. Das begann vor allem mit der Pflicht zur Erstellung eines Börsenzulassungsprospekts, der sich schnell als unzureichend herausstellte. Wegen der damit verbleibenden L ü k ken zwischen Zulassung u n d Emission w u r d e die Publizität- z u m Beispiel durch die Schaffung des VerkaufsprospektG 1990 - immer weiter ausgedehnt 4 7 . Die vorerst letzte Erweiterung fand im R a h m e n des 2. F i n a n z m a r k t förderungsgesetzes 4 8 statt, in dem unter anderem die ad hoc Publizität verankert wurde 4 9 . D e n n o c h bereitet das E r k e n n e n von Benachteiligung aber gerade dem Kleinanleger Schwierigkeiten, da er nicht über hinreichende Kontrollinstrumentarien verfügt 5 0 . Dies liegt z u m einen daran, daß der A u f b a u solcher Kontrollsysteme f ü r einen Kleinanleger ö k o n o m i s c h nicht sinnvoll ist 51 , z u m anderen daran, daß er beim Einstieg in die Kapitalanlage nicht die M a r k t macht hat, weitergehende Informations- u n d Einsichtspflichten auszuhandeln 5 2 . Selbst w e n n man eine zivilrechtliche Aufklärungspflicht konstruieren würde, k ö n n t e diese nicht z u m Ziel f ü h r e n , weil die Sachverhalte, über die zur

46

Kopp, S. 106. Schwark,S. 187 ff. 48 Es dient zugleich der U m s e t z u n g der Insider-Richtlinie, der Transparenz-Richtlinie sowie Teilen der Wertpapierdienstleistungs-Richtlinie. Mit diesem Gesetz w u r d e der entscheidende Schritt weg von einem rechtsformorientierten Ansatz hin zu einer echten kapitalOT